ee 1, ,; re] RI ZA,B rn, r- Kibrarp of tbe Museum OF COMPARATIVE ZOÖLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS, Pounded bp private subscription, In 1861. Deposited by ALEX. AGASSIZ. No. s - { ’ © os ‘ BE mie B ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. D*. CARL BOGISLAUS REICHERT, IROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHFNDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHRN THEATERS , MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN. FORTSETZUNG VON REIL’S, REIL’S UND AUTENRIETH’S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1868. “Mit achtzehn Kupfertafeln. Mn Tprz De VERLAG vos VEITET COMP. ’ oo Br Tau a Farce Be anraam Sr ITS Veh F IH IRRE ALE 5 . 2 ' “ zart "STAAHIITH alhdem)od IAAI Be MRIEHUHNEN and Sorina ‚ungorrwa Iermunkot PETE Rh TB, N a rain , Amar TROSMIRAER ua are Kaanmanınalm la Serra 7 . j> 7 A ee i—__ IRRE SIM 2 Le NO TSHE2IOH BI { ANGEL wind. ind Ka alaiy Ars una Sa re r .- ERITREA ea 11 A a LH ARE | Ad ‘ ETRTLTmer > nr UT IA AU Ar ar RO INTAr ER SSL LIIM LOG mr A ar N [3 ud BET DVD LESER IT adaxtdon 1) ' 2 IIETEH DT 4U0I 74 TIAV nos HA1ASY Inhaltsverzeichniss. - Seite Aeby, Dr. Chr., Professor in Bern. Seltene Aippenanppnalie des Menschen. (Hierzu Taf. III. B.) i »telebhl Bartels, Max. Ueber die Bauchblasengenitalspalte, einen be- stimmten Grad der sogenannten Inversion der Harnblase. (Hierzu Taf. .V;) ). ind» maugiıls- ulntnauel. vol. Baur, Dr. A., in Erlangen. Ueber die heste Methode, Präparate zur Demonstration der Höhlen und Klappen des Herzens in aenen Zustande herzustellen. Beitrag zur anatomischen Eennik rn unser vrıelneidto Bulads0l% talrminaalr min. Bernstein, Dr. J., in Heidelberg. Zur Theorie des Fechner- schen Gesetzes der Empfindung. ı Bidder, F, in Dorpat. Die Endigungsweise der Herzzweige des N. vagus beim Frosch. (Hierzu Taf. I.B). . ... — — Beobachtungen an curarisirten Fröschen. . Bistroff, Dr. Nicolaus, aus St. Petersburg. Die physiologische Wirkung des Ammonium bromatum auf den thierischen Organismus. Bochdalek, Dr., jun. ; "Proseetor an der Hochschule zu Prag. Anatomische Beiträge. du Bois-Reymond, E. Ueber die Immunität gegen Strychnin Buchholz, Dr. Reinhold und Landois, Dr. Leonard, Privat- docenten zu: Greifswald. Anatomische Untersuchungen über den Bau der Araneiden. (Hierzu Taf. VII. u. VIII. A.) Burmeister, H. Erwiderung auf die briefliche Mittheilung des Herrn Dr. J. Reinhardt, die Hanibedeekung der Gravi- graden betreffend. . . REN EE Dönitz, Dr W. Ueber Noctiluca miliaris Sur. (Hierzu Taf. 1V.) — — Ueber die sogenannten amöboiden Bewegungen und die Cohnheim’schen Entzündungserscheinungen. — — UeberNoctiluca miliaris. Erwiderung an Hrn. Prof. V. Carus. Donders, F. © Die Schnelligkeit psychischer Processe Gies, Theodor, aus Hanau. Der Flexor digitorum pedis com- munis longus und seine Varietäten. (Hierzu Taf. VI. B.) Gruber, Dr. Wenzel, Prof. der Anatomie in St Petersburg. Ueber das Zungenbein - Schildknorpel- Hilfsband (Ligamen- tum hyo-thyreoideum accessorium). (Hierzu Taf. XV. A.) — — Ueber die Muskeln des unteren Schildknorpelrandes (Museuli thyreoidei marginales inferiores). (Hierzu Taf. XV.B.) — — Ueber den seltenen Schildknorpelhorn - Giessbeckenknorpel- muskel (Musculus kerato-arytaenoideus). (Hierzu Taf. XV.C.) — — Ueber eine neue Variante des Musculus thyreo-trachealis und über den Musculus hyo-trachealis. (Hierzu Taf. XV.D.) Haebler, Dr. Max. Eine neue Methode der Ipantaliven Eiweiss- bestimmung . - Hartmann, Rob. Medicinische Erinnerungen aus dem nordöst- lichen Afrika Jessen, Prof. Dr. Die Vacuole eine "physikalische Unmög- lichkeit. Kaiser, Dr. H., Kreisarzt zu Dieburg bei Darmstadt. Die Mechanik der Accommodation des Auges. (Hierzu Taf. X.) Koschewnikoff, A., aus Moskau. Ueber die Empfindungs- nerven der hinteren Extremitäten beim Frosche. (Hierzu MaseIX.). > 68 . 240 .. 759 137 . 394 750 . 657 231 598 . 635 640 642 IV ai Seite Krause, Dr. W., Prof.ih Göttingen. Ueber ir Du: colla- teralis ulnaris Nervi radialis . . . u N — — Ueber die Endigung des N. optieus. . 256 — — Ueber die Nerven - te: innerhalb der motorischen Endplatten. . . . LIT RI PER a Landois, Dr. Leonard, s. Buchholz. Laschkewitsch, Dr. W,, aus St. Petersburg. Ueber die Ursachen der Temperatur - Erniedrigung bei Unterdrückung der Hautperspiration . «a Mg — — Ueber die physiologische Wirkung des Cyan- Gasen] sur! 649 Lesshaft, Dr. P., Proseetor der pract. Anatomie zu St. Beters- burg. Ueber den Museulus orbieularis orbitae und seinen Einfluss auf den Mechanismus der Thränenabsonderung. (Hierzu Taf. VII.B) . 265 Luschka, Dr. B. v., Prof. in Tübingen. Der Muse. hyo- und genio-epiglottieus. (Hierzu "Tat /VLIASTN Mn) Eng YATnoH Magnus, Dr. Hugo, praef. Arzt in Breslau. Physiologisch- anatomische Untersuchungen über das Brustbein der Vögel. (Hierzu Taf. XVI. u. XVII). . 682 Mayer, Dr. Sigmund, in Heidelberg. Ueber den "zeitlichen Ver- lauf der Schwankung des Muskelstromes am Muse. gastro- nemius. . . 655 Munk, Hermann, Ueber die Präskistenz der elektrischen Gegen: Sätze im Muskel und Nerven. . . A Er . 529 Naunyn, Dr. B. Beiträge zur Lehre vom Ieterus. © . 2. .401 Nitsche, H. Beiträge zur Anatomie und Entwicklungsgesehichte der phylactolaemen Süsswasserbryozoen, insbesondere von Aleyonella fungosa Pall. sp. (Hierzu Taf. XI.—XIV.) . 465 Rabl-Rückhard, Dr., Stabsarzt. Einiges über Flimmerepithel und Becherzellen. (Hierzu Taf. LA) . . m Quineke, Dr. H., Assistenten an der medieinischen Universitäts- klinik in Berlin. Weber die Ausscheidung von Arznei- stoflen durch die Darmschleimhaut. . ic — — Ueher das Verhalten der Eisensalze im Thierkörper. ar Salbey, Dr. R. Ueber die Struetur und das Wachsthum der Fischschuppen. (Hierzu Taf. XVII.B) . . . 729 Sander, Dr. Julius, Assistenzarzt der Nervenklinik in det Königl. Oharite. Ueber das Quercommissurensystem des Grosshirns bei den Beutelthieren. (Hierzu Taf. XVIIL. A.) 711 Schiffer, Dr. Julius, in Berlin. Ueber die a DENE erstarrender Muskeln. . . . 442 Schneider, Anton. Ueber Iran und Entwickelung von Poly. gordius. (Hierzu Taf. II. TUTAHIEIOR A DREIRN A| — — Ueber den Bau der Aoskharkphäleni! et ..584 Sehultzen, Dr. ©. Quantitative Bestimmung des oxalsauren Kalkes im rg ‚v3 a ) Tellkampf, Tb. A., Dr, med. Zur Classification des Aphredo- derus gibbosus (Le Sueur) Seolapsis sajanas (J. Gilliams). 88 Uspensky, Dr. P., aus Petersburg. Der Einfluss der künst- lichen Respiration auf die nach Vergiftung mit Brucin, Nieotin, Pierotoxin, Thebain und Coffein eintretenden Krämpfe 522 Weigelin, J, in Stuttgart. Versuche über die Harnstoflhus- scheidung während und nach der Muskelthätigkeit . . . . 207 F. Bidder: Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w, 1 TE re Die Endigungsweise der Herzzweige des N. vagus beim Frosch. Von F. BiDDER in Dorpat. (Hierzu Taf. I, B.) Schon in den ersten Mittheilungen über die von ihnen entdeckten merkwürdigen Beziehungen des N. vagus zu den - Actionen des Herzens machen die Gebrüder Weber darauf aufmerksam (E. H. Weber in diesem Arch. 1846 S. 500, und Ed. Weber in R. Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie Bd. III, Abth. 2, Braunschweig 1846, S. 47), dass der hem- mende Einfluss der Vagi auf die Herzbewegung nicht unmit- telbar auf die Muskelfasern, sondern zunächst auf diejenigen Nerveneinrichtungen einwirke, von denen die Herzbewegungen ausgehen, und die in der Substanz des Herzens selber befind- lich sind. Als solche Nerveneinrichtungen waren kurz vorher von Volkmann (Müll. Arch. 1844 $. 419) die von Remak im Herzen gefundenen Ganglien bezeichnet worden. So lag es nahe, dass Volkmann die Weber’sche Ansicht einer ein- ‘ gehenden Prüfung unterwarf, bei der er nach genauer Erörte- rung aller damals in Betracht kommenden Verhältnisse auch seinerseits zu der Ueberzeugung gelangte (Hämodynamik, Leip- zig 1850, S. 407), dass der gereizte N. vagus zunächst auf die Nervencentra des Herzens wirke, und dass der nächste Grund der dadurch bedingten anhaltenden Diastole in einer Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1868. 1 ) F. Bidder: veränderten Stimmung dieser Centra liege. Diese Auffassung ist, sofern nicht etwa die Hemmungswirkung überhaupt in Abrede gestellt wurde, von allen nachfolgenden Beobachtern theils still- schweigend, theils in ausdrücklich zustimmender Weise adoptirt worden, und es war hierbei namentlich maassgebend die Erwägung, dass ein Nerv, der Muskelactionen inhibire, nicht dieselbe Endigung haben könne, wie ein die Muskelelemente zu lebendiger Verkür- zung anregender, und dass die Immunität der Herzzweige des Vagus gegen gewisse, die Enden sämmtlicher centrifugaler Nerven des cerebrospinalen Systems lähmende Gifte (Curare) nicht anders er- klärt werden könne, als mit der Annahme, dass ihnen eine von den musculomotorischen Nerven abweichende Endigung zu- komme. Die zu letzterer Thatsache den Gegensatz bildende, neuerdings erst gemachte Erfahrung, dass nach Einführung von Atropin in das Blut, zu einer Zeit, wo alle anderen Nerven sympathischer oder cerebraler Gattung noch völlig leistungsfähig sind, der Herzvagus vollständig gelähmt erscheint, dient nicht minder zum entschiedenen Beweise, „dass er ein besonderes, von der sonstigen Endigungsweise der Muskelnerven verschie- denes Endorgan haben müsse“ (A. v. Bezold, Untersuchungen aus dem physiol. Laborat. in Würzburg, Heft 1, 1867, S. 41). — Zu ganz ähnlichen Resultaten führen aber auch die bedeu- tungsvollen Untersuchungen , die ebenfalls besonders von v. Bezold (Untersuchungen über die Innervation des Herzens, 2. Abth. 1863) und darauf von den Gebrüdern Cyon (Central- blatt für die medie. Wiss. 1866 Nr. 5l und 1867 Nr. 20) über die excitirenden Herznerven angestellt worden sind. Der aus der täglichen Erfahrung zwar längst schon bekannte, aber auf dem Wege des Experimentes erst von v. Bezold festgestellte Einfluss des Gehirns auf die Schlagfolge des Herzens, und der Nachweis der Nervenbahnen, durch welche dieser Nervenein- fluss vermittelt wird (beim Kaninchen dritte Wurzel des Ganglion stellati), musste auch die Frage nach der Endigungsweise die- ser letzteren anregen. Namentlich die beiden letztgenannten Beobachter halten sich (in der erwähnten, so viel mir bekannt, bisher einzigen und nur vorläufigen Mittheilung über ihre be- züglichen Untersuchungen) zu dem Ausspruch für berechtigt, Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 3 ‚dass diese exeitirenden Herznerven in den „motorischen“ Herz- ganglien enden, und dass sie die Erregbarkeit derselben er- höhen, indem sie ihnen von den cerebrospinalen Centren aus- gehende Impulse zuführen. Unter anderem weise namentlich der Umstand, dass die Reizung dieser Nerven keinen Teta- nus des Herzens bewirkt, darauf hin, dass sie keine gewöhn- lichen Muskelnerven sind, sondern höchst wahrscheinlich in den Ganglien des Herzens enden. Von zwiefachen Ausgangspunkten her ist demnach die An- sicht gewonnen, dass gewisse zu dem Herzen tretende und die Actionen seiner Muskulatur alterirende Nerven nicht direct in das Herzfleisch sich einsenken, sondern ihren Einfluss auf ‚dasselbe nur dadurch äussern, dass sie in den die Herzactionen bestimmenden und in das Herz selbst eingeketteten Ganglien ihr Ende finden. Aber der genauere Nachweis dieser Endi- gung ist, obgleich schon seit zwei Decennien diese Aufgabe vorliegt, bis auf den heutigen Tag ein Desiderat geblieben. Allerdings ist von O. Funke ausgesprochen worden (Lehrb: d. Physiol. Bd. II, 3. Aufl. 1860 8. 517, und 4. Aufl. 1866 S. 657), dass die zum Herzen tretenden Vagusfasern sich in die auf ihrem Wege liegenden Nervenzellen inseriren, und dass aus letzteren erst die den Herzmuskel zur Verkürzung bestim- menden Nervenfasern entspringen, dass gewisse Ganglienzellen nicht allein unter sich zu Gruppen verbunden sind, sondern dass überdies auch die in mehrfacher Zahl in dem Herzen vorhandenen Ganglienanhäufungen unter einander in Verbindung gesetzt sind. Jedoch sind das, wie Funke selbst bemerkt, nur Vermuthungen, die, wenngleich mit grosser Wahrschein- lichkeit den zahlreichen über die Thätigkeit des Herzens ge- machten Erfahrungen entnommen, ihre bleibende Geltung doch nur von der anatomischen Prüfung zu erwarten haben. Zu solcher vor dem Mikroskop zu bestehenden Probe scheint aber nach dem gegenwärtigen Zustande unserer Kenntnisse das in den makroskopischen Verhältnissen seiner Nervenausbreitung am genauesten gekannte und am leichtesten zu übersehende Froschherz vorzugsweise geeignet zu sein, umsomehr, als die von aussen her ihm zugeführten hemmenden sowohl als exci- 1* > ae er 32 hr" 4 F. Bidder: tirenden Impulse auf die alleinige Bahn eines. jederseits ein- fachen Vaguszweiges angewiesen sind. Zwar hat Kölliker (Geweblehre, 4. Aufl. 1863 S. 585) mit grosser Entschieden- heit behauptet, dass die Vagusäste des Frosches keinerlei Ver- bindungen mit den Ganglienzellen des Herzens eingehen, son- dern ganz und gar für sich verlaufen und die Ganglien nur durchsetzen, um für sich zum Herzfleische zu gehen, und dass die Physiologie daher jene Theorieen verlassen müsse, die den Vagusfasern einen unmittelbaren Einfluss auf die Ganglien zu- schreiben'). Dass indessen diese Angelegenheit hiermit kei- nesweges erledigt sei, dürfte, abgesehen von den angedeuteten physiologischen Erwägungen, auch daraus hervorgehen, dass selbst der englische Gelehrte Beale (Phil. Transact. 1863, Part. II, p. 561 u. 562, pl. XXXIX Fig. 41) die thatsächlichen Grund- lagen dieser Aussprüche Kölliker’'s durchaus bestreitet. Indem das Nähere hierüber weiter unten seine Stelle finden soll, will ich hier nur hervorheben, dass Beale nach seinen Unter- suchungen es wenigstens für sehr wahrscheinlich hält, dass die Vagusfasern mit den Ganglienzellen verbunden sind, obgleich er sich ausser Stande erklärt, anzugeben, von wie vielen Va- gusfasern dies gelte. Bei dieser Sachlage war eine wiederholte Untersuchung der anatomischen Beziehungen des N. vagus zu den Ganglien des Froschherzeus ein dringendes Bedürfniss. Es handelte sich dabei nicht allein um eine erweiterte Geltung der neuesten Ermittelungen über die Natur der unipolaren Ganglienzellen, sondern zugleich um die Feststellung anatomischer Grundlagen zum Verständniss der Wirkungen, welche ,hemmende wie ex- eitirende Nerven auf das autonome Centrum der Herzbewegun- gen ausüben. Es musste wenigstens der Versuch erneuert wer- den, mit den in den letzten Jahren vielfach verbesserten Un- u I) Die neueste 5. Auflage der Geweblehre, 1867, ist bis zu der bezüglichen Stelle noch nicht erschienen. Es scheint jedoch nach 8. 255 der bereits publieirten Partie des Buchs, dass Kölliker seine Ansicht über diese Angelegenheit wesentlich zu modificiren beginnt, indem er die apolaren Zellen nur als Entwickelungsstadium von Zel- len mit Ausläufern ansieht. Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 5 tersuchungsmethoden in diese verwickelten Verhältnisse einzu- dringen. Ein dreifacher Gesichtspunkt schien hierbei einge- halten werden zu können. Am entscheidendsten würde es sein, % den Uebergang einer ganz unzweideutig aus dem Stamm des N. vagus herkommenden Faser in eine der zahlreichen Gan- glienzellen zu verfolgen, die auf dem Verlaufe seiner Herz- zweige sich darbieten. Bei der Beschaffenheit und Anordnung der hier in Betracht kommenden Elemente ist auf einen von dieser Seite völlig einwurfslosen Befund kaum zu rechnen. Dagegen würde allerdings schon die Bestätigung der neuesten Angaben über zwei in entgegengesetzter Richtung verlaufende Fortsätze der unipolaren Nervenzellen des sympathischen Sy- stems auch für das Herz des Frosches, zur näheren Einsicht in die Innervation desselben höchst erwünscht sein. Bei die- sem Theil der Aufgabe glaubte ich um so zuversichtlicher auf Erfolg rechnen zu dürfen, als schon vor längerer Zeit aus dem hiesigen physiologischen Institute darauf hingewiesen worden ist (C. Küttner, de origine nervi symp. ranarum, diss. inaug. 1854, p. 13, Fig. 5 u. 6), dass beim Frosche die flaschenför- migen Nervenzellen des Sympathicus nach der Seite ihrer Ver- dünnung hin in einen äusserst zart contourirten Fortsatz über- gehen, der sich bald in zwei Aeste spaltet, die — quoad per- sequi licebat — in der gleichen Richtung weiter verliefen. Diese Angabe ist lange unbeachtet geblieben, und in der That war die Zahl der Nervenfortsätze, wenn sie alle zur Peripherie sich wandten und daher nur im Sinne des Ursprungs von Ner- venfasern aus den Zellen gedeutet werden konnten, von gerin- gem Belange für die jetzt zu behandelnde Frage. Erst die Ableitung eines der mehrfachen Zellenfortsätze von einem an- deren entfernten Heerde von Nervenimpulsen konnten einer Mehrzahl solcher Ausläufer ein weitergehendes Interesse ver- leihen. Die Richtung, die jene von der Zelle entsendeten Fa- sern einschlagen, musste daher vorzugsweise Gegenstand der Beachtung werden. — In Verbindung hiermit war aber noch ein zweiter Gesichtspunkt im Auge zu behalten. Cerebrospi- nale direct zu Muskeln sich begebende Nervenfasern behalten bekanntlich ihre eigenthümlichen Charaktere, den Breitendurch- 6 F. Bidder: messer, die dunkelen Ränder und doppelten Contouren bis unmittelbar vor ihrer Einsenkung in die bezüglichen Muskelpri- mitivbündel bei; erst in den letzten Endigungen tritt hierin eine Aenderung ein. Begeben sich die Herzzweige des Vagus in ununterbrochenem Verlaufe zum Herzfleische, so muss dem- nach der Charakter dieser Nervenfasern diesseits und jenseits der Ganglien der gleiche bleiben. Dasselbe gilt von ihrer Zahl, da die cerebrospinalen Fasern erst dicht vor ihrer End- ausbreitung sich theilen, und erst hier an Menge zunehmen. Sollte dagegen schon während des Verlaufs der Vaguszweige durchs Herz hin eine Aenderung in dem Charakter ihrer Fa- serelemente und eine Vermehrung der Zahl derselben deutlich werden, so dürfte dies a priori ebensowohl für das Entsprin- gen neuer Nervenfasern von den Ganglien, wie für eine unmit- telbare Beziehung der letzteren zu den Vagusfasern sprechen, eine Beziehung, die bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse von den Thätigkeiten des Nervensystems nur als unmittelbarer anatomischer Zusammenhang denkbar ist, und die apolaren Zellen ausschliesst. — Ein dritter Weg endlich, der zu dieser Untersuchung sich darbot, war der, zu ermitteln, wie weit die durch Durchschneidung des Vagus bedingte De- generation seiner unterhalb der Durchschnittsstelle gelegenen Elemente sich erstreckt; reicht in solchem Fall die Fettentar- tung der Nervenprimitivfasern bis an die letzten Endäste der Herznerven, so wäre damit der ununterbrochene Verlauf der Vagusfasern bis in die Muskelbündel des Herzens dargethan; ein früheres Aufhören der Degenerations-Phänomene würde dagegen eben so entschieden darauf zu beziehen sein, dass die Vagus- fasern schon früher ihr Ende erreichen, dass sie also — denn eine andere Möglichkeit scheint hier nicht stattzufinden — in die Ganglien eintreten, dass in diesen das Fortschreiten des Degenerationsherganges aufgehalten wird, und dass die aus denselben Ganglien zur peripherischen Endausbreitung her- vorgehenden Nervenfasern eben deshalb unversehrt erscheinen. — Die Resultate nun der nach den angedeuteten Richtungen über die Herzzweige des Vagus angestellten Untersuchungen sollen im Folgenden dargelegt werden. Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 7 Wenn man einen Frosch durch Zerstörung des Gehirns und Rückenmarks mittelst eines eingeführten Stilets getödtet, das Brustbein der Länge nach gespalten, und damit das Herz nebst den grossen Gefässen und den Lungen freigelegt hat, so lassen sich die Herzzweige des Vagus jederseits leicht auffin- den, indem sie über den oberen Theil der vorderen — dem Beobachter zugewendeten — Lungenoberfläche, dicht unter dem serösen Ueberzuge der Lungen und durch denselben hindurch- schimmernd, in schräger Richtung von Aussen nach Innen zur Mittellinie des Körpers herabsteigen, und endlich den oberen Hohlvenen sich anlegend zum Herzen gelangen. In diesem ganzen Verlauf sind diese Nervenfädchen trotz ihrer Feinheit doch mit Sicherheit zu erkennen, da sie auf dem dunklen Grunde der Lungen und der bluthaltigen Hohlvenen durch ihr weisses Aussehen sich von der durchscheinend grauen binde- gewebigen Nachbarschaft hinreichend scharf markiren. Es las- sen sich daher unschwer beliebig lange Stücke derselben heraus- schneiden, und es verdienen zum Zweck der vorliegenden Un- tersuchung die die Hohlvenen begleitenden Strecken den Vor- zug, weil man hier sicher ist, nur für das Herz bestimmte Elemente vor sich zu haben, Diese Strecke der rami cardiaci lässt sich übrigens leicht und rasch auch dadurch gewinnen, _ dass man das blosgelegte Froschherz an der Spitze in die Höhe hebt, die beiden Aortenbögen trennt, den der hinteren Fläche adhärirenden Sehnenfaden durchschneidet, durch weiteres Auf- heben der Herzspitze die beiden vorderen oder oberen Hohl- ‘ venen spannt und sie möglichst fern vom Herzen durchschnei- det.. In einem auf solche Weise herausgelösten und unter Was- ser auf einer Wachstafel ausgespannten Herzen bieten sich den Hohlvenen dicht anliegend beträchtlich lange Strecken der rami cardiaci ganz unfehlbar dar, und lassen sich in Zusammenhang mit den Scheidewandnerven mit geringer Mühe herauspräpari- ren, so dass das ganze System der Herznerven in seinen Hauptbahnen vollständig zur Anschauung gebracht werden kann. Werden von einem solchen Präparate zuerst die genannten Vagusäste näher geprüft, so sieht man, nach vorangegangener Ausbreitung derselben mit Nadeln, nur dunkelrandige doppelt 8 F. Bidder: contourirte Fasern, deren überwiegende Mehrzahl 0,0132 Mm. breit ist, doch kommen auch breitere von Q,0o1s Mm. und schmälere von (,0ıo Mm. vor; unter das letztere Maass habe ich den Durchmesser der hier auftretenden Fasern nie herabsinken sehen. Es sind also breite Fasern, wie sie den centrifugalen Nerven des animalen Systems allgemein eigen sind. Schmale Fasern des sympathischen Systems habe ich auch bei vollkom- menster Ausbreitung des ganzen Bündels doch nie mit Ent- schiedenheit nachweisen können, da nun an der in Rede stehenden Strecke der rami cardiaci einige kleine Gruppen von 4—6 Ganglienzellen allerdings vorkommen, so würde der Man- gel schmaler Nervenfasern, die von ihnen abzuleiten und zum Anschluss an den weiteren Verlauf der Nerven bestimmt wären, ein weiterer Beleg für die Ansicht sein (dies.- Arch. 1866 S. 14), dass diese Ganglien, die als Centra der selbstständigen Pulsa- tionen der oberen Hohlvenen angesehen werden müssen, in peripherischer Richtung keine anderen Fasern entsenden, als die sofort in die Venenwand sich einsenken und daher nicht weiter zu verfolgen sind. — Wenn man dagegen die scheinbar unmittelbaren Fortsetzungen der rami cardiaci, die beiden Scheidewandnerven, mit dem Mikroskop untersucht, so findet sich — und um so mehr, je mehr man dem Verlauf der Ner- wen folgend, sich den Atrioventrieularganglien nähert — dass diese breiten Fasern zurücktreten, und dass an ihrer Statt schmale Fasern erscheinen. Die Breite der letzteren ist selbst bis auf 0,004 Mm. gesunken; die dunkelen Ränder, der optische Ausdruck des Nervenmarks, bis auf äusserst schmale Säume geschwunden'), die Primitivscheide reichlicher mit Kernen be- setzt, der Axencylinder auf ein schmales, das Neurilemm fast allein ausfüllendes Band redueirt. Glatte, gelatinöse, scheiden- lose Fasern sind mir in dieser Strecke nicht aufgestossen. Da- 1) Schon Ludwig (Müll. Arch. 1848 $. 141) bemerkt, dass die Primitivröhren der Herznerven meist zu den einrandigen, lange Zeit durchsichtig bleibenden gehören, und dass sie nach ihrem Eintritt in das Herz, d. h. bei der Auflösung in Endfäden, die in die Muskeln sich einsenken, die Neigung haben, varicös zu werden, 2 Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 9 neben kommen auch breite Fasern vor, ganz von derselben Beschaffenheit, wie in den rami cardiaci; ihre Menge nimmt aber sichtlich ab, je mehr die Scheidewandnerven die zahl- reichen in ihren Verlauf eingebetteten oder ihnen seitlich an- hängenden Ganglien durchsetzt haben, und jenseits der Atrio- ventrieularganglien, wo die Scheidewandnerven sich in eine Menge für das Fleisch der Herzkammer bestimmter Zweige auflösen, scheinen breite dunkelrandige Fasern gar nicht mehr vorhanden zu sein; hier finden sich, wie an den Endzweigen der Herznerven überhaupt, vielmehr nur die erwähnten schma- len, in ihren Durchmessern selbst bis auf 0,0os Mm. verjüngten Fäden, an denen eine Unterscheidung von Hülle und Mark nicht zu machen ist, die in der That nackte Axencylinder zu sein scheinen. Der Habitus dieser Nerven, sowohl ihrer klei- nen Stämmchen, wie ihrer Primitivfäden, verglichen mit dem Ansehen und der Beschaffenheit der rami cardiaeci, ist ein ganz anderer geworden. Die ersteren können daher nicht directe Fortsetzungen der letzteren sein; es muss vielmehr irgend eine vermittelnde Einrichtung bestehen, welche die ganz unleugbare UDebertragung von Erregungszuständen der rami cardiaci auf die in das Herzfleisch eintretenden Nervenfäden ermöglichte. Als solche Einrichtung ist aber kaum etwas anderes denkbar, als die Einlagerung von Zellen zwischen die in physiologischer Verknüpfung befindlichen Systeme von Nervenfasern, und es drängt daher schon die verschiedene Beschaffenheit dieser Ele- mente im Verlaufe der Herznerven zu der Ueberzeugung, dass die Fasern der rami cardiaci in den Ganglien des Herzens ihr Ende erreichen, dass diese Endigung wahrscheinlich successive in der ganzen Kette der Ganglien von dem grossen Vorhofs- ganglion bis zu den Atrioventricularganglien hin sich vollzieht, dass sie jedoch erst in den letzteren ihren vollständigen Ab- schluss findet, und dass demnach die in die Herzmuskulatur selbst sich einsenkenden Fasern von den Herzganglien abzulei- ten sind, also dem sympathischen System angehören. Zu demselben Resultat gelangt man, wenn man die rami cardiaci in Bezug auf ihre Stärke und die Zahl der in ihnen enthaltenen Elemente mit den weiterhin ins Herz sich einsen- 10 F. Bidder: kenden und in seinem Fleische endenden Nerven vergleicht. Selbstverständlich kann hier nur von einer approximativen Schätzung die Rede sein; aber die gewonnenen Zahlen genügen durchaus zur Begründung einer sicheren Ueberzeugung. Auf zwiefache Weise lässt sich ein solcher erlangen; zuerst werden die verschiedenen Stämmchen der hierbei in Betracht kommen- den Nerven gemessen. Dazu wird das ganze System der Ner- ven des Froschherzens von den rami cardiaci an bis zu den Zweigen der Atrioventricularganglien möglichst sorgfältig heraus- präparirt. Dieser Theil der Aufgabe wird wesentlich erleich- tert, wenn zu den frischen mit Wasser benetzten Theilen ein Tropfen Essigsäure hinzugefügt wird. Von den dadurch aufge- quollenen und durchscheinend gewordenen Muskel- und Binde- gewebeparthien lassen sich die undurchsichtig bleibenden Ner- ven leicht als weisse Bündelchen unterscheiden. Trotzdem und ungeachtet der Anwendung der Loupe wird es kaum zu ver- meiden sein, dass die Präparirnadel einen oder den anderen der feinen Zweige mitnimmt, die auf dem venösen Sinus, der Vorhofsscheidewand, oder dem Ventrikel, von der Hauptbahn dieser Nerven ausgesendet werden. Wenn nichtsdestoweniger ein Uebergewicht der abgehenden Aeste über die bekanntlich nur in der Bahn der rami cardiaci erfolgende Zufuhr sich er- geben sollte, so wird dies Resultat um so unbedenklicher an- genommen werden dürfen. Um die cylindrische Form der zu messenden Nervenstämmchen durch den Druck des Deckblättchens nicht zu alteriren, wurde letzteres durch ein paar Papierstrei- fen gestützt. Bei der Messung selbst, die stets mit dem Glas- mikrometer eines Hartnack’schen Instrumentes ausgeführt wurde, ward die in Folge der Essigsäureeinwirkung halbdurch- scheinende Nervenscheide sorgfältigst ausgeschlossen, und die Mikrometerlinie auf den dunkelen und scharf markirten Rand der unzweifelhaften Nervenfasern eingestellt. Von den zahl- reichen Maassen, die ich auf diese Weise gewonnen habe, will ich nur die von einem besonders wohlgelungenen Präparate hergenommenen hier anführen. Der ramus cardiacus der rechten Körperseite hatte einen Durchmesser von 0,18 Mm., auf der Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 11 linken Seite, wo er immer stärker ist, von 0,20 Mm.') Aus der an ihrer Vereinigungsstelle befindlichen Ganglienmasse gin- gen zwei Zweige für den Hohlvenensinus hervor, die 0,02 ‘und 0,04 Mm. stark waren, und von denen letzteres sich als- bald in zwei neue Aeste von je 0,08 Mm. Durchmesser theilte. Von den beiden Scheidewandnerven maassen unmittelbar nach ihrem Austritt aus dem gangliösen Hauptplexus der vordere schwächere 0,20, der hintere stärkere 0,22 Mm. Jeder dersel- ben sendete mehrere Zweige in das Septum, die bei dem vor- deren Nerven 0,03 und zweimal 0,02, bei dem hinteren 0,04 und zweimal 0,02 Mm. dick waren. Wird aus diesen Durchmes- sern, unter der Voraussetzung, dass die Nervenstämmcehen im Allgemeinen drehrund sind, die Fläche des Querschnitts der betreffenden Nerven berechnet, so ergeben sich folgende Zahlen: ram. card. dext. 0,0254 0 Mm. — ram. card. sin. 0,0314 0Mm. rami ad sin. ven. 0,003 ramiad sin. ven. 0,0029 nerv. ant. septi 0,0514 nerv. post. septi 0,0380 rami ejusdem 0,0026 rami ejusdem 0,0019 | 0,037 GMm. 0,0428 7.Mm. Das schon hiernach ganz entschiedene Uebergewicht der Summe sämmtlicher Zweige der rami cardiaci über diese Stämm- chen selbst würde noch weit beträchtlicher werden, wenn die zahlreichen aus den Atrioventricularganglien in das Ventrikel- fleisch eintretenden Nerven hierbei mit in Rechnung gezogen werden könnten. Dies musste jedoch ganz unterbleiben, weil diese nach allen Seiten ausstrahlenden und mit dem Fleisch der sogenannten Atrioventricularklappen aufs innigste sich durch- flechtenden Fäden nicht ohne Verlust präparirt werden können, und überdies durch die eben deshalb ganz unvermeidliche Zer- rung und Dehnung eine Aenderung ihrer ursprünglichen Durch- messer erleiden, die jede messende Bestimmung durchaus un- zuverlässig macht. Man wird indessen schon durch das An- 2) Unter den etwa 200 Froschherzen, die ich bei diesen Studien ' über die Nerven derselben genauer untersucht habe, ist mir nur zwei- mal der Fall vorgekommen, dass drei Vaguszweige in den grossen gangliösen Plexus eintraten, indem der ram. card. sinister sich schon koch oben in zwei Aeste gespalten hatte. 12 F. Bidder: geführte vollkommen berechtigt zu dem Ausspruch, dass in den rami cardiaei nicht alle zum Eintritt in das Herzfleisch be- stimmten Nervenfasern enthalten sein können, dass daher min- destens ein Theil derselben im Verlaufe dieser. Herzzweige seine Ursprungsstätte haben muss, und dass in solcher Be- ziehung die Herzganglien besondere Beachtung verdienen. — Ein Entspringen neuer Nervenfasern in diesen Ganglien glaubte ich indessen nicht allein durch Messung der ein- und austre- tenden Nerven, sondern auch durch directe Zählung der in den betreffenden Nervenbündeln enthaltenen Elemente darthun zu können. Ich kann nicht umhin, hierbei daran zu erinnern, dass auch Deiter’s (Untersuchungen über Gehirn und Rücken- . mark, herausgegeben von M. Schultze, 1865, S, 180) es als höchst wahrscheinlich hervorhebt, dass überall, wo Nerven mit Zellenmassen in Verbindung treten, die ein- und austretenden Fasern sich numerisch nicht entsprechen. Um hierfür feste Anhaltpunkte zu gewinnen, suchte ich Querschnnitte der rami cardiaci und der Scheidewandnerven zu erlangen, nachdem diese Theile vorher durch Chromsäure gehärtet, mit Karmin tingirt, und zwischen zwei Scheiben erhärteter Hirnsubstanz befestigt waren, um durch diese Unterlage und Handhabe schnittfähig gemacht zu werden. Bei mikroskopischer Unter- suchung hoffte ich an solchen Querschnitten ausser der Zahl der in ihnen enthaltenen Primitivfasern auf verschiedenen Strecken ihres Verlaufs auch Alterationen in dem Charakter derselben bestimmen zu können, indem namentlich Unterschiede in der Breite der Nervenfasern sich auf diesem Wege bekannt- lich mit grosser Sicherheit feststellen lassen. Indessen hat es mir bisher nicht gelingen wollen, in der angedeuteten Weise von den fraglichen Nervenstämmchen zu weiterer Verwerthung geeignete Präparate zu erlangen, und ich fand keinen Grund, dieser Untersuchungsmethode noch mehr Zeit zu opfern, da die wiederholte Messung der ganzen in Rede stehenden Nerven mir bereits ganz unzweideutige Ergebnisse geliefert hatte. Die Zweige des Vagus erfahren also auf ihrem Wege durchs Herz eine Vermehrung der Zahl ihrer Primitivfasern, “ Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 13 und eine succesive Aenderung in dem Character derselben; dass neue Nervenfasern nicht anders als von Zellen entspringen, braucht gegenwärtig nicht mehr bewiesen zu werden. Eine bleibende!) Alteration in dem Character der Nervenfasern kommt allerdings kurz vor oder unmittelbar an ihrem Ende ganz regel- mässig vor. Wenn aber in den Zweigen der Herznerven in längeren Strecken Elemente verlaufen, die in den eintretenden Nerven nicht nachweisbar waren, so müssen eben diese die neuentstandenen Fasern sein, welche die Besonderheiten ihres Charakters von ihrem Ursprunge an auf ihrem weiteren Wege beibehalten, und wenn schliesslich alle für das Herzfleisch bestimmten Fasern von den in die Herznerven eintretenden Elementen verschieden sind, so müssen sie alle als neu ent- standene bezeichnet werden. Findet nun, wie bei den Experi- menten über Hemmungswirkungen ganz unzweifelhaft geschieht, ein Einfluss jener von aussen an das Herz herantretenden Nerven auf diese neu entstandenen Fasern Statt, so kann diese Verknüpfung nicht anders als mittelst Ganglien zu Stande kommen. In den Herzganglien werden demnach nicht nur neue Nervenfasern entspringen, sondern auch die von aussen dem Herzen zugeführten Nerven enden. Diese Endigung wird hier wie an anderen Orten wahrscheinlich nicht ohne erhebliche Aenderung in dem Habitus der Nervenfasern stattfinden, und man darf daher erwarten, dass die zu der Zelle hinantretende Faser sich von der von ihr abgehenden deutlich unterscheiden werde. Für eine in diesem Sinn zu unternehmende Untersuchung ‚der Nerven des Froschherzens giebt es, da Ludwig’s Andeu- tungen hierüber (Müll. Arch. 1848, P. 139—143), in eine weit 1) Courvoisier’s Uebergangsfasern, d. h. Fasern im sympa- thischen Grenzstrange, die abwechselnd breit und markhaltig, und dünn und nahezu marklos sind, kann ich nicht anders als für die längst bekannten Producte der Zerrung bei der Präparation halten. Im vorliegenden Fall kann ich dergleichen Formen um so weniger für ursprüngliche ansehen, als von den Nerven des Frosches die dieht anliegenden Muskelelemente auch bei der grössten Vorsicht nicht ohne mehrfache Dehnuug sich entfernen lassen. 14 „ F. Bidder: frühere Periode fallen, eigentlich nur eine bemerkenswerthe Vorarbeit; es ist der schon erwähnte Artikel von Beale nebst den Fig. 41 u. 42 der demselben beigegebenen Tafeln. Aus der von dem Verf. selbst zusammengestellten Uebersicht der von ihm gewonnenen Resultate interessiren uns für die vor- liegende Frage nur die Sätze, dass apolare und unipolare Nervenzellen nicht existiren, dass alle Nervenzellen mit min- destens zwei Fasern in Verbindung stehen, dass in manchen Ganglien des Frosches grosse birnförmige Zellen vorkommen, von deren dünnerem Ende zwei Fasern ausgehen, eine gerade mit dem Centrum des Zellenkörpers zusammenhängende, und eine oder mehrere Spiralfasern, welche von der Peripherie des letzteren entspringen und spiralig um die gerade Fiber sich winden; dass diese zwei Fasern in entgegengesetzter Richtung weitergehen, so dass manche Fasern sicherlich in centraler Richtung verlaufen, obgleich es ausserordentlich schwierig ist, eine einzelne Faser eine längere Strecke hindurch in einem Nervenstamm zu verfolgen; dass die Ganglienzellen des Frosches mit „dunkelrandigen* wie auch mit „feinen“ Fasern verbunden sind, und dass sowohl die geraden, wie die spiraligen Zellen- ausläufer mit dunkelrandigen Nervenfasern zusammenhängen. Je bedeutungsvoller diese Ergebnisse für die Physiologie der Herznerven, wie für die Histologie des Nervensystems im All- gemeinen und des Gangliensystems im Besonderen zu werden versprechen; um so mehr ist zu bedauern, dass Beale über die von ihm angewendete Präparationsweise der untersuchten Öbjeete gar nichts Näheres angegeben hat, und dass die von ihm gebrauchte microscopische Vergrösserung weit über das sonst übliche Maass hinausgeht. Ein Fortarbeiten auf dem von ihm eröffneten Wege war daher kaum möglich, vielmehr musste von anderer Seite her selbstständig in dieses Gebiet eingetreten werden. Dieses ist in erfolgreichster Weise und gleichzeitig mit Beale von J. Arnold geschehen (Virch. Arch. Bd. 28. 5.433 u. Bd. 32 S. 1, aus den J. 1863 u. 1866), dessen Untersuchungen an der Froschlunge ihren Anfang nahmen, und schon hier zu der Vermuthung führten, dass die von ihm sogenannten „gangliösen Glocken-Apparate* den Ursprung Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 15 sympathischerNervenfasern aus dunkelrandigen Nerven vermitteln und vielleicht auch eigenthümliche Leistungen in der Leitung des Nervenorgans übernehmen. Schon in der ersten der ge- nannten Mittheilungen (S. 471) wird übrigens ein ähnliches Verhältniss auch den Nervenstämmen im Septum der Vorhöfe vindieirt, und in der zweiten wird es als eine allgemeine Eigenthümlichkeit der Ganglienkörper im Sympathicus des Frosches hervorgehoben, dass es apolare Ganglien nicht giebt (S. 37), dass in jeden solchen Körper vielmehr eine schmale dunkelrandige Faser eintrtt, um in dem Kernkörperchen zu endigen, und dass von letzterem Fortsätze ausgehen, die schliesslich die Spiralfaser bilden, welche in entgegengesetzter Richtung wie die zutretende Faser weiter verläuft. — Zu dem gleichen Ergebniss gelangten auch Kollmmann und Arnstein (Zeitschrift f. Biologie) Bd. IL., 1866 S. 271), die zwar die Ganglienzellen im Sympathicus des Frosches im Allgemeinen betrachten, aber auch die „Zellenhaufen und Nervenzweige der frei präparirten Vorhofsscheidewand“ erwähnen. Auch diese Beobachter weisen die apolaren Zellen ganz zurück, halten das Vorkommen bipolarer Zellen (im Sinne Beale’s u. Arnold’s) und multipolarer für ein allgemeines; lassen die characteristisch verschiedenen Fortsätze der bipolaren Kugeln in entgegenge- setzter Richtung aus einander gehen, und betrachten die gerade, breitere und im Kernkörperchen endende Faser als die zutre- tende, die dünne Spiralfaser dagegen als die aus dem Proto- plasma der Ganglienzellen entspringende. f Wenn man auch absieht von den weiteren Ausführungen, die diese Angaben durch Courvoisier (M. Schultze Arch. für mieroscop. Anatom. Bd. II) erfahren haben, und von der Verallgemeinerung derselben auf alle Wirbelthierklassen, so würden schon die angedeuteten in sehr übereinstimmender ‚Weise geschilderten Verhältnisse der Herznerven des Frosches manchen der oben erwähnten Postulate in sehr befriedigender Weise entsprechen. Giebt es keine apolare Nervenzellen, steht jede Zelle mit Nervenfasern in Verbindung, so scheint die grosse Menge dieser kugeligen Elemente, die den ganzen Ver- lauf der rami card. von dem gangliösen Plexus bis zu den 16 F. Bidder: Atrioventrieularganglien begleiten, vollkommen ausreichend, um für jede Faser der Herzzweige des Vagus den Uebergang in eine solche Zelle zu ermöglichen. Von den zwei mit jeder Zelle zusammenhängenden und in entgegengesetzter Richtung verlaufenden Fasern wäre die eine demnach als Ende der vom cerebralen Centrum kommenden, die andere als neuentstandene zur peripherischen Ausbreitung in dem Herzfleisch bestimmte Faser anzusehen; und es wäre nur zu entscheiden — was die bisherigen Beobachter keineswegs näher begründet haben — ob wirklich die gerade Faser als zuleitend zu den Ganglien, die spiralige als von derselben fortleitend anzusehen ist. Die Aenderung in dem Character der Fasern wäre durch die in ihrem Verlauf eingebetteten Ganglien ebenfalls verständlich, und es bliebe nur noch die erwähnte Vermehrung der Nerven- fasern anatomisch !zu erklären übrig; Alles also wies darauf hin, die Herzganglien des Frosches einer abermaligen Prüfung zu unterziehen, um hier, wo es am ehesten zu finden sein dürfte, das anatomische Verständniss der Hemmungswirkungen zu suchen. Was die Methoden betrifft, die ich bei dieser Untersuchung angewendet habe; so bin ich nach mehrmaligen Versuchen schliesslich bei dem von Arnold empfohlenen Verfahren stehen geblieben. Die successive Anwendung verdünnter Essigsäure von 0,2°/, und von Chromsäure von 0;0005°/, hat sich mir am nützlichsten erwiesen, und ich kann nicht umhin vor stärkerer Concentration namentlich des erstgenannten Reagens zu warnen. Die Aufquellung der bindegewebigen Hüllen und, sonstigen Nachbarn der Nervenzüge kann durch concentrirte Essigsäure allerdings befördert, ihre Beseitigung erleichtert und ein Aus- einanderweichen der dicht gedrängten Ganglienkörper, was eine ganz unerlässliche Vorbedingung zur Ermittelung ihres Ver- hältnisses zu den Nervenfasern ist — beschleunigt werden. Aber eine zu starke und zu rasche Aufquellung der Scheide der Ganglienkörper und der lichten Masse zwischen ihr und dem Axencylinder, in welcher die Spiralfaser liegt, kann letztere bis auf undeutliche Reste oder bis zur völligen Unkemntlichkeit verändern, und bringt eben so schnell eine Zerklüftung der / Die Ergänzungsweise der Herzzweige u.s.w. _ 17 der Ganglienzelle bis zur Vernichtung ihres Kerns, und damit auch einen Verlust des Fadennetzes herbei, aus dem die Spiral- faser zum Theil wenigstens abzuleiten ist. Bei Anwendung der erwähnten Verdünnung dagegen werden die bemerkten Nachtheile gewöhnlich vermieden, ohne die gerühmten Vortheile der Essigsäurebehandlung zu schmälern. Ich habe gewöhnlich nach Eröffnung des linken Vorhofs die ganze Herzscheide- wand sammt ihren Nerven, und die anhängenden oberen Hohlvenen nebst den anliegenden rami card. im Zusammenhange heraus- geschnitten, auf einer Glasplatte mit jener diluirten Essigsäure benetzt, und die letztere gewöhnlich !/,—1 Stunde einwirken lassen !) etwa so lange als mit Nadeln unter der Lupe die anhän- genden Theile von den Nerven entfernt wurden. Man muss bei dieser Präparation nicht allzu sorgfältig sein, weil mit vollständiger Wegnahme aller dem gangliösen Plexus und den Scheidewand- nerven anhängenden Fetzen nur zu leicht die äusserlich an- sitzenden und etwas hervorquellenden Ganglienkörpergruppen entfernt werden, die die ergiebigste Fundgrube für die Erkennt- ' niss der wahren Natur der scheinbar unipolaren Nervenzellen sind. Die Präparate wurden dann in die Chromsäurelösung gethan, und in der Regel schon in den nächstfolgenden Tagen weiter benutzt. Dass eine mehr als dreitägige Einwirkung dieser Flüssigkeit. die zu untersuchenden Theile irgend wie beeinträchtige, habe ich nicht bemerkt; ich habe im Gegentheil meine Präparate gerade in dieser Flüssigkeit und mit Zusatz von etwas Glycerin ohne festen Verschluss nur mit einem Glas- plättchen bedeckt monatelang aufbewahrt, und sie schliesslich nicht sowohl durch die Einwirkung jener Reagentien zu Grunde gehen sehen als vielmehr durch die wiederholten Manipulationen, denen ich sie unterwarf, um die bezüglichen Theile in ver- schiedene Lagen zur Anschauung zu bringen. Nach vorange- 1) Arnold empfiehlt (S. 44) die verdünnte Essigsäure nur 4—5 Minuten einwirken zu lassen; wenn hier nicht ein Druckfehler vor- liegt, so muss ich bemerken, dass ich eine so flüchtige Berührung für ungenügend befunden habe, während selbst eine mehrstündige Einwirkung der in dem angegebeneu Maasse verdünnten Essigsäure ohne Nachtheil ertragen wird. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 2 18 F. Bidder: gangener Einwirkung der Chromsäure habe ich die Präparate mit Karmin tingirt; auch hierbei scheint-ein gewisses Verhält- niss eingehalten werden zu müssen; etwa ein Tropfen der ge_ sättigten Karminlösung auf 2 C.C. der Chromsäuresolution. Eine stärkere Tinetion erschwert nicht allein den Einblick in das Innere der allzu dunkel gefärbten Ganglienkörper, ‘sondern scheint auch destruirend auf dieselben zu wirken. Dies ist ohne Zweifel Folge des freien Ammoniaks, denn auch Arnold bezeichnet die Alcalien als „unter allen Verhältnissen voll- kommen unbrauchbar“ (S. 42). — Wenngleich die erwähute Behandlung der Herznerven mir Objecte lieferte, die mehrfachen Aufschluss über die vorhin angedeuteten Fragen gewährten, so habe ich doch auch andere Methoden nicht unversucht gelassen, und namentlich das neuerdings vielfach empfohlene Goldchlorid in Gebrauch gezogen. Die von Gohnheim (Virch. Arch. Bd. 38, S. 346 u. 49) empfohlene und auch von Kölliker (Geweblehre, 5. Aufl. S. 331) zur Untersuchung des Sympa- thieus des Frosches angewendete 0,5°/, Lösung dieses Metall- salzes tingirt die Nervenelemente allerdings in sehr intensiver Weise, bringt aber zugleich eine so bedeutende Starre der- selben hervor, dass sie wohl schnittfähig werden mögen, aber zu der hier unerlässlichen Ausbreitung mittelst Nadeln ganz ungeeignet sind. Ja selbst die Anwendung der nach Cohn- heims Angabe für die Nervenelemente ausreichenden 0, 1%, Lösung, bedingt eine so bedeutende Brüchigkeit der damit behandelten Gebilde, dass der Gebrauch der Präparirnadej durchaus ausgeschlossen wird, Während ich daher damit be- schäftigt war, allmählig zu schwächeren Lösungen herabzugehen, veranlasste mich die Mittheilung Gerlach’s (Centralbl. f. d. medic, Wissensch. 1367, Nr. 24) sofort eine 0, 0001°/, Ver- dünnung zu versuchen. Es stand mir eine in dem hiesigen chemischen Laboratorium von C. Schmidt selbst bereitete 1°/, Goldehloridlösung zu Gebote; 0,1 C,C. derselben, mit einer ealibrirten Pipette abgemessen, und also 0,001 grm. des Prä- parates enthaltend, wurde mit 10 grm. destillirten Wassers vermischt. Die von Cohnheim angerathene Ansäuerung der Goldlösung mittelst Essigsäure habe ich im Verlaufe meiner Die Ergänzungsweise der Herzzweige u. s. w. 19 Versuche endlich weggelassen, theils um den oben angedeuteten Nachtheilen :einer längeren Einwirkung der Essigsäure zu ent- gehen, theils auch weil mein Goldpräparat in der mir überge- benen Lösung schon an sich eine entschieden saure Reaction hatte. Selbst in der angegebenen Verdünnung war eine Ein- wirkung auf blaues Lacmuspapier noch unverkennbar, die Flüssig- keit hatte zugleich einen äusserst schwachen kaum noch er- kennbaren gelblichen Ton angenommen. Nach 10—12stündigem Verweilen in derselben, wie Gerlach es empfohlen, waren frische Nervenpräparate nicht allein tiefblau gefärbt, sondern die Tinetion erstreckte sich auch auf benachbartes Bindegewebe und anhängende Muskelfetzen, so dass die histologische Unter- scheidung keinesweges erleichtert wurde. Ueberdies hatte diese so sehr verdünnte Goldlösung den organischen Theilen eine so bedeutende Brüchigkeit ertheilt, dass ihre weitere Be- arbeitung ganz unthunlich wurde. Bei nur 6stündigem Ver- weilen in der erwähnten Verdünnung, trat die karminrothe ' Färbung der Nervenbündel allerdings sehr schön hervor, und die Primitivfasern waren nur hellroth tingirt. Stärkere An- häufungen des Protoplasma jedoch, wie sie in den Nervenzellen sich darbieten, erschienen auch jetzt noch durchweg blau- schwarz, so dass in ihre innere Beschaffenheit gar keine Ein- sicht gewonnen werden konnte. Auch hier war ausserdem eine so bedeutende Brüchigkeit aller Gewebtheile eingetreten, dass sie selbst bei vorsichtigster Behandlung in lauter kleine Fragmente zertrümmert wurden. Nach diesen Erfahrungen ging ich zu einer noch stärkeren Verdünnung der 1°/, Goldchloridlösung über; ich vermischte 0,05 C.C, derselben, in denen nur 0,0005 grm. Goldehlorid enthalten waren, mit 10 grm. dest. Wassers, ich hatte also eine nur 0,00005 °/, Lösung vor mir, die keine Spur mehr von gelblicher Tinction zeigte. Auch diese Flüssigkeit hatte hineingelegten Nervenstückchen in 6 Stunden eine graue Färbung ertheilt oder sie lila tingirt. Bei darauf folgender Aufbewahrung in schwach mit Essigsäure angesäuertem Wasser nahmen die Bündel der Herznerven eine roth-violette Färbung an, und zeigten bei microscopischer Unter- suchung Primitivfasern mit bald roth bald bläulich tingirtem 9* 20 F. Bidder: Inhalt, ohne dass sich jedoch nach dieser Verschiedenheit der Farbe ein Unterschied zwischen Nervenmark und Axeneylinder eonstatiren liess. Die Primitivscheide schien ungefärbt. Die Nervenzellen waren zwar auch jetzt noch meistens recht dunkelblau, indessen waren Kern und Kernkörperchen, so wie mitunter auch das von letzterem ausgehende Fadennetz recht wohl zu unterscheiden. Ganz beständig fand übrigens beim Aufbewahren der Präparate in Glycerin ein beträchtliches Nach- dunkeln statt, was bald förderlich war, insofern es z.B. den Zusammenhang der geraden Faser mit der Zelle deutlicher erkennen liess, bald aber auch störend wirkte, indem die innere Beschaffenheit der Zellen ganz unkenntlich wurde. Um diesem Uebelstande vorzubeugen, der übrigens bei Einwirkung der athmosphärischen Luft schneller auftritt und tiefer eindringt, als wenn die Präparate in dem ungesäuerten Wasser liegen bleiben, und um die Präparate länger brauchbar zu erhalten, empfiehlt sich daher ein noch kürzeres Verweilen derselben in Goldlösung, und ich habe gefunden, dass schon eine halb- stündige Einwirkung derselben bei so feinen Objecten wie die Herznerven des Frosches, am günstigsten wirkt. Bei Anwen- dung der von Colınheim empfohlenen 0,5°/, Lösung finde ich in Bezug auf das vorliegende Untersuchungsobject, dass schon ein momentanes nur ein paar Male wiederholtes Eintauchen derselben in jene Flüssigkeit bei nachfolgender Aufbewahrung in ungesäuertem Wasser die characteristische Färbung zu Wege bringt. Durch so kurzdauernde Einwirkung oder so starke Verdünnung der Goldlösung werden die organischen Gewebe freilich weder in Farbe noch in Consistenz verändert; aber in _ dem angesäuerten Wasser ist nach 1—2 Stunden die schöne rothe Färbung derselben vollkommen ausgebildet. In reinem destillirten Wasser bleibt dieser Erfolg aus; stärkere Ansäue- rung des Wassers befördert denselben, hat aber die oben er- wähnten Nachtheile im Gefolge; ich habe eine 0, 05%/, Essig- säure am Vortheilhaftesten gefunden. Besonders wichtig aber ist, dass bei der zuletzt erwähnten Verdünnung des Goldprä- parates die Nervenfusern biegsam genug bleiben, um mittelst Nadeln sich zerlegen und isoliren zu lassen. Ich muss daher Die Ergänzungsweise der Herzzweige u. s. w. 21 zur Untersuchung der Nerven eine nur 1/20000 enthaltende Goldchloridlösung für die geeignetste halten; ja es dürfte mit Rücksicht auf das unverkennbare Nachdunkeln der davon imprägnirten organischen Theile selbst eine noch diluirtere Mischung vorzuziehen sein. Ein Uebelstand zeigt sich freilich bei Anwendung der sehr verdünnten Lösungen: sie durchdringen nicht die ganze Dicke der zu untersuchenden Gewebsstücke. So habe ich öfters gefunden, dass der N. ischiad. des Frosches, auch wenn er ringsum geröthet, ja violett und selbst dunkel- blau erscheint, in seinem Innern ganz ungefärbte Primitivfasern beherbergt. Auch in dem System der Herznerven, wenn es der Einwirkung des Reagens ausgesetzt war, fanden sich zu- weilen ganz ungefärbte Zellen. Dass dies nicht von einem Verbrauch der geringfügigen Menge des Goldpräparats bedingt sei, lehrt die Erfahrung, dass dieselbe Flüssigkeit, aus der so unvollständig tingirte Präparate hervorgegangen waren, ein aufs Neue hineingethanenes Nervenstück an seiner Oberfläche doch wieder violett-blau färbte. Es scheint die Imprägnation der Oberfläche eines Gewebtheiles mit der Metalllösung und die dabei stattfindende Reduction ein Hinderniss für das Eintreten neuer Quantitäten des Goldpräparates abzugeben. Ausserdem schützt auch die gegen das Gold weniger empfindliche binde- gewebige Hülle eines Nerven die im Innern desselben gelegenen ‚Elemente vor der Einwirkung des Mittels. Wenigstens zeigten sich bei Anwendung der schwächsten Lösung auf Segmente aus dem ganzen Ischiadicus die Querschnitte, an denen die ‚Nervenelemente frei lagen, wohl tingirt, so dass die Färbung mit abnehmender Intensität 0,3. bis 0,5 m.m. tief eindrang, während der Mantel des Nervencylinders ganz ungefärbt ge- blieben war. Dnrch Ausbreitung eines solchen Nervenstückes in seine Elemente traten Primitivfasern zu Tage, die an ihren beiden Durchschnittsenden die bezeichnete Färbung darboten, während die dazwischen liegende Partie durchaus ungefärbt erschien. In Bezug auf das Verhalten der Bindesubstanz gegen das Goldpräparat muss ich zwar Cohnheim beistimmen, dass die festeren und derberen Formen derselben unempfindlich gegen das Goldsalz sind, so dass; wie bemerkt, die Nerven- En‘ 2 F Bidder: scheide in der Regel ungefärbt bleibt; besonders gilt dies von der Grundsubstanz, während die eingebetteten Kerne und Zellen- reste sich färben. Dagegen finde ich, dass die lockeren Arten der Intercellularsubstanz, wie sie nach dem Aufquellen in Essig- säure sich darbieten, ganz regelmässig hellblau tingirt werden, und häufig auch neben dieser diffusen Färbung von einem fein- körnigen Niederschlage bestäubt erscheinen. Was Cohnheim (a. a. O. S. 352 Anm.) als Ausnahme bezeichnet, habe ich unter den genannten Bedingungen beim Frosch als Regel be- obachtet. Auch Gerlach (Centralblatt 1867 Nr. 25, S. 385) hebt die hellblaue Färbung der Bindesubstanz im Gegensatz zu der dunkelvioletten der Nervenfasern hervor. Bezeichnend für die chemische Differenz zwischen Bindesubstanz und Nerven- gewebe ist der Umstand, dass die Intercellularsubstanz des ersteren die Stufe der Röthung gar nicht durchzumachen scheint, sondern sobald sie der färbenden Einwirkung des Goldsalzes unterliegt, sogleich blau erscheint. Auch tritt der Zeit nach diese Veränderung des Bindegewebes später auf als die Tinetion der Nervensubstanz. Wenn die Herznerven des Frosches be- reits lebhaft geröthet sich zeigen, sind die Fetzen anhängenden Bindegewebes noch farblos und nehmen mitunter ganz plötzlich während des Bearbeitens auf dem ÖObjectglase die bläuliche Tinetion an, wodurch ihre Entfernung mit der Präparirnadel wesentlich erleichtert wird. Ich führe dieses Alles übrigens nur an um darzuthun, dass ich lange und vielfach bemüht gewesen bin auch mit Hülfe des Goldchlorids eine Einsicht in die Verhältnisse der Herzganglien zu gewinnen, denn nennens- werthe und ihm eigenthümliche Erfolge habe ich diesem Mittel nicht zu verdanken. — Noch weniger hat mir der Silbersalpeter genützt, zu dessen Anwendung die Empfehlung Courvoisier’s um so mehr auffordern musste, als schon vorher Frommann (Virch. Arch. Bd. 31 S. 129 und Bd. 32 S. 231) mit Hülfe desselben an Nervenzellen aus dem Rückenmark wie aus Spinal- ganglien zahlreiche aus Kern und Kernkörperchen entspringende Fäden, sowie Längsstreifung der Zellenausläufer und Querstreifen der Axencylinder nachgewiesen hatte. Ich habe mich in dem Gebrauch dieses Reagens genau an die mehrfach gegebenen . Die Ergänzungsweise der Herzzweige u. s. w. 233 Vorsehriften gehalten. Es kam nur eine 0,1—0,2°/, Lösung zur Anwendung; die zn untersuchenden Theile — das möglichst rein unter Anfeuchtung mit schwach angesäuertem Wasser herauspräparirte und darauf in destill. Wasser abgespülte System der Herznerven — wurde auf wenige Minuten in die Lösung getaucht, abermals abgespült, und dann entweder so- gleich oder nach vorheriger Behandlung mit diluirter Kochsalz- lösung unter Glycerin gebracht und der Einwirkung des Lichts ausgesetzt. Die Nervengebilde waren bald durch eine licht- braune Färbung ausgezeichnet; doch machte es einen ganz unverkennbaren Unterschied, ob die Einwirkung der Kochsalz- lösung stattgehabt hatte oder nicht. Die Präparate waren hier- nach nämlich mit einem feinkörnigen Niederschlage bedeckt, der im Innern der Ganglienkörper besonders stark angehäuft war, aber auch in der Intercellularsubstanz nicht fehlte, — oder die gelbbraune Tinction trat ganz rein und ohne diesen moleculären Beschlag auf. Ich glaube dies darauf beziehen zu müssen, dass in dem einen Falle neben der Anziehung des Silbersalpeters durch die eiweissartigen Gewebeelemente, und der Braunfärbung durch das albuminsaure Silber (His in Virch, Arch. 1861, Bd. 20, S. 208) zugleich die Bildung unlöslichen Chlorsilbers erfolgt war, während im anderen Fall das letztere fehlte. Wie dem aber auch sei, so habe ich keineswegs ge- funden, dass in Betreff der Herzganglien die Spiralfaser und das Fadennetz, aus dem sie hervorgeht, und deren Dar- legung mir besonders wichtig war, auf diesem Wege leichter und sicherer zur Ansicht gebracht werden können; ich muss im Gegentheil bekennen, sie bei dieser Methode niemals zu Gesicht bekommen zu haben. Ebenso ist es auch Fräntzel bei Untersuchung sympathischer Ganglienzellen des Frosches mit dem Silbersalpeter ergangen (Virch. Arch. 1867, Bd. 38 S. 552. Ich kehrte daher nach diesen zeitraubenden Excursen . in das Gebiet der Versilberungs- und Vergoldungsmethoden zurück, zu dem von J. Arnold empfohlenen Verfahren mit nachfolgender Karmintinction. — Wenn Kollmann und Arn- stein (a. a. O. S. 272) alle Reagentien verwerfen, und das -Isoliren der Ganglienelemente unter humor aqueus oder Eiweiss 24 F, Bidder: empfehlen, so ist nicht zu leugnen, dass man in glücklichen Fällen auch auf diesem Wege recht befriedigende Präparate erlangen kann, deren richtige Deutung jedoch wohl nur durch die vorher und durch andere Mittel gewonnene Bekanntschaft mit diesem histologischen Detail möglich wird. Wie hätte sonst bei den unzähligen über die Ganglienzellen des Frosches ge- sammelten Erfahrungen ein ganzes Menschenalter vergehen können, ehe das Verhältniss derselben zu den Nervenfasern, soweit es heute geschieht, constatirt werden konnte. Auch Küttner hätte die von ihm gesehene Zweitheilung des ein- fachen Zellenfortsatzes gewiss anders aufgefasst und beurtheilt, wenn er nicht der damals allein üblichen Methode gemäss auf die Untersuchung frischer Präparate sich beschränkt hätte. Selbstverständlich wird es aber als eine ganz erwünschte Be- kräftigung der unter Anwendung von Reagention erlangten Resultate anzusehen sein, wenn auch an frischen Präparaten ähnliche Verhältnisse sich nachweisen lassen. Auf die Ganglienkörper im Verlaufe der Herznerven musste dem Öbigen gemäss bei der mikroskopischen Untersuchung die- ser Partieen das Hauptaugenmerk gerichtet sein. Es zeigte sich nun bald, dass diese Elemente an dem fraglichen Orte in Grösse und Gestalt sehr von einander verschieden sind. Bald sind es ziemlich regelmässig kugelige, bald birn- oder keulenförmige, bald nierenförmige oder sehr in die Länge gezogene spindel- förmige Körper, deren Durchmesser innerhalb der bekannten weiten Grenzen variiren. Obgleich feste Angaben in Betreff der Topographie dieser verschiedenen Formen sich nicht machen lassen, so darf doch behauptet werden, dass die rundlichen Formen in dem gangliösen Hauptplexus überwiegen, dass die ins Innere der Nervenbündelchen eingebetteten Zellen in der Regel die Spindelform darbieten, und mit ihrem längeren Durchmesser der Längsaxe des Nerven entsprechen, während die birnförmigen Gestalten sich aus den Zellenreihen hervorhe- ben, die den Seitenrand des Nerven besäumen; letzteres Ver- hältniss ist schon von Beale (Fig. 42) gezeichnet, und auch von Kollmann und Arnstein (S. 272) bemerkt worden. Es Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 2 ui kann aber auch die wechselnde Stellung und Lagerung der Zellen Verschiedenheiten der Form bedingen; wie z. B. birn- förmige Zellen, wenn sie nicht auf der Seite liegend, sondern aufrecht stehend sich darbieten, rund erscheinen. — Zur Un- tersuchung der Beziehungen der Zellen zu den Nervenfasern eignen sich schon wegen ihrer Lage am besten die birnförmigen Zellen. In Folge des durch die angewendete Essigsäure be- wirkten Aufquellens des umgebenden Bindegewebes treten sie nämlich aus den Rändern der Nervenbündelchen hervor, so dass ihr breiteres Ende ganz frei hervorragt. Das verschmä- lerte Ende bleibt bald in dem Nerven stecken, bald tritt es ebenfalls so weit hervor, selbst bis 0,4 Mm. Länge, dass die verbindenden Theile vollständig übersehen werden können. Der vordere dünnere Scheidewandnerv bietet am häufigsten solche Zellen dar, die eine eingehende Betrachtung der hierüber obwaltenden Verhältnisse gestatten; doch auchder hintere Scheide- wandnerv und die Ränder der gangliösen Anastomose haben mir recht instructive Bilder geliefert. Man findet hierbei zu- nächst, dass die Birnform nicht durchweg dem Zellenkörper selbst angehört; letzterer nimmt vielmehr nur das stumpfe Ende der Keule ein, was die auf diese Partie beschränkte Tinction durch Karmin oder Goldchlorid mit Sicherheit darthut. Er zeigt sich — zum Theil wohl eine Folge der vorangegangenen Einwirkung von Reagentien — sehr verschieden gestaltet; bald halbmond- oder sichelförmisg mit der Convexität gegen das stumpfe Ende der Keule gerichtet (Fig. 1 u. 3), bald auch in Form eines abgestumpften Kegels (Fig. 5). Der letztere Fall ‘würde den von Arnold vorgeschlagenen Namen „Glocke“ vor- ‚zugsweise rechtfertigen, besonders, wenn die in die concave 'Beite des Protoplasmakörpers sich einsenkende gerade Faser deutlich hervortritt, und dadurch dem Klöpfel einer Glocke ähnelt. Kern und Kernkörperchen haben in dieser Zellenmasse ebenfalls eine wechselnde Lage, bald näher am concaven Ein- ‚gange der Glocke, bald mehr gegen die convexe Begrenzung ‚derselben hin. Zu ihm lässt sich an Karminpräparaten zu- ‚weilen mit vollster Sicherheit ein Axencylinder verfolgen, der immer von. der concaven Seite her die Glocke erreicht, und 96 F. Bidder: ausserhalb derselben zuweilen bis über eine Strecke von 0,4 Mm. deutlich sich verfolgen lässt. Wenngleich derselbe dicht an der : Zelle immer blasse Ränder zeigt, also nackt ist, so wird er doch nicht selten noch innerhalb des sogleich zu erörternden Gitterwerks schwach dunkelrandig, was auf eine dünne Mark- scheide bezogen werden darf. Ob er in dem Kern oder Kern- körperchen ende, muss ich dahingestellt sein lassen; durch die Zellenmasse hindurch lässt er sich gewöhnlich ohne alle Schwie- rigkeit verfolgen als hellrother Streifen in dem dunkler gefärb- ten Zellenkörper, Wichtig für die Beurtheilung des Verhältnis- ses, das zwischen diesem Axencylinder und dem Kern der be- züglichen Nervenzelle stattfindet, dürfte die an Vergoldungs- präparaten häufig gemachte Erfahrung sein, dass der Axen- eylinder zwar geröthet, der Kern aber ganz ungefärbt ist, und das Kernkörperchen so dunkel erscheint, dass über die Ein- wirkung des Goldpräparates auf dasselbe kein Urtheil gewon- nen werden kann. Fest steht jedenfalls, dass der Axencylinder in mehr oder weniger langer und deutlich zu übersehender Strecke den Körper der Ganglienzelle durchsetzt. Letztere ist überdies an ihrer Aussenfläche von einem Netzwerk dunkler Linien besetzt (Fig. 2), von denen in der Regel einige sich bis zum Kernkörperchen verfolgen (Fig. 5) und als unmittel- bare Fortsetzung desselben erkennen lassen. Abgerissene und aus dem Zusammenhange mit dem übrigen Netzwerk gelöste Fäden ragen mitunter über die Grenzen des Zellenkörpers hinaus, können daher nicht als Falten, Risse und dergleichen angesehen werden, sondern charakterisiren sich eben dadurch als selbstständige Gebilde. Es ist natürlich, dass ich bei dieser Untersuchung auch Fräntzel’s Angabe (Virch. Arch. Bd. 38, S. 549) von einem die Ganglienkörperkapsel auskleidenden Epi- thel bei Menschen und Säugethieren nicht unbeachtet gelassen habe. Ich muss aber gestehen, dass mir kein Bild vorgekom- men ist, das auch nur im Entferntesten diese Deutung gestattet oder gar gefordert hätte. — Von dem die schüsselförmige Ver- tiefung der Zelle umgebenden Rande, und hier in ganz zwei- felloser Weise von dem Protoplasma des Ganglienkörpers selbst Zuwüchse empfangend (Fig. 1), setzt sich dieses Netzwerk in ei a de Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w, 27 ein Gespinnst fort, das in mehr oder weniger regelmässiger Weise, mitunter in sehr scharf ausgeprägten, aber an Zahl wechselnden Spiraltouren (Fig. 2, 4) die Axencylinder wie ein lockerer Sack umgiebt, indem es am Zellenkörper dem Um- fang der tellerförmigen Grube ‘entsprechend breit ist, von da ab jedoch sich verschmälert, um sich immer enger dem Axen- eylinder anzuschliessen. An dem Zustandekommen der Birn- form des ganzen Ganglienkörpers hat daher dieser kegelförmige Anhang oder Stiel (nach Kollmann und Arnstein) des Zellen- protoplasma einen sehr wesentlichen Antheil. An Karminprä- ‚paraten unterscheidet er sich von dem letzteren durch den Mangel einer an diesen zarten Linien wahrnehmbaren Tinction, so dass der geröthete Axencylinder inmitten eines ungefärbten Gitterwerks deutlich hervortritt. Aus dem verjüngten Ende dieses einen Hohlkegel bildenden ziemlich starren Netzwerks gehen schliesslich eine oder mehrere Fasern hervor'), die eine kurze Strecke noch neben dem Axencylinder hinlaufend, von ihm durch ihre geringere Breite und Anfangs nicht nachweis- bare Karmintinction sich unterscheiden, fernerhin aber breiter werden, sich dann ebenfalls röthen, dem Axencylinder sehr ähnlich sich ausnehmen, und endlich von ihm sich trennen, in- ‚dem sie die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Was neben dem Axencylinder den Raum jenes Hohllagers einnimmt, ob eine tropfbare oder eine gallertartige Flüssigkeit (siehe Koll- mann und Arnstein a. a. O. S. 280), ist schwer zu ent- ‚scheiden, und ich will nur bemerken, dass ich nach der Be- handlung mit Goldchlorid neben der rothen Färbung des Proto- plasma der Nervenzelle und des Axencylinders den in Rede stehenden kegelförmigen Anhang in lichtblauer Tinction wahr- genommen habe. Eine ähnliche nur noch lichtere Färbung 1) Ich habe das Doppeltsein der Spiralfaser allerdings einige Male beobachtet; doch scheint dies Verhältniss in der Minderzahl der Fälle vorzukommen. Einmal habe ich mit Sicherheit sogar vier Faden aus diesem Netz hervorgehen sehen, die den Axencylinder in ge- ‚strecktem Verlaufe begleiteten ; über ihr weiteres Schicksal und ihr etwaiges Verschmelzen oder Getrenntbleiben liess sich in diesem Fal] nichts ermitteln. Fig 1. AN WETTEN RD ; VPE 98 FBidder: N zeigte sich unter solchen Umständen auch in dem Raume, der nach vorangegangener Einwirkung der Essigsäure in Folge des Aufquellens des Neurilemms zwischen diesem und der Nerven- zelle nebst anhängendem Netzwerk sich bildet. Nach dem oben Bemerkten berechtigt dieser Farbenton zu der Ansicht, dass eine bindegewebige Intercellularsubstanz, durch die Essigsäure aufgequollen, nicht blos den lichten Saum einnimmt, der zwi- schen dem Neurilemm und dem Ganglienkörper nebst Anhang sich zeigt, sondern auch den von der Spiralfaser umfassten und von dem Axencylinder durchsetzten Raum ausfüllt. Eine eigen- thümliche, dem Ganglienkörper verwandte und die Entstehung der Spiralfaser vermittelnde Substanz hier anzunehmen, wie Kollmann und Arnstein (S. 2383) thun, finde ich nach der angegebenen Reaction keinen Grund. Für eine Verschiedenheit dieser Masse von der bindegewebigen Nervenscheide spricht andererseits der Umstand, dass auch an völlig nackten Gan- glienkörpern, wo weder die eigentliche Zelle, noch auch dieser Anhang eine besondere Umhüllung mehr darboten, der letztere doch alle ihm sonst eigenthümlichen Verhältnisse zeigte. Diese neurilematische Hülle der Ganglienkörper ist übrigens hier ebenso wie an anderen Orten nichts anderes, als eine Fort- setzung und Ausbuchtung der Primitivscheide der Nervenfasern'); 1) Diese Ansicht habe ich bereits vor 20 Jahren ausgesprochen Beiträge zur Lehre von dem Verhältniss der Ganglienkörper zu den Nervenfasern, Leipzig 1847, S. 21 u. ff), weil ich an den sogenann- ten freien Nervenzellen eine umhüllende Membran durch kein Mittel nachzuweisen vermochte, und bei Fischen mit der vollsten Sicherheit beobachten konnte, dass, wenn die kernhaltigen Ganglienkörper scharfe Conturen darboten, diese sich continuirlich in die sogenannte Primitivscheide der Nervenfasern fortsetzte. Ich war durch diese Beobachtung und durch die darauf gegründete Darstellung der Be- ziehungen der Ganglienkörper zu den Nervenfasern mit den damals geltenden Ansichten in Widerspruch getreten, insofern eine Umhül- lung der Ganglienkörper mit einer ihnea eigenthümlichen Zellenmem- bran allgemein behauptet wurde. Kölliker namentlich hatte in einer fast äusschliesslich gegen mich gerichteten Abhandlung (Zeitschr. f. wiss. Zoolog. Bd. I, 1849, S. 146) meine Auflassungsweise als eine durchaus unhaltbare und unrichtige bezeichnet, und mir bemerkt, dass in damaliger Zeit jeder Mikroskopiker von Fach wissen müsste, Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 29 und mehrfach habe ich, wie es auch Kollmann und Arn- stein ($. 278) gelungen ist, diesen Uebergang der beidersei- tigen Hüllen in einander unmittelbar verfolgen können. Da- dass jede Ganglienkugel eine zarte structurlose Hülle besitzt, dass es überflüssig sei, zu sagen, dass die ächten Ganglienkugeln vollkom- mene Zellen sind, also eine structurlose Haut zeigen, dass Valen- tin, Schwann, Bruns u. A. schon längst die Hüllen der Gan- glienkugeln von der äusseren bindegewebigen Scheide derselben un- terschieden. Auf S. 148 hebt Kölliker nochmals mit besonderem Nachdruck hervor, dass eine Ganglienkugel eine Zelle ist mit deut- lich structurloser Hülle. — Dagegen heisst es nun in der fünften Auf- lage der Geweblehre (Leipzig 1867, S. 250), dass unter dem Einfluss der Schwann'schen Lehren sich seiner Zeit zwar die Annahme ent- wickelt habe, dass die Nervenzellen eine besondere Zellenmembran besitzen, und dass diese Lehre besonders durch die Untersuchungen von Bidder gestützt worden sei; dass aber in unseren Tagen diese Ansichten in das Gegentheil umgeschlagen seien, und dass auch Köl- liker trotz entgegenstehender Angaben erklären müsse, dass an den Ganglienzellen eine structurlose, einer Zellenmembran entsprechende Hülle nicht für sich darzustellen ist, und dass die Zellenmembran der Ganglienzellen der Fische mit der Scheide der Nervenfasern unmit- telbar zusammenzuhängen scheine. — Ich habe vor 18 Jahren meine damalige Auffassung gegen die Auslassungen Kölliker's nicht ver- theidigen mögen, weil ich der Ueberzeugung bin, dass über die Rich- tigkeit so divergirender Ansichten nur die Zeit entscheiden könne. Wenn daher Kölliker diejenige Auflassung, die er im Jahre 1849 perhorrescirte, nunmehr vollständig adoptirt, so kann mir das im Interesse fortschreitender wissenschaftlicher Verständigung nur er- wünscht sein, und es würde mir sicherlich nicht in den Sinn kommen, dies hier zur Sprache zu bringen, wenn nicht Kölliker unser beiderseitiges Verhältniss zu dieser Angelegenheit geradezu auf den Kopf gestellt, mich als den Träger überwundener Stand- punkte gekennzeichnet, sich selbst aber als unerschrockenen Kämpfer für die mehrfach verkannten hüllenlosen Ganglienkörper hingestellt hätte!! — J. Arnold (a. a. a. O. S. 10) hat meine und Kölliker's Stellung zu dieser Frage im Allgemeinen richtig bezeichnet, wenn- gleich auch hier der ferne Hyperboräer wohl nicht mit dem halben Maasse gemessen wird, wie der nachbarliche Herbipolitaner. Während Kölliker's in Rede stehende Arbeit eine mit Recht hochgeschätzte genannt wird, muss ich den Vorwurf der Inconsequenz hinnehmen, weil ich die Ganglienkörper trotz des von mir behaupteten Mangels einer nachweisbaren Membran doch Zellen genannt habe. Ich erlaube mir dagegen nur zu bemerken, dass diese Bezeichnung auch gegen- 30 F. Bidder: gegen kann ich eine an dieser Stelle fühlbare Lücke in meinen Beobachtungen nicht verhehlen. So oft sich auch wahrnehmen liess, dass die mit dem Ganglienkörper zusammenhängende gerade Faser, der sogenannte Axencylinder, zu einer Nervenfaser wird, die in das anliegende Nervenstämmchen eintritt und den längs- laufenden Fasern desselben sich anschliesst, so habe ich zwar auch manchmal die Spiralfaser in ganz unzweideutiger Weise nach entgegengesetzter Richtung sich wenden sehen, aber den Uebergang auch dieses Zellenausläufers in eine Nervenfaser niemals mit Entschiedenheit beobachten können, obgleich ich an einem solchen Zusammenhange nach den Angaben meiner Vorgänger nicht zweifeln kann und eifrigst nach demselben ge- sucht habe. Die Erklärung für den mangelnden Erfolg dieses Suchens liegt ohne Zweifel in dem Umstande, dass die Zellen- ausläufer nicht in die nächstgelegenen an der Oberfläche des Nervenbündels befindlichen Fasern übergehen, sondern in die Mitte desselben eintreten, um, nachdem sie eine Partie der longitudinal verlaufenden Fasern durchkreuzt haben, unter rech- tem Winkel in die letzteren einzubiegen. In die Mitte dieser Herznervenbündel durch künstliche Präparation einzudringen ist aber ohne sehr erhebliche Störung der normalen Lagerungs- verhältnisse gar nicht möglich, da, wıe schon Ludwig (Müll. Arch. 1848 5. 141) hervorgehoben hat, die Primitivröhren nicht gestreckt neben einander verlaufen, sondern wie die Fa- sern eines Seils um einander gedreht sind, wodurch es unmög- lich wird, den Nerven in seine Elemente zu zerlegen, ohne dieselben zu zerreissen. Aus diesem Grunde ist es auch ge- wöhnlich vergeblich, durch fortgesetzte Bearbeitung mit Nadeln ein Präparat verbessern zu wollen; liefert die oben exwähnte Vorbereitung nicht sofort ein brauchbares Bild, so ist es am gerathensten, keine weitere Mühe auf die Entzifferung dessel- ben zu verwenden, sondern zur Anfertigung eines neuen Prä- parates zu schreiten. Die Untersuchung der Erfolge der Vagus- wärtig noch ganz allgemein für unverfänglich gilt, obgleich für die Zellenmembran der .betreflenden Elemente wohl kaum mehr Jemand in die Schranken treten wird. Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 31 _ _ durchschneidung soll hier ergänzend eingreifen. — Bemerken muss ich aber schon hier, dass ich zuweilen auch mitten unter diesen den Scheidewandnerven anliegenden keulenförmigen Zel- len Ganglienkörper von nierenförmigem Aussehen gefunden habe, aus deren Hilus dicht nebeneinander zwei (roth tingirte) Axencylinder hervorgingen, während ich von einer Spiral- faser nichts wahrnehmen konnte. In solchen Fällen kann es auch geschehen, dass die zwei geraden Zellenfortsätze in der Weise sich decken, dass ein einfacher Fortsatz vorhanden zu sein scheint. Beide Axencylinder schienen von der Substanz der Ganglienzelle selbst herzukommen, so dass ich über ihr Verhältniss zum Kern und Kernkörperchen nichts Sicheres er- mitteln konnte; ebensowenig habe ich, obgleich ich einigemal diese beiden Axencylinder in entgegengesetzter Richtung aus- einandergehen sah, ihren Uebergang in unzweifelhafte Nerven- fasern verfolgen können. Eine Fortsetzung des Neurilemms des Ganglienkörpers umschloss jedesmal beide Zellenausläufer, zwi- schen denen überdiess auch gallertartige Bindesubstanz zwischen- gelagert zu sein schien. Auch Beale (Tab. XXXIH Fis. 2, Tab. XXXV Fig. 13, Tab. XXXIX Fig. 32—35), sowie Cour- voisier (8. 28) und Kollmann und Arnstein (S. 280) er- wähnen das Fehlen der Spiraltouren; ob dies, wie Beale meint, den Jugendzustand der Zellen bezeichne, darüber habe ich keine Erfahrung zu machen Gelegenheit gehabt. — Ein fer- neres eigenthümliches Lagerverhältniss dieser birnförmigen Zel- len kann ich nicht unerwähnt lassen. Gewöhnlich zwar hat jede derselben einen gesonderten Stiel, der trotz der nahen Nach- barschaft dicht anliegender Zellen doch vollständig von dersel- ben geschieden ist, und seinen Weg in das zugehörige Nerven- bündel allein für sich fortsetzt. Dagegen habe ich aber auch öfters bemerkt, dass zwei, drei und mehrere dicht zusammen- gedrängte Zellen ihre Ausläufer in einen gemeinsamen Stiel eintreten lassen, der auch ein eigenthümlich gewundenes, strick- förmig gedrehtes Ansehen hat. In einem solchen Strange kön- nen die einzelnen denselben zusammensetzenden Elemente nicht unterschieden werden. Man erkennt wohl an Karmin- wie Goldpräparaten im Inneren solcher gemeinschaftlichen Stiele 32 F. Bidder: Andeutungen gerötheter Axeneylinder, und schwache Reste um dieselben herumgelegter Spiraltouren. Aber der Zusammen- hang mit den Ganglienzellen einerseits und mit den anliegen- den Nervenfasern andererseits war in solchen Fällen wegen der mehrfach sich deckenden und durchkreuzenden Elemente noch schwieriger zu ermitteln; ebensowenig liess sich die Be- ziehung der bindegewebigen Scheiden der einzelnen Ganglien- zellen zu der gemeinschaftlichen Hülle ihrer Ausläufer genauer feststellen. — Endlich muss ich noch ein eigenthümliches Ver- hältniss in der Lagerung dieser birnförmigen Ganglienkörper erwähnen. Obgleich diese Lagerung in Folge des Aufquellens durch Essigsäure nicht die ursprüngliche ist, so ist es doch auffallend, dass die meisten dieser Körper in der Stellung sich darbieten, dass ihr breites Ende gegen den peripherischen Ver- breitungsbezirk der betreffenden Nerven, ihr schmäleres Ende dagegen nach der centralen Seite hin gerichtet ist. Die von der Zelle ausgehenden und zu peripherischer Verbreitung, zum Fortgang z. B. gegen die Atrioventrieularganglien hin bestimm- ten Fortsätze — gleichviel, ob dies die gerade oder Spiralfaser ist — müssen also eine kurze Strecke rückwärts laufen, ehe sie in die ihnen zukommende Richtung umbiegen. Es scheint, dass auf dieser Strecke die Zellenfortsätze — wenn dies über- haupt geschieht — noch nicht mit einer Markscheide sich um- geben, und dass es eben daher und weil sie an dieser Umbie- gungsstelle leicht abbrechen, so selten gelingt, ihren weiteren Verlauf zu constatiren. Neben diesen birnförmigen Zellen, die meistentheils den äusseren Umfang der Nervenstämmchen besetzen, findet man, im Inneren der letzteren zwischen den Nervenfasern eingebettet, die schon oben erwähnten spindelförmigen Zellen, deren Längendurch- messer immer mit der Längsaxe der Nerven zusammenfällt. Als Sitz sind ihnen vorzugsweise die Scheidewandnerven angewie- sen, doch kommen sie auch in den rami cardiaci kurz vor ihrer Einsenkung in den gemeinschaftlichen Plexus vor. Obgleich ihre Zahl nicht ganz gering ist, bieten sie sich doch nur selten in einigermassen hinreichender Isolation dar, Dieselbe Sehwierigkeit haben auch Kollmann und Arnstein (S. 275.) Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 33 hervor, obgleich sie die Anwesenheit solcher Zellen für zwei- fellos halten. Auch Ludwig (a. a. O. S. 142) spricht von Ganglienkugeln in den Herznerven, die in einer Anschwellung der Primitivröhre liegen, und bildet dergleichen auch ab. Dass solche bipolare Zellen zwei Kerne enthalten, wie Gay e (Central- blatt f. d. med. Wiss. 1866 Nr. 56) im Sympathicus des Kaninchen regelmässig, gefunden haben will, habe ich für den Frosch in keinem einzigen Fall bestätigen können. Von den beiden ver- schmälerten Enden dieser Ganglienkörper scheinen Fasern aus- zugehen, die in dem bezüglichen Nervenbündel in entgegen- gesetzter Richtung fortlaufen, die eine zum gangliösen Haupt- plexus hin, die andere in der Richtung der Atrioventricular- ganglien. Ueber die Natur dieser Fasern und über ihre weiteren Schicksale, ob sie in breite, dunkel contourirte oder in schmale und blasse Fasern sich fortsetzen, ob vielleicht beides statthat, so dass das eine Zellenende mit einer breiten, das andere mit einer schmalen Faser in Verbindung steht, darüber vermag ich nichts Sicheres auszusagen. Mit Bestimmtheit dagegen habe ich, wenn auch nur in sehr wenigen Fällen gesehen, dass von dem Körper einer solchen Spindelzelle drei Fortsätze ausgehen, indem das eine etwas breitere Ende derselben zwei dicht neben einander liegende und gleichmässig tingirte Ausläufer, nackte Axencylinder, entsendete.e Ebenso habe ich mich in einem Paar dieser Fälle davon überzeugen können, dass das mit ein- fachem Fortsatz versehene Zellenende gegen die Eintrittsstelle des Nervenbündels, der gedoppelte Ausläufer dagegen zu den Atrioventricularganglien hin gerichtet war, ein Verhältniss, welches, wenn es in srösserer Verbreitung sich darböte, die Vermehrung der Primitivfasern im Verlaufe der Herznerven ‚einfach verständlich machen würde. Von einem die Ganglien- körper selbst umspinnenden Fadennetz oder von einem die geraden Ausläufer umgebenden Spiralfaden, habe ich an diesen Zellen nichts wahrnehmen können. Ihre Bedeutung für die Herzactionen muss bei dem ganz anderen Schema, nach dem sie gebaut sind, sicherlich eine andere sein, als die der keulenförmigen Körper, und ich kann nicht umhin, daran zu erinnern, dass Deiters (a. a. ©. S. 115, 180 und and.) auch Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 3 pin 4 34 F. Bidder: von cerebralen Centren, wie namentlich dem kleinen Gehirn, betont, dass in denselben Zellen vorkommen, die beiderseits direct in einen Axencylinder übergehen, und dass er ferner darauf aufmerksam macht, dass das Einschieben zelliger Elemente in eine nervöse Bahn den Character einer einfachen Leitung nicht nothwendig aufhebt. Es wäre daher wohl möglich, dass auch in den Centren des Herzens die spindelförmigen Zellen nicht Orte selbstständiger. Erregung, sondern nur Knoten- punkte darstellen, die vielleicht die Richtung des Axen- eylinders bestimmen, ohne die ihm obliegende einfache Leitung zu modifieiren. Auch an den Herznerven habe ich einige Male jene eigen- thümliche Lage zweier Ganglienkörper bemerkt, ‚die zuerst von Auerbach (Virch. Arch. 1864, Bd. 30 S. 457) als opponirte Stellung bezeichnet wurde, und bei welcher zwei ebenfalls keulenförmige Körper mit ihrem breiteren Ende an einander stossen oder auf einander gesetzt sind, während die von den schmalen Enden ausgehenden zwei Fasern nach entgegenge- gesetzter Richtung verlaufen. Beide Ganglienkörper scheinen in einer und derselben neurilematischen Hülle zu liegen, und also unmittelbar sich zu berühren. Zuweilen jedoch setzte sich der leichte zwischen Neurilemm und Nervenzelle gelegene Saum mit einem verschmälerten Verbindungsstreifen auch zwischen die beiden Nervenzellen hinein fort. Ueber die Natur der von diesen Zellen ausgehenden Fasern weiss ich nichts Näheres. anzugeben, da ich sie niemals im isolirten Zustande zu sehen bekommen lrabe, sie vielmehr sofort nach ihrem Abgang von der Zelle zwischen den Elementen des Nerven- bündels sich verbargen. Nur das glaube ich aussprechen zu dürfen, dass auch hier an Zellen und Zellenausläufern ein — Fadennetz und ein Spiralfaden nicht auftreten. Auch diese Anordnung der Zellen trifft man an den Scheidewandnerven im Inneren ihrer Faserbündel. Ueber ihre Bedeutung habe ich keine Erfahrung mitzutheilen, Obgleich die Untersuchung des gangliösen Hauptplexus, in welchen die Vaguszweige zunächst eintreten, für die Erle- digung der hier vorliegenden Frage am meisten zu versprechen = Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 35 schien, so hat die diesem Theil meines Untersuchungsobjects zugewendete Aufmerksamkeit mich in der Ermittlung der hier obwaltenden histologischen Verhältnisse doch keineswegs weiter gebracht. Dass freilich habe ich ziemlich regelmässig gefunden, dass diese in der theilweisen Durchkreuzung der beiderseitigen Faserbündel dem Chiasma opticum ähnelnde Gegend der Herz- nerven an ihren Aussenrändern vielfach von birnförmigen Gang- lienkörpern besetzt ist, die, wie die vorhin beschriebenen, neben einem geraden Ausläufer mit Fadennetz und Spiralfaser aus- gerüstet erscheinen. Auch hier treten sie nach Essigsäure- einwirkung besonders deutlich hervor, heben sich in Folge des Aufquellens von den Nervenstämmchen ab, nehmen einen grösseren Raum für sich in Anspruch, und werden dadurch heller und deutlicher. Aber auch hier habe ich über das fernere Schick- 'sal der beiden Fasern, über ihre zuleitende oder ableitende Richtung, eine sichere Auskunft nicht gewinnen können. Noch _ weniger habe ich im Inneren dieses Plexus, wo die Ganglien- körper mehrfach zusammengehäuft über und neben einander liegen, und sich auch nach Essigsäurezusatz weniger von ein- ander entfernen und abheben können, über die fraglichen Ver- hältnisse zu ermitteln vermochte; nur das kann ich nicht un- erwähnt lassen, dass es mir in dieser Gegend manchmal ge- schienen hat, als ständen zwei Zellen durch Ausläufer mit ein ander in Verbindung; jedoch schienen dies immer Fortsätze von der Breite des Axencylinders zu sein, und nicht feine Aus- läufer des Fadennetzes, wie sie Courvoisier als Commissuren- fäden deutet, Eine besondere Beachtung erforderten endlich die Atrio- ventricularganglien. Ich erwähnte schon, dass unmittelbar vor denselben in den Scheidewandnerven breite und dunkelrandige Fasern sich noch nachweisen lassen, während hinter denselben alle in das Ventrikelfleisch sich einsenkenden Nervenbündelchen nur schmale und blasse Fasern enthalten. Auch hier musste man vermuthen, dass diese Aenderung in dem Character der Fasern durch die Dazwischenkunft der Ganglien, d. h, durch den Zusammenhang derselben mit den fraglichen Fasern ver- mittelt werde. Indessen hat die Untersuchung dieser Gegend 3* N N RE NEU ER - - ee ct r 36 F. Bidder: in dem System der Herznerven des Frosches mir die am wenig- sten befriedigenden Resultate geliefert. Das Bindegewebe scheint hier besonders fest und derb zu sein, so dass es durch Essig- säure wenig aufquillt; die Fleischfasern der sogenannten Atrio- ventrieularklappen dringen zum Theil selbst: in die Ganglien- haufen hinein, und lassen sich kaum beseitigen: die Nerven- fasern entfernen sich von der longitudinalen Anordnung, und sind vielmehr in den verschiedensten Richtungen und so viel- fach durch einander geflochten, dass auch bei der vorsichtigsten Behandlung mit der Präparirnadel der Versuch, sie auseinander zu bringen, ihren Zusammenhang mit den Zellen vernichtet. Welche Beziehungen zwischen den Nervenelementen hier ob- walten, ist mir daher durchaus unklar geblieben; nur von dem Vorkommen birnförmiger Zellen mit den geschilderten Merk- malen habe ich mich überzeugt; weitere Bemerkungen über Form und Lagerung der Nervenzellen an diesem Orte scheinen für jetzt überflüssig zu sein. Neben den verschiedenen Zellenformen, die dem Obigen gemäss im Verlaufe der Herznerven des Frosches sich unter- scheiden lassen, sind es nach ihrer Zahl und Verbreitung wie nach ihren sonstigen Verhältnissen die keulenförmigen, an- scheinend unipolaren, in Wirklichkeit aber mit mehrfachen Ausläufern versehenen Zellen, die besondere Beachtung ver- dienen. Die Uebereinstimmung nämlich, welche sie mit den Merkmalen darbieten, die Deiters (Untersuchungen über Ge- hirn und Rückenmark, herausgegeben von M. Schultze 1865, S. 55 ff.) den centralen Nervenzellen zuschreibt, ist in der That eine. höchst bemerkenswerthe. Hier wie dort hat man es mit Gebilden zu thun, die Centralpunkte zweier Systeme von Nerven- fasern sind, einer einfachen und ungetheilten, breiten, vom Ganglienkörper selbst abgehenden Faser, einem Axencylinder, und eines Systems zahlreicher sogenannter Protoplasmafortsätze, die weiterhin ebenfalls in echte Nervenfasern übergehen. Deiters sucht überdiess, bereits früherhin gemachte Angaben schärfer formulirend, auch darzuthun, dass diese beiden Faser- systeme verschiedenen Richtungen angehören, dass die Zelle Te 0 a Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 37 ein Centralpunkt für zwei Fasersysteme von verschiedener Be- deutung ist, dass Nervenfasern durch Verbindung mit Ganglien eine Ablenkung von ihrer bisherigen Stromesrichtung erfahren, wobei das Stromgebiet erweitert oder verkleinert werden kann, und dass diese Verwickelung im Verlaufe der Nerven, diese Unterbrechung durch. Ganglienmassen, immer mit Verände- rungen im Durchmesser der Nervenfasern verbunden scheint. Deiters meint nun (S. 133 u. 145) in Bezug auf die in den vorderen und hinteren Hörnern der grauen Substanz des Rücken- marks befindlichen motorischen und sensiblen Ganglienzellen, dass bei den ersteren der Axencylinderfortsatz in die moto- rische Nervenwurzeln austrete, die vom Gehirn herkommenden Leitungsbahnen demnach durch die Protoplasmafortsätze der Zellen letztere erreichen, während umgekehrt die sensiblen Nervenwurzeln durch das an die Protoplasmafortsätze sich anschliessende Fasersystem zu der Zelle gelangen, und die Leitung von ihnen zum Gehirn demnach durch die von ihnen _ ausgehenden Axencylinder übernommen wird (8. 146). Hier- nach würden also jedenfalls die Protoplasmafortsätze die zur Zelle führende, gleichsam in ihr endende, der Axencylinder dagegen die von ihr aus weiter leitende Bahn, den Anfang eines neuen Fasersystems bezeichnen. Wenn diese für das cerebrospinale Centrum wahrscheinlich gemachte Ordnung auf die Herzganglien übertragen wird, so bedürfte dies bei der un- zweifelhaft autonomen, also ebenfalls centralen Natur der letz- teren keiner Rechtfertigung. Aber auch abgesehen von jeder Vergleichung mit den centralen Gehirnzellen und von der Discussion über die centrale Bedeutung der Herzganglienmassen bietet sich ganz unabweislich die Frage dar, welche Fasern zu den in Rede stehenden Elementen der Herzganglien hinzutreten, welche von ihnen abgehen. Auch haben alle neueren Beobachter der sympathischen Ganglien nicht unterlassen können, eine Antwort hierauf zu geben. Aber während Beale sich darauf beschränkt den nach entgegengesetzten Seiten gerichteten Ver- lauf der geraden uud der Spiralfaser zu betonen, und Cour- voisier ($. 28) es unentschieden lässt, ob die gerade Faser im Kerne anfange oder ende, sprechen sich Arnold, Kollmann 38 F. Bidder: und Arnstein dahin aus, dass die gerade Faser zu der Nerven- zelle herantrete, die Spiralfaser dagegen oder die Protoplasma- fortsätze von ihr fort zur pheripherischen Nervenausbreitung leiten. Ich habe schon neulich, aber ohne auf Deiters Bezug nehmen zu können, in Betreff der Ganglien an der Gland. submarillaris des Hundes (dieses Arch. 1867 S. 22) die ent- gegengesetzte Auffassung als die wahrscheinlichere bezeichnen müssen. Wenn ich mich jetzt mit den Muthmassungen von Deiters ganz im Einklange finde, so könnte mich dies in der früher schon gewonnenen Ansicht bestärken, um so mehr als auch Kölliker (Geweblehre, 5. Aufl. 1867 S. 254) an die Möglichkeit erinnert, dass die Spiralfaser Endigung einer zu- tretenden Faser an einer Ganglienzelle sein könnte. Indessen alles bisher für die eine oder die andere Ansicht Vorgebrachte geht doch kaum über den Werth von Erwägungen und Muth- massungen hinaus. Eine directe Entscheidung könnte nur der vollständige Nachweis des anatomischen Zusammenhanges der fraglichen Zellenausläufer mit Nervenfasern bringen, die mit Sicherheit als zutretend oder abgehend sich bezeichnen liessen. Nun habe ich zwar in einigen Fällen, in denen Nervenzellen, die den Scheidewandnerven anlagen, ihre beiden Faserausläufer vollständig übersehen liessen, mit aller Sicherheit mich davon überzeugen können, dass der Axencylinder in peripherischer Richtung gegen die Seite der Atrioventrieularganglien hin in das Nervenstämmchen sich einsenkte; aber niemals habe ich die-aus dem Fadennetz hervorgehende Spiralfaser in eine von der Seite der rami cardiaci herkommende dunkelrandige Faser übergehen oder aus derselben hervortreten sehen. Mit den bisher angewendeten Mitteln scheint auf die Gewinnung eines solchen Beweises nicht gerechnet werden zu dürfen. Schon Ludwig (a. 0. a. O.) hat bemerkt, dass die interessanten Fragen, die an die Untersuchung der Herznerven sich knüpfen, mit dem Microscop allein und mit den zugehörigen Messapparaten unlösbar erscheinen, dass wahre Aufklärung nur von neuen Methoden zu erwarten sei. Die verbesserten histologischen Methoden der jüngsten Zeit haben nun zwar manchen Fort- schritt gebracht, indessen von völlig befriedigender Einsicht Ben 4 Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 39 sind wir noch immer weit entfernt. Es musste daher der Ver- such gemacht werden, auf einem anderen bisher noch nicht versuchten Wege eine Lösung der vorliegenden Fragen zu erlangen. Es war zu erwarten, dass vielleicht abermals ein Schritt vorwärts geschehen könne, wenn man die Veränderungen berücksichtigte, die durch vorherige Durchschneidung der Herz- zweige des Vagus in den betroffenen Primitivfasern herbei- geführt werden mussten. Bei der Wichtigkeit, die den Ergeb- nissen dieses letzteren Untersuchungsweges zugestanden werden muss, glaube ich das von mir in dieser Hinsicht beobachtete Verfahren näher angeben zu müssen, Bloslegung und auch Durchschneidung der beiden N. N. vagi beim Frosch ist zwar ein sehr häufig und zu verschiedenen phy- siologischen Zwecken gebrauchter: Eingriff, bei dem man jedoch — wo es sich nur um vorübergehende Beobachtung handelte — bei der grossen Lebenstenacität dieses Thiers nicht gerade sehr vorsichtig mit demselben umzugehen pflegt. Es kommt aber nicht darauf an, ob der Hautschnitt einige Linien länger ist, als zum Erreichen der tiefer gelegenen Theile erforderlich ge- wesen wäre, ob grössere Gefässe verletzt werden und eine be- trächtliche Blutung stattfindet, ob benachbarte Muskeln und andere Theile gequetscht, zerrissen oder anderweitig insultirt werden, — für einige Stunden hält das Thier das Alles sehr wohl aus, ohne in seinen Reizbarkeitsverhältnissen erhebliche Aenderungen zu erleiden. Ganz anders ist es dagegen mit der Vagusdurchschneidung zu dem hier ins Auge gefassten Zweck, sie soll Wochen-, ja Monate lang überdauert werden. Es muss also nicht allein bei dem operativen Eingriff der Blutverlust auf das in Folge der Durchschneidung heut unvermeidliche Minimum reducirt, sondern es muss auch jede Beschädigung der tiefer gelegenen Theile möglichst vermieden werden, um einer excessiven Eiterbildung vorzubeugen, die zu weitreichen- den Infiltrationen führen kann, an denen die Versuchsthiere trotz ihrer Zähigkeit doch endlich und vorzeitig zu Grunde gehen. Ich kann folgendes Verfahren als das geeignetste em- pfehlen. Um das Thier in erforderlichem ‚Maasse zu fixiren, wird es in der Rückenlage an allen vier Extremitäten auf ein er Fe yet’ 2 rer... 3 Pa we 7 u = = nie 9, 7% dr - TE NE L u © 40 F, Bidder: passendes Brettchen aufgebunden, und zugleich der Kopf mit- telst einer durch den Oberkiefer gesteckten Nadel auf der Un- terlage befestigt. Die” vorderen Extremitäten werden dabei möglichst nach hinten gezogen, um den Raum zwischen Kiefer und Schulter zu erweitern. Auf derjenigen Körperseite, auf welcher der N. vagus durchschnitten werden soll, wird nun die Haut getrennt, indem ein Scheerenblatt. etwas unterhalb der vorderen Spitze des Sternums eingestochen und quer nach aussen bis hinter das Kiefergelenk in einer Strecke von etwa 4" fortgeführt wird. Nur ausnahmsweise werden hierbei auch ein Paar Bündel des M. submaxillaris getroffen, wenn derselbe ungewöhnlich weit nach hinten reicht. Unmittelbar unter der äusseren Haut wird "eine dem Zwischenraum zwischen dem Kiefergelenk und der Schulterhöhe entsprechende Zone von einer Fascie gedeckt, bei deren Trennung in der angegebenen Rich- tung meistens auch nur capillare Blutgefässe getroffen werden, Indem die äussere Haut und diese Fascie, die bei der dem Thier gegebenen Stellung stark gespannt waren, nach der Durchschneidung sich zurückziehen, wird hiermit sofort die Gegend eröffnet, in der der Vagus zu finden ist. Es ist dies ein unregelmässig viereckiger Raum, nach aussen begrenzt von demM. sternocleidomastoideus, nach innen von dem M, sternohyoi- deus und dem Pharynx, nach unten von dem M. deltoides, wäh- rend die obere Seite einer scharfen Begrenzung ermangelt. Im Grunde dieser Grube erscheint der M. levator scapulae mit schrägen, von oben und innen nach unten und aussen gerich- teten Fleischfasern, und über ihn hin und mit ihm sich kreu- zend verläuft in der Diagonale jenes Raumes vom oberen äusse- ren zum unteren inneren Winkel, zugleich mit den dünnen Bündeln des M. petrohyoides ein aus mehreren Gefässen und Nerven gebildeter Strang. Am meisten nach aussen macht sich in demselben die starke vena jugularis bemerkbar; an ihrer inneren Seite, häufig auch unter ihr, so dass sie nur durch Abziehen der Vene sichtbar wird, zeigt sich eine ungleich dünnere Arterie, ein Analogon der art. transversa colli oder cervicalis adscendens. In Begleitung dieser Blutgefässe verlau- ten drei von dem N, vagus herkommende Nervenstämmchen: am & Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 41 oberflächlichsten und am meisten nach innen, gewöhnlich den mm, . petrohyoid. aufliegend, der N. glossopharyngeus, der in bogenförmigem Verlauf zur Zunge sich wendet und eben hieran sogleich zu erkennen ist. Nach aussen von ihm und gewöhn- lich durch die genannte Arterie von ihm getrennt liegt der N. laryngeus, der durch seine Feinheit vor einer Verwechslung mit dem gesuchten Eingeweideast gesichert ist. Letzterer liegt unter allen seinen Begleitern am tiefsten, wird jedoch leicht sichtbar gemacht, wenn die durch lockeres Bindegewebe ver- einigten Theile des ganzen Stranges vorsichtig aus einander ge- zogen werden. Eine Verwechslung mit dem am unteren Rande des levator scapulae zum Vorschein kommenden und mit dem N. vagus sich kreuzenden N. hypoglossus aus dem ersten Spinal- nerven ist bei einiger Aufmerksamkeit leicht zu vermeiden, und mit den mehr nach vorn und dicht am Unterkiefer liegen- den Endästen des N. maxillaris superior aus dem Trigeminus und des N. facialis kaum denkbar. So kann also durch allei- nige Trennung der Haut und einer darunter liegenden Fascie mit Verlust von nur wenigen Tropfen Blutes der Intestinalzweig des Vagus — aus welchem neben den Fäden zum Magen und zur Lunge auch die Herznerven hervorgehen — durchschnitten, und letztere von ihrem Centrum getrennt werden. Ist das ge- schehen, so wird die Wunde geschlossen, und der Patient in täglich wenigstens zweimal erneuertes Wasser gethan. Ge- wöhnlich hat schon nach 10—14 Tagen eine feste Hautnarbe sich gebildet; aber unter derselben findet manchmal eine an- haltende Eiterung statt, deren Product, da kein Ausweg nach aussen vorhanden ist, sich weit unter der Haut und zwischen den benachbarten Muskeln ausbreitet, und wahrscheinlich die Ursache war, dass einige Versuchsthiere zwischen 14 Tagen und 4 Wochen zu Grunde gingen. War diese Periode glück- lich überstanden, so war das fernere Bestehen der Versuchs- thiere durchaus gesichert; sie erhielten sich drei Monate und länger ganz wohl, und würden die Folgen des blutigen Ein- griffs ohne Zweifel noch länger ertragen haben, wenn ich sie nicht zum Zweck der anatomischen Untersuchung gewöhnlich schon früher getödtet hätte, weil auch vor dem Ablauf jener 42 F. Bidder: Frist die Nervendegeneration schon hinreichend weit fortge- schritten sein musste, um -die Unterscheidung zwischen ent- arteten und intact gebliebenen Fasern zu sichern. — In der angedeuteten Weise habe ich die Durchschneidung des Vagus beim Frosche vielfach ausgeführt. Ich habe diese Trennung Anfangs nur auf einer Seite vorgenommen, nicht nur um den operativen Eindruck möglichst zu beschränken, sondern auch um den Gefahren zu entgehen, die die beiderseitige Trennung dieses Nerven, wenngleich in weit geringerem Grade als bei Säugern, doch vielleicht auch bei Fröschen nach sich ziehen konnte. Da jedoch bei der theilweisen Durchkreuzung der beiden rami cardiaci, die durch einseitige Durchschneidung be- dingte Degeneration nicht auf einen bestimmten Bezirk der Herznervenverbreitung beschränkt blieb, sondern überall hin neben den degenerirten Fasern auch unversehrte und breite Fasern sich begeben, so sah ich mich bald veranlasst zur Ge- winnung eines sicheren Urtheils die beiderseitige Trennung vorzunehmen. Es zeigte sich, dass auch dieser Eingriff von den Versuchsthieren sehr gut ertragen wurde. Genauere Beobachtungen über etwaige Aenderungen der Herzthätigkeit, der Athmung, der Magen- und Darmverdauung, habe ich frei- lich nicht angestellt, und der gethane Ausspruch bezieht sich, daher nur auf den Zeitraum, der nach .der Operation in schein- barem Wohlbefinden durchlebt wurde. — Meine Versuchsthiere wurden vom 16. bis zum 97. Tage nach dem operativen Ein- griff der anatomischen Untersuchung unterworfen ; bei der Mehrzahl geschah dies zwischen dem 40, und 60. Tage. Es wurde hierbei zuerst constatirt, dass die beabsichtigte Nerven- durchschneidung vollständig ausgeführt worden und gelungen sei. Der Scheerenschnitt durch die äussere Haut und die Na- delstiche in derselben waren stets durch ein völlig pigment- freies Narbengewebe angezeigt. Ein paar Male waren mit letz- terem auch einige Bündel des musc. submaxillaris verwachsen; sonst war keine traumatische Adhäsion zu bemerken, und nach Entfernung der äusseren Haut und der unvollständig constituir- ten Fascie unter derselben lag die Gegend der stattgehabten Operation so rein und klar da wie beim ersten Einblick in Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 43 * dieselbe. Arterie und Vene ‚ sowie der N. glossopharyngeus und laryngeus boten sich in der gewöhnlichen Weise dar. Der Eingeweideast des Vagus zeigte die Stelle der stattgehabten Durchschneidung durch die bekannte kolbige Anschwellung an, die durch diese Form wie durch ihre weisse Farbe von der besonders in den späteren Stadien fast durchscheinend grauen weiteren Fortsetzung des Nerven in auflallender Weise sich unterschied. Eine Wiedervereinigung der immer nur einfach und ohne Substanzverlust durchschnittenen Nerven hatte in keinem Falle stattgefunden. Schon nach 40 Tagen waren die Folgen der Trennung sehr deutlich ausgeprägt, indem der In- halt der betroffenen Primitivröhren unterhalb der Durchschnei- dung nicht allein durchweg in quaderförmige Stücke getheilt erschien, sondern letztere auch schon grösstentheils in Fett- tröpfehen zerfallen waren. Nach Verlauf von 50 bis 60 Tagen waren mit den quaderförmigen Stücken auch die letzten Reste des ursprünglichen Nerveninhalts verschwunden, und die Pri- mitivröhren der rami cardiaci, lediglich von feinsten Fettmole- _ keln eingenommen, waren selbst im Inneren der ungetheilten Nervenbündel durch die reihenweise Anordnung dieser Körn- chen mit Sicherheit zu erkennen. Nach 97 Tagen endlich be- ‚standen diese Nerven nur noch aus blassen, collabirten, eylın- drischen Schläuchen, den Ueberbleibseln der früher dagewese- nen Nervenröhren, die an Stelle ihres ursprünglichen Inhalts nicht einmal mehr continuirliche Reihen eingelagerter Fettmo- lekeln darboten, sondern stellenweise auch schon ganz leer _ erschienen. — Die degenerative Veränderung der zum Herzen bestimmten Neryenfasern war also vollständig eingetreten. Nun- - mehr kam es darauf an, mit diesem Befunde die Beschaffen- heit der Scheidewandnerven und deren Fortsetzungen, so wie die Beziehungen der entarteten Nervenfasern zu den Zellen zu vergleichen. Ich habe die bezüglichen Theile sowohl im ganz frischen Zustande, wie nach der oben erwähnten Behandlung mit verdünnter Chromsäurelösung und Karmin untersucht, und kann als Resultat der an neun Thieren gemachten Erfahrungen - Folgendes hervorheben, wobei ich mich zunächst an einen Fall halte, in welchem die Nervendurchschneidung beiderseits am 44 F. Bidder: 3. Juli ausgeführt war, und am 4. September, also nach 63 Tagen, zur Untersuchung kam. Die rami cardiaci zeigten sich in entschiedener und weit vorgeschrittener Fettmetamorphose; an keiner einzigen Primitiv- faser waren continuirliche dunkle Ränder und doppelte Contou- ren mehr nachweisbar; nur an wenigen Fasern erschienen hie und da noch Reste der von dunkelen Rändern umsäumten qua- derförmigen Inhaltsportionen. An Stelle des gänzlich unterge- gangenen ursprünglichen Inhalts fanden sich überall nur die bekannten Fettmolekeln von verschiedener Grösse und in wech- selnder Zahl, so dass sie jedoch niemals die ganze Breite der Nervenfaser einnahmen, sondern blos schmale Züge in dersel- ben bildeten. Der übrige Raum der Primitivröhren schien von durchscheinender, wahrscheinlich flüssiger- Masse eingenommen zu sein, oder es waren stellenweise auch die Wandungen ganz zusammengefallen. Von Axencylindern war in den so verän- derten Nervenfasern nichts wahrzunehmen; durch Karmin wurde in ihrem Inhalte nicht die geringste Andeutung von Tinction hervorgebracht, und während die neurilemmatischen Züge sich sehr entschieden färbten, wurden die von ihnen umschlossenen Röhren als farblose graue, von Fettkörnchen bezeichnete Bah- nen deutlich. ‘Wie gewöhnlich fanden sich auf beiden Körper- seiten an diesen rami cardiaci einige kleine Ganglienzellen- gruppen. Obgleich keine einzige dieser Zellen so günstig ge- lagert war, dass sie sich in allen Einzelnheiten übersehen liess, und obgleich die nachfolgende Behandlung mit Nadeln hieran nichts wesentliches änderte, so liess sich doch mit aller Sicher- heit constatiren, dass der Regenerationshergang diese inmitten entarteter Fasern gelegenen Zellen nicht erfasst hatte. Denn wenngleich es auch innerhalb der Nervenzellenscheide an Fett- molekeln nicht fehlte, so war doch nicht allein in dem ganz frischen Präparate die Substanz der Zelle selbst von der ge- wöhnlichen fein granulirten Beschaffenheit und von unverän- dertem Halt und Zusammenhang, sondern auch der Kern er- schien als scharf begrenzter, kreisrunder, bis auf das Kernkör- perchen ganz lichter Theil. Nach Zusatz von Karmin trat die rothe Tinction ganz in der gewöhnlichen Weise ein, mit einem Die Endigungsweise der Herzzweige u. s. w. 45 Wort, die Zelle war ganz intact geblieben, trotz des Zusam- _ menhangs, der ohne Zweifel auch hier zwischen ihr und dem Axeneylinder einer zutretenden Faser stattfand, und trotz der Uebereinstimmung in der chemischen Beschaffenheit beider. Die diesen Zusammenhang vermittelnde Spiralfaser nebst Faden- netz war aber nirgends auch nur andeutungsweise zu unter- scheiden; diese Verbindungsglieder mussten also ebenfalls ver- nichtet sein. Die Fettmolekeln zwischen der Scheide und dem Protoplasma der Nervenzellen waren höchstwahrscheinlich aus dem Zerfall dieser Theile entsprungen, deren gewundene und netzförmige Anordnung spurlos untergegangen war, weil diese letzten Enden der zutretenden Nervenfasern, die als nackte Ausläufer des Axencylinders anzusehen sind, einer zusammen- haltenden Hülle, wie solche den Nervenfasern auf früheren Strecken ihres Verlaufs zukommt, ermangeln. Die von den Zellen entspringenden, zu peripherischer Verbreitung bestimm- ten Axeneylinder habe ich an dieser Stelle nicht unterscheiden können, weil sie — wie ich schon oben bemerkte — wahr- scheinlich sofort in die Wand der anliegenden Vene sich ein- senken. In der Gegend des gangliösen Plexus, sowie an den Scheidewandnerven boten sich dagegen einige Zellen dar, die den erwünschtesten Aufschluss gaben (Fig. 6). Das rothtingirte halbmondförmig gestaltete Protoplasma der Zellen entsandte von seiner concaven Seite einen Faden, der an seiner ebenfalls rothen Färbung in unzweideutiger Weise als Axencylinder zu erkennen war, und obgleich es in seiner Umgebung an frei umherschwimmenden Fettmolekeln nicht fehlte, doch für sich eine ganz regelmässig cylindrische Form, scharfe Ränder, durch- aus gleichartige Substanz und keinerlei Andeutung eines Zer- falls darbot. Von Spiralfaser und Fadennetz war in keiner dieser, Zellen etwas wahrzunehmen, wohl aber zwischen Ner- venscheide einerseits und Protoplasma nebst Axencylinder an- dererseits eine beträchtliche Menge von unregelmässig zerstreu- ten Fettmolekeln. Der oben näher beschriebene Appendix des Zellenprotoplasma, der von dem Axencylinder durchsetzt und von der Spiralfaser umsponnen wird, schien unverändert ge- blieben zu sein, was zur Bestätigung seiner von der Nerven- AR > =. =. PB. Bidder substanz zu unterscheidenden und als bindgewebig bezeichneten Natur dienen kann. Das weitere Schicksal dieser intact ge- bliebenen Axencylinder oder geraden Fasern habe ich an dem in Rede stehenden Präparat allerdings nicht verfolgen können, es ist mir nicht einmal gelungen, mich davon zu überzeugen, dass sie zur Peripherie sich wandten. Aber nicht allein habe ich in anderen Fällen, die nach der Nervendurchschneidung zur Untersuchung kamen, die letztere Beziehung ganz wohl unterscheiden können, sondern ich konnte auch im vorliegenden Fall an diesem Verhalten nicht zweifeln, weil nur hierdurch die Beschaffenheit der Scheidewandnerven verständlich wird. Denn obgleich auch in ihnen degenerirte Fasern nicht fehlten, so bildeten sie doch nicht wie in den rami cardiaei das alleinige Element derselben, sondern neben ihnen kamen auch die oben erwähnten schmalen und blassen Fasern vor, die nicht die ge- ringste Spur von Entartung an sich trugen. Es schien gegen die Atrioventricularganglien hin die Zahl der degenerirten Fasern abzunehmen, die der unversehrten verhältnissmässig zu steigen, jenseits der genannten Ganglien habe ich entartete Fasern überhaupt nicht mehr nachweisen können. Vergleiche ich die im Vorstehenden angedeuteten Er- fahrungen mit den Ergebnissen, die Courvoisier nach Durch- schneidung der rami communic. des Frosches gewonnen und in den Figg. 5, 18, und 21 der seiner Abhandlung beigefügten Tafel dargestellt hat, so dürften die beträchtlichen Differenzen theils vielleicht auf der Verschiedenheit der zur Untersuchung benutzten Nerven beruhen, theils aber auch nur auf eine ver- schiedene Deutung des gleichen Objects zurückzuführen sein, Die in Courvoisier’s Fig. 5 wiedergegebene Zelle wird als frische „degenerirte* Becherzelle bezeichnet; indessen ist ein Unterschied zwischen ihr und den auf derselben Tafgl be- findlichen Abbildungen normaler Zellen durchaus nicht wahr- zunehmen, und ebenso ist im Widerspruch zu der Beschreibung der Figur weder an der spiraligen noch an der geraden Faser ein Zeichen von Degeneration angedeutet. Da die seit der Nervendurchschneidung verflossene Zeit nicht angegeben ist, so hatte wohl in dem Falle, dem diese Figur entnommen ist, die Die Endigungsweise der Herzweige u. s. w. 47 Degeneration einen unzweideutigen optischen Ausdruck noch nicht gewonnen. Auch in Fig. 18 ist eine frische degenerirte Becherzelle wiedergegeben, deren Fadennetz aus an einander gereihten Kügelchen besteht, und deren gerade Faser sowohl als auch Spiralfaser dieselbe Veränderung darbieten. In Bezug auf diese Figur kann ich nur bemerken, dass mir an den Herz- ganglien ähnliche Verhältnisse niemals entgegengetreten sind. Die Fig. 21 dagegen kann ich nicht umhin ganz in dem oben ausgeführten Sinn zu deuten. Fadennetz und Spiralen sollen hier nicht zu sehen sein „wegen des noch umgebenden Binde- gewebes.*“ Aber in der Abbildung ist von diesem störenden Umstande nichts angedeutet, und es scheint für eine ungewöhn- _ liche Entwickelung desselben auch kein Raum übrig gewesen zu sein. Ich meine das hier dargestellte Bild dahin deuten zu dürfen, dass die wahrscheinlich in Fettmolekeln zerfallene Spiralfaser nebst Fadennetz mit den bindegewebigen Scheiden . entfernt worden ist. Die Zellen dieser Figur werden als durch „exquisite Degenerationskügelchen“ ausgezeichnet angegeben Ich glaube diese kleinen „gestielten und an der Oberfläche der Zellen vorschiessenden* Knötchen für nichts anderes als Fettkügelchen ansehen zu müssen, die an die Zellenoberfläche sich anlegen und aus dem Zerfall des Fadennetzes abzuleiten sind. Für die Unversehrtheit der Zellensubstanz selbst scheint mir auch in diesem Fall der in allen Zellen ohne Ausnahme mit aller Schärfe bezeichnete und in keinerlei Weise alterirte Kern nebst Kernkörperchen zu sprechen. Damit stimmt auch überein, dass die mit diesen Zellen zusammenhängenden ge- raden Fasern als ganz normal beschaffen dargestellt werden, während die Röhren des Nervenbündels, dem diese Zellen auf- sitzen, durchgehends degenerirt sind. Ich müsste daher auch von den Zellen dieser Figur behaupten, dass die zuleitenden Spiralfasern durch Fettdegeneration zum Verschwinden gebracht, die Zellen selbst aber intact geblieben sind, und eben deshalb auch durchaus normale Axencylinder oder gerade Fasern aus sich heraustreten lassen. — Ueber die Veränderungen, die die im Innern der Scheidewandnerven enthaltenen spindelförmigen bipolaren Zellen oder die zugehörigen Nervenfasern durch die 48 F. Bidder: Vagusdurchschneidung etwa erleiden, kann ich für jetzt keine sichere Auskunft geben. Obgleich ich eine Alteration der- selben nicht habe nachweisen können, wage ich doch nicht zu behaupten, dass sie wirklich intact bleiben, weil sich mir aus den degenerirten Scheidewandnerven kein einziges völlig ein- wurfsloses Bild derselben dargeboten hat. Bei wiederholter Untersuchung dieser Angelegenheit wird dieser Punkt aber be- sondere Beachtung verdienen, da er eine Bedeutung hat, die über die in Rede stehende Stelle weit hinauszugehen scheint. Alle drei Wege, auf welchen ich die Endigungsweise der Herzzweige des Vagus zu ermitteln gesucht habe, haben dem- nach zu dem Resultate geführt, dass die Fasern dieses Nerven keinesweges in ununterbrochenem Verlauf zu dem Herzfleisch sich begeben, sondern zunächst in Ganglien eintreten, und dass dieses von allen in jenen Nerven enthaltenen Elementen gilt. Da diese Elemente ohne Ausnahme der breiten Art von Nerven- fasern angehören, während die aus den Ganglien austretenden Fasern schmale sind, so ist der Ausspruch Courvoisier’s S. 38), dass ächt spinale Fasern in ächt sympathische Zellen eintreten, nirgends besser und vollständiger zu erweisen als in den Herzganglien des Frosches. In der Bahn dieses Vagus- zweiges werden nun aber, da er den einzigen Weg bildet, auf welchem Impulse von aussen her zu den Herzganglien geleitet werden, nicht blos genuine die Hemmungswirkungen vermittelnde Vagusfasern, sondern auch exeitirende, in höheren Thierclassen auf die Sympathicusbahnen angewiesene Elemente enthalten sein müssen. Wenn man ferner voraussetzen darf, dass auch dem Froschherzen jene Elemente nicht fehlen, die, wie neuerdings von Ludwig für den N. depressor des Kaninchens nachge- wiesen ist, die Zustände der Herzsubstanz zum cerebralen Centrum zu leiten, und Uebereinstimmung zwischen der Herz- kraft und den ihr entgegenstehenden Hindernissen zu vermitteln vermögen, so werden nicht weniger als drei nach ihren physio- logischen Leistungen wohl zu unterscheidende Arten von Nerven- fasern in den unscheinbaren rami cardiaci des Frosches zu- sarmmengeordnet sein. Ich kann hierbei die Vermuthung nicht a a a a a Da sa a 4 Die Ergänzungsweise der Herzzweige u. s. w. 49 unterdrücken, dass die spindelförmigen bipolaren Zellen, die, wenngleich nur in spärlicher Menge, in den Scheidewandnerven sich nachweisen lassen, zu solchen die Leitung zum cerebralen Centrum vermittelnden Elementen gehören mögen. Der Um- stand aber, dass in die Bahn der rami cardiaci Elemente zu- sammengedrängt sind, die in ganz entgegengesetzter Weise auf die Herzganglien einzuwirken vermögen, wird auch zur Er- klärung dafür benutzt werden können, dass Durchschneidung der Vagusnerven bem Frosch die Rhythmik des Herzens nur selten und verhältnissmässig nur wenig oder selbst gar nicht ändert. Weil die durch die Nerventrennung in Wegfall kom- menden Impulse entgegengesetzter Art sind, so wird das Gleich- gewicht der Herzactionen durch jene Eingriffe nicht gestört, und wenn Galvanisirung der Vagi ganz regelmässig Stillstand des Herzens bewirkt, obgleich neben den hemmenden Fasern auch exeitirende Elemente von dem Reize getroffen werden, so mag das in einer grösseren Erregbarkeit jener seinen Grund. haben. Schliesslich dürfte aus den vorstehenden Untersuchungen in Verbindung mit früheren Erfahrungen auf diesem Gebiete sich ergeben, dass, wenigstens beim Frosch, die centrale Bedeu- tung einer in peripherischen Nerven eingebetteten Ganglien- zelle in festen anatomischen Merkmalen sich ausprägt, so dass nur die keulenförmisen mit Spiralfaser und Fadennetz ver- sehenen Zellen als Träger autonomer, aber nichtsdestoweniger von aussen beeinflusster Wirkungen anzusehen sind, während die verschiedenen Arten spindelförmiger und bipolarer Zellen blos mit der Aufgabe der Leitung (nur contripetal?) zu thun haben, und zu den für letztere bestimmten Nervenröhren eine Zugabe bilden, deren physiologische Leistung noch genauer zu ermitteln bleibt. Erklärung der Abbildungen. Sämmtliche Figuren sind von Stud. A. Bidder bei 450 maliger Vergrösserung eines Hartnack’schen Instrumentes gezeichnet, Figg. 1, 2 und 6 naeh Behandlung mit Goldchlorid, die übrigen nach Ein- wirkung von Chromsäure und darauf folgender Karmintinction. Bei Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 4 50 F. Bidder: Die Ergänzungsweise der Herzzweige u. s. w. allen Figuren ist die Nervenzelle nebst Anhang von der gekernten Primitivscheide umgeben, die durch die vorhergehende Essigsäure- einwirkung zu einem breiten lichten Ringe aufgequollen ist. Fig. 1. Von dem Rande der tellerförmigen Grube des Zellen- protoplasma erheben sich zipfelartige Fortsätze, die in zwei Kerne zusammentreten, aus denen abermals mehrere Fäden hervorgehen, welche sich in das anliegende Nervenbündelchen einsenken; spiralige Anordnung zeigt sich nicht. Fig. 2. Die gerade Faser lässt sich durch das Zellenprotoplasma bis dicht an den Kern verfolgen; da in letzterem wegen seiner tief- dunkeln Färbung ein Kernkörperchen nicht zu unterscheiden ist, so ist der Ursprung des die Zelle umspinnenden Fadennetzes aus dem nucleolus auch nicht zu sehen; einzelne Fäden des Netzes ragen über den Rand der Zelle hinaus und geben sich dadurch als selbstständige Gebilde zu erkennen. Die gerade Faser liegt in dem hyalinen Zellen- anhang, der von einigen Spiraltouren umgeben erscheint. Fig. 3 u. 4. Aus dem Zellenanhang gehen deutlich zwei Fasern hervor, eine breitere und gerade, die sich bis zu dem Zellenproto- plasma verfolgen lässt, und eine schmälere, deren Zusammenhang mit den mehrfachen und dicht gedrängten Spiraltouren nicht hervortritt, Letztere sind nicht über die ganze Breite des Zellenanhanges hin deut- lich ausgeprägt. Fig. 5. Das Protoplasma der Zelle ist ausgezeichnet durch seine Kugelgestalt und durch die bis an die tellerförmige Grube herab- gerückte Lage des Kernes. Die gerade Faser lässt sich bis zum Kern deutlich verfolgen; von dem Kernkörperchen gehen ein Paar zarte Fäden aus, die zur Aussenfläche der Zelle hindurchzudringen bestimmt scheinen. Am Rande der Grube sind mehrere feine Fäden zu unterscheiden, deren Ursprung von dem Kernkörperchen und dem Protoplasma dadurch wahrscheinlich wird, dass sie in eine den geraden Axencylinder begleitende, aber der Spiraltouren ganz ermangelnde schmale und gekernte Faser übergehen, Fig. 6. Dem vorderen Scheidewandnerven entnommene Zelle 63 Tage nach Durchschneidung des Vagus. Das Protoplasma nebst Kern und Kernkörperchen, der Axencylinder und der denselben um- gebende Zellenanhang sind ganz unverändert. An Stelle des Faden- netzes und der zweiten gewöhnlich spiraligen Faser findet sich inner- halb der Zellenscheide nur eine Menge von Fettmolekeln zerstreut. Dorpat, im September 1867. A. Schneider: Ueber Bau und Entwickelung von Polygordius, 51 Ueber Bau und Entwickelung von Polygordius. Von ÄANTON SCHNEIDER. (Hierzu Taf. II. u. III. A.) Die Gattung, welche den Gegenstand der folgenden Ab- handlung bilden soll, ist von mir bereits in einer vorläufigen Mittheilung !) beschrieben worden. Ich hielt sie damals iden- tisch mit der Gattung Rhamphogordius Rathke?). Seitdem ich aber durch die Güte des Herrn Professor Zaddach, dem ich hiermit meinen wärmsten Dank dafür ausspreche, Gelegen- heit hatte, das Originalexemplar des Rhamphogordius lacteus zu untersuchen, habe ich mich überzeugt, dass die von mir entdeckte Wurmgattung vielmehr neu ist. Sie erhält also auch einen neuen Namen Polygordius. Leider ist das einzige Ori- ginalexemplar des Rhamphogordius, namentlich das Schwanz- und Kopfende, wahrscheinlich schon durch die Untersuchung Rathke’s, sehr verstümmelt. Soviel ich daran beobachten konnte, hat aber Rhamphogordius keineswegs, wie Rathke in seiner Beschreibung vermuthete, irgend eine Aehnlich- keit mit den Nemertinen, sondern ist ein unzweifelhafter Nemathelminth, und zwar ein höchst merkwürdiger, der zur Aufstellung einer neuen Ordnung nöthigen wird. Ich behalte 1) Monographie der Nematoden. Berlin 1866. S. 326. 2) Nova Acta nat. cur. 1843 P. II. S. 237. 4* e. ers ARE 52 A. Schneider: mir vor, über den Rhamphogordius bei einer andern Gelegenheit zu berichten. Die Polygordius finden sich in Helgoland an der West- seite der Insel, nach aussen von den steilen Abhängen der Klippe. Sie wurden mit dem Schleppnetze herauf- gebracht, wenn dasselbe eine eigenthümliche Art von Detri- tus enthielt. Dieser Detritus von weisser Farbe, welcher meist aus Conchylien-Fragmenten besteht, soll nach Angabe der Fischer in Spalten der Gesteine liegen. Nicht blos, weil diese Stellen beschränkt sind, sondern auch weil die Westseite den Winden stark ausgesetzt ist, hält es schwer, sich diese Wür- mer in hinreichender Menge zu verschaffen. Wie wir aus der Verbreitung der Larven sehen werden, ist das Vorkommen der Gattung Polygordius oder einer nahen verwandten noch festge- stellt für Norwegen, das Mittelmeer, und die Ostküste von Nord- amerika. Wir werden zuerst Gestalt und Bau der zwei bei Helgo- and vorkommenden Species P. lacteus und purpureus und dann die Entwickelungsgeschichte einer im geschlechtsreifen Zustande noch unbekannten Species aus dem Mittelmeere be- schreiben. Polygordiuslacteus besitzt eine Länge von 40—50 Mm., eine Dicke von 1,5 Mm. Die Dicke ist im ganzen Körper ziemlich gleich und nimmt nur nach vorn etwas ab. In Alkohol con- trahirt sich das Thier sehr bedeutend, z. B. ungleich mehr als Nematoden. Der Querschnitt des Leibes ist flach elliptisch. Die Körperfarbe ist weiss mit einem Stich ins Rothe. Die Thiere krümmen sich wie Gordien knäuelartig zusammen, bewegen sich aber selten von der Stelle, meist verkriechen sie sich unter die Steinchen. Beim Anfassen brechen sie leicht in Stücke, weshalb man nur selten vollständige Exemplare erhält. Die Stücke bleiben noch Tage lang am Leben. Das Vorder- ende (Fig. 1) erkennt man leicht an den ziemlich langen und beweglichen Fühlern. Die Länge der Fühler ist nicht constant, auch an beiden Seiten oft ungleich. Ich vermuthe deshalb, dass dieselben sich verkürzen und verlängern können. Direct beobachten liess sich dies jedoch nicht. Die Fühler enthalten Ueber Ban und Entwickelung von Polygordius. 53 "einen Hohlraum, der mit der allgemeinen Leibeshöhle commu- nizirt. Der Mund bildet einen dreieckigen Spalt. Vor dem- selben liegt an jeder Seite eine quer gestellte schmale Grube, die auf dem Rücken der Mittellinie sich nähert, während sie: seitlich herumgreift und sich, wie es scheint, in den Mund verliert. Diese Gruben, welche sich auch durch eine dunklere Färbung auszeichnen, sind die einzigen bewimperten Körperstellen. Der Körper ist in Glieder getheilt, welche durch scharfe, die Haut durchsetzende Linien bezeichnet sind. Im vorderen Theile ist die Segmentirung nur im Innern durch die Anschwellungen des Darmes und‘ die Dissepimente ausgesprochen. Erst etwa über der zwanzigsten Darmeinschnürung bildet sich auch auf der Haut der Einschnitt aus. Aeusserliche Ver- tiefungen finden. sich an den Grenzen der Glieder nicht, son- dern die Körperbegrenzung bleibt immer geradlinig. Allein bei Berührung zerbricht das Thier doch genau in den Ein- schnitten der Glieder. Das Hinterende enthält die Afteröff- nung. Sie ist von 8 Zacken umgeben, welche die Figur einer Mauerkrone bilden (Fig. 2). Kurz vor dem Hinterende stehen im Leibesumfang gleich vertheilt etwa 24 Warzen. Ihre fein- höckerige Oberfläche ist nicht mit der gewöhnlichen festen Körperhaut überzogen, sondern weich. Mittelst dieser Warzen heftet sich das Thier, wie man schon auf dem Objectglas beobachten kann, auf der Unterlage nach Belieben fest. Bei Bewegungen des Thieres ziehen sich die Warzen ein Stück in die Länge ohne abzureissen. Die Art der Anheftung ist die- selbe, wie sie bei gewissen Turbellarien vorkommt. Genauer in die Structur dieser Organe liess sich nicht eindringen. An einem sehr jungen Polygordius, welchen wir weiter unten be- schreiben werden, glichen diese Organe sehr den Tastpapillen der Nematoden. Die Haut besteht aus einer weichen subcutanen und einer festen Cuticularschicht. Zellen lassen sich in der subeutanen Schicht nicht erkennen, dagegen viele stark lichtbrechende grössere Körner. An der Cuticularschicht unterscheidet man die bekannten gekreuzten Fasern. Es lässt sich daraus schliessen, dass diese Schicht aus mehreren Lagen besteht, obgleich man 54° A. Schneider: dieselben wegen der geringen Dicke nicht sicher trennen kann. Nach aussen von den gekreuzten Fasern scheint keine Lage zu folgen. Durch die ganze Dicke der Cutieularschicht laufen zahlreiche Porenkanäle von viereckigem Querschnitt, die frei nach aussen münden. Es gleicht mithin die Hautstructur voll- ständig derjenigen der borstentragenden Nemathelminthen. Auf der Haut erheben sich zahlreiche unregelmässig gestellte dünne Haare. ; Auf die Hautschicht folgt nach Innen die Muskelschicht. Sie besteht nur aus Längsfasern. Die Platten der fibrillären Substanz stehen mit ihren Kanten auf der Haut dicht neben- einander, wie die Blätter eines Buches. Es gleicht somit die Muskelschicht vollständig der eines Gordius, und wir würden den Polygordius also zu den Holomyariern rechnen müssen. Diese Platten fibrillärer Substanz haben zwar nur eine be- schränkte Länge, erstrecken sich jedoch immer durch mehrere Glieder und werden in keiner Weise von der Gliederung des Leibes betroffen. Der Muskelschlauch ist an vier Stellen unterbrochen: in der Rücken- und Bauchlinie und in den bei- den Seitenfeldern. Diese in der That schmalen ') Seitenfelder habe ich bei meiner früheren Mittheilung übersehen. Sie wür- den auch gar nicht auffallen, wenn sie nicht durch den Ansatz der Quermuskeln bezeichnet würden. Von der Bauchlinie gehen nämlich breite bandartige Quermuskeln nach den Seitenfeldern, welche sich an der subeutanen Schicht inseriren. Diese ven- tralen Quermuskeln kommen, wie ich jetzt gezeigt habe?), bei den gegliederten borstentragenden Nemathelminthen allgemein vor und entsprechen den bei den Männchen der Nematoden s0 deutlichen Musculi bursales. Ich muss jetzt hinzufügen, dass sie auch bei den Weibchen der Nematoden ihr Analogon besitzen, nämlich in den Dilatatoren der Vulva, Muskeln, welche eben- falls von der Bauchlinie nach den Seitenfeldern gehen ®). Andere (uerfortsätze der Muskelschicht nach der Bauch- und Rücken- 1) Bei dem später zu beschreibenden sehr jungen Polygordius sind die Seitenfelder viel breiter, 2) Monographie der Nematoden. 8. 328. 8) 1. ce, Taf, XXI, Fig, 4. Ueber Bau und Entwickelung von Polygordius. 55 linie giebt es bei Polygordius nicht. Die Dissepimente kann man auch als zur Muskelschicht gehörig betrachten. Sie be- stehen aus einer homogenen Grundmasse, welche in den der fibrillären Substanz aufliegenden Theil der Muskelschicht un- mittelbar übergeht. Im dieser homogenen Grundmasse liegen einzelne Muskelfasern eingebettet welche von der Rücken- und Bauchlinie ausstrahlend (Fig. 5) sich in den Seitengegenden kreuzen. Ein Nervensystem liess sich nicht nachweisen, doch scheint am Mund ein Ganglion zu liegen. Es wäre jedoch gewiss falsch den Polygordius deshalb ein Nervensystem ab- sprechen zu wollen. Der Verdauungskanal beginnt mit einem Oesophagus, der ein wenig dünner und länger ist als die folgenden Darm- segmente. Man könnte ihn von Aussen für ein gewöhnliches Darmsegment halten, allein auf Querschnitten zeigt er denselben Bau wie der Oesophagus eines Nematoden, nur dass die Muskel- schicht verhältnissmässig dünn ist. Der Darm besteht aus vielen cylindrischen Zellen mit feinkörnigem Inhalt, die auf ihrer Innenfläche wimpern. Der Querschnitt des Darmes ist eine Ellipse, deren Längsaxe dorso- ventral gestellt ist, ja, der Darm liegt ziemlich genau an der Rücken- und Bauchlinie an. Obgleich sich bei der Zart- heit der Gewebe nicht Alles deutlich erkennen lässt, so glaube ich doch gesehen zu haben, dass ein von der Bauch- und Rückenlinie ausgehendes Mesenterium vorhanden ist, wie es bei Sagitta und Arenicola z. B. so deutlich erkannt wird. Die Einschnürungen des Darmes finden nur von der Seite her statt, weshalb man auch nur, wenn das Thier auf der Rücken- und Bauchlinie liegt, die Segmente des Darmes erblicken kann, während, wenn das Thier genau auf der Seite liegt, der Darm ganz ungetheilt erscheint. Ein besonderer Mastdarm lässt sich nicht unterscheiden. Der Hauptstamm des Blutgefässsystems liegt auf der Rückseite zwischen Darm und Rückenlinie, also wahrscheinlich im Mesenterium eingebettet. In jedem Segment und zwar am Vorderende desselben entspringt rechts und links ein Ast, 56 A. Schneider: welcher gleiche Weite mit dem Stamm besitzt (Fig. 3). Nach- dem dieser Ast bis an das Seitenfeld nach aussen gelaufen, biegt er nach hinten um und endigt blind im Hinterende des Segmentes. An seinem Vorderende, welches unmittelbar vor der Mundöffnung liegt, giebt der Stamm ebenfalls zwei solche Aeste ab, welche aber nicht blind enden, sondern auf der Bauchseite sich durch eine quere Anastomose verbinden (Fig. 4). Die Blutgefässe sind sehr dünnwandig, Das Blut hat eine rothe Farbe, enthält aber keine Blutkörperchen. Eine Circu- lation desselben liess sich nicht wahrnehmen. Jedes Segment in dem mittleren Theil des Körpers ent- hält ein Segmentalorgan. Dasselbe ist ein überall gleich- weites innen wimperndes Rohr, welches in gerader Richtung fast durch die ganze Länge des Segmentes sich erstreckt, sich vorn mit einem kurzen Schenkel nach innen, hinten ebenso. nach aussen bieg. Die Mündung nach aussen schien mir am Hinterende zu liegen, allein mit Sicherheit habe ich nie- mals die Durchbohrung der Haut gesehen. Die Geschlechtsorgane sind auf verschiedene Indivi- duen vertheilt, äusserer Unterschied der Geschlechter schien mir nicht vorhanden. Eier und fadenförmiger Saamen lagen in dieser Jahreszeit — August — in den hinteren Segmenten, Es liessen sich weder Ausführungsgänge noch besondere Ge- schlechtsorgane nachweisen. Polygordius purpureus kam mir nur in wenigen Exem- plaren vor, daher ich eine ausführliche Beschreibung nicht geben kann. Er ist von 15 Mm. Länge und fällt durch seine intensiv blutrothe Farbe leicht auf. Der Kopf ist mit zwei langen Fühlern besetzt (Fig. 6). Das Hinterende weicht von dem des P. lacteus ab, indem es nur aus zwei ungleichen Lippen gebildet wird (Fig. 7). Der Mund befindet sich immer in einem dicken dem Körper aufsitzenden bluthrothen Wulste, welcherdurch jede etwas unsanfte Berührung abgerissen werden kann (Fig. 8). Es hat mir immer geschienen, als ob dieser Wulst nur ein Pro- lapsus des Oesophagus wäre, welchen das Thier vielleicht selbst hervorbringt, wenn es aus seinem natürlichen Aufenthalt in der Ueber Bau und Entwicklung von Polygordius. 57 _ Tiefe genommen wird. Die Thiere sind hermaphroditisch und - enthielten im August reifen Saamen und Eier. Wir gehen nun zur Entwicklungsgeschichte über. Die Larve des Polygordius ist schon längst bekannt, es ist die be- rühmte Loven’sche!) Annelidenlarve, über deren Schicksal so- viel Vermuthungen anfgestellt worden sind. Wie Loven selbst so haben auch die Späteren vermuthet, dass ein borstentragen- der Ringelwurm daraus hervor gehen müsse. In neuester Zeit nur hat Alex. Agassiz’) eine mit der Loven’sehen nahe verwandte Larve beschrieben, die sich zu einer Turbellarie entwickeln soll. Alle diese Vermuthungen mussten die Wahr- heit verfehlen, da eben der erwachsene Polygordius vollkommen unbekannt war. Ich selbst fand die nun näher zu beschreibenden Larven bei Nizza während des März. Meine Larven lassen sich von denen Agassiz’s nicht unterscheiden, dagegen sehr wohl von denen Loven’s. Die frühsten Stadien sind mir nicht vor- gekommen. Durch die Beobachtungen Loven’s, welche von Agassiz bestätigt werden, ist aber festgestellt, dass sie in einem jüngeren Stadium nahe zu die Gestalt eines Ei’s besitzen. Der breite Pol ist das Kopfende, der spitze das Hinterende, welches den After enthält. Mehr dem Vorderende genähert läuft ringsherum ein breiter stark wimpernder Wulst. Dicht hinter demselben liegt der Mund. Der Wurm wächst nun in der Weise aus, dass sich im hintern Theil der After alseindünner Cylinder verlängert. In diesem letztern Stadium fand ich die Larve (Fig. 9). Um den Aequator des kugelförmigen Theiles verläuft ein vorspringender Wulst, welcher zwei Reihen von Wimpern trägt. Hinter demselben liegt der Mund und hinter dem Mund folgt wieder ein Wimper- _ kreis, welcher aber nicht vorspringt, auch nur eine Reihe von Wimpern besitzt. 1) K. Vetenkaps Academiens Handlingar 1840 und Wiegmann's Arch. 1842, P. 302. 2) Annals Lyceum, Nat. hist. of New-York. Vol, YIIL. June 1866. Pag. 303, ER EETEOE ENERE 58 A. Schneider: Der Vorderpol trägt einen kurzen kegelförmigen in dorso- ventraler Richtung etwas breitgedrückten Aufsatz, der an seiner Spitze mit Wimpern besetzt ist und jederseits einen schwarzen Augenpunkt trägt. Dieser Aufsatz ist solid, und die ihn bil- dende zellige Masse springt nach hinten in das Innere der Körperhöhle halbkuglich vor. In der Leibeszelle des vorderen Theiles der Kugel verlaufen zarte Linien, theils in der Richtung von Parallelkreisen theils in der Richtung von Meridianen. Es sind wahrscheinlich Muskelfasern. Denn wenn dieser Körper- theil sich, wie es mitunter sehr lebhaft geschieht, contrahirt, bilden sich Einschnürungen, welche dem Verlauf dieser Linien entsprechen. Das lange wurmförmige Hintertheil ist gegen das kugelförmige Vordertheil scharf abgesetzt. Um das Hinterende befindet sich ein Wimperkranz. Der Darm beginnt mit einem kurzen und engen Oesophagus, der schief nach innen und vorn gerichtet ist und in eine weite senkrecht auf die Längsaxe ver_ laufende Abtheilung des Darmes mündet, welche dann nach hinten in den gerade verlaufenden Darmtheil übergeht. Der Darm zerfällt durch Einschnürungen in etwa zwölf Abtheilungen. Am Hinterende bleibt ein längeres Stück ungetheilt. Die Muskeln lassen sich schon unterscheiden, und es sind deutlich die beiden Seitenfelder vorhanden, die etwa ein Sechstel des Leibesum- - fanges einnehmen. Die Muskelfelder endigen am kugelförmigen Theil. Jedes der ventralen Muskelfelder geht aber in einen dünnen Strang über, welcher nach vorn in den Aufsatz an dem Vorderpol übergeht (Fig. 13). An der Haut des wurmförmigen Theiles kann man eine feste Cuticula unterscheiden, auf welcher einzelne Haare aufsitzen. Unter der Cuticula liegen ölartige Kugeln von orangegelber Farbe, welche bereits von A. Agassiz beschrieben worden sind’). Ein Kreis derselben liegt vor dem vordern Wimpernkranz, und vier Längsreihen verlaufen an dem Hinterleibe, so dass ungefähr auf jedes Seg- ment in jeder Reihe eine Kugel kommt. An dem hintern Wimperkranz häufen sich dieselben wieder mehr an. Es er- innern diese Kugeln an ganz ähnliche, welche bei Aeolosoma 1) Lovön beschreibt von seiner Larve keinen derartige Kugeln Ueber Bau und Entwicklung von Polygordius, 59 vorkommen. Ist das Thier unverletzt, so lassen sich noch keine Andeutungen einer Segmentirung der Haut erkennen, Drückt man aber dasselbe mit dem Deckglas, so zerfällt es durch scharfen Einschnitt in seine Segmente, Die Veränderungen, welche nun mit der Larve vor sich gehen, bestehen darin, dass an dem Aufsatze vor dem Pole zwei Tentakel sprossen, und dass das kugelförmige Vordertheil allmählig schwindet, bis daraus der kegelförmige: Kopf des Wurmes wird. Die Abbildungen Fig. 10—15 werden hinreichen, um von den allmählichen Veränderungen eine Vorstellung zu geben. In der Gefangenschaft lebten die Larven längere Zeit, allein sie entwickelten sich nur langsam und verkümmerten sichtlich.!) Ich war deshalb im wesentlichen auf das Resultat der pela- gischen Fischerei angewiesen, doch sind mir nlle Stadien wieder- holt zu Gesicht gekommen. Der glücklichste Fund war der eines vollkommen ausgebildeten Exemplar’s, welches alle Charac- tere eines Polygordius an sich trug, durch seine Grösse und die orangefarbenen Kugeln aber hinreichend die Abstammung von diesen Larven an den Tag legte (Fig. 14). Dasselbe zeigt auch kurz vor seinem Hinterende den Kranz von Haftorganen, welche aber etwas abweichen von den bei P. lacteus vorkommenden. Es sind einfache kegelförmige mit einer inneren festeren Pulpa versehene Fortsätze, die an die Papillen der Nema- toden erinnern. Dass Polygordius zu den Nemathelminthen gehört und unter denselben eine eigene Ordnung bilden muss, habe ich bereits in der oben citirten Stelle des Nematodenwerkes auseinander gesetzt. Will man die systematische Stellung des Polygordius bezeichnen, so kann man ihn einen gegliederten Gordius nennen. In einem ähnlichen Sinne würden z. B. Nereis Glycera Lumbricus gegliederte Ascariden sein. 1) Daraus erklärt sich auch, warum die in der Gefangenschaft aufgezogenen Larven von Agassiz keine Tentakel besassen. WE 1° VE a EHE ne { a RUN 60 A. Schneider: Ueber Bau und Entwickelung von Polygordius ete. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Polygordius lacteus. Kopfende von der Rückenseite. f. Wimpergrube, g. Ganglion? o. Mund durchscheinend. Verg. 34. Fig. 2. Derselbe. Schwanzende. p. Haftorgane. Verg. 34. Fig. 3. Derselbe. 2 Glieder aus dem mittleren Körpertheile. Bauchseite. a. Gränze eines Gliedes. ‘. Darm. s. Segmentalorgan und dessen Mündung. pt. Dissepimente. Verg. 34. Fig. 4 Derselbe. Blutgefässe vom Kopfende. 2. Längsstamm. r. erster Seitenast. n. Anastomose zwischen den beiden ersten Seitenästen ventral gelegen. r“ r'' zweiter u. dritter Seitenast, blindendigend. Fig. 5. Derselbe. Querschnitt an einem Spiritusexamplare durch die Gränze zweier Ringe geführt. . Darm. pt. Dissepiment, m. Leibes- muskelschicht. c. Hautschicht. mb. ventrale Quermuskel. v. Bauchlinie. !. Seitenlinie. Verg. 90. Fig. 6. Polygordius purpureus. Kopfende. Rückseite. i. Darm, Verg. 34, » Fig. 7. Derselbe. Schwanzende seitlich. o. Eier. Fig. 8. Derselbe. Kopfende. Bauchseite. o. Mundöffnung zwischen den beiden Wülsten. Fig. 9. Larve des Polygordius. Rückseite. oc. Augenpunkte. r. Strang. ff. gelbe Tropfen. Verg. 62. Fig. 10. Dieselbe. Vorderende. Seite. 7. Retractor. o. Mund. Fig. 11. Dieselbe. Kopfende. Rückseite. a. Fühler. oc. Augen n. fragliche. Organe. Der Larvenkopf fast geschwunden, eine Wimperreihe. Fig. 12. Dieselbe. Fast in gleichem Stadium. Länge der Fühler grösser. Fig. 13. Dieselbe. Larvenkopf etwas geschwunden, um die Ent- stehung des Stranges. r. aus einer Verlängerung der Bauchmuskel- felder zu zeigen. /. Seitenfeld, o. Mund. Fig. 14. Polygordius wie er aus dieser Larve hervorgeht. Verg. 90. W. Laschkewitsch: Ueber die Ursachen u. s. w. 61 Ueber die Ursachen der Temperatur-Erniedrigung bei Unterdrückung der Hautperspiration. Von Dr. W. LASCHKEWITSCH aus Petersburg. Es ist eine längst bekannte Thatsache, dass, wenn man einem Thiere durch Ueberziehen der Haut mit Leim, Firniss, Eiweiss oder irgend einem anderen klebrigen Stoffe die Haut- perspiration unterdrückt, bei demselben krankhafte Erschei- nungen eintreten, unter denen das Thier zu Grunde geht. Diese Erscheinungen sind: Unruhe, starkes Zittern, anfangs beschleunigte Athembewegungen und verstärkte Pulsfrequenz, die später allmälig in eine Verlangsamung übergehen, Sinken der Bluttemperatur bis 20—19° C. und Auftreten von Eiweiss im Harne. In einigen Fällen stellen sich Krämpfe ein. — Das abgekühlte Thier sinkt endlich scheintodt zusammen, die Athembewegungen und Herzthätigkeit sind kaum bemerkbar. — Valentin fand, dass in diesem Zustande die Menge der ausgeschiedenen Kohlensäure auf einen kleinen Bruchtheil ('/, bis !/,) der normalen sinkt. (Dasselbe beobachtete Dr. Jacoby bei der künstlichen Abkühlung von Thieren. Medicynsky Wiestnik, St. Petersburg 1863). Bald nachher tritt auch der Tod ein. Bei der Obduction ergeben sich starke Blutfülle der Haut, des Unterhautgewebes der Muskelsub- stanz, Hyperaemie der inneren Organe, wie: Lungen, Le- ber, Nieren und Milz, Ergüsse in die serösen Höhlen. In der 62 W. Laschkewitsch: Leber verschwindet der Zucker. Bemerkenswerth ist es, dass die Lebensgefahr von der Hautfirnissung sich nach der Grösse des Thieres richtet; je kleiner das Thier ist, desto schneller geht dasselbe zu Grunde. So sterben Kaninchen schon nach 6—12 Stunden, während das Pferd nach Gerlach’s Beobach_ tung erst nach mehreren Tagen zu Grunde geht. Claude Bernard behauptet, dass das gefirnisste Thier am Leben blei- ben kann, wenn nur eine kleine Hautstelle frei gelassen wird. Dagegen haben Edenhuizen’s Versuche gezeigt, dass ein Thier unrettbar zu Grunde geht, wenn die Hautfirnissung !/; Theil der ganzen Oberfläche übertrifft. Meine Versuche haben in dieser Beziehung die Angaben von Edenhuizen vollständig bestätigt. Höchst interessant sind die Beobachtungen von Valentin über die belebende Wirkung der Erwärmung auf die gefirnissten Thiere. Derselbe fand, dass alle krankhaften Erscheinungen aufgehoben werden können, wenn das gefirnisste Thier in eine höhere Temperatur (20—25°) gebracht wurde. Das Thier er- holt sich vollständig, selbst wenn es dem Tode nahe war, wird munter, bewegt sich kräftig und nimmt wieder Nahrung zu sich (Arch. für physiol. Heilk.Bd. 11, 5.433). Die Menge der aus- geschiedenen Kohlensäure erreicht wieder die normale Höhe. Dasselbe ist auch von Schiff beobachtet worden. Was Menschen anbelangt, so steht es fest, dass sie aus- gedehnte Hautverbrennung nicht überleben können. Daraus schliesst man, dass Störungen der Hautfunctionen ebenso ge- fährlich sind für Menschen, wie für Thiere.. Doch muss man gestehen, dass Hautverbrennung ein complieirterer Vorgang ist, als die blosse Firnissung der Haut. Dieser Vorgang ist haupt- sächlich zusammengesetzt aus einem fieberhaften Zustande, Ent- zündung der Haut, der inneren Organe, wie des Duodenum, der Leber, Nieren und Lungen. Dabei stellen sich heftige Schmerzen ein, die nicht unberücksichtigt bleiben sollten. Alle diese pathologischen Erscheinungen kommen nie zum Vorschein bei der Hautfirnissung. Man bekämpft gewisse Hautkrankhei- ten dadurch, dass man die ganze Oberfläche des Körpers mit Schmiersalben bedeckt und nachher die Kranken das warme Ueber die Ursachen der Temperatur-Einiedrigung u.s.w. 63 Zimmer hüten lässt. Dabei stellen sich keine krankhaften Er- scheinungen ein. Die Geschichte liefert jedoch ein unglück- liches Beispiel von der Gefährlichkeit der unterdrückten Haut- perspiration auch bei Menschen. Zur Krönung des Papstes Leo X. wurde ein Kind, das einen Engel darstellen sollte, vergoldet und starb, noch ehe es seine hohe Rolle ausführen konnte. Was ist die Ursache dieses Phänomens? Bis jetzt blieb diese Frage unbeantwortet. Man nimmt gewöhnlich an, dass irgend ein Stoff existirt, der im Blute zurückbleibt, und der alle die erwähnten Erscheinungen hervorrufen soll. — Diese Erklärung, die vorgeschlagen wurde zu einer Zeit, als die Lehre von den „Retenta“ noch die ganze Medicin beherrschte, erhielt sich bis heute, und schien sogar bekräftigt zu werden durch die Arbeit von Edenhuizen (Nachr. von der Universität zu Göttingen 1861 S. 2838). Der Letztere glaubt diesen angeb- lichen Stoff nachgewiesen zu haben, indem er eine Spur von flüchtigem Alkali auf freien Hautstellen des gefirnissten Thieres bemerkte; dieses soll nach ihm im normalen Zustande nicht vorkommen. Doch diese Behauptung kann ich nach meinen Versuchen als irrig bezeichnen. Die Angabe von Edenhuizen konnte aber nicht alle Zweifel an der Existenz des schädlichen Stoffes überwinden, die von manchen Physiologen (Rosenthal, Kühne) ausge- sprochen wurden. Die Frage blieb also ungelöst. Ich habe deshalb im Laboratorium des Herrn Professor du Bois-Rey- mond eine Reihe von Versuchen zur Lösung dieser Frage un- ternommen. Ich ergreife diese Gelegenheit, um Herrn Pro- fessor du Bois-Reymond meinen Dank dafür zu sagen. Als Versuchsthiere brauchte ich Kaninchen; zur Firnissung benutzte ich Leim, Asphaltfirniss und Oelfirmiss. Meine erste Aufgabe war, mich zu überzeugen, ob das flüchtige Alkali wirklich nur bei bestrichenen Thieren vorkomme und im normalen Zustande fehle, wie es Edenhuizen be- hauptet. — Meine Versuche haben jedoch, wie ich schon früher erwähnt, gezeigt, dass dies Alkali sich ebenso constant wahr- nehmen lässt bei normalen wie bei gefirnissten Thieren. Das- De aD a a I a”, Ri de U \ 64 W. Laschkewitsch. selbe ist nichts anderes, als das Zersetzungsproduct der Haare und der Epidermis, es kann bei einem und demselben Thiere auf verschiedenen Hautstellen mit grösserer oder geringerer Leichtigkeit wahrgenommen werden, ist also nichts Abnormes. Weiterhin habe ich das Blut von bestrichenen Thieren mikroskopisch und mit dem Spectral-Apparat untersucht, er- hielt aber nur negative Resultate. In der Voraussetzung, dass diese schädliche Substanz viel- leicht im Blute circulirt, habe ich das Blut von gefirnissten Thieren gesunden eingespritzt, in der Hoffnung, irgend eine krankhafte Erscheinung dabei wahrzunehmen. Das war aber nicht der Fall. Ich bin deshalb geneigt, die Existenz einer solchen schädlichen Substanz als Folge der unterdrückten Hautperspiration in Abrede zu stellen. Gerlach und einige frühere Autoren sind der Ansicht, dass der Tod bei Hautfirnissung durch Asphyxie verursacht wird. Obwohl einige Ueberlegung diese Anschauung höchst unwahrscheinlich macht, konnte ich dieselbe doch nicht unbe- rücksichtigt lassen. Ich sah mich deshalb veranlasst, folgenden Versuch anzustellen: Ein Kaninchen wurde in ein mit Wasser- stoff gefülltes Gefäss gesetzt, über die Schnauze des Thieres wurde eine Mundkappe gezogen, welche mittelst einer den Boden des Gefässes durchbohrenden Röhre mit der Aussenluft in Verbindung stand, und so dem Thiere die nöthige Athmungs- luft zugeführt. Das Thier konnte in diesem Apparat ohne Schaden 6 Stunden bleiben. Daraus folgt also unmittelbar, dass die bei gefirnissten Thieren eintretenden krankhaften Er- scheinungen nicht von der Aufhebung der Hautathmung ab- hängig sind. Es blieb mir also Nichts übrig, als die örtlichen Ver- änderungen der gefirnissten Hautstellen direkt zu untersuchen. Zu diesem Zwecke bedeckte ich einem mittelgrossen Kaninchen die ganze hintere Extremität mit Firniss. Nach zwei Stunden bemerkte ich auffallender Weise, dass die gefirnisste Extre- mität viel wärmer war, als die andere. Ein unter die Haut gestecktes Thermometer zeigte an der gefirnissten Extremität 34,5° C., an der ungefirnissten 33°, Ich stellte darauf das be- Ueber die Ursachen u. s. w. 65 festigte Kaninchen in ein kaltes Zimmer, um die Abkühlungs- erscheinungen an den Extremitäten zu studiren. Eine nach einer Stunde vorgenommene Temperaturmessung ergab am ge- firnissten Bein 33,2°, am ungefirnissten 32,50%. Das erstere hat also einen grösseren Wärmeverlust erlitten als das letztere. — Das Kaninchen starb nach 5 Tagen unter allen Erscheinungen der allgemeinen Abkühlung. Die Section ergab keine sichtbaren Veränderungen innerer Organe. Die Gefässe der gefirnissten Seite waren stark erweitert und mit Blut gefüllt, die Muskeln stark geröthet. Trotz dieser Hyperaemie war diese Extremität “ viel magerer als die andere. Der zweite Versuch wurde auf dieselbe Weise angestellt, nur mit dem Unterschied, dass ich anstatt Firniss Leim zum Bedecken benutzte. Das gewonnene r Resultat blieb dasselbe, wie im vorigen Versuch. — ‚Aehnliche Versuche, welche ich mit einem calorimetrischen Apparat angestellt habe, ergaben noch überzeugendere Resultate. Ich benutzte für den ersten Versuch zwei gleich grosse Kaninchen, von denen das eine mit Firniss bedeckt war, das andere un- verändert gelassen wurde. Zuerst wurde in den Apparat das gefirnisste Thier gebracht. Die Temperatur dieses Thieres war vor dem Versuch im Rectum 37,5°, die des Wassers 11°. Nach 10 Minuten erreichte das Wasser die Temperatur 15,5%, das Thier dagegen war bis 24° abgekühlt. Die verloren gegangenen 13,5° erhöhten die Temperatur des Wassers um 2,5°, Gleich darauf wurde in denselben Apparat das gesunde Kaninchen, welches eine Bluttemperatur von 39° hatte, gebracht. In derselben Zeit wurde dieselbe Wasserquantität um 1,5° erwärmt. Das Thier verlor während dieser Zeit 11°. Um jeden Zweifel an der Bedeutung dieses Versuches zu heben, der durch die Unmöglichkeit, zwei vollkommen gleich grosse Thiere zu bekommen, entstehen konnte, stellte ich nach- einander zwei Versuche mit einem und demselben Thiere an. Der erste bestand darin, dass ich das ungefirnisste Kaninchen in das Calorimeter brachte und es dort 5 Minuten verweilen liess. Die Bluttemperatur des Kaninchens war vor dem Hineinsetzen in den Apparat 40° C., beim Herausnehmen 37°. Die Tempe- ratur des Wassers vor dem Versuch 8,5, nach demselben 9,5. Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 5 66 W. Laschkewitsch: Am nächsten Tag machte ich mit demselben Kaninchen den zweiten Versuch. Ich firnisste das ganze Kaninchen und setzte es in denselben Apparat, der dieselbe Quantität von Wasser von derselben Temperatur (8,5) enthielt und liess es darin auch 5 Minuten. Die Bluttemperatur des gefirnissten Kaninchens war vor dem Versuch 39°, nach demselben 34°, Während dieser Zeit war die Temperatur des Wassers von 8,5° auf 10°, also um 1,5° gestiegen. Es ist also klar, dass das Thier mit der wunterdrückten Hautperspiration mehr Wärme verliert als im normalen Zustande. Zur Ergänzung meiner Arbeit habe ich einen Control- versuch angestellt. Derselbe bestand darin, dass ein mittel- grosses Kaninchen mit Firniss bestrichen und gleich darauf in Baumwolle eingewickelt wurde. Bei diesem Thiere stellten sich keine krankhaften Erscheinungen ein, das Kaninchen war munter, nahm Nahrung zu sich und lebte so lange es die er- wähnte Umhüllung trug. Aus allen diesen Versuchen folgt unmittelbar, dass alle pathologischen Erscheinungen, die nach der Hautperspiration bei Thieren eintreten, auf den vermehrten Wärmeverlust zurück- geführt werden müssen. Durch diesen letzteren lässt sich der von vielen Forschern beobachtete Umstand leicht erklären, dass bei der Hautfirnissung kleine Thiere schneller zu Grunde gehen als die grossen, weil die ersteren verhältnissmässig grössere Oberfläche besitzen. Ebenso die belebende Wirkung der höheren Temperatur, die Schiff und Valentin beobachtet haben. Jetzt fragt es sich, welche Bedingungen begünstigen diese Abkühlung? Bedingungen dazu sind in der Erweiterung (Hyper- aemie) der Blutgefüsse der Haut und des Unterhautgewebes gegeben. Sie ist also ein Phänomen demjenigen durchaus analog, welches nach der Durchschneidung der beiden Sympathici zum Vorschein kommt, wobei die Temperatur des Kopfes, der Ohren und des Halses sich erhöht, während die gesammte Temperatur des Blutes beträchtlich sinkt. Die Firnissung der ganzen Hautoberfläche wirkt wie die Lähmung der gesammten Gefäss- nerven. Die Erscheinungen sind daher dieselben, welche man bei Rückenmarkdurchschneidung beobachtet, wie sie noch ben worden ee (dieses Archiv 1866, S. 151). be ‚noch die Versuche von eh an Fröschen on und die Haut mit Gummi and bealilellen de, verhältnissmässig rasch zu Grunde gehen; schneidet man iem Frosch die Tuftzufahr a ab, dass man ihn habe, erklären dieselbe auf eine sehr einfache Weise. ter Quecksilber gebrachter Frosch kann die Athmung { e weil in seiner Lunge ein hinreichendes Luftquantum Dan — a die Lungen ee so Dr. Chr. Aeby: Seltene Rippenanomalie des Menschen. Von Dr. CHR. ArBy, Professor in Bern. (Hierzu Taf. III, B.) Abweichungen vom normalen Bau sind bei den Rippen Anomalien durch eine neue vermehren zu können; wenigstens ea Don, keine Seltenheiten. Ich glaube die Zahl der bereits bekannten gelang es mir nicht, in der mir zugänglichen Litteratur einen ähnlichen Fall aufzufinden. Die Ausbildung betrifft die erste und zweite rechtseitige Rippe eines ungefähr 17jährigen weiblichen Individuums, das in höchst ausgezeichneter Weise den Typus der Mikrocephalie, ausserhalb des Kopfes aber durchaus regelrechte Bildungs- verhältnisse darbot. Sie besteht im Wesentlichen darin, dass der Knorpel der ersten Rippe durch ein fibröses Band ersetzt war, während sie selbst in ihrem vorderen Ende mit dem ent- sprechenden Abschnitte ihrer Nachbarin knöchern zusammen- floss. Die Vereinigung begann über der Serratusrauhigkeit der zweiten Rippe und erstreckte sich bis zu deren vorderem Ende. Sie erzeugte eine Stelle von dreiseitiger Form, welche, mit der Basis nach abwärts, mit der Spitze nach aufwärts gerichtet, die Continuität des ersten Zwischenrippenraumes unterbrach und denselben in eine grössere hintere und eine kleinere vor- dere Abtheilung zerfällte. Von der Substanz der beiden Rippen Seltene Rippenanomalie des Menschen. 69 war sie weder äusserlich noch innerlich abgesetzt. Abgesehen von dieser Verwachsung bot die erste Rippe nichts eigenthüm- liches dar; in Form und Grösse stimmte sie genau mit der- jenigen der gegenüberliegenden Seite überein. Anders die zweite Rippe. Bis zur Insertionsstelle des Serratus erhielt auch ‘sie sich durchaus normal, dagegen war ihr vorderes Ende un- gefähr um 25 Millimeter verkürzt. Durch eine entsprechende Verlängerung des Knorpels wurde dieser Ausfall so vollständig gedeckt, dass der beiderseitigen Symmetrie kein Eintrag geschah. Eine anderweitige Veränderung hatte der Knorpel nicht erlitten . und namentlich war er mit Bezug auf Höhe und Dicke durch- aus normal. Diese regelrechte Beschaffenheit des zweiten Rippenknorpels zeigt zur Genüge, dass es sich hier nicht um eine jener schon mehrfach beobachteten Verschmelzungen zweier Rippenenden handeln kann. Denken wir uns die knöcherne Verbindungs- brücke mit der ersten Rippe hinweg, so haben wir eine zweite Rippe, welche mit Ausnahme der etwas bedeutenderen Längen- entwickelung des Knorpels in keiner Weise von der Norm sieh entfernt. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird aber noch dadurch gestützt, dass der Sternaltheil der ersten Rippe eben- falls, wenn auch in eigenthümlich modificirter Form vorhanden war. Von ihrem vorderen Ende ging nämlich ein starkes Faser- band (1) aus, welches zum Seitenrande des Brustbeins, dicht unter dem Schlüsselbeineinschnitt hinübertrat. Es erreichte indessen das Brustbein nicht unmittelbar, sondern heftete sich an einen ansehnlichen knorpligen Fortsatz (c), der am Manu- brium bis zum Ansatze des zweiten Knorpels sich herabzog und es rechterseits gleichsam einsäumte. Offenbar kommt hier eine unvollkommene Verknöcherung des Manubrium in Betracht, wie sich daraus ergiebt, dass dessen rechte Hälfte in trans- - versaler Richtung weitaus weniger entwickelt ist, als die linke; dagegen kann der von ihm ausgehende Knorpelfortsatz nichts anderes sein, als der mediane Abschnitt des ersten Rippen- knorpels, dessen lateraler Theil*zu dem bereits erwähnten Bande sich umgestaltet hat. Somit sind morphologisch beide Rippen vollständig vorhanden, nur dass der Sternaltheil der 70 Dr. Chr. Aeby: ersten eine ungewöhnliche Differenzirung erlitten hat. Auf- fällig ist namentlich gegenüber der regelwidrigen Knochenbil- dung die Schwächung des normalen Verknöcherungsprocesses; eine Knochenbrücke hat sich von der ersten zur zweiten Rippe hinübergeschlagen, dafür ist diese in ihren vorderen Enden gleich der rechten Hälfte des Manubrium sterni hinter der Gränze des regelrechten Wachsthums zurückgeblieben. Auf Seiten der Muskulatur wurden nur die intercostales von dieser Ausbildung betroffen, indem ein Theil des ihnen sonst angewiesenen Raumes anderweitig in Beschlag genommen war. Dabei zeigte sich die merkwürdige Thatsache, dass die Schicht der intercostales externi in ununterbrochener Lage über die äussere Oberfläche der geschilderten Brücke hinwegzog. Sie verlor dabei freilich ihre Contractilität und bestand dem- nach nieht mehr aus Muskelfasern, sondern aus Sehnenfasern. Indem diese nach beiden Seiten allmählich in jene übergingen, ergaben sie sich als ihnen durchaus homolog, und bestätigten von neuem den Satz, dass Gebilde morphologisch gleichartig sein können, ohne dass sie physiologisch das geringste mit ein- ander gemein haben. Es ist bekannt, dass überall dort, wo aus irgend einem Grunde die Beweglichkeit verloren geht, als Aequivalent für die Muskelfaser die Sehnenfaser auftritt. So eigenthümlich auch unser Fall sich gestaltet, so scheint er doch eines Anschlusses an anderweitige Beobachtungen fähig zu sein. Struthers!) beschreibt eine erste Rippe, die in ihrem ersten Theile ligamentös entartet war und Luschka?) gedenkt eines Falles, wo die erste Rippe wegen Kürze ihres Knorpels das Brustbein gar nicht erreichte, dafür aber mit abgerundeten, nach unten überknorpelten Enden mit einem ihr entgegenwachsenden ebenfalls überknorpelten Fortsatz derzweiten Rippe in gegliederte Verbindung trat. Ich bin zur Annahme geneigt, dass es sich bei uns um eine Combination dieser beiden Fälle, verbunden mit einer Umwandlung des Gelenkes in knöcherne Verwachsung handelt. Eine morphologische Deutung der vorliegenden Verhältnisse Dr 1) Monthly Journal 1853, 2) Luschka, Anatomie des Menschen. Tübingen 1863. I, 2 pag.118. Seltene Rippenanomalie des Menschen. 71 liesse sich vor der Hand noch nicht geben. Vielleicht darf bei der fibrösen Umwandlung eines Rippentheiles an eine besondere Form des allgemeinen Typus, an einen ersten Schritt zur Umwandlung des vollständigen Visceralbogens in einen un- vollständigen, und eine Ueberführung der wahren Rippe in eine falsche gedacht werden. Bekanntlich finden’ sich derartige Mittelstufen normaler Weise am vorderen Rumpfende mancher 'Wirbelthiere. Dagegen findet die Verwachsung zweier Rippen im Thierreiche keinen Stützpunkt. Man hat zwar geglaubt, die Schildkröten als einen solchen betrachten zu können, aber es lässt sich mit Leichtigkeit be- ' weisen, dass der Panzer dieses Thieres nicht aus einer Ver- breiterung und Verschmelzung der Rippen, sondern aus einer Vereinigung der sie einschliessenden Hautplatten hervorgeht. Erklärung der Abbildungen. Cı, erste, C2. zweite Rippe, beide an ihrem vorderen Ende ver- schmolzen. c2. zweiter, cı. erster Rippenknorpel, letzterer rechterseits, rudimentär und durch das Band Il. mit seiner Rippe vereinigt. M Manubrium sterni. 72 Rabl-Rückhard: Einiges über Flimmerepithel und Becherzellen. Von Dr. RABL-RUECKHARD. Stabsarzt. (Hierzu Taf. IIA.) Die schon früher an Flimmerepithelien verschiedener Art gemachte, in neuester Zeit durch die Bemühungen von Eberth und Marchi erweiterte Beobachtung, dass unter Um- ständen eine Fortsetzung der Wimperhärchen bis in’s Innere der Zelle, in das sogenannte Protoplasma, sich nachweisen lasse, veranlasste mich, bei der Wichtigkeit dieser Frage für die Auffassung der Entstehung und Bewegung jener Gebilde, weitergehende Untersuchungen über das Flimmerepithel ver- schiedener wirbelloser Seethiere anzustellen. Mein Augenmerk war namentlich auf die oft wahrhaft riesigen Wimperhaare gerichtet, deren lebhaftes Spiel man an den Kiemen verschiedener Röhrenwürmer (Serpula, Sabella) bewundert. — So findet man an den Individuen der bei Helgo- land nicht seltenen Gattung Sabella (pavonina?) den bei der ankenförmigen Einrollung der kammartigen Kiemen nach innen gelegenen freien Rand der einzelnen Lamellen mit grossen, durch die gegenseitige Abplattung fast vierkantig erscheinenden, deutlich kernhaltigen Zellen bekleidet, welche sehr lange und dicke Wimpern tragen, während der obere oder äussere Saum derselben Blätter ein sehr kurzhaariges Epithel zeigt. — An abgeschnittenen, in Seewasser, als dem ihnen wohl Einiges über Flimmerepithel u, s. w. 73 conformsten Menstruum, aufbewahrten Kiemenfäden vermag . man nun stundenlang das Spiel der Flimmerhaare zu beobachten; während die in der Flüssigkeit wimpernd umhertreibenden, los- # getrennten einzelnen Zellen einen genauen Einblick in das Werhalten der Härchen gegenüber der, als Cuticula oder Ba- salmembran bezeichneten, Verdickungsschicht der Zellhaut, so- wie gegen den Zellinhalt gestatten. — Nirgends findet sich hier auch nur eine Andeutung einer . Fortsetzung der Wimpern über den freien Saum der Basalmem- - bran in’s Innere der Zelle, vielmehr sieht man, bei _ günstiger Lage des Objects, die Härchen mit etwas ver- M breiterter, in der Projection punktförmig erscheinender Basis der Cutieula aufsitzen. Letztere zeigt keine Streifung, sondern E hebt sich als völlig hyaline, stark lichtbrechende Schicht _ von dem etwas körnigen Zellinhalt ab. — Was die Bewegungserscheinungen der Wimperhaare betrifft, so wäre Folgendes zu erwähnen. Dieselben krümmen sich, _ indem ihre Spitze dem Ansatzpunkt der Basalmembran genähert = wird, fast nach Art eines winkenden Fingers. Diese Krümmung oe geschieht mit grosser Energie; dann schnellen die Haare wieder E in ihre gestreckte Lage zurück. Bei beginnendem Absterben, u doch auch bisweilen ziemlich früh, sieht man die Wimpern E ganzer Zellenreihen in jenem Contractionszustand, wo die Spitze gegen die Basis eingeschlagen ist, verharren; sie erscheinen R- dann um etwa die Hälfte verkürzt, dieker, und wie mit knopfförmiger Anschwellung endend. Letztere ist der optische Ausdruck der Knickungsstelle; die grössere Dicke rührt von dem Aneinanderliegen beider Hälften her. Aus diesem Con- ' traetionszustand können die Haare sich wieder lösen und ihr 4 Spiel’ von vorn beginnen; mit dem Erlöschen der Bewegungs- _ erscheinungen überhaupt aber verharren sie in diesem, gewisser- F massen tetanischen Zustande und sterben darin ab. — Ei Jedenfalls findet sich also hier keine Andeutung einer 5 e onsetzung der Flimmerhärchen in’s Innere der Zelle. Ich a glaube aber nun, dass bei der Erörterung des Verhaltens beider’ Bestandtheile zu einander im Allgemeinen, auch negative Re- sultate ihren Werth haben, zumal wenn man sie unter 74 RahiWüpkhard: Bedingungen erhält, wo Alles dazu angethan scheint, die Rein- heit und Leichtigkeit der Beobachtung zu begünstigen. Dies ist aber, wie gesagt, an den Kiemenblättchen der Sabellen in hohem Grade der Fall, indem man im Stande ist, ohne künst- liche Trennung oder Isolirung, ganze Zellenreihen in ihrem natürlichen Längsschnitt lange Zeit lebend zu beobachten, Besteht wirklich ein Zusammenhang zwischen Flimmerhaaren und „Protoplasma“ in der Weise, wie ihn Eberth und Marchi, gestützt auf den Befund am Darmepithel von Anodonta, an- nehmen, so würde man sich entschliessen müssen, diesen Zu- sammenhang zur Bedeutung eines typischen für alle Arten der Flimmerzellen zu erheben, und zu glauben, dass seine Er- kenntniss nur in den meisten Fällen durch anderweitige Um- stände erschwert oder verhindert werde. Sieht man trotzdem keine Spur einer dafür sprechenden Erscheinung da, wo die Verhältnisse so klar, wie in unserm Falle, zu Tage liegen, so kann man mit Recht die Deutung, welche jene Forscher der unter so viel schwierigeren Bedingungen gemachten Entdeckung einer Streifung des Zellinhalts geben, bezweifeln. — Dass im Uebrigen die äussere Erscheinung mit der von beiden Forschern!) gegebenen Schilderung und Zeichnung über- einstimmt, davon vermag man sich mit Leichtigkeit bei gleicher Behandlung des Anodontendarms (Maceriren in dünner Lösung doppelt chromsauren Kali’s oder in stark verdünnter Essigsäure) zu überzeugen. Was nun aber die Deutung der Erscheinung betrifft, so liegen zwei Möglichkeiten vor: entweder ist die Streifung der Ausdruck einer an der abgestorbenen Zelle auf- tretenden Gerinnung des Inhalts, respective Schrumpfung der Membran, oder sie besteht auch während des Lebens. — Ich muss gestehen, dass mir die Erledigung dieser Frage von geringerer Wichtigkeit erscheint. Denn das constante Auf- treten einer, durch ganz bestimmte, eigenthümliche Form- — — 1) Eberth. Zur Kenntniss des feineren Baues der Flimmer- epithelien (Virchow's Archiv B. XXXV, 3. Folge 5. Band) und Marchi, Beobachtungen über Wimperepithel, (Archiv f. microskop. Anatomie von Max Schultze, B. Il., 4. Heft.) | | Einiges über Flimmerepithel u. s. w. tg, _ veränderungen sich kundgebenden Gerinnung, während sie bei so vielen, sonst gleich erscheinenden, Flimmerzellen ausbleibt, giebt eine gewisse Berechtigung, auf eine hier schon bei Leb- zeiten bestehende Differenzirung, als Grund jener Veränderung, "zu schliessen. Bemerken muss ich aber immerhin, dass es mir, vielleicht durch einen ungünstigen Zufall, nicht gelang, noch lebende, d. h. mit schwingenden Wimpern versehene Zellen zu isoliren. Durch die Maceration erlischt natürlich die Flimmerbewegung mit dem Leben, und nun tritt die Streifung deutlich zu Tage. | Lässt man nun auch die Existenz der Streifung als Lebens- erscheinung zu, so ergeben sich zwei weitere Möglichkeiten für die Auffassung: entweder besteht eine den Streifen entsprechende - Differenzirung des Zellinhalts („Protoplasma“), oder — die feine lineare Strichelung ist der Ausdruck einer zarten Längsfalten- bildung der Zellmembran. — Erst nachdem wir ersteres bejaht, letzteres zurückgewiesen haben, dürfen wir, weiter gehend, den Zusammenhang zwischen jenen Streifen und den Flimmerhaaren "nachzuweisen suchen, — 2 Wie steht es nun mit dem Beweis, den Eberth für die erstere Ansicht, dass die Streifung den ganzen Zellinhalt be- "treffe, beibringt? Nach seinen Angaben sollen, wenn man, bei endune starker Immersionssysteme (Hartnack 10,5) die Einstellung des Tubus wechselt, die Streifen nicht verschwinden, sondern je tiefer man kommt, immer neue Streifensysteme auf- ‚tauchen, so dass man sich überzeuge, dieselben seien nicht ” oberflächliche Leisten, sondern sie liegen im Protoplasma, und zwar in verschiedenen Ebenen desselben. — Ich muss gestehen, dass ich mich von dem Thatsächlichen dieser Angaben nicht überzeugen konnte. Betrachtet man Zellen, die mit schwach durch Essigsäure angesäuertem Wasser be- ‚handelt sind, so wird man meist die Flimmerhaare bis auf ge- ringe Reste geschrumpft finden, während die Streifen ausser- ordentlich deutlich ‚auftreten. — Bei ganz oberflächlicher Ein- stellung, unter Zuhilfenahme der schiefen Beleuchtung, erscheint die Streifung entschieden am deutlichsten, namentlich am freien Rande der Zelle, der dadurch ein ganz zackiges Aussehen 76 Rabl-Rückhard: erhält. Bei tieferem Senken des Tubus wird die körnig ge- ronnene Inhaltsmasse der Zelle deutlich, bis endlich, wenn der unten liegende Theil der Zellenmembran eingestellt ist, wiede- rum Streifen sichtbar werden. — Dass Eberth fortwährend neue Linien auftauchen sieht, erklärt sich als optische Täu- schung. — Man kann sich nämlich mit Leichtigkeit durch Rollen isolirter Zellen überzeugen, dass dieselben, sei es von Natur, oder in Folge des Reagens, ausserordentlich platt sind, so dass ihr Tiefendurchmesser !/;—!/, des Breitendurchmessers beträgt. Da nun die Zellen meist ihre Breitseite dem Beo- bachter zukehren, wird es erklärlich, dass man bald die Streifen der oberen, bald die der unteren Zellwand einstellt, indem bei so winzigen Verhältnissen beide Streifensysteme durchschimmern. Dass man aber zwei Streifensysteme, die um die Dicke dieser platten Zellen von einander entfernt stehen, so gut wie gleichzeitig sehen kann, davon überzeugten mich Bilder, wo zwei Zellen schräg übereinander lagen. (Fig. Id.) Ich konnte hier die ge- zähnelten und gestreiften Basen beider gleichzeitig, fast gleich scharf, übereinander hin verlaufend, demonstriren. Jene Bilder aber, wo die körnige Inhaltsmasse zwischen den beiden Linien- systemen deutlich zu Tage tritt, erhielt ich an solchen Zellen, die mit ihrer schmalen Kante dem Gesichtsfelde zugekehrt | lagen, wo also der Tiefendurchmesser ein drei- bis vierfacher war. — (cf. Fig. la. und b.) Aber auch andere Bilder, die bei lang fortgesetzter Beo- bachtung hin und wieder auftraten, drängten mich zur Annahme einer Faltung der Membran: es waren dies Zellen, deren Inhalt durch die Maceration in Gestalt von Eiweisskugeln heraus- gequollen ist. Fig. Ice. stellt eine solche Zelle dar, an welcher Kern und die körnige Inhaltsmasse gleichzeitig aus der Membran entschlüpft sind. Nichtsdestoweniger bestand die Streifung in dem durch deutlichen Contour erkennbaren ursprünglichen Zellgebiete fort. Ich bin der Ansicht, man kann dieses Verhalten nur erklären, wenn man eben die Streifung nicht in den Zell- inhalt, sondern in die Membran verlegt. — Wir werden mithin auf die Annahme einer Faltenbildung 7 | Einiges über Flimmerepithel n. s. w. 77 der Membran hingewiesen, und es fragt sich, ob diese Erschei- nung nur vereinzelt am Darmepithel von Anodonta vorkommt, oder ob sich an andern verwandten Thieren Aehnliches nach- weisen lässt. Unter der nicht sehr mannigfachen Mollusken- fauna Helgolands, die mir zu Gebote stand, habe ich nur ein- | mal, an den Epithelzellen des Darmes von Cardium edule, _ eine gleiche Längsstreifung beobachtet. — Da. ich jedoch nur - ein einziges lebendes Exemplar der Untersuchung unterwerfen konnte, andererseits mir auch nur eine geringe Vergrösserung ; (Schick, 300) zur Hand war, bin ich über die feineren Verhält- nisse nicht in’s Klare gekommen. Auffallend war nur, dass ich " einmal auch eine mehrfache Querstreifung mehrerer Zellen zu- : nächst dem flimmernden Ende sah, die indess bedeutend gröber erschien, als die Längsstreifung der Zellen des Anodontendarms. Ich behalte mir daher weitere Mittheilungen über diesen Punkt K. vor, den ich, sobald mir reichlicheres Material zu Gebote steht zu verfolgen gedenke. — Sicher und wiederholt dagegen sah ich eine Längsfaltung w MR Be = Y an den, die Sypho von Buccinum undatum bekleidenden, Epithel- zellen. Letztere (cf. Fig. II.) sind ziemlich schmale, stets ; fiimmerlose Cylinderzellen, und zeigen, namentlich bei schiefer = Beleuchtung, eine ausserordentlich scharfe, parallele Längsfaltung über die ganze Oberfläche der Zelle hin, während deren unteres % X Ende öfters in feine Fasern zerspalten erscheint. — Diese Strei- fung, viel gröber, als die bei Anodonta gefundene, setzt sich E aus 4—5 Längsfalten zusammen, und liegt zweifellos nur im ‚der Membran. Bei gerader Belkuchkne tritt sie etwas zurück, und der körnige Inhalt der Zelle um so deutlicher hervor. Rn Letzterer besteht an den, schon dem blossem Auge schwärzlich - erscheinenden, Stellen der Haut aus dunkelblau-violetten, ziem- = groben Körnern, die das eı Ende der Zelle ausfüllend, den Kern verdecken. E: Ich fand diese Längsstreifung sowohl nach Maceration in schwacher Lösung doppelt chromsauren Kalis, wie auch an frisch abgeschabten und in Seewasser untersuchten Zellen, hier jedoch - von zarterer Zeichnung. — Wir haben mithin in diesem Falle eine Längsfaltung, ohne 78 Rabl-Rückhard: dass Cilien vorhanden wären. — Ueber die Verbreitung dieser Erscheinung, die vielleicht als ein Analogon der Riffzellen- bildung aufzufassen ist, müssen erst weiter ausgedehnte Unter- suchungen Aufschluss geben. — i Ich kehre nach dieser Abschweifung zu meiner ursprüng- lichen Aufgabe, den Darmepithelien von Anodonta, zurück. — Es bleibt nämlich übrig, zu entscheiden, ob die hier beobach- tete Faltung der Membran in irgend welchem Zusammenhang mit den Wimperhärchen steht. Ich verweise in dieser Beziehung auf die beiden Zellen a. und b., Fig. I., die möglichst treu das natürliche Verhalten wiedergeben. — Man sieht bei ganz ober- flächlicher Einstellung (Hartnack 9,3, schiefe Beleuchtung) die Falten der Zellmembran continuirlich in die oberflächlichen Cilien übergehen. Die Streifung ist gerade an der Uebergangs- “stelle, entsprechend dem darunter liegenden, stark spiegelnden Basalsaum äusserst scharf. — Bei tieferem Senken des Tubus verschwindet dieser Zusammenhang, indem nun der messbar breit erscheinende Basalsaum sich dazwischen schiebt. Es geht hieraus zugleich hervor, dass, unter besonderen Umständen, es den Anschein haben kann, als durchsetzten die Cilien den Ba- salsaum. Marchi, der in dieser Beziehung mit Eberth im Widerspruch steht, hat wahrscheinlich jene bei oberflächlicher Einstellung auftretende Streifung des Basalsaumes nicht gesehen, und nimmt zu der Hypothese von unsichtbaren Porenkanälchen seine Zuflucht, welche, die Grenzschicht durchbohrend, die als Fortsätze der (im Innern der Zelle befindlichen) Streifen ge- deuteten Cilien durchtreten lassen. Unerklärlich ist es mir daher, wenn er trotzdem angiebt, die Streifen schlössen sich unmittelbar an die Basen der Wimpern an — denn zwischen beiden Elementen liegt ja eben, nach seiner Angabe, der nicht streifige, doppelt contourirte, glänzende Saum der Basalmembran. Abgesehen von jener, bei oberflächlicher Einstellung sicht- baren Continuität zwischen den Falten der Membran und den Cilien, habe ich mich von einem sonstigen Eindringen letzterer in den Basalsaum, oder gar das Innere der Zelle, nirgends überzeugen können. Ich halte es sogar bei der Leichtigkeit optischer Trugbilder für unmöglich, einen Beweis für ein solches Einiges über Flimmerepithel u. s. w. 79 - Eindringen zu führen. Man kann sıch eben nicht vor jener - Täuschung schützen, die dadurch entsteht, dass die, nicht ge- _ nau in der Einstellungsebene, sondern tiefer gelegenen Basen _ der Flimmerhaare einerseits, und die Streifen der Zellmembran ‚andererseits, durchschimmern; was dadurch noch begünstigt wird, dass die Zellen wohl nur sehr selten mit ihrer bewimperten " Basis gerade senkrecht, sondern meist mehr oder weniger schräg liegen. Somit sieht man nicht den virtuellen Breitendurch- messer des Basalsaumes, sondern eine schräge Projektion des- selben. Dadurch muss er selbst dem Auge breiter erscheinen, während es gleichzeitig den Eindruck macht, als entsprängen die Basen der Flimmerhaare noch unterhalb der oberen, nach aussen gelegenen Grenzlinie jenes Saumes. — _ Bekanntlich zeigen, wie Marchi nachwies, auch die Epi- thelzellen der sogenannten Mundpalpen von Anodonta eine ähn- liche Längsstreifung des Zellkörpers. Ueber das Verhalten der birnförmig gestalteten Flimmerzellen der Kiemen desselben Thieres gelang es diesem Forscher dagegen nicht, in’s Klare zu kommen. — Ich glaube, in dieser Beziehung glücklicher gewesen zu sein, indem ich Folgendes fand: Diese, leicht in zusammenhängenden Reihen isolirbaren, _ birnförmigen Zellen, wie ich sie nach 24stündigem Einlegen _ der Kiemen in schwache Höllensteinlösung (0,25°/,) erhielt, besitzen einen langen, fast eylindrischen Hals, der erst in der "Nähe der Stelle, wo gewöhnlich der Kern ek eine Ausbuch- 3 i tung zu dem, unten rundlichen, Zellkörper erleidet. Dadurch entsteht das Aussehen unten dbsertudster Rheinweinflaschen. Jene Hälse liegen dicht aneinander, und zeigen jeder an 7’ seinem freien Ende eine stärker Er end Stelle, die uns bekannte Basalmembran, die auch hier zwischen Zelle und > N $ Flimmerhaare eingeschoben ist. Durch Zusatz von etwasPhosphor- u -säure quellen nun diese Zellen, indem sie zugleich von ihrem kör- _ nigen Aussehen einbüssen, auf, und nunmehr tritt an ihnen einsehr _ feines Längsstreifensystem zu Tage, das namentlich bei schiefer ML Beleuchtung sich als aus lauter Leisten bestehend erkennen | lässt, Sie beginnen da, wo der Basalsaum liegt, mit scheinbar 80 . Rabl-Rückhard: dickerem Ende, und lassen sich oft über die ganze Zelle, bis über den Kern hinaus, verfolgen. (Fig. IIIb.) — Der Eindruck ‘jener Verdiekung scheint auch hier nur durch die stärker spie- gelnde, darunter liegende Basalmembran bedingt. — Auch an diesen Streifen überzeugte ich mich von ihrer oberflächlichen Lage, indem es bei tieferer Einstellung gelingt, unter Undeut- lichwerden und Verschwinden derselben den körnigen Zellinhalt und den Kern zu sehen. — An Zellen, die ich in dünner Lösung chromsauren Kalı’s längere Zeit aufbewahrt hatte, fand ich übrigens ebenfalls eine Andeutung jener Streifung. Ich sah am freien Ende (Fig. IH, e) der ihrer Cilien beraubten Zellen eine feine Zähnelung des Halses, durch die jener in 3—4 parallel längsgestellte Leistchen zerfiel, deren mittlere unter dem Niveau der beiden seitlichen zu liegen pflegten. — Was die Zahl der oben geschilderten Streifen betrifft, so kamen auf jede Zelle meist ihrer drei. Ueber das Verhalten der Flimmerhaare zu ihnen konnte ich zu keiner überzeugenden A Te a Einsicht gelangen. — Ein ähnliches Bild, wie das eben geschilderte, gewähren die Kiemen-Epithelien der in unserer Gegend häufigen Dreissena polymorpha (Tichogonia Rossm,.). — Auch hier gelingt es am lebenden Thiere leicht, ganze Reihen sich bewegender Zellen abzustreifen, die als lange, wurmförmige Gebilde, in Folge ihrer DB Ze Di UDO Dun a 3 Ze lebhaften Wimperbewegung umherschwimmen. Auch hier unter- scheidetman die von Marchi bei Anodonta gefundenen zweiZellen- arten, nur dass die Wimpern der birnförmigen Art von ganz ausser- ordentlicher Dicke sind. (Fig. IVa). Weder an den festsitzenden schwingenden, noch an den abgetrennten und bewegungslosen Härchen sieht man eine Andeutung ihrer Zusammensetzung aus Büscheln feinerer Wimpern. Sie zeigen vielmehr einen deutlich doppelten Contour, und verjüngen sich zu einer feinen, ungetheilten Spitze. Die winkende Bewegung erlischt viel früher, als die der zweiten Zellenart, deren Wimpern, entsprechend den von Marchi bei Anmodonta gefundenen, viel zarter und kürzer erscheinen. — Jene wurmförmigen Conglomerate gestatten keinen Einblick Rabl-Rückhard: Einiges über Flimmerepithel u.s.w. 81 in den inneren Zusammenhang zwischen Cilien und Zelle, man sieht nur die dieken Wimpern mit breiter Basis den rundlichen Massen aufsitzen, und hier und da durch körnige Trübungen verdeckte Kerne in letzteren, aber keine deutlichen Zelleontouren (Fig. IVa.). — Dagegen bemerkt man an solchen Zellenreihen, die nur kurze Zeit (!/; Stunde) in, schwach mit Essigsäure an- gesäuertem, Wasser gelegen haben, eine deutliche Zwei- bis Dreitheilung der auseinander gequollenen Zellenhälse, während _ die durch das Reagens stark veränderten, nur noch an ihrer Basis erkennbaren Cilien an letzterer ebenfalls eine Spaltung erkennen lassen. (Fig. IVb. u. c.). — Weiterhin findet man dieselbe dichte Längsstreifung, wie bei Anodonta, die sich auch hier über die Kernregion hinaus verfolgen lässt. (c.). — Es bleibt zu entscheiden übrig, ob das Auftreten dieser Streifensysteme eine Formveränderung der Zellen in Folge des Reagens ist, oder ob sie als präformirte Bildungen aufzufassen sind, die nur erst deutlich zu Tage treten, nachdem eine Auf- quellung oder Lösung irgend welcher, die Zellen verbindenden _ Kittsubstanz durch die Säure bedingt ist. — Nun ist eine der- artige Wirkung der Phosphor- und Essigsäure, auf welche die so eben geschilderte Faltenbildung zurückzuführen wäre, in _ keinem anderen Falle bekannt, während ihr Aufhellungs- und “ Quellungsvermögen zweifellos fest steht. — Es ist mithin höchst wahrscheinlich, dass diese Reagentien auch hier nur in letzterer Richtung eingewirkt haben, indem, nach Aufhebung einer zwi- schen den Zellen befindlichen Kittsubstanz, nunmehr die feineren Structurverhältnisse ersterer klar zu Tage treten. — : Was die Deutung dieser Streifen betrifft, so liegt nichts Gezwungenes darin, anzunehmen, dass, ähnlich wie bei den Zellen von mehr epidermisartigem Character Stacheln und Leistchen auftreten, die, ineinandergreifend , eine festere Ver- bindung der einzelnen Elemente herbeiführen, so auch an diesen - mehr epithelialen Gebilden sich entsprechende Vorrichtungen . finden. Wahrscheinlicher noch wird diese Annahme, wenn man die an den Zellen der Sipho von Buccinum beobachteten 7 Streifen in Betracht, zieht. Vielleicht weisen fernere Unter- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 6 82 Rabl-Rückhard: suchungen an Weichthieren die Existenz solcher Streifen- bildungen in grössererAusdehnung nach, — Bei dem Antheil, den in letzter Zeit das Vorkommen so- genannter Becherzellen in” den verschiedenen Epithelien der Wirbelthiere erweckt hat, und bei der Unmöglichkeit, das von mir vorläufig Gefundene weiter zu verfolgen, erlaube ich mir, im Anhang Einiges über das Auftreten becherähnlicher Zellen an einer von mir namentlich genauer untersuchten Seeschnecke (Buecinum undatum) mitzutheilen, so sehr ich auch das Apho- ristische meiner Mittheilung bedaure: — Bekanntlich findet sich in der Kiemenhöhle dieses Thieres ein eigenthümliches, aus zahlreichen Lamellen zusammenge- setztes Organ, welches Cuvier'!) mit-dem Namen feuillets muqueux (lames muqueuses) bezeichnet. In dem hier abge- sonderten, sehr zähen und reichlichem Schleime, der die ganze Wand der Kiemenhöhle und die darin dauernd oder zeitweilig befindlichen Organe (Penis) überzieht, fand ich äusserst zahl- reiche, zellähnliche Gebilde von länglich rundlicher Gestalt, mit einem meist zur stumpfen Spitze ausgezogenen Ende. Zum’ Theil waren dieselben stark lichtbrechend und schwach granu- lirt, theils ganz trübe durch eine Füllung mit zahlreichen gelb- lichen, fettähnlichen Körnchen. — Im spitz ausgezogenen Grunde fand sich gewöhnlich eine stärker getrübte Stelle, in der man bisweilen einen Kern liegen sah. (Fig. Va.). — Nach Maceration der Theile in einer schwachen Lösung doppelt chromsauren Kali’s gelang es, völlig ausgebildete Becher- zellen von der Wand der Kiemenhöhle, sowie vom Penis, ab- zustreifen. Sie waren sehr zartwandig, erschienen, mit Aus- nahme des granulirten, stielartig ausgezogenen Endes hyalin, und zeigten in letzterem einen mehr weniger deutlichen Kern, während an ihrem oberen Ende eine grosse, völlig glatt und scharf contourirte runde oder ovale Oeffnung zu Tage trat, Ihre Grösse schwankte ziemlich bedeutend, wie dies aus der Zeichnung (Fig. Vb.) zu ersehen ist, — 1) Mömoire sur le grand Buccin de nos cötes etc. pag. 5. Todd and Bowmann, Oyelopädie ete, Artikel Cilia. EEE Se VE EEE = Einiges über Flimmerepithel u. s. w. 83 Ich stehe nicht an, diese Gebilde als vollkommene Analoga - der bisher nur an Wirbelthieren beobachteten Becherzellen anzu- sprechen, und bedaure nur, an den zu einer späteren Unter- suchung in situ in Alkohol aufbewahrten Thieren in Folge der starken Trübung und Veränderung der Gewebe zu keinem be- friedigenden Resultat gekommen zu sein. — An den durch Creosot aufgehellten Lamellen des Schleimorgans und der Kiemen vermochte ich indess deutlich, zwischen den gewöhnlichen Cylin- derepithelien, in ziemlich regelmässigen Abständen eingestreute gelbliche trübe Körper zu entdecken, wahrscheinlich die ge- chrumpften Reste jener geschilderten Becherzellen. — Leydig hat bekanntlich schon vor Jahren, an den Kiemen- blättehen von Paludina vivi para), zwischen den Flimmerzellen _ eigenthümliche Körper gefunden, die spitz zulaufen oder auch | kolbig erweitert sind, und bei durchfallendem Licht eine gelb- e- liche, bei auffallendem eine weisse Farbe zeigen. — Er stellte schon damals die Vermuthung auf, dass diese Gebilde vielleicht zur Absonderung des vielen Schleimes beitragen, der sich auch bei Paludina an dieser Stelle findet. Mit den so eben be- schriebenen zeigen die von mir an den Kiemen- und Schleim- blättchen von Bucceinum gesehenen Körper Aehnlichkeit, wenn man von der bedeutenden Grösse der letzteren absieht, und h es handelt sich wohl in beiden Fällen um modificirte Becher- Zellen. — : Eine zweite Art eigenthümlicher Zellbildungen findet sich ; in der Epidermis des Fusses von demselben Weichthiere, mit Ausnahme der Sohle, zerstreut, und namentlich dicht in der Nähe der Insertion des Deckels. Die Haut dieser Theile ist _ mit einem Epithel langer, schmaler, im Zusammenhang fein- - streifig erscheinender Oylinderzellen bedeckt. Diese sitzen mit meist runder Basis der mit feinen, Gebirgszügen ähnlichen, . Zacken versehenen Cutis auf. Letztere faltet sich ausserdem zu zierlichen Lamellen und Leistehen, eine schon an anderen 2 Weichthieren gemachte Beobachtung. — a i Bars Bi 1) Siebold und Kölliker, Zeitschrift f. wissenschaft. Zoologie, Bd. II., pag. 179 u. Taf. XII, Fig. 29b. En 6* = di ” Pe a en a 5 Er 84 Rabl-Rückhardt: Zwischen jenen Cylinderzellen bemerkt man nun in ziem- lich regelmässigen Abständen flaschenförmige Gebilde. Ihre Basis ist abgerundet, und geht in einen ziemlich langen dreh- runden Hals über. Am freien Ende des letzteren bemerkt man hin und wieder eine ringförmige Zeichnung, die als Delle oder als Oeffnung gedeutet werden kann. (Fig. VIa). — Mit der Basis sitzen diese Gebilde der Cutis auf, während ihr freies Ende etwas über das Niveau der Cylinderzellen hervor- zuragen scheint. Wenigstens lassen Flächenansichten (Fig. VIb.) zwischen den, eine schuppenförmige Zeichnung ‚bilden- den Köpfen, der Cylinderzellen den hervorragenden Hals der Flasche erkennen. Im Uebrigen erscheinen die letzteren ho- mogen, nicht körnig getrübt, und fallen durch ihr stärkeres Liehtbrechungsvermögen in die Augen. Auf Breitenschnitten lassen sie sich zwischen den, polygonale Figuren bildenden Querschnitten der Cylinderzellen als scharf contourirte, rund- liche Lücken, von der doppelten bis dreifachen Grösse jener, erkennen. — Wenn schon ihr ganzes Verhalten die Annahme ausschliesst, als habe man es etwa mit. wirklichen Lücken zwischen den eigentlichen Epithelzellen zu thun, so wird die- selbe geradezu widerlegt durch die Möglichkeit, sie nach Mace- ration in Lösung chromsauren Kalis als selbstständige, kolbige oder flaschenförmige Gebilde zu isoliren. — Aehnliches findet sich endlich noch an einer dritten Stelle: Auf feinen Quer- | schnitten der Haut von der Wand des Rüssels sieht man tonnen- | förmige, in ihrem übrigen Verhalten den beschriebenen Flaschen gleichende, Körper in so grosser Anzahl dieht neben einander i liegen, dass man mit Mühe die dazwischen befindlichen sehr schmalen Cylinderzellen erkennt. (Fig. Vlla.) Dass diese jedoch zweifellos vorhanden sind, davon überzeugt man sich mit Leichtigkeit an den pigmentirten Stellen, namentlich bei Flächenechnitten. Hier treten nämlich zwischen den poly- gonalen, meist fünfeckigen Köpfen der Cylinderzellen, deren schwarzes Pigment eine zierliche Mosaik bildet, runde, in regel- mässigen Abständen von einander stehende Figuren auf, in welchen unter Umständen ein kleiner eoncentrischer Ring sich bemerklich macht. (Fig. VITb.). Einiges über Flimmerepithel u. s. w. 85 Von der Seite gesehen, erscheinen diese Körper, wie ge- sagt, tonnenförmig, und sitzen mit breiter, abgerundeter Basis der welligen Cutis auf, während das freie Ende meist eine stärker lichtbrechende, scharf contourirte, länglich runde Figur zeigt, die entsprechend dem kleinen, concentrischen Ring auf Quersehnitten, als Ausdruck einer Oeffnung oder Delle anzu- sehen ist. (Fig. VIIc.). — Im Grunde der Basis liegt ge- wöhnlich ein kernartiges Gebilde. Endlich ist auch hier eine Isolirung dieser Körper möglich. — Es fragt sich nun, ob man die zuletzt geschilderten beiden _ Zellenarten, von faschen- und tonnenförmiger Gestalt, als ver- änderte gewöhnliche Cylinderepithelien anzusehen hat, die nach Art wahrer Becherzellen, sich gewissermassen aus jenen recru- tirend, einer fortwährenden Ausstossung und Wiedereinsetzung unterliegen, oder ob sie sich von vorn herein als besondere Arten zelliger Gebilde an diesen Epithellagen vorfinden. Ich halte mich, bei dem geringen, erst nach längerem Liegen in erhärtenden Flüssigkeiten, untersuchten Material nicht für be- rechtigt, diese Frage zu entscheiden, wenn mir auch zwei Gründe, gegen erstere Ansicht zu sprechen scheinen. Einer- seits sah ich nämlich nie Uebergangsformen von Cylinderzellen zu jenen Tonnen oder Flaschen, andererseits weichen beide Arten von Gebilden in ihrem chemischen Verhalten auffallend _ "von einander ab. — Während nämlich Essigsäure die Cylinder- zellen aufquellen und in ihren Umrissen verschwimmen macht, übt sie keinen merklichen Einfluss auf die Flaschen- oder 3 Tonnenzellen , welche stets als intacte, stark lichtbrechende Kegel persistiren. Auch nach Aufhellung der Schnitte mit. Creosot erhalten sie sich mit scharfen Umrissen, während die Cylinderzellen verschwinden. — Diese Widerstandsfähigkeit berechtigt zu dem Schluss, dass, wenn wir es doch mit.veränderten Cylinderzellen zu thun haben, namentlich der Zellinhalt eine andere Beschaffenheit ange- nommen haben muss, welche dem Muciı nahezustehen scheint. - Fassen wir die Resultate dieser Arbeit zusammen, so würde sich Folgendes ergeben: BE ri e>% ee er N PART, yes a u rt ee [13 Art Fe Fan . De se t BEE RE POTa Ma -; Va ge 7 86 Rabl-Rückhard: 1. die von Eberth und Marchigefundene, alsDifferenzirung . des Protoplasma gedeutete, Streifenbildung der Flimmerzellen vom Darm und von den Mundpalpen der Anodonta ist eine Faltenbildung der Zellmembran, die aber in näherer Beziehung zu den Flimmerhaaren zu stehen scheint. 2. Aehnliche Faltenbildungen finden sich an den flimmer- losen Cylinderzellen von der Sipho von Buceinum undatum, wahrscheinlich auch an den Flimmerzellen des Darms von Car- dium edule, und an den, von Marchi als birnförmige Zellen bezeichneten Flimmerepithelzellen der Kiemen von Anodonta, sowie von Dreissena polymorpha. 3. Es liegt nahe, alle diese Erscheinungen als Ausdruck einer äusserst zarten Riffbildung, entsprechend den an Epider- mis- und anderen Zellen vorkommenden Bildungen zu deuten, — 4. Bei Buceinum undatum kommen eigenthümliche flaschen- und tonnenförmige Gebilde zwischen gewöhnlichen Cylinder- epithelien, sowie ausgesprochene Becherzellen vor, ähnlich denen welche bisher nur an Wirbelthieren nachgewiesen sind. — | | 3 h | Erklärung der Abbildungen. r Fig. 1. Flimmerzellen vom Darmepithel von Anodonta. «a. mit breiter Seite, 5. mit schmaler. Die Continuität zwischen Falten und Flimmern ist wiedergegeben. c. Zelle, deren Inhalt ausgetreten, und wo trotzdem die Streifen erhalten sind, d. zwei übereinander liegende, ihrer Cilien beraubte Zellen, deren Streifensysteme gleichzeitig einstell- ar sind. (Hartnack 9, 3.) Fig. 2. Flimmerlose Cylinderzellen mit Faltenbildung von der Athemröhre des Bucinum undatum. (300/1). Fig. 3. Birnförmige Flimmerzellen der Kiemen von Anodonta. a, vor der Anwendung der Po,. Ö. Streifensysteme, die nach An- wendung von Po,. sichtbar werden. ce. Andeutung dieser Streifen an macerirten Zellen. (Hartnack 9, 3.) Fig. 4. Die entsprechenden Zellen von den Kiemen der Dreissena polymorpha. a. Frische, noch schwingende Zellenreihen mit den beiden Arten der Flimmern. d.u.c. In schwach mit Essig- Einiges über Flimmerepithel u. s. w. 87 säure angesäuertem Wasser macerirte Zellen, an denen die Streifen sichtbar geworden sind, während die Cilien körnig zerfallen erscheinen. - Links erkennt man.bei c. noch eine Dreispaltung derselben. ( Hart- nack 9, 3.) Fig. 5. Becherzellen aus der Kiemenhöhle von Buceinum unda” tum. a. durch körnigen Inhalt trübe Elemente. d. entwickelte Becher" zellen mit Oeffnung. (300 /1.) Fig. 6. Flaschenförmige Zellen aus der Haut des Fusses von Buceinum. a. Seitenansicht. 5. Flächenansicht. (300/1.) Fig. 7. Tonnenförmige Zellen aus der Haut des Rüssels von Buccinum. a. Seitenansicht. d. Flächenschnitt. c. Isolirte Elemente. 300 /1). Berlin, December 1867. 88 Th. A. Tellkampf: Zur Classification u. s. w. Zur Classification des Aphredoderus gibbosus (Le Sueur) Scolopsis sajanus (J. Gilliams). Von Tu. A. TELLKAMPF, Dr. med. $ (Aus den Annals of the Lyceum Natural History of New- York. Vol. VIII. Now.) — Meine Mittheilungen über den blinden Fisch der Mammuth- höhle in Kentucky u. s. w. (d. Archiv 1844, S. 381) habe ich mit folgenden Worten geschlossen (a. a. O. S. 393:) „Ob Aphredoderus und Amblyopsis zusammen in die Familie der Heteropygii gehören, lässt sich dermalen noch nicht entscheiden. * Herr Müller ist der Ansicht, dass es ganz auf die Schwimm- blase des Aphredoderus ankommen werde, ob diese einen Luft- gang hat oder nicht, denn kein Acanthopterygier hat einen Luftgang. Besitzt Aphredoderus keinen Luftgang, so könnte er auch nicht mit Amblyopsis vereinigt werden, und er würde dann ein Heteropygier unter den Stachelflossern, und auch hier der Repräsentant einer besonderen Familie sein, während der Amblyopsis der Repräsentant der analogen Familie unter den Malacopterygii abdominales bleibt. Besitzt er aber einen Luft- gang, so ist es gewiss, dass beide Fische zusammen gehören; die sie umfassende Familie würde dann weder bei den Acanthoptery- giern noch bei den Malacopterygii abdominales sein können, vielmehr würden sie dann eine allein stehende Familie bilden.“ a Zn aan Zur Classification des Aphredoderus u. s, w. 89 Um diese Frage zu entscheiden, habe ich neuerdings bei _ mehreren Exemplaren von Aphredoderus mit Hilfe der Lupe und des Mikroskops jene bindegewebigen Stränge untersucht, durch welche die Schwimmblase an den Oesophagus be- festigt wird. Meine ersten Untersuchungen machte ich an jüngeren Individuen, die längere Zeit in Weingeist aufbewahrt waren, und die eine zusammengefallene Schwimmblase hatten; in dem bezeichneten Verbindungsstrange war auch nicht die geringste Spur eines Luftganges aufzufinden. Ein, gleiches Re- sultat erhielt ich bei Untersuchung frischer, fast vollständig ausgewachsener Exemplare, deren Schwimmblase gut mit Luft gefüllt war, und konnte ich hierbei namentlich die Thatsache feststellen, dass die Luft aus der von der Speiseröhre abge- trennten Schwimmblase beim Druck nicht entweicht. Ich be- merke zugleich, dass die Schwimmblase nur nach Entfernung der Bauchwände und der Kiemen sich zweckmässig für die Untersuchung isoliren lässt, in der Wand der Schwimmblase fand sich eine ‚Schicht gestreifter Muskelfasern. Hiernach ist der Aphredoderus gibbosus, den Cuvier und Valenciennes zu den Percoides stellen, als Heteropygius der einzige Repräsentant einer Familie unter den Acanthopterygiern, Se _ derjenigen analog; die unter den Malacopterygii abdominales durch den Amblyopsis gegenwärtig vertreten wird. Die von mir untersuchten Exemplare verdanke ich den Heiren F. W. Putnam, Esq., Superintendant Essex Institute Salem, Mass.; Dr. Abbott of Trenton, and Dr. John, L. Le Conte of Philadelphia. ‚chen, im Folgenden mein Thema von anderen Gesichtspunkten 90 in R. Hartmann: r M x Medicmische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. Von Rog. HARTMANN. Ueber die in Aegypten, Nubien, Sennär und in den an- grenzenden Ländern herrschenden Krankheiten habe ich zwar schon mehrere Abhandlungen (in meinem grösseren 1863 er- schienenen Reisewerke, in meiner naturgeschichtlich-medieini- nischen Skizze der Nilländer und in der Berliner klinischen Wochenschrift) veröffentlicht, allein die schwierige Zugänglich- keit namentlich der beiden ersteren Arbeiten für die Fachge- nossen veranlasst mich, einer von verehrter Seite gewordenen Anregung Folge zu geben und auch diesem Archive einige Zeilen über den beregten Gegenstand zu widmen. Der gü- tige Leser mag darin einige vielleicht nicht uninteressante, dem veränderten Schauplatze entsprechende Ergänzungen zu Dr. G. Fritsch’s im vorigen Hefte abgedruckter Abhandlung über Süd-Afrika’s Hauptkrankheiten erblicken. Ich will versu- aus darzustellen als dies in meinen bisherigen, das Gleiche oder Aehnliche behandelnden Aufsätzen geschehen ist. Ein , kurzgefasstes, allgemeines Bild der Krankheiten Nordost-Afrika’s will ich hier darstellen; von der Kasuistik, von Schilderungen der in diesen Gegenden üblichen Heilme- thoden, von allen die dortigen sanitätlichen Institutionen be- treffenden Einzelnheiten dagegen werde ich hier absehen Solche, welche sich gerade hierfür interessiren dürften, werden _Medieinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. 9] in den oben beresten Abhandlungen, ferner in den Arbeiten Pruner-Bey’s und Griesinger’s, Material finden. Möge man übrigens bei Beurtheilung der nachfolgenden „Erinnerungen“ mit Nachsicht ermessen, dass bei einer kaum vierzehnmonatlichen, durch lange Wochen ungewöhnlicher Drangsal unterbrochenen Reise, wie es diejenige Ad. v. Bar- nim’s in die Nilländer gewesen, Gründliches auf unserem Gebiete nicht geleistet werden konnte. Das Wenige aber, was ich hier gebe, fliesst doch aus eigener Anschauung. In den von uns bereisten, durch den Nil und durch Zu- flüsse desselben bewässerten Ländern Nordost- Afrika’s lassen sich zwei Zonen unterscheiden, welche sich in ihren physischen Charakteren wesentlich von einander sondern. Nämlich 1) eine regenarme Zone, zwischen dem mittelländischen Meere und 17° n. Br. des- Binnenlandes gelegen, begreift Aegypten und Nubien, letzteres von Wadi-Kenüs bis zum mittleren Theil der Bejüdasteppe, in sich. Die beiden ersteren der eben genannten Provinzen sind der grossen Hauptsache nach Wüste, d. h. es sind abwechselnd rauhe, steinige Berg- gegenden und sandige Flächen. Pflanzenwuchs und Thierwelt zeigen sich in genannten, im Allgemeinen dünn bevölkerten Gegenden nur dürftig. Einige Oasen der westlichen, libyschen Wüste, wie Uä-el-Charjeh, Uä-el-Dakhel und das Wäd’-el-Kab _ in Dongola, ferner die Thaleinschnitte, sogenannten Wädi’s, der arabischen Wüste, zeichnen sich freilich durch eine üppigere, wenn auch bizarr gebildete Vegetation aus (Akazien, Tamaris- ken, Asclepiadeen, Rhamneen, Capparideen, wilde Oliven, Gra- mineen, Hyphaenen und verwilderte Dattelpalmen). Es sind dies die Stätten einer gewissen Halbkultur, ähnlich den Oasen RS der so verwandten Sahara. Nun hat der Nil Nubiens und Aesyptens Wüstenterritorien jenen schmalen Streif urbaren Landes abgewonnen, der unerschöpflich an Fruchtbarkeit'), in 1) Doch aber noch verbesserbar durch Düngemittel, wie dies neuere, auf Prinz Halim-Bascha’s Gütern im Grossen angestellte Ver- ‚suche mit Superphosphat ergeben haben. . 92 R. Hartmann: Folge der alljährlich sich daselbst erneuenden Schlammabsätze des segenspendenden Stromes, reiche Ernten an Pflanzenpro- ducten der gemässigten und heissen Erdgürtel sichert. Dieser schmale Streif ackerbaren Gebietes ist bekanntlich die Wiege der ältesten und eigenthümlichsten Kultur unseres Erdballs. Regen sind in dieser Zone selten und nur wenig copiös. Die Winde zeigen sich als vorherrschend nördliche, die. mitt- lere Jahrestemperatur ist eine hohe, Vom April bis gegen den Juni hin wehen aber auch heisse Südwinde, die berüchtigten Chamsine oder Samüme, von den stärksten elektrischen Erschei- nungen begleitet. DUebrigens geniesst diese Zone eines zwar warmen, trotzdem jedoch im Ganzen recht gesunden Klimas, namentlich erfreuen sich die Wüstenstriche selbst einer reinen, zuträglichen Luft. Nubiens und Aegyptens Wüsten können zur Winterszeit für die vom Sudänklima Heruntergebrachten als wahre Sanitarien gelten. Aegyptens Zuträglichkeit für an be- ginnender Tubereulose, an chronischen Katarrhen der Ath- mungswerkzeuge, an Emphysem, Blutarmuth und an Gemüths- verstimmung Leidende ist bekannt. Nubien, häufig und zwar mit vollem Unrecht als „im Allgemeinen ungesund“ verschrieen, - besitzt in seinem nördlichen und mittleren Theile eins der schönsten Klimate der Welt und beginnt erst da ungünstiger zu werden, wo sich der Uebergang in die andere, regenreichere Zone einleitet. Als die in sanitätlicher Beziehung am besten gelegenen Ortschaften dieses ersteren Gürtels möchte ich nach eigener Erfahrung hier Cairo, die Dörfer der Thebaide, Siüt, die Städte Geneh, Assuän, Derri und Neu-Dongolah aufführen. Die Uferdistriete des Nil erleiden hier nur zur Zeit der alljährlich wiederkehrenden Schwelle einige Abnahme ihres sonst ebenfalls günstigen Gesundheitszustandes, Eine zweite Zone ist diejenige der (Sommer-)Regen; sie breitet sich zwischen dem 17.° n. Br. und dem Aequator hin -aus.’) An der Grenze beider Zonen befindet sich, etwa zwi- 1) Diejenigen. Districte, welehe um die grossen Aequatorialseen Ukerewe-Nyansa und Mwüta-Nsidsche ber liegen, müssen als höchst segenreicho betrachtet werden, (Vergl. John Hanning Speke, ' Medieinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. 93 schen 20 und 17° n. Br., ein intermediärer Strich der unbe- ständigeren Sommerregen, Diese gesammte zweite Zone begreift die mittlere und südliche Bejüdasteppe, Kordufän, - Sennär, Fasoglo, Berthaland, sowie die am Abäy, Jebüs, Sobät, am Kir oder Bahher-el-Gebel (weisser Nil) und am Gazellen- fluss gelegenen Länder in sich. Meereshöhe durchschnittlich zwischen 850 (Dar-Schaigieh) und 1950’ (Gondökoro am weis- sen Nil, nach Capt. Speke!) unter 4° 54' 2'' n. Br. gelegen). Die Bejüdasteppe, ein Theil von Kordufän und Sennär, sowie die an Abyssiniens Alpen?) grenzenden Kwolla-Länder, sind meistentheils eben, mit bald sandigem, bald lettigem, strecken- weise selbst kiesigem und. felsigem Boden versehen. Hier und da erstrecken sich auch wellige Hügelzüge und selbst Gebirge bis zu etwa 5000‘ Meereshöhe. Diese Gebiete erscheinen mit zum Theil riesigen Gräsern und mit verworrenen Gebüschen namentlich von Capparideen, Zizyphus und Akazien bedeckt. Längs der Chuär oder Regenstrombetten und an den grösseren Strömen ‘(Atbära, Setit, blauer Nil, Tumät, Jebüs, weisser Nil, Sobät, Gazellenfluss u. s. w.) dehnen sich waldartige Streifen aus. Südlich vom 12.° n.Br. erstreckt sich das grosse central- afrikanische Waldgelände in noch ungemessene Weiten. Auf dem humusreichen Boden desselben drängen sich neben Adan- sonien, Tamarinden, Urostigmen, Crataeven und zum Theil sehr umfangreichen Akazien die Baumeuphorbien, Bambusen, " Borassuspalmen, die Phönixarten, enge durchflochten von Cis- sus, Bauhinien, Rhynchosien, Convolveln u. s. w. In diesen Landschaften von tropischer Herrlichkeit hausen der Löwe, Panther, der Canis pietus, sowie die Giganten der afrikanischen Thierwelt, grosse Antilopen, Giraffen, Bos cafer, Elephanten und Rhinocerosse. Den Erdboden zerwühlen Schuppenthier, Ameisenscharrer und Honigdachs, auf den hier waldbewach- . Journal of the discovery of the Source of the Nile, London 1865, p. XVI. und Appendix F. 1) Journal of the Discovery of the Source of the Nile, p. 622. 2) Diese nehmen in physischer Beziehung eine ganz exceptionelle Stellung ein. Da ich dieselben jedoch nicht aus eigener Anschauung kenne, so berühre ich sie hier auch weiter nicht. > 94 R. Hartmann: senen Bergen schlüpfen Paviane und Klippschliefer durch die Felsen. In dieser Zone vermehrt sich der durchschnittliche Feuch- tigkeitsgrad der Luft, besonders stark natürlich während der . Regenzeit. Allerdings nun ist das eigentliche Waldland feuch- ter, als die offene Steppe. Die Regen fallen zwischen April und October in beträchtlichen Mengen; weniger copiös werden sie nördlich vom 14.° n. Br. Zwischen 14 und 18° treten sie unregelmässiger in die Erscheinung. Die mittlere Jahrestem- peratur ist eine sehr hohe.') Die Winde wehen in der trocke- nen Zeit meist aus Nord, in der feuchten Zeit meist aus Süd; in den Steppen machen sich auch chamsinartige, zuweilen sehr stürmische, Luftströme bemerklich. Diese beiden Zonen werden von den folgenden Nationali- täten bewohnt: 1) Von den Nachkommen der Retu oder alten Ae- 'gypter, in verschiedenen Schattirungen gelbbraun , braun, schwarzbraun und kupfrig gefärbt, ein Zweig des grossen, über ganz Nordafrika verbreiteten und daselbst autochthonen Imö- scharh- oder Berberstammes, physisch und intellectuell wohl begabt. Echt afrikanisches Blut, nicht aus Asien eingewandert, wie Kinige ohne jedweden vernünftigen Grund, abgeschmackten Theoremen zu Liebe, behaupten wollen. Diese Leute sind meist sowohl Ackerbauer, als auch Viehzüchter, zum geringeren Theile sind sie Kaufleute, Industrielle, Nilschiffer, Beamte und Kriegsleute, theils mohammedanischer, thells monophysitisch- christlicher oder römisch-katholischer Religion (Fellachin- Kopten). Hauptwohnsitz Aegypten, 2) Von Beräbra, echten Berbern, mit den vorigen sehr nahe verwandt. Sprechen ein mit dem Targi (Tuariksprache), Altägyptischen, Koptischen und Nobauischen von Kordufan zu- sammenhängendes Idiom. Schwarzbraun von Farbe, nicht kräftig, vielmehr schlank gebaut, jedoch ausdauernd. Sie zei- 1) Im Sommer sind mittägliche Temperaturen von 38—41° R, im Schatten nichts Seltenes! Ausführliches über diese Verhältnisse in meinen oben eitirten Arbeiten Medicinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. 95 gen sich intelligent, sind Ackerbauer, Viehzüchter, Schiffer, Kaufleute und in nicht geringer Zahl Diener. Nubien. 3) Von den gemeinhin sogenannten Aethiopen!), Ver- wandten der Amhära, Agau‘, Somalen, Danakil, Gala, Gonga und anderen Stämmen des Innern und der Ostküste von Häbesch, andererseits auch verwandt mit Retu nnd Beräbra, im Verein mit den Letzteren Begründer der meroitischen Kultur, einer von der altägyptischen abgeleiteten. Hellbräunlich-roth, auch dunkler, svelt, gewandt, bildungsfähig, Haben einen Theil von Arabien bevölkert, sprechen Geez und die davon derivirten Idiome, sowie Begaui. Sind zum Theil sesshafte Ackerbauer, zum Theil unstät umherwandernde Hirten (Arab, Beduän ge- nannt). Oberägypten im Darau, Nubiens Wüsten, Bejüdasteppe, zerstreut in Sennär, Kordufän, Darfür, vorherrschend im Taka. 4) Funje (Fung), verbinden die Berberstämme des Nor- dens mit den gemeinhin „Neger“ und „Aethiopen“ genannten Völkern im Süden. Sie sind dunkelbraun bis schwarz, in’s Bläuliche spielend, edel gebildet, kräftig entwickelt. Acker- bauer und sesshafte Viehzüchter. Traten während des 16. - Jahrhunderts staatenbildend auf, nachdem sie vorher das Reich Aloa (Mero&) zertrümmert. Ein Zweig derselben, die Funje- Boggöt (Berün und Hammeg), ward 1821 —1823 von den Ae- gyptern unterworfen. Theils Mohammedaner, theils Heiden. Wohnsitze am blauen und weissen Nil und im Zwischenfluss- lande von Sennär. 5) Echte Aethiopen im Blumenbach’schen Sinne, Stämme, _ welche man, um Irrungen zu vermeiden, vielleicht „Nigritier“ nennen könnte. Sie sind gross, robust, braunschwarz und bläu- lich-schwarz, wie die Aequatorialschwarzen wollhaarig, zeigen Das, was man gewöhnlich den „wahren Negertypus, zu nennen 1) Diese Bezeichnung ist durchaus unwissenschaftlich. Sie wird von den verschiedensten Autoren im verschiedenartigsten Sinne an- gewendet nnd bietet nicht einmal den Vortheil einer gut verwerth- . baren localen Gesammtbezeichnung. Ueber die gleichfalls verwerfliche Benennung „Neger“ vergl. Dr. G. Fritsch im Sitzungsberichte der Ge- sellschaft naturforschender Freunde Berlins vom December 1867. Ich schliesse mich dieser Ausführung an. a; « 96 R. Hartmann: beliebt. Ihre Intelligenz ist noch wenig entwickelt. Bis jetzt leben sie in sehr dürftigem Kulturzustande, als Ackerbauer und Viehzüchter, theils in eigentlicher Oberhäupter entbehrenden Gemeinschaften der Dörfer, der Murächs oder Weideplätze, der Mascheras oder Landungsplätze und der Matatschaften, Fami- liensitze. Sie zerfallen in grössere, zunächst dem Fungi ver- wandte Sprachstämme. Sind schutzlos den Angriffen der Skla- venjäger ausgesetzt. Wohnsitze hauptsächlich am weissen Nil, am Sobät und am Gazellenflusse, 6) Eingewanderte Forauer,* mohammedanische Bewohner von Darfür, welche, von der Mekkafahrt zurückkehrend, sich unter dem Namen Tekärine oder Takärir im Galabät niederge- lassen und hier einen sowohl Aegypten, als auch Abyssinien tributären Staat von fast republikanischer Einrichtung gebildet haben. Dunkel, intelligent, ein im Allgemeinen den Funje, Kanüri, Teda, Haussaua und anderen Nationen des westlichen Innern ähnelnder Schlag. 8) Eingewanderte Nordwest- Afrikaner, Syroaraber und Ara- ber von Yemen, ferner Osmanen, Arnauten, Griechen, Franken (Bewohner Europas mit Abzug von Griechenland), Armenier, Tscherkessen, Indier, Nordamerikaner u. s. w. Sind theils no- madische Bewohner der nordöstlichen arabischen Wüste, theils, und zwar in der Ueberzahl, Officiere, Beamte, Kaufleute, Hand- werker und ‚Reisende. In ganz Aegypten, in einigen der volkreicheren Städte Nu- biens (Derri, Neu-Dongola, Berber, weit weniger aber in Khar- thüm und El-Obed (Kordufän), entfaltet sich in unseren Tagen mehr und mehr jenes Kulturleben, welches seine erste Anregung dem gewaltigen Reformator Mohammed-Ali verdankt und wel- ches weitergeführt wird durch dessen Nachfolger. Wir gewin- nen hier den Eindruck eines zwar langsamen, aber doch un- aufhaltsamen Fortschrittes. Es entfaltet sich dort das interes- sante, lebensvolle Schauspiel eines Kampfes zwischen den ver- rotteten Prineipien mohammedanischer Staatsweisheit und den Ideen des neueren Europas. Die türkischen Besitzungen in ° Nordost-Afrika, diese Wiege einer vieltausendjährigen Kultur, bilden den geeigneten Boden, auf welchem beide einander ur- Medicinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. 97 sprünglich so feindliche Principien mit einander Versöhnung eingehen werden, wenn auch erst nach langem Ringen, nach vielfachen Rückschlägen. Hier kann die Versöhnung von Orient und Oceident ohne Zweifel eine innigere werden, als im osma- nischen Europa, dessen halbfertige Zustände gar zu schnell in den Strudel eines slavisch-christlichen Umsturzes-hineingedrängt zu werden drohen. Auch das neuere Aegypten hat gewisse civilisatorische Er- folge, die selbst unser Europa blendeten, erst nach bitteren Erfahrungen erworben. An dem durch eine lange und wüste Wirthschaft der Mameluken-Beys zerwühlten, am islamitischen Fanatismus verdorrten Baume des ägyptischen Staatslebens zu rütteln, ihn neu zu beleben, zu veredeln durch Inoculirung frischer, kräftiger Sprosse, das erforderte wohl die Eisenfaust eines Mohammed-Ali. Nur schade, dass dieser. merkwürdige Mann sich gar so häufig in seinen Mitteln vergriff. Ja, hinter dem ‚blendenden Schimmer der von ihm geschaffenen Paläste starıte das nackte Elend seines Volkes, in das Triumphgeschrei seiner siesreichen Legionen mischte sich das Jammergestöhn der ‚Ueberreste zerrütteter Familien, den Boden seiner Staatslände- reien düngte der blutige Schweiss der an die Scholle gebann- ten Landbebauer. Das treffende Bild eines, grossartigen, ener- gischen, aber harten, unbeugsamen Orient-Fürsten, wie er in jenem Amhära-Chef das würdige Seitenstück findet, welcher jetzt von den Felsenzinnen Magdalas und Debra - Tabors aus der stolzen Britannia trotzt. Vor Jahrzehenten, als Mohammed-Ali-Bascha von seinen Schlössern Ras-ettin und Galat-Masser die noch vom Blute der durch ihn gemordeten Mameluken-Beys rauchenden Hände aus- reckte, um civilisatorische Befehle anzuordnen, da erfolgten in Aegypten Scenen, die uns halb Bewunderung, halb Grausen abnöthigen. Verwüstetes Land verwandelte sich rasch in üp- pige Fluren, stolze Arsenale, Fabrikgebäude, und dem Genius I der Intelligenz geweihete Busen erhoben sich, Kanäle gruben sich durch den Boden, Fregatten bläheten auf dem Mittelmeere 8 ihre Segel, der Donner der Schlachten von Nisib, Konieh und Homs machte den Grossherrn am Bosporus beben, die Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 7 A U ei, Fi 98 R. Hartmann: Könige des Sudän neigten sich vor dem Banner des Nachfolgers der Rhamessiden. Aber auf welche Weise vollzogen sich diese Dinge? Gebrauchte man Arbeiter, so wurden die leibeigenen Bewohner zu Tausenden durch Frohnknechte an die Grabscheite gepeitscht; schlecht genährt und besoldet, übermässig angestrengt, gingen sie in grossen Massen zu Grunde. Sollen doch bei Gra- bung des Machmudiehkanales allein gegen 20,000 Menschen er- legen sein! Wollte der Bascha Geld, so mussten ihm das schreckliche Monopolsystem und die’unerschwinglichen Steuern den immer schnell sich leerenden Säckel füllen. Nie durfte sich der fleis- sigste Landmann sauer erworbenen Gewinnstes freuen. Das Argusauge der Steuerbeamten und Rechnungsführer erspähete auch die geheimsten Verstecke und die kleinsten Summen. Gebrach es an Kriegsleuten, um mit deren Hülfe südliche Lande zu erobern oder um die Superiorität des Padischah zu untergraben, so fing man die Bewohner ein, zwängte sie in Uniformen und gab sie in Lazarethen oder auf blutiger Wahl- statt dem Engel des Todes preis. Welche furchtbaren Verluste durch solche Vorgänge dem Lande an Menschenmenge und an Wohlfahrt bereitet wurden, vermag man kaum auch nur annä- hernd zu ermessen.') Aber die Morgenröthe einer besseren Zeit ist denn auch über diese schwer geprüften Gebiete hereingebrochen. Man gräbt jetzt wohl den Suezkanal, ein ungeheures Werk, man gebraucht auch dazu viele Tausend eingeborener Arbeiter, aber man bezahlt, nährt und behandelt dieselben heut besser, wie früher, und der Prozentsatz der dabei zu Grunde Gehenden 1) Uebrigens darf man sich bei Lesung dieser gerecht empfunde- nen Expectorationen nicht zu der Annahme verleiten lassen, als habe Mohammed-Ali ein neues System der Kneehtung erfunden. Er hat nur das fortgesetzt, was vor Jahrtausenden unter den Pharaonen be- gonnen, was wiederum Jahrhunderte lang nach ihnen fortgeführt wor- den. Aber der Nimbus, welcher Mohammed-Ali's Namen umgiebt, fordert ein Verweilen gerade bei ihm, der trotz unzähliger Missgrifle, trotz vielfach verfehlter Mittel doch immer Das gesät, was seine Nach- folger ernten und in der Folge noch ernten werden. | Medieinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. 09 hat sich ganz ausserordentlich vermindert. Die Monopole sind "so gut wie aufgehoben, der Landmann, früher leibeigen, ist freier Grundeigenthümer geworden. Während die Früchte seines Fleisses ehemals zum allergrössten Theil in den viceköniglichen ‚Schatz flossen, wandern sie jetzt in demselben Verhältniss in den Beutel des Producenten selbst. Die Steuerlasst ist ver- mindert worden. An Stelle der Zwangsrekrutirungen ist die allgemeine Wehrpflicht getreten. Die Soldaten, besser gekleidet, genährt und besoldet, bleiben nicht mehr so lange bei den Fahnen, und man führt mit ihnen nicht mehr so viele und so blutige Kriege, als ehedem. Fehlt es freilich auch jetzt nicht an echt morgenländischem Schlendrian, an zuweilen recht plumpen Fehlgriffen und an Inconsequenzen, so wird dennoch die Geschichte, so wie sie den Namen eines Mohammed-Ali im Allgemeinen bewundernd nennen wird, auch demjenigen eines Mohammed-Said und Ismail die Gerechtigkeit nicht versagen. Im oberen Nubien und. im eigentlichen Sudän freilich bieten die öffentlichen Zustände bis jetzt nur wenig Aussicht auf gründlichen Fortschritt zum Bessern dar. Man darf dies weniger einem Mangel an natürlicher Anlage der dortigen Be- wohner, weniger einer mangelnden Kulturfähigkeit des Bodens, als der bis jetzt noch 'so geringen Anregung von Aussen her zuschreiben. Der Einfluss Europas, welcher sich in Aegypten von besster Seite her fühlbar macht, wirkt in diesen fernen Gegenden eher schädlich, als nützlich. Denn die Mehrzahl der - Repräsentanten unseres Erdtheils besteht hier In Lüderianen und verbrecherischen Abenteurern, von denen nicht wenige reif sind, das Blut ihrer bei Sklavenjagden hingemordeten Brüder auf dem Schaffote zu sühnen.'). Der ägyptische Sudän ist weit vom Sitze des Divan entfernt, und die Statthalter, frei von der strengen Controle der Metropole, handeln meist wie echte Satrapen. Das wohlgemeinte Staatsgrundgesetz des Vice- 1) Wer dies Urtheil für zu hart halten sollte, möge sich die * Mühe nehmen, die darauf hinzielenden Erörterungen von Brehm, Heuglin, Harnier, Lejean, Speke und Grant, Baker und mir selbst durchzusehen. Gb a N 2 DR a N 2 ER | b Dee ie x N Bin >: % 100 R. Hartmann: königs Said-Bascha für den Sudän existirt mehr nur auf dem Papier für diese Annexa. Namentlich einer der neueren Ge- neralgouverneure des Sudän hat sein Verwaltungsgebiet durch brutale Akte der Willkühr und durch verkehrte Maassregeln für lange Zeit ruinirt. Allerdings auch hindern schlimme klima- tische Einflüsse das Eindringen eines kräftigen Fermentes in diese träge Masse, in der sich Zustände offenbaren, welche wir daheim, Gott sei Dank, bereits vor Jahrhunderten durchlebt. Daher in Nubiens meist armen, felsigen Distrieten noch immer Hunger und Kummer, im Sudän noch immer die alte Rohheit der schon in den pharaonischen Stelen als „elend* geschmähten Kuschiten, Mangel an Handel und Wandel, Unsicherheit der Person und des Eigenthums, wildes Gethier, aufreibende Kriege und verheerende Seuchen! Am weissen Nil nun gar die Schutzlosigkeit der wilden Bewohner, die Schrecknisse der Rassuah!!) Solche Betrachtungen schienen mir nicht unwichtig für ein näheres Verständniss der nunmehr erfolgenden, die Krank- heitszustände jener Gegenden betreffenden Darstellung. Während in dem eivilisirteren Aegypten, unter den Ein- wirkungen gewisser Sittenverfeinerung, die pathologischen Zu- stände eine complieirtere, vielseitigere Gestalt annehmen, bieten dieselben dagegen unter den simplen Verhältnissen Nubiens und Sudäns ein weit einfacheres Bild dar. In der ersteren Provinz sind die europäischen Einwanderer und die autoch- thonen Städtebewohner im Allgemeinen häufigeren und mannig- faltigeren Affectionen unterworfen, als die robusten, einfach le- benden, ägyptischen Landbauer. Was zunächst die sich hier aufhaltenden Europäer betrifft, so können diese in zwei Kategorien eingetheilt werden, näm- lich in Touristen und in längere Zeit hier Verweilende, resp. hier Ansässige. I) Rassuah (Razzia), im Allgemeinen jeder Kriegszug, insbeson- dere aber der Raubzug äegyptischer und europäischer Banden zur Aufbringung von Sklaven. 2 u EG Er _Medieinische Erinnerunfen aus dem nordöstlichen Afrika. 101 Zu Ersteren gehören diejenigen Patienten, welche für durchschnittlich kurze Zeit hier Milderung ihrer Leiden suchen, ; ‚jene nicht kranken Vergnügungsreisenden, die, durch die stets wechselnden Reize des klassischen Bodens angelockt, meist a nur für Wochen, kaum für Monate, ihren Wanderstab bis an die nubische Grenze, ja selbst noch darüber hinaus, zu tragen _ pflegen. Unter Solchen, welche hier einen längeren Aufent- halt nehmen, befinden sich theils ganz Gesunde und theils (an Brustübeln namentlich) Leidende, deren unzureichende Geld- mittel es ihnen zur Pflicht machen, einen ausgedehnteren Aufent- halt im Lande durch irgend einen daselbst unternommenen Er- werb zu verdienen. Die hier nur ihrer Gesundheit lebenden Fremden nehmen sieh gewöhnlich sehr in Acht, vermeiden möglichst die sich - darbietenden Schädlichkeiten, und wenn sie dennoch bald ein- mal erliegen, so sind die Gründe dazu in ihren Krankheits- 5 zuständen, in ihrer geringeren Lebensenergie, zu suchen. ) Alle kürzere Zeit hier verweilenden, übrigens gesunden Touristen, sind bei nur mässiger Vorsicht wenig ausgesetzt und kehren meist glücklich heim, nichts mitnehmend, was die an- ke _ genehme Erinnerung an eines der reizendsten Länder der Erde beeinträchtigen könnte. Das dokumentirt ja schon jene bände- reiche Touristenliteratur über die Wiege der Pharaonen, deren B; Produkte häufig in den begeistertesten Ausdrücken abgefasst sind. Unter den an sich gesunden Ansässigen nun giebt es zwar sehr verständige Leute, deren Leben ganz ein dem fremden Klima des fremden Landes angemessenes ist, doch existirt darunter $ auch recht viel verlottertes Volk, das sich immer nur in Leicht- ä _ sinn und roher Schwelgerei gefällt. Unter Leuten der letzteren r ee verfallen die mehrsten den hiesigen Lokalübeln. Ich erinnere nur an jene europäischen Tagediebe der allerschofelsten Ente, welche die niedrigen Kneipen und Bordellwirthschaften _ der grösseren Städte Mittel- und Niederegyptens füllen, aus deren Mitte sich auch stets ein guter Theil der Krankenbestände der dortigen Lazarethe recrutirt. Im Ganzen sind hier der deutsche, englische und franzö. - sische Handwerker als fleissig und ehrbar bekannt, aber unter er = E i RER PR ba u RN Re a Re EIERN N ER \ » A 102 R. Hartmann: den süditalienischen, malteser und griechischen Abenteurern, deren es leider die Fülle giebt, kommt viel nichtswürdiges Gesindel vor, Trunkenbolde, Räuber und Meister im Stechen mit der Navaja sevillana. Frägt man nach den allgemeinsten, hauptsächlichsten Ur- sachen, welche hier einen Europäer krank machen können, so sind dies: Witterungswechsel, namentlich zur Frühlings- und _ Herbstzeit, die Schwierigkeit, stets eine der herrschenden Monats-, ja Tagestemperatur') entsprechende Kleidung auszuwählen, un- bedachter Genuss nicht gewohnter Speisen, wie z. B. der in grosser Auswahl und Schönheit vorhandenen, auch wohlfeilen Südfrüchte, Staub, directes und reflectirtes Sonnenlicht, die hier leicht sich einleitenden, gewöhnlich aber schnell sich rächenden Ausschweifungen in baccho et venere, endlich noch eine Fülle wenig bekannter, von uns mehr nur vermutheter Momente, deren Aufzählung bereits an anderen Orten versucht worden ist. _Intermittenten grösstentheils leichter Natur, Typhen, Rheuma, Katarrhe der Respirations- und Verdauungswerkzeuge, Leber- und Nierenentzündungen, Dysenterie, Syphilis, Haut- übel venerischer und nicht venerischer Art, Helminthen und ÖOphthalmien befallen die hier weilenden Europäer. Die Kinder der letzteren gedeihen, wie ich das schon an mehreren Orten zu bemerken Gelegenheit genommen, sehr schlecht, besonders in den früheren Lebensjahren. Sie gehen theils an gewöhn- lichen, auch in anderen Breiten einheimischen Kinderkrank- heiten, theils an einem bald acuten, bald chronischer verlau- fenden Siechthum zu Grunde, dessen pathognomisches Bild ein sehr vielgestaltiges, nicht leicht in Kürze zu präeisirendes ist. Oft hilft diesen kränkelnden Wesen nur ein radikaler Klimawechsel, Es fehlt uns zwar nicht an statistischen Nachweisen über die Zahl der in ägyptischen Höspitälern beobachteten Krank- heitsfälle, besonders weisen die bekannten Arbeiten von Pruner, Griesinger, Schnepp u. A. in dieser Hinsicht ein brauchbares Material auf; trotzdem will ich noch die folgenden 1) Vor Allem bei den starken Differenzen zwischen Tag- und Nachttemperaturen. ischen Volksstanım, der, selbst halb orientalisch, und berühmt als ein zäh-kosmopolitischer, gegen die klimatischen Einflüsse des Ostens mehr gefeit erscheint, wie irgend ein anderer un- seres Kontinentes, ich meine nämlich die Griechen. Dr. Dikaios, der letzteren Nationalität angehörig, beobachtete im griechischen Hospital zu Alexandrien folgenderlei Krankheits- resp. Sterbe- fälle: Im Jahre 1856 unter 17 an Dysenterie Erkrankten 6 Todte, 1 an pernieiöser Intermittens, 1 an Tuberculose. Im Jahre 1857 starben unter 17 Dysenterischen 8, unter 2 an Hepatitis Erkrankten 1, unter 12 Tuberculösen 8. Im Jahre 1858 starben unter 11 Dys£nterischen 4, unter 4 am typhoiden Fieber Erkrankten 1, unter 7 an Hepatitis Lei- denden 1, unter 9 Tuberculösen 5. Im Jahre 1859 unter 19 Dysenterischen 9, unter 8 an Hepatitis Erkrankten 2, unter 4 an perniciöser Intermittens Erkrankten 2, unter 5 Tuberculösen 3. Osmanen und Armenier befinden sich in Menge im Lande als Officiere, Verwaltungsbeamte, Dolmetscher und Secretaire des _ Gouvernements, wie der Konsulate, Armenier sogar und zwar noch mehr wie Osmanen, auch als Geschäftsleute. Die Reprä- ‚sentanten von beiderlei Nationen ertragen die Einflüsse des ägyptischen Klimas besser, als Nordeuropäer, denen in dieser Hinsicht Spanier, Italiener und Malteser wieder voraus sind. - Die sogenannten Levantiner') können als völlig acclimatisirt gelten. Der Armenier ist eine in physischer und geistiger Hin- Be _ sicht sehr biegsame Natur, die sich fähig zeigt, den verschieden- artigsten Verhältnissen sich anzupassen. Kalt und heiss, gut ‘und schlecht, kriechend und tyrannisch, Alles wird dem betrieb- samen Volke von Arsrüm, Kars und Bajesid leicht. So findet es sich denn auch auf ägyptischem Boden ganz gut zurecht. Unter den hier lebenden Türken existirt eine meist durch 1) Abkömmlinge europäischer, namentlich italienischer, in der Levante eingebürgerter Familien, eine Art (sit venia verbo!) orienta- lischer Creolen. 104 R. Hartmann: Militairpersonen vertretene Kategorie, welche ganz Ungewöhn- liches in Vertilgung von geistigen Getränken leistet und daher auch den deletären Einflüssen zu reichlicher Libationen anheim- fällt, freilich weit mehr noch in Nubien und Sudän, als an den Gestaden des thebanischen und memphitischen Nil. Sonst übrigens erleiden Angehörige von beiderlei Stämmen ganz ähnliche Affectionen, wie die Sprösslinge der Frankenländer. Die Levantiner dagegen leben und erkranken ähnlich Aegyptens Stadtbewohnern. $ Gehen wir nun etwas näher auf die Lebensverhältnisse der in Aegypten sesshaften „Franken* ein. Dieselben hausen zum Theil in vollkommen italienisch, zum Theil aber in sara- zenisch gebaueten Wohnsitzen. Die Wohlhabenden umgeben sich mit allem Komfort der eivilisirten Heimath. Sie verfügen über geschmackvolle Meubles und über Kunstgegenstände, zu denen die orientalischen Divane und Teppiche, die Gullen, Bardaken und Sirs (Kühlgefässe) des Nilthales wechselvolle Gegensätze bilden. Ihre Kleidung ist die der europäischen Hauptstädte. Der noch vor wenigen Jahren sehr beliebte Fes weicht der Angströhre oder dem Kalabreser. Die Damen, am gastlichen Gestade des Osiris und der Ptah wohlgelitten, dürfen allem Luxus der Boulevards und des Hyde-Parks fröhnen. Die Nahrung dieser Leute bietet Gerichte des Abend- und Morgen- landes dar, Cafes und Konditoreien sorgen für die auch daheim beliebteren Stärkungs- und Erfrischungsmittel, ja es fehlen in den Lokalen des Esbekieh-Platzes zu Cairo selbst die Thereses und die Spieltische nicht. Die mit Sprungfeder- matrazen und mit Moskitonetzen versehenen Betten leiden nur an einem Uebel, an abscheulich vielen sechsbeinigen Gästen. An den ernsten aber gesunden Ufern des nubischen Nil fühlen sich die Europäer zwar weniger comfortabel, aber doch nicht körperlich übler, (etwa die durch höhere Temperatur ver- anlassten Inconvenienzen abgerechnet), als in Aegypten (cf. S. 101). Im Sudän wird das anders. In den Fieberhöllen Khar- thum, Obed, Sennär, Galabät u. s. w. dräut das klimatische Uebel an allen Ecken und Enden. Ein ungemüthliches, ein- förmiges, der geselligen Freuden und geistigen Genüsse bares Medicinische Erinnerungen an das nordöstliche Afrika. 105 Dasein, fürchterliche Hitze, krasser Staub, Heimweh, die ganze wüste, noch so wenig consolidirte Art des Lebens können hier dem Bessergewöhnten die Existenz vergällen. Der Schlechtere # aber, hier freilich in der Ueberzahl, stürzt sich in die scheuss- lichen Speculationen der Rassuah und. des Menschenhandels, - in die gefahrvolle Krämerei mit Wilden und in die Elephanten- jagd. An Stelle der soliden Ehe tritt hier das lockere Konku- binat mit schönen Abyssinierinnen, rohe Trinkgelage ersetzen die Entbehrungen eines anmuthigen socialen Verkehrs. Un- fähig, den ewigen Drangsalen des infernalen Erdgürtels auf die Dauer Widerstand zu leisten, erliegt die Mehrzahl nach kürzerem oder längerem, wenig Freude und wenig Genugthuung gewährendem Vegetiren. Hauptkrankheiten sind: Gewöhnliche und perniciöse Intermittenten, Typhen, Rheumatismen, Skorbut, Helminthen, Dysenterie, Leber- und Nierenentzündungen. Merkwürdig ist es mir stets gewesen, wie die geraumere Zeit in Nordostafrika lebenden Europäer sich unter den Ein- flüssen der fremden Erde in Habitus und Benehmen so eigen- thümlich gestalten. Im November 1860 verzeichnete ich darüber das Folgende in mein Tagebuch: „Die Europäer hierselbst altern zeitig, werden bald mager, gebräunt, hohläugig, erhalten früh gefurchte Züge und nehmen J häufig eine schlaffe, nachlässige, ja gebeugte Haltung an. Ihr Gedächtniss verliert an Schärfe, ihr Geist wird träge, die Arbeitslust vermindert Sich. Manche von ihnen eignen sich ein bedächtiges, mildes, halb träumerisches Wesen an, Andere dagegen verfallen in eine fast maniakalische Zanksucht, sie be- N fleissigen sich eines keifenden, herausfordernden Tones, wie ja auch ihre tägliche Umgebung (den ernsten Nomaden vielleicht _ ausgenommen) unruhig, laut und pathetisch sich zeigt. Bei _ nicht Wenigen entwickelt sich ein Hang zn groben Aus- schweifungen u. s. w. In Kharthüm aber ist mir und Anderen das todtblasse, gedunsene, kachectische Wesen der Mitglieder der europäischen Kolonie aufgefallen. i Die eingeborenen Städtebewohner Aegyptens leben in ihren theils prachtvoll sarazenisch, theils bescheidener maurisch- ägyptisch gebauten Häusern, und kleiden sich in faltenreiche 106 R. Hartmann: Gewänder nach des Ostens Sitte, wobei sie dem Grundsatze huldigen, ihren Kopf stets recht warm, ihre Füsse dagegen recht kühl zu halten. Sie sind zwar geistigen Getränken abhold, bedienen sich dafür aber sehr gewöhnlich narkotischer Mittel (des Häschisch, des Opium in subst.), rauchen viel Taback, trinken viel starken Kaffee, befassen sich gern mit stark- riechenden, als Parfüms hier allgemein beliebten, ätherischen Oelen, verbrauchen viel Gewürz, und die nicht immer harm- losen Aphrodisiaca. Ausschweifungen in venere, zu welchen (wie schon Sonnini leider mit Recht bemerkt), selbst Knaben von 10—14 Jahren hinneigen, und der oft so übermässige Gebrauch der türkischen Bäder verweichlichen diese Leute. Unterzieht man die ganze Lebensweise dieses geistig und phy- sisch von Haus aus begabten, aber charakterschwachen Gevölkes einer nüchternen Betrachtung, so nimmt es Einen nicht Wunder, dass dasselbe schon so oft vor der rohen Energie einer Hand voll flügelbärtiger und säbelrasselnder, arnautischer Trunken- bolde gezittert hat. Unter diesen Leuten sind hauptsächlich Syphilis, Rheuma- tismen, und zwar weniger der Gelenke als der Muskeln, ferner Katarrhe der Respirationswerkzeuge (im Winter), Gastroduode- nalkatarrhe, Hautübel, Ruhr, Leber- und Nierenkrankheiten, Geistesstörungen und Ophthalmien verbreitet. Verwundungen kommen bei ihrer friedfertigen, jeder Raufbolderei völlig ab- holden Gesinnung und bei ihrer städtisch vorsichtigen Lebens- weise nur selten vor. Das Landvolk (die Fellachin) bildet ein im Allgemei- nen gesundes, physisch wohl entwickeltes Bevölkerungselement. Diese Menschen sind nicht Freunde einer dichten Bekleidung, vielmehr lassen die Männer auf dem Felde ihre edelgeformten, schlanken Glieder meist ohne Hülle, die Weiber aber begnügen sich, namentlich in der Thebaide, gerade nur mit dem Noth- wendigsten. Ihre Wohnungen erscheinen höchst dürftig, ihre Sitten sehr einfach. Sie sind es früher gewesen, auf denen der Druck der Mameluken und türkischen Statthalter am meisten gelastet. Allseitig geplagt und gehetzt, haben sie sich Jahr- hunderte lang in dem bemitleidenswerthesten Zustande socialer “ ’ N Be 2 Medicinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. 107 Werkommenheit befunden. Sie haben denn auch stets ein - furchtbares Contingent für Infectionskrankheiten geliefert. Ge- n genwärtig der schwersten fiskalischen Leistungen entlastet, ha- ben sie sich in ihren Zuständen wesentlich verbessert. Bekannte schilderten mir noch unlängst den materiellen Aufschwung der Fellachin als ein eigenthümliches, für den Menschenfreund höchst interessantes Schauspiel. So scheint sich das Loos die- ser Leute allmählich besser gestalten zu wollen, als selbst das- jenige der Bewoliner mancher europäischer Fabrikdistriete, in denen Hunger und Kummer gewissermaassen Permanenz ge- wonnen haben. Die Hauptkrankheiten der Fellachin sind Rheumatismen, Syphilis, Lepra, Elephantiasis, Hautübel, Katarrhe der Ath- mungswerkzeuge, des Darmkanals, Ruhr, Leberkrankheiten, Ophthalmien, Parasiten. Bei ihrer roheren Sinnesart tragen sie auch schon eher Verwündungen davon. In den nubischen Ackerbaudistrieten herrschen im All- gemeinen ähnliche Verhältnisse, wie in denen Mittel- und Ober-Aegyptens. In den südlichsten Gegenden des Landes tre- ten Intermittenten häufiger auf; sonst jedoch sind die Krank- heiten der Nubier eben nicht von denen der Fellachin unter- schieden. Bei den Beduinen der Wüsten und Steppen sind Kleidung, R "Wohnung und die ganze Lebensweise sehr einfach. Diese Leute leiden an Rheumatismen, Hautkrankheiten, Katarrhen des Kehl- kopfs und der Lungen, an Pneumonien; weniger dagegen an Syphilis, Lepra, Ruhr. Manche von ihnen gehen an Insolatio- nen!) und an den zuweilen ganz übermässigen Strapazen ihres Lebens zu Grunde. 1) Im Allgemeinen ist man in Nord-Afrika der Ansicht, dass die Eingeborenen, besonders aber die soviel im Freien zubringenden No- _ maden, dem Sonnenstich nicht oder nur höchst selten unterlägen. Indess hat diese Regel mehr Ausnahmen, als man denken möchte. _ Auch mir sind etliche derselben bekannt geworden. So z. B. ward _ einer meiner Freunde, ausgezeichneter Aesyptiolog, im Jahre 1863 in - Wadi Söfra unfern Schendi und mit ihm drei nomadische Ka- meeltreiber, vom Sonnenstich getroffen. Zwei der Eingebornen starben noch denselben Tag. 108 R. Hartmann: Im Sudän treten gewisse dominirende Krankheiten, als gewöhnliche und perniciöse Intermittenten, Typhen, Scorbut, Dysenterie, acute und chronische Diarrhöen, unter Sesshaften und unter Nomaden auf. Namentlich schlimm ist hier freilich der Fremde daran. Das lange Todtenregister der hier schon an Fieber, Insolation, an Dysenterie und Scorbut zu Grunde gegangenen und noch alljährlich daran sterbenden Europäer, sowie türkischer und ägyptischer Beamter'), erinnert uns, dass in diesen Gegenden vorläufig noch keine Stätte für erfolgreiche Besiedelung sein kann und darf. Schon ältere Reisende, wie Pater Krump und Bruce, bemerken, dass im Sennär zu ge- wissen Zeiten Fremde und Einheimische nicht gediehen, dass dann selbst das Hausvieh litte, ja dass die Thiere der Wildniss manchen noch wenig oder gar nicht bekannten Affectionen an- heimfielen. Letztere werden freilich von dem vereinzelte Vor- kommnisse und locale Verhältnisse so leicht verallgemeinernden und phantastisch ausschmückenden Eingeborenen dem Stiche der noch halb fabelhaften Surrita oder Tzaltzalya, angeblich einem Seitenstück der südafrikanischen Tsetse-Fliege, zuge- schrieben. Die öffentliche Gesundheitspflege zeigt sieh im Aegypten, Nubien und Sudän bis jetzt leider in einer wenig gedeihlichen Weise entwickelt. Es giebt zwar im Diwän eine Centralstelle für die Medicinal- Angelegenheiten, es giebt da Kollegien, Gesundheitsräthe, in Cairo gar ein offizielles Bildungs- institut für Aerzte und noch vieles Andere mehr, es sieht und hört sich Manches recht schön an, aber im Allgemeinen ist 1) Die europäische Colonie zu Kharthüm z. B, ist bereits mehrmals bis auf wenige Individuen ausgestorben. Es hat der Tod in Gestalt des Fiebers endlich doch selbst Solche dahingerafft, die sich viele Jahre lang im Lande befunden und sich bis dahin stets einer leidli- chen Gesundheit zu erfreuen gehabt. Die österreichischen Mission, welche von 1848— 1860 in Kharthüm bestanden, hat wegen Ablebens der Mitglieder einigemal vom dortigen Consulat unter Siegel gelegt werden müssen, Aehnlich ist es auch in den Stationen Heiligenkreuz und Gondokoro am weissen Nil zugegangen, - Medieinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. 109 _ wenig Reelles dahinter, namentlich seit die obersten Medicinal- stellen aus den Händen redlicher, wissenschaftlich hervorragen- 3 der, energisch durchgreifender Deutscher in diejenigen einer - Anzahl oberflächlicher Windmacher aus aller Herren Länder _ und einiger ganz strebsamer, aber nicht ernst genug durchge- bildeter Mohammedaner übergegangen. Möge sich ja Niemand durch den Bombast täuschen lassen, der manchmal aus den _ Regionen der Pompejussäule und aus den gesegneten Gauen _ von Memphis zu uns herübertönt, durch einen Bombast, den die Türken gutmüthig oder vielmehr schwach genug sind, für baare Münze zu nehmen, mit dem endlich man in Europa zu- : weilen recht erfolgreich Schaum zu produciren weiss. Wer _ übrigens mehr über diese im Ganzen sehr unerquicklichen - Dinge zu erfahren wünscht, kann darüber in meiner Skizze der Nilländer, Cap. IX., nachschlagen. - Die Eingeborenen sind im Allgemeinen zu leichtsinnig und zu träge, um grossen Bedacht auf Erhaltung ihrer Gesundheit zu nehmen. Vieles thun hierbei der im Islam wurzelnde Fa- talismus, der durch den Aberglauben genährte Schmutz'), die Unwissenheit. Verkehrte Geschmacksrichtungen, verkehrt, weil sie jeder gesunden Vernunft Hohn sprechen, auch Hang zu Ausschweilungen, arbeiten hier dem Verderben unaufhörlich in die Hände. Immer wirkt in diesen Beziehungen auf Aegypten bereits der europäische Einfluss, indessen mag es selbst hier noch lange > ehe so manche tief eingewurzelte Vorurtheile einem besseren Verständnisse gewichen sein werden. Im Sudän freilich kommen gar häufig Dinge in Betracht, E. welche für menschlichen Aberwitz noch unberechenbar sind, Biene ungeregelten Kraftäusserungen einer gewaltig regsamen _ Tropennatur, wie wir ähnliche auch in anderen heissen Ländern “ schaudernd und doch bewundernd wahrnehmen können. Dort _ finden Jahre lang hintereinander ausgiebige Regen, in den Be: - 1) Waschen doch manche vornehmere Leute ihre Kinder selten a lassen sie aussen gar zerlumpt einhergehen, um sie dem „ihrem leihen absolut schädlichen, ja höchst verderblichen bösen Blick!“ neidischer Mitmenschen zu en Zn = » 1 % De ne u € I FIR “. ec Diem 110 R. Hartmann: Grenzen des Normalen bleibende Ueberschwemmungen statt, und nun treten plötzlich furchtbare, überreiche Niederschläge, bald darauf wieder entsetzliche Dürre, ein.!) Solche Ereignisse aber bieten in dieser unbändigen Natur weit stärkere Ge- gensätze dar, als dies bei uns durchgängig der Fall zu sein | pflegt. Auch schaffen hier ewige Kriege mit ihrem Gefolge von Verwüstung und Elend, der Zahn wilder, räuberischer Thiere und die Abenteuer der manchmal recht gefahrvollen Jagden dem Tode hinlängliche Beute. Wenden wir uns nunmehr zur kurzen Betrachtung einiger hauptsächlich herrschender Krankheiten beider oben bezeich- neter Zonen. Intermittirende Fieber befallen in Nieder - Aegypten und in Nubien zwischen Alt-Dongola und Meraui, Provinz Schegie, seltener, und selten in bösartiger Form, Fremde, sowie Einheimische. Häufiger, auch in schlimmeren Graden, stellen sich derartige Krankheiten schon in der Bejüdasteppe, südlich vom 17.'n.Br., ein. Von da ab südlich mehren sich jene Fie- berheerde, die ihren schrecklichen Ruf mit Recht nach allen Landen verbreitet: die Ufer des blauen und weissen Nil, des unteren Atbärah, das Zwischenflussland vom Sennär, der süd- lichere Theil von Taka, das Baria- und Basenaland, Kordufän, F | | | | am rothen Meere das Söhhil, vom eigentlichen Samhär bei Massaua bis zum Tehammet-Adäjel und den Chalat-es-Somäl, über etwa zehn Breitengrade, und in weite Fernen über den Aequator bis zur südlichen Regengrenze hinausreichend. Am heftigsten wüthen die Fieber kurz vor und kurz nach Aufhören der Regenperiode. Gänzlich frei von ihnen ist eigentlich keine Zeit im Jahre. An manchen Localitäten zeigen sich diese Af- fectionen bösartiger, als an anderen. In gewissen Gegenden 1) Während z. B. die allzu nasse Regenzeit des Jahres 1862 fast ganz Sennär (15 bis ca. 7° n. Br.) unter Wasser setzte und während damals in den stinkenden, gährenden, meilenweit sich erstrecken- den Regenteichen sich das tödtlichste Gift erzeugte, litt Bäriland (4° vn. Br.) in den Jahren 1857 und 1861 an versengender, grässliche Zu- stände des Hungers und der Verzweiflung hervorrufender Trockenheit. = Medieinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. 111 2 Kohlen dieselben lange und brechen daselbst plötzlich aus, be- stehen eine Zeit hindurch, verschwinden wieder, um von Neuem, nach mehr und minder bedeutenden, zeitlichen Schwankungen, zum Vorschein zu kommen. Sie sind hier endemisch, dort epidemisch, hier constant, dort ephemer. Ihr Entstehen ist oft scheinbar ganz deutlich an gewisse Bodenzustände gebunden, wie z.B. an die Existenz von Erdklüften, stehenden oder träge fliessenden Wassern, von morastigen Walddickungen. Es finden sich z. B. südlich vom 15.°n. Br. Fieber ein in kahlen, staubi- gen Ebenen, wie um Kharthüm, Woad-Medine und Sennär, in Steppen voll schwellender Rohrdickichte, wie zwischen blauem Nil und Dindir, in finsteren Urwäldern voll Palmen und Lianen, wie bei Roseres, auf lachenden an Europens schönste Weide- gründe erinnernden Waldwiesen (Om-Durmän), an Abhängen der Küstengebirge, in den Schorabüschen des seichten Meeres, fast zwischen den Korallenbänken der brandenden Fluth! Oft aber späht das Auge des Forschers vergebens nach ätiologischen ‚Momenten umher, es wendet sich ermüdet ab, ohne auch nur die leiseste Andeutung zu gewinnen, die irgend einen Anhalt für die nach Ursachen suchenden Speculationen gewähren - könnte. Leider fehlt "uns bislang noch jeder tiefe Einblick in das Wie und Woher jener Affectionen. Wir finden hier weder in der Annahme toxisch wirkender Gase, noch in derjenigen - gewebedurchwuchernden Cryptogamen unsere Befriedigung. Es _ werden noch Zeiten auf Zeiten vergehen, bevor es gelingen mag, dies Dunkel zu lichten. Während nun, wie schon angedeutet, Intermittenten in Aegypten und in Nubien im Allgemeinen milde auftreten, bald als eintägige, bald als dreitägige, während sie hier meistentheils den gebräuchlichen Medicationen weichen (Schwitzbädern, Chi- ninsulphat, Arsenikalien u. dgl.), gewinnen dieselben dagegen - im Sudan so leicht die Tendenz, remittirend, continuir- lich zu werden, und einen bedeutenden Procentsatz der Be- fallenen dahinzuraffen. Ja sogar die nicht perniciös werdenden, - einfach intermittirenden Fieber untergraben hier bei ihrer nur zu häufig längeren Dauer die Lebensenergie des befallenen In- dividuums. Sie hinterlassen, selbst gewichen, schwere, oftmals ET RT NEE Bu 30 112 R. Hartmann: noch tödtlich endende Folgekrankheiten, wie (hier) reissend schnell entstehende, sehr quälende Fieberplacenten, Wasser- suchten, Geistesstörungen u. Ss. w. Im Sennär existirt eine Form der pernieiösen Fieber, die hinsichtlich ihres rasch mortalen Verlaufes der sogenannten asphyktischen Cholera kaum etwas nachgiebt, wobei der Tod binnen wenigen Stunden eintreten kann! Als Hauptmomente, welche in diesen Regionen eine in die Kategorie der erwähnten Fieber gehörende Krankheit hervor- rufen sollen, gelten nach gewöhnlicher Angabe: Häufiges und andauerndes Aussetzen der Sonne, Durchnässung, Erkältung in feucht-kühler Nachtluft, körperliche Beschwerden auf Reisen, Truppenmärschen u. s. w., ferner psychische Strapazen bei allzu reger geistiger Thätigkeit und bei Gemüthsaffeeten, Ausschwei- {ungen im Essen, Trinken und im Geschlechtsleben, Genuss gewisser, als „unfehlbar fiebererzeugend* angesehener Speisen, endlich Einathmung von Wald- und Sumpfluft. Freilich trifft nun so etwas recht häufig zu. Z. B. werden die ägyptischen Truppen auf ihren mit unsäglichen Drangsalen verknüpften Märschen durch rebellische Distriete des Sudän vom pernieiösen Fieber deeimirt. Man hat Reisende am Fieber zusammen brechen sehen, denen die möglichste, wissenschaftliche Ausbeute ihrer Unternehmung mehr am Herzen gelegen, wie ein ängstlicher Bedacht auf ihr körperliches Wohlergehen. Man sah Leute am Fieber erkranken, die sich an üppigen Gastmäh- lern allzu gütlich thaten, die in buhlerischen Umarmungen mit braunen und schwarzen Dirnen des Landes nicht Genüge zu finden wussten. Es erschienen tödtliche Fieber bei Personen, die nur eine einzige Nacht in der Nähe dieser oder jener Lache, in irgend einer feuchteren Waldniederung, entweder direct auf blosser Erde oder nur wenige Zoll, selbst Fusse, darüber, zuge- bracht. Wieder erkrankten Solche, die viel schlechtes Wasser oder kalte Milch getrunken, viel schlifiges Brod gegessen u. s. w._ Aber es sind auch genug Leute befallen, resp. getödtet worden, welche mit allen möglichen, durch die Umstände ge- gestatteten Vorsichtsmaassregeln gelebt haben. Man hat schon viele, unendlich viele Cautelen für Euro- 3 r A DE Ze De ul Sm A ee a DZ 5 0 m a nu #6 ae Oz “ Medieinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. 113 “ päer in Vorschlag gebracht, welche in diesen Gegenden zu _ reisen und sich daselbst, so gut es gehen möchte, gegen Fie- bererkrankung zu sichern wünschen. Ich habe mich häufig über jene auseinanderweichenden Ansichten verwundern müs- sen, die. gerade in obiger Beziehung sich geltend gemacht. _ Ich habe dabei aber auch leider die Ueberzeugung von unserer grossen Ohnmacht gegenüber einem Uebel gewonnen, dem schon Manche und ich selbst einen sehr schweren Tribut ge- | bracht. Während nun z. B. der Eine das Tragen von wollenen Hemden und Leibbinden anräth, fordert ein Anderer, der Hitze wegen, leichtes Shirtingzeug. Jener will stets kalten Kaffee, Dieser heissen Thee, ein Anderer Wasser mit Cognac, ein Vierter nur reines Wasser zum Getränk. A. verlangt leichte "Vegetabilien, B. kein, ©. wohl etwas Fleisch zum Essen, « will Spirituosen, £ nicht, 7 fordert dazu auf, Chinin prophylaktisch zu nehmen, d verwirft dies u.s. w. u.s. w. Man könnte Bände 8 mA . wa“ voll gegebener, gescheuter und ungescheuter, Verhaltungsmaass- regeln sammeln. Was ich endlich selbst für das Beste halte, habe ich (a. a. O. Cap. X. 5. 369— 379) anzuführen nicht er- „ mangelt. Bei Allem hält der Tod hier seine Ernte unter Ge- _ rechten und Ungerechten, unter Weisen und Unweisen. Am a meisten und am leichtesten werden hier von Fiebern befallen. ar Europäer, Asiaten und Abyssinier, letztere oft schon kurze Zeit, er _ nachdem sie ihre kühleren Hochlande mit den dampfenden } en, den Niederungen Sennärs vertauscht. Man glaube aber, ja nicht, dass das Gins-ettin oder Näs-ettin-es-Sudän, die Kin- n des Landes Sudän, davon verschont blieben. Auch sie er- liegen der Warda, Rose (d. i. Febris intermitt.) häufig, wie- wohl schwerlich jemals in so hohem Grade, als die Fremden. FR Neben den zur Kategorie der intermittirenden Fieber gehörenden Krankheiten treten in diesen Ländern auch Typhen m vor denen Manche die warmen Klimate gesichert glauben, mit grossem Unrecht. In Aegypten, Nubien und Sudän der lleotyphus im Allgemeinen häufiger, als der Pneumo- ie Mögen nun zwar auch nicht wenige der im Sudan senden, sogenannten „typhösen“ Fieber oder „Typhoiden“ in den Bereich der pernieiösen Intermittenten gehören, so las- Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 8 114 : R. Hartmann: sen sich hier doch auch einzelne wahre Ileotyphen consta- m tiren. Es kommen Fälle vor mit intensiven Fiebererscheinun- gen, Delirien mit, Meteorismus, fuliginösem Belag, Bronchial- katarrh, Pneumonie, Roseola, heftigen Diarrhöen, Darmblutun- gen, Parotiten u. s. w., sowie noch häufiger andere, rapid tödt- liche, mit schweren Cerebral-Erscheinungen, heftigem Nasen- bluten und Petechienausschlag begleitete. Pneumotyphen sind von Griesinger, Bilharz, Peney und. Anderen in Aegypten, Nubien und an der afrikanischen Küste des rothen Meeres wahrgenommen worden. Auch das biliöse Typhoid, welches uns Griesinger’s schöne Arbeit kennen gelehrt, spielt hier eine Rolle.') Letztere Krankheit ist es hauptsächlich ge- wesen, die das Innere des Continentes unverdienterweise in den Ruf gebracht hat, als grassire hier von Zeit zu Zeit gar das „gelbe Fieber“. Dennoch aber herrschen nicht un- wesentliche Unterschiede zwischen jener „andauernden, schwe- reren , an vielfachen Localisationen reichen Form der Febris recurrens* und dem Vomito prieto der spanischen Creolen. j Die Febris recurrens scheint Nordostafrika von Zeit zu Zeit in furchtbaren Epidemien heimzusuchen, vor Allem frei- lich dann, wenn starke Anhäufungen einer politisch und social gedrückten Volksmenge stattfinden und wenn Jahre des Hun- gers hereinbrechen. Letzteres Uebel findet sich ja leicht in Gegenden ein, in denen der halbwilde Mensch gewissermaassen von der Hand in den Mund zu leben pflegt, wo er nicht leicht für die Zukunft sorgt, wo denn auch Dürre, Krieg u. s. w. so- fort den allergrössesten Jammer nach sich ziehen (vgl. S. 100). Allem Anscheine nach ist nun das Pharaonenland schon in den frühesten Zeiten von zerstörenden Typhus-Epidemien heimgesucht worden. Als z. B. Nechao II. an dem von Setil. begonnenen, von Daryävus Vigtagpa beendeten Kanale zur Ver- bindung des Niles mit dem rothen Meere arbeiten liess, sollen etwa 120,000 Menschen an „Krankheit* zu Grunde gegangen sein. In diesem merkwürdigen Lande arbeiteten aber zu Mo- » u 1) Epidemien z. B. 1858 unter dem Militär in Neu-Dongola, ein+ geschleppt aus Kordufän; 1860 auch zu Berber, ‘ A hr Medieinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. 115 % eAls Zeit die vielen Tausende von Fellachin am Mach- mudiehkanal unter ganz ähnlichen Auspicien, wie in seit lange verflossenen Jahrhunderten, wo anstatt der modernen Kawassen noch die Büttel der „Söhne der Sonne * ihre Hippopotamus- peitschen über die Frohndiener schwangen. Am Machmudielı- kanal hat der Typhus seine Hekatomben so gut verschlungen, wie das wohl schon ehemals geschehen. Ein Theil der Typhen dieses Landes macht ganz den Eindruck wie die Febris recurrens unserer Hungerdistriete. Eine solche Epidemie und zwar der fürchterlichsten Art musste es gewesen sein, welche 1824— 27 Nubien verheert. Es war dieselbe ausgebrochen, kurz nachdem Mohammed-Bey, der blu- tige „Landesbuchführer“, den Flammentod seines kriegerischen Schwagers Ismail-Bascha zu Schendi durch Schlächtereien im kolossalsten Style gesühnt, wobei denn eine zahlreiche Bevölke- rung dem gänzlichsten Ruin überliefert worden. Eine zweite kaum minder entsetzliche Epidemie obiger Art suchte abermals das erwerblose, hungernde Nubiervolk zu Anfang der 1840 ger Jahre heim. Wir finden in Russegger’s classischem Reise- werk genug der erschütterndsten Scenen aus jenen Schreckens- _ jahren aufgeführt, welche noch zur Zeit meiner Anwesenheit in aller Beräbra Munde lebten, Wenn in diesen weiten Gebieten einmal Sorghum und Penicillaria, die Hauptbrodfrüchte des Landes, missrathen, H ' wenn die „Rinderpest* den Viehbestand lichtet, wenn selbst > "Weka (Hibiscus esculentus), Lupinen, Lubien, Saubohnen und yR andere Feldfrüchte einen zu geringen Ertrag liefern, theuer werden, alsdann ist auch sogleich die Noth sehr gross. Der u; Typhus findet unter derartigen Verhältnissen äusserst schnelle Verbreitung. Kr Im fernen Alterthume scheint man übrigens längs des Niles den Hungersnöthen weit besser vorgebeugt zu haben, als heut, wo man hier doch nur mit Geringschätzung auf das weise, katzen- und hundeverehrende Pharaovolk („Näs-ef-Fi- raun“) herabsieht. So z. B. berichtet Amenj, Nomarch von ‚Soch, Oberägypten (durch eine Inschrift in Nehera-si-Chnum- _ hotep’s Felsengrabe zu Beni-Hassan) über eine unter Usertesen I. \ g* 116 R. Hartmann: ausgebrochene Hungersnoth und über die (höchst verständigen) Maassregeln, die er, der Nomarch, zu deren Bekämpfung er- griffen. Documente ähnlichen Inhalts hat uns das Alterthum mehrere hinterlassen. Aegyptische Ulema und Dorfschulzen, sowie türkische Baschibosük und Steuerbeamte können freilich nicht leicht passende Ersatzmänner für die klugen Distriets- häuptlinge im alten Lande der Retu abgeben. Das beweisen u. A. die haarsträubenden Schilderungen, welche uns ein ara- bischer Autor aus den Jahren 1064—1069 n. Chr. von der da- mals in Aegypten herrschenden Inanition entwirft. Man mor- dete und frass einander, wo die entsetzlichsten Hungerseuchen überhaupt noch Zeit und Kraft dazu liessen. Alle gesetzlichen und gesellschaftlichen Bande wurden gelöst. Der charakter- lose fatmitische Chalif Emmostanser und sein verschlagener Nebenbuhler Nasser-Eddauleh wussten dem Uebel durch Jahre nicht zu steuern. Erst dem energischen Wesir Bedr-Gemäli ge- lang es nach langer Zeit, die dadurch dem Lande geschlagenen Wunden wieder zu heilen. Im Jahre 1843 missrieth in Fasoglo und Dar-Berta die Ernte, eine Seuche (Rinderpest?) rieb die Heerden der Aburof- Beduinen, der Berta und Hammög auf. Diese genannten Stämme überfielen einander und schlachteten sich gegenseitig, nur um des „Brotes“ willen. Eine Epidemie, wobei „Fieber, Ausschlag, Raserei und Nasenbluten hervortraten, raffte damals die Völkerschaften am Tumät, Abäy und Jabüs dahin“. So er- zählte mir der geistvolle schwarze Rechtskundige El-Amin zu Hewän. Auch Prof. Lepsius vernahm zur Zeit seiner Reise von diesem Blende. Am linken Ufer des weissen Nils unter 8—6° n. Br, wohnt die schwarze Völkerschaft der Kitch oder Kitsch, dem grossen Denkazweige der Nigritier angehörig. Diese Leute treiben nur wenig Ackerbau und wenig Viehzucht, einigen Fischfang, Jagd auf allerhand Nagethiere, Schlangen, Eidechsen, Termiten u. s. w. Sie säen nicht viel und ernten nicht viel. Sie leben in den Tag hinein, nackt, träge und stumpf. Oft, sehr oft quält sie der Hunger, und die böse Luft ihrer Niederungen raubt ihnen in Zeiten des Mangels den letzten Rest von Kraft. Sie lungern dann, abgezehrte, verhärmte Jammergestalten, stehlend und bettelnd umher, geniessen erschlagene Thiere bis auf den letz- ten Knochen, bis auf das letzte Fetzchen Haut, stossen auch noch die Knochen entzwei und kochen eine leimige Suppe dar- aus. In der grössesten Noth beschwichtigen diese Leute durch Tabaksabber und Rinderharn!) (sie) die Anforderungen ihrer _ erschlafften Verdauungswerkzeuge, wenn sie auch nicht, wie manche andere Barbarenstämme in ähnlichem Lagen, zum Erd- essen?) greifen. | In solchen häufig wiederkehrenden Zeiten des Mangels fallen die Kitch massenhaft einer typhusähnlichen Krankheit zur Beute. - % Weiter. oben, unter 5—2° n. Br., lebt die weit verzweigte Nation der schönen, kräftigen, ehemals so heiteren und stolzen ‘ Bari. Ihr Land war gut bebaut und lieferte auch gute Erträge, uud doch gab es öfters Zeiten, in welchen der kindisch-träge Schwarze nichts von Vorräthen zu verzehren hatte und hun- gern musste. Dann gab es stets zugleich Krankheit und Krieg. Nun kam in neuester Zeit ein grässlicher Fluch in’s Land. Die _ vwerworfene kharthümer Gesellschaft nämlich trug den Jammer der Rhassuah hinein. Misswachs kam hinzu und namenloses _ Elend herrschte von den Zinnen der Liriaberge bis stromab- _ wärts zu den Ebenen der Schir. Höchst ergreifend sind die Schilderungen, welche uns Missionär Kaufmann. von dieser unsäglichen Noth überliefert hat. Auch im Jahre 1864 ist _ hier, wie mir ein daselbst wohlbekannter Freund versicherte, der Hungertyphus von Neuem ausgebrochen. Diese Krankheit wüthet ferner unter Sclaven, zusammen- gehetzt von den entsetzlichen Kharthümern, ein trauriger Han- A - delsartikel für die Hauptstadt des Sudän, der immer von Neuem e erworben wird trotz allen Edicten des Padischah und des cai- ziner Diwän! Solche Unglückliche pfercht man dicht auf Bar- 1) Mit ersterem durchtränken sie Baumbast und kauen ihn, mit letz- ; terem versetzen sie ihre Getränke nurumdes salzigen Geschmackes 4 willen. 0.9) „Geophagie“ habe ich in den von uns durchreisten Terri- 3 torien nirgends gefunden, auch nichts darüber gehört, x i Peer" p dt ee N .. BEE ar Are EINE it: ER EN Er rn e 5 } 7 118 R. Hartmann: ken untereinander, giebt ihnen nur wenig zu essen und über- lässt sie rücksichtslos der Vernichtung"). Der Betrachtung dieser Leiden schliesse ich unmittelbar diejenige einer durch die ganze Regenzone unseres Gebiets ver- breiteten Affection an. Dieselbe wurde mir von europäischen und ägyptischen Aerzten stets als Scorbut, Scorbuto, Schär- buth, bezeichnet. Sie soll im Sennär hauptsächlich während der Regenzeit auftreten und dann Fremde wie Heimische in gleich hohem Grade befallen. Es werden von ihr nuu ganz be- sonders Reisende, im Felde operirende Soldaten, Nilschiffer, Jäger, Kameeltreiber u. s. w. heimgesucht. Mangel und Ent- behrungen, dabei unzureichende, nur einen geringen Nährwerth repräsentirende Victualien, disponiren vorzugsweise dazu. An- fangs andäuernde Mattigkeit und Verstimmung, später Schwel- lung und häufiges Bluten des Zahnfleisches, schmerzhafte Locke- rung der Zähne, Aufspringen der Lippen, heftiges Gliederreis- sen, Ecchymosen und Geschwüre an den Unterschenkeln, sehr reichliches Nasenbluten, noch später Darmblutungen und selbst Blutbrechen, sind Hauptsymptome dieses Leidens. Im Verlaufe desselben stellen sich nun auch febrile Erscheinungen von grös- serer oder geringerer Intensität ein. Meistentheils freilich nimmt das Fieber einen schleichenden Verlauf. Selten kommt es da- bei zu Coma und Delirium. Die bei dieser Krankheit auftre- tenden Fussgeschwüre sind ebensowohl langwierig, als auch zerstörend; geheilt, hinterlassen sie noch entstellende Narben. Häufig sind es gerade die Localisationen an den unteren Ex- tremitäten, in denen das Uebel vornehmlich sich äussert, wobei allerdings auch das Allgemeinbefinden durch Wochen, ja Mo- nate lang getrübt erscheint. Uebrigens pflegen selbst dann noch jene oben geschilderten Symptome hinterher zu folgen, namentlich aber Erkrankung des Zahnfleisches, Nasenbluten, Blutbrechen, Fieber. Das sogenannte idiopathische Yemen-Ge- schwür, von Manchen fälschlich für ein ausschliessliches Local- leiden des Hedschäs gehalten, gehört unzweifelhaft in die Ka- 1) Vergl. mein Reisewerk, Kap. 14 und $. White Baker’s Albert Nyanza, ll. Bd. S. 289, 290, tegorie dieses Scorbutes der tropisch-afrikanischen, arabischen _ und indischen Lande. Ich habe während des Sommers 1860 im Sudän viele türkische Kriegsleute und andere Personen an der eben erwähnten Affection schwer leiden sehen. Mehrere be- kannte Afrikareisende, Clapperton, Barth, Overweg, Ri- chardson und Vogel sind daran krank gewesen. Der un- vergessliche Barth schilderte mir noch im Frühjahr 1865 die- sen leidensvollen Zustand und erzählte mir zugleich, er habe viele meiner oben berichteten Symptome an Eingebornen von Bornu, Känem, Adamaua, an Fulbe, einigen Tuarek-Kel-Nokun- der und Iguädaren, endlich auch an manchen jener beutelustigen Beduinen Weläd-Sliman beobachtet, in deren Gesellschaft er einst das Nigritierland Musgu in freibeuterischem Zuge betre- - ten. Nach Barth wendet man in Central- und West-Sudän local die vegetabilische Butter der Bassien dagegen an, in Ost- Sudan hält man den Saft saurer Limonen und Figl, Rettich, _ für die besten innerlichen Gegenmittel. - Möglich übrigens, dass manche Fälle von Febris intermit- - tens perniciosa und von Febris recurrens auf Rechnung dieses tropischen Landscorbuts geschoben werden. Auch bei den erste- ren Krankheitsformen stellt sich zu Anfang des Leidens - nicht selten stürmisches Erbrechen ein; dann zeigt sich die dejieirte Substanz wohl gar, in Folge der krampfhaften An- { strensung in der Schlundgegend, blutig gestreift, Nasenbluten gesellt sich, namentlich bei schwerem Typhus, dazu. Affectionen, deren ganzer Symptomenkomplex, trotz mancher Aehnlichkeit - mit unserem Skorbut, übrigens weit mehr auf perniciöse Fieber hinweisst, brachen im Jahre 1864 unter der eingeborenen Schiffsmannschaft des wackeren und kühnen Nilquellenforschers, Sir 8. White Baker, aus. In Kharthum, dieser Hölle aller Fieberhöllen, sollen nach Baker im Jahre 1864 15000 Menschen!) an einer solchen 1) Weit übertrieben! Vielleicht waren es 3000—3500 Opfer _ unter einer Bevölkerung von etwa 45,000—50,000 Menschen, 2000 Mann Linienmilitair, 200 Baschibosük zu Dromedar, und 200 Mann Schegi- reiter zu Pferde gewesen. £- ” 120 R. Hartmann: Krankheit verstorben sein. Ferner wurden daselbst nach unserm Gewährsmann von 4000 Mann des schwarzen senna- rischen Korps etwa 3600 Mann dahingerafft. Baker nennt dieses Leiden die Pest, indess fehlten demselben, wie mir nach- her von befreundeter Seite versichert worden, die characteris- tischen Symptome der gefürchteten, seit Jahrzehnten von der Erde scheinbar verschwundenen „Bubonenpest.“ Es muss nun jenes kharthümer Uebel entweder eine Epidemie von Skorbut oder von Febris recurrens gewesen sein. Eine ähnliche hat gleich- zeitig längs des blauen und weissen Niles arg gewirthschaftet. Von dieser Krankheit, bei der also Nasenbluten ein öfters zu beachtendes Symptom, ist jenes chronisch und acut auftre- tende, durch profuse Nasalhämorrhagien ausgezeichnete Leiden Sennärs zu unterscheiden, welches ohne weitere Störung des Allgemeinbefindens, aber von remittirendem, heftigem Schmerze an bestimmten Stellen der Stirngegend begleitet, auftritt, und nicht ganz selten mit tödtlicher Erschöpfung endet. Bei diesem Nasenbluten habe ich wohl an die Existenz von Pentastomen!) gedacht, ohne jedoch damit irgend eine bestimmte Speculation verknüpfen zu wollen. Die epidemische Cholera hat schon mehrmals Aegypten, Nubien und Sudän verheert. Sie ist westwärts durch Darfür nach Wadäi durchgebrochen und kein Mensch weiss, wie weit sie in das Innere des Kontinentes eingedrungen sein mag. Die Intensität dieser Krankheit ist in Afrika womöglich immer noch heftiger gewesen, als je in’ Europa. Manche bemühen sich den Ursprung der Pocken aus Innerafrika herzuleiten. Mit welchem Recht, muss indessen völlig dahingestellt bleiben®). Varicellen, Varioloiden und Variolen hausen hier freilich endemisch und epidemisch, Einzelne Pockenseuchen haben besonders im Sudän furchtbar 1) An solchen leiden hier Ichneumonen, Schakale, Hasen etc. und selbst Schwarze! 2) Ich bemerko hierbei, dass die Stämme des weissen Nil für die Pocken den aus dem Arabischen entlehnten Namen Giddre, Gittere anwenden. % 5 : 2 Medieinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika 121 gewüthet. ‘Die Impfung hat zwar strichweise in den unter ägyptischer Fuchtel stehenden Ländern Eingang gefunden, die- selbe wird aber auch selbst da häufig aus Indolenz oder in - betrügerischer Absicht vernachlässigt. Pockennarben verunziren _ sehr viele Eingeborene dieser Regionen. _ Thiergifte werden hier verbreitet: 1) Durch Schlangen, Naja Haje, Cerastes ägyptiacus, Echidna Clotho, Echis carenata. Man hört nicht häufig von durch solche Reptile veranlassten Todesfällen. 2) Durch Skorpione, deren gewöhnlichste Art nach meinen Erfahrungen Ehrenberg’s Androctonus quinquestriatus, welchem ich von Alexandrien bis Bertaland begegnet bin. Auch A. funestus, A. occitanus und zwar bis drei Buthusarten wirken _ zuweilen verletzend. Nur sehr selten erliegen Kinder, schwache Weiber und heruntergekommene Männer den Angriffen dieser _ Arachniden. Mehrere Fälle, die ich bei kräftigen Individuen im Sennär erlebt, verliefen ohne jede nachtheilige Folge. 3) Durch Tausendfüsse, deren. es im Innern, nach Darfür und S dem Fertit hin, sehr grosse und sehr gefährliche geben soll (?). _ Die wenigen von mir beobachteten Fälle waren beiläufig ganz _ unbedeutender Natur. 4) Durch Hymenopteren, wie Vespa ' orientalis, und durch Tabanusarten. Unbedeutend. Die im Sennär so gemeinen Galeodes und Lycosen gelten hier als nicht giftig, wenn auch ihr Biss entzündliche Erscheinungen, Hitze, Schwellung, Röthung, Schmerz an den betroffenen Theilen, her- vorzurufen vermag. Hundswuth ist in Aegypten zwar nicht « ee jedoch auch nicht häufig; Milzbrand scheint im Sudan hin und wieder vorzukommen. a Gegen Lungenphthise besitzen weder Aegypten noch Nu- bien Immunität. In Abyssiniens Alpenregionen soll sie sogar 5 _ ziemlich verbreitet sein. N - Europäer, bei denen diese Krankheit schon weit vorge- 3 sehritten, gewinnen unter Cairo’s und Theben’s gesegneten 2 "Himmel nichts weniger als Genesung. Man kann sicherlich nicht genug gegen die Leichtfertigkeit eifern, mit welcher _ europäische, namentlich englische Aerzte, heutzutage ägyptische Be nskuren solchen Unglücklichen anempfehlen, die voraus- sichtlich nur noch kurze Leidenszeit vor sich haben und denen 122 R. Hartmann: man dadurch den traurigen Vortheil nimmt, im Kreise der _Ihrigen ihre letzten Seufzer aushauchen zu dürfen. Dass die hiesige Luft bei chronischen Bronchialkatarrhen und in den ersten Stadien (!) der Tubereulose nützlich sein könnte, habe ich bereits früher an mehreren Orten hervorgehoben. Wenn nun schon in Aegypten die Tuberculose unter Fellachin, eingewanderten Asiaten und Europäern ihre Opfer fordert, so ist dies noch weit mehr bei schwarzen und bei abyssinischen Sklaven!) der Fall, die ihrer Heimath entrückt und in das ihrer Konstitution feindselige Klima Mittel- und Unterägyptens versetzt werden. Ich kenne übrigens Fälle, in “ 3 : E denen auch südlich-oberägyptische, erwachsene Fellachn in Alexandrien, Damiette und Rosette phthisisch zu Grunde gegangen sind. Freilich ist Oberägypten nicht gänzlich von der Tuber- kulose ausgeschlossen. Letzgenannte Fälle können also noch als erbliche eingeschleppt gewesen sein. Dagegen ist die Tuber- kulose unter braunen Beduinen und sesshaften Schwarzen des Sudän so gut wie unbekannt. | Unter den rheumatischen Leiden dieser Länder ist der Gelenkrheumatismus Sennär’s das gefürchteste. Dasselbe tritt vorzüglich zu Anfang und zu Ende der Regenzeit auf, ist öfters mit Endocarditis complieirt und rafft Manchen dahin. Die Eingeborenen kennen jene gefährliche Complieation recht gut und beklagen sich, davon ergriffen, über ihr wehes Gelb, Herz. Muskelrheumatismen, zuweilen sehrhartnäckiger Art, kommen ebenfalls häufig zur Beobachtung. Zu den allgemeinsten in Nordostafrika herrschenden Uebeln gehört unstreitig die Syphilis. Ueber das muthmassliche Alter derselben kann ich mich hier nicht auslassen, muss mich - vielmehr auf das an anderen Orten von mir darüber Gesagte berufen. Die Verbreitung der Lustseuche erstreckt sich neuer- lich nach Veröffentlichung der schon so vielfach besprochenen 1) Die Bezeichnung „Abyssinier“ betrifit hier namentlich Gala und Sidama, aus Inarya, Kafa, @uragwe, Sindjero u. s. w., weniger die nicht so sehr empfindlichen Amhara und Tigrener des eigentlichen“ Habesch. Gala und Sidama sind als Sklaven im Orient hauptsächlich gesucht, ‘ Medieinische Erinnerungen aus dem nordöstlihhen Afrika. 1923 % Tansimit- -i-Cherieh'), weiter, als in den alten, guten Zeiten, in denen strenge Verordnungen den deohlechilichän Verkehr kehen Fremden und Eingebornen regelten,. Nicht wenige Bewohner von Nordostafrika benennen diese Krankheit mit der Kollectivbezeichnung Effrenj, Effransa, d. h. Franken, Fran- zosen, trotzdem die von den Arabern Aegyptens so häufig zur Entlehnung benutzten afrikanischen Idiome besondere Namen dafür haben. Aber der gläubige, von religiösem und nationalem Dünkel erfüllte Moslim ist, wenn es gilt, ja sofort bei der Hand, die Urheberschaft von so mancherlei unangenehmen Dingen den von ihm scheel angesehen, wiewohl bewunderten’ "Europäern zuzuschieben. Dazu kommt noch, dass die Aegypter viele medizinische Namen und Begriffe dirccet aus Europa he- rübernehmen und arabisch modificiren. Hauptverbreiter der Syphilis sind hier Buhldirnen, Reisende, Schiffer, Kameeltreiber und Kriegsleute.e Von einer sittenpolizeilichen Kontrole kann kaum die Rede sein. Man schafft zwar von Zeit zu Zeit ganze "Schiffsladungen voll lüderlicher Weibsbilder nach Oberägypten und Nubien, allein man behelligt sie dort nicht weiter mehr, als höchstens mit Belastung einer Art Gewerbesteuer, lässt sie übrigens jedoch treiben, was sie Lust haben. Im Sudän giebt es Kneipen, in denen freie, gemiethete Dirnen oder Sklaven- “mädchen Sorghumbier, den fuseligen Sorghumbranntwein und fremde Liqueure ausschenken müssen, wobei sie freiwillig oder gezwungen der Prostitution anheimfallen®). Auch unterliegen 1) Edikte des Friedens von Kutschuk-Kainardschi und die Folge der Satzungen des „pariser Friedensinstrumentes“ vom Jahre 56, welehe Erweiterungen des Hatti-Sherif von Güllchane, des ersten _ türkisch- orientalischen Staatsgrundgesetzes, enthalten. 2) Noch vor einigen Jahren war es etwas ganz Gewöhnliches, dass Besitzer von Sklavenmädchen (darunter Europäer!) dieselben in Kneipen vermietheten oder sie als Lustdirnen feilboten, um mit dem _ Erwerb der Unglücklichen ihre Taschen zu füllen. Zur Ehre der ägyptischen Regierung sei es hier gesagt, dass diese bereits strenge Verbote gegen dergleichen Niederträchtigkeiten erlassen hat. Ob frei- _ lich mit Erfolg? Müssen es abwarten. ee 5 FR “ x % ER n Ba ECK jeher ERST TE IRRE ER Fe, Sag’ an? ®, ENDET na RD Ar FRE EEE j 4 er er “ rt RS DT ER n . a N ME 9% = 124 R. Hartmann: dieser die gewerbsmässigen Ilautreiberinnen!). Längs des weissen Niles sorgen die im Solde der Elephanten- und Sklaven- jäger stehenden, äusserst zuchtlosen Berberiner für Unterhaltung jeder Form syphilitscher Leiden. Meinen eigenen Erfahrungen zu Folge muss ich die Aus- führungen des Dr. Fritsch, „auch die schwarzen Rassen seien der eonstitutionellen ER unterworfen,“ vollkommen bestä- tigen®). Ich beobachtete nämlich bei Schwarzen mehrerer Stämme Ost- und Central-Sudäns sowohl weiche als auch indurirte Schanker, Rachengeschwüre, Condylome, Periost- und Knochen- krankheiten, Wucherungen der Substanz, Caries, Necrose der- selben, ferner Hautsyphiliden, wie Psoriasis (Bärass, i. e. Aus- satz genannt), Rhypia, syphilitische Pusteln®), auch echte syphilitische Hautgeschwüre. -In Folge solcher Haut- affeetionen decolorirt sich meist die dunkele Cutis der Ein- geborenen und hinterlässt abscheulich entstellende, helle, miss- farbene Fiecken. 3 Die damit Behafteten heissen Marräd oder Rummäd, Asch- farbene, Schmutzige. Andere Reisende haben Aehnliches in Central- und West-Sudän beobachtet, Barth z. B. in Bornu, Baghirmi und Sokkoto, auch bei Einigen der Kel-Auelimmiden, Clapperton zu Roma u. s. w. 4 Die Syphilis ist hier an und für sieh nicht bösartig und hartnäckig, wenn sie von vorn herein mit Umsicht und Conse- quenz in Behandlung gezogen wird. Aber bei der allgemein herrschenden Indolenz und bei dem eingewurzelten Hange zur Unsauberkeit, wird sie so häufig vernachlässigt und artet als- dann leicht aus. Oder die Patienten fallen den durch ganz 1) Diese reiben den Körper mit einer aus Sandelholz, Moschus, Zibeth, Gewürznelken, Schneckengehäusen, Weichselkirschen und celtischem Baldrian bestehenden Composition ein; kneten und strecken auch die Glieder, wie beim orientalischen Bade. 2) 8. 764 des vorigen Jahrganges dieser Zeitschrift. j 3) Ulceröse Processe finden sich in der Haut solcher Stämme des Innern, denen Mercurialgebrauch gänzlich unbekannt und die sich höchstens mit Regimen und mit vegetabilischen Mitteln zu helfen suchen, j y _ Nedieinische Eıinnerungen aus dem nordöstlichen Afılka. 125 'ordostafrika ihren Unfug treibenden Naturärzten (Hakım- f "Felläch, Tebib) in die Hand, einer wenig harmlosen Sorte von Quacksalbern. Diese Menschen schaden nicht sowohl dadurch, dass sie eine rationelle Behandlungsweise inhibiren, um ihre zum Theil höchst albernen Rathschläge walten zu lassen, als be- sonders durch die Pferdekuren, denen sie ihre Opfer unter- werfen. Auch üben hier und am weissen Nile offizielle Regen- - macher, ferner Pfaffen, ärztliche Praxis, sie verschreiben Amulette, _ verordnen Gebete, Tänze u. dgl., werden aber mehr indirect, _ durch Unterlassung, als durch allzu heroische Heilmethoden, sehädlich. Nun giebt es aber kaum Krankheiten, welche so _ häufig unter die rohen Hände der Quacksalber gerathen, als alle die Geschlechtssphäre betreffenden, als «ganz besonders die Syphilis. Ich selbst habe Manches über die Art und Weise in Erfahrung gebracht, in der man dies Leiden hier behandelt; ein wissenschaftlich gebildeter Aegypter, Dr. Schäfe- Bey, giebt noch andere interessante Aufschlüsse darüber'). Die ‚hier hinzielenden Affectionen Central-Sudäns schildert uns Schech Mohammed-Ibn-Omar-el-Tunsi, der gelehrte und geist- volle Verfasser zweier vorzüglicher Monographien über Darfür und. "Wadäi?). Man rühmt sich in diesen Ländern, Speeidies gegen Syphi- lis und andere Krankheiten zu besitzen. In ersterer Beziehung ist es namentlich die an mehreren Orten Nubiens gegrabene, _ Tereba genannte Erde, welche grossen Rufes geniesst. Nach einer auf meine Veranlassung in Berlin angestellten Analyse enthält aber dies hochberühmte, auch von einem französischen Militairarzt mit der Bezeichnung „kostbar“ beehrte Mittel nichts, gar nichts, was nur irgend Vertrauen zu dessen Wirksamkeit erwecken könnte?). A Tripper kommen in diesen Regionen sehr häufig vor. Er 1) Memoires ou Travaux originaux presentes et lus & institut Kigyptien. T. 1. Paris i862. p. 505 ff. ‚a 2) Voyage au Darfour et au Ouaday, aus dem Arabischen über- setzt von Dr. Perron, Paris. 25 3) Skizze der Nilländer etc. p- 345, Dr. 0. Schultzen’s Aualyse 126 R. Hartmann: Von Paraphimosen werden besonders die "Beschnittenen heimgesucht. Die Sitte der Circumeision ist in Aegypten, einer von Chabas beschriebenen, plastischen Darstellung zufolge, schon altpharaonisch. Nicht minder alt scheint die in Nubien herrschende Gewohnheit zu sein, junge Mädchen von 5—8 Jahr durch blutige Operation zu verschliessen, und ihnen erst kurz vor ihrer Verheirathung die Möglichkeit zur Vollziehung des Beischlafes wieder zu gewähren. Die Lepra scheint in Aegypten und in Nubien zur Zeit nicht mehr mit jener Häufigkeit vorzukommen, wie in älteren Epochen. Dies äusserten wenigstens mir gegenüber dortige Aerzte, ohne übrigens dafür einen Grund angeben zu können. In diesen Gegenden, auch in Abyssinen und tiefer im Kontinente, treten nun die sogenannte squamöse und die knollige Form genannter Krankheiten auf. Eine Erblichkeit der Lepra wird Niemand mehr bestreiten, wenngleich den Gelegenheits- ursachen sicherlich eine sehr grosse Bedeutung zuerkannt wer- den muss‘). Auch ich bin der Ueberzeugung, dass gerade die „diätetischen“ Verhältnisse dabei stark in Betracht kommen. Die im Ganzen so miserable Lebensweise der Nordostafrikaner, in welcher wir überhaupt die Entwickelung so vieler Krank- ee ui A a a nt nd tn a nn m di an Ze heiten zu suchen haben, wird selbst hierbei einen nicht geringen Theil der Schuld tragen. Wie weit nun im Besonderen der auch unter Nilanwohnern beliebte, reichliche Genuss verdorbener Fische?) einwirken möge, wage ich nicht zu entscheiden. Verwechslung des Aussatzes mit der Syphilis mag hierzu- lande übrigens nicht selten stattfinden. Gewisse Hautsyphiliden (vergl. S. 124) werden sogar mit denselben Namen, wie die Lepra belegt, nämlich mit dem (arabischen) Namen Bärass. Die Abyssinier haben für letztere die Bezeichnung Gomada. Die schreckliche Lepra mutilans soll im Hochlande von Häbesch, namentlich in Semien, in Kordufän, Darfür, Wadäi, Bornu und 1) Vergl. Virchow: Die krankhaften Geschwülste, II. B,, S 506. 2) Vorzüglich dürfte in dieser Beziehung die faulige Fischkon- serve, Fesich oder Melacha der Araber, Thargi der Nubier, zu er- wähnen sein. - kommen. Die Haut dunkelcolorirter Menschen nimmt natürlich auch in Folge dieser Krankheit eine meissfarbige, fleckige Be- -schaffenheit an!). (Vergl. S. 124). Der ägyptische und nubische Stadtbewohner, sowie der Landbebauer in beiden Provinzen, pflegen sich häufiger zu _ baden. Der Beduine, dem es in Wüste und Steppe leicht an Wasser gebricht, bedient sich der Hautunktionen mit Fett, der sogen annten Thelga (S. 124 Anm.), desgleichen der Sudanische Angesessene, dem aber, in den wilderen Distrieten, auch vegeta- - bilische Butter vom Arakbaum (Bassia), Ocher, Pfeifenthon, Asche ‚und selbst Rinderharn recht sind, um sich damit die Haut ein- zureiben. Erdige Ueberzüge sollen nebenher gegen den Stich der in den Niederungen des weissen Flusses ungemein zahl- reichen und lästigen Moskiten schützen. Trotz aller solcher Mittel giebt es jedoch vielerlei Hautkrankheiten, Eczeme, Erytheme, Prurigo ‚ Acne, Tinea, Krätze, Erysipel, Rubeola, Impetigo, Boutons d’Alep u. s. w. Die eingewanderten Euro- päer leiden zur Zeit der grössesten Hitze heftig an Schweiss- frieseln und an Furunkeln. Sehr bösartige Karbunkel werden an den mit Strapatzen, Aufregung und Elend aller Art ringen- den Feldsoldaten des sennarischen Korps beobachtet. . Unter den Krankheiten des Verdauungskanales nimmt die Ruhr den ersten Platz ein. Sie herrscht in beiden Zonen mit gleicher Häufigkeit, mit derselben Intensität. Man hat be- reits mit Recht hervorgehoben, dass diese Affection weder aus- schliesslich an sumpfreiche, noch an sumpffreie Striche wär- merer Erdgegenden gebunden sei; ihr Charakter ist vielmehr ein ausgeprägt kosmopolitischer. Die Dysenterie befällt Fremde und Einheimische, Kinder und Greise. In Habesch’s Alpenlanden dringt sie bis in die Woina-Dega, d. h. bis gegen 1) Ein Bekannter hat mir erzählt, dass in den brasilianischen Provinzen Matto grosso, Goyaz, Piauby und Ceara, vorzugsweise Schwarze von der „Morfeia,“ i. e. Lepra, befallen würden. Nach anderen Berichten jedoch scheinen Weisse, Indianer und Mischlinge in ganz gleicher Häufigkeit zu erkranken, 128 R. Hartmann: 6000 Fuss hoch, empor. In manchen Districten ist sie häufiger, als in anderen; hier zeigt sie sich erst stark, nachdem sie seit undenklichen Zeiten nur wenig aufgetreten, dort verschwindet sie nach längerem Hausen wieder mehr und mehr. In der Wüste ist sie zwar nicht gewöhnlich, fehlt jedoch auch da nicht ganz. Sie sucht den meistens Vegetabilien vertilgenden Ackers- mann wie auch den hauptsächlich von saurer Milch lebenden. Viehzüchter oder den verwöhnteren, in seiner Nahrung öfters wechselnden Städter, heim. In Aegypten und Nordnubien erscheint sie vorzüglich im Herbste und im Winter, im Sudän mehr im Sommer, in Abys- sinien dagegen wieder mehr im Winter. Uebrigens ist keine Jahreszeit ganz frei davon. Man beobachtet chronische, sub- akute und akute, mildere und bösartigere, manchmal sogar brandige Formen. Complicationen mit Intermittens, Typhus, Ieterus sind besonders im Sudän nicht selten. Die Gelegen- heitsursachen können sehr zahlreiche sein, Durchnässung, Ver- kühlung, unpassende Speisen, zu reichlicher Genuss von schlechtem Sorghum-Bier und Hydromel, Strapatzen, Sorgen u. v. A. Die Mortalität ist im Allgemeinen ziemlich bedeutend; hoch stellt sich diese aber bei epidemischen Processen heraus. Letztere haben sich bei erzwungener Anhäufung vieler zu Frohnen ge- nöthigter Leute, wie deren oben erwähnt wurden, bei Truppen- concentrationen u. dgl. bereits häufig genug entwickelt. Nebenbei will ich bemerken, dass auch in Aegyten Ricinusöl als ein mit Recht beliebtes Mittel zur Regelung des Stuhl- ganges gilt. Unter den Eingeborenen dieser Länder existiren mehrere Adstringentien zur Stopfung der leicht eintretenden Diarrhöen und zur Behandlung der Ruhr, namentlich Pro- duete von Akazien und Cassien, in Sennär auch der sonder- bare Tertüs, dessen Geschichte unsere Botaniker selbst an den von mir mitgebrachten Specimina noch nicht haben entziffern können. Eingeweidewürmer sind im Nordosten Afrikas be- kanntlich sehr zu Hause. Abyssinien behauptet in dieser Bezie- hung den ersten Rang. Die Häufigkeit der Taenien, des (übrigens wohl über ganz Afrika verbreiteten) Distoma haema- 2 % Medicinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. 199 tobium, Anchylostoma, des Haupturhebers jener furchtbaren, von Griesinger erschöpfend beschriebenen Chlorose Aegyptens, lässt sich aus der Nahrungsweise dieser Menschen recht wohl her- leiten. Ich habe schon anderweitig ausgeführt, dass die Aegypter rohe Muscheln, wahrscheinlich Scrobicularien, rohe Salate, Strünke von Bockshorn, Kressenkraut, Corchorus und andere Vegetabilien in Masse zu sich nehmen, dass ferner die Sennärer leidenschaftlich gern rohe, schlecht gereinigte, mit Galle über- gossene, mit rothem Pfeffer und mit Salz überstreute Viehdärme, dass die Abyssinier rohes Fleisch, Brondu, essen. Letzteres wird, wie Bruce zuerst behauptet hat, was von Vielen bestritten worden, neuerlich aber wieder durch Apel bestätigt ist, auch aus lebenden Thieren geschnitten'). Die Nigritier der oberen Nilgegenden geben sich sehr viel mit ihrem Hausvieh ab, sie benutzen deren Excremente zu allen möglichen Dingen, dulden die Hunde stets in ihren Hütten u, s. w. Dass bei solchen Verhältnissen häufig Gelegenheit geboten wird, Keime von Helminthen einzuführen, leuchtet wohl Jedermann ein. Kein Land der Erde producirt bekanntlich soviel Anthelmintica, als Abyssinien. Qwusso oder Kusso wird hier und im Sennär in grossen Quantitäten, in Abyssinien sogar zu regelmässigen Zeiten prophylaktisch, verbraucht. Man erzählt, dass, wenn in Habesch ein Diener seinen Herrn vor lästigem Besuch verleugnet, derselbe diesem gegen- über zu äussern pflest, „der Herr nehme den Kusso“. Ueber zahlreiche andere abyssinische Mittel contra Taeniam vergl. meine Skizze der Nilländer. Der Medinawurm oder Ferendit (Filaria medinensis) findet ‚sich einheimisch in den Niederungen von Habesch, in Sennär, Kordufan, Darfür, Kanem, Ahır, R’at u. s. w. Er wird von 1) Manche Stämme am weissen Nil trinken Rinderblut, weshalb sie auch ihren Thieren nach Bedürfniss zur Ader lassen; man treibt mit dem Blute sogar Handel. 2) Südlich vom 9.° N. Br. kommen im Innern weder Kameele noch Pferde mehr fort. Zum Transport der Lasten dienen daher sehr stramme Zebu’s und mehr noch Menschen. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. gi 130 R. Hartmann: da nach allen Richtungen der Windrose ‚hin verschleppt. Er soll vielfach Solche befallen, die, wie marschirende Soldaten, Elephantenjäger, Träger u. s. w. durch Sümpfe waten müssen oder doch öfters am Rande solcher zu thun haben. -Ob nun die Filarienbrut von Aussen her durch die Hautporen eindringt, oder ob sie aus den in eingenommenem, schlechtem Trinkwasser enthaltenen Keimen sich entwickelt, lässt sich vorläufig noch nicht sicher entscheiden. Nervenübel kommen hier bei allen Bevölkerungsklassen vor. Mohammedanischer und christlicher Zelotismus der Fella- chın und Kopten liefern ein nicht ganz unbedeutendes Kontin- gent von Geisteskranken. Der grösste Theil der Derwische') scheint verrückt zu sein. Theils nämlich ruinirt der Fanatis- mus den ohnehin wenig herausgebildeten Verstand dieser Leute, andererseits üben dieselben Jahre lang Verstellung, sie er- heucheln geradezu Tollheit, und dann befestigen sich in ihnen leicht genug fixe Ideen. Eine wahre Manie bricht aus. Auch kommen hier Veitstanz, Epilepsie, Katalepsie und ähnliche Leiden vor. Zu Verwundungen gesellt sich häufig stürmischer, lebensgefährlicher, nur sehr selten zu bewältigen- der Tetanus. Nach grossen Strapatzen. in der Hitze der Wüsten und Steppen findet sich nicht selten ein Zustand von heftiger Erre- gung ein, Schlaflosigkeit, Hallucination und Irrereden. Der Araber nennt diesen Zustand Er-Ragle, bezeichnet damit aber auch die bei Fieberkrankheiten auftretenden Delirien. Geburtsthätigkeit und Wochenbett verlaufen bei voll- kräftig entwickelten Frauenzimmern Nubiens und Sudäns in der Regel sehr leicht. Es kommt gar nicht selten vor, dass braune und schwarze Weiber in der Steppe oder im Urwald bei der Feldarbeit gebären , das Neugeborne auf die erste beste Weise- 1) Aus der Zahl dieser allermeist faulen, unnützen Fanatiker, unter denen hin und wieder sogar recht bösartige Intriguanten, schliesse ich gern die harmlosen, weit seltener in Tollheit und Niederträchtig- keit ausartenden Fakire und Fakih’s vom Sennär aus, der Mehrzahl nach gläubige, aber auch tolerante und fleissige Grundbebauer. > _ Medieinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. 131 unterbringen und nach kurzem Ausruhen gemächlich den Molot, das Grabscheit, oder die Sichel, weiterführen. Die sich häufig schon im Kindesalter vermählenden Aegypterinnen dagegen leiden beim* Geburtsakt und im Wochenbett nicht wenig an den Folgen solcher Unnatur. Nur ein entwickelter Weiber- körper wird fähig sein, die durch die Evolutionsprocesse hervor- _ gerufenen, gewaltigen Umwälzungen im Organismus gut zu er- tragen. Aber eine Aegypterin ist, wenn sie sich von 11—13 Jahren verheirathet, auch bei verhältnissmässig frühe eintretender Pu- bertät, dazu noch immer nicht hinlänglich physisch ausgebildet, ‚Die Opfer dieser abscheulichen Sitte verlangen bei der Geburt häufig eine Kunsthülfe, die ihnen von Weibern, (nie- mals von Männern) in der rohesten Weise gewährt wird, er- liegen aber auch manchmal während des Aktes. Das Säuge- geschäft dauert durchschnittlich zwei Jahre. Solche ungemein schlaffen, schlauchartig verlängerten Brüste, wie sie von Fritsch _ und Anderen bei Afrikanerinnen beschrieben wurden, habe ich im Sudan nirgends beobachtet, obgleich der Busen einer mehr- gebärenden Fungi- oder Denkafrau keineswegs die meist klas- sische Formenschönheit junger und noch jungfräulicher Töchter ihres Landes zeigt. "Dr. Fritsch bemerkt ($. 765), dass in Südafrika die Wunden, selbst wenn sie noch so geringfügiger Natur, be- sonders sorgfältig gepflegt werden müssten, sollten dieselben sich nicht täglich vergrössern, anstatt zu heilen. Ein ähnliches Verhalten ist auch in anderen Gegenden Afrika’s, in Asien und Amerika beobachtet worden. Burckhardt unt. A. führte an, in. Mekka und Djidda brächte auch der kleinste Riss, der ge- ringste Stich eines Insectes, wenn vernachlässigt, ein Geschwü,, und bald hernach eine offene Wunde hervor. Ganz dasselbe lässt sich von Ost-Sudän und nach ausführlicheren Aeusserungen mir bekannter Personen (Barth, Binder, furische Gondjaren), auch yon Central-Sudän behaupten. Uebrigens habe ich selbst im Sennär nieht das von Fritsch aus dem Süden mitgetheilte Verhalten: der Wunden beobachtet, vielmehr eine weiche Schmel- zung derselben, Neigung zum Zerfall, mit profuser Secretion, nicht; selten mit Tendenz zu ausgiebiger Verjauchung. 9» 132 R. Hartmann: Diese Verschiedenheit findet jedenfalls in den abweichenden Feuchtigkeits- Verhältnissen der von uns bereisten Gegenden ihre Bedingung. Im Sennär verzögert sich die Heilung von Verwundungen sehr; letztere schmerzen anhaltend, und es kommt jene endlich mit starkem, in nicht wenigen Fällen die Funktion der befallenen Theile beeinträchtigendem Substanzdefect zu Stande. Gangrän ist bei ausgedehnteren Verletzungen stets zu befürchten. Unter den Eingebormen dieser Regionen ist freilich die Un- sitte, Sand, und zwar womöglich heissen, in die Wunde zu streuen, am leichten Brandigwerden derselben mit Schuld. Am weissen Nile und im Süden des Zwischenflusslandes von Sennär kommen in Kriegszeiten durch vergiftete Pfeile veranlasste ‚Wunden zur Behandlung. Die Afrikaner dieser Gegenden bedienen sich des Milchsaftes baumartiger Wolfs- milchbäume (.Euphorbia candelabrum) und einer ganz eigen- thümlichen, von mir auch im Sennär gefundenen, cactusähn- lichen Apocynacee zur Vergiftung ihrer mit eisernen Wider- hakenspitzen versehenen Pfeile. Die Wirkung soll eine sehr heftige sein. Die Umgebung der Wunde entzündet sich schnell das Gift versetzt den Körper in tetanische Krämpfe, ‚und der Tod tritt bei intensiven Verletzungen in sehr kurzer Zeit ein. Aber selbst ganz leichte Streifschüsse, Hautrisse, werden durch Corrosion der Umgebung zur hartnäckigsten Verschwä- rung gebracht. Manchmal bleiben Lähmungen in den selbst nur oberflächlich verletzten Gliedern zurück. Die contagiöse Ophthalmie ist eine der häufigsten Krankheiten Aegyptens. Sie zeigt sich in allen Altersklassen der Eingeborenen, öfters aber noch beim niederen Volke, als beim höhergestellten. Indolenz und der damit zusammenhängende Schmutz, sowie Aberglauben, sind auch bei dieser Affection Faktoren von grössester Bedeutung. Wie gewöhnlich sieht man die Musca stabulans und andere zudringliche Dipteren in den schon stark entzündeten, reichliches Eitersekret liefernden Augen der Fellächkinder sitzen, saugen und ihren mit dem Contagium beschmutzten Körper weiterschwingen, ohne dass nur eine Hand sich erhöbe, diese Thiere zu verscheuchen, rechtzeitig ihr verderbliches Thun zu hindern. An Reinhalten der Augen, ' Medicinische Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. 133 an frühzeitige Hülfe bei den ersten drohenden Erscheinungen der Ophthalmie denkt hier selten Jemand. Mit erschreckender Intensität, mit kaum zu berechnender Schnelligkeit verbreitet sich in von Hause aus vernachlässigten Fällen das Uebel. Ist dasselbe acuten Verlaufes, so kann schon 6—7 Tage nach Ein- treten der ersten Erscheinungen eine Berstung des Bulbus statt- finden. Chronische Fälle verlaufen oft sehr langsam, characteri- siren sich aber nichts destoweniger durch bösartige Symptome, veranlassen die traurigsten Folgen; Trichiasis, Entropium, be- sonders des Oberlides, Chemose, Granulationen an der Con- | junctiva, Flecke, totale Hornhauttrübungen, Verschwärungen, Gangrän, Perforation derselben, Synechien, Vorfall, Verschwärung der Iris, Vorfall der Linse, Linsentrübung, dieselben Erschei- nungen am Glaskörper, totale ein- oder beiderseitige Erblindung, sind leider nur zu häufige Erscheinungen in dieser Krank- heit. Ich habe Leute gesehen, die, als Folge chronischer Ophthal- mie, Entropium, Chemosis, hirsekorngrosse Granulationen, Flecke und Geschwüre der Hornhaut, Irisgeschwüre, Einreissung des Annulus pupillaris, einen sich einleitenden Linsenvorfall nebst Trübung der letzteren, auf einmal zeigten. Nirgends sind Katarakte so häufig, als in Aegypten. Sie, sowie die Ohpthal- mien, pflanzen sich nach Unternubien fort, werden im mittleren Theile des Berberlandes seltener und verschwinden mehr und mehr naclı Süden, sowie gegen Sudän hin. Zu Ferög in Don- golah sah ich im September 1860 noch die meisten Augen- kranken, südlich davon aber nur wenige. In Bezug auf sonstige, in diesen Ländern vorkommende Leiden, namentlich einzelner Organe und Organsysteme, muss ich nun auf meine früheren Schriften verweisen, indem ich die _ mir hier angewiesenen Grenzen nicht mehr überschreiten kann. 134 W. Krause: Ueber den Ramus collateralis ulnaris Nervi radialis. Von Dr. W. Krause. Professor in Göttingen. Vor einiger Zeit hat Gruber!) eine Bestätigung des von mir?) sogenannten Ramus collateralis ulnaris geliefert, welcher Ast bekanntlich vom N. 'radialis entspringt, am Ober- arm eine Strecke ‘weit in der Scheide des N. ulnaris 'einge- schlossen verläuft, sich dann von ihm ablöst und in Begleitung der A. collateralis ulnaris superior zu einem besonderen untersten Bündel des M. anconeus medialis herabsteigt, welches er ver- sorgt. Gruber hat an anderen Orten angegeben, der genannte Nerv gehe „bisweilen“ zur Ellenbogenkapsel. Die Quelle dieses Irrthums, in welchen vor Gruber so viele Anatomen verfallen sind, lässt sich leicht aufdecken. Sie ist technischer Natur. Man hat nämlich einen Nervenzweig richtig bis zur Kapsel des Ellenbogengelenks präparirt, aber die dünnen Muskelstreifchen übersehen, n welchen die betreffenden Fasern endigen. Bei dieser Gelegenheit macht Gruber die historische Be- merkung, dass auch Cruveilhier?) den R. collateralis ulnaris 1) Archiv f. Anat. u. Physiol. 1867. $. 560. 2) Archiv f. Anat. u. Physiol. 1864. S.349. W. Krause, Beiträge zur Neurologie der oberen Extremität, Leipzig 1865. 8. 11. 3) Anat. descript. 1837, T. Il. 8. 350. Ueber den Ranus collateralis u. s. w 135 als Ast des M. radialis aufgefasst habe. Gruber hat dabei _ vergessen, hervorzuheben, dass ich am Schluss eines Berichtes über ca. zwanzig Autoren, welche diesen Nerven falsch dar- gestellt haben, von Bourgery') und Sappey?) gesagt hatte, die letzteren Beiden hätten die wesentlichen Verhältnisse des ge- _ nannten Nerven richtig erkannt, wenn auch ihre Darstellung keineswegs eine klare zu nennen sei. Gruber behauptet nun freilich, Bourgery habe von Cruveilhier entlehnt. Aber abgesehen davon, dass solche Behauptungen an sich meistens schwer zu beweisen sind, so muss Gruber, obgleich er die von mir schon früher citirte Figur ebenfalls anführt, momentan vergessen haben, dass Bourgery eine Abbildung lieferte, _ Cruveilhier hingegen nur eine Beschreibung. Aus Cru- veilhier’s Worten aber eine Abbildung zu construiren, möchte _ nicht ganz leicht sein, und jedenfalls hat Bourgery nach der Natur zeichnen lassen. So klar das Alles ist, so bleibt für den unbefangenen Leser doch ein Punkt in Giruber’s Auseinandersetzung auffallend. Cruveilhier lässt nämlich den R. collateralis ulnaris zum M. anconeus medialis gehen, Gruber „bisweilen“ zur Ellenbogen- kapsel. Wenn Gruber mit letzterer Behauptung Recht hätte, so würde offenbar Cruveilhier einen für die Beurtheilung der (motorischen oder sensiblen) Natur des genannten Nerven- rostes sehr wesentlichen Punkt übersehen haben, und gerade diesen Punkt übergeht Gruber mit Stillschweigen! Die Sachlage bezeugt einmal wieder die bedauernswerthe - Unklarheit, welche in der descriptiven Anatomie über die Ver- _ theilungsweise der peripherischen Nerven?) herrscht. Als ob ein Nerv bald so, bald anders beschaffen sei, die Fasern derselben Wurzeln nach Umständen bald dieser, bald jener Function vor- 1) Trait. compl. de l’anat. de ’homme. T. III. 1844. S. 263. Pl. 59. Fig. 1. Nr. 14, 2) Trait. d’anat. descr. T. II. 1852. S.. 350. 3) Vergl. W. Krause, die Anatomie des Kaninchens in topo- _ graphischer und operativer Rücksicht bearbeitet. Leipzig 1868. S. 37. I nee ge - aber vepräsentirt ee Varietät, sondern einen Irrthum. ur & uf i hiaft DIRRE I W. Bene J. gelemaan, die © Seren | beim Menschen. Leipzig 1868. 15 wine! wi” r Kun fr Be 5 Berichtigung. S. 65 Z. 16 v. u. lies: 13,50 statt ne Dr. W. Dönitz: Ueber Noctiluca miliaris Sur. 137 . « Ueber Noctiluca milıarıs Sur. ” fl Ar Er Von ne ee dire + = + Dr. W. Dönitz. Zr (Hierzu Taf, RD) Die Noctiluca miliaris Sur. ist in letzter Zeit mehrfach Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. Trotz- dem kann unsere Kenntniss von dem Bau dieses meerleuchten- z den Thieres nur eine sehr unvollkommene genannt werden. Was wir darüber wissen, beschränkt sich auf folgende Angaben. Das Thierchen besitzt eine äussere feste, vollkommen durch- E" sichtige Schale, welche einen dunklen Weichkörper einschliesst, k von dem aus verästelte, unter einander Maschen bildende - eontractile Fäden nach der Peripherie hinziehen, um sich _ als feines Netzwerk an der Innenfläche der Schale auszu- ' breiten. Die Schale trägt an der einen Seite eine Ein- ‚bucht, wegen deren sie mit einem Pfirsich verglichen wird, Aus der Einbuchtung entspringt ein geisselförmiges Organ, A welches durch seine Peitschenschwingungen die Bewegung des hi h Thieres. vermittelt. Unterhalb der Geissel, in der Tiefe der ' Einbuchtung, ist die Schale von einer sogenannten Mund- ‚Öffnung durchbohrt, aus welcher hin und wieder ein dünner E> Faden hervorgeschnellt wird, um eben so geschwind wieder zurückgezogen zu werden. Der Rand der Mundöffnung ist an der einen Seite mit einem zähnartigen unbeweglichen Vorsprung besetzt. Endlich befindet sich an dem Thiere ein scharfkanti- ger Stab, dessen Lage aber nicht richtig erkannt ist. Einige _ Reichert’s u, du Bois-Reyniond’s Archiv. 1868. 10 Eee 138 Dr. W. Dönitz: weitere Angaben, die noch streitig sind, werde ich im Laufe der Untersuchung berühren. — Ueber die Fortpflanzungsweise fin- den sich in der Literatur nur bei Busch!) einige Angaben, die aber den Gegenstand keineswegs erschöpfen. Busch will an den in Cadix beobachteten Noctiluken, die er für eine andere Species hält, als die nordische und N. mediterranea nennt, die Keime gefunden und deren Entwickelung bis zu einem ge- wissen Stadium verfolgt haben. An der Beobachtung des Ueber- gangs dieser Jugendzustände in weiter entwickelte Formen wurde er durch den Unverstand spanischer Hafenbeamten verhindert. Bei meinem Aufenthalte auf Helgoland im August und September 1867 traf ich die Noctiluken in so reicher Menge an, dass sie manchmal auf weite Strecke hin das Meer in einer 3 bis 5 Zoll dicken, röthlich erscheinenden Schicht bedeckten; eine Erscheinung, deren schon Suriray?) Erwähnung that. Da ich nun einige neue Beobachtungen an ihnen gemacht habe, so theile ich dieselben hier mit, in der Hoffnung, dass sie dazu beitragen werden, einiges Licht auf dieses scheinbar so einfach gebaute und doch so schwer zu analysirende Geschöpf zu wer- fen. Ich werde zuerst die Schale, darauf den Weichkörper, und schliesslich einen Regenerationsvorgan g besprechen. Die Schale hat im allgemeinen die Gestalt einer Kugel, wie jetzt wohl allgemein angenommen wird. Nur Busch be- schreibt sie als abgerundete Scheike. Besser vergleicht man die Gestalt des Thieres, wie es Huxley °) that, mit einem Pfirsich, wegen des rinnenförmigen Einschnitts der einen Seite. Dieser Einschnitt beginnt sehr plötzlich an der Stelle, wo der geisselförmige Anhang von der Schale entspringt. Die anfangs stark gewulsteten Ränder desselben laufen divergirend ausein- ander, flachen sich ab und verlieren sich allmählich im Niveau 1) W, Busch. Beobachtungen über Anatomie und Entwickelung einiger wirbellosen Seethiere. Berlin 1851. 2) Suriray. Recherches sur la cause ordinaire de la phospho- rescence marine, et description du Noctiluca miliaris. Magazin de Zoologie par Guerin-Meneville, Paris 1836. 3) Th. Huxley, On the structure of Noctulica miliaris, Quar- terly Journal of Microsc, Science. Ill, 1855, Ueber Noctiluca miliaris Sur. 139 er Kugeloberfläche. Damit zugleich wird auch die von den Rän- dern eingeschlossene Grube ziemlich schnell breiter und flacher "und gleicht sich sehr bald mit der übrigen Oberfläche der Schale aus. Der eine von diesen Rändern ist wenigstens um das Doppelte länger als der andere und zieht nach der Richtung - hin, in welcher der stabförmige Körper liegt, während der kür- zere Rand von dieser Richtung unter einem ungefähr rechten - Winkel abbiegt. Der stab- oder pfriemenförmige Körper ist von Webb !) sehon recht gut beschrieben worden. Das der Geissel zuge- kehrte Ende ist verbreitert, das ihr abgewendete Ende dagegen ' scharf zugespitzt. Es scheint dieser Stab die Gestalt einer % a De > aim 3 Journal of Microsc, Science, III. 1855. dreiseitigen Pyramide zu haben, deren eine Seite im Niveau der äusseren Oberfläche der Kugelschale liegt, während die anderen beiden Seiten in’s Innere der Hohlkugel hineinragen. Das verdiekte Ende ragt mit zwei Ecken gewöhnlich ein wenig über die Oberfläche der Schale hervor und bildet hier zwei Höckerchen, deren Höhe in umgekehrtem Verhältniss zur Grösse des Thieres steht. Auch das spitze Ende sieht man manchmal unter Verhältnissen, die später erörtert werden sollen, sich über das Niveau der Schale erheben. Für gewöhnlich endet es mit scharfer Spitze in der Ebene der Kugeloberfläche und wird öfters durch eine kleine Querfalte der Schale markirt. Der Stab selbst füllt eine Rinne in der Schale aus, oder, was mir wahr- scheinlicher ist, er deckt einen Spalt in derselben zu. Bei der _ Schwierigkeit der Untersuchung gelang es mir nicht, diese Frage _ zu entscheiden. So viel ist jedoch gewiss, dass der Stab nicht, wie Busch angiebt, seine Spitze gegen den Binnenraum der Schale kehrt. In der vorher erwähnten Einbuchtung liegt unmittelbar unterhalb der Insertion der Geissel eine Oeffnung, welche all- ' gemein für den Mund genommen wird. An dem einen Rand dieser Oeffnung hat Huxley einen zahnartigen, dreispitzigen Besatz entdeckt, in Betreff dessen ich auf die Beschreibung 1) Woodham Webb, On ths Noetiluca miliaris. Quarterly 10* 140 ; Dr. W. Dönitz. seines Entdeckers verweisen muss, da ich an demselben die Details nicht mit derselben Deutlichkeit gesehen habe, wie sie Huxley abbildet. Es mag dies daher kommen, dass die Mund- öffnung einem Wechsel der Form unterworfen zu sein scheint, wie aus einer Bemerkung von Tuffen-West !) hervorgeht, Auch Brightwell bildet den Zahn etwas anders ab, als Hux- ley und Webb. Huxley erwähnt ferner eine zweite, als After gedeutete Oefinung in der Gegend zwischen Mund und Stab. Ich habe diese Stelle vielfach untersucht, konnte mich aber nicht über- zeugen, dass sie wirklich eine Oeffnung darstellt. In vielen Fällen nämlich, wo ich die Noctiluken in solchen Stellungen vor mir hatte, bei denen diese vermeintliche Oeffnung gerade recht klar hätte hervortreten müssen, vermisste ich sie gänz- lich, so dass ich vermuthen möchte, dass es sich um etwas zu- fälliges handelt, um so mehr, als die Lage dieser im Profil trichterförmig erscheinenden Stelle eine vielfach wechselnde ist. Bald liegt sie mehr in der Nähe des Mundes, bald mehr in der Nähe des Stabes. Letzteren Fall zeigt Fig. 2. Die Geissel endlich stellt ein hohles Rohr dar, mit nieren- förmigem Querschnitt ?2). Die Wandung des Rohres scheint aus derselben Substanz zu bestehen, wie die Schale der Noctiluca überhaupt, dabei aber viel zerbrechlicher zu sein als diese. Es kommen nämlich Individuen ohne Geissel vor, die auch, nach Brightwell’s Mittheilung, Colonel Baddeley ge- sehen hat. Hierbei kann ich nicht unterlassen, darauf aufmerk- sam zu machen, dass man bei der Beurtheilung, ob ein Indi- viduum eine Geissel habe oder nicht, sehr vorsichtig sein muss. Die Noctiluca schwimmt nämlich regelmässig mit nach unten gerichteter Geissel. Wendet man bei der Untersuchung Linsen mit weitem Focalabstand an, so kann man das Organ durch den Körper hindurch erkennen. Bei stärkeren Vergrösserungen 1) Brightwell. On Self-Division in Noctiluca. Ouarterly Journ. of Microsc. Science. 1857. Pag. 189, 2) Eine instructive Abbildung der Geissel giebt Brightwell a. a. 0. Tf. XII. Fig. 16. Ueber Noctiluea miliaris Sur. 141 ‚hindert gewöhnlich der geringe Focalabstand das Einstellen der. @eissel in den Focus, wenn man das Thier nicht drücken will. Solche Fälle, in denen man, wie es häufig vorkommt, durch die Untersuchungsmethode am Erkennen der Geissel verhindert wird, darf man nicht mit wirklichem Fehlen derselben ver- _ wechseln. | Der Weichkörper der Noctiluca liegt an der inneren Oberfläche der Schale, in der Gegend zwischen Mund und Basis des Stabes. Er bildet eine unregelmässig gestaltete Masse con- _ traetiler Substanz. In manchen Fällen zieht sich diese Masse bis über die Gegend hin, welche der stabförmige Körper be- ' deekt (Fig.2). Einen kernartigen Körper, welcher in die- selbe eingebettet sein soll, konnte ich nicht in allen Fällen entdecken. Selbst Essigsäure, deren Anwendung empfohlen wird, um ihn sichtbar zu machen, half nicht immer zum Ziel. Ich erkläre mir dies so, dass der Kern, wie dies später erör- 7 tert werden soll, wahrscheinlich in directer Beziehung zur Fort- ' pflanzung steht und deshalb periodisch auftritt. In manchen Fällen mag auch aufgenommene Nahrung als Kern gedeutet worden sein. Die contractile Substanz schickt eine grosse Anzahl von Fortsätzen aus, welche in radiärer Anordnung das Lumen der Hohlkugel durchziehen, sich vielfach verästeln, unter einander anastomosiren, gegen die Peripherie hin feiner werden und sich endlich als äusserst zartes Netzwerk an der Innenfläche der Schale ausbreiten. An den Theilungsstellen der Fäden finden sich häufig grössere Anhäufungen contractiler Substanz, welche ' in ihrer Erscheinung grosse Aehnlichkeit mit den sogenannten Schwimmhäuten an den Pseudopodien der Rhizopoden besitzen. Eine solche Stelle ist von Quatrefages!) sehr naturgetreu abgebildet worden. An den Fäden bemerkt man sofort dunkel | eontourirte Kügelchen, welche den Eindruck von Fetttröpfchen machen und in der That dafür angesprochen werden müssen, ' da sie sich gegen Reagentien wie Fett verhalten und nach dem Absterben des Thieres intact zurückbleiben, während die con- 1) de Quatrefages. Observations sur les Noctiluques. Ann. des Se. nat, Illieme Ser, Zool, XIV. 1851, Pl. V, Fig. 2, 142 Dr. W. Dönitz: tractile Substanz zerfällt. Diese Fetttröpfchen nun sieht man die Fäden auf und ab wandern, je nach der Richtung der an den Fäden ablaufenden Contractionswelle. Neben den Fett- tropfen sieht man an den Fäden andere Körnchen, welche das Licht in derselben Weise brechen wie die contractile Substanz der Fäden selbst. Auch sie wandern hin und her. Sie ent- stehen manchmal plötzlich an einem vorher gleichmässig breiten Faden und vergehen auch wieder unter den Augen des Be- obachters. Daraus erhellt, dass sie nichts weiter sind, als kleine Anhäufungen contractiler Substanz, und dass ihre Be- wegungen in die Kategorie der Körnchenbewegung der Rhizo_ poden gehören, die nach Reichert’s !) Untersuchungen als locale Contractionserscheinungen aufzufassen sind, und wel- che, wenn sie ihren Ort verändern, als Contractionswellen auftreten. Es fragt sich nun, ob die Fäden der Noctiluca als Pseudo- podien, das heisst als solide Stränge contractiler Substanz, oder ob sie als Röhren mit contractilen Wänden aufzufassen sind. Die Beobachtung des blossen Fadens lehrt in dieser Beziehung gar nichts; an so feinen Fäden würde sich optisch eben kein Hohl- raum, auch wenn er vorhanden sein sollte, erkennen lassen, eben so wenig wie an einem leeren Capillargefäss, das durchschnitt- lich viel dieker ist, als ein solcher Faden. Da gilt es also, nachzusehen, ob die Fäden einen Inhalt führen, welcher Natur dieser Inhalt ist, und wie er sich zur contractilen Substanz des Fadens verhält. Nun hat aber Schon Quatrefages bemerkt, dass die aufgenommene Nahrung, aus Diatomaceen, Bacillarien u.8. w. bestehend, bis in die stärkeren Fäden eindringt, dass Carmin und Indigokörnchen bis eben dahin gelangen, und dass endlich die feineren Fäden immer nur an Volumen geringe In- 1) Reichert. Ueber die contractile Substanz und ihre Bewe- gungserscheinungen etc. Abhandl. der Kgl. Akademie der Wissen- schaften zu Berlin. 1867. . Ueber die Bewegungserscheinungen an den Scheinfüssen der Po- lythalamien ete. Monatsber. der Kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1862, ER II u Ta Fu et ne nn Ueber Noctiluca miliaris Sur. 143 haltsmassen führen. Diese Beobachtung kann ich nur bestäti- ‘gen. Auch die oben erwähnten Fettkörnchen werden um so kleiner, je feiner der Faden ist, in dem sie stecken. Ja, in den zarten Maschen an der Innenfläche der Schale sind diese Körn- M ‚chen unmessbar fein. Hätte man es nun mit soliden Fäden zu thun, in welche die Körnchen eingebettet wären, so sieht sr Sn re man nicht ein, warum nicht auch einmal grössere Körner bis ' an die Peripherie der Schale durch Contractions - Bewegung getrieben werden sollten; davon zu schweigen, dass nach Reichert’s oben erwähnten Untersuchungen die Contrac- tionswellen über fremde Körper hinweg ziehen, ohne sie fortzuschieben. Die Annahme contractiler Röhren dagegen er- klärt die Erscheinung vollkommen. Die feineren Röhren sind eben nicht so sehr erweiterungsfähig, um grössere Körper aufnehmen zu können. Deshalb gelangen .nur äusserst kleine Partikel bis in die feinsten Fäden; die grösseren Körper müssen in den stärker ausdehnbaren diekeren Röhren zurückbleiben. Man muss demnach Quatrefages vollkommen beistimmen, wenn _ er den Hohlraum des Weichkörpers sich in die Fäden fortsetzen lässt. Aus demselben Grunde kann ich aber diesem Autor nicht beipflichten, wenn er diese Fäden Pseudopodien nennt. Unter Pseudopodien versteht man solide, unter der Gestalt von Fäden erscheinende Contractionszustände von contractilen Sub- ‚stanzen, niemals aber röhrenförmige Gebilde, gleichgültig, ob "sie Contraetionsfähigkeit besitzen oder nicht. So wird es Nie- mand einfallen, die Saugfäden der Acineten mit Pseudopodien "identificiren zu wollen. & Ein Umstand bestärkt uns noch in der Auffassung, dass die Fäden der Noctiluca keine Pseudopodien sind. Man hat nämlich noch nicht beobachtet, dass der Weichkörper neue Fäden ausschickte, die selbständig durch das Lumen der Kugel gezogen wären und sich an die Schale angeheftet hätten, wäh- “rend doch auf der anderen Seite bei Rhizopoden das Hervor- _ streeken neuer Scheinfüsschen eine characteristische Erscheinung ist, Man könnte dagegen einwenden, dass Krohn!) und später 1) Krohn. Notiz über die Noctiluca miliaris, Wiegmann’s Arch. für Naturgesch. 1852. Bd. 1. 144 Dr. W. Dönitz: Huxley das Hervorschnellen und plötzliche Zurückziehen einer sogenannten Cilie aus der Mundöffnung beschreiben. Mir ist dieses Phänomen leider nicht zu Gesicht gekommen; doch ist es mir wahrscheinlich, dass diese Cilie in der That eine Pseu- dopodie ist. Nur darf man dieselbe nicht für ein Analogon der im Innern der Schale ausgespannten Fäden halten. Letztere wechseln zwar ihre Gestalt, niemals aber, soweit die bisherigen Beobachtungen reichen, ihre Anheftung; niemals entstehen neue Fäden im Innern der Schale. Die Cilie dagegen tritt nach Art der Pseudopodien nach aussen hervor und kann demnach als Scheinfüsschen aufgefasst werden, da sie ja von einer Substanz ausgeschickt wird, die zu den contractilen gehört. Bedenkt man nun, dass an den Fäden der Noctiluca die sogenannte Körnchenbewegung sich zeigt, so würde es nicht einmal auf- fallen können, wenn man im Innern der Schale eine Pseudo- podie sähe. Nur würde man den Zweck- einer solchen im In- nern eines nach aussen hin vollständig abgeschlossenen Hohl- raumes nicht verstehen. Aus diesem Grunde glaube ich nicht, dass es gelingen wird, eine solche Beobachtung zu machen. Ich habe mich oben, bei Beschreibung der Schale, gegen die Existenz einer Afteröffnung ausgesprochen und bin darin in Widerspruch mit Huxley, welcher sogar einen wohl begrenz- ten Nahrungskanal annimmt, der Mund und After verbinden sol. Einen solchen Canal konnte ich nicht auffinden, und das Verhalten der aufgenommenen Nahrung widerlegt dessen Vor- handensein. Die Nahrungsmassen, welche mitunter sehr volu- minös sind, dringen noch unverdaut in die Fäden ein und sind dann immer von grösseren Mengen contractiler Substanz einge- schlossen. Gar nicht selten hängen diese Anhäufungen con- tractiler Substanz um Nahrungsmassen nur durch relativ dünne, das heisst stark contrahirte Fäden mit der Hauptmasse des Weichkörpers zusammen. In diesem Falle müsste nach Hux- ley's Auffassung das Nahrungsmaterial den Verdauungskanal ver- lassen haben und durch die Wände desselben in die Fäden eingedrungen sein, was doch wohl im höchsten Grade unwahr- scheinlich ist, da etwas Aehnliches, wie ich schon oben hervor- hob, im ganzen Bereich der contractilen Substanz nicht weiter Ueber Noctiluca miliaris Sur. 145 vorkommt, Ausserdem hat Webb die Entleerung der Contenta | immer nur durch die centrale Depression, das heisst durch die sogenannte Mundöffnung erfolgen sehen. Die contractile Substanz erstreckt sich auch in die Geissel hinein und nimmt hier ein quergestreiftes Aussehen an, wie - das schon Huxley gegenQuatrefages hervorhob, der die Quer- streifung in die Membran der Geissel verlegte. Man hat häufig Ge- legenheit, abgestorbene Noctiluken zu sehen, bei welchen die In- _ haltsmasse aus der Geissel hervorgetreten ist. Dann erscheint die leere Hülle als vollkommen glatte Membran. Hin und wieder er- kennt man allerdings in solchen Fällen eine Andeutung einer Querstreifung, aber man überzeugt sich leicht, dass dies auf einem Zurückbleiben von Inhaltsresten in der Hülle der Geissel beruht. Manchmal gewährt eine halbleere Geissel sogar den Anschein, als ob sie zwei oder drei Reihen Löcher trüge. Quatrefages beschreibt eine aus der Mundöffnung bruch- sackartig hervorhängende Masse des Weichkörpers. An frischen lebenskräftigen Exemplaren konnte ich dieselbe eben so wenig wiederfinden, als Huxley, und glaube, dass der genannte For- scher absterbende Thiere vor sich gehabt hat, an denen das ' Austreten des Inhalts aus der Schale eine gewöhnliche Er- ‚ scheinung ist. Was die Einwirkung von Reagentien auf die contractile Substanz betrifft, so will ich nur die Osmiumsäure erwähnen. Es färbte dieses Reagens die contractile Substanz diffus und nur schwach bräunlich, ein Zeichen, dass innerhalb dieser Substanz _ kein energischer Verbrennungsprocess vor sich geht, wie man ‚nach M. Schultze’s erster Mittheilung über die Einwirkung dieses Praeparates auf den Leuchtkörper von Lampyris mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte erwarten sollen. Ich kann die Besprechung des Weichkörpers der Noctiluca "nicht verlassen, ohne auf einen mir-unerklärlichen Irrthum auf- _ merksam zu machen, der sich in dem von V. Carus bearbei- teten Theile des Handbuches der Zoologie vorfindet. Es heisst dort in der Diagnose der eigens für die Noctiluca geschaf- fenen Klasse der Myxocystodea, dass diese Organismen ein gallertartiges, dem Schleimgewebe höherer Thiere ver- 146 k Dr. W. Dönitz: = gleichbares Körperparenchym besitzen. Zwischen den contractilen Fäden der Noctiluken und irgend einem Bindesubstanzgebilde der Wirbelthiere findet auch nicht die geringste Aehnlichkeit statt. Keine Spur einer Zelle oder eines Abkömmlings einer solchen ist zu entdecken. Von einem gallertigen Körperparen- chym kann nicht im Entferntesten die Rede sein. Die Fäden spannen sich einfach in einem mit hyaliner Flüssigkeit ange- füllten Hohlraum aus, und diese Flüssigkeit ist wahrscheinlich nichts als Seewasser. Man beobachte nur eine Noctiluca, deren Fäden sich von der Peripherie gegen die sogenannte Mund- öffnung hin zurückziehen, um überzeugt zu sein, dass ausser- halb kein organisirtes Gebilde, sondern nur eine wasserhelle Flüssigkeit existirt. An demselben Ort findet sich die Angabe, dass die Fäden unter der äusseren Haut ein Maschenwerk bilden, „welches durch eine fein granulirte, deutlich zellige Schicht an jene geheftet ist.“ Diese Zellen sind nichts anderes als die Maschen selbst, die allerdings bei oberflächlicher Betrachtung für eine epithelartige Zellenschicht genommen werden könnten. Um hier Zellen annehmen zu können, müsste man doch vor allen Dingen deren Kerne nachweisen, was in diesem Falle seine Schwierigkeiten haben dürfte. Ausserdem muss ich be- streiten, dass bei der Noctiluca noch eine dritte, zwischen Maschen- werk und äusserer Hülle eingeschaltete Schicht vorkommt, wenn- gleich Huxley und Webb eine solche annehmen. Ich habe nichts gesehen, was irgendwie auch nur zur Vermuthung führen könnte, dass eine solchao Zwischensubstanz vorhanden sei. Im Gegentheil werden meine gleich zu berichtenden Beobachtungen über die Regeneration der Schale zeigen, dass diese ein directes Product der contractilen Substanz ist; und damit ist die An- nahme vom Vorhandensein einer solchen Zwischensubstanz widerlegt. Bei Gelegenheit einer früheren Mittheiluug über diesen Gegenstand ’) hatte ich die Bemerkung gemacht, dass die Wie- 1) Dönitz. Sitzungsberichte der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin, 19. Nov, 1867. = Ueber Noctiluca miliaris Sur. 147 ererzeugung der Schale bisher noch nicht beobachtet sei. Indessen finde ich jetzt, dass Webb schon dasselbe gesehen hat. Da aber Webb’s schöne Beobachtung vergessen worden zu sein scheint, so will ich hier noch einmal ausführlicher darauf eingehen. y Es kommt häufig vor, dass während der Untersuchung die a Fäden der Noctiluca sich von der Schale loslösen und nach der Anhäufung contractiler Substanz an der Basis der Geissel zu- _ rückziehen. Nicht selten quillt dann der gesammte Weichkör- - per aus der Oeffnung der Schale hervor und reisst den stab- - förmigen Körper mit sich fort (Taf. IV. Fig. 4.). Behält man ' dann das Object einige Zeit unter den Augen, so sieht man _ öfter einen hellen Saum sich von der ziemlich undurchsichtigen 4 Masse blasenförmig abheben. Die einzelnen Blasen confluiren ; und dehnen sich mehr und mehr aus, während zugleich Fäden _ von dem Weichkörper nach dem neuen Contour hinübergespannt werden (Fig. 5). Diese Fäden sind schon vorhanden, sobald i die ersten Andeutungen des hyalinen Saumes sich zeigen. Nie- mals habe ich von dem Weichkörper selbständig entspringende Fäden gesehen, die sich durch den Hohlraum hindurch nach der Peripherie vorgeschoben hätten. Allmählich runden sich _ die Contouren der in einander geflossenen Blasen ab, und man hat eine neue, vollständige Noctiluca vor Augen. Anfänglich sah der dreikantige Stab mit drei Spitzen weit- über die con- traetile Substanz und die sich regenerirende Schale hinaus (Fig. 4). Mit dem Wachsthum der neuen Hülle aber kommt er im Niveau derselben zu liegen, und es markiren sich nur noch die drei Spitzen, welche ein wenig über die Kugelober- _ fläche hervorragen. Wie die Geissel sich‘ bei diesem Regene- _ rationsvorgang verhält, konnte ich nicht immer mit Sicherheit feststellen. In einigen Fällen schien mir der weiche Inhalt der Geissel aus der alten Noctiluca mitgenommen zu werden und ' sich, wie der übrige Körper, mit einer neuen festen Hülle zu bekleiden. Diese Beobachtungen lehren, dass die Schale der Noctiluca _ ein directes Absonderungsproduct der contractilen Substanz ist. _ Aehnliche Regenerationsvorgänge wird man bei niederen Thieren e i EN ee Te 148 Dr. W. Dönitz: noch häufig finden, und ich verweise in dieser Beziehung haupt- sächlich auf die Hydropolypen, indem mir das Bild einer abge- storbenen Campanularia vorschwebt, welches nicht anders gedeutet werden kann, als dass auch hier eine Wiedererzeugung des Hartgebildes stattgefunden hatte. Man sah in diesem Falle nämlich vom Grunde der Glocke aus sich noch einen Ring er- heben, welcher einerseits die directe Fortsetzung des obersten Ringes des Polypenträgers bildete, und andererseits eine zweite Glocke trug, welche sich gegen die Oeffnung hin an die In- nenwand der äussern Glocke fest anlegte und mit ihr verklebt zu sein schien. Es fanden sich also zwei Glocken ineinander geschachtelt. Ich glaube nun annehmen zu müssen, dass an diesem Exemplar der Weichtheil des Polypenkopfes auf gewalt- same Weise entfernt worden war, dass er sich aber vom Stiel aus regenerirt hatte. Dabei hatte sich der Stiel zugleich um einen Ring verlängert, und der ganze neugebildete Weichkör- per hatte dann eine neue Schale ausgesondert. Dass mir bei meinen Untersuchungen niemals eine sich theilende Noctiluca zu Gesicht gekommen ist, mag an der Un- gunst der Jahreszeit liegen. Brightwell, welcher die lehr- reichsten Abbildungen über diesen Vorgang veröffentlicht hat, bemerkt, dass die Theilung hauptsächlich im Winter bis in das Frühjahr hinein sich zeigte. Meine Beobachtungen dagegen fallen in die Monate August und September. Suchen wir uns nun eine Vorstellung von dem inneren Bau der Noctiluca zu machen, so muss man,-glaube ich, die Weichgebilde des Thieres als Hohlkörper auffassen, dessen Wände aus contractiler Substanz bestehen. Der Körper schickt vielfach verästelte Fäden aus, in welche sich Fortsetzungen des Hohlraumes, selbst bis in die feinsten Verzweigungen hinein, erstrecken. Das Nahrungsmaterial dringt durch die Muudöff- nung der Schale ein. Das Vorkommen einer Mundöffnung des Weichkörpers selbst ist zwar noch nicht beobachtet worden, da gerade die in Betracht kommende Stelle der Untersuchung schwer zugänglich ist; doch dürfte die Anwesenheit einer sol- chen Oeffnung eine Nothwendigkeit sein. Durch die Contrac- tionen der Leibeswand wird einerseits die Bewegung der von Ueber Noetilnea miliaris Sur. 149 # "R er aufgenommenen Nahrung abstammenden Fetttröpfehen in . den hohlen Fäden vermittelt; andrerseits wird dadurch das von len Rhizopoden her bekannte Spiel der Körnchenbewegung er- eugt. Desgleichen scheint das Hervorschnellen einer sogenann- en Cilie aus der Mundöffnung auf eine partielle Contraction ler Leibeswand bezogen werden zu müssen und dem Hervor- trecken der Pseudopodien analog zu sein. Ist diese Auffassung lie richtige, so besteht die Abweichung der Noctiluca von den brigen genauer untersuchten Rhizopoden darin, dass sie einen _ ehert’s Untersuchungen die an Polythalamien, insonderheit an - Gromia oviformis auftretenden Pseudopodien der contractilen "Substanz solide Gebilde sind. Zu vergleichen wären diese Fäden ur mit den hohlen Fortsätzen der Amoeben, Gromien u. s. w., ‚nur dass letztere in nicht so feiner Verästelung auftreten. Figuren -Erklärung. 3 Te. 1. Noctiluca miliaris Sur., ausgewachsenes Exemplar. Es st das feine Netzwerk gezeichnet, welches die Fäden an der Innen- läche der Schale bilden. In der Einbuchtung links von der Insertion der Geissel erkennt man die sogenannte Mundöffnung, Die zwei _ Höckerchen am linken Rande gehören der Basis des Stabes an, wel- cher von der Unterseite her durchschimmert, _ Fig. 2. Mittelgrosses Exemplar einer Noctiluca im Profil. Der Stab ragt mit seinen drei Ecken etwas mehr als gewöhnlich über das "Niveau der Hülle hervor. Dicht oberhalb der Basis des Stabes zeigt ich eine ungefähr trichterföormig gestaltete, dunkle Stelle, welche on manchen Autoren für einen After gehalten wird. Die grössere häufung contractiler Substanz zieht sich von der Basis der Geissel zur Spitze des Stabes hin. Die contractilen Fäden enthalten rössere und kleinere Fetttröpfchen. Fig. 3. Noctiluca von der Stabseite gesehen. Der Stab ist an einem unteren Ende stark verbreitert; seine Spitze ist hier durch ine kleine Querfalte in der festen Hülle bezeichnet. Die in den äden enthaltenen Fetttröpfchen sind äusserst klein. Die an der Interseite gelegene Geissel ist nicht zu sehen. Fig. 4. Contractile Substanz einer Noctiluca, zugleich mit Geissel und Stab aus der alten Hülle ausgetreten. Die Spitze des Stabes scheint abgebrochen zu sein. Fig. 5. Contractile Substanz einer Noctiluca, im Begriff, eine gr "Hülle zu bilden. dendritisch verzweigten Hohlkörper besitzt, während nach Rei- nr Re ET WR a I TE REN LETTER TEN Br EN ER Tee et a} DS a - A Fe 150 H. Quincke: Ueber die Ausscheidung von Arzneistoffen durch die Darmschleimhaut. Von Dr. H. Quincke. ? - Assistenten an der medieinischen Universitätsklinik zu Berlin. AR N Während für die meisten Secrete des thierischen Körpers 2 schon durch Versuche festgestellt wurde, welche von den in I den Körper eingeführten Stoffen durch jedes derselben ausge- , | schieden werden, und dadurch zum Theil in die Wirkung dieser 2 | Stoffe ein Einblick eröffnet wurde, hat sich die Aufmerksamkeit der secretorischen Thätigkeit der Darmschleimhaut bisher we- niger zugewendet. Es beruht dies wohl auf der Schwierigkeit, 3 das Darmsecret einerseits in nicht zu geringer Quantität, an- e dererseits frei von den übrigen Secreten des Verdauungstractus, sowie von Ingestis zu erhalten, Schwierigkeiten, welche sich auch der Erforschung der physiologischen Eigenschaften dieses Secrets stets so hindernd in den Weg gestellt hatten. | Unter normalen Verhältnissen kommen die Secrete des Darms nur für den intermediären Stoffwechsel in Betracht, we- niger für das Endresultat der Einnahmen und Ausgaben des ganzen Körpers, da sie grösstentheils wieder resorbirt werden. Eine Untersuchung über die Ausscheidung gewisser Stoffe durch ‚die Darmschleimhaut vervollständigt daher die Kenntniss der Bahnen, welche diese Stoffe während ihres Verweilens im Or- ganismus durchlaufen. Unter pathologischen Verhältnissen aber, er Ueber die Ausscheidung von Arzneistoffen etc. 151 nach therapeutischen Eingriffen bilden die Darmabsonde- run en ein Glied in der Reihe der wirklichen Excerete, durch w Iche auch fremde dem Körper zugeführte Stoffe aus demselben fernt werden, so dass es auch von practischem Interesse er- eint, zu wissen, welche Substanzen durch die Darmschleim- t ausgeschieden werden, welche nicht. Wie weit die Secre- tionsverhältnisse des normalen Darmsafts Schlüsse auf die instlich vermehrten Ausscheidungen zulassen, müssen genauere Untersuchungen der letzteren lehren; vorläufig machen es 'hiry’s!) Versuche mit Drastieis wenigstens wahrscheinlich, dass diese in ‘vielen Fällen nicht sowohl durch Vermehrung der ecretion als durch Anregung der Peristaltik und schnellere Ex- cretion abführend wirken. — Die reinen Ausscheidungen der Darmschleimhaut wurden, so viel mir bekannt ist, auf den erwähnten Punkt hin bisher noch nicht untersucht, sondern entweder die Faeces oder der Darminhalt hungernder Thiere, wobei natürlich die Secrete aller übrigen Drüsen des Verdauungstractus nicht ausgeschlossen werden konnten. In den Faeces findet sich Eisen normal in ‚gewisser Menge Bidder und Schmidt?), im Darminhalt fand es Mayer’) nach Injection von Eisensalzen ins Blut; Quecksilber fand Sai- ‚wsky®) in den Faeces von Kaninchen nach subcutaner Ap- ication von Quecksilbersalzen, doch bemerkt er selbst, es önne durch den Speichel dahin gelangt sein. Harnstoff wurde Bernard und Barreswil’) im Darminhalt nephrotomirter nde aufgefunden. Goldbaum®°) sah den Uebergang von Jod Choleradejectionen bei subcutaner Einspritzung von Jodna- m, nicht nach Jodkaliumeinspritzung. 1) Ueber eine neue Methode, den Dünndarm zu isoliren. Wiener ungsberichte. Bd. 50. 1864. 2) Bidder und Schmidt, die Verdauungssäfte und der Stoff- schsel. 1852. 8. 261. 3) A. Mayer, de ratione qua ferrum mutetur in corpore. Dor- B850, 4) Virch. Arch. XXXVI. 5) Arch. gen. 1847. 8. 449, 6) Virch, Arch. XXXVII. 8, 288. A Kr a ‚kennbare Stoffe gewählt, zum Theil solche, die therapeutisch. 152 - A. Quincke: Wurden zu meinen Versuchen zunächst auch nur leicht er- gar keine Anwendung finden, so deuten die Resultate doch auf die eigenartige Thätigkeit der secretorischen Apparate des Darms hin und lassen vielleicht, bis ausgedehntere Versuchsreihen existiren, Analogieschlüsse über das Verhalten verwandter Stoffe zu. Gegenstand der Untersuchung war stets das Secret des Dünndarms; meist wurden Hunde, einige Mal auch Katzen und Kaninchen zu den Versuchen benutzt. Der Methoden zur Gewinnung reinen Darmsafts giebt es zwei; beide wurden von mir angewandt. Die erste von Fre- richs!) herrührende besteht in der Unterbindung von Darm- schlingen hungernder Thiere; nach 4—6 Stunden. wird das Thier getödtet und der Inhalt der Darmschlinge untersucht. Nach der zweiten von Thiry (l. ec.) angegebenen Methode wird ein Darmstück dauernd isolirt, so dass seine Secrete längere Zeit hintereinander untersucht werden können. Dem Hunde (nur auf solche wurde diese Methode angewandt) wird zu die- sem Zweck durch eine kurze Bauchwunde in der Mitte der Linea alba ein Darmstück hervorgezogen und an zwei 10—15 Ctm. von einander entfernten Stellen durchschnitten; nachdem nun der obere und der untere Theil des Darms durch Naht wieder zu einem continuirlichen Rohre vereinigt worden, wird das eine Ende des ausgeschalteten Mittelstückes durch Naht geschlossen, das andere (nachdem es vorher etwas verengt wurde) in die Bauchwunde eingenäht, so dass es einen mit der Aussenwelt communicirenden Blindsack darstellt. Nach voll- endeter Heilung hat der Hund einen um einige Zoll verkürzten Darm, mit dem er Monate lang leben kann; aus dem isolirten Stück wird das Secret, dessen Eigenschaften und Absonderungs- bedingungen von Thiry genauer untersucht wurden, durch Ein- führung von Kathetern und Schwämmen?) gewonnen, die theils durch mechanische Reizung die Absonderung befördern, theils 1) Frerichs, über Verdauung. Wagner’'s Handwörterbuch der Physiologie. Bd. III. pag. 851. F 2) Sehr bequem fand ich Kautschukkatheter und Irrigatorspitzen mit mehrfach eingeschnittenen Löchern. Ueber die Ausscheidung von Arzneistoflen ete. 153 R das einmal secernirte sofort nach aussen führen und so der nor- _ maler Weise stattfindenden Resorption entziehen. Das ausser- halb der Fistel befindliche Ende des Katheters mündet in einen 5 kleinen Glastrichter, der dem Thier durch einen Gurt fest vor die Fistelöffnung gebunden wird und mittelst eines Korkes ein Glasgefäss zur Aufsammlung des Darmsafts trägt. Der Hund wird mittelst zweier Gurte, die unter Brust und Hintertheil _ durchgehen, nach Ludwigs Methode halb schwebend aufgestellt undekann viele Stunden in dieser Position verweilen. Zwei der von mir verwendeten Hunde, beides Weibchen, überstanden die Operation. Männchen scheinen weniger ge- eignet zu diesen Versuchen zu sein, da bei ihnen wegen der h fi & el rk FE er I ne , Lage der Harnröhre sowohl die Heilung der Wunde, als auch die Aufsammlung des Secrets schwieriger ist. Y Bei No.]1., einer Dogge, 12 Kilogr. schwer, stellte sich zwei Monate nach Heilung der Fistel eine Communication zwischen dem isolirten Darmstück und dem Darmeontinuum her, so dass er unbrauchbar wurde und getödtet werden musste. Die Sec- tion ergab, dass das isolirte Darmstück dem lleum angehörte; _ die ringförmige Narbe im Darm sass 9'' oberhalb der Ileocoe- _ ealklappe, 4'/,‘ unterhalb des Pylorus. Das isolirte Darmstück N war $!/a Ctm. lang, etwas gekrümmt, von einigen Adhäsionen % umgeben; seine Schleimhaut, namentlich die Lieberkühn’- schen Drüsen bei mikroskopischer Untersuchung völlig normal. A - No. H., Pinscher, 5 Kilogr. schwer, lebte 9 Monate und kam E durch einen Zufall um. Bei ihm verengte sich die Fistelöffnung öfter zu Stecknadelknopfgrösse und musste dann dilatirt werden. Das isolirte Darmstück gehörte ebenfalls dem Ileum an (die 4 ringförmige Narbe sass 2‘ oberhalb der Ileocoecalklappe); es X *& £ R he war 12!/, Ctm. lang und durch das Mesenterium, ohne dass _ abnorme Adhäsionen da waren, halbmondförmig fixirt, so dass £ man nur 7 Ctm. gerade eindringen konnte; es war zusammen- ® gezogen, enthielt Schleim und Epithelien; mikroskopisch erwies sich die Schleimhaut vollkommen normal, namentlich waren die Lieberkühn’schen Drüsen hier wohl erhalten, während in dem übrigen Darm (8 Stunden nach dem Tode) die Contenta schon deletär gewirkt hatten. — Aus diesem Verhalten so wie Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 11 154 H. Quincke: aus dem Gleichbleiben der Eigenschaften des Darmsafts, der nur während der Heilungsperiode etwas Blut und Eiter, später nur bei starken mechanischen Insulten etwas Blut enthielt, wird man wohl mit Thiry schliessen dürfen, dass man es mit normalem Darmsaft zu thun gehabt habe. Ehe ich nun zu den Versuchen über die Ausscheidung selbst übergehe, will ich kurz die chemischen und physio- logischen Eigenschaften des aus den Darmfisteln erhal- tenen Secrets beschreiben, die mit den von Thiry gefundenen in den meisten Punkten übereinstimmen. Der Darmsaft ist hellgelb, schwach opalisirend, enthält für gewöhnlich nur ausserordentlich wenige rundliche Zellen; er ist dünnflüssig, von stark alkalischer Reaction; mit Säuren braust er auf (CO:). Durch Kochen oder durch Alkoholzusatz trübt er sich nicht; erst bei Neutralisation mit Essigsäure tritt dann flockige Fällung von Eiweiss ein. Essigsäure, in der Kälte zu- gesetzt, macht einen Niederschlag, der auf weiteren Zusatz bis auf leichte Opalisirung verschwindet; in dieser Flüssigkeit macht dann Ferrocyankalium und Quecksilberchlorid (nicht constant) einen Niederschlag. Verdünnte HCl macht zuerst einen Nie- derschlag, der sich bei weiterem Zusatz löst; fügt man mehr hinzu, so entsteht von Neuem ein Niederschlag, der sich bei weiterem Zusatz wiederum löst; Kochen bringt in dieser Flüssig- keit dann keine Veränderung hervor. Mit schwefelsaurem Kupferoxyd und Kali gekocht bildet der Darmsaft eine violette Lösung. Rhodankalium enthält er nicht. Lässt man ihn stehen, so riecht er erst nach mehreren Tagen, selten schon nach 24 Stunden faulig. Die Asche enthält wenig K, viel Na, ferner Spuren von Ca und Mg; reichlich HCl, weniger SO, und PO,. Fe war nicht oder nur in sehr geringen Spuren nachweisbar. ne ira ad Sur. Di Ueber die Ausscheidung von Arzneistoffen etc. 155 a Gew. a Asche. y 5 Hana. 8.5 3 Menge in 1 Stunde. | 3,905 gramm. | . ° 3,13 s 11.6. 0,9208 % 3,019 $ 12. 6. 5 2 0,3396 % 3,7026 B ° . 3,5958 H ag . ö 3 | 4,6814 iR ; A 6. 1,3455 % | 0,9099 % | ei | ö 14.6. 1,0096 a 0,9065 % DRIN E. 18.6, £ 111% | 0,211 % - — — HundlIl. 14.8. | 1,0105 Ä i : 15. 8. 1,0082 a h 20. 8. 1,0088 h & . 25.8. R . Ei 1,75 cub. cent. 96.8, a He 1,5 2 Das specifische Gewicht des Darmsafts schwankte bei Hund I. zwischen 1,0096 und 1,0080; bei Hund II. zwischen 1,0105 festen Bestandtheile (s. Tab.), die leider nur bei Hund I. be- stimmt wurden, etwas geringer gefunden, als von Thiry, wo- 9 ‚gegen für die Aschenmengen sich fast dieselben Zahlen ergeben. Ueber den Einfluss der Mahlzeiten auf die Menge des in 1 Stunde abgesonderten Darmsafts stellte ich keine Versuche . an. Der Hund wurde gewöhnlich im nüchternen Zustande zu E den Versuchen benutzt und stellten sich dabei die Mengen in 1 Stunde, "wie in der Tabelle angegeben, von 2, bis 4, grm, schwankend; nicht selten waren sie aus unbekannten Gründen sehr viel geringer und wurden dann nicht gewogen. Zieht man Länge und Umfang des Darmstückes, wie sie die Section ergab, - in Rechnung, so findet man bei Hund I. für ein Darmstück ' von 10 ctm. Länge 4,15 grm. Absonderungsgrösse in I Stunde, ' und 0,ıs grm. für 1 Detm. Schleimhaut; für Hund II. ungefähr 2,3 und 0,ıs grm. Auch ohne Messungen war übrigens deutlich ersichtlich, dass die Grösse des Reizes (ob Schwamm, ob dicker, 4 menge. war und erklärt es sich vielleicht hieraus mit, dass meine Zahlen etwas grösser sind als die Thiry’schen. - i1® und 1,008. Es wurde demnach dies so wie die Menge der 156 H. Quincke: a Was nun die physiologischen Functionen des Darmsafts anlangt, so fand ich ihn übereinstimmend mit Thiry vollkommen unwirksam auf Butter, rohes und gekochtes Muskelfleisch, sowie geronnenes Hühnereiweiss, selbst bei mehrtägiger Digestion. In Betreff seiner Wirksamkeit auf Fibrin und Stärke kam ich zu nicht ganz constanten Resultaten. Mehrmals löste sich ersteres, aber erst nach. mehr als 12stündigem Stehen, vollkommen auf; andere Male quoll es nur oder änderte sich selbst nach längerer Zeit gar nicht. Ebensowenig waren die Resultate der Einwirkung von Darmsaft auf gekochte Stärke gleichmässigee Nur in wenigen Fällen wurde jegliche Wirkung vermisst; in einigen Fällen sah man nach 2—3stündigem Stehen bei 40° bei der Kupferprobe Oxydul ausfallen, in den meisten Fällen war dies erst nach mehr als 12 Stunden der Fall — Resultate, wie sie schon Frerichs erhalten hatte. Nicht selten -reagirte die Flüssigkeit dann aber bei noch längerem Stehen deutlich sauer, während der Darmsaft allein beim Stehen nie sauer wurde; die Flüssig- keit war dann öfter nicht mehr reducirend, so dass eine wei- tere Umwandlung in Milchsäure wahrscheinlich war, doch konnte bei der geringen Menge dies nicht näher geprüft werden. Traubenzucker und Rohrzucker, dem Darmsaft zugesetzt, be- wirkten übrigens mehrmals ebenfalls bei I—Stägigem Stehen bei 40° saure Reaction. Es stimmen demnach nach meinen Versuchen die ver- dauenden Eigenschaften des aus dem isolirten Darmstück ge- wonnenen Darmsafts vollkommen mit denen überein, die schon Frerichs an dem nach seiner Methode gewonnenen beobach- tete: zur Verdauung selbst, zur Lösung und Umwandlung der Nahrungsmittel trägt der Darmsaft nur wenig bei. Seine Hauptbestimmung möchte wohl die sein, das saure Secret des Magens, sowie die während der Verdauung gebildeten freien Säuren zu neutralisiren. F B Br, ; 3 Ueber die Ausscheidung von Arzneistoffen etc. 157 ' Ich gehe zu den Versuchen über die Ausscheidung über. 1.asdıard: 1. Fistelhund No. I. bekommt 0,7 grm. Jodkalium inner- lich und wird nach Einführung des Katheters in die Fistel in der oben beschriebenen Weise aufgehängt. Der Darmsaft wird halbstündlich auf Jod untersucht. Nachdem durch Kochen und Essigsäurezusatz das Eiweiss entfernt ist, wird dem Filtrat dünne Stärkelösung und NO, zugesetzt. Der bis zum Ende ; der zweiten Stunde nach dem Einnehmen abgesonderte Darm- $ _ saft enthielt noch kein Jod; erst in dem nach 2!/, Stunde ab- gesonderten trat eine Bläuung ein. Nach’ 24 Stunden war im Darmsaft Jod nicht mehr nachweisbar. Aehnliche Resultate er- gab mehrfache Wiederholung des Versuchs. 2. Dem Hund No. U. werden 0,;s grm. Jodnatrium a die Rückenhaut gespritzt. Nach 1'/, Stunde lässt sich im E Darmsaft Jod nachweisen. Nach 24 Stunden ist es nicht mehr darin, und ebensowenig im Urin aufzufinden. 3. Einem kleinen Kaninchen wird Oesophagus und Dünn- darm nahe dem Coecum unterbunden, dann 0,» grm. Jodkalium - unter die Haut gespritzt. Nach 1'/, Stunde wird das Thier getödtet. Jod findet sich sehr reichlich im ganzen Dünndarm- _ imhalt, ausserdem in Speichel, Urin, Blutserum und Humor _ aqueus; keines im Magen--und Dickdarminhalt. 4. Einer jungen Katze wird 0, grm. Jodkalium unter die Haut gespritzt, nachdem ihr der Dünndarm in der Mitte unter- bunden ist. Nach 2 Stunden findet sich Jod ausser im Speichel, Urin und Blutserum auch im Inhalt des Dünndarms, sowohl - ober- als unterhalb der Ligatur. e: 5. Einem Hunde (4 Kilogr.) wird eine Dünndarmschlinge dureh 2 Ligaturen vom übrigen Darm isolirt und mittelst Pra- vaz’scher Spritze in dieselbe etwa 0,0ı grm. ol. Crotonis, in - einigen Tropfen ol. Rieini gelöst, dann unter die Haut 0,: grm. _ Jodnatrium injieirt. Nach 5 Stunden wird der Hund getödtet. Die in der erwähnten Darmschlinge enthaltene Flüssigkeit zeigt - deutlich Jodgehalt. Bei einem anderen ähnlichen Versuche fand sich Jod 158 U. Quincke: im Secret, als der Hund schon nach 2'/, Stunden getödtet wurde. Es geht aus diesen Versuchen hervor, dass Jod nach sub- cutaner Injection sich schon nach 1'/,—1'/, Stunden, (Vers, 2, 3), ja vielleicht noch früher, bei innerlicher Darreichung nach 2!/, Stunden im Darmsaft nachweisen lässt. Ob Jodnatrium oder Jodkalium gereicht wurde, war völlig einerlei; das Jod ist ja nicht an die Atome Metall gebunden, mit denen es zu- fällig eingeführt wurde; es sind die entgegengesetzten Resultate von Goldbaum (s. o.) bei Choleratranssudat, wohl auf zufäl- lige Umstände zurückzuführen. 1. Brom 1. Dem Fistelhund I. werden 5 grm, Bromnatrium mit Brot und Wasser gegeben. Um das Brom im Darmsaft aufzu- finden, wurde derselbe enteiweisst, das Filtrat mit Chlorwasser versetzt und mit Aether geschüttelt; bei Gegenwart von Brom färbt letzterer sich gelb; reiner Darmsaft in derselben Weise behandelt, lässt den Aether vollkommen farblos. Der Darmsaft “der ersten 2 Stunden enthielt kein Brom; bei Untersuchung des von der 3. bis 5. Stunde abgesonderten Darmsafts jedoch trat deutliche Gelbfärbung des Aethers ein; nach der Verdun- stung desselben blieben kleine gelbe deutlich nach Brom rie- chende Tröpfchen auf dem Boden der Schaale zurück. 2. Fistelhund I. bekommt 3 grm. Bromnatrium innerlich. Der Darmsaft der ersten 3 Stunden entbielt kein Brom; da- gegen färbt sich bei Untersuchung des von der 4,—6. Stunde abgesonderten Darmsafts der Aetlıer deutlich gelb. Es geht also Brom nach 2—6 Stunden in den Darmsaft über. Bemerkt muss werden, dass einige andere Male der Versuch eın negatives Resultat gab, was theils auf die nicht sehr grosse Empfindlichkeit der Reaction, theils dar- auf zu schieben ist, dass der Aether beim Schütteln mit dem Darmsaft sich nur dann gut absetzt, wenn der letztere voll- kommen enteiweisst ist; bei der geringen Menge des Materials gelingt dies nicht immer mit der wünschenswerthen Schärfe. Ueber die Ausscheidung von Arzneistoflen etc. 159 Il. Rhodan. h Zum Nachweis des Rhodan im Darmsaft wurde derselbe ‘s dureh Kochen und leichtes Ansäuern mit Essigsäure enteiweisst, das Filtrat wurde (um die Entstehung von röthlicher Färbung durch essigsaures Risenoxyd zu vermeiden) mit etwas HCl ver- setzt. Auf Zusatz von Fe,Cl, entsteht nun, wenn Rhodan zugegen ist, Rothfärbung der Flüssigkeit. Bei Zusatz von sehr * viel HCl wird die deutlich rothe Färbung, wie Controlversuche mit verdünnter Rhodankaliumlösung lehrten, zu einer blass- gelben; es ist daher ein Ueberschuss von HC] zu vermeiden. 1. Hund I. bekommt 2 grm. Rhodankalium mit Wasser. Nach 1'/, Stunde lässt sich Rhodan im Darmsaft nur unsicher, nach 2 Stunden deutlich nachweisen; auch der nach 27 Stun- den abgesonderte Darmsaft giebt noch Rhodanreaction. 9. Hund II. bekommt innerlich 2 grm. Rhodankalium.' ‚Nach 1!/, Stunde lässt sich im Darmsaft Rhodan sicher nachweisen. Auch in diesem Versuch enthält der Darmsaft noch bis zum folgenden Tage Rhodan; nach 3 Tagen nicht mehr. Es geht also Rhodan bei innerlicher Darreichung von 2 grm. nach 1!/,—2 Stunden in den Darmsaft über und wird noch bis zum folgenden Tage mit demselben ausgeschieden. IV. Ferrocyan. ; Zum Nachweis etwa vorhandenen Ferrocyans wurde der — Darmsaft wie früher enteiweisst und das angesäuerte Filtrat so- wohl mit Fe,Cl,; und mit CuOA, als auch mit Fe0,SO, ge- prüft. 1.- Hund I. bekommt 1 grm. Ferrocyankalium innerlich. Die Untersuchung des Darmsafts ergiebt 1, 3 und 9 Stunden nach der Darreichung des Mittels keine Spur einer Reaction. 2. Hund I. bekommt 3 grm. Ferrocyan mit «Fleisch. Nach 2, 3 und 4 Stunden ist im Darmsaft keine Spur von Ferrocyan nachzuweisen. — Ein gleiches negatives Resultat er- geben mehrfach wiederholte Versuche, so dass man bei der grossen Empfindlichkeit der Reaction (dieselbe ist grösser als 160 H. Quincke: die mit Rhodan) bestimmt sagen kann, Ferrocyan gehe nicht über. So befremdend dies auch auf den ersten Anblick aussieht, da man positive Resultate mit Jod, Brom, Rhodan er- hielt, so hat dies verschiedene Verhalten des Ferrocyans doch ein Analogon in seinem Verhalten zum Speichel und pancrea- tischen Saft. Während nach Cl. Bernard!) Jod in diese bei- den Secrete, namentlich in das erste ausserordentlich schnell übergeht, lässt Ferrocyan sich niemals darin nachweisen; um- gekehrt geht Ferrocyan sehr viel schneller in den Urin über als Jod, was Bernard mit als Grund seines Fehlens im Speichel ansieht. V. Lithium. Zum Nachweis des Lithium wurde der Darmsaft einge- dampft und ein Stückchen des .festen Rückstandes auf der Spitze eines Platindrahts in die Flamme des Spectralapparates gebracht. 19 1. Hund No. I. bekommt 0,ı grm. LiO,CO, in einigen Tropfen Säure gelöst mit Brot. Der Darmsaft wurde halb- stündlich untersucht. Nach 1 Stunde trat die Lithiumlinie im Spectrum schwach, nach 1'/;, Stunde deutlich auf, Im Darmsaft vom folgenden Tage war sie nicht mehr vorhanden. 2. Hund No. II. bekommt 0,2 grm. LiO,CO.. Auch diesmal tritt die Lithiumlinie eine Stunde nach der Darreichung im Secret auf, ist auch nach 2 und 3 Stunden noch deutlich, nach 22 Stunden verschwunden. Es geht also Lithium ausserordentlich schnell (schon 1 Stunde nach Darreichung einer sehr kleinen Dosis) in den Darmsaft über, scheint aber schnell aus dem Blut zu ver- schwinden, da es am nächsten Tage schon darin fehlt. VI. Eisen. Eisen ist eine der wenigen Substanzen, deren Ausscheidung durch den Darmkanal bisher näher untersucht worden war. Bidder und Schmidt (l. ec.) fanden die Faeces hungernder 1) Arch. gen. 1853. FE ER ZLEDENZLLE U ELBE WO ee ee Ueber die Ausscheidung von Arzneistoffen etc. 161 'Thiere sehr reich an Fe,O,; der Fe-Gehalt verhielt sich zu dem des gleichzeitig ausgeschiedenen Harus wie 6—10:1. 3 Bidder und Schmidt schlossen daraus, dass normaler Weise das Fe vorzugsweise durch die Darmschleimhaut aus dem Or- . ganismus ausgeschieden werde. Mayer (l.c.) beobachtete nach Injection von Eisensalzen ins Blut bei Katzen eine Grünfärbung verschiedener Schleimhäute, namentlich der Schleimhaut des Traetus intestinalis vom Oesophagus an, und an dieser wieder vorzugsweise der Schleimhaut des Darms durch Schwefelam- 4 monium; einigemal färbte sich auch der Darminhalt durch # Schwefelammonium grünlich. Mayer sah dies als Beweis der Ausscheidung des eingespritzten Eisens durch die Schleim- 2 häute an. Bei Wiederholung der Mayerschen Versuche an Hunden, 2 Katzen und Kaninchen beobachtete auch ich constant eine schwarzgrüne Färbung der Darmschleimhaut und verschiedener _ anderer Organe durch Schwefelammonium, doch sah ich bei gleicher Behandlung der Organe von Thieren, die zu andern Versuchen benutzt worden waren, ebenfalls eine ähnliche Fär- bung in verschiedener Intensität auftreten, so dass es zweifel- _ haft schien, ob nicht der Blutgehalt und vielleicht andere un- bekannte Momente dabei mitwirkten. Ich versuchte daher, das Fe im reinen Darmsaft aufzufinden. Zu dem Zwecke wurden _ dem Fistelhund II. 6 Ce. concentrirter Lösung von milchsaurem Eisenoxydul in die v. jugularis gespritzt. Weder der in den | x ersten 8 Stunden, noch der am folgenden Tage aus der Fistel gewonnene Darmsaft zeigte eine Spur von Grünfärbung durch Schwefelammonium. In der Asche konnte mit Rhodan kein Fe ‚aufgefunden werden. | Bei einem zweiten eshche wurden 12 c. c. eingespritzt, F ebenfalls mit negativem Resultat. Endlich wurde bei Hund I. zu einer Zeit, wo schon die Communication mit dem Darm ein- # getreten war (s. o.), 1 grm. schwefelsaures Eisenoxydul in | Wasser gelöst in die v. jugularis gespritzt; der von der 5.—7. - Stunde aus der Fistel gewonnene nicht einmal ganz reine Darmsaft färbte sich mit NH,S durchaus nicht. Früher schon hatte derselbe Hund 14 Tage lang täglich M a 3 162 n H. Quincke: 2 grn. Ferrum lacticum innerlich bekommen, ohne dass in der Asche des Saftes aus dem (damals noch vollkommen isolirten) Darmstück mehr als die vor der Fütterung aufgefundenen Spu- ren von Fe aufgefunden werden konnten. Es scheint demnach die Ausscheidung des Eisens durch den Darmsafteine ausserordentlich geringe, aufdiese Weisenichtnach- weisbare zu sein. Dass sie überhaupt stattfinde, zeigen die Versuche von Bidder und Schmidt, welche in dem Eisen- gehalt der Faeces das in längeren Zeiträumen vom ganzen Darm ausgeschiedene Eisen zum Untersuchungsobject hatten; freilich 1 unter Nichtberücksichtigung der Ausscheidung durch die Galle. VI. Arsenik. Zur Auffindung des Arsens im Darmsaft wurde derselbe mit etwas kohlensaurem und salpetersaurem Kali versetzt, im Platintiegel eingedampft, dann noch etwas Salpeter zugesetzt und geglüht. Die farblose Masse wurde in Wasser gelöst, NO, und NO, durch Erhitzen mit SO, verjagt und die so erhaltene Flüssigkeit in den Marsh’schen Apparat gethan. | Fistelhund No. II. erhielt 30 Tage hindurch täglich 5 Tropfen solutio Fowleri (entsprechend etwa 0,00s grm. arseniger Säure); vom 30. bis 42. Tage täglich 7 Tropfen (O,oor grm. As,0,),. Als der nach 23 Tagen erhaltene Darmsaft in der angegebenen Weise untersucht wurde, zeigte sich selbst nach halbstündigem Durchleiten des Gases keine Spur eines Arsen- spiegels. Dasselbe Resultat gab der Darmsaft vom 24., so wie der vereinigte Darmsaft vom 41. und 42, Tage (die ersten bei- den Male je 6, das letzte Mal 12 c. c.). Dass Arsen wirklich in den Körper übergegangen war, lehrte die Untersuchung des Urins vom 38. Tage, in dem sich As in reichlicher Menge nach- weisen liess. Es wird nach diesen Versuchen der Schluss gerechtfertigt sein, dass Arsen in den Darmsaft nicht übergeht. VII. Borsäure. Fistelhund Il. bekommt in 2 Versuchen jedesmal 4 grm, Natron biboracieum innerlich. Der "Darmsaft wird im Platin-- N u Ueber die Ausscheidung von Arzneistoffen etc. 163 tiegel eingedampft und verascht, die Asche in Wasser mit Säure gelöst und die Lösung, nachdem sie alkalisch gemacht ist, um Verflüchtigung der Borsäure zu vermeiden, eingedampft; nach- dem etwas concentrirte Schwefelsäure zugesetzt ist, wird die _ Masse mit Alkohol übergossen und dieser angezündet. Bei kei- _ nem der Versuche, zu denen Darmsaft 4, 8 und 27 Stunden _ nach dem Einnehmen des Salzes verwendet wurde, trat eine Grünfärbung der Flamme ein. Borsäure war also nicht in den Darmsaft übergegangen. IX. Terpentinöl. 1. Fistelhund II. bekommt 0,6 gem. oleum Terebinthinae in einer Capsule. Der nach 3!/, Stunden abgesonderte Darm- saft bot keinen abnormen Geruch dar; bei Zusatz von Schwefel- säure und Erwärmen roch er jedoch deutlich wie ebenso be- handelter Harn nach Terpentingenuss. Der Hund bekam von Neuem 0,s grm. ol. Terebinth.; der Darmsaft 3'/, Stunden später verhielt sich genau ebenso. Der um diese Zeit entleerte Harn bot dasselbe Verhalten in noch auffallenderem Grade dar, zeigte übrigens schon vor jeglichem Zusatz den bekannten von dem vorher erwähnten Geruch deutlich verschiedenen Veilchen- geruch. Die hierbei in Betracht kommenden bisher noch un- PERLE SPESEN ET RZ T "bekannten Abkömmlinge des Terpentinöls sind kürzlich von Naunyn und Schultzen aufgefunden worden. Als 3 Tage später der Darmsaft desselben Hundes ebenso behandelt wurde, fehlte der Geruch vollkommen. 2. Fistelhund II. bekommt 1,: gern. ol. Terebinth. in einer - Capsule. Dernach 5 Stunden aufgefangene Darmsaft bietet beim blossen Erwärmen den charakteristischen Geruch nicht dar 5 erst auf Zusatz von SO, tritt derselbe hervor. Da der Darm- - saft leicht blutig tingirt war, wurden dem Hunde zur Controle einige Tropfen Blut entzogen, dies mit Wasser bis zu derselben Farbenintensität gebracht wie der Darmsaft und ebenso geprüft; - ein Geruch zeigte sich nicht; es war also nicht das beigemengte Blut, das den riechenden Körper enthielt. Es geht aus diesen Versuchen hervor, dass der bisher un- bekannte riechende Körper, der nach Terpeutinge- BE EZ BEE En DU AZ nd ad a U U LU LU 20 LU ASU UL Lg N. 7, _ 5, m nn WE u 164 H. Quincke: nuss in den Harn übergeht, auch durch den Darm- saft ausgeschieden wird. Möglich, dass dies zur anthel- minthischen Wirkung des Terpentinöls beiträgt und dass andere Bandwurmmittel auf ähnlichem Wege wirksam werden. Fassen wir die Resultate vorstehender Versuche kurz zu- sammen, so ergiebt sich, dass in den normalen reinen Darm- saft Jod-, Brom- und Rhodanverbindungen, ferner Li- thium und ein Derivat des Terpentinöls übergehen. Ferrocyanverbindungen, Eisen, Arsen und Borsäure konnten nicht darin aufgefunden werden. Dass die Zahl der untersuchten Substanzen bisher eine ge- ringe ist, liegt theils an der Schwierigkeit der Versuche, die bei manchen Substanzen nicht zu bestimmten Resultaten ge- langen liessen, theils an augenblicklichem Mangel geeigneter Versuchsobjecte. Den Herren Geheimen Medicinalräthen Frerichs und Reichert, durch deren Wohlwollen mir die Gelegenheit ge- geben wurde, vorstehende Untersuchung im chemischen Labo- ratorium der neuen Anatomie auszuführen, sage ich dafür mei- nen besten Dank. Berlin, 20. Februar 1868. M. Bartels: Ueber die Bauchblasengenitalspalte, 165 and Bazaı E u Din Ueber die Bauchblasengenitalspalte, einen be- stimmten Grad der sogenannten Inversion der Harnblase. Von a Max BARTELS. (Hierzu Taf. V.) 1 Beschreibung der der vorliegenden Arbeit zu Grunde gelegten Missgeburt. Am 29. October 1866 wurde mir von Herrn Geheimrath - " Reichert ein neugeborenes, missgestaltetes Kind zu näherer _ Untersuchung übergeben, das dem ersten Anscheine nach zu den Missgeburten mit Prolapsus oder Inversion der Harnblase zu gehören schien. Die Länge desselben von der kleinen Fontanelle bis zur Fussspitze betrug 1' 6''; die Spitze des processus ensiformis steht vom Nabel 2'‘ ab. Das Gesicht war mit kurzen Wollhaaren bedeckt, der Kopf zeigte einen dichten Haarwuchs von '/,'" Länge. Die helix auriculae ist an beiden Ohren nicht ausgebildet; die Zunge ist angewachsen. Es zeigt sich auf den ersten Blick, dass in der Entwick- lung der Regiones mesogastrica und hypogastrica irgend eine Störung eingetreten sein musste, denn beide Regionen waren zum grössten Theil nicht mit normaler Haut bedeckt, sondern ‚sie wurden von einer theils gelblich-weissen, theils rothen, un- regelmässigen Schicht, welche den Eindruck einer Schleimhaut Den = 166 M. Bartels: machte, eingenommen. (F. 1 abnne.) " An dem unteren Theil des Hypogastrium, in der Mitte des rothen Feldes, hing ein darmähnlicher, mehrfach geknickter Schlauch von dunkelrother Farbe, den man für einen ödematösen Penis halten konnte, (Fig. 1. ec. hh!.), besonders da unter ihm ein ebenfalls dunkel- rother Körper von der Form eines Hodensackes hing, welcher sogar in der Medianlinie eine deutliche Raphe besass. (Fig. 1. kk.). Das Epigastrium war sehr gross, etwa ebenso gross als das Meso- und Hypogastrium zusammengenommen. Das Feld, welchem die normale Haut fehlte, beginnt am Nabel und hat die Gestalt eines Fünfecks (natürlich sind diese Figuren nicht als genau mathematische, sondern mit anatomischer Licenz zu betrachten), dessen obere Spitze am Nabel liegt (Fig. la. und 3 2a.), liegt, während die lateralen Seiten (Fig. lab. und cd.) den Inguinalfurchen parallel laufen. Die Basis geht dicht unter | dem hodensackartigen Körper entlang, die unteren Ecken der Inguinalfurchen verbindend. Dieses Fünfeck zerfällt durch zwei später näher zu beschreibende Linien, die den beiden oberen Fünfecksseiten etwa parallel laufen, in zwei Theile, in einen oberen liegenden Rhombus (Fig. 1 abed.) und ein kleines Fänfeck mit oberer einspringender Ecke. Die beiden oberen Seiten des Rhombus entstehen durch zwei Wülste, mit denen die normale Haut sich gegen die oben erwähnte anomale Schicht abgrenzt. Der Rhombus wird von dem gelblich- weissen Theil dieser letzteren eingenommen. Dieser stellt eine ganz glatte Haut dar, welche, abgesehen von der Farbe, mit der an den Lippen schleimhautartig werdenden Epidermis Aehnlichkeit hat. Im oberen Winkel des Rhombus mündet der Funieulus umbilicalis (Fig. 1. ae.) in die Bauchhöhle. Von ihm aus zieht in einem leichten, nach unten convexen Bogen zur rechten Ecke eine deutlich hervorspringende Leiste von derselben ver- dünnten Haut bedeckt. (Fig. 1.s.). An den seitlichen Ecken des Rhombus fühlt man jederseits das mediale Ende des hori- zontalen Schambeinastes. (Fig, 1. vv.), Es haben sich die Bauchplatten des Wirbelsystems am Schwanzende des Embryo nicht geschlossen, es ist somit keine Symphyse der Schambeine . Ueber die Bauchblasengenitalspalte. 167 | "zu Stande ‚gekommen. Die medialen Enden der horizontalen N Schambeinäste sind 2" 1,5’ von einander entfernt. Das übrigbleibende, oben erwähnte Fünfeck (Fig. 1. c. d. b. n. n.) hat eine rothe Farbe mit unregelmässigen dunklen _ Flecken und ist entschieden von einer Schleimhaut überzogen. Die Abgrenzung von dem Rhombus wird jederseits durch eine schmale, schwach geschlängelte Leiste (Fig. 1. q. q.) (zugleich re die unteren Seiten des Rhombus) bewirkt. Diese Leisten zie- hen durch das Schleimhautgebiet wie schmale Ausläufer der äusseren Haut. Auf der rechten Seite ist dieser Ausläufer über “ ‚noch einmal so breit als links. Rechts ist die Leiste von der ° normalen äusseren Haut durch ein etwa 1’ breites Stück des - weisslich-gelben Hautfeldes getrennt, links setzt sich die Leiste 3 unmittelbar in die normale äussere Haut fort. Die ganze Mitte ' des rothen Feldes wird durch die oben erwähnten Gebilde ein- ” genommen, welche die Form männlicher Genitalien haben. (Fig. 1. i. h. k. m.) Sie theilen das rothe Feld in zwei sym- _ metrische Hälften. Dicht neben der Mitte der lateralen Seiten dieses Feldes erheben sich auf jeder Seite drei kleine Papillen, von denen die am meisten nach unten und aussen liegende am grössten ist und eine kleine Oeffnung (Fig. 1. g. g.) verdeckt, in welche man bequem eine gewöhnliche Sonde bis über ihren - Knopf führen kann. Ich hielt die vorliegende Missbildung an - _ fangs für eine einfache Inversion der Harnblase; die bilateralen - Hälften des rothen Feldes schienen mir die beiden Hälften der E _ hinteren Blasenwand zu sein; die durch die Papillen verdeckten E Oeffnungen wären sonach die orifieia‘ vesicalia der Ureteren. E Nach aussen von den beiden lateralen Seiten, also ausserhalb der beschriebenen Felder, erhebt sich jedersenk ein eiförmiger - Hautwulst von Haselnussgrösse. (Fig. 1. o. 0. und Fig. 2. o. o.) E- Dieselben können nur entweder als die beiden Skrotalhälften - oder als Labia pudendi majora gedeutet werden. Für letzteres spricht eine kleine, zarte Hautfalte auf der Medianseite eines ‚jeden dieser Wülste, welche der Form, Farbe und Lage nach die kleine Schamlippe sein muss. (Fig. 1.n.n. und Fig. 2.n.n.) echterseits erhebt sich neben der Nymphe eine Papille, die - wie eine Papilla circumvallata der Zunge in einer besonderen 168 M. Bartels: Vertiefung der Haut steckt. (Fig. 1. p. und Fig. 2.p.) Auf dem linken Seite ist eine solche Papille aufzufinden. An der Basis des hodensackartigen Körpers befindet sich eine Oeffnung, in die man bequem den kleinen Finger einführen konnte. Sie wird in ihrem unteren Theile durch eine kleine, schwach halbmondförmige Hautfalte geschlossen. (Fig. 2. z.) Diese Oeffnung unter dem Pseudoscrotum hielt ich für den In- troitus vaginae, die halbmondförmige Hautfalte für ein Hymen semicirculare und das scheinbare Scrotum selbst für einen Pro- lapsus vaginae; nur der scheinbare ödematöse Penis war noch nicht untergebracht. Ein After fand sich nicht, wohl aber an der Stelle, wo man ihn etwa vermuthen konnte, eine kleine, rothbraun gefärbte Vertiefung der äusseren Haut (Fig. 2. x.), welche die Andeutung eines atresirten Anus darstellt. Das erschien Alles ganz klar und verständlich, leider aber war, wie die innere Untersuchung ergab, die Deutung zum grössten Theil eine unrichtige. Am 3. November wurde das Kind vom Herrn Dr. Dönitz und mir mit Richardsonscher Injectionsmasse von der Aorta abdominalis aus nach oben und unten injieirt. Die Injection gelang sehr gut und zeigte sofort, dass der bogenförmige Wulst, der rechts das Feld der verdünnten äusseren Haut durchzog, die Art. umbilicalis dextra ist. (Fig. 2. s.) Auf dem rothen Feld trat ein bald mehr bald weniger dichtes, sehr feines Ge- fässnetz auf (Fig. 2. f. f.), welches an einigen Stellen Ausläufer bis auf die beiden Hautwülste sandte, die das rothe Feld von dem gelblichen trennen (untere Seite des Rhombus). Diese (efässausläufer liessen sich aber nur bis zur Mitte der Wülste verfolgen. In dem unteren Theile des gelblichen Feldes zeigten sich spärlich kleine Gefässe, die am Rande der Hautwülste be- ginnend sehr bald verstreichen. (F. 2. a. b. c. d.) Die Untersuchung der Bauchhöhle ergab folgendes: das grosse Netz hatte eigenthümliche Adhäsionen mit dem Perito- näum und den Dünndärmen, so dass es erst nach Durchschnei- dung dieser Verwachsungen aufgehoben werden konnte. Zog man an den Dünndärmen, so verschwand der Penis und der Prolapsus vaginae durch den introitus vaginae. Der introitus Ueber die Bauchblasengenitalspalte. 169 h war. Der war normal, nur stand die Cardia noch be- deutend höher als der Pylorus. An diesen schloss sich ein j En eöfalıs normales Duodenum und Jejunum an. Das Ileum war normal bis auf sein Schlussstück. Die letzten 1,5‘ waren aus dem After hervorgefallen und hatten den Pseudopenis gebildet. (Fig. 1. i. h. h\,) Ihre innere Fläche lag nach aussen frei zu Tage. An der Spitze dieses Prolapsus befand sich noch eine "8 Invagination von !/,'‘ Ausdehnung, welche das scheinbare Prae- putium gebildet hatte. (Fig. 1. i.) Die prolabirten Dünndarm- sehlingen waren sehr collabirt und besonders an der invaginirten Y Stelle von dunkel blaurother Farbe. Das Ileum mündet fast sehon in dem widernatürlichen After in den Blinddarm, von R 1 rechts oben nach links unten verlaufend, jedoch noch auf der rechten Körperhälfte. (Fig. 3. e. d. f. g. und Fig. 5. m. m.) _ Dieser Blinddarm (Fig. 3. h. und Fig. 5. n.) befindet sich gleich _ medianwärts von ihm und ist durch einen Processus vermiformis n (Fig. 3. i. und Fig. 5. o.) von 1“ Länge gekennzeichnet, Das 2 Coecum hat aber nicht seine Lage in der rechten Inguinalgegend, * sondern nur wenig rechts von der Medianlinie und kehrt nach geschehener Reposition seinen Fundus nach oben. Es setzt sich _ direet, ohne erst in ein Colon überzugehen, in den widernatür- E liehen After fort. Es war ebenfalls prolabirt gewesen und hatte den hodensackartigen Körper gebildet. (Fig. 1. k.k.) Der Pro- _ cessus vermiformis entspringt ganz normal vom Fundus des Blinddarms und steigt an dessen linker Seite herab. Von einem Diekdarm findet sich keine er ebenso wenig von einer Flexura ‚sigmoidea. | Ä | Genau in es; une nn Körpers hegt im kleinen 3 ebenfalls direet in den Giebinpiärlichen After mündet; = steißt vom Anus, der Wirbelsäule aufliegend, etwa 1,5“ in die Höhe und endet blind. Es ist etwa von der Dicke eines kleinen Fin- gers und verjüngt sich nach oben ein wenig. Zahlreiche Ge- _ mit dem eigentlichen Blinddarm, noch auch mit dem Dünn- E Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1868. 12 170 M: Bartels: darm in irgend welcher Verbindpnng steht. Es war durch ein kurzes Gekröse der Wirbelsäule eng .aufgeheftet. Der widernatürliche After (Fig. 2. m.) bildet eine Art von Vorhof, in dem drei Oeffnungen sich finden; die am meisten nach oben und links liegende Oeffnung (Fig. 2. 7.) ist die Coe- ealmündung des Ileum, die mittelste und zugleich weiteste Oeff- nung (Fig. 2. y.) führt in das Coecum, während die unterste Oeffnung (Fig. 2. £.), welche sich ganz auf dem Boden des Anus findet, dem accessorischen Darmstück angehört. Die Milz und das Pankreas zeigen nichts Absonderliches. Die Leber ist sehr gross, ihr linker Lappen hat fast die Grösse des rechten und füllt das linke Hypochondrium noch ganz aus. Die concave Seite zeigt eine grosse Menge überzähliger kleiner Lappen. Die Furche für die Gallenblase ist so tief, dass die Lebersubstanz darin völlig geschwunden ist und nun die Ueber- züge der concaven und convexen Leberfläche direct aufeinander liegen. Die Gallenblase wird also von einer Duplicatur der Capsula Glissonii bedeckt. In der linken Lumbalgegend fand sich eine ziemiekt grosse Nebenniere, aber keine Spur einer Niere, während auf der rech- ten Seite eine grosse Niere (Fig. 4.) mit aufsitzender Nebenniere (Fig. 4. h.) liegt. Die rechte Nebenniere ist etwas grösser, als die linke. Aus dem Hilus der Niere entspringt ein mehrfach gewundener Ureter (Fig. 4. a. a. g.1.), dessen Lumen ganz un- regelmässig seinen Durchmesser ändert. Es schwankt zwischen der Weite einer feinen Borste und eines Notizbleistifts., Er be- ginnt ganz fein im Hilus der Niere und behält diesen geringen Durchmesser etwa 1—!/,'' weit; dann sackt er sich ziemlich stark aus und wird nach etwa 1’ weitem Verlauf plötzlich wieder ganz fein. Darauf scheint er sich in die rechte Vagina (Fig. 4. f.) einzusenken, Das ist jedoch, wie genauere Präparation zeigte, nur scheinbar: er ist mit der Vagina durch eine Bindegewebs- hülle eingeschlossen und verläuft auf diese Weise, nur mühsam von ihr zu trennen, ein Stück mit ihr zusammen. Die Vagina steigt an der erwähnten Stelle über ihn hinweg und verläuft dann an seiner medialen Seite. Der Ureter hat jetzt die vor- dere Bauchwand oder, besser gesagt, die innere Fläche des Ueber die Bauchblasengenitalspalte. 171 rechten rothen Feldes (Fig. 4. 1.) erreicht. Hier sackt er sich zum zweiten Male aus, wieder etwa zur Dicke eines Notizblei- stifts (Fig. 4. i.) Diese etwa !/,' lange Aussackung liegt der * Hinterwand der rothen Zone ganz dicht auf. Hier endet er blind gegenüber der Vertiefung (Fig. 1. g. und Fig. 2. g.) in dem Schleimhautfeld, von ihrem Grunde nur durch eine dünne Hautlamelle getrennt. Man kann somit wohl mit vollem Rechte diese Vertiefung für das orificium vesicale des Ureter ansehen. Hierdurch wird zugleich das Schleimhautfeld als hintere Harn- blasenwand charakterisirt. (Fig. 1. f. f. und Fig. 2. £. f.) Auf jeder Seite liegt eine Tuba (Fig. 5, 1. 5.) mit daran- hängendem Ovarium. (Fig. 5, 2.6.7.) Die Tuben haben einen ‚geschlängelten Verlauf und münden jede in einen runden, erb- sengrossen Uterus (Fig. 5, 3.8.), aus dem eine Vagina (Fig. 5, 4.9.) von der Dicke einer gewöhnlichen Sonde herausführt. Es ist hier also ein Uterus duplex und eine Vagina duplex vor- handen. Die Ligg. uteri rotunda (Fig. 5. g.g. Fig.4 e.) lassen sieh bis zum ihrem Durchtritt durch die Bauchmuseulatur und von da bis in die beiden oben erwähnten Hautwülste (Fig. 1. o. o. und Fig. 2.o.o.) verfolgen, welche für die grossen Schamlippen angesprochen wurden. Diese Erklärung erweist sich somit als vollkommen richtig. An den Alae vespertilionis erkennt man auf beiden Seiten die Nebeneierstöcke besonders bei durchfal- ’ lendem Lichte deutlich. Auch die Ovarien sind, wie schon be- merkt, vorhanden, jedes etwa !//" lang. Der laterale Kopf des linken Eierstocks setzt sich unmittelbar in eine über erb- sengrosse Cyste (Fig. 5, 7.) fort. Auf der Wandung dieser ‘ Cyste verzweigt sich die Art. spermatica interna mit zahlreichen und verhältnissmässig starken Aesten, nachdem sie die Tuba, - das Lig. uteri latum und das Ovarium versorgt hat. | ‘Wie erwähnt, senkte sich scheinbar der Ureter in die rechte Vagina. An der entsprechenden Stelle der linken Vagina geht von dieser ein Faden (Fig. 5. k.) ab, von der Dicke einer ge- wöhnlichen Sonde. Nach einem Verlauf von 1“ endet er blind. Seine Lage ist derartig, dass er verlängert den Hilus der linken Niere treffen würde, wenn diese vorhanden wäre. Wahrschein- lich also ist er ein Rudiment des linken Ureter, Der Faden 12* DEREN 172 M. Bartels: hat ein Lumen, in das man bequem eine feine Borste einführen kann. Die Borste dringt einerseits bis zu dem blinden Ende vor, andererseits aber lässt sie sich nur bis zu dem Punkte führen, wo dieser rudimentäre Ureter sich mit der Vagina ver- einigt. j Wenn man nach Reposition der vorgefallenen Eingeweide (Fig. 2.) noch einmal das rothe Feld betrachtet, so sieht man, dass dasselbe aus fünf kleineren Feldchen zusammengesetzt ist. In der Mitte findet sich der grosse, widernatürliche After (Fig. 2. m.), es gehört also das mittlere Feld der Darmschleim- haut an. Gegen die lateralen Felder grenzt es sich durch zwei zarte Schleimhautleistehen ab, oben reicht es bis zum gelblich- weissen verdünnten Hautfeld und unten stösst es an die nor- male äussere Haut. Zu jeder Seite dieses Feldchens liegen die intensiver rothgefärbten Felder der Blasenschleimhaut (Fig. 2. f.f.) Sie sind als Blasengrund durch die Mündungen der Ure- teren (Fig. 2. g. g.) charakterisirt. Lateral- und abwärts rei- chen sie bis zu der grösseren Papille, welche die Mündung des Ureter verdeckt. Auf der Blasenschleimhaut sind rechts nur wenig, links ziemlich viel Gefässe sichtbar. Lateralwärts von jedem dieser Blasenschleimhautfeldchen liegt noch ein kleines Feldchen veränderter äusserer Haut (Fig. 2. «.), ähnlich der Haut der Lippe. Sie beginnen beiderseits an den Papillen der Ureterenmündung und reichen lateral- und aufwärts bis auf das mediale Ende des horizontalen Schambeinastes (Fig. 2. v. v.) und abwärts bis zu der grossen Schamlippe. Was das Gefässsystem anbetrifit, so ergiebt sich Folgendes: die Art. mesaraica sup. ist vorhanden, die Art. mesaraica inf, hingegen fehlt. Ebenso fehlt entsprechend dem Mangel der linken Niere die Art. renalis sinistra. Die Art. suprarenalis ist jederseits vorhanden; die linke giebt die Art. spermatica interna ab. Rechts finden sich zwei Venae renales, die sich gleich nach ihrem Austritt aus dem Hilus der Niere zu einem Stamme vereinigen. Die Art. renalis dextra entspringt aus der Aorta dicht über ihrer Theilungsstelle in die beiden Artt. iliacae com- munes, Die Art. sacralis media ist etwas stärker als die Art. renalis und theilt sich in der Gegend des Os coceygis in zwei : £ i \ | ar A Dh N da nn Ka im DO ze Ent 7 Ueber die Bauchblasengenitalspalte. 173 Aeste. Die Artt. epigastricae internae sind vorhanden und _ verlaufen normal auf der Hinterseite der Mm. recti abdominis. Die Organe der Brusthöhle zeigen keinerlei Anomalien. Die Lungen enthielten keine Luft. Die Thymusdrüse ist nicht sehr gross, scheibenförmig und schickt einen langen, schwanz- _ artigen Fortsatz von ihrem linken, unteren Rande nach der R rechten Seite hinüber. Das Herz ist normal, sein Foramen ovale ist durch eine feine, durchsichtige Membran geschlossen. I. Kritische Betrachtung der einzelnen Missbil- dungen nach den Primitivorganen geordnet. Aus der anatomischen Beschreibung der Missgeburt ergiebt sich eine Reihe von Missbildungen, welche wir nun der Reihe mach einzeln betrachten wollen. Der besseren Uebersicht wegen E ‚sind die Abnormitäten nach den Primitivorganen, an welchen = sie sich finden, geordnet und werden daselbst für sich ohne _ Rücksicht auf die Anomalien der anderen Organe besprochen - werden. 1. Das us Es findet sich ein Defect der äusseren Haut in der Me- dianlinie des Körpers, offenbar dadurch entstanden, dass die ” \ Bauchplatten des Hautsystems, während sie sich einander ent- _ gegenwuchsen, durch irgend ein Hinderniss in ihrem Wachs- thum gehemmt worden sind, so dass das Bauchrohr des Kindes = nicht zum normalen Schluss gekommen ist. Ein Schluss ist F Bee: bewirkt worden, aber durch Heterotopie anderer Or- gane, nämlich in der Regio hy pogastrica durch Abtheilungen | les Tubus alimentarius und des uropoetischen Systems, in der u -: mesogastrica durch ein hautartiges Stück, welches sich - ‚durch Farbe und Glätte von normaler Haut unterscheidet und gegen das die normale Haut sich wallartig abgrenzt. Diese a ‚wallartigen Theile der Haut sind also die freien, medialen Ränder N Bei einem von A. Fränckel (dissert. inaug. de organornm gene- 7 ralionis deformitate rarissima) beschriebenen Präparate des hiesigen 174 M. Bartels: hiesigen anatomischen Museums (No, 6021), das in vielen Beziehungen Aehnulichkeit mit dem vorliegenden hat, finden sich ebenfalls solche Hautwälle (Fig. 1. 3. „limbus, quo eutis desinit‘). Auch Heyfelder beobachtete in drei Fällen von sogenanntem Mangel der Harnblase, welche weiter unten noch näher in Betracht gezogen werden, dass die äussere Haut um eine rothe, die Bauchwandung vervollständigende Ge- schwulst sich mit einem Walle abgrenzte. Die vorliegende Missbildung ist nach der Försterschen Nomenclatur eine Bauchspalte, Gastroschisis, und gehört zu den einfachen Bildungshemmungen; sie zeigt ein Stehenbleiben der Entwicklung auf einer Stufe des Foetallebens an, welche vor der achten Woche liegt. In der achten Woche nämlich ist der Schluss des Bauchrohres vollständig beendet, selbst am Nabel, wo Jie Vereinigung am spätesten erfolgt. Diese Spaltbildung findet sich nicht sehr selten in grösserer oder geringerer Ausdehnung, bald über das ganze Bauchrohr sich erstreckend als Brustbauchspalte, bald nur in den unteren Regionen desselben als vollständige oder unvollständige Bauch- » spalte, und ist in allen Graden mehrfach beschrieben worden, Stets ist damit eine Bildungshemmung der Ventralfortsätze des Wirbelsystems, oft auch des unteren Extremitätengürtels und Abnormitäten in der Ausbildung der Ausführungsgänge der Harn- und Geschlechtswerkzeuge sowie des: Darmendes verbunden. Sehr ausführliche Beschreibungen über die Spaltbildungen finden sich bei J. Fr. Meckel (Handbuch der pathol. Anatomie I. 93—117) und A. Förster (die Missbildungen des Menschen p. 110), Es fragt sich nun, was denn eigentlich das hautartige Stück (Fig. 1. a. b. ec. d. und Fig. 2. a. b. ce. d.), das den Schluss in _ der Regio mesogastrica bewirkt, für eine Bedeutung hat. A. Retzius (Fall einer in vielfacher Hinsicht ete. z. vergl. Litteratur) beschreibt eine Missgeburt, welche in hohem Grade der meinigen gleicht. Er führt an, dass in der Regio meso- gastrica das Peritonäum frei läge. Auch Förster (a. a. O.) erwähnt, dass die Bauchspalte oft durch das Peritonäum ge- schlossen würde. Ich glaube, dass diese sogenannten Perito- nüen mit dem hautähnlichen Schlussstück in meinem Falle identisch sind, ich möchte sie aber nicht für ein Peritonäum halten. Allerdings läuft das Peritonäum über die Innenseite dieses Schlusstückes fort, es bedeckt aber ebenso die Innenseite der Bauchwandungen, ohne dass man sagen wird, dass die Bauchwandungen die Aussenfläche des Peritonäum wären. Auch kann ich mir nicht denken, wie das Peritonäum, also eine se- röse Haut, selbstständig als Schlussstück der Bauchröhre auf- treten soll; gerade die Abhängigkeit ihrer Bildung von andern Organen ist ja der Charakter der serösen Häute. „Seröse Höhlen“, trägt Reichert in seiner Splanchnologie vor, „sind 4 mit seröser Flüssigkeit erfüllte Lücken zwischen Organen, be- hufs freier Beweglichkeit derselben gegen einander. Die gegen * die Hohlräume gewendeten Flächen der Organe bilden sich zu serösen Häuten um und stellen in ihrer continuirlichen Aus- "breitung die sogenannten serösen Säcke dar. Seröse Häute sind daher Bestandtheile anderer Organe und niemals selbstständig.“ Ein Theil des Peritonäum ist das Schlussstück also wohl nicht. Viel wahrscheinlicher ist die Ansicht Reicherts (Privatmit- theilung), dass diese hautartige Platte «die embryonale, noch "nicht entwickelte äussere Haut darstellt, welche vor der Verei- nigung der Bauchplatten des Wirbelsystems unter der Abschnü- rung ihrer Depedenz, des Amnion, die Bauchhöhle schliesst, und von Rathke als Membrana reuniens inferior bezeichnet worden ist. In normalen Fällen scheint allerdings die Mem- brana reuniens inferior zu verkümmern, während die Bauch- ü platten des Wirbelsystems mit dem sie deckenden Abschnitte des Hautsystems sich vereinigen. Seine nahe Beziehung zum N Hautsysteme hat dieser Rest der Membrana reuniens inferior - dadurch bekundet, dass er an seinen unteren Rändern, welche an die Felder der Blasen und Darmschleimhaut grenzeu, jeder- 4 seits eine schmale Leiste normaler Haut entwickelt hat. (KIEW. g. g. und Fig. 2. q. q.) Eben solche Leisten normaler Haut finden sich bei einer der meinigen sehr ähnlichen Missgeburt, welche E. Rose (Beiträge zur 4 Kenntniss der angeborenen chirurgischen Krankheiten. II.) beschreibt- Sie verlaufen an dem Rande „einer hoben, glatten, mit Amnion be- „deckten Nabelfläche.* Er hält also das Schlussstück im Mesogastrium auch für einen Theil des Amnion, in welches bekanntlich die Mem- brana reuniens inferior sich unmittelbar fortsetzt. F. W. Rücker (diss. inaug. de nonnullis exemplis diastaseos nec non inversionis 176 M Bartels: vesicae urinariae. Halle 1832.) beschreibt eine männliche und eine weibliche Missgeburt mit Inversion der Harnblase. Bei beiden sah er über der vorliegenden Harnblase in der Regio mesogastrica als Inser- tion des Nabelstranges eine „plaga tenuissima, triangularis, pollicem lata, dimidium alta“, welche sich seitlich in die normale Haut fort- setzte. Bei dem weiblichen Fötus war das Feld der Harnblase von dem höher gelegenen dreieckigen Schlussstück durch Streifen normaler Haut getrennt („interstitio cutaneo discreta“). Es ist also zweifellos, dass die Schlussstücke in der Regio mesogastriea dieser beiden Miss- geburten dieselbe Bedeutung haben, wie die hautähnlichen Flächen in dem Roseschen und meinem Falle. Somit wären es nach den obi-. gen Erörterungen Reste der Membrana reuniens inferior. Uebrigens werden wir sehen, dass dieser Rest der Mem- brana reuniens inferior zwischen dem Nabel und der invertirten ' Blase bei der als Ectrophia vesicae urinariae beschriebenen Miss- bildung die Regel ist und sich bald in grösserer, bald in gerin- gerer Ausdehnung vorfindet. In sehr ausgezeichneter Weise sieht man sie in dem Präparat No. 10860 des hiesigen anatomischen Museums („Vorfall der Harnblase bei einem weiblichen Kinde“). Das Kind hat auf dem Bauch einen fast faustgrossen, kugligen Sack, der mit der Bauchhöhle in offener Communication steht. Ein ganz kleiner Theil dieses Sackes am un- teren Ende wird durch die invertirte Harnblase gebildet, alles Uebrige ist Membrana reuniens inferior. Meckel (a. a. 0. 733) kannte nur - einen einzigen (von Nebel beschriebenen) Fall, wo die Bauchwan- dung zwischen dem Nabel und der invertirten Blase durch normale Haut gebildet wurde. Vielleicht hatte auch hier ein Theil der Mem- brana reuniens inferior den Schluss bewirkt und sich nachträglich in seiner ganzen Ausdehnung in normale Haut umgewandelt; möglich ist es aber auch, dass die Abschliessung in der gewöhnlichen Weise zu Stande gekommen war. Auch als Membrana reuniens inferior zu deuten ist in dem Bail- lieschen Falle (Meckel.a. a. O0. 722) die Sehnensubstanz und das Bauchfell, welche einen beträchtlichen Raum zwischen den geraden Bauchmuskeln ausfüllten. Mehrere Beobachter beschreiben grosse Spaltbildungen des Haut- und Wirbelsystems, wobei dennoch die Ein- geweide vom Bauchfell eingeschlossen waren, z. B. Eschenbach (observ. anat. Rost. 175. p. 8), Preuss (eph. n. c. cent. 7 et 8 app. p. 118), A. Fränckel (a.a. O.), Merklin (eph. n. c. dec. I. a. 8. p. 74), Saxtorph (Ges. Schrift. Copenhagen 1803. Samml. I.). Gewiss ist also auch in diesen Fällen das sogenannte Bauchfell nur die persis- tironde Membrana reuniens inferior. en a a a u m BE A ei er Ueber die Bauchblasengenitalspalte. 177 2. Das Wirbelsystiem. An dem Wirbelsystem finden wir eine doppelte Bildungs- # an dem unteren Extremitätengürtel. Die Bauchplatten des _ Wirbelsystems sind ebenso wie die des Hautsystems in ihrem Wachsthum durch irgend ein Hinderniss gehemmt worden, und haben sich in Folge dessen mit ihren medialen Rändern nicht erreichen können. Deshalb bilden die Mm. recti abdominis keine Linea alba, wenigstens nur in der Regio epigastrica, son- dern verlaufen zu beiden Seite der vorliegenden Blase zu den Schambeinen hin. Dieses ist bei der Spaltbildung an dem Ven- _ tralrohr des Körpers ein sehr gewöhnliches und sehr natürliches Verhalten der Visceralplatten des Haut- und Wirbelsystems, _ denn erst durch die Bildungshemmung derselben kann die mit dem Namen „Spaltbildung“ bezeichnete Missbildung zu Stande _ kommen. Es versteht sich also auch von selbst, dass die _ Bauchplatten in desto grösserer Ausdehnung, getrennt verlaufen, je ausgedehniter die Spaltbildung ist und umgekehrt. hi Rücker (a. a. O.), bei dessen beiden Missgeburten die Spaltbil- dung, wie bei der meinigen, erst am Nabel begann, fand daher auch 2 dasselbe Verhalten, wie ich in meinem Falle: „Ex musculis abdomi- analibus in dimidio superiore sueto more deeurrunt, ab umbilico ad ortum usque sensim, sed partium inversarum marginem lateralem te- gentes, ad ossa pubium tendunt, ad duos pollices inter se distantes.“ 2 Eben solchen Muskelspalt beschreibt auch Stoll (Heilungsmethode Bd. 3. Th. 2. p. 205). Baillie (Meckel a. a. 0. 722) sah die Mm. zeeti abdominis zu beiden Seiten der invertirten Blase vier Zoll von 114-121), Eschenbach (a. a. O.), Preuss (a. a. O.), Sax- torph (a. a. O.), Merklin (a. a. O.) und Littre (a. a. O.) E sprachen von einem Defect der Muskulatur. Das ist nicht rich- B tig, denn schon Meckel (a. a. O. 137) macht darauf aufmerk- 2 sam, was jene unterlassen hatten, dass dieser Defect weniger j durch das Fehlen bestimmter Muskeln und der ihnen entspre- 178 =. Bartels: Wachsthums derselben, vor dem sie die Abschliessung des bi- lateralsymmetrischen Bauchrohres vollendet hatten, also durch einfache Bildungshemmung entstanden sein können: „Doch glaube ich, dass nicht in allen Fällen wirklicher Haut- und Muskelmangel anzunehmen sei. Diese Organe brauchen nur einander von beiden Seiten nicht gehörig entgegen zu wachsen.*® In den meisten Fällen ist diese eben beschriebene Bildungs- hemmung mit einem Ausbleiben der Vereinigung der entspre- chenden Bauchplatten des Hautsystems verbunden. Es ist aber auch ein Fall beschrieben, wo bei ganz normal gebildeter Haut dennoch die Bauchplatten des Wirbelsystems sich nicht verei- nigt hatten, sondern im Epigastrium und Mesogastrium zwei Querfinger breit von einander abstanden (Lund, Schwed. Abh. Bd. 24. p. 248). Auch die zweite Missbildung am Wirbelsystem, das Aus- bleiben der Symphyse der Schambeine, müssen wir für eine einfache Bildungshemmung ansehen. Die paarigen Extremitäten nämlich bilden sich am Anfang und Ende des Rumpfes, an der Seite der Urplatten des Wirbelsystems, wo dieselben in die Bauchplatten ausgehen, als anfangs schwache, plattgedrückte Erhebungen. Diese Anlagen wachsen von hier aus dorsalwärts und besonders ventralwärts und zwar gesondert von den eigent- lichen Bauchplatten des Wirbel- und Hautsystems und bilden den oberen und unteren Extremitätengürtel, an welchen die freien Extremitäten hervortreten. Stellt sich, während die ven- tralwärts einander entgegen wachsenden Theile sich zum Gürtel schliessen, ein Hinderniss ein, so wird die Bildung einer Sym- physe derselben ausbleiben und dafür eine Diastase der Scham- beine vorliegen. Dabei können die Bauchplatten des Haut- und Wirbelsystems sich in normaler Weise vereinigt haben. Diese können aber auch gleichzeitig mit mangelhaftem Schluss des Extremitätengürtels gespalten sein, wie in unserem Falle, Auf diese Weise muss man auch den Mangel der Symphyse bei dem vorliegenden Falle erklären. Nach Förster (a. a. OÖ. 113) ist bei der Bauchblasenspalte (gas- troeystaeschisis) die Schamfuge niemals vollständig geschlossen: „Die unvollkommen ausgebildeten Schambeine stehen einen bis mehrere Ueber die Bauchblasengenitalspalte, 179 Zoll von einander ab uud sind nur durch fibröse Bandmasse mit ein- ander verwachsen“ (Taf. XXII. 13. 14). Bei dem weiblichen Foetus von Rücker (a. a. 0.19) war die normale Annäherung der Schan- beine fast erfolgt, ihre Diastase betrug nur 7’ und sie waren „striis _ transversis valde tenuibus“. verbunden. In dem Bericht über den ' Retziusschen Fall (Oppenheim, Zeitschr. f. ges. Med. Bd. 32. p. 532. 1846) findet sich die Bemerkung: „Das os pubis fehlte.“ Dieses bezieht sich wahrscheinlich auch nur auf das Fehlen der Symphyse. In zwei Fällen von Bauchspalte, in denen die normal gebildete Harn- 2 blase sich aus der Spalte hervordrängt, ist ebenfalls eine weite Dias- = tase der Schambeine mit fibröser Verbindung beobachtet worden; den einen Fall beschreibt Stoll (a.a. 0.203) und den andern W.Vrolik 4 (Handboek d, ziektekundige ontleedkunde etc. Bd. I. 431. Amsterdam 1840), der für dieses Verhalten der Harnblase den Namen ectopia ve- sicae urinariae eingeführt hat. | Hier muss bemerkt werden, dass sich solche von Rücker beschriebenen fibrösen Bandmassen zwischen den medialen En- den der horizontalen Schambeinäste in allen darauf hin unter- suchten Fällen vorfanden; es ist also eigentlich nicht genau anatomisch richtig, von einem Ausbleiben der Vereinigung der Schambeine zu sprechen. Diese fibrösen Massen bilden die ‘Vereinigung. Dieselbe ist aber nicht in normaler, sondern in so mangelhafter Weise erfolgt, dass die Wirkung dieselbe ist, als wenn die Vereinigung ganz fehlte. Deshalb ist es zulässig, die Schambeine als gespalten zu betrachten. Das Fehlen der Symphyse sucht E. Rose (a. a. O. IV.) als die Folge einer abnormen Belastung der Unterleibshöhle darzustellen. Diese abnorme Belastung kommt in seinem Falle durch ein freies pe- ® ritonitisches Exsudat, sonst durch eine erweiterte Allantois (seine Er- klärung der Blasenspalte) zu Stande. Nach Reicherts Ansicht kann die Schliessung entweder durch Adhäsionen zwischen den Hüllen des Embryo und der Membrana reuniens inferior gehindert werden, oder die Ursache kann in einer mangelhaften Bildung des Extremitäten- gürtels und .der Bauchplatten selbst gesucht werden. Ob die Miss- bildung auf die eine oder die andere Weise begonnen habe, muss in jedem speciellen Falle entschieden werden. Auf das constante Aus- bleiben der Schambeinvereinigung- bei nicht geschlossener Harnblase macht übrigens auch schon Meckel (a. a. O. 721) in seiner Abhand- - lung über die Cloakbildung aufmerksam und führt eine Reihe von Fällen an, in deren einem (von Baillie beschriebenen) der Spalt eine Breite von 4 hatte. 150 M. Bartels: 3. Das Gefässsystem. Die an den Cireulationsorganen vorliegenden Abnormitäten erklären sich zum Theil aus den Missbildungen derjenigen Or- gane, denen die betroffenen Gefässe angehören: es fehlt ent- sprechend dem Mangel der linken Niere die Art. renalis sinistra. Ebenso fehlt in einem von C. E. Levy (Neue Zeitschr. f. Ge- burtskunde von Busch, v. Ritgen und v. Siebold. Bd. 18, p- 444) beschriebenen Falle zugleich mit der linken Niere die linke Nierenarterie. Die Art. spermatica interna sinistra, welche sonst häufig, statt aus der Aorta, aus der Art. renälis sinistra entspringt, wird in unserem Falle von der Art. suprarenalis si- nistra abgegeben. Die Art. renalis dextra ist wider Erwarten gar nicht sehr weit, sie entspringt sehr tief, dicht über der Theilungsstelle der Aorta, ohne dass die Niere tiefer steht als normal. Hollstein (Lehrbuch d. Anat. d. M. 727) sagt: „Auch bei Ein- fachheit des Stammes rückt mitunter die Art. renalis mit ihrem Ur- sprung weiter hinab, am häufigsten bei tiefer Lage der Niere selbst.“ In dem bereits mehrfach erwähnten Fränckelschen Falle entspringen zwei Artt. renales dextrae aus der Stelle der Aorta, welche sonst die Art. sacralis media abgiebt. Die Art. mesaraica inferior fehlt vollkommen, was bei dem gänzlichen Mangel des Colon nicht überraschend ist. Uebrigens ist von Fleischmann (Hyrtl, Anat. d. M.) ein Fehlen der Art. mesaraica inferior bei vollständig normalen Eingeweiden beobachtet worden; das Rectum wurde dabei von der Art. me- saraica superior versorgt. In unserem Falle ernährt die Art, sacralis media das accessorische Darmstück, welches, wie wir später sehen werden, als ein unabhängig vom Dickdarm aufge- tretener Mastdarm betrachtet werden muss. Die Art. sacralis media ist stärker als die Art. renalis dextra. In der Gegend des Os eoeeygis theilt sie sich in zwei Aeste, Auch bei sonst normalem Körper ist sie nach Hollstein (a. a. O. 727) bis- weilen doppelt. Im vorliegenden Falle vertritt sie die Art. me- saraica inferior, indem sie, wie gesagt, das accessorische Darm- etück ernährt, Die Artt. epigastricae sind weiter als normal Em al > F oe Bu a a RE EU WO Ueber die Bauchblasengenitalspalte. 181 von der Medianlinie entfernt. Dies ist nur abhängig von der ‚ausgebliebenen Vereinigung der Bauchplatten des Wirbelsystems, denn sie verlaufen relativ normal, jede auf der Unterseite ihres I M. rectus abdominis. Die übrigen Gefässe liessen keine Ano- D malien nachweisen. “ 4. Der Nahrungscanal und seine Anhänge. eyloglosson, d. h. die Zunge erhebt sich mit ihrer Spitze nicht frei, sondern diese erscheint durch ein breites, dickes Frenulum ; - In der Mundhöhle findet sich als einzige Anomalie ein An- _ linguae an den Boden der Mundhöhle angewachsen. Verfolgen wir den Nahrungscanal weiter abwärts, so finden wir die nächste _ Abnormität erst am Ende des Ileum. Dieses mündet nämlich mit dem Blinddarm zusammen derartig in einen widernatürlichen x After, welcher zwischen den beiden Feldchen der Blasenschleim- haut den Schluss der Regio hypogastrica in der Medianlinie bewirkt, dass seine Öoecalmündung wie eine selbstständige After- E höndung erscheint (Fig. 2. y). In allen ähnlichen Fällen, wo » sich kein Blinddarm ‚gebildet hat, inserirt sich das untere Dünn- darmende direct in den widernatürlichen After. Diese anomale _ Insertion halte ich, wie man später sehen wird, für ganz be- sonders wichtig. für die Entstehung der vorliegenden Missbil- © dungen. Aus seiner Coecalmündung und zugleich aus dem After, in welchem ja die erstere sich befindet, war der Dünn- _ darm 1,5” prolabirt und zeigte an der Spitze des Prolapsus eine Invagination (Fig. 1. h‘. h. i.). Bei allen weiter unten Ezu erwähnenden Parallelfällen für den vorliegenden Missbil- Ir, _ dungscomplex findet sich auch stets ein geringerer oder grös- Unter der Mündung des Ileum befindet sich eine zweite Oeff- nung (Fig. 2. y.), die Aftermündung des Blinddarms, aus wel- F cher dieser hervorgefallen war. (Fig. 1. k. k.) Nach der Re- position kehrt er seinen Fundus mit dem Anfang des Wurm- fortsatzes (Fig. 3. i. und Fig. 5. o.) nach oben und mündet in en widernatürlichen After, anstatt in den Diekdarm sich fort- usetzen. Der Dickdarm mit seiner Flexura sigmoidea fehlt 182 M. Bartels: vollständig, es ist auch keine Spur von ihnen vorhanden. W. Doenitz führt in seiner „Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten* bei Besprechung des fünften Falles _ (II. 85) Folgendes an: „Nur wenige Darmschlingen sind gut 4 entwickelt. Diese Schlingen wechseln mit schwachen, theilweise kaum wahrnehmbaren Fäden ab, welche das Mesenterium an diesen Stellen begrenzen und zu Grunde gegangene oder in der Entwickelung zurückgebliebene Darmschlingen vorstellen.“ Ich habe mehrmals, nicht nur allein, sondern auch in Gemeinschaft mit Andern die Intestina meines Falles auf das Genaueste un- tersucht, aber auch nicht einmal solche fadenförmigen Rudi- mente des Colon aufgefunden. Dasselbe fehlt also wirklich gänzlich. Damit ist aber der Darmcanal noch nicht zu Ende; es fand sich noch, wie wir sahen, ein accessorisches Darmstück (Fig. 3. m. Fig. 5.p.) welches wir näher besprechen müssen. Sein Verlauf ist folgender: am untersten Lendenwirbel beginnend, steigt es durch ein kurzes Gekröse straff an das Os sacrum angeheftet vor diesem hinab ins kleine Becken bis zu der Stelle, wo in der Haut das Orifictum ani seine normale Lage hat. Hier ist jedoch keine Oeffnung vorhanden, wohl aber findet sich aussen | in der Haut an dieser Stelle eine blauroth pigmentirte, narbige Vertiefung (Fig. 2. x), offenbar die Andeutung des atresirten Afters. Der accessorische Darm biegt nun, nachdem er mög- lichst weit nach unten gegangen ist, ohne die Medianlinie zu verlassen, gerade :nach vorn um und mündet in den untersten Theil des widernatürlichen Afters. (Fig. 2. #.) Er ist übrigens von der Dicke eines kleinen Fingers, nach oben verjüngt er sich etwas und ist dort blind geschlossen. | Dieses Darmstück muss man, wie ich glaube, sowohl seiner Weite als auch seiner Lage nach für ein Rectum halten, das P) eh ee re sich getrennt vom Colon entwickelt hat. Der einzige Umstand, welcher gegen diese Annahme sprechen könnte, ist der, dass dieses Darmstück nicht an der normalen Stelle, sondern an der vorderen Bauchwand im widernatürlichen After seine Mündung hat. Eine Erläuterung für diese Verrückung des Schlussstückes des Reetums findet sich bei Meckel (a. a. O, 505.): „Ist der * £ 2 en 4 e “ 5 E x © %% ur EEE & a "2 Ueber die Bauchblasengenitalspalte, 183 Darmecanal bisweilen gegen sich selbst um und öffnet sich an einer anderen. Diese Bildung ist vorzüglich deshalb merkwür- ‚die, weil sich dadurch das Ende dieses Canals immer dem An- fange desselben auf eine mehr oder weniger deutliche Weise mehr als im normalen Zustande nähert, wo beide möglichst weit von einander entfernt stehen.“ Diese Wendung des Darm- canals beruht entschieden auf einer excessiven Bildung, man darf also weder die Atresia anı vaginalis, noch urethralis, noch auch die Atresia anı vesicalis (Foerster a.a. O 118, ff.) hier mit in Betracht ziehen, obgleich auch bei diesen drei Arten der Missbildung die Mündung des Reetum weiter nach vorn gerückt ist. Dieses jedoch sind alles nur einfache Bildungshemmungen. Bei der Atresia ani vaginalis mündet das Rectum in den un- tersten Theil der Vagina; das ist eine Persistenz der Verbin- dung zwischen dem Enddarm und dem Sinus urogenitalis. Dieser weiblichen Bildungshemmung entspricht als männliche die Atresia anı urethralis. Hier mündet das Rectum meist sehr verjüngt in die Urethra. Auch diese Missbildung beruht auf einem Stehenbleiben der Verbindung zwischen dem Enddarm und dem Sinus urogenitalis. Die Atresia anı vesicalis endlich _ besteht darin, dass das Rectum sich in den Blasengrund oder in den Anfang der Urethra vor der Einmündung der Samen- leiter einsenkt. Hier persistirt die Verbindung zwischen dem Enddarm und der Allantois. Aehnlich wie in meinem Falle findet sich das Ende des Reectum auf der vorderen Bauchwand bei der Retziusschen Missgeburft. „Dieser letzte Theil des Darmeanals (das intestinum. crassum) 'war de- fect, ganz kurz, fing als ein blinder Sack im’ unteren Theile des Bauchs an, ohne mit dem Magen oder Dünndarm in Verbindung zu stehen, ging ins Becken hinab und öffnete sich mit zwei grossen Löchern am unteren Theile der Geschwulst, (des Anus praeternatu- _ ralis).“ Er nennt dieses Stück Flexura sigmoidea und Rectum. Auch ein Präparat der Würzburger pathologischen Sammlung (Cloakbil- dung mit Blasenspalte No. 1123. X.) scheint mir hierher zu gehören. „Der Dickdarm besteht aus einem 2" langen Blinddarm, welcher unter dem Dünndarm nach aussen mündet.“ (Förster a. a. O. Atlas, Tafel XXII. 8.9.) In dem von A. Fränckel beschriebenen Falle fin- - det sich eben solches accessorisches Darmstück, welches er auch schon 184 M. Bartels: für den Mastdarm erklärt: „Intra partis jam dietae (des aus dem wi- dernatürlichen After prolabirten Dünndarms) basin foramen quoddam invenitur, intestini reeti pars ultima !...... Intestinum rectum, “ enjus antea memoravi, inter uteros collacatum invenitur, sed in parte interna et superiori nullum connubium cum intestinis erassis (welche gänzlich fehlen) habet, sed concelusum est; orifieium eutaneum intes- tini reeti in superficie anteriori tumoris observatur * Die beiden auf- fälligsten Beispiele aber von Verrückung der Mastdarmöffnung wurden von Dimnore und Bils (Meckel a.a. 0. 505) beobachtet. Ersterer sah bei einem Kinde mit unvollkommener Entwickelung der unteren Körperhälfte den Darmcanal sich umbiegen und unter der rechten Schulter münden. Bils {specim. anat. Roterod. 1661. p. 10.) be. schreibt einen Foetus, bei welchem der Tubus alimentarius in den Unterleib hinabstieg, sich dort umbog, die Brusthöhle durchzog und neben denı Schlunde verlaufend im Gesicht mit der Mundhöhle, von dieser durch ein Septum getrennt, eine kleine, gemeinschaftliche Oefl- nung hatte. Der Darmcanal in unserem Falle ist in zwei Abtheilungen zerfallen, welche mit einander in keinerlei Verbindung stehen. Das verbindende Mittelstück, das Colon, fehlt gänzlich. Eine Trennung des Dünndarms von dem Dickdarm scheint nicht sehr selten zu sein. Meist endet dann wohl der Dünndarm blind, oder auch wohl in einen widernatürlichen After. Solche Fälle von Atresia interna beschreiben Klein (Acephalus mit getrenntem Dünndarm und Dickdarm, Meckel a. a. O. 180.), Desgranges (Dünndarm und Dickdarm kehren sich blinde Enden zu; Corvisart, journ. d. med. an X. Thermidor. und Journ. d. ausl. Litterat. von Hufeland. 1802. p. 314), Büttner (Acephalus mit ge- trenntem Dünndarm und Dickdarm: Anat. Wahrnehm. p. 193), Osi- ander (Neue Denkw. I. 179), Curtius (Meckel a. a. O0. 180). Rö- derer (comm. se. Gott. t. IV. De foetu parasitico: Oesophagus endet fadenförmig am Zwerchfell, Magen fehlt, Dünndarm auf beiden Seiten blind, Dickdarm oben blind), Marrigues (mem. pres. t. IV. p. 123. Darm aus vier Abtheilungen), Horch (Meckel a. a. 0. 499), Hey- felder (M&m. d. A. d. W. 1828. Dünndarm in einen grossen Sack endend und durch Zellgewebe mit dem blind anfangenden Diekdarm in Verbindung), Dupareque (Med. Zeit. d. Ausl,. Berlin 79. 1833, Dünndarm nur durch einen Faden mit dem Dickdarm verbunden). Das Fehlen des ganzen Dickdarms bei vorhandenem Mastdarm scheint eine sehr grosse Seltenheit zu sein, da weder Förster noch Meckel diese Missbildung erwähnen. Ich habe mit Bestimmtheit nur vier ähnliche Fälle auffinden können, nämlich den von Retzius, Ueber die Bauchblasengenitalspalte. 185 bei dem das Colon fehlte, aber der Mastdarm mit der Flexura sigmoidea vorhanden war, und dann, ausser dem noch später zu beschreibenden _ Präparat No, 3077 des anatomischen Museums zu Berlin, die weiter _ unten angeführten Parallelfälle von Friedländer und A. F ränckel. Ich möchte aber wohl glauben, dass auch das schon oben erwähnte : _ Präparat der pathol. Sammlung zu Würzburg (1123. X) hierher ge- hört, bei welchem der zwei Zoll lange Dickdarm oben blind endet und v unten in den widernatürlichen After mündet. Dieser Dickdarm ist 5 gewiss zum grössten Theile Mastdarm und der eigentliche Diekdarm E Ent wahl, wenn auch vielleicht nicht gänzlich, ‚doch wahrscheinlich \ ik (Tab. ad ill. Em eden, tab. 32. £. 2). Auch hier fehlt sicher der Dickdarm und das erwähnte Dickdarmstück ist ein abnorm gela- R. gerter Mastdarm. Auch der Rosesche Fall (a. a. O. II) wird wohl hierher gezählt werden müssen. Dem Präparat von Dietrich (Za- B dig und Friese, Arch. d. pr. H. I. 485) und der No. 1097 der pa- — thol. Sammlung zu Würzburg fehlt zwar auch der Dickdarm gänz- 2 lich, aber zugleich findet sich auch keine Spur eines Mastdarnıs. Auch . ganzen Dickdarms und Mastdarms in einem Falle beobachtet, der Blinddarm war jedoch vorhanden, Für das Zustandekommen der Trennung zwischen dem Dünndarm und dem Dickdarm findet sich weder bei Meckel E noch bei Förster eine Erklärung. Zu einer gewissen Zeit 3 geht der Mitteldarm (späterer Dünndarm) schlingenförmig in den kürzeren Enddarm über. Aus dem Enddarm entsteht der “ = Diekdarm und der Mastdarm. Denkt man sich nun, . - dass an der Uebergangsstelle des Mitteldarms in den Enddarm i _ durch irgend welchen Krankheitsprocess ein kurzer Theil der 2 Darmwandung abstirbt und zu Grunde geht, so ist die Trennung Ä - bewirkt. Die freien Enden werden sich nachher blind abschliessen. Je stärker der Anfang des Enddarms durch diesen Krankheits- ; process affieirt ist, in desto grösserer Ausdehnung wird später & E das Colon fehlen, weil aus dem Anfang des Enddarms das Co- E lon sich bildet. Die Einmündung des Dünndarms in den wi- - dernatürlichen After sucht Förster (a. a. O. 120) als einfache 2 Bildungshemmung (Darmspalte) zu erklären. „Die früheste _ Entwicklungsstufe ist diejenige, in welcher der Mitteldarm an einer Stelle noch nicht geschlossen, sondern gespalten und offen ist und die ebenfalls noch offene Bauchwand mit der Nabelblase Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 13- 186 | NM. Bartels: communieirt. Verschliesst sich diese Stelle nicht, so bildet sich die Darmspalte Der Mitteldarm öffnet sich dann an einer 2 Stelle, welche dem unteren Ende des Ileum entspricht, durch die Bauchdecken in der Nabelgegend nach aussen ... Die Darmspalte ist in der grossen Mehrzahl der Fälle mit Blasen- spalte und Cloakbildung combinirt.*“ Dass diese Abnormität nicht aus dem Offenbleiben des Ductus omphalomesaraicus er- klärt werden kann, liegt auf der Hand, denn der widernatür- liche After liegt nicht am Nabel. Viel mehr Wahrscheinlich- keit besitzt folgende Ansicht. Der centrale Theil des Stratum intermedium, aus welchem schliesslich die sogenannten Darm- platten hervorgehen, ist zuerst mit den Bauchplatten des Wir- belsystems und den sie deckenden Abtheilungen des Hautsystems ganz eng verbunden; er löst sich aber, wie zuerst Reichert nachwies, später theilweise von diesen ab, so dass zwischen ihm und den Bauchplatten sich eine Lücke bildet. Diese Lücke ist die seröse Rumpfhöhle oder die Pericardio-Pleuro-Peritonäal- Höhle. Bei dem ferneren Wachsthum trennen sich die soge- nannten Darmplatten gänzlich von den Bauchplatten des Haut- und Wirbeisystems, um durch einen Abschnürungsprocess das freie Darmrohr zu bilden. Setzt sich aber ihrer Ablösung ir- gendwo ein Hinderniss entgegen, besteht also an einer Stelle eine bleibende Adhärenz zwischen den Darmplatten und den Bauchplatten, so kann hier die Abschnürung zu einem freien Darmrohr nicht erfolgen, sondern es wird der Darm an dieser Stelle offen und mit der vorderen Bauchwand verbunden blei- ben, also ein Anus praeternaturalis entstehen. Ist nun der wi- dernatürliche After erst zu Stande gekommen, so erklärt sich das häufige Vorkommen eines Prolapsus des Dünndarms ganz leicht aus dem Fehlen eines Sphinkter an der Aftermündung und aus der Wirkung der Bauchpresse, Zu erwähnen ist jetzt nur noch, dass das grosse Netz Ad- häsionen mit dem unteren Theil der vorderen Bauchwand hatte, welche man erst durchschneiden musste, um zu dem Darmcanal gelangen zu können. ‚Jedenfalls also war das Kind während seines Foetallebens von einer Peritonitis befallen worden. Die Leber, deren linker Lappen noch das linke Hypochondrium - : R Ueber die Bauchblasengenitalspalte, 187 z ausfüllt, ist auf der concaven Seite in eine grosse Anzahl iner unregelmässiger Läppchen getheilt. Die Gallenblase liegt in einer Furche der Leber, in welcher die Lebersubstanz völlig geschwunden ist, so dass sie nur von einer Duplieatur der Glissonschen' Kapsel bedeckt wird. Meckel (a. a. O. 606) macht darauf aufmerksam, dass eine überzählige Lappen- 4 bildung der Leber bei Spaltbildungen der vorderen Körperhälfte 2 gewöhnlich vorkommt und giebt zugleich (a. a. O. 601) eine ausführliche Uebersicht über die an der Leber vorkommenden Missbildungen mit Angabe der hierher gehörigen Literatur. & Für die Lebensfähigkeit spielt diese Anomalie gewiss eine ganz 4 untergeordnete Rolle, wenigstens hat sie Meckel einmal bei 5 einem 89jährigen Greise beobachtet. 5. Die Harnwerkzeuge. Von allen Organen finden sich nach Meckel (a.a. O. 609) 3 am häufigsten Missbildungen an den Harnwerkzeugen und dem entsprechend bieten auch diese Organe in unserem Falle meh- rere Anomalien neben einander dar. Die linke Niere fehlt voll- ständig. * Das Fehlen einer Niere, welches nicht mit Verschmelzung beider - Nieren verwechselt werden darf, ist ‘öfter auch bei sonst normalen - Menschen als zufälliger Sectionsbefund beobachtet worden. So wurde 2. B, im Diaconissenhaus Bethanien in Berlin im Jahr 1864 die _ Autopsie eines Mannes vorgenommen, welchem, wie man bei der Un- tersuchung der Bauchhöhle entdeckte, die eine (soviel ich mich erin- - .nere, die linke) Niere fehlte. Die andere Niere war vergrössert, was nach Foerster (a. a. 0. 125) das gewöhnliche Verhalten ist. In - meinem Falle hat die rechte Niere nur ihre normale Grösse. -Meckel (a. a. 0. 611) erwähnt sechs Fälle, welche dem meinigen dadurch gleichen, dass ebenfalls die vorhandene Niere durchaus nicht vergrös- seıt war. E. Rose (a. a. O. IV.) sah, wie ich, die linke Niere fehlen, die rechte war dagegen vergrössert. Foerster (a.a.0. Taf.12.F. 28 und Virchows Archiv Bd. 13. 275) beschreibt auch einen Defect der linken Niere, die Kelche und die Becken der rechten waren etwas rgrössert. C. E. Levy (a. a. O0. 444) sah sogar bei vollständigem angel der linken Niere die rechte verkleinert. B.v. Langenbeck erwähnte in seiner Klinik (10/12 1866), dass er einigemal Kinder mit Labium leporinum oder Atresia ani plötzlich an Hirnzufällen (wahr- co - seheinlich Urämie) verloren habe, bei denen die Section eine Hufeisen- 13* 188 M. Bartels: niere oder das Fehlen einer Niere nachwies. Dass eine Niere bis- weilen fehlt, war auch schon dem alten Thomas Bartholinus (epistol. medieinal. centuriae N. 1. 254 bekannt. „Renes a natura duos fuisse formatos nemini dubium est, nec desunt, qui hoc Corporis equilibrio aseribant. Unicum tamen quandoque posse inveniri non sit, qui neget, cum id ipse adinvenerim ac publice patefecerim.*“ Ueber denselben Gegenstand finden sich auch Beobachtungen bei Morgagni (de sedib. et caus. morb. ep. 25, 4. ep. 31, 25. ep. 48, 16), 8. P. | Hilscher (de unic. in hom. fem. rep. rene etc. Jena 1733), Stoll (a. a. 0. Bd. 7. 324), Littre (M. de l’ac. d. se. 1707. p. 31), Schum- lanski (de struct. ren. diss. p. 1), Panaroli (latrologismi. Romae 1643), Wrisberg (Hallers Grundr. d. Physiol. Th. 1. 210. Note 193), Mayer (Beschr. d. m. K. Bd. 5. 5) und Guigneux (J. de med. t. 12. p. 349). Die Nebennieren sind normal, was gar nicht überrascht, da dieselben zu den Nieren in keiner anderen Beziehung stehen, als dass sie zufällig in ihrer Nähe liegen. Deshalb nehmen sie ja auch niemals an Lageveränderungen der Nieren Theil, son- dern finden sich an dem normalen Platze, wenn diese auch selbst bis ins kleine Becken hinab gestiegen sind. Viel mehr muss es überraschen, dass sich hier in meinem Falle die Wolff’schen Urnieren auf beiden Seiten gebildet hatten. Den Beweis dafür liefert hinlänglich das Vorhandensein beider Neben- eierstöcke. Von den Harnleitern verläuft der rechte (Fig. 4. a. g. i. und Fig. 5. h. h!.) nicht gerade, sondern in Windungen mit bald ganz geringem, bald wieder sehr stark erweitertem Lumen von seiner Niere zur Blase, oder, vielleicht besser gesagt, von der Blase zu seiner Niere. Dicht an der Blase bildet er noch ein- mal eine starke, sackartige Ausbuchtung (Fig. 4. i. und Fig. 5. h!.), welche genau der hinteren Blasenwand (Fig. 4.1. und Fig. 5. r.) anliegt. Ihr gegenüber befindet sich auf der freien Fläche der Blase dasjenige Grübchen, das wir als Blasenmündung des Harnleiters (Fig. 1. g. und Fig. 2. g.) angesprochen haben. Die starken Ausbuchtungen deuten auf grosse Hindernisse in Ab- fluss des Harns hin und finden ihre Erklärung leicht darin, dass die Vertiefung auf der Blase, welche der Mündung des Harnleiters entspricht, von dem Lumen desselben durch ein feines Septum getrennt war. Das sind also einfache Verhält- a a rn u, era T z W & 5 4 Ä 3 3 2 E = « > Du a ne Ki al rl A De an Ar mie Te ec 44 Ueber die Bauchblasengenitalspalte. 189 nisse, wie sie auch von Petit, Flajani, Paletta und Nebel (Meckel a. a. ©. 719) beschrieben worden sind.) Viel interessanter als der rechte ist der linke Harnleiter (Fig. 5. k.); er ist zur Ausbildung gekommen, obgleich seine Niere nicht vorhanden ist. Deshalb endet er auch nach oben blind. Dieses Vorhandensein des Ureter bei mangelnder Niere ; K— N ist allein schon genügend, um den Beweis zu führen, dass der N - Harnleiter in einem näheren Verhältniss zur Blase als zur Niere £ steht. Nach Foerster (path. Anat. I.) entwickelt sich ja auch G der Ureter als eine hohle Ausstülpung der hinteren Blasenwand und soll dann in die Nierenkelche und Harncanälchen auswach- 4 sen. Dieser Fall spricht jedenfalls dafür, dass die Entwickelung des Harnleiters an der Blase beginnt. Nirgends habe ich in i der Literatur ein Analogon finden können; in allen beschrie- benen Fällen, in denen eine oder beide Nieren fehlten, fand sich auch ein Mangel der entsprechenden Ureteren. Der Umstand, dass die Mündungen beider Harmleiter viel weiter von der Wirbelsäule entfernt sind, als normal, erklärt sich durch die abnorme Lage der Harnblase und ist bei allen gleichen Missbildungen der Harnblase beobachtet und beschrie- ben worden. R ” Es findet sich nicht eine, sondern zwei durch den wider- natürlichrn After getrennte Harnblasen (Fig. 1. f.f. und Fig. 2. f. £), jede mit ihrem besonderen Ureter. Das ist nichts Auf- fallendes, denn wir wissen längst, dass jedes bilateral symme- trische Organ sich in ein pariges und jedes parige sich in ein bilateral symmetrisches durch grössere Trennung oder innigere we Verschmelzung verwandeln kann. Dass nun die Harnblase bilateral symmetrisch sei, wird nicht mehr bezweifelt, seitdem man weiss, dass die Allantois, _ aus welcher sich die Blase entwickelt, in ihrer ersten Anlage parig ist. Nach Reichert (J. Müllers Handb. d. Physiol. d. M. Bch. 8. 688) sieht man als erste Anlage der Allantois } zwei solide Zellenhaufen am Schwanzende des Embryo, „am 1) Voisin beobachtete bei einem neugeborenen Knaben, dass die Harnleiter ebenso wie hier mit einer weiten Aussackung der inver- _ tirten Blase anlagen. ö 190 M. Bartels: hintersten Ende der Wolff’schen Körper zwischen den in ein- ander übergehenden Visceralplatten und der mehr nach unten gerückten Membrana intermedia.“ Diese beiden Erhöhungen verschmelzen dann zu einer, welche nun in eine Blase, die Al- lantois auswächst. In meinem und den ähnlichen Fällen müssen diese beiden Zellenhaufen an ihrer Vereinigung gehindert sein, weil sonst eine einfache Harnblase vorhanden sein müsste. Jeder Zellen- haufen hat für sich eine Harnblase entwickelt. Zugleich ergiebt sich aber aus dem Ausbleiben dieser Vereinigung und aus dem gänzlichen Mangel eines Urachus, dass sich keine normale Al- lantois gebildet haben kann. Denn zwei Fälle sind nur als möglich anzunehmen, wenn die doppelte Anlage der Allantois sich nicht vereinigen kann, aber dennoch die Allantois entstehen soll: die Allantois muss entweder selbst aus dem bilateral sym- metrischen Organ zu einem parigen werden, oder sie bleibt in ihrem Körper einfach, besitzt aber einen doppelten Stiel. In beiden Fällen könnte kein Mangel des Urachus eintreten, auch würden die aus diesen Allantoiden entstehenden Harnblasen wahrscheinlich eine wirkliche Blasenform besitzen. Was hier aus der doppelten Anlage der Allantois als Uebergangsstufe zu der doppelten Harnblase sich bildete, ist zwar aus Mangel an entsprechend jungen Missgeburten nicht nachweisbar, soviel aber muss man als gewiss annehmen, dass es keine normalen Allan- toiden sein konnten. Die Fälle von nicht invertirten, doppelten Harnblasen hat E. Rose (a. a. O. II. 13) zusammengestellt und die scheinbare Duplicität von der wirklichen gesichtet. In unserem Falle haben sich die beiden Harnblasen nicht zu wirklichen Blasen ausgebildet, sondern sie sind einfache Flächen und haben ihre Lage verändert, indem sie aussen auf der Bauchwand sich befinden und den Schluss derselben in der Regio hypogastrica bewirken. Dieses Verhalten der Harnblase hat man mit dem Namen Inversio s. Ectrophia vesicae urina- riae bezeichnet. Schon Meckel (a. a. O. 732) stellt die Ver- muthung auf, dass sich diese Missbildung als eine einfache Bildungshemmung nachweisen lassen würde. Das ist, wie gg = 35 u art Pe A Ze ZI hr a ie Ueber die Bauehblasengenitalspalte. 191 wir sehn) ganz ; es ist eine Bildungshemmung der Allantois. n " Die auf der Bauchwand frei vorliegende Schleimhaut der | Blase hat zu manchen Verwechselungen Anlass gegeben, und e mancher Autor, welcher ein Fehlen der Harnblase beschreibt, hat wohl eine Ectrophie derselben vor sich gehabt, ohne die- selbe zu erkennen. So beschreibt z. B. Heyfelder (a. a. 0.) drei Fälle von Eetrophia - vesicae unter der Bezeichnung: „Mangel der Harnblase.“ Er spricht aber schon die Frage aus, ob die vorliegende rothe Geschwulst nicht _ etwa die hintere Wand der Harnblase ist. Auch Thomas Bartho- 2 linus (a. a. 0. IV, 226) erzählt einen Fall, in welchem die Harnblase fehlte, die Ureteren aber auf der vorderen Bauchwand mündeten. = „Puellam superiori hebdomade secuit Dr. van Horne, in nundinis - nostris pro hermaphrodito publice ostentatam; nil paene in illa in- - suetum, praeterguam quod vesica careret, ureteres enim ad locum in $ media pube se exonerabant, qua parte glandulosa quaedam corpuseula _ exterius eminebant, urina in horas transsudante madida, quae membri - genitalis imaginem tantillum mentiebantar.* Uebrigens vermutheten schon Tenon, Buxtorff und Castara (Meckela. a. O.), dass bei solchen Missgeburten die Harnblase nicht fehle, sondern mit der räth- selhaften Geschwulst identisch sei, aber erst Devilleneufve und Bonn (Meckel a.a. 0. 728) haben zuerst die vorliegende Fläche als _ Blasenschleimhaut erkannt und dadurch die Inversion der Harnblase nachgewiesen. Später erkannte man dann auch durch genaue anato- _ mische Untersuchungen die Schleimhaut und die Muskelhaut der Blase. Fälle von Eetrophia vesicae finden sich in der Literatur sehr häufig. Ihre Zusammenstellung muss ich unterlassen, weil sie zu weit führen 5 würde und uns, wie wir später sehen werden, nur ein ganz besonderer Grad dieser Missbildung interessirt. Alle genau hierher gehörigen $ Fälle finden wir in dem IV. Abschnitte dieser Arbeit angeführt. 6. Die Geschlechtswerkzeuge. Wir beginnen unsere Betrachtung mit dem wichtigsten B Eeile -der Genitalien, nämlich mit den keimbereitenden Drüsen. vB Die Ovarien (Fig. 4. d. und Fig. 5; 2. 6. 7.) sind auf beiden Seiten vorhanden, jedes etwa !/,' lang; der laterale Kopf des | linken Eierstocks setzt sich in eine erbsengrosse Cyste (Fig. 5; 7.) fort, deren Wandung von ziemlich starken Verzweigungen der ‚Ast, spermatica interna versorgt wird. Wir haben hier also ein Hydrovarium congenitum. 192 M. Bartels: Foerster (path, Anat. II. 378) sagt darüber: „Ilydrops der Graafschen Follikel entwickelt sich meist im reifen Alter, kommt aber auch vor der Pubertät und in einzelnen seltenen Fällen auch im reifen Kindesalter und selbst beim Foetus vor.“ Eine eystenförmige Auftreibung des rechten Ovariunıs bei einem todtgebornen Kinde, je- doch nicht mit serösem, sondern mit blutigem Inhalt bildet auch B. Schultze ab in den Verhandl. d. Ges. f. Geburtshülfe H. 11. 1859. Die Muttertrompeten (Fig. 4.c. und Fig. 5; 1.5.), die run- den (Fig. 4. e. und Fig.5.g.g.) und die breiten Mutterbänder, ebenso auch die Parovarien sind normal, letztere wurden schon als Reste der Wolffschen Urnieren bei der Betrachtung der Harnorgane angeführt. Jede Tuba senkt sich in einen beson- deren etwa erbsengrossen Uterus (Fig. 4. b. und Fig. 5; 3. 8.), von welchem dann je eine Vagina nach der Gegend des wider- natürlichen Afters, zum Theil mit dem entsprechenden Ureter vereinigt, ihren Verlauf nimmt. Die Mündungen der beiden Scheiden liessen sich nicht nachweisen. Die Leitungsapparate für die Keime beim weiblichen Geschlechte entwickeln sich aus den Müllerschen Fäden. Diese verschmelzen (nach Virchow: Vorlesungen über path. Anat. d. Generationsorgane. 1866) von aussen nach innen zu, bleiben aber an ihrem innersten Ende getrennt. Daher giebt es eine Vagina und einen Uterus, aber zwei Tuben. Wird nun die Verschmelzung der Müllerschen Fäden gehemnit, so entsteht ein Uterus bicornis oder ein Ute- rus duplex und im höchsten Grade der Hemmung auch eine Vagina duplex. Dieser höchste Grad der Bildungshemmung liegt auch hier vor; Foerster (path. Anatomie U. 405) hat dafür die Bezeichnung Uterus duplex separatus sive didelphys angenommen. Bis jetzt ist derselbe nur bei hohen Graden von sogenannter Cloakbildung und bei Kindern beobachtet worden, welche entweder todtgeboren waren oder wenige Tage nach der Geburt starben (Foerster 162). Auch Meckel (a. a. ©. 670) wusste schon, dass Duplicität des Uterus auf Bildungshemmung beruhe, wie er nach Harvey’s (de generat. 304) Beobachtung nachgewiesen hatte; ob aber die Duplieität der Scheide durch Ausbleiben der Verwachsung oder durch secundäre Trennung zu Stande komme, wagte er noch nicht zu entscheiden. Die Verwachsung der Müllerschen Fäden ist im vierten Monat des Ueber die Bauchblasengenitalspalte. 193 Foetallebens vollendet. Hier ist die Entwickelung also auf einer Stufe stehen geblieben, welche noch vor dem vierten Monat liegt.') | Die Schamlippen (Fig. 1. 0.o0.n.n. und Fig. 2. o0.o.n.n.) | welche nach oben convergirend in einen Schamberg auslaufen - sollten, divergiren hier und sind also ebenfalls gespalten, d. h. an ihrer Vereinigung gehindert. Dieses Verhalten erklärt sich aus der ausgebliebenen Vereinigung der Bauchplatten des Haut- und Wirbelsystems und des unteren Extremitätengürtels. Des- halb findet sich auch dieselbe Divergenz der Schamlippen, respective des Hodensackes in allen später aufzuführenden Pa- rallelfällen. | Am Schlusse dieses Abschnitts will ich noch die eigen- thümliche Papille (Fig. 1. p. und Fig. 2. p.) erwähnen, welche sich neben der rechten Nymphe fand, während auf der linken Seite keine solche nachweisbar war. Diese Papille steckt in einer ganz feinen Hautscheide, gleichsam in einer Vorhaut, oder wie eine Papilla circumvallata der Zunge in ihrem Wall. Auch für sie finden sich einzelne Analoga. So zeigt das Präparat TEE EEE EEEENRTTLEEERE = er 3 > E= C u No. 9482 des anatomischen Museums zu Berlin, dessen Be- N schreibung weiter unten folgen wird, an dem unteren Ende der invertirten Harnblase jederseits ebenfalls solche von einer‘ Vor- haut umgebene Papille. Auch das Präparat No. 821 (anat. Mus. zu Berlin), welches Behn in seiner Dissertation (de pa- rietis anterioris vesicae urinariae defectu) beschrieben und be- arkeitet hat, besitzt zwei entsprechende Papillen, welche aber, 2 entsprechend dem geringen Grade der vorliegenden Bauchblasen- spalte, sich in der Medianlinie berühren. Jedesmal sitzen die Papillen auf einem Gebiet, welches nicht mehr der Blasen- oder Darmschleimhaut, sondern dem Integumentum commune exter- num angehört. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass diese Papillen für die von selbstständigen Präputien umgebenen, an - der Vereinigung gehinderten Corpora cavernosa der Clitoris 1) Beispiele für den Uterus duplex separatus bieten ein von Sa- _ viard (obs. de chir. 308) beschriebener Fall und ein anderer, welchen 6. E. Levy (a. a. 0. 443) veröffentlicht hat. Ausserdem gehören ‘auch von den später zu beschreibenden Parallelfällen einige hierher. 194 M. Bartels: oder im anderen Falle des Penis, also allgemein für die soge- nannte papilla genitalis erklärt werden müssen. 7. Anhang. Es sei hier zum Schlusse noch eine Bemerkung über die Lage des Nabels gestattet. Derselbe befindet sich nicht wie gewöhnlich in der Mitte zwischen den Schambeinen und dem Schwertfortsatz, sondern er liegt viel näher an ersteren. Da- durch wird die Regio epigastrica bedeutend vergrössert, so dass sie etwa so gross ist als die Mittel- und Unterbauchgegend zu- sammengenommen. Einige Beispiele von so tiefer Insertion des Nabelstranges führt auch Heyfelder (a. a. O.) in seinen schon weiter oben eitirten Fällen von Mangel der Harnblase an. Er erwähnt dabei eine Ansicht Chaussier’s, welche durch seine Präparate und die meinigen unterstützt wird. „Chaussier legt einen besonderen Werth auf den Insertionspunkt des Nabel- stranges und behauptet, dass das Vorhandensein desselben auf der Körperhälfte ein normal gebildetes und ausgetragenes Kind beurkunde. Ebenso nimmt Chaussier an, dass der Insertions- punkt sich immer mehr vom Centrum entferne, je weniger das Kind den zum Getrenntleben erforderlichen Grad der Entwick- lung erreicht habe.“ Auch bei Meckel (a. a. O. 718) findet sich in seiner Abhandlung über die Cloakbildung eine hierher gehörige Stelle. Er sagt nämlich: „Immer aber liegt der Nabel ausserordentlich tief, ein für die Geschichte dieser Missbildung (der Cloakbildung) ausserordentlich merkwürdiger Umstand, weil er beweist, dass sie sich immer aus einer und derselben Periode, aus der sehr frühen nämlich datirt, wo sich der Nabel- strang noch in der Nähe des unteren Körperendes in den Un- terleib begiebt.“ III. Kurze Beschreibung von zwei analogen, noch nicht veröffentlichten Missgeburten. In der pathologischen Sammlung des anatomischen Museums zu Berlin befinden sich zwei Präparate, welche in jeder Weise verdienen, der eben genau erörterten Missgeburt an die Seite a Fr ae FR ee er TE Saas Ueber die Bauehblasengenitalspalte. 195 S ccm se partes ER male sunt conformatae, ut cujus sexus sit contemplatione externa non evincatur.“ Es ist ein Knabe mit Bauchblasenspalte, Darmbeindiastase und dünnem Nabelstrang mit kleinem Feld der Membrana reuniens inferior Die gespaltene Blase ist hervorgewölbt, zeigt mancherlei Rau- higkeiten und Exerescenzen und jede Blasenhälfte besitzt am f unteren, lateralen Ende eine Papille von Erbsen- bis Bohnen- grösse. Unter diesen Papillen findet sich je eine schlitzförmige - Oeffnung, von denen besonders die rechte ziemlich gross ist. Das sind die Mündungen der Ureteren, welche ohne Ausbuch- tungen und von der Weite gewöhnlicher Sonden bis zu den - Nieren verlaufen. Im Zwischenraum zwischen den beiden Bla- @ senhälften zeigt sich, am besten wieder männlichen Genitalien vergleichbar, ein Vorfall des Dünndarms und Blinddarms. Der wurstartige Dünndarm kehrt die Spitze nach oben. Er ist bei seinem Uebergange. ins Cöcum manschettenartig von einer _ Schleimhautfalte überzogen (vielleicht valvula Bauhini). Das Cöeum ist stark kuglig hervorgewölbt, sehr weit und zeigt zwei nahe bei einander liegende Oeffnungen, welche sich bei vor- - siehtiger Reposition des Blinddarms als die Mündungen zweier _ Wurmfortsätze erweisen, von denen an jeder Seite des Blind- darms einer herabläuft. Die frei vorliegende Cöcalschleimhaut ist fast überall sehr verdünnt und nur ab und zu verlaufen auf ihr einzelne dickere, narbenartige Stränge. Der Dickdarm fehlt _ wollständig. Aber dem Kreuzbein durch. ein kurzes Gekröse 2 aufgeheftet findet sich ein etwa 1,5‘ langes Reetum, das unter dem prolabirten Blinddarm bleistiftweit in den widernatürlichen After mündet. Spurlose Atresia ani. Die rechte Niere liegt tiefer als die linke, bereits zum Theil im grossen Becken; ihr Hilus ist gerade nach vorn gerichtet. Die entsprechende Neben- niere liest am normalen Fleck dicht unter der Leber. Das Scrotum ist gespalten und in jeder Hälfte fühlt man einen Hoden. Zwischen den oberen medialen Rändern der Serotal- hälften befindet sich eine warzenartige, erbsengrosse Exeres- CenZz. 196 M. Bartels: Die zweite Missgeburt No. 9482 war bereits genau anato- mirt. Da ich dieselbe aber weder in der Literatur gefunden habe, noch auch der Catalog einen Beschreiber nennt, so glaube ich nicht unrecht zu thun, wenn ich sie unter den unveröffent- lichten Fällen mit aufführe. Ihre Signatur ist folgende: „In- versio vesicae urinariae cum atresia ani et prolapsu intestini aperto in anteriori inferiori parte abdominis. Intestinum in duas partes divisum.*“ Es ist ein ausgetragener Knabe mit Bauchblasenspalte. Die invertirte Blase liegt in einer Vertiefung und ist höchstens von Zweigroschenstückgrösse. Die Ureteren- mündungen liegen nahe bei einander und führen in ziemlich weite Ureteren. Zwischen diesen Mündungen liegt eine blei- stiftstarke Oeffnung, welche in das Cöcum führt und aus wel- cher der in der Signatur angegebene. Prolapsus stattgefunden haben muss. Dieser Prolapsus ist leider reponirt und nichts Näheres über ihn angegeben. Grosse Schambeindiastase. An der unteren Grenze der Cloake findet sich jederseits ein pa- pillenartiger Körper von einem Hautwall umgeben, ähnlich einer Papilla eircumvallata der Zunge; vielleicht Corpus cavernosum penis jeder Seite mit eigenem Präputium. Dann kommen wei- ter nach unten die beiden platten, grossen Scrotalhälften, deren jede einen Hoden enthält. In der Lendengegend befindet sich ein faustgrosser Hydrorrhachissack. Der After fehlt spurlos. Der Nabel inserirt sich sehr tief unten und enthält noch ein Stück der Membrana reuniens inferior. Die obere Hälfte des Dünndarms ist sehr erweitert und endet unten blind. Die un- tere Hälfte ist sehr verengt, beginnt blind, verläuft so einen Zoll in gerader Richtung, macht dann, durch das Mesenterium dazu gezwungen, eine spitzwinklige Knickung und verläuft dar- auf wieder geradlinig etwa vier Zoll. Dann tritt sie fast unter einem rechten Winkel in den Blinddarm. Dieser kehrt jetzt (d.h. nach der Reposition) seinen Fundus nach oben und trägt einen kleinen Wurmfortsatz. Das Cöcum liegt in der Mittel- linie des Körpers und mündet ein wenig nach links von ihr in das Blasenfeld. Der Diekdarm und der Mastdarm fehlen voll- ständig. Durch die lange Einwirkung des Weingeistes kann & { « E udn 1 a ren at Ueber die Bauchblasengenitalspalte. 197 man nicht mehr die Eintheilung in ein mediales Darmfeld und zwei laterale Blasenfelder erkennen. IV. Uebersicht der in der Literatur sich findenden analogen Fälle. i 1. A. Retzius: „Fall einer in vielfacher Hinsicht von der nor- malen abweichenden Bildung eines Kindes“ (Svenska Läkare Sälls- kapets, Nya Handlingar Vol. 3. S. 187. Oppenheim: Zeitschr. f. d. ges. Med. Bd. 32. S. 532). Mädchen, 7 Stunden alt, mit Bauchblasenschambeinspalte und widernatürlichem After, in welchen Dünndarm und Mastdarm münden. Dickdarm fehlt bis auf ein Stück der Flexura coli, welches am Mast- darm hing. Prolapsus des Dünndarms, Atresia ani, Uterus duplex separatus; fehlende Scheiden. 2. G. Friedländer (Monatsschr, f. Geburtskunde und Frauen- krankh. von Busch, CGrede, v. Ritgen, v. Siebold. Bd.7. 8.243 und dasselbe in den Verhandl. d. Ges. f. Geburtsh. in Berlin Heft9. S. 61. Beides mit drei Abbildungen). Knabe, 15 Tage alt, mit Bauchblasenschambeinspalte und wider- natürlichem After, in welchen der Dünndarm und ein accessorisches Darmstück münden. Dickdarm fehlt. Prolapsus des Dünndarms. Spurlose Atresia ani. Hodensack und Eichel gespalten (wenn ich die Figur richtig verstanden habe). 3. Dietrich (Zadig u. Friese: Arch. d. pr. H. Bd. 1. 485. Meckel path. Anat. I. 703). £ Knabe mit Bauchblasenspalte (Schambeinspalte?) und widernatür- F liechem After, in welchen der Dünndarm mündet. Dickdarm ist nicht erwähnt, Mastdarm fehlt. Prolapsus des Dünndarns. 2. 4. Vrolik (Tab. ad illustr. embryogenesin tab. 32. f. 2. Hand- boek 1. 412. Foerster: Die Missbildungen des Menschen. Atlas tab. 22. f. 7.) Knabe, neugeboren (zugleich mit einem. wohlgebildeten Mädchen), mit Bauchblasenschambeinspalte und widernatürlichem After, in wel- ehen der Dünndarm und der oben blind endende „Dickdarm“ (wohl - Mastdarm) münden. Dickdarm fehlt fast ganz. Prolapsus des Dünn- darms, Atresia ani, doppelte Eichel. 5. A. Foerster (Präparat der pathol. Samml. zu Würzburg 1123. X. Foerster Missb. tab. 22. f. S u. 9). Mädchen, nicht ausgetragen, mit Bauchblasenschambeinspalte und _ widernatürlichem After, in welchem die trichterförmige Mündung des - Dünndarms und die Mündung des rudimentären „Dickdarms“ (wohl - Mastdarms) liegt. Dickdarm fehlt zum grössten Theil. Geringer Pro- 198 M. Bartels: lapsus des Dünndarms. Atresia ani, Uterus et vagina duplices sepa- 1‘ rati (Uterus didelphys). 6. A. Foerster (Präparat der pathol. Samml. zu Würzburg 1097. X. Foerster Missb. tab. 24. f. 7). Sechsmonatlicher Foetus mit Bauchblasenschambeinspalte und widernatürlichem After, in welchen der Dünndarm mündet. Dickdarm fehlt. Geringer Prolapsus des Dünndarms. Doppelte Mündung der fehlenden Geschlechtsleitungsgänge. 7. Edm. Rose („Beiträge zur Kenntniss der angeborenen chi- rurgischen Krankheiten des Menschen. Il.: Ueber das Offenbleiben der Blase.“ Monatsschrift für Geburtskunde und Frauenkrankheiten. Bd. 26). Mädchen, 5 Tage alt, mit Bauchblasenschambeinspalte und wider- natürlichem After, in welchen der Dünndarm und unter diesem ein zur Linea innominata gehendes und dort blind endendes, accessorisches Darmstück (von Rose auch zum Dünndarm gerechnet, aber wohl Mastdarm) münden. Blinddarm und Dickdarm fehlen gänzlich. Pro- lapsus des Dünndarms und des accessorischen Darmstücks. Atresia ani, Uterus et vagina duplices separati (Uterus didelphys). 8. A. Fränckel („De organorum generationis deformitate raris- sima“; dissert. inaug. Berlin 1825, mit Abbild. Nach Beschreibung und Zeichnung jedenfalls No. 6021 des anatomischen Museums zu Berlin). Mädchen, 2 Tage alt, mit Bauchblasenschambeinspalte und wider- natürlichem After, in welchen der Dünndarm und ein accessorisches, schon von Fränckel für den Mastdarm erklärtes Darmstück münden. Vom Dickdarm findet sich keine Spur. Sehr starker Prolapsus des Dünndarms mit Invagination an der Spitze des Prolapsus. Atresia ani, Uterus et vagina duplices separati (Uterus didelphys). Pes varus dexter und grosser Hydrorrhachissack. Die Iinke Art. umbilicalis fehlt. 9. J. F. Meckel (Handbuch der pathol. Anat, I. 734) erwähnt zwei frühe Embryonen, welche vielleicht auch hierher gehören. „Ue- brigens fand ich bei einem sehr frühen Embryo mit Mangel der Harn- blase die Harnleiter und Trompeten der Gebärmutter mit ihren Aus- führungsgängen nicht nach unten, sondern nach vorn gerichtet und in die Nabrelscheide tretend, in einem etwas späteren gleichfalls keine Harnblase, aber zwischen der Nabel- und Scheidenöffnung in der Mit- tellinie des Unterleibes zwei übereinanderliegende Oeffnungen, in allen den Darmcanal grösstentheils ausserhalb des Leibes.“ 4 2 - i | Ueber die Bauchblasengenitalspalte. 199 ; Y. Charakteristik der Bauchblasengenitalspalte. Aus der in den vorigen Abschnitten gegebenen Zusammen- # stellung der in der Literatur und in dem Berliner anatomischen n. Museum sich findenden ähnlichen Fälle ergiebt sich, dass der vor- # liegende Missbildungscomplex ein ganz bestimmter, hoher Grad der E sogenannten Bauchblasenspalte oder Inversion oder Ektrophie der B. Harnblase ist. Am passendsten möchte für diesen Grad der Name * Bauchblasengenitalspalte (Gastrocystaegenneticoschisis) sein, um damit anzudeuten, dass die Spaltbildung sich nicht f _ zur auf die Bauchwandung und die Harnblase, sondern auch 2 nr die gesammten äusseren und die normal niüht getrennten inneren Genitalien und auf den dieselben stützenden Theil des - Wirbelsystems, die Schambeine, ausgedehnt hat. Die Bauch blasengenitalspalte ist durch folgende "Missbildungen charakterisirt: in der Unterbauchgegend hat sich weder das Hautsystem, noch das Wirbelsystem geschlossen. Die Schambeine stehen einen oder mehrere Zoll weit ausein- _ ander. Der Spalt der vorderen Bauchwand wird in seinem & oberen, dem Nabel zunächst liegenden Theile durch einen haut- J ähnlich gewordenen Rest der Membrana reuniens inferior | (Rathke), höchst selten durch normale Haut, in seinem un- - teren Theile dagegen durch die frei zu Tage liegende hintere - "Wand der Harnblase geschlossen. Diese nicht zu einer Blasen- E form entwickelte, sondern als Fläche vorliegende Harnblase ist aber ebenfalls gespalten und nimmt zwischen ihre bilateral _ symmetrischen Hälften den widernatürlichen After auf. Auf E jeder Blasenhälfte mündet der entsprechende Ureter, meist durch eine kleinere oder grössere Schleimhautpapille geschützt. Von dem Darmcanal ist der Dünndarm immer entwickelt und “ mündet mit seinem untersten Stück zusammen mit dem Blind- # _ darm, falls dieser vorhanden ist, in den widernatürlichen After. Aus diesem sind beide stets in höherem oder geringerem Grade E hervorgefallen und bieten dann sehr oft das eigenthümliche, E ödematösen männlichen Genitalien ne Ansehen - Der 200 M. Bartels: Stück der Flexura sigmoidea. Fast constant ist das Vorhanden- sein eines accessorischen Darmstücks, welches ich nach den in dem Abschnitt über den Nahrungscanal entwickelten Ansichten für das nach vorn umgeschlagene Schlussstück des Enddarms, d. h. für den Mastdarm halte. An ihm hängt das Stück der Flexura sigmoidea, falls sie sich gebildet hat. Dieser Mast- darm, welcher in den 11 hier zur Betrachtung kommenden Fällen nur 3 Mal sich nicht vorfindet, mündet aber nicht an der normalen Stelle, wo sich stets eine Atresia ani mit oder ohne narbenartige Einziehung der Haut vorfindet, sondern er wendet sich von dem Steissbein nach vorn zu dem widernatür- lichen After und öffnet sich daselbst unter der Mündung des Dünndarms oder Blinddarms. Die Geschlechtstheile sind ebenfalls gespalten, daher findet sich beim weiblichen Geschlecht ein doppelter, getrennter Ute- rus und, falls sie vorhanden sind, auch für jeden Uterus eine Scheide. Die grossen und kleinen Schamlippen divergiren nach oben, anstatt convergirend den Kitzler, von welchem meist keine Spur sich auffinden lässt, in ihre Mitte zu nehmen. Bei dem männlichen Geschlechte ist der Hodensack gespalten, ebenso auch der Penis, wenn er überhaupt gebildet ist. Sind die Mündungen der Geschlechtsleitungsapparate vorhanden, so befinden sie sich an der unteren Grenze des widernatürlichen Afters, gleichfalls von einander getrennt. Die Harnröhre fehlt selbstverständlich immer. BER Be eh a 2 Dia Te rt ann aa u nn Tl Mr Be a a a in nn aa Sad Ausserdem finden sich oft noch andere Anomalien, welche aber augenscheinlich mit den hier angeführten Missbildungen in keinem Connex stehen und vor allen Dingen sich nicht als typische Abnormitäten aufstellen lassen.') VI. Aeltere und neuere Ansichten über die Ent- stehung der Bauchblasengenitalspalte, Schon vor Jahren bemühten sich die Beobachter, eine Er- klärung für das Zustandekommen dieser Missbildungen aufzu- 1) Auf diese Verbindung der Harnblasenspalte mit anderen nicht von ihr abhängigen Anomalien weist auch Meckel in seiner Abhand- lung über die Cloakbildung hin (a. a. O. 736). Ueber die Bauchblasengenitalspalte. 201 finden; sie fingen aber’ ihre Betrachtung, nicht unterstützt durch genügende Kenntniss der Entwickelungsgeschichte, von einem ganz falschen Gesichtspunkte an und kamen in Folge dessen zu Resultaten, welche uns jetzt abenteuerlich erscheinen. Sie fassten die vorliegende Spalte nicht als das Resultat einer aus- gebliebenen Vereinigung auf, sondern liessen dieselbe durch nachträgliche Trennung von Theilen entstehen, welche vorher normal, vereinigt gewesen sein sollten. Duncan (Edinburg, 1 med. journ. 1805. p. 138—142) nimmt als Causalmoment; einen Verschluss der Harnröhre an: durch den Druck des sich stau- Harns werden die Blase, die Schambeine und endlich % auch die Bauchwandungen zerrissen und die Blase nun von den | ‚Eingeweiden vorgedrängt. Roose und Creve halten eine Tren- ‚nung der Schambeine für die Ursache der späteren, allgemeinen Spaltildung Dieser Schambeinspalt® entsteht‘ nach Roose (Dissert. de vesicae urin. inversae prolapsu. Gottingae 179. . p- 40), nachdem die Symphyse der Schambeine sich schon ge- bildet hatte, durch unregelmässige Lage des Foetus und Fall etc. = .der “Mutter. Creve (von den Krankheiten des weiblichen Beckens. Berlin 1795 p. 123) sieht die Trennung der Scham- beine als ursprünglichen Bildungsfehler an, durch welchen die ä Spaltbildung der andern Organe zu Stande komme. Meckel (a. a. O. 729), welcher ausführlicher auf diese Ansichten ein- geht und Gegenbeweise gegen dieselben aufbringt, äussert sich gebe dahin, ‚dass man nach dem damaligen Standpunkte der Wissenschaft genöthigt sei, anzunehmen, dass die Missbildungen . ‚aller dabei in Betracht kommenden Organe ursprünglich vor- ° handen wären, und dass dieselben sich nicht gegenseitig be» 2 dingen., Trotzdem aber spricht er die Vermuthung aus, ‘dass 2 dieser ganze Complex von Missbildungen in einer frühen Pe- ‚ziode des Foetallebens normal und somit als eine einfache Bil- = aufzufassen sei. Foerster (a. a. ©. S.1l4 u. Ei ‚Anat. I). sieht eine Anomalie der Allantois als das: Cau- salmoment an. Er spricht sich darüber folgendermassen aus: „Es beruht dies vielleicht auf einer abnormen Ansammlung von Flüssigkeit im unteren Theile der Allantois, durch welche nicht allein der Schluss der Bauchdecken, Symphyse und regelmäs- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 14 202 M. Bartels: sige Bildung der Urethra behindert, sondern auch eine Spaltung der vorderen Bauchwand bewirkt wird.“ Ob diese Ansicht für geringere Grade der Bauchblasenspalte die richtige Erklärung liefert, lasse ich dahingestellt sein, weil es nicht zur Sache ge- hört; für den vorliegenden hohen Grad der Missbildung aber, die Bauchblasengenitalspalte, genügt diese Hypothese schon des- halb nicht, weil weder die Spaltungen der inneren Genitalien, noch auch die Anomalien des Nahrungscanals durch dieselbe erklärt werden. In dem.von E. Rose beschriebenen Falle fand sich die rechte Niere im kleinen Becken, welches von ihr vollständig ausgefüllt wird. Diese abnorme Lage der Niere sieht Rose als die erste Ursache der vorliegenden Missbildungen an. Mir scheint es jedoch nicht unmöglich, dass man die Sache gerade umgekehrt betrachten muss, dass nämlich durch die mitder Bauch- blasengenitalspalte verbundene Entfernung der Unterleibsorgane von der Wirbelsäule in dem kleinen Becken ein freier Raum entstanden ist, welcher die Entwickelung der Niere an dieser Stelle begünstigte. Dass die Niere daselbst wirklich ursprüng- lich entstanden und nicht erst dorthin gewandert sei, hält Rose durch den gänzlichen Mangel von peritonitischen Erscheinungen für bewiesen. Sollte nun aber auch wirklich die Niere nicht ohne Schuld an dem Zustandekommen der Bauchblasengenital- spalte sein (was sehr unwahrscheinlich ist), so ist die Rose’sche Ansicht doch jedenfalls nicht die richtige, dass nämlich die ab- norme Lage der Niere als das Causalmoment angesehen werden müsse, Denn wie will er dann die oben zusammengestellten Pa- rallelfälle erklären, welche den vorher als typisch angegebenen Complex von Missbildungen besitzen, ohne dass man im Stande wäre, den Nieren die Schuld daran aufzubürden? Da aber eben diese Missbildungen so typisch sind, so scheint es mir auch das Wahrscheinlichste zu sein, dass eine und dieselbe, allen Fällen gemeinsame Abnormität zugleich die anderen hervor- gerufen hat, Ueber die Bauchblasengenitalspalte. 203 r VI. Ansicht des Verfassers über die Entstehung der Bauchblasengenitalspalte. Um dem Causalmoment dieser ganzen Abnormitätengruppe auf die Spur zu kommen, wollen wir noch einmal einen Blick auf die vorhandenen Missbildungen werfen. Wir finden einen Spalt der unteren Bauchgegend, welcher durch das Hautsystem, durch das Wirbelsystem mit Einschluss des Extremitätengürtels, durch die Harnblase und endlich auch durch die äusseren und inneren Generationsorgane, folglich durch den unteren Theil des ganzen Ventralrohrs mit Ausnahme des Darmcanals hindurch- geht. Dass dieser Spalt nicht die Folge einer nachträglichen Trennung der genannten schon vereinigt gewesenen Organe sei, sondern durch ausgebliebene Verschmelzung derselben entstan- den ist, habe ich schon oben besprochen. Es muss sich also der Vereinigung der Organe ein Hinderniss entgegengestellt - haben, welches entweder von aussen nach innen zur Wirbel- “ - säule hin, oder von innen nach aussen bis über die Grenze des 3 Hautsystems hinaus gewirkt hat. Das Erstere findet seine Wi- derlegung schon darin, dass von einem von aussen kommenden Hinderniss keine Spur sich auffinden lässt. Es bleibt demnach : als letzte und jedenfalls allein richtige nur noch die Annahme von - einem Hinderniss innerhalb der Bauchhöhle übrig, das sich zwischen die bilateral-symmetrischen Hälften der noch nicht - vereinigten Organe drängte. Da die Generationsorgane noch g L ‚gespalten sind, die Wirbelsäule aber normal ist, so muss sich das Causalmoment der Missbildung in dem zwischen beiden "g genannten Theilen befindlichen Organe, d. h. in dem Darmcanal befinden. Das Typische seiner abnormen Lage und ganz be- “sonders der Umstand, dass er sich in dem Spalt befindet und sieh zwischen den bilateral-symmetrischen Hälften der Harn- blase inserirt, bestätigen diese Annahme, 3 Eine andere Frage, deren Lösung sich viel grössere Schwie- zigkeiten entgegenstellen, ist die, wie denn eigentlich die Ab- = normitäten des Darmcanals entstanden sind? Ueber die fehler- > hafte Insertion des Mastdarms wurde schon in dem Abschnitt 14* 204 | M. Bartels: ; über den Nahrungscanal gesprochen, auch wurde dort ent- wickelt, dass man das Zustandekommen der Trennung zwischen dem Dünndarm und Dickdarm dadurch erklären könne, dass von der Wand des primitiven Darmrohrs eine kurze Strecke dieht hinter dem Ansatz der Anlagen für die Allantois zu Grunde gegangen sei. Die Insertion des unteren von dem Dick- darm abgelösten Dünndarmendes fand ihre Erklärung in einer krankhaften Adhärenz, welche an dieser Stelle die sogenannten Darmplatten (centraler Theil des Stratum intermedium) mit den Bauchplatten des Haut- und Wirbelsystems besassen und durch welche sie hier an der Abschnürung des Darmrohres gehindert wurden. Dann verwachsen die mit dem adhärenten Theile des Darmeanals verbundenen Allantoisanlagen mit den medialen Enden der Bauchplatten des Haut- und Wirbelsystems und hindern dadurch diese und ebenfalls auch den unteren Extre- mitätengürtel an ihrer normalen Vereinigung. Da von letzterer aber die Verschmelzung der äusseren Genitalien abhängt, so erklärt es sich, dass dieselbe Ursache, welche eine Diastase der Schambeine hervorrief, auch eine äussere Genitalspalte verur-- sachen wird. Die beiden Geschlechtsleitungsgänge (bilateral symmetrische Hälften des Uterus und der Scheide), deren Ver- F einigung erst später an der hinteren Wand der Harnblase in der Mittellinie der Bauchhöhle stattfindet, finden diese von Darmschlingen angefüllt, welche von der Wirbelsäule zur vor- deren Bauchwand ziehen, und müssen in Folge dessen getrennt bleiben. Was den Zeitpunkt des Intrauterinlebens anbetrifft, in wel- chem die Lageveränderung des Tubus intestinalis zu Stande kam, so muss man denselben sehr früh setzen. Jedenfalls trat die Anomalie des Darmeanals schon ein, als die Allantois sich noch nicht zu ihrer Blasenform ausgebildet hatte; nur ihre erste Anlage, d.h. ein kleiner Zellenhaufen zu jeder Seite des Darm- rohres konnte sich entwickelt haben. Diese beiden Zellenhaufen wurden schon an ihrer Vereinigung gehindert und mussten sich jeder für sich allein zu der betreffenden Hälfte der Harnblase entwickeln. F. W. Scanzoni (Lehrb. der Geburtshilfe I. 86) beschreibt einen dreiwöchentlichen menschlichen Embryo, bei a a eh a in abi en ' Ueber die Bauchblasengenitalspalte, 205 Wir kommen somit zu dem Schluss, dass das Causalmo- ; ment der Bauchblasengenitalspalte eine vor der vierten * Woche, des Intrauterinlebens eintretende, abnorme Trennung des Mitteldarmes von dem Enddarme sei, durch welche wäh- _ rend der weiteren Entwicklung des Embryo dieser grosse Com- ir plex von Missbildungen als einfache Bildungshemmungen ver- ursacht wird. I VIN. Erklärung der Abbildungen. — Figurl zeigt die ursprüngliche Ansicht der pathologischen Bildung vor der Präparation. Man sieht das Feld der veränderten äusseren Haut (Membrana reuniens inferior) a. d. c. d. mit dem bei «a sich inserirenden _ Nabelstrang e. f. f. Feldchen der Blase mit g Mündungen der Ure- teren. Ah. h'. Prolabirtes unteres Dünndarmende (Pseudopenis). A’. Schlussstück des Dünndarms. ö. Stelle der Invagination am Dünn- H darm. %. prolabirter Blinddarm Korb Hodensack). m. Feld der Darmschleimhaut. n. Kleine Schamlippen. o. Grosse Schamlippen- Ep: 'Umwallte Papille. g. Hautwülste, welche das weisslich gelbe Feld % der Membrana reunieps inferior von dem röthlichen Felde der Blasen- und Darmschleimhaut trennen. s. Art. umbilicalis dextra. v. Mediale "Enden der horizontalen Schambeinäste. w. Ende des rechten Haut- wulstes (9). e Figur 2. Dieselbe Ansicht, wie in der vorigen Abbildung, nach- _ dem das Kind injicirt und die vorgefallenen Eingeweide reponirt wor- den sind. Die Bezeichnungen (a—) sind dieselben, wie vorher. Man übersieht den grossen, widernatürlichen After, das grosse Darm- - schleimhautfeld (m. y.) Ueberall auf den anderen Feldern bemerkt man Gefässverzweigungen. Am zahlreichsten sind sie auf der sich dicht am lateralen Rande der Harnblase verdünnenden äusseren Haut (uw). Aber auch die Felder der Blasenschleimhaut f sind von Gefässen durchzogen. x, Dunkelrothbraune, narbige Vertiefung in der ut an der normalen Afterstelle. y. Mündung des Blinddarms, dar- iber: y. Mündung des Dünndarms. £. Mündung des Mastdarms (ganz unten im widernatürlichen After). z. Kleine Hautfalte, welche sich am unteren Rande des widernatürlichen Afters wie ein Hymen am - Scheideneingang erhebt. 206 M. Bartels: Ueber die Bauchblasengenitalspalte, Figur 3. Man sieht in das kleine Becken hinein, die Bauchdecken (A. B.) sind nach unten geschlagen, es liegt ihre Peritonealfläche vor. C. Das gelblich weisse Feld der Membrana reuniens inferior ist an D dem Nabelstrang nach unten gezogen. Man übersieht das Verhältniss der drei in den Anus praeternaturalis mündenden Abtheilungen des Darmkanals zu einander. e. d. f. g. Unteres Ende des Dünndarmes, d. Die Stelle, wo derselbe die Invagination besass. A. Blinddarm. i. Wurmfortsatz. m. Accessorisches Darmstück (Mastdarm). n. Linke Nabelarterie. Figur 4. Die Niere (rechts liegend) mit ihrem Harnleiter. «a. Der Harnleiter, der bei g mit der rechten Vagina (f) vereint verläuft und sich bei © wieder in einen Sack erweitert. 5. Der rechte Uterus mit d dem rechten Eierstock, c der rechten Muttertrompete und e dem runden Mutterband. A. Die zurückgefallene Nebenniere. /, Die Pe- ritonäalfläche des rechten Blasenschleimhautfeldes (hintere Blasenwand). Figur 5. Topographische Ansicht des unteren Theils der Bauch- höhle, nachdem die Bauchdecken (s) und das Feld der Membrana reu- niens inferior (v) mit dem Nabelstrang (w) nach unten geschlagen sind. a.d. Medianlinie des Körpers. c. Rechte, d linke Nabelarterie. e.Rechte, f. linke Art. iliaca ext. 1. Rechte Muttertrompete. 2.Rech- ter Eierstock. 3. Rechter Uterus. 4. Rechte Scheide. 5. Linke Mut- tertrompete. 6. Linker Eierstock. 7. Cyste an dem lateralen Ende desselben. 8. Linker Uterus. 9. Linke Scheide. g. Runde Mutter- bänder. A. Rechter Harnleiter, Ah‘. untere Aussackung desselben. k. Rudimentärer linker Harnleiter. m. Dünndarm. n. Blinddarm. 0. Wurmfortsatz. p. Accessorisches Darmstück (Mastdarm). r. Peri- tonäalflächen der Blasen- und Darmschleimhautfelder. . Oberschenkel. Die Abbildungen sind sämmtlich in der natürlichen Grösse ge- zeichnet worden. J > Versuche über die Harnstoffausscheidung während ; und nach der Muskelthätigkeit. Von J. WEIGELIN: aus Stuttgart. ” — Das Verhalten: der Harnstoffbildung während der Muskel- E thätigkeit ist seit Voit’s bahnbrechenden Untersuchungen Ge- genstand zahlreicher theoretischer und experimenteller Studien geworden. Die Versuchsergebnisse, welche bis jetzt gewonnen wurden, weichen übrigens, näher betrachtet, sehr viel weniger von einander ab, als die Deutungen, die man denselben unmit- telbar oder mittelbar gab, und glaube ich in vollem Recht zu sein, wenn ich als Endresultat aus sämmtlichen, von den di- # vergirendsten Standpunkten aus unternommenen Versuchen, den - Satz hinstelle: es findet eine gewisse Harnstoffvermehrung wäh- rend der Muskelthätigkeit in der That statt. Gleichwohl er- - scheint diese Zunahme gegenüber den während des sogenannten _ ruhenden Körperzustandes gebildeten Harnstoffmengen als eine - verhältnissmässig unerhebliche, sie ist in der That viel geringer, als man von der so stickstoffreichen Muskulatur im Zustand - ihrer angestrengten Thätigkeit bei dem früheren Standpunkt unseres Wissens a priori erwarten durfte. En Im Tübinger physiologischen Institute mit einer längeren "Versuchsreihe über die Harnstoffproduction unter verschiedenen physiologischen Bedingungen beschäftigt, deren Ergebnisse ich 208 J. Weigelin: bei einer späteren Gelegenheit im Einzelnen mittheilen werde, wurde ich von Herrn Prof. v. Vierordt aufgefordert, auch dem Einfluss der Muskelthätigkeit eine eingehende Berücksichtigung zu widmen, und zwar unter Versuchsbedingungen, welche von denen der übrigen Forscher möglichst abweichen sollten. Da- bei wurden mir von Herrn Prof. v. Vierordt folgende Auf- gaben gestellt: 1) Während die früheren Untersuchungen sich in der Regel auf die Harnstoffproduction innerhalb einer grösseren, selbst 24stündigen Periode bezogen, in welche die auf die Ar- beitsstunden folgenden Ruhestunden mit herein gezogen wurden, sollte die Harnstoffausscheidung sowohl während zweistündiger Muskelarbeit, als auch in den ebenfalls je zweistündigen Pe- rioden der darauf folgenden Ruhezeit untersucht werden. Ein unmittelbares Eingehen auf diese Frage wurde mir dadurch er- möglicht, dass ich bereits eine Anzahl von Erfahrungen über die Gestaltung meiner Harnstoffausscheidung in den verschiedenen Tagesstunden unter verschiedenen Bedingungen gesammelt hatte. 2) Da es nicht unwahrscheinlich erscheint, dass die Harn- stoffausscheidung bei der bedeutenden Verminderung der Harn- menge während der Muskelanstrengung etwas gehemmt werde, so empfahl sich in meinen Versuchen ein entsprechendes Was- sertrinken, um die Harnmenge während der Muskelarbeit so zu vermehren, dass sie von der normalen Harnmenge derselben Tagesstunden nicht zu sehr abwich. Freilich musste ich mir von vornherein sagen, dass durch die Wassereinverleibung der seeretorische Apparat in Verhältnisse treten könne, die mög- licherweise von den mittleren Zuständen erheblich abweichen, so dass zwei gleiche Harnmengen, die in gleicher Zeit vom ru- henden, nicht schwitzenden und vom thätigen, stark perspiri- renden, mit Wasser überschwemmten Körper abgesondert wer- den, von höchst verschiedenen Secretionsbedingungen abhängen können. Auch hier hatte mir eine gleichzeitige Versuchsreihe über die Harnstoffproduction des ruhenden Körpers bei starkem Wassertrinken die nöthigen Anhaltspunkte geliefert, um meine Versuche über die Harnstoflausscheidung während der Arbeit richtig deuten zu können, 4 I j 4 q y h' Fe En er Dr En a 7 nn a a ee RE Versuche über die Harnstoffausscheidung ote. 209 \ Endlich war mir 3) die Aufgabe gestellt, den Einfluss der anhaltenden, will- kürlichen Spannung vorzüglich der Extremitätenmuskulatur, ohne dass dieselbe Bewegungen vermitteln, auf die Harnstoff- ausscheidung zu untersuchen. Was die Bestimmung des Harnstoff- und Chlornatrium- gehaltes betrifft, so geschah dieselbe nach den von Liebig an- _ gegebenen Methoden. 'Sämmtliche Versuche stellte ich an mir selbst an; mein Alter ist 25 Jahre, mein Körpergewicht beträgt. 131, Pfund. | Zum Verständniss der unten angegebenen Tabellen habe ich Folgendes über die Versuchsbedinguugen und die während der einzelnen Versuchsstunden von mir beobachtete Lebensweise - zu bemerken: 1) „Gewöhnliche Tage* heissen solche, an welchen Mor- gens 7 Uhr ein Schoppen') Milch, von !/,8—!/,11 Uhr ein Schoppen Wasser, um 10 Uhr eine Semmel, ‘und um 12 Uhr ' Mittags .ein gewöhnliches Mittagessen mit !/; Schoppen Wein, zwischen 1 und 2 Uhr eine Tasse Kaffee mit !/,; Schoppen Zuckerwasser eingenommen wurde. 2) „Hungertage“ heissen solche, wo von Abends 6 Uhr bis den nächsten Abend um 6 Uhr bei sonst vollständiger Absti- nenz blos alle 2 Stunden !/, Schoppen Wasser getrunken wurde. Die Wassereinverleibung geschah auch Nachts, wenn ich von 2 zu 2 Stunden den Harn ansammelte. ‘Von den Versuchsreihen 1. und 2. theile ich hier blos die- ' jenigen Versuchsstunden mit, deren Kenntniss zur Vergleichung mit den Versuchen der drei folgenden Reihen 3., 4. und 5. nöthig ist, und behalte mir die Schilderung der Harnstoffproduetion in der gesammten 24stündigen Periode für eine Enätene Mitthei- E lung vor. 3) Bei der „Ueberschwemmung ohne Arbeit“ wurde Mor- gens 4 Uhr der Nachtharn gelassen, um die Harnmenge von 4—-6 Uhr isolirt zu bekommen. Um 8 Uhr wurden innerhalb - 15 Mimuten 2!/, Schoppen Wasser und 1 Schoppen Milch ge- B ———— r ‘ Mi. J 1) 1 württ. Schoppen = 417,; CCm. 210 J. Weigelin: trunken und der Harnstoffgehalt von je 2 Stunden bis 12 Uhr bestimmt. 4) Bei der „Ueberschwemmung mit Arbeit“ war der Gang des Versuches ganz wie bei den Versuchen sub 3., nur wurde als Arbeit ein zweistündiges, angestrengtes Gehen von 81/,—101/, Uhr ausgeführt. — Da sich nach den ersten Versuchen eine bedeutende Verminderung der Harnmenge herausstellte, so . wurde bei den Versuchstagen No. 3—6 um 9 und um 10 Uhr je ein Schoppen Wasser nachgetrunken. 5) Beim „Tetanus 1 Stunde“ wurde derselbe Garni des Versuchs eingehalten wie sub 3., nur wurden von 8!/,—9!/, Uhr Morgens die Yoakelooningeihirägn in der Weise ausgeführt, dass ich auf einem Sopha liegend, abwechselnd die Beuger und Strecker der Extremitäten, sowie theilweise die Muskulatur des Nackens, Rückens und Bauches in Spannung versetzte, und erst dann in eine andere Stellung überging, wenn Ermüdung ein- trat, was ungefähr alle !/,—?/; Minuten nöthig war. 6) Beim „Tetanus 2 Stunden“ wurden dieselben Muskel- contractionen von 8'!/,—10'!/; Uhr Morgens ausgeführt, und bei sonstiger völliger Abstinenz von Morgens 4 Uhr bis Nachmit- tags 2 Uhr blos alle 2 Stunden '/, Schoppen Wasser Bere — das Mittagessen erst um 2 Uhr eingenommen. Die Wasserzufuhren entsprechen also genau denjenigen der „Hungertage“. Der Unterschied besteht also blos darin, dass ich das Abendessen nicht wie bei den „Hungertagen* gänzlich ausfallen liess. Das mässige Abendessen zeigt sich übrigens auf den Harnstoff der Morgenstunden des folgenden Tags von keinem nachweisbaren Einfluss mehr, wie die Vergleichung der Harnstoff- werthe von 6—8 Uhr Morgens in den Versuchsreihen 2. und 6. deutlich zeigt. Ich kann demnach die Versuche dieser 6. Reihe mit denen der 2. Reihe ohne Bedenken vergleichen. Dass die Beibehaltung der willkürlichen Muskelspannung eine oder selbst zwei Stunden hindurch keine geringe Anstren- gung voraussetzt, brauche ich nicht zu bemerken; ich spürte die Nachwirkung meiner willkürlichen Tetani fast bis in die Abendstunden, indem ich mich merklich weniger wa als gewöhnlich fühlte, Versuche über die Harnstoffausscheidung ete.- 311 Bei dem Versuch am 9. Febr. (Tetanus 2 Stunden) wurde auch die Körpertemperatur gemessen und dieselbe um 8 Uhr - (also vor der Muskelcontraction) = 37,0 in der Achselhöhle ge- funden, während sie um 10 Uhr (gegen das Ende des Versuchs) 36,9 betrng, also eine Abnahme um 0,1° C, zeigte. Tabelle I, Mittelwerthe des Harnstoffs ın Grammen. ER, Zahl Tageszeit. Mor 8—10 |10—12 | 12—2 |d. Versuchs- a 5 tage 1. Gewöhnliche Tage. | 2,989 | 3,133 | 3,650 | 3,976 6 - 2. Hungertage....... 2,925 | 2,749 | 2,636 | 2,704 7 3. Ueberschwemmung REN ohne Arbeit ..... 2,684 | 3,913 | 2,795- 7 4. Ueberschwemmung mit Arbeit...... 2,287 | 3,728 | 3,510 6 5. Tetanus 1 Stunde. | 2,448 | 4,588 | 2,718 5 2 6. Tetanus 2 Stunden | 2,266 | 3,392 | 2,621 | 2,603 2 Tabelle I. Relative Harnstoffmengen, den Harnstoff von 6—8 Uhr Morgens = 1000 gesetzt. . 8—10 Tageszeit. Morgens. 10—12 | 12—2 1. Gewöhnliche Tage ........... 1051 1226 1324 ZH mngariaßßl.- Need cs... 940 902 924 3. Ueberschwemmung ohne Arbeit 1458 1043 - 4. Ueberschwemmung mit Arbeit. 1644 1540 Er Detanus 1 Stunde.........:.- 1872 1109 - 6. Tetanus 2 Stunden........... 1497 1157 1149 Tabelle II. Mittlere Harnvolume in CCm. Tageszeit. R More. = 8—10 10-12 | 12 9 . Gewöhnliche Tage............ 94 110 188 | 216 nnBertage N INDIE 251 182 154 216 . Ueberschwemmung ohne Arbeit 117 763 336 - . Veberschwemmung mit Arbeit. 85 425 527 . Tetanus 1 Stunde..........l 2 105 1011-- 252 L Tetanus 2 Stunden........... 126 280 165 348 ER 212 J. Weigelin: \ Tabelle IV. Relative Harnvolume, das Harnvolum‘ von 6—8 Uhr Morgens = 1000 gesetzt. Tageszeit. | 8-10 10-12 | 12—2 1. Gewöhnliche Tage ............ 1170 | 2000 | 2298 2. Hungertage......U..cocnecusse 725 613 861 3. Ueberschwemmung ohne Arbeit. | 6521 28372 f 4. Ueberschwemmung mit Arbeit.. 5000 | 6200 . 5. Tetanus 1 Stunde.....e.en0... 9629 2402 f 6. Tetanus 2 Stunden..eeessnen- 2222 | 1309 | 2762 Da auch von den Versuchsstunden 4—6 Uhr Morgens Harnstoffanalysen vorliegen, also von einer Zeit, die den Arbeits- stunden um 4—2 Stunden vorangeht, so halte ich die Angabe der betreffenden Zahlen für dienlich. In der nachfolgenden Ta- belle habe ich die Werthe von 4—8 Uhr zusammengefasst, des- gleichen die von 8$—12 Uhr; letztere Periode umfasst also die 2stündige Arbeitszeit und die darauffolgende 2stündige Ruhezeit. Tabelle V. &. b. Mittelwerthe des Harn- Relative Harnstoff- stoffs mengen, den Harnstoff in Grammen., von 4—8 = 1000 gesetzt. Tageszeit. 48 8-12 8—12 1. Gewöhnliche Tage. | 5,730 | 6,783 1206 2. Hungertage ....... | 5,586 | 5,385 964 3. Ueberschwemmung | ohne Arbeit..... | 5,321 | 6,708 1256 4. Ueberschwemmung | * mit Arbeit ...... | 5,113 | 7,238 1422 5. Tetanus 1 Stunde. | 4,619 | 7,307 1582 6. Tetanus 2 Stunden | 4,384 | 6,013 1371 ! | ‚Auf die im Vorstehenden mitgetheilten Endwerthe der ein- zelnen Versuchsreihen lasse ich nun die Einzeltage der Ver- suchsreihen 3., 4., 5. und 6, folgen, EOS Su ne un nn nen a uSn Du irn a un rt u Bo 2 2 A u Es x a Bi a2. 1 0a 2, Ze > Pr eu > a I f ; ? & Tageszeit. " Mörgens. 83 100 779 927 983 I0 910 470 80 120 936 364 ‚Tabelle VI. Ueberschwemmung ohne Arbeit. Harnmenge | Spec. Gew. Ten in CCm. b. 14° R. | Zuft. 1. Tag. 5. Mai 1867. | | 1 | | I j I 2. Tag. 4. Tag. 140 170 716 369 | 5. Tag. 120 148 603 280 | Tag. | | 1021 8 1003,;5 | 8 10045 | 8 6. Juni 1867> 106 |. ie |.18 068 | 18; 1008, | 135° 11. Juli 1867. Tag. I. 1m 105° 1006 | 135 1. August 1867. 1019 | 1019,5 10 1006 10,5 1008 12 8. August 1867. 1020 s 1016 | 11 1007 12 1009 | 19% . Tag. 14. August 1867, 1018 1023 | 13 1007 14 009 | 14 15. August; 1867, 1023 1021 14 1004 14 1013 14 1 | Versuche über die Harnstoffausscheidung etc. 213 Harnstoffgehalt in Grammen. | Proc. 2,009 | 2,42 2,050 2,05 3,056 0,55 2,514 0,66 I} 2,305 1.435 2,700 3,0 4,066 :-1-0,61 2,587 | 0,95 2,464 3,08 2,376 1,98 4,671 0,83 2,296 0,89 2,912 2,08 3,026 1,78 3,320 1,05 3,391 1,43 2,724 2,27 2,708 1,83 3,281 1,27 2,971 1,19 2,475 2,25 2,529 2,69 4,598 1,08 2,669 1,79 3,570 3,40 3,400 3,40 4,400 0,80 3,139 2,08 N EEE EEE EEE DE N RN EN ET OD EEE NE EN: 214 J. Weigelin: Tabelle VII. Ueberschwemmung mit Arbeit. Tageszeit. | Harnmenge | Spec. Gew. Temp *; Harnstoffgehalt in CCm. b. 14° R. inG pP Morgens. Luft. |in Grammen,| Proc. 1. Tag. 31. Mai 1867. 4—6 48 1029 i 1,771 3,69 6—8 60 1028 14 2,070 3,45 8—10 430 1008 14 3,115 1,21 10-12 123 1011 14,5 | 2,752 2,25 2. Tag. 20. Juni 1867. | 4—6 52 1030 : 1,399 2,69 6-8 60 1029 11 1,434 2,39 8—10 248 1008 11,5 4,654 2,78 10-12 70 1020 11,5 | . 2,799 406 3. Tag. 29. Juni 1867. | 4—6 100 1017 2,690 2,69 6—8 110 1017 11 2,629 2,39 J 8—10 499 1004 11 3,614 0,78 10—12 1072 1001 ı1 4,071 0,38 h “4. Tag. 7. Juli 1867. 4—6 170 | 1011 . 3,230 6—8 113 | 1017 13,5 2,250 8—10 534 1005 14 3,570 10—12 930° | 10045 14 3,583 5. Tag. 21. Juli 1867. 4—6 80 | 104 081.2, 108 6—8 7 1020 13 2,189 | 8—10 392 1005 14 2,897 | 10—12 525 1002 | 15 2,938 6. Tag. 17. August 1867. 4-6 118 1026,5 x 5,711 6—8 90 1027 13,5 3,150 8—10 448 1007,5 14 4,520 10—12 445 1007 14,5 4,917 7. Tag. 7. Juni 1867. Gehen v. 6— 8 Uhr. 4—6 60 1027 3,150 6—8 35 1029 15 1,890 8—10 317 1012 15 4,725 10-12 126 | 1014 165 | 4,297 n Versuche über die Harnstoffausscheidung etc. 215 Tabelle VIII. Tetanus 1 Stunde. \ Tageszeit. Een E Harnmenge | Spec. Gew. | er Harnstoffgehalt eh vl. An COm. b. 14° R. | [uft, |in Grammen. | Proc, B | \ 1. Tag. 30. November 1867. 46 77 1096 OR | 9er 2,310 3,00 \16—8 70 1013 S) 2,282 3,26 Bi 8—10 823 1002,5 10 4,016 0,75 1 10—12 218 1006 12 3,077 1,51 E: N 2. Tag. 16. Februar 1868, l 4—6 66 1026 . 2,033 3,08 N 139 1024 4,5 2,613 1,88 \ 8—10 1200 1003 8 5,160 0,45 3 10—12 286 1005 10 2,360 0,86 ” br f y Tabelle IX. s P Tetanus 2 Stunden. . Harnmenge | Spec. Gew. Tageszeit. Hemp: de: Harnstoffgehalt 4 Morgens. in CCm. b. 1a R. Luft. in Grammen. | Proc. 1 1. Tag. 2. Februar. 1868. ; 4—6 58 1027 } 1,856 3,20 N 6—8 op) 1023 : 1,650 3,00 ; 4 8—10 160 1017 9 3,104 1,64 h 10—12 182 1006 10 2,785 1,53 ” 2 N 426 1004 11 2,343 0,55 . Tag. 9. Februar 1868. on m 5 4-6 70 1022 2,380 3,40 | 68. 196 1017 | 2,881 1,47 Br 400 1008 5 3,680 0,92 10—12 148 1010 115 | 2,457 1,66 12—2 270 | 1006 | 12 2,862 1,06 4 '- Schreiten wir nun zur Vergleichung der verschiedenen - -Versuchsreihen miteinander, so ergeben sich aus Tab. I. u. I. folgende Resultate: 216 J. Weigelin: 1) Aus Reihe 3 und 4 (Ueberschwemmung ohne und Ueber- schwemmung mit Arbeit): Es findet eine Vermehrung der Harnstoffausscheidung während der Zeit der Bewegung statt, — relativ viel stärker aber ist dieselbe in der darauf folgenden 2stündigen Ruhezeit. E Wenn in Reihe 3 (ohne Arbeit) der Harnstoffwerth von 6—8 Uhr 2,68 Gramm betrug, um in Folge des Wassertrinkens um 8 Uhr in der Zeit von 8—10 Uhr auf 3,91 Gramm zu steigen, so wäre für Reihe 4 (mit Arbeit) ein Steigen des Harn- stoffs von 2,235 Gramm (6—8 Uhr) auf 3,34 Gramm. während der darauf folgenden 2stündigen Arbeitszeit zu erwarten; der Harnstoff zeigte aber im Endmittel einen Werth von 3,72 Gramm, stieg also während der Arbeit.um mehr als 10°/, stärker, als wenn der Körper ruhig geblieben wäre. Mag dieser Unterschied auch als geringfügig erklärt werden, so ist das nicht mehr mög- lich gegenüber den Harnstoffwerthen in der der Arbeit nach- folgenden Ruhezeit. Nach Tab. II. zeigen in der Versuchsreihe 3. die Stunden vor 10—12 einen wenig grösseren Harnstoffwerth, als die Stunden von 6—8 Uhr; würde die Arbeit ohne Ein- fluss sein, so müsste in Reihe 4. dem Harnstoflwerth 2,23 Gramm (6—8 Uhr) für die Stunden von 10—12 eine Harnstoffmenge von blos 2,37 Gramm entsprechen. Statt dessen erhielt ich aber 3,51 Gramm, also eine Steigerung um beinahe 50°/o. 2) Aus Reihe 5. (Istündiger Tetanus) und Reihe 3.: In der die anhaltende Muskelspannung (8—9 Uhr) einschliessenden ersten Periode (8—10 Uhr) ergiebt sich eine erhebliche Ver- mehrung der Harnstoflausscheidung, und zwar um 40°/o in runder Zahl, — dagegen ist die Nachwirkung von 10—12 Uhr geringer als bei Reihe 4; immerhin aber ist der relative Harn- stoffwerth etwas grösser, als in den Stunden von 10—12 Uhr der Reihe 3. 3) Die Versuchsreihe 6. (2stündiger Tetanus) ist aus früher i angegebenen Gründen mit der Versuchsreihe 2. (Hungertage) zu vergleichen: Die Zeit des Tetanus (3—10 Uhr) zeigt eine starke Ver- mehrung des Harnstofis, während die Nachwirkung von 10—12 Uhr minder stark hervortritt. Ohne den Tetanus würde, nach > Ku a De “ un ei che An Versuche über die Harnstoffausscheidung ete. 217 Analogie der Reihe 2 der Harnstoffwerth von 8—10 Uhr 2,12 Gramm betragen; er beläuft sich aber auf 3,39 Gramm, zeigt also die enorme Steigerung um 60°/o. Desgleichen wären _ in den beiden 2stündigen Perioden der dem Tetanus nachfol- j genden Ruhezeit nach Analogie der Reihe 2 die Harnstoffwerthe 2,04 und 2,09 zu erwarten; ich erhielt aber 2,62 und 2,60 | Gramm, also in runder Zahl um ein Viertel höhere Werthe. 4) Ganz dieselben Schlüsse erlaubt Tab. V. mit den 4stün- _ digen Perioden: die Vergleichung der Reihen 4 und 5 mit - Reihe 3 sowohl, als die der Reihe 6 mit Reihe 2, ergeben eine Vermehrung der Harnstoffausscheidung in den Versuchszeiten _ mit Arbeit. ' Um einen näheren Einblick in unsere Versuchsresultate zu gewinnen, müssen wir zunächst die Wirkung der starken Wassereinverleibung auf Harnvolum, Chlornatrium und Harn- stoffausscheidung untersuchen. Die nöthigen Anhaltspunkte hierzu liefert uns die Vergleichung der Versuchsreihe 3 mit Reihe 1. E: 1) Harnvolum. E | 6-8 | s-10 | 10-12 1170 | 2000 6521 | 2872 Reihe 1. Reihe 3. 1000 1000 Diese Vergleichung ergiebt uns als erste Wirkung der > Ueberschwemmung eine bedeutende Zunahme der Harnmenge - in den ersten 2 Stunden nach der Einverleibung; aber auch in - der folgenden Periode von 10—12 Uhr zeigt sich noch ein hö- herer Werth, als an den Normaltagen. Doch ist diese Zunahme 4 Stunden nach der Einverleibung des Getränks von der Art, F dass sich annehmen lässt, die Harnmenge werde nach 6 Stunden . jedenfalls zur Norm zurückkehren. Also fallen bei der gestei- & gerten Wasserzufuhr meine Versuchsstunden bis 12 Uhr in die 3 Periode der gesteigerten Secretion. 2) Chlornatrium. ich beschränke mich hier auf die Angabe der Endmittel ” Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1868. 15 218 J. Weigelin: in relativen Werthen, wobei für die Stunden von 6—8 der 4 Kochsalzwerth = P000 gesetzt wird. | 6-8 | s-10 | 10-12 Reihe1. | 1000 | 1302 | 1963 Reihe3. | 1000 | 3013 | 2198 3) Harnstoff. | 6 s | s-10 | 10-22 —_10 0 | 10-12 10—12 Reihe. | 1000 | 1051 Irasze 1226 Reihe3. | 1000 | 1458 | 1043 Diese Erfahrungen beweisen, dass in Folge einer plötzlichen Wassereinverleibung das Wasser des Urins ungleich stärker zu- nimmt, als das Chlornatrium, während der Harnstoff die ver- hältnissmässig geringste, aber immer noch sehr merkliche Stei- gerung zeigt. In den Stunden von 8—10 Uhr hat gegenüber den Stunden von 6—8 bei gewöhnlicher Diät das Wasservolum zugenommen um 17°/o, der Chlornatriumwerth um 30°/o, der Harnstoffwerth um 5°/,; während die Steigerungen in Folge der Wassereinverleibung für das Wasser 552°/o, das Chlorna- trium 200°/o und für den Harnstoff 45°, betrugen. Dagegen hat in den Stunden von 10—12 Uhr gegenüber den Stunden von 6—8 in Versuchsreihe 1 (gewöhnliche Diät) das Wasser zugenommen um 100°/o, Chlornatrium um 96°/o, Harn- stoff um 22°/,; während die respectiven Werthe bei der Wasser- einverleibung 187°/o (Wasser) — 119°/, (Chlornatrium) und 4°/, (Harnstoff) betragen. Die Chlornatriumausscheidung sinkt also langsamer, als die Wasserausscheidung; beide Werthe sind aber immer noch höher, als in den Versuchen ohne Wassereinverleibung. Der verhält- nissmässige Harnstoffwerth ist aber erheblich gesunken, im Ver- gleich zur Versuchsreihe 1. Die rasche Wassereinverleibung hat also den Effeet, dass sie die Harnstoffausscheidung nur kür- zere Zeit steigert und dieselbe viel früher, als dies bei den bei- den anderen Harnbestandtheilen der Fall ist, in das Gegentheil umkehrt. DEN ERSTEN, A he. a 50 BEER ERETES le Et r « Versuche über die Harnstoffausscheidung ete. 219 Demnach wird der Vorrath an Harnstoff, resp. an Harn- ‚stoffeonnponenten durch die Wassereinverleibung rasch entfernt und der Körper dadurch ärmer an den genannten Bestandtheilen, wenn man nicht — was mir als das weniger Wahrscheinliche vorkommt — auf eine Steigerung der Harnstoffproduction während der Wassereinverleibung das Hauptgewicht legen will. Doch können auch beide Momente gleichzeitig bei der Steige- rung der Harnstoffausfuhr in Frage kommen. Bei gewöhnlicher Diät (Versuchsreihe 1) ist (s. Tab. II.) das Verhältniss des Harnstoffs in den Stunden von 8$—10 Uhr durchschnittlich 1051, wenn die Harnstoffmenge von 6—8 Uhr = 1000 gesetzt wird. In der dritten Versuchsreihe ist dieses Verhältniss, in Folge der unmittelbar vorangegangenen Wasser- einverleibung, in den einzelnen Versuchstagen (Tab. VI.) der _ Reihe nach: 1491 — 1506 — 1965 — 1097 — 1211— 1818 — 1294, also ausnahmslos grösser als der Durchschnittswerth der nor- mälen Versuchsreihe ohne Wassertrinken. Für die Stunden von 10—12 dagegen ist die Verhältniss- zahl des Harnstoffs im Durchschnitt 1226 (den Harnstoff von 6—8 Uhr wiederum = 1000 'gesetzt). Die Versuche mit Was sereinverleibung bieten aber ausnahmlos geringere Werthe, näm- lich der Reihe nach: 1226-958 — 966 — 1121— 1097 — 1055 — 923, zum deutlichen Beweis, dass die in Folge der Wasser- zufuhr gesteigerte Harnstoffausfuhr sehr bald in eine Minderung sich umkehrt. Die vierte Versuchsreihe (Ueberschwemmung mit Arbeit) giebt nach Tab. II. in den Endmitteln grössere Harnstoffwerthe als die entsprechenden Stunden der dritten Reihe (Ueber- schwemmung ohne Arbeit. Die relative Harnstoffzahl der Stunden von 8—10 Uhr verhält sich in den sechs einzelnen Versuchstagen der vierten Reihe (s. die absoluten Werthe unter Tab. VII.) der Reihe nach wie 1505 — 3244 — 1367 — 1587 — 1323— 1435. Diese Werthe stehen dreimal über dem Durch- schnittswerth (1458) der dritten Reihe; einmal findet annä- hernde Gleichheit statt und zweimal liefert der arbeitende Or- ganismus sogar weniger Harnstoff, als der unter sonst gleichen Bedingungen stehende, aber nicht arbeitende. Im Allgemeinen 15* 220 J. Weigelin: zeigt immerhin die Vergleichung der Einzelversuchstage der 3 dritten und vierten Reihe eine Präponderanz der Harnstoffaus- i scheidung während der Arbeit. So ist z. B. die minimalste re- lative Harnstoffzahl bei der Arbeit (1323) höher als die drei niedersten Harnstoffzahlen (1294— 1211— 1097) ohne Arbeit. Vergleichen wir aber die relativen Harnstoffwerthe der Stunden von 10—12 in beiden Versuchsreihen, so ergiebt sich für die der Arbeit nachfolgenden Ruhestunden eine ausnahmslos höhere Harnstoffproduction. Die relativen Harnstoffwerthe von 10—12 sind in den sechs Versuchstagen der Reihe nach: 1329 — 1952 — 1549 — 1592 — 1342 — 1561; jeder dieser Werthe steht nicht blos hoch über dem Endmittel (1043), welches der relative Harnstoffwerth von 10—12 Uhr in Versuchsreihe 3 bietet, sondern es ist auch das Harnstoffmaximum 1226 (am ersten Versuchstag der dritten Reihe) noch erheblich niederer als das Harnstoffminimum 1329 (erster Versuchstag der vierten Reihe). Eine starke Nachwirkung der Muskelarbeit auf die Harnstoffausscheidung der nachfolgenden zwei Ruhestunden tritt somit in meinen Versuchen auf das Deutlichste hervor. Die fünfte Versuchsreihe (Tetanus von 8—9 Uhr) zeigt re- lative Harnstoffwerthe (der Harnstoff von 6—8 = 1000) von 1760 und 1977 in den Stunden von 8—10, also viel höhere Zahlen als die dritte Versuchsreihe für dieselben Stunden im Endmittel (1458) bietet. In den Stunden von 10—12 Uhr be- tragen die relativen Harnstoffwerthe der fünften Reihe ‚1348 und 904, schr schwankende Zahlen, die im ersten Versuchstag weit über, am zweiten unter dem gleichstündigen Endmittel (1043) der dritten Reihe stehen. Die beiden Versuchstage der sechsten Reihe (Tetanus von 8—10 Uhr) zeigen für die Stunden des Tetanus Harnstofiver- hältnisszahlen von 1880 und 1278, die erheblich höher sind als das 1194 betragende Endmittel des Harnstofis in den gleichen Stunden der mit der sechsten Reihe vergleichbaren zweiten Versuchsreihe (Hungertage). Endlich ist das Harnstoffverhält- niss in den dem Tetanus nachfolgenden zwei Stunden 1688 und 853, während das Endmittel der zweiten Versuchsreihe 902 beträgt. F2 ae en EEE TRREER u Versuche über die Harnstoffausscheidung ete. 221 Ich bin sorgfältig bemüht gewesen, in den miteinander zu _ vergleichenden Versuchsreihen alle sonstigen Bedingungen mög- ‚lichst gleich zu machen, damit der Einfluss der Ruhe des Kör- pers und der Muskelarbeit, sowie des Tetanus, um so deutlicher hervortrete. Die Harnmenge steht freilich nur sehr annähernd in der Willkür des Experimentators. Reihe 3 zeigt (s. Tab. III) ein erheblich grösseres absolutes und (in Tab. IV.) ein merklich - grösseres relatives, nämlich auf die zwei vorhergehenden Stun- den bezogenes, Harnvolum als Reihe 4; die Secretionsbedin- gungen sind also zu Ungunsten der Versuchsreihe mit Arbeit und gleichwohl erhielt ich bei der Arbeit grössere Harnstoff- werthe im Endmittel, sowie auch in der Majorität der einzelnen Versuchstage. In Reihe 5 (Tetanus) ist dagegen das Harnvolum grösser als in den Stunden von 8—10 der Reihe 3; die Per- spiration scheint demnach während der Arbeit viel mehr ge- steigert zu sein, als während des Tetanus. Die beiden ersten Versuchstage der vierten Reihe ergeben sehr kleine Harnvolume in den der Arbeit nachfolgenden beiden Ruhestunden; das relative Harnvolum von 10—12 beträgt in - Versuchsreihe 3 im Endmittel 2872, wenn die Harnmenge von 6—8 = 1000 gesetzt wird. Die genannten beiden Versuchs- tage mit Arbeit lieferten relative Harnvolume für die Stunden von 10-12 von blos 1608 im Endmittel; deshalb trank ich, wie erwähnt, am dritten bis sechsten Versuchstag um 9 und 10 Uhr je einen Schoppen Wasser, um die Harnmenge nicht h zu sehr sinken zu lassen. Der etwaige Vorwurf, durch diese Abweichung die Vergleichbarkeit der Versuche der vierten Reihe mit denen der dritten wesentlich gestört, d. h. die Harn- stoffausscheidung während der der Arbeit nachfolgenden beiden Ruhestunden künstlich gesteigert zu haben, wird durch die Harnstoffwerthe, welche die beiden ersten Versuchstage der vierten Reihe von 10-12, trotz dieser geringen Harnmengen, lieferten, widerlegt. Versuch 1 ergab 2,75 Gramm, Versuch 2 - 2,79 Gramm Harnstoff; also Verhältnisszahlen (gegenüber der Stunde von 6—8) von 1392 und 1952. Der ersten Verhältniss- zahl sehr nahe steht .mit 1342 die Verhältnisszahl des fünften Versuchstages, während die zweite Verhältnisszahl 1952 über- 222 J. Weigelin: haupt die grösste der ganzen Versuchsreihe ist, d. h. an die I kleinste Harmenge dieser Versuchsreihe war die grösste Harn- “ stoffausscheidung gebunden. | Im siebenten Versuch der vierten Reihe (7. Juni 1867) verlegte ich die Muskelarbeit auf die Stunden von 6—8; bei sehr kleinem Harnvolum (35 CCm.) erhielt ich blos 1,39 Gramm, also erheblich weniger Harnstoff während der Bewegung, als wenn der Körper ruhig geblieben wäre. Das Wassertrinken (um 8 Uhr 3!/, Schoppen, während um 9 und 10 Uhr nichts getrunken wurde) steigerte aber die Harnstoffausscheidung in den darauf folgenden Ruhestunden, bei im Ganzen nur mäs- siger Zunahme des Harnvolums, in hohem Grade. Diese Er- fahrung beweist deutlich, dass man bei den Versuchen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Harnstoffausscheidung, um sich vor Täuschungen zu bewahren, die Bedingungen so einrichten muss, dass die Harnmenge während der Bewegungs- zeit nicht unter ein gewisses Maass sinkt. Der stark perspi- rirende und athmende, arbeitende Organismus entzieht nicht blos den Nieren soviel Wasser, dass die Harnstoffausscheidung beeinträchtigt werden muss, sondern gestattet auch durch den Schweiss einer ohne Zweifel nicht unerheblichen Menge Harn- stoff den Abzug nach Aussen. Stellen sich in der darauf fol- genden Ruhezeit durch mässiges Wassertrinken die Secretions- bedingungen für die Nieren günstiger, so ist, wie meine Erfah- rung zeigt, die Möglichkeit vorhanden, dass der während der Arbeit angesammelte Harnstoff resp. die Harnstoffcomponenten, alsdann durch die Niere ausgeschieden werden kann. Ich glaube erwiesen zu haben, dass die Harnstoffausschei- dung durch die Muskelarbeit eine sehr merkbare Steigerung erfährt und dass diese Steigerung in den der Arbeit nachfol- genden Ruhestunden besonders deutlich (mit einem Plus von beinahe 50°/0) hervortritt. Bei der anhaltenden willkürlichen Spannung der Muskeln sind die Nachwirkungen geringer, die Steigerung der Harnstoffproduction während der Muskelan- strengung aber viel grösser, als wenn der Muskel wirklich ar- beitet, d. h. sich abwechselnd verkürzt. Heidenhain wies (s, dessen Schrift: Mechanische Leistung, Wärmeentwickelung si, Versuche über die Harnstoffausscheidung ete, 333 d Stoffumsatz bei der Muskelthätigkeit, Leipzig 1864) bei in Thätigkeit versetzten Froschmuskeln eine stärkere acide Reac- tion nach, wenn dieselben an der Verkürzung verhindert wur- den, als wenn sie sich verkürzen konnten; er nimmt deshalb für den ersteren Fall überhaupt einen grösseren Stoffwechsel im Muskel an. Meine Erfahrungen bestätigen ebenfalls den Satz, dass die unproductive Muskelthätigkeit mehr Harnstoff erzeugt, als die mit Arbeit verbundene. Auch kann ich Leber’s Er- fahrung (Zeitschrift für rationelle Medicin Band 18. pag. 262) dass der thätige Froschmuskel viel weniger ermüdet, wenn er Gewichte hebt, als wenn er an der Verkürzung gehindert wird, durch die von mir beobachtete stark ermüdende Nachwirkung einer 1 oder 2stündigen, willkürlichen Muskelspannung bestä- tigen. 224 H. v. Luschka: Der Musc. hyo- und genio-epiglotticus. Von Pror. Dr. H. v. LuscHkA in Tübingen. (Hierzu Taf. VIA.) Von einigen früheren Schriftstellern wird dem Deckel des menschlichen Stimmorganes ein selbstständiger, paariger Muskel zugeschrieben, welcher in der Eigenschaft eines „Levator epi- glottidis“ zwischen Zungenbein und Kehldeckel angebracht sein soll. Nachdem schon A. Vesal!) die ganz allgemein gehaltene Angabe gemacht hatte: „Duos musculos propemodum teretes ex media interiori ossis hyoidei sede explantatos et radici la- ryngis operculi insertos esse,* constatirte später auch J.B. Mor- gagni?) und zwar ebenfalls ohne weitere Ausführung die Existenz eines solchen Muskelpaares, wobei er sich lediglich auf die Bemerkung beschränkte: „Namque ut dicere praeter- mittam de gemino epiglottidis levatore, qui nempe musculi in nobis non minus quam in bobus ovibusque positi sunt.*“ Alle neueren Autoren nehmen keinen Anstand als Levator epiglot- tids Morgagnii diejenigen Bündel der Genioglossi anzu- sprechen, welche an der elastischen Grundlage des Lig. glosso- epiglotticum medium ihre Anheftung finden, obschon dieselben 1) Opera omnia anatomica. Lugd. Bat. 1725. p. 213. Lib. II. k Cap. XXI. 2) Adversaria anatomica I. 28, IEEERT 2 Be EN yare. 2 777 EEE SEEN ee m en Eee = 5 De Der Musc, hyo- und genioepiglotticus, 235 an jenem Faserstreifen so auslaufen, dass schwerlich Jemand in ihnen einen paarigen Muskel erblicken wird. Uebrigens darf schon hier die Bemerkung nicht unterbleiben, dass erst später die mit dem genannten Ligamente in Verbindung tretenden Bün- del des Zungenfleisches erkannt und von E. A. Lauth!) als „Muse. glosso-epiglotticus* zusammengefasst worden sind. Dass aber Morgagni nicht diese Fleischbündel gemeint haben kann, geht schon aus dem Umstande klar hervor, dass gerade sie bei den von ihm angeführten Thieren fehlen, während dagegen hier ein geminus epiglottidis levator in ausgezeichneter Stärke vor- handen ist. Nachdem jedoch auch die Richtigkeit der Existenz eines Musc. glosso-epiglotticus von mehreren Seiten in Zweifel gezogen worden ist, wird es unsere Aufgabe sein müssen, die _ Untersuchungen auf beide Muskeln auszudehnen. 1. Der Muse. hyo-epiglotticus. Schon die in der älteren Literatur niedergelegten Angaben sprechen nicht zu Gunsten der Existenz dieses Muskels beim Menschen. Namentlich drückt sich J. B. Winslow?) sehr vor- sichtig über sein Vorkommen aus, wenn er bemerkt: „Je n’ai pas eu occasion de l’examiner dans des sujets bien charnus; c’est pourquoi je ne suis pas bien assure, que les fibres, qui vont de la convexite de la base de l’os hyoide a la convexite de Vepislotte sont de veritables fibres charnues,“ während P. N. Gerdy‘) die bestimmte Erklärung abgiebt: „Les museles hyo- epiglottiques sont ordinairement nuls chez l’'homme, mais sen- sibles chez le boeuf et d’autres gros animaux.* Auf Grundlage zahlreicher Untersuchungen bin auch ich in den Stand gesetzt zu versichern, dass beim Menschen kein Muskel existirt, der sich von irgend welchem Bestandtheile des Zungenbeines zum Kehldeckel begiebt. Zwischen beiden ist 1) Sur la structure du larynx et de la trachee artere. Mem. de Yacad. roy. de med. T. IV. 1835. p. 112. . 2) Exposition anatomique. Amsterdam 1743. Traite de la tete. p. 343. 3) Recherches, Discussions ete. Paris 1823. p. 22. 226 H. v. Luschka: nur die gelbliche, vorzugsweise aus breiten elastischen Fasern bestehende Membrana hyo-epiglottica ausgespannt. Die mittlere 9 Abtheilung dieser Haut, welche vom oberen-hinteren Rande des Zungenbeinkörpers ausgeht und den sogenannten Valleculae hinter der Zungenwurzel zur Grundlage dient, zeichnet sich nicht blos durch beträchtlichere Dicke, sondern auch dadurch aus, dass sich ihr Gewebe zu einem medianen Leistchen erhebt, das gegen das freie Ende der Cartilago epiglottidis spitz ausläuft und durch etliche Faserzüge auch mit dem Septum linguae zusam- menhängt. Nach beiden Seiten hin verdünnt sich die Mem- brana hyo-epiglottica allmälig und erstreckt sich bis zu den Köpfchen der grossen Zungenbeinhörner, zwischen welchen und den Seitenrändern der Epiglottis sie mit einem nach hinten concaven Rande endet. Nur in höchst seltenen Ausnahmefällen fand ich) etliche zarte Fleichbündel, welche longitudinal in den mittleren Bezirk jener Membran. gleichsam eingewebt waren. Während also beim Menschen das reguläre Vorkommen eines vom Zungenbeine zum Kehldeckel gehenden Muskelappa- rates in Abrede gestellt werden muss, tritt derselbe dagegen bei verschiedenen Thieren in einer so eminenten Ausbildung auf, dass er hier zu den stärksten Muskeln des Stimmorganes gezählt werden muss. Es mag genügen, die im Wesentlichen sich gleichbleibenden Eigenthümlichkeiten desselben nur beim Rinde in eingehende Betrachtung zu ziehen, weil auf dieses Geschöpf Morgagni’s Angaben sich speciell beziehen. Seiner Darlegung müssen aber einige Bemerkungen über das Zungen- bein des Rindes vorausgeschickt werden. Im Vergleiche mit dem Menschen erscheint es zunächst augenfällig, dass die Basis und die grossen Hörner ein Stück bilden, an welchem die Aequivalente der Cornua majora auch wohl als „Gabelfortsätze“ unterschieden zu werden pflegen, indessen ein zapfenartiger, nach abwärts schauender Auswuchs des Mittelstückes als „Griff“ bekannt ist. Die am meisten ausgebildeten Bestandtheile entsprechen den 1) Zeitschrift für rationelle Medicin. 3. Reihe. Bd. XI. Taf. III, Fig. 3. 4 ey. kleinen Hörnern des menschlichen Zungenbeins, in Verbindung mit dem Lig. stylo-hyoideum und dem Griffelfortsatze, welcher bekanntlich ein ursprünglich dem Schädel fremder, Theil ist J der nur durch Verwachsung des verknöcherten obersten Ab- schnittes des anfänglich in seiner ganzen Länge knorpeligen Zungenbeinsuspensoriums mit dem Schädel an den letzteren ge- langt. Damit stimmt die vielfach beobachtete Thatsache über- ein, dass der Griffelfortsatz auch des erwachsenen Menschen noch durch Bandmasse mit dem Schädel beweglich verbunden und das Lig. stylo-hyoideum theilweise ossificirt sein kann. 3 Treffen die beiden letzteren Umstände zusammen, dann besteht x das menschliche Zungenbeinsuspensorium aus drei unter sich ; beweglich verbundenen Knochenstücken. i Dieses beim Menschen anomale Vorkommen ist beim Rinde und vielen anderen Säugern der stationäre Typus. Die beiden colossal entwickelten sogenannten Zungenbeinäste bestehen hier aus drei Stücken, von welchen das untere dem kleinen Horne vergleichbar und an der Grenze von Körper und Gabelfortsatz durch ein Gelenk angefügt ist. Das mittlere kürzeste Stück entspricht dem Lig. stylo-hyoideum, indessen das oberste längste den Processus styloideus repräsentirt und mit dem Zungen- _ beinforisatze des Schläfenbeins durch Bandmasse zusammen- hängt. Beim Rinde ist der Zungenbein-Kehldeckel-muskel entschieden paarig, doch findet eine derartige Convergenz gegen die Epiglottis statt, dass die einander zugekehrten Ränder bei- der Muskeln sich schliesslich berühren und meist einen theil- weisen Austausch ihrer Fasern erfahren. Der platte, anfangs 2 Cent. breite Musc. hyo-epiglotticus nimmt gegen sein Ende an Breite merklich ab, dagegen an Dicke dadurch einiger- 'maassen zu, dass sich die Bündel medianwärts allmälig über- einander schieben. Seinen Ursprung gewinnt der Muskel an der Innenseite der unteren Abtheilung des Zungenbeinastes, steigt sodann über den vorderen Rand der Cartilago thyreoidea - medianwärts empor, um endlich ein derbes zwischen diesem - Rande und dem Kehldeckel liegendes Fettpolster zu über- schreiten und sich kurzsehnig da am vorderen Umfange der 228 Ev. Luschka: Cartilago epiglottidis anzusetzen, wo diese beginnt den Schild- knorpel zu überragen. ir 2. Der Muse. genio-epiglotticus. Im Gegensatze zu dem eben geschilderten Bestandtheile des thierischen Kehlkopfes kann dem Kinn-Kehldeckel- Muskel des Menschen keine Selbstständigkeit zugeschrieben werden, indem diejenigen Fleischfasern, welche zur Aufrichtung seines Kehldeckels dienen, Ausläufer des beiderseitigen Genio- glossus sind. Dass aber einige Bestandtheile dieser Muskeln in eine nahe räumliche und funktionelle Beziehung zur Epi- glottis treten, ist schon von B. S. Albin!) ganz unzweideutig 3 dargelegt worden, indem dieser Forscher bemerkt: „Ubi autem genioglossus dexter sinisterque juxta posticam partem radieis linguae se contingunt et conjungunt, ibi vel ab iis, vel ab ipsa lingua assurgunt fibrae efficientes fasciculum sensim et exiliorem et angustiorem, qui per epiglottidis llgamentum medium incedens, pertinet ad illius dorsum eamque in priora erigit curvatque.* Diese wohl begründete Angabe ist später zwar von den meisten Schriftstellern adoptirt, aber ganz irrthümlich mit dem von Morgagni aufgeführten, dem Menschen: fehlenden Muskel identifieirt worden. Andere Autoren, wie namentlich Fr. Wilh. Theile:) stellen den Zusammenhang von Fasern der Genioglossi mit dem Kehldeckel völlig in Abrede, indessen einzelne Beobachter°) die Meinung hegen, dass die mit dem Lig. glosso-epiglotticum medium in Verbindung stehenden Fleisch- bündel sich mit als Ursprung des Muse. longitud. linguae su- perior betrachten lassen. Eine sorgfältige Zergliederung gewährt den bestimmtesten Aufschluss, dass ausser denjenigen Bündeln der Genioglossi, welche ihre Endigung in der Zunge erfahren, aus diesen Mus- keln noch drei Gruppen von Fasern hervorgehen, welche mit 1) Historia musculorum hominis. Edid. Hartenkeil. 1796. p. 207, 2) Die Lehre von den Muskeln. Leipzig 1841. S. 86. g 3) Vgl. €. L. Merkel, Anatomie und Physiologie des menschl, Stimm- und Sprachorganes. Leipzig 1863. 8.958. Erklärung d. Fig. 71. Der Muse. hyo- und genioepiglottieus. 299 R jenem Organe in keiner unmittelbaren Beziehung stehen. Die ’ eine Gruppe heftet sich an den medialen Umfang des kleinen - Zungenbeinhornes an, während die zweite an einen Sehnenbogen gelangt, welcher an ihrer hinteren Seite zwischen den medialen Enden der grossen Zungenbeinhörner ausgespannt ist. Der Bogen schliesst sich mittelst eines, bisweilen stellenweise Faser- kuorpelstreifen enthaltenden Gewebes innig an den oberen-hin- teren Rand der Basis des Zungenbeines an, so dass man schon 'zureichenden Gründ hat mit Blandin und Zaglas anzu- nehmen, dass keine Fasern der Genioglossi sich direct an das SREREERTRE ee Zn 1 ea Corpus ossis hyoidei inseriren. Noch viel weniger aber ist man berechtigt der Angabe Ferrein’s beizupflichten, welcher einen Theil der Faserung des Kinn-Zungenmuskels als „Genio- hyoideus superior“ unterschieden und behauptet hat, dass der- selbe an der ganzen oberen Hälfte der vorderen Fläche des - Zungenbeinkörpers seine Anheftung finde. i _ Die dritte Gruppe von Fasern der Genioglossi, welche in i der Zunge nicht endigt, taucht hinter der Wurzel aus ihrem - Fleische auf, überschreitet den oberen Rand des Zungenbeinkör- EEE WLTEBRL DEREN NE PIE pers und setzt sich von beiden Seiten her unter sehr spitzen . _ Winkeln an das Lig. glosso- epiglotticum medium an, welches ‚ihnen daher als Sehne dient, durch die sie auf die Stellung des - Kehldeckels Einfluss zu üben im Stande sind. Ohne Ausnahme schliessen sich lateralwärts an die den Musc. genio-epiglotticus - constituirende Fleichfaserung die hintersten nach rückwärts con- Ei Bündelchen derjenigen Bestandtheile des beider- ‚seitigen Musc. styloglossus an, welche, den Hyoglossus durch- brechend, in transversaler Richtung gegen das Septum linguae ; vordringen. Aus dem Voranstehenden dürfte zur Genüge hervorge- gangen sein, dass man zwar dem Genio-epiglotticus des Men- > eine mit dem Hyo-epiglotticus der Thiere übereinstim- R). Wirkung zuschreiben und ihn im Gegensatze zu den als Depressor s. Reflector epiglottidis fungirenden Ary- und Thy- reo-epiglotticus als „Levator epiglottidis“ bezeichnen muss, denselben jedoch keineswegs mit dem von J.B. Morgagni mit ‚dem letzteren Namen belegten Muskel identifieiren darf. ‚tiecum medium. 11. Zum kleinen Horne des Zungenbeines gelangende _ 230 H. v. Luschka: Der Muse. hyo- und genio-epiglottieus. Erklärung der Abbildungen. Fig. I. Der Musc. hyo-epiglottieus des Rindes. (?/s natürl. Grösse) E 1. Kehldeckel. 2. Schildknorpel. 3. Körper des Zungenbeins. 4. 4. Aeste. a. untere, b. mittlere, c. obere Abtheilung der Zungen- beinäste, 5. Linker, 6. rechter Musc. hyo-epiglotticus. Fig. I. | x Der Musc. genio-epiglotticus des Menschen. (Natürl. Grösse.) 1. Kehldeckel. 2. Kleines, 3. grosses Horn des Zungenbeins. 4. Rücken der Zunge. 5. Septum linguae. 6. Ende der Pars epi- glottica des Muse. stylopharyngeus. 7.7. Musc. hyoglossus. 8.8. Muse. styloglossus. 9.9. Membrana hyo-epiglottica. 10. Lig. glosso-epiglot- 4 Bündel des Genioglossus. 12. An einen Sehnenbogen sich inserirende unterste Bündel der genioglosssi. 13. Den Musc. genio-epiglot- ticus darstellendes Bündel der Kinn-Zungenmuskeln. 14. 14. Vom Styloglossus herrührende Verstärkungsbündel des genio-epiglotticus. | | il ann zZ u u “ww Er a Ser Te EEE EN De Eh Re a ET = ET TIERE JENE TERN . G ee a N u < rn Jr y re ö En = Th. Gies: DersFlexor digitorum etc’ 231 Der Flexor digitorum pedis communis longus und seine Varietäten. Von THEODOR GIES aus Hanau. (Hierzu Taf. VIB.) Der lange gemeinschaftliche Zehenbeuger ist schon seinem normalen Verhalten nach unstreitig einer der interessantesten, zugleich aber nicht leicht verständlichen Muskeln der unteren Extremität; unser Interesse für ihn wird. dadurch noch mehr gesteigert und erhöht, dass er zahlreichen Varietäten unterworfen ist, Um so bereitwilliger leistete ich der Aufforderung von . Seiten meines verehrtesten Lehrers, des Herrn Prof. Dr. von Luschka, Folge, diesen Muskel zum Gegenstande einer klei- nen Abhandlung zu machen, als die in der Literatur niederge- legten Angaben über denselben nicht völlig übereinstimmen, sei es, dass dies in einem wechselnden Verhalten des Muskels begründet ist, sei es, dass nicht die genügende Aufmerksamkeit von allen Seiten demselben zugewandt wurde. Weit entfernt von dem Glauben mit der genaueren Darlegung des Normal- verhaltens des flexor dig. ped. comm. long. ein völliges Novum zu bringen, zog ich seine gewöhnliche Beschaffenheit deshalb in das Bereich der Untersuchung, weil der Aufführung von Va- rietäten eines Muskels die Darstellung seines gesetzmässigen - Verhaltens nothwendig vorausgehen muss, 232 Th. Gies: Von diesen Gesichtspunkten aus nehme ich keinen Anstand, nachstehende Zeilen der Oeffentlichkeit zu übergeben. Der flexor digitorum pedis communis longus, welcher dem flexor digitorum profundus s. perforans der Hand verglichen zu werden pflegt, liegt unter sämmtlichen tiefen Wadenmuskeln, ' welche nach Wegnahme der oberflächlichen, in specie des triceps surae, popliteus und plantaris zur Ansicht kommen, am weite- sten medialwärts. Derselbe begreift zwei an Grösse, wie Lage völlig verschiedene Portionen in sich, deren längere, von der Tibia entspringend, als caput longum s. tibiale, und eine kür- zere, von der Fusswurzel aus, welche als caput breve s. plau- tare oder caro quadrata Sylvii auch accessoire du long flechis- seur des orteils nach Cruv. aufgeführt zu werden pflegt. A. Das caput longum s. tibiale bietet eine sehr in die Länge gezogene, annähernd spindelähnliche Gestalt dar, mit . dem Typus eines ganz gefiederten Muskels, welcher seine Lage in der Tiefe der hinteren Seite des Unterschenkels hat, wo er vom flexor hallueis longus theilweise überdeckt wird. Seinen Ursprung nimmt das caput longum oder der lange Zehenbeuger im engeren Sinne einerseits mit fleischigen Bündeln genau unter der Insertionsstelle des popliteus von der linea poplitea s. obliqua, welche Bündel sich weiter abwärts auf das zweite obere Viertel der medialen Kante der Tibia erstrecken und di- rect vom Knochen entspringen. Eine bei weitem ergiebigere Ursprungsfläche für den Muskel stellt sich uns andererseits in einem dünnen, fibrösen, sagittal gestellten Streifen entgegen, welcher, unter Bildung eines spitzen Winkels mit den fleischigen ‘von der Tibia kommenden Muskelfasern gleichfalls von der linea obliqua seinen Anfang nimmt und durch einige feine seh- nige Züge öfter mit der fascia poplitea im Zusammenhange steht. Im weiteren Verlaufe nimmt dieser fibröse Streifen, wel- 3 cher in seiner grössten Breite 2—2'/, Ctm. misst, seinen Ur- sprung von der äusseren, der Fibula zugekehrten Fläche der tibia, hat aber mit der membrana interossea gar nichts zu thun, Von diesem fibrösen Streifen entspringen reichliche Muskelfa- sern, um, indem sie unter spitzen Winkeln mit den «direct von der tibia kommenden Fasern an der schon hoch oben auftre- Der Flexor digitorum ete. 233 tenden Insertionssehne sich ansetzen, einen ganz gefiederten Muskel zu bilden. Auf den Rücken des Muskels entsendet der fibröse Streifen einige feine sehnige Züge, möglicherweise, um eine innigere Verbindung mit dem Fleische desselben einzu- gehen. Der fibröse Streifen, welcher also in dieser Weise an der Aussenseite des flexor digitorum longus sich abwärts zieht, bildet jetzt zwei Finger breit über dem malleolus internus eine Umschlagstelle, inserirt sich mit seinem Ende gänsefussartig auf der tibia, mit seinem anderen geht er unter Bildung eines Sehnenbogens, der mit seiner Concavität abwärts sieht, zu der Insertionssehne des flexor longus. Unter dieser Brücke oder Bogen, welcher einerseits von dem fibrösen Streifen an und für sich sowie den von ihm kommenden Muskelbündeln, andererseits von den an der medialen Kante der tibia entspringenden Fleisch- fasern gebildet wird, gleitet der tibialis posticus hinweg, so dass der flexor digit. long. an der dem tibialis post. zugekehrten Seite eine rinnenförmige Aushöhlung erfährt. Betrachten wir nun den fibrösen Streifen in seinem Ge- sammtverhalten und erwägen wir, zu welchem Zwecke er wohl da angebracht ist, so stellen sich drei Aufgaben heraus, die er zu lösen hat. Einmal gewinnt der flexor digit. long. seine meisten Muskelbündel von ihm, sodann dient er zur Scheide- wand zwischen diesem und dem tibialis posticus. Dass letzte- rer auch einige Muskelbündel von ihm bezieht, kann von kei- ner Bedeutung sein. Die Hauptaufgabe aber resultirt erst aus seinem eigenthümlichen schliesslichen Verhalten. Durch die Insertion, welche der fibröse Streifen mittelst zweier Zipfel auf der tibia erlangt, gewinnt der flexor dig. long. ein punctum fixum, sowie auch der tibialis post., indem der concave Sehnen- bogen bei seiner Ueberbrückung mit der fascia des. tibialis post. eine innige Verschmelzung erfährt; so dass also der durch den hohen Ursprung des caput longum möglicherweise entstehenden Abduction durch dieses punctum fixum schon einigermaassen begegnet wird und das caput plantare für seine Wirkung hierin ‚einige ‚Unterstützung findet. Die Lage des tibialis post. zu dem flexor dig. long. ist in der Art wechselnd, dass der erstere bis: zum Sehnenbogen Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 16 234 ai Th. Gies: fibularwärts von dem letzteren liegt, hier aber, indem der fexor long. mit seinem concaven Muskelbauche den tibialis post. über- brückt, die Sehne des letzteren jetzt vollständig medialwärts u liegen kommt. In der Rinne des Knöchels gehen beide Sehnen, von einer fibrösen Scheide festgehalten und einer Schleimscheide umschlossen, zur planta pedis, die des tibialis post., um sich mit- telst eines Zipfels am os cuneiforme I., mittelst des andern am os cuneiforme III. zu inseriren, während die Sehne des flexor dig. long. sich nach aussen wendet, um zu den vier dreigliedrigen Zehen ihre Endsehnen zu entsenden. Die Sehne des capıt long. kreuzt sich in der planta pedis mit der des flexor hallu- eis longus in der Art, dass, die Stellung der Fusssohle auf dem Boden angenommen, in der Gegend unterhalb des os cunei- forme III. die Sehne des gemeinschaftlichen langen Zehenbeu- gers unter der des flexor hallucis longus hinweggeht, bei wel- cher Gelegenheit die Sehne des letzteren Muskels ein: starkes Ri: Bündel zu der des flexor dig. long. abgiebt, welches sich auf E die Sehnen der zweiten und dritten Zehe gleichmässig vertheilt, { y oft auch grösstentheils oder gänzlich die Sehne der zweiten E Zehe bildet, welche meist noch durch einen Sehnen-Ausläufer vom caput plantare verstärkt wird. Dicht vor der Kreuzungs- E stelle breitet sich die Sehne des caput longum etwas flächen- Ei: artig aus, um sich in die vier, für die vier dreigliedrigen Zehen bestimmten Endsehnen zu theilen; hier verschmilzt dieselbe mit dem caput plantare s. breve. Die Sehnen des flexor.digit. ped. eommunis longus verhalten sich analog wie die Sehnen des flexor digit. profundus s. perforans der oberen Extremität; es 4 “ durchbohren die Sehnen des flexor digit. ped. comm. longus die Sehnen des flexor dig. ped. comm. brevis und gehen zu dem Nagelgliede der zweiten, dritten, vierten und fünften Zehe, in deren Periost sie pinselförmig ausstrahlen. B. Das caput breve s. plantare, accessoire du long flöchis- seur kommt nach Wegnahme des flexor digit. communis brevis, s in Gestalt eines platten, vierseitigen Muskels zur Ansicht. Er ist viermal so lang als breit, hat seine Lage zwischen der Sehne des flexor hallueis longus und dem abductor digiti mi- nimi und zieht in etwas schräger Richtung von hinten nach ; Der Flexor digitorum ete. 235 vorn und einwärts. Man kann an diesem Muskel genau zwei Portionen unterscheiden , die eine medialwärts liegende mit _ feischigem, die andere, mehr lateralwärts, mit sehnigem Ur- sprunge. a. Die fleischig entspringende, medialwärts liegende Bir tion des caput breve s. plantare geht mit. lose zusammenhän- genden ‚Bündeln von. der medialen Fläche des calcaneus, ge- mau unterhalb der Rinne für die Sehne des flexor hallueis lon- gus aus, wird hier vom lig. laciniatum überdeckt und hängt öfter _ durch einige Muskelbündel mit demselben zusammen. An der äusseren Seite der Sehne des flexor hall. long. läuft die fleischige Portion hin, um sich in der Gegend unterhalb des os cunei- _ forme II. auf die untere Fläche der an dieser Stelle noch un- getheilten, aber schon etwas breiter gewordenen Sehne des “ caput, longum zu legen und mit ihr zu verschmelzen. Ihr \ ‚Fleisch erstreckt sich noch etwas weiter nach vorn, wodurch sie mit dem der musculi Jumbrieales zusammenstösst. Oefter { auch geht diese Portion des Muskels eine Verschmelzung mit dem lig. calcaneo-naviculare ein. a 'b. Die zweite, sehnig entspringende, lateralwärts liegende i Portion des caput plantare nimmt ihren Anfang mittelst eines : _ dünnen, fibrösen Blattes oder Streifens von dem äusseren Plan- ; tarhöcker sowie der tuberositas calcanei, wird hier theilweise vom abductor dieiti minimi überdeckt und zieht sich von hinten 5 und aussen nach vorn und einwärts. . Mit als Ursprungsfläche kann auch das lie. calcaneo-cuboideum für diese Portion ange- ö Ehen werden, da sie öfter mit demselben eine innige Ver- 4 schmelzung eingegangen hat. Nach vorn wird die Portion RR immer fleischiger und bildet für das Grössenverhältniss der ‚ge- sammten caro quadrata einen ungewöhnlich dicken Muskel- bauch , mittelst dessen sie die nach innen liegende Portion et- we t & was überragt, um sich dann über die noch ungetheilte Sehne ‚des caput longum zu schieben und mit ihr zu verschmelzen. E: Die schiefe Richtung, welche gewöhnlich der caro quadrata im ihrem Verlaufe zugeschrieben wird, ist lediglich durch den i _ Schiefen Zug der nach aussen liegenden Portion mit tendinösem | zsprunge bedingt; diese zieht von aussen a hinten nach 16* 236 Th. Gies: vorn und einwärts, während die medialwärts liegende, mit Fleischfasern entspringende Portion völlig longitudinal verläuft und zwar annähernd in der Ebene, welche man sich durch die zweite Zehe und den calcaneus gelegt denkt. Was nun die Wirkung des flexor digitorum pedis com- munis longus in seiner Gesammtheit betrifft) so ist dieselbe unter normalen Verhältnissen weniger, als die des tiefen Fin- gerbeugers der Hand, auf das Fassen und Umgreifen eines Gegenstandes berechnet, als vielmehr darauf, die Zehen etwas zu beugen, um auf glattem Boden durch Ankrallen an denselben einen festen, sicheren Gang zu erzielen. Durch den hohen Ur- . F au a A a a an N Feen a rn a DZ 1 sprung des caput longum sowie den schrägen Verlauf seiner Sehne zur planta pedis und in derselben, ist die Nothwendig- keit gegeben, der möglicherweise entstehenden Abduction durch Anordnung eines plantaren Kopfes zu begegnen, zu welchem Zwecke wir das caput breve in der That stets bereit finden. Daher die schräg nach vorn und einwärts verlaufende Portion dieses Muskels, um durch einen schiefen Angriffspunkt noch in- ° tensiver die abducirende Thätigkeit der Sehne des langen gemein- schaftlichen Beugers zu corrigiren. C. Die Varietäten des flexor digitorum pedis communis longus. Die nachfolgenden von mir angeführten Abnormitäten sind zum Theil in der Literatur bereits angegeben; mehrere wurden mir durch die Güte meines verehrten Lehrers, dem dieselben zur Beobachtung kamen, zur Verwendung überlassen, mehrere neue andere habe ich selbst beobachtet. Die Varietäten des langen gemeinschaftlichen Zehenbeugers zerfallen in solche, welche das caput longum, und solche, welche das caput breve betreffen oder stellen Combinationen beider dar, Betrachten wir zunächst die Varietäten, welche das caput longum erfährt, so sehen wir: 1) eine Verdoppelung desselben in der Art, dass der ac- cessorische Kopf von der fibula entspringt, um sich entweder mit der Sehne des langen Kopfes zu verbinden, in welchem Falle er das caput plantare völlig ersetzt, oder um sich mit der Sehne des caput breve zu vereinigen. (Vgl. Henle, Hand- a re A nn in Beth m re Ba ir a ee Der Flexor digitorum etc. 237 buch der Muskellehre, S. 290. Luschka, Anat. d. Glieder, S. 429.) 2) In einem von mir beobachteten Falle empfängt das ca- put longum vom tibialis posticus in der Art einen accessorischen Kopf, dass genau vor dem Uebergange zur planta pedis, ober- halb der beide Sehnen umhüllenden Schleimscheide, die Fasern des tibialis post. in einem 1—1'!/s Ctm. breiten, fleischigen Zuge zur Insertionssehne des caput longum gehen, hier also eine endliche Verschmelzung beider Muskeln stattfindet, analog dem Verhältnisse, welches öfter zwischen biceps brachii und brachialis internus vorkommt, wodurch der biceps gleichsam zu einem triceps brachii wird. Soviel mir bekannt, ist dieser Fall in der Literatur noch nicht aufgeführt. 3) Während die Sehne des flexor dig. long. in der planta pedis normalerweise von der. des flexor hallucis long. ein Seh- nenbündel erhält, zieht sich abnormerweise eine feine dünne Sehne von der des flexor dig. long. zu der des flexor hall. long., neben welcher sie frei hinläuft, um mit ihr erst in der Gegend des Metatarso-phalangen-Gelenkes zu verschmelzeu, wie Fig. I. erläutert, 4) Die Sehne des caput tibiale giebt vor ihrer Verschmel- zung mit dem caput plantare zwei Muskelzüge ab, welche in Sehnen übergehen, die sich an dem Nagelgliede der vierten und fünften Zehe inseriren. Die mit dem caput plantare ver- schmolzene Sehne des flexor dig. long. giebt aber noch ihre normalen Sehnen für die vierte, sowie fünfte Zehe ab, so dass also die beiden abnormen als accessorische Auzunsen, sind, wie Fig. II. erläutert. 5) Während normalerweise die ungetheilte Sehne des caput tibiale noch vor ihrer Vereinigung mit dem caput plantare von der Sehne des flexor hall. long. ein Fascikel empfängt, geht in einem Falle, den Fig. II. zeigt, schon gleich nach dem Ein- treten der Sehne des flexor hall. long. in die planta eine Sehne von dieser ab, welche nach baldiger Spaltung sich mit der be- reits getheilten, mit dem caput plantare vereinten Sehne des flexor dig. long. verbindet, um die Sehnen der zweiten und dritten Zehe zu bilden, sodass an der Bildung der Sehnen für EEE er a ie ee se m an > 0 715 SS a u 238 Th. Gies: diese zwei Zehen der flexor dig. com, long. gar keinen oder 4 nur den geringsten Antheil hat. Gehen wir zu den Varietäten über, welchen das caput F plantare unterworfen ist. 1) Vom unteren Theil der fibula entspringen abnormer- weise Muskelbündel, die sich alsbald zu einer dünnen feinen Sehne vereinigen, welche zum dritten Gliede der kleinen Zehe geht. Während ihres Verlaufes in der planta stellt sich ein eigenthümliches Verhalten zwischen der caro quadrata und die- ser Sehne heraus. Dieser Muskel tritt nämlich direct an die Sehne heran und geht zum Theil in dieselbe über, während er seiner Hauptmasse nach unter ihr hinweg zum flexor dig. long, geht, welcher in diesem Falle keine Sehne für die kleine, son- dern nur für die zweite, dritte und vierte abgiebt. (Siehe Luschka, Anat. d. Glieder S. 429.) 2) Das caput plantare entspringt mitunter mit einer An- zahl von Muskelbündeln von dem unteren Viertel der hinteren Seite der tibia, welche unter Bildung einer feinen Sehne mit der medialwärtsliegenden normalen Portion des caput plant. sich vereinigen. (Vgl. Luschka, Anat. d. Glieder S. 429.) | 3) Die nach aussen liegende Portion des caput breve, welche tendinösen Ursprungs ist, besteht oft nur aus wenigen Fasern oder fehlt gänzlich. (Vgl. Theile, Muskellehre, S. 356.) 4) Das caput plantare tritt durch eine feine Sehne mit der des flexor hall. long. in Verbindung. (S. Theile ebendas.) 5) Die Sehne des caput plantare, welche für die kleine Zehe bestimmt ist, hat mit der Sehne des flexor dig. brevis eine innige Verschmelzung erlitten, sodass hier von einem chiasma tendinum nicht mehr die Rede ist. 6) Alle vier Endsehnen des flexor dig. ped. com. longus verschmelzen mit jenen des flexor dig. brevis. (Vgl. Hyrtl’s Anatomie S. 495.) 7) Für die fünfte Zehe geht von der medialwärts liegenden Portion des caput plantare eine Sehne ab, welche die des flexor dig. ped. com. longus, sowie die des flexor er us ersetzt. 4 8) Von der unteren Fläche der Sehne des flexor dig. ped. “: Der Flexor digitorum ete. 239 com. long. nach seiner Vereinigung mit dem caput plantare gehen Fascikel zur Sehne des flexor digitor. brevis. (S. Henle>» Muskellehre, S. 297.) 10) Die Beugesehne der zweiten Zehe wird durch ein Fascikel gebildet, welches nur von der caro quadrata Sylvii stammt. (Vgl. Hyrtl ebendas.) Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Linker Unterschenkel und Fuss von der hinteren Seite des Sce- lettes und von der plauta pedis aus gesehen zur Darlegung: der nor- malen Verhältnisse des gesammten flexor dig. ped. communis longus. 1. Mit dem tibialen Muskelbauche des flexor d. p. com. long. in Verbindung stehender fibröser Streifen. 2. Insertionsstelle desselben. 3. Sehnenbogen. 4. Caput longum s. tibiale. '5. Musc. tibialis posti- cus. 6. Caput plantare s. breve. 7. Medialwärts liegende Portion des- selben fleischigen Ursprungs. 8. Laterale Portion, tendinösen Ursprungs. 9. Verschmelzung mit dem caput longum. 10. Sehne des flexor hal- lueis longus. a Brom ll: Seelet des linken Fusses von der planta aus gesehen. 1. Sehne des flexor dig. ped. com. longus. 2. Sehne des flexor hallueis longus. 3. Zwei abnorme, von der Sehne des flexor hallueis longus, ausgehende Sehnenstreifen zu der zweiten und dritten Zehe. Fig. II. Scelet des linken Fusses von der planta aus gesehen. 1. Sehne des flexor dig. ped. com. longus. 2. Sehne des flexor hallueis longus. 3. Zwei abnorme Muskelzüge von der Sehne des flexor dig. ped. com. longus zur vierten und fünften Zehe gehend, welche diejenige Abtheilung des flexor digitor. brevis ersetzen, die in diesem Falle jenem Muskel fehlt. 240 R. Buchholz und L. Landois: Be Anatomische Untersuchungen über den Bau der Araneiden. Von Dr. REmmorLnp BucHHoLz und DR. LEONARD LANDOIS, Privatdocenten zu Greifswald. (Hierzu Taf. VII. u. VIIIA.) — I. Ueber den Spinn-Apparat von Epeira diadema. In dem verflossenen Herbste haben wir gemeinschaftlich Untersuchungen über den anatomischen Bau der Arachniden angestellt, welche indess noch nicht für alle Organsysteme zum vollkommenen Abschlusse gekommen sind, weshalb mir die Resultate unserer Beobachtungen in einzelnen auf einander fol- genden Abhandlungen mittheilen werden. Der Gegenstand der vorliegenden Mittheilung ist der ana- tomische Bau der Spinnorgane von Epeira diadema, über welche unsere Untersuchungen bereits zu Ende geführt sind. Es sind diese Organe allerdings von so zahlreichen For- schern näher untersucht worden, dass unsere Kenntniss von denselben vielleicht zu einem befriedigenden Abschluss gelangt zu sein scheinen könnte, indessen finden sich selbst der ausge- zeichneten Beschreibung, welche H. Meckel') von dem Bau dieser Organe gegeben hat, noch mancherlei Ergänzungen und 1) Müller's Archiv 1846. p. 50, Anatomische Untersuchungen etc. 241 Berichtigungen hinzuzufügen, selbst nachdem vor Kurzem eine "Abhandlung von H. Oeffinger') über diesen Gegenstand er- ‚schienen ist. Letzterer Beobachter bestätigt im Allgemeinen "sämmtliche Angaben H. Meckels, ohne die irrthümlichen An- gaben jenes Beobachters zu berichtigen. ‘Wir gehen zunächst zu der Betrachtung des inneren drü- 'sigen Theiles des Spinnapparates über, welcher bei Epeira bekanntlich eine äusserst mächtige Entwickelung. besitzt. Die ersten einigermaassen genauen Angaben über die ver- "schiedenen Drüsenformen rühren von H. Meckel her, welcher auch zum ersten Male die eigenthümliche Ausmündung der ver- schiedenen Drüsen in besonderen Ausmündungsapparaten der _ Spinnwarzen im Wesentlichen richtig erkannt hat. | Indessen giebt dieser Forscher eine zu grosse Anzahl ver- _ schiedenartiger Drüsenformen an, indem er nicht weniger als _ fünf verschiedene Arten von Drüsen unterscheidet, während in ' Wirklichkeit nur drei Formen derselben vorhanden sind. I. Die birnförmigen (blasenförmigen) Drüsen; [Glandulae aciniformes H. Meckel|. Der Anzahl nach prävaliren sie bedeutend über die übrigen - Formen, indem für jede Spinnwarze gegen hundert derselben vorhanden sind, wenngleich sie an Umfang und an Menge des gelieferten Secretes wohl kaum die weniger zahlreichen, be- " trächtlich grösseren beiden anderen Drüsenarten übertreffen . möchten, vielleicht sogar ihnen nachstehen. Die Anordnung _ dieser kleinen Drüsen in rundliche der Basis der Spinnwarze _ naheliegende Drüsenlappen ist von H. Meckel bereits hinrei- chend genau geschildert worden. Die Form der einzelnen Drü- ; sen anlangend, so bilden sie länglich ovale, birnförmig gestal- tete Blasen von 0,22 MM. Länge.?) An dem unteren Ende - verjüngen sie sich allmählich, um in einen anfangs breiteren, dann sehr eng werdenden langen Ausführungsgang sich fortzu- setzen, von denen ein beträchtliches Bündel in das Innere der 2, 2 B 4 2) Archiv f. mikrosc. Anatomie v. M. Schultze 1866. p. 1. 2) S. Fig. 2. 242 R. Buchholz und L. Landois: Spinnwarze hineintritt. Die Wandung der Blase enthält eine einfache Zellenschicht, welche polygonal abgeflacht erscheinen _ und einen Durchmesser von 0,020 MM. bis 0,024 MM. besitzen. Sie enthalten runde blasse Kerne von 0,012 MM. Durchmesser und eine Menge kleiner Tröpfehen, die aus einer stark licht- brechenden Substanz bestehen, welche in ihrer Erscheinung ganz mit der Spinnsubstanz im Innern der Ausführungsgänge übereinstimmt. Diese drüsige Wandung umschliesst einen wei- u ten mittleren Hohlraum, der ganz mit zähflüssiger Spinnsubstanz ausgefüllt ist. Der Ausführungsgang, welcher aus dieser Drüse hervorgeht, beginnt dicht oberhalb des halsförmig verengerten unteren Abschnittes derselben mit einer hier plötzlich scharf abgeschnittenen, ziemlich starken chitinisirten Intima und er- scheint als die unmittelbare Verlängerung des Lumens der Drüse, während die drüsige Zellenschicht sich noch eine Strecke weit kappenförmig über den Anfang des Ausführungsganges verlängert. Derselbe besitzt am Ursprunge einen Durchmesser von 0,024 MM., verschmälert sich aber sehr bald nach dem Austritte aus der Drüse bis auf 0,01—0,12 MM., mit welcher Breite er unverändert bis zu seiner Ausmündungsstelle an dem Spinnröhrchen verläuft. ÖOeffinger giebt das Vorhandensein des Drüsenepithels als einen Ausnahmefall an, während man sich doch mit Leichtigkeit an jedem Präparate von dem Vorhanden- sein der Drüsenzellen überzeugen kann. IL. Die eylindrischen Drüsen; [glandulae ampulla- ceae und cylindricae H. Meckel], Dieselben sind von H. Meckel als zwei verschiedenartige Formen unterschieden worden, je nachdem sie gegen den Aus- führungsgang hin mit einer ampullenartigen Erweiterung ver- sehen sind, oder nur einfache eylindrische Schläuche darstellen. Wir müssen das Vorhandensein letzterer Form in Abrede stellen, indem eine schwächer oder stärker ausgebildete Aus- dehnung gegen den Ausführungsgang hin in allen Fällen bei denselben wahrzunehmen ist, was wohl auf eine schwächere oder stärkere Anfüllung der Drüse mit Spinnsubstanz zurück- zuführen ist, Nee ah er A EUR ae Anatomische Untersuchungen etc. 243 Die cylindrischen Drüsen sind in ziemlich beschränkter Anzahl vorhanden, indem jederseits vier derselben vorhanden sind. 'H. Meckel giebt irrig sechs derartige Drüsen jederseits an, "welches von Oeffinger bestätigt wird. Ihre Form ist im Wesentlichen von den früheren Beobachtern richtig beschrieben \ worden, so dass wir darüber kurz hinweggehen können. Die stellen sehr lange einfache eylindrische Schläuche dar!), welche von der Würzel der Spinnwarze bis vorn neben die Lungen sich erstrecken und daselbst umbiegend mit mehrfachen welligen Biegungen bis zu ihrem Ursprunge zurückkehren. Vollkommen ausgestreckt erreichen sie ziemlich die Länge des Thieres selbst, wovon etwa der dritte Theil auf den ausseror- dentlich langen Ausführungsgang kommt, welcher mit doppelter Schlingenbildung , zwischen dem unteren Ende der Drüse und der Spinnwarze verläuft, so dass er gerade ausgestreckt die Länge des eigentlichen Drüsenabschnittes noch übertreffen würde. ' Der drüsige Abschnitt bildet vom hinteren Ende an einen ziemlich gleich breit bleibenden sehr langen cylindrischen Schlauch; welcher an dem Ende mit einfacher abgerundeter Spitze aufhört. Derselbe enthält ein verhältnissmässig sehr weites inneres Lumen, welches mit stark lichtbrechender Spirm- substanz vollkommen angefüllt erscheint. An seinen Wandun- gen erkennt man gleichfalls eine einfache Schicht von Drüsen- zellen, deren Durchmesser 0,020—-0,024 MM. beträgt. Sie sind vollkommen wie die Zellen der birnförmigen Drüsen beschaffen und in gleicher Weise mit einer grossen Anzahl glänzender Tröpfchen von Spinnsubstanz erfüllt. Nach dem Ausführungs- gange hin erweitert sich der Drüsenschlauch ganz allmählich und geht in eine elliptische ampullenartige Erweiterung über, aus welcher der Ausführungsgang hervorgeht. Der Bau dieser ampullenartigen Anschwellung stimmt gänzlich mit demjenigen des eylindrischen Abschnittes überein und wird diese Anschwel- lung vielleicht durch die Anhäufung der Spinnmaterie in dem unteren Theile der Drüse hervorgerufen, welche die Ampulle 1) 8. Fig. 1. e. 244 R. Buchholz und L. Landois: vollkommen ausfüllt. Der Ausführungsgang beginnt, wie bei den birnförmigen Drüsen, an dem unteren verjüngten Ende der Ampulle mit scharf abgesetzter, stark chitinisirter Intima, an welcher Stelle das Drüsenepithel ebenfalls scharf begränzt auf- hört. Dasselbe ist an seinem Ursprunge 0,065 bis 0,070 MM. breit und läuft, sich anfangs ziemlich rasch verjüngend, bis in die Gegend der Wurzel der Spinnwarze hin, um abermals schlingenförmig zurücklaufend zu der Ampulle zurückzukehren. v2 A i w 2 K x 3 Hier macht er, nachdem er an der äusseren Wandung der Am- pulle äusserlich noch eine Strecke weit gegangen ist, eine zweite schlingenförmige Umbiegung nach abwärts, nm nach der Wur- zel der Spinnwarze zurückzukehren und in dieselbe eindringend zu endigen. Die beiden soeben geschilderten Schlingen des Ausführungsganges liegen während ihres Verlaufes in einer sehr zarten bindegewebigen äusseren Hülle, welche als eine unmittel- bare Fortsetzung von der Ampulle ihren Ursprung nimmt und dicht an der Wurzel der Spinnwarze scharf abgeschnitten auf- hört. Zellige Bildungen liessen sich in dieser äusseren Umhül- lung dieses Ausführungsganges nicht erkennen. Oeffinger hält dieses soeben geschilderte, von H. Meckel ganz richtig angegebene Verhalten des Ausführungsganges für ein zufälliges und von der Präparationsmethode herrührendes, was jedoch ganz irrig ist, da dasselbe in allen Fällen ganz con- stant zu beobachten ist. Eine Verschiedenheit des Verhaltens bei den glandulae cylindricae und ampullaceae, wie sie H. Meckel angiebt, findet allerdings nicht statt. II. Die baumförmigen Drüsen; [glandulae aggre- gatae H. Meckel].') Von diesen Drüsen sind nicht, wie H. Meckel angiebt, jederseits nur zwei, sondern jederseits fünf vorhanden, von wel- chen vier auf der hinteren und eine auf der mittleren Spinn- warze ausmünden. Oeffinger bestätigt zwar ebenfalls das Vorhandensein von zwei derartigen Drüsen, indessen kann man sich von dem Vorhandensein der von uns angegebenen Zahl 1) S. Fig. 1. c. La De u u ar TE NE DE We Anatomische Untersuchun gen etc. | 945 mit "Sicherheit überzeugen, da die Ausführungsgänge dieser "Drüsenform von den Ausführungsgängen der beiden anderen ? Drüsenarten wesentlich verschieden sind und mit Leichtigkeit bis in die Spinnwarzen verfolgt werden können. Die Form dieser Drüsen als grosse, mehrfach gelappte Drüsenmassen, ist im All- gemeinen von H. Meckel richtig beschrieben worden. Die einzelnen Lappen des Drüsenkörpers zeigen eine grosse Anzahl taschenförmiger, blindsackartiger Ausstülpungen, welche mit weiter Oeffnung mit dem Lumen des Drüsenkörpers communi- eiren. Die Angabe jenes Beobachters dagegen, dass das secer- ' nirende Parenchym desselben einen röhrigen Bau besitze und - aus zahlreichen Canälen sich zusammensetze, wie dieses auch von Oeffinger bestätigt wird, müssen wir als dem Sachver- halte nicht entsprechend bezeichnen. Dem Volumen nach über- treffen diese Drüsen die beiden andern Drüsenformen ziemlich erheblich, so dass sie wohl das grösste Quantum von Spinn- substanz zu liefern scheinen. Der Structur nach stimmt das - Drüsenparenchym im Wesentlichen mit den anderen Drüsenarten - überein, indem die Wandungen des Drüsenkörpers sowohl, als auch der Blindsäcke eine einschichtige Lage polygonaler Drü- senzellen erkennen lassen. Diese Zellen sind denjenigen der ‘ eylindrischen und birnförmigen Drüsen sehr ähnlich, indessen - durchschnittlich von etwas beträchtlicherem Durchmesser: bis - 0,036 MM. Länge. Dabei erscheinen sie oft langgezogen und ' polygonal. Sie enthälten gleichfalls runde Kerne von 0,012 - —-0,016 MM. Durchmesser mit Kernkörperchen von 0,002— - 0,003 MM. Breite. Sie sind ebenfalls mit zahlreichen feinen. Tröpfehen von Spinnsubstanz erfüllt. Der Ausführungsgang ) geht, wie dieses H. Meckel und die früheren Beobachter richtig angeben, mit einem etwas trichterförmig erweiterten Ende aus der Mitte des Drüsenkörpers hervor. Derselbe hat bald nach seinem Austritt aus der Drüse einen Durchmesser - von 0,160 MM. und verschmälert sich gegen die Spinnwarze _ hin sehr allmählich bis auf 0,04 MM. Derselbe besteht aus einer f äusseren Umhüllung, welche in der Mitte des Ganges zu einer - drüsigen gelbbraunen Belegungsmasse entwickelt ist und aus einer } - sehr stark entwickelten chitinisirten Intima, welche an der Inser- \ 3 "7 946 R. Buchholz und L. Landois: tionsstelle des Ganges an den Drüsenkörper scharf abgeschnitten aufhört. Der Ausführungsgang erscheint in seiner ganzen Länge vielfach spiralig gewunden, ohne indessen derartige rück- laufende Schlingen zu bilden, wie die Ausführungsgänge ‚der eylindrischen Drüsen. Die äussere Hülle erscheint an. den bei- den Enden des Ganges, sowohl gegen den Drüsenkörper hin, als auch gegen die Spinnwarze zu, durchsichtig und” enthält hier zahlreiche rundliche oder leicht polygonale Zellen, welche gegen das Drüsenende hin 0,020 MM., an dem unteren Ende des Ganges 0,016 MM. Durchmesser haben und. mit runden zarten Kernen versehen sind. Sehr eigenthümlich gestaltet sich der mittlere Abschnitt dieser drüsigen Belegungsschicht des Ausführungsganges, indem dieselbe sich hier stark verdickt und in zahlreichen rundlichen Höckern an der Aussenseite promi- nirt, Gleichzeitig nimmt diese drüsige Schicht hier eine ziem- lich stark bräunliche Färbung an, welche gegen die beiden En- den des Ganges sich verliert. H. Meckel giebt den Bau die- ses verdickten Drüsenbelages nicht ganz richtig an, indem er denselben aus einer grossen Zahl kleiner Blindsäckchen, welche dem Gange aufsitzen und mit dem Innern der Intima commu- nieiren beschreibt. In gleicher Weise äussert sich Oeffinger und bildet (a. a. O. Fig. 19) sogar die Canäle der Blindsäcke, wie sie in das Lumen der Intima einmünden, ab, Es ist in- dessen sehr leicht, sich davon zu überzeugen, dass der Canal _ der Intima ein vollkommen scharf begrenztes und durchaus all- seitig geschlossenes Rohr darstellt, von welchem keinerlei Fort- sätze in die Belegungsmasse vorkommen. Untersucht man die Höcker des Drüsenbelages genauer"), so ergiebt sich, dass die- selben nicht hohl sind, sondern im Innern gänzlich mit kleinen rundlichen Zellen von 0,010 MM. angefüllt sind.. Die Intima selbst zeigt anscheinend keine weitere Structur, doch verhielt sie sich insofern eigenthümlich, als sie bei der Präparation. mit Nadeln mehrfach in einen spiralförmigen Faden sich abrollte, Ausser diesen drei soeben geschilderten Drüsenformen wer- den von H. Meckel noch zwei andere angegeben, indem er 1) 8. Fig. 4. Anatomische Untersuchungen ete. 247 einmal die cylindrischen in ampullenförmige und einfach cylin- drische unterscheidet, was, wie bereits erwähnt, nicht berech- tigt ist. Zweitens lässt er jederseits noch eine sogenannte knollige Drüse vorhanden sein, welche aus verzweigten, stellenweise knollig angeschwollenen Schläuchen bestehen soll. - Wir haben diese Drüse, deren Vorhandensein von Oeffinger bestätigt wird, indessen niemals auffinden können und müssen ihr Vorhandensein deshalb in Abrede stellen. 10R Die Spinnwarzen. Was den äusseren, ausleitenden Theil des Spiunapparates anbetrifft, so liegen bekanntlich die sechs Spinnwarzen bei Epeira in einem kleinen, etwa kreisförmigen Felde unmittel- | bar. unterhalb der Analöffnung. ') Sie stellen im Allgemeinen konische Bildungen dar, welche gelenkig mit der Oberfläche des Körpers artikuliren und in der Weise gegen einander con- vergirend zusammengelegt sind, dass die Spinnfelder dabei in - unmittelbaren Contact mit einander kommen. Die hinteren _ oder oberen Spinnwarzen?) stehen mit ihrem Ursprunge a nd de 2 a Ya 9 ziemlich weit von einander entfernt unmittelbar hinter dem - Rande der halbmondförmigen Klappe, welche die Afteröffnung verdeckt. Sie ‚sind in horizontaler Richtung gegen einander beweglich, wobei das länglich ovale Spinnfeld auf das ent- sprechende der mittleren Spinnwarze zu liegen kommt. Sie sind von länglich cylindrischer Form und gegen das freie Ende ‚hin konisch abgerundet und nicht, wie von H. Meckel und Oeffinger irrthümlich angegeben wird, dreigliedris, sondern ‚bestehen aus zwei Gliedern, indem das Endglied von dem ziemlich grossen Spinnfelde gebildet wird, Letzteres ist von dem eylindrischen Basalstücke durch eine schräg verlaufende starke Einschnürung getrennt, welche an dem hinteren Rande _ viel weiter nach der Basis zu sich verlängert als an dem vor- 8. Big. 5. | 6. 2) S. Fig. 248 R. Buchholz und L. Landois: deren oder unteren Rande, so dass das Spinnfeld hier sehr viel weiter nach dem Basaltheile hin verlängert erscheint, als an dem vorderen Rande. Es stellt das Spinnfeld hier eine schräg abgestutzte elliptische Fläche dar, welche an der inneren Seite der Spinnwarze befindlich ist. Der Basaltheil ist von cylindrischer Form und gegen das Spinnfeld hin schon allmählich verjüngt. An dem unteren Rande befindet sich eine Reihe längerer starker Borsten, welche mit eigenthümlichen, seitlichen, kurzen zackigen Fortsätzen ge- fiedert erscheinen. Ebenso befindet sich auf der inneren Ober- fläche an der Grenze des verlängerten Spinnfeldes eine Gruppe derartiger kürzerer steifer einfacher Borsten. Das Spinnfeld enthält einmal eine beträchtliche Anzahl der Spinnröhrchen, deren Anzahl im Ganzen auf 120 zu schätzen ist und deren Bau späterhin genauer beschrieben wer- den wird. Ausserdem befinden. sich auf dem Spinnfelde fünf grössere zapfenförmige Ausmündungsapparate der eylindrischen und baumförmigen Spinndrüsen. Die von dem hinteren Rande ausgehende, sich weit nach der Basis hinab verlängernde Fortsetzung des Spinnfeldes wird von einer mehr- fachen Reihe sehr verlängerter und dicht gedrängt stehender Spinnröhrchen eingenommen, während die Spitze und die mitt- leren Theile des Spinnfeldes nur sehr kurze Spinnröhrchen tragen. Von den zapfenförmigen Ausmündungsröhren stehen vier dicht neben einander in Eine Gruppe vereinigt, ziemlich im Mittelpunkte des Spinnfeldes, während eine getrennt davon in dem hinteren Theile des Spinnfeldes gelegen von den langen Spinnröhrchen verdeckt erscheint. Von den vier ersteren Zapfen sind drei die Ausmündungen von baumförmigen Drüsen, während einer derselben, und zwar der dritte von der Spitze aus, einer cylindrischen Drüse angehört. Der isolirt stehende hintere Zapfen ist ebenfalls zu einer baumförmigen Drüse ge- hörig. H. Meckel lässt irrthümlicher Weise in diesen Zapfen zwei baumförmige und drei eylindrische Drüsen ausmünden. Die Ränder des Spinnfeldes erscheinen ausserdem mit a er Anatomische Untersuchungen eto. 949 starken gefiederten Borsten, welche zwischen den Spinnröhrchen hervorragen, besetzt. “Die mittleren Spinnwarzen') liegen unmittelbar unter der Analöffnung; sie sind von dreiseitig pyramidaler Form. Ihre Basis ist nach vorn gerichtet, während ihre dicht an ein- ander liegenden Spitzen unmittelbar der Analklappe zugekehrt sind. Sie sind nicht, wie von H. Meckel angegeben wird, zweigliedrig, sondern nur einfach, indem sich ein von dem Spinnfelde gesondertes Basalstück nicht vorfindet. Das Spinn- feld ist von dreiseitiger Form und nimmt beinahe die ganze äussere Fläche der Warze von der Basis bis zur Spitze hin ein. Es enthält eine beträchtliche’ Anzahl langer Spinnröhrchen, deren Anzahl sich auf etwa 150 annähernd schätzen liess. Ausserdem befinden sich auf demselben drei zapfenförmige Bil- dungen, von welchen zwei dicht neben einander auf der Spitze der Warze befindlich sind und cylindrischen Drüsen angehören; ein etwas dahinter befindlicher Zapfen bildet die Ausmündung einer bauimförmigen Drüse. An der Basis, sowie an dem in- neren Seitenrande befinden sich hier ebenfalls längere Borsten. Die vorderen Spinnwarzen?) sind von plumperem coni- schem Bau und von den oberen und mittleren Spinnwarzen durch ‚einen längeren Zwischenraum getrennt. Sie stossen mit dem inneren ‘Rande ihrer Basis unmittelbar an einander und ‚sind hier nur durch ein zungenförmig, lanzettförmiges braunes Chi- tinblättehen getrennt. Sie artikuliren schräge von Aussen und Vorn nach Hinten und Innen, wobei sich ihre Spitzen mit dem kleinen Spinnfelde auf die mittleren Spinnwarzen legen. Sie bestehen aus einem grossen konischen Basalstück, von welchem ‚das 'terminale kleine Spinnfeld durch eine Einschnürung und eine braune chitinige Umsäumung abgegränzt ist. ' Das Basalglied ist von konischer Form mit sehr breiter Basis und ist an seinen beiden Seitenrändern mit mehrfachen Borstenreihen besetzt. Das Endglied ist von kappenförmiger "Gestalt und nicht vollkommen von dem Spinnfeide eingenommen, a Fe 7. 2)’ 8. Fig. 8. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 17 250 R. Buchhölz und L. Landois: indem ein mittlerer abgerundeter Theil desselben sich durch eine ziemlich breite chitinisirte Einfassung von demselben abgrenzt, innerhalb deren die Spinnröhrchen befindlich sind. Auf dem Spinnfelde befindet sich eine Anzahl von 60—70, durchgehends sehr kurzer Spinnröhrehen und ein grösserer Zapfen, welcher einer cylindrischen Drüse angehört. Es wird der Ursprung dieses Zapfens von einem Paar chitinisirter Streifen eingefasst, welche von dem Saume des Spinnfeldes ihren Ursprung nehmen. Gleichzeitig befindet sich nahe an dieser Stelle der Insertions- punkt einer sehr starken und langen Sehne, welche an der Furche zwischen Basaltheil und Endglied mit der chitinisirten Umsäumung des Spinnfeldes verschmilzt. Diese Sehne geht etwas oberhalb der Wurzel der Spinnwarze in einen starken Muskel über, welcher die Bewegung der Warze gegen die übrigen hin bewerkstelligt. Der chitinige Rand des Spinnfeldes ist ebenfalls mit einer einfachen Reihe starker Borsten versehen. Sämmtliche Spinnwarzen enthalten, wie H. Meckel rich- tig hervorhebt, eine grosse Anzahl von Muskelfasern in sich, die sowohl die Bewegung der Warzen im Ganzen, als auch der einzelnen Spinnröhrchen auf den Warzen vermitteln. Durch die Annäherung der Spinnfelder an einander und Verflechtung der Spinnröhrehen geht die Bildung eines einfachen Fadens von Statten, während beim Auseinanderspreitzen der Spinnwarzen und Röhrchen es der Spinne möglich ist, gleichzeitig eine grosse Masse Fäden von sich zu geben, wie letzteres namentlich beim Anfertigen der Eicocons und beim Einwickeln gefangener In- secten in ihrem Netze vorkommt. Der feinere Bau der Spinnröhrchen bedarf noch einer etwas näheren Besprechung, da die darüber gemachten Angaben in manchen Punkten nicht zutreffend sind, Die gewöhnlichen Spinnröhrchen stellen cylindrische röh- renförmige hornige Bildungen dar und bestehen aus einem kür- zeren oder längeren Basaleylinder, dessen Wandungen stark bräunlich gefärbt sind und einem damit verbundenen viel schmä- leren und durchsichtigen Ansatzstücke, welches in eine sehr feine und mit einer Oeffinung versehene Spitze ausläuft, Die Form dieser in grosser Menge auf sämmtlichen Spinnfeldern Anatomische Untersuchungen eto. 251 stehenden Spinnröhrchen, in welche allein die birnförmigen - Drüsen ausmünden, ist nicht an allen Spinnwarzen ganz gleich, indem namentlich diejenigen der vorderen Warzen merklich an- ders gebildet sind, als die der beiden hinteren Warzenpaare. Wir wollen daher zunächst diejenigen der hinteren Spinnwarze näher in Betrachtung ziehen. Bei diesen!) bildet das Basalglied überall ein regelmässig eylindrisches, nicht verjüngtes Rohr, welches an dem äusseren Ende, da wo sich das Ansatzstück mit demselben verbindet, quer abgeschnitten erscheint. Diese Absatzfläche ist, wie Fig. 9 darstellt, in der Mitte vollkommen gerade und flach, nach dem Rande hin hingegen leicht ausgeschweift. Der Rand derselben erscheint bei sehr starker Vergrösserung sehr stark und glatt, wonach H. Meckels Angabe, dass derselbe ausgezackt sei, zu berichtigen ist. Ganz unverständlich aber ist es, wie Oef- finger daran eine förmliche Bewimperung sehen und abbilden "konnte. Die Basis des Rohres ist mit einer ringförmigen, eben- falls braunen Verdickung der Oberfläche der Warze angefügt, in ganz ähnlicher Weise, wie ‚auch sonst Borsten- und Haarbil- dungen mit Chitinringen der Haut aufsitzen. In das Basalrohr tritt der Ausführungsgang je einer birn- förmigen Drüse und ist darin vollkommen gerade verlaufend bis zur Endfläche zu verfolgen, woselbst derselbe aufhört, als eigener Canal zu existiren und in die Höhlung des Ansatz- stückes übergeht. Das Ansatzstück hat bei den längeren Röh- ren ungefähr die halbe Länge des Basalrohres und sitzt der Absatzfläche desselben gerade im Centrum auf. Das Ansatz- stück ist von einem ziemlich geräumigen, an dem Ende sehr fein auslaufenden Hohlraume durchzogen, der an der Spitze mit einer sehr kleinen runden Oeffnung ausmündet. Die Dicke des aus diesen Spinnröhrchen hervorkommenden einzelnen Fadens liess sich auf etwa 0,001 MM. messen. Oeffinger’s Angabe, dass die Wandung des Basalcylinders nach Behandlung mit Aetzkali in zellenartige Bildungen sich auflöse, wie sie auch aus den übrigen Haarbildungen durch dieselbe Behandlung sich 1) S. Fig. 9. LS 252 R. Buchholz und L. Landois: erzeugen liessen, ist als vollkommen irrthümlich zurückzuweisen, da diese Chitinabscheidungen niemals aus zelligen Elementen gebildet sind. Dass natürlich der Inhalt des Basaleylinders beim Kochen mit Kalilauge in bläschenartige körnige Moleküle zerfällt, ist vollkommen selbstverständlich. — Die soeben ge- schilderte Form der Spinnröhrchen erleidet nur insofern an den verschiedenen Stellen des Spinnfeldes Abänderungen, als der Basaleylinder eine sehr verschiedene Länge besitzen kann, in- dem namentlich die centralen Theile der Spinnfelder mit sehr kurzen Röhren bedeckt sind. Das Ansatzstück bleibt dagegen bei diesen verschiedenen Längen des Basalstücks von unver- änderter Länge. — Etwas abweichend von dieser gewöhnlichen Form sind dagegen diejenigen Spinnröhrchen gebildet, welche auf der vorderen Spinnwarze befindlich sind. Bei diesen (siehe Fig. 10) besteht das Basalstück ans einem kurzen mehr koni- schen Abschnitt, der sich von der etwas breiteren Basis gegen das Ende zu merklich verjüngt. Dieses konische Basalstück ist mit einer stark concav ausgehöhlten Endfläche versehen, deren einer Rand etwas stärker hervorragt, als der entgegen- gesetzte. Der Rand erscheint sehr zugeschärft und vollkommen glatt. Das Ansatzstück ist beinahe doppelt so lang, als das konische Basalstück und nicht, wie bei den zuvor beschriebenen Spinnröhrcehen, gerade, sondern etwas gekrümmt. Es sitzt der ausgehöhlten Endfläche des Basaleylinders im Centrum auf. Die Spinnzapfen sind im Allgemeinen kürzere und dickere zapfenförmige Bildungen, als die soeben besprochenen Spinnröhrchen. Es unterscheiden sich diejenigen, welche den eylindrischen Drüsen angehören, dadurch von denjenigen der baumförmigen Drüsen, dass sie ein längeres und beträchtlich schlankeres Endstück besitzen, während im Wesentlichen der Bau aller dieser Bildungen ein ziemlich übereinstimmender ist. Bei der nun folgenden Beschreibung legen wir Fig. 11 zu Grunde, welche die Ausmündung einer eylindrischen Drüse auf der Spitze der mittleren Spinnwarze darstellt. Es besteht der Spinnzapfen ebenso, wie die Spinnröhrchen, aus einem Basal- stück, welches von braunen Chitinwandungen gebildet wird und einem darauf befindlichen eylindrischen, gegen die Spitze hin Anatomische Untersuchungen etc, 253 2 etwas zugespitzt erscheinenden Ansatzstücke. Der Zusammen- hang des Ausführungsganges mit diesem Zapfen ist ein ziemlich eigenthümlicher und complieirter, als sich dies nach den bis- herigen Angaben erwarten liess. Zunächst erkennt man mit Hülfe einer guten, sehr starken Vergrösserung, dass die chiti- nisirte Wandung des Ausführungsganges keineswegs einfach ist, sondern aus zwei durch einen Zwischenraum getrennten Mem- branen besteht. Die äussere dieser Membranen ist von an- sehnlicher Dicke und lässt bis zu der Stelle hin, wo sie mit der Chitinwandung des Basalgliedes sich verbindet, eine sehr “ feine senkrechte Querstreifung erkennen, was vielleicht auf eine Zusammensetzung aus eng aneinander liegenden Spiralfasern hin- weist, worauf auch die schon früher angedeutete Zerreissung der In- tima in einen spiralig gewundenen Faden bei den baumförmigen Drüsen hindeutet. Dieseäussere Chitinhülle durchsetzt den unteren ' Theil des Basalgliedes und verbindet sich gegen die Spitze des- selben in folgender Weise mit der Chitinwandung desselben. Die äussere Chitinwandung des Basalgliedes bildet nämlich an dem Ende desselben, an der Stelle, wo sich das Ansatzstück anfügt, einen eigenthümlichen Umschlag nach Innen und Hinten, wodurch eine etwa kragen- oder ringförmige Verdickungsschicht an dieser Stelle gebildet wird. An diesen umgeschlagenen Rand hinan lässt sich das Ende der äusseren Hülle des Aus- führungsganges verfolgen, welches keine senkrechte Querstrei- fung mehr zeigt und hier mit dem umgeschlagenen Rande des Chitinsaumes verschmilzt. Ausserdem bildet diese äussere Hülle dicht unterhalb des ringförmigen Chitinsaumes einen ähnlichen Um- schlag, wie der Chitinsaum des Basalstückes selbst, nach Innen, ver- mittelst dessen sie sich an die innere Hülle des Ausführungsganges anlegt und mit ihr verschmilzt. Die innere Membran des Ausfüh- rungsganges ist von der soeben beschriebenen radiär senkrecht ge- streiften durch einen nicht unbeträchtlichen Zwischenraum ge- trennt und erscheint selbst bei den stärksten Vergrösserungen nur als eine sehrzarteMembran. Sie durchsetzt die ringförmige Chitin- verdickung, welche das Ende des Basalgliedes bildet und tritt un- mittelbar in das Endglied über, bis zu dessen Spitze sie sich als ein, anfangs breiter, gegen das Ende sich verschmälernder 254 R. Buchholz und L. Landois: Canal verfolgen lässt. Das Endstück selbst entspringt von der ringförmigen Verdickung des Basalgliedes als eine unmittel- bare Fortsetzung der Ränder desselben und erscheint von dem Basalgliede keineswegs so scharf abgesetzt, wie dies bei den eigentlichen Spinnröhrchen der Fall ist. Seine Wandungen be- stehen aus einer ziemlich dicken homogenen und durchsichtigen Cutikularschicht, woran sich keine weitere Structur erkennen lässt. Der als die Verlängerung der inneren Hülle des Aus- führungsganges erscheinende Canal mündet auf der Spitze mit einer einfachen runden Oeffnung. Greifswald, den 1. Februar 1868. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Die drei Formen der Spinndrüsen, in die hintere Spinn- warze ausmündend. (Mittlere Vergr.) a. Gruppe birnförmiger Drüsen zu einem Drüsenläppchen vereinigt. b. Bündel von Ausführungsgän- gen derselben, in die Spinnwarze eintretend. c. Baumförmige Drüse, d. Ausführungsgang derselben mit dem bräunlichen drüsigen Belage. e. Cylindrische Drüse. f. Ampullenartige Erweiterung derselben. g. Anfang des Ausführungsganges aus der Ampulle. h. Die Schlingen des Ausführungsganges in eine äussere, von der Ampulle entsprin- gende Hülle eingeschlossen. i. Hintere Spinnwarze, Fig. 2. Einzelne birnförmige Drüse stark vergrössert. (Hart- nack, Syst. 8. Oc. 3.) Fig. 3. Drüsenzellen aus der Wandung einer cylindrischen Drüse stark vergr. (Hartn. Syst. 8. Oc. 3.) Fig. 4. Ein Stück des mittleren Abschnittes des Ausführungs- ganges einer baumförmigen Drüse. (Hartn. Syst. 8. Oc. 3.) a. Der Canal der Intima. b. Die mit runden Zellen erfüllten von der äus- seren Hülle gebildeten Hervorragungen. Fig. 5. Die 6 Spinnwarzen in situ, ganz auseinandergelegt, schwach vergrössert. a. Halbmondförmige Analklappe. h. Hintere, m. Mittlere, v. Vordere Spinnwarze. b. Lanzettförmiges Chitinblätt- chen zwischen den beiden vorderen Spinnwarzen. Fig. 6. Hintere Spinnwarze, stark vergrössert. (Hartn. Syst. 7. Oc. 3.) Fig. 7. Mittlere Spinnwarze. Vergr. dieselbe, Fig. 8. Vorder Spinnwarze, Vergr, dieselbe. a. brauner Chi- Anatomische Untersuchungen etc. 255 tinsaum, der das Spinnfeld abgrenzt. b. Sehne des Beugemuskels der Spinnwarze. c. Ausführungsgang der cylindrischen Spinndrüse. Fig. 9. Spinnröhrchen von der gewöhnlichen Form von der hin- teren Spinnwarze. Sehr stark vergrössert 2000: 1. Fig. 10. Spinnröhrchen von der vorderen Spinnwarze.. 2000:1. Fig. 11. Spinnkegel, in welchen eine eylindrische Drüse mün- det von der Spitze der mittleren Spinnwarze. 2000:1. a. Basalglied. b. Endstück. c Umschlag der Chitinwandung des Basalstückes, eine ringförmige Chitinverdickung an der Spitze desselben bildend. d. Aeus- sere Membran der Chitinwand des Ausführungsganges, mit senkrechter Streifung. e. Innere Membran des Ausführungsganges in den Canal des Endgliedes übergehend. Er en Fra ran Bann En nn ren az u a une a eu s u We - nn A er At Dunn A lite I ben nd zei BE Zudem EEE ET N 3 256 R WW. Krausesi. iuten/ Ueber die Endigung des N. opticus. Von W. KRAUSE, Professor in Göttingen. (Zweiter Artikel, Fortsetzung.') II. Anatomisches. In den Aussengliedern der Stäbchen des Frosches hatte Ritter (1859) eine in der Axe verlaufende feine Faser be- schrieben, welche seitdem die Ritter’sche Faser genannt wor- den ist. Dieselbe wurde von Manz (1860) und Schiess (1863) bestätigt, die, wie Ritter, an Chromsäure-Präparaten unter- suchten. Hensen (1867) sah im frischen Stäbchen-Querschnitt von der Fledermaus einen dunklen centralen Punkt, den M. Schultze (1866) zuerst bei der Maus und beim Meer- schweinchen wahrgenommen hatte, und meinte denselben auf die Ritter’sche Faser beziehen zu können. Letztere ist nicht zu verwechseln mit der im historischen Theil dieser Abhand- lung erörterten Axenfaser in den Innengliedern, welche Terminalfaser des N. opticus genannt worden ist. ‘Die Stäbchen des Frosches zeigen im frischen Zustande auch eine zarte Längsstreifung ihrer Aussenwand, welche von Hulke (1864) als eine der ersten Veränderungen, die nach dem Tode eintreten, gedeutet worden ist. M. Schultze (1867) 1) S. dieses Archiv 1867. $, 243 u. 643, Ueber die Endigung des N. opticus. 357 ah diese Längsstreifung ebenfalls bei Triton, Salamandra ma- _ culata und beim Hecht. Nach‘ letzterem Beobachter‘ kann die Streifung durch die ganze Dicke des Stäbchen - Aussengliedes reichen; Hensen (1867) dagegen fand an Osmiumsäure-Präpa- raten im Querschnitt der Froschstäbchen mitunter drei in der Axe verlaufende Fasern. . Hannover (1840) hatte ferner an den Aussengliedern eine Querstreifung beobachtet, durch welche dieselben in Scheiben oder Plättehen wie die quergestreiften Muskelfasern zerfallen. Diese seitdem jedem Mikroscopiker bekannte Erscheinung deu- tete M.Schultze (1867) als’ ein im Leben bestehendes Struc- tur-Verhältniss, und es wurde eine Theorie der Löcht-Hexeeplion darauf gegründet. N Nach eigenen Untersuchungen sind die Nana der ES abrhen (und der Zapfen) einfache homogene, wesentlich eylindrische Gebilde ohne alle Structur. Auch hier wie in so vielen, ‚anderen Fällen ist. die Untersuchung am 'ganz frischen Präparat ohne Zusatz als die mit dem Stäbchen-Aussenglied in endosmotischem Gleichgewicht stehende Glaskörperflüssigkeit desselben Thieres entscheidend. ‘Ein Jeder kann mit Leichtig- keit constatiren, dass unter diesen Umständen sich die Aussen- glieder so verhalten, wie oben angegeben wurde. Alle Angaben über einen complieirten Bau derselben stellen in Wahrheit nur Schilderungen der mannigfaltigen Veränderungen dar, welche sie durch Anwendung unpassender oder eingreifender Agentien erleiden. Die Erscheinungen, welche die verschiedenen Beob- achter ‚gesehen haben, sind sämmtlich leicht zu. bestätigen; durch die gegebene Erklärung aber lösen sich eben. so leicht die auffallenden Widersprüche, welche in der Annahme von - einer oder drei Axenfasern einerseits, und einer Plättchenstruc- - tur andererseits, unzweifelhaft enthalten sind. E Die Bedeutung der Opticus-Ellipsoide, welche in den Zapfen und Stäbchen vorkommen, konnte nicht erörtert werden, ohne die Vorfrage zu beantworten, ob die Stäbchen und Zapfen in ‚anatomischem Zusammenhange mit den Fasern des. N. op- $. tieus stehen. Unerwarteter Weise ergab die Verfolgung der 2 'Stäbchen-: und .Zapfenfasern‘ nach den inneren Schichten der 258 W. Krause: Retina hin, dass dieselben mit Ausläufern von Zellen zusammen- hängen. Diese Zellen bilden eine von Lücken unterbrochene Membrana fenestrata der Retina, wie sie von mir!) genannt worden ist. Die Zellen sind gross, multipolar, namentlich bei jüngeren Thieren kernhaltig, Die Lücken finden sich sowohl in den Zellen selbst, als zwischen ihren unter einander ver- schmelzenden Ausläufern. Nach aussen stehen die Zellen mit den bekanntlich kegelförmigen inneren Enden der Stäbchen- und Zapfenfasern in Verbindung, nach innen mit den Endi- gungen der bindegewebigen Radialfasern, welche sich anderer- seits an die Membrana limitans interna inseriren. Die Zellen der Membrana fenestrata sind gegen verdünnte Säuren und Al- kalien, gegen die verschiedenartigsten Reagentien, sowie gegen Fäulniss resistent, und zufolge ihres chemischen Verhaltens wie ihrer anatomischen Oontinuität jedenfalls bindegewebiger Natur. Die Membrana fenestrata kommt unzweifelhaft allen Wirbel- thieren zu. Beobachtet wurde sie unter den Säugern beim Menschen, Affen (Cercopithecus sabaeus), Hund, Schaf, Rind, Kaninchen, Katze; unter den Vögeln bei Falco buteo, Astur pa- lumbarius, Strix noctua, Huhn; unter den Amphibien bei Lacerta agilis und beim Frosch. Bei den Fischen ist sie ebenfalls vorhanden, aber ausserdem eine nach innen gelegene zweite Zellenschicht, die Membrana perforata genannt wer- den kann, weil sie von den durchtretenden Radialfasern per- forirt wird. Die Membrana fenestrata ist auch in der Macula lutea und an den Ora serrata vorhanden; sie fehlt nur in der Fovea centralis. | Eine Zwischenkörnerschicht in dem bisher angenommenen Sinne als feingranulirte Masse oder als netzförmiges, zum Theil flächenhaft fasriges Bindegewebe existirt also nicht. Der An- schein einer solchen ist durch den Umstand vorgetäuscht worden, dass die Zellen der Membrana fenestrata platt sind. Sie haben beim Menschen 0,0015 Mm. Dicken-, 0,012 Mm. Flächendurch- messer; die Lücken oder Fenster sind oval oder rundlich, von 1) W. Krause, Götting, Nachrichten, 19. Febr, 1868. No, 7. Ueber die Endigung des N, opticus. 959 0,0038--0,0057 Mm. In denselben liegen die äussersten Körner _ der inneren Körnerschicht, welche sich von den übrigen, wie es scheint, in mehrfacher Hinsicht unterscheiden. Die Mem- brana fenestrata besteht aus einer einfachen Zellenlage, was schon daraus hervorgeht, dass sie keinen grösseren Dicken- durchmesser besitzt, als die Zellen selbst. Die bisherige An- nahme einer dickeren Zwischenkörnerschicht beruht zum Theil auf dem Umstande, dass bei den Säugern die inneren An- schwellungen der Stäbchenfasern so klein sind, dass sie bei schwächeren Vergrösserungen punktförmig erscheinen. Die Zellen der gefensterten Membran sind bei Fischen längst bekannt; sie wurden schon von Vintschgau (1853) gesehen. Aber auch bei höheren Thieren fehlt es nicht an An- deutungen. Mit Bestimmtheit wurden Zellen in dieser Gegend bei der Schildkröte, bei Vögeln (1864), dem Rinde und Menschen wahrgenommen, worüber weitere Mittheilungen in einer besonderen Schrift erfolgen sollen. Die Erkenntniss des Zusammenhanges der Zellen der Mem- brana fenestrata nach innen und nach aussen hin bildet ein entscheidendes Moment für die Auffassung des Baues der Re- tina überhaupt. Aus dem Vorhandensein dieser Membran er- klärt sich sehr einfach die bekannte Spaltbarkeit der Retina an dieser Stelle, wodurch sie in ein äusseres und ein inneres Blatt zerfällt. Der Zusammenhang zwischen Membrana fenestrata und der Limitans externa wird, wie gesagt, durch die Zapfen- und Stäbchenfasern vermittelt. Die Radialfasern gelangen nicht weiter als bis zu der ersteren, und Fortsetzungen nach der Membrana limitans externa hin kommen höchstens ausnahms- weise vor. Um aber die Function der äusseren Retina-Schichten mit Sicherheit festzustellen, erschien es gerathen, auch noch einen anderen Weg als den anatomischen und zwar den des Experimentes einzuschlagen. Durchschneidet man beim Kaninchen den N. opticus in der Augenhöhle, so wird die Pupille erweitert und unbeweglich, die Cireulation in der Retina aber bleibt ungestört, falls keine - Nebenverletzungen angerichtet wurden. Tödtet man das Thier nach mehreren Wochen, so findet man alle Theile des Auges Zn er Zi = SF u DI u a 0 De u A u "al > Fe a di De u Fed TEE ETCE RD 2ER N En ERBE TFT 260 W. Krause: unverändert und ebenso die meisten Schichten der Retina. Die Aussen- und Innenglieder der Stäbchen und Zapfen, die äusseren Körner mit ihren characteristischen Querstreifen, die Radialfasern u. s. w. bleiben sämmtlich vollkommen normal, während die Nervenfasern fettig entarten. Letzteres zeigt sich an dem peripherischen Stumpf des N. opticus, an den Bündeln doppelteontourirter Fasern desselben in der Retina, aber auch an den einfach contourirten Fortsetzungen der letzteren, welche zum grösseren Theile die Nervenfaserschicht in der Retina des Kaninchens ausmachen. Nach diesen Erfahrungen kann die Stäbchenschicht u. s. w. nicht mehr als nervös angesehen werden, da sie nach Resection des N. opticus unverändert bleibt. Für die Erkenntniss der Optieus-Ellipsoide ist aber die Retina des Kaninchens nicht ge- eignet und es war daher erforderlich, sich an die Vögel zu wenden. In derselben Weise beim, Huhn angestellte Experi- mente zeigten sofort, dass auch die Zapfen- und Stäbchen-Ellip- soide, sowie die blassen Axenfasern der Innenglieder nach Re- section des N. opticus unverändert bleiben, mithin nicht mehr für die Nerven-Endorgane gehalten werden können. Gegen dieses überraschende und den über die Stäbchen- schicht allgemein verbreiteten Anschauungen widersprechende Resultat könnte noch der naheliegende Einwurf erhoben werden, ob nicht die Ganglienzellen der Retina, die doch der fort- dauernden Bluteireulation sich erfreuen, eine Ernährungsstörung in den äusseren Schichten der Retina verhinderten. Aber es ist leicht, diesen Einwurf zu widerlegen, denn die Ganglien- zellen degeneriren ebenfalls fettig. Sie vermögen es nicht, sich selbst gegen fettige Entartung zu schützen: wie sollten sie andere Schichten der Retina davor bewahren können? Diese Veränderung der Ganglienzellen ist ein sehr wesent- licher Punkt, ohne dessen Berücksichtigung keine bindenden Schlüsse aus den Resectionen des Sehnerven gezogen. werden konnten. Uebrigens ist das Unverändertbleiben der Stäbchen- schicht bereits in einem Falle constatirt worden, . wobei aber an den Ganglienzellen keine Veränderung bemerkt wurde. Dagegen ist die letztere, wie sie nach Durchschnei- a Ueber die Endigung des N. opticus. 961 dungen des N. vagus beim Frosch und Käninchen eintritt, be- kannt. Der aus den mitgetheilten Thatsacuen af die fehlende Continuität der Stäbchen und Zapfen mit den Öpticusfasern gezogene Schluss wird noch durch folgende Momente unter- stützt. Die Stäbchenkörner besitzen eine Querstreifung, welche durch ihre Zusammensetzung aus verschieden stark lichtbrechen- den Substanzen zu Stande kommt. Dieselbe, nur feinere Quer- streifung zeigen die Zapfenkörner beim Falken und Affen. Die schwächer-lichtbrechenden Schichten stellen biconcave Scheiben dar. Diese Zusammensetzung erinnert gleichsam an ein dioptrisches System, speciell an ein achromatisches Objectiv. Analog erscheinen in den Zapfen die früher erörterten Ellip- soide derselben. Bei Amphibien und Vögeln, welche Oeltropfen in den Zapfen besitzen, wird an der betreffenden Stelle die ganze Dicke des Zapfens von den Oeltröpfehen ausgefüllt. Durch eine Fettkugel kann nach allen unseren Kenntnissen kein Nerven- process geleitet werden; wohl aber können Aetherwellen die- selbe passiren. Was die bisher aus physiologischen. Thatsachen hergenom- menen Beweisgründe für die Licht-Perception mittelst der Stäb- chenschicht betrifft, so sind sie wesentlich auf die bekannte Parallaxe der Aderfigur zurückzuführen. Man hat dabei über- sehen, dass dieselbe Parallaxe resultiren muss, wenn die voll- kommen homogenen Aussenglieder der Stäbchen und Zapfen katoptrisch wirken und die seither noch unbekannten, wahr- . scheinlich ebenfalls Mosaik-ähnlich angeordneten Endorgane des Sehnerven nach innen von der Stäb.henschicht liegen. Es ist die Alternative gegeben: entweder sind die Stäbchen resp. Zapfen selbst die Apparate, welche die Lichtempfindung ver- mitteln, oder diese letzteren werden in merklichem Grade nur durch aus der Stäbchenschicht reflectirtes Licht angeregt. Da die erste Alternative nach dem bisher Erörterten nicht mehr zulässig ist, so verwandelt sich die erwähnte Parallaxe in einen interessanten Beweis dafür, dass nur von der Choroidea her re- fleetirtes Licht zur Perception gelangt, wodurch zugleich, wie man weiss, eine Analogie mit Einrichtungen in den Augen der Wirbellosen hergestellt ist. Endlich lehrt die Entwickelungsgeschichte, dass die Stäb-. chen und Zapfen Cuticularbildungen sind, nämlich solide Aus- wüchse der Membrana limitans externa. Man weiss aber von den anderen höheren Sinnesorganen, dass solche Outicularbil- dungen stets in der Gegend, wo die Nerven-Endigungen liegen, angetroffen werden, und so oft schon irrthümlich für nervöse Gebilde angesehen worden sind, resp. noch heute von Vielen dafür gehalten werden. „Nach Allem also — und die Gründe häufen sich von den verschiedensten Seiten — stellen Stäbchen und Zapfen, Stäb- 262 A. Baur: chen- und Zapfen-Ellipsoide, Stäbchen- und Zapfenkörner mit dem Pigment resp. dem Tapetum einen katoptrisch-diop- trischen Apparat dar. Derselbe wird fixirt oder in seiner Lage erhalten durch die Radialfasern, welche sammt den Stäb- chen- und Zapfenfasern, sowie den Membranae limitantes ex- terna und interna und der Membrana fenestrata einen binde- gewebigen Stütz-Apparat bilden. Man muss endlich drittens die nervösen Elemente in der Retina unterscheiden. Zu den letzteren gehören ÖOpticusfasern, Ganglienzellen und wahr- scheinlich ein Theil der inneren Körner. Weitere Mittheilungen, sowie Abbildungen werden vorbe- halten, wobei auch über die Untersuchungsmethoden Rechen- schaft gegeben werden soll. Ueber die beste Methode, Präparate zur Demon- stration der Höhlen und Klappen des Herzens in trockenem Zustande herzustellen. Beitrag zur anatomischen Technik von j Dr. A. Baur in Erlangen. Da die Erlanger anatomische Sammlung keine solche Prä parate hatte, ging ich vor anderthalb Jahren daran, nicht ver- wendete Brusteingeweide zu benutzen, um dergleichen herzu- stellen. Ich bediente mich zuerst der von Hyrtl (Handb. d. praet. Zergliederungskunst 1860 pag. 303 angegebenen Methode, welche darin besteht, dass man die Herzhöhlen mit Talg aus- . füllt, das Herz trocknen lässt und dann in der gehörigen Wärme so. aufstellt, dass der schmelzende Talg durch vorher einge- schnittene Oeflnungen ablaufen kann. Diese Methode hat den Nachtheil, dass die Herzsubstanz dabei ganz von Fett durch- drungen wird und das Präparat deshalb entweder ein schmutziges Ansehen behält oder eine umständliche und kostspielige Extrac- tion’ mit Terpentin und Aether verlangt. Ich habe deshalb ein anderes Verfahren versucht und aus dem, was ich inzwischen in anderen anatomischen Sammlungen von dergleichen Präpa- raten gesehen habe, die Ansicht gewonnen, dass die auf meine | g | | ö f r De ne; Ueber die beste Methode, Präparate zur Demonstration ete. 263 Weise hergestellten Präparate die bisher in den Sammlungen vorhandenen an Schönheit übertreffen. Ich ziehe daraus den’ Schluss, dass das von mir angewendete Verfahren noch wenig oder gar nicht in Gebrauch ist, und deshalb als eine kleine Verbesserung der anatomischen Technik der Mittheilung werth sein dürfte. Das Verfahren ist folgendes. An einem sorgfältig mit Er- haltung der Gefässanfänge ausgeschnittenen und von Blut ge- reinigten Herzen werden beide Hälften nach den gewöhnlichen Regeln vermittelst einer Injectionsspritze bis zur vollständigen Prallheit mit starkem Weingeist ausgefüllt. Das mit Weingeist gefüllte Herz wird wie bei dem von Hyrtl (Zergliederungsk. p- 305) als W. Hunter’sche Methode bezeichneten Verfahren in starken Weingeist gelegt und darin einige Wochen liegen gelassen. Die Herzwände werden dadurch gehärtet, aber durch die Füllung mit Weingeist am Schrumpfen verhindert, so dass sie ihre natürliche Form und ihr natürliches Volum behalten. Nach dieser W. Hunter’schen Methode behandelte Herzen lassen sich nur feucht aufbewahren und sind zur Demonstration weniger geeignet als trockene Präparate. Es giebt nun aber ein einfaches Mittel, um aus solchen Weingeistherzen trockene Präparate herzustellen, welche nichts zu wünschen übrig lassen, und welche alle Vorzüge der durch Talginjection hergestellten Präparate haben, ohne deren Nachtheile zu besitzen. Die dazu nöthige weitere Behandlung besteht darin, dass man die Füllung mit Weingeist durch eine Füllung mit Baumwolle ersetzt und dann das ausgestopfte Herz an der Luft trocknen lässt. Zu diesem Zweck wird in jede der vier Herzabtheilungen, die bei- den Vorhöfe und die beiden Ventrikel, ein rundliches Fenster geschnitten und von diesen künstlichen Oeffnungen aus die Aus- stopfung mit Baumwolle vorgenommen. Bei dem Ausstopfen hat man darauf zu achten, dass die Klappen in die zur De- monstration geeignete Stellung kommen, in dieser Stellung beim Trocknen erhalten und am Schrumpfen gehindert werden. Bei den Atrioventrikularklappen wird dieser Zweck dadurch erreicht, "dass man mit einer krummen Nadel in jeden der beiden Ven- trikel eingeht, die freien Ränder der Klappenzipfel dicht an ein- ander bringt und durch ein Paar Nähte an einander befestigt. ‚Ist dies geschehen, so nehmen die Chordae tendineae und die Papillarmuskeln von selbst die richtige Stellung ein und blei- ben in derselben, wenn die Zwischenräume zwischen ihnen all- mählig mit Baumwolle ausgefüllt werden. Bei den Seminular- klappen genügt es, um sie in die richtige Stellung zu bringen, dass man in die durch sie gebildeten Taschen von der Aorta und Pulmonalarterie aus ein Stück Baumwolle hineintreibt, und sie dadurch verhindert, sich an die Arterienwand anzulegen. Sind die Klappen in die gehörige Lage gebracht, so wird in jede Herzhöhle von dem eingeschnittenen Fenster aus Baum- wolle in kleinen Portionen so eingestopft, dass alle Theile der 264 A. Baur. Höhle, insbesondere auch alle Räume zwischen den Trabeculae carneae gleichmässig ausgefüllt sind. Es wird mit gewaltsamem Einpressen von Baumwolle so lange vorsichtig fortgefahren, bis das ausgestopfte Herz ganz die Form des mit Weingeist ge- füllten hat und bis die Füllung die Festigkeit erhalten hat, dass sie dem nachher durch die Schrumpfung beim Trocknen aus- geübten Druck Widerstand zu leisten im Stande ist, Bedingun- gen, zu deren Erfüllung ein ziemlicher Grad von Sorgfalt er- fordert wird. Sind die Herzhöhlen ausgefüllt,: so werden an den Gefässanfängen die Ligaturen entfernt und ihre Lumina gleichfalls mit Baumwolle ausgefüllt, wobei darauf zu sehen ist, dass die Gefässe möglichst ihre natürliche Rundung erhalten. Das mit Baumwolle ausgestopfte Herz wird aufgehängt und an der Luft getrocknet, was, wie bei allen mit Weingeist be- handelten Theilen, leicht und schnell geschieht. Ist das Prä- parat trocken, so wird die Baumwolle vorsichtig herausgenom- men und die den Wänden anklebenden Reste vollends durch Anzünden entfernt. Dabei hat man nur darauf zu achten, dass man die Baumwollenfüllung nicht herausnimmt, ehe die Trock- nung eine vollständige ist, weil sonst ein nachträgliches Schrumpfen eintritt, und das Präparat ein runzeliges schlechtes Aussehen erhält. Wird dieser Fehler vermieden, so behalten die Herzwände im getrockneten und leeren Zustand fast ganz ihre Form und ihren Umfang, wie an einem mit Injeetionsmasse gefüllten Herzen; und das durch Reinlichkeit und Dauerhaftig- keit ausgezeichnete Präparat ist zur Demonstration der Herz- höhlen und der darin angebrachten Theile sehr geeignet. Die Vorzüge, welche das beschriebene Verfahren vor der Methode der Talginjeetion hat, bestehen, wie schon gesagt, in der. grösseren Einfachheit des Verfahrens und der grösseren Reinlichkeit des Präparats. Ausser der Talginjeetion giebt es noch einige andere Methoden, welche im Gebrauch sind. Die eine besteht darin, dass man an mit gewöhnlicher Injeetions- masse gefüllten und getrockneten Herzen durch eingeschnittene Fenster die’ Injeetionsmasse mechanisch wieder entfernt. Hier- bei sind aber Verletzungen der Innenwände unvermeidlich und das Innere bekommt kein glattes Aussehen. Die andere Me- thode ist die, dass man die Herzhöhlen durch Aufblasen mög- liehst mit Luft füllt und in diesem Zustande trocknen lässt. Dabei ist eine bedeutende Schrumpfung unvermeidlich und für eine richtige Stellung der Klappen lässt sich nicht sorgen. Die Vorzüge, welche das beschriebene Verfahren auch vor diesen beiden Methoden hat, liegen deshalb so sehr auf der Hand, dass es nicht nöthig: ist, sie noch besonders hervorzuheben, Erlangen, April 1868. Verzeichniss von Druckfehlern. In Heft VI., 1867: S. 773 Z.18 v. o. statt 45 lies: 25 8. 774 2.19 v. o. statt das kleinere Zuleitungsrohr lies: die Canule n Da 5 RP RÜURNRURnRnUUnnMNnUn PO Dumm or m des Zuleitungsrohres In Heft I., 1868: . 13 v. o. statt englischen lies: erfahrnen .25 v. o. statt Nervenfortsätze lies: Zellenfortsätze .5 v. o. statt ein solcher lies: eine solche 4 v. o. statt letzteres lies: letzterer 3 v. o. statt Nervenorgan lies: Nervenagens 15 und 25 statt ungesäuerten lies: angesäuerten 15 statt hierüber lies: hierbei 7 v. u. statt dem halben lies: demselben 13 v. u. statt Lagerverhältniss lies: Lageverhältniss 5 v. o. statt Gaye lies: Guye 13 v. o. statt neben lies: unter 17 v. o. statt aber lies: eben 9 v. u. statt heut lies: der Haut . 7 v. o. statt Eindruck lies: Eingriff .3 v. u. statt constituirten lies: restituirten ‚44 Z. 10 v. u. statt Regegerationshergang lies: Degenerations- hergang rc NN DDOO DTM an On m © NSSSSSNSNSSSSNNSN ö u u j E 3 e» E 7 nal Bl u ol | a8 2 ee De: a un + sin Fa loragtsiieN arg AR LI 2 ON #s ta 2 a Heat tetıe:: Br "iadlasitaun "Hria er SM statt uni Bi salar Hafrotnamıaz Hals Ri a anna Yin ‘2a error na. ale ER x srargial anal zaralstst, MEIRE a j 2ichen harity Aral IETTEET ROT ehe $ ER 4 wshsrdesan: BE aoteu kaagag he Bl Ira, 12 0 ka rer R a RR ad ICE RER EEE TE EN EEE RE UNE URL, ER E) ‚uni am Hape Du tor iın East taden Mala DEHEREEN ya te | Hunt ‚2 Jall Ind Asia \g ll nm ala nal ade AN Eee | 229° 1 115m Oh Ama {6 dh, er ii N) sad HARR: Kor ar BEN RT En Ueber den Musculus orbicularıs orbitae und seinen Einfluss auf den Mechanismus der Thränenabson- derung.') “ Von Dr. P. LESSHAFT, Prosector der pract. Anatomie zu St. Petersburg. (Hierzu Tafel VIIIB.) Die Frage über den Mechanismus der Thränenabsonderung ist in der letzten Zeit von den Ophthalmologen ziemlich stark angeregt worden, aber die Discussionen darüber sind noch immer nicht zum Abschluss gekommen. Einerseits wurde behauptet, dass die Entscheidung dieser Frage nur auf rein experimentalem _ Wege geschehen kann, ohne viel Acht auf die anatomischen Verhältnisse zu geben; andererseits war die Zahl der anatomi- E schen Untersuchungen nicht ganz genügend, so dass die ge- wonnenen Resultate nicht genug entscheidend waren. Um der Wahrheit etwas näher zu kommen, unterzog ich die die Thränen- E: ableitungsorgane umgebenden Muskeln einer genaueren Unter- suchung. Das zu diesem Zwecke verbrauchte Material bestand 1) Der Aufsatz wurde in der Gesellschaft der russischen Aerzte 4 zu St. Petersburg am 1. und 16. Dec. 1866 gelesen und die entspre- chenden Präparate demonstrirt. S. Ilpomok. Ob. Pycek. Bpabei _No.5u. 6, 1866/e7, - Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 18 266 P. Lesshatft: aus 52 Köpfen, d. h. 104 Augenhöhlen von Subjeeten beiderlei ii Geschlechts, vom Neugeborenen bis zum höchsten Alter. Ausserdem untersuchte ich die Köpfe einiger (10). Säugethiere, * Re und namentlich: Hund (2), Katze (1), Kaninchen (4), Schaf (1, Kalb (1) und Pferd (1). BD. Bei der Beschreibung meiner Untersuchungen werde ich _ zuerst die Anatomie der Musculi: orbieularis, corrugator super- eilii und lacrymalis auseinandersetzen, dann werde ich einige Worte über die Canaliculi lacrymales, den saccus und canalis naso-lacrymalis hinzufügen und besonders über die Falten und Klappen der Thränenwege; schliesslich werde ich die Bedeutung der genannten Muskeln für den Mechanismus der Thränenabsen- derung zu erklären suchen. Der Auseinandersetzung jedes dieser Theile werde ich einige literarische Data, so weit sie mir zu- gänglich waren, vorausschicken. Musc. orbieularis oculi. Dieser Muskel wird von den meisten Anatomen in eine Orbital- und Palpebralportion oder in eine äussere und innere Schicht abgetheilt, ein Theil der letzteren wurde schon als m. eiliaris von Riolan!) beschrieben. Moll?) führt sein Werk Encheiridion Anatomicum®) an, wo dieser Muskel so beschrieben wird: „Orbicularium musculorum primus ciliaris est, circumdat utrumque cilium palpebrarum.* Theile) unterscheidet als m. ‘ eiliaris eine etwas dickere Schicht geradelinig verlaufender Fa- sern von höchstens 2 Lin. Breite, die den freien Palpebralrand umgeben. In den Hand- und Lehrbüchern wird dieser Muskel 1) Anthropographia. Lib, V. Cap. 10 bei Albinus. — Historia musculorum Lugd. — Bat. 1774. pag. 148, | 2) Bigdragen tot de Anatomie en Physiologie du Oogleden. Ut- recht, 1857. pag. 91: 3) Paris 1668. Lib. V.Cap. IX. — Das Original konnte ich nicht bekommen. 7 4) Soemmering’'s Lehre von den Muskeln und Gefässen des menschlichen Körpers, umgearbeitet von E, W. Theile. Leipzig 1841. pag. 28. win A r , Ueber den Musculus orbieularis orbitae. 267 sehr verschieden beschrieben; so meint Richet!), dass die Fasern dieses Muskels von einem Punkte des freien Augen- lidrandes zum anderen gehen und nicht längs der ganzen Länge, dieses Randes verlaufen. Sappey?) führt an, dass seine - Fasern von der Theilungsstelle der Sehne des Orbicularmuskels und von dem Umfange der Thränencanäle anfangen, über die Zwiebel der Cilien verlaufen und sich am Fasergewebe, wel- ‚ches die äusseren Enden der Tarsalknorpel vereinigt, befestigen, wo sich die Fasern noch kreuzen. Einige wie Meckel?), Cruveilhiert), Hyrtl’) u. s. w. zählen die ganze innere Schicht des Orbieularmuskels zum m. ciliaris. In der letzten Zeit behauptet A. Weber‘), dass er durch Faradisation und - durch Präparation unter Wasser (!?) sich von der Selbststän- digkeit dieses Muskels überzeugt hat; seine Breite, am äus- seren Augenwinkel, giebt er auf 3—5 Mm. an; er meint, dass er die ganze Breite des unteren, und manchmal beinahe den ganzen oberen Tarsus bedeckt. Aus dem Angeführten folgt, dass, wenn man einen m, ciliaris nach Riolan annehmen will, man nur diejenigen innersten Fasern des Orbicularmuskels ihm zuzählen kann, die die freien Palpebralränder umgeben. Von diesen Bündeln theilt Moll”) unter dem Namen einer „pars subtarsalis,“ Muskelfasern ab, welche sich zwischen den Haar- zwiebeln und den Meibom’schen Drüsen am Palpebralrande befestigen, ohne den äusseren Augenwinkel zu erreichen. 1) Traite pratique d’Anatomie med.-chirurg. 2. edit. Paris 1860. pag. 315. 2) Traite d’Anatomie descriptive, Tome 2, part 2, fascic. 2. Pa- ris 1855. pag. 589— 590. 3) Handbuch der menschlichen Anatomie. IV. Bd. Halle und Berlin 1820. pag. 63. 4) Traite d’Anatomie descriptive. Tome I, 2. partie. Myologie. Paris 3. edit. 1862. pag. 611. 5) Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 6. Aufl. Wien 1859. pag. 356. 6) Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde, herausgegeben von W. Zehender. 1863. Augustheft. Erlangen 1863. pag. 339—340. ML. e. pag. 9 u. 91—95 und Archiv f. Ophthalmol. v. Graefe. Bd. III, Abth. II. Berlin 1857. pag. 264265. 18* 268 P. Lesshatt: Kölliker'!) und Albini?) gedenken schon dieser Fascikel, zählen sie aber den Ciliarmuskeln zu. Von dem ÖOrbicularmuskel wird in den Hand- und Lehr! N büchern angeführt, dass seine innere oder Palpebral-Schicht (m. orbieularis internus s. palpebrarum s. mm. palpebrales su- perior et inferior) am inneren Augenwinkel beginnt, und na- mentlich vom ligamentum palpebrale internum, von der oberen Hälfte der eristae lacrymalis post., wo diese Schicht des Orbi- cularmuskels mit dem sogenannten Horner’schen Muskel zu- Y sammengeworfen wird (s. unten), und noch von der Orbital- fläche des Thränenbeins, weiter vom oberen und unteren Pal- pebralrande, soweit diese den Thränensee umgeben (Theile?). Am äusseren Augenwinkel begegnen sich die Fasern dieser Schicht unter einem spitzen Winkel und befestigen sich am ligamentum palpebrale externum, theilweise verlieren sie sich am äusseren Augenwinkel, oder gehen in Fasern des äusseren Ringmuskels über (Theile). Arlt‘) theilt den Orbicularmuskel in vier Theile und un- terscheidet je nach der Insertion: 1) einen Theil, der von der Crista des Thränenbeins beginnt, oder den sogenannten Hor- ner’schen Muskel, 2) einen vom ligamentum palpebrale begin- nenden Theil, 3) Bündel, die vom Orbitalrande abgehen, und 4) pheripherische oder accessorische Bündel. Vom zweiten Theile, welcher der erwähnten inneren Schicht entspricht, sagt er’), dass ihre Fasern aus einem spitzen Winkel, zwischen dem ligamentum palpebrale und dem Thränensacke, hervorkommen, und dass diese Fasern so fest mit der fibrösen Wand dieses Sackes zusammenhängen, dass die tieferen Fasern scheinbar von hier entspringen. Von der äusseren Schicht des Ringmuskels (m. orbicularis s Pr; Ir n . a Fa PA are F a rn Be Due a ET in > a N A er Ar BY DE Da, Te Zi An m ze 1) Mikroskopische Anat. Bd. II pag. 721. 2) Zeitschrift der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 1857. 1. Heft. Januar. pag. 29. 3) I. c. pag. 29. 4) Archiv für Ophthalmologie, herausgegeben von Graefe, us. w. IX. Bd. Abth, 1. Berlin 1863. pag. 67. 5) l. c. pag. 71. Ueber den Musculus orbicularis orbitae. 269 orbitae s. orbicularis externus s. orbitalis) wird angeführt, dass - ihre Fasern beginnen, unten: vom inneren Theile des unteren Orbitalrandes, vom Foramen infraorbitale bis zum ligamentum palpebrale internum, von diesem Bande selbst; einige Fasern beginnen dagegen theilweise über diesem Ligamente und gehen vor dem letzteren nach unten; oben beginnen die Fasern dieser Schicht vom Frontalfortsatze des Oberkiefers, Thränensacke und der Crista des Thränenbeins, hinauf bis zum angrenzenden ' Theile des Stirnbeines (Theile); der grösste Theil der Fasern umgiebt die Augenhöhlen und kehrt wieder zum Anfange zu- rück, einige Fasern dagegen gehen in die Mm. frontalis, zy- gomaticus minor und levator labii superior über. Henle!) führt an, dass die unteren Fasern von einem Theile der vor- ‘ deren Wand des Thränensackes beginnen, der am unteren Rande der Augenhöhle grenzt. Ausserdem zählt Henle zu den Fasern, die sich am oberen Rande der Augenhöhle inse- riren, auch den m. corrugator supercilii, während er die peri- pherischen Fasern, die zur Haut der Wange und der Oberlippe ' übergehen, als m: malaris s. orbieularis malaris bezeichnet. Pe Due 1 er ee De u ar he Cruveilhier?) nennt den unteren Theil dieser Schichte „muscle de bienveillance“, und den oberen Theil „muscle de la röflexion.* ; Ohne von den angeführten Beschreibungen abzuweichen, _ ertheilt Henke’) den einzelnen Theilen des Orbicularmuskels - besondere Namen und unterscheidet einen m. orbicularis orbi- i talis, m. lacrymalis anterior und lacrymalis posterior. Der \ erste Muskel beginnt nach seiner Meinung vom Nasentheil des 3 Oberkiefers und dem Stirnbeine, der zweite vom ligamentum palpebrale mediale, und der dritte vom Thränenbeine, hinter dem Thränensacke. Von den Fasern, die über dem ligamentum palpebrale in- n 1). Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen. I. Bd. III. Abth. Muskellehre, Braunschweig 1858. pag. 143. 2) 1. c. pag. 614. 3) Archiv für Ophthalmologie, herausgegeben von Graefe u.s. w. Iv. Bd. II. Abth. Berlin 1858. pag. 73. 270 P: Lesshaft: ternum beginnen, theilt Arlt') einen dreieckigen Bündel ab, dessen Spitze nach unten gerichtet ist, und dessen Basis nach oben in die Haut der inneren Hälfte der Augenbrauen endigt, sein äusserer Rand ist eoncav, aber sein innerer gerade; dieses Bündel nennt er den Herabzieher der Augenbraue. Quain-Sharpey?) theilt den Ringmuskel in einen „ei- liaris* und „orbieularis latus“, er führt an, dass dieser Muskel sich nur beim inneren Augenwinkel am Knochen befestigt, hier beginnt der Muskel von den Knochen und vom ligamentum palpebrale internum: am äusseren Augenwinkel gehen seiüe Fasern nach unten und richten sich wieder zur Insertionsstelle zurück. Malgaigne?°) theilt diesen Muskel in drei Theile: in den meist nach aussen liegenden Theil, in den die Lider bedecken- den Theil und in den Ciliartheil. Der erste Theil beginnt bei ihm vom Oberkiefer und Stirnbein und von dem vorderen und hinteren Blatte der Palpebralaponeurose, wo er noch hinzusetzt: „C’est-a-dire A toute la paroi membraneuse du canal nasal“, er meint wahrscheinlich nur die Wand des Thränensackes. Richet3) theilt den Ringmuskel in vier Theile: 1) den ausser-orbitalen Theil (extraorbitaire), dessen Fasern von der Stirn, Schläfe und Gesicht kommen; 2) den eigentlichen Or- bitaltheil (orbitaire proprement dite), der vom Rande der Augen- höhle kommt; 3) den Palpebraltheil (palpebrale), der die Lider bedeckt, und 4) in den schon angeführten Ciliarmuskel. Am inneren Augenwinkel befestigen sich eine bedeutende Anzahl Fasern am aufsteigenden Oberkiefer-Fortsatz und an der vor- deren Fläche des Thränensackes, die innersten Fasern befesti- gen sich an der „l’aponeurose d’insertion de la commissure in- terne* und an den Bändern der Palpebralknorpel. 1) 1. ec. pag. 76. 2) Elements of anatomy by Jones Quain. Seventh edition, by Allen Thompson, John Oleland and W, Sharpey. Vol, I; London 1867. pag. 171—172, » 3) Trait& d’Anatomie et de chirurgie experimentale. Tome 1. Paris 1859. pag. 659—660, 4) Op. c. pag. 315. > TE EWEEET OT IE DEELLETIEIEN DEDIO Er. Ueber den Musculus orbicularis orbitae. 271 Foltz!) weist noch auf die Befestigung der Fasern des x Palpebraltheils des Ringmuskels an der Scheide der Thränen- kanäle hin, und namentlich an der vorderen Fläche und am äusseren oder convexen Rande dieser Canäle. M. Bourjot Saint Hilaire?) beschreibt noch zwei Mus- keln; einer dieser Muskeln wird später zur Sprache kommen, den andern nennt er „dilateur superieur.* Der Anfangstheil dieses Muskels verschmilzt mit dem Anfange des M. corrugator super- eili und mit dem Schwanze des oceipito-frontal Muskels, er befestigt sich am oberen Theil des Thränensackes, über der Sehne des Ringmuskels. Dieser Muskel wird wohl mit dem von Arlt unter dem Namen eines Herabziehers der Augen- braue beschriebenen Muskel identisch sein. Endlich muss ich noch der, von Moseley°) beschriebenen, Muskelfasern gedenken, die er in einer grossen Zahl von Köpfen fand; sie beginnen innerhalb der Augenhöhle vom Joch- bein, vor der Naht dieses Knochens mit dem Orbitalflügel und verlieren sich in der Bindegewebemasse des äusseren Augen- winkels. Ueber das Ligamentum palpebrale internum (lg. palpebrale internum auct., lig. palpebrale mediale — Henle, tendo-palpebrarum — Quain-Sharpey, tendon direct du muscle orbieulaire — Cruveilhier, lig. interpalpebrale inter- num — Huschke, lig. angulaire interne — Tenon, lig. des tarses — Winslow etc.) ist noch zu bemerken, dass einige Anatome, wie z. B. Arnold‘), Cruveilhier°), Quain-Shar- 1) Anatomie et Physiologie des conduits lacrymaux, — Annales d’Oculistigue. Tome XLIII. 8. serie. Tome 3, — 5 et 6 livraisons. 1860. pag. 232. 2) Considerations generales sur les voies lacrymales. — Journ. des connais. medico-chirurg. Fevrier 1853. S. Malgaigne 1.c. pag. 715. “ (Das Original konnte ich nicht bekommen.) 3) Monthly Journ. 1853. Dec. pag. 485. (Das Original konnte ich nicht bekommen.) 8. b. Henle. 1. c. pag. 143. 4) Handbuch der Anatomie des Menschen. 2. Band. 2. Abth. Freiburg im Breisgau. 1851. pag. 978—979. 5) l. c. pag. 610. ü Da .% ne a nn Fe an EEE > a ne 6 et 272 P. Lesshaft: pey!) u. s. w. es für eine Sehne des ÖOrbicularmuskels an- nehmen; sie führen an: dass der sehnige Theil dieses Muskels sich vom inneren Augenwinkel bis zum Stirnfortsatze des Ober- kiefers in horizontaler Richtung einwärts erstreckt; nach ihrer Meinung verbindet sich diese Sehne noch ausserdem mit dem inneren Ende des Palpebralknorpels. Cruveilhier unter- scheidet noch ein starkes aponeurotisches Fascikel, welches sich von der hinteren Fläche des Ligaments abtheilt und die äussere Wand des Thränensackes bildet, er nennt dieses Fascikel: ten- don reflechi du muscle orbieulaire. Andere, wie z. B. Maier?), W. Henke‘), fassen dieses Ligament als selbstständiges Organ auf, welches sich nach Henke, als feste Fasermasse darstellt und aus der Verdickung der fibrösen Membran bildet, die den Thränensack bedeckt, wobei er die Meinung äussert, dass es wohl dem Knorpel der Membrana nictitans der Thiere ent- spricht. R. Maier führt an, dass es am inneren Augenwinkel drei Fortsetzungen giebt, von denen zwei zu den Palpebral- knorpeln und den Thränenpunkten gehen, der mittlere, stär- kere aber zur caruncula lacrymalis, Henle‘) nimmt dieses Band für einen Sehnenbogen an, der mit seiner hinteren Spitze am Thränenbeine, mit der vorderen am Nasenfortsatze des Oberkieferbeins angewach:en ist, dessen concaver Rand median- wärts gerichtet und mit der Wand des Thränensackes ver- wachsen und dessen convexer wulstiger Rand seitwärts gekehrt ist. Ganz abweichend von den Uebrigen beschreibt Richet®) dieses Ligament, er unterscheidet „aponeurose du tendon d’in- sertion de la commissure interne“ und „ligament des tarses“. Das erste Ligament beginnt in der Haut und geht zum Periost des aufsteigenden Astes des Kiefers und zur vorderen Wand des Thränensackes, Das innere Band des Lidknorpels theilt sich nach ihm, bei der Insertion an die Lidknorpeln; der vor- dere Theil verbindet sich mit der „l’aponeurose d’insertion de 1) l. c. pag. 246— 247. 2) Ueber den Bau der Thränenorgane,. Freiburg 1859, pag. 41—43. 3) 1. c. pag. 73—74. 4) |. c. pag. 140. 6) I. ec. pag. 315. en = a nn nd an Ueber den Musculus orbicularis orbitae. 973 la commissure“ und mit dieser letzten — mit dem Thränen- 3 sacke, der hintere Theile aber geht hinter dem Sacke und be- festigt sich an der Crista des Thränenbeins, wo er sich mit der Insertion der Orbitalsehne (tendon orbitaire) des inneren geraden Augenmuskels verbindet. | Wenn wir alles Gesagte über den Ringmuskel und das _ innere Ligament zusammenfassen, so folgt, dass: ; 1) Der Ringmuskel in 2, 3, 4 und sogar 5 Theile zerlegt wurde. | 2) Meistens wird als Ursprung dieses Muskels das innere Palpebralligament und die Knochen des inneren Randes der Orbita angenommen, von Einigen auch die Crista des Thränen- beins. | | 3) Einige Anatomen (Henle, Theile, Malgaigne, Richet u. s. w.) führen an, dass er sich auch an der Wand 3 des Thränensackes befestigt, hierbei weisen sie aber immer mehr auf die Fasern der äusseren Schicht dieses Muskels hin. 3 4) Theile spricht auch von einigen Fasern dieses Mus- | kels, die sich am Palpebralrand, in der Umgebung des Thrä- - nensees, befestigen, Foltz und Sappey aber weisen auf ihre - Befestigung an den Wänden der Thränencanäle hin. 5) Das innere Palpebralband nehmen Einige für eine Sehne des Ringmuskels (was Richet nicht zulässt) und für ein Li- - gament der Palpebralknorpel an, von Anderen wird es für einen Sehnenbogen oder Fasermasse gehalten, die zur Befestigung | des Muskels und der Palpebralknorpel dient. 3 Nachdem ich die Literatur des Ringmuskels, so weit sie mir zugänglich war, durchgenommen habe, will ich zu der Be- schreibung der Facta übergehen, die ich bei den Untersuchun- | gen gewonnen habe. Der abpräparirte Ringmuskel stellt eine gänzlich ebene _ Schicht dar, so dass es ganz unnatürlich ist, den Muskel in E einzelne Bündel zu theilen und jedem von diesen eine beson- ' dere Selbstständigkeit zuzuschreiben. Beweise, ähnlich denen, wie, sie A. Weber wiedergiebt, der, um sich von der Selbst- k 974 P. Lösshaft: ständigkeit des mi. eiliaris zu überzeugen, diesen Muskel unter Wasser präparirt, sind so widersinnig, dass sie keiner Widerlegung bedürfen. Um die Beschreibung des Muskels zu erleichtern, könnte man allenfalls einen Palpebral- und Orbitaltheil des Ringmuskels unterscheiden, wobei ich aber diesen einzelnen Theilen jede Selbstständigkeit absprechen muss. Ich werde deshalb zuerst den Palpebral- und dann den Orbitaltheil dieses Muskels beschreiben, wobei ich jedoch noch einmal bemerke, dass durchaus keine natürliche Grenze zwischen diesen Theilen existirt, Bu: ;- K : j A. Palpebraltheil. Die Bündel des Palpebraltheils dieses Muskels bedecken das obere und untere Augenlid, von ihrem freien Rande bis zum Rande der Orbita. Die Fasern dieser Bündel zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie, je näher zum freien Rande des Lides, desto blässer sind, aber dessen ungeachtet sind sie bis zu diesem Rande ganz deutlich contourirt. N: Ursprung. Diese Fasern beginnen im inneren Augen- winkel: a) theilweise mit einer Sehne (tendo orbieularis), die ö von der Crista lacrymalis anterior ihren Anfang nimmt, und b) theilweise unmittelbar von der inneren Fläche des aufstei- genden Astes des Oberkiefers, in einer Entfernung von 7—9 Mm, von der Naht, die diesen Ast mit dem Stirnbein verbindet. Die erwähnte Sehne ist flach, hat zwei Flächen und zwei Rän- der. Ihre vordere Fläche ist etwas nach oben gerichtet, ihre innere Hälfte ist glatt, die äussere dagegen ist ganz fest mit der sie bedeckenden Haut verwachsen. Die hintere Fläche dieser Sehne sieht etwas nach unten, sie verschmilzt mit der sehnigen Inscription auf der vorderen Wand des Thränensackes und der Thränencanäle, von welchen sie sieh übrigens leicht ablöst. Der obere Rand der Sehne weicht etwas nach hinten, und der untere nach vorn ab. In einer Entfernung von d—5, zuweilen sogar 6 Mm. von ihrem Anfange gehen von diesen Rändern Muskelfasern ab, die auf das obere und untere Augenlid übergehen; 7—9 Mm., in einigen Fällen sogar 10 Mm, vom Anfänge, theilt sich diese Sehne in einen oberen Ueber den Musculus orbichlaris orbitae. 275 ; und unteren Ast, die Auch in die Muskelfasern übergehen, “A welche das obere und untere Augenlid bedecken. Diese Sehne | _ erreicht nicht den inneren Winkel der Palpebralknorpel, son- F dern geht, wie gesagt, in Muskelfasern über, die diese Knorpel bedecken; wenigstens gelang es mir, beim besten Willen, nicht, sie bis zu diesem Knorpel zu verfolgen, und daher glaube ich, dass die Sehne, ebenso wie die sehnige Inscription, von der ich | sogleich sprechen werde, nur aus sehnigen Fasern des Ring- muskels bestehen und garnicht bis zu den Palpebralknorpeln reichen. Ausser dieser Sehne beginnen die Muskelfasern noch ec) von der vorderen Wand des Thränensacks, von einer Fläche, die 4—-6, selten 7 Mm. breit ist und welche sich vom oberen Ende dieses Sackes auf 2—3'/, Mm. nach unten erstreckt; 1'/j;—2 Mm. von diesem Ende stellt sich hier eine '/;—1 Mm. breite sehnige Inscription dar, von welcher diese Muskelfasern beginnen und sich nach unten und oben zu den entsprechenden Lidern begeben. Diese Inscription vereinigt sich durch sehnige Fasern mit der hinteren Fläche der oben erwähnten Sehne. Weiter beginnen noch Fasern dieses Theiles: d) von der vor- deren Fläche und den convexen Rändern der Thränencanäle, auf deren vorderen Wand, entsprechend dem allgemeinen Theile beider Canäle, auch eine sehnige Inseription sich befindet, die eine Fortsetzung der eben beschriebenen bildet, so dass die Länge der ganzen Inscription auf dem Sacke und den Canälen = 6-9 Mm. ist. Endlich kommen ausser dieser Inseription noch Fasern: e) von der ganzen vorderen Fläche und Rändern des unteren Canales und gehen nach unten zum Lid über; ebenso kommen Fasern auch von der vorderen Fläche und den Rändern des oberen Canales, die nach oben steigen zum ent- sprechenden Lide. Verlauf. Alle diese Fasern, so wie die, welche mit einer Sehne vom aufsteigenden Aste des Oberkiefers beginnen, so auch die von der Wand des Thränensäckes und beider Canäle, gehen näch oben und nach unten zu den entsprechenden Li- dern, wo die Fasern, die von der Sehne kommen, etwas ober- 5 ke, 122 9 BEN ar 9 a N eh “ 276 P. Lesshaft: flächlicher liegen, als die übrigen; aut den Lidern gehen’sie in einer ebenen Fläche von innen nach aussen. Insertion. Einige Fasern, die näher zum freien Rande, wie des oberen, so auch des unteren Lides liegen, gehen zwischen den Meibom’schen Drüsen und Zwiebeln der Cilien und endigen am Rande der Lider, ohne den äusseren Augen- winkel zu erreichen. Die übrigen Fasern erreichen diesen Augenwinkel und begegnen sich hier, vom oberen und unteren Lide kommend, unter einem spitzen Winkel in einer Fläche von 3'/,—4 und sogar 5 Mm. Länge; sie verflechten und be- festigen sich durch festes Bindegewebe zur Mitte der inneren Fläche des äusseren Randes der Augenhöhle. Einige periphe- rische von unten kommende Fasern scheinen gerade in die unteren überzugehen, wobei sie mit den naheliegenden Fasern anastomosiren. B. Orbitaltheil. Die Bündel des Orbitaltheils des Ringmuskels befinden sich mehr nach aussen von den eben beschriebenen; die Fasern die- ser Bündel zeichnen sich durch eine röthere Farbe aus, sie be- decken den oberen, äusseren und unteren Rand der Augenhöhle und ihre peripherischen Fasern gehen in die Fasern der be- nachbarten Muskeln über. Ursprung. Die Fasern dieses Theiles beginnen im Au- genwinkel auf folgende Weise: a) die äussersten Fasern kom- men von der vorderen Fläche des Oberkiefers mit einem klei- nen 1',—3 Mm. breiten Bündel, in einer Entfernung von 3—4 Mm. über dem oberen Rande der Sehne des Ringmuskels; diese Fasern gehen nach unten und erstrecken sich über die vordere Fläche dieser Sehne. Unter dem unteren Rande der letzteren fügen sie sich an Bündel von Fasern, welche auch b) vom aufsteigenden Aste beginnen, und namentlich von einer Fläche dieses Astes, dessen Breite, vom Rande der Augenhöhle nach innen gemessen, = 2'/,—4 und sogar 5 Mm. ist, und dessen Länge, vom unteren Rande der Sehne nach unten, = 4—6 und bis 8 Mm. misst. Ausserdem beginnen noch Fasern c) von der oben erwähnten sehnigen Inscription, wo sie mit den Fa- S « 2 ER a ER v. je Ueber den Musculus orbicularis orbitae. 277 sern des Palpebraltheils zusammenfallen, und vom vorderen - Rande der lateralen Wand des Thränensacks, unter der Inscrip- tion, in einer Strecke von 5—-7, selten bis 9 Mm.; endlich be- _ ginnen noch Fasern dieses Muskels d) vom inneren Theile des unteren Randes der Augenhöhle, in einer Strecke von 9—11, manchmal bis 13 Mm,, bei den Neugeborenen von 4—6 Mm. "Die innersten Fasern dieses Theils verfliessen vollständig mit den äusseren Fasern des Palpebraltheils, so dass zwischen ihnen durchaus gar keine Grenze existirt. Verlauf. Alle diese Fasern bilden eine ebene Schicht, _ die anfangs nach aussen etwas dieker und nach innen dünner wird. Die Fasern gehen zuerst von oben nach unten und rich- ten sich dann nach aussen. In der Infraorbitalgegend bilden die Bündel dieses Muskels, die hier von innen nach aussen gehen, schon keine gleichmässige Schichte, sondern näher zur Peripherie gehen die Bündel stellenweise auseinander und lassen zwischen sich Räume, die mit Bindegewebe und Fett angefüllt sind; in der Mitte haben diese Räume mitunter eine Breite von 2—3 Mm.; weiter kommen die Fasern wieder zu- sammen. Bei diesem Verlaufe bedecken die Bündel dieses Muskels den M. zygomaticus minor, theilweise verbinden sie sich auch mit den Fasern dieses letzten Muskels, die untersten - Fasern reichen hier beinahe bis zum unteren Rande des Joch- keins; einige peripherische Fasern aber gehen vor demselben, je- - doch niedriger, und verlieren sich in der Haut der Wange oder gesellen sich zu den Fasern des m. levatoris labii super. alaeque nasi; endlich gehen diese Bündel längs dem Jochbeine nach oben in der Richtung zur Schläfe empor und in Bündel über, , die den oberen Rand der Augenhöhle bedecken. Am äusseren | Zi 2 ur „#0 oz ' Augenwinkel ist die Breite dieses Theils des Ringmuskels von 21—27 Mm., bei Neugeborenen von 13—16 Mm., auf dieser - Stelle anastomosiren die Bündel mit einander, und von den peripherischen theilen sich einige Fasern nach oben zur Schläfe - ab, wo sie in der Haut endigen. Beim weiteren Uebergange ‘ _ zum oberen Rande der Augenhöhle richten sich die Bündel 1 des Orbitaltheils des Ringmuskels medianwärts, erstrecken sich _ längs dem Stirnrande der Orbita nach innen und wenden sich 278 P.Lesshaft: ” ‘3 dann wieder etwas nach unten. Auf diesem Wege gehen einige E peripherische Fasern in den Stirnmuskel über, oder endign in der Haut. Hier bildet der Ringmuskel schon eine ununter- brochene Schicht, nur dass seine Breite bedeutend kleiner ist als auf den Infraorbital- und Temporalregionen. Insertion. An dem inneren Theil des oberen Randes de Augenhöhle angelangt, endigen hier die tieferen Fasern dieses Muskels, indem sie sich: a) über diesem Rande neben den Fasern des M. corrugator supereilii befestigen. Die übrigen Fasern gehen weiter nach unten und befestigen sich: b) am inneren Rande der Orbita, c) an der äusseren Hälfte der vorderen Fläche des Nasentheils des Stirubeins,, weiter d) am äusseren Theile der vorderen Fläche des aufsteigenden Astes des Ober- kiefers, e) an der Crista lacrymalis posterior, f) an der Spitze des Thränensacks bis zur Sehne und g) an der oben angeführten sehnigen Inscription. An dem oberen und inneren Rand der Or- ee bita befestigen sich diese Bündel in einer Strecke von 10—14 | Mm., bei Neugeborenen von 8—9 Mm., an der Crista lacrymalis posterior von 4—6 und bis 7 Mm. und am Thränensacke von 1'/;—2!/, Mm. WUeberall berühren die innersten Fasern dieses Theiles ganz dicht die äusseren Fasern des Palpebraltheils die- ses Muskels, so dass zwischen ihnen gar keine Grenze existirt. M. depressor supereilü. Weiter zur Nase vom eben beschriebenen Theile des Ring- muskels befinden sich noch Muskelbündel, welche ihren Anfang nehmen: 1) von der Vorderfläche des aufsteigenden Astes des Oberkiefers, über der Befestigungsstelle der Sehne des Ring- muskels, 2) von der Naht, die diesen Ast mit dem Nasentheile des Stirnbeins verbindet und 3) theilweise auch von der vor- deren Fläche dieses letzten Knochens, Die Fasern dieser 3 Bündel gehen nach oben, divergiren so, dass sie ein Dreieck vorstellen, dessen Basis nach oben und dessen Spitze nach unten gerichtet ist, dessen lateraler Rand concay und dessen me- i jlialer gerade ist. Diese Fasern endigen in der Stirahaut über dem Arcus supergiliaris, Die Breite dieser Bündel an der | i 3 -. 4 5 Ueber den’ Musculus ‘orbieularis orbitae. 279 Spitze ist von 3—4 und sogar. bis 5 Mm,, bei Neugeborenen von 1!/;—1?/, Mm., oben an der Basis von 11—14 Mm., bei Neugeborenen von 7—8 Mm.; die Länge ist = 21—27 und bis 30 Mm., bei Neugeborenen ungefähr 15 Mm.; die Dicke ist = #4—1!/; Mm. Dieses Bündel hat Arlt unter dem Namen eines Herabziehers der Augenbrauen beschrieben; Bourjot- Saint-Hilaire hat wahrscheinlich dasselbe Bündel „dilatateur superieur* des Thränensacks genannt. Aus d«r gegebenen Be- . schreibung ist es klar, dass die von Arlt gegebene Beschrei- bung bei Weitem richtiger ist. Die von Moseley am äusseren Augenwinkel beschriebenen Fasern habe ich nicht gesehen. M. orbicularis oculi einiger Säugethiere. Ueber den Ringmuskel bei den Hausthieren führt Gurlt!). an, dass er vom Rande der Augenhöhlenhaut (Periorbita) be- ginnt und in der Haut der Lider, mit der er sehr innig ver- bunden ist, endigt. . Bei den Untersuchungen am Hunde, Katze, Kaninchen, Pferde, Schafe und Kalb, erwiess sich, dass der Ringmuskel mit einer Sehne von der äusseren Fläche des Oberkiefers und eini- gen Fasern gerade von diesem Knochen entspringt. Ausserdem beginnen noch Fasern dieses Muskels von der vorderen Fläche der Thränencanäle, beim Hunde in einer Strecke von 41, —5 Mm., beim Pferde von 23—29 Mm., — bei diesem letzten Thiere noch von der vorderen Wand der Erweiterung, die sich aus dem Zusammenflusse beider Canäle bildet, in einer Strecke ‚von 21/,—2°/, Mm. Länge und 3°/,—4 Mm. Breite; — beim Kalbe von 6!/;—7 Mm. und beim Schafe von 5°/,—-6 Mm. Die Fa- sern gehen weiter zum oberen und unteren Lide und indem sie sich von innen nach aussen begeben, überschreiten sie eben- falls den oberen und unteren Rand der Augenhöhle. Hierbei befestigen sich einige der innersten Fasern am freien Rande 1) Handbuch der vergleichenden Anatomie der Hanssäugethiere. 4. Aufl. ‚Berlin 1860. $. 236. 280 P. Lesshaft: der Lider, während die peripherischen in die benachbarten Unterhautmuskeln übergehen. Am äusseren Augenwinkel be- gegnen sich die Fasern vom oberen und unteren Lide unter einem spitzen Winkel und befestigen sich durch festes Binde- gewebe am Jochbeine, entsprechend dem äusseren Augenwinkel. Beim Kaninchen ist der Ringmuskel sehr stark entwickelt und seine Fasern befestigen sich nicht am Thränencanale und F Sacke; diese Theile besitzen aber einen besonderen Muskel, welcher vom vorderen Theile des oberen Randes des Joch- bogens beginnt, in einer Strecke von 5 Mm.; vom vorderen Ende des Bogens gehen die Fasern nach oben, der Muskel wird breiter und befestigt sich an die äussere Fläche der Thrä- nencanäle und des Sackes in einer Strecke von 5—5!/, Mm, h Einige Fasern dieses Muskels, die vom Knochen am inneren Augenwinkel beginnen, verflechten sich mit den Fasern des Ringmuskels. Die Länge dieses Muskels beträgt von 91/,—11 Mm., seine Breite unten 5 Mm. und oben 6—7 Mm. Aus dem Gesagten über den Ringmuskel lässt sich ent- nehmen: 1) dass man am Ringmuskel des Menschen allenfalls nur einen Palpebral- und Orbitaltheil unterscheiden kann; 2) der Erste beginnt mit einer Sehne (tendo orbicularis) vom aufsteigenden Aste des Oberkiefers, ausserdem von der la- teralen Wand des Thränensacks und der Thränencanäle; 3) einige Fasern dieses Theiles endigen am freien Augen- lidrande; die übrigen begegnen sich am äusseren Augenwinkel unter spitzem Winkel und befestigen sich durch starkes Binde- gewebe am Rande der Augenhöhle, während einige Fasern beim Uebergange von unten nach ober; mit einander anasto- mosiren; 4) die Fasern des Orbitaltheils beginnen von der vorderen Fläche des aufsteigenden Astes des Oberkiefers, vom Rande der Augenhöhle und vom vorderen Rande der lateralen Wand des Thränensackes,. \ 5) die Bündel dieses Theiles verlaufen lateralwärts, einige Ueber den Musculus orbieularis orbitae. 281 Fasern gehen zur Haut der Wange und zu einigen benach- barten Muskeln; die übrigen steigen zur Schläfe empor, wen- den sich wieder medianwärts und endigen am inneren Rande der Augenhöhle, dem Thränensacke, der Crista lacrymalis und dem aufsteigenden Aste des Oberkiefers. Einige peripherische Fasern endigen im Unterhautgewebe der Schläfen- und Stirn- Gegen.d 6) Am inneren Augenwinkel ist noch ein eigner Muskel als Herabzieher der Augenbraue zu unterscheiden; 7) bei den untersuchten Hausthieren beginnt der Ring- muskel von der vorderen Fläche des Öberkiefers und der Thränencanäle und befestigt sich am äusseren Augenwinkel; 8) beim Kaninchen gehen die Fasern dieses Muskels weder zu den Öanälen, noch zum Thränensacke, sondern an diese Or- gane befestigt sich ein eigener selbstständiger Muskel. Der Augenbrauenrunzler (M. corrugator supereilii.) Dieser Muskel wird ans als ein selbstständiger ange- nommen, während Einige ihn zum Ringmuskel zählen. Fa- brieius') meint schon, dass „Orbicularis palpebrarum est una cum supereilii musculo.*“ In der letzten Zeit wird er von J. Henle?) und H. Luschka?°) vollständig mit dem Ring- muskel vereinigt, was auch bei H. Meyer?) und nach dem Beispiele von Henle bei Langer’) geschieht. Deswegen wurde bei der Untersuchung des Ringmuskels auch dieser Muskel nicht ausser Acht gelassen. In den Werken, wo man diesen Muskel als selbstständig anerkennt, wird er folgender- maassen beschrieben: Er beginnt vom Stirnbeine, sogleich über dem Nasenknochen, und verläuft zwischen dem oberen 1) De oculo. Pars Ill, cap. 14. S. bei B. $S. Albini, Hist. Mus- eulor. pag. 148. 2) 1. ce. pag. 148. 3) Anat. d. Mensch. III. Bd. 2. Abth. Der Kopf. Tübingen 1867. ' pag. 305. | 4) Lehrb. d. Anat. d. Mensch. 2. Aufl. Leipzig 1861. pag. 331. 5) Lehrb. d. Anat. d. Mensch Wien 1865. pag. 233. i Reichert's u. du Bois-Reymond s Archiv. 1868 19 N ; } x TE EEE BE a ml» a 282 P. Lesshaft: Rande der Augenhöhle und dem Augenbrauenbogen oder mehr auf dem letzteren nach aussen und lässt sich bis gegen die Schläfengrube verfolgen (Theile); seine Fasern treten zwischen den Fasern des Ring- und Stirnmuskels hindurch und setzen sich in der Haut der Augenbrauen an. Bei meinen Unter- suchungen überzeugte ich mich, dass dieser Muskel selbst- ständig ist. Ursprung. Er beginnt vom Nasentheile des Stirnbeins, von der fossa trochlearis medianwärts bis zur Glabella, wo sich seine Bündel manchmal in der Mitte mit den Bündeln der an- deren Seite begegnen, meistens bleibt hier zwischen ihnen ein Raum von 5—10 Mm.; ausserdem beginnt dieser Muskel vom Rande der Augenhöhle, von der fossa trochlearis bis zur inci- sura supraorbitalis; von diesen letzten Fasern gehen einige oft in den Ringmuskel über. Verlauf. Die Bündel dieses Muskels begeben sich nach oben und lateralwärts, wobei sie den Anfang des Stirnmuskels bedecken, und verlaufen zwischen dem Rande der Augenhöhle und dem Augenbrauenbogen und über diesen Bogen. R Insertion. Die meisten Fasern dieses Muskels endigen in der Haut, entsprechend dem mittleren Drittel des oberen Randes der Augenhöhle, und in einigen Fällen noch weiter la- teralwärts. Einige tiefe Fasern des Augenbrauenrunzlers gehen in den Stirnmuskel über, während einige von den oberfläch- lichen, besonders die näher zum Augenrande gelegenen, wie schon bemerkt, in den Ringmuskel übergehen. Dieser Muskel ist in einigen Fällen sehr schwach entwickelt und nimmt nur die Hälfte des beschriebenen Raumes ein. Seine Breite be- trägt 10-16 Mm., bei Neugeborenen 5—6 Mm., seine Länge ist = 21—35 Mm., bei Neugeborenen = 13—16 Mm., seine Dicke = 1!/„—2'/, Mm., bei Neugeborenen °/,—1 Mm. Der Thränenmuskel (M. lacrymalis s. m. Horneri auct. s. m. Rosenmülleri s, tensor tarsi s. sacci lacrymalis). Dieser Muskel wird gewöhnlich als M. Horneri oder als Horner’scher Ursprung des Ringmuskels beschrieben; diesen \ Ueber den Museulus orbieularis orbitae. 283 Namen trägt er aber mit Unrecht, weil er zuerst durchaus nicht von Horner, sondern schon 75 Jahre früher. von Guisch. Jos. Duverney!), der ihn 1749 und dann noch einmal 17612) be- schrieb, erwähnt wurde. Er führt ihn mit folgenden Worten an: „L’orbieulaire rejette on peut trouver un petit muscle, qui prend origine de la partie anterieure de l’os planum et vient s’inserer a la partie interne du tendon mitoyen a l’oppose de celle de Vorbieulaire.*“ Im zweiten Werke fügt er noch hinzu: „c'est un petit muscle que j’ai observe il y a longtemps.“ Nach Duverney wurde dieser Muskel 1826 von J. Rosenmüller?) erwähnt, er nennt ihn m. sacei laerymalis und sagt: „post saccum autem lacrymalem musculus sacci laerymalis, parvus musculus, qui a posteriore fossae laerymalis margine ortus, pos- teriori utriusque tarsi superficiei adhaeret.* Weiter beschrieb ihn Trasmonde') 1823. In den Werken, wo er als Horner’- scher Muskel beschrieben wird, führt man einen 1824 von Horner gedruckten Aufsatz’) an. Im Meckel’schen Ar- chiv®) befindet sich ein Referat des Aufsatzes vom Professor der Anatomie Horner, betitelt: „Beschreibung eines mit dem Auge verbundenen. Muskels“, welcher der Lond. Medic. Repo- sitory ete. Vol. 18 pag. 32 entnommen ist, wo dieser Muskel ‘ folgendermaassen beschrieben wird: „Es ist ein kleiner läng- licher Muskel, der sich hinten an: den Thränengängen befindet. Er kommt vom Thränenbein nahe an dessen Verbindung mit der Papierplatte des Riechbeins, geht nach vorm und aussen und endigt am inneren Augenwinkel in der Gegend der Thrä- nenpunkte. In der Nähe der Augenlider spaltet er sich in zwei Theile, wovon sich der eine in das obere, der andere in 1) L’art de dissequer methodiquement les muscles du corps hu- main. Paris 1749. Chapitre VI. pag. 37. 2) Oeuvres anatomiques. T. I. Paris 1761. p. 130. 3) Compendium anatomicum in usum praelectionum. Lipsiae 1816. pag. 241. 4) Intorno la scop. di due nerv. dell’oech. uman. Roma 1823. Das Original konnte ich nicht bekommen. S. b. Maier l.c. pag. 47. ' 5) Philadelphia. Journ. Novemb. 1824. pag. 98. Das Original konnte ich sogar nach einer Anfrage in Philadelphia nicht bekommen. 6) Deutsches Archiv f. d. Physiol. Halle 1823. pag. 409. 410. 19* N ee Dr MER Sr A rn.’ 5 284 ‚P. Lesshaft: das untere Augenlid senkt. Die obern Fasern verschmelzen mit dem Augenlidschliesser, die unteren dagegen inseriren sich völlig abgesondert. Der Muskel ist etwa 6 Linien lang und 3 Linien breit, sein oberer und unterer Rand scharf begrenzt.“ Dieses Referat wird nur von Moll!) angeführt; er meint, dass im London. Medie. Reposit. der Aufsatz aus dem Philadelphia Journ. genommen ist, wo er von Horner 1824 gedruckt war, er lässt aber hierbei ausser Acht, dass das Referat im Meckel’- schen Archiv schon 1823 erschienen ist. Daraus folgt, dass Horner diesen Muskel schon vor 1823 beschrieben hat, und dass der Aufsatz, der in allen Werken angeführt wird, entweder gar nicht existirte, oder schon eine zweite Beschreibung dieses Muskels von demselben Autor ist. Paul Dubois?) hat auch diesen Muskel im Jahre 1824 beschrieben; das Original dieser Beschreibung habe ich nicht bekommen können und deswegen kann ich sie nicht anführen. Endlich ist dieser Muskel noch von J. Osborne?), unter dem Namen des Horner’schen Muskels, beschrieben; er führt an, dass dieser Muskel vom Pe- riost des Thränenbeins und der Crista lacrymalis entsteht und bis zw den Thränenpunkten reicht. Aus dem Gesagten folgt, dass dieser Muskel zuerst von Duverney beschrieben worden ist und daher mit Unrecht Horner’s Namen trägt; weiter ist er der Beschreibung nach ein selbstständiger Muskel, der vom Thränenbeine beginnt und am Thränensacke und Canale endigt. Foltz®), Richet’), Sappey‘), Lauth’), Bochdaleck‘), Quain-Sharpey°®) und Fr. Arnold'") nehmen diesen Mus- 2 E B 3 # : „ 1) 1. c. pag. 88. 2) These pour l’aggregation, 1824. S. Richet. 1. c. p. 359, 3) Darstellung des Apparates zur Thränenableitung. Prag 1835. pag. 18. 4) l. c. pag. 232. 5) I. c. pag. 359. 6) 1. ce. tome pr&m. 1850. pag. 225. 7) Nouveau manual de l’anatomiste. Paris 1829. S. Maier he. pag. 47. 8) Prager Vierteljahrsschrift. 1861. Bd. I. Literar. Anzeiger. 8. 9. 9) Op. c. pag. 173, 10) I, c. II. Bd. ?. Abth, pag. 979. ah rt Ueber den Musculus orbicularis orbitae. 285 kel als selbstständig an, die beiden letzteren meinen schon, dass er von der Crista lacrymalis beginnt und damit endigt, dass er in die Fasern des Ripvgmuskels übergeht; Sappey führt an, dass er an dem Palpebralknorpel endigt und Lauth — an dem Winkel der Thränenpunkte. In den übrigen Hand- und Lehrbüchern wird die Selbstständigkeit dieses Muskels nicht anerkannt und er wird zum Ringmuskel zugezählt, indem die Fasern dieses letzten Muskels, die von der Crista lacry- malis posterior kommen, als Horne r’scher Ursprung dieses Muskels angeführt werden, wie es z. B. bei Hyrtl), Theile‘), Henle?°), Langer‘), Arlt’), Moll°), Maier”), Malgaigne®°), Luschka°) u. s. w. geschieht. Henke!) und nach dessen Beispiel Olschewsky!!) nennen diesen Theil des Ringmuskels den M. lacrymalis posterior. Der Letztere verwechselt ihn noch mit dem M. ciliaris: Bourjot Saint-Hilaire'?) nennt den M.lacrymalis: „dilatateur inferieur du sac“, und Malgaigne, der den Horner’schen Muskel als Bündel des. Ringmuskels annimmt, meint, dass der eben erwähnte von Bourjot be- schriebene Muskel ein selbstständiger Muskel sei, der schon früher von Duverney beschrieben worden ist. Ganz eigenthümlich beschreibt diesen Muskel A. Weber'?); es scheint, als. wenn es ihm nicht ganz klar war, was als 1) 1. e. pag. 356 und Handbuch der topograph. Anat. 4. Aufl. 1. Bd. Wien 1860. pag. 178.. 2) 1. e. pag. 29. 3) l. ce. pag. 140. 4) l. ce. pag. 233. 5) ]. c. pag. 67 und die Krankh. des Auges. III. Bd. Prag 1859. pag. 338. "61. c. pag. 89. 7) 1. e. pag. 47. 8) 1. c. pag. 73. 9.1.0. PaP..373. 10) 1. ce. pag. 713. . 11) AHatomia u onsionoria opraua 3ptHin. C. Ilerepoypr® 1861. pag. 78. 12) 1. e. pag. 715. 13) 1. ce. Augustheft pag. 337—339. ET EEE VER TO EEE EEE 7 hu u a u A Er u er a SE I 286 P. Lesshaft: Horner’scher Muskel bezeichnet wird, und daher beschreibt er unter diesem Namen einen Muskel, wie er nie von Horner weder gekannt noch beschrieben worden ist. Er führt an, dass dieser Muskel von dem oberen Drittel der crista lacrymalis und der äusseren Fläche der Aponeurose des Thränensacks entspringt; ‚in einer Breite von 5—6 Mm. zieht er sich, in einen ein- zigen viereckigen Bauch zusammengefasst, horizontal bis zum in- neren Lidwinkel hin, den Anfangstheil der Thränenröhrchen emhüllend, und theilt sich jetzt in einen oberen und unteren Strang; diese treten auf die Vorderfläche der Lider hervor und ziehen sich, immer breiter werdend (!) und mit ihren inneren Fasern den Orbitalrand der Tarsi deckend (!), gegen den äusseren Lidwinkel hin, wo sie 3—5 Mm. von die- sem Winkel entfernt (!) in einer Breite von 5—7 Mm. an die Verbindungslinie des äusseren Lidwinkels, mit dem Ansatz- punkte des lig. palp. exter. sich festsetzen. Noch mehr zu diesem Aufsatze zurückzukehren halte ich für unnütz, da er überall denselben Charakter der Oberflächlichkeit behält. Aus dem über den M. lacrymalis Gesagten erweist sich, dass er schon 6 Mal entdeckt worden ist. Zuerst wurde er von Guich. Jos. Duverney, das erste Mal 1749 und zum zweiten Male 1761 beschrieben. Weiter führt ihn Rosen- müller 1816 an, Horner vor 1823, Trasmondi 1823, Paul Dubois 1824 und zuletzt Bourjot-Saint-Hilaire 1835. Dessen ungeachtet wird dieser Muskel überall als Horner'scher Muskel angeführt, in den meisten anatomischen und ophthal- mölogischen Werken seine Selbstständigkeit geleugnet und er nur als Ursprungstheil des Ringmuskels betrachtet. — Bei meinen Untersuchungen überzeugte ich mich von der Selbstständigkeit dieses Muskels und meine ihn rich- tiger nach Krause und Arnold Thränenmuskel (M. la- crymalis) zu nennen. Der abpräparirte Thränenmuskel erweist sich folgender- maassen: seine Fasern sind gewöhnlich etwas blasser als die Fasern des Ringmuskels, dieser Unterschied ist besonders bei den Neugeborenen auffallend, Ursprung. Er beginnt von der Mitte der Orbitalfläche h. | ; Ü # | th a Ta a A ie a a ng m 7 0 2 2 6 al ai mas ua Ueber den Musculus orbicularis orbitae. 287 des Thränenbeins, der hintere Rand dieses Ursprungs bildet eine bogenförmige Linie, deren Convexität nach hinten gerich- tet ist, die Länge dieser Linie beträgt 5, 6 und bis 7 Mm., bei Neugeborenen von 31/,—4 Mm.; nach vorn reicht der Ursprung bis zur crista lacrymalis posterior; die Länge des Ursprungs von hinten nach vorn ist 2!/,—3 bis 3’/;, Mm. Verlauf. Die Bündel dieses Muskels begeben sich lateral- wärts und etwas nach vorn und bilden einen quadratförmigen Körper, dessen obere und untere Ränder etwas ausgeschweift sind und mit ihren Convexitäten zur Mittellinie des Muskels sehen. In einer Entfernung von 6—8 bis 9 Mm. von der hin- teren Grenze des Ursprungs theilt sich der Muskelkörper in - einen oberen und unteren Bündel, die den oberen und unteren Thränencanälen entsprechen. Insertion. Schon vor der Theilung befestigen sich einige Fasern an der lateralen Wand des Thränensackes und an der hinteren Wand des gemeinschaftlichen Theiles der Thränencanäle. Nach der Theilung bedeckt jeder Ast dieses Muskels die hin- tere Wand und den convexen Rand des entsprechenden Canals, wobei die Muskelbündel je näher zu den Thränenpunkten desto dünner werden, weil sich ihre Fasern an der ganzen hinteren Wand und den Rändern der Canäle befestigen. Längs den convexen Rändern beider Canäle zeigt sich immer ein schmaler Streifen Bindegewebe oder Fett, das zwischen der In- sertion des M. lacrymalis an der hinteren Wand und dem Ur- sprunge der Fasern des Ringmuskels vor der vorderen Wand ‚der Thränencanäle und des Sackes gelagert ist. Die Länge des ganzen Muskels ist = 12!/,—15 Mm., bei den Neugeborenen 10—11 Mm.; die Dicke des Muskelkörpers 1—1!/, bis 1], Mm., bei Neugeborenen ®/,—1 Mm. | Aus der Beschreibung folgt: 1) dass der M. lacrymalis ein selbstständiger Mus- kel ist; 2) dass er von der inneren Fläche des Thränenbeins be- ginnt und sich am Thränensacke und beiden Thränencanälen befestigt; 3) dass er von Duverney 1749 entdeckt worden ist und je aa Dr DE Sa ZU cu a ls 7 An Ze De BE "en ht en 288 P. Lesshaft: der Name eines „Horner'schen Muskels“ ganz weggelassen | werden muss. | Die Thränencanäle, der Thränensack und der Thränen- Nasen-Canal '). "3 A. Thränencanäle. Die Thränencanäle (canalieuli laerymales s. cornua limacum) beginnen mit den Thränenpunkten an der Spitze der konischen Thränenwärzchen (papillae lacrymales) beider Lider; diese Wärzchen sind meistens nach innen und etwas nach hinten ge- neigt und gewöhnlich sind sie so gelagert, dass beim Schliessen der Lider das untere Wärzchen sich nach aussen vom oberen _ befindet. Die Canäle, die mit diesen Punkten beginnen, gehen etwas schräg nach unten — am unteren Lide, und nach oben — am oberen, wobei sie sich bedeutend erweitern, so dass ihr transversaler Durchmesser bis 1'/,—1°/, Mm. steigt. Weiter verlaufen sie fast unter einem rechten Winkel medianwärts, und hierbei begiebt sich der untere Canal etwas nach oben und der obere nach unten. In der Mitte stossen die beiden Canäle zusammen, vereinigen sich zu einem allgemeinen Theile und endigen mit einer Oeffnung in der lateralen Wand des Thränensackes und gewöhnlich näher zu seinem hinteren Rande als zum vorderen, in einer Entfernung von 1',—2 Mm. und sogar bis 3\/, Mm. vom oberen blinden Ende des Sackes. In sechs Fällen öffneten sich diese Canäle im obersten Ende des Sackes. An der vorderen Wand des gemeinschaftlichen Theiles der Canäle befindet sich die oben erwähnte Inscription. Beim Eröff- nen dieses gemeinschaftlichen Theiles erblickt man längs dessen hinterer Wand eine kleine Falte, die die Fortsetzung der inneren (eoncaven) Ränder der Canäle darstellt, und sich mehr und mehr verkleinernd, fast bis zum Eingange der Canäle in den Sack reicht. In 4 Fällen sah ich diese Falte weiter in den Sack bis zur Mitte des freien Randes der Plica sacci lacrymalis superior 1) Bei der Beschreibung des Thränenapparates werde ich nur einiger Eigenheiten gedenken, die mir begegnet sind, so wie einiger Falten und Klappen, die sich hier befinden. Ueber den Musculus orbienlaris orbitae. 289 gehen; hier auf der Verbindungsstelle dieser beiden Falten be- fand sich ein kleines Knötchen, ungefähr dem Nodulus Arantii der Semilunarklappen ähnlich. Der vertikale Theil der Canäle ist von 1!/,—2 Mm. lang; der horizontale am unteren Lide von 6'/,—7!/);, Mm., am oberen von 7—8 Mm.; der transversale Durchmesser dieses Theiles ist = 1—1'/, Mm.; die Länge des allgemeinen Theiles ist = 2—3 Mm.; die Breite vom 1!/, bis 2 Mm. An 112 Augen, welche zur Untersuchung dieser Oa- näle dienten, sah ich nur 3 Mal, dass der obere und untere Canal sich einzeln in den Sack öffneten, bei einem Weibe an beiden Augen und bei einem Manne an einem Auge Diese Verhältnisse sind deshalb bemerkenswerth, weil z. B. Os- borne') anführt, dass in 50 Fällen er nur 8 Mal fand, dass diese Canäle sich mit einer allgemeinen Oeffnung am Sacke endigten. E. Huschke?) meint, dass der Uebergang der Ca- näle in den Sack mit einer Oeffnung sich verhalte zu dem ‚Uebergange mit gesonderten Oeffnungen wie 1:7. Ueberhaupt nold?), J. Hyrtl®) u. s. w. an, dass diese Canäle immer oder ° nehmen die meisten deutschen Anatomen, wie z. B. Maier‘), J. F. Meckel?), J. C.Rosenmüller’), H. Meyer‘), Fr Ar- wenigstens oft in den Sack mit gesonderten Oeffnungen über- gehen; während die französischen Autoren, wie z. B. B. Foltz°), _ der an 70 Augen untersuchte, nie gesonderte Oeffnungen in dem Sack sahen; J.F. Malgaigne'v), A. Richet'!), Ph. C. Sap- 1) L. ce. pag. 11. 2) J. Th. v. Soemmering: Vom Baue des menschlichen Körpers. Bd. V. Leipzig 1844. p. 645. 3) Beschreibung des ganzen menschl. Körpers. 1788. S. R. Maier. l. cp. 12. 4) l. c. p. 69. 5) Part. ext. oculi hum. imp. org. lacrym. desc. anat. Lips. 1797. pag. 39. 6) 1 c. pag. 330. 7) l. ce. pag. 992. 8) l. ce. pag. 495. 9) 1. c. pag. 230—231. 10) 1. e. pag. 713. SUR) 1. .C. pag. 359. RS u en u I en a BLAU AERO U N ÄTEZNIE" hr 2 - knöchernen Halbcanal ein, zwischen der Crista anterior und 290 P. Lesshaft: „ pey') u. s. w. behaupten, dass die Canäle sich vereinigen und dann mit einer allgemeinen Oeffnung in den Sack treten. Der 1 Letztere glaubt sogar, dass das von ihm Gefundene vielleicht 3 eine nationale Eigenthümlichkeit der Franzosen sei, und dass 4 in Deutschland die Canäle mit einzelnen Oeffnungen in den { ‘Sack treten. Dass es nicht so ist, beweisen die Untersuchun- gen von Bochdaleck?), die mehr mit den französischen über- einstimmen. 7 Beim queren Durchschnitte eines Canals bemerkt man in E der Mitte eine enge Spalte, die durch eine vordere und hintere Wand, einen oberen und unteren Rand begrenzt wird. Die Flächen der Wände sind etwas schräg gestellt, so dass die Ränder, die zur Augenspalte gewandt sind, am unteren Lide — der obere Rand, am oberen — der untere, sich etwas mehr nach vorne richten, als die Ränder, die zu dem Rande der Orbital- höhle gerichtet sind; ausserdem sind die ersten Ränder etwas eoncav und dıe letzteren convex; die Wände der Canäle be- rühren sich. Die von Foltz?) am Anfange der Canäle be- schriebenen Klappen habe ich nicht gesehen, aber Vertiefungen an den inneren Rändern der Canäle, die durch Falten begrenzt werden, habe ich beobachtet, wenn auch nicht immer und nicht in so grosser Zahl, wie sie Foltz beschreibt. B. Thränensack. Der Thränensack (saccus lacrymalis) nimmt den ganzen 3 posterior. Seine Länge von oben nach unten ist = 11—12 Mm,, selten 13 und sogar 14 Mm., seine Breite in der Mitte ist = 41/,—5, selten 6 Mm., unten beim Uebergange in den Cana- 3 lis naso-lacrymalis ist sie = 2'/,—3—3'/, Mm. Hieraus folgt, 7 dass die breiteste Stelle des Sackes in der Mitte ist und dass 1) I. e. pag. 613 u. 614. 2) Prager Vierteljahrsschrift für die prakt. Heilk. II. Bd. 1866, pag. 125. 3) l. c. pag. 229 u, 230. - Ueber den Musculus orbicularis orbitae. 391 er nach unten enger wird. Osborne") meint, dass dieser Theil des Thränenapparats ganz unrecht den Namen eines Sackes trägt, da damit, wie er glaubt, die falsche Vorstellung genährt wird, dass dieser Theil wirklich eine Art Sack und breiter als der Canalis naso-laerymalis sei, was nach seiner Meinung sehr selten vorkommt und schon eine anomale Erscheinung ist. Mit dieser Ansicht kann man nicht übereinstimmen, da in allen Fällen (108 Messungen), die ich Gelegenheit hatte zu unter- suchen, die Mitte des Sackes immer die breiteste Stelle des Thränenapparates bildete, was sich auch aus den angeführten Zahlen ergiebt. Beim horizontalen (queren) Schnitt des Sackes zeigt sich längs der Mitte eine quere Spalte, die von einer | lateralen und etwas nach vorne gekehrten, und von einer me- | ‚dialen — etwas nach hinten stehenden — Wand begrenzt wird, | ‚die Wände treffen in einen vorderen und etwas medianwärts 'sehenden und in einen hinteren, etwas lateralwärts gekehrten, | ‚scharfen Rand zusammen. Die Spalte enthält gewöhnlich eine | kleine Quantität Schleim. In den oberen Theil der lateralen | Wand des Sackes treten mit einer gemeinschaftlichen Oeffnung, h wie schon oben gesagt wurde, die Thränencanäle ein. GC. Thränennasencanal. | Der Thränennasencanal (Canalis naso-lacrymalis) ist in | Knochenwänden eingeschlossen, die dem Thränenbeine, dem Ober- kiefer und theilweise der Concha inferior angehören, und ver- | läuft von oben nach unten, wobei er sich etwas schlängelt, wie ‚nach dem 'Rande, so auch nach der Fläche. Die Flächen rich- | ten sich nämlich zuerst lateralwärts in der oberen Hälfte des 'Canals und dann mehr medianwärts in der unteren Hälfte. Die ‚grösste Curvatur aber ist die obere, so dass, wenn man von der Mitte «der oberen Oeffnung des Knochencanals eine Linie gerade wach unten führen wollte, die untere Nasalöffnung mehr lateral- , wärts gelagert sein würde. Die Ränder dieses Canals sind zu- ‚erst mehr nach hinten gerichtet, dann nach vorne, und zuletzt 1) 1. e. pap. 14. : 292 Bfsaskatt: sehen sie wieder nach hinten. Beim transversalen Durchschnitte zeigt sich eine enge Höhle, die mit einer kleinen Quantität . Schleim gefüllt ist; sie wird durch zwei seitliche Wände be- grenzt, die in einen vorderen und hinteren Rand zusammen- treffen. Die Richtung des Canals ist hier beschrieben, wie sie sich darstellt, wein man die innere knöcherne Wand, die zur 2 Nasenhöhle gewendet ist, wegnimmt, nachdem man den Schä- | del vertical längs der Mittellinie durchgesägt hat. Die Länge dieses Canals längs der lateralen Wand ist = 16—25, sehr selten bis 23 Mm.; längs der medialen Wand = 11—14 bis 19 und sogar bis 24 Mm.; die Breite oben ist = 2—3 bis 3'/, Mm., unten 3—4 und bis 5 Mm. Der untere Theil der medialen Wand des Canals wird nicht vom Knochen begrenzt, sondern hier bildet sich die Wand nur aus einer Schleim- hautduplicatur, deren unterer freier Rand die untere Oeffnung dieses Canals von oben begrenzt. Diese Oeffnung selbst ist meistens vertical gestellt, so dass sie gerade medianwärts in die Nasenhöhle sieht. Ihre Form und Lage variirt so sehr, dass es schwer fällt, eine Norm aufzustellen. Sie erscheint als schiefe oder transversale Spalte von ovaler, runder, halbrunder, E dreieckiger u. s. w. Form; zuweilen erwiess sie sich als oval- rinnenförmige Oeffnung, mit einer winkligen Einknickung in der Mitte, oder es waren zwei ovale Oeffnungen, die durch eine Brücke getheilt wurden. Die Lage dieser Oeffnung war auch sehr verschieden; ihr unterer Rand ist in einigen Fällen nur 4 und sogar bis 2 Mm. von der unteren Wand der Nasenhöhle entfernt, in einigen Fällen hingegen ist sie auf 11—13 Mm. von dieser Wand gelegen. Vom vorderen, knöchernen Rande der äusseren Nasenöffnung ist sie 10—13 und bis 17 Mm. entfernt; die Länge dieser Oeffnung ist = 11, —2—4 und bis 8 Mm,, und die Breite ®/,—2 bis 5 Mm. In einigen Fällen war diese untere Oeffnung so klein, dass man nur mit Mühe eine sehr dünne Sonde, oder sogar nur eine Borste, } durchführen konnte. Diese Oeffnung geht nach unten in eine kleine Rinne über oder sie wird hier durch eine Duplicatur der Schleimhaut begrenzt, so dass über dem unteren Ende der lateralen knöchernen Wand des Canales eine kleine Falte her- Bi ARE. Ri Ueber den Musculus orbieularis orbitae. 293 vorsteht, die den unteren Rand dieser Oeffnung bildet. Die Schleimhautduplicatur an der medialen Wand des Canals, die meistens diese Oeffnung von oben begrenzt, ist schon von J. Bapt. Morgagni') beschrieben und abgebildet. Nach ihm gedenkt ihrer Rosenmüller?), indem er sagt: „haec mem- brana (d. i. membrana pituitaria), cum ductu nasali descendente conjuncta, conformat plicam, quae tegit latus externum ductus.* Dieser Falte wird auch in dem von E. H. Weber‘) heraus- gegebenen Werke erwähnt; dessen ungeachtet meint Hyrtl'), dass sie Hasner°) der Vergessenheit entrissen hat, und für dieses, nach seiner Meinung, unbestreitbare Verdienst nennt er diese freie Endigung der medialen Wand des Canals — Has- ner’sche Klappe. Diese Meinung ist ganz unhaltbar, weil nicht Hasner an diese Falte zuerst erinnert (im Jahre 1848), sonderu schon 13 Jahre früher J. Osborne‘) (1835), der diese sogenannte Klappe an 150 Thränennasencanälen untersucht und sie sehr genau beschrieben hat, während sie von Hasner bei Weitem oberflächlicher und wahrscheinlich weniger untersucht wurde, da er meint, dass das untere Ende des Thränennasencanals eine horizontale, spaltenartige Oeffnung bildet, deren grösster Durch- messer = 1''' ist. Osborne dagegen, der 150 Canäle unter- sucht hat, sagt, dass man hier keine Norm’ aufstellen kann, womit auch das oben Angeführte vollständig übereinstimmt. Daraus folgt, dass die von Hyrtl eingeführte Benennung einer Hasner’schen Klappe — die in allen Hand- und Lehrbüchern angenommen wird — unrichtig ist und deswegen der Ver- ' gessenheit übergeben werden muss. Wenn man dagegen dieser Schleimhautduplicatur den Namen einer Klappe geben will, so ist es richtiger, sie Morgagni’sche Klappe zu nennen. 1) Adversaria anat. omnia. I. Lugd. Batav. 1723. pag. 28. 2) 1. e. 1797. $ 129-130. pag. 40 u. 41. 3) Handb. d. Anat. des menschl. Körpers von Joh. Chr. Rosen- müller, 4. Aufl., herausgeg. v. Er. H. Weber. Leipzig 1828. pag. 429. 4) Handb. der topograph. Anat. pag. 171. 5) Ueber die Bedeutung der Klappe des Thränenschlauches. Prag. Vierteljahrsschrift 1848. 2. Band. pag. 155—163. 6) 1. ec. pag. 17 u. 54. a a Se ee Ne BE 294 P. Lesshaft: Henle') behauptet, dass der untere Theil des Thränen- canals nicht von einer Klappe geschlossen wird, sondern durch hi compressibles cavernöses Gewebe, welches den unteren Theil und die Oeffnung des Canals umgiebt. D. Klappen. Im Thränensacke und im Thränennasencanale sind noch folgende Klappen beschrieben worden. Rosenmüller?) beschrieb eine Falte, die sich vor dem Eingange der Thränencanälchen in den Sack befindet; diese Falte nannte Rosas — Plica Rosenmülleri. Unter diesem Ein- gange beschrieb Huschke?) eine Falte, die er Valvula sacei jaerymalis nannte; er sagt, dass ihr freier, mehr als halbkreis- förmiger Rand nach oben gerichtet ist, und dass die Mündung der Canäle von ihrer grössten Breite (von 1’) bedeckt wird. Eine ähnliche Beschreibung dieser Klappe macht auch Fr. Arnold.*) Sie wurde noch von Beraud?°) unter dem Namen einer: „Val- vule superieure du sae laerymal,* beschrieben; hierbei bemerkt er, dass diese Klappe ceirculär sein kann und, die Mündung der Canäle umfassend, eine“Art Diaphragma bildet, das in der Mitte durchbohrt ist, Er beschreibt hier ausserdem noch zwei kleine Knötchen (deux petits tubercules mamellonnes), die am oberen und unteren Theil der Mündung der Canäle gelagert sind. Bochdaleck°) giebt der circulären Form dieser Klappe den Namen einer „Kuppelklappe,“ und beschreibt noch verschiedene Variationen dieser Klappe, unter denen besonders die Modifi- cation bemerkenswerth ist, wo die Klappe sich nach unten bis zur Beraud’schen Klappe, oder sogar bis zur unteren Oeffnung 1) 1; c. Bd. II, p. 715. 2) l.c $ 125 pag. 39 und bei Er. H. Weber, 1. c, pag. 429. 3) Eingeweidelehre, |, c. pag. 645. 4) Bd. II. Abthl. 2. pag. 992. 5) Description d’une valvule inconnue jusqu’ici et qui existe dans les voies lacrymales chez l’'homme, Gaz. medicale de Paris, N. 26, 1851, pag. 413 und Gaz. des höp. 79. 1851. 6) Prager Vierteljahrsschrift. 1866. II, Bd. pag, 125—127. Ueber den Musculus orbieularis orbitae. 295 des Thränenkanals fortsetzt; ausserdem gedenkt er auch der eben angeführten Knötchen. Im eben erwähnten Aufsatze beschreibt Beraud noch eine Klappe, die schon früher von C. Fr. Krause!) erwähnt wor- den ist. Sie befindet sich zwischen dem Thränensacke und dem Thränennasencanal, sie ist an der lateralen Wand des Canals gelagert und begiebt sich zum vorderen Rande desselben; sie ist 1 Mm. und mehr hoch und dicker als die obere Falte; um sie zu sehen, muss die Nasalwand des Knochencanals abge- nommen werden. Beraud nennt sie: „Valvule inferieure du sac lacrymal.“ An dieser Stelle des Thränenapparates hat Arlt?) auch eine circuläre Falte oder Verengerung gesehen; Bochdaleck°) beschreibt hier auch Diaphragma ähnliche Fal- | ten, bei denen er in einem Falle nur mit vieler Mühe eine | schiefe Oeffnung entdecken konnte; er hat diese Falte auch - spiralförmig bis zur Nasenmündungsklappe sich herabwinden gesehen. Verengerungen an dieser Stelle wurden schon, wie ' R. Maier‘) anführt, von J. G. Zinn’) gesehen; der letztere meint, dass der Thränengang zuweilen durch Ligamente wie - eingeschnürt sei. Weiter nimmt Le Cat‘) ein eigenes ligamen- töses Band an, welches sich mehr zur Mitte des Nasencanals _ befinden soll. Endlich glaubt Janin?) einen Sphincter in der Mitte dieses -Canals annehmen zu müssen. Krause*) führt - hier auch eine Verengerung an. Bochdaleck®°) spricht noch von Schleimhautbalken an dieser Stelle. ı) Handbuch der menschl. Anat. Hannover 1842. I. Bd. 2. Th. pag. 519. 2) Arch. f. Ophthalmol. Bd. I. Abthl, 2. pag. 144. 3) l. c. pag. 128 u. 129. 4) 1. c. pag. 15. 5) Deseriptio oculi humani. 1775. 6) Traite de sens. Paris 1767. 7) Mem. et observ. anat. physiol. et phys. sur l’oeil. Lyon et Paris 1772. 8) 1. c. pag. 519. 9) 1. c. pag. 130. La a Te ne cd 296 ' P. Lesshaft: Ye 1. Plica sacci lacrymalis superior. Von diesen Falten kam am öftersten die obere (Plica sacei lacrymalis superior) vor; sie befindet sich gewöhnlich unter der Oeffnung der Thränencanäle in den Sack, beginnt von die- ser Oeffnung und richtet sich nach hinten und unten zur me- dialen Wand des Sackes, wo sie sich verliert. Ihre grösste Länge erwiess sich bis 51/;—7!/, Mm. und ihre grösste Breite von 1 bis 1'/, Mm., gewöhnlich ist sie kleiner und verdient nicht den Namen einer Klappe; in einigen Fällen (3) habe ich sie ganz vermisst; circulär war sie 2 Mal; dass sie spiralförmig 4 in ein Septum überginge, habe ich nicht gesehen. Die von Beraud beschriebenen Knötchen am Rande der Thränencanäl- chen-Oeffnung scheinen pathologische Erscheinungen zu sein. 7 Ich habe in 10 Fällen polypöse Wucherungen an dieser Oeft- nung gesehen, die das Aussehen kleiner Knötchen hatten; es können auch kleine bläschenartige Knötchen die ganze Oeffnung umgeben und sogar zum Lumen des Sackes etwas hervorstehen. | In den Fällen, wo die Plica sacci lacrymalis superior fehlte, war die Mündung der Thränencanäle mit einer eirculären, wall- artigen Erhöhung umgeben. j 2. Plica sacci lacrymalis inferior. Die Falte zwischen dem Sacke und dem Thränennasen- canale (Plica sacei laerymalis inferior) kommt seltener vor, und um sie besser zu sehen, habe ich, nach Berauds Rathe, die mediale zur Nasenhöhle gerichtete Wand geöffnet, weil diese Falte, wenn sie nicht eirculär ist, meistens an der lateralen Wand des Canals gelagert ist. Sie ist gewöhnlich quer an der lateralen Wand gelegen, geht selten über den hinteren: Rand dieses Canals und ist schwächer entwickelt als die obere Falte. In 8 Fällen fand ich diese Falte nicht am Uebergange des Sackes in den Canal, sondern niedriger gelagert, im Canale selbst, in einer Entfernung von 6'/, bis 9—11 Mm. von der unteren Oeffnung dieses Canals; die Falte war an der media- len Wand gelagert, ging quer; ihre Länge betrug 4—6 Mm, Ueber den Museulus orbieularis orbitae. 297 Fund ihre Breite °\,—1 bis 1'/, Mm. ‚Septa und Schleimhaut- balken habe ich im Canale nicht gesehen. Thränenapparat einiger Thiere. Bei den von mir untersuchten Thieren erschienen die 'Thränenpunkte als längliche Spalten, die. sich hinter dem Rande des medialen Lidendes befinden und beinahe parallel mit die- sem Rande gerichtet sind. Diese Spalten führen in die Thrä- nencanälchen, welche medianwärts und etwas nach hinten ver- laufen, sie werden von einer vorderen und hinteren Wand. und von einem oberen und unteren Rande begrenzt. Das obere Canälchen ist gewöhnlich länger als das untere, beide Canäle vereinigen, verschmälern sich trichterförmig und gehen in einen engen und langen Canal über, der in einem Knochencanale verläuft und an der äusseren Wand des vorderen Theiles der Nasenhöhle sich öffnet. Sie haben keinen eigentlichen Sack in einem knöchernen Halbcanale. Ganz abweichend von dem be- schriebenen zeigt sich dieser Theil des Thränenapparats beim * Kaninchen. Sie besitzen nur einen Thränencanal und nament- RE ww 2 Ri s lich den unteren, er beginnt auch mit einer Spalte hinter dem medialen Theile des Randes des unteren Lides und geht bei- nahe parallel mit diesem Rande. Die Länge dieses Canals ist = von 2!,—3 Mm., seine Breite = 1'),;, Mm. Er geht weiter in einen Sack über, der die Form einer Pyramide hat, deren Basis nach vorn und etwas nach innen gerichtet ist und deren Spitze in den Canal übergeht. Dieser Sack ist von einer obe- ren, vorderen und hinteren Wand begrenzt und geht nach vorn in einen engen Canal über, welcher an der äusseren Wand der Nasenhöhle mündet. Die Länge des Sackes ist = 3'!/,—4 Mm., seine Breite 2!),—3 Mm.; die Länge des Canals beträgt 28—30 Mm. und dessen Breite = I Mm. Der Mechanismus der Thräneneinsaugung. Ueber diesen Mechanismus ist schon viel geredet worden, und dessen ungeachtet erweisen sich doch die meisten der auf- gestellten Theorien nicht haltbar. Die Hebertheorie von J. L. BReichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 20 2 +77 TOTER EEE LE RACE \ WER, Eu = 298 P. Lesshaft: Petit'), die Erklärung der Einsaugung durch die Gesetze der Capillarität, wie sie Mollinelli2), J. A. Schmid?) und theil- weise Osborne) versuchten; weiter die Bemühungen Sedil- 3 lot’s®), Hounauld’s®), E. H. Weber’s’) und Hasner’s®), welche diesen Mechanismus durch Verdünnung der Luft in der Nasenhöhle beim Einathmen erklären zu können glaubten: alle diese Erklärungen sind so mangelhaft, dass sie einzeln genom- men bei näherer Einsicht unbedingt fallen müssen. Riche- n rand°’) will diese Funktion den eigenen Muskeln der Canäle übertragen; J. Janin!°) gedenkt hier der Lebenskraft, die den Muskeln der Canäle eigen ist. Alf. v. Graefe!!) glaubte hier eine besondere Art von motus peristalticus annehmen zu müs- sen. Zu allen diesen Theorien fehlen aber die in den Wänden des Thränenapparates vorausgesetzten eigenen Muskelfasern, J. A. Schmid meint schon, dass die Contractionen des M, or- bicularis zu der Einsaugung der Thränen beitragen müssen. Ross!?) führt an, dass durch die Contractionen des M, orbi- cularis die Thränen in die Thränencanäle eingedrückt werden, Diese Theorie wird von Stellwag v. Carion'®) heftig ver- 1) Foltz 1. c. pag. 234. 2) Mem. de l’Acad. de Bologne. Collect. acad. T. X. pag. 17. S. b. Malgaigne |]. c. pag. 721. 3) Krankh. d. Thränenorgans. 1803. S. b. Henke op. c. p. 88. 4) Op. c. pag. 23. 5) Foltz op. e. pag 234. 6) Henke op. c, pag. 88. 7) Hildebrandt's Anat. 1830. Bd. 3. pag. 65. 8) Op. c. pag. 159. 9) Nouveaux &löments de physiol. 2. edit. 1802. S. Foltz op. c. pag. 235. 10) 8. b. Osborne op. e. pag. 20. 11) De canalieulorum laerymalium natura. Dissert. inaug. Hallae 1854. 8. G. Merkel. Zur Anat., Physiol. u. Patholog. d Thränen- ableitungsorgane. Erlangen 1859, pag. 15. 12) Handbuch der chirurg. Anat, 1848. pag. 293. 13) Theoretische u prükt. Bemerk zur Lehre von den Thränen- ableitungsorganen. Zeitschr. d. k. k. Gesellsch. d. Aerzte in Wien, Bd.I Heft IV. pag. 2—449 Wiener medie. Wochenschr, 1864. No. 51, pag. 785—789 u. No. 52. pag. 801—806 u. Wiener med. Wochenschr. 1865. No, 9. pag. 137—141. Se Deber aaneknäeuläg Arbichlaris orbitae, 999 theidigt und ihr neigt sich auch, in der letzten Zeit, A. v. Graefe') und Hyrtl?) zu; von dieser Theorie konnte nur dann die Rede sein, wenn die Lider sich überall herme- tisch schliessen würden; da es aber den Thränen bei Weitem leichter sein wird, über den Rand des Thränensees nach aussen zu entweichen, als sich in die Thränenpunkte eindrücken zu lassen, so scheint diese Ansicht auch nicht ganz haltbar zu sein. Der Compressionstheorie von Staude°), Arlt‘), Moll’) und Weber‘) glaube ich auch nicht beipflichten zu können, weil die anatomischen Befunde damit nicht übereinzustimmen schei- nen. Foltz’) meint 1860, dass beim Schliessen der Lider der Ringmuskel die vordere Wand der Thränencanäle nach vorne ' zieht, während der M. lacrymalis (muscle de Horner-Foltz) zur selben Zeit die Punkte, die hintere Wand der Canäle und den Lidknorpel nach hinten zieht, so dass zwischen diesen Wän- den eine Höhle sich bildet, die die Thränen aus dem Thränen- see einsaugt, wozu auch noch die Capillarität beitragen mag. 1862 sagte er®) sich aber von dieser Theorie los und erklärte sich für die Compressionstheorie, gestützt auf Experimente, die er an Kaninchen und Pferden ausführte; doch scheint es, bei näherer Betrachtung, dass diese Experimente der ersten Erklä- rung fast nicht widersprechen, sondern dieselbe meistens noch bestätigen. W. Henke?) meint, dass der M. lacrymalis anterior beim 1) Arch. f. Ophthalmol. Bd. I. Abthl. 1. pag. 295—297.- 2) Topograph. Anat. ]. c. pag. 179—180. 3) Dissert. inaugur. de derivatione lacrymarum in Acad. Lipsica publ. defend. d. 24. April 1852. $. Moll. 1. ec. pag. 116—117. 4) Arch. f. Ophthalm. v. Graefe u. s. w. Bd. I. Abthl. 1. p. 148 u. Wiener med. Wochenschr. 1865. No. 6. pag. 81—84. 5) Op. ce. pag. 117. 6) Op. c. Decemberheft. pag. 514—516. 7) Op. e. pag. 236 —238. 8) Recherches d’Anatomie et de Physiologie experimentale sur les voies lacrymales. Journ. de la Physiologie de M. Brown-Sequard. T. 5. No. XVIII. April 1862. pag. 226 — 247. 9) Op. e pag. 96 u. Arch, f. Ophthalm v. Graefe u. s. w. VIII. Bd. Abthl. 1. 1861. pag. 363—374. Beleuchtung des neuesten Fortschrittes in der Lehre vom Mechanismus der Thränenableitung. 20* j Fi | 1 x . % 300 P. Lesshaft: Schliessen der Lider die vordere Wand anspannt, so den Sack öffnet und die Thränen einsaugt, während beim Oeffnen der Lider der M. lacrymalis posterior den Sack und die Canäle schliesst und die Thränen in die Nasenhöhle befördert; das passt wieder nicht zu den anatomischen Ergebnissen. ° Endlich halten sich Bourjot St. Hilaire'), Tramondi), Roser’), Malgaigne‘), Richet’), Schmied°), Henle’) und auch Hyrtl°) an die sogenannte Dilatationstheorie, welche auch die plausibelste zu sein scheint, und zwar glaube ich den Mechanismus der Thräneneinsaugung so zu verstehen: aus der anatomischen Beschreibung ist bekannt, dass die Fa- sern des Ringmuskels an die vorderen Wände der Thränen- canäle und des Sackes sich befestigen; ihre Anheftung an den Wänden der Canäle geschieht unter einem spitzen Winkel, während näher zum Sacke der Winkel grösser wird und sich einem rechten nähert. Die Fasern des M. lacrymalis bilden auch bei ihrer Befestigung an die Wände des Canals einen spitzen Winkel, der je näher zum Sacke, desto grösser wird. Wenn jetzt die Fasern des Ringmuskels am äusseren Augen- winkel fixirt gedacht werden und die des Thränenmuskels am Thränenbeine, so müssen beim langsamen Schliessen der Lider sich zuerst die innersten Fasern dieser Muskeln contrahiren, d. h. die den Thränenpunkten am nächsten gestellten, weiter gehen die Contractionen von der Mitte immer mehr zur Peri- pherie, bis sich zuletzt die ganz peripherisch gelagerten Fasern contrahiren, wobei die Lider schon stark gerunzelt werden. Es versteht sich, dass zwischen diesen Contractionen keine Zeit- 1) S. Roser. 2) Merkel op. ce. pag. 16. 3) Arch. f. physiol. Heilkunde, herausg. v. K Vierordt. 10. Jahrg. 4. Heft. 1851. p. 549 — 550. 4) Op. e. pag. 722. 5) Op. ce. pag. 363. 6) Ueber die Absorption der Thränenflüssigkeit durch Dilatation des Thränensackes. Marburg 1856. pag. 27. 7) Op. e. Bd, IL. pag. 715. 8) Op. e, Topogr. Anatomie. 4. Aufl, Wien. Bd, I. pag. 154. Ueber den Musculus orbicularis orbitae. 301 räume erfasst werden können. Bei diesen Contractionen der Muskelfasern nach zwei entgegengesetzten Seiten muss zuerst die Höhle der Thränencanäle geöffnet werden in der Richtung von den Punkten zum Sack, und endlich die Wand des Sackes selbst, wobei die Thränenflüssigkeit aus dem Thränensee in die geöffnete Höhle eingesaugt wird. Wenn die Lider geöffnet werden und die Oontractionen dieser beiden Muskeln sistiren, so kehren die Wände der Canäle und des Sackes, durch ihre Elastieität, wieder in ihre normale Lage zurück und die in ihnen enthaltene Flüssigkeit wird durch den Thränennasencanal in die Nasenhöhle getrieben. Bei den untersuchten Thieren wird wohl durch die Con- traction des Ringmuskels die vordere Wand der Canäle einge- zogen, während die hintere Wand durch die Schliessung der membrana nictitans gespannt wird, und so werden die Thränen in die geöffnete Höhle eingesaugt. Weiter durch den Thränennasen- . canal wird diese Flüssigkeit wohl auch durch Mitwirkung der Capillarität getrieben, da bei diesen Thieren diese Canäle sehr lang und eng sind, wie z..B. beim Pferde, wo die Länge 19 bis 20 Cm. und die Breite 2—5 Mm. beträgt. St. Petersburg, den 21. October 1867. Erklärung der Abbildungen. a. Saccus lacrymalis. b. Os lacrymale. c. Musculus lacrymalis. d. M. corrugator supercili. e. M. orbicularis orbitae. f. Canalieuli lacrymales. g. M. depressor supereilii. Anatomische Beiträge. Von Dr. BOCHDALEK JUN., t Prosector an der Hochschule zu Prag. Zur Anatomie des menschlichen Herzens. I) Ueber die sogenannte pars membranacea septl ventrieulornm cordis und 2) über die foramina Thebesll. j I. Die sogenannte pars membranacea septi ventriculorum. Längere Zeit schon nahm die pars membranacea septi ventriculorum cordis meine Aufmerksamkeit in Anspruch und konnte ich, genauester und an mehr als 90 Herzen vorgenom- mener Untersuchung ungeachtet, eben immer wieder nur finden, dass diese fälschlich sogenannte pars membranacea septi ventriculorum mit der Scheidewand der Kammern entschie- den nichts mehr zu schaffen habe, als dass jene auf dem hin- tern obern Rande der letztern aufsitzt. Von der ursprünglichen Ansicht, dass an dieser sogenann- ten häutigen Stelle der Kammerscheidenwand blos die Lamellen des die Herzhöhlen auskleidenden Endocardiums einander be- rühren, ist man abgekommen, seitdem Hubert Luschka den Nachweis geliefert hat, dass diese Ansicht entschieden falsch sei, die pars membranacea septi vielmehr eine feste, derbe, Anatomische Beiträge. 303 . fibröse Grundlage habe. Luschka ist auch weiter der Wahr- heit ziemlich nahe gerückt, indem er die Ansicht ausspricht, die pars membranacea septi ventriculorum wäre gewissermassen als Bestandtheil des annulus arteriosus sinister anzusehen; ich hingegen muss noch weiter gehen und die in Rede stehende Partie der Kammerscheidewand als unbedingt der radix aortae ange- hörend und zugleich als ein Confluens des rechten venösen und linken arteriellen Faserringes (was auch Luschka angiebt) und zwar der vorderen Partie des sogenannten mittleren faser- knorpligen Streifens, ferner des Knotens des vordern rechten faserknorpligen Fadens, sowie der faserknorpligen Grundlagen der rechten vordern. und rechten hintern Seminularklappe des ostium arteriosum sinistrum erklären. Die rechte vordere halbmondförmige Aortenklappe sitzt, wie bekannt, mittelst ihres ihr als Grundlage dienenden Faserreifs unmittelbar der vorderen Partie des hinteren oberen Randes der Kammerscheidewand auf,. während die rechte hintere Aortenklappe vom septum ventriculorum höher hinauf gerückt und entfernt erscheint, (wenn dieselbe auch in natürlicher Lage ‘ des Herzens tiefer gelagert ist, als die beiden andern halbmond- förmigen Aortenklappen) daher auch der mittlere Faserknorpel- streif, indem er nach seiner Vereinigung mit dem hinteren rechten und linken Faserknorpelfaden eine Strecke weit auf dem hintern obern Rande des mit demselben auf das innigste verbundenen septum ventrieulorum nach vorne verläuft, alsbald von diesem letzteren abspringt und es verlässt, um den Faser- reif der hinteren rechten valvula semilunaris aortae zu erreichen und mit demselben sich zu verbinden. Zwischen beiden genannten Aortenklappen und dem hin- ‘ teren obern Rand des septum ventriculorum bleibt nun ein mit der Basis nach abwärts der Kammerscheidewand zugekehrter, mit der Spitze nach aufwärts in die Winkel der zusammen- ‚stossenden Faserreifen der rechten vorderen und rechten hin- teren Aortenklappe hereinreichender dreieckiger Raum, welcher durch eine derbe fibröse, durch die schon oben bezeichneten faserknorpligen Ringe verstärkte, oder vielmehr durch dieselben gebildete Membran ausgefüllt wird, welche auf der hinteren 304 Bochdalek jun.: Partie des hintern obern Randes der hier zugeschärften Scheide- wand der Ventrikeln festhaftet. Ein ähnliches Verhältniss findet sich in dem dreieckigen Raume zwischen der rechten hintern und linken halbmondför- migen Aortenklappe, welcher Raum eben auch durch eine starke fibröse Membran, welche eine Ausstrahlung einerseits des Kno- tens vom vorderen Faden des linken venösen Faserringes, an- dererseits der vorderen Partie des mittlern faserknorpligen Streifens, sowie des arteriellen Faserringes der rechten hintern und linken Aortenklappe darstellt, ausgefüllt wird, und welche Ausfüllungsmembran auf der Basis des Aortengipfels der val- vula bieuspidalis aufsitzt. Ich erinnere mich einiger Fälle, wo ich ganz deutlich einen von der vordern Partie des mittleren Faserknorpelstreifens — ehe derselbe vom septum ventrieulorum abspringt — abge- henden, von der übrigen, die sogenannte pars membranacea darstellenden fibrösen Membran stärker sich abscheidenden, ge- nau längs dem hintern obern Rande des muskulösen Theiles der Kammerscheidewand verlaufenden festen fibrösen Streifen, wenigstens eine Strecke weit, nach vorne verfolgen konnte. In einem solchen Falle zog dieser "ibröse Streif bis zur grössten Couvexität der rechten vordern Aortenklappe herüber, mit deren Faserreif er sich dann vereinigte. Dieser fibröse Faden, ähn- lich dem vom mittleren, dem rechten und linken venösen Faserringe gemeinschaftlichen, faserknorpligen Streifen, zwischen der Basis des Aortenzipfels der zweizipfligen Klappe und der den dreieckigen Raum zwischen rechter hinterer und linker Semilunarklappe der Aorta ausfüllenden fibrösen Membran zum Knoten des vordern Fadens des linken venösen Faserringes herüberziehenden, doch ebenfalls durchaus nicht in allen Fällen ganz deutlich nachweisbaren und von der übrigen fibrösen Mem- bran sich sichtlich scheidenden, von Wolff sogenannten ramus ana tomoticus, — gab dann genau die Grenze zwischen dem eigent- lichen muskulösen septum ventrieulorum und der sogenannten pars membranacea des letzteren, zum Beweise, dass der häutige und der muskulöse Theil der Scheidewand der Kammern zwei von einander vollkommen verschiedene Gebilde seien, Anatomische Beiträge. 305 Der eben erwähnte, von Wolff ramus anastomotieus be- nannte, den linken venösen Faserring vom vordern untern Rande des septum atriorum bis zum vordern Rande, des septum ven- trieulorum hin ergänzende, faserknorplige Streif dient einer Partie von Muskelfasern des linken Vorhofes zum Ursprung; da dieser ramus anastomoticus aber die Grenze zwischen der den dreieckigen Raum zwischen rechter hinterer und linken Aortenklappe ausfüllenden festen fibrösen Membran und der Basis des Aortenzipfels der valvula bicuspidalis bildet, so fällt jene Membran mit ihrer rückwärtigen Seite ganz ausser Bereich der Herzhöhlen, während deren vordere Seite dem ostium ar- teriosum sinistrum zugekehrt ist; etwas anders verhält sich die Sache bei der fibrösen Ausfüllungshaut zwischen vorderer rech- ter und hinterer rechter Aortenklappe. Hier ist es hauptsäch- lich der vordere rechte faserknorplige Faden mit seinem Kno- ten und die von diesen Punkten ihren Ursprung nehmenden Muskelbündel des rechten Vorhofes, sowie der der rechten obern Seite des conus arteriosus angehörenden, zwischen ostium ve- nosum und arteriosum dextrum eingeschobenen muskulösen Brücke, welche die Scheidung dieser fibrösen Membran in zwei Bezirke veranlassen; der obere Bezirk fällt mit seiner rechten Seite ganz ausser Bereich der Herzhöhlen, der untere dagegen sieht mit seiner nach rechts gekehrten Seite nach den Herz- höhlen und zwar theils des rechten Vorhofes und rechten Ven- trikels, ein andermal nur nach dem rechten Vorhof oder nur nach dem rechten Ventrikel allein, während die linke Seite beider Bezirke dem ostium arteriosum sinistrum zugekehrt ist. Dieser erwähnte untere Bezirk der den Raum zwischen rech- ter vorderer und rechter hinterer Semilunarklappe der aorta obturirenden fibrösen Membran ist es nun, welcher ganz mit Unrecht als sogenannte pars membranacea septi ventriculorum angesehen und beschrieben wird. Die Grösse und Ausdehnung dieser pars membranacea der Kammerscheidewand des Herzens ist, wie ich in Folge zahl- reich vorgenommener Untersuchungen vollkommen constatiren kann, namentlich von dem Verhalten des vordern rechten Faser- knorpelfadens und seinem sogenannten Knoten abhängig. nie Wa E27 306 Bochdalek jun.: Wie es wenige Gegenstände in der Anatomie giebt, die constant und unter allen Verhältnissen sich gleich bleiben, so 2 ist auch dieser vordere rechte faserknorplige Faden, was seine Stärke und Entwicklung sowohl, als seine Insertion betrifft, Varianten unterworfen. Dieser Faden, an und für sich schon stets schwächer als der der linken Seite, ist einmal, — jedoch sind dies unbedingt die selteneren Fälle, — von nicht unbe- deutender Dicke, so dass er dem linken vordern faserknorp- ligen Faden an Stärke nicht viel nachgiebt; ein andermal je- doch — und dies ist der häufigere Fall — ist er wieder sehr schwach entwickelt und so dünn, dass man in der That Mühe hat, seiner ansichtig zu werden, was auch Theile angiebt. Dieselben Grade der Entwicklung zeigt auch die, manchmal ganz exquisit ausgeprägte, andere Male gänzlich fehlende vor- dere Anschwellung dieses Fadens, der von Wolff sogenannte ; rechte Knoten. Was nun die Insertion oder Befestigung dieses rechten vordern Fadens mit seinem manchmal vorhandenen, ‘andere Male gänzlich mangelnden Knoten betrifft, so erreicht derselbe in manchen Fällen den Faserreif der rechten hintern Aortenklappe 1'/,,—2 und 3'” entfernt von der grössten Con- vexität desselben, d. i. von der Stelle, wo der gemeinschaft- liche Faserknorpelstreif seine Verbindung mit dem linken ar- teriellen Faserringe eingeht. In andern Fällen wieder verbindet sich der vordere rechte Faserknorpelfaden mit dem Punkte der grössten Convexität des Faserreifs der rechten hintern Semilunarklappe der Aorta, oder geht auch unmittelbar durch Umbeugung in den mittleren Faser- knorpelstreifen über. Bei andern Herzen endlich erreicht der vordere rechte Faserknorpelfaden den linken arteriellen Faserring unmittelbar gar nicht und befestigt sich, oder strahlt vielmehr sogleich in der den Raum zwischen rechter vorderer und rechter hinterer Semilunarklappe ausfüllenden fibrösen Membran aus. Durch diese Insertionspurkte des vordern Fadens des rech- ten venösen Faserringes wird nun hauptsächlich, wie ich oben erwähnt, die Ausdehnung oder vielmehr Höhe der sogenannten pars membranacea septi ventriculorum bestimmt. Erfolgt die h. Anatomische Beiträge. 307 stestigums dieses Fadens an dem Faserreif der rechten hin- tern valvula semilunaris aoftae 1!/,—2“' und selbst noch weiter vor die Stelle der grössten Convexität desselben, so wird der untere Bezirk der in zwei Abtheilungen geschiedenen, den _ Raum zwischen vorderer rechter und hinterer rechter Aorten- _ klappe ausfüllenden fibrösen Membran, da der vordere rechte Faden dann höher zu liegen kommt, grösser ausfallen müssen, daher auch die pars membranacea septi ventriculorum grösser oder vielmehr höher sein, als in dem Falle, wo der rechte _ vordere Faden die grösste Convexität des arteriellen Faserreifs _ der rechten hintern Aortenklappe erreicht, daher tiefer gelagert ist und demzufolge auch einen kleinern untern Bezirk der in _ Rede stehenden fibrösen Ausfüllungshaut abtrennen, die pars ; ‚membranacea septi daher dann kleiner oder niederer erscheinen muss, ja manchmal, wie ich fand, auf ein Minimum reducirt war. Dass die pars membranacea septi, von der rechten Seite ' her besehen, etwas weniger umfangreich, als von der linken Seite her sich ausnimmt, wie ich irgendwo gelesen, ist eben _ nur scheinbar und nur dadurch bedingt, dass von dem vordern _ rechten Faserknorpelfaden, so wie von der rechten Seite der pars membranacea septi selbst zahlreiche Muskelbündel ihren Ursprung nehmen, jene sogenannte häutige Stelle der Kammer- - scheidewand daher von der rechten Seite durch diese mehr ge- deckt ist, was linkerseits natürlicherweise nicht der Fall sein kann, und nach vollständiger Abtragung der erwähnten Muskel- | bündel so wie der die häutige Stelle der Scheidewand der Kammern mehr oder weniger deckenden Zipfel der dreizipfligen Klappe und nach Hinwegnahme des die linke Seite der pars - membranacea überziehenden Endocardiums überzeugt man sich, dass die den dreieckigen Raum zwischen rechter vorderer und _ rechter hinterer Aortenklappe obturirende fibröse Membran von rechts sowohl, als von links her gesehen, ganz gleich gwoss "ist. Es ist vollkommen richtig, dass in der Mehrzahl der Fälle der Scheidewandzipfel, ja auch meistens, wie ich sehe, das äusserste linke Ende des vordern rechten Segels der valvula ' trieuspidalis theilweise an dieser pars membranacea septi ven- trieulorum sich befestigen, auch kurze chordae tendineae von r a Far ee - ASIME 308. Bochdalek jun.: dieser zu den rauhen Flächen erwähnter Klappenzipfel abtreten und eine grössere oder kleinere Partie der pars membranacea in verschiedenem Masse decken, so dass dann der unterhalb der Grenze der Anheftung dieser Zipfel der valvula tricuspida- lis gelegene Bezirk der pars membranacea in das Bereich der E Höhle der rechten Kammer, der oberhalb der Grenze der An- heftung jener Klappenzipfel gelegene Bezirk des häutigen Theils der Kammerscheidewand jedoch in das Bereich der Höhle des rechten Vorhofes fällt; doch kamen mir Fälle vor, wo der Scheidewandzipfel der trieuspidalis sich striete nur an den hin- tern obern Rand des muskulösen Theils des septum ventricu- lorum befestigt, daher die sogenannte pars membranacea mit ihrer rechten Seite ganz in das Bereich des rechten Vorhofes fiel, so wie ich andererseits wieder Herzen beobachtete, wo die pars membranacea selbst auf ein Minimum beschränkt erschien durch Tieflagerung des rechten vordern Faserknorpelfadens und Befestigung desselben an der am meisten convexen Stelle des linken arteriellen Faserringes der rechten hintern Aortenklappe, und auch zugleich, wie in manchen Fällen die Anheftung des Scheidewandzipfels der valvula trieuspidalis unmittelbar an dem Insertionspunkte des vordern rechten Faserknorpelfadens er- folgte, daher die sehr redueirte pars membranacea dann ganz in das Bereich der Höhle des rechten Ventrikels fallen musste. Ich weiss in der That nicht, was eigentlich dazu berech- tigt, eine Partie der die Lücke zwischen rechter vorderer und rechter hinterer Aortenklappe ausfüllenden fibrösen Membran — wenn auch Perforationen derselben und zwar theils angeborene, theils ererbte beobachtet wurden — als der Scheidewand der Kammern angehörig zu betrachten und als häutigen Theil der- selben zu bezeichnen, da man mit demselben Rechte dann auch einen, wenn auch nur sehr kleinen Bezirk der rechten Seite der hintern obern Partie der Scheidewand der Kammern zu- nächst deren hintern obern Rande, wie gleich gezeigt werden wird, und welche entschieden in das Bereich der Höhle des rechten Vorhofes hereinfällt, eigentlich als der Scheidewand der Atrien angehörig betrachten müsste, was wohl dieses Ver- haltens ungeachtet Niemand einfallen dürfte, Anatomische Beiträge. 309 Der Scheidewandzipfel der valvula trieuspidalis, der meist, _ wie bekannt und schon erwähnt, an der sogenannten pars mem- branacea septi ventrieulorum, manchmal jedoch auch bloss hart längs der Grenze des letztern, an der Stelle, deren Befestigung längs dem hintern obern Rande des muskulösen Theiles der Scheidewand der Ventrikel anhaftet, zieht nämlich von der so- genannten pars membranacea in einer schiefen Linie von vorn und oben nach hinten und unten herab, so dass er nach rück- wärts zu nach und nach vom hintern obern Rande der Kammer- scheidewand, so wie von der hintern Partie des mittleren ge- meinschaftlichen faserknorpligen Streifens sich etwas entfernt und seine Anheftungslinie mehr auf die hintere obere Partie der rechten Seite der Kammerscheidewand herabrückt, allwo derselbe unmittelbar an die Muskelsubstanz derselben sich be- festigt und mit dem mittleren Faserknorpelstreifen ausser allem Contact bleibt, die Sache daher hier anders sich verhält, als linkerseits, wo das rechte Ende des Aortenzipfels der valvula bicuspidalis unmittelbar an den gemeinschaftlichen mittleren Faserknorpelstreifen angeheftet erscheint. Es fällt somit rech- terseits noch eine kleine, etwa 4' lange, 2—3'' hohe Partie der hintern obern Abtheilung des septum ventriculorum, welche oberhalb der Grenzlinie der Anheftung des Scheidewandzipfels der dreizipfligen Klappe gelagert ist, entschieden mit in das Bereich der linken Wand des rechten Vorhofes, daher‘ der Scheidewand der Vorhöfe herein, was auch der eigentliche Grund ist, warum die rechte Seite des septum atriorum weiter herabreicht, als dies nach dem linken Vorhofe zu der Fall ist. Die der hintern Partie der rechten Seite des septum atriorum angehörende, etwas nach aufwärts ansteigende Muskelfaser- ‚schicht, welche den von Wolff beschriebenen dreiseitigen, nach diesem Autor am hintern Umfange der Aorta hinter der rech- ten hintern Semilunarklappe sich öffnenden, nach Theile da- gegen daselbst blind endigenden Canal der Scheidewand von der rechten Seite her begrenzt, — nimmt in vielen Fällen ihren Ursprung genau an dem rechten Umfang der hintern Partie des mittleren Faserknorpelstreifens und weiterhin vom hintern Fa- den des rechten venösen Faserringes, in welchem Falle dann, — a PL 2 310 Bochdalek jun.: da, wie ich früher angeführt, der Scheidewandzipfel der val- - 2 vula trieuspidalis von dem gemeinschaftlichen mittleren Faser- i knorpelstreif nach rückwärts zu sich etwas entfernt, und dessen Anheftung vom hintern obern Rande des septum ventrieulorum etwas mehr auf die hintere obere Partie der rechten Seite des letztern herabrückt, — dieser erwähnte kleine Bezirk des sep- tum ventrieulorum, als über der Anheftung des Scheidewand- zipfels der dreizipfligen Klappe gelegen, unmittelbar in das Be- reich der Höhle des rechten Vorhofes mit eingezogen und bloss durch das Endocardium überkleidet ist, während in anderen Fällen wieder die in Rede stehende Muskelfaserschicht ihren Ursprung vom rechten Umfange des mittleren Faserknorpel- streifens bis an die Grenzlinie der Anheftung des Scheidewand- ‘ zipfels der valvula trieuspidalis herab versetzt und daher den schon näher beschriebenen kleinen Bezirk der Scheidewand der Kammern deckt, so dass letzterer dann nur mittelbar mit an der Bildung des septum atriorum partieipirt. Die die Räume zwischen vorderer und hinterer rechter Semilunarklappe der Aorta einerseits, so wie zwischen linker und hinterer rechter Aortenklappe andererseits obturirenden fi- brösen Häute sind, abgesehen davon, dass sie Ausfüllungs- membranen darstellen, auch als starke Befestigungsmittel des Hauptschlagaderstammes zu betrachten. Sieht man daher mit Friedrich Wilhelm Theile die den Raum zwischen linker und hinterer rechter Aortenklappe erfüllende fibröse Membran als der Aorta angehörend an, (dieser Autor sagt Seite 31 und 32 seiner Gefässlehre von der venösen Mündung der Aorten- klappe: „Sie (die venöse Mündung) wird von der ganzen Basis der linken Kammer gebildet, ausgenommen die Strecke vom vordern Rande der Vorhofsscheidewand zum vordern Rande der Kammerscheidewand, denn in dieser Strecke trägt die hin- tere Wand der Aorta zu ihrer Bildung bei“, was eben nur dann wahr ist, wenn Theile die oben erwähnte Ausfüllungs- membran als der Aorta angehörend ansieht, da deren Gefäss- wandungen selbst wohl nichts zur Begrenzung der linken ve- nösen Mündung beitragen,) so sehe ich nicht ein, warum man eben eine ganz ähnliche Membran, welche den Raum zwischen Bi = Sn a Zn Anatomische Beiträge. 311 _ rechter vorderer und rechter hinterer Aortenklappe ausfüllt, als dem septum ventrieulorum, und nicht, wie richtiger, als der Aorta angehörend betrachtet. Einzig und allein gerechtfertigt und anatomisch genau wäre die Bezeichnung und Auffassung einer pars membranacea septi nur dann, wenn letztere in der That in den hintern obern Rand des septum ventriculorum und somit in dieses selbst hereingriffe, was ich jedoch unter allen den von mir untersuchten 90 Fällen kein einziges Mal beob- achtete, vielmehr immer auch auf senkrechten Durchschnitten den muskulösen Theil des septum ventrieulorum An seinem hin- tern obern Rande geräde und scharf abgegrenzt gegen die auf demselben aufsitzende fibröse Membran sah, daher ich wohl annehmen muss, dass ein anderes Verhalten kaum existiren dürfte. Ich verfolgte in diesen Zeilen nicht die Absicht, mich in Wiederholung der Beschreibung der sogenannten pars mem- branacea septi ventriculorum — welche Partie schon vielfach hin und wieder theils mehr, theils minder richtig und genau von verschiedenen Autoren abgehandelt wurde — zu ergehen, und wollte nur dargethan haben, dass man allen Grund hätte, eine an und für sich unrichtige und ganz falsche Bezeichnung für eine ebenso unrichtig aufgefasste und eigentlich als solche gar nicht einmal existirende Sache, wie sie die bisher soge- nannte pars membranacea septi ventriculorum cordis ist, aus der Nomenklatur der Anatomie vollkommen zu streichen. Mei- nes Erachtens sind Perforationen, aneurysmatische Ausdehnun- gen etc. der in Rede stehenden, der Aortenwurzel angehörenden fibrösen Membran nicht als Affectionen der Kammerscheidewand, sondern, anatomisch richtig, als die Aorta betreffend zu be- trachten. Da ich der Faserknorpelfäden des Herzens hier schon mehr- mals Erwähnung that, will ich bei dieser Gelegenheit bemerken, dass ich einige Male ganz deutlich Kreuzung der Fasern am mittlern faserknorpligen Streifen beobachtet zu haben glaube, so zwar, dass die Fasern des hintern Fadens des linken venösen Faserringes durch den mittleren Faserknorpel- streifen nach rechts herüberzogen, um theilweise mit der rech- ten Abtheilung der faserknorpligen Grundlage der rechten hin- 312 Bochdalek jun.: tern Semilunarklappe der Aorta sich zu vereinigen, theilweise _ in die fibröse Ausfüllungsmembran des Raumes zwischen vor- derer rechter und hinterer rechter halbmondförmiger Aorten- klappe auszustrahlen, theils, wie ich manchmal sah, unmittel- bar in den Knoten des vordern Fadens des rechten venösen Faserringes, theils, wie ich wieder in einigen andern wenigen Fällen beobachtete, in einen schon vorhin erwähnten Faden überzugehen, welcher eine grössere oder geringere Strecke weit zwischen dem hintern obern Rande des muskulösen septum ventriculorum und der auf demselben aufsitzenden fibrösen Aus- füllungsmembran zwischen den beiden rechten Aortenklappen nach vorne sich verfolgen liess. Die Fasern des hintern Fadens des rechten venösen Faserringes ziehen hinwiederum, wie es mir schien, durch den mittleren Faserknorpelstreif nach der linken Seite hin, um in die den Raum zwischen hinterer rech- ter und linker Semilunarklappe ausfüllende, auf der Basis des Aortenzipfels der valvula bicuspidalis aufsitzende fibröse Mem- bran und in den ramus anastomoticus auszustrahlen, so wie mit der linken Abtheilung des Faserreifs der rechten hintern Aortenklappe eine Verbindung einzugehen. In andern Fällen schien es mir, als hätte die von mir beobachtete Kreuzung der Fasern am gemeinschaftlichen Faserknorpelstreif bloss die inner- sten Fasern desselben betroffen, während die an der Peripherie verlaufenden äusseren auf ihrer Seite ihren Verlauf weiter nah- men, ähnlich dem Verhalten der Nervenfasern am chiasma ner- vorum opticorum. Auch das Microskop schien mir diese meine Beobachtung zu bestätigen, obwohl ich gestehen muss, über die Sache selbst noch nicht vollständig im Klaren zu sein, und ich vielleicht erst später im Stande sein werde, Aufschluss darüber geben zu können, Doch scheint mir a priori auch der Um-. stand für das von mir erwähnte Verhalten zu sprechen, dass gerade in Folge der Kreuzung der Fasern am mittleren Faser- knorpelstreif, an welchem 'so zahlreiche Muskelbündel der Kam- mern sowohl, als der Vorhöfe des Herzens ihren Ursprung nehmen, eine bedeutend grössere Festigkeit und Widerstands- fähigkeit erzielt wäre. Dort, wo der mittlere faserknorplige Streif im Begriffe ist, Anatomische Beiträge. 313 mit der Stelle der grössten Convexität des linken arteriellen Faserreifs der hintern rechten halbmondförmigen Aortenklappe seine Verbindung einzugehen, sehe ich in vielen Fällen von der der Scheidewand der Vorhöfe zugekehrten Seite dieses mittlern gemeinschaftlichen Faserstreifs einen sehnigen Fa- den oder Streif entspringen, welcher seinen Verlauf hinter und über der hintern Partie der als solcher angesehenen pars membranacea septi ventriculorum nach rückwärts nimmt, die zwischen die beiden Lamellen der Eustachschen Klappe eintretenden Muskelbündel begleitet, eine grössere oder ge- ringere Strecke weit in der genannten Klappe ent- weder näher dem angewachsenen, häufiger aber dem freien Rande derselben entlang sich verfolgen lässt und dann meist fächerförmig ausgebreitet in derselben sich verliert. Dieser oft silberglänzende Sehnenfaden, den ich meist nur !/, Linie, selten bis '/); Linie breit antraf, und der, wenn auch durchaus nicht constant vorkommend, doch häufig genug gefunden wird, er- schien mir denn doch aus dem Grunde wenigstens erwähnens- werth, weil bisher Niemand von dessen Existenz Notiz ge- nommen zu haben scheint, derselbe aber eben zu der valvula Eustachii in Beziehung steht, welcher letzteren also, in vielen Fällen wenigstens, der Analogie der andern Herzklappen gemäss auch eine, wenn auch nur sehr rudimentäre sehnige, von den übrigen faserknorp- ligen Fäden des Herzens ausgehende und mit den- selben zusammenhängende sehnige Grundlage zu- kom mt. In der Jenaischen Zeitschrift für Medizin und Naturwissen- schaft vom Jahre 1865 (II. Band, 1. Heft Seite 126) beschreibt Gegenbaur eine netzförmige Eustach’sche Klappe, ein übri- gens durchaus nicht so seltenes Vorkommen, da ich dergleichen netzförmige Eustach’sche und Thebes’sche Klappen, zu wieder- holten Malen und manchmal in ganz ausgezeichnetem Grade, wie die feinsten und zartesten Spitzen, angetroffen habe. In andern Fällen hatte, die Eustach’sche oder Thebes’sche Klappe ein mehr gegittertes Aussehen, da diese Klappen aus einem ganzen Strickwerk von Fäden mit mehr oder weniger grossen Reichert’s u. du Bois-Reymoend’s Archiv. 1868. 21 314 Bochdalek jun.: Maschenräumen zusammengesetzt waren. So sah ich z. B. in einem Herzen die valvula Thebesii, von der auch nicht einmal der schmalste Saum vorhanden war, durch einen einzigen vor dem orificium venae coronariae magnae schief von oben und aussen nach unten und innen hinweggespannten dünnen Faden substituirt. Wichtiger scheint mir aber der Umstand, dass Gegenbaur in den Fädchen der von ihm beschriebenen ge- gitterten Eustach’schen Klappe mittelst des Mikroskopes sehnige Elemente zweifellos nachgewiesen haben will, ein Befund, der meine Angabe nur zu unterstützen vermag. Anfangs glaubte ich, dass die stärkere oder schwächere Entwicklung dieses von mir beobachteten Sehnenfadens viel- leicht mit durch eine stärkere oder schwächere Entwicklung der bei manchen Herzen von Erwachsenen noch auf fötaler Stufe stehenden Eustach’schen Klappe bedingt sei, um so mehr, da in dem ersten Falle, wo mir dieser Faden auffiel und der- selbe mehr als alle die übrigen Male, wo ich ihn wieder fand, durch grössere Stärke sich auszeichnete, auch die valvula Eu- stachii von ausgezeichneter Breite und Länge war. Andererseits wurde diese Annahme durch weitere Untersuchungen nicht ge- rade bestätigt, da ich den erwähnten sehnigen Streifen mehrere Male bei ziemlich gut entwickelten Eustach'schen Klappen nicht nachzuweisen vermochte, während ich denselben bei mehr rudi- mentären dagegen fand. Dieser Sehnenfaden, welcher zugleich zahlreichen Muskelfasern der Scheidewand der Vorhöfe mit zum Ursprunge dient, schimmert namentlich beim Anziehen der Eustach’schen Klappe, wenn er nur einigermassen entwickelt ist, meist schon an der vordern untern Partie der rechten Seite des septum atriorum, dort, wo das vordere Horn der valvula Eustachii um den vordern Umfang des limbus foveae ovalis sich verliert, durch den innern Herzüberzug als gelblich weis- ser Streif hindurch. Il. Die foramina Thebesii des Herzens, — welche von Alters her von den Anatomen als Mündungen der in den Wan- dungen der Vorhöfe und Kammern, namentlich jedoch der er- ; B re Anatomische Beiträge, 315 stern, sich verzweigenden sogenannten venae 'cordis minimae erklärt wurden, welcher Annahme seither zahlreiche Anatomen, unter denen Autoritäten, wie Krause (Vater), Hyrtl u. a. folgten, — wurden zuerst von Cruveilhier, weiter von Theile, neuester Zeit jedoch besonders von Hubert Luschka, ich ‘weiss nicht, ob auf Grund eigener Untersuchungen, als Venen- mündungen beanstandet, welcher letztere Autor namentlich mit aller Entschiedenheit über die foramina Thebesii des Herzens ‘sein Urtheil sprach, und dieselben insgesammt geradezu für blosse blinde Ausstülpungen des Endocardium er- klärt. Es scheint somit die Lehre der alten Anatomen über den Haufen geworfen. Diese contrastirenden Ansichten veran- lassten mich denn, mich von der Wahrheit oder Unwahrheit dieser beiden Lehren durch eigene Anschauung zu überzeugen und machte ich somit die foramina Thebesii zum Gegenstande meiner Untersuchungen, welche mir Resultate ergaben, die mir zeigten, dass Luschka, der Lehre Cruveilhier’s, wie es scheint, etwas allzusehr vertrauend und nicht auf vollständig gründliche eigene Anschauung basirt, keineswegs mit Recht eine irrthümliche Ansicht unterstützt und auch seinem anato- mischen Werke einverleibt habe. Die sogenannten foramina Thebesii sind an verschiedenen "Stellen der Wandungen beider Vorhöfe sich vorfindende Oeff- nungen, deren Zahl wie Grösse mannichfachen Varianten unter- worfen ist. Den rechten Vorhof anlangend, zeigen sich dieselben meist nur an der der Scheidewand angehörenden Seite dessel- ben, namentlich um den isthmus Vieussenii herum, doch: finden sich deren auch häufig an der vor der Scheidewand gelegenen Partie der linken Wand dieses Vorhofes. Ein sehr häufig vor- kommendes, bis Hirsekorn und selbst darüber grosses foramen 'Thebesii, welches ich nur selten vermisse, sehe ich auch an der hintern untern Partie des septum atriorum vor dem ori- fieium venae coronariae magnae, letzterem mehr oder weniger 'genähert. Um den Umfang dieser meist rundlichen Oeffnung "findet sich in vielen Fällen eine mehr oder weniger stark ent- “ wickelte, " manchmal jedoch äusserst zarte halbmondförmige 21” 316 Bochdalek jun.: Klappe, welche nicht selten die erwähnte Oeffnung fast voll- ständig schliesst, so dass diese durch die vorgelagerte Klappe manchmal ganz gedeckte Oefinung bloss wie ein blindes Grüb- chen aussieht, und dass manchmal längere Zeit Luft gegen dieselbe angeblasen werden muss, bis es gelingt, den durch die Klappe gesetzten Widerstand zu überwinden. Ist dies geschehen, dann kann man sich namentlich durch Lufteinblasen, wie durch In- jection mit Quecksilber oder Massen überzeugen, dass die in Rede stehende Oeffnung die Mündung eines venösen Gefässes darstelle, da die eingetriebene Luft oder die eingespritzten Massen in zahlreiche Gefässramificationen eindringen, welche Verzweigungen längs der untersten Partie des septum atriorum und des obern Bezirkes des septum ventriculorum herab ziem- lich oberflächlich ihren Verlauf nehmen. Ausserdem steht die- ses hier näher bezeichnete Foramen Thebesii duich rückwärts verlaufende anastomotische Venenzweige meist entweder mit der grossen Kranzvene selbst oder aber mit der vena coronaria cor- dis media, nahe deren Einmündung in die erstere, in Commu- nication. In einigen Fällen sah ich, namentlich durch Luft- einblasen in das vorerwähnte foramen Thebesii und in die von aerselben ausgehenden Venenramificationen den Scheidewand- zipfel der valvula tricuspidalis an irgend einer Stelle durch die unter demselben wieder hervorgetretene Luft gehoben werden und konnte ich nach Hinwegnahme des Scheidewandzipfels an der obern Partie des septum ventriculorum zwei, drei, oder auch mehrere durch diesen Klappenzipfel gedeckte, theils mehr freiliegende, theils zwischen die Trabecularmuskeln des septum ventriculorum tiefer eingegrabene, winzig kleine Oeffnungen (foramina Thebesii) entdecken, welche mehreren tiefer aus der Muskelsubstanz der Scheidewand der Kammern hervortretenden kleinen Venen angehörten und mit der oben erwähnten Venen- ramification durch Anastomosen in Verbindung standen. Durch Lufteinblasen in diese an der obern Partie der Kammerscheide- wand befindlichen kleinen foramina Thebesii gelang es umge- kehrt, die an dem Umfang des vorhin genauer beschriebenen foramen Thebesii angebrachte halbmondförmige Klappe flottiren zu machen, daher kein Zweifel über die Communication jener 2 Anatomische Beiträge. 317 beiderseitigen Oeffnungen weiter obwalten konnte. An dieser vorerwähnten Stelle des septum ventriculorum nun konnte ich mit aller Bestimmtheit foramina Thebesii — und es werden auch in den Herzkammern deren angenommen — nachweisen, welches Auffinden derselben jedoch (und es ist wohl nicht zu bezweifeln, dass foramina Thebesii auch an den übrigen Partien der Ventrikel des Herzens sich finden), der Tieflagerung dieser Oeffnungen zwischen die Gruben und Vertiefungen der Balken- muskeln wegen, mit grossen Schwierigkeiten verbunden ist. In einem Falle, wo das eben besprochene, an der hintern untern Partie des septum atriorum in grösserer oder geringerer Ent- fernung vom orificium venae coronariae gelegene foramen The- « besii von auffallenderer Grösse, als es sonst zu sein pflegt, war, zeigte sich nach Spaltung desselben eine geräumige Höhle, in derem Grunde zahlreiche kleinere, darunter aber auch eine grössere Oeffnung sich fanden, welche letztere in einen 1!/,'' dicken Venenast führte, der an der Vorderfläche des Herzens in dessen Längsfurche sich entwickelte, daselbst mit in der- selben Furche nach aufwärts verlaufenden Aesten der vena coro- naria magna anastomosirte, hierauf unter der art. coronaria cor- dis sinistra hinter den hintern Umfang der Aortenwurzel trat, zwischen dieser und der untersten Partie der vordern Wand des linken Vorhofes nach rechts herüberlief, um an dem hin- tern Umfang des rechten hintern sinus Valsalvae den vordern Rand des septum atriorum zu durchbohren und durch letzteres hindurchtretend in das vorerwähnte foramen Thebesii sich zu öffnen. In einem andern Falle, wo eben dasselbe foramen The- besii die Grösse eines Wickenkorns erreichte, mündete in das- selbe ein °/,'‘ dicker Venenstamm, welcher an der Wurzel der Lungenarterie von der Vorderfläche des conus arteriosus aus mehreren kleinen Zweigen sich entwickelte, um den rechten Umfang der Wurzel der Aorta unter der art. coronaria dextra nach rückwärts lief, um, an dem hintern Umfang der ersteren angelangt, den vordern Rand des septum atriorum zu durch- bohren und weiter eine Strecke in diesem verlaufend, durch jenes foramen Thebesii in die Höhle des rechten Vorhofes sich zu öffnen. Selten mangelt dieses foramen Thebesii vollständig ern ar n.2% 2 re z hu we u Fe FE anT BE 318 ya: Bochdalek jun.: oder wird-durch zwei bis drei winzig kleine Oeffnungen ver- treten. Die Zahl der foramina Thebesii im rechten Vorhofe, sowie deren Grösse, ist schwankend. In manchen Fällen finden sich deren bis 10 und 12 und selbst darüber, in andern Fällen ist ihre Zahl auf 3—2—1 reducirt, oder sie fehlen selbst gänz- lich in der Höhle des rechten Vorhofes und sind, wie ich finde, an die linke Seite des untern Endes der obern Hohlader in die Höhe gerückt. Ihre Grösse und Form anlangend, findet man an einem und demselben Herzen foramina Thebesii von ver- schiedenen Dimensionen. Einige sind rundlich und winzig klein, andere von mehr spaltähnlicher Form, ähnlich den Mündungen der Uretheren, wieder andere präsentiren sich als grössere rundliche Gruben und Vertiefungen, in deren Grunde zahlreiche _ kleinere Oeffnungen sichtbar sind. Bei genauerer Untersuchung überzeugt man sich, namentlich am besten durch Luftanblasen gegen solche foramina Thebesii, dass gar nicht selten, sowohl um den Umfang primärer, als secundärer (es sind dies in die ersteren sich einmündende kleinere Oeffnungen) Löcher, kleine, manchmal nur äussert zarte, halbmondförmige ein- oder auch zweilippige Kläppchen angebracht sind, welche Kläppchen in Folge stärkerer Entwicklung eine oder die andere Oeffnung vollständig zu decken im Stande sind, so dass diese, wie schon früher erwähnt wurde, dann nur als Grübchen sich präsentiren und es in solchen Fällen oft erst durch länger anhaltendes Luftanblasen gelingt, das vor die Oeffnung vorgelegte Kläpp- chen zu heben und die verdeckte Oefinung somit zur Ansicht zu bringen. Durch Luftanblasen gegen ein oder das andere foramen Thebesii sieht man meist durch ein oder mehrere ent- fernter liegende dergleichen Oeffnungen blutigen mit Luftblasen gemengten Schaum heırvortreten, sowie es gar nicht selten ge- liogt, durch diese Manipulation die eingeblasene Luft auch in die Höhle des linken Vorhofes einzutreiben, es daher nicht zweifelhaft sein kann, dass die foramina Thebesii des rechten Vorhofes theils unter einander, theils mit der Höhle des linken Vorhofes durch in demselben sich vorfindende Oefinungen in Communication stehen müssen, Dass die foramina Thebesii Mündungen kleiner, mitunter. 3 | Anatomische Beiträge 319 sehr kleiner Venchen, aber auch selbst grösserer Venen sind, davon habe ich mich durch Injection sowohl, als im nichtinji- cirten Zustande dieser Venen mit aller Sicherheit überzeugt. _ Abgesehen davon, dass es durch Lufteinblasen gegen ein oder das andere foramen Thebesii des rechten Vorhofes gar nicht selten gelingt, die in der Scheidewand der Atrien näher dem Endocardium und mehr oberflächlich sich verzweigenden und vielfach sich ramificirenden Venenästchenr durch den innern Herzüberzug hindurch deutlich sichtbar zu machen, habe ich nach Hinwegnahme des Endocardiums und durch vorsichtiges Zerzupfen der Muskulatur der Vorhofsscheidewand die in dem- selben sich vielfach verbreitenden kleineren und kleinsten Ve- nen meistens ganz entschieden zu den foramina Thebesii ver- folgen und dann von diesen aus sondiren können. Die Unter- ‚suchung der foramina- Thebesii mit einem feinen Rosshaar, ehe man die zu denselben führenden Venenästchen blossgelegt, ist meist schwer, da man gewöhnlich auf Widerstand stösst und die Sonde nicht vorzuschieben vermag, da ja die in den fora- mina Thebesii mündenden Venen selbst meist nur von geringem Caliber sind, geschlängelt verlaufen und immer wieder in kleine Aeste sich spalten, an welchen Stellen dann das eingeführte Rosshaar sich stemmt und unmöglich weiter vorzuschieben ist, was dann leicht bei nur oberflächlicher Untersuchung zu der Annahme veranlassen kann, man habe es bei den sogenannten foramina Thebesii in allen Fällen mit blossen blinden Einsen- kungen in die Herzsubstanz zu thun. Einige Male habe ich, da, wie schon erwähnt, nicht bloss an der rechten Seite der Vorhofsscheidewand selbst ‚ sondern auch an der vor letzterer befindlichen Abtheilung der linken Wand des rechten atrium foramina Thebesii gefunden werden, Venenstämmchen bis zu 1/a‘" Durchmesser und selbst darüber unmittelbar durch eine grössere Oeffnung in die Höhle des rechten Vorhofes sich ein- münden sehen. Dergleichen grössere Venen, welche nicht sel- ten, namentlich um den isthmus Vieussenii herum, ich möchte sagen, völlige sinus bilden, nehmen von allen Seiten her zahl- reiche kleinere Venen auf und öffnen sich dann stets mit grös- seren Mündungen in die Höhle des rechten Vorhofes als grössere 320 Bochdalek jun: foramina Thebesii. Einige Mal sah ich einen Venenstamm bis zu 1'/,‘ Durchmesser, welcher durch den Zusammenfluss eini- ger von der Vorderfläche des conus arteriosus und der übrigen Partie des rechten Ventrikels heraufziehenden Venen (venae cordis parvae, seu anteriores) sich entwickelte, sodann unter dem rechten Herzohre an der vordern Abtheilung der linken Wand des rechten Vorhofes nach aufwärts lief, daselbst auch kleinere Venen von der Vorderwand des linken Vorhofes, sowie aus dem septum atrioram hervortretende Zweige aufnahm und an der genannten Wand mit einem bis 2‘ und darüber grossen foramen Thebesii in die Höhle des rechten Vorhofes sich öff- nete, abgesehen davon, dass noch einige andere sogenannte venae cordis parvae auch an der Vorderwand des rechten Vor- hofes zwischen dessen Kammmuskeln wie gewöhnlich einmün- deten. In einem Falle sah ich eine 1'/,'“ starke vena coro- naria cordis dextra, welche den ganzen rechten sulcus atrioven- trieularıs einnahm, einerseits wie gewöhnlich in dem orificium venae coronariae magnae hinter der valvula Thebesii sich öffnen, während ihres Verlaufes durch die ganze rechte Abtheilung des sulcus atrioventricularis zahlreiche Aeste von der hintern Fläche des rechten Ventrikels, sowie vom vordern Herzrande, weiter von der vordern Fläche der rechten Kammer (sogenannte venae cordis anteriores seu paryae) aufnehmen und an der vor- dern Abtheilung der linken Wand des rechten Vorhofs unter- halb dessen Herzohr in die Höhle des erstern mittelst eines 1'/,“ im Durchmesser haltenden länglich runden foramen The- besii münden. Ich kann bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt lassen, dass ich die vena coronaria cordis dextra viel häufiger, als Theile’s Angabe lautet, und zwar durchschnittlich in 4 Fällen einmal sah, sowie ich öfter Varianten derselben beobachtete, Diese Vene entwickelt sich hauptsächlich, und nicht wie Theile angiebt, bloss aus kleineren Aesten des rechten Vorhofes, son- dern aus von der rechten Kammerabtheilung des Herzens zum suleus atrioventricularis heraufsteigenden Aesten, und zwar sol- chen, welche von der hintern Fläche des rechten Ventrikels und vom scharfen Rande heraufziehen und sodann, anstatt Anatomische Beiträge. 321 selbstständig an der untern Partie der hintern Wand des rech- ten Vorhofes sich zu öffnen, zu einem grösseren Stämmchen, der vena coronaria cordis dextra, zusammenzutreten, welche in der hintern Abtheilung des rechten sulcus atrioventricularis nach links herüberläuft; in andern Fällen entwickelt sich die vena coronaria cordis dextra aus einer oder mehreren venae cordis anteriores, welche von der Vorderfläche des rechten Ven- trikels und seines conus arteriosus herauftreten und läuft dann in einem grösseren oder kleineren Theil auch der vorderen Abtheilung der rechten Querfurche, oder selbst die ganze Länge der letztern einnehmend, nach rückwärts bis zu dem orificium venae coronariae magnae, um daselbst hinter der valvula The- besii sich zu öffnen. Den linken Vorhof anlangend, finden sich auch in diesem foramina Thebesii, deren Lage, Grösse, Zahl gleichfalls Schwan- kungen unterworfen sind. Ich sah die foramina Thebesii in diesem Vorhofe sowohl an dessen rechter, der Scheidewand an- gehörenden, als an seiner hintern, obern und vordern Wand, und zwar von verschiedenen Dimensionen und Formen, wie im rechten Vorhofe. Die Zahl der foramina Thebesii im linken Vorhofe variirt desgleichen und zählte ich deren bis 8 und selbst darüber, während ich andere Male nur eine einzige solche Oeffnung nachzuweisen vermochte; doch muss ich sagen, dass ich auch in diesem Vorhofe die foramina Thebesii fast nie ganz ver- misste. Einige Mal sah ich ein einziges, bald grösseres, bald kleineres foramen Thebesii an der hintern oder aber an der obern Wand des linken Vorhofes, während ich sonst trotz ge- nauen Nachsuchens keines weiter aufzufinden im Stande war. Auch hier finden sich, wie im rechten Vorhofe, entweder an den primären Thebes’schen Löchern selbst, oder aber an den secundären kleineren, in die grösseren sich einsenkenden Oeff- nungen nicht selten kleine, meist sehr zarte, halbmondförmige Kläppchen. So wie im rechten Vorhofe habe ich auch hier nach Hinwegnahme des Endocardium die kleinen, in der Mus- kelsubstanz der Wandungen des linken Vorhofes sich verzwei- genden Venen im injieirten und nichtinjicirten Zustande auf- SAH Bochdalek jun.: gesucht und ganz unzweifelhaft bis zu deren Mündungen an den foramina Thebesii verfolgt, und sah ich auch in diesem Vorhofe einige Mal Venen von über '/,' Durchmesser durch ein grösseres foramen Thebesii in die Höhle dieses atriums münden. | Luschka’s Angabe, nach welcher die foramina Thebesii . im Allgemeinen keine Venenmündungen und nichts als blosse | blinde Lacunen sind, und welche darin ihre Stütze finden soll, weil eben solche foramina Thebesii auch im linken Vorhofe gefunden werden, da es dem genannten Autor nicht plausibel erscheint, dass venöses Blut in den arteriellen Vorhof sich er- 4 giessen solle, ist grade kein Gegenbeweis, da es ja bekannt ist, | dass auch grössere Bronchialvenen in die Lungenvenen oder d selbst in den linken Vorhof sich öffnen. Ich beobachtete an dem Herzen eines 75 Jahre alten Weibes eine derartige Thei- lung der grossen Kranzvene in zwei fast gleich starke Aeste, dass der eine derselben in den rechten Vorhof, der andere Ast aber in den linken Vorhof einmündete, ohne dass Störungen in der Function der Circulationsorgane oder allgemeine Erschei- nungen im Leben nachzuweisen gewesen wären, wenigstens schien man dergleichen nicht beobachtet zu haben, da die be- treffende Person im Prager allgemeinen Krankenhause als an a at a u Marasmus verstorben angeführt wurde. Fälle, wo der ganze Stamm der vena coronaria magna in den linken Vorhof sich a a te care 72 Ad A nn aan a Au m 5 öffnete, werden gleichfalls in der Literatur angeführt. So wurde auch Einmündung der vena anonyma sinistra, wo diese mit der anonyma dextra keine Vereinigung einging und die obere Hohl- vene dann gleichsam doppelt erschien, in den linken Vorhof beobachtet. Durch Lufteinblasen in die foramina Thebesii des linken Vorhofes kann man sich, so wie bei denen des rechten (Vor- S r- y hofes) sehr gut die Ueberzengung verschaffen, dass dieselben unter einander in offener Verbindung stehen, da die gegen eine oder die andere dieser Oeffnungen eingeblasene Luft mit Luft- blasen gemengten blutigen Schaum aus anderen entfernter an- gebrachten foramina Thebesii hervortreibt, so wie es sehr häufig gelingt, auch die Wandungen des rechten Vorhofes durch das- Anatomische Beiträge. 323 selbe Verfahren auszudehnen, daher die foramina Thebesii des _ linken Vorhofes offenbar auch mit der Höhle des rechten atriums in offener Communication sein müssen. Die Verästlungen der in den Wandungen des linken Vorhofes sich ausbreitenden Ve- nen durch Lufteinblasen in ein oder das andere foramen The- besii von der Höhle dieses Vorhofes, wie dies im rechten atrium. nicht selten gelingt, zur Anschauung zu bringen, ist wegen des im linken Vorhofe bedeutend dickeren und elastischen Endo- cardiums nicht gut möglich, und gelingt dies erst nach Hinweg- nahme des letzteren und Blosslegung einiger Venenstämmchen, Zum ferneren Beweise, dass die Höhlen des rechten sowohl als des linken Vorhofes durch die foramina Thebesii mit den t , e k venösen Gefässen in offener Verbindung stehen und Mündungen von solchen darstellen, führe ich an, dass es sehr häufig gelingt, die Höhlen des einen oder des andern Vorhofes oder aber beide zugleich von Nebenästen der vena coronaria magna aus mit Luft oder Injectionsmasse zu füllen, so wie umgekehrt es mir einige Mal möglich war, durch Lufteinblasen von irgend einem foramen Thebesii des linken Vorhofes her die Luft in ‚die grosse Kranzvene einzutreiben. Spaltet man nämlich die grosse Kranzvene des Herzens, so sieht man namentlich an deren unterem, so wie an ihrem vordern obern Umfange zahl- reiche kleinere und grössere Oeffnungen von in dieselbe sich einmündenden Venenästen. Namentlich in dem in der hintern Abtheilung des linken sulcus atrioventricularis verlaufenden Stücke der grossen Kranzvene sind es einige am vordern obern Umfang dieses Venenstammes befindliche Oeffnungen, welche ich hier besonders berücksichtigen will. Diese Oeffnungen, 5 bis 6, in andern nur 2 bis 5 an der Zahl, sind entweder melır gegen die Einmündungsstelle der vena coronaria magna-in den rechten Vorhof oder aber weiter von derselben entfernt ange- bracht. Auch hier finden sich sehr häufig um den Umfang dieser Venenmündungen kleine, sehr zarte, manchmal stärker entwickelte halbmondförmige Kläppchen, welche auch so stark entwickelt sein können, dass sie dieselben mehr oder weniger vollständig decken, und diese Oeffnungen nur wie Grübchen sich ausnehmen, bis es manchmal erst durch länger fortgesetztes 324 Bochdalek jun.: Luftanblasen möglich ist, die widerstrebende Klappe zu bewäl- tigen und der von ihr verdeckten Oeffnung ansichtig zu werden. Eine oder die andere dieser Oeffnungen findet sich auch nicht selten ganz verdeckt durch das obere Horn der sehr häufig im Lumen der hintern Abtheilung der grossen Kranzvene, jedoch in sich nicht constant gleich bleibender Entfernung vom orifi- cium venae coronariae angebrachten halbmondförmigen Klappe. Bläst man durch eine oder die ändere der erwähnten Oeffnun- gen Luft ein oder aber injieirt man von einer dieser Oeffnun- gen aus, so dringt die eingeblasene Luft oder eingespritzte Masse in die namentlich an der hintern, weiterhin an der obern Wand des linken Vorhofs, ferner an der hintern Wand des rechten Vorhofs verlaufenden und auch in die Scheidewand der Vorhöfe eindringenden und daselbst sich ramificirenden Ve- nen, so wie häufig in die Höhle des linken Vorhofes, oder auch in die Höhle des rechten atriums oder in beide zugleich ein. Ich will mich hier gegen den etwaigen Einwurf verwahren, dass bei dieser meiner Untersuchung vielleicht eine Täuschung unterlaufen sein und die eingeblasene Luft etwa durch foramina Thebesii zunächst in den rechten Vorhof und von hier aus erst durch die zwischen limbus foveae ovalis und der valvula fora- minis ovalis sehr oft sich vorfindende verschieden grosse Lücke, als Rest des einstigen fötalen ovalen Loches, in den linken Vorhof eingedrungen sein könnte. Auch in Fällen, wo jede Spur eines foramen ovale vollständig verschwunden und weder mehr eine Lücke noch auch eine kleine Oeffnung des einstigen ovalen Loches nachweisbar war, hob die in die vorerwähnten Nebenäste der vena coronaria magna eingeblasene Luft, ohne vorher in den rechten Vorhof einzudringen, sogleich nur die Wandungen des linken Vorhofes, daher es gewiss keinem Zwei- fel unterliegen kann, dass zwischen der vena coronaria magna und der Höhle sowohl des linken, als auch des rechten Vorhofes, und zwar durch die foramina Thebesii derselben durch Vermittlung der Seitenäste der genannten Vene Communicationen statt haben müssen. Auch in der vordern Partie der vena coronaria magna bei ihrem Eintritt in die linke Abtheilung des sulcus atrio- ventricularis werden von jener kleine Venen aufgenommen, Anatomische Beiträge. 325 ‘welche namentlich in der vordern Wand des linken Vorhofes sich verzweigen, und sah ich solche Venchen auch in die Höhle des linken Herzohres zwischen dessen Kammmuskeln sich öff- nen. Andererseits ist es jedem Anatomen bekannt, dass nament- lich im linken Vorhofe sehr häufig grössere oder kleinere, wie genetzt aussehende Partien sich finden, von denen längst ent- schieden ist, dass sie keine Venenmündungen sind und die wohl auch von Niemand als foramina Thebesii angesehen wur- den. Durch meine oft sehr mühsamen Untersuchungen habe , ich mich hinlänglich überzeugt, dass die Lehre Cruveilhier’s, Theile’s und neuester Zeit Luschka’s nicht haltbar und nicht gerechtfertigt sei, und muss ich mich vielmehr — basirt auf gründliche Forschungen — entschieden dahin aussprechen, dass die Mehrzahl der Oeffnungen und oft nur scheinbaren Gruben und Grübchen an der Innenfläche der Wandungen so- wohl des rechten als des linken Vorhofes, welche von Alters her den Namen der foramina Thebesii führen, die Mündun- gen kleiner und kleinster, manchmal zu grösseren Stämmen confluirender, in den Wandungen der Vor- höfe sich vielfach verzweigender Venen darstellen, und dass die oben angeführte entgegengesetzte Ansicht genann- ter Autoren nur das Ergebniss flüchtiger Beobachtung sein konnte. Wollen wir den alten Anatomen, dort, wo sie Recht hatten, auch ihr Recht und Verdienst belassen. Ar _ Ueber die Empfindungsnerven der hintern Extre- mitäten beim Frosche. Von A. KOSCHEWNIKOFF aus Moskau. (Hierzu Taf. IX.) Die Frage über die Vertheilung der Tmpficdunkeinsci du verschiedenen in die Plexus eintretenden Rückenmarkswurzeln in der Haut der Extremitäten hat schon lange die Physiologen | beschäftigt. Da aber diese Frage hauptsächlich in Bezug auf ; den Menschen Interesse erregte, so wurden zu den Versuchen dem Menschen möglichst nahe stehende Thiere gewählt. Peyer!) untersuchte die Vertheilung beim Kaninchen, Türk?) beim . Hunde, Krause°) ebenfalls beim Kaninchen und zum Theil bei dem Affen. Was aber die Verhältnisse beim Frosche be- trifft, so ist diese Frage, meines Wissens, nur von Eckhard. nn un ne - ’ 1) Ueber die peripherischen Endigungen der motorischen und sensiblen Fasern der in den Plexus brachialis des Kaninchens vi tenden Nervenwurzeln. Zeitschr, f. ration Mediein. N. F. Bd. IV, 2) Vorläufige Ergebnisse von Experimental-Untersuchungen zu ir Ermittelung der Haut-Sensibilitätsbezirke der einzelnen Rückenmarks- Nervenpaare, Sitzungsber. der k. k. Acad. zu Wien, 1856. "a 3) Beiträge zur Neurologie der oberen Extremität, 1865. nr a u De Ueber die Empfindungsnerven etc, 827 ® behandelt worden, der in seinem Artikel: Ueber Reflexbewe- gungen der vier letzten Nervenpaare des Frosches'), unter an- derem auch die Vertheilung der Empfindungsnerven in der hinteren Extremität bespricht. Bei meinen Versuchen an Fröschen habe ich mir zweierlei Fragen gestellt: 1) wie sind die verschiedenen die hintere Ex- tremität versorgenden hinteren Wurzeln in der Haut dieser Extremität vertheilt? und 2) haben diese verschiedenen Wurzeln eine gleiche oder verschiedene Function, mit anderen Worten, dient jede dieser Wurzeln zugleich als Empfindungsleiter und Reflexerreger, oder. sind diese beiden Functionen nicht in allen Wurzeln vereinigt zu treffen? wie es vor kurzem Dr. Beresin?) zu beweisen versucht hat, indem er der oberen Wurzel eine ausschliesslich empfindungsleitende Function zuschrieb, den übrigen dagegen sowohl eine empfindungsleitende, als reflex- erregende. Man hat zur Bestimmung der Vertheilungsbezirke der ein- zelnen von den die hintere Extremität versorgenden Wurzeln verschiedene Methoden in Anwendung gezogen; Eckhard und Peyer suchten diese Aufgabe dadurch zu lösen, dass sie jedes Mal sämmtliche Wurzeln, mit Ausnahme derjenigen, deren Ver- breitungsbezirk gerade untersucht werden sollte, durchschnitten und dann diejenigen Stellen der Haut der Extremität zu be- stimmen suchten, deren Sensibilität erhalten geblieben war; Türk durchschnitt umgekehrt diejenige Wurzel, deren Verbrei- tungsbezirk untersucht werden sollte und suchte dann die Stel- len zu bestimmen, deren Empfindung in Folge dieser Operation verloren gegangen war; Krause endlich liess nach Durch- schneidung der zu untersuchenden Wurzel das Thier zwei bis drei Wochen lang am Leben und bestimmte dann mittelst des Microseops, in welchen Nervenästen die fettige Degeneration der Nervenfasern eingetreten war. Ich habe beim Frosche nur 1) Zeitschr. für ration. Mediein v. Henle und Pflüger Bd. VII. 1847. 2) Ein experimenteller Beweis, dass die sensibeln und die excito- motorischen Nervenfasern der Haut beim Frosche verschieden sind. Vorläufige Mittheilung. Centralbl. für d. med, Wiss, 1866. No. 9. 328 A. Koschewnikoff: die beiden ersten Methoden angewandt (wobei die eine durch die andere controlirt wurde), hauptsächlich aber die erstere, d. h. die Durchschneidung sämmtlicher Wurzeln, mit Ausnahme derjenigen, deren Verbreitungsbezirk untersucht werden sollte. Bei der Bestimmung derjenigen Stellen der Haut, deren Em- pfindlichkeit bewahrt blieb, gebrauchte ich verschiedenartige Reize: mechanische (Reiben, Kneipen), thermische (Berührung mit einem erwärmten Stecknadelkopf) und chemische (verdünnte Schwefelsäure). Letzteres Mittel erweist sich bei derartigen Untersuchungen als das vortheilhafteste, da dabei die Intensität des Reizes nach Belieben graduirt werden kann, und die Säure, "falls sie nicht zu concentrirt ist, die Haut nicht zerstört, den Versuch also an derselben Hautstelle zu wiederholen gestattet. Um die Wirkung der Säure möglichst auf die Applicationsstelle zu beschränken, wurde das Mittel, nach vorangegangener Ab- trocknung der Haut, mittelst kleiner Stückchen damit getränk- ten Fliesspapieres applicirt. Das Vorhandensein der Empfind- lichkeit wurde durch den Eintritt von Bewegungen bei Appli- cation des Reizes bewiesen; da aber bekanntlich bei erhaltenem Zusammenhange des Rückenmarks mit dem Gehirne sogenannte willkürliche Bewegungen des Thieres zu Irrthümern Veranlas- sung geben können, so wurde das Rückenmark in der Regel dicht hinter der Medulla oblongata durchschnitten. Aus diesen Versuchen haben sich Resultate ergeben, die, obschon in der Hauptsache mit den von Eckhard erhaltenen übereinstimmend, dennoch in manchen Punkten von denselben abweichen. Die Haut der unteren Extremität bezieht beim Frosche ihre Em- pfindungsnerven nur von den vier letzten Rückenmarkswurzeln was durch das vollständige Erlöschen der Hautsensibilität auf der ganzen Oberfläche der unteren Extremität nach Durch- schneidung dieser Wurzeln. bewiesen wird. Das Resultat blieb sich immer gleich, mochte der Versuch bei durchschnittenem, oder bei unversehrtem Rückenmarke angestellt sein. Von den hinteren Wurzeln, die in das Ischiadieusgeflecht eintreten (7., 8. und 9.), hat jede einen bestimmten Verbreitungsbezirk in der Haut, dessen Grösse bei verschiedenen Individuen verschie- den, wie es schon durch die individuellen Variationen der rela- 44 KA fg Ar alle har T e “B, e Ueber die Empfindungsnerven etc. 329 tiven Dicke der einzelnen Wurzeln angedeutet wird, doch in den meisten Fällen nur innerhaıb sehr enger Grenzen schwankt. Auf den hier beigefügten Abbildungen ist die aus vielen Beob- achtungen bestimmte mittlere Grösse der Verbreitungsbezirke jeder Wurzel dargestellt. Nach Durchschneidung der drei letz- ten Wurzeln (8, 9 und 10), wobei also von den die hintere Ex- tremität versorgenden Wurzeln nur die oberste (7.) unversehrt blieb, zeigte sich die Empfindlichkeit nur noch an der äusseren Hälfte des Umfanges des Oberschenkels, des Knies und oberen Theiles des Unterschenkels. Waren zugleich die zwei unter- sten (5. und 6.) Dorsalwurzeln durchschnitten, so blieb am un- teren Theile der entsprechenden Rumpfhälfte noch eine kleine an die Inguinal- und Sacralgegend anstossende Zone empfind- lich. Wurde dagegen die 7. Wurzel allein durchschuitten, so war an der hinteren Extremität nur der äussere Umfang des Oberschenkels vollkommen anaesthetisch, alle übrigen Stellen dagegen hatten ihre Empfindlichkeit bewahrt, wobei dieselbe jedoch am Knie und im oberen Theile des äusseren Umfanges des Unterschenkels merklich geschwächt erschien. Man muss aus diesem Umstande schliessen, dass, während der genannte Theil des Oberschenkels ausschliesslich von der 7. Wurzel ver- sorgt wird, die entsprechenden Theile des Knies und Unter- schenkels auch noch von einer anderen Wurzel (der 8.) ihre sensiblen Fasern beziehen (Fig. 1 und 2). In derselben Weise wurden auch die Verbreitungsbezirke der 8., 9. und 10. Wurzel bestimmt. Von der 8. Wurzel werden folgende Theile versorgt: die innere Hälfte des Oberschenkel-Umfanges (an der übrigens die Fasern aus dieser Wurzel nur spärlich sind), sodann der äussere Umfang des Knies, der äussere Rand und die hintere Fläche des Unterschenkels und die ganze Oberfläche des Fusses (mit Einschluss der Zehen), hauptsächlich dessen Dorsalfläche (Fig. 1 und 2). Die 9. Wurzel, also die letzte von den drei zur Bildung des Plexus ischiadicus zusammentretenden Wurzeln, versorgt die innere Fläche des Oberschenkel- Umfanges, hauptsächlich nach hinten zu, sodann die Kniekehle, die innere Hälfte des Unterschenkel-Umfanges, hauptsächlich nach der Bauchfläche zu, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 22 330 A. Kosche'wnikoff: und endlich die ganze Oberfläche des Fusses mit Einschluss der Zehen, gerade so, wie wir es von der 8. Wurzel gesehen haben, nur dass hier im Gegentheil die Plantaroberfläche (und von den Zehen die erste) am reichlichsten versorgt. wird (Fig. 3 und 4). Die zehnte (Sacral-) Wurzel endlich vertheilt sich in der Haut um den After herum und am obersten Theile der inneren Oberschenkelfläche (Fig. 3 und 4). Man findet also zwar an der Haut der Unterextremität des Frosches Stellen, die ausschliesslich von einer Wurzel versorgt werden, die meisten Stellen jedoch beziehen ihre Empfindungs- nerven von zwei und einige sogar von drei Wurzeln. In Betreff der zweiten von den oben aufgeworfenen Fragen, der Frage also, ob es unter den die Unterextremität versorgen- den Wurzeln solche giebt, die ausschliesslich zur Leitung be- wusster Empfindungen bestimmt sind, habe ich folgendes zu bemerken: wurde bei meinen Versuchen das Rückenmark dicht hinter der Medulla oblongata durchschnitten, so gelang es immer durch Reizung der Haut im Verbreitungsbezirke jeder ein- zelnen von den hier fraglichen Wurzeln Reflexbewegungen aus- zulösen; ich muss daher die oben erwähnte Angabe von Bere- sin entschieden als irrthümlich bezeichnen. Es kann also die Reizung durch die Fasern "jeder Ischia- dieuswurzel sowohl bis zum Gehirn geleitet werden, als auch im Rückenmarke selbst auf motorische übertragen werden. Es frogt sich nun, in welchem Abschnitte des Rückenmarks diese Uebertragung geschieht. Bekanntlich entspringt die 7. Wurzel vom Rückenmark in der Höhe des fünften Wirbels, die 8. zwi- schen dem fünften und sechsten, die 9. Wurzel in der Höhe des sechsten Wirbels. Um zu bestimmen, in welcher Höhe die Verbindung der Fasern jeder von diesen Empfindungswurzeln mit motorischen Elementen innerhalb des Rückenmarks statt- finde, wurde das Rückenmark, bei eröffnetem Wirbelcanal, in verschiedenen Höhen durchschnitten und darauf diejenigen Stel- len an der Haut der Unterextremität bestimmt, von denen aus noch Reflexe ausgelöst werden konnten. Es hat sich dabei her- ausgestellt, dass Durchschneidungen des Rückenmarks oberhalb des vierten Wirbels die Rellexbewegungen der Hinterextremitäten a tn Ueber die Empfindungsnerven ete. 331 in keiner Weise beeinträchtigen; dass aber, sobald man das Rückenmark in der Höhe des vierten Wirbels (etwa in der Mitte desselben) durchschneidet, von denjenigen Stellen der Haut der Unterextremität aus, die von der 7. Wurzel versorgt werden (der äusseren Hälfte des Oberschenkel-Umfanges und des Knies), keine Reflexe mehr erzielt werden. Wird das Rückenmark tiefer unten zwischen dem vierten und fünften Wir- bel durchschnitten, so konnten Reflexe nur von denjenigen Stellen erhalten werden, die ihre Empfindungsnerven vorzugs- weise von der 9. Wurzel beziehen, hauptsächlich also von der Fusssohle aus. Nach Durchschneidung in der Höhe des fünften Wirbels endlich (etwas unterhalb der Mitte desselben) waren auch von diesen Stellen aus keine Reflexe mehr zu erzielen. Wurde nach vorhergegangener Durchschneidung des Rücken- marks zwischen dem dritten und vierten Wirbel auch das hin- tere Rückenmarksende an verschiedenen Stellen quer durch- schnitten, so zeigte es sich, dass man die Schnitte bis an den sechsten Wirbel, also fast dicht an die Ursprungsstelle der 9. Wurzel führen kann, ohne die Intensität der Reflexe dadurch merklich zu vermindern. Es folgt aus diesen Versüchen, dass die Vereinigung der Empfindungsfasern der Ischiadicuswurzeln mit motorischen Elementen, wenigstens in ganz überwiegender Weise, innerhalb eines Abschnittes des Rückenmarks zu Stande kommt, der dem vierten und fünften Wirbel entspricht, und zwar in einer Reihenfolge von oben nach unten, die der Reihen- folge der Wurzeln selbst entspricht. Es ist mir bei diesen Versuchen noch. eine Erscheinung aufgefallen, die ich nicht umhin kann, hier mitzutheilen, von deren Bedeutung aber ich mir vor der Hand keine Rechenschaft zu geben weiss. Wurde nämlich der hinterste, zwischen dem Kreuzbeine und der Ursprungsstelle der 10. Wurzel (7. Wirbel) begriffene Theil des Rückenmarks, derjenige also, von dem keine Wurzeln mehr abgehen, durchschnitten (wobei, wie sich wohl von selbst versteht, jede Verletzung der daneben gelegenen Wurzeln vermieden wurde), so erfolgten dabei im Moment der Durchschneidung jedesmal mehr oder weniger bedeutende Be- wegungen des Thieres. Wurde eine solche Durchschneidung an 22* Ba 2 I PET 332 A. Koschewnikoff: einem vorher schon zwischen dem dritten und vierten Wirbel durchsehnittenen Rückenmarke gemacht, so wurde eine Streckung der hinteren Extremitäten oder wenigstens eine Zuckung der- selben beobachtet; war dagegen oben keine Durchschneidung vorgenommen, so waren die Bewegungen unregelmässig und .er- folgten nicht bloss an den Hinterextremitäten, sondern auch an den oberen und am Kopfe. Die Hervorrufung dieser Bewegun- gen gelang mitunter auch durch andere mechanische Reize, wie z. B. durch Kneipen des betreffenden Rückenmarkstheilee mit der Pincette, durch Berührung mit einer Nadel u. s. w., aber nicht so constant, wie mittelst der Durchschneidung. Ob diese Erscheinung so zu deuten ist, dass der hinterste Rückenmarks- theil auch irgend welche Empfindungsfasern enthält, oder sie zu Gunsten der Annahme spricht, dass die Rückenmarkssubstanz selbst erregbar ist, wie neuerdings Engelken') zu beweisen versucht hat, dies lässt sich, so viel ich 'einsehen kann, bei unserer jetzigen Kenntniss des Rückenmarks nicht entscheiden. Die hier beschriebenen Versuche wurden im Laboratorium des Herrn Professors du Bois-Reymond angestellt, dem ich bei dieser Angelegenheit meinen innigsten Dank aussprechen muss, wie auch dem Herrn Professor Rosenthal, dem ich so manchen Rath und Beistand bei meinen physiologischen Stu- dien verdanke. Berlin, den 18. März 1868. Erklärung der Abbildungen. Die Verbreitungsbezirke der einzelnen Wurzeln sind durch eine Schattirung angedeutet, die um so dunkler ist, je dichter am gegebe- nen Örte die Fasern der betreffenden Wurzel gehäuft sind. Fig. 1. Rückenfläche — an der linken Seite ist der Verbreitungsbezirk nn I) Ueber die Empfindlichkeit des. Rückenmarks gegen electrische Reizung. Mit einer. einleitenden Bemerkung von A. Fick. Dieses Archiv 1867. 8. 198. an der ehe Seite der Verbreitungsbezirk der r linken der der 8. Ki " Fig 3, | ® a > a a Be OL > - EEE ZT ee 4 ’Y Ic"y r ee a 2. AL . FE } a .r Da ‚am Wr n dn v j St ir Yale % 334 | C. Jessen: Er Be | re Die Vacuole eine physikalische Unmöglichkeit. 2: Von KR e; ProF. DR. JESSEN. 5 52 5 Erstes Kapitel. Beweis, dass die Vacuole eine physikalische Unmöglichkeit ist. “ Die Hypothese der Vacuole, wie sie seit etwa zwei Decen- nien unter den Pflanzenphysiologen der Schleiden-Mohl- schen Schule aufgetaucht und ausgebildet worden ist, beruht in ihrer einfachsten Form auf der pliysikalischen Annahme: . dass in einem und demselben Raume (in derselben Zelle) zwei Flüssigkeiten — das „zähflüssige* Protoplasma und die wasser- helle dünne Vacuolenflüssigkeit — ungemischt neben einander sich befinden, und zwar die letztere dünne Flüssigkeit in einer oder mehreren kugeligen Massen, Vacuolen, welche (wenig- stens bei der Entstehung) ringsum von der dickflüssigen — um- geben sind. Die Gegner der -Ansicht behaupten, dass die sogenannten Vacuolen aus einer, wenn auch sehr dünnen Zell- haut und einem durchsichtigen Inhalte bestehen. Fälle derart, in denen zwei Flüssigkeiten auf solche Weise unter einander im Gleichgewichte stehen, sind ja wiederholt beschrieben und Gegenstand von Versuchen gewesen, Es ist darnach die strenge Erfüllung folgender Bedingungen für das Auftreten der Erscheinung nöthig: 1. die beiden Flüssigkeiten müssen unter sich unmischbar { sein, 2 2. dieselben müssen genau von gleichem specifischem Ge- wichte sein. Die Vacuole eine physikalische Unmöglichkeit. 335 Ist das erste nicht der Fall, so vermischen sich die beiden Flüssigkeiten und bleiben nicht gesondert; ist das zweite nicht der Fall, so schwimmt die eine Flüssigkeit auf der andern, wie Oel auf Wasser. Es fragt sich also, ob beide Bedingungen in unserem Falle eintreffen. Dagegen, dass die Vacuolenflüssigkeit eine wässerige Flüssigkeit ist, und dass man sie, abgesehen von geringen Bei- mischungen von Salzen und organischen Stoffen, physikalisch dem Wasser gleichsetzen kann, dürfte wohl Niemand etwas einzuwenden haben. Weniger leicht kann man über das sogenannte Protoplasma der Pflanzenzellen hinweggehen. Von welcher Beschaffenheit " und Natur dasselbe eigentlich ist, lässt sich aus den Beschrei- bungen nicht leicht klar entnehmen. - Mohl erklärte das Protoplasma’ da, wo er diesen Na- men als „eine auf diese physiologische Function (der Grund- lage aller Zellbildung) sich beziehende Benennung“ zuerst ein- führte (Botan. Zeit. 1846. S. 75), für eine „zähflüssige mit Körnchen gemengte Masse“,, für eine „halbflüssige stickstoff- haltige Substanz“ und für eine „zähe Flüssigkeit“, gleich- zeitig aber für das, was Schleiden (Grundzüge der Botan. I. S. 186) Schleim genannt hatte. Dieser nun begreift darunter die Stoffe, welchen „die Chemiker verschiedene Namen geben, z. B. Eiweissstoffe, Kleber, Gliadin, Leim, Diastase, Gluten vegetabile, Legumin etc.“ — d. h. also eigentlich Eiweissstoffe. Dagegen macht .Mohl mit Recht geltend, dass der Name Schleim in der thierischen Physiologie und in der Medizin et- ‘was anderes bedeute und deshalb aufgegeben werden müsse. Dem zustimmend hat denn auch Schleiden später den Namen Protoplasma dafür substituirt. Mohl beschreibt dasselbe später (Wagner, Grundzüge Jer Zelle. Handwört. der Physiol. S. 44) als „eine zähe Flüssigkeit, welche, wie die zarten Saftström- chen zeigen, sich nicht mit dem wässerigen Zellsafte mischt. . ... Die immerwährende Strömung und fortdauernde Umwand- lung der Protoplasmamasse liefern ‘den deutlichen Beweis, dass wir es nicht mit einem organischen Gebilde, sondern mit einer IX Ti 336 C. Jessen: Flüssigkeit zu thun haben.“ Ihm stimmt Schacht (Lehrb. d. Anat. d. Gewächse I. S. 39) im Wesentlichen ganz bei. Hofmeister endlich spricht sich in seinem neuesten Werke (Handb. d. physiol. Bot. I. S. 1) folgendermassen aus: „Die Substanz, deren eigenartiges Verhalten die neue Ent- wicklung einleitet, ist allerwärts ein wesentlich gleichartiger Körper von zähe flüssiger Beschaffenheit, reichlich Wasser enthaltend, von leichter Verschiebbarkeit seiner Theile, quel- lungsfähig, in hervorragender Weise die Eigenschaft einer Col- j loidsubstanz (Graham) besitzend — ein Gemenge verschiedener organischer Substanzen, unter denen eiweissartige Stoffe und k solche der Dextrinreihe nie fehlen, von der Consistenz eines mehr oder minder dicklichen Schleimes, mit Wasser nur lang- sam und nicht in jedem beliebigen Verhältnisse mengbar: das Protoplasma. Es erscheint gegen wässerige Flüssigkeiten, die dasselbe umgeben oder die in Hohlräume!) des Protoplasma eingeschlossen sind, mit scharfen Umrissen abgegrenzt. Es be- ' steht aus einer durchsichtigen, farblosen oder blassgelblichen Grundsubstanz und dieser eingebetteten mehr oder minder zahl- reichen und grossen, nicht selten äusserst kleinen Körpern an- dern Lichtbrechungsvermögens.... Die Hauptmasse des Proto- | plasma ist Wasser (S. 2 unten). Auch in den zähest schleimi- gen Protoplasmen ist der‘ Wassergehalt etwa 70 pCt.* Betrachtet man diese verschiedenen Aussprüche, so findet man bald, dass dieselben von Unklarheiten und Widersprüchen keineswegs frei sind. Schleiden zuerst hat es versucht, den Ausdruck in chemische Begriffe zu fassen und Hofmeister ist ihm darin, aber mit entschiedenem Unglücke, gefolgt, denn | gerade hier passiren ihm die grössten Widersprüche. Zuerst 1 erklärt er das Protoplasma für eine Colloidsubstanz und gleich darauf für ein Gemenge verschiedener Substanzen, während er wieder einige Zeilen später eine Grundsubstanz und eingebettete Körper unterscheidet, so dass unter „Gemenge“ nicht einmal Mn N A a ee Eh Bet at. 0 2 Sau m 1 ll nd a 1) Bekanntlich ist der Ausdruck „mit Flüssigkeit gefüllter Hohl- raum“ in vacnola übersetzt, obschon dies Wort weder hohl, noch Raum, noch Flüssigkeit bedeutet, Die Vacuole eine physikalische Unmöglichkeit. 337 eine gleichförmige Mischung verschiedener Substanzen gedacht werden kann, Die eingebetteten Körper sind ohne Zweifel iden- tisch mit Mohl’s und Schacht’s Körnern, also wenigstens grossentheils feste Körper. Endlich aber erklärt er später (8. 6), dass es „aus löslicheren, mit Wasser rascher aufquellenden und aus minder quellungsfähigen, grössere Dichtigkeit länger bewah- renden Bestandtheilen zusammengesetzt ist,“ — Es ist also nicht Eine Substanz. | Erste Unmöglichkeit. Doch wir wollen dies vorerst beiseite setzen und zunächst untersuchen, wie sich diese beiden bisher unterschiedenen Theile des Zellinhaltes physikalisch zu einander verhalten können und müssen. Die Vacuolenflüssig- keit ist im Gewichte gleich Wasser zu setzen; das Protoplasma enthält, wo es am zähesten, circa 70 pCt. Wasser, also 30 pCt. feste Substanz. Es ist folglich bedeutend schwerer als Wasser, _ denn der Wassergehalt pflanzlicher Stoffe von weicher Consi- stenz beträgt ja gar nicht selten weit über 90 pCt. So ent- halten ja z. B. Rüben frisch 83—92 pCt., Möhren lufttrocken 87, Radieschen lufttrocken 96 pCt. Wasser. Es findet also die zur Herstellung einer Gleichgewichtslage erforderliche Gleich- heit des specifischen Gewichtes nicht statt. Nach dem Ge- setze der Schwere, welches doch sonst überall auf Erden gilt, müsste also das Protoplasma zu Boden sinken, die Vacuolen- flüssigkeit obenauf schwimmen. Das ist aber bekanntlich nicht der Fall, vielmehr beobachtet man, dass die angeblich wan- dungslose Vacuole mitten in der Zelle schwebt, bis sie nach langem Wachsen die Wände dieser Zelle an einigen Stellen be- rührt. Mohl erklärt dies einfach so, „es verhält sich das Protoplasma zu dem Zellsafte (der Vacuolen! wie eine schäu- mende Flüssigkeit zur Luft.“ Das ist ein ganz plausibeles Bild, aber keine physikalische Begründung, denn abgesehen von vie- lem Anderen beruht das Schäumen auf einer in der Flüssigkeit irgendwie erregten Bewegung und kann also nicht zur Erklä- rung einer Erscheinung der Statik angewandt werden. Schaum- blasen entstehen eben nicht in der Ruhe und haben ebenfalls keine bleibende Dauer, sondern vergehen, sobald die in Bewe- gung, gerathene Flüssigkeit zur Ruhe zarückgekehrt ist, indem 338 C. Jessen: diese an den Seiten jeder Schaumblase in Folge ihrer Schwere herabsinkt, an der Spitze der Blase aber sich verdünnt und platzt. — Hofmeister erklärt höchst naiv (S. 5): „Die wäs- serige Flüssigkeit wird im Innern der Protoplasmamasse in Tropfen ausgeschieden,“ als ob das ein ganz gewöhnlicher und naturgemässer Vorgang sei, der keiner Erklärung bedürfte. Es ist unmöglich, hier die ganze Lehre von der Tropfenbildung abzuhandeln, hätte aber Hofmeister nur das in Erinnerung gehabt, was Hagen in der Abhandlung über Tropfenbildung sagt, die Hofmeister eben (S. 3) erst eitirt hat, um darauf nach seiner Art Hypothesen zu begründen, er würde doch wohl Anstand genommen haben, diese Worte niederzuschreiben. Er würde dann wissen, dass eine Tropfenbildung nur unter be- stimmten Bedingungen stattfinden kann, und dass diese im In- nern einer speeifisch‘ schwereren Flüssigkeit nicht vorhanden sind, sondern dass darin wohl Schichtungen, nicht aber kugel- förmige Gruppirung dünnerer Flüssigkeiten stattfinden können. Auch müsste er im Protoplasma noch eine besondere, ausschei- dende, Kraft nachweisen, denn die Imbibitionskraft, mit welcher er ohne Beweis sein Protoplasma ausgerüstet hat, genügt dazu so wenig, dass sie vielmehr in eine Flüssigkeit auspressende Kraft sich umwandeln müsste, sollte sie eine Tropfenbildung zuwege bringen. — Die Form der Vacuolen bleibt also un- erklärt und, wie ich annehmen muss, auch unerklärbar, und ihre Stellung inmitten des Protoplasma eine Unmöglichkeit, weil ihr specifisches Gewicht nach dem Angeführten niederer sein muss. — Hier könnte nun noch Jemand einwenden, dass die innerhalb des Protoplasma oft stattfindende kreisförmige Be- wegung die Ursache der Kugelform sei, aber dieser an sich leicht zurückzuweisende Einwurf fällt ganz fort durch die Beobach- tung, dass in der Regel nicht eine, sondern eine ganze Reihe von sogenannten Vacuolen, und zwar oft in ziemlichen Abstän- den von einander, gleichzeitig sich vorfindet, Zweite Unmöglichkeit. Doch auch die zweite Bedin- gung, welche Flüssigkeiten erfordern, um im Gleichgewichte zu bleiben, die Unmischbarkeit steht keineswegs fest. Vielmehr findet Hofmeister es doch noch für nöthig, nachdem er an Die Vacuole eine physikalische Unmöglichkeit. 339 allen andern Stellen das Gegentheil behauptet, auch einmal (8. 6) zu erklären, dass die Vacuolenflüssigkeit, nachdem sie in die Zelle gelangt ist, „eine Sonderung der löslicheren, mit Wasser am raschesten aufquellenden Bestandtheile des Proto- plasma* veranlasste. Trotzdem aber „erscheint das Protoplasma (S. 2) gegen wässerige Flüssigkeiten mit scharfen Umrissen ab- gegrenzt,* und das alles angeblich ohne Wandungen, denn sonst wäre es einfach und natürlich genug. Also wiederum ergiebt sich, dass die Entstehung und Existenz kugelförmiger Flüssig- keitsmassen ohne Wandungen im Innern des Protoplasma phy- sikalisch unmöglich ist. Dritte Unmöglichkeit. Betrachtet man die Beschaffen- heit des Protoplasma’s etwas näher, so fällt in Hofmeister’s Definition namentlich das Wort quellungsfähig auf. Vergleicht man die ganze Reihe der von Schleiden und Hofmeister als Bestandtheile des Protoplasma namhaft gemachten Stoffrei- hen, selbst mit Einschluss des fetten Oeles, dessen allgemeinere Verbreitung in kleinen Mengen Hofmeister wahrscheinlich zu machen sucht, so findet man nur zwei, welche hier in Be- tracht kommen könnten, nämlich den Pflanzenschleim und den aus dem Weizen hergestellten Kleber. Von dem letzteren sagen die Chemiker, dass er und mehr noch der in ihm enthaltene Pflanzenleim (Gliadin) aus Alkohol dargestellt, mit Aether ausgewaschen und getrocknet, in Wasser unlöslich ist, aber damit zu einer zähen Masse aufquillt. Bekanntlich ist Kleber von eben geschilderter Beschaffenheit bisher nur in den Getreide- körnern und genau genommen nicht einmal in allen gefunden, denn im Roggen ist derselbe löslich und in anderen Arten noch nicht genügend untersucht. Dass dieser Stoff sich allgemein vorfinde, darüber ist gar nichts bekannt, und doch müsste er wohl von den Chemikern bemerkt worden sein, wenn er wirklich in allen wachsenden Pflanzentheilen in solcher Menge vorkommt, wie ihn Hofmeisters Hypothese annimmt (bis zu 30 pCt. oder bis zu einem verhältnissmässigen Antheile daran). Weiter ver- breitet, aber in seiner chemischen Beschaffenheit eigentlich noch ganz unbekannt, ist der Pflanzenschleim. Von dem Gummi, welches mit ihm bisher vermengt und in den meisten chemi- die“ AT EN, a ER EN AATT) Pa Va! 3 . ” KUBAR # Fr 340 C. Jessen: schen Handbüchern an seiner Statt beschrieben ist, haben ja 5 Mohl’s schöne Untersuchungen bewiesen, dass es, wenigstens j beim Traganth, ein Endprodukt der Umwandlung von Zell- membranen ist. Ganz dasselbe gilt von den Pectinstoffen nach den Untersuchungen von Kabsch, Vogel, Wiessner. Hof- meister ceitirt nun freilich Pectin und Traganthgummi vor- zugsweise als quellungsfähige Substanzen, aber von diesen bei- den kann ja in dem Protoplasma, welches nicht Zersetzungs- produkt, sondern Grundlage aller Zellbildung sein soll, nicht die Rede sein. Ueber die Entstehung des eigentlichen Pflanzen- schleimes dagegen wissen wir fast gar nichts. Seine Erschei- nung ist bekannt genug. Man beobachtet leicht, dass er ausser- halb der Pflanzenzellen eine zähe Masse bildet, an der Luft Wasser verliert und endlich zu einer hornigen Masse eintrock- net, auch bei Zusatz von Wasser mehr oder weniger leicht wieder unter Aufnahme einer gewissen Wassermenge aufquillt. Ueber das fernere Verhalten des Pflanzenschleimes sind die Angaben der Chemiker sehr verschieden, offenbar deshalb, weil die aus Umwandlung von Zellwänden, wie im Floh-, Lein-, Quittensamen u. s. w. entstandenen Produkte mit solchen zusam- men geworfen worden sind, welche als Zellinhalt sich vorfinden. Jene lösen sich, wie das Traganthgummi, zum grössern Theile in Wasser auf, manche der andern wohl auch, einige indess verhalten sich, wenigstens wenn sie bestimmten Behandlungs- weisen unterworfen gewesen sind, gegen einen grössern Wasser- zusatz indifferent. Sie sind also das, was Hofmeister quel- lungsfähig und nicht löslich nennt, d.h. sobald sie die nöthige Wassermenge aufgenommen haben, um bis zu einem gewissen Grade aufzuquellen, bleiben sie unverändert und unthätig am Grunde des Wassers liegen. Ebenso verhält sich Pflanzenfibrin. Wie sich diese Stoffe im Innern von Zellen, also im Proto- plasma verhalten, davon weiss man gar nichts. Schleiden nennt den Pflanzenschleim geradezu löslich. Das Protoplasma im Ganzen kann also im Hofmeister- schen Sinne nicht als quellungsfähig bezeichnet werden, auch ° wenn es Stoffe enthält, welche trocken mit Wasser aufquellen. Vielmehr wäre die Definition etwa folgendermassen zu fassen Ze Ft ie Die Vacuole eine physikalische. Unmöglichkeit. 34l gewesen: Das Protoplasma ist eine zähe Flüssigkeit, welche aus einem Gemische verschiedener in Wasser löslicher Stoffe, namentlich aus den Reihen der Protein- und Dextrinstoffe be- »steht und welche verschiedene unlösliche Stoffe, darunter auch aufgequollene einschliesst. Wenn Hofmeister aber (S. 6) gar löslich und rasch aufquellend als gleich bedeutend gebraucht, so liegt hier wieder die Thatsache mit Hofmeister’s Hypo- thesen im Streit. In Wahrheit quellen viele Stoffe bei Wasser- zusatz anfangs auf, um sich später ganz darin aufzulösen. Nach Hofmeister sollen aber sonst Quellungsfähigkeit und Löslichkeit als Gegensätze behandelt werden. Vierte Unmöglichkeit. Betrachtet man nun etwas ge- nauer, was es denn eigentlich mit dieser „Quellungsfähigkeit“ auf sich hat, die von Hofmeister so sehr betont wird, so ist eben gezeigt, dass dieselbe nur darin besteht, trocken etwas - Wasser aufzunehmen und damit bis zu einem gewissen Grade aufzuquellen, wie das der Badeschwamm, das Holz, kurz, fast jeder organische Körper thut!). Da diese Eigenschaft sich stets nur dann geltend macht, wenn die Körper trocken sind, und da die Wirkung dieser Eigenschaft (unter denselben äusseren Verhältnissen) aufhört, sobald die Körper einmal die bestimmte Wassermenge aufgenommen haben, so ist schwer abzusehen, welche Wirkung diese „Quellungsfähigkeit“ im Innern des Proto- plasma haben kann. Dieselbe könnte sich physikalisch nur folgendermassen äussern: 1) so lange die Körper noch nicht ge- hörig feucht sind, entziehen sie dem Protoplasma eine gewisse Menge Wasser; 2) sind sie mit Wasser gesättigt, so ist ihre Wirkung gleich Null. Da nun das Protoplasma eine wässerige Flüssigkeit mit mindestens 70 pCt. Flüssigkeit ist und (wohl immer) an der Luft austrocknet, also Wasser leicht abgiebt, so befinden sie sich wahrscheinlich stets im letzteren Falle. Ist im Gegentheile der erste Fall eingetreten, so ist eine Vacuolen- bildung, welche auf Durchtritt von Wasser durch das Proto- plasma beruht, unmöglich, denn die „quellungsfähigen“ Stoffe 1) Auf die unorganischen Körper Rücksicht zu nehmen, ist hier nicht erforderlich. 342 C. Jessen: ziehen natürlich alles Wasser an, bis sie aufgequollen sind, und dann tritt der zweite Fall wieder ein, sie werden wirkungslos. Unmöglich ist es also, dass sie bei der Vacuolenbildung irgend wie wirken. Zur Bildung einer scharfen Grenze oder der dünnen Platten von Protoplasma, welche ja angeblich die Va- cuolen trennen sollen, kann ihre Anwesenheit nicht beitragen. Ungenau ist es auch, wenn Hofmeister an der — bei der zwei- ten Unmöglichkeit schon erwähnten Stelle quellungsfähig und löslich als identisch oder nahezu identisch setzt. Wenn Hof- meister trotzdem den „quellungsfähigen nicht löslichen* Kör- pern die Fähigkeit zuschreibt, die Endosmose ausserordentlich zu steigern (S. 335), so beruht das auf einem Irrthume, der so handgreiflich ist, dass er einem Pflanzenphysiologen doch nicht passiren sollte. Hofmeister hat nämlich Traganth- gummi für unlöslich angesehen, obschon es längst bekannt ist), dass derselbe eine grosse Menge, nach Buchholz, Gue- rin-Vary und Andern sogar über 50 pCt., lösliches Gummi enthält. Mir erschien dieser Irrthum so unglaublich, dass ich alle drei Stellen, an denen Hofmeister diese Versuche mit- theilt (Flora 1858 S. 12; 1862 S. 149 und hier S. 335), genau verglichen habe, in der vergeblichen Hoffnung, eine correctere Angabe zu finden. Obschon so viele Jahre zwischen diesen Publieationen liegen, ist doch immer wieder die Unlöslichkeit des Traganthgummis behauptet. Mit Pectin, welches wenig oder gar nichts Lösliches enthalten zu haben scheint, ist der Ver- such natürlich nicht gelungen, oder, wie es heisst, „ist die Wirkung nur langsam.“ Dies Fehlschlagen ist aber nur einmal (Flora 1858 S. 12) erwähnt, später ist nur vom Traganth die Rede und von diesem einen Stoffe aus wird nun frischweg allen „quellungsfähigen nicht löslichen Körpern“ diese Eigen- schaft beigelegt. Der Versuch besteht aber darin, dass zu einer Lösung, welche ein halb Procent Gummilösung enthielt, 20 pCt. lufttrocknes Traganthgummi (auf 37,364 gr. Lösung 7,521 gr.) zugesetzt wurden, worauf die Endosmose stärker war, als bei 1) Siehe Richard, medizinische Botanik; Schleiden, Pharmacogno- sie; die Handbücher der Chemie u. s. w. . m al dl a Zn DE nn hu ara tn nn a m SEE nn = Sa Pa mL 0 0# un, Die Vacuole eine physikalische Unmöglichkeit. 343 einer Gummilösung von 5 pCt. Das ist freilich natürlich genug, denn die Menge des löslichen Gummis betrug im Traganth- gummi allein 10 pCt. der Lösung und nahm vielleicht noch zu, da ja längeres Liegen im Wasser auch den anfangs unlöslichen Theil des Traganthgummis, das sogenannte Bassorin, mehr oder weniger in lösliche Stoffe umsetzen kann. Aber auch das hat Hofmeister nicht untersucht, sondern vielmehr auf diesem mit Vernachlässigung der einfachsten Vorsichtsmassregeln und mit Uebersehen längst bekannter Thatsachen angestellten Versuch, als einziger experimenteller Grundlage, die ganze Quellungs- theorie aufgebaut!! Fernere Unmöglichkeiten. Es ist mit dem eben ge- führten Nachweis der Unhaltbarkeit der Quellungstheorie das ganze künstliche Gebäude der Hofmeister’schen Vacuolen- theorie unhaltbar geworden. Es ist ihm nun eben so unmög- lich, wie Mohl, eine Erklärung dafür vorzubringen, wie die aufgenommene wässerige Flüssigkeit durch das Protoplasma hindurch in gesonderte Massen sich ausscheiden kann. Der Ausdruck „halbflüssig“, hinter den Anhänger dieser Theorie sich zu verstecken lieben und wohinter in Wahrheit nichts an- deres steckt, als die Absicht, das Halbflüssige in einer Hülfs- ‚Hypothese als flüssig und in der nächsten als fest behandeln zu können, selbst dieser hilft auch nicht mehr, denn in soweit das Protoplasma flüssig und löslich ist, muss es sich mit der Vacuolenflüssigkeit mischen, und soweit es unlöslich ist, hat es keine Einwirkung auf die Flüssigkeit. Die Versuche, welche Hofmeister selbst mit dem Wasser-Durchtritt durch vegetabi- lische Membranen angestellt hat, bedingen eben immer das, was die Schleiden-Mohl’sche Schule nun einmal nicht sehen kann und nicht glauben will, die Anwesenheit von Membranen an der Aussenfläche der sogenannten Vacuolen. Hofmeister hat freilich wieder eine andere Hülfs-Hypothese bei der Hand, um zu erklären, wie es denn zugeht, dass eine Vacuole sich vergrössert. Er behauptet nämlich (S. 6), dass die Vacuole (d. h. nach seiner Ansicht die in Tropfenform ausgeschiedene wandlose wässerige Flüssigkeit) „bestrebt ist, an Umfang zuzu- 344 C. Jessen: nehmen.“ — Aber ich denke, Niemand wird im ei eine, Widerlegung dieser Annahme erwarten. Es würde sonder Zweifel die Geduld des Lesers und wahr- lich auch die des Schreibers ermüden, diese Theorie durch die von allen Seiten sich ferner noch aufdrängenden Wider- sprüche zu verfolgen, welche namentlich in der Hofmeister- schen Darstellungsweise alles Mass überschreiten; auch dürfte das Angeführte genügen, um den Ausspruch hinlänglich zu be- gründen, dass die Vacuole im Sinne der Schleiden-Mohl- schen Schule eine physikalische Unmöglichkeit ist. Zwar is die Frage hauptsächlich nach Hofmeister’s Darstellung, “E nach der neuesten und vollständigsten, behandelt, indess ist ge- nug aus Mohl’s Angaben beigebracht, um zu zeigen, dass auch bei der einfachsten und ältesten Darstellung die Schwierigkeiten im Wesentlichen nicht geringer sind, wie denn ja überhaupt Hofmeister nur breiter ausgeführt hat,‘ was Mohl in kurzen Zügen früher aussprach. Zweites Kapitel. Beweis, dass eine Vacuole niemals beobachtet ist. Die Vacuole im Sinne der Schleiden-Mohlschen Schule & . findet sich also, wie oben mitgetheilt, nur in Zellen, welche mit Protoplasma angefüllt sind. Dieses aber ist, wenn nicht durch seine Grundsubstanz, welche ja Hofmeister durchsichtig nennt, so doch durch die eingebetteten Körper von „anderem Lichtbrechungsvermögen*, trübe und mehr oder weniger un- durchsichtig. So erscheint es unter dem Mikroskope, so stellen alle Beobachter es‘ dar; als „trübe und von weisser Farbe* be- schreibt Mohl es. Die Vacuole nun erscheint bei ihrer ersten Entstehung als eine hellere kreisrunde kleine Stelle, welche durch das trübe Protoplasma durehschimmert, Mit der Zunahme der Vasuole wird diese Stelle grösser und heller, bis endlich das Protoplasma an der Spitze und am Grunde ganz verdrängt wird, wenn nämlich die Vacuole den Durchmesser der Zelle, Die Vacuole eine physikalische Unmöglichkeit. 345 in ‘welcher sie sich bildet, erreicht hat. Dies wird durch bei- folgenden schematischen Querschnitt deutlich werden, in wel- ‚chem der Pfeil die Richtung des Mieroscop-Rohres, a—d ver- schieden grosse Vacuolen in einer Zelle voll Protoplasma dar- stellen. "Darüber, ‘dass diese helleren Stellen durch eine dünnere durchsichtige Flüssigkeit veranlasst werden, kann kein Zweifel bestehen. Aber darum handelt es sich hier nicht, sondern darum, ob unter dem Microscope nachgewiesen ist und nach- gewiesen werden kann, dass diese Flüssigkeit nicht von besonderen Wänden umgeben ist. Dabei ist es nöthig, die Wirkungsweise des Microscopes genau im Auge zu behalten. "Erkennt man mit ‘dem Microscop kleinere Vacuolen, wie a, b, so liegen dieselben, wie die Figur zeigt, unter dickeren oder dünneren Schichten von Protoplasma: folglich kann man, da dieses nur durchscheinend, aber nicht durchsichtig und klar ist, auch über die Struktur der Vacuolen nichts er- mitteln. Werden die Vacuolen grösser, wie c und d, so stossen: sie mit ‘dem Scheitel an die Zellwandung an und es wird das Prötoplasma hier mehr und mehr verdrängt. Bekannt- lich erkennt man aber eine Wandung, namentlich wenn sie dünn ist, unter dem Microscop nicht an dem Scheiteltheile, sondern dann, wenn man durch durchsichtige Medien hindurch das 'Mieroscop auf die Ränder des grössten Umfanges einstellen kann. Wenn aber über diesen Rändern des grössten seitlichen Um- fanges eine trübe, undurchsichtige Masse, wie das Protoplasma, liegt, so ist es unmöglich, die An- oder Abwesenheit einer Wandung festzustellen. Dieser Fall ist bei den im Protoplasma eingeschlossenen Vacuolen stets der Fall, wie die Fi- gur ergiebt. Wenn dieselben nämlich einzeln liegen, so sind sie Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 23 346 C. Jessen: kugelrund, folglich ist die grösste Ausbiegung unter dem Proto- plasma versteckt; wenn sie aber an einander sich abplatten (Fig. d, e), so bleibt doch, weil ein Rest der Kugelform (wie fast bei aller Zellbildung) sich erhält, eine kleine Partie des Protoplasma an der Oberfläche zwischen ihnen liegen, welcher auf dem Querschnitte, Figur d, e, eine nach innen zugespitzte keilförmige, von oben gesehen eine fadenförmige Gestalt an- nehmen muss und annimmt. Solche Partien des Protoplasma haben bekanntlich unter dem Namen Saftfäden oder Saftströme (wenn nämlich die in ihm eingebetteten Körner fortbewegt wer- den) eine grosse Rolle in der Pflanzenphysiologie gespielt und sind ganz unverdienterweise zu grossem Ruhme gelangt. Diese Saftfäden nun verdecken stets die Stelle, wo zwei sogenannte Vacuolen sich berühren. Es ist unter diesen Umständen auch bei ausgebildeten sogenannten Vacuolen unmöglich, unter dem Microscope zarte Seitenwandungen im In- nern des Protoplasma deutlich genug zu Gesicht zu bekommen, um mit Sicherheit ein Urtheil über ihre Existenz fällen zu können. Wenn aber die Wandungen eine gewisse Dicke erreicht haben, so werden sie auch durch die trübe Protoplasmaschicht hindurch sich sichtbar machen. Das ist denn auch gerade so von den Anhängern der Vacuolen beobachtet, aber da es in dieser einfachen Erklärung nicht in die Hypothese passt, ist wieder eine neue Hülfs-Hypothese ge- bildet, wonach sich „aus dem Protoplasma eine ‚die Vacuole umkleidende hautähnliche Schicht bildet“ (Hofmeister ‚S. 6). Es giebt freilich Microscopiker, welche sich und Anderen einreden möchten, man könne durch Einstellen des Microscopes auf tiefer liegende Theile diese auch durch trübe Schich- ten hindurch deutlich erkennen und man sei z. B. berech- tigt, hier die Nicht-Existenz von Wandungen an den sogenann- ten Vacuolen daraus zu folgern, dass man solche bei derartigem Einstellen nicht sähe, Wer aber die physikalischen Gesetze des microscopischen Sehens nicht aus dem Auge verliert, der weiss, dass man mit dem Microscope so wenig, wie mit dem blossen Auge durch undurchsichtige Theile oder, wie das Sprich- wort sagt, durch ein Brett sehen kann, und dass man durch en Dh a Tr en un Die Vacuole eine physikalische Unmöglichkeit. 347 trübe und halbdurchsichtige Theile "hindurch freilich wohl‘ grö- bere Theile erkennen, niemals aber über zartere mit Sicherheit aburtheilen kann, . Man ist’ daher 'eben so wenig berechtigt, zu behaupten, ‘dass die’ Vacuolen, : wenn sie einzeln liegen, wie Fig. a, 'b, c, der Wandung 'entbehren, als dass sie dann, wenn sie an einander stossen, wie Fig. d,'e, der Scheidewand ganz oder halb entbehren, ‘das heisst, ob d oder 'e die richtige Darstellung des: Verhältnisses ist. Will man d, wie das die Anhänger der Vacuolentheorie thun, für die richtige Darstellung ansehen "und diese ‚Gestalt nicht äussern Hindernissen der'Aus- dehnung; zuschreiben, nun, so muss man nicht‘ davor zurück- scheuen, auch alle die Consequenzen, und noch 'andere ähn- licher Natur dazu, auf sich zu nehmen, welche im vorigen Ka- pitel entwickelt sind. 1 'Es erscheint daher irreleitend und wenig empfehlenswerth, solehe durch Combination verschiedener mehr‘ oder minder ge- trübter Bilder aus’ verschiedenen Tiefen‘ gewonnenen Ansichten mit dem Namen: „optischer Durchschnitt“ zu’ bezeichnen, wie Hofmeister es thut, denn es sind hypothetische. Schemata. Drittes Kapitel. Schlussbetrachtung. + Indem 'Vorhergehenden habe ich nun, wie ich "glauben möchte, hinlänglich für ‘alle die, denen logisches Denken für die Naturwissenschaft ‘unerlässlich erscheint, nachgewiesen, dass - die Vacuolentheorie der Schleiden-Mohl’schen Schule eben so unsicher begründet, wie’ physikalisch unhaltbar ist.’ Ich habe mich absichtlich dabei enthalten, irgend eine (der vielen schönen Beobachtungen zu benutzen, welche in Deutschland,’ England, Nordamerika u. s. w. gegen die genannte Hypothese veröffent- licht sind. ‘Vielmehr habe ich mich darauf beschränkt, ledig- lich Anhänger derselben zu eitiren. Aber dagegen muss ich mich verwahren, :als::ob: ich’ namentlich in der neuesten der an- geführten Schriften, dem’ Handbuche der physiologischen Botanik von Hofmeister, ein Bild des gegenwärtigen Standes unserer 23* 348 C. Jessen: Pflanzenphysiologie anerkennen könnte. Es ist bisher bei Wer- ken der Art in Deutschland wenigstens Sitte gewesen, die ent- gegenstehenden Ansichten kürzer oder länger, aber immer doch möglichst getreu wiederzugeben, um so den Lesern die Mög- ° lichkeit der Kritik zu gewähren; so haben es Schleiden, Schacht gehalten, und sogar Mohl hat in dem doch so knapp gehaltenen Artikel: Grundzüge... der Zelle, Platz für derglei- chen Citate gefunden. Hofmeister hat geglaubt, der Pflicht gegen das Publikum zu genügen, wenn er nur die seinen Hy- pothesen bequemen Angaben eitirt. Dadurch ist sein Werk eine blosse Parteischrift geworden, von welcher kein Pflanzen- physiologe, welchen Ansichten er auch huldigen möge, behaup- ten kann, dass sie, wie die Vorrede sagt, „die Summe der fest- gestellten Thatsachen unter gemeinsame Gesichtspunkte“ ge- ordnet habe. Für glücklich kann ich den eingeschlagenen Weg nach den hier vorliegenden Resultaten allerdings auch nicht halten, ja ich bin überzeugt, dass Hofmeister die Unhaltbar- keit bei manchen seiner Annahmen selbst schon eingesehen haben würde, wenn er sich die Mühe gegeben hätte, die ent- gegenstehenden Annahmen und Beobachtungen genau zu prüfen und in der Kürze seinen einzelnen Paragraphen beizufügen. Fasst man aber alle Widersprüche in der Vacuolen-Hypo- these zusammen und nimmt aus den Angaben ihrer Anhänger auch noch Folgendes hinzu: 1. Mohl’s ausdrückliche und wiederholte Erklärung (R. Wagner, Handwörterb. der Physiol. Grundzüge... der Zelle S. 44), dass die sogenannten Vacuolen, oder wie sie dort genannt werden, „Lücken im Protoplasma“, sich durchaus wie Zellen, ja oft wie ein zartwandiges Zell- gewebe verhalten; 2. Schacht’s vollkommene Bestätigung dieser Angaben, welche ihn sogar veranlasst hat, den Namen Schein- zellen statt des der Vacuolen anzuwenden; 3. die allgemeine, auch von den Vertretern der Hypothese zugegebene Beobachtung, dass man an grösseren Va- euolen deutliche Wandungen erkennt; 4. Schacht’s ausdrückliche Erklärung (Lehrb. d. Anat. d. | | Die Vacnole eine physikalische Unmöglichkeit. 349 Gewächse $. 41), dass er „grössere Scheinzellen, welche kleinere umschliessen“, beobachtet habe, Fälle, die ja keineswegs so selten sind; so ergiebt sich, dass alle Erscheinungen sich viel einfacher, naturgemässer und mit Vermeidung aller physikalischen Wider- sprüche erklären, wenn man annimmt, dass die Zellwand, welche sich doch nach aller Beobachter Ansicht später um die soge- nannte Vacuole fertig ausgebildet vorfindet, nicht in späterer, sondern in sehr früher Zeit entsteht, und dass also alle Vacuo- len, so wie man sie beobachtet, schon mit einer solchen be- kleidet sind. Es giebt keine einzige Beobachtung, welche _ diese Annahme verhinderte. Eldena, 1. März 1868. ne 350 | :'-H. Kaiser: f Die Mechanik der Accommodation des Auges. Von Dr. H. Kaiser, Kreisarzt zu Dieburg bei Darmstadt. (Hierzu Taf. X.) Obgleich das Problem der Accommodation durch die verein- ten Bemühungen so vieler höchst bedeutender Kräfte, insbeson- dere durch Helmholtz’s Genie, so weit gelöst ist, dass kaum mehr ein Zweifel hinsichtlich des Mechanismus dieser wichti- gen Augenfunction möglich erscheint, so hat doch selbst der genannte Forscher, welcher Tiefe der Speculation, unterstützt durch das mit Meisterschaft gehandhabte Instrument der mathe- matischen Analysis, mit einer praktischen Befähigung zur Prü- fung und Verwerthung der theoretisch gewonnenen Resultate in kaum noch dagewesenem Grade vereinigt, seine so wohl be- gründete und durch eine lange Reihe von Jahren befestigte Ansicht als erhaben über jeden Zweifel nicht hinstellen ge- wollt’). Es sei mir deshalb erlaubt, das vorgelegte Problem lediglich vom Standpunkte der Mechanik aus zu discutiren, welcher nunmehr nach den umsichtigsten anatomischen und physiologischen Forschungen der schliesslich maassgebende zu 1) Vgl. Handbuch der physiologischen Optik 1867, S. 833. a nd de I Die Mechanik der Accommodation des Auges. 351 sein scheint, indem sich ja die Natur in ihren Dispositionen den allgemeinen mechanischen Gesetzen unterwerfen muss. "Alle die, welche sich schon mit unserem Gegenstande ein- gehend beschäftigt haben und die kleinen Grössen und eigen- thümlichen Verhältnisse des Auges, welche hier in Betracht kommen, berücksichtigen, werden es uns nicht verargen, wenn wir bei den betreffenden Formeln die exactesten Ausdrücke für wesentlich halten und darnach die Rechnungen durchführen, um entweder die bereits gefundenen Resultate zu bestätigen ‚ oder kleine Differenzen zu berichtigen. Glücklicherweise beruhen die Beobachtungsdaten der Herren Helmholtz und Knapp, welche wir unseren numerischen” Rechnungen zu Grunde zu legen uns erlauben, auf so exacten Messungen, dass die Genauigkeit der Formeln nicht durch et- waige Ungenauigkeit der Beobachtung zur Hlusion wird. I. Zwei Axiome der Mechanik. l. Die Incompressibilität der wässerigen Flüssig- keiten. .. Nach Colladon und Sturm vermindert sich das Volum des Wassers unter dem Drucke von 1 Atmosphäre nur um -0,00005, und es lässt sich mit Sicherheit annehmen, dass die- ses Verhältniss auch beim humor aqueus nicht viel differirt. Was die Zusammendrückbarkeit des Glaskörpers betrifft, so kann sie vielleicht in Folge des in diesem möglicher Weise enthaltenen organischen Gewebes etwas bedeutender sein, je- doeh sicher nicht so, dass sie hier in Betracht kommen könnte. Bei der Krystalllinse, die ein Gerüste aus organischen Fasern und einen ziemlich dichten Kern besitzt, ist die Zusam- mendrückbarkeit zwar nicht ‘in Abrede zu stellen; da jedoch bei der Accommodation eine merkliche Erhöhung des intraocu- lären Drucks nicht stattfindet, so können wir auch die Krystall- linse als ihr Volum bei der Accommodation nicht ver- ändernd ansehen. Hiernach nehmen wir mit genügender Sicherheit an, dass eine Veränderung der Dichtigkeit 352 H. Kayser: der Augenmedien und mithin des Kar ten derselben nicht Statt hat. is nah Da die Cornea und Selerotica eine (wenigstens für die im Aue thätigen Kräfte) unveränderliche Hülle bilden, so bleiben auch die Hohlräume des Auges und das Volum der in ihnen enthaltenen Flüssigkeiten bei allen in ihnen’ vor- gehenden mechanischen Acten unverändert. 2. Ein von einer Flüssigkeit umgebener fester elastischer Körper kann durch eine Druckverände- rung der Flüssigkeit keine Gestaltsänderung er- fahren. Um dies zu beweisen, sei 2=f&,y) _ die Gleichung der Oberfläche des elastischen Körpers, alsdann ist die Gleichung der Berührungsebene eines beliebigen Punk- tes X,, Yı, zZ, derselben: 2-2 =p&-x)t4(y-Yı) wenn dz dz P= a2, 47ay ist. Schneidet man die Berührungsebene durch zwei mit den Coordinaten-Ebenen der xz und der yz parallele und sich im. Berührungspunkte x,, y,, z, schneidende Ebenen, so erhält man successive die beiden Gleichungssysteme der Schnittlinien: 2-2, =p(x -X,), = (©) I2-2,=4(y-Yı), xx} 0) Die Cosinus der Neigungswinkel «, #, „ der Geraden (©) mit den Axen der x, y, z sind beziehungsweise: 1 = »— 5 ps — cos « = va Apr ,„ cosß=0, cosy = Virp und die Cosinus der Neigungswinkel «,, 34, 7, der Reraden OD) mit den Coordinatenaxen sind respective: 1 u gar co8a,=(0, cosf, = pr At ,„ co8Y, = Y1+ Fr : Nun hat man für die ‘durch den Druck der Flüssigkeit Die Mechanik der Accommodation des Auges. 353 in dem Punkte x,, yı, 2 des elastischen eh erregten ela- stischen Kräfte '): auf das Element: nach der Axe der x: Da nun die von Flüssigkeiten auf die Oberflächen glatter Kör- per ausgeübte tangentiale Wirkung = 0 sein muss (weil bei den- h selben eine Reibung nicht stattfindet), so muss auch die Summe der Projectionen der auf die sechs Flächen des unendlich, klei- nen Würfels dxdydz (in dessen einer Ecke sich der Punkt Ey Yu z, befindet) wirkenden elastischen Kräfte auf die Gerade (©), sowie auch die Summe dieser Projectionen auf die Ge- rade ()) gleich Null sein (weil diese beiden Geraden Tangen- ten an der Oberfläche des elastischen Körpers sind). Man er- hält so die Bedingungsgleichungen: (IN: } dT, au dT, dTı dN, res ray + de Se) wense+ er Y%Yr Fan: wc0sy =0 (dT; AN, "AT; - der. ud, Sg H % ar u Be :h & ie h AB ) #osy,=0 wo » = dxdydz ist, Streicht man »® und setzt für die Cosinus ihre Werthe, so erhalten die A an re die Form: an, ee dT, | dT, , dN, re = “(at ti e AT, Br 4 dT, , dT, , dN; a aan w)a= 9 - Nun hat man, wenn das ni abe Kräfte besteht, die Bedingungsgleichungen >): 1)-S. Lame, sur 1. theorie math. d. l’elastieit6 des corps solides, Paris 1852, p. 16, oder auch A. Fresnel, sur 1. double refraction, in Memoires d. l’academie. T. VII, wo aber andere Buchstaben ge- nommen sind. 2) S. Lams a.a. 0. 354 H. Kaiser: dN, dT,;, dT, _ dT,; dN, . dT, dx ? E% TE at dT, dN, ix + # Ba Az und hiermit ergeben die Gleichungen (?) u. (2) 0 0 ig ey Das bedeutet, dass das Gleichgewicht der Oberflächen-Elemente des festen elastischen Körpers von. der Gestalt seiner Ober- fläche unabhängig ist, die elastischen Kräfte, mithin der sie erweckt habende äussere Druck der’ umgebenden Se mögen beliebig gross sein, Der elastische Körper braucht deshalb seine Form nicht zu ändern, wenn der Druck der Flüssigkeit sich verändert, und er wird es deshalb auch nicht thun, da eine zwingende Ur- sache fehlt. Daraus ergiebt sich, dass in Folge des aus ei Gıfar- fortsätzen zurückströmenden Blutes bei der Aceommo- dation für die Nähe eine Abflachung der hinteren Linsenfläche nicht stattfinden kann. In demselben Maasse nämlich, als der hydrostatische Druck im Glaskörperraume zunähme, müsste er auch in der vorderen Augenkammer zunehmen, und die Her- stellung des hydrostatischen Gleichgewichts würde erfolgen lange bevor noch die Linse ihre Gestalt verändert hätte. Eine Ge- staltveränderung würde nur dann in Folge des erwähnten Vorgangs stattfinden, wenn der Linsenrand vollkommen unnach- giebig befestigt wäre. ’) —— - 1) Hiermit fällt auch die Möglichkeit einer Hypothese hinweg, welche vielleicht zu den vielen vorhandenen noch hätte hinzugefügt werden können, nämlich, dass die stärkere Wölbung der Linse beim Nahesehen die Folge ihres Bestrebens sei, dem verstärkten intraocu- laren Drucke eine geringere Oberfläche darzubieten. (Da sich die Oberfläche bei gleichbleibendem Volum der Linse verkleinert, wenn diese sich stärker wölbt.) Die Mechanik der Accommodation des Auges. 355 II. Formeln, welche zur Beurtheilung des Einflusses kleiner 'Aenderungen der s. g. optischen Constanten dienen. .. Legen wir die Formel zu Grunde?) db F'-fF")P=-£,f (F'-d)(l.), worin F’, F’' die vordere und) hintere Brennweite der Hornhaut, f,, f, die vordere und hintere Vereinigungsweite, 7 die Brenn- weite, der Krystallinse und d den Abstand ihres vorderen Haupt- punkts vom Hornhautscheitel bedeuten, und suchen die Verän- derung Af, der, vorderen Vereinigungsweite f,?), welche herrührt von einer kleinen Aenderung .1d der Grösse d, welche Aende- rung auch nothwendig,; von einer: Aenderung 4ß,=— Ad der ‚hinteren Vereinigungsweite begleitet ist. Die Krystallinse, mit- hin #, soll dabei unverändert bleiben. Man erhält EN &F" + & Ad )] Ad :; ff (P +Pie d)- BF" (p+F" 4%, -d-ad) Ad) “ " Legt man den hier vorkommenden Grössen ie Werthe bei°): F'i= 22,8823, F' = 30,5827, f, = 200, £,=19,8, d=5,3, so ‚giebt die Formel (1.) für die Brennweite der Krystalllinse: + = 38,366. Sucht man nun den entsprechenden Werth von -/d, ver- mittelst ‚dessen die vordere Vereinigungsweite f, unendlich wird, so muss man den Nenner des Ausdrucks (2) gleich Null setzen und daraus den Werth von Ad bestimmen; denn -Af, ist hier diejenige Grösse, welche zu f,= 200 hinzugefügt werden muss, damit f,+-1f, ünendlich werde, mithin ist auch Af,=o. ‚ ),8: unsere Abh. „Theorie des Astigmatismus“, Archiv für Oph- thalmologie XI. 3, S. 222, 2) Die vordere Vereinigungsweite ist die Objeetdistanz, für welche das Auge accommodirt ist. 3) Hier, wie in der Folge immer, sind die Grössenwerthe in Millimetern ausgedrückt. . 356 H. Kaiser: Man erhält so oh leichtesten mittelst der Regula falsi) den Werth i 41d= 1,0548. | Ein Zurückrücken der Linse um 1,0548 "m re ne genügen, um die vordere Vereinigungsweite von 200mm auf oo hinaus zu rücken, mithin genügt auch ein Vorrücken der Linse um 1,0548mm, um’ das Auge von 200mm 0 auf 200 zu accommodiren. | | Für f,=150 erhält man #=36,45, 1d= 1,3312. Käme also der Linse des angenommenen Auges. eine unveränderliche Brennweite von 36,45mm zu, so reichte ein Vorrücken derselben um 1,3312mm hin, um das Auge von unendlich auf 150mm einzustellen. Setzt man in Formel (1.) r HOY nE n-l so erhält man die Gleichung “ber (3) "a1 (e-Nb-n(e-b)r | und daraus findet man für die sich ergebende Zunahme f, von f,, wenn r um Sr wächst: a B(P-d)Ar 4 [a D6 (-d-n(le-6) HA], © Könnte mithin das Auge seine Hornhautkrümmung von r auf r+-/r verändern, so würde die Distanz der deutlich zu sehenden Objecte von f, auf f,+-f, übergehen müssen. Sucht man nun mittelst der vorigen Werthe und #=38,366, wie gross Ar sein muss, damit f, und mithin f=& werde, so muss man den Nenner der Gl. (4.) gleich Null setzen und den daraus folgenden Werth von -/r bestimmen. Man erhält so ' I;=—&Tr Ar=1,1786. Die Formel, welche den Einfluss einer Veränderung von #, der Brennweite der Krystalllinse, zu erkennen giebt, ist bereits in unserem Aufsatze über Anisometropie') enthalten. 1) Archiv für Ophthalmologie XIII. 2.8. 263. Die Mechanik der Accommodation des Auges. 357 Erwägt man nun, wie gering die Vorschiebung der Krystall- linse (d) und die Aenderung des Krümmungshalbmessers der Hornhaut (r) zu sein brauchen, um das Auge von unendlich auf 200mm zu accommodiren, so muss es auffallend erscheinen, wenn die Natur diese Disposition des Auges bei dem: Acte der Accommodation nicht benutzt. In der That hat Knapp in seiner wichtigen und unseren Rechnungen hauptsächlich zu Grunde gelegten Abhandlung „über die Lage und Krümmung der Oberflächen der menschl. Krystalllinse und den Einfluss ihrer Ver- änderungen bei der Accommodation auf die Dioptrik des Auges“!) nachgewiesen, dass eine kleine Verschiebung der Krytalllinse bei der Accommodation für die Nähe wirklich stattfindet, und wir haben dies für die fünf uns zu Gebote ste- henden Beobachtungen (2 von Helmholtz und 3 von Knapp) durch die vermittelst einer exacten Formel vorgenommene Be- rechnung bestätigt gefunden. Diese Verschiebung beträgt. je- doch nur ungefähr \/,, Millimeter. Berechnet man mittelst der Formel (2.), wie gross die entsprechende Veränderung in der Distanz der deutlich zu sehenden Objecte ist, ‚so findet man Af,=20,36mm,. Dies ist keine namhafte Grösse, ‚sie entspricht incr Accommodationebrit Yon al, = od = a nur einer Accommodatıonsbreite von 500 290.36 _I1ldımm > 1 d. ; i. von 30° Buch ist die durch die stärkere Wölbung; der Linsenober- flächen bedingte Vorschiebung; ‚des zweiten. Hauptpunkts der Krystalllinse um ‚vieles beträchtlicher?). Dieses Vorrücken des Linsenkörpers kann deshalb nicht wohl an und für sich als ein wesentliches Hülfsmittel bei der Accommodation angesehen werden. Wie es aber dennoch ein solches mittelbar, und zwar von hohem Belange, werden kann und höchst wahrscheinlich meistens auch wirklich ist, dar- 1) Archiv für Ophthalmologie VI. 2. 2) Vgl. das Schema a. a. O. 8. 41. 358 + H. Kaiser: oa. sid über wird sich uns am Schlusse dieser Arbeit eine überraschende Aufklärung von selbst darbieten. | sl Was die Hornhaut betrifit, so ist es durch zuverlässige Messungen bewiesen, dass sie sich nicht durch willkürliche kleine Aenderungen ihres Krümmungshalbmessers an dem Acte der Accommodation betheiligt.') Ob sie aber nicht an den äussersten Grenzen der Accommodation durch Vermeh- rung des intraocularen Druckes durch Blutzufluss von Aussen und Wirkung der Augenmuskeln einen Einfluss hat, darüber wollen wir uns kein Urtheil erlauben. III, Formel zur genauen Berechnung des Krümmungshalbmessers der vorderen Linsenfläche vermittelst Vergleichung des von dieser entworfenen Bildes mit dem von der Hornhaut entworfenen. — Die Helmholtz’ sche. Formel. Es sei (Fig. 1.) P der Hornhautpol, P, der vordere Linsenpol, C der Krümmungsmittelpunkt der Hornhaut, C, der Krümmungsmittelpunkt der Linse, w AP=a die Entfernung des leuchtenden Gbenranden | vom Hornhautpol (sie musste in der Zeichnung viel zu klein dargestellt werden), i AB=b der Abstand des oberen Endes B des Objects | von der verlängerten Augenaxe AF, PP,=d die Distanz des vorderen Linsenpols vom Horn- | hautpol. | I) Die Hypothese von H. Lawson (Ophth. review, vol. II. 1866), wonach beim Nahesehen die hintere Platte der Hornhaut durch die Wirkung des Ciliarmuskels convexer gemacht und die Augenaxe ver- längert werde, kann aus mechanischen Gründen nicht wohl acceptirt werden. Die Mechanik der Accommodation des Auges. 359 Ai Dabei werde angenommen r=Krümmungshalbmesser der Hornhaut, R=-Krümmungshalbmesser der vorderen Linsenfläche. Damit findet man für die Entfernung des Punktes F, in welchem sich die von A ausgehenden Strahlen durch die Wir- kung des von der Hornhaut begrenzten 'humor adqueus ver- einigen: nar Der von dem Endpunkte B des leuchtenden Objects aus durch den Krümmungsmittelpunkt ce der Hornhaut gehende Strahl dringt ungebrochen in den humor ag. ein, folglich muss das Bild des Punktes B in der Verlängerung der Graden Be, und zwar in @, liegen, wenn FG senkrecht auf der optischen Axe im. Vereinigungspunkte F der von A ausgehenden Strahlen er- richtet ist. Es ist mithin FG das verkehrte reelle Bild von AB. Demnach hat man für die Grösse y des Bildes FG = ren. (6) | Nun wird der vom Endpunkte @ des Bildes FG ausge- sandte und durch den Krümmungsmittelpunkt c, der vorderen Linsenfläche gehende Strahl von letzterer auf derselben Bahn zurückgeworfen, das von der genannten Fläche reflectirte Bild des Punktes G muss mithin in der Geraden Ge, liegen. Die vom Punkte F ausgehenden Strahlen werden in dem Punkte F, vereinigt, für welchen, da PRF=e-d ist, BB, = er =e, (7) und man hat für die Grösse des Bildes FA,G, n=zar (a). (8) Dieses Bild ist aufrecht und virtuell. Der Strahl endlich, welcher vom Endpunkte Gı des von ° der vorderen Linsenfläche entworfenen Bilds FAG, durch c geht, wird wieder ungebrochen dureh die Hornhaut in die Luft aus- treten, und es muss mithin das Bild dieses Punktes in der Geraden G,c liegen. Für den Vereinigungspunkt der von F, 360 H. Kaiser: ausgehenden und an der Einihstabeniläche gebrochenen CINE len erhält man: 4er = nr (n-4)(e,4d). 7 2.: 6) Folglich hat man endlich für die gesuchte Grösse. des az F,G, die Gleichung: 1G=n> AS (&-r).. (10.) Substituirt man aus den vorhergehenden Formeln successive die Werthe von &,y,€,7, so erhält man aus (10.): nbrR(e-r) 72” atr)Inr[2(e-A)-R]-a-IRdle-d+e-2URT“L. Dieses Bild ist, wie das vorhergehende, virtuell und aufrecht, Für die Grösse des von der Hornhaut entworfenen Spiegel- bilds eines leuchtenden Objects y' findet man (analog der For- mel 7.), wenn b! den Abstand des oberen Endes des leuchten- den, in derselben Entfernung a vom Auge befindlichen Objects von der optischen Axe bedeutet: a 2 aka) (12.) Da die Grössen b und b! eben so gut die Abstände der unteren Endpunkte der leuchtenden Objecte von der optischen- Axe bedeuten können, so kann man sie auch für die ganzen Grössen der lotichteinden Objecte gelten lassen, vorausgesetzt, dass diese auf der optischen Axe senkrecht stehen. Wählt man nun die Grösse des von der Hornhaut er gelten Objects b' so, dass „,=;, wird, und setzt 1 ee -k, ” =g, ar =m, 2(e-d)=p, er2d=g; so ergiebt sich die gesuchte Gleichung: kgep[ar—(n-1)d u er 0 Berücksichtigt man noch, dass, wenn f,, f, die vordere und hin- tere Brennweite der Hornhaut bedeuten, r n—1 ist, und 'setzt der Kürze wegen nr =f, und ae a f, (u) BETTER 361 so erhalten die Formeln (5.) und (13.) auch die Form: af, af kep(&-d) Berker 9 Mittelst dieser Formel (14)!) habe ich die von Helmholtz und Knapp bekannt gemachten Beobachtungen ?) berechnet und stelle in nachfolgender Tabelle die zur Rechnung nöthigen Da- ten, sowie die Resultate meiner Rechnung und die der Herren Autoren zusammen. Obgleich, wie man sieht, die Differenzen nicht von erheblichem Belange sind, so halte ich es doch nicht für überflüssig, bei einer so wichtigen Frage alle etwaigen Bedenken zu beseitigen. Tabelle A. O0.H. | BER: ' Joh. Sommer. a.\ .(450 450 330 T 7,3380 7,6460 7,7705 8 | 30.6306 31,9831 33.1848 Ferne Nähe Ferne Nähe Ferne Nähe 3,1044 | 1,7258 1,6448 | 0,9129 1,4199 | 0,84795 d| 3,9240 | 3,5640 | 3,5970 | 3,1570 | 3,5994 | 3,0343 R | 12,1310 | 8,7095 | 8,8516 | 5,8969 | 8,1867 | 5,7209 ‚ Helmholtz. Knapp. Beige N 8 | 5,9 21098.0972 | ' 5,9918 1) Dieselbe leidet strenge genommen an zwei Ungenauigkeiten. Die erste beruht darauf, dass das Auge als genau centrirt angenommen wurde, was es nach den Beobachtungen der beiden oben genannten Autoren nicht ist, — die zweite sieht man ein, wenn man berück- siehtigt, dass r in den Formeln (5.) und (6.), sodann in der Formel (8.) und dann wieder in den Formeln (9.) und (10.) verschiedene Werthe haben muss, weil die Krümmung der Hornhaut im Pol und in den zwei seitlich gelegenen Punkten, in denen die Objeet- und Bildstrahlen durch die Hornhaut ein- und ausgehen, verschieden ist. Bei der Be- rechnung sind aber diese beiden Fehler in den meisten Fällen ohne Belang. 2) Archiv für Ophthalmologie I. 2, VI. 2. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 24 362 Kaiser: Heinr. Sommer. | Ferd. Schmidt. | Herm. Schiller. a | 330 | 330 AR 330 Y 8,0303 7,1653 7,2053 e | 34.3808 30.4219 30.6035 Ferne Nähe |: Ferne Nähe Ferne Nähe g! 1,3200 | 0,6400 1,5680 0,7612 | 1,93046 - 0,80951 d | 3,6073 | 3,0533 | 3,3774 | 2,7295 | 3,4786 | 2,8432 R | 8,0709 | 4,7140 , 8,0424 | 4,8559 | 9,5070 | 5,2816 Knapp. R | 7,9459 |" 4,8865 | 7,8600 4,8076 | 9,0641 | 5,0296 Die Helmholtz’sche Formel, deren sich auch Knapp bedient hat, ist nur eine genäherte, indem sie voraussetzt, dass die Entfernung des leuchtenden Gegenstands vom Auge im Ver- gleich zur Grösse des Krümmungshalbmessers und der Brenn- weite der Hornhaut als unendlich gross betrachtet werden könne. Dies ist nun bei dem hier angewandten Verfahren, d i. bei Distanzen von 45 und 33 Cm., nicht ganz ohne Bedenken. Nehmen wir in unserer Formel (14.) a so gross an, dass die erwähnte Vernachlässigung stattfinden kann, so wird r (ba = k= 4, e-4,m = "O2, p=26-4), q=5-2d, 2a gr.=2q!") und die Formel (14.) geht über in die genäherte gi -d)? rer oder, weil zufolge der Formeln («.) ,-r=f, ist, in die Helm- holtz’sche -_ Ed) Reg yganay: (1 *) Bei Helmholtz (a. a. O. $. 49) ist nämlich q' die Brenn- weite des combinirten Systems, welches aus der spiegelnden Linsen- fläche und dem davor befindlichen, von der Hornhaut begrenzten . Humor aq. besteht, und die obige Gleichung folgt aus der Proportion b:b!= R :q', weil sich die Grösse der leuchtenden Objecte, deren Spiegelbilder gleich gross erscheinen, umgekehrt verhalten müssen, wie die Krümmungshalbmesser der spiegeluden Systeme, a N >: EN a > Aue 2 Ham EU SSL En ae sein £ EEE WERE ZEERBLZECEH en RR Die Mechanik der Accommodation des Auges. 363 IV. Formel zur Berechnung des Krümmungshalbmessers der hinteren Linsenfläche, Es seien (Fig. 2.) P,P,,P, die Pole beziehungsweise der Hornhautober- fläche, der vorderen, der hinteren Linsenfläche, 6,6, 6; die Krümmungsmittelpunkte dieser Flächen, F,F,,F,,F;,F, die Vereinigungspunkte der Strahlen, “ welche beziehungsweise vom Axenpunkte des leuch- tenden Objects, dann successive von den Punkten F,F,,F,,F, ausgehen und respective von den Flä- chen mn; m,n,, myn,, m,n,, mn gebrochen, oder (von m,n,) reflectirt werden, FG, F,6,, F,6,, F,G;, F,G, die in diesen Punkten durch die genannten Flächen erzeugten Bilder, — dabei sei wieder die Entfernung des leuchtenden Gegenstands vom Auge =a, die lineare Grösse des leuchtenden Objects = B, der Halbmesser der Hornhaut = r, der Halbmesser der vorderen Linsenfläche - R,, der Halbmesser der hinteren Linsenfläche - R,, die Entfernung des vorderen Linsenpols von der Horn- haut PP,=d, die Dicke der Linse P,P,-d,, und endlich sei noch n das Brechungsverhältniss von Luft in Humor aq., n, von Humor aq. in Linsensubstanz. Alsdann hat man für die absoluten Grössen der Vereini- gungsweiten e,e ,e,e,,e, und Bilder y, Yı, Yas Ya, Ya: nra 2 b 1) PF- "@-1)a-r = F Verdi (e Tr) ER) n,(e-d)R, = SF y ; 2) ur -I\e-d)v F ler a? RR ne TE Li ze a a er 4 Di 33 a Be y ww % Be ya Ir .. Dre ee ni. 2 A ar ar rr% g HER Be 4 BER EIER - wer Ir u 364 H. Kaiser: (eı-dı)R, 3) P,F, Re, enge, F@,=»=; TE (R,-&,) (d, -e,)Rı Ye 16). PA nn „2 letd)r SER 5) PF,= In- (n- 1)(e, +d) =e,, B&Sy=rg, (T-e,) Sämmtliche fünf Bilder sind verkehrt, vom ersten bis drit- ten au Grösse abnehmend, vom dritten bis letzten zunehmend. y,; drückt die Grösse des von dem Beobachter gesehenen Spiegelbilds, welches die hintere Linsenfläche von dem leuch- tenden Objecte entwirft, aus. Für das Auge des Joh. Sommer erhält man z. B. für’s Fernsehen folgende Werthe') P F =e - 33,430 y = 0,077615 P\ F, = e, = 24,5890 y = 0,058950 P,F,=e,= 2,3703 7, = 0,006760 PıF,=e,= 1,4461 y3 = 0,006865 P F,=e,= 4,6062 y1 = 0,008224 Durch successive Substitution erhält man y, (Gl. 16.) als Function der Grösse b des leuchtenden Objects. Wählt man nun die Grösse b! des Objects für das gleichzeitig zu erzeu- gende Hornhautspiegelbild ;! wieder so, dass beide Spie- gelbilder gleich gross werden, so hat man y,=y"', wo y! wieder den durch Gl. (12.) gegebenen Werth hat. Setzt man nun der Kürze wegen b! p 8 2 (e,-d,)=p, 4-2dı=q, an, r(2a+r) (n—-1)a—r und bemerkt, dass -$, (n-1)(e-d)=k, nr-(n- 1)d=], a, RB, (e-d) = R,+k ’ so findet man die Formel: End NaR,-(m-NIAspE RK) 17) FR? m-Mg+nI]R,+m-Ilqtg(Rrk)" © 1) Berechnet mit r=7,826, R,=8,2972, R,=5,3546, d= 3,6924 d, = 3,9203. u en A LAT Die Mechanik der Accommodation des Auges. 365 Berücksichtigt man wieder, dass ot =F, und Fe =’, ıst, wenn F, und F, die vordere und hintere Brennweite der Hornhaut bedeuten, und setzt n,-1=», F,-d=p, so wird n,F,(2a+r) aF, a-F, a En und die Formel (17,) geht in folgende über: Rt gsp(Rı+W[R, (2,9 = d)-rgpd,] (18.) 1ER -eRıtk)[Rılatnp)trog ' © n-1 Nach dieser Formel und den von Knapp!) gegebenen Werthen, mit dem nur die Werthe von F, und F,, welche mit dem von genanntem Autor gegebenen Krümmungshalbmesser der Hornhaut berechnet wurden, nicht ganz übereinstimmen, wurden die in nachstehender Tabelle B. gegebenen Werthe von R, berechnet. f> Tabelle B. Joh. Sommer. \ Ferd. Schmidt. Herm. Schiller. Fernesehen Nahesehen|Fernesehen Nahesehen Fernesehen Nahesehen i5 7,7705 7,1653 9 1.2053%) F,| 23,0950 ı 21,2936 21,4125 | F,| 30,8590 | 28,4589 \ 28,6178 d| 3,5924 | 3,0348 3,3774 | 2,7295 | 3,4786 | 2,8432 d,' 3,9203 | 4,4784 | 3,7760 4,4239 3,6225 | 4,2579 R,|i 8,2972 9,9213 | 7,8600 4,8076 | 9,0641 5,0296 ® | 0,6898 | 0,63846 0,9000 | 0,78344 0,85164/ 0,74106 R,| 5,3597 | 4,7005 | T1857 | 5,8048 6,4187 5,1485 ı j Knapp. R,| 5,3546 | 4,6585 | 6,9012 | 5,6098 | 6,4988 | 5,0855 Bei der Berechnung wurde noch angenommen a=380, n=1,3365, n, = 1,0883. Ausserdem ist zu bemerken, dass die Formel (18.) das Unan- genehme hat, dass sie öfteres Aufsuchen von Logarithmen und 1) a.a. 0.8. 41. > x Mr a dr 28: RE 5 = x 1 ; " r s as 366 H. Kaiser: : ihren Zahlen erheischt, was ziemlich ermüdend ist. Wesentlich i erleichtert wird die Rechnung mittelst der Gauss’schen Tafeln (in Zach’s monatl. Correspondenz 1812. Th. XXVI, und auch in J. Pasquich logar. trigon. Tafeln), vermittelst deren man den Logarithmus der Summe oder Differenz zweier Zahlen, deren Logarithmen man hat, finden kann, ohne die Zahlen selbst aufzusuchen. Die Tafel ist zwar nur fünfstellig, dies ist jedoch für vorliegende Rechnung hinreichend. Mittelst dieser Tafeln wurden die Werthe von R, für die beiden letzten Augen be- rechnet, die für das erste Auge dagegen mit den siebenstelli- gen Logarithmen. Man sieht, dass die von Knapp gefundenen Werthe wenig von den hier berechneten abweichen. Berücksichtigt man dabei, dass die zu Grunde liegenden Beobachtungen nicht so scharf wie die des vorderen Linsen- bildchens ausfallen können, so möchte wohl in praxi die Knapp’sche Näherungsmethode als genügend angesehen werden können. - Knapp nimmt nämlich vorerst, gestützt auf die Helm- holtz’sche Untersuchung, den Krümmungshalbmesser der hin- teren Linsenfläche gleich der doppelten Brennweite des combi- nirten spiegelnden Systems dieser Fläche!) + O,lmm und berech- net hiermit, sowie mittelst der übrigen, vorher bestimmten Elemente die s. g. Cardinalpunkte des Auges. Alsdann wendet er die Formel (15.) an, in welcher hier für f, — d der Abstand p des hinteren Brennpunkts des Auges von der hinteren Lin- senfläche, für f,, £, die Hauptbrennweiten des Auges und gq'=2grzu nehmen ist. Die Gl. (15.) erhält so die Gestalt: = „BB higg) ” gh-grp' ; Er denkt sich nämlich die spiegelnde Fläche parallel mit der Hinterfläche der Linse und dicht an dieser gelegen, und kann somit das optische System des Auges in der erwähnten Formel für die Hornhaut einsetzen. 1) Vgl. die Anmerkung unter IV, Die Mechanik der Accommodation des Auges. 367 V. Formel zur genauen Berechnung der Linsendicke und des Orts des hinteren Linsenscheitels. — Gang der Berechnung der optischen Constanten, Setzt man in dem System der Formeln (16.) e,-0, indem man für das Bild 7, einen im Scheitel der hinteren Linsen- fläche befindlichen leuchtenden Punkt annimmt, so erhält man die beiden Gleichungen: Ben erde: IT Rn (n,-1)d; ? °"rm-(n-I)(e,+d)' Substituirt man den Werth von e, aus der ersten dieser beiden Gleichungen in die zweite, so ergiebt sich: e,nr[R,n, -(a,-I)dı]=[r+@-Ne]indR,+d, [Rı-(n,-1)d]$ und man erhält hieraus für die Dicke der Linse die Formel: ä n,R,inre,—-d[r+(n-1)e,]? [r+(n-1)e,][R,-(n,-1)d]+n(n,-I)re, Setzt man nun ı» statt e,, so dass '” die scheinbare Di- stanz des hinteren Linsenscheitels vom Hornhautscheitel, oder der durch seine Entfernung vom: Hornhautscheitel bestimmte scheinbare Ort ist, wo der hintere Linsenscheitel von einem vor dem (beobachteten) Auge befindlichen Beobachter gesehen wird (welcher Ort durch trigonometrische Messungen zu be- stimmen ist!) und setzt wieder T: nr af; ee dı= n,-1=»v, wo n=1,3365, n, = 1,0883 ist, und F,, F, die vordere und hintere Brennweite der Horn- haut bedeuten, so erhält die Formel für die Linsendicke folgende Gestalt: a,R,[vF,-d(F,+W)] ua, Ce) 1) S. Helmholtz a. a. 0.8. 51, Knapp, l. c. p. 17. 368 H. Kaiser: ER Hiermit hat man für den wahren Abstand w, des hin- teren Linsenscheitels von der Hornhaut: | v‚=d+td,. (21l.) Aus der Differenz der dem Fern- und Nahesehen entspre- chenden Werthe von d, und Y, kann man denn auch die Zu- nahme (#d,) der Linsendicke und das Vorschieben (Ay,) der hinteren Linsenfläche, mithin auch des ganzen Linsenkörpers bei der Accommodation für die Au leicht berechnen. Nach diesen Formeln (20.) u. (21.) wurden die in nach- stehender Tabelle ©. aufgeführten Werthe von d,, w,, Ad,, Aw; berechnet. (Vermittelst der bereits oben bis auf ı angegebenen Daten von Helmholtz und Knapp!'). Tabelle C. 0.H. | BP. Kerischen IN ahesehen| Fernsehen Nahesehen ıb 6,7755 6,7755 7,0040 | 7,0040 dj] 3,1779 3,5193 3,8402 4,2024 ıl fi 7,1019 | 7,0833 | 7,3372 | 7,2594 Id, 0,4414 0,3622 hp, 0,0186 | | 0,0778 Helmholtz. d,| 1.07 3,244 71 | 3,801 Joh, Sommer, ‘ Ferd. Schmidt. | Herm. Schiller. | —— nn rum nralahen Nahesehen] Fernesehen 'Nahesehen 'Fernesehen Nahesehen ı) | 7,2261 7,2261 6,9415 6,9415 6,8749 6,8749 d,' 3,9505 4,4303 3,7811 | 4,3062 3,6596 4,1774 ıw,| 7,5429 | 7,4646 7,1885 | 7,0357 7,1382 7,0206 ad, | 0,4798 0,5251 0,5178 Ay!) | 0,0783 | | 0,1228 | | 0,1176 Knapp. d,| 3,9206 | | 4,4785 | 3,7760 | 4,4239 3,6225 | 4,2579 ı,| 7,5127 | 7,1534 7,1011 Ad, | 0,5578 | 0,6479 | 0,6354 1) Die oben berechneten Werthe der Krümmungshalbmesser der Linsenflächen wurden deshalb nicht genommen, um die Resultate der Berechnung besser mit denen der genannten Autoren vergleichen zu können, Die Mechanik der Accommodation des Auges. 369 Knapp hat bei seiner Berechnungsmethode die Car- dinalpunkte der Linse dem schematischen Auge von Listing entnommen und, nachdem er berechnet hat, wo, im Humor aq. gesehen, der scheinbare Ort des hinteren Linsenscheitels sich befindet, berechnet er mittelst jener Cardinalpunkte den ge- suchten wirklichen Ort. Wir wollen nun noch untersuchen, wie gross der Fehler ist, der dabei begangen wird. Es sei (Fig. 3.) a der Scheitel der Hornhaut, b der vor- dere und e der hintere Linsenscheitel, ce der vordere und d der hintere Hauptpunkt der Linse, und f der von dem in Humor ag. befindlich gedachten Auge des Beobachters durch die Linse hindurch gesehene scheinbare Ort des hinteren Linsenscheitels; ferner werde gesetzt: ab=d, be=6, cd= I af=y, ae= 1; so hat . vermöge der bekannten Cardinalformel der Optik: BE F,-f, ’ wo F, und F, die vorderen und hinteren Brennweiten und f, und f, die vorderen und hinteren Vereinigungsweiten des be- treffenden Systems sind. Dieses System ist hier die Linse, und die Frage ist, wo liegt der leuchtende Punkt e, welcher durch h=- die Linse, vom Humor ag. aus gesehen, in f erscheint? Man muss hier in der vorstehenden Formel setzen F,R,=F,=&=der Brennweite der Linse in Humor aq., f,=cf (bekannt) und f,=de (gesucht) nehmen. Da nun b=u-d-d; - &,=Yv,7d-9-J9, ist, so hat man, wenn man noch d+d=D setzt: & - B(b-d Yy,=D+J,-f, fi = 5 => 3 ‚oder NE DET vi - D d, + $+D-w . (22.) > 370 H. Kaiser: welcher für d, d,, ® die schematischen Werthe genommen werden. Differentiirt man nun /ı nach D und dı, so ergiebtsich: - ch? SAP REF Br Deo) AD. Da sich nun die beiden Glieder mit 7D nahezu aufheben, so hat man ziemlich genau Am=d4 d, 3 d. h. der bei diesem Verfahren entstehende Fehler ist sehr nahe gleich dem Fehler in der Annahme der Entfernung der beiden Knotenpunkte der Linse von einander. Aus der obigen Berechnung (Tabelle ©.) geht das bereits von Knapp behauptete, jedoch in seinem Werthe-Schema nicht berücksichtigte Vorrücken des Linsenkörpers hervor. Es beträgt in den drei Fällen von Knapp im Durchschnitt 0,1062. — Da hier die letzte der zur Berechnung der am Auge vor- genommenen Messungen dienenden Formeln gegeben wurde, so wollen wir uns nur noch zu bemerken erlauben: I) dass die gegebenen Formeln vollständig exact sind, 2) dass ein allenfallsiger kleiner Fehler im Brechungscoef- fieienten der Linse, sowie der von der die physiologischen (Grenzen nicht überschreitenden mangelhaften Centrirung des Auges herrührende Fehler von keinem erheblichen Belang für die Resultate sind, — und 3) dass mittelst der gegebenen Formeln die ganze Berech- nung gemacht werden kann, ohne auf das s. g. schematische Auge zu recurriren. Das Verfahren zur Berechnung derjenigen s. g. optischen Constanten, aus denen sich die s. g. Car- dinalpunkte des Auges herleiten lassen, ist fol- gendes: 1) Man. berechnet die Krümmung der Hornhaut aus den unmittelbaren Messungen mittelst des Ophthalmometers nach Helmholtz oder Knapp‘). 2) Aus dem durch trigonometrische Messungen bestimm- 1) Die Krümmung der Hornhaut des menschl, Auges. Heidel- berg 1860, Die Mechanik der Accommodation des Auges. 371 ten") scheinbaren Orte des vorderen Linsenscheitels berechnet man den wahren Ort desselben mittelst der Formel an Be, wo d die wahre und & die scheinbare Entfernung des vorderen Linsenpols vom Hornhautscheitel ist. 3) Nun berechnet man nach der Formel (14.) den Krüm- mungshalbmesser der vorderen Linsenfläche vermittelst des Ver- l hältnisses g " ‚ wo b!’ und b die Grössen der leuchtenden Ob- jecte sind, welche beziehungsweise von der Hornhaut und der vorderen Linsenfläche gespiegelt gleich grosse Bilder geben. 4 Bet Ar (Bei Helmholtz und Knapp ist diese Grösse g= hin unter q das Product von g mit dem halben Krümmungs- halbmesser der Hornhaut verstanden.) 4) Hierauf berechnet man nach Formel (20.) die wirkliche Dicke der Krystalllinse vermittelst des durch trigonometrische Messungen?) gefundenen scheinbaren Orts der hinteren Linsen- fläche, und hieraus den wahren Ort genannter Fläche durch Gl. (21.). | | 5) Endlich berechnet man vermittelst der Formel (13.) oder des oben angeführten approximativen Verfahrens von Knapp, welches hier genügend genaue Resultate zu liefern scheint, den Krümmungshalbmesser der hinteren Linsenfläche mit Hilfe des b! Verhältnisses g = p; wo b' und b die Grössen der leuchten- den Objecte sind, welche beziehungsweise von der Hornhaut und 1) Helmholtz a. a. 0. S. 31. Knapp, |. c. p. 13. In Betreff des Orts des vorderen Linsenscheitels, welcher von Knapp dem Abstande des Pupillarrands von der Hornhaut, vermin- dert um 0,1 Mill., gleich gesetzt wurde, was wir natürlich auch bei unseren Rechnungen acceptiren mussten, möchten wir uns die Frage erlauben, ob nicht eine directe Bestimmung in ähnlicher Weise wie beim hinteren Linsenscheitel hinreichend genauen direeten Aufschluss über die Lage desselben geben könnte. 2) Helmholtz l. c. p. 51, Knappa. a 0. 8. 17. 372 H. Kaiser: hinteren Linsenfläche gespiegelt gleich grosse Bilder geben. (Bei Helmholtz und Knapp ist wieder q=4rg, wo r der Krümmungshalbmesser der Hornhaut ist.) VI. Folgerungen aus der Unveränderlichkeit des Volums der Linse, Da die Linse ihr Volum bei der Accommodation nicht in merklichem Betrage ändern kann, so drängt sich uns die Frage auf: Kann das Linsenvolum bei den gefundenen Krümmungs- halbmessern und Dicken unverändert bleiben? Wäre dies nicht der Fall, und würde sich die Linse mit den gefundenen Krümmungshalbmessern und unverändertem Volum bei der Accommodation für die Nähe weniger dick ergeben, als den ge- hörig berechneten Resultaten der Beobachtung entspricht, so wäre man gezwungen, anzunehmen, dass die Linse sich bei ihrer Vorschiebung und stärkeren Wölbung so in die gespannte Pupille eindrängte, dass der yon dieser begrenzte Polar- Ab- schnitt sich noch mehr vorwölbte und dadurch einen grösseren Abstand vom hinteren Linsenpol bekäme, in welchem Falle als- dann die Krümmung des übrigen Theils der vorderen Linsen- fläche im Allgemeinen bedeutend geringer werden oder viel- leicht ganz unverändert bleiben würde. Müsste die Linse aber bei gleichbleibendem Volum und den gefundenen Krümmungshalbmessern dicker werden, als der Beobachtung entspricht, so wäre man, um bei der beob- achteten Dicke des Pupillartheils das gehörige Volumen der ganzen Linse heraus zu bekommen, genöthigt, die Seitentheile der Linse dicker und dabei flacher anzunehmen. In beiden Fällen müsste mithin die Krümmung der Linsen- vorderfläche in der Pupille stärker, als an den Seitentheilen angenommen werden. In der nachfolgenden approximativen Berechnung werden wir die beiden Linsenflächen ale Kugelabschnitte betrachten !). 1) Es ist uns zwar nicht unbekannt, dass der Linsenoberfläche die Form eines Rotations-Paraboloids, respective — Hyperboloids zu- Die Mechanik der Accommodation des Auges. 373 Wir glauben dies um so eher thun zu dürfen, als es uns hier- bei nicht auf das wirkliche Volum, sondern blos auf die Rela- tion zwischen den Krümmungshalbmessern und Dicken an den beiden Accommodationsgrenzen bei gleichbleibendem Volum an- kommt. Die in Accommodationsruhe befindliche Linse hat jeden- falls eine symmetrische Gestalt und wird eine solche, wenn sie ihrer Rlastieität überlassen bleibt, auch behalten. Ist nun diese Gestalt auch nicht derart, dass ihre beiden Flächen zwei sphä- rische Segmente sind, so wird doch die Abweichung von der Kugelform wesentlich nur die Randgegend betreffen, und wird der durch diese Abweichung bedingte Fehler in der An- nahme des Volumens bei beiden extremen Accommodationszu- ständen annähernd derselbe sein. Kann also bei den nach ge- nauen Beobachtungen und Messungen berechneten Krümmungs- halbmessern und Dicken der Linse in beiden Accommodations- zuständen das Volum bei der sphärischen Form nicht dasselbe bleiben, so wird es dies auch nicht bei derjenigen Form, welche die Linse wirklich besitzt, wenn sie nämlich ihrer Elastieität ‘frei überlassen bleibt. Setzt man (Fig. 4.) das der Kugelfläche dae vom Halb- messer r, zugehörige Stück der Linsenaxe ac=x und das der Kugelfläche dbe vom Halbmesser r, angehörige cd=y, so hat man die Gleichung N-H-9°=-n-%-)% oder durch Reduction 9 +x?=M,y-y”. (©) Setzt man nun die Linsendicke = d und somit d=xX+Y, ()) so ergeben sich aus (©) u. ()) die beiden Gleichungen: d(2r,-d) dar dn Tratn-d’ I” Mund‘ © Für das Volum v, und v, der beiden Kugelabschnitte dae geschrieben wird. Aber wir glauben aus den im Texte angeführten Gründen, dass die Annahme der sphärischen Form für unsern Zweck hinreichend genau ist, während die vielleicht genauere zu allzu ver- wickelten und wohl unausführbaren Rechnungen führt. 374 :H, Kaiser: "iR und dbe hat man bekanntlich (wenn = das Peripherie | | bedeutet): v=ax® (38), 9=ry’(n-4y) (24) und mithin für das Volum des Körpers daeb V=n+n. (25.) Substituirt man die Werthe aus (23.) in (24.) und dann Alere in (25.) und ordnet nach den Potenzen von d, so erhält man die Gleichung: 2d°-4(r, +r,)d°+[6(r, +1,)?+8r,r,]d* - SG +r3) +37 1,8, 4) Vi]@ +8 +n)[R,% N 3V1]d2+24V'(r, Hd -8 V'!(r,+r,)’=0 oder kürzer: ..3d°-48d5+(65?+8P)d!- et Vans +8S(PS-3V\)d?+24V!S?4-8SV!S°=0, (26.) worin N Vi= = S=T,+5,. Pen ns T=r’ +r bedeutet !). 3 Nimmt man zunächst das Auge des Joh. Sommer mit den von Knapp berechneten Werthen, so ist hier für das Fern- sehen . r, = 8,2972, r, = 5,3546, d = 3,9203. Damit findet man vermöge Formel (23.) x=1,36744, y = 2,55286 und vermittelst (24.) (u. 25.) v, 46,064, vy = 92,209, V = 138,273. Für das Nahesehen hat man, da das Volum der Linse unverändert bleibt: r, = 5,9213, r,=4,6585, V = 138,273. Mittelst dieser Werthe wird die Gl. (26.): 3». d# — 42,3192 d’ + 892,268 d* - 7475,20 d? + 13524,8 d? + 118237 d - 416975 =0. (a.) 1) Von der Richtigkeit dieser Formel überzeugt man sich, wenn man r, undr, successive = © setzt; für r, ergiebt sie z. B. 44°’ —r, d+Vı=0, oder V'=d?(r, - dd), wie es der Fall sein muss, Vgl. Formel (24.). Die Mechanik der Accommodation des Auges. 375 Diese Gleichung wird erfüllt durch d=4,465. Dies ist also der . “ Werth der Dicke der aus zwei Kugelflächen bestehenden Linse, wenn die Krümmungshalbmesser derselben beim Nahesehen die aus den Beobachtungen abgeleiteten Werthe erhalten, ohne dass der Linsenkörper dabei sein Volum ändert. Macht man wegen der vielfachen Wurzeln der Gleichung (a.) (die Probe’ mittelst der Gl. 23, 24, 25, so überzeugt man sich leicht von der Richtigkeit des gefundenen Werthes von d. Für das Auge des Ferd. Schmidt hat man für's Fern- sehen tr, = 7,8600, r, = 6,9012, d = 3,7760. und erhält x=1,72321, y=2,05279, v,=67,9662, v,=82,3027, V=150,2689. Für’s Nahesehen ist r, =4,8076, r, = 5,6098, V = 150,2689 und die Formel (26.) wird hier: 3 d° — 41,6696 d> + 866,891 d! - 7127,328 d? + 11429,3 d? + 124580 d + 432601 = 0. Vermöge derselben erhält man d = 4,698. “ Für das Auge des Herm. Schiller endlich hat man für’s Fernsehen: r, = 9,0641, r, = 6,4988, d = 3,6225 und erhält x=1,42212, y=2,20038, v,=54,5782, v,=87,9642, V=142,5424. Für's Nahesehen ist r, =5,0296, r, = 5,0855, V = 142,5424 und die Formel (26.) wird 3 d® — 40,4604 d’ + 818,5158 d* — 6536,231 d? + 9921,38 d? + 111415,5 d — 375660 = 0 und diese giebt d = 4,598. Die Differenzen der so gefundenen Dicken von den oben mittelst der exacten Formel (und den Knapp’schen Werthen) berechneten betragen mithin beziehungsweise: 0,0347, 0,3918, 0,4206 (9). 376 H. Kaiser: Um nun zunächst nochmals den im Eingang dieses Kapitels , berührten Fehler dieser Berechnungsart zu beleuchten, sei (Fig. 5.) amdn der Durchschnitt der sphärischen Linse beim _ Fernsehen und buwe,» derselbe beim Nahesehen, «mön der Durchschnitt der wirklichen Linse beim Fernsehen und Suev derselbe beim Nahesehen (wenn die Linse ihrer Elastiei- tät frei überlassen bleibt), so wird die Fläche ayey, und bygy' wenig verschieden sein, und wird folglich auch der cu- bische Inhalt der durch Umdrehung um die Axe AB entstan- denen Ringe so wenig differiren, dass sie bei der oben ange- wandten Berechnungsart von «vr keinen merklichen Einfluss haben. Betrachten wir nun die Differenzen (9), so kann die erste 0,0347 (beim normalsichtigen Auge des fünfzehnjährigen Joh. Sommer) als genügend in den berührten Randverhältnissen be- gründet angesehen werden. Bei der zweiten 0,3918 (des normal- sichtigen 25jährigen Ferd. Schmidt) und noch mehr der dritten 0,4206 (des kurzsichtigen 23jährigen Herm. Schiller) ist dies jedoch nicht der Fall, indem diese nahe an den Werth von ‚rdı reichen (s. d. Tabelle C), d. h. nicht viel kleiner sind, als die beobachteten Zunahmen der Linsendicken bei der Accommodation für die Nähe selbst. Statt des für das Fernsehen des Ferd. Schmidt berechneten Volums 150,2689 erhalten wir mit den beim Nahesehen durch Beobachtung erhaltenen Krümmungshalbmessern (nach Knapp) und der nach den trigonometrischen Messungen mittelst unserer Formel berechneten Dicke (= 4,3062) den Werth V=131,0142. Für das Auge des Herm. Schiller, wofür wir beim Fern- sehen berechnet haben V - 142,5424, erhalten wir mit den (Knapp’schen) Krümmungshalbmessern für's Nahesehen und der nach unserer Formel berechneten Dicke (=4,1774) nur V= 119,543. Die Differenzen dieser Volumina, welche beziehungsweise 19,25 und 22,999 Kubikmillimeter, mithin respective eirca "/a und '/s des Ganzen betragen, lassen sich nicht durch eine ge- ringe Abweichung von der sphärischen Gestalt in der Nähe des a E „ er. j | E a 4 j N 3 R \ Die Mechanik der Accommodation des Auges, 377 Rands der allein ihrer Elasticität folgenden Linse er- klären. Da die Krümmungen der Flächen, namentlich der vorde- ren, und die Dicke der Linse genau durch Messung und Rech- nung bestimmt sind, so lässt sich vielmehr die obige Differenz nur dadurch erklären, dass die Seitentheile der Linse bei der Accommodation für die Nähe verhältnissmässig dicker sind und eine flachere Wölbung haben, als der in der Pupille befindliche Polartheil. Der Grund dieser Erscheinung scheint uns nahe zu liegen, und auch die Erscheinung selbst bei den übrigen bei der Accommodation für die Nähe obwaltenden Verhältnissen, dem Vorrücken des Linsenkörpers, der stärkeren Wölbung der vor- deren Linsenfläche in Folge ihrer Elasticität, dem Zurückgezogen- werden des Ciliartheils der Iris und der Contraction ihrer Sphinc- teren, viel Wahrscheinlichkeit a priori für sich zu haben. Wie hierdurch der Mechanismus der Accommodation erleichtert wird, und wie sich dabei die Linsenverhältnisse gestalten, wird sich uns die nachfolgende approximative Rechnung näher ergeben. Es sei (Fig. 6.)') bmn!ge die Gestalt der vorderen Linsen- oberfläche bei der Accommodation für die Nähe, mg der Durch- messer der Pupille, so ist der Halbmesser der Krümmung mn!g bekannt, nämlich gleich dem durch die Beobachtung gegebenen Werthe von r, für’s Nahesehen, ebenso md gleich dem zu messenden halben Pupillendurchmesser beim Nahesehen. Hier- mit lassen sich die Grössen dn! und das Volum mdgn! be- rechnen. Nimmt man nun an, dass das Volum v, des hintern Kugel- abschnitts der Linse bei der Accommodation für die Nähe das- selbe bleibt, wie bei der Accommodation für die Ferne (und mithin auch das Volum v, des vordern Kugelabschnitts, indem v' und v, zusammen die sphärische Linse constituiren), so kann man mittelst der Formel (24.) den Werth von y, (d. i. die Er- hebung des hinteren Linsenpols über den Aequator, welche etwas grösser als vorher werden wird) aus v, und r, bestimmen. 1) In dieser Figur ist das stärkere Vorwölben des Pupillartheils der Linse der Deutlichkeit wegen sehr übertrieben dargestellt. Beichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1868, 25 DE a ed BT GEN a 0 PEST ESTER NE ee Ne : ee a N ee ae En warte N N a ine. a Er Te BD Le" ER I SC EN 378 . H. Kaiser: el BL Re eL are ; ne ME EER 3, En a Entwickelt man nämlich y, so erhält man die Gleichung: „?-3n72+39=0, (27) | worin =: Zieht man nun den für y gefundenen Werth von der nach den Beobachtungen berechneten Dicke d der Linse beim Nahesehen ab, so ist (Fig. 4.) an!=)-d = yi5 (28.) d. i. gleich der Höhe des vorderen Linsenpols über dem Ae- quator. Den Halbmesserer der Krümmung bmnge bestimmt man nun folgendermassen: Es sei dm=p, dn!=q, Vol. mdgn!=v, dn=t, so hat man zunächst die Gleichungen: g=n-yn-p, ver? -'sgq), (29) sodann noch die beiden: t=r- yr-p?, (80) Vol. bmn'ge = Vol. baen + Vol. mdgn' — Vol. mdgn. (31.) Da nun Vol.mdgn=rt?(r - '/;t), Vol.mdgn!=v Vol.baen=rz($—-q+t)?[r- ',;(ö-q+t)] (weil an=d—-q+t), so ergiebt sich die Gleichung: v=r[(d-q)+2(8-g)t][r- std -4)] | ana g)+Y..(02) wo . v, = Vol. bmn'ge gesetzt ist. Nimmt man nun noch Y-v J!-qd= EINEN 3: qza, UT. (83) x und ordnet nach t, so erhält man statt der Gleichungen (30.) und (31.) die beiden: —-2rt+p?=0 tt - (2r-a)t-alt- a) + P=0, Die Mechanik der Accommodation des Auges. 379 Durch Elimination von t aus diesen beiden Gleichungen er- giebt sich: -[a(r+'%a)+@-p]lalr - 5a) - (»- pr)]-ap?=0. Hiermit findet man die gesuchte Gleichung: 1 =, 'ap®+ a + s(B-P?). (34) Wenn man also mittelst der Gl. (27.) den Werth von y, mit- telst der Gl. (28.) den Werth von ) und mittelst der Gl. (249.) den Werth, von q und ” gefunden hat, so kann man mittelst der Gl. (34.) den Halbmesser r der Krümmung bmifge berech- nen, wodurch die Gestalt der vorderen Linsenfläche (bis auf die Randgegend) bestimmt ist. Für das Auge des Ferd. Schmidt hat man r, =4,8076, r, =5,6098, d=4,306, v, = 67,9662, v, = 82,3027, mithin 9 = 26,198. Mit diesen Werthen wird die Gl. (27.) y°® — 16,8294 y? + 78,594 = 0 und man erhält daraus y= 2,328. Ferner findet man vermöge Gl. (28.) $=1,978, Nimmt man nun den Halbmesser der Pupille bei der Accommodation für die Nähe (welcher leider in der a. Abh. nicht gegeben ist) p=1,9, so erhält man vermöge Gl. (29.) q= 0,3916, » = 2,2429, vermöge Gl. (33.) a= 1,5864, & = 13,188. Mittelst dieser Werthe nun ergiebt die Gl. (34) r = 6,8360 und hiermit die Gl. (30.) t = 0,2693; folglich ist die Erhöhung nn! des Pupillartheils der Linse über die Krümmung der Seitentheile =q -t= 0,1223. Für das Auge des Herm. Schiller sind r, =5,02%, r, = 5,0855, v, = 54,578, v, = 87,9642, d=4,1474, mithin = 27,9998 und die Gl. (27.) wird 95° 380 H. Kaiser: y® — 15,2565 y? + 83,994 = 0, woraus man findet y = 2,574. Ferner erhält man q = 0,3735, » = 2,1492, a = 12,2295, & = 13,5735, womit die Gl. (34.) ergiebt r= 8,7228 und die Gl. (30.) t=0,2094. Hieraus folgt für die Erhöhung nn! des Pupillar- theils der Linse über die Krümmung ihrer Seitentheile q - t = 0,1641. Man ersieht daraus, dass die Vorderfläche der.beiden zu- letzt betrachteten Linsen zu beiden Seiten der Pupille ihren Krümmungshalbmesser, welcher für die Ferne beziehungsweise = 7,8600 und 9,0641 war, nur wenig ändert. Für das Auge des Joh. Sommer, bei welchem die Differenz der aus der trigonometrischen Messung und der aus dem Volum berechneten Linsendicke beim Re nur 0,0347 beträgt, hat man r, =5,9213, r, =4,6585, v, = 46,064, v, = 92,209, d=4,4303 und hiermit I 29,3520, sodann die Gleichung y? — 13,9755 y? + 88,056 = 0, welche ergiebt: y = 2,808. Damit findet man successive: q = 0,3131, »= 1,7915, a= 1,3092, # = 10,838, r = 6,2534, t = 0,2657, nn! = 0,0474. Hier ist der Unterschied in der Wölbung der Seitentheile der Linse bei der Accommodation für die Nähe verglichen mit der beim Fernsehen (wofür r= 8,2972 war) beträchtlicher, da- gegen die Erhöhung nn! des Pupillartheils über die Krümmung der Seitentheile sehr unbedeutend, Am Schlusse dieses für unsere Theorie wichtigen Kapitels müssen wir noch bemerken, dass bei der hier angewandten Art der Berechnung die Sehne be des hinteren Abschnitts nicht ge- nau mit der des vorderen Abschnitts übereinstimmt, dass aber eine leichte Aenderung der Form des Randes hinreicht, diese Uebereinstimmung zu bewirken, Die Mechanik der Accommodation des Auges. 381 VII. Die statischen Verhältnisse des Auges beim Nahe- sehen im Vergleich zu denen beim Fernsehen. Der Gesammtact der Accommodation. Indem sich der Ciliarmuskel verkürzt, wird die Spannung der Zonula vermindert, dagegen die der Chorioidea vermehrt und durch die dadurch erfolgende augenblickliche Vergrösse- rung des Drucks in dem Glaskörperraume die sich am Rande contrahirende und in der Mitte verdickende Linse um die Grösse Ai, , ungefähr = 0,lmm nach vorn geschoben. Der Raum “ der vorderen Augenkammer wird dadurch um FAw,, wenn F den Flächenraum des Linsenäquators bedeutet, vermindert, der Scleralraum um so viel vermehrt. Das statische Gleichgewicht zwischen den in diesen beiden Räumen befindlichen Flüssig- keiten wird sofort durch das Zurückweichen des peripherischen Randes der Iris wieder hergestellt. Da nun die Ciliarfortsätze von hinten durch den Glas- körper vermittelst der stärker angespannten Chorioidea, von vorn durch die zurückgedrängte und zurückgezogene Iris und von der Seite durch den verdickten Ciliarmuskel comprimirt werden, so wird von dem in ihnen enthaltenen Blute so viel nach hinten abfliessen, als zur Herstellung des statischen Gleichgewichts erforderlich ist, *d.i. so viel, bis der Druck auf die Gefässwandungen der Ciliarfortsätze nicht mehr stärker ist, als der auf die Gefässwandungen der hinteren Theile der Cho- rioidea. Die in dem hinteren Abschnitte dieser Membran be- _ findlichen venösen Gefässe werden dies zurückgedrängte Blut rasch aufnehmen, weil der intraoculare Druck, unter dem sie stehen, in den ersten Momenten der Anspannung des M. cilia- ris um so viel vermindert ist, als der auf die Gefässe der Ciliarfortsätze einwirkende vermehrt ist; d. h. so viel, als die - von dem Ciliarntuskel aufgewandte Kraft beträgt. Um die im Scleralraume statthabenden Veränderungen noch durch eine approximative Rechnung zu veranschaulichen, wollen wir die Scleralhöhle als eine vorn im Niveau des Lin- senäquators abgeschnittene Kugel mon (Fig. 7.) ansehen, deren 382 . H. Kaiser: Durchmesser 2r = 22,5mm ist, während die Höhe de=h des fehlenden Kugelabschnitts 5mm beträgt. Alsdann findet man W. men = p=2arc. cos. em 112 30: und hiermit mn = 18,7mm, Als cubischen Inhalt des Scleralraums ergiebt sich J=!/,a(4r°-3h?r+h?) =5211,3 Kubik-Millim. Nehmen wir nun den Halbmesser des Aequators der contra- hirten Linse =4,2mm, so wird der Flächeninhalt des Linsen- äquators F=55,4; nehmen wir dabei den bei Ferd. Schmidt gefundenen Werth v, - 0,1228 für dieses Auge an, so be- trägt die Vergrösserung des Scleralraums 6,8 KubinaBlB d. i. nahe = !.g0, Bedeutet nun r, den en Halbmesser des Cho- rioidealsacks, welcher durch den Rückfluss des Blutes aus den Gefässen der Ciliarfortsätze verkleinert ist, so wird dessen In- halt (bis zur Grenzlinie mn gerechnet) J!=!,a(4n?-3h?r,+h?) (35.) und maıf hat die Gleichung J- J!=6,8*), oder J' = 5204,5 Kub.-Mill. Aus Gl]. (35.) erhält man damit den Werth rı = 11,2452mm, Mithin ist die Chorioidealwand nach innen gerückt um r - r! = 0,0048 mm, Hierdurch würde die Chorioidea, wenn sie vollkommen straff wäre, um (2# —g) (x - r') = 0,0207mm von dem Ciliarmuskel nach vorn gezogen werden. Da sie je- doch ziemlich dehnbar ist, so wird der Ansatzpunkt des Ciliar- muskels beträchtlich mehr nach vorn rücken, bis die Chorioidea die dem Drucke entsprechende Spannung erlangt. Der Gesammtact der Accommodation verhält sich also nach dem Vorhergehenden folgendermassen. Bei der Accommodation für die Nähe contrahirt und ver- dickt sich der Ciliarmuskel, welcher von allen neueren Auto- *) Dieses Volum des nach hinten gedrängten Blutes ist zwar ' sehr klein, enthält jedoch über 30 Millionen Blutkügelchen. Die Mechanik der Accommodation des Auges. 383 ritäten als der Hauptfactor der Accommodation angesehen wird. Hierdurch wird einerseits die Zonula erschlafft und die Linse durch die Wirkung ihrer Elastieität stärker gewölbt, anderer- seits wird, durch die vermehrte Anspannung der Chorioidea, mittelst des von dieser, der Linse und der Zonula allseitig von beweglichen Wänden umschlossenen Glaskörpers die Linse nach vorn gegen die Iris gedrängt. Die Sphincteren der Iris con- trabiren sich, und ihr äusserer Rand wird durch die Wirkung des mit ihr in Verbindung stehenden Ciliarmuskels nach hin- ten gezogen. Hierdurch in eine genügende Spannung versetzt, leistet sie der vorgedrängten Linse Widerstand, so dass letz- tere nur um ungefähr ’/,, Millimeter vorrücken, aber mit ihrem Polarabschnitte etwas tiefer in die vordere Augenkammer hin- einrücken kann. Der hierdurch verlorene Raum der vorderen Augenkammer wird derselben durch das Zurückgezogen- und Gedrängtwerden der Iris wieder zurückgegeben. Die von hin- ten, von vorn und von der Seite gedrückten Ciliarfortsätze entleeren einen Theil ihres Blutes nach hinten in die Vasa vorticosa, um so den leer gewordenen Raum zwischen Sclerotica und Chorioidea wieder auszufüllen !). Zwei Punkte sind es, welche bei diesem Mechanismus be- sondere Aufmerksamkeit verdienen möchten, unerachtet sie sich durch ihre Kleinheit auszeichnen, nämlich das nur ungefähr !/ıo Millimeter betragende Vorrücken des ganzen Linsenkörpers und die nur ein wenig mehr betragende Vorwölbung des Pu- pillartheils der vorderen Linsenfläche über die Wölbung der Seitentheile derselben. Letztere, so unbedeutend sie auch er- scheint, bewirkt, dass die seitlichen Theile der Linse, sowie ihre Hinterfläche, ihre Krümmung nur wenig zu verändern brauchen, und dass in Folge davon die Elastieität der Linse 1) Hiernach ist eine negative Accommodation, d.h. die Fä- higkeit des Auges, sich für fernere Objecte, als wofür es im Ruhe- zustande seines optischen Apparats eingestellt ist, einzurichten, nicht wohl erklärlich. In unserem Aufsatze über Anisometropie haben wir den Ausdruck „negative Accommodation“ im weiteren Sinne gebraucht, so dass darunter auch das Sehen mit kleinen Zerstreuungskreisen verstanden werden kann, an welche das Auge gewohnt ist. 384 H. Kaiser: und ihrer Kapsel nicht allzu sehr in Anspruch genommen zu werden braucht. Wenn die Linse blos durch ihre eigene Ela- stieität eine so grosse Formveränderung hervorbringen sollte, von 8 auf 5 Millimeter Krümmungsradius ihrer Vorderfläche bei nur wenig veränderter Hinterfläche, so müsste offenbar im Zustande der Accommodationsruhe das Strahlenplättchen und durch dasselbe die Augenwand in der Gegend der Ora serrata einen permanenten starken Zug erleiden, der vielleicht trotz des intraocularen Gegendruckes mit der Zeit ein Nachgeben derselben oder eine Erschlaffung der Zonula bewirkte, so dass erworbene Myopie wohl viel häufiger, und nicht gerade bei denen, welche ihre Augen viel für die Nähe gebrauchen, vor- kommen würde. Es möchte denn auch wohl die Accommodation für die Nähe dem Auge ein Gefühl von Erleichterung gewäh- ren. Wir wollen dies jedoch dahin gestellt sein lassen und nur noch schliesslich bemerken, dass wir zu unseren Schlüssen, ohne irgend eine vorgefasste Meinung, lediglich durch die vor- stehenden auf die zuverlässigen Beobachtungen Helmholtz’s und Knapp’s gegründeten theoretischen Untersuchungen ge- langt sind. Nach Vorstehendem spielt die Iris bei der Accommodation eine wichtige Rolle (welche bei dem Auge des Ferd. Schmidt und Herm. Schiller die der Elastieität der Linse weit über- trifft). Das von den ersten ophthalmologischen Auto- ritäten bestätigte Factum der normal erhaltenen Accommoda- tionsbreite nach vollständigem Verluste der Iris scheint uns damit nicht in unerklärlichem Widerspruche zu stehen. Unsere Ansicht über diesen singulären Fall ist folgende: Analog wie nach chirurgischen Operationen vermehren und erweitern sich nach dem Verluste der Iris die benachbar- ten Blutgefässe der Ciliarfortsätze, und indem diese Gefässe bei der Accommodation für die Nähe ihr Blut nach hinten ab- geben, wird mithin mehr Raum gewonnen und kann die Linse weiter nach vorn rücken, wie im normalen Zustande. Wir haben oben (in Il.) gefunden, dass ein Vorrücken der Linse um 1,33mm genügt, um von © auf 150mm zu accommodiren. Nehmen wir den Linsendurchmesser von einem Rande zum Die Mechanik der Accommodation des Auges. 385 ‚andern = 10mm, so ist der für dieses Vorrücken erforderliche Raum = 104,4 Kubik-Millimeter. Nun gehen 65 Kubik-Milli- meter auf einen Gran oder Tropfen Wassers'), mithin ist ein Plus von 2 Tropfen Bluts mehr als hinreichend, um die Accom- k l R modationsbreite von on zu erklären?). 2 Wir erinnern hierbei noch daran, dass die mechanischen Bedingungen zur prompten Entleerung der Blutgefässe der Ciliarfortsätze und zur Aufnahme des Blutes in den hinteren Theilen der Chorioidea bei der Accommodation für die Nähe durch Zunahme des Drucks in den blutabgebenden und Ver- minderung des Drucks in den blutaufnehmenden Gefässen voll- ‚ständig gegeben sind. In anatomischer Hinsicht ist dieser Vor- gang” durch die sehr lockere Verbindung der Chorioidea mit der Scelerotica und durch die Structur der ersteren, deren Stroma aus elastischem Gewebe besteht, begünstigt. Genaue Messungen solcher Augen, welche bei fehlender Iris ihre normale Accommodationsbreite erhalten haben, müssen wohl als Prüfstein der soeben ausgesprochenen Ansicht dienen. Ist dieselbe richtig, so muss bei der Nähe - Accommodation die Krümmung der vorderen Linsenfläche ziemlich unverändert bleiben, dagegen der Abstand des vorderen Linsen- und Horn- hautpols sich um beiläufig 1 Millimeter kleiner, als bei der Accommodation für die Ferne ergeben, während bei der Nähe- Accommodation normaler Augen diese Annäherung nur gegen Yo Millimeter beträgt. Träfe dies nicht zu und erwiese sich vielmehr die Krümmung der vorderen Linsenfläche bedeutend ‚kleiner bei der Accommodation für die Nähe, als bei der für die Ferne, so könnte man nur noch, wenn unsere Theorie Gel- tung behalten sollte, annehmen, dass in Folge des Verlustes der Iris solche Veränderungen um den Rand der Linse herum gesetzt worden seien, welche einen unmittelbaren Druck des Ciliarmuskels auf denselben ermöglichten. 1) Ein Darmstädter Kubikzoll Wasser wiegt genau 1 Loth, oder 25° =15625 Kubik-Millimeter wiegen 240 Gran. 2) Es ist dies allerdings fünfzehn Mal so viel, als bei der nor- malen Accommodation. 386 Re H. Kaiser: Als ich die vorliegende Arbeit beendet hatte, kam mir durch die Güte des Herrn Dr. Adolph Weber zu Darmstadt, mit welchem ich einige ‚der erhaltenen Resultate besprach, die Nummer 46. des Centralblatts für die medieinischen Wissen- schaften (1866) in die Hand, in welcher C. Völker’s und V. Hensen’s „Studien über die Accommodation“ enthalten sind. In dieser höchst interessanten „vorläufigen Mittheilung* sind noch keine numerischen Angaben über die betreffenden Verhältnisse enthalten, ausgenommen über die Verschiebung der Gefässhaut „nach dem Ciliarmuskel hin.* Diese beträgt hiernach 0,4mm — 0,5", Unsere approximative statische Be- rechnung konnte hierüber nur so viel ergeben, dass schon eine mikroskopische Verschiebung (um 0,0207=m) hinreichend sein würde, um das Vorrücken der Linse um '/ıo Millimeter zu be- wirken, wenn die Chorioidea von unnachgiebiger Structur wäre, Da dies aber keineswegs der Fall ist und genannte Haut eine nicht unbeträchtliche Spannung erleiden muss, so erscheint obige Grösse auch für das menschliche Auge durchaus nicht zu hoch. Eine Vorschiebung der ganzen Linse wurde, wie es scheint, nicht beobachtet’), dies ist aber auch bei blosser Betrachtung der Linsenoberflächen nicht wohl möglich. Sollte es nicht viel- leicht gelingen, durch Einstechen einer langen Nadel in den Linsenrand den directen Beweis zu liefern? .. . Der skeptische Geist des Naturforschers erlangt erst die volle Befriedigung, wenn sich Theorie und Beobachtung con- trolirt und — bestätigt haben. 1) Für uns zwar ist die stärkere Vorwölbung der tellerförmigen Grube beim Schluss der Kette und Abflachung beim Oeflnen (ein Versuch, welcher sich nach den Herren Verfassern sehr hübsch macht und für Demonstrationen geeignet ist) in Verbindung mit dem Zu- rückziehen des Ciliarrands der Iris mittelst des Ligam. pectinatum ein genügend klarer Beweis für die freilich an und für sich sehr gering- fügige Vorschiebung der Linse. Die Mechanik der Accommodation des Auges. 387 Nach Einsendung der vorliegenden Abhandlung wurde mir die höchst interessante Schrift des Hrn. Prof. Coccius | „Der Mechanismus der Accommodation des menschl. Auges. Leipzig 1868.* vom Buchhändler zugesandt. Der Herr Verf. vindieirt darin der Elasticität der Linse ebenfalls eine wesentliche Mitwirkung bei dem Acte der Accom- modation, nimmt jedoch, auf seine Beobachtungen an iridekto- mirten Augen gestützt, eine directe Mitwirkung des Ciliarmus- kels in der Weise an, dass durch den auf die hintere Wand des Petit’schen Kanals gerichteten Druck des Glaskörpers und den seitlichen Druck des genannten Muskels vermittelst der an- schwellenden und nach innen rückenden Ciliarfortsätze eine Resultante erzeugt würde, welche den Linsenäquator berührte (S. 43 0.). Die Anschwellung der Ciliarfortsätze erklärt er da- durch, dass sie durch den Ciliarmuskel an den Glaskörper an- gepresst würden und die Venen diesem Druck mehr unterlägen wie die Arterien. _ Weit davon entfernt, mir eine Kritik dieser Theorie anzu- massen, will ich mir nur gestatten, darauf hinzuweisen, dass nach L. Fick die Ciliarfortsätze unter dem Einflusse des elek- trischen Stroms sich zusammenziehen und ihr Blut entleeren !), und sodann, dass ein Druck auf den Linsenrand durch die er- wähnte Resultante unter Vermittlung des Humor aqueus zufolge des oben S. 352 bewiesenen Lehrsatzes nicht möglich _ erscheint, während allerdings ein auf den Petit’schen Kanal ausgeübter Druck der Ciliarfortsätze dieselbe Wirkung wie ein auf den Linsenrand unmittelbar stattfindender haben würde. 1) Helmholtz, physiol. Optik, 8. 116. 388 J. Bernstein: £% NR Zur Theorie des Fechner’schen Gesetzes der Empfindung. ! Von Dr. J. BERNSTEIN in Heidelberg. Das Fechner’sche Gesetz sagt bekanntlich aus, dass wir die Stärke einer Empfindung nicht dem einwirkenden Reize direct, sondern dem natürlichen Logarithmus desselben propor- tional setzen'). Dies folgt aus den von E. H. Weber ange- stellten Versuchen, nach welchen ein jeder Reiz um einen constanten Bruchtheil gesteigert werden muss, wenn ein Unter- schied der Empfindung bemerkbar werden soll. Wenn ein Reiz a um die Grösse b vermehrt werden muss, damit wir die Reize a und a+b von einander durch die Empfindung unter- scheiden, so muss ein Reiz 2a zu demselben Ende die Ver- mehrung 2b erfahren. Der Vorgang in den Oentralorganen unseres Nervensystems, in welchem das Urtheil über die Stärke einer Empfindung zu Stande kommt, steht demnach in einem zwar nicht ganz ein- fachen, aber doch durch ein Gesetz ausdrückbaren Zusammen- hange mit dem an der Peripherie des Körpers stattfindendem Vorgange der Reizung. Man muss sich daher die Frage vor- 1) Elemente der Psychophysik, Bun Ri ra Zur Theorie des Fechner’schen Gesetzes der Empfindung; 389 - „nimmt. legen, ob unter den nach unseren jetzigen Kenntnissen wahr- scheinlichsten Voraussetzungen ein Mechanismus denkbar ist, der dem Gesetze der Empfindung genügt. Durch folgende Betrachtung werden wir zu einer solchen Vorstellung geführt werden. Eine Anzahl von Reflexerscheinungen macht es nämlich sehr wahrscheinlich, dass die Erregung beim Durchgang durch die Centraltheile des Nervensystems einen gewissen Widerstand zu überwinden hat. & Erstens bemerkt man, dass Reflexzuckungen, die durch Reizung sensibler Nerven entstehen, niemals so stark ausfallen als die bei der directen Reizung motorischer Nerven eintreten- den Zuckungen. Es muss demnach hier ein Widerstand vor- handen sein, welcher die Erregung auf ihrem Fortgange schwächt. Sehr gut stimmt mit dieser Annahme die Wirkung der Setschenow’schen Hemmungscentra. Die Erregung dieser Centren verstärkt nämlich den Widerstand in denjenigen Cen- tren, in welchen der Reflex vor sich geht, so dass letzterer da- durch geschwächt und auch vollständig vernichtet werden kann. Umgekehrt ist die Wirkung gewisser Gifte wie Strychnin. Diese vermindern den Widerstand in den Reflexcentren, so dass schon die kleinsten Reize heftige Zuckungen auslösen. Zweitens wissen wir, dass die Geschwindigkeit des Erre- gungsvorganges in den Centren eine geringere ist, als in den peripherischen Nerven. Denn bei reflectorischen Vorgängen nimmt der Aufenthalt der Erregung in den Centren den gröss- ten Theil der Zeit in Anspruch, den der ganze Process ein- Auch diese Erscheinung stimmt sehr gut mit der Annahme eines Widerstandes in den Centren. Endlich spricht auch die von Fechner gefundene That- sache der „Schwelle“ für die gemachte Annahme. Bekanntlich ist die Schwelle derjenige Reiz, welcher eben noch im Stande ist, eine Empfindung zu erzeugen. Kleinere Reize sind ganz unwirksam, weil sie durch einen Widerstand sofort vernichtet werden. | - jedem Momente proportional der Intensität der Erregung sei. 390 J, Bernstein: Es wird ‘nun gestattet sein, über die Art dieses Wider- | standes einige Voraussetzungen zu machen, welche am einfach- sten erscheinen. M In der Mechanik versteht man im Allgemeinen unter Widerstand diejenige Ursache, welche einen Verlust an Ge- schwindigkeit eines in Bewegung begriftenen Körpers bewirkt. In unserm Falle müssen wir eine andere Definition von Wider- stand geben, weil wir es nicht mit einem sich fortbewegenden Körper, sondern mit einem voxschreitenden Process zu thun haben. Ein Beispiel, welches unserm Falle näher liegt, wäre die Fortpflänzung einer Schallwelle, welche durch die Reibung der Lufttheilchen einen Widerstand erfährt. Dieser bewirkt einen Verlust an lebendiger Kraft und lässt sich daher ausdrücken durch die Abnahme der Intensität, welche die Schallwelle er- leidet. > Nehmen wir also an, der Widerstand, den die Centren dem Erregungsvorgang entgegensetzen, erzeuge eine Abnahme der Intensität, so wird er in einem Verhältniss stehen zu dem Ver- lust, den die Erregung in jedem Punkte ihrer Bahn erleidet. Am einfachsten wäre daher der Fall, dass dieser Widerstand in ” Zur Theorie des Fechner’schen Gesetzes der Empfindung. 391 Es stelle nun in nebenstehender Figur xx! die Bahn einer Erregung vor, die von x nach x’ hin fortschreitet. An der Grenze oy trete sie aus der Faser xo in das empfindende Cen- 'trum ox! ein und zwar mit einem Werthe om-, welcher als Ordinate in o aufgetragen sei. Von hier ab wird die Er- regung in einer bestimmten Curve abnehmen, da sie auf jedem Punkte der Bahn einen Verlust erleidet, der’ihrer Grösse pro- portional ist. Diese Curve würde nun bis ins Unendliche gehen, wenn nicht durch die Thatsache der Schwelle eine Begrenzung stattfände. Denn wir müssen uns vorstellen, dass die Schwelle denjenigen Werth der Erregung bedeutet, welcher weder im Stande ist in das empfindende Centrum einzudringen, noch in demselben sich. fortzupflanzen. Hat also die anfängliche Erre- gung £ diesen Werth pq=b erreicht, so findet keine Fort- pflanzung darüber hinaus statt. Nennt man nun die nach dem von o ab zurückgelegten Wege x variable Erregung y, so findet zwischen diesen Grös- sen folgende Gleichung statt. Es ist: wo k eine Constante bedeutet. Gehört nun zu dem anfänglichen Werthe von y=g ein Werth x=op=s, so hat man: ß 0 a =-—k Se: b bl ir _ und wir erhalten: log. nat. - 3: Es ergiebt sich also, dass der Weg, welchen die Erregung im empfindenden Centrum zurücklegt, der Grösse log. nat. u proportional ist. Es liegt daher auf der Hand, dass es nur noch eines Schrittes bedarf, um zum Endresultat unserer Ab- leitung, zu gelangen. Dasjenige Maass, mit dem wir die Intensität irgend einer Kraft messen, ist der Raum. Die Anziehungskraft messen wir 392 J. Bernstein: durch den Fallraum in einer Secunde. Die Wärme messen wir durch die Ausdehnung, welche ein erwärmter Körper erleidet. Die Stärke eines elektrischen Stromes durch die Ablenkung einer Magnetnadel aus ihrer Ruhelage. Ein unmittelbares Maass für die Intensität besitzen wir nicht. Eben so wenig ist es denkbar, dass wir die Intensität einer Empfindung als solche unmittelbar in uns aufnehmen. Wir würden in diesem Falle zu dem absurden Schlusse ge- langen, dass wir für die natürlichen Logarithmen einen ange- bornen Sinn haben, wie für die Reihe der natürlichen Zahlen. Da also auch hier kein anderes Maass übrig bleibt, als der Raum, so werden wir zu der sehr nahe liegenden Annahme geführt, dass wir die Intensität einer Empfindung nach dem Wege abschätzen, welche die Erregung im Centrum zurück- legt. Je stärker die eintretende Erregung ist, desto tiefer dringt sie in das empfindende Centrum ein,. desto mehr Central- masse geräth in einen dem Process der Empfindung entspre- chenden Zustand. Es wird daher am einfachsten sein, wenn wir die Inten- sität der Empfindung dem von der Erregung im Centrum zu- rückgelegten Wege proportional setzen. Es sei also: yz=za*®S, wo y die Empfindung und « eine Constante bedeutet, und wir erhalten dann: y =K. log. nat. u ; diejenige Formel, welche das Fechner’sche Gesetz ausdrückt. In dem Vorhergehenden soll nun zwar keineswegs irgend welche anatomische Einrichtung des empfindenden Centrums präsumirt werden, Will man aber mit der Erregungsbahn im Centrum eine anatomische Vorstellung verknüpfen, so kann man sich denken, dass der Weg op (Fig.) mit Ganglienzellen aus- gefüllt sei, die der Reihe nach in leitender Verbindung stehen. Durch diese Reihe von Ganglienzellen passirt die Erregung, und die Zahl der durchsetzten Zellen würde dann das Maass für die Empfindung sein, | Br Zur Theorie des Fechner'schen Gesetzes der Empfindung. 393 Schliesslich bedarf die Thatsache der Schwelle noch einer näheren Betrachtung. Wir haben angenommen, dass der Schwellenwerth der Er- regung sich nicht mehr im Centrum fortzupflanzen vermag. Für diesen Werth der Erregung erleidet demnach das Gesetz der Fortpflanzung, nach welchem der Verlust an Intensität der Intensität proportional sein soll, plötzlich eine Discontinuität, die in der Natur des Vorganges begründet sein muss. Als Analogon zu diesem Falle denke man sich, dass ein Körper sich auf einer Ebene mit Reibung bewegt, so dass der Widerstand der Geschwindigkeit proportional ist. War er durch einen Stoss in Bewegung gesetzt, so soll nac'ı der Theorie seine Geschwindigkeit erst nach unendlich grosser Zeit Null werden. In der Wirklichkeit aber kommt der Körper nach endlicher Zeit zur Ruhe. Wenn sich nämlich der Körper in Ruhe befindet, so wird in Wirklichkeit nicht jeder Stoss von beliebiger Stärke im Stande sein, ihn in Bewegung zu versetzen. Vielmehr wird es eine Grenze in der Stärke des Stosses geben, von der ab die Bewegung merkbar wird. Die Geschwindigkeit aber, welche der Körper durch einen solchen Stoss erhält, wird die kleinste sein, mit der der Körper sich überhaupt auf der Ebene bewe- gen kann, und ihr Werth entspricht daher dem Begriff der Schwelle. Wenn nun ferner der Körper durch einen Stoss in Bewe- gung gesetzt auf seiner Bahn den Schwellenwerth der Ge- schwindigkeit erreicht, so wird er momentan oder doch ausser- ordentlich schnell zur Ruhe kommen, weil er mit einer kleineren Geschwindigkeit sich auf der Ebene nicht bewegen kann. Die Intensität der Erregung entspricht demnach der Ge- schwindigkeit eines solchen Körpers. Sie muss grösser sein, als ihr Schwellenwerth, um in das Centrum einzutreten und wenn sie auf ihrem Wege sich dem Schwellenwerth nähert, so wird sie ausserordentlich schrell auf Null herabsinken. Reichert’s- u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 96 394 W. Dönitz: Ueber die sogenannten amöboiden Bewegungen und die Cohnheim’schen Entzündungs- erscheinungen. Von Dr. W. Dönıtz. (Vorgetragen in der Sitzung der Gesellschaft naturforschender Freunde in Berlin am 16. Juni 1868.) Die Untersuchung der Lymphe frischer Variolapusteln er- gab so auffällige Resultate, dass es nicht unwichtig erscheinen dürfte, hier darüber zu berichten. Wenn man das zu unter- suchende mikroskopische Präparat in der Art anfertigt, dass sich Luftblasen unter dem Deckglas befinden, so häufen sich die in frischer Lymphe noch spärlich vorhandenen Eiterkörper- chen allmählich an der Grenze der Luftblasen an. Nach Ver- lauf von etwa einer Viertelstunde beginnt eine höchst eigen- thümliche Erscheinung. Es dringen aus der mit Eiterkörpern besetzten Grenzschicht der Flüssigkeit schwach contourirte, hya- line Fortsätze hervor und ragen in die Luftschicht zwischen Objectträger und Deckglas hinein. Zusehends werden sie län- ger und verbreitern sich gegen ihr freies Ende hin, welches selbst wieder kleinere Fortsätze ausschickt, die immer wieder eingezogen zu werden pflegen, in dem Maasse als die Haupt- masse der ausgetretenen Substanz sich von dem Lymphtropfen Ueber die sogenannten amöboiden Bewegungen. 395 entfernt. Die dünnen Fäden, welche die wandernden Körper mit der Grenzschicht der Lymphe verbinden, reissen dann einer nach dem andern ab, so dass schliesslich mannichfach gestaltete Körperchen in einiger Entfernung von dem Lympbhtropfen die- sen umgeben. Diese Körper sind durchaus hyalin; nur manch- mal erscheinen sie mehr oder weniger körnig, wegen Uneben- heiten der Oberfläche oder wegen zufällig anklebender Körn- chen Es fehlt ihnen jede Spur eines Kernes. Ihre Grösse schwankt, doch übertreffen sie häufig die Eiterkörperchen um ein mehrfaches. Sie liegen alle in einer Ebene, weil sie an der Fläche des Glases haften. Ueber ihren Ursprung kommt man in’s Klare, wenn man solche Stellen untersucht, an denen vereinzelte Eiterkörperchen in der Grenzschicht der Lymphe liegen. Da erkennt man, dass jeder Faden von je einem Eiter- körperchen ausgeht. Mag die ausgetretene Masse aber noch so voluminös sein im Verhältniss zum Eiterkörperchen, so ver- lässt doch dieses letztere den Lymphtropfen nie. In ihren optischen und mikrochemischen Eigenschaften haben diese Körper die grösste Aehnlichkeit mit den sogenann- ten Eiweisstropfen, welche aber, in Flüssigkeiten suspendirt, sich zu Kugeln abrunden, während die fraglichen Gebilde, unter dem Einfluss der Adhäsion der Glasfläche, sich polymorph ge- stalten. Beim Austreiben der glashellen Körper aus der capil- laren Flüssigkeitsschicht dürfte hier die Verdunstung eine Hauptrolle spielen. Dies scheint daraus hervorzugehen, dass der Austritt am häufigsten am freien Rande des Lymphtropfens erfolgt, hingegen um so spärlicher wird, je kleiner die Luft- blasen sind, um welche die Eiterkörper sich gelagert haben. Eine kleine Luftblase ist aber so schnell mit Feuchtigkeit ge- sättigt, dass die Verdunstung schon aufhört, bevor noch das beschriebene Phänomen eintreten konnte. Dieser Vorgang ist nun bis in alle Einzelheiten hinein ein getreues Abbild der von Cohnheim beschriebenen Entzün- dungserscheinungen am Froschmesenterium, mit dem Unter- schiede, dass dort weisse Blutkörper, hier Eiterkörper unter- sucht werden, und dass dort eine Gefässwand durchsetzt wird, deren Resistenz hier durch die Cohäsion der Grenzschicht einer 26” 396 W. Dönitz: Ueber die sogenannten amöboider Bewegungen. Flüssigkeit, des Lymphtropfens, vertreten wird. In der Deutung der beobachteten Erscheinung beging aber Cohnheim das Ver- sehen, dass er die durch die Gefässwand hindurchgehenden Körper für weisse Blutkörper hielt, während sie doch nur auf- gequollene Theile des Inhalts solcher sind. Die Kerne aber bleiben mit dem grössten Theil der Inhaltsmasse innerhalb des Gefässlumens zurück. Die ausgetretenen Massen können dem- nach, wenn diese Vorgänge wirklich zur Eiterung führen, wohl etwas Material zur Bildung des Eiters abgeben, niemals aber Eiterkörper werden, so lange nicht nachgewiesen ist, dass Zell- kerne sich frei in einer durchaus homogenen Eiweisssubstanz bilden können. Man kommt somit zu dem Schluss, dass die bestehende Entzündungslehre durch Cohnheim nicht alterirt worden ist und dass man Unrecht thut, die fraglichen Körper mit Amöben zu vergleichen und ihre Formveränderungen amöboide Bewe- gungen zu nennen, da dies immer eine active Formveränderung vöraussetzen würde; und wenn fremde Körperchen ihnen an- kleben oder selbst in ihre Substanz hineingepresst werden, so heisst es mindestens der Sprache Gewalt anthun, wenn man dies ein „Fressen“ nennt. : Die beschriebene Erscheinung lässt sich auch an Wund- eiter beobachten, der nur zu viel Eiterkörper und moleculare Beimengungen enthält, um eine vollkommene Einsicht in den Vorgang zu gestatten. Viele Bewegungserscheinungen an weis- sen Blutkörpern innerhalb der Gefässe oder in einem Bluts- tropfen müssen in ähnlicher Weise gedeutet werden wie das beschriebene Phänomen. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass die rein mechanischen Formveränderungen der weissen (wie der rothen) Blutkörper im Blutstrom hiervon auszunehmen sind. Adhärirt ein solches Körperchen an der Gefässwand, so kann der Strom es in die Länge ziehen und in einen kolbigen Körper umwandeln, dessen Stiel zähflüssige, hyaline Masse, dessen Kopf hauptsächlich die granulirte Masse nebst Kernen enthält. Man wird also im gegebenen Falle sorgfältig auf die Ursachen achten müssen, welche die Formveränderungen veran- lassen, um diese recht zu verstehen. Ds M. Haebler: Eine neue Methode u. s. w. 397 Eine neue Methode der quantitativen Eiweiss- bestimmung. Von Dr. Max HAEBLER. Unter allen bis jetzt angegebenen Methoden, den Eiweiss- gehalt einer Flüssigkeit quantitativ zu bestimmen, ist keine für praktische Zwecke vollständig ausreichend, da dieselben theils an zu grosser Ungenauigkeit leiden, theils zu zeitraubend sind. Es muss daher wünschenswerth erscheinen, eine neue Art der quantitativen Eiweissbestimmung kennen zu lernen, welche diese beiden Uebelstände in ausreichender Weise vermeidet. Löst man in irgend einer Flüssigkeit eine Substanz auf, so wird das specifische Gewicht derselben um einen bestimmten Grad steigen. Ist es nun möglich, die gelöste Substanz wieder . vollständig aus der Lösung zu entfernen, ohne im Uebrigen ihre chemische Zusammensetzung zu alteriren, so muss das specifische Gewicht derselbe: auf seine ursprüngliche Höhe zurückkehren. Es lag nahe, dieses Verhalten zur quantitativen Bestim- mung des Eiweisses im albuminösen Urin anzuwenden. Es kam nur darauf an, durch Vergleichung mit der einzigen genauen Methode, der Bestimmung durch Wägung (Neubauer), nachzu- weisen, dass die jedesmalige Differenz zwischen dem specifischen Gewichte des enteiweissten und des frischen Urines in einem be- stimmten Verhältniss zur Menge des in demselben enthaltenen Eiweiss stehe, und eventuell dieses Verhältniss zu bestimmen. Zwei Umstände muss man jedoch im Auge behalten, welche zu groben Fehlern Veranlassung geben können. Erstens darf man nicht die Schwankungen vergessen, welche das specifische Ge- wicht einer Flüssigkeit entsprechend den Schwankungen ihrer Temperatur zeigt, zweitens muss man streng jede Verdun- stung während des zur Coagulation des Eiweisses nöthigen Kochens ausschliessen. Den ersten Uebelstand vermeidet man leicht, indem man die Wägung des specifischen Gewichts vor und nach dem Enteiweissen bei genau gleicher Temperatur vornimmt, Von welcher Wichtigkeit es zweitens ist, jede Ver- dunstung zu verhüten, beweist der Umstand, dass, falls das Erwärmen ohne entsprechende Vorsichtsmassregeln vorgenommen wird, nicht selten der Urin nach Entfernung des Eiweisses ein höheres specifisches Gewicht zeigt, wie vorher. Um nun die betreffende Flüssigkeit zu enteiweissen, giesst man sie in ein grosses Reagenzglas oder einen kleinen Glas- kolben, die natürlich durchaus trocken sein müssen, Nachdem .398 M. Haebler: dann sowohl das specifische Gewicht der Flüssigkeit wie die Temperatur genau bestimmt ist, verschliesst man das Gefäss durch einen Kork, der von einer circa 3' langen, ungefähr !/, Centimeter Durchmesser i im Lichten haltenden Glasröhre durch- bohrt wird. Man erhitzt nun die Flüssigkeit zum Sieden, säuert sie mit 2—5 Tropfen Essigsäure an, und setzt den Kork so schnell wie möglich wieder auf. Ist alles Eiweiss gefällt, was man daran erkennen kann, dass die über dem niederfallenden Eiweiss sich absetzende F lüssigkeit vollständig klar ist, so fil- trirt man nach erfolgter Abkühlung durch ein trockenes gefal- tetes Filter, bringt die Temperatur auf dieselbe Höhe wie vor- her und bestimmt das specifische Gewicht. Sollen diese Be- stimmungen recht genau sein, so macht maiPsie am besten auf der Wage durch ein in freier Luft und destillirtem Wasser ge- wogenes Senkgläschen. Uebrigens zeigen die im Nachfolgenden mitgetheilten Erfahrungen, dass für die meisten Zwecke die Be- stimmungen mittelst der gewöhnlichen Urometerspindel voll- kommen ausreichend sind. Selbst im ersten Falle nimmt die ganze Operation nicht mehr als 15—20 Minuten in Anspruch. | _ Specifisches Gewicht Differenz der Eiweissge Flüssigkeit. vor dem | nach dem | specifischen | wi durch F gung be- ‚Enteiweissen Ent Enteiweissen, Gewichte te | stimmt 1. Urin ....| 1,0069 1,0060 |. 0,0009 | 0,245% 2. Urin ....| 1,0169 1,0159 0,0010 0,221°/ 3 Urin ....| 1,0194 1,0112 0,0012 0,229%/0 4. Yan. solnsr|vr0,0158 1,0128 0,0024 0,539%/o 5. Urin ....| © 1,0157 1,0154 0,0003 0,057%/0 6. Urin ;... |: 1,0244 | 1,0234 0,0010 0,220°/o Be RAR a OL 1,0119 0,0002 0,007%/0 8. Iinnl. ....172:1,0409 | 1,0141 0,0011 0,226°/o RE 1,0104 ' 1,0059 0,0015 0,327°/u 10. Urin .... 1,0068 | 1,0057 | 0,0011 0,2170) EI 1 Te 1,0157 | 1,0148 0.0009 | 0,167% 12. Urin 1,0093 | 1,0085 | 0,0008 0,136%/0 13. Aseites - Fl. | | verdünnt | 1,0038 | 1,0011 | 0,0027 0,614°/o SE | 00151 | 3,205 Da das speeifische Gewicht des Urines noch von mannich- fachen andern Substanzen abhängig ist, so könnte vielleicht das Verhältniss der Menge des Eiweisses zur Differenz der specifi- schen Gewichte vor und nach dem Enteiweissen bei leichtem und schwerem Urin ein verschiedenes sein, indess zeigen die in der Tabelle angeführten Versuche, zu welchen Urine von ganz ver- schiedenem specifischen Gewicht verwendet wurden, dass die Concentration des Urines (abgesehen von dem Eiweissgehalt) ohne störenden Einfluss auf das Resultat ist. In der Tabelle ist in der vierten Columne die Differenz der specifischen Gewichte vor und nach dem Enteiweissen, in der fünften Columne der durch Wägung gefundene Prosentgehalt an Eiweiss angegeben. a DH UN un EL 2 In I te Z Du a En Eine neue Methode u. s. w. "399 . Aus diesen Zahlen kann man den Durchschnittswerth des Eiweissgehalts für eine Differenz der specifischen Gewichte vor und nach dem Enteiweissen von 0,0001 finden, da sich die Summe der Differenzen (0,0151) zur Summe der durch Wägung gefundenen Werthe für den Eiweissgehalt des Urines (3,205) ver- halten muss wie 0,0001 : x. 0,0151 : 3,205 = 0,0001 : x, x = 3,205 x 0,0001 0,0151 x= 0,021 . Berechnet man nun aus diesem soeben gefundenen Werth einer Differenz der specifischen Gewichte vor und nach dem Enteiweissen von 0,0001 den Eiweissgehalt der oben angeführ- ten Urine und vergleicht diesen mit dem durch Wägung gefun- denen, so erhält man folgende Fehlergrössen: | Differenz der Eiweissgehalt, Procent 5 specif. Gew. vor an Gixöene des N dem |bestimmt aus der| durch Wägung Fehlers | Enteiweissen |Dif. d.spec.Gew.| gefunden Procent 1. 0,0009 0,189 0,245 0,056 2. 0,0010 0,210 0,221 0,011 S 0,0012 0,252 0,229 0,023 4. 0,0024 0,504 0,539 0,035 5. 0,0003 0,063 0,057 0,006 6. 0,0010 0,210 0,220 0,010 7, 0,0002 0,042 0,007 0,035 8. 0,0011 0,231 0,226 0,005 sh 0,0015 - 0,315 0,327 0,012 10. 0,0011 0,231 0,217 0,014 11. 0,0009 0,189 0,167 0,022 12. 0,0008 0,168 0,136 0,032 13°] 0,0027 | 0,567 | 0,614 | 0,047 Summa | 0,308 Hieraus ergiebt sich ein Durchschnittsfehler von 0,023 Pro- cent. Allerdings muss man dabei im Auge behalten, dass der Fehler sich nach oben und unten erstrecken kann, sich also die Grenzen desselben verdoppeln. Von den älteren Methoden ist die quantitative Bestimmung des Eiweisses durch directe Wägung die Vorzüglichste; ihre Zuverlässigkeit haben die Versuche von Neubauer!) hinläng- lich erwiesen, doch ist sie leider zu zeitraubend. An demselben Uebelstand leidet die Methode von Heller?). Er dampft eine Portion Urin ein und bestimmt den festen Rück- stand. Eine andere gleiche Portion wird nach Zusatz von etwas Essigsäure gekocht bis zur Fällung des Eiweisses, sodann filtrirt und: ebenfalls verdampft. Die Differenz zwischen dem procen- tigen Rückstand des ursprünglichen Urin und dem Procentrück- 1) Anleitung zur qualitativen und en Analyse des Harns von Neubauer und Vogel. 5. Aufl. 1867. 2) Heller’s Archiv. 1852. 400 M. Haebler: Eine neue Methode u. s. w. stand des durch Kochen vom Eiweiss befreiten Urin, giebt die Menge des Albumen an. | Die von Hoppe-Seiler!) angegebene Bestimmung der Eiweissmenge durch Cireumpolarisation ist, wie Alfred Vo- gel?) nachgewiesen, zu ungenau. Die Methode von Boedeker°’), den Eiweissgehalt eines Urin durch Titrirung mit Ferrocyankalium aus essigsaurer Lösung zu bestimmen, ist erstens etwas umständlich und giebt zweitens nach den Controllbestimmungen von Thomas*) bei Flüssigkei- ten, die unter 1,5 Procent Eiweiss enthalten, was bei Urin fast stets der Fall sein dürfte, ganz ungenaue Resultate. Was die letzte kürzlich von Alfred Vogel’) in Dorpat angegebene Methode, den Procentgehalt an Eiweiss aus der Trübung des gekochten Urin zu bestimmen, anbelangt, so ist jedenfalls bei derselben der subjectiven Ansicht und dem Ge- schick des betreffenden Beobachters viel Spielraum gelassen, Ausserdem ist, wie sich aus den von Vogel selbst angeführten Beispielen ergiebt, der Durchschnittsfehler der von ihm erhalte- nen Resultate, verglichen mit den durch Wägung gefundenen Werthen = 0,046, der Maximalfehler = 0,159, bei der hier ange- gebenen Methode der Durchschnittsfehler = 0,023, der Maximal- fehler = 0,056. Die Zahl der hier angestellten Versuche ist allerdings noch gering, indessen weichen die Resultate so wenig von einander ab, dass trotz der kleinen Zahl derselben die Methode genügend sicher gestellt erscheint. Zum Schluss sei es mir gestattet, den Geheimenräthen Hrn. Dr. Frerichs und Reichert, durch deren Güte mir das Ma- terial der medicinischen Klinik und die Benutzung des Labo- ratoriums der Anatomie zu Gebote stand, meinen besten Dank für ihre Freundlichkeit abzustatten. Herr Dr. Schultzen, dem ich auch die Anregung zu dieser Arbeit verdanke, unterstützte mich auf das Bereitwilligste bei der Ausführung derselben, Durch die Güte des Herrn Professor Coranyi geht mir soeben eine vor etwa 3 Jahren in der Pesther medic. Zeitschrift erschienene Arbeit von Lang‘) zu, welche bereits dasselbe Thema behandelt. Ich glaube dennoch die Veröffentlichung des oben Mitgetheilten nicht unterdrücken zu müssen. Es erscheint im Gegentheil der Beachtung werth, dass wir beide auf ganz ver- schiedenen Wegen in Bezug auf die Grösse des zwischen der Differenz der specifischen Gewichte und dem Eiweissgehalt be- stehenden Verhältnisses zu wenigstens annähernd denselben Re- sultaten gekommen sind. I) Virchow’s Archiv. 1857. Bd. 11. 2) Deutsches Archiv für klinische Medizin, Bd. III. Heft I. p. 146. 3) Annal. der Chem. u, Pharmae. 1859. CXI. 4) Schmidt’'s Jahrbücher. Bd. 120, 6) 1. c. p. 148. 6) Eredeti Ertekezesek. Hugyelemzdsi tanulmanyok. Dr. Läng Gusztäv. B. Naunyn: Beiträge zur Lehre vom Ieterus. 401 Beiträge zur Lehre vom Icterus. Von Dr. B. Naunyn. Nachdem durch die Arbeiten von Müller, Kunde!) und. Moleschott?) gezeigt war, dass bei Fröschen, welche nach Exstirpation der Leber Tage oder auch Wochen lang lebten, eine Anhäufung von Gallenfarbstoff oder Gallensäuren im Blute oder in den Geweben nicht Statt hat, war die alte Lehre von der Entstehung des Icterus durch unterdrückte Gallenausschei- . dung nicht mehr haltbar. - Es entstand daher eine ee für die Erklärung derjenigen Icterusformen, bei denen Hindernisse für den Ab- fluss der Galle und also, nach damaliger Anschauung, Gründe für die Resorption des in der Leber gebildeten Secretes nicht vorlagen. Es führten die Schwierigkeiten für die Erklärung dieser Icterusformen zur Annahme des sogenannten hämatogenen oder Bluticterus. Die Berechtigung für diese Knete beruht in erster ’ 1) Felix Kunde de hepatis ranarum exstirpatione dissert. inaug. Berol. 1850, 2) Archiv für physiol. Heilkunde. Bd. XI. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 27 402 B. Naunyn: Linie auf den Entdeckungen, welche Virchow!) im Jahre 1847 bekannt machte. Derselbe fand, dass unter Umständen in alten Blutextra- vasaten aus dem Blutfarbstoff ein krystallinischer Farbstoff ent- steht, welcher mit einem der Gallenfarbstoffe, dem damals so- genannten Cholepyrrhin, grosse Aehnlichkeit im Verhalten gegen Reagentien besitzt. Virchow konnte um so mehr hiernach auf eine Identität jenes krystallinischen Farbstoffes (des Hämatoidin) mit dem, vor ihm krystallinisch noch nicht dargestellten, Gallenpigment schliessen, als es ihm gelang, in alten Echinococcussäcken der Leber wiederholt Ausscheidungen ganz gleicher Krystalle nach- zuweisen. Hier war es nach Allem sehr wahrscheinlich, dass diese Ausscheidungen aus in die Säcke ergossener Galle stamm- ten und also krystallinisches Gallenpigment darstellten. Diese Entdeckung Virchow’s wurde später von Zenker und Funke?), Valentiner°), Robin‘), Jaffe°) und anderen bestätigt und namentlich durch die krystallinische Darstellung des Gallenfarbstoffs in der Weise erweitert, dass die Identität desselben mit dem Hämatoidin als sichergestellt galt. Diese Identität als sicher vorausgesetzt lag auch die schon von Virchow geäusserte Ansicht nahe, dass: einmal überhaupt die Entstehung des Gallenpigments vom Blutfarbstoff herzu- leiten sei und dass namentlich jene oben erwähnten Formen der Gelbsucht auf eine solche in abnormem Grade statthabende Zersetzung des Blutfarbstoffs zurückzuführen seien. Es könne, so nahm man an, eben so, wie unter bestimmten Bedingungen ausserhalb des Kreislaufs, auch innerhalb desselben eine der- artige Zersetzung des Blutfarbstoffs stattfinden, welche dann zum Auftreten von Gallenfarbstoff in den Secreten und zur Ab- lagerung desselben in den Geweben führe. 1) Archiv v. Reinhardt und Virchow Bd. I. %) Nach mündlicher Mittheilung bei Lehmann. Physiol, Chemie, 2. Aufl. Leipzig 1853. Bd. I. 3) Zeitschrift für klinische Medicin, N, F, Bd. I, 4) Comptes rend. Bd. 41. 5) Virchow's Archiv, Bd. 23, ee er 22 Beiträge zur Lehre vom Icterus. 403 Frerichs!) wies im Jahre 1858 mit Recht darauf hin, ‘dass nicht überall da, wo kein Hinderniss für den Abfluss der Galle vorläge, das Entstehen eines Icterus durch Resorption des bereits gebildeten Secretes von den Gallenwegen her ausge- schlossen werden dürfe. Ein Uebertreten der Galle aus den Gallenwegen in das Blut könne ebensowohl durch Abnahme des Drucks in den Blutgefässen als durch Erhöhung des Drucks in den Gallenwegen bedingt werden?). Als Beispiel eines in ersterer Weise zu Stande kommenden Resorptionsicterus führte er den gewöhnlich bei Pfortaderverschluss auftretenden an. Ausserdem. glaubte Frerichs noch eine andere Entste- hungsmöglichkeit des Icterus nachweisen zu können, welche in der That die Annahme eines Bluticterus wohl in allen Fällen unnöthig gemacht.hätte. Dieselbe beruhte auf der von ihm im Verein mit Staedeler?) gemachten Wahrnehmung, dass bei Einwirkung von Schwefelsäure auf farblose Gallensäuren Chromogene entstehen, welche in vielen Beziehungen und namentlich in Bezug auf ihr Verhalten gegen das Gmelin’sche Reagens den Farbstoffen ‚der Galle sehr ähnlich sind. Es werden, so schloss nun Frerichs, dauernd aus dem Darmtraetus Gallensäuren ins Blut resorbirt. Diese unterliegen hier einer ähnlichen Zersetzung wie unter dem Einflusse jener Säure. In der Norm indessen werden die so gebildeten Gallen- farbstoffe im Blute gleich weiter zu Harnfarbstoffen oxydirt. Wo aber die ÖOxydationsprocesse im Organismus in Folge irgend eines Einflusses darnieder liegen, da findet diese weitere Umwandlung der Gallenfarbstoffe in Harnfarbstoffe nicht statt, und es kommt nun zum Auftreten von Gallenfarbstoff im Urin und in den Geweben, d. h. es entsteht Icterus. Obgleich, wie neuerdings Staedeler*) zeigte, die Identi- tät zwischen den durch Schwefelsäure aus Gallensäuren gebil- 1) Klinik der Leberkrankheiten Bd. I. 2) cf. pag. 434. 3) Dieses Archiv, Jahrgang 1856. 4) Vierteljahrsschrift der naturf, Gesellschaft in Zürich. Bd. VIN. B7* 404 B. Nauhyn: % S deten Farbstoffen und denen der Galle nicht besteht, so schie- nen doch damals die Resultate, welche die von Frerichs im weitern Verfolg seiner Hypothese angestellten Injectionen von gallensauren Salzen in die Venen von Hunden ergaben, sehr geeignet, jene Ansicht zu stützen. Frerichs fand nämlich, dass unter solchen Umständen im Urine der Thiere constant Gallenfarbstoff nachweisbar wird, während es ihm fast nie ge- lang, die in die Venen eingeführten Gallensäuren im. Urine wieder zu finden, Letztere Thatsache konnte um so weniger auffallend er- scheinen, als auch frühere Forscher, z. B. Lehmann, in selbst sehr stark Gallenfarbstoff haltendem Urin ieterischer Menschen Gallensäure oft vergeblich gesucht hatten. Diese Erfahrungen von Frerichs bildeten dann den ren gangspunkt für die Untersuchungen von Kühne über denselben Gegenstand. Kühne!) bestätigte im Wesentlichen die Beobachtungen von Frerichs, anlangend das Auftreten von Gallenfarbstoff im Urin nach Injection von Gallensäuren-in die Venen. Dagegen fand er, dass im Urine solcher Thiere, ebenso wie in dem am Icterus leidender Menschen constant auch die Gallensäuren nachweisbar sind. Gestützt auf diese Beobachtungen und auf das Auftreten einer allerdings nur unsicheren Gallenfarbstöffreaction im Urine solcher Thiere, denen er Lösungen von Blutfarbstoff (hergestellt durch vermeintliche mechanische Auflösung von Blutkörperchen) ins Blut gespritzt, glaubte Kühne sich berechtigt zu schlies- sen, eine Zersetzung der Gallensäuren im Blute habe überhaupt nicht Statt, und ferner, der in Frerichs und seinen eigenen Experimenten im Urine der betreffenden Thiere beobachtete Gallenfarbstoff entstehe nicht aus den eingeführten Gallensäu- ren, sondern durch letztere werden Blutkörperchen gelöst; der so in das Blutserum übertretende Blutfarbstoff werde in Gallen- farbstoff umgewandelt. Diese letztere Annahme Kühne’s, welche im Wesentlichen 1) Virchow's Archiv. Bd, 14. Beiträge zur Lehre vom Icterus. 405 die Lehre Virchow’s reprodueirte, wurde später von den meisten Forschern über diesen Gegenstand adoptirt und von mehreren Seiten wurden Erfahrungen der Oeffentlichkeit über- geben, welche geeignet schienen, sie zu stützen. So die Experimente Herrmann’s!), welcher fand, dass im Urine von Hunden nach Injection von Wasser in die Venen Gallenfarbstoff auftritt; dann die schon früher bekannte That- sache, dass nach Aether- oder Chloroformnarkosen nicht selten leichter Icterus auftritt. Diese Erscheinung wurde von Noth- nagel?) experimentell festgestellt und von ihm wie von Bern- stein?) und schon vordem von Leyden“) in der Weise ge- deutet, dass auch hier eine Auflösung von rothen Blutkörper- chen und Umwandlung des gelösten Hämoglobin’s in Gallen- farbstoff statthabe. Auf Grund dieser experimentellen Erfahrungen gewann die ‚Lehre vom Blutieterus mehr und mehr an Sicherheit und Aus- breitung, obgleich Virchow selbst im Jahre 1865°) darauf aufmerksam machte, dass immerhin eine Erzeugung von eigent- lichem Ieterus (Gelbfärbung der Gewebe etc.) in jenen En rimenten nicht gelungen sei. Virchow zeigte jetzt selbst, dass auch‘für den Icterus bei Pyämie, Typhas, Pneumonie etc. die Wahrscheinlichkeit eines hämatogenen Ursprungs aus vielen Gründen eine höchst geringe sei. Dem gegenüber war Leyden®), der anf Grundlage von zahlreichen Experimenten und Beobachtungen der Kühne- schen Ansicht beitrat, der Erste, welcher die nach dieser Lehre so wesentlich differenten Formen des Icterus klinisch zu trennen sirebte. Es gelang ihm in mehreren Fällen von Icterus bei Pyämie und ähnlichen Leiden, also in Fällen von sogenanntem 1) De eflectu saneuinis diluti. diss. inaug. Berol. 2) Klinische Wochenschrift Jahrg. 1866. 3) Moleschott’s Untersuchungen. Jahrg. 1867. 4) Beitıäge zur Pathologie des Ieterus, Berlin 1866, 5) Virchow’s Archiv. Bd. 32. pag. 117. 1X 6). co 406 ‚B. Naunyn: hämatogenen (Blut-) Icterus, nicht, im Urine der betreffenden Individuen Gallensäuren aufzufinden, im Gegensatz zu mehre- ren Fällen von sicherem Resorptionsicterus, wo er die Gegen- wart jener Substanzen im Urine der betreffenden Individuen mit Evidenz nachweisen konnte. Hierauf hin glaubte er annehmen zu dürfen, dass das Vor- handensein oder Fehlen der Gallensäuren im Urine ein Kenn- zeichen sei, ob im concreten Falle ein Icterus als Bluticterus oder Resorptionsieterus angesehen werden müsste. Die Lehre vom Icterus aus mangelhafter Umsetzung nor- maler Weise im Blute vorhandener Gallenbestandtheile schien so vollständig überwunden, die Annahme des Bluticterus schien im Verein mit dem Resorptionsieterus ausreichend, um überall das pathogenetische Verständniss der Gelbsucht zu ermöglichen; auch für die klinische Sonderung der beiden verschiedenen Formen dieser Krankheit schienen Anhaltspunkte gegeben. Und doch liegt eine umfassende Reihe von Thatsachen vor, welche jener Lehre vom Icterus aus mangelhafter Umsetzung ete., wie sie zuerst in greifbarer Form von Frerichs!) aufgestellt wurde, das Wort redet. Die Annahme, dass Gallenbestandtheile normaler Weise, sei es nun in der Leber selbst, ins Blut übertreten oder vom Darme aus resorbirt werden, ist an und für sich keineswegs unwahrscheinlich. Was die Gallensäuren anlangt, so hat sich sogar, wie be- kannt, die Mehrzahl der Forscher, so Bidder und Schmidt?), Huppert?), Bischoft) für das Statthaben einer Resorption vom Darmcanale aus ausgesprochen. Die von ihnen überein- stimmend constatirte erhebliche Differenz zwischen der Menge der muthmasslich mit der Galle in den Darm ergossenen ‚und der Menge der nachweislich mit dem Kothe entleerten Gallen- säuren legte diese Annahme sehr nahe. ı) L. c. 2) Die Lehre vom Stoffwechsel. 3) Archiv der Heilkunde 1864. 4) Henle's u, Pfeuffer's Zeitschrift u. s, w. III. Folge, Bd. XXI, # ee a DA ade u, 2 u ee a Te Beiträge zur Lehre vom Icterus. 407 Ausser Kühne vertrat nur Leyden die entgegengesetzte Ansicht, da er in mehreren entsprechenden Versuchen die Quan- tität der täglich vom Hunde ausgeschiedenen Gallensäuren er- heblich geringer, als jene Forscher fand. Indessen sind seine Versuche nicht zahlreich genug, und, da aus denselben nicht hervorgeht, dass die betreffenden Thiere sich im Zustande nor- maler Ernährung befanden, den übereinstimmenden Resultaten der andern Forscher gegenüber nicht als beweiskräftig zu be- zeichnen. Was den Gallenfarbstoff anlangt, so sprechen ebenfalls viele Erfahrungen dafür, dass er auch in der Norm im Blute eircu- lirt und zersetzt wird. Die Abstammung der Harnfarbstoffe vom Gallenfarbstoffe ist durch viele Beobachtungen, vor Allem die neuerdings von Jaffe') mitgetheilten im hohen Grade wahrscheinlich gemacht; wir wissen, dass nicht selten, auch bei bestehendem Icterus, nicht Gallenfarbstoff, sondern Farbstoffe im Urin auftreten, die von gewöhnlichem Harnfarbstoff nicht zu unterscheiden sind; andrer- seits ist es bekannt, dass Gallenfarbstoff nicht selten auch unter völlig normalen Verhältnissen, namentlich aber da im Urine nachweislich wird, wo wir Grund haben, mangelhafte Intensität der im Organismus statthabenden Oxydationsprocesse anzuneh- men. So in heissen Klimaten und Jahreszeiten, bei Pneumo- nie, Herzkrankheiten etc. Noch häufiger werden, wie bekannt, bei Thieren und na- mentlich Hunden in vollkommen normalem Zustande im Urine Pigmente gefunden, welche die Gmelin’sche Reaction aufs deut- lichste zeigen, auch bei der Huppert’schen (Schwerdtfeger- schen) Reaction sich wie Gallenpigmente verhalten; und fast jede Gesundheitsstörung irgend welcher Art erscheint bei die- sen Thieren geeignet, wo dieser Pigmentgehalt fehlt, ihn her- vorzurufen, wo derselbe vorhanden ist, ihn zu vermehren. Diese Thatsache scheint nun geeignet einiges Misstrauen gegen die zwingende Kraft der experimentell beigebrachten Beweise für den hämatogenen Icterus zu erregen. Denn ein- 1) Centralblatt für die medizinischen Wissenschaften. 1868. 408 ' B. Naunyn:. mal sind fast alle diese Versuche mit nicht unerheblichen Kreis- laufsstörungen in Folge des operativen Eingriffs verbunden, und ferner sind die positiven Erfahrungen, d. h. die Versuche, in welchen es gelang, durch Injeetion von gallensauren Salzen in die Venen Auftreten von Gallenfarbstoff im Urine hervorzu- bringen, fast ausschliesslich an Hunden gemacht; während die an Kaninchen angestellten Experimente fast sämmtlichen For- schern, z. B. Leyden, Huppertu.s. w. negative Resultate er- gaben'). Fast ausschliesslich Nothnagel erhielt bei Experi- menten mit Kaninchen positive Resultate; er suchte indessen die Auflösung der Blutkörperchen im Kreislauf der Thiere durch Inhalation resp. subeutane Injection von Aether zu bewerkstel- ligen. Es liegen aber bis jetzt keine Beweise dafür vor, dass in der That bei Application jener Substanz eine Auflösung der im Blute kreisenden Körperchen statthat. Erheblich gesteigert müssen die angeregten Bedenken wer- den durch die neuerdings von Holm mitgetheilten Thatsachen. Derselbe, welcher zum. ersten Male grössere Mengen von Hä- matoidin in reinem Zustande untersuchte und dasselbe in Be- zug auf Reaction und Löslichkeitsverhältnisse mit dem Bilirubin verglich, leugnet, wie bekannt, die allgemein angenommene Identität dieser Farbstoffe vollständig). Ein nicht fern liegender Punkt hat sich bis jetzt wenig- stens der eingehenderen Berücksichtigung der Forscher über den hier vorliegenden Gegenstand vollständig entzogen. Es ist dies die Frage, ob die vermeintliche, so zu sagen acute Bil- 1) Die von Kühne in seinem Lehrbuche der physiol. Chemie ge- machten Angaben, betreffend das Auftreten von Gallenfarbstoffen im Urin von Kaninchen nach Injection von Hämoglobi ösung in die Venen, werden später ausführlicher erörtert werden. 2) Soeben (nach Abschluss des Mänuscriptes) erhalte ich at die Güte des Herrn Prof. Staedeler: Studj sul corpo luteo della vacca diG. Piccolo e A. Lieben. Diese Forscher bestätigen, die Angaben Holms’, anlangend die Verschiedenheit der von ihm untersuchten aus dem Ovarium der Kühe dargestellten Substanz vom Bilirubin; sie sind indessen der Ansicht, dass jene Substanz auch mit dem Virchow- schen Hämatoidin nicht identisch sei. Beiträge zur Lehre vom Icterus. | 409 dung von Gallenfarbstoff aus Blutfarbstoff nur in der Leber oder auch ausserhalb dieses Organes im Blute selbst statthabe. Die angestellten Versuche von Injectionen der die Blutkörperchen lösenden Substanzen in die Venen oder unter die Haut von Thieren können in dieser Hinsicht nichts lehren, da hierbei stets auch der Leber die Blutfarbstöftlösung in abnormer Menge zugeführt wird und also auch die etwaige Umwandlung des Hämoglobins in Gallenfarbstoff in diesem Organe stattgefunden haben könnte. Letztere Ansicht bleibt jedenfalls, so lange wir daran festhalten, dass in der Norm die Bildung von Gallen- farbstoff in der Leber stattfindet, die wahrscheinlichste, und es würde dann immerhin der nach jenen Eingriffen eintretende Icterus (des Harnes) noch nicht als hämatogener im Gegensatz zum hepatogenen bezeichnet werden können. | Die nachfolgende Arbeit wurde ursprünglich in der Ab- sicht unternommen, die Lücken, welche die Arbeiten der oben erwähnten Forscher in diesem Gegenstand gelassen, auszufüllen, d. h. es galt zunächst, zu untersuchen, ob das Auftreten von Gallenfarbstoff im Urin nach Einführung von gelöstem Blut- farbstoff in den Kreislauf der Thiere oder in Folge der Auflö- sung der Blutkörperchen auch dann Statt hat, wenn die be- treffenden Operationen mit irgend einer erheblichen Störung im Kreislauf und im Befinden des Thieres überhaupt nicht ver- knüpft sind. Die in Folgendem gemachten Angaben, betreffend die Ge- genwart oder Abwesenheit von Gallenfarbstoff, beziehen sich meist nur auf die Gmelin’sche Reaction, nur hier und da kam gleichzeitig auch die Huppert’sche (Sch werdtfeger’sche) Reaction zur Anwendung. Als sicher ist die Gallenfarbstoff-Reac- tion nur dann angesehen, wenn in der Zone der Einwirkung der unreinen Salpetersäure auf den darüber geschichteten Urin nach einiger Zeit eine für jedes Auge zweifellos grüne Schicht auf- „trat: als unsicher wurde die Reaction so lange bezeichnet, als die grüne Schicht irgend wahrnehmbar war; nur da, wo diese 410 B. Naunyn: Schicht auch nicht andeutungsweis vorhanden war, ist Fehlen des Gallenfarbstoffs angegeben, I. Application von Blutfarbstofflösung unter die Haut. a. Application von Lösungen reinen Hämoglobins. 1. Einem kleinen Hunde wurden (14. 4. 67. Mittags) 40 C.C. einer bei 30° gesättigten, mit 2 Tropfen Ammoniak ganz schwach al- kalisch gemachten Lösung von Hämoglobin aus Pferdeblut!) unter die Haut gespritzt. Der Hund, welcher sich nach dieser Operation dauernd wohl befand, entleerte bis zum 15. Mittags 320 C.C. eines dunkelbraun gefärbten Urins vom spec. Gew. 1017, derselbe war al- kalisch, enthielt keineabnormen morphotischen Bestandtheile, nament- lich keine Blutkörperchen, und zeigte keine Gallenfarbstoff- Reaction. Beim Kochen nach Ansäuerung mittelst einiger Tropfen Essigsäure entstand ein reichliches dunkelbraunes Coagulum. Bei der Unter- suchung mittelst des Spectroskops zeigte der Urin sehr evident die Absorptionsstreifen des sauerstoffhaltigen Hämoglobins. Die Ausscheidung des Blutfarbstoffs im Urin dauerte noch bis zum Mittag des 16. an. Erst am Nachmittage desselben Tages entleerte der Hund zuerst wieder einen von Blutfarbstoff und Eiweiss freien Urin. Die Gallenfarbstoff-Reaction gab zu allen Zeiten ein vollkommen negatives Resultat. Es war nun die Frage, ob nicht etwa die in dem eben beschriebenen Falle beobachtete Ausscheidung des Blutfarbstoffs mit dem Urine und die fehlende Umsetzung desselben in Gallen- 1) Das Hämoglobin wurde in folgender Weise dargestellt: Das Blut ward sofort nach dem Entleeren defibrinirt und in der Kälte 3—4 Stunden stehen gelassen. Es hatten sich darnach die Blut- körpsschen so gesenkt, dass die obern 2 Drittbeile der ganzen Flüs- sigkeit klares Serum darstellten. Dieses wurde abgegossen, das übrig bleibende, die Blutkörperchen der gesammten Blutmenge enthaltende Drittheil mit der genügenden Menge gallensaurer Salze etwa 12—16 Stunden hindurch in der Kälte bis zur vollständigen Auflösung der Blutkörperchen behandelt. Nach vorsichtigem Neutralisiren mit Essig- säure und Versetzen mit verdünntem Alcohol, so lange als sich der eutstebende Niederschlag noch leicht löste, erstarrte die Flüssigkeit beim Abkühlen auf 0° zu einem Krystallbrei. Die so erhaltenen Kry- stalle wurden gesammelt, durch wiederholtes Umkrystallisiren ge- - reinigt, Beiträge zur Lehre vom Icterus. 411 farbstoff ihren Grund darin gehabt habe, dass das zur Verwen- dung gekommene Hämoglobin von einem Thiere einer andern Species stammte. 2. Es wurden daher am 23. 4. 67. demselben Hunde wiederum 40 0.C. einer in derselben Weise bereiteten Lösung von Hämoglobin aus Hundeblut!) unter die Haut gespritzt. Der von dem Hunde bis zum 24. Mittags 12 Uhr entleerte Urin war sauer, ohne Gallenfarb- stoff, ohne Eiweiss. Um 1 Uhr Mittags alkalischer, rothbraun gefärb- ter, trüber Urin, spec. Gew. 1016, enthält keine Blutkörperchen, giebt ‘ keine Gallenfarbstoff- Reaction, lässt in der Siedhitze nach dem An- säuern ein mässiges röthlich gefärbtes Coagulum fallen und zeigt bei der spectral-analytischen Untersuchung deutlich die Absorptionsstreifen des sauerstoffbaltigen Hämoglobin. Am Abend des 24. gelassener Urin verhält sich genau ebenso. Der nach dem am Morgen des 25. und später entleerte in jeder Be- ziehung normal, namentlich ohne Gallenfarbstoff. Der lang andauernde Uebergang vom Hämoglobin in den Urin, welcher in diesen beiden Fällen beobachtet wurde, be- weist mit Sicherheit, dass hier im Blute zeitweise relativ grosse Mengen von freiem, d. h. nicht in Blutkörperchen enthaltenen Hämoglobin angehäuft waren, grössere Mengen, als überhaupt noch zersetzt werden konnten; und dennoch enthielt der Urin weder gleichzeitig mit dem Blutfarbstoff noch kurz vor dem Beginn oder gleich nach dem Aufhören der Hämoglobin - Aus- scheidung Gallenfarbstoff. Bei Injection geringerer Mengen von Blutfarbstofflösung unter die Haut von grösseren Hunden wurde ein solches Ueber- gehen desselben in den Urin nicht beobachtet. Zweimal wurde von im Ganzen 8 Fällen eine wenig ausgesprochene (undeut- liche) Gallenfarbstoff-Reaction erhalten; indessen betrafen diese beiden Fälle einen Hund, in dessen Urin auch ohnehin oft Gallenfarbstoff nachweisbar war. 1) Das Hämoglobin wurde aus dem Hundeblut in derselben Weise wie aus dem Pferdeblute dargestellt; nur ist beim Hundeblute ein Absetzen der Blutkörperchen nicht zu erreichen; man muss daher das gesammte defibrinirte Blut in Arbeit nebmen, 412 | B. Naunyn: had b. Subeutane Application von Blut nach Aufösung d der rothen Blutkörperchen. on 3. Einem mittelgrossen schwarzen Kaninchen werden am 21. März 68. 10 C.C. Blut aus der Art. cruralis dextra entzogen. Nach Auf- lösung der rothen Blutkörperchen durch zweimaliges Gefrieren ') wird die Masse an mehreren Stellen dem SE unter die Haut ge- spritzt. Sowohl der su nach der Operation am andern Morgen, als auch der später entleerte Urin enthält Spuren von Eiweiss, keinen Blutfarbstoff, keinen Gallenfarbstoff. 4. Einem starken schwarzen Kaninchen werden am 6. 4. 68, 5 C.C. Blut aus der A. cruralis entzogen, die Blutkörperchen durch Gefrieren gelöst, die Lösung unter die Haut gespritzt. Der 3 Stunden nach der Operation, ebenso wie der am Morgen des 7. und später entlcerte Urin frei von Eiweiss und Gallenfarb- stoff. 1 5. Einem kleinen Kaninchen werden beim Verbluten aus der Carotis 20 C.C. Blut entzogen. Die ganze Menge nach Auflösung der Blutkörperchen durch Gefrieren einein ehenso grossen Kaninchen (von demselben Wurf) an vier verschiedenen Stellen unter die Haut ge- spritzt. Während der vor der Operation gelassene Urin eine undeutliche Gallenfarbstoff Reaction zeigte, ist der sowohl in der felgenden Nacht, als auch am Mittage des 26. entleerte Urin frei von Gallenfarbstofl. Die Resultate dieser Versuche zeigen, dass Blutfarbstoff, wenn er vom Unterhautzellgewebe aus ins Blut aufgenommen wird, in keiner Weise zum Auftreten von Gallenfarbstoff im Urin zur Veranlassung wird, auch dann nicht, wenn, wie im Versuch 1 und 2, das Blut der Versuchsthiere in der Weise mit freiem Hämoglobin überladen war, dass eine Ausscheidung des letzteren mit dem Urine Statt hatte Auch im Versuch 5 war die Menge des ins Blut eingeführten freien Hämoglobin jeden- falls eine relativ sehr bedeutende, da dem betreffenden Ka- ninchen sämmtliches Blut eines gleich grossen (nach Auflösung der Blutkörperchen) applicirt war. 1) Dass in der That die Blutkörperchen vollständig aufgelöst waren, wurde bier wie in allen nachfulgenden Untersuchungen durch die mikroskopische Untersuchung dargethan, Beiträge zur’ Lehre‘ vom Ieterus. 413 Immerhin sind diese Versuche nicht beweisend dafür, dass nicht das Hämoglobin, wenn es durch Auflösung der im Blute kreisenden Blutkörperchen innerhalb der Blutbahn selbst ins Serum übergeführt wird, eine andersartige Zersetzung erleide und zur Bildung von Gallenfarbstoff Veranlassung gäbe. Ausgehend von einem Falle von Salzsäurevergiftung, welchen ich im Frühjahr 1867 als Assistent an der Frerichs’schen Klinik zu beobachten Gelegenheit hatte, in dem einige Stunden nach der Vergiftung eine nicht unerhebliche Ausscheidung von Hämoglobin (ohne Gegenwart von. Blutkörperchen) im Urine beobachtet war'), wurde bei Thieren eine Auflösung der Blut- körperchen durch Injection von Salzsäure in den Magen zu er- reichen gesucht. Alle hierauf gerichteten Bemühungen erwiesen sich in- dessen als erfolglos. Kaninchen und Hunden wurde, letzteren wegen des leicht eintretenden Erbrechens mit nachfolgender Unterbindung des Oesophagus, Salzsäure in allen nur möglichen Concentrations- graden, von der stärksten Säure bis zur kaum sauer schmecken- den Verdünnung, in den Magen injicirt. Häufig, namentlich stets bei Anwendung concentrirter Säure, wurde Eiweiss, nie- mals Blutfarbstoff im Urin gefunden (stets spectroskopisch unter- _ sucht). In einem Falle enthielt der Urin nicht unerhebliche Men- gen von Zucker. 6. Einem kleinen schwarzen Wachtelhund werden am 7. 10. 67. 5 C.C. conceentrirter (roher) Salzsäure auf 100 C,C. verdünnt mit- telst der Schlundsonde in den Magen gespritzt; darnach der Oeso- phagus unterbunden. Während der folgenden Nacht 150 C.C. stark sauren Urins ent- leert, 1030 spec. Gew., enthält ziemlich viel Eiweiss, blasse mit dunk- len (Fett-) Körnchen besetzte Cylinder und zahlreiche schön ausgebil- dete Krystalle ‘von oxalsaurem Kalk. Kein Gallenfarbstofl. Nach dem 1) Es verlief dieser Fall von Salzsäurevergiftung übrigens durch- aus unter dem Bilde einer wenig intensiven Sastritis. Schon im Verlauf von 48 Stunden war das Befinden des Kranken vollkommen zur'Norm zurückgekehrt, 414 B. Naunyn: Enteiweissen reichliche Reduction des Kupferoxyd in alkalischer Lö- sung. Quantitativ (mittelst Fehling’scher Lösung titrirt) 1%/0 Zucker. Am Mittag des 8. 10. 50 0.C. gelassen, genau ebenso. 9. 10. Morgens 100 C.C., ziemlich viel Eiweiss, Spuren von Zucker. Mittags erfolgte der Tod. Section. Magenschleimhaut überall stark ödematös. Epithelien der Labdrüsen stark verfettet. In der Gegend des Pylorus Schleim- haut an mehreren Stellen schwarz, brandig, kein Substanzverlust. Im Darmkänal reichlicher blutig gefärbter Inhalt. Die Leberzellen, eben so die Epithelien in den gewundenen Harnkanälchen an einzelnen Stel- len stark verfettet. Es schliesst sich diese Bach was das Auftreten von Zucker im Harne anlangt, den Erfahrungen von Pavy') und Goltz?) an. Dieselben beobachteten das Auftreten derselben Erscheinung nach Injection von Phosphorsäure resp. Milch- säure in die Venen oder in den Magen von Thieren. Da durch Anwendung der Salzsäure der angestrebte Zweck nicht erreicht worden war, wurde in gleicher Absicht die Arsen- wasserstoffsäure versucht. Vogel?) sah schon vor Jahren in einem Falle von Arsen- wasserstoff- Vergiftung beim Menschen reichliche Mengen von Blutfarbstoff im Urine auftreten, ohne dass Blutkörperchen in demselben nachweisbar waren. Es gelang ihm, dieselbe Er- scheinung bei einem Hunde zu beobachten, den er Arsen- wasserstoff hatte einathmen lassen. 7. Männlicher Wachtelhund athmete am 23, 10. 67. 1'/2 Stunden lang ein Gemisch von Arsenwasserstoflgas mit viel Wasserstofigas #) und atmosphärischer Luft ein. Er befand sich hiernach vollkommen wohl. 1) Untersuchungen über Diab. mellitus übersetzt von Jangen- beck: Göttingen 1864, 2) Centralblatt für die med. Wissenschaften 1867. 3) Archiv des Vereins für gemeinschaftliche Arbeiten. Bd. I. — Neubauer und Vogel, Anleitung zur Harnanalyse. 4) Man erhält bekanntlich ein solches Gemisch, wenn man in einer gesättigten Lösung von As OÖ? aus Zink und Schwefelsäure Wasser- stof! entwickelt. Dieses Gasgemisch wurde durch ein im Boden be- findliches Loch in einen Kasten geleitet, in welchem das betreffende Thier sich ungefesselt befand und welcher durch einen Deckel nur #0 Beiträge zur Lehre vom Icterus. 415 Bis zum Mittag des folgenden Tages entleerte er 400 C.C. eines vollkommen wie lackfarbenss Blut aussehenden Urines. Derselbe ent- hält ein Sediment von Tripelphosphaten, keine Spur von Blutkörper- chen, ist stark alkalisch, gesteht beim Kochen zu einem dunkelbrau- nen Coagulum. Nach dem Enteiweissen keine Gallenfarbstoff-Reaction ; noch in 20facher Verdünnung zeigt der Urin äusserst evident die Absorptionsstreifen des sauerstoffhaltigen Hämoglobin, schwach den des Hämatin. Der Hund ist übrigens sehr hinfällig, Haut kühl, Conjunetiva und Schleimhäute blass, verweigert die Nahrung. Um 3 Uhr Nachmittag 100 C.C. Urin, genau ebenso, — Schwäche des Thieres nimmt zu. Temperatur im Rectum 24° C., doch vollkommen bei Bewusstsein. 5 Uhr kein Bewusstsein mehr; 6 Uhr todt. Im Moment des Todes gemessen 23° im Rectum. Seetion. Unter dem Endocardium des linken Ventrikels zwei stecknadelkopfgrosse Ecchymosen. | Die Nieren zeigen ein sehr auffälliges Verhalten. Die Oberfläche derselben ist durch zahlreiche bis hirsekorngrosse blauschwarze Flecke auffallend bunt. Auf Schnitten durch die Substanz an solchen Stel- len findet sich, dass diese Flecken bedingt sind durch zahlreiche Heerde von entsprechender Grösse und Farbe. Dieselben sind am zahlreichsten in den oberflächlichen Partien der Rindensubstanz und zeigen hier deutliche Keilform, mit der Basis gegen die Oberfläche des Organs gerichtet. Die mikroskopische Untersuchung ergiebt: an den Stellen dieser hämorrhagischen Heerde sind die gewundenen Kanälchen vollständig erfüllt von massenhaften roth gefärbten Krystallen von dem Aussehen der Krystalle des Hunde-Hämoglobins. Blutkörperchen sind in den Harnkanälchen nirgends zu entdecken. Die Harnblase mit Urin, welcher ganz die Beschaffenheit des letzt- entleerten zeigt, erfüllt. Ihre Schleimhaut ebenso wie die der Ure- teren und Nierenbeeken vollkommen normal. Auch die übrigen Organe zeigten ausser grosser Anämie nichts abnormes. Erhebliche Verfettung der Parenchymzellen der drüsigen Organe oder der Muskeln nicht nachweisbar. Es erinnert dieser Fall, was die krystallinische Ausscheidung von Hämoglobin in den gewundenen Kanälchen der Niere anbelangt, an eine gleiche von Hoppe nach Injection von cholsaurem Natron in die Jugularvene eines Hundes gemachte Beobachtung. weit geschlossen war, dass noch ein reichlicher Zutritt von atmosphä- rischer Luft statthaben konnte. Es enthielt demnach die von dem Thiere auf diese Weise eingeathmete Luft nur ausserordentlich wenig Arsen wasserstoff. 416 B. Naunyn: 8. Kräftiges weisses Kaninchen athmet am 26. 10. 67. Ya Stunde hindurch jenes -Gemisch von Wasserstoff und Arsenwasserstoff im Kasten ein. Am andern Morgen wird dasselbe todt im Käfig gefun- fen. Während der Nacht entleert 70 C.C. wie lackfarbenes Blut aus- sehenden Urins; sehr stark alkalisch, enthält ein reichliches Sediment von Tripelphosphaten und zahlreichen grünen Kügelchen, dieselben sind erheblich kleiner wie Blutkörperchen ; mit Salpetersäure giebt das Sediment keine Gallenfarbstoff-Reaction. Der Urin zeigt auch nach starker Verdünnung deutlich die Ab- sorptionsstreifen des Hämoglobin, nicht den des Hämatin. Nach dem Enteiweissen keine Spur von Gallenfarbstoff-Reaction. Seetion. In der Blase viel Urin von genau derselben Beschaf- fenheit. Schleimhaut der Blase, der Ureteren und Nierenbecken nor- mal. Die Nieren zeigen makroskopisch denselben Befund wie beim Hunde unter No. 7. Mikroskopisch zeigen sich an den betreffenden - Stellen die Harnkanälchen erfüllt von jenen grünen Kügelchen. An einzelnen Stellen kann man mit Sicherheit erkennen, dass dieselben eigenthümlich veränderte Blutkörperchen darstellen. Man sieht hier alle Uebergänge von einzelnen noch als solchen zu erkennenden Blut- körperchen zu eben diesen Küge!chen. Alle übrigen Organe sehr anämisch, sonst auch bei znikrodkogl scher Untersuchung vollkommen normal. 9. Starkes graues. Kaninchen athmet am 28. 10. 67. Morgens 11'/a—11?/4 Uhr Arsenwasserstoff im Kasten ein. Temperaturim Mast- . darm vor den Versuche 39,2. Darnach vollständig wohl, frisst und läuft umber. Um 3°/4 Uhr werden 10 C.C. eines trüben alkalischen schwä hämoglobinhaltigen (spectroskopisch) Urines entleert. Blutkörperchen, auch jene grünen Kügelchen, fehlen in demselben vollständig. Gallen- farbstoff-Reaction giebt vollkommen negatives Resultat. Temperatur im Rectum 39,3. Am andern Morgen todt im Käfig. Während der Nacht entleert 50 0.0. wie lackfarbenes Blut aussehenden Urines, vollkommen wie der vorige. Keine Gallenfarbstofl-Reaction. . Section. In der rechten Niere einige jener hämorrhagischen Heerde. Mikroskopisch ganz wie die bei No. 8. In derselben Weise wurde der Versuch noch an mehreren Ka- ninchen bei allen mit tödtlichem Ausgang und mit im Wesentlichen gleichen Resultaten angestellt. Gallenfarbstoff wurde in keinem Falle neben dem Blutfarbstoff beobachtet. 10 Grosser weisser Pudel athmet am 30. 10. Mittags 25 Mi- nuten hindurch Arsenwasserstoflgas in der gewöhnlichen Weise im Kasten ein. Der erste Urin wird hiernach am 31. 10. Mittags ent- leert. Derselbe ist fast schwarz, unmittelbar nach dem Entleeren stark Beiträge zur Lehre vom Icterus, 417 alkalisch. Er enthält haufenweis zusammengeballt jene, grünen Kügelchen, viel Hämoglobin‘), Beim Erhitzen nach schwachem Ansäuern sehr starkes rothbraunes Coagulum. Nach dem Enteiweissen deutliche Gallenfarbstoff-Reaction. Trotzdem, dass bis zum Mittag des folgenden Tages noch 650 C.C. sich ganz gleich verhaltenden " Urins (sehr stark Blutfarbstoffhaltig) entleert wurden, befand sich der Hund im Uebrigen vollkommen wohl, frass, lief umher ohne. jedes Zeichen von Kranksein. Die Körpertemperatur und Pulsfrequenz zeigte vollkommen normales Verhalten. Am 1. 11. Nachmittags 100 C.C. Urin entleert von neutraler Reaction, zeigt neben den Linien des sauerstoffhaltigen Hämoglobins die des Hämatin. In dem enteiweissten Urin fortgesetzt intensive Gallenfarbstoff-Reaction. Am 2. 11. Urin sauer, wie Lehmwasser, giebt noch ein dunkel braun gefärbtes Eiweisscoagulum, lässt spectrisch weder Hämoglobin noch Hämatin erkennen, enthält viel Gallenfarbstoff, Vom 3. ab verhielt sich der Urin vollkommen normal, nur nahm die Gallenfarbstoff-Reaction an Intensität keineswegs ab, sondern die- selbe wurde noch Wochen hindurch und so lange der Hund überhaupt beobachtet ward, dauernd in gleicher Deutlichkeit erhalten, obgleich ein Ieterus der Conjunctiva Ba unemis wie gallenarme Stuhlgänge beobachtet wurden. Es liegt also die Annahme nahe, dass der Urin dieses Hundes, dessen Untersuchung vor der Einathmung des Arsenwasserstoff leider versäumt war, Gallenfarbstoff als normalen Bestandtheil enthielt, und es kann demnach das Auftreten dieser Substanz im Urine hier keines- wegs auf die vorgängige Auflösung der rothen Blutkörperchen zurück- geführt werden. ; Es gelingt nun übrigens in gleicher Weise eine Ausschei- dung von Blutfarbstoff mit dem Urine bei Thieren zu erzeu- gen, wenn man denselben Arsenzink in den Magen bringt. Offenbar wird hier unter dem Einfluss der im Magen vorfind- "lichen Säure (Salzsäure?) aus dem eingeführten Arsenzink Ar- senwasserstoff entwickelt; das so gebildete Gas gelangt von hier aus in die Blutbahn und bringt dieselben Erscheinungen wie nach Einathmen durch die Lungen zuwege. Es wurde in den folgenden Versuchen dieser Applications- modus vorgezogen, weil trotz der sehr wechselvollen Zusammen- 1) Anwesenheit oder Abwesenheit dieser Substanz ist in allen Fällen, wo sich entsprechende Angaben finden, durch spectroskopische Untersuchung constatirt. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868, 28 418 B. Naunyn: setzung des genannten Präparates es auf diesem Wege mit grösserer Sicherheit gelingt, leichtere, d. h. nicht oder weniger schnell tödtlich verlaufende Fälle von Arsenwasserstoffgas-Ver- giftung zu erzeugen. 1l. Einem kräftigen Kaninchen werden am 25. 11. Mittags 12 Uhr 0,1 Gramm Arsenzink in Pillen von Semmelkrume in den Magen gebracht. Temperatur vor dem Versuche 39,3. Der um 4 Uhr abgedrückte Urin in jeder Beziehung normal. 26. 11. während der Nacht entleert etwa 20 C.C. schwach alka- lischen, viel Hämoglobin, keine Blutkörperchen enthaltenden Urins, keine Gallenfarbstoff-Reaction. Um 2 Uhr Nachmittag 50 C.C, neutral, enthält neben Hämoglo- bin auch Hämatin, keine Gallenfarbstoff-Reaction. Temperatur im Rectum 39,4. 27. 11. Morgens todt im Käfig. Der in der Blase enthaltene Urin frei von Blutfarbstoff, sauer, ohne Gallenfarbstoff, mit Spuren von Eiweiss. Section. Der Magen zeigt im Pylorustheil an mehreren Stellen kleine frische Ulcerationen. Die Leber zeigt ziemlich starke Verfet- tung der Parenchymzellen, die sr en Organe zeigen nichts Ab- normes. 12. Kräftiges gelbes Kaninchen erhält am 27. 11. Abends 5 Uhr ganz geringe Mengen Arsenzink in einer Brodpille. Am andern Mor- a5 gen todt. Während der Nacht gelassener Urin ganz wie unter 8, Kein Gallenfarbstoff nach dem Enteiweissen. Section. Ganz derselbe Befund wie unter 11. 13. Ein sehr starkes graues Kaninchen erhält am 29. 10. 67. Abends 5 Uhr 0,02 Grm. Arsenzink. 30. Morgens mit dem Katheter entleert: stark Hämoglobin halti- ger Urin wie unter No, 8, ohne Gallenfarbstuff nach dem Enteiweissen. Der 4 Uhr Abends auf dieselbe Weise entleerte Urin enthält weder Hämoglobin noch Hämatin, lässt beim Erhitzen nach der Ansäuerung ein spärliches dunkelbraunroth gefärbtes Coagulum fallen. Giebt we- der beim direeten Hinzufügen der unreinen Salpetersäure, noch nach dem Enteiweissen eine Gallenfarbstoff-Reaction. 31. 11. Der Urin enthält noch eine Spur von Eiweiss. Gallen- farbstoßl-Reaction vollkommen negatives Resultat. 1. 12. Genau ebenso, Später erholte sich das Kaninchen vollkommen, es wurde ihm dieselbe Dosis Arsenzink nochmals mit genau demselben Resultate verabfolgt. Auch diesmal war weder zur Zeit der Hämoglobinaus- scheidung noch unmittelbar nach dem Aufhören derselben GNRE farbstoff im Urine nachweisbar. Beiträge zur Lehre vom Icterus. 419 14. Kleiner Affenpinscher von 2!/2 Kilo Gewicht (ein sehr zartes Thier) erhielt am 25. 11. Nachmittags 4 Uhr 1 Gramm Arsenzink mit Wurst. 26. 11. Während der Nacht entleert 460 C.C. eines vollkommen blutgleichen Urines, stark alkalisch, ohne Blutkörperchen. Neben dem Streifen des sauerstoffhaltigen Hämoglobin schwacher Hämatinstreif. Nach dem Enteiweissen eine undeutliche Gallenfarbstoff - Reaction. Hund sehr anämisch, im Uebrigen ziemlich wohl, sehr bissig. 27. 11. 100 0.C. Urin, wie gestern. Deutlich Hämoglobin und Hämatin, nach dem Enteiweissen keinen Gallenfarbstofl. 4 Uhr Nachmittag sind noch Spuren von Blutfarbstoff und Ei- weiss, keine Spur von Gallenfarbstoff. 28. 11. Genau wie gestern. Vom 29. 11.ab wurde der Urin vollkommen normal. Erst später (nach etwa 14 Tagen) zeigte er hin und wieder Spuren von Gallen- farbstoff. 15. Grosses graues Kaninchen. 19. 11. 2 Uhr Nachmittags 0,06 Gramm Arsenzink fein pulve- risirt in Emulsion in den Magen gespritzt. 20. 11. . Während der Nacht entleerter Urin viel Hämoglobin, keine Blutkörperchen, alkalisch. Um 12 Uhr Mittags abgedrückt enthält noch ziemlich viel Hä- moglobin, keinen Gallenfarbstoff. Um 5 Uhr Nachmittags abgedrückt nur noch Spuren von Hämo- globin, kein Gallenfarbstoff, weder direct noch nach dem Enteiweissen. 21. 11. Der während der Nacht entleerte Urin genau ebenso. Um 11 Uhr Mittags abgedrückter Urin kein Hämoglobin, kein Gallenfarbstoff. Thier befindet sich ganz wohl. 16. Grosse Bulldogge, deren Urin häufig bei vollkommen nor- malem Befinden deutliche Gallenfarbstoff- Reaction zeigte, erhielt an einem Tage, an welchem der Urin frei von diesem Bestandtheile war (21. 11. 2 Uhr Nachmittags), 1 Gramm Arsenziok, desselben Präpa- rates, welches sich in vielen Fällen als wirksam bewährt hatte. Um 5 Uhr Nachmittags entleerter Urin vollkommen normal. 22. 1. 500C.C., sauer, wenig Eiweiss, keine Spuren von Gallen- farbstoff. ‘ . 17. Kräftiges graues Kaninchen erhält am 6. 11. 0,06 Gramm - Arsenzink (wirksames Präparat) in Emulsion in den Magen gespritzt. 7. 11. 11 Uhr Mittags Urin abgedrückt, stark sauer, viel Eiweiss, kein Gällenfarbstoff, kein Hämoglobin. — 3 Uhr abgedrückt, genau ebenso, - 8. 11. Noch wenig Eiweiss, kein Gallenfarbstoff. 18. Starkes graues Kaninchen erhält am 23. 11. 0,12 Grm. Ar- senzink (wirksames Präparat) in Brodpillen. 28* 420 B. Näunyn: 24. 11. Während der Nacht gelassener Urin trübe, grünbraun, enthält ziemlich viel Eiweiss, keinen Blutfarbstoff, keinen Gallen- farbstoff, 25. 11. Todt im Käfig. Urin aus der Blase genau wie gestern, Kein Gallenfarbstofl. Section. In der portio pylorica zahlreiche Anätzungen. Leber stark verfettet, andern Organe normal. Dass die in den meisten der vorstehenden Versuche beob- achtete Hämoglobin - Ausscheidung nicht etwa als eine einfache Hämaturie anzusehen sei, liegt auf der Hand. Dass das meist vollständige Fehlen der Blutkörperchen in den betreffenden Urinen etwa durch eine erst in letzteren selbst vor sich ge- hende Auflösung jener bedingt werde, ist eine Annahme, deren vollständige Unzulässigkeit durch Versuch 7 erwiesen wird. Hier wurden bereits in den Harnkanälchen krystallinische Ausschei- dungen von Hämoglobin angetroffen. In einzelnen Fällen traten im Urine allerdings auch ver- änderte, wie es schien, in der Auflösung begriffene Blutkörper- chen auf. Versuch 8 und 9 zeigt, dass hier nicht etwa eine Auflösung intakt ausgeschiedener Blutkörperchen im Urine vor- lag, sondern dass dieselben bereits in diesem Zustande in der Niere ausgeschieden wurden. Wir dürfen das Auftreten dieser Hämoglobin-Ausscheidun- gen wohl als ein Zeichen ansehen, dass das Arsenwasserstoff- gas, in den Lungen oder vom Darme aus ins Blut aufgenommen, die Fähigkeit, die Blutkörperchen aufzulösen, und zwar in ho- hem Grade, besitzt. Leitet man indessen einen Strom mit Wasserstoff gemisch- ten oder auch reinen (aus Arsenzink dargestellten) Arsenwasser- stoffgases durch Blut bei gewöhnlicher oder bei bis auf 35° C, gesteigerter Temperatur, so nimmt das Blut zwar bald eine eigenthümliche schmierige Farbe an, doch kann man noch nach mehr als '/,stündigem Durchleiten die Blutkörperchen noch viele Tage lang wohl erhalten erkennen. Leitet man aber durch Blut, welches selbst nur kurze Zeit (5 Min.) mit Arsen- wasserstoffgas behandelt worden ist, unmittelbar hinterher Sauer- stoff oder atmosphärische Luft, oder behandelt man Blut mit einem Gemisch von Arsenwasserstoflgas und atmosphärischer ” Ä ö . | 4 Beiträge zur Lehre vom Icterus. 431 Luft, so findet man nach etwa 12 Stunden sämmtliche Blut- körperchen aufgelöst; die alkalische Reaction des Blutes nimmt dabei keineswegs an Intensität ab. Es ist also an der Fähigkeit des Arsenwasserstoffgases, bei Gegenwart von Sauerstoff die Blutkörperchen aufzulösen, nicht zu zweifeln. Ob hierbei etwa die Bildung von Arsensäure oder arseniger Säure aus dem Arsenwasserstoff in Frage kommt, mag dahingestellt sein. Die bleibende Alkalität des betreffenden Blutes scheint nicht für eine solche Annahme zu sprechen. Die Erscheinungen, wie sie sich aus den angestellten Ver- suchen als Folge einer ohne irgend welche erheblichen compli- cirenden Einwirkungen stattgehabten Auflösung der Blutkörper- chen ergeben, zeigen manches Auffallende, Die Thatsachen, welche in Bezug zu der Frage vom hä- matogenen Icterus stehen, widersprechen den bisherigen An- sichten aufs Entschiedenste: in keinem Falle konnte als Folge der Auflösung der Blutkörperchen eine Ausscheidung von Gallen- farbstoff nachgewiesen werden. Das Resultat war stets das gleiche negative, mochte die Auflösung der Blutkörperchen eine höchst umfangreiche, zu massenhaften Ausscheidungen von Hä- moglobin Veranlassung gebende, mochte dieselbe eine so gering- fügige sein, dass sie das Befinden der Thiere in keiner erheb- lichen Weise störte und nur eine vorübergehende Ausscheidung von Hämoglobin oder auch nur eine solche von Eiweiss bewirkte. Namentlich die Fälle letzterer Art scheinen beweiskräftig, da hier einmal keine Störung des Allgemeinbefindens die Re- sultate der Experimente beeinträchtigte, andererseits der Nach- weis der Gallenfarbstoffe durch die Gmelin’sche Reaction nicht durch die Gegenwart erheblicher Mengen von Blutfarbstoff er- schwert war. Aber auch abgesehen von diesen hier besonders in Betracht kommenden Thatsachen sind die Resultate jener Versuche nicht ohne Interesse. Sie beweisen, dass die Auflösung der Blut- körperchen selbst im grössern Umfange kein für das Leben der Thiere erheblicher gefährlicher Process ist (Versuch 10. 14). 422 y ' B. Naunyn: Die Auflösung der Blutkörperchen und die Ausscheidung des im Serum gelösten Hämoglobin wirkt, wie es scheint, lediglich nach Art eines Blutverlustes und führt demnach, wenn sie ejne gewisse Grenze überschreitet, allerdings zum Tode des Thieres. Derselbe tritt dann ganz unter dem Bilde einer Verblutung ein (Versuch 7). Wirkt indessen nicht unmittel- bar die Massenhaftigkeit der Hämoglobinausscheidung tödtlich, so hinterbleiben ausser einer der Grösse des Blutverlustes ent- sprechenden Anämie keine besonderen Störungen, und selbst die so empfindlichen Kaninchen pflegen den Process dann meist zu überstehen (Versuch 13. 15. 16. 17). Bei Hunden ist na- türlich die Resistenz eine viel grössere. Symptome, welche als Zeichen einer Ueberkadung des Blu- tes mit schädlichen Stoffen („den Zersetzungsproducten der Blutkörperchen“) angesehen werden ya wurden nirgends beobachtet '). Von einer Aehnlichkeit des Krankheitsbildes mit Phosphor- vergiftung und ähnlichen Vergiftungsprocessen, deren Wesen man in einer Auflösung der Blutkörperchen durch die betref- fenden Gifte suchen zu müssen glaubte, ist keine Rede. Irgend erhebliche Blutungen, abgesehen: von der Hämo- globin- Ausscheidung durch die Nieren, allgemeine Verfettung der drüsigen und muskulösen Organe, wurden in keinem Falle beobachtet. Die in mehreren der beschriebenen Versuche nach Einführung von Arsenzink in den Magen ausschliesslich in der 1) Bei der weiteren Untersuchung des Urines, welche bei den mit Arsenwasserstoff vergifteten Hunden unter Anwendung aller be- kannten Methoden vorgenommen wurde, konnten abnorme Bestand- theile irgend welcher Art nicht nachgewiesen werden. Nur wurde mehrmals aus dem durch Phosphorwolframsauren Natron erzeugten Niederschlage eine, wie es scheint, im normalen Urine der Hunde nicht vorfindliche Base erhalten. Die Menge der vorläufig erhaltenen Substariz ist indessen zur genaueren Bestimmung derselben nicht ausreichend. Möglich ist es, dass die Gegenwart dieser Base im Urine die starke Alkalität desselben in solchen Fällen bedingt. Eine irgend er- hebliche Vermehrung des Ammoniakgehaltes besteht wenigstens, wie die nach Neubauer ausgeführte Untersuchung frisch gelassenen Uri- nes bewies, nicht. Beiträge zur Lehre vom Icterus. 423 Leber beobachtete Verfettung der Parenchymzellen kann jeden- falls nicht als Folge der Auflösung der Blutkörperchen ange- sehen werden. Die Wirkung der Gallensäure, des Aethers, Chloroforms u. 8. w. ist jedenfalls eine viel complieirtere und beruht nicht allein auf der Auflösung der Blutkörperchen durch jene Sub- stanzen'). Die einzigen vollkommenen Analogien mit den hier beobachteten würden jene Fälle von Hämoglobin-Ausscheidung (nicht Hämaturie) nach Säureeinnahme bilden. Auch die Fälle von Auftreten äusserst stark Blutfarbstoffhaltigen, doch keine Blutkörperchen enthaltenden Urines bei Typhuskraniken scheinen sich hier anzureihen?). 1) Bei Versuchen mit Schwefelwasserstoff (Injection von Schwefel- wasserstoffwasser oder Einbringung von Schwefeleisen in den Magen) und mit Phosphorwasserstoff (Einbringung von Phosphorcalecium in den Magen) konnte ich ebensowenig wie die früheren mit diesen Sub- stanzen experimentirenden: Forscher Hämoglobin - Ausscheidung im Urin als Folge jenes Eingriffes nachweisen. Wenigstens steht ein Fall bei einem Kaninchen, bei welchem ich allerdings 24 Stunden nach Einführung von 2 Grm. Schwefeleisen in den Magen sehr geringen Hämoglobingehalt des Urines (ohne Blutkörperchen) beobachtete, den vielen negativen Ergebnissen gegenüber zu vereinzelt da, um hieraus siebere Schlüsse zu ziehen. 2) Vogel beobachtete derartige Fälle schon vor längerer Zeit (l.c.). Ich selbst hatte früher als Assistent der Frerichs’ schen Klinik zweimal Gelegenheit, in Fällen von schwerem Abdominaltyphus (durch die Section als solche constatirt) ähnliches zu sehen. In diesen Fäl- len, die beide junge kräftige Mädchen betrafen, nahm der Urin plötz- lich 2 Tage vor dem Tode, am 9. resp. 14. Tage der Krankheit, eine Beschaffenheit an, die an der Gegenwart von Blutfarbstoff kaum zwei- feln liess, vollkommen dunkelrothes blutartiges Aussehen, beim Kochen massenhaftes dunkel braunrothes Coagulum, dabei waren Blutkörper- chen in dem übrigens sauren Urin nicht nachweislich, doch enthielt der Urin zahlreiche Cylinder, die mit dunkelbraunen Körnchen besetzt waren. Bei der Section wurden in beiden Fällen in den Nieren und den Harnwegen besondere Abnormitäten nicht gefunden. Der Nachweis des Hämoglobins durch sein Verhalten im Spec: tram und also die objective Sicherstellung des Befundes hat leider in diesen Fällen, ebenso wie in den von V.ogel beobachteten und in den Fällen der Hämoglobin- Ausscheidung bei Säurevergiftung, nicht Statt gehabt, 424 B. Naunyn: In wie weit die beim Rindviehe nach schlechtem Weide- futter hier und da auftretende Ausscheidung von Blutfarbstoff hierher gehört, müssen andere Versuche lehren. Den Angaben der Thierärzte zu Folge sollen in solchen Fällen trotz stark blu- tiger Färbung des Urins, Blutkörperchen in demselben nicht vorhanden sein. Bestätigt sich dies, so liegt der Gedanke nahe, dass in der That eine sich aus dem Futter im Darme ent- wickelnde, dem Arsenwasserstoff ähnlich wirkende Substanz der Grund dieses übrigens keineswegs sehr gefürchteten Leidens jener Thiere sei. In neuester Zeit hat Kühne Mittheilung von Versuchen gemacht, welche bei der Erörterung der hier vorliegenden Frage nicht ohne Berücksichtigung bleiben dürfen. Man entzieht, so sagt der genannte Forscher‘), einem Kaninchen einige C.C. Blut aus irgend einer Vene, lässt dasselbe in einer Platinschale einige Male rasch gefrieren und wieder aufthauen, wodurch alıe Blutkörperchen aufgelöst werden unter Bildung einer gleich- mässig rothen lackfarbenen Flüssigkeit, und spritzt dieses Blut nach der Trennung vom Fibrin langsam wieder in die Vene ein. Man erhält hiernach ausnahmslos einen icterischen Urin Hs B4W. 19. Grosses weisses gut genährtes Kaninchen. Am 13. 3. Mit- tags 1 Uhr operirt. Es werden demselben 2 C.C. Blut aus der Art. eruralis sin. entzogen, sofort defibrinirt. Die Blutkörperchen durch zweimaliges Gefrieren und Aufthauen gelöst?). Die Flüssigkeit filtrirt und in die Vena jugul. sin. äusserst langsam tropfenweise eingespritzt. Für Vermeidung von Luftinjeetion wird gesorgt. Die Einspritzung geht ohne jeden Unfall von Statten. Unmittelbar nach Beendigung derselben, ehe noch die Vene unterbunden, plötzlich Cyanose der Lip- pen, zwei Inspirationen unter Anstrengung aller inspiratorischen Hülfs- muskeln, Tod. ; Section sofort. Das Herz noch in unregelmässigen fibrillären Contractionen begriffen. Der linke Ventrikel vollkommen leer, der rechte (enthält keine Luft) sehr weit, vollständig erfüllt von einem 1) Lehrbuch der physiol. Chemie. pag. 89. 2) Die thatsächlich stattgehabte Auflösung der Blutkörperchen wurde hier wie in allen späteren Experimenten durch mikroskopische Untersuchung nachgewiesen. a Zi ee “ Beiträge zur Lehre vom lIcterus. 495 I frischen festen, zwischen die Trabekeln verfilzten Gerinnsel; der Throm- bus setzt sich einerseits in die Art. pulmonalis bis zu deren feinsten Verzweigungen, andererseits in die vena jugularis sin. bis fast zur Injeetionsstelle fort, während die jugularis dextra, ebenso wie die an- dern Körpervenen, mit flüssigem Blute erfüllt ist. 20. 14. 3. Grosses graues Kaninchen. Das Verfahren, betreffend die Entziehung und Injection des Blutes, die Auflösung der Blut- körperchen, genau ebenso. Das Blut wurde ausserdem yor der In- jection auf 30° C. erwärmt. Genau in demselben Momente, wie bei 19, Tod unter denselben Erscheinungen. Die Section (das Herz wird noch zuckend eröffnet) giebt genau dieselben Resultate. Im rechten Ventrikel keine Luftbläschen. 21. 18. 3. Starkes weisses Kaninchen, 2 C.C. Blut unter Ein- haltung genau desselben Verfahrens aus der Art. und Vena cruralis entzogen und nach Lösung der Blutkörperchen eingespritzt. Der Tod erfolgt genau in derselben Weise. Die Section sofort angestellt (Herz noch zuckend), ergiebt genau dasselbe Resultat, nur sind in Art. pulmonalis nur in den grösseren Aesten spärliche Gerinn- sel nachweislich. Im rechten Ventrikel keine Luftbläschen. 22. 20. 3. Starkes weisses Kaninchen. 1’/2 0.C. Blut in der- selben Weise entzogen, unter Beobachtung aller derselben Cautelen eingespritzt. So wie die ersten Spuren der beginnenden Dyspnoe sich zeigen, der Thorax eröffnet, so dass das Herz schon bei der letzten tiefen Inspiration geöffnet ist. Auch hier zeigt sich wieder (also intra vitam) der rechte Ventrikel bereits vollständig thrombosirt. Auch im Uebrigen ganz dasselbe Verhalten. Im rechten Herzen keine Luft- . blasen. 23. 1. 4. Kräftiges graues Kaninchen. Der Versuch mit 2 0.C. Blut unter denselben Cautelen angestellt (Einspritzung äusserst lang- sam), ergiebt genau dasselbe Resultat sowohl in Bezug auf die Todes- art, als auch auf die Resultate der noch bei zuckendem Herzen vor- genommenen Section. Im rechten Herzen keine Luftblasen. 24. 7.4 Kräftiges schwarzes Kaninchen. 1 C.C. Blut ganz wie gewöhnlich. Die Injection erfolgte nach der Uhr. Das Einspritzen des einen C.C. dauerte 2 Minuten. Das Resultat in jeder Beziehung das gewöhnliche. Die hier mitgetheilten Beobachtungen stehen in einem auf- fallenden Widerspruch zu der von Kühne gegebenen Schilde- rung des Erfolges, und doch sind sämmtliche Versuche genau in der von Kühne angegebenen Weise angestellt. Nur die der Injection vorhergehende Erwärmung des Blutes ist von ihm 426 B. Naunyn: (wohl als selbstverständlich vorausgesetzt) nicht ausdrücklich in der Beschreibung erwähnt. Der Unterschied des zur Injec-: tion benutzten Blutes (in Kühne’s Versuchen aus der Vene, in den hier beschriebenen aus der Arterie entnommen) kann wohl kaum die Ursache der Differenz sein. Es scheint, dass Kühne zu seinen Injectionsversuchen ge- ringere Mengen Blut benutzte, als in der obigen Beschreibung des Versuches angegeben ist. 25. 11. 3. Schwarzes etwas mageres Kaninchen. 2 C.C. Blut in der gewöhnlichen Weise entzogen, behandelt und eingespritzt, Die Injection verunglückt, so dass höchstens der vierte Theil der Flüssig- keit (!/a C.C.) in die Vene hinein gelangt. Nach der Injection keine bedrohlichen Erscheinungen. Drei Stunden nacher 50 C.C. Urin. Enthält Blutfarbstoff, keine Blutkörperchen, keinen Gallenfarbstoff. Am andern Morgen 20 0.C. entleert, ohne Blutfarbstoff, ohne Gallenfarbstoft. Ä 26. 23. 3. Graues kräftiges Kaninchen. '/s C.C. Blut in der gewöhnlichen Weise entzogen, behandelt und eingespritzt. Keine be- droblichen Erscheinungen. ’ Eine Stunde nach der Operation Urin durch den Katheter ent- leert, wenig Eiweiss, kein Blutfarbstoff, kein Gallenfarbstofl. 2 Stunden nachher ebenso. In dem am andern Morgen entleer- ten Spuren von Eiweiss, kein Gallenfarbstof!. 27. 25. 3. Kräftiges graues Kaninchen. !/» C.C. Blut wie ge- wöhnlich entzogen, behandelt, eingespritzt. Keine bedrohlichen Er- scheinungen. Eine Stunde nach der Operation entleerter Urin Spuren von Ei- weiss, kein Gallenfarbstofl. \ Zwei Stunden nachher genau ebenso. Der am andern Morgen ent- leerte Urin vollkommen normal. Für die Frage vom hämatogenen lceterus sind selbstver- ständlich nur die drei letzterwähnten Versuche von Werth '). In keinem derselben konnte eine deutliche Gallenfarbstoff- 1) Ein ähnlicher Versuch, Injection von Rinderblut, dessen Blut- körperchen durch Aether aufgelöst, in die Venen eines Kaninchen, wurde schon vor längerer Zeit von Huppert (l.c.) angestellt. Schur berichtet soeben (3. Hft. XXXI. Bd. II. F. Henle und Pfeuffer's Archiv) über die Resultate einer gleichen Injection nach der Rollet- u m BE le Beiträge zur Lehre vom Icterus. 497 Reaction nach der Operation beobachtet werden, auch nicht dort, wo das Auftreten von Blutfarbstoff im Urine die Anwesen- heit: einer mehr als reichlichen Quantität von. Blutfarbstoff im Serum zeigte. In welcher Weise der Widerspruch, welcher zwischen den Resultaten auch der so modificirten Versuche und den Angaben Kühne’s besteht, sich auflösen wird, muss dahin gestellt bleiben. Vorläufig dürfte eine weitere Discussion die- ses Gegenstandes nicht erfolgreich sein, da Kühne eine ge- nauere Beschreibung der von ihm (l. c.) erwähnten Versuche, | so viel mir bekannt, nirgends gegeben. Die Resultate der sub No. 19—25 beschriebenen Versuche scheinen keineswegs ohne Interesse. In allen diesen Versuchen wurde der Tod des Thieres durch eine offenbar während des Lebens eingetretene Gerinnung de$ Blutes im rechten Ventrikel und häufig auch in der Art. pulmonalis bewirkt. Als Ursache dieser Gerinnung ist zweifellos die in die Vena jugularis ein- geführte Blutkörperchenlösung zu bezeichnen. Es gelingt mit- hin, in einem Gefäss auch im Leben Blutgerinnung zu erzeu- gen durch Einspritzung der genügenden Menge von Blut, dessen Blutkörperchen durch wiederholtes Gefrieren und Wiederauf- thauen gelöst worden sind. Es liegt nahe, in dieser Beobach- tung eine Bestätigung der von Alex. Schmidt!) in Bezug auf die Blutgerinnung geäusserten Ansicht zu sehen. Die Gerin- nung findet, so lehrt dieser Forscher, im Blute während des Lebens deshalb nicht Statt, weil die in den Blutkörperchen enthaltene fibrinoplastische Substanz stets nur in sehr geringer Menge aus denselben in das Serum übertritt. Es sind eben, da die fibrinoplastische Substanz schnell zersetzt wird, im Se- rum nur die genügenden Mengen derselben vorhanden, um mit der fibrinogenen Substanz Fibrinausscheidung zu bilden. schen Methode behufs Auflösung der rothen Blutkörperchen behan- delten Blutes. Beide Forscher sahen nach diesen Injectionen nur Blut-, nicht Gallenfarbstoff im Urine auftreten. Die Erörterung der Frage, worauf es beruht, dass von diesen Forschern jene Gerinnungserscheinungen in den Venen nicht beobachtet wurden, würde hier zu weit führen, 1) Dieses Archiv. 1861, 428 B. Naunyn: In jenen Versuchen werden plötzlich ins Blutserum grös- sere Mengen Blutkörperchenlösung und somit der fibrinoplasti- schen Substanz (sei diese nun das Hämoglobin selbst oder eine ihm fest anhaftende Substanz) gebracht, und die Folge ist so- fortige Gerinnung des Blutes. 'Es werden die weiteren Untersuchungen über diesen Gegen- stand an einem anderen Orte vorgelegt werden. Hier sei noch ein Versuch angeführt, welcher sowohl das Entstehen jener Thromben während des Lebens evident beweist, als auch für die Frage vom hämatogenen Icterus nicht ohne Werth er- scheint. 25. Einem starken scheckigen Kaninchen werden 21/ C.C. Blut aus der Art. eruralis entzogen, wie gewöhnlich behandelt und in eine vena mesaraica eingespritzt. * Während die Thiere sonst die Laparotomie und sogar, wie sich später zeigen wird, die Enterotomie sehr gut vertragen, kam das Ka- ninchen nach der Operation nicht wieder zu sich. Es lag zu jeder Bewegung unfähig da, nur hin und wieder wurde eine leichte Bewe- gung des Kopfes bemerkbar. Eine halbe Stunde nach der Operation traten leichte Krämpfe ein; es wurde die Viviseetion des moribunden 'Thieres gemacht; das Abdomen zuerst geöffnet. Die Wurzeln der Pfortader durchweg im höchsten Grade mit Blut gefüllt, der Stamm der Vena portarum voll- ständig ausgefüllt von einem festen, nirgends adhärirenden T'hrom- bus; derselbe setzt sich einerseits mit den feineren Verzweigungen der Pfortader in die Leber hinein, andererseits nur in den Ast der- selben fort, durch welchen die Injection gemacht war, und auch in diesen nur auf eine kurze Strecke. Alle übrigen Organe sehr anä- misch, sonst normal. Die grossen Gefässe, ebenso wie das noch pul- sirende Herz enthalten wenig flüssiges Blut. Es ist klar, dass dieses Thier an den Folgen der Throm- bosirung des Pfortaderstammes, einer sogenannten Verblutung in die Wurzeln der Pfortader gestorben war. Es bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung, dass die sämmtlichen in Vorstehendem mitgetheilten Untersuchungen der Annahme: es verwandle sich der Blutfarbstoff, so wie er in grösseren Mengen ins Serum übertritt, ohne Weiteres in Gallen- farbstoff, nicht das Wort reden. Beiträge zur Lehre vom Ieterus. 499 Es gelang weder durch Einführung des Blutfarbstoffs ins Serum vom Unterhautzellgewebe aus oder durch Injection in die Venen, noch durch die selbst massenhafteste Auflösung der rothen Blutkörperchen im Blute das Auftreten von Gallenfarb- stoff im Urine hervorzurufen. Der Widerspruch, in dem die Resultate dieser Versuche zu den Angaben der oben genannten Autoren stehen, erklärt sich wohl daraus, dass von Letzteren das auch unter normalen Verhältnissen nicht seltene und oft reichliche Vorkommen von Gallenfarbstoff im Urine der Versuchsthiere, namentlich der Hunde'), zu wenig berücksichtigt wurde. Vielleicht mögen ‚auch die in den Versuchen mit Einspritzung gallensaurer Salze in die Venen von Thieren erhaltenen Resultate eine Folge der durch die Operation und durch die eigenthümliche Wirkung dieser Salze bedingten Kreislaufsstörung gewesen sein?). Die schon mehr erwähnte Thatsache, dass im Urine der Hunde bei vollkommen normalem Befinden trotz der Entleerung galligen Kothes nicht selten Gallenfarbstoff in reichlicher Menge . auftritt, scheint für die Pathologie des Icterus nicht ohne Inter- esse. Sie lest jedenfalls die Annahme nahe, dass auch unter normalen Verhältnissen Gallenfarbstoffe im Blute eirculiren °). Diese Annahme wird um so wahrscheinlicher, da es sich, wie aus Nachstehendem erhellt, erweisen lässt, dass andere, weniger leicht oxydirbare Bestandtheile der Galle, die Gallen- säuren, im normalen Urine von Thieren wie von Menschen sich stets, wenn auch nur in geringen Mengen vorfinden. 1) Ich habe noch jetzt Gelegenheit, zwei Hunde zu beobachten, in deren Urin bei, vollkommen normalem Befinden der Thiere trotz fehlender Gelbfärbung der Conjunctiva und trotz reichlich galliger Färbung der Faeces beständig so erhebliche Quantitäten Gallenfarb- stoff enthalten sind, wie sie sich beim Menschen nur in Fällen von höchst intensivem Icterus finden. 2) cf. pag. 407. 3) ef. pag. 407. -—- Vergl. Paul David: Ein Beitrag zur Frage über die Gerinnung des Lebervenenblutes u. s. w. Inauguraldisserta- tion. Dorpat 1866. Hier lautet die erste der der Dissertation ange- hängten Thesen: „Der Gallenfarbstoff ist ein konstanter Bestandtheil des Harnes,“ 430 B. Naunyn: Es ist, so viel mir bekannt, Urin normaler Menschen nur von Kühne und zwar mit negativem Resultate auf die Gegen- wart von Gallensäuren untersucht. Kühne wandte die Hoppe- sche Methode an, welche, wie die Untersuchungen von Bi- schoff lehren, der von Staedeler angegebenen entschieden an Sicherheit nachsteht. In nachfolgenden Versuchen wurde folgendes Verfahren (ziemlich genau nach Staedeler) zur Darstellung der Gallen- säuren angewandt. Der betreffende Urin wird möglichst frisch mit Bleiessig BBR ausgefällt (wenn nöthig, nach vorhergehender Entfernung des Ei- weisses), der Niederschlag ‚gesammelt, sorgfältig ausgewaschen, ge- trocknet, pulverisirt und mit Alkohol extrahirt. Das alkoholische Ex- tract mit kohlensaurem Natron versetzt und abgedampft. Das aus dem Rückstande durch Alkohol absolutus gewonnene Extract musste die etwaige Gallensäure in Gestalt des gallensauren Natrons enthalten. Erwies sich der Rückstand desselben nach dem Verjagen des Alko- hol als zu stark gefärbt, was übrigens bei diesem Verfahren selten der Fall, so wurde die Entfärbung desselben mit Blutkohle in wässe- riger Lösung oder durch nochmaliges Ausfällen der Gallensäuren mittelst Bleiessig und Wiederholung des ganzen Verfahrens bewirkt. Schliesslich wurde mit einer Probe des genügend farblos erhaltenen Rückstandes, der die etwaigen Gallensäuren an Natron gebunden ent- halten müsste, die Pettenkofer’sche Reaction in der Neukomm- schen Modification vorgenommen. Wie Bischoff!) gezeigt hat, sind die Gefahren der Vortäuschung der Pettenkofer'schen Reaction durch andere Substanzen als Gallen- säuren bei Anwendung dieser Modification erheblich vermindert. 29. Im Urine eines Hundes, welcher bei vollständig normalem. Befinden des Thieres sehr deutliche Gallenfarbstofl-Reaction gab, ist in der beschriebenen Weise Gallensäure sicher nachweisbar, 30. Im Urine eines sich vollkommen normal befindlichen Hun- des, der keinen Gallenfarbstofl enthält, ist Gallensäure sicher nach- weisbar. 31. In 3000 C.C. Urin von 4 vollkommen normalen Menschen ist Gallensäure sicher nachweisbar. 32. 3000 C.C. von ebenfalls ganz gesunden Menschen geben dasselbe sichere positive Resultat. Beiträge zur Lehre vom lIeterus, 431 33. 10,000 0,0. Urin von 5 durchaus normalen Menschen (jede erhaltene Quantität stets frisch mit Bleiessig ausgefällt) in derselben Weise behandelt. Die Pettenkofer’sche Reaction giebt schliesslich ein zweifelloses Resultat. Die Menge des schliesslich bleibenden Rückstandes, in welchem die gallensauren Salze enthalten waren, war übrigens in allen diesen Fällen eine äusserst geringe, selten zu mehr als 2—3 Reactionen ausreichende, Hiernach kann es nicht wun- derbar erscheinen, dass im Blute bei normalen Thieren die Gallensäuren nicht sicher nachweisbar sind. | 34... Einem grossen schwarzen Kettenhund, in dessen Urin häufig Gallenfarbstoff nachweisbar ist, werden an einem Tage, an welchem dies nicht der Fall ist, 400 C.C. Blut aus der vena portarum und gleichzeitig 200 C.C. aus der carotis entzogen. Jede Quantität wird gesondert, nach Entfernung des Eiweisses durch Eintragen in kochendes, schwach essigsaures Wasser in der angegebenen Weise untersucht. In beiden Fällen giebt die Petten-. kofer’sche Reaction nur ein unsicheres Resultat, Was die Quelle der normaler Weise im Urine vorkommen- den Gallensäuren anlangt, so liegt zur Erklärung dieser Er- scheinung die zuerst von Liebig gemachte, dann von Fre- - richs und den meisten späteren Autoren aufgenommene An- nahme einer stetigen Resorption derselben aus dem Darmkanal jedenfalls am nächsten. Dass eine solche Resorption dieser Salze bei Einführung grösserer Mengen derselben in den Magen statthabe, ist ja durch die zahlreichen Versuche von Frerichs, Huppert, Hoppe, Leyden u. s. w. zur Evidenz erwiesen, „Auch nachfolgender Versuch beweist das. 35. Kleiner Affenpinscher erhält Mittags 2 Grm. Natron cholei- nicum in Wurst, er zeigt darnach Appetitlosigkeit und eine geringe im Verlauf des folgenden Tages wieder verschwindende Herabsetzung der Pulsfrequenz. Der 8 Stunden nach der Einnahme des gallensau- ren Natron entleerte Urin enthält keinen Gallenfarbstoff, daßegen lassen sich aus 50 C.C. des betreffenden Urins Gallensäure in ver- hältnissmässig sehr bedeutender Menge gewinnen. Das Fehlen der Gallenfarbstoffausscheidung bei Resorption selbst grosser Mengen gallensaurer Salze vom Magen aus ist auch bereits von andern Autoren bemerkt worden. Es ist nun klar, dass die Bedingungen für die Aufnahme der Gallensäuren vom Darmkanale aus in der Norm nicht er- 432 B. Naunyn: heblich ungünstigere, als bei Einführung grosser Massen jener Salze in den Darmtraetus sind. Was den Gallenfarbstoff anbelangt, so ist die krystalli- nische Natur des Bilirubin dem Uebergang desselben durch Diffusion, so weit diese hier in Betracht kommt, jedenfalls nur günstig. Ausserdem ist es ja durch die Untersuchungen von Frerichs!) und Hoppe?) erwiesen, dass sich jene Substanz auf grossen Strecken des Darmrohres, jedenfalls fast im ganzen Dünndarm im unveränderten Zustand findet. Nachfolgende Ver- suche scheinen geeignet zu zeigen, dass eine solche Resorption des Gallenfarbstoffs vom Dünndarm aus in der That Statt haben kann. Es konnte hier selbstverständlich die Application der betreffenden Substanz per os nicht angewendet werden, da die saure Reaction des Magen- resp. Mastdarminhaltes schnell eine Zersetzung des eingeführ- ten Gallenfarbstofis bewirken würde, 36. Einem muntern gelben Kaninchen wird am 31. 3. das Ab- domen durch einen etwa 11 Cm. langen Schnitt etwas oberhalb der Mitte zwischen der Basis des proc. xiphoideus und der symphysis in der linea alba eröffnet. Durch die Wunde wird eine Dünndarm- | schlinge möglichst wenig weit hervorgezogen; mittelst einer feinen F Canüle werden 20 C.C. Schweinegalle in den Darm injieirt. Die Stichöffnung wird mittelst einer seitlich an das Darmrohr angelegten Unterbindung, also mit fast vollständiger Erhaltung des Lumen des Darmrohres verschlossen; der Darm reponirt, die Wunde zugenäht. Das Kaninchen befand sich nach der Operation vollständig wohl, be- gann alsbald zu fressen. Der 1 und der 2 Stunden nach der Opera- tion entleerte Urin vollständig normal, ohne Gallenfarbstoff. Der am 1. 4. Morgens entleerte zeigt eine sehr deutliche Gallenfarbstofl- . Reaction. 37, 14. 4. Einem kleinen muntern Kaninchen werden p. p: 0,1 Grm. aus Gallensteinen dargestellten Bilirubins in etwa 10 C.C, ganz verdünnter Sodalösung aufgelöst in der beschriebenen Weise in den Dünndarm injieirt. Das Thier ist sogleich nach der Operation a munter, frisst und hüpft umber, 15. 4. während der Nacht entleert 20 0.C, eines neutralen Urikaj sehr deutlich Gallenfarbstofl-Reaction. Mittags 2 Uhr 5 C,C. Urin ab- gedrückt, sehr deutliche Gallenfarbstofl-Reaction. I) Wagener, Handwörterbuch, Artikel Verdauung. 2) Virchow's Archiv, Bd. 22, Beiträge zur Lehre vom Ieterus. 433 16. 4. 10 Uhr Morgens aus der Blase entleerter Urin nur noch schwach gallenfarbstoffhaltig. 17. 4. Kaninchen von Ratten angefressen und getödtet. Der in der Blase enthaltene Urin giebt noch schwache Gallenfarbstoff-Reac- tion. Die betreffende Dünndarnischlinge an der Injectionsstelle durch eine eircumseripte Peritonitis an die vordere Bauchwand in der Nähe der Wunde angeheftet. Im Darmrohr der gewöhnliche Inhalt. Die Injectionsstelle findet sich etwa 8 Cm. unterhalb des Pylorus. 38. Einem kräftigen grauen Kaninchen am 22.4. 0,1 Grm. Bili- rubin in 5 0.0. ganz schwacher Sodalösung gelöst in den Darm in- jieirt. 23. 4. Der abgedrückte Urin zeigt sehr deutliche Gallenfarbstoff- Reaction. 24. 4. Nur noch undeutliche Gallenfarbstoff-Reaction. Kaninchen befindet sich übrigens fortdauernd wohl; nach 14 Ta- gen wird dasselbe bei einem andern Versuche getödtet. Keine Spur von Peritonitis. Die Stelle der Injection in den ° Darm nicht mehr zu erkennen. Die angelegte Unterbindungsschlinge findet sich nicht mehr am Darme vor. Es steht nach diesen Versuchen der Annahme, dass auch unter normalen Verhältnissen nicht nur gallensaure Salze, son- dern auch Gallenfarbstoffe aus dem Darmkanal ins Blut auf- genommen werden, nichts entgegen. Ganz neuerdings von Heidenhain!) mitgetheilte Versuche machen es übrigens im hohen Grade wahrscheinlich, dass auch in der Leber selbst von den die Galle abführenden Gängen aus eine stetige Resorption des Secretes statthabe. Eine mangelhafte Umsetzung dieser Substanzen im Blute und in den Geweben kann dann selbstverständlich zum Auf- treten des Gallenfarbstoffes in letzteren und im Urine führen. Dass vielfache klinische Erfahrungen für das Zustandekommen des Icterus in dieser Weise sprechen, ist oben (S8. 405) er- wähnt. Ob und in wie weit beim Zustandekommen solcher Icterusformen auch ungewöhnlich reichliche Aufnahme der Gallen- bestandtheile vom Darme oder von den Gallenwegen aus in Betracht kommt, dies müssen weitere Untersuchungen lehren, Der eine reichlichere Resorption von Galle im Darme er- möglichenden Umstände giebt es offenbar viele, und manche 1) Studien des physiol. Instituts zu Breslau 1868, Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1868, 29 434 B. Naunyn: scheinen von vornherein viel Wahrscheinlichkeit für ihr that- sächliches Mitwirken beim Zustandekommen jener Icterusformen zu bieten. So vermehrte Gallenbildung, vermehrter Erguss von Galle in den Darm, ungewöhnlich langer Aufenthalt der Galle in den oberen Partien des Dünndarms. Die Annahme letzterer Ursache würde die leichten Formen von Icterus, wie sie oft bei einfacher Obstipation, bei Bleikolik u. s. w. beob- achtet werden, gut erklären. Viel besser aufgeklärt sind die Bedingungen, unter welchen eine vermehrte Resorption des Secretes in der Leber selbst Statt hat. Heidenhain hat mit aller Evidenz erwiesen, wie sehr die Höhe des Blutdrucks in den Capillaren dieses Organs die Grösse der Gallenausscheidung beeinflusst. Es gelang ihm bei Ausfliessen des Secretes unter einem geringen Druck (= 110 Mm. Galle) durch Herabsetzung des Blutdrucks in den Capil- laren der Leber (Verengerung der Eingeweidearterien durch Reizung des Rückenmarks) eine bedeutende Resorption der Galle zu bewirken, während bei demselben Drucke innerhalb der Gallenwege, ohne jene künstliche Beeinflussung des Blut- stromes eine reichliche Gallensecretion Statt hatte, j Es drängt sich hiernach die Frage auf, ob nicht auch für jene Form des Icterus, die man bisher mit Vorliebe als Stütze für die Lehre vom sogenannten Bluticterus herangezogen hat, die Gelbsucht bei Pyämie u. s. w., die gleiche Erklärung, wie in den andern Fällen, zu versuchen sei. Einen experimentellen Rückhalt hat die Lehre vom Blut- ieterus nach allem Obigen nicht; indessen die den Ausgangs- punkt aller hier erörterten Versuche bildenden Untersuchungen Virchow’s drängen, so lange nicht die Elementaranalyse die Verschiedenheit jener zwei so ähnlichen Substanzen, des. Bili- rubins und des Hämatoidins, erwiesen hat, dazu, die Möglich- keit des Entstehens von Gallenfarbstoff aus Blutfarbstoff fest- zuhalten. Sollte sich namentlich das Merkmal des hämatogenen Ur- sprungs, welches Leyden für den Icterus bei Pyämie in. der Abwesenheit der Gallensäuren gefunden zu haben glaubt, be- Beiträge zur Lehre vom Icterus. 435 wahrheiten, so würde immerhin die Berechtigung zur Annahme eines Bluticterus zuzugeben sein. Indessen scheint die Ansicht Leyden’s nicht stichhaltig. Das vollständige Fehlen der Gallensäuren ist bei Berücksichti- gung des oben gezeigten constanten Vorkommens derselben im normalen Urine von vornherein wenig wahrscheinlich. Ausser- dem gelang es in nachfolgenden Fällen von Icterus bei Pyämie, bei welchen die Zeichen des Abschlusses der Galle vom Darmrohr, sowohl bei der Obduction als im Leben, fehlten, und die daher nicht Fälle von Resorptionsicterus im gewöhnlichen Sinne, d.h. nicht sogenannten hepatogenen Ursprungs waren, die Anwesen- heit der Gallensäuren im Urine in, der Schätzung nach,, offen-- bar abnorm grosser Menge nachzuweisen. 39. Der Kranke litt schon seit langer Zeit an eitrigem Ausfluss aus dem linken Ohr; 14 Tage vor seinem Tode erkrankte er mit heftigen Kopfschmerzen, welche nach einigen Tagen wieder schwan- den. Es bestand anfangs ein mässig intensives Fieber. Bald indessen stellten sich heftige, in unregelmässigen Intervallen wiederkehrende Schüttelfröste ein. Zwei Tage nachdem ein leichter, doch deutlicher Ieterus sichtbar geworden war, starb der Kranke bei vollständig er- haltenem Bewusstsein. Die Section ergab eine alte Caries des linken Os petrosum, ausserdem eitrige Meningitis; nirgends pyämische Ablagerungen. Die Milz etwas geschwellt, die Leber nicht deutlich icterisch. Ductus choledochus durchgängig, in der Portio intestinalis keine Schwellung der Schleimhaut, letztere gelb gefärbt. Durch die Güte des Herrn Dr. Goltdammer, dem ich auch obige Notizen verdanke, erhielt ich von dem Kranken 500 C.C. nach Eintreten des Ieterus entleerten Urins; derselbe war etwas getrübt durch geringe Ausscheidung von sauren harnsauren Salzen, sauer, vom spec Gew. 1025, enthielt nur Spuren von Eiweiss und gab keine deutliche Gallenfarbstoff- Reaction. Gallensäuren liessen sich in ihm nach der beschriebenen Methode in offenbar vermehrter Menge nach- weisen. 40. Die 30jährige Frau eines Spritzenmannes abortirte im öten Monat ihrer dritten Schwangerschaft. Sie befand sich während der ersten Tage nach erfolgtem Abortus vollkommen wohl. Erst 4 Tage später erkrankte sie mit unbestimmten Beschwerden und einem mässig intensiven Fieber. Bald machte sich ein anfangs ganz schwacher, allmälig an Intensität zunehmender Icterus, sowie ein geringer Milz- tumor bemerkbar, und es stellten sich wiederholt in unregelmässigem 29* 436 B. Nauuyn: Typus, von erheblichen Steigerungen des Fiebers begleitet, Schüttel- fröste ein. Einige Tage vor dem Tode zeigte sich ein heftiger Lungen- katarrh, das Sensorium wurde mehr und mehr benommen, und die Kranke starb am 14. Tage ihres Leidens. Die Stuhlgänge waren während der ganzen Dauer der Krankheit stets reichlich gallig ge- färbt. Section ergab starken allgemeinen Icterus; die Leber sogar auffallend wenig ieterisch gefärbt, auch mikroskopisch keine Ablage- rungen von Gallenpigment in der Leber nachweisslich, dagegen die Parenchymzellen dieses Organes ebenso wie die Nieren stark getrübt, an einzelnen Stellen in mässigem Grade verfettet. Die Milz ziemlich . beträchtlich (frisch) geschwellt; in beiden Lungen zahlreiche pyäni- sche Abscesse von verschiedenem Alter. Eitrige Perimetritis und Perivaginitis; linke Vena spermatica von einem der Wand fest adhärirenden, noch nicht zerfallenen Thrombus bis fast zur Einmündungsstelle in die Vena renalis erfüllt. Der am Tage vor dem Tode entleerte Urin (1100 C.C., 1021, sauer) enthält geringe Quantitäten von Eiweiss, viel Gallenfarbstoff. Gallensäuren können nach der gewöhnlichen Methode aus dem- selben in offenbar vermehrter Menge dargestellt werden. 41. Der Kranke, ein 56jähriger Schiffer, erlitt am 8. 5. 68. eine complieirte Fractur der linken Tibia. Das Befinden des Kranken war anfangs, der schweren Verletzung angemessen, ein gutes. Es bestand nur ein ganz geringes Fieber, der Appetit besserte sich bereits, als plötzlich unter erheblicher Verschlechterung des Allgemeinbefindens sich am 21. 5. ein heftiger Schüttelfrost einstellte. Die Frostanfälle wiederholten sich in den folgenden Tagen mehrfach in unregelmässi- gem Typus im Ganzen 5 Mal; jeder derselben war von einer erheb- lichen Temperatursteigerung bis über 40° begleitet. Unter diesen Erscheinungen nahm bei vollständig aufgehobener Esslust der Kräftezustand des Kranken schnell ab, es wurde eine Vergrösserung der Milz und am 27. 5. ein Icteras bemerkbar, der schnell intensiv wurde. Die Faeces waren dauernd stark gallig ge- färbt. Am 29, stellte sich eine schnell wachsende Benommenheit des Sensorium ein und der Kranke starb am 31. 5. Section konnte lei- der nicht gemacht werden. : Der am 28, 5, entleerte Urin (900 0.C., 1019, sauer) enthält we- nig Eiweiss, giebt eine deutliche Gallenfarbstoff-Reaction. Mit Hülfe des gewöhnlichen Verfahrens werden Gallensäuren in, wie es scheint erheblich vermehrter Menge aus demselben dargestellt, Beiträge zur Lehre vom Ieterus, 437 Mit diesem von Leyden für den pyämischen Icterus auf- gestellten Unterscheidungsmerkmal fällt nun jeder Grund fort, denselben als in Bezug auf seine Entstehung von den anderen Icterusformen verschieden anzusehen. Es fehlt dann allerdings noch jede Einsicht des Grundes, weshalb gerade mit jenem Symptomencomplex, den wir als Pyämie bezeichnen, so ausserordentlich häufig Gelbsucht verbunden er- scheint. Diese Schwierigkeiten werden indessen auch durch die Annahme des hämatogenen Ursprungs dieser Complication nicht beseitigt; wenigstens liegt zur Zeit noch keine Thatsache vor, welche es auch nur im mindesten wahrscheinlich machte, dass gerade die der Pyämie zu Grunde liegenden pathologi- schen Vorgänge im Organismus mit einer Auflösung der rothen Blutkörperchen verbunden seien. Im Gegentheil kann mit mehr Recht behauptet werden, dass beim Typhus, wenigstens‘ zuweilen, eine massenhafte Auf- lösung rother Blutkörperchen statthabe. Dies scheinen die oben erwähnten Fälle von Hämoglobinausscheidung (ohne Auftreten von Blutkörperchen) im Urine Typhuskranker zu beweisen. Und doch gehört das Auftreten von Icterus beim Typhus zu den seltensten Complicationen. Was nun schliesslich die Natur des nach Aether- oder Chloroforminhalationen nicht selten beobachteten, allerdings stets höchst wenig intensiven Icterus anlangt, so ist, wie be- kannt, der Grund dieser Erscheinung ebenfalls in der Fä- higkeit dieser Substanzen, die rothen Blutkörperchen aufzu- lösen, gesucht worden. Dass der Aether eine solche Wirkung auch im lebenden Thiere auf die Blutkörperchen ausübt, ist zwar bisher noch durch Nichts erwiesen, scheint aber, wie nachfolgende Beobachtung lehrt, in der That eine richtige An- nahme zu sein. 42. Einem kleinen Kaninchen werden am 2. 5. 68. 1,2 Grm. Aether durch subcutane Injection beigebracht. Nach 3 Minuten vollständige Narkose, nach 1'/s Stunden all- mälige Wiederkehr des Bewusstseins, bleibt indessen unvollständig; Coma nimmt allmälig wieder zu; 5 Stunden nach der Operation ist das Thier noch am Leben, am andern Morgen wird es todt gefunden. In der Blase 3 0.C. eines vollkommen durchsichtigen sauren 438 B.-Naunyn: rubinrothen Urines; derselbe giebt bei der spectroskopischen Unter- suchung deutlich die Absorptionsstreifen des sauerstoffhaltigen Hämo- globins; enthält keine Blutkörperchen. Es war also bei diesem Ka- ninchen offenbar in Folge der Aetherapplieation eine Ausscheidung von Hämoglobin (ohne Blutkörperchen) mit dem Urine aufgetreten, eine Erscheinung, die wohl zweifellos als Folge der reichlich statt- gehabten Auflösung der Blutkörperchen anzusehen ist. Indessen scheint diese Wirkung des Aethers in so bedeu- tendem Umfange selten Statt zu haben, da weder früher Noth- nagel noch ich selbst in einer ziemlichen Anzahl von selbst schnell oder im Verlauf von 6—12 Stunden tödtlich verlaufen- der Aethernarkosen sonst jemals das Auftreten von Hämoglobin im Urine beobachteten '). Uebrigens sieht man nach Application von Aether in grös- seren Dosen (bei Kaninchen 1 Grm. und darüber) nicht selten Gallenfarbstoff in geringer Menge im Urine auftreten. Indessen ist dieses Resultat ein höchst inconstantes (mir gelang es nur in einem von je 4 Fällen eine sichere Gallenfarbstoff- Reaction zu erzielen). Jedenfalls sind diese Beobachtungen nicht geeignet, den vielen negativen Ergebnissen der oben angeführten Versuche gegenüber, die Entstehung des Gallenfarbstoffs durch Zersetzung des Blutfarbstoffs im Blutserum zu erweisen. Anders verhält es sich mit der Frage: ob nicht in der Leber eine Umbildung jener letzten Substanz in die erstere statthabe. Diese Frage ist ebensowenig durch die hier mitge- theilten Experimente wie durch die von den früheren Forschern gemachten Erfahrungen berührt. In den nachfolgenden Versuchen nun wurde versucht, der Leber, durch Einführung von Hämoglobinlösung selbst oder von solchen Substanzen, welche die Blutkörperchen auflösen, in die 1) Es mag hier mit Rücksicht auf die neuerdings von Vohl und Eulenberg (Virchow's Archiv 1868) erschienene Arbeit aus- drücklich bemerkt werden, dass in keinem der Fälle tödtlich verlau - feuer Aethervergiftung Gasblasen im Blute gefunden wurden, Beiträge zur Lehre vom Ieterus. 439 Vena portarum, frei im Serum enthaltenes Hämoglobin in grös- serer Menge zuzuführen. Der Versuch einer direeten Injection von Blut, nach Auf- lösung der Blutkörperchen, ist, wie Versuch 28 zeigt, hier nicht anwendbar, da als Folge einer solchen Injection Gerin- nung des Blutes in der Vena portarum auftritt. Es wurde daher die Einführung von gelöstem Hämoglobin in das Serum der Pfortader durch Injection des in der er- wähnten Weise behandelten Blutes in eine Dünndarmschlinge zu bewerkstelligen gesucht. 43. Kräftiges schwarzes Kaninchen. Am 2. 5. 68. werden demselben 4 C.C. Blut aus der Arteria eruralis sinistra entzogen und nach Auflösung der Blutkörperchen durch wiederholtes Gefrieren in eine Dünndarmschlinge in der früher beschriebenen Weise eingespritzt. Das Thier befindet sich nach der Operation vollkommen wohl. Der 4 Stunden nach der Operation entleerte Urin deutlich gallen- farbstoffhaltig. Noch intensiver zeigte sich die Gallenfarbstoff- Reaction in dem am 3. 5. Morgens entleerten Urine. In dem am 5. 5. entleerten war dieselbe nur noch unsicher nachweisslich. 44. Einem kleinen grauen Kaninchen werden durch Verbluten aus der Carotis 12 C.C. Blut entzogen; nach Auflösung der Blut- körperchen wird die ganze Masse einem etwa ebenso grossen Kanin- chen in den Dünndarm injieirt. Der am andern Morgen entleerte Urin zeigt eine exquisite Gallen- farbstoff-Reaction. In derselben Weise wurde den Kaninchen auch die Blut- körperchen auflösende Substanz in das Blut der Pfortader ein- zuführen gesucht. Es wurde hier aus leicht begreiflichen Grün- den zu diesem Zwecke der Aether angewendet. 45. Einem kräftigen grauen Kaninchen werden p.p. 0,6 Grm. Aether in den Dünndarm gespritzt. Nach 5 Minuten vollständige 1'/ Stunden hindurch anhaltende Narkose, danach ziemlich schnelles Erwachen und weiterhin vollstän- diges Wohlbefinden. Der am nächsten Morgen entleerte alkalische Urin zeigt deutliche Gallenfarbstoff-Reaction. 46. a. Einem kleinen grauen Kaninchen werden 0,6 Grm, Aether unter die Haut gespritzt, 440 - B. Naunyn: Der am andern Morgen entleerte Urin frei von Gallenfarbstoff. b. Einem genau gleich grossen Kaninchen (von demselben Wurfe) werden 0,3 Grm. Aether in den Dünndarm gespritzt. Der Urin zeigt am andern Morgen sehr deutliche Gallenfarbstoff- Reaction. c. Dem ad b, benutzten Kaninchen, welches sich dauernd voll- kommen wohl befand, werden 4 Tage nach überstandener Operation 0,9 Grm. Aether unter die Haut gespritzt. In dem am andern Morgen gelassenen Urine keine Gallenfarb- stoff-Reaction. 47. Controllversuch. An einem Kaninchen (von demselben Wurfe mit den in den vorigen Versuchen angewendeten) wird dieselbe Ope- ration vorgenommen, indessen werden lediglich etwa 15 C.C. Luft in den Dünndarm injieirt. Kaninchen befindet sich danach vollkommen wohl. In dem am andern Morgen entleerten Urine kein Gallenfarbstoff. Die Resultate dieser Versuche sprechen in der That dafür, dass in der Leber eine Umbildung von Hämoglobin in Gallen- farbstoff Statt hat, so namentlich Versuch 46. b., in welchem eine Dosis von 0,3 Aether vom Darme aus das Auftreten jener Substanz im Urine bewirkte, während in 46. a. die doppelte Dosis bei einem gleich grossen und in 46. c. sogar die dreifache Dosis in demselben Thiere, bei Application durch subeutane Injection ohne Wirkung blieb '). Indessen ist das Resultat derselben zunächst mit Misstrauen aufzunehmen, obgleich Versuch 47 zu lehren scheint, dass die betreffende Operation an sich nicht als Ursache jener Gallen- farbstoffausscheidung anzusehen ist. Das Gleichgewicht von Aufnahme des Gallenfarbstoff in’s Blut und Zersetzung desselben eben dort, welches der Organismus in der Norm allerdings meist aufrecht zu erhalten weiss, ist ein viel zu labiles, als 1) Das Fehlen des Gallenfarbstoffs im Urine nach Einbringung von Arsenzink in den Magen steht nicht im Widerspruch mit den hier erhaltenen Resultaten, da, wie oben gezeigt, die Auflösung der Blut- körperchen durch Arsenwasserstoff nur bei Gegenwart von Sauerstoff Statt hat. Die Wirkung des vom Magen aus resorbirten Gases konnte sich in jenen Versuchen demnach wohl nicht im Blute der Vena por- tarum, sondern frühstens in demselben beim Passiren der Lungen- capillaren entfalten. Beiträge zur Lehre vom lIcterus, 441 dass experimentell hervorgebrachte Störungen desselben in Be- zug auf die Genese jener Substanz weiter als zu höchst un- sicheren Schlüssen führen könnten. Die weiteren Fortschritte auf diesem Gebiete sind wohl von dem eingehenderen chemischen Studium der Beziehungen zu erwarten, welche zwischen jenen beiden Substanzen, dem Hämatoidin und dem Bilirubin, und dann weiter zwischen er- sterer Substanz und dem Blutfarbstoff bestehen. Der Nachweis einer Methode zur Darstellung des Häma- toidins in grösseren Mengen würde, so darf man wohl behaup- ten, den in Rede stehenden Gegenstand weiter fördern, als die zahlreichen und scheinbar glänzendsten Resultate experimen- teller Forschung am lebenden Organismus. Die in vorstehender Arbeit mitgetheilten Untersuchungen sind in dem chemischen Laboratorium der hiesigen Anatomie ausgeführt. Die Benutzung der schönen Räumlichkeiten dieses Institutes wurde mir durch Herrn Geheimrath Reichert in liberalster Weise gestattet. Berlin, Mai 1866. 44? J. Schiffer: Ueber dıe Wärmebildung erstarrender Muskeln. Von Dr. JULIUS SCHIFFER in Berlin, Die in jüngster Zeit nach verschiedenen Krankheitsformen häufiger beobachtete postmortale Temperatursteigerung lenkte die Aufmerksamkeit auf die Erstarrung der Muskeln als die mögliche Ursache dieser Erscheinung. Man vermuthete die Wärmequelle in dem Uebergang der Muskelsubstanz aus dem flüssigen in den festen Aggregatzustand, und in der That hatte es viel Verlockendes, sich vorzustellen, dass jenes Leichen- phänomen auf einen Fundamentalsatz der Physik zurückzuführen sei. Während von mehreren Seiten dieser Punkt theils gele- gentlich, theils durch ad hoc angestellte Experimente behan- delt wurde, ohne dass es jedoch gelungen wäre, durch ent- scheidende Beweise den Sachverhalt festzustellen, erschienen die „Untersuchungen über den Stoffwechsel der Muskeln“ von Hermann, die dem Gegenstand ein erhöhtes Interesse ver- liehen. Bekanntlich ist dort sehr wahrscheinlich gemacht, dass der Öontraetion und der Erstarrung der Muskeln analoge che- mische Processe zu Grunde liegen. Es war in Folge dieser Analogie zu erwarten, dass auch beim Starrwerden der Mus- keln Kräfte frei werden, und zwar in Form von Wärme, da eine Arbeitsleistung der Muskeln hierbei fast gar nicht statt- findet. Angeregt durch diesen Gesichtspunkt nahmen Fick und Dibkowsky den Gegenstand in Angriff, und in der That Ueber die Wärmebildung u. s. w. 443 gelang es ihnen in ihrer Arbeit: „Ueber Wärmebildung beim Starrwerden der Muskeln,“ den experimentellen Beweis zu füh- ren, dass das Festwerden der Muskelsubstanz mit Wärmepro- duction verbunden sei. Sie tauchten zwei bis auf '/,,° C. graduirte Thermometer, deren eines um sein Quecksilbergefäss einen Mantel von frischem Muskelfleisch trug, in Wasser, das auf 45 bis 50° (je nachdem Frosch- oder Kaninchenmuskeln zum Ver- such dienten) erwärmt und auf dieser Temperatur längere Zeit constant erhalten wurde. Das mit dem Muskelfleisch um- wickelte Thermometer zeigte nun, sobald die Muskeln die Er- starrungstemperatur erreicht hatten, eine um 0,05—0,2° C. höhere Temperatur als das freie, trotzdem die Flüssigkeit fort- dauernd gut umgerührt wurde. Das Plus schwand augenblick- lich, so wie der Muskelmantel von dem Quecksilbergefäss ab- gestreift wurde, sonst nahm es erst allmälig wieder ab bis zur völligen Ausgleichung der beiden Thermometer. In einer zwei- ten Reihe von Versuchen, auf die ich später noch zurück- komme, suchten die Verfasser den Beweis zu führen, dass die Wärmeentwicklung mit dem Moment zusammenfällt, wo der erstarrende Muskel sich contrahirt, so «dass das Resultat der Arbeit schliesslich in den beiden Sätzen zusammengefasst wird: l. Wenn man einen Muskel zur Erstarrungstemperatur erwärmt, so wird in ihm Wärme frei, und 2. diese Wärmeentwicklung fällt gerade in die Zeit, wäh- rend welcher der erstarrende Muskel sich zusammen- zieht. Als die vorstehende Arbeit erschien, hatte ich eine Unter- suchung über denselben Gegenstand nahezu vollendet. Die Hauptresultate derselben sind in einer vorläufigen Notiz der No. 54. Jahrg. 1867 des Centralbl. für medie. Wissensch. mit- getheilt. Was zunächst den Grundversuch der Hm, Fick und Dib- kowsky anbetrifft, so habe ich denselben unter geringen Mo- dificationen mit positivem Erfolg wiederholt. In einem grossen Becherglase wurde ®/, °/, Cl. Na.-Lösung im Sandbade erwärmt. So wie die Flüssigkeit gegen 40° C. erreicht hatte, wurde die heizende Flamme entfernt.. Die Temperatur stieg nun langsam 444 J. Schiffer: noch mehrere Minuten hindurch an, blieb dann für kurze Zeit annähernd constant, um darauf wieder allmälig zu sinken. Auf eine längere Zeit andauernde, absolute Constanz der Tempera- tur verzichtete ich nach einigen misslungenen Bemühungen um so lieber, als dieselbe für die Beweiskraft des Versuches nicht wesentlich ist. Denn da der Muskel, wie man sich durch einen einfachen Versuch leicht überzeugen kann, ein schlechterer Wärmeleiter ist, als Wasser oder Kochsalzlösung, so muss er bei ansteigender Temperatur stets kälter bleiben, als die um- gebende Flüssigkeit. Zeigt er sich jemals wärmer, so ist a fortiori der Beweis geliefert, dass in ihm eine selbständige Wärmebildung stattgefunden. Natürlich darf das Ansteigen der Temperatur nicht zu rasch erfolgen, um nicht einen etwaigen geringen Zuwachs zu verdecken. Zur Messung dienten zwei Geissler’sche Thermometer mit !/,.° C. Theilung. Das cylin- drische Gefäss des einen war in die passend zugeschnittene Muskulatur eines seines Femurknochens beraubten Froschober- schenkels versenkt. Die Ablesung geschah mit dem Fernrohr, was bei der angegebenen, für diese Versuche etwas zu groben Thermometergraduirumg nicht zu umgehen war. Selbstverständ- lich wurde die Flüssigkeit, in der sich die Thermometer be- fanden, fortdauernd gut umgerührt. In den so vorbereiteten Ver- suchen fand ich übereinstimmend mit Fick und Dibkowsky, dass durch Wärme erstarrende Froschmuskeln selbständig Wärme produeirten, die eine Temperaturerhöhung um 0,05—0,07° C. er- zeugte. Man kann dies Phänomen schon bei 40—42° C. beobach- ten und braucht nicht erst bis auf 45°C. zu steigen. Es wäre von der höchsten theoretischen Wichtigkeit, die Gesammtmenge der auf diese Weise frei werdenden Wärme zu bestimmen; doch es ist sehr fraglich, ob die Schwierigkeiten eines solchen Versuchs zu überwinden sind. Was den zeitlichen Verlauf der Wärmeproduction angeht, so lassen die angeführten Versuche verschiedene Möglichkeiten offen. Entweder die Wärmebildung findet von Anfang an im überlebenden Muskel statt und steigert sich bei höherer Tem- peratur des Mediums continuirlich, um bei der Erstarrungs- temperatur allmälig ihr Maximum zu erreichen; oder die von Ueber die Wärmebildung u. s. w. 445 Anfang an vorhandene Wärmeproduction erfährt bei der Wärme- starre eine plötzliche Steigerung; oder endlich sie fällt ledig- lich zusammen mit der Erstarrung des Muskels und ist früher nicht vorhanden. Für die letzte Alternative entscheiden sich Fick und Dibkowsky, allein mir scheint der Versuch, auf den sie sich stützen, von Bedenken nicht frei. Im Wesentlichen besteht derselbe darin, dass an die eine Seite einer mit der Spiegelbussole verbundenen Wismuth - Antimonsäule, wie sie von Illner in Breslau nach Heidenhain’s Angabe gefertigt werden, ein lebender, an die andere ein gleichartiger todten- starrer Muskel angelegt und das Ganze in einen durch kochen- des Wasser erhitzten Brütofen gebracht wurde. Der lebende Muskel wurde mit einem Hebel verbunden, um Contractionen desselben anzuzeigen. Trotz mannigfacher uncontrollirbarer Schwankungen des Magnetspiegels sahen nun die Vff. doch mit ziemlicher Regelmässigkeit einen Ausschlag im Sinne einer Erwärmung des lebenden Muskels erst dann erfolgen, als sich derselbe, bis zur Erstarrungswärme erhitzt, contrahirte. Es ist aber sehr leicht möglich, dass durch die Contraction des er- starrenden Muskels ein Theil der früher bedeckten Fläche der Thermosäule entblösst und in directe Berührung mit der höher temperirten Luft des Brütofens gesetzt wurde, so dass hierdurch der erwähnte Ausschlag entstand. Man wird dies Bedenken nicht als den Ausdruck eines übermässigen Skepticismus gegen fremde Beobachtungen ansehen wollen; ich fand es nur um so mehr gerechtfertigt, als ich selbst ähnliche Versuche von Thermo- multiplicator anstellte. Die grossen unregelmässigen Ausschläge, die immer eintreten, wenn man eine empfindliche Thermosäule in einen erhitzten Raum bringt, lassen es sehr misslich er- scheinen, unter diesen Bedingungen subtile Messungen aus- führen zu wollen. Obwohl es mir nach und nach durch Varii- rung der Versuche gelang, mich vor den gröbsten Unregel- mässigkeiten zu schützen, fehlt es doch noch meinen Messungen an der nöthigen Constanz, um sie für weitere Schlüsse zu ver- werthen. Ich gab schliesslich diese Experimente auf, die mit dem Bestreben viel Aehnlichkeit hatten, den Ausschlag von einem 446 J. Schiffer: Gramm an einer feinen Wage bestimmen zu wollen, während ihre Schalen mit Kilo’s beworfen werden. Eben so wenig führte ein anderer Weg zu dem gewünsch- ten Ziel. Wenn es gelingt, die Temperatur einer Flüssigkeit regelmässig ansteigen zu lassen, so muss ein in dieselbe ge- tauchtes Thermometer, dessen Quecksilbergefäss mit lebender Muskelmasse bedeckt ist, Auskunft darüber geben, ob zu einer gewissen Zeit in den Muskeln eine plötzliche Wärmebildung stattfindet oder nicht. Bekanntlich gehört es aber zu den schwierigeren Problemen, die Temperatur einer Flüssigkeit re- gelmässig ansteigen zu lassen, und mir wenigstens gelang es nicht, es zu lösen. So beschränkte ich mich darauf, die in Rede stehende Frage per exclusionem zu entscheiden. Zu dem Zweck stellte ich eine Reihe von Versuchen ganz in der oben angegebenen Weise an, mit dem Unterschied jedoch, dass ich die Erwärmung der Flüssigkeit bis auf höchstens 38° C. trieb. Unter diesen Umständen konnte ich niemals eine Wärmepro- duetion in den Muskeln nachweisen, wie das der Fall ist, wenn man bis auf 40—42° C. erhitzt. Es scheint danach in der That, dass die früher angegebene Wärmebildung im Muskel erst im Moment seines Erstarrens durch Wärme auftritt; doch möchte ich diese Schlussfolgerung nur mit all’ der Reserve hin- stellen, mit der ein lediglich auf negativem Wege ermitteltes Resultat aufgenommen werden muss. Auf keinen Fall ist die Möglichkeit ausgeschlossen, dass schon vorher im noch völlig frischen Muskel eine geringe, thermometrisch nicht messbare Wärmeproduction stattfindet, die dann während des Erstarrens durch Wärme eine plötzliche, bedeutende Steigerung erfährt. Es schliesst sich hieran zunächst die Frage, ob auch bei den anderen Formen der Muskelstarre eine Wärmebildung statt- hat. Natürlich muss man hierbei absehen von der Tetanus- starre, gleichviel, ob sie auf mechanischem oder elektrischem Wege hervorgebracht wird und bleibt somit auf die Starre durch‘ chemische Agentien beschränkt. Von diesen habe ich erst dest. Wasser, Chloroform, Aether, Alkohol (20—25°/,), Essig“ säure (15 20°/,) und Milchsäure (10—12°/,) in einer Reihe von Vorversuchen auf die Art ihrer Wirkung geprüft, wenn sie, Ueber die Wärmebildung u. s. w. 447 wie das in meinen eigentlichen Versuchen geschah, von den Capillaren aus in die Muskeln eindringen. Zu diesem Zweck führte ich in den Bulb. aort. eines curarisirten Frosches eine Canüle ein (man erleichtert sich diese einfache Operation noch dadurch ausserordentlich, dass man eine Schieberpincette ans Herz anlegt und dadurch die ganze Partie gespannt erhält), schnitt darauf die Herzspitze ab und injieirte so lange °®/, °/, Kochsalzlösung, bis alles Blut ausgewaschen war. Die Injection geschah, um diesen Punkt hier ein für allemal zu erledigen, mittelst des, wenn ich nicht irre, von Ludwig hierzu zuerst verwertheten Selbstdrucks der Flüssigkeit. Die in den Bulb. äaort. eingeführte Canüle war durch einen Kautschukschlauch mit einem erhöht angebrachten Gefäss verbunden, das die In- jectionsflüssigkeit enthielt. An einer Schnur, die über eine Rolle lief, war das Gefäss so aufgehängt, dass es in verschie- dener Höhe festgestellt und somit der Injectionsdruck beliebig varüirt werden konnte. Nachdem der Frosch auf die angege- bene Weise durch Kochsalzlösung gut ausgespült war, wurde die zu prüfende Flüssigkeit injicirt. Alle die angeführten Stoffe machen die Muskeln in kurzer Zeit starr; am schnellsten Essig- säure und demnächst Alkohol; Milchsäure in 10—12 Mimuten; Chloroform, Aether und dest. Wasser in 15—20 Minuten '). Die Nebenwirkungen jedoch, die diese Substanzen hervorrufen, sind sehr verschieden. Während Chloroform, Aether und namentlich das dest. Wasser sehr heftige Muskelzuckungen bewirken, be- merkt man bei Alkohol, Essig- und Milchsäure kaum eine Spur davon. Bekanntlich sind grade die beiden letzten Agentien nach Kühne’s Angaben exquisite Muskelreize, aber der Wider- spruch, der hier zu bestehen scheint, löst sich, wenn man die Verschiedenheit der Applicationsweise erwägt. Taucht man, wie das in Kühne’s Versuchen geschah, einen frischen Muskel- querschnitt in eine reizende Flüssigkeit, so wirkt dieselbe plötzlich auf freiliegendem Muskelinhalt, und wenn dieser auch * < 1) Diese Angaben gelten für die Oberschenkelmuskeln, während der Gastroknemius, als schwerer ER ARE für die Me keit, später erstarrt | 448 J. Schiffer: momentan erstarrt, so pflanzt sich doch der Reiz auf eine Strecke nahezu intacter Muskelsubstanz fort. Anders, wenn die Flüssigkeit von den Capillaren aus in den Muskel eindringt. Ist sie mit Wasser mischbar, so umspült sie gleichmässig die ganze Muskelfaser und diffundirt allmälig zum Muskelinhalt, der, von einem anfangs ganz diluirten und langsam concentrir- ter werdenden Agens so zu sagen von allen Seiten beschlichen, in seiner ganzen Ausdehnung gleichzeitig erstarrt, ohne zu zucken. Der Reiz steigt stetig und verhältnissmässig langsam von 0 an; er wirkt nicht plötzlich und das ist bekanntlich eine nothwendige Bedingung für das Zustandekommen der Zuckung, Es ist ganz dasselbe Verhältniss, als wenn man einen Muskel- querschnitt zuerst in !/, °/, Cl. Na.-Lösung tauchte und diese dann allmälig, z. B. durch Essigsäure, verdrängen würde. Ist die Flüssigkeit mit Wasser nicht mischbar, wie Chloroform und Aether, so häufen sich Tropfen derselben zwischen den Muskel- fasern an, bis sie an einzelnen Stellen durch den steigenden Injectionsdruck durch das Sarkolemm zum Muskelinhalt gepresst werden. Sie wirken hier sofort in concentrirtem Zustande ein, während andere Partien der Muskelsubstanz noch intakt blei- ben, und so ist es erklärlich, dass länger andauernde Zuckun- gen zu Stande kommen. Bei dem dest. Wasser scheinen noch andere Verhältnisse mitzuwirken, schon das kommt in Betracht, dass es die Muskelsubstanz nicht so rasch tödtet, wie Alkohol und die angeführten Säuren. Die Richtigkeit der gegebenen Erklärung dahingestellt, so viel ging aus diesen Vorversuchen unzweifelhaft hervor, dass ich für meine weiteren Experimente vom dest. Wasser, dem Chloroform und Aether absehen und mich auf den Alkohol, die Essig- und die Milchsäure beschrän- ken musste. Zu den Versuchen selbst bediente ich mich der thermo- elektrischen Methode. Herr Geh. Rath Traube war so gütig, mir für diesen Zweck eine Wiedemann’sche Thermobussole zur Disposition zu stellen. Bei dem beschränkten Raum, den das Berliner physiologische Laboratorium bietet, konnte ich das Ablesungsfernrohr nur in einer Entfernung von 1'/, Mtr. zwi- schen Objectiv und Magnetspiegel anbringen. Um diesen Nach- Ueber die Wärmebildung u. s. w. 449 theil einigermassen zu compensiren, sah ich mich genöthigt, die Empfindlichkeit der Bussole durch eine möglichst vollständige Astasirung des Magnetspiegels zu steigern, wofür ich allerdings wieder ein geringes Wandern des Nullpunkts in den Kauf nehmen musste. Die Thermosäule bestand aus vier drahtförmigen Neusilber- Eisenelementen, die in der thermoelektrischen Span- nungsreihe dem Wismuth-Antimon zunächst stehen und für die technische Bearbeitung viel bequemer sind als diese. Die Drähte gut gefirmisst, ca. 12 Ctm. lang und 1 Mmtr. dick und durch endständige, zugespitzte Löthstellen verbunden, liefen über einen schmalen Holzsteg, der quer unter ihrer Mitte lag, so hinweg, dass sie beliebig leicht gebogen werden konnten. Die freien Enden der Säule konnten durch Klemmen mit den zum Multiplicator führenden Elektroden verbunden werden, Im Uebrigen genügt ein Blick auf die beigefügte Figur'), in der die Eisendrähte durch ausgezogene, die Neusilberdrähte durch punktirte Linien angedeutet sind, um den einfachen Bau der Säule zu veranschaulichen. Bei der Anordnung der beiden 1) Der Deutlichkeit wegen sind in der Zeichnung die Abstände der Drähte von einander etwas zu gross angegeben. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868- 30 450 J. Schiffer: Drahtrollen der Bussole neben einander, die sich für meine Versuche am zweckmässigsten erwies, war die Empfindlichkeit der beschriebenen Apparate so, dass 1 Mmtr. Ausschlag !/.,° ©. entsprach. Bei meinen Messungen handelte es sich immer nur um geringe Abweichungen des Spiegels vom Nullpunkt, noch innerhalb der Grenzen, in denen Proportionalität zwischen Stromstärke und Grösse angenommen werden durfte. Der Gedanke, der meinen Versuchen zu Grunde lag, war der, die Temperaturverhältnisse in schon starren und eben er- startenden Muskeln zu vergleichen, während sie sich sonst un- ter gleichen Bedingungen befanden und von der nämlichen Flüssigkeit durchströmt wurden. Dazu benutzte ich die folgende Anordnung. Ein curarisirter Frosch wurde mit ?/, °/,iger Koch- salzlösung in der früher angegebenen Weise gut ausgewaschen und darauf ein Bein desselben durch Immersion in auf 45° C. erwärmtes Wasser starr gemacht. Nach dieser Procedur wurde das Thier wieder abgekühlt, die Löthstellen der Thermosäule, wie erwähnt, je 4 auf jeder Seite, durch Hautschlitze in die Muskulatur der Oberschenkel versenkt und die Säule mit der Bussole verbunden. Der so hergerichtete Frosch wurde nun auf einem Brettehen in den feuchten Raum unter einen Glas- kasten gesetzt, vorher jedoch die von der ersten Injection im Bulb. aort. liegen gebliebene Canüle mit dem zugehörigen Kautschukschlauch verbunden, für dessen Durchtritt ebenso wie für die Elektroden Schlitze in dem Glaskasten angebracht waren. Nach diesen Vorbereitungen konnte der eigentliche Ver- such beginnen; ein Punkt jedoch bleibt noch vorher zu erör- tern. Die Bedingungen, die der starre und der lebende Ober- schenkel für den Durchtritt von Flüssigkeiten bieten, sind nicht die gleichen. In dem starren Bein sind die Gefässe verengt, zum Theil durch directen Einfluss der Hitze auf das Gefäss- rohr, zum Theil durch Compression von Seiten der geronnenen Muskeln, ausserdem ist ein Theil der Capillaren durch fest- sitzende Blutkörperchen, die immer zurückbleiben, so sorgfältig das Thier auch vorher ausgewaschen ist, verstopft. Injieirt man einem solchen Frosch mit etwas chinesischer Tusche angerie- benes Wasser in die Gefässe, so kann man in der Schwinm- Ueber die Wärmebildung u. s. w. 451 haut des lebenden Beins das Phänomen des Kreislaufs sehr schön hervortreten sehen, während am starren Bein wenig da- von zu finden ist. Die grossen Gefässe bleiben natürlich durch- gängig. Die Folge der erörterten Umstände ist, dass in der Zeiteinheit weniger Flüssigkeit in das starre Bein dringt, als in das lebende und das letztere daher rascher die Temperatur der injieirten Flüssigkeit annimmt. Zum Ueberfluss habe ich mich von der Richtigkeit dieser Annahme durch Versuche mit erwärmter Flüssigkeit überzeugt. Man muss deshalb zur Ver- meidung von Fehlern stets dafür sorgen, dass der Frosch und die Injectionsflüssigkeit gleich temperirt sind. Eine andere hier- her gehörende Cautele wird weiter unten erwähnt. Nach dieser Abschweifung nehme ich den Faden der Dar- stellung wieder auf. Wir hatten den Frosch unter dem Glas- kasten verlassen, nachdem alle Vorbereitungen zum eigentlichen Versuch schon getroffen waren. Es wurde nun zuerst dem Thier wieder Kochsalzlösung in der oben beschriebenen Weise injieirt und der Bussolenspiegel beobachtet. Es erfolgte kein Ausschlag. Jetzt wurde die Kochsalzlösung durch 15 °/,ige Essigsäuremischung ersetzt. Die Starre trat in dem von den Thermonadeln durchbohrten Oberschenkel‘ meist etwas lang- samer ein als sonst, wahrscheinlich weil die Gefässe zum Theil durch die Thermonadeln comprimirt wurden; der Magnetspiegel aber blieb in allen Fällen ruhig, in denen der Versuch rein verlief. Ebenso ergaben die Experimente mit Alkohol (20 °/,) und mit. Milchsäure (10 °/,) nur negative Resultate. Es ist selbstverständlich, dass bei Versuchen, wie die vorliegenden, oft Störungen eintreten, ‘die den eigentlichen Erfolg verdeckten; wo ich aber diese Störungen vermied, war das Ergebniss immer negativ. Die Muskeln verloren ihre Erregbarkeit, wurden weiss- lich-trüb und hart; der Magnetspiegel aber verhärrte ruhig in seiner Lage. Versuchstabellen führe ich nicht an, .da es sich um keine positiven Ermittelungen handelt. Einen Punkt bin ich noch zu berühren schuldig. Alle drei erwähnten Substan- zen bilden Wärme bei ihrer Mischung mit Wasser, und zwar in dem angegebenen Verhältniss Essigsäure 0,5° C., Milchsäure 0,6°C. und Alkohol 6°C, Da nun auch Wärme frei wird, 30* 452 J. Schiffer: wenn sich diese Mischungen ihrerseits wieder mit Wasser ver- binden, z. B. im Froschkörper, und da, wie bereits erörtert, die Flüssigkeiten rascher in das lebende Bein eindringen, als in das starre, so kann in jenem Anfangs mehr Wärme in der gleichen Zeit gebildet werden, als in diesem und ein Ausschlag des Magnetspiegels in dem betreffenden Sinne eintreten. Bei der Alkoholinjection kann man diesen Ausschlag beobachten; bei den übrigen Substanzen jedoch nicht wohl wegen der zu grossen Kleinheit der Temperaturdifferenzen. Aber auch beim Alkohol vermeidet man diese Störung und mit ihr eine Gele- genheit zu Fehlschlüssen, wenn man die Injection im Anfange langsam bewerkstelligt. Es ist hinreichend bekannt, dass Erstarrung und Gerinnung des Muskels nicht völlig identische Vorgänge sind und dass der Muskel fest werden kann, während andere Erscheinungen, die wir als charakteristisch für die Starre ansehen, fehlen. In sei- ‚ner berühmten Arbeit „über die angeblich saure Reaction des Muskelfleisches“ hat du Bois-Reymond nachgewiesen (S. 289), dass der Muskel durch Siedehitze gerinnt, ohne sauer zu wer- den, und dass auch in absolutem Alkohol erstarrte Muskeln nicht deutlich sauer reagiren (S. 310). Demnächst hat Her- mann gefunden (a. a. O. S. 102), dass die Kohlensäurebildung, die bei der spontanen und der Wärmestarre vorhanden ist, bei der Säurestarre fehlt. Zu diesen Ermittelungen stimmen sehr gut meine oben angeführten Befunde. Offenbar fällen die er- wähnten Substanzen, Alkohol, Essig- und Milchsäure, die Ei- weisskörper des Muskels, ohne zugleich jenen eigenthümlichen Spaltungsprocess auszulösen, der, abgesehen von der Ausschei- dung eines festen Gerinnsels, auch durch die Bildung von Kohlen- und fixer Säure und Wärme charakterisirt ist. Immerhin erfüllte mich die Reihe negativer Ergebnisse, von denen ich oben berichtet habe, mit einem gewissen Miss- trauen gegen die positiven, soweit ich sie bei der Wärmestarre beobachtet hatte; glücklicher Weise gelang es mir jedoch, auf einem anderen Wege eine Analogie für die letzteren zu finden, und zwar durch Versuche an Fischen. Für den vorliegenden Zweck vereinigen «diese Thiere in sich die Vorzüge der Kalt- Ueber die Wärmebildung u. s. w. 453 und Warmblüter, da sie, ausgestattet mit einer mächtigen Mus- kulatur, bald nach dem Tode erstarren, ohne zugleich wie die Warmblüter eine störende Abkühlung ihres Körpers zu erlei- den. Ich benutzte zu meinen Experimenten fast ausschliesslich Leuciscus erythrophthalmus (gem. Plötze). Das Thier wurde an ein kurzes lickes Brettchen, das mit Bleigewichten beschwert war, der Länge nach so befestigt, dass sein Kopf das eine Ende des Brettchens überragte. In die Rückenmuskulatur wurden darauf die vier Löthstellen der einen Seite der Thermosäule einge- stochen, die durch Klemmen mit den zur Bussole führenden Elektroden verbunden war, Der an dem beschwerten Brettchen befestigte Fisch wurde nun mit sammt der Thermosäule in ein Becken mit Wasser gesetzt, so dass alles, auch die Klemmen, ganz untertauchte. Von den Löthstellen der Thermosäule steck- ten also die vier der einen Seite in den Muskeln des Fisches, während die vier anderen sich frei im Wasser befanden und zwar stets der Oberfläche näher als jene. Nachdem der Bus- solenspiegel minutenlang eine nahezu constante Stellung ein- genommen hatte, wurde dem Fisch mittels einer starken Scheere der Kopf mit einem Mal abgeschnitten. Bei einiger Vorsicht lässt sich das vollziehen, ohne dass das Thier erheblich zuckt und ohne dass der Spiegel im Geringsten seine Stellung än- dert. Es schien mir deshalb auch nicht nöthig, die Fische für deı Versuch zu curarisiren '). Etwa '/, Stunde nach der Ent- 1) In einigen Fällen, wo ich eine subecut. Öurareinjection bei Fischen machte, fiel mir auf, dass nach den Erfahrungen am Frosch zu ur- theilen, verhältnissmässig sehr grosse Dosen von dem Gifte nöthig waren, ehe die Wirkung eintrat und dass sie auch dann noch nur langsam erfolgte. Als ich diesen Punkt bei Gegelegenheit eines Vor- trags im hiesigen physiologischen Verein hervorhob, machte Hr. Dr. Hermann darauf aufmerksam, dass die Ursache der Erscheinung wahrscheinlich in der raschen Ausscheidung des Giftes durch die Kie- men, die eine grosse, reich vascularisirte Oberfläche bieten, zu suchen sei. Danach würde das mitgetheilte Factum aus dem von dem ge- nannten Forscher in seiner Arbeit: „Ueber eine Bedingung des Zu- standekommens von Vergiftungen“ (Dieses Archiv, 1867, Seite 64 bis 75) entwickelten Princip von der Compensation der Aufnahme von Giften durch rasche Ausscheidung zu erklären sein. Beiläufig möchte ich hier eine kleine Beobachtung erwähnen, die ich an 454 J. Schiffer: hauptung fangen die Muskeln an sich zu trüben, reagiren deut- lich sauer und zucken auch auf starke elektrische Reize nicht mehr. Schon vorher zeigt der Spiegel einen allmälig wachsenden Ausschlag in dem Sinne, der ein Wärmerwerden des Fisches angiebt. Der nähere Gang ist aus der nachfolgenden Tabelle zu ersehen; die Versuchsanordnungen sind die oben. beschrie- benen, Versuch mit Leuc. erythrophth., 30. 11. 67. ZITTERN PD IV POamaSid | . | | Zeit Fon mn Grösse Temp. | | ! | der Able- hei ofle- u des Aus- de Bemerkungen. sung. | nem |..nem | schlags. Wassers. EHI TIME TBIER; Kreise. | | | an 1. 50. | 494 489 | — 5 | 12,5° ©.Der neg. Ausschlag be- 1. 1,55:+1,.1.493,5 489 |, — 4,5 | 12,55 deutet, dass der Fisch =: | 493,5 490 — 3,5 | 12,6 wärmer ist als das ah. 4.| 494,5 491 | — 3,5 |- 12,66 Wasser. 2. 8, | 495 | 491,8 | — 32 | 12,7 Kopf abgeschnitten. 2. ı1.| 497 | a8 | — 9,7 | 19,75 u » 14. | 497 4946| — 24| 128 | » 16. | 496,8 | 494 08 108° 0) 2: | 4972| 49371] .— 431 19,854 » 24. | 497,4 | 491,8 | — 5,6 | 12,9 38.| 49 4905, — 6,5 | 12,93 39.) #9 anna) Se | 28 485 of 487,4 7,6 | 13 | eh 495 487 —8 /3 „» 4.| 45 | 4865| — 85 | 131 | »„ 55.1 4956| 4864 | — 92 | 132° | 3. | 496,2 | 486,8 | — 9,4 | 13,2 | 3. 30.) 496,5 | 487,51 — 92 13,3 | 3. 50. 496 | 486,9 — 91 | 13,35 | bu | 88 | ı | 18,8 Ablesungen für hente 1. 12. 67. Be ae nr Si 106: | 497 |. 497,8 | + 0,8 | 12,6 ı so stehen gelassen. Versuch beendet. Fröschen machte. In 3 Fällen, wo ich darauf achtete, fand ich, dass unter sonst gleichen Bedingungen männliche Frösche viel grössere Curaremengen verbrauchen, ehe sie gelähmt werden, als weibliche. Ueber die Wärmebildung u s. w. 455 Für jede Ablesung wurde, wie Columne II ergibt, der Nullpunkt des Spiegels wegen seiner Inconstanz besonders be- stimmt. Aus den. mitgetheilten Zahlen ergiebt sich, dass der Fisch anfangs ein wenig wärmer war als das Wasser. Während die Differenz und mit ihr der Ausschlag abnimmt, wird dem Thier der Kopf abgeschnitten. Kurze Zeit geht der Spiegel noch in der alten Richtung fort, bis er 8 Minuten nach der Operation anfängt in der entgegengesetzten zu wandern, zum Zeichen, dass die Temperaturdifferenz wieder zunimmt. Der Ausschlag wächst von nun an continuirlich und erreicht ca. °/, Stunden nach der Decapitation sein Maximum, nämlich 9,4 Milli-, mtr, Da 1 Mmtr, gleich !/,0° C., so entspricht dies 0,156° C. und selbst wenn man den Ausschlag von 2,4 Mmtr., der um 2b 14m abgelesen wurde, als constant annimmt, so bleiben noch immer 7 Mmtr. gleich 0,11°C, Was ist die Ursache dieser Erscheinung? Es kann nicht meine Absicht sein, hier alle irgend erdenk- lichen Möglichkeiten zu discutiren, die sich als hinfällig er- weisen, so wie man einen Blick auf die mitgetheilte Tabelle wirft. Das wäre eine zwar wohlfeile, aber unnütze und ermü- dende dialektische Spielerei. Zunächst constatire ich kurz, dass Muskelzuckungen während des Versuchs, namentlich bei der Decapitation, nicht stattgefunden haben. Was die geringe Tem- peraturzunahme des Wasser anbetrifft, über die Columne V Auskunft giebt, so musste dieser Umstand grade eine entgegen- gesetzte Ablenkung des Spiegels hervorrufen, als sie wirklich stattfand. Denn da die Muskelmasse, wie schon früher erwähnt worden, ein schlechterer Wärmeleiter ist, als das Wasser, so ‘musste sie auch weniger rasch erwärmt werden, als dieses. Es ist ferner ausdrücklich hervorgehoben worden, dass die im Wasser befindlichen Enden der Thermosäule der Oberfläche näher waren, als die in der Muskulatur des Fisches versenkten. Man könnte nun noch hydro£lektrische Stromwirkungen für den Ausschlag in Anspruch nehmen wollen. Denn wenn auch die Thermonadeln gut gefirnisst waren, so bleibt es natürlich immer möglich, dass an einzelnen Stellen metallische Flächen frei- lagen. Gegen diese Vermuthung spricht aber erstens der ganze 456 J. Schiffer: Gang des Ausschlags. Denn wenn solche Ströme bestanden, so waren sie von dem Moment an vorhanden, wo die Thermo- säule in das Wasser getaucht wurde, und mussten also wäh- rend des ganzen Versuches in gleicher Weise wirken; wenig- stens ist ein Zusammenhang zwischen ihrer Entstehung und der Decapitation von Fischen bisher noch nicht nachgewiesen. Zweitens spricht dagegen die Grösse des Ausschlags, da für diese an sich sehr schwachen Ströme der Multiplicatorkreis eine verhältnissmässig sehr widerstandsreiche Nebenschliessung bil- den würde, wie die Fig. schematisch veranschau- licht. Seien a und b zwei Punkte der Thermo- säule, zwischen denen eine Stromentwicklung stattfindet, so bildet ein Element der Säule, das aus kurzen dicken Drähten besteht, den Schlies- Er unpebogen für wen Smoms ee dagegen — Täuschungen aus älleer Quelle noch dadurch zu schützen, Are ich nicht immer dieselben Enden der Thermo- säule in den Fisch einstach, sondern damit abwechselte. So bleibt meines Erachtens keine andere Erklärung zulässig, als jenen Ausschlag auf eine Wärmeentwicklung zurückzuführen, die bald nach der Decapitation in dem Thiere beginnt. Hier lie- gen nun wieder zwei Möglichkeiten vor; man kann die Gerin- nung des Blutes oder die Erstarrung der Muskeln als die Wärmequelle ansehen. Aus späteren Versuchen ergiebt sich in der That, dass bei der Gerinnung des Blutes Wärme frei wird; aber dieser Umstand kommt hier kaum in Betracht, weil bei der Decapitation des Thieres fast das ganze Blut ausfliesst. So führt die ganze Argumentation zu dem Resultat, dass die beobachtete Wärmeproduction lediglich auf die Erstarrung der Fischmuskeln zurückzuführen sei. Ich will hier noch hervor- heben, dass die Wärmeproduction beginnt, lange bevor man die gröberen Zeichen der Starre wahrnehmen kann, zu einer Zeit, wo die Muskeln noch gut erregbar sind. Auf die Bedeutung dieses Punktes komme ich später wieder zurück. Wie lange Ueber die Wärmebildung u. s. w. 457 das Maximum des Ausschlags bleibt, habe ich nicht sicher er- mittelt. Es scheint, dass es stundenlang anhält, bevor ein Sin- ken eintritt, doch fehlen mir sichere Erfahrungen. Jedenfalls verhindert die ausserordentlich schlecht leitende Schuppendecke eine rasche Abkühlung; vielleicht sind später auch beginnende Fäulnissprocesse von Einfluss. Natürlich schwindet der Aus- schlag sofort, wenn man das Wasser längere Zeit kräftig um- rührt. Bestimmte Werthe über die Wärmezunahme erstarrender Fische möchte ich nicht angeben. Die Zahlen, die man in den einzelnen Versuchen erhält, sind sehr verschieden, und in der That concurriren hier auch mehrere schwer zu controllirende Umstände: Temperaturverhältnisse des Wassers, Masse des Thiers, Tiefe bis zu der die Löthstellen der Thermosäule ein- gestochen sind u. s. w. Es scheint auch, dass bei den einzel- nen Arten Verschiedenheiten existiren. Wenigstens sah ich in zwei Versuchen mit Perca fluviatilis’) eine geringere Wärmepro- duction, als bei Leueiscus erythrophthalmus. Bei etwa 15—20 Ctm. grossen Exemplaren der letzteren Art, wie ich sie gewöhn- lich benutzte, belief sich die beobachtete Wärmezunahme in der Regel auf etwas mehr als 0,1° C., niemals erreichte sie 0,2° C. Ausser bei den Muskeln beabsichtigte ich auch bei anderen coagulirenden Substanzen den Gerinnungsact auf Wärmebildung zu untersuchen. Ich benutzte hierzu zuerst Hydroceleflüssigkeit, die ich durch fibrinoplastische Substanz zum Gerinnen bringen wollte, aber alle meine Versuche nach dieser Richtung miss- glückten schon in diesem Vorstadium. Auch von der Milch musste ich absehen, weil dieselbe nur unter Einwirkung von Säuren rasch gerinnt; hierbei aber die durch Vermischung der Säure mit dem Wasser gebildete Wärme nicht zu eliminiren ist. Glücklicher war ich in meinen Versuchen mit Blut. Ich benutzte hierzu Pferdeblut, das bekanntlich verhältnissmässig langsam gerinnt; besonders die ersten dem Thier entnommenen 1) Es hat mich sehr freudig überrascht, als ich nachträglich in der bereits eitirten Arbeit von du Bois-Reymond (a.a. 0. S. 310) die Angabe fand, dass das erstarrende Barschfleisch nicht deutlich sauer werde. Es scheint danach, dass die nämlichen Ursachen der Säuerung und der Wärmebildung zu Grunde liegen. 458 J. Schiffer: Portionen desselben. Die Experimente, die ich in der hiesigen Thierarzneischule ausführte, wurden folgendermassen angestellt. Aus einer Aderlasswunde wurde eine Portion Blut in einem Becherglase aufgefangen; eine zweite in einer Flasche, die durch gute Umhüllung mit Watte vor Abkühlung möglichst geschützt war, Durch den durchbohrten Kork der Flasche wurde ein Geissler’sches, in '/,, C. getheiltes Thermometer so hindurch gesteckt, dass sein Quecksilbergefäss in dem Blute untertauchte. Die Abkühlung des Blutes in der Flasche erfolgte nun sehr langsam, und wenn bei der Gerinnung eine merkliche Wärme- bildung stattfand, so musste der Gang der Abkühlung hierüber Auskunft geben. Die Zeit der Gerinnung konnte an dem im Becherglas befindlichen Blut bestimmt werden. Ich habe drei solche Versuche angestellt, alle mit dem nämlichen positiven Erfolg. Die näheren Daten giebt die nachstehende Tabelle, in der die Ablesungen von 2 zu 2 Minuten verzeichnet sind, um die Zahlencolumne nicht zu sehr anschwellen zu lassen. Beim Versuch selbst las ich jede halbe Minute ab. Den 8. 12. 1867, I: mi Abus gi Rita NE at - ‚Temperat.. Grösse Mittel für, Alde .' des |der Ab- | die sungszeit,. Blutes. | kühlung. | Minute. | 7b. 50. | 33°C, | | | 59. er | 54 33,8 56. | 33,2 | 0,6 m 58. ı 32,4 0,8 Dat | 8 n 32,13 | 0,27 0,135 | Das Blut in dem Becher- 2.18 0,13 | 0,065 | glase fängt an zu ge- 4 |. 32 | 0,0 | 090 | rinnen. 6 31,88 | 0,12 | .0,06 8.| 31,73 | 015 | 0,07 10,|.8,51 | 022 | 011 | 12. | 31,26 | 0,25 |! 0,125 1.81 9) vos | 16. | 30,7 0,30 | 0,15 18. | 30,42 0,28 | 0,14 20.| 20,15 0,27 | 0,135 22. | 29,85 0,30 | 0,15 Ueber die Wärmebildung u. s. w. 459 Die beiden ersten Ablesungen fielen in eine Zeit, wo das Thermometer die Temperatur des Blutes noch nicht ange- nommen hatte. Den höchsten Stand erreichte es um 7b 53m, nämlich: 34,1. Den übrigen Theil der Tabelle kann man in drei Abschnitte bringen. In dem ersten sinkt die Temperatur des Blutes mit erheblicher, aber deutlich abnehmender 'Ge- schwindigkeit; im zweiten bleibt sie nahezu constant; im drit- ten fällt sie wieder mit allmälig wachsender Geschwindigkeit. Die Zahlen sind hierfür so schlagend wie möglich. Von 7h 54w bis 8h fällt das Thermometer um 1,67° C., also im Mittel für die Minute um 0,28° C.; von 8h bis $h 6m nur um 0,25, was für die Minute. ein Mittel von 0,04° C, giebt; von 8h 6m bis 8h 12m wieder um 0,62° C. gleich einem Mittel für die Minute von 0,1°C. u. s. w. Offenbar bleibt während des ganzen Ver- suchs die Wärmeabgabe des Blutes für jede Minute nahezu die gleiche, denn ceteris paribus hängt dieselbe ab von der Tem- peraturdifferenz des Blutes und der umgebenden Luft. Die letztere war höchstens 12—14° C. warm; es änderte sich, also jene Differenz im Laufe des Versuchs verhältnissmässig sehr wenig. Wenn aber die gefundenen Werthe so erheblich von einander abweichen, so ist dies nur dadurch zu erklären, dass während des Versuchs eine neue Wärmequelle hinzukommt. Ihr Einfluss beginnt am Ende des ersten Abschnitts, compen- sirt während des zweiten den Verlust durch Abkühlung fast ganz; besteht aber dann fort, allmälig schwächer werdend, bis an das Ende des Versuchs und darüber hinaus. Denn während das Blut um 75 58m bei einer Temperatur. von 32,4° C. in je- der Minute 0,4° C, abgiebt, verliert es um 8h 22m, wo es noch 29,85° C. warm ist, nur 0,15 in der Minute, und doch hatte es sich der Temperatur der umgebenden Luft noch wenig ge- nähert. Worin anders will man aber die vorhandene Wärme- quelle suchen, als in der gleichzeitig stattfindenden Gerinnung des Blutes? Zu der ganzen Reihe von Analogien, die schon Brücke zwischen der Gerinnung des Blutes und der Erstarrung der Muskeln hervorgehoben hat, kommt nun eine neue und, wie mir scheint, sehr wesentliche hinzu: bei beiden Processen findet 460 J. Schiffer: Wärmebildung statt. Die Annahme, dass beide Vorgänge iden- tischer Natur sind, wird dadurch immer wahrscheinlicher. Es sei mir hier gestattet, mit einigen Worten auf die Ur- sache der bei beiden Processen nachgewiesenen Wärmeproduc- tion einzugehen. A priori liegen hier zwei Möglichkeiten vor. Entweder kann man den Uebergang aus dem flüssigen in den festen Aggregatzustand als die Ursache ansehen, oder die bei der Erstarrung resp. Gerinnung stattfindenden chemischen Vor- gänge. Gegen die erste Annahme sprechen erhebliche Gründe. Die Menge des Blutfibrins ist so gering (0,2°/,), dass man sich schwer vorstellen kann, wie eine Veränderung seines Aggregat- zustandes einen merklichen Einfluss auf die Temperatur der gesammten Blutmasse haben solle. Man müsste dem Fibrin einen enormen Vorrath an latenter Wärme zuschreiben, beson- ders wenn man erwägt, dass es doch nur aus dem flüssigen in den gallertigen, nicht eigentlich festen Zustand übergeht. Fer- ner haben die Versuche an Fischen gezeigt, dass die Wärme- bildung zu einer Zeit beginnt, wo von einer Gerinnung des Muskelfibrins noch nicht die Rede sein kann. Endlich gelingt es ja, und das ist wohl entscheidend, das flüssige Muskelfibrin zu coaguliren, ohne dass hierbei eine merkliche Wärmebildung stattfindet. Das ergeben die früher angeführten Versuche mit Alkohol, Essig- und Milchsäure. Unzweifelhaft ist also der Einfluss der Veränderung des Aggregatzustandes so minimal, dass er sich der Messung entzieht und es bleibt daher nur übrig, die Wärmebildung bei der Starre resp. Gerinnung auf chemische Processe zurückzuführen. Es ist in der vorstehenden Abhandlung wiederholt der Punkt berührt worden, ob die Wärmebildung lediglich dem Er- starrungsprocess, wie er sich der grob sinnlichen Wahrnehmung bietet, eigen oder ob sie schon am ausgeschnittenen, im Sinne der Physiologen noch lebenden Muskel nachzuweisen ist. Der Gegenstand ist für die Lehre von der Starre von hoher Wich- tigkeit. Es ist die Frage, ob man die Starre als einen Vor- gang sui generis betrachten soll, der über den Muskel eine bestimmte Zeit, nachdem er der Bluteireulation beraubt ist, mit einer gewissen Plötzlichkeit hereinbricht, oder wie dies Her- Ueber die Wärmebildung u. s. w. 461 mann thut, nur als das Endglied einer fortlaufenden Kette von Erscheinungen, die schon im noch lebenden Muskel thätig sind. Da uns das Wesen der chemischen Processe im lebenden und erstarrenden Muskel bisher noch unbekannt ist, so müssen wir uns zur Entscheidung der gestellten Frage vorerst noch an die Erscheinungen halten. Als charakteristisch für die Starre, wenn wir von den negativen Eigenschaften absehen, sind bisher fest- gestellt die Ausscheidung eines festen, trüben Gerinnsels, die Bildung von fixer und von Kohlensäure und ausserdem von Wärme. Schon bis jetzt sind mehrere dieser Erscheinungen als gemeinsam nachgewiesen sowohl dem erstarrenden, wie dem völlig frischen ausgeschnittenen Muskel. Für die CO, -Bildung hat dies Hermann (a. a. O. S. 27) gethan; ausserdem hat der- selbe Forscher gefunden (a. a. ©. S. 73), dass der ruhende Müs- kel unter Umständen sauer reagirt, bevor er noch seine Erreg- barkeit eingebüsst hat. Ich hoffe nun nachzuweisen, dass auch für die Wärmebildung diese Gemeinsamkeit existirt. Zu den ersten Versuchen über diesen Gegenstand diente wiederum der Frosch. Die Präparation erfolgte ganz in der früher beschriebenen Weise. "Das Thier wurde curarisirt, mit Kochsalzlösung ausgewaschen, ein Bein wärmestarr gemacht, wieder abgekühlt und darauf je vier Enden der Thermosäule in die Oberschenkel des lebenden und des starren Beins ein- gestochen. Das Ganze wurde in einen feuchten vor Luftzug geschützten Raum gesetzt. Es sollte sich nun zeigen, ob unter gleichen äusseren Bedingungen die lebenden Muskeln wärmer sind, als die starren. Da es sich voraussichtlich nur um sehr geringe Differenzen handeln konnte, so brachte, ich trotz der Schwierigkeiten des engen Raums für diese Versuche, das Ab- lesungsfernrohr in grösserer Entfernung von der Bussole an, so dass ich eine Empfindlichkeit von nahezu '!/,o0° C. für einen Millimeter Ausschlag erzielte. In einer Reihe solcher Versuche, von denen einzelne sich auf einen Zeitraum von drei Tagen er- streckten, fand ich constant einen Ausschlag von 2 bis 3 Milli- metern in dem Sinne, der eine grössere Wärme des lebenden Schenkels anzeigte. In den wenigen Fällen, wo ich den Ver- such bis zur Erstarrung. der Muskeln fortsetzte, sah ich den 46? J. Schiffer: Ausschlag nicht mehr, nachdem die Starre eingetreten war. Die Zeit zu bestimmen, wann dieser Ausschlag beginnt, war mir bei diesen Versuchen nicht möglich. Es ist nämlich viel schwieriger die Thermonadeln in das lebende Bein einzustechen, als in das starre; und da man deshalb an dem ersteren länger manipuliren muss, so wird es auch mehr erwärmt, als das zweite. Der durch diese Differenz bedingte, erst allmälig schwindende Ausschlag geht in der Regel unmittelbar und ohne scharfe Grenze in den oben erwähnten constanten über. Was diesen letzteren anbetrifft, so ist er so gering, dass er, wenn man noch die grosse Empfindlichkeit des messenden Apparats in Betracht zieht, nur eine schwache Stütze für weitere Schlüsse bieten kann. Man könnte u. A. einwenden, dass durch das Einstechen der Thermonadeln einzelne Muskelfasern zerreissen und in Folge der Verletzung ihr Inhalt erstarrt und dass hierin die geringe Wärmequelle zu suchen sei. Freilich wäre es schwer zu denken, dass diese Quelle tagelang fliessen solle, aber ich gebe doch gern zu, dass diese Versuche für sich allein wenig beweiskräftig und wenig geeignet sind, als alleinige Grundlage für weitere Folgerungen zu dienen. Anders gestal- ten sich die Verhältnisse, wenn man die an Fischen gemachten Experimente hinzunimmt. Wenige Minuten nach der Decapi- tation zeigt der Ausschlag des Bussolenspiegels eine Wärme- produetion in den Fischmuskeln an. Von den Zeichen der Starre ist noch nichts vorhanden. Die Muskeln sind noch gut erregbar und sehen frisch aus. Diese Wärmebildung nimmt langsam, aber eontinuirlich, nirgend sprungweise zu, bis sie mit der ausgeprägten Starre ihr Maximum erreicht hat. Hat man diese an den Fischen gemachten Erfahrungen im Auge, so er- scheint es auch mehr berechtigt, die oben angeführten Frosch- versuche so zu deuten, dass in der That eine stetige geringe Wärmeproduetion in den überlebenden Muskeln bis nach er- folgter Starre stattfindet. Ich bin oben von der Frage ausgegangen, ob die Starre als ein Vorgang sui generis oder nur als das Endglied einer Kette von Erscheinungen aufzufassen sei, die schon im frischen noch völlig erregbaren Muskel vorhanden sind. Die angeführten Uebar die Wärmebildung u. s. w. 463 Versuche sprechen für das letztere und sie fallen um so mehr in die Wagschale, als früher nachgewiesen ist, dass die Wärme- production auf chemische Processe im Muskel zurückzuführen ist. Danach dürfte man schliessen, dass diese Processe im völ- lig frischen, aber der Blutzufuhr entzogenen und im erstarren- den Muskel dieselben sind. Ob diese Wärmebildung schon im Muskel des lebenden Thieres vorhanden und auf die nämlichen Ursachen zurückzuführen sei, das ist meine Aufgabe nicht, hier zu erörtern. Es genügt mir, eine neue Stütze für die Annahme beigebracht zu haben, dass das Erstarren kein scharf abgegrenz- ter Zustand ist, wie man das etwa aus den Bezeichnungen „überlebender“ und „erstarrender* Muskel schliessen könnte, Als Sprachbehelfe mögen diese Ausdrücke passiren; man muss sich nur erinnern, dass sie quantitativ und nicht qualitativ ver- schiedene Zustände bezeichnen. Von dem Moment also, wo dem Muskel die Bluteirculation entzogen ist, beginnt er abzusterben und die hierbei thätigen Processe dauern continuirlich fort bis zum Eintritt der Starre, die sich allmälig durch jene Processe entwickelt. Während die- ser Zeit werden in dem Muskel fortdauernd lebendige Kräfte frei: Elektrieität, wie wir schon früher wissen, und Wärme, wie neuerdings gezeigt ist. Demnach folgt aus dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft, dass cet. par. der starre Muskel ärmer an Spannkräften ist, als der lebende. Würde man von zwei genz gleichartigen Muskeln den einen rasch starr machen und dann die Verbrennungswärme beider bestimmen, so müsste dieselbe sich grösser ergeben für den lebenden als für den starren Mus- kel, und zwar grade um so viel, als der Verlust an lebendigen Kräften während des Erstarrens betrug. Es wäre von funda- mentaler Wichtigkeit für die Muskellehre, die Grösse dieser Differenz zu bestimmen; aber die Schwierigkeiten eines solchen Versuchs sind derartig, dass man seine Ausführung wohl für immer in das Reich der frommen Wünsche verweisen muss. Fassen wir die Resultate der vorstehenden Arbeit zusam- men, so ergiebt sich zum Theil in Bestätigung des schon von Fick und Dibkowsky Gefundenen: l. Nach Unterbrechung der Blutzufuhr findet in den Mus- 464 J. Schiffer: Ueber die Wärmebildung u. s. w. keln während der ganzen Zeit des Absterbens eine Wärme- production statt, die continuirlich andauert, bis Starre einge- treten ist. 2. Bei einer Temperatur von 40° C. und darüber, die also sofort Starre bewirkt, erfährt diese Production wahrscheinlich eine plötzliche Steigerung. 3. Bei der Gerinnung des Blutes wird ebenso, wie beim Erstarren der Muskeln, Wärme frei. 4. Die Ursache der Wärmebildung liegt nicht in einer Veränderung des Aggregatzustandes, sondern sehr wahrschein- lich in den der Erstarrung zu Grunde liegenden chemischen Processen. Zum Schluss sage ich Herrn Prof. du Bois-Reymond, in dessen Laboratorium die vorstehende Arbeit ausgeführt ist, für seine Liberalität den innigsten Dank; ebenso Herrn Prof. Rosenthal, der mich durch seinen freundlichen Rath auf das Wirksamste unterstützt hat. H. Nitsche: Beiträge zur Anatomie u. s. w. 465 Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte der phylactolaemen Süsswasserbryozoen, insbe- sondere von Alcyonella fungosa Pall. sp. Von H. NıtscHe. (Hierzu Tafel XI—XIV.) Von den Bryozoen des süssen Wassers wurde zuerst das jetzt unter dem Namen Lophopus crystallinus Pall. sp. aufge- führte Thier bekannt. Trembley und Baker entdeckten es unabhängig von einander, und'beschrieben es, ersterer als „Po- lype a Panache* im Jahre 1744, letzterer als „Bell-Hower Ani- mal“ im Jahre 1753. Seit dieser Zeit ist die Bearbeitung die- ses Theiles der Zoologie beinahe ausschliesslich englischen, fran- zösischen und niederländischen Forschern überlassen geblieben; unter den wenigen deutschen Bearbeitern hat nur Meyen einen entschiedenen Fortschritt in der' Naturgeschichte dieser Thiere hervorgerufen, indem er der von ©. F. Müller zuerst unter dem Namen Leucophra heteroclyta zu den Infusorien gestellten Entwickelungsstufe von Alcyonella den richtigen Platz anwies, und so den Grund legte zu der Entwickelungsgeschichte der Süsswasserbryozoen. Dagegen ist unsere Kenntniss der Anato- mie dieser Thiere hauptsächlich an die Namen von Dumortier, van Beneden, Raspail, Gervais, Dalyell, Turpin, Han- cock und Allman geknüpft, und besonders haben Dumor- tier und van Beneden’in Belgien, und Allman in Schott- wi land, seitdem sie dieses Gebiet betreten, dasselbe beinahe aus- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 3ı » = ee Er ee LINE EN er een « a RR ws Mc Y gan 23T Ur 2 Tu Eee / NE a 13 P 466 H. Niteirhor en schliesslich beherrscht. Zuletzt hat Allman seine, in verschie- na denen Zeitschriften zerstreuten Beobachtungen zu einer Monogra- phie zusammengefasst. Seit dem epochemachenden Erscheinen dieses ausgezeichneten Werkes unter dem Titel „A Monograph of the Fresh-water Polyzoa. London 1856“, hat unsere Kennt- niss der Anatomie der Süsswasserbryozoen keinen Schritt vor- wärts gethan. Die seit 1856 gemachten Publikationen beschrän- ken sich auf die Beschreibung einiger neuer Species. Auf den folgenden Seiten ist der Versuch gemacht worden, von Neuem die Anatomie und einen Theil der Entwickelungs- geschichte der phylactolämen Süsswasserbryozoen an Alcyonella fungosa zu erläutern, und zwar mit grösserer Berücksichtigung der Histologie, als bisher geschehen. Zwar mag es für einen Anfänger gewagt erscheinen, die Bearbeitung eines Stoffes zu unternehmen, der bereits so viel- fach von Meistern behandelt worden ist, indessen wird bei dem schnellen Fortschritt der Wissenschaft eine Revision der be- kannten Thatsachen nach Verlauf von zwölf Jahren wohl nicht ganz unangebracht sein. Die Anregung zu dieser Arbeit ver- danke ich meinem verehrten Lehrer, Herrn Dr. A. Schneider, der mich auch während der ganzen Dauer meiner Untersuchun- gen auf das Gütigste mit seinem Rathe unterstüzt hat. Ihm dafür an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank auszusprechen, . ist mir eine angenehme Pflicht. Auch Herr Geheimrath Rei- chert hat mich durch die freundliche Darleihung der Allman- schen Monographie tief verpflichtet. Da Allman die ganze einschlagende Literatur auf das Sorgfältigste benutzt hat, so brauche ich mich allein auf seine Monographie zu beziehen. Seine neue Terminologie ist allge- mein angenommen worden, und dieselbe wird im Folgenden ebenfalls benutzt werden, mit Einschluss der von Allman adop- tirren Huxley schen Bezeichnungen „Neural- und Hämalseite“ für Rücken und Bauchseite. Es ist aber leicht ersichtlich, dass diese Bezeichnungen bei dem Mangel eines Blutgefässsystemes sehr gesucht sind, und dass ihre Berechtigung überhaupt nur auf der Vergleichung der Bryozoen mit den Tunicaten beruht. Auch sind diese Ausdrücke für die Mollusken überhaupt in Fig. 1. Schematische Darstellung einer phylactolae- men Süsswasserbryozoe; ausgestülpt. Das Thier ist durch einen Schnitt, der durch die Mittellinien der Hämal- und Neuralseite ge- legt ist, halbirt, 7 Tentakelkrone, $ Tenta- kelscheide, D Duplicatur, EN Endocyste, EK Ectocyste, F Funiculus, M Muskeln, e Epistom, g Ganglion, oes Oesophagus, rect. Reetum, v Magen, p' vordere Parietovaginal- muskeln, p‘ hintere Parietovaginalmuskeln. Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 467 Deutschland durchaus nicht allgemein ge- bräuchlich; indessen waren passendere Aus- drücke nichtzu finden, indemdievonAllman verworfenen Aus- drücke: „Rücken-und Bauchseite* wirklich zu viel sagen, und auch die Bezeichnun- gen „Darm- und Schlundseite“, die den grossen Vorzug haben, auf wirklichen Ver- hältnissen zu beruhen, nicht wohl anwendbar sind, da man alsdann bei der Beschreibung des Darmtractus auf zu grosse Schwierig- keiten stösst. Die Neuralseite, zu- nächst des Oesopha- gus, ist diejenige, der das Ganglion (g) auf- liegt, die Hämalseite ist die entgegenge- setzte. Vondem Oeso- phagus werden dann diese Bezeichnungen auf die entsprechen- den Seiten aller übri- gen Organe übertra- gen. In der neben- stehenden Figur ist 3ı* > z * nt u eh" h et » ee is " EN Er FT . y- Y f “ FARN: u NET 468 H. Nits che: die linke Seite die Hämalseite, die rechte hingegen die Neu- ralseite. Alcyonella fungosa wurde für diese Untersuchungen ge- wählt, weil dieselbe, in den Gewässern des Berliner Thiergar- tens in Menge vorkommend, am leichtesten zu beschaffen war, und sich ausserdem durch ihre Grösse empfiehlt. Alcyonella fungosa ist eine wohl characterisirte Species. Zuerst 1768 von Pallas beschrieben als Tubularia fungosa, stellte Lamarck 1816 für sie das Genus Alcyonella auf, das im Augenblick noch zwei weitere Species umfasst. Die Charaktere der Gattung Aleyonella sind nach Allman: die dichte Zusammendrängung der durch Knospung verästelten Chitinröhren, die Endständigkeit der sogenannten Oeffnungen der Zellen, und die elliptische Form der Statoblasten, welche mit einem Schwimmringe versehen sind, aber der Randhaken, die bei Cristatella vorkommen, entbehren; während als Special- charaktere angegeben werden für A. fungosa: die senkrechte Richtung der Röhren gegen die Unterlage, das Fehlen einer durchsichtigen Furche an jeder Röhre, und die ziemlich bedeu- tende Breite der Statoblasten im Verhältniss zu ihrer Länge. Die Literatur dieser Species ist von Allman |. c. S. 87 genau zusammengestellt worden, so dass ich alsbald zur Ana- tomie übergehen kann. Im Grossen und Ganzen werde ich dem Gange folgen, den Allman in dem allgemeinen Theil sei- ner Monographie eingeschlagen hat, und ich beginne daher mit der Leibeswand. Die Leibeswand. Die Leibeswand bildet einen ringsum geschlossenen Sack, der nur am vordersten Ende. von dem Mund und dem After durchbohrt wird. Sein vorderer Theil ist einstülpbar, so dass bei dem zurückgezogenen Thiere die Tentakelkrone, welche den Mund umgiebt, durch ihn wie von einer Scheide umschlossen wird. Wenn das Thier sich nun wieder ausstreckt, bleibt ein Stück der Leibeswand invaginirt, da dasselbe von, den, soge- nannten hinteren Parietovaginalmuskeln zurückgehalten wird . (Taf, XI. Fig. 9). Beiträge zur Anatomie ünd Entwiekelungsgeschichte u. s. w. 469 Allmän unterscheidet an der Leibeswand zwei ganz ge- sonderte Lagen, die Endocyste oder die eigentliche weiche Leibeswand, und die Eetocyste, eine äussere starke Mem- bran, von hörniger Öonsistenz, welche den festen Theil der Leibeswand darstellt, und welche die sogenannten Zellen der Bryozoen bildet. Die Eetöcyste ist eine Absonderung der Endöcyste, welche bei vielen märinen Bryozoen verkalkt, bei den meisten Süsswasserbryozoen aber einfach eine verhärtete Chitinabsonderung darstellt, und bei Lophopus eryställinus Pall. sp. nicht einmal erhärtet, sondern mehr gallertartig bleibt; bei Cristatella soll sie nach den Allman’schen Angaben ganz fehlen. Die Endocyste ist von Allman nur bei Loph. crystalli- nus genauer untersucht worden; er stellt aber die Vermuthung auf, es möchten sich bei den übrigen Gattungen wohl ziemlich gleiche Verhältnisse vorfinden. Er beschreibt sie als bestehend aus grossen unregelmässig geformten Zellen mit deutlicher dop- pelter Contour und wandständigem Kern, die in einer Proto- plasmaschicht mit freien Kernen eingebettet liegen, und zwar häufiger am vorderen Ende des Thieres wie am hinteren. Fer- ner will er beobachtet haben, dass sich um die freien Kerne der Protöplasmäschicht nach und nach Zellen der von ihm be- schriebenen Art bilden, sodass eigentlich der Zellbelag der En- docyste nach ihm nur aus einer Art von Zellen in verschie- dehnen Entwickelungsstufen bestände. Nach Innen von dieser Zellschicht beobachtete er ein Git- terwerk von feinen, sich rechtwinklig kreuzenden Muskelfaserh, die, spindelförmig, mit ihren Enden zusammenhingen und Kern nebst Kernkörperchen zeigten. Nach ihm fehlt dieses Muskel- netz in dem einstülpbaren Theil der Leibeswand. Nach der Leibeshöhle zu ist die Leibeswand mit Cilien bekleidet, die er durch directe Beobachtung aber nur auf der Tentakelscheide wahrnahm. Diese Angaben sind im Grossen und Ganzen zu bestätigen, nur in wenigen Punkten weichen meine Erfahrungen von den Allman’schen ab. Der Kürze halber wird der aus- und einstülpbare vorderste 470 H. Nitsche: - Theil der Leibeswand als Tentakelscheide (Taf. XI. Fig. 9 f) (tentacular sheath Allm.), der stets eingestülpt bleibende als Duplicatur (Taf. XI. Fig. 9 c), und der Rest der Leibeswand als die eigentliche Endocyste bezeichnet werden. Die histologische Untersuchung wurde zunächst an durch Chromsäure gehärteten Exemplaren vorgenommen, welche bei ihrer grösseren Festigkeit eine methodische Präparation gestat- ten, und dann an frischen Thieren kontrollirt. Man kann in dem weichen Theile der Leibeswand 3 ver- schiedene Schichten unterscheiden, und zwar treffen wir von Innen nach Aussen zu fortschreitend 1) ein Wimperepithel, 2) eine tunica muscularis, 3) einen äusseren Zellbelag, welcher die Ectocyste secernirt. Was das innere Wimperepithel betrifft, dessen Wim- pern die Circulation der in der Leibeshöhle enthaltenen Flüs- sigkeit vermitteln, so ist dies am lebendigen Thiere kaum di- rect als Schicht zu beobachten, und an den hinreichend durch- sichtigen Stellen der Leibeswand sieht man nur die heftig schla- genden Wimpern. Auch auf einer Flächenansicht eines Chrom- säurepräparates kann man bei ihrer grossen Zartheit diese Schicht nicht gut erkennen, sie tritt jedoch sogleich hervor, wenn man einen feinen Querschnitt durch den vorderen Theil der Endo- cyste macht. Es ist dieses Wimperepithel am stärksten an dem vorderen Theil der Endocyste, während es sowohl nach hinten zu, als auch auf der Tentakelscheide dünner wird. Man kann in ihm ovale Kerne erkennen, indessen ist es mir nicht gelungen fest- zustellen, ob diese gesonderten Zellen angehörten, oder ob sich die Masse um die Kerne herum zu Zellterritorien zusammen- gezogen hatte, Eine derartige Entscheidung wird dadurch bedeutend er- schwert, dass sowohl Knospung als auch Eibildung nach Innen von der Tunica muscularis beginnen, wodurch das Ansehen des innern Epithels oft sehr verändert wird, und es wird erst dann endgültig über dasselbe berichtet werden können, wenn die bei- den erwähnten Vorgänge genau, verstanden sein werden. Nur Bag Zu da a a SE ne ra ea A ah ae Fe nenn: 4 Br u ? - 2; >. BT u Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s.w. 47] soviel sei mir noch zu bemerken erlaubt, dass die Wimpern die Leibeshöhle nicht an allen Stellen dicht auskleiden, sondern auf der Tentakelscheide und auf dem hintern Theil der Leibes- wand in einzelnen Büscheln zerstreut stehen, welche immer auf einer kleinen durch einen Kern bedingten Erhöhung aufsitzen. In der tunica muscularis kann man wiederum 2 geson- derte Schichten unterscheiden; die Grundlage derselben bildet eine feine homogene Membran, welche am leichtesten an Prä- paraten, die mit ammoniakalischer Karminlösung gefärbt sind, beobachtet werden kann, da sich dieselbe leichter färbt als die Muskelfasern. Mit dieser homogenen Membran sind 2 Schich- ten von Muskelfasern verbunden, eine äussere Quer- oder Ring- faserschicht (Taf. XI. Fig. 1—4 c.), und eine innere Längsfaser- schicht (Taf. XI. Fig. I—4 d), und man kann beobachten, dass die Quermuskelschicht inniger mit der homogenen Membran ver- bunden ist als die Längsfaserschicht, welche der Innenseite der Membran blos aufgelagert erscheint, und sich bei der Präpara- tion leichter von ihr ablöst. Die beiden Muskelschichten zeigen characteristische Ver- schiedenheiten. Die äussere Quermuskelschicht besteht aus brei- ten flachen spindelförmigen Fasern, welche häufig eine feine Längsstreifung zeigen. Sie haben ovale Kerne mit Kernkörper- chen, und verbinden sich zu einem dichten Muskelnetze. Es treten aber niemals 2 Zellen mit ihren spitzen Enden an einan- der; die Verbindung geschieht vielmehr, indem das spitze Ende einer Faser an den Seitenrand einer anderen tritt und mit ihr verschmilzt. Characteristisch für diese Schicht sind die häufig vorkom- menden Ueberkreuzungen der einzelnen Fasern unter einander (Taf. XI. Fig. 4), durch welche das Netz noch complieirter wird. Am dichtesten stehen die Muskelfasern am vordersten Theil der Endocyste, noch dichter als an dem abgebildeten Präparat (Taf. XI. Fig. 4), welches einer etwas weiter nach hinten lie- genden Stelle entnommen wurde, sodass man an dem Vorder- rande häufig nur schwer die einzelnen Zellen unterscheiden kann, und das Ganze ein fein gestreiftes Aussehen erhält. Weiter nach hinten zu treten die Fasern bedeutend auseinander (Taf. XI- 472 H. Nitsche: Fig. 2 ec), bleiben aber noch immer zu einem Netzwerk verb:in- den; hier ist es wo man sie am leichtesten isoliren kann, Auch auf der Duplicatur sind sie vorhanden und zwar ziem- lich dicht angeordnet (Taf XI. Fig. 1 c), gehen aber nicht auf die eigentliche Tentakelscheide über, vielmehr hören sie plötz- lich auf an dem hinteren Rande der Duplicatur kurz vor der Linie, in welcher der Kreis der Parietovaginalmuskeln sich an- setzt. Eine dichtere Anordnung der Muskeln an dieser Stelle, wie sie Allman beschreibt und als Sphincter deutet, habe ich nicht wahrnehmen können. Ueberhaupt ist zu berücksich- tigen, dass die Vertheilung der Muskelfasern bis zu einem ge- wissen Grade von dem jedesmaligen Contractionszustand der Leibeswand abhängt. Die Längsmuskelschicht (Taf. XI. Fig. 1—4 d) ist über die ganze Fläche der Leibeswand verbreitet; auch sie ist am dich- testen an dem Vorderrand der Endocyste, und es sind hier eben- falls ziemlich breite glatte Fasern mit einem Kern, die dicht neben einander liegen, mit ihren spitzen Enden zwischen ein- ander eingekeilt, sich aber viel weniger häufig wirklich zu ver- binden scheinen, als dies bei den Quermuskeln der Fall ist. Wenn aber einmal eine Verbindung beobachtet werden konnte, so geschah dieselbe in der gleichen Weise, wie in der Quer- muskelschicht, und es treten also auch hier die Fasern nicht mit ihren zugespitzten Enden an einander, wie Allman es angiebt und zeichnet, auf dessen Darstellung die Muskelfasern überhaupt etwas zu kurz und gedrungen erscheinen. Weiter nach hinten zu treten die Längsfasern bedeutend weiter auseinander, werden gestreckter, dünner und mehr gerundet, sodass sie am hinteren Theil der Endocyste als lange parallele Fäden erscheinen (Taf. XT. Fig. 2 d), die aber noch immer dichter stehen als die Quermus- keln, von denen man sie durch ihr etwas stärkeres Lichtbre- chungsvermögen leicht unterscheiden kann. Auch erscheinen sie mehr drehrund, während die Quermuskeln stets als breite Bänder sich darstellen. Diese Verschiedenheit des Aussehens ist Taf. XI. Fig. 4 wiederzugeben versucht worden, auf der Zeichnung ist aber ein Theil der Längsmuskeln weggelassen, um die Quermuskeln besser zu markiren. Et BIN ie a 3 > De La Fl, na Sure nd En a Bi EZ ze \ h RE Zr r e a Nee Di 7 Er E ig Mi Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s.w. 473 Als auf das Innigste mit dieser Längsmuskulatur der Haut zusammenhängend, muss man auch die sogenannten hinteren Parietovaginalmuskeln betrachten. Diese Stränge, welche in einem Kreise von der Endoeyste entspringen, nach dem hinteren Ende der Duplicatur verlaufen, und welche, wie bereits bemerkt, die Ausstülpung dieser Duplicatur verhindern, wur- den von Allman als besondere Muskeln beschrieben, obgleich er in einer Anmerkung sagt, dass man dieselben vielleicht mit demselben Rechte als einfache Bänder bezeichnen könnte. Ich bin zu einer zwischen beiden Extremen stehenden Anschauung gelangt. Die hinteren Parietovaginalmuskeln sind keine ein- fachen Gebilde, aus einer Art histologischer Elemente bestehend» wie z. B. die grossen Retractoren, es sind vielmehr zusammen- gesetzte Organe, bestehend 1) aus einer eylinderförmigen Fort- setzung der homogenen Membran der tunica muscularis der Leibeswand, als Grundlage, 2) aus mit dieser verbundenen Muskelfasern, 3) aus einem Epithel. Ihre Muskelfasern sind Fasern der Längsmuskelschicht, welche aus der Ebene der Leibeswand in Bündeln nach Innen zu abgehen (Taf. XI. Fig. 3), während der hierdurch verursachte Ausfall weiter nach vorn zu durch ein näheres Zusammentreten der zwischen diesen Bündeln verlaufenden Längsmuskeln verdeckt wird. Die Muskelfasern enden aber nicht innerhalb der hinteren Parietovaginalmuskeln, sie bilden vielmehr auf die Tentakel- scheide hinüberlaufend die Längsmusculatur derselben. Die übrigen Längsfasern der Leibeswand und der Duplicatur keilen sich grösstentheils an der Linie, die durch die Ansatzstellen der hinteren Parietovaginalmuskeln an die Tentakelscheide be- zeichnet wird, aus, nur wenige treten. auf die Tentakelscheide selbst über, und die feinen Längsfasern, die in allen Fällen auf letzterer wahrgenommen wurden, treten alle aus den hin- teren Parietovaginalmuskeln hervor. Diese etwas complicirten Verhältnisse werden am schnellsten durch einen Blick auf die umstehende schematische Figur klar werden, in welcher die punktirte Linie eine Muskelfaser darstellt, welche aus der Lei- beswand in einen hinteren Parietovaginalmuskel und von da in Tentakelscheide übergeht, während die aus längeren Strichen 474 . H. Nitsche: Fig 2. zusammengesetzte Linie eine der anderen Muskelfasern be- deutet, welche an der Grenze zwischen Duplicatur und Ten- takelscheide aufhören. . Ein jeder hintere Parieto- vaginalmuskel ist rings herum von einer Epithelschicht be- deckt, um deren zahlreiche ovale Kerne die Grundsubstanz zu spindelförmigen Zellterri- torien zusammengezogen ist. Auch habe ich einmal bemerkt, dass an dem vorderen Ende - eines solchen Muskels dies Epi- thel einzelne Wimperbüschel trug; diese Beobachtung blieb jedoch vereinzelt. Der äussere Zellbelag der Endocyste besteht durch- weg aus wirklichen Zellen ohne Intercellularsubstanz, und zwar kann man 2 typisch verschie- dene Formen von Zellen unter- E eigentliche Endocyste, D Dupli- scheiden. Die Hauptmasse be- catur, 7 Tentakelscheide, P hintere steht aus einfachen prisma- Parietovaginalmuskeln, a Ectoeyste, |. | 5 Zellschicht der Endocyste, c tunica Be ne ( Tat, au muscularis, d vordere Parietovaginal- Fig. 1; 2, 5, 6, a), den Oylin- muskeln. der-Epithelzellen nicht allzu unähnlich, mit grossen deutlichen rundem Kern und Kern- körperchen, nebst deutlicher Zellmembran, die bei Anwendung von Reagentien häufig aufquillt, und sich ballonartig von dem Zellinhalt abhebt, der mitunter körnig erscheint. Ihr Quer- schnitt ist sechseckig oder unregelmässig polygonal. Diese Zel- len sind am längsten an dem vorderen Theil der Endocyste und auf der Duplicatur, weiter nach hinten zu nehmen sie allmälig an Höhe ab und dafür an Breite zu, bis sie ganz * 3 7 al N ee RER ET z 15 Be‘. Beiträge zur Ana omie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 475 _ flache polygonale Zellen darstellen, deren Inhalt meist ein wenig _ nach der Mitte zu concentrirt ist (Taf. XI. Fig. 2a). Während am hinteren Theil der Endocyste diese Formänderung ganz allmälig Platz greift, geht sie vorn an dem Anfang der Ten- takelscheide plötzlicher vor sich, indem kurz vor der Ansatz- stelle der hinteren Parietovaginalmuskeln die hohen Zellen der Duplicatur von den flachen Zellen ersetzt werden, welche die Tentakelscheide bekleiden. Das plötzliche Plattwerden der Zel- len bezeichnet die vordere Grenze der Ectocyste, welche also nur von der eigentlichen Endocyste und der Duplicatur abge- sondert wird, aber nicht von der Tentakelscheide. Die Zellen auf dieser letzteren scheinen etwas kleiner als die am hinteren Ende der Leibeswand zu sein, und sind gegen die Tentakel- krone zu bedeutend in die Quere gezogen (Taf. XI. Fig. 1a). Einige Male wurde eine ganz eigenthümliche Erscheinung an diesen Zellen beobachtet, indem die flachen Zellen der Endo- cyste der Muskelhaut nieht direkt auflagerten, sondern mit ihr durch einen Stiel verbunden waren, der den Zellen ein pilz- förmiges Ansehen gab (Taf. XI. Fig. 8). Indem nun die flachen oberen Ausbreitungen der Zellen mit ihren Rändern zusammen- stiessen, die Stiele aber durch ziemlich bedeutende Zwischen- räume getrennt wurden, entstand eine Art von Canalnetz in der Leibeswand. Das Canalnetz hingegen, das Allman bei Lophopus cry- stallinus beobachtet hat, und das mit den sogenannten „brilliant corpuscles“ erfüllt war, habe ich bei Alcyonella nicht zu ent- decken vermocht, ebensowenig wie einen mit derartigen Kör- perchen gefüllten Ringkanal am Vorderrande der Endocyste. In diese Schicht polygonaler Zellen ist nun die andere Art Zellen eingebettet (Taf. XI. Fig. 1, 2, 5, 6, b). Es sind dies rundliche oder ovale Zellen mit deutlicher starker Mem- bran und kleinem wandständigen, ovalen Kerne. Der In- halt ist im Leben wasserhell und stark lichtbrechend, an conservirten Exemplaren mitunter körnig, Er erschien mir nie als eine Flüssigkeit, sondern vielmehr als ein Klumpen einer zähen eiweissähnlichen Substanz, der auch aus der Zell- wand herausgelöst seine Gestalt behält. In Carminlösung färbt 476 H. Nitsche: er sich sehr schnell und intensiv, während der ganze übrige Zellbelag ungefärbt oder höchstens schwach angehaucht er- scheint. An dem vorderen Theile der Endocyste, wo die polygo- nalen Zellen noch prismatisch sind, sind diese rundlichen Zellen zwischen ihnen eingebettet (Taf. XI. Fig. 5 u. 6) und zwar zu- nächst der Musköllage; die umgebenden polygonalen Zellen modifieiren ihre Gestalt nach Massgabe der Einlagerung. Die runden Zellen sind ungleich über die Leibeswand vertheilt, am dichtesten stehen sie an dem vorderen Theil der Endocyste, auf der Tentakelscheide; am hinteren Theil der Endoeyste sind sie sparsamer vertheilt, stehen aber auch an der letzteren Stelle manchmal in grösseren Haufen dicht beisammen. Da wo die polygonalen Zellen ganz glatt werden, treiben die runden Zel- len den Zellbelag knotig auf, da sie auch hier stets von den polygonalen Zellen bedeckt werden, deren Contouren man oft über sie weglaufen sehen kann (Taf. XI. Fig. 2). Zugleich ver- lieren sie an diesen Stellen auch häufig ihre regelmässige runde oder ovale Gestalt, und erscheinen alsdann z. B. hufeisen- oder wurstförmig. Auch kann man dann öfters Vaeuolen in ihrem Inhalt wahrnehmen. Ebenso hat es mich bedünken wollen, als wäre die Zelle dann manchmal an dem einen Ende nicht mehr scharf contourirt, vielmehr sah es aus, als öffne sie sich an dieser Stelle zwischen den polygonälen Zellen mit einer röhren- förınigen Mündung. An den betreffenden Stellen ist aber die ganze Leibeswand stets so dünn, dass eine Untersuchung dieser Verhältnisse auf Querschnitten nicht möglich war, und diese Beobachtung daher durchaus nicht als sicher bezeichnet wer- den darf. Eine Vergleichung der Leibeswand von Lophopus erystalli- nus') hat mich zu der Ueberzeugung kömınen lassen, dass die mit freien Kernen versehene Protoplasmaschicht den polygonalen Zellen bei Alcyonella entspricht, während die mit wandstän- I) Dieses meines Wissens aus der Umgegend von Berlin noch nicht bekannte Thier habe ich im Herbst 1867 in einem Tümpel bei Tegel gefunden, at a Se > n Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u s.w. 477 “ digen Kernen versehenen rundlichen Zellen bei beiden äqui- yalent- sind, Dass sich um die freien Kerne bei Lophopus all- mälig, Zellen bilden mit wandständigen Kernen, wie Allman beobachtet haben will, davon habe ich mich nicht überzeugen - können. In wie weit sich die. beiden Zellarten in ihrer Funktion unterscheiden, ist eine noch zu beantwortende Frage. Die Eetocyste ist ein erhärtetes Sekret der Zelllage der Endocyste. Die Absonderung scheint am: vorderen Theil der Endoeyste und; auf. der Duplicatur zu geschehen, wenigstens steht hier allein die Betocyste in direkter Verbindung mit der Endoeyste. Hier ist sie so biegsam, dass sie den Gestaltver- änderungen der Endoeyste zu folgen vermag, und: ihre zuletzt abgesonderte innerste Schicht ist noch weich. Dies kann man gut an den Stellen sehen, wo die äusserste Schicht bereits starr geworden ist, und der sich contrahirenden Endocyste nicht mehr zu, folgen im Stande ist, indem hier "bei einer Contrac- tion die, sowohl mit; der Endocyste als der äusseren härteren Schicht der Endoeyste verbundene weiche Lage, sich in Fäden auszieht. An dem hinteren Theile der oft sehr langen Röhren ist die Ectocyste völlig erstarrt und von der Endocyste gelöst, welche als freier Schlauch in der Röhre hängt (Taf. XI. Fig. 9). Eine besondere Struktur der Eetoeyste ist nicht wahrzu- nehmen, nur beim Zerreissen: spaltet sie manchmal an den Rissrändern in einzelne Schichten, was wohl in der Art und Weise ihres Diekenwachsthumes beruht, das ja durch Auflage- rung, neuer Substanz auf ihrer Innenfläche vor sich geht. Nach vorn hört die Ectocyste an der Stelle der Duplicatur auf, wo die polygonalen Zellen. plötzlich platt werden. Auf der Ten- - takelscheide: fehlt sie also constant. Diese Ectoeyste ist es, welche das feste schwammige Ge- rüst des Alcyonellenstockes liefert. Nach hLeuckart’s und Allman’s Untersuchungen besteht sie aus einer chitinartigen Substanz, da sie beim. Kochen mit Aetzkalilauge sich nicht verändert, dagegen von kochender Salpetersäure gelöst wird. Die einzelnen. Röhren: sind: nur: an ihrem: vordersten Ende frei und hier erscheint die Ectocyste am eingestülpten Thiere 478 RB. Nitsche: oft stark quergerunzelt; während ihres ganzen übrigen Vr- laufes sind die Röhren aber dicht aneinander gedrängt und miteinander verklebt, wodurch sie einen mehr oder weniger regelmässigen abgerundet polygonalen Querschnitt erhalten. In- dessen bleiben doch noch immer einzelne schmale Räume zwi- schen den Zellen übrig, die dann von unorganischer Materie ausgefüllt werden. Vermöge dieser dichten Zusammendrängung sind die Röhren der Alcyonellen viel weniger mit fremden Körpern bedeckt, als dies bei den Plumatellen der Fall ist, deren Ectocyste häufig gänzlich von Algenresten, besonders von Diatomeenschaalen wie von einem feinen Mosaik bedeckt wird. Die weiche Ectocyste ist farblos, wird aber beim Er- härten gelbbraun. Die Organe der Verdauung. In dem durch die Leibeswand gebildeten Sacke sind die Verdauungsorgane frei aufgehängt, mit der Wandung des- selben nur an der Mund- und Afteröffnung direct zusammen- hängend, im übrigen mit ihr nur durch den sogenannten Funi- culus und die grossen Muskeln verbunden. Der Verdauungskanal besteht aus drei streng gesonderten Abschnitten, dem Oesophagus, dem Magen und dem Reec- tum. An dem ÖOesophagus kann man noch eine Mundhöhle unterscheiden, und der Magen zerfällt nach der Bezeichnung von Allman in einen Cardial- und Pylortheil. Der Pylortheil nimmt ohngefähr die hinteren zwei Dritt- theile der ganzen Magenlänge ein. Er bildet einen schlauch- föürmigen Blindsack, dessen geschlossenes Ende durch einen langen dünnen Strang mit der Leibeswand verbunden ist. Die- sen letzteren nennt Allman den Funiculus. Nach vorn ver- engert er sich einseitig ein wenig und geht so in den Cardial- theil über, der sich von ihm nur durch den etwas geringeren Durchmesser unterscheidet. Durch die einseitige Verengerung entsteht auf der Neuralseite des Magens eine Art abgerundeter Stufe, an deren äusserem Rande der Pylorus liegt, durch den der Magen mit dem hier sich ansetzenden Rectum communi- eirt. Der Oesophagus, dessen vorderer ein wenig aufgetriebe- Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 479 ner und mit Wimpern ausgekleideter Theil wohl den Namen einer Mundhöhle verdient, verengert sich in seinem Verlaufe ein wenig und verbindet sich mit der Spitze des Öardialtheiles des Magens, in den er mit einer konischen Projection hinein- ragt und mit dem er durch eine enge Oeffnung communiecirt. Das Rectum ist birnförmig, der After liegt an dem spitzen Ende und durchbohrt die Leibeswand in der Mittelebene dicht unter der Tentakelkrone, die den Mund umgiebt, auf der Neuralseite. Die Oeffnung des Pylorus liegt aber nicht in der Längsachse des Rectum, sondern auf der Neuralseite, so dass der verdickte Anfang des Rectum auf die stufenartige Erweiterung des Ma- gens zu liegen kommt. Die Hämalseite des Rectum liegt dem Cardialtheil des Magens dicht an und verwächst mit ihm. so viel über die äussere Gestalt des Verdauungskanals, die schon oft beschrieben, hier nur der Uebersichtlichkeit wegen wieder- holt worden ist, und wir wenden uns zu der Betrachtung sei- ner histologischen Zusammensetzung, in Betreff derer die All- man’schen Angaben ziemlich allgemeiner Art sind. Er unter- scheidet 3 Lagen, eine äussere dünne Haut von zelliger Be- schaffenheit, in der am blinden Ende des Magens feine Ring- fasern erkennbar sind, die er als Muskelfasern deutet; dann eine einfache Zellschicht aus polygonalen Zellen mit hellem Kern bestehend; zu Innerst eine dritte Schicht runder Zellen, welche die wulstigen Längsfalten der Magenwand bilden und wiederum selbst Zellen mit braunem Inhalt enthalten, die als Leberzellen angesprochen werden. Diese innerste Schicht soll im Schlund und Darm fehlen, sowie auch die Muskelfasern. Hancock!) dagegen erwähnt Muskelfasern in dem Oesopha- gus von Fredericella sultana. Mir ist die histologische Zusammensetzung der 3 Abschnitte des Darmkanals im Grossen und Ganzen übereinstimmend er- schienen. Es lassen sich an allen Dreien 3 Schichten unterscheiden: 1) eine äussere Epithelschicht, 2) eine tunica muscularis, 3) eine innere Zellschicht, 1) Annals and Magazine of Nat. history. 1850, 8. 177. . EEIIINTELL LE DER 2 480 H. Nitsche: welche letztere sich in den 8 Abtheilungen verschieden verhält und dieselben charakterisirt. Die Epithelschicht (Taf. XII. Fig. 10 u. 12a) besteht nicht aus gesonderten Zellen, sondern aus einer dünnen Lage einer durchsichtigen feinkörnigen Substanz, in der zahlreiche ovale Kerne mit Kernkörperchen liegen. Die Grundsubstanz ist um jeden Kern oder wenigstens um viele zu einem spindel- förmigen Zellterritorium zusammengezogen. Diese spindelför- migen platten Gebilde sind meist mit ihrer längeren Achse der Längsachse des tractus intestinalis parallel angeordnet. Die aneinander liegenden Flächen des Rectum und des Car- dialtheiles des Magens sind nicht jede besonders mit dieser Schicht bekleidet, vielmehr geht sie von der Seite des einen direet auf die Seite des anderen über, so dass Rectum und Cardialtheil des Magens durch einen gemeinsamen Epithelial- schlauch an einander befestigt werden. Der Oesophagus und der obere Theil des Rectum sind dagegen jeder für sich rings- um mit dem Epithel bekleidet; am blinden Ende des Magens verdickt sich diese Schicht bedeutend und setzt sich dann auf den Funiculus fort. Wimpern habe ich auf ihr nie bemerken können. Nach Innen von dieser Schicht kommt die tunica mus- cularis (Taf. XII. Fig. 10 u. 12,17 b. u. Fig. 15 u. 16), die selbst wieder aus einer homogenen durchsichtigen Membran und den Muskelfasern zusammengesetzt ist, _Die Muskelfasern sind an beiden Enden zugespitzte flache Bänder, in der Mitte meist mit einem, ein wenig randständigen länglichen. Kerne und oftmals zu einer Art Muskelnetz verbunden. Sie laufen quer um den Darmtractus herum, mit ihren spitzen Euden sich zwischen einander einschiebend. Mitunter lässt sich eigen- thümlicher Weise eine Art Querstreifung (Taf. XIL Fig. 15) an ihnen erkennen, welche schräg gegen die Längsachse steht und entweder gleichmässig über die ganze Breite der Faser sich erstreckt, oder in entgegengesetzter Richtung an beiden Rändern beginnend in der Mitte unter einem Winkel zusam- menstösst, wodurch die Faser eine Art gefiederter Zeichnung erhält. Diese Erscheinung kann man besonders am Oesophagus u A ati 3 Fat n _ Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u.s.w. 48] und am blinden Ende des Magens beobachten. An letzterem habe ich sie an frischen Exemplaren nach Zusatz von ver- dünnter Chromsäure schön gesehen, ob sie aber wirklich auf einer inneren Structur des Muskels beruht, oder nur durch eine wellige Krümmung der Fasern, oder eine Faltung der homogenen Membran hervorgerufen ist, wird für den Augen- blick kaum zu entscheiden sein. Die Vertheilung der Muskelfasern über die Fläche des Darmtraetus ist keine gleichmässige. Am Oesophagus sind die Fasern ziemlich breit und dicht gedrängt, werden an dem Cardialtheil des Magens sparsamer, um an dem Rectum das Minimum, an dem Blindende des Magens das Maximum ihrer Entwickelung zu erreichen. Aber auch am Rectum kann man sie stets noch deutlich erkennen. Am blinden Ende des Ma- gens sind die Muskelfasern zu einem ganz dichten Netze fest verbunden, so dass, wenn man die Muskelschicht hier zu zer- fasern sucht, sie nicht in einzelne Stücke auseinander fällt, sondern sich zu einer langen Spirale auszieht, und ordentlich von dem Magen abrollt. Die Fasern sind hier so dicht gedrängt, dass sie nicht mehr mit ihren abgeplatteten Seiten in der Fläche der Muskel- schicht liegen, sondern mit ihren Kanten dieselbe treffen, mit ihren breiten Seiten aber- sich so aneinander lagern, dass die Muskellage an dieser Stelle bedeutend verdickt wird und auf dem optischen Querschnitt das Taf. XII. Fig. 17 gezeichnete Ansehen gewährt. An der äussersten Spitze des Magens, die sich in den Funiculus fortsetzt, fehlen die Muskelfasern wie- derum. Hier ist die geeignete Stelle, die Beschreibung des Funi- eulus. (Taf. XIV. Fig. 32) einzuschieben, der, wie schon be- merkt, das Ende des Magens mit der Leibeswand verbindet. Sein Ansehen wird oft dadurch verändert, dass sich an ihm die Spermatozoen und die Statoblasten bilden, wenn man aber Gelegenheit hat, ihn für sich allein zu sehen, erkennt man, besonders deutlich an mit Carmin gefärbten Exemplaren, dass er aus einer cylinderförmigen Fortsetzung der homogenen Mem- bran der tunica muscularis als Grundlage besteht, mit wel- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 32 482 | H. Nitsche: cher lange Fasern verbunden sind, die den Längsfasern des hinteren Theiles der Endocyste so ähnlich sehen, dass man wohl berechtigt ist, sie für Muskelfasern zu halten. Das Ganze wird von einer Fortsetzung der Epithelialschicht des Magens bekleidet. An der Leibeswand setzt er sich mit etwas ver- breitertem Ende an, und das Epithel geht dann in das innere Epithel der Leibeshöhle über. Einen Uebertritt von Muskel- fasern aus der Leibeswand in den Funiculus habe. ich nicht beobachten können, und dies ist der Punkt, in welchem sich der Funiculus wesentlich von den hinteren Parietovaginalmus- keln unterscheidet, mit denen er sonst die grösseste Aehnlich- keit hat. Beiläufig sei übrigens erwähnt, dass bereits Trem- bley den Funiculus kanute und für einen Muskel hielt, Die innere Zellschicht zeigt, wie schon bemerkt, in den 3 Abtheilungen des Darmtractus charakteristische Verschie- denheiten. Die grössesten Eigenthümlichkeiten bietet sie im Oesopha- gus dar (Taf, XII. Fig. 10). In diesem kleidet sie die Wände des von den beiden äusseren Schichten gebildeten Schlauches gleichmässig aus, ein nicht zu weites Lumen übriglassend; und wenn wir sie auf einem beliebigen Längs- oder Querschnitt betrachten, so scheint sie aus langprismatischen Zellen zu be- stehen mit polygonalem Querschnitt, deren Längsachsen senk- recht gegen die Oberfläche des Oesophagus stehen. Die Zellen haben ohngefähr in der Mitte einen grossen ovalen Kern mit deutlicher doppelter Contour und hellem stark lichtbrechen- dem Nucleolus und zeigen nach innen zu eine scharfe gerade doppelte Contour. Es scheint ausserdem auf dem freien Ende einer jeden Zelle ein kleines “Aurchsichtiges Bläschen zu liegen, das bald kugelig anschwillt, bald abgestützt eiförmig erscheint. Das Merkwürdigste aber ist, dass, wenn man die Zellen als durch den Kern in eine peripherische und eine innere Hälfte getheilt bezeichnet, der peripherische Theil durchsichtig und so zu sagen leer erscheint, während der innere Theil mit kör- nigem Zellinhalt erfüllt ist. Wenn man aber den Oesophagus genauer untersucht, so stellt sich heraus, «dass allerdings die inneren Häliten der Zellen j Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s.w. 483 sich von einander trennen lassen und hier, jede für sich, eine "besondere Zellmembran besitzen, dass dies hingegen bei dem hellen peripherischen Theil nicht der Fall ist, dass wir hier vielmehr ein System von Hohlräumen haben, bei denen die Wandung des einen Hohlraumes zugleich auch einen Theil der Wandungen der anstossenden Räume bildet und welches also am besten mit einer Bienenwabe verglichen werden kann. Dies kann man deutlich sehen, wenn man einen Schnitt am Oesophagus macht, der mit der Hauptaxe desselben parallel läuft (Taf. XI. Fig. 11). Ein jeder solcher Hohlraum erscheint an seinem inneren Ende von dem Kern wie von einem Pfropfen geschlossen, und nun erst beginnt die eigentliche Zelle mit ihrem Protoplasmainhalt, Einer jeden Zelle entspricht ein be- sonderer Hohlraum. Die Kerne liegen aber nicht alle in dem- selben Kegelmantel, sondern sind mehr oder weniger weit nach ' aussen oder innen zu verschoben, so dass bald der wabenartige Theil, bald die eigentliche Zelle an Länge überwiegt. Die oben erwähnten kleinen Bläschen scheinen eine in- nerste Epithelschicht des Oesophagus darzustellen; vorn aber, wo sich der Oesophagus ein wenig aufbläht, um die eigent- liche Mundhöhle zu bilden, verschwindet dieses Epithel, um einem dichten Besatze langer heftig schlagender Wimpern Platz zu machen; zugleich nimmt auch der wabenartige Theil der Zellschicht an Dicke ab und verschwindet bald ganz, so dass wir an der, der Mundöffnung zunächst gelegenen Zone des Oesophagus einfache lange Wimperepithelzellen vorfinden, ein Verhalten, das die Bezeichnung dieses vorderen Theiles als Mundhöhle gerechtfertigt erscheinen lässt. Wie.schon durch Allman bekannt, ragt der Oesophagus mit einer conischen Projection in den Magen hinein; die Grundlage dieses Organes bildet eine dünne Membran, die als eine Fortsetzung der homogenen Membran der tunica muscu- laris erscheint. Die innere Seite des Hohlkegels wird von der eben beschriebenen Zellschicht des Oesophagus ausgekleidet, während die dem Magen zugewendete äussere Fläche des Kegels bereits von der Zellschicht des Magens überkleidet wird. In Betreff der Struktur der Zellschicht des Magens 32* 484 H. Nitsche: (Taf. XII. Fig. 12 u. 13) weichen meine Beobachtungen gänz- lich von denen Allman's, die bereits oben kurz erwähnt wur- den, ab. Der Magen ist mir nämlich stets von einer einzigen Zellschicht ausgekleidet erschienen, und die Längswülste auf der inneren Magenwand, die dem Querschnitt des Magenlu- men eine sternförmige Gestalt geben, werden allein durch verlängerte Zellen bedingt, die in regelmässigen, der Längs- achse des Magens parallelen, ziemlich gleichmässig von ein- ander abstehenden Zonen angeordnet sind. An dem blinden Ende des Magens verschwinden diese verlängerten Zellen all- mälig und die Zellschicht ist,hier an allen Stellen gleich dick. Die oben geschilderten "Verhältnisse habe ich wiederholt auf Querschnitten des Magens von Alcyonella gesehen, ich habe aber auch Lophopus cerystallinus, an dem Allman seine Beob- achtungen angestellt hat, untersucht. Die Abbildung Taf. XII. Fig. 12 ist nach einem Präparate von Lophopus angefertigt, gilt aber eben so gut für die Verhältnisse .bei Alcyonella. Die Angaben Allman’s sind wahrscheinlich dadurch veran- lasst worden, dass er keine Querschnitte gemacht hat, denn wenn man die innere und die äussere Fläche des Magens nach einander betrachtet, so zeigen dieselben allerdings ein ganz verschiedenes Ansehen, das leicht auf zwei verschiedene Zell- arten schliessen lässt. Während nämlich die Basen der im Allgemeinen lang- prismatischen Zellen dicht aneinander gedrängt sind, und hier- durch einen polygonalen Querschnitt erhalten, können die inneren freien Enden der die Längswülste bildenden verlängerten Zel- len sich weiter ausbreiten, und nehmen daher eine keulenför- mige Gestalt an; zugleich wird der Zellinhalt dieser verdickten Enden bedeutend durchsichtiger, während er an dem Basaltheil oft grobkörnig ist. Rechnet man hinzu, dass die Zellkerne an der Basis der Zellen, dicht an der tunica muscularis liegen, und dass das braune körnige Pigment, welches dem Magen seine charakteristische Färbung giebt, sich nur in den verlän- gerten Zellen bildet, und nur diese als eigentliche Leberzellen erscheinen lässt, so wird man leicht einsehen, wie Allman zu der Ansicht kommen konnte, dass die Längswülste aus runden ‚Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 485 pigmenthaltigen Zellen beständen, welche einer, den ganzen Ma- gen auskleidenden Schicht polygonaler Zellen mit Kernen auf- gelagert seien. Das braune Pigment verschwand auch bei den von mir beobachteten Thieren, sobald sie längere Zeit fasten muss- ten. Die freien Enden der Zellen werden bei Zerreissung des Magens oftö zerstört, und zwar geschieht dies am ehesten dann, wenn der Magen mit Nahrung erfüllt ist. Die Speise- klumpen werden nämlich‘ von einem, schleimigen Sekrete der Magenwandung umhüllt, und diese schleimige Schicht liegt den Oberflächen der Zellen dicht an und verklebt sich beim Tode des Thieres leicht mit ihnen, sodass, wenn behufs der Untersuchung der Speiseklumpen aus dem Magen genommen wird, die Enden der Zellen leicht mit entfernt werden. Die grössten Schwierigkeiten setzt der. Zellbelag des Rectum (Taf. XII. Fig. 14) der Untersuchung entgegen, da er ungemein leicht zerstörbar und sogar an Chromsäureexemplaren schwer zu behandeln ist. Besonders gelingen Querschnitte nur selten in befriedigender Weise. Indessen glaube ich mich auch hier überzeugt zu haben, dass derselbe aus einer einzigen Schicht langer prismatischer Zellen besteht, welche der tunica muscularis senkrecht aufsitzen und eine deutliche Membran zeigen, die an todten Exemplaren am freien Zellende oft ballonartig aufquillt und dann leicht zer- reisst. Den Kern haben diese Zellen ebenso wie diejenigen des Ma- gens an der Basis. Die sämmtlichen Zellen sind gleich lang, und es fehlen daher im Darm die für den Magen characteristischen Längsfalten. Im Allgemeinen beträgt die Dicke dieser Zell- schicht ohngefähr die Hälfte der Dicke einer Magenfalte. Der Inhalt der Zellen ist mitunter einfach feinkörnig, meist besteht er aber aus grossen stark lichtbrechenden farblosen Ku- geln, die oft zu mehreren übereinander in einer Zelle gelagert sind. Der übrige Zellinhalt erscheint dann um diese Körner herum homogen und durchsichtig. Eine Flächenansicht des Dar- mes von Innen bietet dann. das Taf. XIl. Fig, 14 gezeichnete Bild dar. Die viel tiefer liegenden Zellkerne kann man auf derselben natürlich nicht erkennen. Es ist noch zu erwähnen, dass mitunter bei Lophopus crystallinus grosse, der tunica mus- 486 H. Nitsche. eularis angelagerte Vacuolen in dieser Zellschicht erscheinen, Mangel an Material erlaubte keine nähere Untersuchung dieser Gebilde, die bei Aleyonella fungosa nur in seltenen Fällen vor- kommen, sodass auch bei diesem Thiere eine nähere Untersu- chung unmöglich war. In Betreff der Deutung der einzelnen Abschnitte des Darm- tractus und ihrer Funktion muss ich mich ganz der Allman- schen Auffassung anschliessen. Dass dem Oesophagus keine eigentliche verdauende Thätig- keit zukommt, geht schon aus der Schnelligkeit hervor, mit der die verschluckte Speise denselben passirt. Dagegen berech- tigen der lange Aufenthalt der Speise in dem Magen, und die durch die peristaltische Bewegung hier erfolgende starke Durch- knetung derselben, zu der Annahme, dass hier die eigentliche Verdauung vor sich gehe. Allman nimmt aber auch an, dass der Pylortheil des Magens sich physiologisch von dem Cardial- theil des Magens unterscheide. Bei der ganz gleichen Structur - dieser beiden Abschnitte des Magens, scheint mir aber eine solche Annahme doch etwas gewagt. Die Tentakelkrone.') Die Mundöffnung liegt im Grunde eines hufeisenförmigen Beckens (Taf. XIII. Fig. 23), das von der Tentakelkrone gebil- det wird, und dessen Concavität nach der Neuralseite gerich- tet ist. Die Tentakeln entspringen von den Rändern des so- genannten Lophophor (Allm.), d. h. einer hufeisenförmigen Röhre, die an der Stelle, wo ihre beiden Schenkel zusam- menstossen, am breitesten ist, und hier von dem Oesopha- gus durchbohrt wird. Die Schenkel der Röhre, die sogenann- ten Arme des Lophophor, verjüngen sich nach der Spitze zu; ihr Querschnitt ist halbkreisförmig (Taf. XII. Fig. 29). Die Tentakeln sind hohl und ecommunieiren mit der Höhle des Lo- phophor, welche letztere selbst wiederum mit der Leibeshöhle durch 2, jederseits an dem Ursprunge der Arme des Lophophor gelegene Oeffnungen zusammenhängt. Die Tentakeln — bei 1) Man vergleiche die schematische Figur $. 467. ar» ri en r 5“ e * KEINE EEE EN u vi Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 487 Aleyonella fungosa 40—50 an der Zahl — sind an der Hämal- seite des Mundes am längsten, am kürzsten auf. der inneren Seite des Hufeisens und an seinen Spitzen. Man muss die Ten- takelkrone auffassen als gebildet durch Ausstülpungen der Lei- beswand um den Mundrand. Die Arme des Lophophor und die Tentakeln auf der Hämalseite sind primäre Ausstülpungen, die Tentakeln, die von den Armen des Lophophor entspringen, secundäre Die Höhle des Lophophor ist also weiter nichts als der vorderste Theil der Leibeshöhle, der durch eine Brücke, welche die Wand des Oesophagus mit der Tentakelscheide ver- bindet, als Canal von der allgemeinen Leibeshöhle abgegrenzt wird (Taf. XII Fig. 271). Dass dieser Canal aber auch mit der Leibeshöhle in Verbindung steht, ist bereits oben bemerkt worden. Die Brücke ist am schmalsten an der Hämalseite, am breitesten an der Neuralseite, wo das Ganglion unmittelbar vor ihr liegt. Die Basis je zweier Tentakeln wird durch eine Inter- tentakularmembran verbunden, deren freier Rand hogig ausge- schweift ist (Taf. XIII. Fig. 23 a). Das Epistom (Taf. XIII. Fig. 23 e) ist ein kurzes kegel- förmiges Organ, das an der Neuralseite der Mundöffnung, inner- halb des Tentakelkranzes, entspringt, ebenfalls hohl ist und mit der Höhle des Lophophor communicirt. Es überragt ein We- nig die Mundöffnung, und zwar in einer Art und Weise, dass der von Allman angewendete Vergleich mit der Epiglottis der Säugethiere sehr treffend ist. Das Vorhandensein des Epi- stom characterisirt die erste der grossen Gruppen, in welche Allman die Bryozoen getrennt hat, und nach der Stellung die- ses Organes an der Mundöffnung hat Allman diese Gruppe „phylactolaeme Bryozoen“ genannt. Diejenige Seite der Tentakelkrone, welche direct in die Wandung des Oesophagus sich fortsetzt, kann man äls die Innenfläche, die entgegengesetzte, mit der Aussenfläche der Lei- beswand, resp. der Tentakelscheide, continuirliche, als die Aus- senfläche bezeichnen. Wollen wir den’ feineren Bau der Tentakelkrone richtig auffassen, so müssen wir festhalten, dass die Wandun- 488 H. Nitsche; gen derselben, ebenso wie die Leibeswand und die Wände des Darmtractus, aus 3 Schichten bestehen: l. aus einem äusseren Zellbelag, 2. aus einer homogenen Membran, 3. aus einem inneren Epithel, das aber die Tentakeln nicht ringsum gleichmässig auskleidet. Die beiden äusseren Schichten sind Allman bekannt, es können aber seinen Angaben einige Einzelnheiten zugefügt werden. Betrachten wir zunächst die homogene Membran, so sehen wir, dass diese die eigentliche Grundlage der ganzen Tentakelkrone bildet (Taf. XIII Fig. 23—27 u. Fig. 29 a). Die- selbe steht in direkter Verbindung mit der homogenen Membran der tunicae musculares der Leibeswand und des Oesophagus. Dass es dieselbe Schicht ist, geht auch daraus hervor, dass sie, ebenso wie die homogenen Membranen der tunicae musculares, sich ziemlich leicht in Carminlösung färbt. Es stehen aber die Muskelfasern, welche, wie wir später sehen werden, auch in die Zusammensetzung der Tentakeln eingehen, nicht in so inti- mem Zusammenhange mit dieser homogenen Membran, als dies in der Leibeswand und im Oesophagus der Fall war. Sie bil- det auch die Grundlage der Intertentakularmembran und der den Lophophor gegen die Leibeshöhle hin abgrenzenden Brücken. In jedem Tentakel stellt die homogene Membran einen an der Spitze geschlossenen Schlauch dar, derselbe ist aber nicht einfach cylindrisch, vielmehr bildet, an seinem Ursprunge aus dem Lophophor, sein Querschnitt ein gleichschenkliges Dreieck mit abgerundeten Ecken (Taf. XIII. Fig. 23 u. 24). Die Basis des Dreieckes ist gegen die Aussenfläche gewendet; weiter nach der Spitze des Tentakels zu wird dann der Querschnitt oval (Taf. XIII. Fig. 25 u. 26), indem die Tentakeln seitlich zusam- mengedrückt erscheinen; zugleich wird hier die Wandung des Schlauches an der Innenseite der Tentakeln am dieksten, und nimmt nach den Seiten an Dicke ab, um auf der Aussenseite am Dünnsten zu werden. Auf Querschnitten, und an Tentakeln, die von der äusseren Zellschicht befreit worden sind, (diese letztere Operation kann man ohne Zerstörung des Schlauches ; N Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 489 ‚selbst nur an in Chromsäure gehärteten Exemplaren vorneh- men) kann man erkennen, dass an der Basis die Ränder der Aussenseite dieser Schläuche durch eine Lamelle derselben ho- mogenen Membran verbunden werden, und dieses ist die Grund- lage der Intertentakularmembran (Taf. XIII. Fig. 23, 24, 25). Jene Membran ist zunächst dem Lophophor am Dicksten, wird nach oben zu dünner, ihr oberer Rand ist bogig ausgeschweift, indem sie sich jederseits an den Tentakeln in die Höhe zieht. Indessen hört sie nicht auf da, wo am lebenden Thiere die Intertentakularmembran endet, vielmehr setzt sie sich an jedem Tentakel jederseits bis gegen die Spitze hin als schmaler Saum fort (Taf. XII. Fig. 30 x, Fig. 26 x), wird aber an dem leben- den Thiere für den Beobachter durch den Zellbelag, den sie nicht überragt, verdeckt. Der äussere Zellbelag der Tentakelkrone zerfällt in 2 streng geschiedene Abschnitte, deren Grenze der soeben be- schriebene Saum bildet. Der Zellbelag der Aussenseite der Tentakelkrone gehört zu dem Bezirke der Leibeswand und wird von der Zellschicht derselben gebildet, die von der Tentakel- scheide ununterbrochen auf die Tentakeln übergeht. Sowohl an dem Lophophor als an der Rückseite der Tentakeln und der Intertentakularmembran kann man die beiden Elemente der Zell- schicht erkennen, die polygonalen Zellen mit runden Kernen und die rundlichen Zellen mit wandständigen Kernen, wenn letztere bei A. fungosa auf den Tentakeln selbst auch seltener sind; dagegen scheinen sie bei Cristatella nach den Allman- schen Angaben häufiger vorzukommen, wenigstens berichtet die- ser Forscher ‚bei jener Gattung von aufgetriebenen Zellen auf der Rückseite der Tentakeln. Dieser Theil des Zellbeleges trägt keine Wimpern, dagegen finden sich hier auf der Mittellinie der Tentakeln feine, lange, starre Borsten (Taf. XIII. Fig. 31), welche in Gruppen von 2-3 Stück in ziemlich regelmässigen Abständen angeordnet sind. Dies kann man bei einiger Sorg- falt am lebenden Thiere stets genau erkennen. An Chromsäure- Exemplaren dagegen sind dieselben nicht erhalten, und daher auch auf den abgebildeten Querschnitten weggelassen. Die Innenfläche der Tentakeln und die Seiten derselben 490 H. Nitsche: 83 s ah werden von der Fortsetzung des inneren Wimperepithels der Mundhöhle bekleidet (Taf. XIII. Fig. 24—29 ec). Die einfachen langen Wimperzellen, der Zellschicht der Mundhöhle, setzen sich auch auf die Basis der Tentakeln fort sowie auf die Arme des Lophophor, und gleiche Zellen stehen an der Basis, auch auf der Intertentakularmembran (Taf. XIII. Fig. 24). Ob aber in diesen Zwischenräumen auch Wimpern auf den Zellen vorhanden sind, habe ich nicht constatiren können, da an den erhärteten Exemplar ren die Tentakeln an der Basis meist dicht aneinander gepresstsind. Ein wenig nach der Spitze des Tentakels zu ändert sich aber dies Verhalten (Taf. XI1l. Fig. 25), indem hier die Fortsetzung der Mundhöhlenbekleidung sich auf die Innenfläche der Tenta- keln beschränkt, während die Seiten der Tentakeln jederseits von 2 Reihen grosser viereckiger Zellen bekleidet werden (Taf. XITI. Fig. 25 u. 26 g), die den Raum zwischen den Wim- perepithelzellen und dem oben beschriebenen Saume, resp. der Intertentakularmembran völlig einnehmen. An dem oberen Ende der Tentakeln scheinen die inneren dieser beiden Zellreihen an Grösse zu überwiegen. Die Kerne dieser Zellen sind an gehärteten Exemplaren sehr deutlich zu erkennen, und zwar liegen dieselben so, dass die Kerne der äusseren Zellreihe an dem Aussenrande der Zel- len, die der inneren Zellreihe an dem Innenrande liegen. An der Linie, in der die beiden Zellreihen einer jeden Seite zusammenstossen, findet sich eine dichte Bewimperung. Diese wird als ein Besatz starker Wimpern beschrieben, deren Schwin- gungen auf der einen Seite eines Tentakels gegen die Spitze zu gerichtet sind, während sie auf der entgegengesetzten Seite nach der Basis zu verlaufen. Bei genauer Aufmerksamkeit und starker Vergrösserung kann man aber leicht erkennen, dass die Wimpern viel dichter stehen als es den Anschein hat, und dass ihre Schwingungen in einer Ebene vor sich gehen, die den Ten- takel quer schneidet. Nun schlagen aber nicht alle Wimpern einer Seite zu gleicher Zeit in derselben Richtung, vielmehr schlägt jede folgende Wimmer um einen Tact später als die vor- hergehende, sodass erst nach einer gewissen Strecke eine Wim- Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 491 per kommt, die in demselben Augenblicke dieselbe Richtung hat, wie die, von der man ausgegangen. Die Bewegung der Wimpern pflanzt sich also wellenförmig fort, und bei schwächerer Vergrösserung sehen wir, wegen der grossen Schnelligkeit der ein- zelnen Schwingungen, keine einzelnen Wimpern mehr, sondern nur die Wellen, deren Richtung allerdings auf der einen Seite eines jeden Tentakels nach der Spitze zu, auf der entgegenge- setzten nach der Basis zu verläuft. Diese Thatsache ist Allman entgangen, obgleich bereits Farre') in seiner Abhandlung über den Bau der „Ciliobrachiate Polypi* an den Embryonen Aleyo- nidium (Halodactylus) diaphanum nachgewiesen hat, dass eine Reihe je eine gemeinsame Welle bildender Wimpern bei schwa- cher Vergrösserung häufig den Eindruck einer einzigen starken 'Wimper hervorbringt und diese Beobachtung auch zur Erklä- rung der Wimpererscheinung an den Tentakeln benutzt hat. Mitunter hört die Wimperbewegung plötzlich an einzelnen Stellen auf, um nach einer Pause in alter Weise zu begin- nen; in solchen Pausen kann man erkennen, dass die Wim- pern in der Ruhe nicht senkrecht gegen die Seiten der Tenta- keln gerichtet sind, sondern schräg nach innen; die Wimpern auf der Innenseite der Tentakeln schlagen weit weniger heftig, als die auf den Seitenflächen, und dieselben stehen nicht senk- recht gegen die Oberfläche der Tentakeln, sondern sind stark gegen die Spitze der Tentakeln geneigt. An gehärteten Exemplaren habe ich stets zu erkennen ge- glaubt, dass zwischen den Reihen der grossen 'viereckigen Zel- len und dem Wimperepithel der Innenseite sich jederseits noch eine Reihe kleiner unbewimperter Zellen vorfindet, welche die beiden unbewimperten Längszonen der Tentakeln noch breiter macht (Taf. XIII. Fig. 26). Diese unbewimperten Zonen sind es auch, welche die Reihen langer starrer Borsten tragen, welche man am lebenden Thiere jederseits an der Innenseite der Tentakeln wahrnehmen kann (Taf. XIII. Fig. 31 b).. Diese Borsten stehen einzeln, nicht in Büscheln von 2—-3 wie auf der Aussenseite, in ganz regelmässigen Abständen und ziemlich 1) Philosophical Transactions. "London 1837, 8. 410. > 492 H. Nitsche: dicht neben einander. Auch diese Borsten erhalten sich nicht an erhärteten Exemplaren. Die Bewimperung der Innenseite der Tentakeln sowie die Borsten werden von Allman nicht angeführt. Zuletzt sei noch bemerkt, dass am lebenden Thiere die einzelnen Zellen des Zellbelages nicht unterschieden werden können, und derselbe aus einer homogenen Schicht zu bestehen scheint, welche mitunter stärker lichtbrechende Körner einge- bettet enthält, die auf der Aussenseite der Tentakeln öfters in Haufen zusammenliegen. Die Tentakeln sind in hohem Grade beweglich; nicht nur können sich dieselben nach allen Richtungen hin krümmen, son- dern auch in der Längsrichtung vermögen sie sich zusammen- zuziehen, wobei denn sowohl der Zellenbelag als auch der Schlauch der homogenen Membran quer gerunzelt erscheint. An frischen Exemplaren kann man jedoch keine deutlichen Mus- keln innerhalb der Tentakeln wahrnehmen. Man kann nur sehen, dass die Höhlung der Tentakeln von einer durchsichtigen homogenen Schicht ausgekleidet ist, welche an der Aussen- und Innerfläche der Tentakeln nicht sehr dick ist, und von Zeit zu Zeit Anschwellungen zeigt. Dies kann man am besten auf einer Seitenansicht eines Tentakels erkennen (Taf. XI1l. Fig. 31) Wenn man dagegen einen Tentakel auf der Aussen- oder Innen- fläche betrachtet, so sieht man, dass die eben beschriebene. Schicht auf den Seiten der Höhlung dieke Wülste von halbkreisför- migem Qnerschnitt bildet (Taf. XIU. Fig. 24, 25, 26d). Bei Untersuchung von Chromsäure-Exemplaren wird aber klar, dass die Stränge auf der Aussen- und Innenseite aus runden langen Fasern bestehen, ungefähr 2—3 an der Zahl, und dass die An- schwellungen von Kernen herrühren (Taf. XIII. Fig. 30 ec), die von Zeit zu Zeit ihnen angelagert sind. Die Wülste auf den Seiten lassen jedoch keine weitere Structur beobachten, nur kann man mitunter Kerne in ihnen wahrnehmen. Die Aehnlichkeit, welche die Fasern auf der Innen- und Aussenseite mit Muskelfasern haben, ist unverkennbar. Man kann sie isoliren, und besonders ragen sie häufig aus dem Schlauch der homogenen Membran heraus, wenn man einen Tentakel zer- > u ah a ne Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. 5. w. 493 reisst. Auch die Anwesenheit der Kerne spricht für die mus- kulöse Natur dieser Gebilde. Die beiden seitlichen Wülste hingegen möchte ich am lieb- sten als das innere Epithel der Tentakeln auffassen, das aus der‘Höhle des Lophophor sich in die Höhlung der Tenta- keln fortsetzt. Auch die Innenseite des Lophophor ist nämlich, wie die Leibeshöhle, mit einem Epithel ausgekleidet. Die Beobachtung desselben ist aber ungemein schwer, und es ist bis jetzt nicht möglich Details über seine Structur anzugeben. Einige Male habe ich Wimpern auf demselben zu beobachten geglaubt, eine Beobachtung, die mit Allman’s Angaben übereinstimmt. Meist kann man aber auf die Anwesenheit von Wimpern nur aus der heftigen Wirbelbewegung schliessen, in der sich die in der Lei- besflüssigkeit flottirenden Körperchen in der Höhle des Lopho- phor befinden. Auf einem Querschnitt der Tentakeln kann man sowohl die beiden seitlichen Wülste als auch die Muskelfasern sehen; letz- tere erscheinen mit ihrem Querschnitt als stark lichtbrechende Punkte. Van Beneden hat die seitlichen Wülste für Muskeln gehalten, aber schon Allman spricht sich gegen diese Anschau- ung aus. Durch diese innerste Schicht wird das Lumen der Tentakeln etwas eingeschränkt; an der äussersten Spitze scheint sie eine die Höhlung durchsetzende Scheidewand zu bilden, durch welche das vorderste Ende derselben abge- schlossen wird (Taf. XIII. Fig. 31). Allman erwähnt, dass dieses Verhalten besonders deutlich ist bei Cristatella. Bei Al- cyonella kann man es auch beobachten. Da die Höhlungen der Tentakeln in freier Communication stehen mit der Leibeshöhle, so kommt es häufig vor, dass Körperchen, die in der Leibeshöh- lenflüssigkeit flottiren, bis in die Tentakeln dringen. So z. B. habe ich häufig Spermatozoen in denselben gesehen, eine That- sache, die erwähnt zu werden verdient, weil sie bei oberfläch- licher Beobachtung leicht zu einer Täuschung über den Bau der Tentakeln führen kann. Ueber das Epistom (Taf. XIII. Fig. 28), dessen Gestalt und Stellung bereits oben erwähnt ist, bemerkt Allman, dass 494 | H. Nitsche: die Wand desselben an der Unterseite dicker sei als an der Oberseite, dass nur die dicke Unterseite Wimpern trage, dass die Spitze desselben am ausgestülpten Thiere sich be- ständig hebe und senke, und dass die Hebung durch ein Bündel von Muskelfasern bewirkt werde, welches quer- von der Spitze der, dem Mund zugekehrten Fläche des Epistomes durch die Höhle desselben, nach der entgegengesetzten Wand verlaufe (Taf. XIU. Fig. 28 x). Diese Bemerkungen stimmen mit meinen Beobachtungen überein. Die Grundlage des Epistom’s bildet wiederum eine Lamelle der homogenen Membran, der wir schon so häufig begegneten; der Zellbelag der Unterseite des Epistom ist eine directe Fortsetzung des starken Wimperepithels der Mundhöhle. An der Spitze des Epistom und auf der Oberseite wird der Zellbelag ganz dünn; ob hier aber die Wimpern feh- len, davon habe ich mich nicht völlig überzeugen können. Auf jeden Fall wäre es sehr auffällig, da die ganze übrige Um- gebung des Mundes mit Wimpern bekleidet ist. Das Nervensystem. Mit der Tentakelkrone steht das Nervensystem in innigster Verbindung (Taf. XIIl. Fig. 23). An dem lebenden Thiere aber etwas Genaues über dasselbe zu erkunden ist kaum möglich, und auch an den meisten erhärteten Exemplaren kann man höch- stens einen Querschnitt durch das Ganglion anfertigen, dagegen . keinen Gesammtüberblick über die Verhältnisse erlangen; zu- fälliger Weise fanden sich aber unter meinem Vorrathe einige Stücke, welche die Tentakelkrone im Tode vollständig ausge- breitet hatten, und an diesen habe ich die folgenden Beobach- tungen gemacht. Das Nervensystem ist in der Höhle des Lophophor einge- schlossen. Sein Centraltheil hat ohngefähr die Form eines Siegelringes, an den man rechts und links vom Stein 2 lange Hörner angefügt hat. Den Stein stellt das eigentliche Ganglion dar, den Ring selbst der Schlundring, und die beiden Hörner sind die Ausläufer, welche in die Arme des Lophophor gehen, f En "Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 495 Das Ganglion liegt der Wand des Oesophagus auf, welche dem Rectum zugekehrt ist, und zwar dicht hinter der Mundöff- nung innerhalb des Lophophor. Es ist ohngefähr so breit, als der Durchmesser des Oesophagus beträgt, und vielleicht ein Dritttheil so lang. Auf der dem Oesophagus aufliegenden Fläche ist es mit einer tiefen Furche versehen, an der freien Seite hin- gegen ist es gewölbt, und erhält so auf dem Querschnitte — am lebenden Thiere bekommt man es meist nur auf dem opti- schen Querschnitt zu sehen — die nierenförmige Gestalt, die Allman ihm überhaupt zuschreibt (Taf. XIll. Fig. 28 n). Die beiden Enden des Ganglion setzen sich seitlich um den Schlund herum, an Dicke bedeutend abmehmend, in den ganz feinen Sehlundring fort. Derselbe ist sehr schwer zu beobachten, in- dessen habe ich doch Gelegenheit gehabt, mich von seinem Da- sein zu überzeugen. Viel dicker sind dagegen die beiden Stränge, die vom Ganglion nach der entgegengesetzten Seite in ‚die Arme des Lophophor abgesendet werden. Dieselben sind auf dem Querschnitt abgerundet viereckig und liegen der inne- ren Wand der Arme dicht an, in der Taf. XIII. Fig. 29 n ab- gebildeten Weise. Nach den Spitzen des Hufeisens zu verjün- gen sie sich allmälig. Was die histologische Zusammensetzung des Oentralnerven- systems betrifft, so habe ich beobachten können, dass es aus einer festen Hülle und einem kernhaltigen Inhalt besteht. Die Hülle scheint wieder mit der, schon so oft erwähnten, homoge- nen Membran identisch zu sein. Durch diese Scheide wird das Ganglion an den Oesophagus und die Hörner an die Wandung der Arme des Lophophor befestigt. Ob die Hülle des Nerven- systems gegen die Höhle des Lophophor hin auch noch mit einem Epithel bekleidet ist, wie man wohl vermuthen könnte, war mir zu entscheiden nicht möglich. Den Inhalt dieser Scheide bildet eine feinkörnige Masse, in die sehr zahlreiche Kerne von runder oder länglicher Form ein- gestreut sind. Diese überwiegen die feinkörnige Masse um ein Bedeutendes in dem Ganglion und in den Hörnern. Der Schlund- ring dagegen zeigt uns eine ganz feine, man könnte sagen, un- deutlich faserige Structur, aber auch dieses ist eigentlich schon 496 j H. Nitsche: ein zu starker Ausdruck für die Zusammensetzung eines so un- gemein zarten Gebildes. Eine ähnliche fein faserige Structur haben die ebenfalls sehr zarten peripherischen Nerven, die von dem Ganglion und den Hörnern ausgehen. Von dem Aussenrande der Hörner und von der Spitze derselben laufen nämlich eine Anzahl feiner Stränge aus, von denen jeder sich dem Zwischenraum zwischen je 2 Tentakeln zuwendet, dort durch die Wandung des Lophophor tritt und sich auf der Intertentakularmembran unter- halb des Zellbelages in 2—4 Arme spaltet, in der Taf. XI. Fig. 23 n abgebildeten Art und Weise. Eine nähere Verbin- dung der Nerven mit den Tentakeln konnte nicht nachgewiesen werden. Die Nerven laufen auf der Intertentakularmembran aus. Dass die beschriebenen Gebilde übrigens wirklich Nerven sind, kann kaum bezweifelt werden, da die Verbindungen der Fäden auf. der Intertentakularmembran mit dem Centralnerven- system deutlich zu beobachten sind. Merkwürdig bleibt es in- dessen, dass es mir zwar gelang, auf der Intertentakularmem- bran der inneren Seite des Hufeisens die erwähnten Fäden zu beobachten, dass aber eine Verbindung derselben mit dem Cen- tralnervensystem nicht aufzufinden war. Ich kann dies aber nur darauf schieben, dass es schwierig ist, gerade diesen Theil der Tentakelkrone ohne Verletzung auszubreiten. Mitunter wollte es mir auf Querschnitten des Ganglion und des Epistom auch erscheinen, als träte ein feiner Faden von dem Vorderrande des Ganglion in das Epistom, dessen Höhlung unmittelbar vor dem Ganglion in die Höhlung des Lophophor mündet. Ich bin hierüber aber meiner Sache nicht ganz ge- wiss, Allman erwähnt, dass er von dem Ganglion zwei Stränge nach dem ÖOesophagus habe abgehen sehen. Ich selbst habe etwas derartiges nicht bemerken können. Auch erwähnt er Nervenstränge, die jederseits von dem Ganglion in die Arme des Lophophor abgehen und auf dem Wege Nervenfüden für die Tentakeln abgeben. Er bemerkt aber, dass ein jeder die- ser Nervenstränge an der Spitze des Armes umkehre, und an dem Innenrande des Hufeisens wieder nach der Basis der Arme Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 497 'herablaufe. Merkwürdig ist es, dass diese Beschreibung ohnge- fähr mit einer Beschreibung der Contouren des Nervensystems, wie ich es dargestellt habe, stimmen würde. Die Ausbreitung der peripherischen Nerven auf der Intertentakularmembran kennt Allman nicht. Das Muskelsystem. Von Allman sind acht verschiedene Muskelgruppen bei den phylactolaemen Bryozoen unterschieden worden: 1) Retractoren des Polypid, 2) Rotatoren der Tentakelkrone, 2) Tentakelmuskeln (?), 4) Elevatoren des Epistom, 5) Vordere Parietovaginalmuskeln, 6) Hintere Parietovaginalmuskeln, 7) Sphincter, 8) Muskeln der Leibeswand. Diese Gruppen lassen sich in zwei grössere nein bringen. Die erste Abtheilung würde dann diejenigen Muskeln umfassen, welche zu tunicae musculares zusammentreten, die zweite die freien Muskelfasern, welche nicht an eine Fläche gebunden, sondern frei in der Leibeshöhle ausgespannt sind. Zu der ersteren Abtheilung sind zu rechnen die Muskeln der Leibeswand, nebst den zu ihnen gehörigen sogenannten hinteren Parietovaginalmuskeln, und die Musculatur des Darm- tractus. Den Uebergang zu der zweiten Abtheilung bilden die Ten- takelmuskeln, die zwar einer Membran anliegen, aber doch nicht eine eigentliche tunica muscularis zusammensetzen helfen. Diese sämmtlichen Muskeln sind bereits oben ausführlich besprochen worden. Die zweite Abtheilung umschliesst die Elevatoren des Epi- stom — auch diese sind bereits erwähnt — die vorderen Parie- tovaginalmuskeln, und die beiden Allman’schen Gruppen der Retractoren und Rotatoren, die ich als die grossen Bewegungs- muskeln des Polypid zusammenfassen möchte. Beiläufig sei er- wähnt, dass Allman unter dem Ausdruck Polypid das Einzel- ikeichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868, 33 498 H. Nitsche: thier eines Bryozoenstockes versteht, also eigentlich hier den einzelnen Darmtractus mit der Tentakelkrone, denn der Leibes- wandsack gehört öfters mehreren Einzelthieren gemeinsam an. Die vorderen Parietovaginalmuskeln (Taf. XI. Fig.9d u. Taf. XII. Fig. 18) sind feine, stark lichtbrechende, eylindri- sche Muskelfäden, welche in ziemlicher Anzahl zwischen den Wänden der Falte ausgespannt sind, welche durch den vorderen Theil der Endoeyste und die Duplicatur gebildet wird. Sie sind nicht zu Bündeln vereinigt, sondern stehen einzeln in regelmässi- gen Abständen von einander. Ihre beiden Enden heften sich mit einer kleinen Verbreiterung, das eine an die eigentliche En- docyste, das andere an die Duplicatur an, setzen sich aber nicht etwa, wie die hinteren Parietovaginalmuskeln, in die Muskel- schicht der Leibeswand fort; von den hinteren Parietovaginal- muskeln unterscheiden sie sich besonders scharf dadurch, dass sie einfache Muskelfasern, jene hingegen zusammengesetzte Ge- bilde sind, wie oben ausführlich dargestellt worden. Allman giebt an, dass bei einigen Species an diesen Muskeln kleine An- schwellungen vorkommen. Auch bei Alcyonella fungosa sind diese vorhanden, und weisen sich, wenn man sie an Chrom- säure-Exemplaren betrachtet, als Kerne aus. An den Stellen, wo diese Kerne der eigentlichen Muskelfaser anliegen, kann man ein feines Sarcolemma erkennen, das sowohl Kern als Faser umhüllt. Jede Faser hat nur einen Kern, dessen Stel- lung an ihr aber nicht beständig ist; bei den einen liegt er mehr nach der Mitte zu, bei anderen dicht an der Insertions- stelle des Muskels, in welchem letzteren Falle er sich leicht der Beobachtung entzieht. Gerade die Anwesenheit der Kerne jässt keinen Zweifel an der muskulösen Natur dieser Gebilde, die Allman nicht ganz ausgemacht erschien, aufkommen, denn, wie wir gleich sehen werden, gleichen sie dadurch den Fasern der grossen Retractoren auf das Genaueste, Auch kann man bemerken, dass sie am lebenden Thier einen hohen Grad von Contractilität besitzen, die sich allerdings niemals in plötzlichen schnellen Zusammenziehungen äussert, sodass man, bei Nicht- berücksichtigung der histologischen Momente, zweifelhaft sein könnte, ob die leicht zu beobachtenden Dimensionsveränderungen 2 ne Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. 8. w. 499 v dieser Fasern activer oder passiver Natur seien. Contrahiren sich diese Muskeln, so erweitern sie die Oeffnung der am ein- gezogenen Thiere vor den Tentakeln meist stark zusammen- geschnürten Tentakelscheide, wenn die Tentakelkrone ausge- stülpt werden soll. Die grossen Bewegungsmuskeln des Polypid be- stehen aus starken Fasern, welche zu Bündeln zusammentreten, aber ohne dass die einzelnen Fasern in irgend einer Weise mit den anliegenden verbunden sind. Die einzelnen Muskel- fasern sind drehrunde, stark lichtbrechende, wasserhelle lange Fäden; von einem deutlichen Sarcolemma umhüllt, welches sich von der abgerissenen Faser leicht abhebt und dann blasenartig anschwillt (Taf. XII Fig. 20). Auch hat jede Muskelfaser in der Mitte ihrer Längsumdrehung einen deutlichen ovalen Kern mit Kernkörperchen, welcher zwischen der eigentlichen Muskelsubstanz und dem Sarcolemma, das an dieser Stelle ein wenig aufgetrieben erscheint, gelagert ist (Taf. XII. Fig. 19). Wenn man eine ganz junge Knospe untersucht, so sind hier die einzelnen Muskelfasern noch kurze spindelförmige Zellen mit wandständigem Kern; einem etwas älteren Thiere sind die gezeichneten Muskelfasern entnommen worden, und um einen genauen Begriff von dem Ansehen einer Muskelfaser des er- wachsenen Thieres zu bekommen, braucht man sich nur die Enden der gezeichneten Fasern um ein bedeutendes Stück ver- längert zu denken. Der Kern tritt dann im Verhältniss zu der Zelle selbst ganz zurück, und es bedarf der eben erwähn- ten entwickelungsgeschichtlichen Beobachtung, um uns zu über- zeugen, dass jede lange Muskelfaser eine einzige Zelle reprä- sentirt. Der Kern ist in allen Fällen wahrzunehmen, am leich- testen kann man sich von seinem Vorhandensein überzeugen an einem lebenden Exemplar von Lophopus crystallinus, an dem man bei der Durchsichtigkeit der Endocyste deutlich die Anschwellung wahrnehmen kann, die in der Mitte der Muskel- bündel von den zusammenliegenden Kernen der einzelnen Fa- sern hervorgebracht werden. Allman erwähnt diese Kerne nicht, giebt dagegen an, dass die Muskelfasern quergestreift seien. Es war mir indessen niemals möglich, weder an leben- 33* 500 H. Nitsche: den, noch an frisch getödteten, noch an erhärteten Exemplaren eine Erscheinung zu entdecken, die mir als wirkliche Quer- streifung erschienen wäre. Mitunter ist allerdings das Sarco- lemma ein wenig quergerunzelt, dies kommt aber daher, dass nur die eigentliche Muskelsubstanz contractil ist, das Sarco- lemma aber nicht. Auch die Neigung der frischen Fasern, beim Zerreissen nach der Querrichtung in Scheiben zu zer- fallen, ist durchaus nicht immer gleich stark vorhanden (Taf. XL. Fig. 20), und es ist die Art und Weise, in der dies Zerfallen vor sich geht, so unregelmässig und willkürlich, dass ich mich nicht habe überzeugen können, dass dasselbe durch eine, im lebenden Muskel präformirte, Anordnung der Theilchen hervor- gerufen wird. Vielmehr erschien mir dieser Vorgang einfach als durch Gerinnung der Muskelsubstanz bedingt. Auch an gehärteten Exemplaren erscheint die Muskelsubstanz niemals quergestreift, sondern als ein einfacher homogener Cylinder. Was die Anordnung dieser Muskeln im Allgemeinen be- trifft, so ist bereits bei Besprechung der Verdauungsorgane erwähnt worden, dass dieselben zwischen der Leibeswand und dem Darmtractus ausgespannt sind (Taf. XI. Fig. 9). Allman giebt an, dass lange Muskelbündel jederseits von dem ÖOesophagus und dem Lophophor entspringen, um sich weit hinten an die Endocyste zu befestigen; gelegentlich ent- sprängen einzelne Fasern auch von dem Magen. Dies ist eine genaue Beschreibung dessen, was man an dem lebenden, ausgestülpten Thiere beobachten kann; die geringe Durchsich- tigkeit der Eetocyste verhindert aber meistentheils die Beob- achtung am zurückgezogenen lebenden Thiere, und nur an Chromsäure-Exemplaren kann man erkennen, dass die Mus- kulatur bilateral symmetrisch angeordnet ist, ein Verhältniss, das in der Allman’schen Darstellung durchaus nicht hervortritt. An einem zurückgezogenen Thiere von Alcyonella fungosa erkennt man leicht, dass jederseits von den Seitenfächen des ÖOesophagus und des Magens eine grosse Anzahl der beschrie- benen Muskelfasern entspringt, welche convergirend, die der rechten Seite nach rechts, die der linken Seite nach links 0 Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 501 _ quer durch die Leibeshöhle zweien Ansatzstellen an der Leibes- wand zulaufen, die ohngefähr gegenüber dem Cardialtheile des Magens rechts und links in gleicher Entfernung von der Mit- tellinie der Neuralseite liegen. Bei genauerer Betrachtung fin- det man dann, dass die Muskelfasern, welche an der Neural- seite der Ansatzstellen sich befestigen, nach dem vordersten Theile des Oesophagus und dem ihm zunächst liegenden Theil der Tentakelscheide, oder wie sich Allman ausdrückt, nach dem Lophophor laufen (Taf. XI. Fig. 9 nn‘). Diese bilden zu- sammen jederseits eine Art gesonderten Muskelbündels, und Allman trennt die nach der Tentakelscheide abgehenden als Rotatoren der Tentakelkrone ab. Die an der Hämalseite der Ansatzstellen entspringenden Muskelfasern (n‘’ n’'' n‘''), laufen an den übrigen Theil des ‚Oesophagus und den Magen, und zwar bilden ihre Insertionen an dem Oesophagus und dem Cardialtheil des Magens jederseits eine ununterbrochene Linie; diese Linien entsprechen aber nicht genau den Seitenlinien des Magens und des Oesophagus, sondern sie sind ein wenig mehr nach der Neuralseite hiraufgerückt, so dass sie am Car- dialtheil des Magens in die Furche fallen, in der derselbe mit dem Rectum zusammenstösst, (mit dem er ja, wie wir gesehen haben, durch den Epithelialschlauch verwächst). An dem Py- lortheile des Magens setzen sich hingegen die Muskelfasern jederseits in mehreren Bündeln von je 10 oder 12 Fasern an, wenigstens ist dies so bei dem ausgewachsenen Thiere, wäh- rend bei den jungen Knospen auch hier die Ansatzstellen eine continuirliche Linie zu bilden scheinen. Nur am blinden Ende des Magens von der Stelle ab, wo die Muskulatur des Darmes sich in der beschriebenen Weise zu verdicken beginnt, finden sich keine Muskelinsertionen. Die Muskelfasern verbreitern sich ein wenig bei der Insertion an der Magenwand (Taf. XI. Fig. 21). Aus den eben geschilderten Verhältnissen ersieht man leicht, dass die Bezeichnung dieser Muskeln als Retractoren einen zu beschränkten Begriff von ihrer Wirksamkeit giebt. Der grössere Theil derselben kann durch Vorschieben des Darmtractus sehr wohl bei der Ausstülpung der Tentakelkrone 502 H. Nitsche: sich betheiligen. Allman nahm an, die Ausstülpung erfolge allein dadurch, dass die, durch Contraction der Leibeswand zusammengepresste, Flüssigkeit in der Leibeshöhle den Polypid nach vorn zu treibe. Wenn sich das Thier nur wenig zurück- gezogen hat, so mag die Ausstülpung auch wohl ziemlich aus- schliesslich in letzterer Weise vor sich gehen. Ist aber das Thier ganz zurückgezogen, so können die grossen Bewegungs- muskeln die Ausstülpung einleiten. Betrachtet man das gänzlich zurückgezogene Thier, so scheinen die nach der Tentakelscheide und dem vordersten Theil des Oesophagus verlaufenden Muskelfasern die dem hin- teren Theile des Magens sich inserirenden Fasern an Dicke bedeutend zu übertreffen, ohngefähr um das Vierfache. Die dem mittleren Theil des Darmtractus sich inserirenden Fasern nehmen auch in Betreff der Dicke die Mitte zwischen den bei- den Extremen ein. Letztere Fasern sind alsdann auch meist nicht angespannt, sondern füllen, erschlafft, in lange schlan- genförmige Windungen zusammengelegt den Zwischenraum zwi- schen Magen und Leibeswand. Indessen habe ich mich über- zeugt, dass diese Verschiedenheit in der Dicke lediglich von dem Contractionszustande der Fasern abhängt, und wenn man ein weniger zurückgezogenes Thier betrachtet, so kann es vor- kommen, dass man die Verhältnisse gerade umgekehrt findet, Ist das Thier ganz ausgestülpt, so ist die Dehnung aller Fasern so bedeutend, dass ein Unterschied in der Dieke nicht wahr- genommen werden kann, und der Darmtractus ist soweit vor- geschoben, dass: alle Fasern der grossen Bewegungsmuskeln bei der Retraction mitwirken können, Hiermit wäre die Darstellung der Anatomie beendet; be- sondere Generationsorgane besitzen die Bryozoen nicht; Eier und Spermatozoen bilden sich nur zeitweise, letztere an dem oberen Theile des Funiculus. Die Beobachtungen dieser Vor- gänge, sowie die Untersuchung des Knospungsprocesses sind noch nicht abgeschlossen, dagegen gelang es die Bildungsge- schichte der Statoblasten genau zu verfolgen, zu deren Dar- stellung ich mich wende, Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 503 Die Statoblasten. An dem Funiculus, dessen Struktur bereits beschrieben worden ist, bilden sich zweierlei der Fortpflanzung dienende Producte, einmal, und zwar zunächst dem Magen, die Sperma- tozoen, andererseits auf der ganzen übrigen Länge des Funi- eulus die sogenannten Statoblasten. Gegen Ende des Sommers sind dieselben in so grosser Anzahl vorhanden, dass sie beinahe die ganze Leibeshöhle der einzelnen Thiere ausfüllen. Sie fallen allmälig von dem Funi- culus ab, liegen frei in der Leibeshöhle und®werden dann bei Zerstörung des Thieres in dem Wasser verstreut. In den Ge- wässern, in denen die Bryozoen vorkommen, kann man um " diese Zeit kaum eine Flasche voll Wasser schöpfen, ohne eine erkleckliche Anzahl Statoblasten mit zu bekommen. Sie fielen durch die verhältnissmässig bedeutende Grösse und die selt- same Form sogleich bei der ersten Untersuchung von Alcyo- nella den Forschern in die Augen, und da man bald entdeckte, dass sie unter günstigen Umständen nach eiriger Zeit sich öffnen, um ein junges Thier ausschlüpfen zu lassen, so wurden sie ohne Weiteres für Eier angesprochen. Auch Allman hegte Anfangs diese Meinung, bis er die wahren Eier von Aleyonella entdeckte, und nun die Statoblasten als sich ablösende Knospen bezeichnete, die zur Erhaltung der Species unter ungünstigen Umständen dienen sollen. Die Statoblasten sind flache Körper von elliptischem Um- riss (Taf. XII. Fig. 22a). An der dicksten Stelle erreicht ihre Dicke ohngefähr ein Dritttheil von der längeren Achse der Ellipse. Messungen an 30, auf das Gerathewohl herausgegriffe- nen, völlig ausgebildeten Statoblasten von Alcyonella fungosa ergaben die folgenden Zahlen: Längere Achse. Kürzere Achse. Maximum . . 0,45mm 0,54mm Minimum, . . 0,37um 0,27 mm Mittlerer Werth 0,4035mm 0,3125mm Es stehen diese beiden Achsen aber in keinem ganz con- stanten Verhältniss, so dass ziemlich bedeutende Schwankungen 504 H. Nitsche: im Umriss vorkommen können. Die Statoblasten werden im ausgebildeten Zustande von einer Chitinhülle umschlossen. Ob es wirkliches Chitin oder nur eine verwandte Substanz ist, ist schwer zu entscheiden, indessen habe ich mich überzeugt, dass die Hüllen in kochender Aetzkalilauge unlöslich, in kochender Salpetersäure dagegen löslich sind. An dieser Chitinhülle kann man zwei verschiedene Theile unterscheiden, den Discus und den Schwimmring. Der Diseus, der wesentlichere der beiden Theile, der das Bildungsmaterial für das zukünftige junge Thier’einschliesst, ist eine linsenförmige Kapsel von ovalem Umriss (Taf. XII. Fig. 22b). Die eine Seite ist ziemlich flach, aber regelmässig gewölbt, während die andere, stärker convexe, nach dem Rande zu steiler abfällt. Der Discus hat eine dunkelbraune Farbe und zeigt eine Sculptur, aus hexagonalen Figuren bestehend (Taf. XTV. Fig. 44). In der Mitte jedes Hexagons erhebt sich ein flacher Hügel, so dass bei schwacher Vergrösserung die ganze Oberfläche granulirt erscheint. Die convexere Seite zeigt ausserdem auch noch eine concentrische Streifung. Die Gren- zen der Hexagone und die Hügel erscheinen, je nach der Ein- stellung des Miskroskopes, bald heller und bald dunkeler als die übrige Fläche, aber stets sind beide von gleicher Schatti- rung. Da man nun auf Querschnitten die Hügel deutlich als solche erkennt, so sind wahrscheinlich auch die Grenzen er- haben, wenn auch nur sehr schwach. Ein Querschnitt des Discus zeigt ferner, dass die Hülle aus parallel geschichteten Lagen besteht, deren Grenzen sich auf dem Querschnitt als dunkele Linien markiren (Taf, XIV. Fig. 43ch). Der Schwimmring (Taf. XIV. Fig.42r) umgiebt den Discus längs des scharfen Randes, welcher letztere so zu sagen in einen Falz an der Innenseite des Ringes eingelassen ist. Der Ring greift auf der gewölbteren Seite des Discus weiter nach der Mitte zu über als an der flacheren. Er giebt durch seinen ellipti- schen Umriss dem ganzen Statoblasten diese Gestalt. An zwei Stellen ist der Schwimmring bedeutend breiter als an den da- zwischenliegenden; die Verbindungslinie dieser beiden breiteren Stellen entspricht der längeren Achse des Discus. Der Schwimm- Ye Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 505 ring besteht aus zwei Lagen gänzlich geschlossener Chitin- zellen, welche nur Luft enthalten und den Zweck zu haben scheinen, den frei herumschwimmenden Statoblasten an der Oberfläche des Wassers zu erhalten. Die Zellen sind lang- prismatisch von sechsseitigem Querschnitt, mit ihren langen Seiten dicht aneinandergereiht wie die Zellen einer Bienen- wabe. Sie sind ganz geschlossen; nach der Oberfläche des Ringes zu mit einer kleinen Wölbung, so dass derselbe ein brombeerartiges Aussehen erhält. Die beiden Zelllagen ent- sprechen den beiden Flächen des Discus. Die Längsachsen der Zellen sind ziemlich senkrecht gegen die Oberfläche des Discus gerichtet. An dem Aussenrande des Schwimmringes stossen die beiden Zelllagen ein Stück weit gegen einander, weiter nach innen zu trennen sie sich aber, um den Falz zu bilden, in den der Rand des Discus eingelassen ist. Auf einem Querschnitt hat es den Anschein, als liefe um den scharfen Rand des Discus ein flacher Bord, auf dem die äusseren Zellen des Schwimmringes ständen. Das ist aber eine Täuschung, der Bord wird lediglich durch das Zusammentreten der Zell- wände der beiden Lagen gebildet. Die Art und Weise der Entstehung der, bei allen phylac- tolaemen Süsswasserbryozoen vorkommenden Statoblasten '), ist bis jetzt nur von Allman an Lophopus erystallinus beobachtet worden. Seinen Angaben zufolge erscheinen sie zuerst als kleine Anschwellung auf dem Funiculus, bestehend aus einem Häufchen kleiner Zellen, die von einer mit der Aussenschicht des 'Funieulus zusammenhängenden dichteren Schicht umgeben werden. Diese Anschwellung wächst, nimmt eine regelmässige ovale Form an, während ihr Inhalt durchgängig körnig ist und augenscheinlich aus zwei dicht aneinander liegenden Massen besteht, die aber bald darauf wieder verschmelzen. Der Inhalt besteht aus kleinen Zellen und wird bald von einer gemein- "samen durchsichtigen Membran, welche ebenfalls zelliger Natur 1) Parfitt will jetzt auch bei Paludicella Statoblasten gefunden haben Ann. and Magaz. of-Nat. History. Vol. XVIII. 1866. p. 171 bis 173. 506 H. Nitsche: ist, nach aussen begrenzt. Nun wird das ganze Gebilde linsen- förmig, und es entstehen innerhalb der äusseren Bedeckung zwei andere Hüllen, von denen sich die innere über den gan- zen Umfang der Zellmasse erstreckt, während die äussere in Form eines Ringes den Rand der Linse umgiebt. Bis zu die- sem Punkte der Entwickelung sind die beiden Hüllen einfach körnig; bald aber kann man erkennen, dass der Ring aus ge- trennten Zellen besteht, welche aus einem hellen nucleusartigen Mittelpunkte und einer Anzahl concentrischer Lagen, die an die Verdiekungsschichten gewisser Pflanzenzellen erinnern, zu- sammengesetzt sind. Die innere Hülle nebst dem Ringe wird nun mehr und mehr undurchsichtig und hornartig, erstere er- hält eine braune, letzterer eine gelbe Färbung, und der Ring besteht nun aus einer Menge hexagonaler mit Luft erfüllter Zellen. Wird der nunmehr ausgebildete Statoblast zerquetscht, so treten eine Menge von Zellen mit stark lichtbrechenden Kör- perehen gefüllt aus. Allman erwähnt auch noch, dass er manchmal bei Alcyonella fungosa Statoblasten bemerkt habe, die in der Mitte der convexeren Seite eine regelmässig ellip- tische Oeffnung hatten, aber stets leer waren, und erklärt die- selben für wahrscheinlich abnorme Bildungen. Die fernere Ent- wickelung des Inhaltes der Statoblasten zum jungen Thier hat Allman nicht beobachten können. Auch mir ist dies bis jetzt nicht gelungen, dugegen habe ich die Bildung der Statoblasten selbst bei Alcyonella fungosa ziemlich genau verfolgen können, so dass ich im Stande bin, die Allman’schen Beobachtungen etwas zu erweitern. Die Statoblasten entstehen aus einem wurstförmigen Körper (Taf. XIV. Fig. 32), der sich, sobald das Thier seine volle Ent- wickelung erreicht hat, unterhalb der äusseren Epithelschicht des Funiculus bildet und sich in einer langen Spirale um den- selben windet. Dieser, ich möchte sagen Keimstock, besteht aus einem Aggregate vieler runder stark lichtbrechender Kerne mit Kernkörperchen, zwischen denen, wenn auch wohl nur spärlich, sich Protoplasma findet. Von diesem Keimstock schnü- ren sich nach und nach kleine Klümpchen von Kernen ab, die sich bald deutlich von den nebenliegenden abheben und einen Beiträge zur Anatomie und Eutwickelungsgeschichte u. s. w. 507 - bestimmten Contour zeigen. Dieser Abschnürungsprocess beginnt an dem dem Magen zunächst liegenden Ende des Keimstockes, und wenn man den Funiculus mit Statoblasten besetzt findet, ist meist die Entwickelung der zuerst abgeschnürten Klümpchen bereits weit vorgeschritten, während nur an dem der Leibes- wand ansitzenden Ende des Funiculus der ursprüngliche Keim- stock zu beobachten ist. — Die Klümpchen wachsen nun unter- halb der Epithelialschicht des Funiculus und rücken dabei etwas auseinander. Sie werden allein von dem Epithel des Funiculus an dem letzteren festgehalten, indem sie in einer Ausstülpung des Epithels wie in einem dicht anschliessenden Sacke liegen. Jedes solcher Klümpchen stellt einen Statoblasten dar. Ein jeder dieser jungen Statoblasten zerfällt nun in 2 Hälften (Taf. XIV. Fig. 32 b), ein Vorgang, der durch eine aequatorial um ihn herumlaufende Furche deutlich angezeigt wird, und hat nun genau das Ansehen eines in die beiden primitiven Fur- chungskugeln zerfallenen Dotters; ob die beiden Hälften durch eine Membran getrennt sind, vermochte ich mit Sicherheit nicht zu entscheiden. Der nächste Schritt ist der, dass sich in der vom Funiculus abgewendeten Hälfte die Kerne in einer einfa- chen Lage an die Peripherie derselben anlegen, wodurch eine mittlere Höhle erzeugt wird (Taf. XIV. Fig. 33 h). Hierdurch wird zum ersten Male die verschiedene Bestimmung dieser bei- den Hälften angezeigt: die ausgehöhlte ist zur Bildung der Chitinhülle bestimmt, während die andere das Material zu dem künftigen Thiere liefert. Ich werde dieselben von nun an, jene als cystogene Hälfte resp. Schicht, diese als Bildungsmasse bezeichnen. Der Statoblast nimmt indess an Grösse zu, die Epithelialhülle des Funiculus immer mehr ausdehnend. . Um die einzelnen Kerne an der Wandung der Höhle in der cystogenen Hälfte sammelt sich Protoplasma, und es bildet sich um jeden Kern eine Zelle (Taf. XIV. Fig. 34). Diese Zellen haben genau die Form von Cylinderepithelien. Sie zeigen einen hexagonalen Querschnitt, die Kerne liegen an ihrem peripherischen Ende. Auch in der anderen Hälfte zeigt sich eine Vermehrung des Protoplasma nebst schwachen Andeu- tungen von Zellgrenzen, und die Kerne zeigen eine Tendenz, 508 H. Nitsche: sich in senkrecht auf der Trennungsebene der beiden Hälften stehende Reihen zu ordnen. Der bis jetzt ziemlich kugelförmige Statoblast fängt nun an sich abzuplatten (Taf. XIV. Fig. 35), und zwar so, dass die Ab- plattung senkrecht gegen die Trennungsebene beider Hälften geschieht. Der Statoblast wird hierdurch linsenförmig, der Con- tour der Linse ist aber nicht kreisrund, sondern oval, die Ge- stalt des Discus, so zu sagen, präformirend. Die nicht ausge- höhlte Hälfte nimmt nun bedeutend an Volumen zu, nnd es sam- melt sich das Protoplasma um die Kerne zu spindelförmigen Massen, deren längere Achsen senkrecht gegen die Peripherie des Statoblasten stehen. Die eystogene Hälfte plattet sich dagegen ab, und breitet sich nur in der Richtung ihres grössten Umfan- ges aus. Es schwindet hierbei die Höhlung, indem ihre beiden Wandungen sich dicht an einander legen, und die cystogene Hälfte liegt nun als ein kuchenförmiger Körper, der aus 2 an den Rändern in einander übergehenden Zellschichten besteht, der Bildungsmasse auf; beide Hälften werden von der Epithel- schicht des Funiculus umschlossen, die eine dünne feinkörnige Schicht bildet, auf der grosse elliptische Kerne mit Kernkörper- chen kleine ‘Anschwellungen hervorbringen. Die kuchenförmige eystogene Schicht breitet sich nun all- mälig an den Rändern aus und umwächst nach und nach die Bildungsmasse, ohngefähr in derselben Weise, wie die Falte des Amnion den Embryo umwächst; das Wachsthum scheint be- sonders an dem Rande des Kuchens durch Zelltheilung vor sich zu gehen. Zwischen den beiden Zellschichten der cystogenen Hälfte zeigt sich nun eine stärker lichtbrechende Membran, die in ihren ersten Anfängen so durchsichtig ist, dass man sie nur auf dem Querschnitte eines Statoblasten erkennen kann (Taf. XTV.Fig. 36ch). Dies ist die Anlage der Chitinhülle, und zwar erscheint dieselbe als eine Absonderung der äusseren Zelllage der cysto- genen Schicht, da sie sich zu verdicken fortfährt, auch nach dem gänzlichen Verschwinden der inneren Zelllage, und eine den Zellumrissen der äusseren Schicht entsprechende Sculptur er- hält. Die Bildungsmasse hat sich inzwischen zu langen spin- Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 509 delförmigen Zellen differenzirt, und während die Kerne aus den- selben verschwinden, wandelt sich ihr Inhalt in lauter kleine stark lichtbrechende Körner um. Nur an der Peripherie der Bildungsmasse bleiben Kerne zurück, von ein wenig feinkörni- gem Protoplasma umgeben, und ein Theil der spindelförmigen Zellen, welche noch immer ziemlich senkrecht gegen die Peri- pherie gerichtet sind, geht mit ihren spitzen Enden in diese äussere Schicht über, indem jede Zelle dadurch eine fussartige Ausbreitung an ihrer peripherischen Spitze erhält, in welcher meist ein Kern liegt. Wenn der Statoblast jetzt zerquetscht wird, so bleiben in Folge der beschriebenen Verhältnisse eine Anzahl der spindelförmigen Zellen mit dem einen Ende fest an die Epithelialschicht des Statoblasten geheftet. Nachdem nun der Statoblast allmälig soweit gewachsen ist, dass er abgesehen von der äusseren Zelllage des cystogenen Theiles die definitive Grösse des Discus erhalten hat, zeigt sich eine Knickung der feinen Chitinmembran rings an dem Umfange derselben (Taf. XIV. Fig. 37). Der hierdurch erzeugte Rand ist die Anlage des scharfen Randes des Discus. Indem nun zu gleicher Zeit die eystogene Schicht den Rand des Statoblas- ten umwächst, und die Chitinmembran entsprechend an den Rändern zunimmt, erhält die Chitinhülle die Gestalt des ferti- gen Discus, mit dem Unterschiede, dass sie noch sehr dünn ist und an der dem Funiculus zugewendeten Seite in der Mitte noch ein grosses Loch hat (Taf. XIV. Fig. 38). Die Chitin- . membran ist jetzt hellgelb, an den Rändern des Loches, also da wo sie sich weiterzubilden fortfährt, sehr dünn, an dem scharfen Rande des Discus, wo sie auch zuerst die definitive braune Farbe annimmt, dagegen ziemlich verdickt. Die beiden Zelllagen der cystogenen Schicht haben sich _ inzwischen verschieden entwickelt; während die innere in der Mitte ihrer Flächenausdehnung etwas undeutlicher wird, und augenscheinlich von hier aus einer regressiven Metamorphose anheimfällt, dagegen an den Rändern, wo sie mit äusserer Zell- lage zusammenhängt, noch immer weiterwächst und intact bleibt (Taf, XIV. Fig. 36, 37, 38 z), haben sich die Zellen der äusse- ren Zellschicht ein wenig in die Länge gestreckt, ihre inneren 510 H. Nitsche: Enden haben sich etwas von einander getrennt, auch ist der Kern ein klein wenig mehr nach Innen gerückt. Während aber diese letzteren Zellen auf der Seite des Statoblasten, die ursprüng- lich der eystogenen Hälfte entsprach (ich werde diese von nun an die obere nennen), senkrecht gegen die Peripherie stehen, ist dies mit den Zellen an den Rändern der cystogenen Schicht, die auf die andere Seite herumgewachsen sind, nicht der Fall, sondern diese stehen sämmtlich mit ihren längeren Achsen senk- recht gegen eine durch den scharfen Rand des Discus bestimmte Ebene, und daher kommt es, dass, bei gleichbleibender allge- meiner Dicke der äusseren Zellschicht, die einzelnen Zellen am Rande der Unterseite doch länger sind, als die Zellen der‘ Oberseite. Indessen beginnen jetzt auch die Randzellen der oberen Seite der äusseren Zellschicht sich gewaltig in die Länge zu strecken, wobei sie oben und unten dünner werden und der Kern nach der Mitte zu rückt (Taf. XIV. Fig. 38). Wenn nun die cystogene Schicht ohngefähr soweit um die Bildungsmasse herumgewachsen ist, dass der Durchmesser der unüberwachsenen Stelle bereits weniger als die Hälfte des längsten Durchmessers des Statoblasten beträgt, so sind die Randzellen sowohl der obe- ren als der unteren Seite so stark gewachsen, dass sie zwei bis drei Mal so lang sind, als die Zellen in der Mitte der oberen Fläche. Natürlicher Weise müssen sie sich in Folge dessen krümmen, da der Zwischenraum zwischen der äusseren Epithellage des Funiculus und der Chitinmembran ihnen nicht den gehörigen Raum zur freien Streckung darbietet; die durch die Krümmung beengten Zellen suchen sich zu strecken, und so kommt es, dass die inneren Enden der fünf oder sechs äussersten Randzellen- reihen nach und nach von dem Discus abgleiten und gegen einander zu liegen kommen, und zwar in einer Ebene, welche durch den scharfen Rand des Discus bestimmt wird (Taf. XIV. Fig. 39). Dieses Wachsthum und Gleiten der Randzellen ge- schieht aber nicht an allen Punktey des Randes gleichzeitig und gleichmässig, vielmehr beginnt es an den, den Enden der längeren Achse des Discus entsprechenden Punkten des Um- fanges, und erst später auf den dazwischenliegenden. Sobald Be Ben ae Beiträge zur Anatomie und Entwiekelungsgeschichte u. s. w. 511 nun die ersten Reihen der Randzellen jederseits vom Discus abgeglitten sind, und mit ihren Basen aufeinander ruhen, zeigt sich an ihnen eine höchst merkwürdige Erscheinung. Sie be- ginnen nämlich Chitin abzusondern, nicht nur an ihren Basen, wie sie dies ja bereits längst gethan haben, und wie es die sämmtlichen Zellen der äusseren Zellschicht thun, sondern auch an ihren Seitenwänden in die Intercellularräume hinein, und hierdurch wird allmälig der Schwimmring gebildet, dessen Zellen also nicht als wirkliche Zellen, sondern nur als aus Intercellularsubstanz geformte Abgüsse be- reits resorbirter Matrixzellen zu betrachten sind (Taf. XIV. Fig. 40, 41, 42 r). Die einzelnen Zellen sondern aber nicht von Anfang an an der ganzen Oberfläche Chitin ab, vielmehr beginnt diese Secretion an der Basis derselben, und erst allmälig nehmen auch die Seitenflächen der Zellen an die-_ ser Thätigkeit Theil. Es entstehen daher zunächst an den den Enden der längeren Achse entsprechenden Stellen des Statoblas- ten, dem scharfen Rande des Discus angesetzt, zwei kleine halb- mondförmige Borde, jeder aus 2 dicht aneinanderliegenden Chi- tinlamellen bestehend, zwischen den Zelllagen der Ober- und Unterseite. Auf diesen Borden und auf den anstossenden Stel- len der Discusflächen erhebt sich nun in den Intercellularräu- men sowohl auf der Ober- als der Unterseite des Discus eine Lage von kurzen, im Querschnitt sechsseitigen, nach oben offe- nen Chitinröhren (Taf. XIV. Fig. 40). Natürlich sieht man hier- von am unverletzten Statoblasten nichts, nur auf Querschnitten kann man diese Verhältnisse beobachten. = Dieser Vorgang zeigt sich bald um den ganzen Rand des Discus herum, und wir haben nun bereits den ganzen Schwimm- ring angelegt, dessen einzelne Zellen allerdings noch nicht ge- schlossene Räume bilden, sondern gegen die Peripherie hin offen sind und von weichen Matrixzellen erfüllt werden. Die Matrixzellen verändern sich wenn sie Chitin zu secerniren beginnen; der untere Theil der Zelle, der wirklich secernirt, wird heller und durchsichtiger, und schwillt so zu sagen ein wenig, und der Kern rückt in dem Verhältniss der Peripherie des Statoblasten zu, als die Chitinröhren in den Intercellular- 512 H. Nitsche: räumen länger werden. Auch ist der Kern bedeutend leichter erkennbar geworden. Die früher beschriebene Trennung und Zuspitzung der Basaltheile der Zellen ist gänzlich geschwunden, die Basen der Zellen liegen jetzt vielmehr dicht aneinander, nur durch die zarten Chitinmembranen von einander getrennt. Auch haben sie, wenn man die innersten Zellen des Ringes auf der oberen Fläche des Statoblasten abrechnet, ihre frühere Krüm- mung verloren. Ihre oberen Enden sind dagegen noch immer getrennt und zwar mehr als früher. Während so die Chitin- zellen des Ringes innerhalb der Dicke der äusseren Zelllage der cystogenen Schicht angelegt werden, hat sich auch die Chi- tinmembran des Discus, die sich sammt dem Rande der cysto- genen Schicht noch ein wenig weiter nach der Mitte der Unter- seite des Statoblasten vorgeschoben hat, bedeutend verdickt. Auch zeigt sich auf ihr bei schiefer Beleuchtung bereits eine Andeutung der bei Beschreibung des reifen Statoblasten erwähn- ten Sculptur der Oberseite. Die innere Zellschicht der eystogenen Schicht ist dagegen _ gänzlich geschwunden (Taf.XIV. Fig.39, 40 z'') bis auf schwache Andeutungen an den Rändern des Loches in der Chitinmem- bran, wo sie noch immer als ein eingeschlagener Saum der äusseren Zelllage den sich neubildenden Rand der Chitinmem- bran umschliesst. Durch das Gegeneinanderwachsen der Ränder der cystoge- nen Zelllage und der damit verbundenen Bildung der festen Chitinhülle auch auf der Unterseite des Statoblasten wird aber der Raum für das umwachsene Bildungsmaterial bedeutend ver- engert, und während letzteres bereits in den auf Taf. XIV. Fig. 37, 38, 39 abgebildeten Entwickelungsstadien die Form einer Linse mit diekem cylindrischen, an der einen flachen Seite angebrachten Stiele annahm, wird nun der Stiel durch die Ränder der Chitinmembran noch mehr von der übrigen Bil- dungsmasse abgeschnürt, und ragt aus dem Loche auf der Un- terseite des Discus als ein runder Knopf hervor (Taf, XTV. Fig.40), dessen Dicke grösser ist, als die der unteren eystogenen Zell- schicht, weshalb er auch das Epithel des Statoblasten ringsum ein wenig von der cystogenen Zellschicht abhebt, sodass um ihn Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 513 herum ein freier, nur von einzelnen Fäden und ein wenig kör- nigem Protoplasma ausgefüllter, im Querschnitt 3 seitiger Raum übrig bleibt (Taf. XIV. Fig: 40 v). Nun schliesst sich allmälig das Loch des Discus. Die hierzu erforderliche Chitinschicht wird aber nicht von neu ge- bildeten Zellen, welche am Rande der cystogenen Schicht ent- stehen, wie dies ja bisher geschah, wenn der Rand der Chitin- hülle des Discus sich gegen das Centrum der Unterseite hin vorschob, abgesondert, vielmehr geschieht diese Absonderung durch die bereits im Umkreise des Loches vorhandenen cysto- genen Zellen. Diese beginnen nämlich zu wachsen und zeigen das Bestreben, sich nach der Mitte der Unterseite hin kuppel- artig zusammenzuwölben, wobei ihre freien secernirenden Basen sich nach der Mitte zu verschieben und also das Loch nach und nach durch Apposition von neuer Chitinmasse an die Rän- der des Loches zu schliessen vermögen (Taf. XIV. Fig. 41). Durch den so immer weiter nach dem Centrum vorrückenden scharfen Rand der Chitinmembran wird der knopfförmige aus- serhalb des Discus hervorragende Theil des Bildungsmaterials gänzlich abgeschnürt, liegt aber noch eine Zeit lang als abge- plattete Kugel auf der Mitte der Unterseite zwischen der Chi- tinmembran und der Epithellage, fest mit letzterer verbunden, auf der dem Discus zugewendeten Seite gewölbeartig von den cystogenen Zellen bedeckt. Nach und nach verschwindet aber dieser Rest der Bildungs- masse gänzlich; es bleibt alsdann anfänglich noch ein leerer Raum zurück, und wenn auch dieser schwand und die Zell- schicht die ganze Unterseite des Statoblasten bedeckt, sind die Zellen in der Mitte noch ein wenig länger als die übrigen und ein wenig gegen einander geneigt (Taf. XIV. Fig. 42 x). Wir haben also jetzt den Statoblasten bis zu dem Punkte seiner Entwickelung verfolgt, wo sein Discus vollkommen ge- schlossen ist und die Zellen des Schwimmrings angelegt sind. Letztere sind aber noch nach oben offen und von ihren Matrix- zellen erfüllt. Wenn nun die Schliessung derselben beginnt, so zieht sich der ganze Zellinhalt der Mutterzellen sammt dem Kern nach den peripherischen Enden der Zellen, die noch immer Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868- 34 514 H. Nitsche: ein wenig von einander abstehen (Taf. XIV. Fig. 43), so dass innerhalb der Chitinröhre nur noch die dünne, glashelle, äusserst schwer zu erkennende Zellhaut der Matrixzelle zurückbleibt (Fig. 43a). Aber auch diese schwindet bald; nun sind die Chitinröhren ganz leer und ihr Inhalt hängt in Form kleiner Klümpchen mit einem Kern an der Epithelialschicht des Stato- blasten (Fig. 43b). Nach und nach breiten sich aber diese Klümpchen seitlich aus und schliessen sich dicht aneinander an, und bilden mit den ebenfalls in der regressiven Metamor- phose begriffenen übrigen Zellen der eystogenen Schicht eine eontinuirliche Lage rings um den Statoblasten (Taf. XIV. Fig. 42). Diese Lage fährt fort an ihrer ganzen inneren Oberfläche Chitin abzusondern, und durch die hierdurch jetzt gleichinässig auf der ganzen Oberfläche der Statoblasten sich ablagernde Chitinschicht werden zugleich die Zellen des Schwimmringes oben geschlossen und der Diskus an den Stel- len, wo er frei zu Tage liegt, verdickt. Nun wird auch die Sculptur des Discus deutlich, und man sieht, dass dieselbe genau der Zeichnung der absondernden Matrix entspricht, wie man sich durch einen Blick auf Taf. XIV. Fig. 44 u. 45 leicht wird überzeugen können. Die sechsseitigen Contouren entsprechen den schmalen Zwischenräumen zwischen den einzelnen hexa- gonalen Zellen der Matrix, während der kleine Hügel der Basis der Zelle correspondirt. Mit dem Verschluss der Zellen des Schwimmringes ist der Statoblast fertig. Die ihn noch umgebende weiche Zellschicht schwindet allmälig, indem sowohl die Zellen als die Epithel- schicht undeutlicher werden, und reducirt sich schliesslich auf eine ziemlich feste, sowohl aussen als innen hier und da mit kleinen Protoplasmaklümpchen besetzte Membran, durch die noch eine Zeit lang der Statoblast an dem Funiculus festge- halten wird. Aber auch diese letzte Hülle schwindet, und nur von der festen Chitinbülle bekleidet ruht der Statoblast so lange in der Leibeshöhle des Thieres, bis die Zerstörung des letzteren ihn befreit. Während der Darstellung der Entstehung der Chitinhülle, haben wir den Inbalt der Statoblasten, die Bildungsmasse, gänz- u Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 515 lich aus dem Auge verloren; indessen ist wirklich nicht viel mehr zu berichten, als dass mit der Zeit auch die beschrie- benen spindelförmigen Zellen, die in einem frühen Entwicke- _ lungsstadium die Bildungsmasse ausmachten, verschwinden, und der ganze Statoblast nun von einer gleichmässig körnigen Masse erfüllt wird. Ueber die Veränderungen, welche mit dieser Masse vor sich gehen bis zu dem Zeitpunkte, wo der Stato- blast sich öffnet, um ein junges Thier ausschlüpfen zu lassen, sowie über den Zeitraum, der verfliessen muss, damit sich der Inhalt des Statoblasten zu einem jungen Thiere entwickeln könne, darüber habe ich keine Beobachtungen zu sammeln ver- mocht. Die schliessliche Oeffnung des Statoblasten erfolgt durch eine Trennung der oberen und unteren Hälften in der Ebene des scharfen Randes des Discus uud der Grenze der beiden Zelllagen, also ohne dass auch nur eine einzige Zelle des Schwimmringes hierdurch verletzt würde. N Allman erwähnt, dass er bei Aleyonella Benedeni und Plumatella emarginata noch eine zweite Art von Stato- blasten gefunden habe, welche grösser seien als die gewöhn- lichen, und nur schwache Spuren eines Schwimmringes zeig- ten; dieselben wären stets an der Leibeswandung +angeheftet gewesen ‚ und blieben beim Absterben des Stockes durch die Reste der Ectocyste mit der Unterlage, auf der das Thier be- festigt gewesen, verbunden. Eine solche zweite Art von Stato- blasten habe ich auch bei Alcyonella fungosa gefunden (Taf. XII. Fig. 22c). Allerdings habe ich dieselben nicht in der Leibes- höhle der Thiere beobachtet, sondern nur bemerkt, dass an den Stellen, wo Aleyonellen lebten, nach dem Absterben der Thiere im Herbst derartige Statoblasten 'zurückblieben, und dass im Frühjahr darauf die aus diesen Statoblasten aus- schlüpfenden Aleyonellen an derselben Stelle neue Thierstöcke erzeugten. Ueber die Entstehung dieser zweiten Art von Stato- blasten habe ich keine Beobachtungen zu sammeln vermocht. Diese Statoblasten bestanden bei Alcyonella einfach aus einem Discus, der aber bedeutend grösser war als der Discus eines gewöhnlichen Statoblasten, und einem rings um den schar- fen Rand desselben laufenden kleinen Bord. An der Unter- 34° 516 H. Nitsche: lage ist ein solcher Statoblast befestigt durch eine dünne La- melle von Chitinsubstanz, die sich von dem scharfen Rande des Discus rings herum nach der Grundlage zieht, so gleich- sarn eine kurze Röhre bildend, deren oberen Verschluss der Statoblast darstellt. Dies Verhältniss wird durch einen Blick auf den Querschnitt eines derartigen Statoblasten, der Taf. XI. Fig. 22d abgebildet worden, am schnellsten klar werden. Die freie Fläche des Statoblasten zeigt eine aus dicht aneinander gedrängten Warzen bestehende Sculptur., Der gezeichnete Quer- schnitt ist nicht von einem Statoblasten von Alcyonella fungosa gemacht; *der zu seiner Anfertigung verwendete Statoblast wurde an einem im Wasser liegenden Zweige gefunden, und es waren keine Anzeichen vorhanden, die auf die Species schliessen liessen; derselbe zeichnete sich aber dadurch aus, dass die obere warzige Schicht seiner freien Fläche sich unge- mein leicht von der darunter liegenden Schicht löste. Die Oeffnung dieser Statoblasten erfolgt ebenfalls in der Ebene des scharfen Randes des Discus. Allman deutet diese Statoblasten als „eigenthümlich encys- tirte Knospen, die bestimmt sind eine Zeit lang in einem Ruhe- zustande zu verharren,“ Als Beweise dafür, dass ihre frühere Deutung als Eier nicht aufrecht erhalten werden kann, führt er an: Das stete Fehlen eines Keimbläschens oder Keimfleckes auch in den frühesten Stadien, das Nichteintreten des Furchungs- processes, und das Vorhandensein von wirklichen Eiern zu ge- wissen Zeiten an der Leibeswand. Auch mich haben meine Beobachtungen zu der Ansicht geführt, dass die Statoblasten eigenthümlich modifieirte Knospen sind, und ich glaube, dass die soeben beschriebene Bildungsart der Chitinhüllen, die von der Art und Weise, wie sich Eihüllen bilden, gänzlich abweicht, als ein weiterer Beweis für die Richtigkeit der Allman’schen Ansicht angesehen werden kann. Bei Berücksichtigung der eben geschilderten Entwicke- lungsgeschichte erkennt man leicht, dass die Achnlichkeit, die mau zwischen den Statoblasten und den Wintereiern der Räder- thiere, nebst deu Ephippialeiera der Daphnien zu finden ge- meint hat, lediglich darauf berulit, dass diese drei Gebilde Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. 5. w. 517 sämmtlich zur Erhaltung der Species unter ungünstigen Um- ständen dienen. Der von Carter!) versuchte Vergleich der Statoblasten mit den Gemmulae der Spongillen ist insofern berechtigter, als der Inhalt beider Gebilde aus einem Zellaggregate besteht; dass aber der von Carter gemachte Versuch, hieraus auf eine Verwandtschaft zwischen Bryozoen und Spongillen zu schliessen, gänzlich zurückgewiesen werden muss, bedarf wohl keiner län- geren Auseinandersetzung. Die Resultate der zuletzt mitgetheilten Beobachtungen kön- nen wir kurz zusammenfassen in den folgenden Sätzen: 1) Die Statoblasten entstehen am Funiculus als Knospen, unterhalb seiner Epithellage. 2) Sie differenciren sich früh in zwei Hälften, von denen die eine, die cystogene, die an- dere, die Bildungsmasse, theilweise um- wächst. 3) Die Chitinhülle der fertigen Statoblasten entsteht innerhalb der cystogenen Hälfte als Absonderung der äusseren Zelllage der letz- teren, und ist anfänglich eine einseitig der Bildungsmasse auflagernde Platte, die erst nach und nach die letztere umwächst. 4) Die Zellen des Schwimmringes sind keine wirklichen Zellen, sondern nur zellenähn- liche Absonderungen von Zellen. Hervorzuheben dürfte noch sein, dass man bis jetzt eine Chitinabsonderung nur an den freien Oberflächen zusammen- hängender Zelllagen, oder an den freien Flächen einzelner Zellen gekannt hat, während hier ein Fall vorliegt, in welchem Chitin einmal an der Contactfläche zweier Zelllagen, zum anderen in den Intercellularräumen von Zellcom- plexen abgesondert wird. 1) Ann. and Magaz. of nat. history Vol. III. 1859. 518 H. Nitsche: In dem „Homologies“ überschriebenen Abschnitte seiner Monographie bespricht Allman die Verwandtschaftsverhältnisse der Bryozoen zu den übrigen Thierformen auf das Ausführlichste, und er kommt schliesslich zu dem Resultate, die Bryozoen seien am nächsten mit den Tunicaten verwandt, eine Ansicht, die auch allgemein angenommen ist. Hierzu möchte ich mir zu be- merken erlauben, dass die von Allman ausgeführte Parallelisi- rung der Organe der Tunicaten und der Bryozoen doch einige angreifbare Punkte darbietet. Sein Vergleich der Eetocyste der Bryozoen mit dem Mantel der Tunicaten ist wohl kaum stich- haltig, denn jene ist eine erstarrte Absonderung der Zellschicht der Haut, während dieser ein aus Zellen und Intercellularsub- stanz bestehendes Gewebe ist!). } Ferner besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen den Tunicaten und Bryozoen in der Art und Weise, wie die Mus- keln in der Leibeswand beider vertheilt sind. Während näm- lich bei den letzteren eine äussere Querfaserschicht und eine innere Längsfaserschicht vorhanden sind, kennt man eine der- artige Anordnung bei den Tunicaten im Allgemeinen nicht, wenn auch allerdings die Untersuchungen noch nicht weit genug vor- geschritten sind, um das Uebereinstimmende in der Anordnung der Muskulatur bei den verschiedenen Abtheilungen der Tunica- ten erkennen zu lassen, Erklärung der Tafeln. NB. Sämmtliche Figuren sind mit Hülfe einer Oberhäuserschen Camera lucida gezeichnet, Taf. XL Fig. 1—8. Die Leibeswand. a polygonale Zellen, 5 rundliche Zellen, ce Quermuskeln, d Längsmuskeln, e inneres Epithel, p hintere Parietovaginalmuskeln. 1) conf, „Ueber die Structur des Tunicatenmantels und sein Ver- balten im polarisirten Licht, v. F. Eilhard Schulze. Zeitschrift f. wis- sensch. Zoologie. Vol. XI, 1863, Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte u. s. w. 519 Fig. 1. Tentakelscheide mit einem Stück der Duplieatur und 2 Pa- rietovaginalmuskeln, auf der Duplicatur ist der Zellbelag weggelassen. Vergr. 200. Fig. 2. Ein Stück des hinteren Theiles der Endocyste. Vergr. 200. Fig. 3. Längsmuskelschicht mit 2 hinteren Parietovaginalmuskeln. Vergr. 200. Fig. 4. Quermuskelschicht nebst einigen Längsmuskeln. Vergr 570. Fig. 5. Ein Stück des vorderen Theiles der Endocyste. Vergr. 570. Fig. 6. Querschnitt desselben. Vergr 570. Fig. 7. Hintere Parietovaginalmuskeln. Vergr. 570. Fig. 8. Pilzförmige Zelle aus dem Zellbelag der Endocyste. Vergr.570. Fig 9. Ein ausgewachsenes Thier von Alcyonella fun- gosa, zurückgezogen. Vergr. eirca 40. @ Endocyste, 5 Ectocyste, e Duplieatur, d vordere Parietovaginalmuskeln, e hintere Parietovaginal- muskeln, f Tentakelscheide, g Tentakelkrone, A Oesophagus. i Cardial- theil des Magens, % Pylortheil des Magens, ! Reetum (durch eine punk- tirte Linie angegeben), m Funiculus, n grosse Bewegungsmuskeln des Polypids. r Taf. XII. Fig. 10—17. Der Darmtractus. a äussere Epithelschicht, 5 tunica muscularis. Fig. 10. Querschnitt des Oesophagus c wabenartiger Theil des in- neren Zellbelags, d eigentliche Zellen, e innerstes Epithel. Vergr. 570. Fig. 11. Ein Schnitt durch den Oesophagus parallel seiner Längs- achse. Vergr. 570. Fig. 12. Querschnitt durch den Magen, c innere Zellschicht des Magens (Lophopus crystallinus). Vergr. 570. Fig 13. Die Zellschicht des Magens von der äusseren Fläche dar- gestellt. Vergr. 570. Fig. 14. Die Zellschicht des Rectum von der inneren Fläche dar- gestellt. Vergr. 570. Fig. 15. Einige Muskelfasern aus dem Oesophagus mit der eigen- thümlichen Querstreifung. Vergr. 570. Fig. 16. Ein Stück der tunica muscularis des mittleren Theiles des Magens. Vergr. 200. Fig. 17. Optischer Querschnitt der Epithelschicht und der tunica muscularis des blinden Endes des Magens. Vergr. 570. Fig. 18- 21- Die Muskulatur. Fig. 18. Ein vorderer Parietovaginalmuskel. Vergr. 570. Fig. 19. 2 grosse Bewegungsmuskeln eines ganz jungen Thieres. Die Kerne sind deutlich. Vergr. 570. Fig. 20. Ein Stück eines grossen, stark kontrahirten Bewegungs- muskels. Das Sarcolemma ist deutlich. Vergr. 570. 520 H. Nitsche: Fig. 21. Ansetzstellen einiger grossen Bewegungsmuskeln am hin- teren Theile des Magens. Vergr. 570. » Fig. 22. Statoblasten. Vergr. 40. a gewöhnlicher Statoblast von Alcyonella fungosa, 5 sein Discus, herausgelöst, c grosser Statoblast ohne Schwimmring von Alcyonella fungosa, d Querschnitt eines derar- tigen Statoblasten von Plumatella sp. ? Taf. XII. Fig. 23. Die Tentakelkrone von oben gesehen. Die Tentakeln sind unweit der Basis abgeschnitten und die Zellschicht entfernt, um das Nervensystem zu zeigen. e Epistom, g Ganglion, A Hörner desselben, n peripherische Nerven, n' die Ausbreitung derselben auf der Intertentakularmembran a. Vergr. 200. Fig. 24—- 30. Die Tentakeln und das Epistom nach gehär- teten Exemplaren dargestellt. @ homogene Membran, 5 äusserer Zell- belag, ce innerer Zellbelag, @ Epithelwülste der Höhlung der Tentakeln, e Tentakelmuskeln, f innerstes Epithel des Oesophagus, g die vierecki- gen Zellen anf den Seitenflächen der Tentakeln, A Höhlung des Lopho- phor, ? Brücke, die den Lophophor gegen die Leibeshöhle schliesst, X Tentakelscheide, 7 Zellbelag des Oesopharus, m Querschnitt des Gan- glion, n Querschnitt eines Hornes des Ganglion. Fig. 24. Querschnitt durch den Besaltheil der Tentakeln. Vergr. 570. Fig. 25. dito, aber ein wenig höher hinauf. Vergr. 570. Fig. 26. Querschnitt eines Tentakels. Vergr. 570. Fig. 27. Längsschnitt durch Oesophagus und Tentakelkrone an der Hämalseite. Vergr. 200. Fig. 28. Epistom, Ganglion und Oesophagus auf dem Längsschnitt. Vergr. 200. Fig. 29. Querschnitt eines Armes des Lophophor. Vergr. 200. Fig. 30. Stück eines Tentakels von dem äusseren Zellbelage be- freit, um den Saum der Intertentakularmembran zu zeigen (x). Vergr. 570. Fig. 31. Tentakel eines jungen Thieres, nach dem Leben gezeichnet, von der Seite gesehen, um die Bewimperung der Innen- fläche a, die Borsten derselben 5, und die Borsten der Aussenseite c zu zeigen. Die seitliche Bewimperung des Tentakels ist bei der Seiten- ensicht nicht wahrnehmbar. Vergr. 570. Taf. XIV. Fig. 332—45. Entwickelungsgeschichte der Statoblasten. Fig. 32—42. Vergr. 200. Fig. 43-45. Vergr. 570. Fig. 32. Funiculus mit dem Keimstock, von dem sich. die jungen Statoblasten abschnüren. e Epithel, a ganz junge Statoblasten, 5 ältere, die sich bereits in 2 Hälften differenzirt haben. Fig. 33. ein junger Statoblast, in dem sich in der cystogenen Hälfte bereits die Höhle gebildet hat, ey! 2 = durch Statoblasten in der Richtung ihres chmesers, 2 cystogene Hälfte, z' deren äussere Zelllage, - Anm a :bm Bildungsmasse, ch Den nz; r der 522 P. Uspensky: Der Einfluss der künstlichen Respiration auf die nach Vergiftung mit Brucin, Nicotin, Picrotoxin, Thebain und Coffein eintretenden Krämpfe. - . Von Dr. P. UspenskY aus Petersburg. Dr. Richter beobachtete schon bei Untersuchung des Ein- flusses des Pfeilgiftes nach Strychninvergiftung, dass nach einer nicht zu grossen Dosis von Strychnin das Thier am Leben er- halten bleiben kann, wenn man nur dafür sorgt, für einige Zeit bei demselben künstliche Respiration zu unterhalten. Dr. Leube suchte unter Leitung von Prof. Rosenthal die Menge Strychnin näher zu bestimmen, die zur tödtlichen Vergiftung nöthig ist; er fand, dass bei Einführung des Giftes durch die Mundhöhle 1 Milligr. Strychnin auf 500 Grm. Körpergewicht bei Kaninchen ausreicht, um tödtliche Krämpfe zu erzeugen. Er beobachtete zugleich, dass bei Unterhaltung der künstlichen Respiration das Thier bedeutend grössere Mengen Gift aufneh- men kann, ohne irgend welche Krampferscheinungen zu zeigen, so lange nur die künstliche Respiration fortgesetzt wird, dass nach Aufhören der künstlichen Respiration die Krämpfe aber wieder zum Vorschein kommen, Daraus erhellt, wie Prof, Rosenthal in seiner Mittheilung an die Pariser Academie hervorhebt, dass Strychnin im Blute wohl eirculiren kann, ohne die gewöhnlichen giftigen Erschei- nungen zu erzeugen, EEE we Der Einfluss der künstlichen Respiration u. s. w. 533 Es entsteht daher die Fräge, ob nun die künstliche Respi- ration in derselben Weise hemmend auf die Wirkung anderer Krämpfe erzeugender Gifte wirkt, wie dies bei Strychnin der Fall ist. Zur Entscheidung dieser Frage habe ich auf Veran- lassung des Prof. Rosenthal im physiologischen Laboratorium des Herrn Prof. du Bois-Reymond es unternommen, den Einfluss der künstlichen Respiration auf die Krämpfe bei Ver- giftungen mit Brucin, Nicotin, Picrotoxin, Thebain und Coffein zu prüfen. Wir leiteten diese Untersuchungen in der Weise ein, dass wir vor allem die Minimal-Dosis zur Hervorbringung von Kräm- pfen zu bestimmen suchten, und dann wieder die Minimal- Dosis, die zur tödtlichen Wirkung ausreicht. Es stellte sich nun dabei heraus, dass die Dosenunter- echiede für diese beiden genannten Wirkungen sehr unbedeu- tend sind; ausserdem sind diese Unterschiede bei jungen Thie- ren bedeutend kleiner, als bei erwachsenen. Nach dieser Constatirung schritten wir zur eigentlichen Untersuchung des- Einflusses der künstlichen Respiration auf das Eintreten und die Dauer der Krämpfe bei den eben genannten Stoffen. Wir machten vor allem am Thiere die Tracheotomie, führten darauf unter die Haut die Lösung des Giftes ein und leiteten dann die künstliche Respiration ein, bald unmittelbar nach der Vergiftung, bald aber, nachdem wir erst das Eintreten der Krämpfe abgewartet hatten. Wir fingen unsere Untersuchungen mit Brucin an, das nach den Angaben von Geiger in seiner Wirkung dem Strych- nin ganz analog ist, ausser dass die Intensität der Wirkung selbst beim ersteren der des letzteren nachsteht, so dass nach den Untersuchungen von Andral zur Erreichung einer und der- selben Wirkung die Dosis des Brucins 24 Mal grösser sein muss, als die des Strychnins, nach Magendie aber nur 12 Mal so gross. Das Brucin lösten wir in destillirtem kaltem Wasser bei Zusatz einiger Tropfen Essigsäure. Die Einführung des Giftes geschah immer am Rücken zwischen den Rippen und dem Becken. Schon 6—8 Minuten nach Einführung des Giftes sahen 524 P. Uspensky: x wir die ersten Zeichen der Vergiftung sich einstellen: erhöhte Reflexbewegung auf leise Berührung, sogar auch auf Geräusch; der Tetanus stellte sich nach 10—12 Minuten nach Einführung des Giftes ein. Ist die Menge des eingeführten Brucins 3 Milh- gramm auf 500 Gramm Gewicht des Thieres, so erholt sich oft das Thier nach bereits eingetretenen tonischen Convulsionen, Erreicht die Menge des Giftes bis 4 Milligrm. auf 500 Grm. Gewicht des Thieres, so stirbt gewöhnlich das Thier in 15 bis 18 Minuten nach der Einführung des Giftes. Leiteten wir nun nach dem Eintreten des Tetanus die künstliche Respiration ein, so hörten die Convulsionen voll- ständig auf und kehrten nicht wieder, so lange wir nur die künstliche Respiration fortgesetzt hatten. Nach Einstellung der künstlichen Respiration traten wieder die Convulsionen ein Leitet man aber die künstliche Respiration sogleich nach Ein- führung des Giftes ein, so sieht man nach 4 Milligrm. des Brucins auf 500 Grm. Gewicht des Thieres gar keine Convul- sionen eintreten und das Thier bleibt die ganze Zeit vollständig ruhig; nur muss in solchem Falle die künstliche Respiration l';, bis 2 Stunden fortgesetzt werden. Bei einer Dosis von 6 Milligrm. des Brucins auf 500 Grm. Thiergewicht treten die Krämpfe trotz der künstlichen Respi- ration ein, nur sind diese Krämpfe viel weniger intensiv und pflegen viel später nach der Einführung des Giftes sich einzu- stellen, als dies ohne künstliche Respiration der Fall ist. Das Thier erholt sich dann auch bei dieser Dosis wieder. Ist die Dosis des Brucins noch grösser, als 7 Milligrm. auf 500 Grm. Thiergewicht, so ist dann die künstliche Respira- tion nicht im Stande, das Thier zu retten. Wir stellten unsere Versuche an Kaninchen an, versuchten dann auch diese Erscheinung an Hühnern zu verfolgen, die nach den Angaben von Dr. Leube und Prof. Rosenthal sehr urempfindlich für das Strychnin sind. Bei Brucin aber konn- ten wir dieselbe Erscheinung beobachten, wie die eben an Ka- ninchen beschriebene, Diese Versuche beweisen also auf’s Bestimmteste, dass die künstliche Respiration denselben Einfluss auf das Eintreten der Der Einfluss der künstlichen Respiration u. 8. w. 525 Krämpfe wie auf die Dauer derselben beim Brucin hat, der schon früher beim Strychnin dargethan worden ist. Wir gingen darauf zur Untersuchung des Einflusses der künstlichen Respiration auf die Krämpfe bei Nicotinvergiftung über. Nach Untersuchungen von Kölliker erregt nämlich das Nicotin das Rückenmark und erzeugt Tetanus, freilich nur auf kurze Zeit und ohne Steigerung der Reflexerregbarkeit. Das- selbe ist auch von Prof. Rosenthal (Centralbl. 1863. No. 43.) bestätigt worden. Wir stellten daher dieselben Versuche mit künstlicher Respiration bei Nicotinvergiftung an, wie bei Bru- cin. Unsere Versuche aber zeigten uns deutlich, dass die künst- liche Respiration hier nach Nicotinvergiftung gar keinen Ein- fluss auf die Entwickelung der Krämpfe ausübt. Ganz dieselben negativen Resultate erhielteu wir bei un- seren Versuchen mit künstlicher Respiration nach Vergiftungen mit Picrotoxin, das nach Angaben von Dr. Subotin Krampf eizeugend wirkt. Wir müssen noch dabei bemerken, dass Pi- erotoxin keine Steigerung der Reflexerregbarkeit hervorruft — Berührung der Haut bringt keine Reflexe hervor. Nach Untersuchungen von W. Baxt hat das Thebain die- selbe Krampf erzeugende Wirkung, wie Strychnin, indem es zugleich ebenso wie das letztere die Reflexerregbarkeit bedeu- tend steigert. Wir sahen uns daher veranlasst, den Einfluss der künstlichen Respiration auf die Entwickelung der Krämpfe auch bei diesem Gifte zu prüfen. Das Thebain lösten wir in destillirttem Wasser bei Zusatz einiger Tropfen Salzsäure. Die Einführung des Giftes geschah immer am Rücken zwischen Rippen und Becken. “chon nach 7—9 Minuten nach Einführung des Giftes sahen wir die ersten Zeichen der Vergiftung sich einstellen: — erhöhte Reflexbewe- gung auf leise Berührung; der Tetanus stellte sich 12 bis 14 Minuten nach Einführung des Giftes ein. Ist die Menge des eingeführten Thebains 6 Milligrm. auf 500 Grm. Gewicht des Thieres, so erholt sich oft das Thier nach bereits einge- tretenen tonischen Krämpfen. Erreicht die Menge des Giftes bis 7 Milligrm. auf 500 Grm. Gewicht des Thieres, so stirbt 526 P. Uspensky: gewöhnlich das Thier in 16-20 Minuten nach Einführung des Giftes. Leiteten wir nun nach dem Eintreten des Tetanus die künstliche Respiration ein, so hörten die Krämpfe vollständig auf und kehrten nicht wieder, so lange wir nur die künstliche Respiration fortsetzten. Nach Einstellung derselben traten wie- der Krämpfe ein. " Leitet-man aber die künstliche Respiration sogleich nach Einführung des Giftes ein, so sieht man nach 6 bis 8 Milligrm des Thebains auf 500 Grm. Gewicht des: Thieres gar keine Krämpfe eintreten und das Thier bleibt die ganze Zeit voll- ständig ruhig; nur muss in solchem Falle die künstliche Re- spiration I—2 Stunden fortgesetzt werden. Bei noch grösseren Dosen treten die Keane trotz der _ künstlichen Respiration ein, nur sind die Krämpfe viel weniger intensiv und pflegen viel später nach der Einführung des Giftes‘ sich einzustellen, als dies ohne künstliche Respiration der Fall ist. Alle diese Versuche mit Thebainvergiftung wurden an Ka- ninchen angestellt, Wir sehen also, dass die künstliche Respi- ration nach Thebainvergiftung ganz dieselbe hemmende Wir- kung auf die Entwickelung und die Dauer der Krämpfe äussert, wie wir es schon früher bei Strychnin und Brucin gesehen haben. Nur muss die Dosis des Thebains 2 Mal so gross sein, wie die des Brucins, um dieselben Krämpfe zu erzeugen. In ähnlicher hemmender Weise wirkt die künstliche Respi- ration bei Vergiftung mit Coffein, welches nach Untersuchungen von Stuhlmann und Jalck ebenso Reflexkrämpfe hervor- ruft. Allerdings muss die Quantität des Coffeins noch viel grösser, als die des Thebains sein, so dass zur Hervorrufung tetanischer Krämpfe bei einem Kaninchen von 1200 Grm. Ge- wicht des Thieres nicht weniger als 12 Ctgrm. Coffein in die Bauchhöhle eingespritzt erforderlich sind. Welchen Einfluss die künstliche Respiration auf die Wir- kung anderer krampferzeugender Gifte hat, haben wir nicht weiter untersucht. Die bereits von uns angeführten Versuche zeigen aber schon, dass die künstliche Respiration hemmend ‘Der Einfluss der künstlichen Respiration u. 8. w. 527 nur auf die Wirkung einiger Gifte wirkt, auf andere aber ohne Einfluss bleibt. Es fragt sich daher, wodurch dieser Unter- schied bedingt sein kann. Dr. Richter behauptet in seiner bereits angeführten Arbeit, dass die Durchleitung eines ozoni- sirten Luftstromes durch eine Lösung des Pfeilgiftes die Be- schaffenheit dieser Lösung wesentlich alterirt und das Gift ganz unwirksam auf den thierischen Organismus macht; die dunkel- braune Farbe der Lösung verschwindet und die Flüssigkeit wird ganz farblos, Es liesse sich daher vermuthen, dass die künstliche Respiration einige Gifte ganz zerstört, andere aber weniger oder gar nicht zerstört. Diese Vermuthung aber stände im Widerspruche mit der. - ‘ Thatsache, dass die Krämpfe kurze Zeit nach dem Aufhören ' der künstlichen Respiration wieder von neuem eintreten. Die "künstliche Respiration paralysirt also die Wirkung des noch im | Blute cireulirenden Giftes. Ausserdem haben wir es direct " nachweisen können, dass die angeführte Vermuthung nicht zur Erklärung der von uns beobachteten Erscheinungen ausreicht. Wir leiteten über 2 Stunden lang bei 36—40° C. einen ozonisirten Luftstrom durch eine Brucinlösung, bis die Lösung von Ozon ganz gesättigt war und von demselben nichts mehr aufnehmen konnte: die Wirkung der Srucinlösung blieb aber trotzdem unverändert dieselbe, wiewohl die Farbe der Lösung sich änderte, indem die letztere aus einer farblosen dunkelroth wurde. Dies negative Ergebniss dieser Versuche nöthigt uns daher, die Ursache der verschiedenen Wirkung der künstlichen Respi- ration auf die Entwickelung der Krämpfe nach verschiedenen Giften in dem Wesen der Krämpfe selbst zu suchen, in der Art und Weise ihrer Entstehung. Unsere Versuche zeigten, dass die künstliche Respiration die Wirkung nur solcher Gifte aufzuheben im Stande ist, bei welchen die eintretenden Krämpfe einen ausgesprochenen reflectorischen Character zeigen; bei an- deren Giften aber, bei denen die eintretenden Krämpfe keinen - reflectorischen Character zeigen, die künstliche Respiration ganz wirkungslos bleibt. Es entsteht nun die Frage, ob die künstliche Respiration 528 P. Uspensky: Der Einfluss der künstlichen u. s. w. ihre hemmende Wirkung auf die Entwickelung der reflectori- schen Krämpfe äussert durch eine dabei zu Stande kommende Paralyse der Reflexmechanismen im Rückenmark selbst, oder aber, indem diese künstliche Respiration einen Reiz auf ‘das reflexhemmende Centrum im Gehirn ausübt und durch eine auf diese Weise gesteigerte Thätigkeit dieses hemmenden Cen- trums die Reflexerscheinungen in ihrer Entwickelung gehemmt bleiben? Zur Entscheidung dieser Frage durchschnitten wir das Rückenmark bei Kaninchen bald am oberen Halstheile, bald am mittleren Brusttheile, und vergifteten darauf das Thier in der gewöhnlichen Weise bald mit Brucin, bald mit Thebain. Die Krämpfe stellten sich dann nach dieser Durchschneidung ganz in der gewöhnlichen Weise ein, sowohl in den über dem Schnitte gelegenen Theilen, als auch hinter demselben. Die ia solchen Fällen eingeleitete künstliche Respiration äusserte dieselbe hemmende respect. unterdrückende Wirkung auf die Krämpfe ganz in derselben Weise, wie wir es ohne Durch- schneidung gesehen haben. Diese Versuche beweisen also deutlich, dass die künstliche Respiration direct auf das Rückenmark selbst ihre Wirkung ausübt, indem sie seine reflexerzeugende Function aufhebt oder erschwert. In dieser Beziehung würde die künstliche Respira- tion in ähnlicher Weise ihre Wirkung auf die Reflexmechanis- nen im Rückenmark äussern, wie auf die Respirationscentra. Diese Versuche zeigen zugleich die Unhaltbarkeit der An- sicht Richter’s, dass die tetanischen Krämpfe nach Strychnin- vergiftung durch die dabei statthabende Contraction der Arte- rien bedingt seien; damit stände im Widerspruche, dass auch nach Durchschneidung des Rückenmarks in den unterhalb des Schnittes gelegenen Theilen die Krämpfe auftreten und durch künstliche Respiration in gleicher Weise aufgehoben werden können, Am Schlusse ergreife ich die Gelegenheit, meinen verbind- lichsten Dank den Herren Professoren du Bois Reymond und Rosenthal für die mir freundlichst gewährte Unterstützung auszusprechen. Berlin, Anfang Juli 1868. H. Munk: Ueber die Präexistenz u. s. w. 529 Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze im Muskel und Nerven. Von HERMANN Munk. 8.1. Einleitung. Durch die Untersuchung des Gaswechsels der Muskeln hat sich L. Hermann eine neue Vorstellung über die chemischen Vorgänge im Muskel gebildet'). Diese Vorstellung hat ihn dann weiter, seiner eigenen Aussage nach, zu ganz neuen Er- gebnissen über das Wesen der physikalischen Eigenschaften des Nerven und des Muskels geführt: er hat nicht nur eine Erklärung der elektromotorischen Erscheinungen am Muskel und Nerven aufgestellt, sondern es hat sich ihm auch auf Grund dieser Erklärung eine Reihe von Folgerungen eröffnet, welche ihn in das Wesen der Nerven- und der Muskelthätigkeit einen tiefen Blick hat werfen lassen). Ein Versuch mit Kuhkäse “ und Milch oder Milchzucker-Lösung und einige wenige Ver- suche am Muskel in elektromotorischer Beziehung haben für ‚alle die grossen Fortschritte am Muskel ausgereicht; und den _ Erwerb vom Muskel auf den Nerven zu übertragen, ist so sehr 1) L. Hermann. Untersuchungen über den Stoffwechsel der Muskeln, ausgehend vom Gaswechsel derselben. Berlin 1867. (Aus- ‚gegeben im März. 1867.). 2) L. Hermann. Weitere Untersuchungen zur Physiologie der Muskeln und Nerven. ‚Berlin 1867. -(Ausgegeben im August 1867.) Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 35 530 H. Munk: „eine unmittelbare Nothwendigkeit“ gewesen, dass es dazu gar keines Versuches weiter bedurft hat. Soweit Hermann’s Veröffentlichung die elektromotori- schen Erscheinungen am Muskel und Nerven betraf, hat E. du Bois-Reymond ihr eine Widerlegung zu Theil werden lassen, in welcher er die Unrichtigkeit der Versuche des Verf. theils in den Ergebnissen, theils in der Deutung darthat und die Un- haltbarkeit der Erklärungen des Verf. nachwies!). Aber diese Widerlegung hat Hermann nur zu neuen Fortschritten getrie- ben. In seinen jüngsten „Untersuchungen zur Physiologie der Muskeln und Nerven. Drittes Heft.“°) denkt er zwar nicht im Mindesten daran, seine früheren Versuche zu stützen; dafür aber modifieirt er seine Erklärung der elektromotorischen Er- scheinungen bereitwilligst in der Weise, welche ihm du Bois- Reymond gelegentlich an die Hand gegeben hat, und vindieirt derselben eine ungleich grössere Berechtigung, als früher vor- handen war, dadurch, dass er jetzt die Stromlosigkeit der ru- henden Muskeln im unversehrten lebenden Körper experimen- tell beweist. Die Folgerungen, welche er aus seiner Erklärung für die allgemeine Muskel- und Nervenphysiologie gezogen, meint er, brauche er nicht zu wiederholen: er ist „fest über- zeugt, dass man bald genug darauf zurückkommen wird, so- bald erst jene Erklärung allgemein anerkannt ist.“ Eine solche Anerkennung ist nach meinem Ermessen selbst von Seiten der mit dem Gebiete nur einigermassen Vertrauten nicht im Entferntesten zu erwarten, und ich habe deshalb ge- glaubt und glaube auch noch jetzt, Hermann’s Erklärungen, alle seine Hypothesen und die aus ihnen gezogenen Folgerun- gen ungestört auf sich beruhen lassen zu dürfen. Anders aber steht es mit Hermann’s neuesten Versuchen, welche die Prä- existenz der elektrischen Gegensätze im Muskel und Nerven widerlegen sollen. Wie die Versuche vorgetragen sind, schei- nen sie wohl dazu angethan, in denjenigen, welche der Wieder- 1) Monatsberichte der Berliner Akademie. 1867. S. 597 — 650. (Ausgegeben im Januar 1868.) 2) Berlin 1868. (Ausgegeben im Juni 1868.) Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s.w. 531 holung der Versuche sich nicht unterziehen mögen, Zweifel oder wenigstens den Wunsch nach Aufklärung rege zu machen. Da es mir nun, wie ich glaube, gelungen ist, nicht nur die von Hermann begangenen Irrthümer, sondern zugleich auch einige neue Thatsachen aufzufinden, stehe ich nicht an, die Ergebnisse meiner Untersuchung hier darzulegen. $ 2. du Bois-Reymond’s Versuche und ihre Wiederholung durch Hermann, Der aufsteigende Gesammtmuskelstrom des enthäuteten Frosches oder der enthäuteten Frosch-Gliedmassen ist nach du Bois-Reymond!) auch an den mit der Haut bekleideten Gliedmassen und am lebenden unversehrten Frosche sofort nach- weisbar, sobald die der Constatirung im Wege stehenden Haut- ungleichartigkeiten des Frosches durch Bepinselung der Ablei- tungsstellen mit Kochsalzlösung oder durch kurzen Contact der Ableitungsstellen mit der Kochsalzlösung der ableitenden Vorrich- tung; beseitigt sind. Nur erscheint der Strom im Falle der be- häuteten Präparate weit schwächer als im Falle der enthäuteten Präparate, weil die durch die Haut im ersteren Falle gebildete Nebenschliessung zum Multiplicatorkreise im letzteren Falle fortgefallen ist, und vornehmlich weil die Parelektronomie der Muskeln im ersteren Falle gar nicht oder doch nur langsam — in dem Masse nämlich, als die die Haut benetzende Kochsalz- lösung durch Diffusion unter die Haut gelangt —, im letzteren Falle aber sofort durch den unmittelbaren Angriff der Koch- salzlösung zerstört wird. Der Strom eines behäuteten Glied- masses wächst demgemäss allmählich, wenn man es, nach der Prüfung auf seinen Strom, auf einer Platte liegen lässt, indem alsdann die Kochsalzlösung von den Ableitungsstellen aus über die untere Fläche des Gliedmasses in seiner ganzen Länge sich verbreitet; dagegen nimmt an dem auf den Rahmen gespannten 1) Untersuchungen über thierische Elektrieität. Bd“ II. Abth. II. Berlin 1860. 3. 9; 23—4; 173—8. Vgl. Monatsberichte u. s. w. 1867. S. 613. 6: 35 * 532 H. Munk: unversehrten Frosche, bei .welchem eine solche Verbreitung der Kochsalzlösung unmöglich ist, der Strom nicht mit der Zeit zu. Spritzt man ferner in die Lymphsäcke des unversehrten Fro- sches eine entwickelnde Flüssigkeit ein oder bringt man das behäutete Gliedmass auf einige Minuten ganz unter Kochsalz- lösung, so findet man den Strom sofort beträchtlich gewachsen. Auch zeigt sich eine rasche und ansehnliche Verstärkung des Stromes, wenn man dem Gliedmasse nach der Prüfung auf sei- nen Strom die Haut ab- und bald wieder überzieht, indem es dabei nicht zu vermeiden ist, dass die Muskeln mit Kochsalz- lösung benetzt werden. Anders aber ist es, wenn eine solche Benetzung sorgsam verhütet wird. „Man bereitet das Bein eines Frosches in der Art, dass man vom Oberschenkel nichts behält als Knochen und Haut. Den Knochen spannt man in den.. Schraubstock und lässt einerseits vom Knie die Haut, anderer- seits den Fuss und Mittelfuss in die beiden Zuleitungsgefässe hängen. . . Nach Zerstörung der Hautungleichartigkeiten findet man einen schwachen aufsteigenden Strom vor. Trennt man nun die Haut des Unterschenkels durch einen Zirkelschnitt am Kniegelenk und durch einen Längsschnitt über der Tibia, und zieht sie nach unten zu ab, doch so, dass sie nicht mit der Salzlösung des Zuleitungsgefässes für den Fuss in Berührung kommt, so entsteht, wegen der fortgefallenen Nebenschliessung durch die Haut, und des verminderten Widerstandes des Kreises an der Stelle, wohin man sie zurückgeschlagen hat, ein leichter positiver Ausschlag; wenn sich nicht, was auch eintreten kann, eine unregelmässige Wirkung von Seiten der Hautungleichartig- keiten einmischt. Dabei aber hat es sein Bewenden ... Eben- sowenig äussert das Wiederüberziehen der Haut einen Ein- fluss.* ') Der Gang von du Bois-Reymond’s Untersuchung war gewissermassen vorgezeichnet durch die Kochsalzbäusche der ableitenden Vorrichtung, welche du Bois-Reymond selber seitdem durch die Zuleitungsröhren mit Thonspitzen zu ersetzen 1) E. du Bois-Reymond. Untersuchungen u..s. w. , Bd. II, Abth. II. 8. 175 - 6. Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s.w. 533 gelehrt hat. In dem dritten Hefte seiner „Untersuchungen“ meint nun Hermann, du Bois-Reymond’s aufsteigender Gesammtmuskelstrom der behäuteten Gliedmassen wie des un- versehrten Frosches könne schon zur Zeit seiner ersten Consta- tirung von einer Anätzung der Muskeln durch die schnell in die Tiefe diffundirende Kochsalzlösung herrühren (8. 6). Er selbst vernichtet die Hautungleichartigkeiten durch Kreosot oder Höllenstein, welche „möglichst schnell ätzen und möglichst we- nig eindringen“, und verbindet die geätzten Stellen durch Zu- leitungsröhren mit dem Multiplicator. Zwischen Rücken und Tarsus findet er regelmässig anfangs keinen merklichen Strom; erst allmählich, oft erst nach einer halben Stunde und länger, entwickelt sich ein sehr schwacher aufsteigender Strom in Folge der Anätzung der unter der geätzten Tarsalhaut gelegenen Mus- keln. Zwischen Rücken und Zehenspitze, wo an der hinteren Stelle gar keine Muskeln der Anätzung sich darbieten, findet er ganz regelmässig keinen Strom, und Stunden hindurch bleibt diese Stromlosigkeit bestehen; nur zuweilen entsteht hier all- mählich ein äusserst schwacher, fast unmerklicher absteigender Strom in Folge der Anätzung der Muskeln unter der Rücken- haut. Also, schliesst H., ist zweifellos am unversehrten ruhenden Frosche vom Muskelstrom nicht die ge- ringste Spur vorhanden ($S. 7”—15). Weiter wiederholt der Verf. du Bois-Reymond’s Versuch mit dem Ab- und Wie- derüberziehen der Haut, indem er ohne jede Hautätzung mit Hülfe der Zuleitungsröhren drei Ströme bestimmt: 1) den Strom des unversehrten Präparates, 2) den des wenige Minuten oder selbst nur Secunden entblösst gewesenen und wieder behäute- ten Präparates, 3) den des enthäuteten Präparates. Er findet ad l einen Strom von unbestimmter Richtung und Kraft; ad 2 stets einen sehr kräftigen aufsteigenden Strom, dessen Kraft spätestens wenige Minuten nach der Entblössung ihr Maximum erreicht hat und lange Zeit auf diesem sich erhält; endlich ad 3 einen Strom, der nur sehr unbedeutend von dem Strome ad 2 verschieden und meist etwas kräftiger ist. Der Muskel- strom entwickelt sich also, schliesst H., erst in Folge der Entblössung, und bleibt dann auch nach der 534 H. Munk: Wiederbehäutung bestehen (S. 15— 20). Eben dies er- giebt sich auch nach H., und zwar mit mehr Eleganz und mit „schlagender Beweiskraft“, aus folgendem Versuche, von wel- chem H. ganz übersehen hat, dass er im Wesentlichen nichts Anderes ist als der oben zuletzt angeführte Entblössungsver- such du Bois-Reymond’s. An einem mit zwei Aetzstellen versehenen Frosche, dessen Schenkel keinen oder einen schwa- chen auf- oder absteigenden Strom zeigt, werden ein Längs- schnitt und zwei Querschnitte durch die Haut des Unterschenkels geführt, so dass die über dem Gastroknemius befindliche Haut zurückgeschlagen werden kann. „Nach der Schnittführung öff- net man den Schlüssel zum Multiplieator und sieht nun, sowie man mit zwei Pincetten den Lappen abhebt, also den Waden- muskel entblösst, die Nadel langsam im Sinne eines kräftigen aufsteigenden Stromes ausweichen.* „Die Entwicklung ist in allen Fällen sehr rasch beendigt, und nach etwa einer Minute ist in der Regel keine weitere Zunahme zu bemerken.“ Bringt man den Hautlappen „genau in seine normale Lage“ zurück, so bleibt der Strom unverändert, kaum merklich geschwächt, dauernd bestehen. Hat sich bisher „in Folge der Entblössung des Gastrocnemius der Strom entwickelt, welcher dem Antheil des Gastrocnemius an dem aufsteigenden Gesammtstrom ent- blösster Schenkel entspricht,“ so kann man nun „weiter durch eine ähnliche Schnittführung am Oberschenkel auch den Triceps femoris blosslegen, und sofort erfolgt eine Verstärkung des auf- steigenden Stromes, wie sie dem Antheil dieses Muskels am aufsteigenden Gesammtstrom entspricht. Auch hier weicht, nach der Reposition der Haut, die Nadel kaum merklich von ihrem Stande, der nunmehr nahe oder selbst an der positiven Hem- mung ist, zurück* (S. 20—3). Sofort also bei der Ent- blössung der Muskeln entsteht der Muskelstrom, und nur die Wirkungsweise der Entblössung bleibt noch zu bestim- men, Weder die Einwirkung des Lichtes noch die beschleu- nigte Wasserverdunstung sind von schädlichem Einflusse. Auch die Luft und vornehmlich ihr Sauerstoff kann nicht das schäd- liche Agens sein. Denn injieirt man durch eine kleine Haut- wunde Sauerstoff oder Luft in den Unterschenkel-Lymphsack, so Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. 8. w. 535 tritt die Stromentwickelung „zuweilen ein — wenn auch viel langsamer und nie so vollständig als bei dem zuletzt angeführ- ten Entblössungsversuch, — vorausgesetzt, dass man die Luft im Lymphsack verweilen lässt; lässt man sie sogleich wieder entweichen, so ist die Operation stets ohne Wirkung. Aber auch bei noch so langer Einwirkung der injieirten Luft bleibt häufig die Stromentwicklung vollkommen aus, tritt dann aber sogleich ein, wenn man die Haut ganz vom Gastrocnemius ab- hebt.“ Immerhin ist die Möglichkeit einer direct schädlichen Einwirkung des Sauerstoffs noch nicht definitiv ausgeschlossen, da noch die Entblössung in einem ganz mit reinem Wasserstoff gefüllten Raume auszuführen bleibt. „Offenbar concurriren bei der Entblössung eine grosse Anzahl uncontrollirbarer Schädlich- keiten. Am gerathensten wird es also vor der Hand sein, einen etwas unbestimmten Ausdruck zu wählen... und... die Stö- rung der organischen Continuität als den schädlichen Einfluss zu bezeichnen.“ Es ist der Satz aufzustellen, dass „die Muskel- substanz bei der Aufhebung des Contacts mit ihrer lebenden Umgebung, ebenso wie unter ähnlichen Bedingungen das Blut, abstirbt.“ Freilich wird, was die Analogie mit dem Blute stört, bei der Entblössung des Muskels noch nicht der eigentliche Muskelinhalt entblösst: doch sieht H. keinen directen Grund gegen die Annahme, dass zunächst die Entblössung das Peri- mysium und Sarkolemm „tödtet“, so dass der Muskelinhalt mit todtem Bindegewebe in Contact kommt. Freilich besteht eine fernere Schwierigkeit in dem eben angeführten Versuche mit Lufteinblasung. Aber wenn auch H. die Frage nach der Wir- kungsweise der Entblössung „mit vollem Bewusstsein noch fast ungelöst* lässt, so genügt doch für seine weiteren Zwecke „die Thatsache, dass die Entblössung wirklich einen schädlichen Effect ausübt, der nicht ohne Analogie ist* ($. 35-42). Um die Uebersicht zu erleichtern, habe ich die Ergebnisse von du Bois-Reymond’s und Hermann’s Versuchen hier zunächst überall nur so aufgeführt, wie sie an schwach parelek- tronomischen Fröschen gewonnen sind. Wo die Parelektronomie stärker war, hat du Bois-Reymond den Gesammtmuskel- . strom, Hermann den bei der Entblössung sich entwickelnden 536 H. Munk: Strom schwächer gefunden; und bei sehr stark parelektronomi- schen Fröschen hatten dieselben Ströme nicht die aufsteigende, sondern die absteigende Richtung. $ 3. Bei dem Freilegen von Muskelpartieen des Schenkels tritt in der Regel ein schwacher, selten ein stärkerer aufsteigender Zuwachsstrom auf. Meine Untersuchung nahm ihren Ausgang von dem Zu- wachsstrome, welchen du Bois-Reymond und nach ihm Her- mann bei dem Freilegen von Muskelpartieen des Schenkels, ohne dass dabei ein Angriff auf die Parelektronomie der Mus- keln erfolgte, in der Richtung des Gesammtmuskelstromes des Schenkels beobachtet hatten. Bei dem Freilegen der Unter- schenkel-Muskulatur hatte du Bois-Reymond nur einen klei- nen Zuwachsstrom gefunden, Hermann .aber hatte bei dem Freilegen des Gastroknemius und ebenso bei dem Freilegen des Triceps einen grossen Zuwachsstrom auftreten sehen. Dabei war du Bois-Reymond’s Ergebniss selbst für Hermann’s Standpunkt durch die ableitenden Kochsalzbäusche nur noch mehr verbürgt, da, wenn während des Freilegens die Vernich- tung der Parelektronomie der Fussmuskeln durch die Kochsalz- lösung fortgeschritten war, der aufsteigende Zuwachsstrom da- durch gerade verstärkt hatte erscheinen müssen. Es lag also hier ein thatsächlicher Widerspruch vor, der zunächst zu lö- sen war. Da Hermann die inzwischen von du Bois-Reymond vervollkommneten Ableitungsmittel benutzt hatte, ging ich an die Wiederholung von Hermann’s Entblössungsversuchen, und ich führte die Versuche so genau nach Vorschrift aus, dass ich nur folgende Angaben zu machen habe. Im Kreise befand sich meine Spiegelbussole'), deren Empfindlichkeit durch Astasirung so weit erhöht war, dass eine Sm Jange und mit Längs- und (Querschnitt den Zuleitungsröhren aufliegende Strecke eines fri- 1) Vgl. meine „Untersuchungen über das Wesen der Nerven-Er- regung.“ Bd. I. Leipzig 1868. 8. 29. Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s.w. 537 schen mitteldieken Nerven c. 200s° Ablenkung gab. Die Frösche vergiftete ich grösstentheils mit Curare, welches ich nach einem kleinen Einschnitte anfangs unter die Brust-, später immer un- ter die Kehlhaut schob, und brachte sie dann zur Untersuchung auf eine Glasplatte ohngefähr in der Lage, welche Fig. I (5. 544) zeigt. Den‘ kleineren Theil der Frösche spannte ich unver- giftet auf den Rahmen des du Bois’schen Froschträgers '), je- doch so, dass nur der linke Fuss zwischen die beiden Vor- sprünge an der hinteren Seite des Rahmens, der rechte Fuss aber mehr seitlich auf den Rahmen zu liegen kam; und ich sicherte, ausser durch die vorhandenen Schlingen, noch durch eine Anzahl Hülfsbänder die gegebene Lage des Thieres. Zur Hautätzung diente Arg. nitr. fus. Die hintere?) Ableitungs- stelle gaben immer die zwei letzten Phalangen der vierten Zehe ab, und es war bei den auf den Rahmen gespannten Fröschen die Verbindung der Thonspitze mit den Phalangen dadurch fixirt, dass der Metatarsus und die Zehen des betreffenden Fusses auf eine passend neben dem Rahmen aufgestellte Glas- platte gelegt waren. Als vordere Ableitungsstelle, die „irgend- wo am Rücken“ sein sollte, wählte ich entweder die Schulter- blatt-Gegend oder die Stelle zwischen Hüft- und Steissbein gerade etwa in der Hälfte der Höhe zwischen dem After und dem vorderen Ende des Steissbeins; diese beiden Stellen sind in der Folge als „Nacken“ und „Steiss* bezeichnet.. Ueberall, wo nicht Besonderes angemerkt ist, blieben die Zuleitungsröh- ren während des ganzen Versuches unverrückt an ihrer Stelle. Der Strom, welcher von vornherein im Kreise sich zeigte, wird der Gegenstand späterer Erörterungen sein: vor der Hand interessirt uns nur, was bei dem Freilegen der Muskeln sich begab. Selten bei dem Freilegen des Gastroknemius, ziemlich häufig bei dem Freilegen des Triceps blieb der Strom durchaus unverändert. ' In der Regel bei dem Freilegen des Gastrokne- mius und wiederum ziemlich häufig bei dem Freilegen des Tri- 1) E. du Bois-Reymond. Untersuchungen u. s w. Bd. |. S. 453 fi. Fig. 22. Taf. IV; Fig. 23, 24. Taf. II. 2) Bei allen solchen Angaben ist hier der Frosch in der Bauch- lage angenommen. 538 H. Munk: ceps trat ein schwacher aufsteigender Zuwachsstrom auf, welcher den Spiegel meist noch nicht um 20—30s° und sonst etwa bis um 60s° ablenkte. Endlich zeigte sich manchmal bei dem Frei- legen des Gastroknemius ein stärkerer aufsteigender Zuwachs- strom, der c. 100s° oder noch viel mehr Ablenkung gab, und einmal wurde auch bei dem Freilegen des Triceps eine ent- sprechende Ablenkung von c. 1008 beobachtet. Wo der Zu- wachsstrom auftrat, hatte er in I—4 Minuten nach dem Um- klappen der Haut sein Maximum erreicht. Die Reposition (das Wiederüberlegen) der Haut war oft ohne allen Einfluss; nur hin und wieder bei der Gastroknemius-Haut und sehr selten bei der Triceps-Haut veränderte der Spiegel um wenige Scalen- theile seine Stellung und zwar so, dass er etwa ebenso häufig einen aufsteigenden als einen absteigenden Zuwachsstrom an- zeigte. Ich hatte zu diesen Untersuchungen bunt durch einander Frösche von möglichst verschiedener Aufenthaltszeit in meinen Töpfen verwandt: frisch im Juni eingefangene Frösche, ferner solche Frösche, welche schon im März oder April oder Mai ein- gefangen waren, endlich überwinterte (im October v. J. einge- brachte) Frösche. Die Parelektronomie ihrer Muskeln war nur schwach ausgebildet: ihre Gastroknemien gaben zwischen Haupt- und Achillessehne einen mehr oder weniger starken aufsteigen- den Strom. Die Stärke dieses Stromes stand aber in keiner constanten Beziehung zur Stärke des Zuwachsstromes, welcher bei dem Freilegen des Gastroknemius beobachtet war: oft war der erstere Strom stark, wo der letztere nur schwach war, und umgekehrt. . eis Um mich noch du Bois-Reymond’s Entblössungsver- suche, bei welchem die ganze Unterschenkel- Muskulatur frei- gelegt war, möglichst zu nähern, modificirte ich die Versuche sogleich weiter in der Weise, dass ich tief unten an der äusse- ren Fläche des Unterschenkels den Längsschnitt durch die Haut führte und die Haut wiederum bis zum unteren Ende der in- neren Fläche des Unterschenkels zurückklappte. Auch hier, wo fast die ganze Unterschenkel - Muskulatur freigelegt war, kehrten die obigen Ergebnisse wieder. Es war also offen- Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 539 bar der regelmässige Erfolg des Entblössungsver- suches richtigvon du Bois-Reymond erkannt worden, und Hermann’s Angabe war nur als das ausnahms- weise Ergebniss desselben Versuches anzuerkennen. $ 4. Der Zuwachsstrom bei dem Freilegen der Muskeln ist nicht die Folge der Entblössung der Muskeln. Hinsichts der Ursache des Zuwachsstromes bei dem Frei- legen der Muskeln war nunmehr ein negatives Resultat bereits gesichert: der Wegfall der Nebenschliessung durch die Haut konnte jene Ursache nicht sein. Denn bei dem schlechten Leitungsvermögen der Haut!) waren unter solcher Annahme die grösseren Zuwachsströme, welche bei dem Freilegen zur Beob- achtung gekommen waren, gar nicht denkbar; ganz besonders aber hätte in Folge der Schnitte durch die Haut die von dieser gebildete Nebenschliessung nach der Reposition wohl etwas ver- schlechtert, keineswegs jedoch völlig aufgehoben sein können. Dies also war Hermann zuzugeben, und ebenso, dass in einer Berührung der Sehnenspiegel mit Hautsecret oder mit Blut?) die Ursache des Zuwachsstromes nicht gelegen sein konnte. Aber wenn nun Hermann weiter ging: „Der einzige Einfluss also, welchem wir die Entwicklung des Muskelstromes in un- serem Versuche zuschreiben können, ist die Entblössung der Muskeln“, so war ihm aus einem Grunde, auf welchen ich bald zurückkomme, nicht mehr zu folgen; es war vielmehr unum- gänglich, unmittelbar zu prüfen, ob wirklich die Entblössung der Muskeln, d. h. die Zulassung atmosphärischer Luft zur Muskeloberfläche an die Stelle der normalen Umgebung des Muskels®), den Zuwachsstrom bei dem Freilegen der Muskeln bedingt. 1) Vgl. E. du Bois-Reymond. Untersuchungen u. s, w. Bd. Il. Abth, II. S. 19—20. | 2) Vgl. noch u. S. 557—8. 3) So scheint mir, indem die „Störung der organischen Conti- nuität“ (s. o. S. 535) aufgenommen ist, die nothwendige Definition der „Entblössung“ in Hermann’s Sinne gut gegeben. Man vermeidet 540 H. Munk: Von vornherein sprachen schon dagegen Hermann’s Ver- suche mit Injection von Luft in den Unterschenkel-Lymphsack. Von diesem Eingriffe hätte man auf Hermann’s Standpunkt denselben Erfolg, höchstens unwesentlich modificirt, wie von dem Freilegen der Muskeln erwarten sollen: statt dessen hatte Hermann nur zuweilen einen Zuwachsstrom. gefunden, der noch dazu schwächer war; und, was besonders in’s Gewicht fiel, dieser Zuwachsstrom war auch nur bei längerem Verweilen der Luft im Lymphsacke zur Beobachtung gekommen, während bei dem Freilegen der Zuwachsstrom immer sogleich eingetreten war. Nicht minder war dann die fragliche Ursache des Zu- wachsstromes zurückzuweisen auf Grund der so sehr verschie- denen Grösse, in welcher der Zuwachsstrom sich uns dargestellt hatte, da mit derselben eine entsprechende Verschiedenheit des Muskelstromes des freigelegten Muskels nicht verbunden war. Selbst wenn wir die durch Nichts gestützte und einzig und allein zur Erklärung gewisser Erfahrungen, um deren Verständ- niss es sich gerade handelte, von Hermann gemachte Hypo- these, dass die verschiedenen Muskeln verschieden indolent und zwar, je stärker die Parelektronomie, desto indolenter gegen die Entblössung sich verhalten, für einen Augenblick annehmen wollten, hätten wir den Gastroknemius bei grossem Zuwachs- strome schwach, bei sehr geringem Zuwachsstrome stark par- elektronomisch finden müssen: während durchaus kein so ent- sprechendes Verhalten der Parelektronomie sich uns ergeben hat. Aber auch durch neue, höchst einfache und entscheidende Versuche liess sich die entsprechende Einsicht gewinnen. Dazu war nämlich nur nöthig, die von Hermann bei dem Freilegen ausgeführte Operation in zwei Acten, statt in einem, zu vollführen. Wie schon Hermann nach den sogleich anzu- führenden Worten etkannt zu haben scheint, führt ein Schnitt durch die Unterschenkelhaut — wenn nicht ausnahmsweise der Unterschenkel - Lymphsack leer ist — nicht die geringste sodann auch alle Unklarheiten und Zweideutigkeiten, wenn man, wie wir es oben gethan haben, da, wo man die Haut zurückschlägt, nicht von der „Entblössung*, sondern von dem „Freilegen“ oder „Bloss- legen“ der Muskeln spricht, Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u.s.w. 541 Entblössung eines Muskels herbei, besonders wenn man sich gar nicht der Pincette bedient, sondern nur mit der feinen Scheere einen kleinen Einschnitt macht und von diesem aus allmählich weiter dringt; denn, wie während und nach der Schnitt- führung zu. beobachten ist, verbleibt dabei die Lymphe minde- stens in einer dünnen Schicht in dem Zwischenraume zwischen der Haut und den Muskeln, und der atmosphärischen Luft ist der Zutritt zu: den Muskeln durchaus verwehrt. Nach Her- mann sollte man nun nach der Längs- und Querschnittführung durch die Unterschenkelhaut den Schlüssel zum Multiplicator öffnen und den Lappen zurückschlagen: „man sieht nun, so wie man mit zwei Pincetten den Lappen abhebt, also den Waden- muskel entblösst, die Nadel langsam im Sinne eines kräftigen aufsteigenden Stromes ausweichen.“ Genau so war auch mein Verfahren bei den Versuchen des $ 3. gewesen. Jetzt aber machte ich zunächst nur einen Längsschnitt durch die Haut mehr oder weniger hoch an der äusseren Fläche des Unter- schenkels parallel dem äusseren Rande des Gastroknemius und beobachtete, was sich nunmehr im Kreise begab. Erst nach einigen (4—8) Minuten machte ich alsdann die beiden Quer- schnitte durch die Unterschenkelhaut und legte durch Zurück- schlagen des Hautlappens den Gastroknemius bloss. Hier zeigte sich mit seltenen Ausnahmen sogleich nach der Vollführung des Längsschnittes ein mehr oder weniger starker aufsteigender Zuwachsstrom, der in 1—4 Minuten sein Maxi- mum erreichte. Das nachfolgende Zurückschlagen der Haut liess in einzelnen Fällen den vorhandenen Strom unverändert; in allen anderen Fällen trat wieder ein aufsteigender Zuwachs- strom auf, der aber stets schwach, öfters sogar sehr schwach (kaum 10— 205° betragend) war und schon in 1—2 Minuten sein Maximum erlangte. Wo nach dem Längsschnitte der Zu- wachsstrom ausgeblieben war, wurde ein solcher auch nach dem Zurückschlagen der Haut entweder gar nicht oder doch nur in geringer Grösse beobachtet; sonst war der erste, Zuwachsstrom fast immer wesentlich grösser als der zweite, der in vielen Fällen, wie gesagt, sogar ganz vermisst wurde oder nur sehr gering war. 542 HB. Munk: Hob ich bei eben solchen Versuchen, wenn der Zuwachs- strom nach dem Längsschnitte ausgeblieben war oder sein Maxi- mum erreicht hatte, durch zwischengeschobene Pincetten oder Scalpellstiele die Haut auf eine oder mehrere Minuten weit von der Muskulatur ab, so dass die Luft freien Zutritt zum ganzen Gastroknemius hatte, so fand ich nach dem Loslassen der Haut den Strom meist durchaus unverändert; nur manchmal hatte die Ablenkung des Spiegels um wenige Scalentheile zugenom- men. Das nachfolgende Zurückschlagen der Haut hatte auch hier den vorhin angegebenen Erfolg. Führte ich ferner un- mittelbar nach dem Längsschnitte die beiden Querschnitte durch die Unterschenkelhaut, so dass für den zweiten Act des Ver- fahrens nur das reine Zurückschlagen der Haut übrig blieb, so war nach der Vollendung der Schnitte das Nämliche zu beob- achten, wie vorher nach der Ausführung des Längsschnittes allein; nach dem Zurückschlagen der Haut aber trat jetzt regelmässig gar kein oder nur ein sehr schwacher Zuwachs- strom auf. Nach diesen Ergebnissen konnte von der Entblössung der Muskeln als Ursache des Zuwachsstromes bei dem Freilegen der Muskeln gar nicht mehr die Rede sein; vielmehr war klar, dass die Ursache in einem Vorgange zu suchen war, der schon durch die Hautschnitte herbeigeführt wurde und vollständig oder wenigstens fast vollständig ohne die Entblössung der Mus- keln ablief. Selbst der nach dem schliesslichen Zurückklappen der Haut öfters auftretende schwache Zuwachsstrom für sich allein konnte nach dem, was bei voraufgegangenem Abheben der Haut sich gezeigt hatte, nicht durch die Entblössung der Muskeln bedingt sein und liess sich nur als der Rest jenes durch die Hautschnitte herbeigeführten Vorganges auffassen. Hermann’s Behauptung, dass in Folge der Entblös- sung der Muskeln der Zuwachsstrom bei dem Frei- legen der Muskeln entsteht oder, wie er es nennt, der Muskelstrom dann sich entwickelt, waralsothat- sächlich widerlegt; und die walre Ursache des Zuwachs- stromes blieb noch zu ermitteln. Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. 3. w. 543 $ 5. Der Zuwachsstrom bei dem Freilegen der Muskeln ist die Folge des Ausfliessens der zwischen der Haut und den Muskeln befindlichen Lymphe. Hermann’s Schluss, welchen wir im Eingange von $ 4. nicht anerkennen konnten, war falsch, weil Hermann bei dem- selben die Lymphe zwischen Haut und Muskeln ausser Acht gelassen hatte, trotzdem dass ihm die Lymphsäcke des Frosches, in welche er wiederholt Injectionen machte, wohl bekannt wa- ren. Liessen sich alle die Umstände, welche den Zuwachsstrom bei dem Freilegen der Muskeln unter Beschädigung von deren Parelektronomije hätten bedingen können, ausschliessen, so muss- ten als mögliche Ursache des Zuwachsstromes in Betracht kom- men nicht nur der Fortfall der Nebenschliessung durch die Haut und die Entblössung der Muskeln, sondern auch das bei dem Freilegen der Muskeln unvermeidliche Ausfliessen der zwi- schen der Haut und den Muskeln gelegenen Lymphe. Die Anordnung der Lymphsäcke beim Frosche ist sehr ge- nau von Duges!) und besonders von Jos. Meyer?) studirt worden. Aus des Letzteren Dissertation sind die Fig. 13 u. 14 Taf. U. als unsere Fig. 1 u. 2 copirt®), theils um hier weitläu- 1) Recherches sur l’Osteologie et la Myologie des Batraciens ä leurs differens äges. Paris 1834. p. 120—2. pl. V. Fig. 40. 41. 2) Systema Amphibiorum lymphaticum disquisitionibus novis examinatum. Diss. inaugur. Berol. 1845. 3) Folgendes ist die Erklärung der Figuren nach Meyer (a.a. 0. S. 35—6). Fig. 1. Saccos subcutaneos in latere Ranae dorsali. ostendit. 1.1. tuberositates duae ossis intermaxillaris, e quibus saccus cra- nio-dorsalis originem trahit coecam; 2.2. foramina nasalia; 3.3. os fronto-nasale; 4.4. m. digastrieus; 4'.4'‘. m. deltoideus ac supraspi- nosus; 5.5. m. latissimus dorsi; 6.6. m. obliquus abdominis externus; 6'.6'. m. abdomino-humeralis margo externus; 7.7. m. glutaeus me- dius; 8.8. os ilium; 9,9. cor Iymphaticum posterius; 10. 10. m. reetus anticus; 11.11. m. vastus internus et eruralis; 12. 12. m. pyramidalis; 13. os coceygis; 14.14. m. biceps; 15.15. m. semiaponeuroticus (Cuv.); 16. 16. m. rectus internus; 17.17. inscriptio m. semiaponeurotiei ten- * Jin Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u, 8. w 545 Fig. 2 Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868, 546 H. Munk: fige Erörterungen zu ersparen, theils um die wenig bekannt gewordenen Ermittelungen zugänglicher zu machen. Die Gren- zen der Lymphsäcke sind in den Figuren durch punktirte Li- nien angezeigt; und soweit mir nur das Nachfolgende Veran- lassung gab, Meyer’s Beobachtungen zu wiederholen, kann ich die Constanz der gezeichneten Grenzen bestätigen. Sehr wandelbar habe ich dagegen die Menge der in den Säcken enthaltenen Lymphe gefunden: die Säcke wurden leer und dinea; 18. m. gemelli; 19. tendo Achillis; 20. portio una m. tibialis antiei; 21. tendo aponeuroticus m. extensoris digitorum; 22. ossis calcanei caput: 25. 25‘. 20“. triceps brachii; 26. flexor superficialis; 27. palmaris brevis; 283. adductor pollicis; 29. musculi trieipiti ac del- toideo-supraspinoso interpositi. a.a.a.a. etc. saccus eranio-dorsalis; d.d. ete. s. submaxillaris por- tiuneula; e.e. etc, s. lateralis; f. s. humeri; g.g.g. s. brachialis ante- rior; Ah. Ah. s. brachialis posterior; ?. s. axillaris; %.&‘. s. iliacus; 1.1. s. femoralis; m. m. m. s. suprafemoralis; n.n. S. interfemoralis; 0.0. s. ceruralis; g.g. s. plantaris- x. extremum phalangis secundae cacumen; %.y. etc. nervi saccos libere transeuntes. Fig. 2. Saccos subcutaneos in latere ventrali designat. 1.1. maxillae superioris margo; 2.2. maxillae inferioris margo; 3.3. m. mylohyoideus; 4.4. m. deltoideo-supraspinosus; 5.5. pars m. recti abdominis aponeurotica; 6.6. m. abdomino-humeralis; 7.7. m. rectus abdominis; 8.8 m. obliquus abdominis externus; 10. m. rectus antieus; 11. m. sartorius; 12. m. adductor longus; 13. m. adductor magnus; 16. m. rectus internus; 17. inscriptio m. adductoris magni tendinea; 18. m. gemelli; 20.21. duae m. tibialis antici portiones; 22. astragali caput; 23. tendo Achillis; 24. m. tibialis posticus; 25. 25.25”. m. triceps brachii; 26. m. radialis anticus; 27.27. museuli trieipiti ac deltoideo-supraspinoso interpositi; 28. adductor pollieis. b.b.b. ete. saccus abdominalis; e. ce. ce. s. thoracieus; d. d.d. s. sub- maxillaris; e.e.e. s. lateralis portio; f./. s. humeri; g. s. brachialis anterior; A. h. h. s. brachialis posterior; 2.2.2. s. femoralis; n.n s. inter- femoralis; 0.0. s. cruralis; p. p.p. Ss. dorsalis pedis. z.x2.x. plicae liberae e digitorum angulis ad cutem percurrentes; x'. x. x. eadem in pede formatio; «. «. paries membranaceus bursam abdominalem oblique pereurrens; 8. paries alter verticalis; y. y. angu- lus m. recti abdominis internus; d. d. m. mylohyoidei margo inferior; #&. 8. tela conjunetiva a m. mylobyoideo ad internam eutis superficiem exXpalisu, Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s.w. 547 wieder strotzend voll und in allen möglichen Zwischenstufen der Füllung angetroffen. Bei einem und demselben Thiere be- fanden sich allerdings alle Säcke entweder auf einer höheren oder auf einer geringeren Stufe der Anfüllung; aber die An- füllung der verschiedenen Säcke war eine verschiedene, und öfters boten die gleichnamigen Säcke der beiden hinteren Ex- tremitäten ungleiche Inhaltsmengen dar. Der Sacec. cruralis ent- hielt regelmässig mehr Lymphe als der Sacc. femoralis. Indem ich den dargelegten Fehler des Hermann’schen Schlusses sehr früh erkannt hatte, war ich vom Beginne mei- ner Untersuchungen an auf das Verhalten der Lymphe auf- merksam gewesen, und schon meine bisherigen Versuche hatten die Bedeutung des Lymphausflusses für den Zuwachsstrom dar- gethan. Zunächst nämlich hatte bei den Versuchen des $ 5. die Grösse des Zuwachsstromes, welcher aufgetreten war, über- all gut der Menge der Lymphe entsprochen, welche bei dem Freilegen der Muskeln ausgeflossen war, und der Zuwachs- strom hatte sein Maximum erreicht, wenn der Lymphausfluss aufgehört hattee Wo bei dem Freilegen des Gastroknemius oder des Triceps der Zuwachsstrom vermisst worden war, hatte auch kein Ausfluss von Lymphe stattgefunden; wo im Gegen- theil der Zuwachsstrom gross gewesen war, hatten strotzend volle Lymphsäcke sich entleert; endlich waren auch die mitt- leren Werthe des Zuwachsstromes mit entsprechenden mittleren Mengen ausgeflossener Lymphe zusammengefallen. Dabei hat- ten sich bei den Versuchen an vergifteten Fröschen selbst ge- ringere Verschiedenheiten absolut kleiner Lymphmengen gut constatiren lassen durch den Grad der Anfüllung der Zwischen- räume zwischen dem Schenkel, besonders seinen Gelenken, und der Glasplatte. Weiter war bei den Versuchen des $ 4. der Zuwachsstrom in eben derselben Weise neben dem Ausfliessen der Lymphe einhergegangen. Nur wo sehr wenig Flüssigkeit im Lymphsacke sich befunden hatte, war es vorgekommen, dass diese Flüssigkeit gar nicht nach dem Längsschnitte, sondern erst nach dem Zurückschlagen der Haut ausgeflossen war: und hier war auch nur nach dem Zurückschlagen der Haut ein schwacher Zuwachsstrom eingetreten. Sonst war der Lymph- 36* 548 H. Munk: ausfluss nach dem Längsschnitte fast immer beträchtlicher und oft viel beträchtlicher gewesen, als der neue Lymphausfluss nach dem Zurückschlagen der Haut: und ganz dem entsprechend hatten sich die beiden Zuwachsströme verhalten. Endlich war in allen den Fällen, in welchen der Zuwachsstrom nach dem Zurückschlagen der Haut ausgeblieben war, so vornehmlich häufig, wenn durch das Anlegen zweier Querschnitte durch die Haut unmittelbar nach dem Längsschnitte das Ausfliessen der Lymphe sehr erleichtert worden war, auch kein Lymphausfluss nach dem Zurückschlagen der Haut zu bemerken gewesen. Es hielt aber nicht schwer, noch durch weitere Versuche die innige Beziehung des Lymphausflusses zum Zuwachsstrome zu erhärten. Bei dem Längsschnitte allein durch die Unterschenkelhaut konnte der Ausfluss der Lymphe vollständiger erfolgen, wenn der Schnitt tief unten, als wenn er hoch oben an der äusseren Fläche des Unterschenkels geführt worden war: der Zuwachs- strom nach dem Längsschnitte überwog auch den Zuwachsstrom nach dem Zurückschlagen der Haut im ersteren Falle auffallend mehr als im letzteren Falle; und gerade bei mässiger Anfül- lung der Lymphsäcke trat dieser Einfluss der Schnittführung besonders schön hervor, indem hier im letzteren Falle der I,ymphausfluss und der Zuwachsstrom oft ganz ausblieben. Für die Entblössung des Gastroknemius hatte Hermann hinsichts des vorderen Endes des Längsschnittes keine beson- dere Bestimmung getroffen und nur angegeben, dass der vor- dere Querschnitt durch die Haut der Kniekehle geführt werden sollte. Die Erfolge der Versuche stellten sich aber bemerkens- werth verschieden heraus, je nachdem der genannte Querschnitt ein wenig mehr nach vorn oder nach hinten fiel. Im letzteren Falle wurde nämlich nur der Sacc, cruralis, im ersteren Falle wurden ausserdem noch die Sacc. femoralis und suprafemora- lis und zwar beide gerade an Stellen, welche für den Abfluss der Lymphe sehr günstig gelegen waren, eröffnet (vgl. Fig. 1). Der Zuwachsstrom bei dem Freilegen des Gastroknemius war nun, besonders bei mittleren Lymphmengen in den Säcken, im ersteren Valle deutlich grösser als im letzteren Falle, und bei Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 549 dem nachfolgenden Freilegen des Triceps blieb fast regelmässig im ersteren, nur ziemlich häufig (wie im $ 3) dagegen im letz- teren Falle der Zuwachsstrom ganz aus, Entsprechende Verschiedenheiten, wie bei dem verschiede- nen Anlegen des vorderen Querschnittes zum Zwecke des Frei- legens des Gastroknemius, zeigten sich, wenn blos ein Längs- schnitt durch die Haut des Unterschenkels geführt wurde, je nachdem der Schnitt nach vorn hin nur bis in die Nähe des Kniees oder über dasselbe hinaus sich erstreckte. Und alle diese angeführten Vergleichserfahrungen liessen sich nicht blos an den beiden Schenkeln desselben Frosches, deren gleichnamige Lymphsäcke mindestens ohngefähr gleiche Lymphmengen ent- hielten, sondern auch an verschiedenen Fröschen gewinnen, wenn nur der jedesmalige Anfüllungsgrad der Lymphsäcke ge- nügend im Auge behalten wurde. Durchstach ich hoch oben an der äusseren Fläche des Unterschenkels die Haut mit der Pravaz’schen Spritze und schob ich die Spitze derselben zwischen Haut und Muskeln möglichst tief hinunter, sd entstand, wenn beim Aufziehen des Stempels Flüssigkeit aufgesogen wurde, in der Regel ein schwacher aufsteigender Zuwachsstrom. Nur hin und wieder blieb diese Folge aus, trat dann aber gewöhnlich doch noch ein nach Wechsel des Aufsaugungsortes durch Vorwärts- oder Rückwärtsschieben der Spitze. Auch liess sich manchmal durch solchen Wechsel an demselben Unterschenkel mehrmals derselbe Erfolg erzielen. Nur gelang es so nicht, die ganze Lymph- menge des Sace. cruralis zu entleeren, so dass der letzte Flüs- sigkeitsrest erst nach der Durchschneidung und dem Zurück- schlagen der Haut ausfloss, von einem neuen, allerdings stets schwachen Zuwachsstrome begleitet Einfacher und bequemer gestaltete sich derselbe Versuch, indem ich nur einen kleinen Einschnitt an der äusseren Fläche des Unterschenkels mit der Scheere machte und an oder etwas in die Oeffnung der Haut die Enden kleiner Fliesspapier-Stücke brachte. Je mehr und je rascher die Flüssigkeit aufgesogen wurde, zu desto grösserer Stärke und desto rascher wuchs der Zuwachsstrom an. Auch gelang es in dieser Weise öfters, von 550 H. Munk: einem kleinen Hautschnitte auf der Triceps-Sehne aus den Sace. femoralis vollständig oder wenigstens fast vollständig zu ent- leeren: es trat dabei ein schwacher Zuwachsstrom auf, und bei dem nachfolgenden Freilegen des Triceps wurde gar kein oder doch nur ein höchst schwacher Zuwachsstrom wahrgenommen. Bei Fröschen mit gut gefüllten Lymphsäcken genügte end- lich oft schon ein kleiner Einschnitt in die Haut tief unten an der äusseren Fläche des Unterschenkels, um zugleich mit dem Austreten von Lymphe den Zuwachsstrom zur Beobachtung kommen zu lassen. Nur wuchs der Strom ganz langsam zu einer mässigen Grösse an, gerade so, wie das Ausfliessen der Lymphe ganz allmählich und unvollständig erfolgte. Hinüber- streichen über die Haut mit dem Scalpellstiele beförderte häufig den Lymphausfluss und beschleunigte das Anwachsen des Zu- wachsstromes. Nach dem Allen war es zweifellos, dass in dem Ausfliessen der zwischen der Haut und den Muskeln befindlichen Lymphe die Ursache des Zuwachsstro- mes bei dem Freilegen der Muskeln gelegen war. (enauer jedoch liess sich die Ursache des Zuwachsstromes un- mittelbar noch nicht angeben; dazu waren weitere Untersuchun- gen erforderlich. $& 6. Der Zuwachsstrom bei dem Freilegen der Muskeln ist wesentlich bedingt durch den Fortfall der von der Lymphe in den Lymphsäcken gebildeten Nebenschliessung. Die Vermuthung, dass der Lymphausfluss etwa von schäd- lichem Einflusse auf die Muskeln wäre, war mit unserer Wider- legung der Annahme, welche den Zuwachsstrom als eine Folge der Entblössung der Muskeln hinstellte, bereits beseitigt. Auch liess sich an die Widerstandszunahme, welche der Schliessungs- kreis durch den Fortfall der Lymphe erfuhr, als Ursache des Zuwachsstromes nicht denken; denn dafür war jene Zunahme meist zu klein und die Richtung des im Kreise vorhandenen Stromes zu gleichgültig. Es kam daher nur zweierlei in Be- tracht. Mit dem Ausfliessen der zwischen der Haut und den Muskeln gelegenen Lymphe fiel die Nebenschliessung zum Gal- Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 551 vanometer fort, welche diese Lymphe in Bezug, auf die Muskel- ströme bis dahin abgegeben hatte: und dadurch musste bei unseren schwach parelektronomischen Fröschen ein aufsteigender Zuwachsstrom bei dem Freilegen der Muskeln herbeigeführt sein. Dass die Haut vorher als ähnliche Nebenschliessung sich un- wirksam erwiesen hatte, war keine widersprechende Erfahrung, weil der Widerstand der freien Lymph-Flüssigkeit, selbst in gleich dünner Schicht, wesentlich kleiner sein musste als der Widerstand der Haut. Ausserdem konnte aber noch die aus- geflossene und an die Aussenseite der Haut gelangte Lymphe von Einfluss auf den Strom im Galvanometerkreise sein. Brachte ich bei einem auf der Glasplatte befindlichen ver- gifteten Frosche — vor jedem Aufschneiden der Haut — mit der Pravaz’schen Spritze einen Tropfen '/,—1°/,iger Kochsalz- lösung am Ober- oder Unterschenkel zwischen die Haut und die Glasplatte, so trat ein schwacher absteigender Zuwachsstrom auf; ein schwacher aufsteigender Zuwachsstrom aber entstand, wenn der Tropfen an den Metatarsus und die Zehen gebracht war. Mit der Menge der zugeführten Flüssigkeit wuchs jedes- mal der Zuwachsstrom, und zwar der letztere aufsteigende rascher als der erstere absteigende. Breitete sich dabei die Flüssigkeit vom Metatarsus nach vorn hin aus, so hatte dies auf den auf- steigenden Zuwachsstrom keinen wesentlichen Einfluss. Dagegen ging, sobald die am Ober- oder Unterschenkel zugeführte Flüs- sigkeit bei ihrer Ausbreitung an den Metatarsus und die Zehen gelangt war, der absteigende Zuwachsstrom sofort in einen rasch wachsenden aufsteigenden über; und wenn die Ausbreitung der Flüssigkeit in dieser Weise sehr rasch erfolgte, zeigte sich durch die Flüssigkeitszufuhr unmittelbar oder nach einem kurzen ab- steigenden Zuwachsstrome ein starker aufsteigender Zuwachs- strom herbeigeführt. Nahm ich die zugeführte Flüssigkeit durch Fliesspapier wieder weg, so war der Erfolg der umgekehrte. Bei nur einem Tropfen am Ober- oder Unterschenkel entstand ein schwacher aufsteigender Zuwachsstrom, bei nur einem Tropfen an Metatarsus und Zehen ein schwacher absteigender Zuwachs- strom. Bei grösseren Flüssigkeitsmengen, von welchen der Zwi- .schenraum zwischen Schenkel und Platte in der ganzen Länge 952 HB. Munk: des Schenkels erfüllt war, hing Alles davon ab, wie die Flüssig keit an den Zehen sich verhielt: wurde das Fliesspapier an Ober- oder Unterschenkel gebracht, so nahm die letztere Flüssigkeit ab, und es entstand ein absteigender Zuwachsstrom; wurde das Fliess- papier an Metatarsus und Zehen gelegt, so nahm, wenn hier viel Flüssigkeit sich befand, dieselbe trotz des Zuströmens von vorn her ab, und ebenfalls zeigte sich ein absteigender Zuwachsstrom;; war dabei aber von vornherein nur wenig Flüssigkeit an den Zehen, so nahm dieselbe zuerst durch Zuströmen von vorn her zu mit aufsteigendem Zuwachsstrome und darauf ab mit ab- steigendem Zuwachsstrome. Bei den auf den Rahmen gespannten unvergifteten Fröschen hatte nun blos eine Benetzung der Aussenfläche der Schenkelhaut durch die aus den Hautschnitten fliessende Lymphe stattgehabt, da dieselbe, sobald sie in grösserer Menge vorhanden war, auf den Tisch abtropfte; und bei den auf die Glasplatte gelegten vergifteten Fröschen hatte, wenn nicht gerade viel Lymphe aus- geflossen war, der Zwischenraum zwischen Schenkel und Platte höchstens bis zum Tarsus mit Lymphe sich gefüllt. In diesen beiden Fällen war also der aufsteigende Zuwachsstrom einzig und allein in dem Fortfalle der Lymphe an der Innenseite der Haut begründet, und er musste sogar, besonders im zweiten Falle, durch die äussere Ansammlung der Lymphe etwas ver- kleinert zur Beobachtung gekommen sein. Dem entsprechend wuchs auch noch etwas der nach dem Freilegen der Muskeln beobachtete aufsteigende Zuwachsstrom, wenn ich im letzteren Falle die ausgeflossene Lymphe durch Fliesspapier fortschaffte. Dagegen hatte bei den vergifteten Fröschen, bei welchen gut gefüllte Lymphsäcke sich entleert hatten, die Lymphe bis zu den Zeben sich verbreitet: und hier war der beobachtete auf- steigende Zuwachsstrom als herbeigeführt anzuerkennen nicht nur durch den Fortfall der von der Lymphe in den Lymph- säcken gebildeten Nebenschliessung, sondern auch durch die Anhäufung der Lymphe ausserhalb. In der That, nahm ich hier die ausgeflossene Lymphe durch Fliesspapier weg, so zeigte sich dasselbe, wie bei den oben zuletzt angeführten Versuchen mit der Kochsalzlösung; nur hinterblieb hier immer noch ein Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 553 ansehnlicher aufsteigender Zuwachsstrom (von 60—1008°), wenn die Aussenflüssigkeit gänzlich beseitigt war, während bei jenen Kochsalzlösung-Versuchen der durch die Flüssigkeitszufuhr ver- anlasste aufsteigende Zuwachsstrom alsdann auf Null zurück- geführt war. Nunmehr war auch das Räthsel gelöst, welches die so sehr verschiedene Grösse, in welcher der Zuwachsstrom bei den Ver- suchen des $ 3. aufgetreten war, anfänglich dargeboten hatte. Allerdings war die Lymphmenge in den Lymphsäcken entspre- chend sehr verschieden gewesen (s. 0. S. 547); allein es hätte doch Bedenken unterliegen müssen, jene verschiedene Grösse des Stromes einfach von dem verschiedenen Querschnitte der fortgefallenen Lymph-Nebenschliessung abzuleiten, weil die Wir- kung der bestehenden Lymph-Nebenschliessung mit dem Wach- sen des Querschnittes derselben nur immer langsamer zunehmen konnte und rasch einem Maximum sich nähern musste. Jetzt war es klar, dass zwar je nach der Lymphmenge verschieden grosse, aber doch immer nur schwächere aufsteigende Zuwachs- ströme die Folge des Fortfalles der Lymph -Nebenschliessung waren und dass die grossen Zuwachsströme, welche sich gezeigt hatten, durch den Hinzutritt der Wirkung der reichlich ausge- flossenen und aussen angesammelten Lymphe bedingt waren. Es war ferner verständlich die Beobachtung, welche, um die Darlegung nicht unnütz zu verwickeln, früher nicht aufgeführt worden ist, dass bei den Versuchen des $ 3. an vergifteten Fröschen, bei welchen strotzend volle Lymphsäcke sich entleer- ten und der Schenkel bald in Lymphe gebadet war, dem star- ken aufsteigenden Zuwachsstrome öfters — wenn rasch beob- achtet wurde, ehe die ausgeflossene Lymphe zu den Zehen ge- langt war — ein ganz kurzer und, wenn auch geringerer, so doch immer beträchtlicher absteigender Zuwachsstrom vorauf- ging. Es war endlich ohne Weiteres erklärlich die Erfahrung, welche ich anfangs dem Zufalle zuschreiben zu müssen geglaubt hatte, dass bei den Versuchen des $ 3. nur an den auf die Glas- platte gelegten vergifteten Fröschen die grossen Zuwachsströme sich gezeigt hatten, während an den auf den Rahmen gespann- ten unvergifteten Fröschen immer nur schwächere Zuwachs- 554 H. Munk: ströme zur Beobachtung gekommen waren. Häufig legte ich, nachdem ich auf die Wirkungen der aussen angesammelten Lymphe aufmerksam geworden war, die vergifteten Frösche so auf die Glasplatte, dass das vordere Ende des Tarsus auf den die Unterlage überragenden Rand der Glasplatte zu liegen kam, und stützte die Zehen für sich allein durch eine zweite, in passender Entfernung aufgestellte Glasplatte; Tarsus und Meta- tarsus schwebten also brückenförmig in der Luft, und der Zu- fluss der ausgeflossenen Lymphe zu den Zehen war verhindert: hier traten auch bei prall gefüllten Lymphsäcken immer nur schwächere Zuwachsströme auf. Das Gesammtergebniss der Untersuchung liess sich danach folgendermassen aussprechen: Bei dem Freilegen von Mus- kelpartieen desSchenkels entsteht in Folge des Aus- fliessens der zwischen der Haut und den Muskeln befindlichen Lymphe, welche bis dahin eine Neben- schliessung zum Galvanometer in Bezug auf die Muskelströme abgab, ein aufsteigender Zuwachs- strom, dessen Stärke mit der Menge der in den Lymphsäcken enthaltenen Lymphe wächst, eine mäs- sige Grösse jedoch nicht überschreitet. Zu diesem Zuwachsstrome fügt sich, wo die Versuchsbedingun- gen eine Ansammlung der ausgeflossenen Lymphe an der Aussenseite der Haut gestatten, in Folge dieser Ansammlung ein zweiter Zuwachsstrom algebraisch hinzu, der mit der Menge der aussen angesammelten Lymphe wächst und, wofern die ausgeflossene Lym- phe nicht den Metatarsus und die Zehen erreicht hat, schwach und absteigend, anderenfalls schwach bis stark und aufsteigend ist. Aber der erstere Zuwachsstrom ergab sich in seiner Stärke noch anderweitig abhängig ausser von der Lymphmenge. Die bisher angegebenen Erfolge der Versuche waren die- jenigen, welche bei der im Juni, Juli und August — unter fast täglichem Experimentiren bei 18—30° C. Zimmertempera- tur ausgeführten Untersuchung regelmässig sowohl an frisch eingefangenen wie an schon einige Zeit aufbewahrten Fröschen Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u s.w. 555 eintraten. Ich bin jedoch im Laufe der Untersuchung drei Mal auf ein ausnahmsweises Verhalten der Frösche gestossen und zwar der Art, dass Frösche, welche schon einige Zeit in mei- nen Töpfen sich befanden und deren Genossen von demselben Fange vorher und nachher schwach parelektronomisch sich zeig- ten, einmal höchst schwach parelektronomisch und die beiden anderen Male stark oder sehr stark parelektronomisch sich her- ausstellten. Das ausnahmsweise Verhalten hielt jedesmal nur 2—3 Tage an, betraf dann aber in ziemlich gleichem Masse alle Frösche, welche ich zu der Zeit untersuchte. Die höchst schwach parelektronomischen Frösche, deren Gastroknemien zwi- schen den sehnigen Enden einen auffallend starken aufsteigen- den Strom gaben, enthielten in ihren Lymphsäcken nur wenig Lymphe, und doch traten bei dem Freilegen des Gastroknemius — nicht bei dem Freilegen des Triceps — so starke aufstei- gende Zuwachsströme auf, dass sie zu den grössten gehörten, welche ich überhaupt beobachtet habe. Bei den stark oder gar sehr stark parelektronomischen Fröschen dagegen, deren Gastro- knemien zwischen den sehnigen Enden einen sehr schwachen aufsteigenden oder gar keinen oder endlich einen schwachen absteigenden Strom gaben, entstand, auch wenn eine reichlichere Lymphmenge in den Lymphsäcken sich befand, bei dem Frei- legen des Gastroknemius und des Triceps immer nur ein höchst schwacher aufsteigender oder ein schwacher absteigender Zu- wachsstrom, wenn nicht überhaupt jeder Zuwachsstrom aus- blieb. Diese neuen Erfahrungen, welche mit Hermann’s An- gaben übereinstimmten, waren nun für die betreffenden Um- stände durchaus vorauszusehen gewesen. Denn offenbar musste die gleiche Lymphmenge, als Schliessung für die Muskelströme, bei sehr schwacher Parelektronomie einen absolut grösseren Strom vom Galvanometer abblenden, als bei schwacher Parelek- tronomie, und bei starker Parelektronomie einen absolut klei- neren Strom. Die letzten Versuche hatten somit nur eine eigentlich selbstverständliche Ergänzung des vorhin ausgespro- chenen Ergebnisses geliefert, und der Erfolg des Entblössungs- versuches liess sich — von dem unwesentlichen, weil nur in 556 H. Munk: zufälligen Versuchsbedingungen begründeten, zweiten obigen Zuwachsstrome abgesehen — nunmehr vollständig so formu- liren: Bei dem Freilegen von Muskelpartieen des Schenkels entsteht in Folge des Ausfliessens der zwischen der Haut und den Muskeln befindlichen Lymphe, welche bis dahin eine Nebenschliessung zum Galvanometer in Bezug auf die Muskelströme abgab, ein aufsteigender Zuwachsstrom, dessen Stärke desto beträchtlicher ist, je schwächer die Parelektronomie der Muskeln und je grösser die in den Lymphsäcken enthaltene Lymphmenge ist. Bei sehr starker Parelektronomie der Muskeln ist der Zuwachsstrom absteigend. Wie die grössere oder geringere Anfüllung der Lympbsäcke der Frösche von der Jahreszeit und von anderen Umständen ab- hängig ist, darauf ist leider bisher, wie es scheint, noch gar nicht genauer geachtet worden. Nach den übereinstimmenden Erfah- rungen mehrerer Forscher meiner Bekanntschaft, welche viel mit Fröschen zu thun hatten, würden die Winterfrösche und die ersten Frühjahrsfrösche die grössten Lymphmengen in den Säcken ent- halten. So habe ich auch bei den im März, April und Mai d.J. eingefangenen Fröschen, welche ich zur vorliegenden Untersu- chung bis Mitte Juli verwandte, ziemlich häufig strotzend volle Lymphsäcke angetroffen. Bei den Anfangs Juni eingebrachten Fröschen bin ich dagegen schon nur selten auf gut gefüllte I,ymphsäcke gestossen, und bei den später im Juni, ferner im Juli und August eingefangenen Fröschen — ich habe 14 Fänge genau untersucht — habe ich durchweg nur wenig oder gar sehr wenig Lymphe in den Säcken gefunden. Die in meinen Töpfen überwinterten (im Oetober v. J. eingebrachten) Frösche waren arm an Lymphe, so dass bei ihnen, weil sie nicht dem Winterschlafe verfallen waren, vielleicht ein anomal starker Ver- brauch von Lymphe während des Winters stattgehabt hat. Mehr- fache Versuche, durch operative Eingriffe die Lymphmenge in den Säcken zu vermehren, haben bis jetzt noch nicht unzwei- deutige Resultate geliefert. Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u.s.w. 557 Wahrscheinlich ist auf den verschiedenen Lymphgehalt der Frösche die Verschiedenheit zurückzuführen, welche bei den Versuchen des $ 3. zwischen du Bois-Reymond’s und mei- nen Ergebnissen einerseits und Hermann’s Ergebnissen an- dererseits sich herausgestellt hat. Es lässt sich nämlich nicht gut denken, dass Hermann in der Regel höchst schwach par- elektronomische Frösche zur Untersuchung bekommen haben sollte, weil er, seinen Angaben nach und den Ausgabe- Zeiten der Abhandlungen nach (s. 0. die Anmerkungen des $ 1.) zu schliessen, vorzugsweise im Winter, etwa von der Herbst-Mitte bis zur Frühjahrs-Mitte experimentirt hat und ich die Frösche gerade in den folgenden drei heisseren Monaten in der Regel blos schwach parelektronomisch und nur ein einziges Mal höchst schwach parelektronomisch angetroffen habe. Viel eher ist nach dem eben über das Verhalten der Lymphe Bemerkten anzu- nehmen, dass Hermann’s Frösche in der Regel stark gefüllte Lymphsäcke besassen. Hermann kann in Folge dessen häufig auch bei stärkerer Parelektronomie grosse Zuwachsströme ge- funden haben, weil er die Frösche meist vergiftet auf der Glas- platte liegen hatte und auf die Wirkungen auch der aussen ange- sammelten Lymphe nicht aufmerksam geworden ist. Dazu ist dann wohl noch ein anderer Umstand gekommen, Hermann’s Zuwachsstrom so gross erscheinen zu lassen. Durch eine Reihe von Versuchen, bei welchen ich theils unversehrte, theils aus einer Herzwunde verblutete Frösche verwandte, habe ich consta- tirt, dass der Gesammtmuskelstrom enthäuteter Schenkel und der Zuwachsstrom bei dem Freilegen von Muskelpartieen des Schenkels durchschnittlich wesentlich grösser sind bei verblu- teten als bei bluthaltigen Thieren; auch habe ich wiederholt den bei dem Freilegen des Gastroknemius aufgetretenen Zu- wachsstrom, nachdem er sein Maximum erreicht hatte, noch weiter wachsen sehen, wenn ich die grossen Gefässe in der Kniekehle anschnitt und das ausgeflossene Blut sofort durch Fliesspapier fortschaffte. Es erklärt sich dies Alles einfach daraus, dass die in den Gefässen der Muskeln enthaltene Flüs- sigkeit selbst eine Nebenschliessung zum Galvanometer in Be- zug auf die Ströme der Muskelfasern abgiebt: wodurch es auch 558 H. Munk: schon du Bois-Reymond verständlich schien, dass mit Zucker- wasser ausgespritzte Muskeln an Kraft nicht ausgespritzten Mus- keln überlegen waren'). Bei dem Freilegen der Unterschenkel- Muskulatur hatte ich nun nie die Gefässe der Kniekehle ver- letzt, und nur eine spurweise Blutung, welche der Lymphe einen Stich in’s Rothe verlieh, war dann und wann in Folge der Schnitte durch die Haut eingetreten; Hermann dagegen spricht bei denselben Versuchen von einer „stets eintretenden nicht unbedeutenden Blutung aus den in der Kniekehle durchschnit- tenen Gefässen.* Während also bei meinem Freilegen der Mus- keln die Muskulatur ihren normalen Blutgehalt behielt, wurden oder waren Hermann’s Muskeln mehr oder weniger blutleer, und dadurch musste unter sonst gleichen Umständen der Zu- wachsstrom in Hermann’s Galvanometerkreise stärker sein. Uebrigens mögen die in der Regel grossen Zuwachsströme Hermann's bedingt gewesen sein wodurch sie wollen, jeden- falls sind die Verhältnisse, welche ich in Uebereinstimmung mit du Bois-Reymond an Frühjahrs- und Sommer-Fröschen angetroffen habe, als die normalen anzuerkennen. Doch kommt es darauf jetzt gar nicht einmal mehr an bei der Einsicht, welche wir in den Zuwachsstrom gewonnen haben. $ 7. Von dem Enthäutungs- und Wiederbehäutungs- Versuche. Mit dieser Einsicht war auch sogleich das volle Verständ- niss verknüpft des Enthäutungs- und Wiederbehäutungs- Ver- suches. Denn bei diesem Versuche ging lediglich auf ein Mal und in vollkommenerer Weise vor sich, was bei den früheren Entblössungsversuchen nach einander und unvollständiger er- folgt war. Die Enthäutung des Präparates führte die Eröffnung 1) E. du Bois-Reymond. De fibrae muscularis reactione ete. Berolini 1859. p. 42—3. — J. Ranke (Tetanus. Leipzig 1865. S. 438 ff.) hat bei dieser Bemerkung du Bois-Reymond's sich verlesen und ein Verständniss derselben nicht gewonnen. Kr ist dadurch zu Ver- suchen verleitet worden, gerade entgegengesetzt denen, welche er hätte anstellen müssen, um das zu beweisen, woran ihm gelegen war. Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u s.w. 559 und Entleerung zugleich der Sacci femoralis, suprafemoralis, interfemoralis und eruralis, wenn nicht gar auch noch der Sacei iliacus, dorsalis pedis und plantaris herbei; und mit der Wieder- behäutung liess sich wohl die Haut, nicht aber die ausgeflossene Lymphe aller dieser Säcke wieder an ihre alte Stelle schaffen: die letztere blieb vielmehr, mit etwas Blut gemischt, in grösse- rer oder geringerer Menge an dem Enthäutungsorte zurück, — ein unverkennbares Zeichen der wesentlichen Verschiedenheit, welche das dem ersten Anscheine nach gleiche Präparat doch jetzt gegen den Zustand vor der Enthäutung darbot. Ich stellte den Versuch am Galvani’schen Präparate an, wie ihn du Bois-Reymond schon 1842 ausgeführt hatte, nur dass ich den veränderten Ableitungsvorrichtungen gemäss die Haut von vornherein einmal am Steiss oder hoch oben am Ober- schenkel und zweitens an der Zehe oder an der äusseren Fläche des Tarsus ätzte.e Die Enthäutung nahm ich so, wie gewöhn- lich bei der Herstellung des Nerv-Muskel-Präparates, vor, je- doch nur bis zum Fussgelenke oder bis zum Tarso-Metatarsal- Gelenke; es bot alsdann keine Schwierigkeit, mit Hülfe zweier Pincetten die Haut wieder überzuziehen, ohne dass irgend ein Muskel mit der vorderen geätzten Hautstelle und auch über- haupt mit der Aussenfläche der Haut in Berührung kam. Die Wiederbehäutung liess ich der Enthäutung entweder unmittel- bar nachfolgen, oder ich liess zwischen beiden eine oder meh- rere Minuten verfliessen. Die Grösse der Fehler, welche die wiederholte Anlagerung der Zuleitungsröhren, die hier ja nicht unverrückt in ihrer Lage zu belassen waren, nach sich ziehen konnte, wurde in der Regel vor und nach dem Enthäuten er- mittelt. Der aufsteigende Zuwachsstrom, welcher nach dem Wieder- behäuten des Präparates sich zeigte, schwankte bei meinen ge- wöhnlichen, schwach parelektronomischen Fröschen zwischen 30 und 150°, entsprach also sehr gut den Zuwachsströmen, welche ich bei dem Freilegen einzelner Muskelpartieen des Schenkels beobachtet hatte. So grosse Zuwachsströme, wie manchmal unter den letzteren, fand ich hier nicht, offenbar weil jetzt, wo die Enthäutung, um die Experimentirplatte nicht zu verunreinigen, 560 H. Munk: anderswo vorgenommen wurde, die ausgeflossene Lymphe nie an der Aussenseite der Haut angesammelt war. Die kleineren Zuwachsströme traten gewöhnlich da auf, wo nur wenig, die grösseren, wo reichlich Lymphe ausgeflossen war. Brachte ich vor dem Wiederbehäuten das Präparat mehrmals von Neuem auf trockene Stellen der Porzellanplatte oder entfernte ich gar die der Muskulatur und der Haut anhaftende Lymphe auf die Weise, dass ich das Präparat über Fliesspapier wälzte, so kamen regelmässig die grösseren Zuwachsströme zur Beobachtung. Das Maximum des Zuwachsstromes war stets schon bei der ersten Beobachtung erreicht, auch wenn ich sogleich nach der Ent- häutung die Haut wieder übergezogen hatte; in diesem Falle wurde aber öfters bei der Wiederholung des Ab- und Wieder- überziehens der Haut, indem die zuerst an der Haut und den Muskeln haftengebliebene Lymphe immer mehr .abfloss, ein wiederholter aufsteigender Zuwachsstrom oder, was dasselbe sagen will, ein Anwachsen des ursprünglichen Zuwachsstromes wahrgenommen. — Bei einigen Versuchen an den höchst schwach parelektronomischen Fröschen (s. 0. S. 555) betrugen die Zu- wachsströme bis 300°, Bei den stark parelektronomischen Fröschen bin ich auf schwache absteigende Zuwachsströme ge- stossen. Schliesslich entfernte ich noch bei jedem Versuche die Haut, nachdem ich sie auch von dem Fusse abgezogen hatte, wobei meist auch die Haut der vierten Zehe folgte oder, wenn ein Rest derselben zurückgeblieben war, dieser Rest doch leicht beseitigt werden konnte, Setzte ich dann die Spitzen der Zu- leitungsröhren wieder auf die Stellen, an welchen sie sich vor- her auf der Haut befunden hatten, so fand ich einen neuen Zuwachsstrom vor, der etwa zwischen denselben Grenzen schwankte wie der obige erste Zuwachsstrom. Der neue Zu- wachsstrom war aber, wenn zwischen der Enthäutung und der Wiederbehäutung eine längere Zeit verflossen war, und vollends, wenn das enthäutete Präparat vor der Wiederbehäutung auf der trockenen Porzellanplatte mehrmals umgelagert oder über Fliess- papier gerollt worden war, immer nur klein und erreichte die höchsten Werthe blos daun, wenn die Wiederbehäutung der Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 561 Enthäutung unmittelbar gefolgt war. Es beruhte dieser Zuwachs- strom demnach nur zu einem Theile auf der Beseitigung der Hautströme (s. $ 8) und war zum grösseren Theile die Folge des vollkommeneren Fortfalles der Lymph-Nebenschliessung. Mehrfache Modificationen des Versuches lieferten mir im Wesentlichen dieselben Ergebnisse. So enthäutete ich am Gal- vani’schen Präparate, dessen Strom ich zwischen Steiss und Zehe prüfte — an den Ableitungsstellen war die Haut immer geätzt —, nur den Ober- und Unterschenkel, nachdem ich die Haut hoch oben am Oberschenkel ringsherum durchschnitten hatte, und entfernte schliesslich die vorher abgezogene Haut durch einen Zirkelschnitt am Fussgelenke und einen Längs- schnitt am Ober- und Unterschenkel. Um die Muskelquer- schnitte am vorderen Ende des Präparates zu vermeiden, expe- rimentirte ich ferner am vergifteten, sonst aber unversehrten Frosche ganz nach der allerersten Versuchsweise, nur dass ich vor dem Enthäuten der Schenkel einen Zirkelschnitt oberhalb des Beckens durch Bauch- und Rücken-Haut führte. Endlich untersuchte ich, wiederum am vergifteten Frosche, den Strom zwischen Nacken und Zehe, enthäutete die Schenkel nach einem Zirkelschnitte durch die Beckenhaut und führte zur schliess- lichen Entfernung der vorher abgezogenen Haut noch einen Zirkelschnitt am Fussgelenke und einen sich anschliessenden Längsschnitt durch die Haut, so dass die vordere Körperhälfte des Frosches und die Füsse bis zuletzt mit Haut bekleidet blieben. In allen diesen Fällen waren die Schnitte durch die Haut und die theilweise Entfernung der Haut zwischen den Ableitungsstellen, wie sich bald ergeben wird, ohne allen Ein- fluss auf die Hautströme zwischen den geätzten Stellen (s. $. 8). Ohne jede Aetzung der Haut (mit conc. Kochsalzlösung oder Arg. nitr.) den Versuch auszuführen, wie es Hermann mit Hülfe des Compensationsverfahrens gethan hatte, empfahl sich am wenigsten, da es doch, wie gesagt, keine Schwierigkeit bot, das Ab- und Wiederüberziehen der Haut so vorzunehmen, dass die geätzten und nach der Aetzung sorgsam abgetrockne- ten Hautstellen mit keinem Muskel in Berührung kamen, eine etwaige Anätzung anderer äusserer Hautflächen aber nicht von Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868, 37 562 H. Munk: Bedeutung war (s. $ 3). Denn bei der Hermann’schen Ver- suchsweise liessen an frischen Fröschen die oft grosse Differenz der elektromotorischen Kräfte der abgeleiteten unversehrten Hautstellen und die oft grossen und unregelmässigen Verschie- denheiten, welche die Differenz von einer Prüfung zur anderen darbot, vielfach nicht zu genaueren Ergebnissen kommen; und nur an Fröschen, welche lange in der Gefangenschaft gefastet hatten und, wie schon du Bois-Reymond!) gefunden hatte, ungleich schwächere Hautströme als die frisch eingebrachten zeigten, gestalteten sich die Erfolge günstiger. Ich erhielt übri- gens bei derartigen Versuchen dieselben Ergebnisse, wie oben bei den Versuchen mit Messung der Stromintensität zwischen den geätzten Ableitungsstellen; und ich gehe auf die Abwei- chungen dieser Ergebnisse von den Hermann’schen nur des- halb nicht weiter ein, weil es nach allem Voraufgegangenen überflüssig wäre. $ 3. Von den Strömen am unenthäuteten Frosche. Der Muskelstrom ist auch am unenthäuteten Frosche nachweisbar. Um die Untersuchung bis zu ihren natürlichen Grenzen auszudehnen, waren nun noch die Ströme am unenthäuteten Frosche zu betrachten. Obwohl diese Ströme bei den Versuchen von vornherein der Beobachtung sich aufdrängten, ist doch von ihnen bisher nicht die Rede gewesen, weil sie naturgemäss erst den Schluss der Untersuchung zu bilden hatten; und wir sind durchaus nicht voreilig zu Werke gegangen, als wir im $ 6, den Zuwachsstrom vom Fortfalle der Lymph-Nebenschliessung ableiteten, unbe- kümmert um den Beweis, welchen Hermann für die Strom- losigkeit der Muskeln im unversehrten lebenden Thiere weiter noch durch die Untersuchung des unenthäuteten Thieres gelie- fert haben wollte. Denn die Existenz des Muskelstromes am isolirten lebenden Muskel wie am freigelegten Muskel des le- 1) Untersuchungen u. s. w Bd. II. Abth. II. S. 20. Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s.w. 563 benden Thieres war unbestritten, und du Bois-Reymond hatte den Muskelstrom für nachweisbar auch am behäuteten Thiere erklärt. Fand nun Hermann das behäutete Thier unter gewissen, die Hautungleichartigkeiten beseitigenden und zugleich jede Veränderung der Muskeln ausschliessenden Umständen stromlos, so durfte er daraus doch zunächst nur schliessen, dass der Muskelstrom am behäuteten Thiere nicht nachweisbar sei, nicht aber, dass er dort gar nicht vorhanden sei- Der letztere Schluss war erst dann erlaubt, wenn erwiesen war, dass der Muskelstrom bei dem Freilegen der Muskeln in Folge der Ent- blössung entstand. Hermann war also gerade den umgekehr- ten Weg gegangen, den er folgerichtig hätte gehen müssen; und wir waren, als wir gefunden hatten, dass der Zuwachsstrom bei dem Freilegen der Muskeln nicht die Folge der Entblössung ist, auf Grund der Hermann’schen Versuche am behäuteten Thiere höchstens noch zu glauben verpflichtet, dass der Muskel- strom am behäuteten Thiere sich nicht nachweisen liesse. Nicht genug jedoch, dass Hermann durch die Ergebnisse seiner Versuche am unenthäuteten Thiere zu dem Schlusse, den er zog, nicht berechtigt war, so waren eben diese Versuchs- ergebnisse sogar geradezu falsch. Unter mehreren Hunderten von Versuchen, welche ich an frischen und mehr oder weniger lange aufbewahrten Fröschen, nach vorheriger Aetzung der be- treffenden Hautstellen, mit Prüfung zwischen Nacken und Steiss einerseits und (meist) Zehe oder (seltener) Tarsus andererseits angestellt habe, bin. ich bei der ersten Beobachtung nur ein einziges Mal zwischen Nacken und Zehe auf Stromlosigkeit ge- stossen, die aber auch sogleich einem absteigenden Strome Platz machte; sonst war stets von vornherein ein auf- oder abstei- gender Strom von mässiger oder geringer Grösse vorhanden, der mit der Schliessungsdauer sich veränderte. In der Mehr- ‘zahl der Fälle war dabei keine Spur von Durchätzung an den unter der Rücken-, Steiss- oder Tarsalhaut gelegenen Muskeln bemerkbar, in den anderen Fällen waren dieselben Muskeln schwach, selten stärker angeätzt. Ob ich die Ungleichartig- keiten der Zuleitungsröhren compensirt hatte, oder ob ich ohne Compensation mit höchst gleichartigen Zuleitungsröhren arbei- 37* 564 H. Munk: tete, so dass bei zusammengeschobenen Spitzen derselben der Spiegel nur um c. 5s° und demgemäss um viel weniger, als nach Aufnahme des Frosches in den Galvanometerkreis, abge- lenkt wurde, war gleichgültig. Hermann’s Resultate liessen sich daher nur auf die Weise erklären, dass die Empfindlich- keit seines Multiplicators zu gering gewesen war. Aber noch mehr. Die Unrichtigkeit von Hermann'’s Ver- suchsergebnissen oder anders die Unmöglichkeit des Fehlens des Muskelstromes, welches Hermann gerade mit seinen Ver- suchen beweisen wollte, war auch vorauszusehen gewesen und liess sich ganz ohne die eben erwähnten Versuche auf andere Weise erhärten. Bei der Erklärung der Ströme eines Haut- stückes zwischen der äusseren oder der inneren Fläche und dem Querschnitte hatte schon J. Rosenthal!) gezeigt, dass eine Partie am Ende des Hautstückes, in welcher die elektromoto- rischen Kräfte vernichtet sind, durch die benachbarten elektro- motorischen Kräfte der unversehrten Haut mit Stromescurven erfüllt sein muss. Das Gleiche musste nun auch statthaben bei einer elektromotorisch unwirksamen Hautpartie, welche inmitten unversehrter Haut gelegen war; und Nichts war leichter, als nach Aetzung einer mittleren Stelle eines isolirten Hautstückes die Ströme zwischen verschiedenen Punkten der geätzten Stelle durch den Versuch nachzuweisen. Danach konnte es aber höch- stens einmal ein Werk des Zufalles sein, dass man bei der Auf- nahme zweier geätzter und durch unversehrte Haut verbundener Hautstellen in den Galvanometerkreis auf Ableitungspunkte von gleicher Spannung gerieth, um so mehr, als auch die Kraft ver- schiedener Hautstellen eine verschiedene ist und oft beträcht- lich differirt: in der Regel mussten Ströme zwischen den bei- den Hautstellen auftreten. In der That war nur nöthig, nach Isolirung einer grösseren Hautpartie und Aetzung zweier ge- trennter Stellen derselben die Zuleitungsröhren auf diese Stellen aufzusetzen, um sich durch die regelmässig zur Beobachtung 1) Die Fortschritte der Physik im ‚Jahre 1860, darg. von der physikalischen Gesellschaft zu Berlin. Berlin 1862. S. 547, — Dieses Archiv, 1865. 8. 310 ff. Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 565 kommenden Ströme von der Richtigkeit auch dieses theoreti- schen Ergebnisses zu überzeugen, Wenn nun, woran Hermann gar nicht gedacht hat, auch zwischen zwei geätzten Hautstellen regelmässig ein Hautstrom auftrat, konnte die von Hermann am unenthäuteten Frosche gefundene Stromlosigkeit nur auf ir- gend einem Versuchsfehler beruhen, oder sie bewies gerade, dass der Hautstrom durch einen zweiten Strom, der nach allen unseren Kenntnissen nichts Anderes als der Muskelstrom sein konnte, compensirt war. Hermann’s Bemühen war also in jeder Beziehung ver- fehlt, und nicht einmal das ging aus seinen bezüglichen, durch- aus falschen Versuchen hervor, dass der Muskelstfom am un- enthäuteten Thiere nicht nachweisbar sei. Einzig und allein seine Verdächtigung, dass du Bois-Reymond’s aufsteigender Gesammtmuskelstrom der behäuteten Frosch-Gliedmassen wie des unversehrtes Frosches schon zur Zeit seiner ersten Consta- tirung von einer Anätzung der Muskeln durch die Kochsalz- lösung herrühren könne, blieb bestehen; und da sie nur das von du Bois-Reymond beobachtete und der allmählichen Zerstörung der Parelektronomie zugeschriebene Wachsen des Gesammtmuskelstromes mit der Zeit und etwa noch Hermann’s durch keine Erfahrung gestützte Angabe, dass die concentrirte Kochsalzlösung „verhältnissmässig langsam (auf die Haut) wirkt und während dessen schnell in die Tiefe diffundirt“, zur Grund- lage hatte, konnte es fraglich sein, ob ihr Bedeutung beizu- messen wäre. Indessen waren eben zwei Thatsachen bekannt geworden, welche hier von Gewicht waren: es hatten, wenn ein unversehrter Frosch mit zwei geätzten Hautstellen in den Kreis aufgenommen war, nicht nur aufsteigende, sondern auch abstei- gende Ströme sich ergeben, und es hatte zweitens sich gezeigt, dass in solchem Kreise doch ein Hautsırom eireulirte. Unter diesen Umständen erschien es räthlich, die Nachweisbarkeit des Muskelstromes am unenthäuteten Thiere von Neuem zu untersuchen. Von einem eben getödteten Frosche entfernte ich den gröss- ten Theil der Brust- und Bauch-Bedeckungen mit den vorderen Extremitäten und dem Kopfe und zog darauf die übrig geblie- 566 H. Munk: bene Haut im Ganzen bis zu den Metatarso-Phalangeal- oder den ersten Phalangeal-Gelenken ab, so dass nach Durchschnei- dung dieser Gelenke alle oder die letzten Phalangen in der Zehenhaut stecken blieben '). Nach Reinigung der inneren Haut- fläche von den anhaftenden Muskelresten schnitt ich dann die Extremitäten-Haut an der Bauchseite auf und breitete die ganze Haut mit ihrer Innenfläche, unter Verhütung von Luftblasen, auf einem Lager von mit 1°/,iger Kochsalzlösung angeknetetem Thone aus, welchem ich die Gestalt der ausgebreiteten Haut und in den verschiedenen Gegenden eine den betreffenden Körpertheilen des Frosches entsprechend verschiedene Dicke gegeben hatte; die Zehen kamen am Ende des Thonlagers un- mittelbar auf die das Thonlager tragende Glasplatte zu liegen, und die beiden Thon-Abtheilungen für die Haut der Extremi- täten waren durch eine eben solche freie und trockene Glas- fläche getrennt, wie früher die Extremitäten des auf der Glas- platte liegenden Frosches. Ich untersuchte nun die Ströme zwischen verschiedenen Stellen der Aussenfläche der Haut, in- dem ich die Spitzen der Zuleitungsröhren auf diese Stellen setzte, ohne dass die Stellen geätzt waren und nach vorheriger Aetzung derselben mit Arg. nitr. fus. Zwischen unversehrtem Steiss und Tarsus erhielt ich, in Uebereinstimmung mit du Bois- Reymond?), regelmässig einen mehr oder weniger starken ab- steigenden Strom; ebenso zwischen Nacken und Tarsus. Zwi- schen unversehrtem Nacken oder Steiss und Zehe aber beob- achtete ich mehr oder weniger starke Ströme, welche etwa ebenso häufig auf- wie absteigend waren; und es kam sogar öfters an einer und derselben Froschhaut vor, dass auf den beiden Seiten- hälften zwischen denselben Stellen oder auf derselben Seiten- hälfte zwischen Nacken und Zehe und wiederum zwischen Steiss und Zehe verschieden gerichtete Ströme sich zeigten. War eine 1) Die Erhaltung der Zehen empfahl sich, weil die Zehenhaut sich nicht sicher jedes Mal im Ganzen abziehen liess. In mehreren Fällen, in welchen dies gelungen war, haben die obigen Versuche die- selben Ergebnisse geliefert. 2) Untersuchungen u. s. w. Bd. Il. Abth. Il. S. 15—16. Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 567 der beiden Ableitungsstellen geätzt, so ging überall, wie es schon du Bois-Reymond') gefunden hatte, 'ein mehr oder weniger kräftiger Strom in der Haut von der ungeätzten zur geätzten Stelle. Waren Nacken oder Steiss und Tarsus zugleich geätzt, so war immer nur ein schwacher Strom vorhanden, der öfter auf- als absteigend war und mit der Schliessungsdauer meist langsam zunahm. Waren endlich Nacken oder Steiss und Zehe zugleich geätzt, so zeigte sich ausnahmslos .ein absteigen- der Strom von geringer oder mässiger Grösse, der mit der Schliessungsdauer wuchs. Durchschnitt ich, während die Zu- leitungsröhren die geätzte Steisshaut und die geätzte Zehe be- rührten, die Unter- und Oberschenkelhaut oder nahm ich sie sogar fort, so war dies ohne Einfluss auf den bestehenden Strom; und ebenso konnte ich unbeschadet des Stromes nicht nur die Unter- und Oberschenkelhaut, sondern auch die Beckenhaut ganz entfernen, wenn ich zwischen dem geätzten Nacken und der geätzten Zehe geschlossen hatte. Wie auf Grund der bereits bemerkten Erfüllung der geätz- ten Hautstellen mit Stromescurven die Ströme zwischen diesen Stellen des Genaueren zu erklären seien, darüber haben die nächstliegenden Versuche nicht sogleich bündige Auskunft ge- geben, und ich habe den Gegenstand nicht weiter verfolgt. Worauf es hier ankam, war ausschliesslich das Thatsächliche, dass bei geätzten Hautstellen zwischen Nacken oder Steiss und Tarsus ein schwacher Hautstrom von öfter auf- als absteigen- der Richtung und zwischen Nacken oder Steiss und Zehe ein schwacher oder nur wenig stärkerer Hautstrom von stets abstei- gender Richtung bestand. Die algebraische Summe dieses Haut- stromes nämlich und des Gesammtmuskelstromes musste der Strom vorstellen, welcher bei der Schliessung am unenthäuteten Frosche zwischen den betreffenden geätzten Hautstellen auftrat. War nun der letztere Strom dem Hautstrome gleich, so liess sich die Existenz des Muskelstromes am unenthäuteten Thiere auf unserem Wege nicht darthun; wich derselbe Strom aber vom Hautstrome regelmässig dem Gesammtmuskelstrome ent- 1) Ebenda $. 11; 13—14, 568 H. Munk: sprechend ab, so war damit der Muskelstrom auch am unent- häuteten Thiere nachgewiesen. Der Möglichkeit, so zu einer Entscheidung zu gelangen, war jedoch noch eine Beschränkung auferlegt. Der aufsteigende Gesammtmuskelstrom des enthäuteten Frosches zwischen den oft erwähnten Ableitungsstellen schwankte bei meinen gewöhnlichen, schwach parelektronomischen Fröschen etwa zwischen 50 und 220s°; und davon war, um den Gesammtmuskelstrom des un- enthäuteten Frosches zu erhalten, der Zuwachsstrom in Abzug zu bringen, welcher oben in Folge des Fortfalles der Lymph- Nebenschliessung bei dem Enthäuten und Wiederbehäuten des Frosches sich gezeigt hatte (s. $ 7). Der aufsteigende Gesammt- muskelstrom des unenthäuteten Frosches konnte danach nur ein schwacher Strom sein, der höchstens dann und wann ce. 70s° und gewöhnlich eine geringere Ablenkung bedingte. Es war dann aber von gleicher Ordnung mit ihm .der Hautstrom, vor- nehmlich der zwischen Nacken oder Steiss und Zehe, weniger der im Allgemeinen schwächere zwischen Nacken oder Steiss und Tarsus; denn die Ergebnisse, welche an der auf das Thon- lager gebrachten Froschhaut gewonnen waren, liessen, wenn auch wegen der ungleichen Widerstände nicht genau, so doch ohngefähr auf die Verhältnisse am Frosche selbst sich über- tragen. Da nun Gesammtmuskelstrom und Hautstrom Beide schwache Ströme waren, deren Grösse aus verschiedenen und sich uns ganz entziehenden Gründen schwanken konnte, war auf gleiche oder ungleiche Intensitäten des Hautstromes und des Stromes am unenthäuteten Frosche wenig zu geben; und eine sichere Entscheidung der uns beschäftigenden Frage erschien nur dann möglich, wenn constante Verschiedenheiten in der Richtung der letzterwähnten Ströme sich herausstellten, Gerade dies war aber in der Wirklichkeit der Fall. Am unenthäuteten Frosche traten nämlich zwischen dem geätzten Nacken oder Steiss und dem geätzten Tarsus fast immer schwache aufsteigende und nur höchst selten schwache abstei- gende Ströme auf, Ebenda zeigten sich ferner zwischen dem geätzten Nacken oder Steiss und der geätzten Zehe sowohl auf- wie absteigende Ströme und zwar so, dass die aufsteigende Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 569 Stromrichtung zwischen Steiss und Zehe die häufigere und zwi- schen Nacken und Zehe sogar die Regel war. Dagegen hatte der Hautstrom für die ersteren Fälle nur öfter auf- als abstei- gend und für die letzteren Fälle ausnahmslos absteigend sich ergeben. Es trat also oft deutlich in den ersteren Fäl- len und ganz zweifellos in den letzteren Fällen neben dem Hautstrome der aufsteigende Gesammtmuskel- strom hervor, der somit auch am unenthäuteten Frosche nachgewiesen war. Blieb der unenthäutete Frosch längere Zeit im Kreise, so nahmen die aufsteigenden Ströme zwischen Nacken oder Steiss und Zehe bis Null ab, wurden absteigend und nahmen endlich in der neuen Richtung zu; alle anderen Ströme hingegen wuch- sen von vornherein mit der Schliessungsdauer. Die Verände- rungen der Hautströme, welche vorher an der Haut allein beob- achtet waren (s. 0. S. 567), wurden also auch hier am unent- häuteten Frosche sichtbar, und die schliessliche Umkehrung der aufsteigenden Stromrichtung zwischen Nacken oder Steiss und Zehe zeigte an, dass in dem Confliete des Hautstromes und des Gesammtmuskelstromes der anfangs von dem Gesammt- muskelstrome überwundene Hautstrom, durch sein Wachsen mit der Schliessungsdauer, schliesslich doch den Sieg über den Ge- sammtmuskelstrom davongetragen hatte. Eine Veränderung des Gesammtmuskelstromes selbst mit der Schliessungsdauer anzu- nehmen, dazu gaben die Erfahrungen keinen Anlass. Nur auf einer völligen Verkennung der Dinge beruhte, was Hermann Hierhergehöriges vorgebracht hat. Wenn Hermann am unenthäuteten Frosche anfangs keinen Strom beobachtete und später zwischen Rücken und Tarsus einen aufsteigenden und zwischen Rücken und Zehe einen absteigenden Strom auf- treten und wachsen sah, so war dies einfach darin begründet, dass sein nicht genügend empfindlicher Multiplicator die Ströme am unenthäuteten Frosche erst dann ihm vorführte, wenn sie durch die mit der Schliessungsdauer erfolgenden Zuwächse aus- reichend verstärkt waren. Hermann’s Deutung aber, es rühr- ten die auftretenden Ströme nur von der Anätzung der unter . der Rücken- resp. Tarsalhaut gelegenen Muskeln her, liess sich, 570 H. Munk: ganz abgesehen davon, dass zwischen Nacken oder Steiss und Zehe so oft ein aufsteigender Strom vorhanden war, in mehr- facher Weise als nicht stichhaltig darthun. Es traten nämlich die Ströme mit ihren Veränderungen auch da ein, wo nicht die geringste Spur einer Durchätzung, nicht der leiseste weissliche Anflug an der über den Muskeln gelegenen Fascie zu bemer- ken war. Ferner zeigten sich die Veränderungen oft beträcht- lich, wo keine oder nur eine sehr schwache, und unbeträchtlich, wo eine starke Anätzung der Muskeln schliesslich gefunden wurde. Endlich stellte sich durch besondere Versuche in Fäl- len, in welchen zwischen Nacken und Zehe ein aufsteigender Strom bestand und eine schwache Durchätzung statthatte, her- aus, dass, die Veränderungen nicht mit der Zeit nach der Haut- ätzung, wie es nach Hermann der Fall sein musste, sondern nur mit der Schliessungsdauer wuchsen: brachte ich die Thon- spitzen mehrmals in grösseren Zeitabständen auf die geätzten Stellen, so wichen die Ströme nur wenig und in verschiedenem Sinne von einander ab, wie es durch die Fehler beim wieder- holten Aufsetzen der Zuleitungsröhren verständlich war; wäh- rend der Strom nicht nur regelmässig abnahm, sondern auch in absteigender Richtung eine ansehnliche Grösse erlangte, wenn die Zuleitungsröhren während einer ebenso langen Zeit unver- rückt an ihrem Platze blieben '). Dass durch die Anätzung der unter der Haut gelegenen Muskeln die Ströme am unenthäute- ten Frosche unter Umständen werden beeinflusst sein, ist nicht zu bezweifeln; aber erst weitere eingehende Untersuchungen an Stelle der Hermann’schen Behauptungen werden die wün- schenswerthen Aufschlüsse liefern können. Selbst sogleich solche Untersuchungen ausführen zu müssen, habe ich mir erspart, indem ich die aufgeführten Ergebnisse, bei welchen es nöthig war, dadurch sicherte, dass ich sie sowohl bei schwach ange- ätzten wie auch bei nicht spurweise angeützten Muskeln con- 1) So erklärte sich auch einfach, dass Hermann (Untersuchun- gen u.s. w. Drittes Heft $. 13) am unenthäuteten Frosche zwischen dem längst geätzten Rücken und dem frisch geätzten Tarsus diesel- ben Beobachtungen machte, wie sonst zwischen dem frisch geätzten Rücken und dem frisch geätzten Tarsus. Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 571 statirte; ich beugte dadurch zugleich dem entgegengesetzten Verdachte vor, dass die Ableitungsstellen etwa nicht genügend geätzt, die elektromotorischen Kräfte der Haut an jenen Stellen etwa nicht ausreichend beseitigt gewesen wären. Bei den höchst schwach parelektronomischen Fröschen (8. o. 8. 555) fand ich zwischen dem geätzten Nacken oder Steiss und der geätzten Zehe — den Tarsus habe ich hier als Ab- leitungsstelle nicht benutzt — ebenfalls auf- und absteigende Ströme, deren relative Häufigkeit von der gewöhnlichen nicht merklich abwich; nur das fiel mir auf, dass die absteigenden Ströme immer sehr schwach waren und die aufsteigenden Ströme manchmal grössere Ablenkungen (bis 100se) gaben, als ich je sonst beobachtet hatte. Bei den stark parelektronomischen Frö- schen, welche enthäutet zwischen allen unseren Ableitungsstellen einen absteigenden Strom gaben, traten zwischen dem geätzten Nacken oder Steiss und dem geätzten Tarsus etwa gleich häufig auf- und absteigende Ströme, zwischen dem geätzten Nacken oder Steiss und der geätzten Zehe aber stets nur absteigende Ströme auf. Diese Erfahrungen zusammengehalten mit den bei den gewöhnlichen, schwach parelektronomischen Fröschen ge- wonnenen, besonders aber der regelmässig absteigende Strom zwischen Nacken oder Steiss und Zehe bei den stark parelek- tronomischen Fröschen und der fast immer aufsteigende Strom zwischen denselben Ableitungsstellen bei den schwach parelek- tronomischen Fröschen liessen sich als ein neuer Nachweis des Muskelstromes am unenthäuteten Frosche ansprechen, wenn ich nicht die Untersuchung der Hautströme bei den stark parelek- tronomischen Fröschen versäumt hätte und deshalb dem Ein- wande, dass bei diesen Fröschen auch die Hautströme nicht das gewöhnliche Verhalten darboten, freies Spiel lassen müsste. Doch kann ich hinzufügen, dass die Ströme an den eben be- trachteten Fröschen mit der Schliessungsdauer gerade so sich veränderten wie die Ströme an den schwach parelektronomischen Fröschen: was die Bedeutung des Einwandes gewiss sehr her- absetzt. Ich schlug endlich noch einen anderen Weg ein, welcher weniger umständlich zu dem erstrebten Ziele führte. Nach der 572 H. Munk vorgewonnenen Einsicht war, wenn der aufsteigende Gesammt- muskelstrom des enthäuteten Frosches im Falle des unenthäu- teten Frosches nicht gänzlich vom Galvanometer abgeblendet war, dies nur darin begründet, dass die Nebenschliessung zum Galvanometer, welche am letzteren Frosche die Lymphe in den Lymphsäcken abgab, nicht gut genug war; und eine künstliche Verbesserung der Lymph-Nebenschliessung ohne Beschädigung der Parelektronomie der Muskeln musste den durch das Gal- vanometer fliessenden Rest des Gesammtmuskelstromes des ent- häuteten Frosches oder, wie dieser Rest schon oben immer kurz bezeichnet worden ist, den Gesammtmuskelstrom des unenthäu- teten. Frosches schwächen. Ich injieirte also an lympharmen vergifteten Fröschen, welche, mit geätztem Nacken und geätz- ter Zehe in den Galvanometerkreis aufgenommen, einen auf- steigenden Strom zeigten, mittelst der Pravaz’schen Spritze, deren Spitze ich etwa in der Mitte der oberen Fläche des Unterschenkels durch die Haut stach und unter der Haut quer bis zur inneren Fläche des Unterschenkels vorschob, — in Er- mangelung von Lymphe, welche zur Zeit, als ich diese Ver- suche anstellte, nicht mehr in genügender Menge von den Frö- schen sich gewinnen liess — frisches Froschblut-Serum oder 1°,,ige Kochsalzlösung in den Unterschenkel-Lymphsack und zwar die halbe oder die ganze Flüssigkeitsmenge, welche die Spritze fasste. Der Erfolg entsprach den Erwartungen. Ein- zelne Fälle nämlich ausgenommen, in welchen sich gar keine Veränderung des im Kreise vorhandenen Stromes constatiren liess, führte die Injection stets unmittelbar einen absteigenden Zuwachsstrom herbei, der den Spiegel bei den gewöhnlichen Fröschen um 10— 25°, bei einem höchst schwach parelektro- nomischen Frosche einmal sogar um 40° ablenkte. Die Parelektronomie der Muskeln war nicht beschädigt worden; denn einmal verstand sich die Unschädlichkeit der eingespritzten Flüssigkeiten bei der so ähnlichen Constitution der die Muskeln normal umspülenden Lymphe von selbst und war zum Ueberfluss durch den Versuch erhärtet'), zweitens 1) E. du Bois-Reymond Untersuchungen u. s. w. Bd. ll. Abth. II. 8.68—4, — Derselbe. Beschreibung einiger Vorrichtun- Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 573 hätte die Beschädigung der Parelektronomie einen aufsteigenden Zuwachsstrom zur Folge gehabt. Auch war an ein Wachsen des absteigenden Hautstromes als Ursache des beobachteten Zuwachsstromes nicht zu denken; denn da der zwischen dem geätzten Nacken und der geätzten Zehe bestehende Hautstrom unabhängig erkannt worden war von dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der Ober- und Unterschenkelhaut (s. o. $. 567), konnte nur in Folge der Widerstandsabnahme des Kreises der Hautstrom gleichmässig mit dem Gesammtmuskelstrome des unenthäuteten Frosches zunehmen, und das Wachsen des im Kreise vorhandenen aufsteigenden Stromes, dessen Richtung gerade deshalb vorzugsweise für die Versuche gewählt war, musste einen aufsteigenden Zuwachsstrom beobachten lassen. Nur die Schwächung des Gresammtmuskelstromes in Folge der für eine Strecke herbeigeführten Verbesserung der Lymph-Ne- benschliessung blieb daher als Ursache des gefundenen abstei- genden Zuwachsstromes übrig; und gerade aus dem Conflicte dieser Schwächung und der vorerschlossenen Verstärkung des im Kreise vorhandenen Stromes im Verein damit, dass der von vornherein kleine Gesammtmuskelstrom des unenthäuteten Fro- sches durch die so beschränkte Verbesserung der I,ymph-Neben- schliessung doch nur einen Theil seiner Grösse einbüssen konnte, erklärte es sich sogleich weiter, dass der Zuwachsstrom manch- mal nicht zum Vorschein gekommen und, wo er sich gezeigt hatte, nur klein gewesen war. Es war somit auch auf die- sem Wege der Muskelstrom am unenthäuteten Fro- sche nachgewiesen. Schon Hermann hatte „mannigfache... nicht ätzende Flüssigkeiten in den Lymphsack des Unterschenkels injieirt“ und dabei den meinigen widersprechende Resultate erhalten; denn „fast alle (Flüssigkeiten) ergaben sich als in gewissem Grade stromentwickelnd, selbst halbprocentige Kochsalzlösung“ !), d. h., wenn wir aus der Angabe das Thatsächliche heraus- gen u.s. w. Abhandlungen der physikalischen Klasse der Berliner Akademie v. J. 1862. S. 94—5. 1) Untersuchungen u. s. w. Drittes Heft. $S. 42. Anm. — Vergl. ebenda S. 6—7; 53. 574 H. Munk: nehmen, die Einspritzung der Flüssigkeiten hatte fast immer einen aufsteigenden Zuwachsstrom zur Folge. Aber Hermann’s Auffassung seiner betreffenden Versuche war eine falsche. Bei meinen vorbesprochenen Injectionsversuchen hatte die Kanüle der Pravaz’schen Spritze das durch die konische oder lanzen- förmige Spitze derselben gebohrte Loch in der Haut völlig ver- stopft, und die ganze eingespritzte Flüssigkeit war in dem Lymphsacke verblieben. Führte ich hingegen die Spritze durch ein mit der Scheere gemachtes Loch in der Haut, welches die Kanüle nicht verschliessen konnte, oder kam einmal nach Ein- bohrung der lanzenförmigen Spitze ein guter Verschluss nicht zu Stande, so trat während und nach der Injeetion Flüssigkeit aus dem Lymphsacke aus und verbreitete sich an der Aussen- fläche der Haut: alsdann kamen, entweder von vornherein oder nach Voraufgang eines kurzen absteigenden Zuwachsstromes, aufsteigende Zuwachsströme zur Beobachtung, gerade wie es nach den früheren Ermittelungen (s. o. S. 551—3) die äussere Ansammlung der Flüssigkeit mit sich brachte. Mit den letz- teren Erfahrungen waren nun die Hermann’schen in Ueber- einstimmung, um so mehr, als auch Hermann „oft zuerst einen absteigenden, und dann erst den aufsteigenden Strom“ hatte auftreten sehen'); und die Uebereinstimmung erschien nur na- türlich, da Hermann, selbst auf die Folgen der aussen ange- sammelten L,ymphe nie aufmerksam geworden, besondere Vor- sichtsmassregeln zum Zwecke eines guten Gelingens der Injec- tion nicht ergriffen, sondern einfach „durch eine vorher mit der Scheere gemachte kleine Hautwunde“?) injieirt hatte. Was Hermann gesehen hatte, waren danach aber gar nicht die Folgen der Flüssigkeits- Einspritzung, sondern die Folgen der 1) A. a. 0.8. 53. 2) Diese Angabe findet sich a. a 0.S. 40, wo Hermann die Versuche mit Luftinjeetion zum ersten Male anführt, und es ist noch hinzugefügt: „mittels einer fein ausgezogenen Glasröhre.“ 8.42 Anm heisst es dann als Zusatz zu jenen Versuchen: „ich (habe) auch .. . Flüssigkeiten . . . injieirt“; und weder hier noch 8. 53, wo Her- mann die Luft- und Flüssigkeits-Injectionen sogar zusammen be- spricht, sind hinsichts der Methode der letzteren Injectionen. weitere Bemerkungen gemacht. Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u.s.w. 575 äusseren Flüssigkeits- Ansammlung; wie denn auch von Her- mann bei seinem Unvermögen, die schwachen Ströme zwischen den geätzten Ableitungsstellen am unenthäuteten Frosche wahr- zunehmen (s. o. $. 563—4), gewiss noch viel weniger die schwä- cheren Zuwachsströme, welche die Folge der Injectionen waren, hätten beobachtet werden können, Auch die Erfolge, welche Hermann mit der Injection von Luft in, den Unterschenkel-Lymphsack zuweilen erzielt hatte (s. 0. $S. 534—5), erwiesen sich, wie im Anschlusse bemerkt sein mag, nur durch den Ausfluss der I,ymphe bedingt. Trieb ich mittelst der Pravaz’schen Spritze, deren Kanüle das durch die Spitze gebohrte Loch in der Haut völlig verschloss, Luft in den Unterschenkel-Lymphsack, so hatte dies keinen Einfluss auf den im Kreise vorhandenen Strom, und dieser veränderte sich, auch wenn die Luft lange im Lymphsacke verblieb, immer nach der Injection nur ebenso mit der Schliessungsdauer, wie vor der Injection. Führte ich aber den Versuch in der Weise aus, dass ich mit der Scheere ein Loch in der Haut machte, welches die Kanüle nicht ausfüllen konnte, so waren die Er- gebnisse der Art, wie Hermann sie angeführt hatte. Meist blieb jede Veränderung des bestehenden Stromes aus; und zwar war dies stets der Fall, wenn keine Lymphe ausfloss, — bei lympharmen Fröschen. Sonst entstand ein aufsteigender Zu- wachsstrom entweder unmittelbar oder, wie es auch schon Her- mann gesehen hatte"), nach einem absteigenden Zuwachsstrome: und in diesen Fällen bei lymphreicheren Fröschen — strömte Lymphe aus der Hautöffnung und breitete sich zwischen Schen- kel und Glasplatte aus. Hermann’s erfolgreiche Versuche mit Luftinjection unterschieden sich also von unseren früheren Ver- suchen, bei welchen wir blos einen kleinen Einschnitt in die Haut gemacht hatten (s. o. S. 550), nur dadurch, dass durch die Luftinjection der Lymphausfluss beschleunigt war; und die zur Beobachtung kommenden Zuwachsströme hatten mit einer Einwirkung der Luft auf die Muskeln nicht das Mindeste zu schaffen. 1)5A-,,3,.,0.785,53; 976 H. Munk: $ 9. du Bois-Reymond’'s Erfahrungen über den Einfluss einer leitenden Umhüllung auf die elektromotorische Wirksamkeit des Gastroknemius. Mit jenen ersten Injectionsversuchen, welche, ausser dass sie den Muskelstrom am unenthäuteten Frosche nachwiesen, nebenbei noch die Wirkung der Lymph-Nebenschliessung sehr schön erläuterten, war die Untersuchung zu einem guten Ab- schlusse gelangt. Sie konnte allerdings noch eine grössere Tiefe gewinnen, wenn der Einfluss von Nebenschliessungen nach ver- schiedenen Richtungen hin durch Versuche an einzelnen Mus- keln und Muskelpartieen des Frosches genauer verfolgt wurde. Aber obwohl mir dazu eine sehr gute Grundlage geboten war durch Erfahrungen, welche schon Hr. Professor du Bois- Reymond gemacht und mir freundlichst mitgetheilt hatte, bin ich nicht weiter vorgedrungen, weil die erworbene Einsicht nach meinem Ermessen bei dem zeitigen Stande der Dinge ausrei- chend war und der weiter zu erwartende Erfolg in gar keinem Verhältnisse zu stehen schien zu den grossen Schwierigkeiten, welche die mannigfache Gestalt der Muskeln, die verwickelte Anordnung derselben, die wechselnde Stärke ihrer Parelektro- nomie u. s. w. dem Fortschreiten entgegensetzten. Ich be- schränke mich demgemäss darauf, die eben erwähnten Erfah- rungen du Bois-Reymond’s, welche Manches, was wir für die gegebenen sehr verwickelten Verhältnisse haben ermitteln müssen, unter einfacheren Bedingungen darthun, anzuführen und im Anschlusse einige früher gewonnene Versuchsergebnisse zu besprechen. Ar. Professor du Bois-Reymond hat mir in einem Schreiben aus Eisenach, vom 13. August 1368, Folgendes mit- getheilt: „Umhüllt man einen Gastroknemius mit Thon, der mit „einer 0,75°/,igen Steinsalzlösung angeknetet ist, so dass Haupt- „und Achillessehne aus der Thonmasse hervorragen, so findet „man die elektromotorische Kraft zwischen diesen Punkten stets „in dem Sinne verändert, dass der Muskel weniger stark auf- „oder stärker absteigend wirkt. Ist der Muskel schwach par- Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 577 „elektronomisch, so ist die Folge der Umhüllung eine Vermin- „derung der aufsteigenden Kraft, die leicht mehr als die Hälfte „beträgt. Ist er stark parelektronomisch, aber noch bis zu einem „gewissen Grade aufsteigend wirksam, so wird die Kraft nicht „nur vermindert, sondern sogar umgekehrt, der umhüllte Mus- „kel wirkt absteigend. Geht die Parelektronomie so weit, dass „der Muskel schon ohne Hülle absteigend wirkt, so wird er „durch das Umhüllen noch stärker absteigend wirksam. Da „der Thon auf die Kraft des Achillesspiegels keinen entwickeln- „den Einfluss übt, so kann man die verschiedene Wirkung des „nämlichen Muskels mit und ohne Hülle viele Male nacheinan- „der in nahe gleicher Weise beobachten. Die Umhüllung wirkt „nicht gleich stark auf allen Punkten der Länge des Muskels, „sondern im Allgemeinen um so stärker, je näher der Achilles- „sehne.* 1 „Die Erklärung dieser Erscheinungen ist folgende. Die „Umhüllung verbessert die Nebenschliessung, welche in Bezug „auf den Bussolkreis die Muskelmasse selber für die nach Art „einer Säule beziehlich auf- und absteigend wirksamen Sehnen- „spiegel, den Achilles- und den Kniespiegel, bildet. Diese Ver- „besserung der Nebenschliessung schwächt die aufsteigende „Kraft des Achillesspiegels mehr als die absteigende des Knie- „spiegels, weil für den Strom des Kniespiegels die Nebenschlies- „sung durch die Muskelmasse selber schon eine bessere ist, als „für den des Achillesspiegels, eine neuhinzukommende Neben- „schliessung aber einen gegebenen Stromzweig um so weniger „schwächt, je besser die schon vorhandene Nebenschliessung ist.“ Zweierlei verdient bei diesen Erfahrungen noch besonders hervorgehoben zu werden. Sie zeigen erstens, wie durch die Nebenschliessungen zum Galvanometerkreise, welche für einen Muskel in situ die ihn umgebenden Gebilde vorstellen, die Wir- kung des Muskels in jenem Kreise nicht nur der Grösse, son- dern sogar der Richtung nach beeinflusst werden kann. Wenn man weiss, dass ein stark parelektronomischer Gastroknemius, der ausgeschnitten zwischen Haupt- und Achillessehne schwach aufsteigend wirkt, in situ vielleicht eine absteigende Compo- Reichert’s u. du Bois-Reymond's Archiv. 1868. 38 578 H. Munk: nente zum Gesammtmuskelstrome beigetragen hat, wird man die elektromotorischen Erfolge an ganzen Gliedmassen gewiss nur mit der äussersten Vorsicht beurtheilen. Zweitens lehren die Erfahrungen unmittelbar, dass der im Inneren des Gastro- knemius vergrabene Kniespiegel, hinsichts dessen beim Frei- legen des Muskels von einer Entblössung nicht die Rede sein kann, doch schon elektromotorisch wirkt, so dass sogar sein Strom den des wirklich entblössten Achillesspiegels unter Um- ständen übertrifft. Daraus, dass die Umhüllung nicht gleich stark auf allen Punkten der Länge des Muskels wirkt, erklärt es sich wahr- seheinlich, dass, wenn nach der Vollführung des Längsschnittes durch die Unterschenkelhaut die Haut vom Gastroknemius auf einige Zeit abgehoben worden war, manchmal ein sehr schwa- cher ‚aufsteigender Zuwachsstrom beobachtet wurde (s. o. 8. 542). Ich habe mich nicht davon überzeugen können, dass bei dem Abheben Lymphe ausfloss, und ich möchte glauben, dass eine Verschiebung der Lymphe im Lymphsacke, durch welche die Umhüllung des Achillesspiegels verkleinert wurde, die Ursache des Zuwachsstromes gewesen ist. Vielleicht auch könnte in ähnlicher Weise seine Erklärung finden der sehr schwache aufsteigende Zuwachsstrom, welcher da, wo überhaupt durch die Reposition der Gastroknemius- oder Triceps-Haut eine Veränderung eintrat, etwa ebenso häufig wie der absteigende Zuwachsstrom sich zeigte (s. o. S. 538), indem in der Falte, welche die zurückgeklappte Hautpartie mit der übrigen Haut bildete, Lymphe verblieben war und bei der Re- position ihre Lage veränderte. Doch bieten sich hier noch an- dere Möglichkeiten dar, Die Reposition. konnte eine solche Verschiebung der ausgeflossenen und an der Aussenseite der Unter- oder Oberschenkelhaut angesammelten Lymphe mit, sich bringen, dass der dureh diese Lymphe bedingte absteigende Zuwachsstrom (s. 0. S. 551-2) verkleinert wurde; auch konnte und dies möchte ich für die lälle in Anspruch nehmen, iu welchen ich den aufsteigenden Zuwachsstrom längere Zeit wach- sen sah — in Folge der Schnitte durch die Haut und in Folge des Zurückklappens etwas Hautsecret au die Innenflüche der Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 579 Haut gelangt sein und nach der Reposition der Haut die Par- elektronomie der Muskeln allmählich zerstören. $ 10. Schlussbemerkungen. Die Untersuchung hat somit, wie im Eingange vorbemerkt wurde, in dem Gebiete, welches sie umfasste, nicht nur die von Hermann begangenen Irrthümer aufgedeckt, sondern auch die früher gewonnene Einsicht befestigt und erweitert. Hermann’s Versuche haben sich theils in den Ergebnissen, theils in der Deutung falsch erwiesen, und keine seiner Behauptungen hat der Experimentalkritik Stand gehalten. Der Zuwachsstrom, welchen die mehr oder weniger vollständige Enthäutung des Frosches mit sich bringt, hat sich bedingt ergeben durch das Ausfliessen der zwischen der Haut und den Muskeln befind- lichen Lymphe und zwar — genauer — wesentlich durch den Fortfall der Nebenschliessung zum Galvanometer, welche die Lymphe am unversehrten Frosche in Bezug auf die Ströme der Muskeln abgiebt. Eben dieser Nebenschliessung wegen wäre es gar nicht zu verwundern gewesen, wenn am unenthäuteten Frosche keine Spur vom Muskelstrome sich durch das Galva- nometer kundgethan hätte; aber diese Möglichkeit traf in der Wirklichkeit nicht zu, und der Muskelstrom hat sich selbst am unenthäuteten Frosche, trotz der auch zwischen geätzten Haut- stellen bestehenden Hautströme, in mehrfacher Art nachweisen lassen. Nicht minder, als die Existenz der elektrischen Gegen- sätze im Muskel, gehört danach ihre Präexistenz zu den durch den Versuch gesichertsten Thatsachen der Physiologie; und Hermann’s unbegründeter Angriff hat nur eine Verstärkung der Beweise für dieselbe und ein vollkommeneres Verständniss der bei den Beweisen in Betracht kommenden Momente veran- lasst, — Fortschritte, welche bei der wiederholten sorgfältigen Untersuchung so verwickelter Dinge nur natürlich sind, weil in der Zwischenzeit die Hülfsmittel der Untersuchung sich ver- bessert und die neu erworbenen oder auch blos mit tieferem Verständnisse aufgefassten Erfahrungen den Gesichtskreis er- weitert haben. „Was den Nervenstrom betrifft, so ist es freilich unmög- 38 * 580 H. Munk: lich, den unmittelbaren Beweis seines Daseins am lebenden unversehrten Thiere zu führen, wie dies... für den Muskel- strom geschehen ist. Nicht einmal an einem unversehrten Ner- ven kann ja dieser Beweis geführt werden, wegen des Mangels eines dazu geeigneten natürlichen Querschnittes der Nerven. Doch würde es keinen Sinn haben, an dem Dasein des einen dieser beiden Ströme im unversehrten lebenden Körper zweifeln zu wollen, nachdem das des anderen erwiesen ist.“') So hat sich über die Präexistenz des Nervenstromes du Bois-Rey- mond 1860 ausgesprochen; und nur dasselbe würde heute zu sagen sein, wenn nicht Hermann, wiederum auf Grund der Wiederholung eines du Bois’schen Versuches, welchem aber bereits du Bois-Reymond selbst mit jener Aeusserung jede ein- schlägige Bedeutung abgesprochen hat, den Satz aufgestellt hätte, dass der Nervenstrom „nicht allein im unversehrten Organismus, sondern auch im ausgeschnittenen, aber noch mit seinen natür- lichen Endigungen versehenen Nerven, nicht vorhanden“ ist?). Darum habe ich noch hinzuzufügen, dass der Hermann’sche Satz falsch ist und auf einer rein willkürlichen Deutung der Versuche beruht. Bei Gelegenheit der Untersuchung, ob auch die Central- gebilde des Nervensystemes mit einem Strome versehen seien, hat du Bois-Reymond den Querschnitt und weniger stark den dem Querschnitte benachbarten Längsschnitt des Opticus negativ gegen die Cornea des von den Augenmuskelresten be- freiten Bulbus gefunden®). Ausserdem hat nun Hermann „bei Präparaten von grossen Fischen Optieuspunkte, die möglichst weit vom Querschnitt entfernt (waren), sich gegen den Bulbus völlig stromlos verhalten“ sehen; wurde aber „das Auge eröffnet und entleert, am besten unter "/,-procentiger Kochsalzlösung, so (fand) sich das Innere des Bulbus stark negativ gegen mitt- lere Punkte des Optieuslängsschnitts.*') Damit will Hermann 1) E. du Bois-Reymond, Untersuchungen u s. w. Bd Il. Abth. 11, S. 179. 2) L. Hermann, Untersuchungen u. s. w. Drittes Heft. S. 25—7, 3) A. a. O, Bd. II. Abth, I. S. 256—7. 4) A. a 0.8. 26; 58 Anm. 2, Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 581 constatirt haben, „dass eine unzweifelhafte natürliche Nerven- endigung, ... die einzige wirklich geprüfte, sich stromlos gegen den Längsschnitt verhält“; und die Negativität des entleerten Bulbus gegen den Optieusstamm soll „jedenfalls vom Absterben der Retina, sei es durch Entblössung, sei es durch die nicht ganz zu vermeidende mechanische Läsion“, herrühren '). Dies ist Alles, was Hermann beibringt; und man sieht sogleich, dass, was er über die Ursache der Negativität des Bulbus sagt, eine durch Nichts begründete Behauptung ist, der sich mit gleichem Rechte oder Unrechte eine beliebige andere Behaup- tung entgegensetzen liesse. Sind Hermann’s Beobachtungen richtig, so ist die Negativität des „Inneren des Bulbus“* vor der Entleerung des Bulbus allerdings nicht zu constatiren; aber dass sie erst durch die Entleerung entsteht, bleibt durchaus noch zu beweisen. Hermann ist daher auf Grund seiner Versuche höchstens zu dem Schlusse berechtigt gewesen, dass der Nerven- strom am ausgeschnittenen und mit seinen natürlichen Endi- gungen versehenen Nerven nicht nachweisbar sei, nicht aber zu dem anderen, dass er dort gar nicht vorhanden sei. Ich habe Hermann für höchstens zu jenem Schlusse be- rechtigt erklärt, weil man nach (den voraufgegangenen Ermitte- lungen sogar daran denken kann, auf Grund seiner Versuche die Existenz des Nervenstromes für den Nerven zu beweisen, für welchen er sie auf Grund derselben Versuche in Abrede stellte. Der Opticus mit dem Bulbus ist für Hermann ein Nerv mit einem natürlichen und einem künstlichen Querschnitte; aber, was Hermann nicht beachtet hat, der natürliche Quer- schnitt und seine Nachbarstrecke sind von einem umfangreichen unwirksamen Leiter umhüllt, während der künstliche Quer- schnitt und dessen Nachbarstrecke unmittelbar zugänglich sind. An solchem Nerven muss, wie die Anschauung ergiebt und auch du Bois-Reymond’s Umhüllungsversuche am Gastroknemius (s. 0. 5. 576—7) darthun, die Kraft des natürlichen Querschnittes beträchtlich geschwächt erscheinen und desto stärker hervor- treten, je mehr der umhüllende Leiter verkleinert wird. Gerade 1) A. a. 0. S. 26; 58 Anm. 2. 582 H. Munk: dies aber, kann man dann sagen, haben die Versuche am Opti- eus mit Bulbus ergeben: bei unversehrtem Bulbus überwiege immer der freie künstliche Querschnitt des Nerven, und der natürliche Querschnitt komme erst dann zur Geltung, wenn durch Eröffnung und Entleerung des Bulbus die Nebenschlies- sung am natürlichen Querschnitte verschlechtert sei. Auf die Stromlosigkeit, welche Hermann unter Umständen bei den Versuchen beobachtete, ist natürlich Nichts zu geben, nachdem sich gezeigt hat, dass die Ströme, welche am unenthäuteten Frosche zwischen geätzten Ableitungsstellen bestehen, Her- mann ganz entgangen sind (s. o. S. 563 ff.). Doch will ich mit diesen Bemerkungen mehr die Willkür, mit welcher Hermann vorgegangen ist, augenfällig gemacht haben, als dass ich anderweitig besonderes Gewicht auf sie legte. Denn nach unserer Kenntniss vom Baue der Retina ist du Bois- Reymond gewiss im Rechte gewesen, als er die Retina nicht für einen geeigneten natürlichen Nervenquerschnitt ansah, d.h, für eine Endigung der Nervenfasern, analog — darauf kam es an — der Endigung der Muskelfasern an der Sehne, dem natürlichen Querschnitte des Muskels.. Wenn Hermann (a. a, OÖ.) sagt, dass es „natürlich für unsre Frage gleichgültig (ist), ob die Opticusfasern direct frei endigen, oder wie es wirklich der Fall ist erst in Ganglien und andere Zwischengebilde über- gehen um doch endlich ihr physiologisches Ende in den Stäb- chen zu finden“, so ist dies eine subjective Anschauung; und Hermann wird Nichts dawider haben können, dass Andere in dem so eigenthümlich gebauten und hinsichts seines elektromo- torischen Verhaltens ganz unbekannten neryösen Endorgane der Optieusfasern eine unabsehbare Verwickelung für die Lösung der Frage an dieser Stelle erkennen. Ausserdem sind aber auch die strahlige Ausbreitung der Opticusfasern in der Retina und die Anordnung der Endgebilde in einer gekrümmten Fläche, endlich das Vorhandensein von Muskeln im Bulbus (deren elek- tromotorische Wirksamkeit du Bois-Reymond thatsächlich erwiesen hat) an und für sich ausreichende Umstände, um zu- verlässige Ergebnisse hinsichts des Verhaltens des natürlichen Nervenquerschnittes aus den Versuchen am Opticus mit Bulbus Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze u. s. w. 583 schwerlich gewinnen zu lassen. Ich habe deshalb selber solche Versuche nicht angestellt und muss es unentschieden lassen, welcher Werth meiner obigen Deutung der vorliegenden Ver- suchsergebnisse zukommt. Es bleibt also hinsichts der Präexistenz des Nervenstromes durchaus beim Alten: sie ist allerdings nicht zu beweisen, aber sie ist auch, nachdem die Präexistenz des Muskelstromes er- wiesen ist, sinniger Weise nicht zu bezweifeln, da nicht das Mindeste wider sie spricht. Berlin, im September 1868. 584 A. Schneider: Ueber den Bau der Acanthocephalen. Von ANTON SCHNEIDER. Eine eingehendere Untersuchung hat, wie ich glaube, viele neue Aufschlüsse über den Bau der Acanthocephalen gewährt. Ich hoffe bald eine ausführliche, von zahlreichen Abbildungen ‚begleitete Darstellung geben zu können, will aber schon jetzt einige wesentliche Resultate veröffentlichen. Das Gefässsystem der Haut zerfällt in zwei vollständig von einander getrennte Abschnitte. Unmittelbar hinter dem Ansatz der Lemnisken schlägt sich nämlich die Cuticula nach innen und bildet so eine Scheidewand zwischen dem Kopf- und Körpertheil der Haut. Der Körpertheil der Haut wird von zahlreichen radialen Fasern durchsetzt, welche wahrscheinlich Muskelfibrillen sind, deren Contraction die Strömungen in diesem Abschnitt des Ge- fässsystems unterhält. > Der Kopftheil der Haut entbehrt dieser radialen Fasern, “ Die sehr lebhaften Ströme in diesem Abschnitte werden durch die Contractionen der äussern Muskelschicht der Lemnisken hervorgebracht. Die Gefässe der Lemnisken münden bei ihrem Austritt in die Haut in einen unmittelbar vor der erwähnten Scheidewand gelegenen Cirkelcanal, von welchem dann die netz- förmig verbundenen Canäle des Kopftheils ausgehen. An den durchsichtigen Species erkennt man, dass die Ströme des Kopfes Ueber den Bau der Acanthocephalen. 585 und der Lemnisken unabhängig von denen des Körpers sind und dass die im Kopftheil circulirende Flüssigkeit sich durch Farbe und Gestalt der darin suspendirten Körnchen von der des Körpers unterscheidet. Die Muskelzellen haben die Gestalt von Platten, in welchen die eontractile Substanz als ein Netzwerk von Cylindern ver- theilt ist. Die fibrilläre Substanz bildet die Rindenschicht der Cylinder, während der Hohlraum von einer Flüssigkeit erfüllt wird. Die fibrilläre Substanz ist in_polyedrischen Prismen an- geordnet. Sehr zahlreiche Querbalken durchsetzen die Cylin- der. Die Maschen des Netzes werden von einer fast homoge- nen Substanz erfüllt, welche man, da sie auch die Nerven umgiebt, als Neuro-Sarcolemma bezeichnen kann. Die Muskelschicht des Leibes besteht aus einer innern Längs- und äussern Querfaserschicht, welche sich in einzelne theils mehr-, theils einkernige Zellen zerlegen lässt. Ich werde zeigen, wie bei Echinorhynchus Gigas die Lei- besmuskulatur aus den einzelnen Zellen aufgebaut ist. Die Längsschicht lässt sich in 5 auf einander folgende, den Leib vollständig umschliessende Zonen zerlegen. Die vorderste Zone (I) beginnt an der dritten Reihe der Rüsselstachel und reicht bis zum Ansatzpunkt der Lemnisken. Sie besteht aus einer einzigen ringförmigen Zelle. Diese Zelle zerfällt in zwei gleiche hinter einander liegende Theile; der vordere enthält ausnahmsweise Querfasern, der hintere Längs- fasern. Diese Zelle besitzt vier symmetrisch gestellte Kerne, zwei auf der Rücken-, zwei auf der Bauchseite. Am Hinterrand lateral, ist die Zelle bogenförmig ausgeschnitten. Die Mus- kulatur, enthält dadurch ein Loch für den Durchtritt der Lemniscuswurzel und eines später zu erwähnenden Nerven- stranges. Die folgende Zone II besteht aus zwei Zellen, die in der dorsalen und ventralen Linie aneinander stossen. Jede enthält einen Kern, der dem Hinterrande nahe und dicht an der Linie, die ich als dorsale dauernd bezeichnen werde, liegt. Die Zone III ist etwa doppelt so lang als die Zone II und besteht aus 4 Zellen: 2 grössere, welche je den halben Leibes- 586 A. Schneider: umfang einnehmen und durch die Medianlinien begrenzt wer- den. Sie enthalten je einen Kern, der lateral ungefähr in der Mitte ihrer Länge liegt. Die vordere Begrenzungslinie dieser Zellen ist gerade in der Richtung eines Parallelkreises. Die hintere Begrenzungslinie ist lateral und dorsal, ungefähr in einem Drittel der Breite, bogenförmig ausgeschnitten. Die beiden so entstehenden Räume werden von der 3. und 4. Zelle dieser Zone erfüllt. Diese beiden Zellen enthalten je einen Kern, der lateral dem hintern Rande genähert liegt. Die Zone III ist ausserdem am Hinterrande lateral länglich bogenförmig ausge- schnitten. In diesem Ausschnitt kommt die Quermuskelschicht theilweise frei zu liegen, auch setzen sich daran, wie wir se- hen werden, die grossen seitlichen Nervenstränge an. Die Zone IV ist bedeutend länger als die vorher genann- ten, etwa 4mm, Sie besteht aus 8 Zellen; 2 lateralen, sehr schmalen; 2 ventralen, die einerseits an die ventrale Median- linien, andererseits an die der Lateralzellen stossen; 4 dorsalen, die durch die dorsale Medianlinie und 2 dorsale Submedian- linien begrenzt werden. Jede dieser 8 Zellen hat einen Kern, von denen die der lateralen Zellen nahe dem Vorderrande, die der übrigen etwas weiter zurück nahezu in gleicher Linie liegen. Die Zone V besteht aus 3 Zellen, die vollständig angeord- net sind, wie in Zone IV. Das Vorderende dieser Zone wird ungefähr durch die Ansatzpunkte der grossen Retractoren be- zeichnet, das Hinterende liegt am Schwanzende. Die Zellen erreichen also bei grossen Exemplaren eine Länge von über einen Fuss, dürften also wohl die längsten sein, die bis jetzt im Thierreich gefunden sind. Jede dieser Zellen enthält nur einen Kern. Sie stehen unregelmässig und sind deshalb schwer zu finden. Bei männlichen Exemplaren laufen die Zellen am Schwanz- ende in 8 verschieden geformte Spitzen aus, so dass dort die Zellgrenzen sehr deutlich hervortreten. Gehen wir nun zur Quermuskelschicht. Auch diese lässt sich in einzelne Zonen zerlegen, es sind aber nur deren vier Ueber den Bau der Acanthocephalen. 587 vorhanden, welche je aus einer ringförmig geschlossenen Zelle bestehen. Die Zone I liegt mit ihrem Vorderrand an der Stelle, wo der quer gefaserte Theil der Zone I der Längsmuskelschicht aufhört. Sie ist lateral, mit einem breiten elliptischen Spalt versehen für den Durchtritt eines Nervenstranges, der zu einer unmittelbar darüber in der äussern Haut lagernden Papille führt. Sie enthält zwei Kerne, die dorsaı dicht neben den bei- den genannten Spalten liegen. Die Zone II besitzt zwei Kerne, die unmittelbar nebenein- ander an der ventralen Medianlinie liegen. An ihrem Vorder- rande ist diese Zone ausgeschnitten für den Durchtritt der Wurzel des Lemniscus. Die Zone II besitzt zwei dicht bei einander dorsal lie- gende Kerne. Ausserdem zeichnet sich diese Zone dadurch aus, dass daran dorsal und ventral, je ein paar Muskelstränge entspringen, die schief nach innen über die Längsmuskeln ver- laufen, von denen die ventralen sich in der Gegend ansetzen, wo die lateralen Hauptnervenstränge auf die Leibesmuskulatur übergehen, während die dorsalen in einer nachher zu beschrei- benden Weise als Quermuskeln an den Musculus compressor Lemnisei treten. Die Zonen II und III der Quermuskeln liegen genau über der Zone II der Längsmuskeln. Die Zone IV umfasst nun die übrige Quermuskulatur; sie bildet ein Netz, welches also den bei weitem grössten Theil des Leibes ununterbrochen überzieht. Diese Zone enthält sehr viele Kerne. Zuerst zwei laterale Kerne, welche fast dicht über den vorderen Kernen der Zone Ill der Längsmuskulatur liegen. Sollte ich nun die Lage der Kerne an der Quermuskulatur von Echynorhynehus Gigas weiter und allein beschreiben, so muss ich fast befürchten, dass man dieser Beschreibung nicht Glauben schenken würde, so merkwürdig verhält sich dieselbe. Ich muss von andern ausgehen, bei denen die Verhältnisse ein- facher sind. Bei Echinorhynchus angustatus z. B. besitzt die Quermus- 588 A. Schneider: kulatur viele Kerne, welche auf den Cylindern unregelmässig zerstreut sind. Die Längsmuskeln bilden eine ununterbrochene Schicht, welche die Quermuskeln dicht bedeckt. Nehmen wir als ein zweites Beispiel E. strumosus. Dort bildet die Längsmuskulatur ein sehr weitmaschiges Netz, des- sen Zellen übrigens sehr ähnlich wie bei E. Gigas geordnet sind. Die Kerne der Quermuskelschicht stehen aber in zwei breiten lateralen Bändern und zwar dicht bei einander. Die laterale Fläche wird von der sehr zarten lateralen Längs- muskelzelle nur zum geringsten Theil bedeckt. Die Kerne, welche in beutelartigen Auftreibungen der Muskelcylinder lie- gen, quellen an dem unbedeckten Theil und zwischen den zahl- reichen Fortsätzen der lateralen Längsmuskeln überall hervor und geben so den Anschein, als ob die Seitenflächen von einem Epithel bedeckt sind. Kehren wir nun zu E. Gigas zurück. Dort stossen die lateralen Längsmuskeln mit den anliegenden dorsalen und ven- tralen Längsmuskeln dicht an einander. Allein indem sie sich pur mit gewissen, sehr regelmässig aufeinander folgenden klei- nen Höckern berühren, bilden sich längs des lateralen Längs- muskels eine Reihe — auf jeder Seite des Körpers also zwei Reihen länglicher Spalten. Durch diese Spalten treten beutel- förmige Auftreibungen der Quermuskeln, welche die Kerne ent- halten, hindurch und liegen also frei auf der Fläche der Leibes- höhle. Allein nicht genug. Diese Beutel wuchern, es bildet sich also jederseits eine Kernschnur aus vielen — etwa 4-5 — neben einander liegenden Kernen, und, um noch deutlicher zu sein, diese Kernschnur deckt vollkommen den lateralen Muskel !). Sämmtliche Beutel, welche die Kernschnur bilden, sind hohl, sie communieiren unter einander und mit dem Hohlraum der Quermuskeln und enthalten dieselbe Flüssigkeit, welche den Hohlraum der Muskeleylinder erfüllt. 1) Die Lage der Kernschnur findet sich in dem Querschnitt eines E. Gigas ungegeben bei Cloquet, Anatomie des vers intestinaux, Taf. VI. Fig. 13. Ueber den Bau der Acanthocephalen. 589 Diese Kernschnur erstreckt sich vom Schwanzende bis vorn an das Ende der dritten Zone. Allein dort hört sie nicht auf, sie sendet jederseits dorsal einen queren, in einen sanften Bo- gen nach vorn aufsteigenden Ausläufer, der nahe an der Me- dianlinie endet. Dieser quere Ausläufer verhält sich genau wie der Hauptstamm, da beim Zusammenstossen der dritten und vier- ten Zone der Längsmuskeln hinreichende Zwischenräume_ blei- ben, um die Beutel aus der Quermuskelschicht hervortreten zu lassen. Es ist aber noch in anderer Weise als durch dieses caver- nöse System für eine ausgiebige Communication der Quermus- kelflüssigkeit gesorgt. In den dorsalen und ventralen Medianlinien läuft zwischen der Quer- und Längsmuskelschicht ein weites Gefäss, welches vorn etwas hinter der Kernschnur beginnt. Dieses Gefäss com- munieirt mit den Quermuskeln durch zahlreiche kurze, aber weite Canäle'). Auch für die Längsmuskeln ist eine solche eigenthümliche Canalisation vorhanden; auf den Muskeln der Zone V laufen nämlich nahe zu beiden Seiten der Kernschnüre je ein, im Ganzen also vier sehr weite und dünnwandige Canäle, die aber, wie sich deutlich verfolgen lässt, aus keinem neuen Gewebe bestehen, sondern nur erweiterte Muskeleylinder mit sehr dün- nen Wänden sind. Obgleich also wegen der netzförmigen Verbindungen die Muskelflüssigkeit durch die grossen Muskelzellen hinreichend eireuliren kann, ist doch in den Längscanälen noch eine zweite Strombahn geschaffen, Es lässt sich nicht leugnen, dass diese beiden Bahnen eine gewisse Aehnlichkeit mit einem ar- teriellen und venösen System darbieten, indem die Wände der einen stark contraetil, die andern gar nicht — wie allem An- schein nach das System der Kernschnur — oder sehr wenig contractil, wie die andern Längsgefässe sind. Vielleicht bieten diese nicht eontraetilen Theile der Muskeln eine Aehnlichkeit 1) Diesen Canal siehe ebenfalls bei Cloquet 1. c. 590 A. Schneider: mit den beutelförmigen Anhängen der Muskelzellen der Nema- toden dar. Ausser diesen Muskeln der Leibeswand sind noch zahl- reiche Muskeln vorhanden, welche sich nur mit ihren Enden an der Leibeswand inseriren. Dahin gehört der Compressor Leminisci, weleher allen Acanthocephalen zukommt. Derselbe hat die Gestalt des Man- tels eines abgestumpften Kegels. Mit seinem Vorderende inse- rirt er sich dieht hinter den Wurzeln der Lemniscen, mit sei- nem Hinterende weiter hinten, speciell bei E. Gigas auf der (lorsalen Fläche so, dass die spitzen Ausläufer seiner Muskel- eylinder sich noch zwischen den queren Ausläufer der Kern- schnur und die Längsmuskulatur einschieben, auf der ventralen Seite ungefähr in einer entsprechenden Linie. Dieser Kegel- mantel ist entweder z. B. bei E. angustatus vollständig ge- schlossen oder er zerfällt z. B. bei E. Gigas in einen rechten und linken Theil, deren jeder eine Zelle mit einem Kerne dar- stellt. An seinem Hinterrande ist der Muskel lateral, tief bo- genförmig ausgeschnitten. Es ist an der oft erwähnten Stelle, wo sich die sogenannten Retinacula, die seitlichen Nervenstränge ansetzen. Vor diesem Ausschnitt beginnt bei E. Gigas ein que- rer Muskelcylinder, welcher der innern Fläche des Compressor aufliegend, sich nach der dorsalen Medianlinie begiebt, dort sich nach vorn wendet und auf die Längsmuskulatur tretend, durch eine Oeffnung mit der Quermuskulatur verbindet. Wir haben diese Stelle bereits oben bei Zone III der Quermuskel- schicht angegeben. Dieser Kegelmantel giebt nun die muskulöse Hülle der Lemniscen ab. Und zwar geschieht dies nach zwei Modifiea- tionen. Entweder liegt der Lemniscus in der Fläche des Man- tels, indem der letztere nämlich in der lateralen Linie zu 2 Blät- tern auseinander tritt, zwischen welehe dann von vorn her der lemniscus hineingewachsen ist. So bei E. häruca, angustatus u, a. Oder der Lemniscus stülpt sich von aussen her in den Uompressor und nimmt, indem er frei über die Fläche dessel- ben nach innen tritt, einen muskulösen Ueberzug mit in der Weise, wie man sich wohl die serösen Hüllen gewisser Organe Ueber den Bau der Acanthocephalen, 59] gebildet denkt. Dies ist z. B. bei E. sphärocephalus, Gigas, tuberosus und andern der Fall. Zu den nur an ihren Enden in die Leibeswand sich inse- rirenden Muskeln gehört ferner der Retraetor proboseidis. Er entspringt in der Rüsselspitze, durchbohrt, indem er sehr dünn wird, den Rüsselsack und inserirt sich an der Leibeswand. Bei E. Gigas durchbohrt der dorsale Retractor an einer Stelle den innern Rüsselsack und spaltet sich dann in zwei Bündel, welche sich getrennt inseriren, während der ventrale Retractor an zwei Stellen den innern Rüsselsack durchbohrt, allein in- dem sich die beiden Bündel vereinigen, als ein einfacher Mus- kel sich inserirt. Der Rüsselsack bietet in seinem Bau mannichfache Modi- fieationen dar. Wir wollen ihn nur von E. Gigas beschreiben, wo sein Bau, so weit mir bekannt, am höchsten ausgebildet ist. Der Rüsselsack besteht immer aus zwei Schichten, welche ge- wöhnlich nahezu gleich gebaut sind. Bei E. Gigas sind sie aber ganz verschieden. Die äussere Schicht besteht aus einem Gewebe, welches, abgesehen von seiner sackförmigen Gestalt, ganz wie die Muskelplatten beschaffen ist. Ausser den vielen kleineren Maschen besitzt er aber vier grössere längliche ovale Oeffnungen: zwei gleiche, seitliche, von der grössten Länge, eine dorsale kleinere und eine ventrale von etwa der Grösse der seitlichen. Der innere Rüsselsack besteht aus Muskelgewebe von. ver- schiedener Textur. Denken wir uns zuerst einen vollständig geschlossenen länglichen Sack, dessen ventrale Seite aber vorn auf etwa ?/; der Länge ausgeschnitten ist. Das übrig bleibende Stück ist von quer laufenden Fibrillen dicht erfüllt. Zwar be- sitzt es ebenfalls die gewöhnlichen Maschen, allein sie sind so ausmehmend fein, dass sie nur als dünne, mit dem gewöhnlichen Sarcolemma ausgefüllte Canäle erscheinen. Das ausgeschnittene Stück ist mit einer Muskelplatte von der gewöhnlichen Textur be- deckt, welche die Umrisse eines Köchers besitzt, d. h. vorn breit, nach hinten spitz werdend, aber mit einer zierlich abgerundeten Verbreiterung endigend. Diese Platte ist von einem Loche durch- bohrt, durch welche ein Nervenstrang hindurchtritt, während der 592 A. Schneider: andere sackförmige Theil die Durchbohrungen für den dorsalen Retractor und die beiden seitlichen Nervenstämme enthält. Die beiden Wurzeln des ventralen Retractors durchbohren die Mus- keln des Rüsselsacks nicht, sondern sie treten in der Naht zwi- schen der Muskelplatte und dem andern Theile des Sackes hindurch. Es versteht sich aber, dass dieser innere Rüsselsack durch die ihn dick überziehende und die Durchbohrungen und Nähte ausfüllende Sarcolemmaschicht vollständig geschlos- sen ist. Der innere Rüsselsack wird nach vorn durch einen festen hornartigen Ring vervollständigt, welcher sich an die Leibes- wand ansetzt. Allein die Insertion des Ringes erfolgt erst hin- ter der dritten Hakenreihe, die Insertion des zweiten Rüssel- sacks liegt hinter der sechsten — letzten — Hakenreihe. Der äussere Rüsselsack ist nicht geschlossen, sondern communieirt dureh die grossen Oeffnungen mit der Leibeshöhle. Es kann deshalb die Aus- und Einstülpung des Rüssels durch Contrac- tion und Relaxation ‘des Rüsselsacks nur für die vordern drei Hakenreihen stattfinden. Bei andern Species ist dies Verhält- niss allerdings ein anderes. Ueber die Geschlechtsorgane will ich mich nur auf wenige Mittheilungen beschränken, die besonders den Zweck haben, das Verständniss des Nervensystems zu erleichtern. Der Ausführungsgang des männlichen Organs besteht aus einem von Ringmuskeln gebildeten Rohre der männlichen Scheide, welches zwei vollkommen getrennte kleinere Canäle einschliesst. Jeder dieser Canäle ist von zwei Muskelplatten gebildet, welche ungefähr wie die beiden Schaalen einer Schote gestaltet und an einander gefügt sind. Diese beiden Schoten sind in der dorsoventralen Ebene des Rohres eingefügt. Natür- lieh füllen sie das Rohr nicht aus, sondern lassen freie Räume übrig. Nach hinten münden sie in eine muskulöse Spitze, die man “ls Penis betrachten kann. In den einen dieser kleineren Canäle oder Schoten münden die Hoden, in den andern wahr- scheinlich die Kittdrüsen. Die Kittdrüsen oder Zellen — bei E. Gigas in der Zahl von 8 — liegen eng mit den Ausfüh- rungsgängen der Hoden verwachsen als nierenförmige Körper Ueber den Bau der Acanthocephalen. 593 nah vor der männlichen Scheide, sie senden aber dünne Aus- läufer, welche jederseits zu vier in die freien Räume eintreten, die, wie wir sahen, in dem Lumen der männlichen Scheide übrig bleiben. Eine Erfüllung des Kittdrüsenganges mit Kitt habe ich nie gesehen, wohl aber, dass von den Ausläufern der Kittzellen Fortsätze in die Maschen der Muskelhaut des Kitt- ganges eintreten, welche wahrscheinlich bestimmt sind, den In- halt der Kittzellen zu entleeren. Das Hinterende der männlichen Scheide, der kleine kegel- förmige Penis, liegt im Ruhezustand ziemlich weit vom Schwanz- ende entfernt. Es mündet zunächst in einen weiten unregel- mässig gefalteten Canal, der von einer Einstülpung der Haut- schicht gebildet wird. Dieser Canal kann nach, aussen umge- stülpt werden und stellt dann die sogenannte Bursa vor. Es geschieht dies durch zwei starke Retractoren, welche seitlich und von der Schwanzspitze zur Scheide ausgespannt sind. Allein die Bursa wird nicht bloss von einer Hautduplicatur gebildet, sondern sie enthält auch in ihrem Innern einen mäch- tigen Muskel. Derselbe hat die Gestalt eines am Scheitel durch- bohrten Helmes, welcher auf dem Vorderende des Bursacanals aufsitzt. Er ist nur im Umkreis seiner vordern Oeffnung an- gewachsen, sonst vollkommen frei. Wird nun die Bursa ausgestülpt, so muss der helmförmige Muskel nach hinten treten und gelangt so zur Ausfüllung der Höhlung der Bursawand. Gehen wir nun zum Bau des Nervensystems über. Ich werde nur E. Gigas in Betracht ziehen, da diese Species allein zu einer eingehenden Untersuchung sich eignet. Das grosse Hirnganglion liegt bekanntlich in dem innern Rüsselsack zwischen den grossen Retractoren. Wir wollen indess für jetzt uns nicht mit demselben beschäftigen, sondern nur mit den peripherischen Theilen. Von der vordern Spitze des Ganglion geht zunächst ein zwischen den Retractoren verlaufender Ner- venstrang nach vorn zur Rüsselspitze. Er enthält Fasern, welche direct in der Rüsselspitze enden — wahrscheinlich sensible — und zwei Fasern, die sich unter der äussern Schicht der Rüsselspitze in je zwei und dann in viele feinere Aeste spalten, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1368. 39 ER 594 A. Schneider: die wahrscheinlich motorisch und für die grossen Retraetoren bestimmt sind. Wir haben oben die Platte beschrieben, welche einen Theil des innern Rüsselsacks bildet. Durch die mittlere Oeffnung desselben treten zwei Nervenfasern hervor, welche sich schief nach oben und aussen wenden; sie verbinden sich mit einem Nervenbündel, welches jederseits am Rande der Platte heraus- tritt. Dieses grosse Nervenbündel läuft nach vorn, giebt Aeste an den äussern Rüsselsack, tritt dann theils in die lateral dicht hinter der letzten Stachelreihe gelegenen Papillen, theils versorgt es die Muskeln der ersten und vielleicht auch der zweiten Zone. Endlich geht von dem Hirnganglion seitlich und hinten jederseits das stärkste Bündel ab. Nachdem es den innern Rüsselsack durchbohrt hat, wird es von einem Muskelrohre um- hüllt, welches im wesentlichen wie die übrigen Muskelplatten gebaut ist. Der so gebildete Strang, den man gewöhnlich als Retinaculum bezeichnet, läuft nach hinten, setzt sich aber bald seitlich an die Leibeswand, und zwar an den Vorderraud der vierten Längsmuskelzone. Nach seinem Ansatz endet das ‘ Muskelrohr, die Nerven beginnen aber sich zu vertheilen. Ein Theil wendet sich nach vorn, die Muskeln der dritten und zweiten Zone zu versorgen. Ein anderer Theil wendet sich dorsal auf den Compressor Leminisci, geht dicht an den Hinter- rand, versorgt dabei den Compressor selbst, aber auch die dor- salen Muskel der Zone IIl. Ein dritter Theil der Fasern, und dies ist der Hauptstamm, läuft weiter rückwärts, er tritt unter die seitliche Kernschnur, aber nach innen von der Längsmuskel- schicht und lässt sich direet bis an das Schwanzende verfolgen. In diesem ganzen langen Laufe giebt er nur einmal einen que- ren rechtwinklig abgehenden Ast in der Nähe des hintern Insertionspunktes der grossen Retractoren ab. Die Nerven- fasern theilen sich aber wiederholt unter spitzen Winkeln und andererseits endigen auch wieder Fasern, so dass die Zahl der- selben immer ungefähr dieselbe und zwar 5 beträgt. Am Hinterende angelangt, unterscheidet sich das Verhalten Ueber den Bau der Acanthocephalen. 595 dieser seitlichen Nervenstämme | bei beiden Geschlechtern sehr wesentlich. Am einfachsten ist es beim Weibchen. Der Nervenstamm theilt sich. kurz vor der Schwanzspitze unter einem spitzen Winkel. Einige Fasern wenden sich dorsal und enden nach mehrfachen Verästelungen als zarte Spitzen an den Muskeln. Andere Fasern, und. zwar jederseits zwei, wenden sich ‚ventral- wärts und bilden Anschwellungen, die sich aber bei, beiden Fasern etwas verschieden verhalten. | Die eine Anschwellung liegt dicht an der Medianlinie, und es berühren sich die’ von rechts und links kommenden, als ob sie eine Anastomose: bilden wollten, ohne dass jedoch eine Ver- schmelzung eintritt. Diese Anschwellung ist, die grössere, sie scheint aber ‚wegen ihrer mit Runzeln ‚und Löchern bedeckten Fläche fast verkümmert zu. sein. ‘Die andere Anschwellung liegt lateralwärts von der andern, sie ist länglich, von körnigem Inhalt und giebt einige kurze Aeste ab. ‚Beide Anschwellungen enthalten übrigens keinen Kern. Viel eomplieirter ist dieser Theil des Nervensystems, beim Männchen. ‚Auch. dort theilen sich die lateralen Stämme in zwei spitzwinklig, auseinander gehende Aeste. Sowohl von dem dorsalwärts, als von dem ventralwärts verlaufenden Aste en- digen einige Fasern oder deren Aeste frei auf den Muskeln. Die, ventralwärts verlaufenden bilden kurz hinter einander zwei auf der‘ Bauchfläche. anliegende Anastomosen. Es nähern sich in jeder Anastomose eine Faser der rechten und linken. Seite, beide schwellen ‚an und verbinden, sich durch eine, schmale Brücke, Aber ein. anderer Theil dieser sämmtlichen Fasern des lateralen Stammes bildet nun einen sehr, complicirten Plexus, indem. die Fasern: sich. vereinigen, und schliesslich. geht ganz am: Schwanz lateral und bedeckt, von. den ‚grossen seitlichen Retractoren der Scheide eine Art kernloses Ganglion hervor, von, welchem zwei starke: Nervenfasern entspringen, die frei durch die Leibeshöhle nach vorn an das Hinterende der Scheide treten, da, wo der Helmmuskel sich ansetzt. Dort schwellen sie zu. .kernhaltigen Ganglienkugeln an. Es treten noch eine 397 596 A. Sehneider: grosse Zahl anderer Ganglienkugeln hinzu und so entsteht jederseits ein grosser Nervenknoten. Die beiden Knoten ver- binden sich und zwar auf der Bauchseite durch eine aus meh- reren Fasern bestehende Anastomose. Sowohl von den Nerven- knoten, als von der Anastomose entspringen nun zahlreiche Nerven. Von dem Knoten laufen Fasern rückwärts an die Bursa, welche sich theils direct mit dem Hautgewebe vereinigen, theils in besondere Papillen endigen. Von dem Knoten vor- wärts verlaufen Fasern an die Scheide, welche hauptsächlich für Muskelzüge bestimmt sind, die sich von der Leibeswand nach der Scheide herüber schlagen. Endlich treten auch Fa- sern als Aeste der Anastomose nach vorn an die Scheide. Nach der oben gegebenen Beschreibung der sehr compli- eirten Zusammensetzung des männlichen Begattungsapparates wird es begreiflich, warum für die Männchen ein neues Cen- trum des Nervensystems geschaffen ist. Auffallend bleibt es aber, dass diese Specialganglien an Grösse und Zahl der Zellen das Hirnganglion erreichen. Was nun den Bau der Nervenfasern anlangt, so ist der- selbe nicht durchweg gleich. In den grossen Lateralstämmen sind es cylindrische Röhren, deren Wand aus einer homogenen, das Licht etwas stärker brechenden Substanz besteht, während die Höhle von einer Flüssigkeit erfüllt zu sein scheint. An anderen Stellen sind die Nerven feinstreifig, fast fibrillär, und wieder an andern körnig. Die Nerven verlaufen, wie sich schon aus der Beschreibung ergiebt, meist innerhalb des von uns Sarcolemma genannten Gewebes. Dasselbe Gewebe umgiebt aber auch die Nerven, wenn sie frei durch die Leibeshöhle sich erstrecken und man kann es deshalb wohl als Neuro- Sarcolemma bezeichnen. An der Zone II und III der Längsmuskelschicht lässt sich die Verbreitung der Nerven und ihre Endigung auf den Mus- keln deutlich sehen. Was den gröberen Verlauf betrifft, so ergiebt sich, dass jede Zelle von mehreren Nerven und mehrere Zellen wieder von denselben Nerven versorgt werden, so dass alle Combina- tionen der Wirkungen verschiedener Zellen möglich werden. Ueber den Bau der Acanthocephalen. 597 . Die Fasern werden, sowie sie auf die Muskelzelle treten, ganz glatt und laufen lange Strecken darüber weg. Dabei geben sie in kurzen Zwischenräumen zu beiden Seiten längere zum Ver- lauf der Hauptfaser etwa senkrechte Aeste ab, welche theils breit oder mit feinen Spitzen auf den Fibrillen endigen, auch selbst erst wieder in kleinere Aeste zerfallen können. Diese letzten, übrigens durch nichts ausgezeichneten Enden begeben sich sehr häufig an die Maschen des Netzes, um sich dort an die fibrilläre Schicht anzusetzen. \ 398 F. Bidder: Beobachtungen an curarisirten ‚Fröschen. Von F. Bıpver in Dorpat. l. Am 7. März d. J. vergiftete ich einen weiblichen Frosch zu einem Vorlesungsversuch, indem ich demselben mittelst einer ealibrirten Pipette 0,1 Cem. einer 1°/,igen Curarelösung durch eine in der Nähe der Steissbeinspitze angelegte kleine Hautwunde in den grossen dorsalen Lymphraum injieirte. Das Thier, von 50 Grm. Körpergewicht, war seit dem September vor. J. bei einer Zimmertemperatur von 12—15° C. in alle zwei Tage er- neuertem Wasser gehalten worden; es hatte also sechs Monate hindurch gehungert, da die Frösche in der Gefangenschaft be- kanntlich von freien Stücken keine Nahrung aufnehmen, auch mit Ausnahme der organischen Substanzen, die in dem ihm dargebotenen Flusswasser etwa enthalten waren, kein Nahrungs- stoff ihm zur Verfügung gestanden hatte. Von dem Gifte, von welchem nach wiederholten Proben schon '/,, Milligrm,'!) ge- 1) Die Wirksamkeit des aus Paris bezogenen Präparats geht beträchtlich über diese bisher als äusserste geltende Grenze (Kühne in diesem Arch. 1860 S. 489) hinaus. Selbst 0,00001 Grm. oder !/ıoo Milligrm. hebt, freilich erst nach Verlauf einer Stunde, alle willkür- lichen und automatischen Bewegungen der Rumpf- und Extremitäten- muskeln auf, und nur Reflexbewegungen stellen sich, namentlich nach Kneipen der Haut, noch ein. Nach 24 Stunden hüpft ein solches Thbier aber auch wieder umher, während schon die auf '/so Milligrm. folgende Intoxication mehrere Tage anhält. Beobachtungen an eurarisirten Fröschen, 599 nügte, um in einem Frosch nach höchstens 10 Min. alle charak- teristischen Vergiftungssymptome hervorzurufen, war Il Milligrm. zur Anwendung gekommen. Bei dieser verhältnissmässig_ star- ken Dosis liessen die Intoxications-Erscheinungen denn auch nicht lange auf sich warten, und nach kaum 8 Minuten hatten ®lle willkürlichen, automatischen und reflectirten Actionen der von. cerebrospinalen Nerven versorgten Muskeln durchaus auf- gehört, während die Blutbewegung durch die Capillaren der Schwimmhaut nicht nur mit ungestörter, sondern anscheinend sogar mit gesteigerter Lebhaftigkeit von Statten ging. Gerade dieser letztere Umstand veranlasste mich, das Thier zu weite- rer Beobachtung aufzubewahren. Mit Rücksicht nämlich auf die zuerst von Kölliker (Virch. Arch. 1856, Bd. X, S. 13 bis 16) gemachte Erfahrung, dass nach Darreichung von 0,0001 Grm. Curare ein Frosch am vierten Tage aus der Unthätigkeit sämmtlicher Rumpf- und Extremitätenmuskeln zu ganz un- geminderter Agilität zurückzukehren vermag; mit Beziehung ferner auf die von mir gemachte Angabe (dieses Arch. 1869, S. 346), dass nach Beibringung grösserer Dosen Curare, schon von 0,0005 Grm. an, der Tod ganz unvermeidlich zu sein scheine; mit Rücksicht endlich auf die bekannte 'Thatsache, dass, wenig- stens bei höheren Thieren, der Tod nach Curarevergiftung zu- nächst dem durch unterbrochene Athembewegungen gehemmten Gaswechsel zwischen Luft und Blut zuzuschreiben ist: — er- schien es wünschenswerth, an curarisirten Fröschen genauere Erfahrungen über die Zeit zu gewinnen, während welcher nach Wegfall der Athembewegungen die zur Erhaltung der Circula- tionsphänomene nothwendige Wechselwirkung mit der Atmo- sphäre durch die äussere Haut bestritten werden kann. Zunächst wurde daher das oben erwähnte Thier, weil dessen Herzactio- nen trotz der Vergiftung mit besonderer Energie von Statten zu gehen schienen, weiter aufbewahrt, indem bei einer Zimmer- temperatur von durchschnittlich 15° C. eine stets feucht erhal- tene Fläche ihm zur Unterlage gegeben, und einige Male täg- lich eine Besprengung mit frischem Wasser vorgenommen wurde. Täglich wurde die Blutbewegung in der Schwimmhaut mit dem Mikroskop geprüft; und obgleich es keinesweges an Stockungen 600 F. Bidder: fehlte, die von zufälligen äusseren Momenten nicht äbgeleitet werden konnten, auch ein ödematöser Zustand der hinteren Extremitäten sich zu zeigen begann, so war doch der Blutlauf durch die Schwimmhaut, so weit er sich ohne vergleichende Messungen der Blutgeschwindigkeit und der Capillargefässweite beurtheilen liess, im ganzen Verlaufe der Beobachtungszeit al® ein ungestörter zu bezeichnen. Bis zum 16. März, also in neun Tagen, war der Zustand unverändert geblieben; das Thier lag völlig regungslos da, und die Schwimmhaut unter dem Mikro- skop lieferte allein den Beweis, dass man es nicht mit einem Leichnam zu thun habe.!) Zehn Tage nach erfolgter Intoxica- tion zeigten sich zum ersten Male wieder bei mechanischer Irritation verschiedener Hautstellen leichte Zusammenziehungen in den Muskeln der hinteren Extremitäten; an anderen Theilen liessen sich reflectirte Bewegungen durchaus nicht wahrnehmen, und ebensowenig war von respiratorischen Bewegungen an den Nasenöffnungen und der Kehle irgend eine Spur vorhanden. Am 18. März aber fand ich das Thier bereits in hockender Stellung mit angezogenen Hinterbeinen, den vorderen Theil des Rumpfs in der gewöhnlichen Weise gesunder Thiere auf die Vorderpfoten gestützt, den Kopf erhoben, die Augen geöff- net, an Kehle und Nasenöffnungen die rhythmischen Athem- bewegungen vollkommen wiedergekehrt, willkürliche Actionen und Ortsbewegung vorhanden, jedoch träger und matter als vor der Vergiftung. In 11 Tagen war also die bezeichnete Menge eingeführten Giftes vollständig eliminirt worden. In Bezug auf den Weg, auf welchem dies geschieht, hatten Voisin und Lionville (Centralblatt für die mediein. Wissenschaften. 1866 S. 624) gefunden, dass die hypodermatische Einspritzung des Urins curarisirter Kaninchen die Erscheinungen der Curarever- 1) Bei den meisten Fröschen kann man übrigens von der Thä- tigkeit des Herzens, namentlich von der Zahl seiner Schläge, auch durch das an der vorderen Leibeswand sichtbare Klopfen sich über- zeupen. An der Spitze des Sternum bieten sich diese Pulsationen gewöhnlich recht deutlich dar, Man braucht daher, um bei lebenden Fröschen die Herzeontractionen zu zählen, keinesweges die Thiere „aufzuschneiden,“ Dasselbe gilt von den hinteren Lymphherzen. Beobachtungen an eurarisirten Fröschen. 601 giftung an gesunden Thieren hervorruft, und durch Hermann (dies. Arch. 1867 S. 68) ist es, ebenfalls an Kaninchen, durch Unterbindung der Nierengefässe dargethan, dass der Weg, auf welchem das in Rede stehende Gift aus dem Organismus ent- fernt wird, in den Nieren gegeben ist. Um dies zu constatiren, tödtete ich mein Versuchsthier, um mit dem in der Harnblase erwarteten Inhalt einen zweiten Frosch zu vergiften. Leider fand ich jedoch die Blase ganz collabirt; es schienen die wieder- gekehrten Muskelactionen sofort zur Beseitigung des in zehn Tagen angehäuften Secretes benutzt worden zu sein. — Diese erste nur gelegentliche Beobachtung gab mir Veranlassung, ver- schiedene die Curarevergiftung betreffende Fragen einer erneu- ten experimentellen Prüfung zu unterwerfen. 2. Was die Zeit betrifft, die ein Frosch zur Fortschaffung und Ueberwindung einer gewissen Dosis Curare braucht, so muss ich hervorheben, dass trotz der grossen Menge von Thie- ren (und zwar zunächst Winterfrösche, die 6—8 Monate gefastet hatten), die ich neuerdings der Einwirkung des Öurare unter- worfen und mit je 0,1 Ccm. der 1°/,igen Lösung vergiftet habe, mir doch kein zweiter Fall vorgekommen ist, in dem die zur Eliminirung dieser Giftmenge erforderliche Zeit ohne Lungen- athmung überstanden wurde. Ausser dem erwähnten Fall war allerdings noch einmal selbst 13 Tage hindurch der Blutlauf in der Schwimmhaut sehr lebhaft, Blutstockung und Hydrops sehr mässig, und am 14. Tage sogar der Schlag der hinteren Lymph- herzen so deutlich zu erkennen, dass mit der grössten Be- stimmtheit auf der einen Seite 50, und auf der anderen 32 Schläge in der Minute gezählt werden konnten. Nichtsdesto- weniger hörte mit dem Ende des 14. Tages das Blutherz zu schlagen auf, obgleich in dieser Frist der bei weitem grösste Theil des Gifts bereits ausgeschieden sein musste. In allen übrigen Fällen trat der Tod früher ein, einige Male erst nach 8 Tagen, nicht selten aber auch schon nach 24 Stunden. Fragt man nach der Ursache eines so verschiedenen Verhaltens, so scheinen hierbei mehrere Umstände in Betracht gezogen wer- den zu müssen. Einmal mag eine, in ihren Bedingungen frei- lich nicht näher zu bestimmende, Verschiedenheit in der Em- 602 F. Bidder: pfänglichkeit für das Gift es bewirken, dass die relative Im- munität der Herznerven gegen dasselbe mitunter schon bei weit geringeren Gaben, als sonst zu geschehen pflegt, erlischt. Dann aber kommt noch in Betracht, dass namentlich in den früh- zeitig endenden Fällen die Harnblase ganz leer gefunden wird. Dies leitet auf die Vermuthung, dass der so rasch tödtliche Ausgang der Vergiftung durch gestörte Nierenthätigkeit und dadurch gehemmte Ausscheidung des innerhalb des lebenden Organismus ganz unveränderlichen Giftes bedingt sei. Aber auch bei längerer Andauer des Vergiftungszustandes macht sich ein auffallender Unterschied in der Füllung der Blase bemerk- lich, indem dieselbe bald ganz collabirt, bald stark ausgedehnt sich zeigt, was ohne Zweifel von Verschiedenheiten in der ab- sondernden Thätigkeit der Nieren abgeleitet werden muss. Denn bei wiederholter Untersuchung der Blase eurarisirter Frösche habe ich sie unmittelbar nach dem Eintritt der Ver- giftung stets leer gefunden. Die Manipulationen, denen die Versuchsthiere vor und während der Einführung des Gifts unter- worfen werden müssen, und die hierbei wie in den ersten Sta- dien der Vergiftung sich einstellenden Muskelactionen besei- tigen den in der Blase etwa vorhandenen Vorrath vollständig. Diese Anlässe zur Entleerung des Harns fallen aber durchaus fort, sobald der Vergiftungszustand ausgebildet ist und. das Thier regungslos daliegt. Die Blasenwand allein für sich scheint bei Fröschen schon für gewöhnlich zur Wegschaffung des Urins unzureichend zu sein; bei curarisirten Thieren habe ich sie nie- mals sich zusammenziehen sehen!). Wenn daher 2, 3 und mehr Tage nach stattgehabter Vergiftung die Harnblase | leer gefunden wird, obgleich alle Manipulationen mit dem vergifte- ten Thier mit der äussersten Vorsicht vorgenommen wurden, 1) Die Ansammlung des Harns in der Blase könnte nicht zu Stande kommen, wenn nicht neben der Lähmung des Blasenkörpers der Sphineter vesicae noch fortwirkte. Die Nerven des letzteren kön- nen daher, da sie dem Einflusse des Curare entzogen sind, nicht di- recten cerebrospinalen Ursprungs sein. Zu demselben Schluss bin ich auf ganz anderem Wege auch schon früher gelangt (dies. Arch. 1844 3, 374). Beobachtungen an eurarisirten Fröschen 603 so dass eine Entleerung des Blaseninhalts durch äusseren Druck auf die Leibeswand durchaus vermieden ward, — so ist die Annahme berechtigt, dass die Absonderung des Harns ganz ces- sirt habe. Dass bei Thieren, die viele Monate hindurch unter ungewöhnlichen Verhältnissen aufbewahrt wurden, die Nieren Alterationen erleiden können, ist a priori höchst wahrscheinlich; auch habe ich häufig die Nieren von Winterfröschen ungewöhn- lich roth gefunden, im Gegensatz zu ihrer sonst hellrothgelben Tinetion; anatomisch haben sich aber unzweideutige Ursachen solcher Blutstauung nicht nachweisen lassen. Wenn nun aber auf Hemmung der Nierenthätigkeit zu beziehende Erscheinungen gerade bei denjenigen Thieren sich zeigen, die der Einwirkung des Giftes früher erliegen, als ihre zu derselben Zeit und mit denselben Dosen behandelten, auch an Grösse und Geschlecht ihnen gleichen, und unter gleichen Verhältnissen gehaltenen Leidensgefährten, die vielleicht gar vollständig zu früherer Lebensenergie zurückkehren, so wird in der geminderten oder ganz gehemmten Eliminirung des Gifts die Erklärung dieses Unterschiedes gesucht werden müssen, und es lässt sich daher auch in Bezug auf die Curarevergiftung beim Frosch das von Hermann (dies. Arch. 1867 S. 64) betonte Verhältniss zwi- schen Absorption und Ausscheidung der Gifte als bestätigt an- sehen. — Es scheint aber bei dem in manchen Fällen sehr frühzeitigen Erlöschen der Herzthätigkeit noch ein anderer Um- stand in’s Spiel zukommen. Frösche werden nach der Curare- vergiftung ganz ohne Ausnahme in bald höherem, bald gerin- gerem Grade hydropisch, indem nicht allein die subcutanen Lymphräume, sondern auch die Leibeshöhlen sich mit klarem Serum in dem Maasse füllen, dass die Thiere mitunter ein ganz unförmlich gedunsenes Aussehen erlangen, und nach Eröffnung der genannten Räume das angehäufte Fluidum stromweise sich ergiesst, Ich habe öfters aus einem und demselben Frosche 8 Cem. solcher angestauten Flüssigkeit auffangen können, die zum Theil seröses Transsudat sein mag, grösstentheils aber wohl durch die äussere Haut absorbirtes Wasser ist. Nach den Untersuchungen von Schweigger-Seidel und Dogiel (Ar- beit. aus d. physiol. Anstalt zu Leipzig, 1867, $. 73) ist zwar 604 F. Bidder: aus den subeutanen Lymphräumen des Frosches ein unmittel- barer Uebergang in die Leibeshöhle noch nicht nachgewiesen, indessen ist bei dem Vorhandensein eines unmittelbaren Zu- sammenhangs zwischen der Peritonealhöhle und der Cysterna Iymphatica magna, auch mit den subeutanen Lymphräumen eine Verbindung höchst wahrscheinlich '). Die Ursache dieser enor- men Wasseransammlung ist ohne Zweifel theils in dem Auf- hören der rhythmischen Actionen der Lymphherzen, theils in dem Wegfall eines der vorzüglichsten Mittel der Lymphbewe- gung, der Zusammenziehung sämmtlicher Rumpf- und Extremi- tätenmuskeln, zu suchen. Daher verschwinden denn auch bei denjenigen Thieren, die die Curareintoxication glücklich über- stehen, mit der Rückkehr der gehemmt gewesenen Muskel- actionen auch diese hydropischen Erscheinungen sehr bald. Der Druck aber, den die durch die angesammelte Flüssigkeit ge- spannten Leibeswände bei ihrer elastischen Beschaffenheit auf dieses Serum ausüben, muss auf alle inneren Organe, also auch auf das Herz sich fortpflanzen, und es ist daher sehr wohl 1) Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit zu bemerken, dass der Kreislauf des Wassers in dem Haushalt der Frösche ein be- sonders rascher zu sein scheint. Schon Marchand (s. unten) hat darauf aufmerksam gemacht, dass selbst fastende Thiere beträchtliche Gewichtsdifferenzen darbieten, die nur von aufgenommenem Wasser herrühren können. Bei den weiter unten anzuführenden Respirations- versuchen habe ich öfters beobachtet, dass ein Winterfroschpaar von etwa 60 Grm. Gesammtgewicht bei 24stündigem Verweilen auf einer trockenen Unterlage 4-—-8 Grm. an Gewicht verliert, was, da Fäcal- entleerung niemals Statt fand, und die Kohlensäureausgabe nur 0,2 bis 0,3 Grm. betrug, ausschliesslich der Wasservergasung zugeschrie- ben werden muss. Wurden die Thiere hierauf in ein Gefäss gethan, dessen Boden mit Wasser bedeckt war, so hatten sie schon in 2—3 Stunden um mehrere Gramme an Gewicht zugenommen. Ob auch diese Wasseraufnahme vorzugsweise oder gar ausschliesslich von der Haut besorgt wird, oder ob auch das Verschlucken von Wasser daran einen Antheil hat, kann ich für jetzt nicht entscheiden, da ich hierauf be- zügliche Versuche nicht angestellt habe. Bei Sommerfröschen ist das Verhältniss ein ähnliches, nur kommt bei der Gewichtsabnahme auf der trockenen Unterlage in dem Respirationsapparat auch die fast ausnahmslos sich einstellende Darmentleerung von durchschnittlich 3 Grm. in Betracht, Beobachtungen an eurarisirten Fröschen. 605 denkbar, dass es eben hierdurch, abgesehen von dem directen Einfluss des Gifts, in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird, und früher, als sonst geschehen wäre, in derselben erlischt. — Diese mechanische Behinderung des Herzens kann aber auch neben und trotz der Ausscheidung des Giftes durch den Harn das Ende der Thiere herbeiführen; ja in manchen Fällen scheint sogar eine gesteigerte Nierenthätigkeit bei gehemmter intlee- rung des Harns eine so ausserordentliche Ausdehnung der Blase selbst herbeizuführen, dass davon eine mechanische Unter- drückung der Herzactionen abgeleitet werden darf. Eine be- sonders auffallende Erfahrung dieser Art mag hier nähere Er- wähnung finden. Ein männlicher Frosch wurde am 28. April mit 1 Milligrm. Curare, das mit Wasserstoffhyperoxyd versetzt worden war, vergiftet. Schon am 30. fand ich den Blutlauf in der Schwimmhaut so schwach — das Herz schlug nur 26 Mal in,der Minute — dass ich die Leibeshöhle öffnete, um den an- gesammelten Harn aufzufangen. Die Harnblase war ganz enorm gefüllt; was von ihrem Inhalte sich auffangen liess, betrug reich- lich 8 Cem. Die übrigen Unterleibsorgane waren dadurch hoch hinauf und nach vorn gedrängt und mussten das Herz in hohem Grade in seiner Thätigkeit gehemmt haben. Das Gift hatte, bei der doch nur mässigen Menge, in der es eingeführt war, an dem so frühzeitigen Erlöschen der Herzactionen gewiss um so weniger unmittelbare Schuld, als ein beträchtlicher Theil desselben auch schon ausgeschieden war. Denn schon 0,5 Cem. des aufgefangenen Blaseninhalts, also nur !/,, etwa der ganzen Harnmenge war hinreichend, in einem gesunden Frosch, dem diese Flüssigkeit in den dorsalen Lymphraum injieirt wurde, das vollständige Bild der Curarevergiftung hervorzurufen. Da nun von jedem ferneren halben Cem. dieses Blaseninhaltes der- selbe Erfolg zu erwarten stand, zur Herbeiführung desselben aber schon '/,, Milligrm. des Gifts ausreichte, so waren min- destens ?/,; der beigebrachten Giftmenge bereits ausgeschieden. — Es musste daher in dem sub I erwähnten Falle ein Zu- sammentreffen mehrerer günstigen Umstände Statt gefunden haben, damit die vollständige Entleerung des Gifts vor dem Erlahmen des Herzens eintreten konnte. Ich muss daher auch 606 F. Bidder: jetzt noch dabei bleiben, dass Dosen über 0,0005 Grm. in der Regel tödtlich wirken, indem schliesslich auch die Herznerven theils dem unmittelbaren Einfluss des Gifts, theils eentfernteren Wirkungen desselben erliegen, und dass Bewahrung der Herz- thätigkeit, sowie Rückkehr der Actionen in Rumpf- und Extre- mitätenmuskeln nur bei geringeren Gaben dieses Gifts zu er- warten stehen. Wie ausserordentlich verschieden übrigens Thiere gleicher Art sich gegen das Gift verhalten, das 'ergiebt sich sowohl aus der Verschiedenheit der Fristen, innerhalb welcher: sie stärkeren Dosen desselben erliegen, wie auch 'bei kleineren, Dosen aus dem Zustande der Intoxication heraustreten. Ich habe mit '/, Milligrm. vergiftete Frösche schon nach 2 Tagen ihre Beweglichkeit wiedererlangen sehen, während andere, de- nen nur !/;, Milligr. beigebracht war, erst nach’ 3 Tagen die Herrschaft über ihre Muskeln wiedergewonnen hatten. — In- dessen, auch wenn der günstige Fall eintritt, dass die Frösche die Vergiftung überstehen, so scheint ‘doch eine tiefe Störung des Lebensganges zurückzubleiben, da viele Versuchsthiere, die die Curareintoxication überwunden zu haben schienen, doch nach einigen Tagen ohne nachweisbare Ursachen zu Grunde gingen. Diese Erfahrung dürfte aber wohl geeignet sein, bei therapeutischer Anwendung des Curare die äusserste. Vorsicht zu empfehlen. 3. In Bezug auf die Reihenfolge, in der verschiedene Muskelgruppen der Einwirkung des Curare unterliegen, oder bei Ausscheidung des Giftes von derselben befreit werden, las- sen sich manche frühere Erfahrungen vervollständigen. Schon Kölliker (a. a. OÖ. 8. 9) scheint bemerkt zu haben, dass die hinteren Lymphherzen früher als andere Muskeln die Einwir- kung des Giftes erfahren, wenn er sie schon nach 3, Min. stille stehen sah, während er andere Muskeln noch nach 6 Min. reactionsfähig fand. Dagegen hat Böhlendorff (Untersuchun- gen über die Wirkungen des amerikanischen ‚Pfeilgiftes, ‚Inaug. Diss. Dorpat 1865, S. 12) die hinteren Lymphherzen mit 'sol- cher Regelmässigkeit vor allen anderen Muskeln. ihre ; Thätig- keit einstellen sehen, dass er das Aufhören des Lymphherzen- schlages als untrüglichen Beginn der Curarewirkung bezeichnet, Beobachtungen an curarisirten Fröschen, 607 In Bezug auf die hinteren Extremitäten sind ähnliche Angaben schon öfters gemacht worden. Bezold (dies. Arch. 1860 5. 189) bestätigt die Erfahrung Bernard’s, dass die hinteren Extre- mitäten gewöhnlich früher von der vollständigen Lähmung be- fallen werden als die vorderen, und diese wieder früher als die Respirationsmuskeln. Ebenso spricht Richter (Zeitschrift für ration. Med. III. Reihe, Bd. 18, S. 80) von der in den hinte- ren, Extremitäten beginnenden lähmenden Wirkung des Curare» obgleich mit dieser Angabe nicht ganz in Einklang steht, wenn hinzugefügt wird, dass „zuletzt“ noch in den Fingern und „Ze- hen“ schwache Zuckungen eintreten. Ich habe nun bei .den zahlreichen Versuchen, die ich neuerdings an Fröschen ange- stellt habe, ganz regelmässig die Beobachtung gemacht, dass, während bei enthirnten oder decapitirten Thieren bekanntlich nach dem alten Nysten’schen Satze vom Fortschreiten des To- des die Rückenmarksaxe entlang, von den hinteren Extremi- täten aus und an denselben längere Zeit hindurch und energi- schere Reflexbewegungen ausgelöst werden können, als an den vorderen Extremitäten, dies bei der Curarevergiftung sich ge- rade umgekehrt verhält. Wie das hintere Lymphherzenpaar, so erlahmen auch die Muskeln der hinteren Extremitäten früher als die anderen Gliedmaassen. Während von den letzteren aus und an ihnen sich noch deutliche Reflexbewegungen hervor- rufen lassen, sind die hinteren Extremitäten schon ganz reac- tionsunfähig, ja mechanische Irritation derselben, die sonst so pünktlich von Muskelactionen der gleichen Extremität beant- wortet wird, löst im günstigsten Fall blos Bewegungen an den vorderen Extremitäten aus. Bei der Schnelligkeit, mit der die Vergiftungserscheinungen eintreten, hat man selbstverständlich höchstens ein Paar Minuten Zeit, um sich von dieser Verschie- denheit in der Actionsfähigkeit verschiedener Muskelgruppen zu überzeugen. Auch ist zu beachten, dass, wenn nach Bei- bringung des Gifts‘ das Versuchsthier an den hinteren Extre- mitäten so gehalten wird, dass der Blutlauf durch dieselben nicht hinreichend frei bleibt, es wohl geschehen kann, dass gerade den Muskeln dieser Theile das Gift nicht in der zur Intoxication erforderlichen Menge zugeführt wird, und sie sich 608 F. Bidder: daher auch länger reactionsfähig erhalten. Bei Berücksichtigung dieser Verhältnisse aber wird man das frühzeitigere Erlöschen der Muskeleontraetionen an den hinteren Extremitäten kaum jemals vermissen. — Richter (a. a. ©. S. 84) lässt auch bei Säugethieren die ersten Zeichen der Vergiftung an den hinteren Extremitäten auftreten. Ich möchte glauben, dass diese An- nahme nur dem Umstande beizumessen ist, dass bei Säugern die hinteren Extremitäten die hauptsächlichen Stützen des Rumpfs beim Stehen wie beim Gehen sind, und dass eine Stö- rung ihrer Muskelactionen daher eher auffällt, als die Beein- trächtigung anderer gleichzeitig und in gleichem Grade ergrif- fener Muskelpartien. Nur das frühzeitigere Erlöschen der Re- flexe an den hinteren Extremitäten könnte in der fraglichen Beziehung beweisend sein. Ich habe mehrere Hunde eigends in der Absicht vergiftet, um über dieses Verhältniss sichern Aufschluss zu erlangen; ich wählte dazu junge, etwa 2 Monate alte Thiere. Es wurden 6—8 Milligrm. Curare in der erwähn- ten Lösung in eine Hautwunde am Nacken eingeführt; nach 2 Min. schon war die Wirkung ersichtlich; die bis dahin sehr munteren Thiere bekamen, obgleich sie die Herrschaft über ihre Muskeln noch besassen, einen unsicheren Gang; sie zogen es daher vor, auf den Hinterbeinen zu hocken und waren nur schwer zu einigen Schritten zu bewegen. Zwischen 8—10 Min. nach der Intoxication fielen sie um, und unregelmässige Zuckun- gen begleiteten das sehr erschwerte und stöhnende Athmen; nach 10—12 Min. hörten auch die rhythmischen Athembewe- gungen auf; Reflexbewegungen auf Kneipen der Haut stellten sich wohl noch ein, aber an dem Schwanz und den Hinter- beinen ganz ebenso wie am Rumpf und den vorderen Extre- mitäten. Auch Beigel (Berlin. klinische Wochenschrift 1860, No. 9, S. 100) bezeichnet beim Menschen als erste Wirkung des Curare allgemeine Muskelerschlaffung, und zwar nächst den oberen Augenlidern besonders in den Unterextremitäten. Dies bezieht sich wohl ebenfalls nicht sowohl auf ein stärkeres Er- griffensein der Muskeln dieser Extremitäten, als vielmehr auf die grössere von denselben zu leistende Arbeit, deren Wegfall eben deshalb eher bemerkt wird. Dass zwischen der Lähmung Beobachtungen an curarisirten Fröschen. 609 der vorderen Extremitäten und der Respirationsmuskeln ein zeitlicher Unterschied bestehe, wie Bezold a. o. a. O. angiebt, habe ich durchaus nicht finden können. Dagegen erscheint es als sehr beachtenswerth, dass auch das Schwinden der In- toxicationserscheinungen, — wenn die Thiere bis dahin am Le- ben bleiben — an denselben Organen zuerst sich zu erkennen giebt. In Betreff der hinteren Lymphherzen hat ebenfalls schon Kölliker (a. a. O. 8. 14) die Pulsation derselben als erstes Zeichen wiederkehrender Nerventhätigkeit notirt. Dieselbe Er- fahrung hat Böhlendorff (a. a. O..S. 16) gemacht, und thut daher auch den Ausspruch, dass dasselbe Organ, welches in Folge der Vergiftung seine Thätigkeit zuerst einstellt, sie bei der Wiederkehr des Lebens auch zuerst wieder aufnimmt. Ganz dasselbe gilt aber auch für die Muskeln der hinteren Extremi- täten. Nicht allein in dem.oben erwähnten Fall, wo die be- züglichen Beobachtungen mit der wünschenswerthesten Voll- ständigkeit angestellt werden konnten, sondern auch in anderen wiederholentlich gemachten Erfahrungen an Fröschen, die mit kleinen Dosen Curare vergiftet waren, habe ich mich davon überzeugt, dass die Wiederkehr der Reflexbewegungen an den hinteren Extremitäten beginnt,. und dass letztere häufig auch den Willensimpulsen früher folgen, als die vorderen Gliedmaassen. Pflüger und Bezold haben die zeitlichen Unterschiede in der Erlahmung der Muskeln durch das Curare bekanntlich auf die Herabsetzung bezogen, welche die Fortpflanzungsgeschwin- digkeit, der Erregung in den motorischen Nerven erfährt. Diese Verminderung des Leitungsvermögens soll ungefähr *,, betragen, so dass sie im Ischiadicus des Frosches von 26 Meter in. der Secunde auf 5,5 Meter herabsinkt. Abgesehen davon, dass in Betreff des Herzens, — wenn diese Erklärung seiner Immunität dem Öurare gegenüber richtig wäre, — nicht Stunden oder gar Tage verstreichen dürften, ehe es die ersten nachweisbaren Aenderungen durch das Gift erfährt, so geht auch der höch- stens ein Paar Minuten betragende Unterschied zwischen dem Eintreten der Erlahmung der hinteren Extremitäten und ande- rer Muskelgruppen über jene nach Secunden und Metern zu messende Aenderung in den Leistungen der bezüglichen Nerven Reichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 40 610 F. Bidder: weit hinaus. Ich glaube vielmehr, dass die in Rede stehenden Thatsachen davon herzuleiten sind, dass in den hinteren Ex- tremitäten und dem hinteren Rumpfende des Frosches eigen- thümliche Circulationsverhältnisse bestehen, durch welche so- wohl die Zufuhr des‘Gifts zu diesen Theilen und seine Ein- wirkung auf dieselben, als auch seine Entfernung aus ihnen begünstigt werden. Das von den genannten Körpertheilen zu- rückkehrende Blut sammelt sich nämlich zu den zuführenden Nierenvenen, dem Pfortadersystem der Nieren. Durch das von diesem zweiten Capillarsystem gebotene Hinderniss muss das Blut in seinem Laufe gemässigt und zu längerer Wechselwir- kung mit den Geweben der hinteren Extremitäten und des hin. teren Rumpfendes genöthigt werden, und der verlangsamte Strom muss eben deshalb das in das Blut aufgenommene Gift früher zur Wirkung auf die hier befindlichen peripherischen Enden museulomotorischer Nerven bringen. Andererseits wer- den durch dieselbe Einrichtung die hinteren Extremitäten auch unmittelbarer und näher als andere Körpertheile mit dem Aus- scheidungswege des Gifts in Verbindung gebracht. Der Mangel eines solchen Pfortadersystems der Nieren bei Säugethieren würde es auch verständlich machen, dass bei ihnen in dem Ver- halten der vorderen und hinteren Extremitäten nach der Curare- vergiftung ein Unterschied in der oben angedeuteten, allein entscheidenden Weise sich keinesweges beobachten lässt. 4. Dass ein Frosch volle zehn Tage hindurch die Lungen- athmung ganz entbehren und die zur Erhaltung der Herzthä- tigkeit unerlässliche Wechselwirkung mit der Atmosphäre nur durch die äussere Haut unterhalten konnte, scheint seine Er- - klärung in zwiefachen Umständen zu finden: einmal in der ausserordentlichen Herabsetzung der Respiration, die bei Frö- schen ebenso wie bei höheren Thieren als Folge des Hungerns beobachtet und experimentell geprüft ist, und dann in der un- verhältnissmässig grösseren Bedeutung, die bei den Lurchen der äusseren Haut für die Unterhaltung des Gaswechsels zwischen Blut und Atmosphäre zukommt. In ersterer Beziehung ist daran zu erinnern, dass schon Marchand (Journal für prakt, Chemie, Bd. 33, Leipzig 1844, S. 146) als Mittel aus sieben Beobachtungen an curarisirten Fröschen. 611 Versuchsreihen an frisch eingefangenen Fröschen für die von 100 Grm. ihrer Körpersubstanz in 24 Stunden verbrannte Koh- lenstoffmenge 0,087 Grm. fand. Bei fastenden Thieren sinkt diese Ausgabe so sehr, dass nach zwei Monate fortgesetzter Nahrungsentziehung sie auf '/, des ursprünglich nachgewiesenen Carbonverbrauchs herabgemindert war (a. a. OÖ. S. 168); ja bei Ausdehnung dieses Versuchs über sechs Monate fand Mar- chand (a. a. O. Bd. 37. S. 8), dass 100 Grm. Frosch in 24 Stunden nur 0,014 Grm. Carbon verbrauchten, also nur '/, der ursprünglichen Menge; „die Respiration war fast auf Null herabgesunken“!). Es lag nun die Vermuthung nahe, dass ge- rade dieses auf ein Minimum herabgesetzte Respirationsbedürf- niss den zeitweiligen Wegfall der Athembewegungen ermögliche dass zur Bestreitung des während des Hungerns so überaus verminderten Oxydationsprocesses die durch die Haut allein vermittelte Athmung wenigstens für einige Zeit ausreiche. Es schien daher der Mühe werth zu prüfen, ob auch in warmer Jahreszeit frisch eingefangene dem Einfluss der Gefangenschaft, des Winterschlafs und der mit beiden verbundenen Nahrungs- entziehung durchaus entrückte und wohlgenährte Thiere unter glücklichen Umständen dieselbe Dosis Curare zu überwinden vermögen, wie sie der oben erwähnte Winterfrosch überstanden hatte. Andererseits schien es wünschenswerth, den Antheil der Haut an dem Athmungsprocess bei Fröschen genauer zu be- stimmen, als bisher geschehen. Es haben nämlich zwar schon Regnault und Reiset Erfahrungen über die Respiration von Fröschen angestellt, denen die Lungen exstirpirt waren; aber gegen die Beweiskraft dieser Experimente lassen sich doch mehrfache Bedenken erheben. Man vermisst zunächst eine ge- 1) Aehnliches zeigt sich bekanntlich bei winterschlafenden, also ebenfalls längere Zeit hungernden Säugethieren. Valentin (Mole- schott’s Untersuchung. Bd. II, 1857, S. 292) fand bei vollkommen wachen Murmelthieren die Kohlensäure - Ausscheidung auf 100 Grm. Thier und 24 Stunden = 2,4 Grm., im tiefsten Schlaf dagegen nur 0,034 Grm., d. h. im ersten Fall wurden 0,65 Grm. Carbon, im zweiten 0,009 ausgegeben, also noch weniger als von hungernden Fröschen. 40* 612 F. Bidder: nauere Angabe darüber, wie diese Verstümmelung der Versuchs- thiere ausgeführt wurde. Es heisst nur (Ann. de chimie et de physique, 3. serie, tom. 26, Paris 1849, p. 473), dass Olaude Bernard mit bekannter Geschicklichkeit die Lungen entfernte, indem er Blutungen, die das Resultat der Versuche hätten com- plieiren können, möglichst vermied. Trotzdem wäre es doch sehr wünschenswerth gewesen zu erfahren, dass durch die nach- folgende anatomische Untersuchung das Resultat der Statt ge- habten Operation genauer constatirt und namentlich nachgewie- sen wurde, dass in der That. die Lungen vollständig entfernt und nicht etwa Reste derselben zurückgeblieben waren'). In- dem ferner Regnault und Reiset bei ihren Versuchen vor- zugsweise die Stickstoffexhalation und das Verhältniss der ex- spirirten Kohlensäure zu dem aufgenommenen Sauerstoff zu er- mitteln strebten, haben sie selbst aus ihren Versuchen zwar den Sauerstoffverbrauch, nicht aber die Kohlenstoffausgabe berechnet. Indessen. wie der Sauerstoffverbrauch auch bei unversehrten Thieren schwankte, so dass er auf 100 Grm. Froschsubstanz in 24 Stunden 0,15 bis 0,25 Grm. betrug, — was R. und R. von Verschiedenheiten in der Dauer der Gefangenschaft und der Jahreszeit ableiten, — so betrug er bei lungenlosen Fröschen ebenfalls 0,15 oder sank bis auf 0,11 Grm. hinab, und. die französischen Beobachter vermuthen daher, dass die Athmung der Frösche vorzugsweise durch die Haut besorgt werde. Wenn man nun von den betreffenden Versuchen No. 70 und 74 her- aushebt (a. a, OÖ. p. 474 u. 476), von denen der erstere an fünf intacten Fröschen, der zweite an zwei Thieren nach Ent- fernung der Lungen angestellt wurde, und die Kohlensäure- 1) Derselbe Einwand ist auch gegen die Beweiskraft der älteren Versuche über Lungenexstirpation bei Fröschen geltend zu machen, wie sie namentlich Edwards (De l'influence des agens physiques sur la vie, Paris 1824, p. 71 u, 74) anstellte. Wenn hier „von den Flan- ken“ her in die Leibeshöhle eingedrungen wurde, so durfte die um die Lungenwurzel anzulegende Ligatur doch vielleicht einen Theil des Organs mit den Luftwegen in Verbindung gelassen haben; und es geschah daher nicht ohne Antheil der Lungen, dass ein Thier die Verstümmelung 40 Tage überlebte, ein anderes sogar trotz derselben in den Begattungsact eintrat und eine grosse Menge Eier absetzte, Beobachtungen an eurarisitten Fröschen. 613 ausgabe auf 100 Grm. Froschsubstanz und 24 Stunden berech- net, so kommt man allerdings zu dem überraschenden Ergebniss, dass im ersterwähnten Experiment nur 0,038 Grm. Kohlenstoff und im zweiten auch noch 0,031 Grm. ausgegeben wurden, und dass daher die Wegnahme der Lungen eine nur höchst unbe- deutende Verminderung der Kohlensäureausscheidung zu Wege gebracht hatte, Indessen dürften hierbei doch noch andere Um- stände in Betracht kommen. Die fünf Frösche in Exp. 70 wo- gen zusammen nur 287 Grm., also jeder derselben durchschnitt- lich nur 57,4 Grm Ohne Zweifel waren dies durch längeres Hungern in der Gefangenschaft heruntergekommene Thiere, und damit erklärt sich die geringe Kohlenstoffausgabe, die unter die Hälfte der von Marchand gefundenen Durchschnittszahl herab- gesunken ist. Die beiden Frösche in Exp. 74 dagegen wogen zusammen 185 Grm., sie waren ohne Zweifel frisch eingefangen und wohlgenährt, und ihr lebhafter Stoffwechsel ergab daher trotz des Mangels der Lungen eine verhältnissmässig sehr hohe Kohlenstoffziffer. Ganz ohne Einfluss war es wohl auch nicht, dass die beiden fraglichen Versuche in verschiedener Tempe- ratur von 15 und 17° C. angestellt wurden. Dem Temperatur- einfluss auf die Kohlensäure-Ausscheidung ist es vielleicht auch zuzuschreiben, dass in dem Versuche 76 (a. a. O. p. 477) zwei Frösche von 115 Grm. Gesammtgewicht nach Entfernung der Lungen sogar 0,047 Grm. Kohlenstoff ausschieden; denn dieser Versuch wurde bei einer Temperatur von 21° C. angestellt. — Noch erheblicher scheint aber ein anderes Bedenken zu sein. Regnault und Reiset stellten ihre Versuche an lungenlosen Fröschen eine halbe Stunde nach dem operativen Eingriff an; dies scheint für den geringen Einfluss der Wegnahme der Lun- gen auf den Gaswechsel mit der Atmosphäre von nicht geringer Bedeutung gewesen zu sein. Denn auf die Dauer vermögen Frösche diese Verstümmelung nicht zu ertragen. In den Ver- suchen von Joh. Müller (Handb. der Physiol. 4. Aufl. 1843, Bd. I, S. 228) lebten Frösche mit unterbundenen und ausge- schnittenen Lungen nur etwa 30 Stunden. Neuerdings will zwar Albini gefunden haben (Centralblatt für die. medein. Wissensch, 1868, No. 18, S. 287), dass Frösche die Exstirpation 614 F. Bidder: der Lungen bis 116 Tage überlebten. Näheres über das ope- rative Verfahren ist in. dem a. a. OÖ. gegebenen kurzen Refe- rate nicht bemerkt; auch die Respirationsproducte sind nicht untersucht, und ebensowenig geschieht dessen Erwähnung, dass die vollständige Entfernung der Lungen durch die nach dem Tode vorgenommene Section constatirt worden. Ich bekenne, dass ich nach diesen Angaben, die, so weit sie mir zugänglich wurden, recht unvollständig sind, mich noch nicht entschliessen kann, die Lungen als einen ganz entbehrlichen Körpertheil der Frösche zu betrachten. Bis erneuerte mit allen Cautelen- aus- geführte Erfahrungen über die Erfolge der Lungenexstirpation bei Fröschen vorliegen '), scheint mir daher das Ergebniss der Müller’schen Versuche immer noch festgehalten werden zu müssen. Da es jedoch bei der grossen Tenaeität der Frösche nicht zweifelhaft ist, dass sie die mit dem operativen Eingriff verbundene traumatische Reaction länger als 30 Stunden hätten ertragen können, so scheint die Haut doch-nicht im Stande zu sein, den Ausfall der Lungenathmung für längere Zeit, als die angegebene Frist, zu compensiren. Dagegen schien nun die Öurarevergiftung die Möglichkeit zu bieten, auch ohne blutigen die normalen Lebensbedingungen erheblich alterirenden Eingriff die Lungenathmung ganz auszuschliessen?), ihren Antheil an dem gesammten Gasaustausch mit der Atmosphäre genauer fest- zustellen, und damit zugleich zu ermitteln, wieviel in dieser Beziehung die Haut leiste, wenn gleich im Voraus zugegeben werden musste, dass diese Leistung unter den zu setzenden Bedingungen durch vicariirende Einrichtungen über das gewöhn- liche mittlere Maass gesteigert werden könne. Zur Erledigung der aus allen diesen Erwägungen sich ergebenden Fragen wur- den die im Folgenden angedeuteten Versuchsreihen unternommen. 1) Ich bemerke bei dieser (relegenheit, dass soeben Dr. W. Berg in meinem Laboratorium mit Versuchen über die Lungenexstirpation bei Fröschen beschäftigt ist. 2) Von der Gasdiffusion, die nach Ausschluss der Athembewe- gungen durch die engen Nasenlöcher hindurch zwischen der Atmo- sphäre und dem Lungenraum etwa Statt finden konnte, darf wohl ganz abgesehen werden. Beobachtungen an curarisirten Fröschen. 615 5. Ueber den Einfluss der Dauer der Gefangenschaft und Nahrungsentziehung, sowie der verschiedenen Jahreszeiten auf das Verhalten der Frösche gegen Ourare habe ich neben den im Vorhergehenden erwähnten Versuchen an Winterfröschen, die bereits vor 6—8 Monaten eingefangen und in sehr sicht- licher Weise abgemagert waren, auch zahlreiche Erfahrungen an unmittelbar vorher eingefangenen und wohlgenährten Sommer- fröschen gemacht, In keinem einzigen Falle haben letztere eine Dosis von 1 Milligrm. Curare so lange zu ertragen vermocht wie die Mehrzahl der Winterfrösche. Gewöhnlich waren schon nach 5 Min. die Intoxieationserscheinungen vollständig ausge- bildet, wahrscheinlich weil das bei Sommerfröschen energischer wirkende Herz. das in die Blutmasse aufgenommene Gift auch rascher durch den Körper verbreitete. In der Regel waren fer- ner schon 24 Stunden nach Beibringung des Gifts nur noch schwache Spuren von Blutbewegung in der Schwimmhaut wahr- zunehmen, und das Herz machte nur noch 30 Schläge in der Minute; im Laufe des zweiten Tages aber gingen die meisten Thiere zu Grunde, so dass nur wenige bis in den dritten Tag hinein am Leben blieben und kein einziges diese Frist über- dauerte. Hydropische Erscheinungen traten auch hier auf wenngleich entsprechend der kürzeren Dauer des Vergiftungs- zustandes in geringerem Grade als bei Winterfröschen. In der Füllung der Harnblase sind mir bemerkenswerthe Unterschiede nicht entgegengetreten; so starke Erfüllung oder so völlige Leere derselben wie bei Winterfröschen habe ich niemals angetroffen ; 1 bis 2 Cem. Harn waren ihr gewöhnlich zu entnehmen, und nach 24 Stunden schon war so viel von dem Gift ausgeschieden, dass ein Theil des Harnblaseninhalts hinreichte, ein anderes Thier in den Zustand vollständiger Curareintoxication zu versetzen. Wenn daher bei Sommerfröschen nach dieser Vergiftung eine mechanische Behinderung des Herzens durch ausserordentliche Ausdehnung der Blase oder Wasseransammlung in der Leibes- höhle niemals Statt zu finden scheint, so bleibt zur Erklärung des frühzeitigen Todes nur eine zwiefache Annahme übrig. Entweder vermögen bei Sommerfröschen die Endigungen der sympathischen Nerven und somit auch die Herznerven dem 616 F. Bidder: Gifte weniger zu widerstehen als bei Winterfröschen, oder der Respirationshergang und seine engen Beziehungen zur Herz- thätigkeit erleiden in verschiedenen Jahreszeiten und unter dem damit zusammenhängenden Wechsel der äusseren Einflüsse so durehgreifende Aenderungen, dass der durch das Curare be- wirkte Ausfall der Respirationsbewegungen und: der Lungen- athmung bald verhältnissmässig leicht ertragen wird, bald tief eingreifend und vernichtend wirkt. Da nun Erregbarkeitsände- rungen, deren Bedingungen sich nicht näher bezeichnen lassen, eine befriedigende Erklärung für irgend welche Lebenserschei- nung nicht sind, so lag es nahe, die greifbaren Veränderungen zu berücksichtigen, die etwa in verschiedenen Jahreszeiten die Respiration der Frösche erleidet, und sie mit dem Gaswechsel eurarisirter Thiere zusammenzustellen. Zu dem hierbei in’s Auge gefassten Zweck schien es ganz ausreichend, unter den Athmungsproducten nur die Kohlensäureausgabe zu berück- sichtigen. 6. Zu dieser Prüfung gebrauchte ich einen eigends für diese Versuchsthiere zusammengestellten Apparat. Der Boden eines cylindrischen Glasgefässes, das etwa 5 Zoll im Durch- messer und 4 Zoll Höhe besass, wurde mit einer ca. einen Zoll hohen Quecksilberschicht bedeckt, auf welcher eine trockene Holzscheibe schwamm, die den Versuchsthieren als Unterlage diente. In die Quecksilberschicht und über diese Scheibe wurde eine etwa 4 Zoll hohe Glasglocke gestülpt, deren durch Queck- silber abgesperrter Innenraum die Frösche aufnahm, und deren Decke, wie bei einer Woulf’schen Flasche, drei Röhren ent- hielt. Durch den mittleren Tubulus wurde ein Thermometer luftdicht eingeführt; in die beiden anderen wurden mittelst durchbohrter Gummipfröpfe knieförmig gebogene Glasröhren ein- gesetzt, deren eine mit einem mit Aetzkalilösung gefüllten Lie- big’schen Kugelapparat in Verbindung stand, der die zutre- tende Luft von allem Kohlensäuregehalt reinigte, während die andere successive in zwei Uförmige Glasröhren führte, die zur Bindung des Wassergases mit concentrirter Schwefelsäure über- gossene Glasperlen enthielten. Die letztere Röhrenleitung führte weiter in zwei mit Aetzkalilösung gefüllte Geissler’sche Kugel- Beobachtungen an curarisirten Fröschen. 617 apparate zur Aufnahme der von den Versuchsthieren exhalirten Kohlensäure. Zum Beweise, dass durch letztere Vorrichtung alle Kohlensäure in der That gebunden werde, wurde ein mit Barytlösung gefüllter Kugelapparat angefügt, dessen Inhalt durch sofortige Trübung die geringste Spur nachgebliebener Kohlen- säure hätte anzeigen können. Da in mehreren Probeversuchen die Bildung von 'kohlensaurem Baryt durchaus ausblieb, so wurde späterhin dieser Theil des Respirationsapparates wegge- lassen, um die ohnehin schon bedeutende Complication der er- forderlichen Vorrichtungen nicht unnöthiger Weise zu erhöhen. Dagegen wurde, um das Wasser zu bestimmen, das die durch die Kaliapparate hindurchströmende trockene Luft diesen ent- ziehen musste, die Luft weiterhin durch ein Chlorcaleiumrohr und schliesslich wieder durch ein Schwefelsäurerohr hindurch- _ geleitet. Dass diese Einrichtungen durchaus hinreichend waren, so dass durch die Kaliapparate alle Kohlensäure der Exspira- tionsluft durch das Chlorcaleium- und letzte Schwefelräurerohr aber das den Kaliapparaten durch den trockenen Luftstrom ent- zogene Wasser vollständig gebunden wurde, so dass der Ueber- schuss der Gewichtszunahme der beiden letzteren Vorrichtungen über die Gewichtsabnahme der beiden ersteren nur auf die auf- genommene Kohlensäure zu beziehen blieb, ergab sich aus einem Controleversuch, bei welchem ohne Anwendung von Versuchs- thieren in 24 Stunden 40 Litres Luft durch die erwähnten Ap- parate hirdurchgeführt wurden. Obgleich der Gewichtsverlust, den die Kaliapparate erlitten hatten, bis 260 Millisrm. sich er- hob, so betrug die Gewichtszunahme des Chlorcaleium- und letzten Schwefelsäurerohrs nicht weniger als 255 Milligrm.; der Fehler von 5 Millisrm. war also nur '/,, des ganzen hier in Betracht kommenden Gewichts. Wenn übrigens der angege- bene Gewichtsverlust sich vorzugsweise auf den ersten Kali- apparat bezog, so dass der zweite nur wenige Milligrm. abge- geben hatte, so äusserte sich auch die Gewichtszunahme fast ausschliesslich an dem Chlorcaleiumrohr, indem sie an dem letzten Schwefelsäureapparat auch nur ein Paar Milligrm. be- trug. Diese Verdoppelung der zur Bindung der Kohlensäure und des Wassers bestimmten Apparate hätten also ohne Stö- 618 F. Bidder: rung wegbleiben können; um so zuversichtlicher dürfen die er- haltenen Resultate angenommen werden. — Die Bewegung der Luft durch ‘alle die genannten Röhrenleitungen wurde in der gewöhnlichen Weise durch ein Gasometer bewirkt. Jeder Ver- such an den intacten Thieren wurde 24 Stunden fortgesetzt, und um die bei Beendigung desselben in dem Raum der Glocke noch übrigen Respirationsproducte zu gewinnen, ward nach Verschluss der zuleitenden Röhrenbahn durch allmäliges Zu- giessen von Quecksilber die die Frösche tragende Holzscheibe bis dicht unter die Decke der Glocke gehoben, und dadurch die in letzterer enthaltene Luft bis auf einen geringen die Ver- suchsthiere unmittelbar umgebenden Rest in die ableitende Röhrenbahn gedrängt, und auch ihr Kohlensäuregehalt von den Kaliapparaten gebunden. Ein geringer Rest in der Glocke zu- rückbleibender Luft, der durchschnittlich nur 300 Cem. betrug, von welchem noch das Volumen der Versuchsthiere in Abzug gebracht werden musste, konnte ohne erheblichen Fehler unbe- rücksichtigt bleiben, da er gegenüber der ganzen, in 24 Stunden hindurchgeleiteten Luftmenge von 30—40 Litres höchstens !/ oo der Athemproducte der Rechnung entzog. — Zu allen Versu- chen diente der gemeine Wasserfrosch, Rana temporaria; dies darf nicht unerwähnt bleiben, seitdem Moleschott u. Schelske (Molesch. Untersuch. Bd. I, 1857, S. 4—6) die Erfahrung ge- macht haben, dass die Kohlensäureabgabe von Rana temporaria diejenige von Rana esculenta um das Doppelte übertrifft. In der Umgegend Dorpat’s gehört Rana esculenta zu den Seltenheiten, daher ich mit ihr keine Versuche angestellt habe. Auf den von denselben Beobachtern (a. a. O. S. 14) auch bei Fröschen wahrgenommenen Unterschied in der Kohlensäureabgabe der beiden Geschlechter habe ich in sofern Rücksicht genommen, als zu jedem Versuch zwei Frösche verschiedenen Geschlechts benutzt wurden, um einen mittleren Werth zu erlangen, der mit den älteren Beobachtungen vergleichbar bliebe, bei denen mit Ausnahme der Experimente Moleschott’s wahrscheinlich männliche und weibliche Thiere promiscue gebraucht wurden. Da zwei Winterfrösche in 24 Stunden durchschnittlich 0,2 Grm. Kohlensäure ergeben, Sommerfrösche dagegen 0,6 Grm., 1 Grm. Beobachtungen an eurarisirten Fröschen. 619 Kohlensäure aber ‚ein Volum von etwa 500 Cem. besitzt, so waren im ersten Fall ungefähr 100, im zweiten 300 Cem. Koh- lensäure an die Luft abgegeben worden. Da die in 24 Stun- den: durch den Apparat: hindurchgehende Luftmenge in‘ der Regel bis 40 Litres betrug, so: war ‚bei Winterfröschen durch- schnittlich 0,005 °/, Vol. der respirirten Luft, bei Sommerfrö- schen höchstens 0,015 °/, von Kohlensäure gebildet, ein. Ver- hältniss, dass die Befürchtung ganz widerlegt, es sei die Kohlen- säureabgabe durch den Gehalt der Athmungsluft an diesem Gase erheblich alterirt worden. Die Versuche wurden bei einer Temperatur von durchschnittlich 18° C. angestellt; wenn das Thermometer zuweilen auch um 1° über diese Grenze hinaus- ging. oder unter derselben zurückblieb, so konnte nach den Erfahrungen Moleschott’s (Unters. Bd. II, 1857, S. 315) eine so geringe Schwankung ganz ausser Betracht gelassen werden. — ; Nachdem ein Froschpaar. in. dieser Weise auf seine normale Kohlensäureausgabe geprüft worden, wurden die Thiere aus dem engen und trockenen Respirationsbehälter auf einige Stunden in. ein weiteres, Wasser enthaltendes Gefäss gesetzt, dann mit je 0,00025 Grm. oder '/, Milligrm. Curare vergiftet und hierauf in den Respirationsapparat zurückgebracht. Anfangs blieben sie auch im vergifteten Zustande 24 Stunden in demselben; da es sich aber bald herausstellte, dass bei vergifteten Thieren weit auffallender als bei unversehrten die äussere Haut innerhalb des Athmungsapparats trocknet, und da hiervon eine Beeinträchti- gung des Gaswechsels durch die Haut zu befürchten war, über- dies auch schon bei dem ersten Versuch das eine der beiden benutzten Thiere ganz todt aus dem Apparat herausgenommen wurde, so hielt ich späterhin die vergifteten Thiere nur 8 Stun- den in dem Apparat und berechnete nach dem hiernach gefun- denen Kohlensäurequantum die 24stündige Ausgabe. Weil in dem erwähnten Falle der Tod des einen Thieres die von zwei Fröschen zu liefernde Kohlensäuremenge nicht erheblich ver- 'ringerte, so gab mir dies Veranlassung, die Kohlensäureexhala- tion getödteter Frösche überhaupt zu prüfen. Nachdem durch Hermann (Untersuchungen über den Stoffwechsel der Muskeln, Berlin 1867) dargethan ist, dass unabhängig von den Sympto- 620 F. Bidder: men fauliger Zersetzung der Erstarrungsprocess abgestorbener Muskeln eine ergiebige Kohlensäurequelle ist, war a priori wahrscheinlich, dass auch unmittelbar nach dem Tode des Ge- sammtthieres die Kohlensäureausscheidung nicht aufhören werde. Um ihr Verhältniss zu der während des normalen Lebens und im eurarisirten Zustande gelieferten Kohlensäuremenge zu be- stimmen, wurden Frösche, die in dieser Beziehung unter beider- lei Umständen geprüft worden waren, durch Zerstörung von Gehirn und Rückenmark mittelst eines eingeführten Stilets ge- tödtet und hierauf, nachdem mit dem Mikroskop das Aufhören des Blutlaufs in der Schwimmhaut constatirt worden, abermals auf 8 Stunden in den Respirationsapparat gebracht. Indem ich in der nachfolgenden Tabelle meine bezüglichen Erfahrungen zusammenstelle, muss ich bemerken, dass ich nur die in allen Stücken zu Ende geführten Beobachtungen mittheile, und dass blosse Probeversuche oder Erfahrungen, die nur einzelne Theile der beabsichtigten Versuchsreihe geliefert hatten, ganz über- gangen sind. Ich kann nämlich nicht verhehlen, dass ich na- mentlich im Anfange meiner Untersuchungen bei diesen com- plieirten Experimenten nicht blos zufällige äussere Störungen, sondern auch manche kleine Versäumnisse und Versehen nicht immer habe vermeiden können. Dies machte eine Ausschei- dung eines Theils des Beobachtungsmaterials nothwendig. Beobachtungen an curarisirten Fröschen. 621 Versuche an Winterfröschen. intact eurarisirt getödtet a) ae ne = = Free: ©5123 |03|= 5108 Beerssfaleaseis | 2|geele | = sa rn > Nolan B Io 3 un EB 3 un | '= Miis & cm! a “5 . + un s . | m: . a at) 1-0 E27 ee en 2 5 BR: © > © a on IQ) on ı a om m = =) {=} Er = Re] en | 1 en o EB BSR: a 7 a a | | (m BE EEE a ill | Ken- O5 K®) Ss Al er 20 ra m, Im, .e 1. \April 29| 73 [204 | 55,6| 76,1| 77 21 | 27 2.| Mai 13 81 |222 . 60,5| 74,7| 120 32,4 | 40,6 3. 16 69 |ı37 | 37,3| 55,5| 92| 25 | 35,9 4. 21 82 |145,8 39,7) 48,4| 123, 33,5 | 40,8 5. 24 56 |144 | 39,2) 70,0 100) 43,6.| 77,8 6.| 27,98 [205 | 55,81 57,0| 186| 50,7 | 51,9] Mittel 76,5 176,3] 48 | 63,6|126,3| 34,3) 45,6 | Versuehe an Sommerfröschen. ?.| Mai 30 83] 388 | 105,6] 127,21 315 85,8| 103,3 ale 39,7 8.| Juni 1 121] 509 [138,6 114,5|294 | 79,8| 87,8 167 45 |37,1 SE 4 108| 688 |188,4 174,4] 416 | 113,4 105 |141 | 38,4| 35,5 10, 7, 78] 463 |126 |161,5] 282 76,8/ 98,4] 168 45,6 58,4 11. 10) 100] 789 |214 |214 [512 |139 |139 208 | 55,8, 55,8 12. 13, 97| 604 |144,4| 148,8] 248,8 67,2) 69,2|144 139 40 Mittel 98] 573 | 152,8] 156,7] 344,6] 93,6 100,4| 158 | 42,8] 44,4 Zum Verständniss der vorstehenden Tabelle und zur Be- urtheilung der aus ihr zu ziehenden Resultate habe ich nur wenige Bemerkungen hinzuzufügen. Die Beobachtungen an Winterfröschen, die vor 7—8 Monten eingefangen waren, haben einen viermal grösseren Kohlenstoffverbrauch ergeben, als Mar- chand für hungernde Thiere verzeichnet hat. Ich habe nur einmal, am 20. April, wo ein einzelnes Thier von 39 Grm. Körpergewicht dem Respirationsversuch unterworfen wurde, in 24 Stunden blos 23 Milligrm. Kohlensäure erhalten, die auf 100 Grm. Körpersubstanz berechnet, eine der Marchand’schen sehr nahe kommende Zahl, nämlich 15,9 Milligrm. Kohlenstoff ‘in. 24 Stunden ergeben würden. Vielleicht darf zur Erklärung dieser Differenz darauf hingewiesen werden, dass der letzter- wähnte Versuch noch vor dem Eintritt der Brunstperiode frei 622 F. Bidder: lebender Frösche angestellt wurde, alle anderen Experimente aber nach dem Auftreten derselben. Es ist nicht unwahrschein- lich, dass der Einfluss, den die Witterungsverhältnisse auf den Lebensprocess der Thiere ausüben, auch bei den in der Gefan- genschaft lebenden und hungernden Fröschen sich geltend macht, und dass, weil wegen fehlenden reifen Zeugungsmaterials keine Geschlechtsverrichtungen eintreten, und kein Begattungsaet Statt findet, auch die nach vollendeter Brunst gewöhnliche Erschö- pfung hier ausbleibt. An frisch eingefangenen Sommerfröschen ist nichtsdestoweniger der Kohlenstoffverbrauch ein beträchtlich grösserer, so dass diese Ausgabe bei hungernden und wohlge- nährten Thieren sich wie 63:156, d. h. wie 2:5 verhält. Hierbei hat sich zugleich herausgestellt, dass schon eine blos 24stündige Gefangenschaft der Thiere, wie in den Versuchen 7 und 8, eine merkliche Verringerung des Stoffwechsels gegenüber den unmittelbar nach dem Einfangen untersuchten Fröschen be- dingt, wie die Versuche 9—12 lehren. Wenn ich bei Sommer- fröschen eine durchgehends höhere Ziffer der Kohlenstoffausgabe als Marchand gefunden habe, so mag das an der Kleinheit meiner Versuchsthiere liegen. Denn das Körpergewicht der von Marchand verwendeten Frösche (a. a. O. S. 147) schwankte durchschnittlich zwischen 65 und 115 Grm. “Meine grössten Sommerfrösche erreichten nicht einmal das von Marchand gefundene Minimum; ihr Durchschnittsgewicht betrug nur 49 (irm., während das mittlere Gewicht der Winterfrösche gar bis auf 38 Grm. herabgesunken war. Wenn Moleschott und Schelske (a.a. 0. S.5 u. 6) bei Rana temporaria die Kohlen- säureausgabe von 100 Grm. Körpersubstanz für männliche Thiere von 0,730 bis 1,855 Grm. schwanken sahen und im Mittel aus 22 Versuchen 1,205 Grm. berechnen, und für weibliche Thiere unter Schwankungen von 0,576 bis 1,595 als Mittel aus sech- zehn Versuchen 0,943 Grm. angeben, woraus sich als mittlerer Kohlenstoffverbrauch etwa 0,328 und 0,256 Grm. berechnen, — so ist, da das (Gewicht der Thiere nicht angegeben ist, zur Er- klärung dieser hohen Ziffern wohl nur die Vermuthung zuläs- sig, dass bei den bezüglichen, in den Monaten August und September angestellten Experimenten die um diese Zeit ge- Beobachtungen an curarisirten Fröschen. 623 wöhnliche Steigerung der Reizbarkeit der Frösche sich bereits eingestellt hatte, und als Product des damit verbundenen rege- ren Stoffwechsels jenen erhöhten Kohlenstoffverbrauch bedingte. — Die durch Curarevergiftung hervorgerufene Sistirung der Athembewegungen hat zwar eine Verminderung der Kohlen- stoffausgabe zur Folge, aber doch nur in so geringem Verhält- niss, dass sie bei Winterfröschen nur !/,, und auch bei Sommer- fröschen nur !/, des ganzen Kohlenstoffverbrauchs beträgt. Eine Ausnahme von diesem sonst ganz beständigen Verhältniss bil- det nur Versuch 5, in welchem nach erfolgter Curarisirung die Kohlensäureausgabe selbst gesteigert erscheint. Eine Erklärung für diese Abweichung vermag ich nicht zu geben; ein Versehen irgend welcher Art war bei diesem Versuch nicht vorgekommen, und ich habe ihn daher trotz seines abweichenden Resultats auch nicht weglassen können. Wenn aber nach dem Gesammt- ergebniss dieser Versuche, wenigstens unter den gesetzten Be- dingungen, der äusseren Körperoberfläche der Frösche in der That ein grösserer Antheil an der Wechselwirkung mit der Atmosphäre zugeschrieben werden muss, als den Lungen, so gilt dies, wie die angeführten Ziffern lehren, mehr noch von den Winter- als von den Sommerfröschen, und es wird die ent- schieden geringere Widerstandsfähigkeit der letzteren gegen das Curare sicherlich, zum Theil wenigstens, mit dem Umstande zu- sammenhängen, dass bei ihnen nur ?/, der Kohlensäureausgabe von der Haut besorgt werden kann, während bei Winterfröschen s/pdieses Consums von der äusseren Haut vermittelt wird. Diese Leistungen der Haut werden selbst nach eingetretenem Tode und aufgehobenem Blutlaufe nicht annullirt, und liefern in den ersten acht Stunden nach dem Erlöschen des Lebens noch fast !/; der normalen Kohlensäuremenge, die ohne Zweifel von dem fortgehende.ı Zerfall der Muskeln herrührt. 7. Die Frage nach dem Wege, auf welchem das Curare aus dem Körper fortgeschafft wird, und nach dem Zustande, in welchem dies geschieht, d. h. nach den Veränderungen, die das Gift bei dem Durchgange durch den Organismus erleidet, lässt sich nach den bei Fröschen gemachten Erfahrungen eben so entschieden als leicht beantworten. Die Nieren geben den 624 FE. Bidder: einzigen Weg her, auf welchem direct oder durch Absorption in die Blutmasse eingeführtes Curare wieder aus derselben ent- fernt wird, und zwar unverändert und mit allen seinen ur- sprünglichen toxischen Eigenschaften. Dass durch andere Aus- scheidungen dies nicht geschieht, davon habe ich mich in Be- zugsauf den Inhalt der Gallenblase und auf das Contentum der von seröser Flüssigkeit ausgedehnten subeutanen Lymphräume und serösen Säcke bei eigends hierauf gerichteten Versuchen vollständig überzeugt. Den Gallenblaseninhalt curarisirter Frö- sche, den ich in der Menge von (,2 bis 0,5 Cem. habe gewin- nen können, habe ich öfters in den dorsalen Lymphraum 'ge- sunder Thiere eingeführt, ohne jemals irgend eine bemerkens- werthe Wirkung wahrzunehmen. Ebenso habe ich von der hydropischen Flüssigkeit curarisirter Thiere, die sowohl aus der Peritonealhöhle wie aus den Lymphräumen des Rumpfs und der Extremitäten gewonnen war, gesunden Fröschen 0,5 bis 1, ja in einem Falle sogar 3 Cem. in den dorsalen Lymphraum injieirt, und niemals auch nur das geringste Vergiftungssymp- tom bemerkt. Dieser negative Erfolg war übrigens schon a priori zu erwarten, da, wie bereits erwähnt wurde, es höchst unwahrscheinlich ist, dass die enormen Mengen von Flüssigkeit, die in sehr kurzer Zeit in jenen Räumen sich ansammeln kön- nen, lediglich ein Transsudat aus dem Blute sein sollten, viel- mehr angenommen werden muss, dass sie grösseren Theils von aussen her durch die Haut absorbirtes Wasser sind. — Wenn dagegen der Harnblaseninhalt curarisirter Frösche anderen ganz gesunden Thieren in den dorsalen Lymphraum injicirt wird, so habe ich kein einziges Mal die Vergiftungssymptome ausbleiben sehen. 24 Stunden nach Vergiftung mit 1 Milligrm. Curare war der seitdem etwa angesammelte Harnblaseninhalt schon hinreichend zur Vergiftung eines zweiten Thieres; und wenn nach mehreren Tagen eine grössere Ansammlung von Harn ein- getreten war, so genügte — wie in dem oben angeführten Fall schon eine kleine Portion desselben zu dem gleichen Zweck. Da das Gift unter solchen Umständen in äussert diluirter Lö- sung eingeführt wird, so muss eine grössere Menge der letz- eren resorbirt werden, um die zur Intoxication erforderliche Beobachtungen an curarisirten Fröschen. 625 Curaremenge in das Blut zu bringen. Hierzu ist selbstverständ- lich Zeit erforderlich, und so dauert es gewöhnlich eine halbe bis ganze Stunde, ehe die Vergiftungssymptome vollständig aus- gebildet sind. Ausdrücklich muss ich hierbei bemerken, dass der Harnblaseninhalt gesunder Frösche, anderen bis dahin in- tacten Thieren beigebracht, gar keine besondere Wirkung her- vorruft. Die durch eine solche Uebertragung vergifteten Harns curarisirten Frösche habe ich ohne Ausnahme nach ca. vier Tagen wieder herumhüpfen sehen. Wurden Thiere dieser Art vor Rückkehr der willkürlichen Bewegungen geöffnet, so ent- hielt auch ihr Urin das Gift in voller Wirksamkeit, wie die Intoxieation eines dritten Thieres lehrte; ja selbst die Ueber- tragung auf ein viertes Thier erweist sich als vollkommen wirk- sam. Aus den zahlreichen Erfahrungen, die ich über solche Uebertragungen gemacht habe, will ich nur einen Fall hervor- heben. Am 15. April wurde einem Winterfrosch 1 Milligrm. Curare in der angegebenen Weise beigebracht; nach 8 Minuten waren die Vergiftungssymptome vollkommen ausgebildet. Nach drei Tagen, am 18. d. M., während bei völliger Regungslosig- keit der animalen Muskeln die Blutbewegung in der Schwimm- haut sich sehr gut erhalten hatte, von dem Gift daher auch schon eine beträchtliche Menge in den Harn übergegangen sein konnte, wurde die Leibeshöhle geöffnet, aus der mässig gefüll- ten Blase 1 Cem. mit einer Pipette herausgehoben und sofort einem zweiten Thier in den dorsalen Lymphraum injieirt. Nach 25 Min. bot auch dieses das Bild vollständiger Curareintoxica- tion dar. Acht und vierzig Stunden darauf, am 20. d. M., wo der Capillarkreislauf zwar noch sehr wohl im Gange war, die hydropischen Erscheinungen aber ganz ausserordentlich stark waren, wurden aus der mächtig gefüllten Harnblase 3 Cem. Flüssigkeit genommen und einem dritten Thier beigebracht, in- dem ich die ganze Menge zur Injection glaubte benutzen zu müssen, um eine zur Intoxication hinreichende Giftdosis einzu- führen. Hierdurch wurden sämmtliche Lymphräume am Rumpf und Kopf beträchtlich aufgetrieben, so dass dem Hinterleib des Thieres eine erhöhte Lage gegeben werden musste, um das Ausfliessen der Giftlösung zu verhindern. Die sicherlich ausser- Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 41 626 F, Bidder: ordentliche Verdünnung der letzteren brachte es aber mit sich, dass zur Aufnahme einer hinreichenden Menge des Giftes län- gere Zeit erforderlich war. Erst nach einer Stunde, nach deren Verlauf übrigens — wie die Anschwellung der bezüglichen Lymphräume lehrte — noch lange nicht alle eingeführte Flüs- sigkeit resorbirt war, waren die charakteristischen Symptome der Curarevergiftung ausgebildet. Nach abermals 48 Stunden, am 22. d. M., wurde auch diesem Thier die Leibeshöhle ge- öffnet, aus der Harnblase etwa 0,5 Cem. Flüssigkeit genommen und letztere einem vierten Thiere injieirt. In kaum einer hal- ben Stunde war auch dieses vollständig curarisirt; acht Stunden später war es noch in demselben regungslosen Zustande; nach 24 Stunden hatte es die Herrschaft über seine Muskeln wieder erlangt; nichtsdestoweniger fand ich es drei Tage darauf todt. Es ist nach solchen Erfahrungen nicht allein daran nicht zu zweifeln, dass nur die Blutgefässe der Nieren mit solchen Ein- richtungen versehen sind, die das Austreten des in die Blut- masse aufgenommenen Gifts ermöglichen, sondern dass das Cu- rare auch weder in der Blutbahn noch im Gewebe der Nieren lebender Frösche eine seine Wirksamkeit alterirende Aenderung erfährt. Es kann das Gift auf diesem Wege vollständig aus dem Organismus entfernt werden, und es kann selbst drei Or- ganismen nach einander durchwandern, ohne seine charakteristi- schen toxischen Eigenschaften einzubüssen; ja es ist nicht un- wahrscheinlich, dass die in letzterer Richtung gemachten Er- fahrungen mit Erfolg noch weiter geführt werden könnten, was aber kaum mehr ein besonderes Interesse bietet und daher auch von mir unterlassen ist"), — Es entsteht hierbei die Frage, wodurch denn das Gift, wenn es in der That in unverändertem Zustande wieder ausgeschieden wird, gewirkt habe; ob es wirk- lich durch blosse Berührung mit gewissen Nervenenden die- ı) Gelegentlich mag hier Erwähnung finden, dass Aehnliches auch für das Strychnin gilt. Wenn der Harnblaseninhalt mit Strychnin vergifteter Frösche gesunden Tbieren in den dorsalen Lymphraum injieirt wird, so bringt er die vollständigsten Strychninkrämpfe her- vor. Ich habe auch diese Erscheinung an drei successive vergifteten Tbieren beobachtet. Beobachtungen an curarisirten Fröschen. 627 selben ausser Thätigkeit setze, oder ob, da die Annahme einer Contactwirkung dieser Art ein wirkliches Verständniss nicht bietet, nicht doch zu erweisen wäre, dass ein Theil des bei- gebrachten Giftes in dem Organismus verbraucht wird und in veränderter Beschaffenheit zur Ausscheidung gelangt. Ausrei- chenden Aufschluss könnten hierüber nur solche Versuche ge- ben, bei denen die Menge des beigebrachten Gifts oder seines Alkaloids mit der durch den Harn ausgeschiedenen Quantität derselben verglichen werden könnten. Da für jetzt keine Mög- lichkeit besteht, den letzteren Theil dieses Weges mit Aussicht auf Erfolg zu betreten, so habe ‚ich ausserhalb des Organismus die Widerstandsfähigkeit des Curare gegen oxydirende Einflüsse zu prüfen gesucht. 8. Die Thatsache, dass das Curare selbst Tage lang in der Blutbahn kräftiger Frösche verweilen, aus dem Blute in den Harn gelangen, ja diesen Weg selbst durch mehrere Thiere nach einander durchmachen kann, ohne seine Wirksamkeit ein- zubüssen, ohne den in dem lebenden Organismus Statt finden- den Oxydationsvorgängen zu unterliegen, musste die Frage nahe legen, wie dieser Stoff sich denn ausserhalb des Organismus gegen die uns zu Gebote stehenden Oxydationsmittel verhalte. Selbstverständlich musste hierbei zunächst an die Einwirkung künstlich gewonnenen Ozons gedacht werden, und ich habe da- her in dieser Richtung folgende Versuche angestellt. — Ich habe zuerst Ozon auf dem gewöhnlichen chemischen Wege ge- wonnen. In ein offenes Glasgefäss that ich einige Stücke Phos- phor mit reinster durch Schaben gewonnener Oberfläche, und goss destillirtes Wasser hinzu, bis die Phosphorstücke zur Hälfte damit bedeckt waren. Auf den Boden des Gefässes wurden mehrere passende Glasunterlagen gestellt, die in den lufterfüllten Raum hineinragten, und auf deren oberer und ebe- ner Seite flache Glasschaalen mit der 1°/, Curarelösung auf- gestellt wurden. Die mit abgeschliffenem Rande versehene Mündung des Gefässes wurde mit einer ebenfalls geschliffenen Glasplatte zugedeckt. Die Ozonbildung beginnt unter solchen Umständen bekanntlich sofort und giebt sich durch den Geruch zu erkennen; sie wird von starken Antozonnebeln begleitet, die 41* 528 F. Bidder: das Innere des Gefässes dem Auge fast unzugänglich machen. Nach einer Stunde schon hat sich so viel Ozon entwickelt, dass ein in das Glasgefäss eingeführter Streifen Jodkaliumstärke- papiers augenblicklich schwarzblau gefärbt wird. Nachdem in dieser mit Ozon reichlich geschwängerten Atmosphäre die fla- chen Glasschaalen mit je 1 Cem. der 1°/, Curarelösung 24 Stun- den verweilt hatten, erschien die Flüssigkeit weder in ihrem Aussehen verändert, noch in ihrer Wirksamkeit alterirt; 0,1 Cem. in den dorsalen Lymphraum eines Frosches eingeführt, brachte wie gewöhnlich in wenigen Minuten alle Vergiftungserscheinun- gen hervor; die Giftlösung hatte also innerhalb 24 Stunden den unter den gegebenen Umständen wirksamen Oxydationseinflüs- sen widerstanden. Indessen hatten die Versuchsthiere, die zwar nach 24 Stunden noch vollständig curarisirt erschienen, nach 48 Stunden doch schon die Herrschaft über ihre Muskeln wie- dererlangt. Die Dosis des wirksamen Gifts musste in diesen Fällen also geringer gewesen sein, als nach der angewendeten Menge der Lösung erwartet werden durfte; es schien also das Ozon einen wenn auch nur geringen Theil des Giftes doch schon zerstört zu haben, und die Mischung war dadurch ver- dünnter geworden. Nach 48stündiger Einwirkung des ÖOzons aber war der Sachverhalt ein ganz anderer geworden. Die Curarelösung war gebleicht worden, sie hatte ihre ursprünglich braune Farbe in eine gelbliche verwandelt. Wurde nunmehr mit einer Pipette 0,1 Cem. herausgehoben und einem gesunden Frosche beige- bracht, so blieb jedes Vergiftungssymptom aus und die Thiere hüpften nach Stunden und Tagen ganz in der gewöhnlichen Weise in ihrem Behälter umher. So erfordert also selbst eine so beträchtliche Ozonmenge, wie sie in diesen Versuchen zur Wirkung kam, ungefähr zwei Tage, um den minimalen Quanti- täten von Curare, die seiner Einwirkung ausgesetzt waren, ihre giftigen Eigenschaften zu nehmen. Der sicherlich weit gerin- geren Menge dieses Agens, die in dem Blute des lebenden Organismus zur Wirkung kommt, müsste ein in demselben Ver- hältniss längerer Zeitraum gewährt werden, um das in das Blut eingetretene Gift zu vernichten. Da aber der Ausschei- Beobachtungen an ceurarisirten Fröschen. 629 dungsprocess durch die Nieren rascher erfolgt, so geht das Curare zum grössten Theil in unveränderter Beschaffenheit und im vollen Besitz seiner giftigen Eigenschaften in den Harn über. — Da in den oben beschriebenen Versuchen die benutzte Curarelösung ihre ursprünglich neutrale Reaction in eine ent- schieden saure verwandelt hatte, — ohne Zweifel durch Ab- sorption der bei der Ozonbildung auftretenden phosphorigen Säure —, so konnte es fraglich erscheinen, ob das Gift durch diese Säure oder durch das Ozon seine Wirksamkeit eingebüsst hatte. Zwar spricht der Umstand, dass das an Salzsäure oder Schwefelsäure gebundene Ourarin sich vollkommen wirksam er- weist (W. Preyer im Centralblatt für die medic. Wissensch 1865 S. 821), gegen einen solchen Einfluss der phosphorigen Säure; indessen war es doch wünschenswerth, dies durch di- recte Erfahrungen zu bestätigen. Es wurden daher weitere Versuche ganz wie die vorigen eingeleitet, mit dem Unter- schiede jedoch, dass neben einer Schaale mit der Curarelösung eine andere flache Schaale mit concentrirter Jodkaliumlösung mit in das Gefäss hineingestellt wurde. Die hierdurch beab- sichtigte Absorption des entstehenden Ozons erfolgte auch so vollständig, dass in den Apparat eingeführte Streifen Jodkalium- stärkepapiers selbst nach längerem Verweilen nicht im Gering- sten gefärbt wurden. Die mitaufgestellte Curarelösung war nach 24 Stunden, obgleich schon sauer reagirend, doch voll- kommen wirksam, so dass 0,1 Grm. derselben wie gewöhnlich einen Frosch in etwa 10 Minuten völlig regungslos machten. Nach 48 Stunden war die Wirksamkeit des Gifts ebensowenig verändert; die Absorption der phosphorigen Säure hatte die- selbe durchaus nicht gemindert. Die in den vorhergehenden Versuchen beobachtete Vernichtung der giftigen Eigenschaften des Curare war also nur durch das Ozon bewirkt, das aber freilich diesen Erfolg nur sehr langsam herbeiführte, so dass im lebenden Organismus, ehe es dazu kommt, die Ausschei- dung durch die Nieren bereits erfolgt ist. — Wenn dagegen R. Richter (Zeitschr. f. ration. Med. 3. Reihe, Bd. 18, S. 79) angiebt, dass das Curare in wässriger Lösung durch einen dar- über geleiteten ozonisirten Luftstrom „sehr bald“ zerstört wird 630 F. Bidder: und, nachdem es hell gelblich bis nahezu farblos geworden, seine giftigen Wirkungen durchaus verliert, so wird Richter wahrscheinlich, da er im Göttinger physiologischen Institut unter Meissner’s Leitung arbeitete, die v. Babo’sche Ozon- röhre angewendet und dadurch eine Ozonerzeugung vor so be- deutender Intensität hervorgerufen haben, dass die im lebenden Organismus vorhandenen Bedingungen derselben weit dahinter zurückbleiben und zu einem Vergleich kaum geeignet sind. Ich kann daher auch nicht einverstanden sein mit dem Aus- spruche Richter’s (a. a. O. S. 82), dass das Curare im thie- rischen Organismus sehr bald zerstört wird, dass seine „leichte* Oxydirbarkeit die Ansicht von seiner Zerstörung im Organis- mus wahrscheinlicher macht, als die Ansicht von seinem Aus- geschiedenwerden aus dem Körper, und dass die Rückkehr vollkommen gelähmter Frösche zu normaler Bewegung, auch wenn sie erst nach zwei, drei oder mehreren Tagen erfolgt, doch eben dieser Zerstörung des Giftes zuzuschreiben sei. Viel- mehr müsste schon die lange Dauer des Vergiftungszustandes der raschen Zerstörung des Curare entschieden widersprechen. Da zur Wiederholung der Richter’schen Versuche mir der Babo’sche Apparat eben jetzt nicht zur Verfügung stand, so prüfte ich die Veränderungsfähigkeit des Curare auch noch an seinem Verhalten gegen Wasserstoffhyperoxyd. Dasselbe war von meinem Collegen Alex. Schmidt dargestellt, und ent- hielt mindestens das 25fache seines Volumens Sauerstoff. Es wurden drei Portionen davon genommen: die erste von der durch die Darstellungsweise bedingten sauren Reaction, die zweite vollkommen neutral, die dritte durch Zusatz überschüs- sigen Natrons von schwach alkalischer Reaction. Von jeder dieser Portionen wurde je 0,5 Cem. mit der gleichen Menge der 1°,, Curarelösung zusammengebracht und bei der gewöhn- lichen Zimmertemperatur (185° C.) stehen gelassen. Nach 24 Stunden wurden von jeder Portion je 0,2 Cem., in denen also die gewöhnlich angewandte Giftmenge von 1 Milligrm, enthal- ten war, je einem Frosch beigebracht. Bei Anwendung dieser Mischungen zeigte sich gewöhnlich an der Hautwunde, in Folge der an derselben zum Vorschein kommenden Blutspuren, deut- Beobachtungen an curarisirten Fröschen. 631 liche Gasentwickelung. Die Vergiftungssymptome stellten sich hiernach ganz in der gewöhnlichen Reihenfolge ein, und nach {0 Minuten waren die Versuchsthiere immer ganz regungslos. Zeitliche Unterschiede der Intoxicationswirkung habe ich bei Anwendung dieser verschiedenen Mischungen nicht bemerkt. Jedenfalls war auch durch das Wasserstoffhyperoxyd in keiner der zur Anwendung gekommenen Combinationen das Gift in sichtlicher Weise alterirt worden. Auch nach 48 Stunden war die lähmende Wirkung die gleiche geblieben; und obgleich die neutrale und alkalische Mischung etwas gebleicht erschienen, während die saure ihre ursprüngliche Tinction unverändert bei- behalten hatte, war ein Unterschied in den toxischen Eigen- schaften doch nicht zu bemerken. — Ich habe endlich diese Versuche noch in der Weise modificirt, dass dem Gemisch von Curarelösung und Wasserstoffhyperoxyd zur Förderung der oxy- direnden Wirkungen des letzteren noch ein Ozonüberträger, eine Lösung von schwefelsaurem Eisenoxyd, hinzugefügt wurde. Vorher war die Ueberzeugung gewonnen worden, dass die zer- setzende Wirkung des Wasserstoffhyperoxyds auf Jodkalium- lösung durch Zusatz einer etwa 1°/,igen Lösung des genannten Eisensalzes erheblich gefördert wird, indem die Gelbfärbung der Flüssigkeit durch das abgeschiedene Jod rascher und intensiver erfolgt, als ohne diesen Zusatz. Die 1°/,ige Curarelösung wurde theils mit der gleichen und theils mit der doppelten Menge Wasserstoffhyperoxyd vermischt und 2 bis 4 Tropfen der Eisen- lösung hinzugefügt. Bei wiederholten, bis 72 Stunden fortge- setzten Prüfungen war weder in der Farbe noch in der giftigen Einwirkung auf Frösche irgend eine Veränderung zu bemerken; nur trat die Intoxication vielleicht etwas langsamer ein, weil die Giftlösung um 100—200°/, verdünnt war und eine grössere Portion derselben resorbirt werden musste, um die erforderliche Giftmenge in's Blut einzuführen. Auch, nach dreitägigem Ste- hen dieser Gemische rief der Zusatz eines Tropfens Blut starke Gasentwickelung hervor. 632 F. Bidder: Beobachtungen an curarisirten Fröschen, Aus vorstehenden Untersuchungen lassen sich folgende Re- sultate ableiten: 1. Das Verhalten der Frösche gegen Curare ist nach ver- schiedenen Jahreszeiten verschieden: hungernde Winter- frösche widerstehen dem Gift länger, als frisch einge- fangene Sommerfrösche. Die Muskelnerven derjenigen Körpertheile, deren Blut zur Pfortader der Nieren gesammelt wird, erliegen dem Einfluss des Curare früher, als die Nerven anderer Mus- keln. Das Curare wird nur durch die Nieren ausgeschieden, und zwar im unveränderten Zustande mit allen seinen toxischen Eigenschaften. Das Curare leistet auch ausserhalb des lebenden Orga- nısmus oxydirenden Einwirkungen bedeutenden Wider- stand: dem Antozon (Wasserstoffhyperoxyd) widersteht es vollständig; durch Sauerstoff, der auf chemischem Wege ozonisirt worden, wird es erst nach längerer Ein- wirkung unwirksam gemacht. Sommerfrösche zeigen einen weit regeren Stoffwechsel, der, an dem Kohlenstoffverbrauch gemessen, sich zu der entsprechenden Ausgabe der Winterfrösche wie 3:2 ver- hält. Der Gasaustausch mit der Atmosphäre wird bei Fröschen zum grösseren Theil durch die äussere Haut besorgt, bei Winterfröschen zu ®/,, bei Sommerfröschen zu ?/, der Gesammtausgabe an Kohlensäure; jene vertragen daher im eurarisirten Zustande den Wegfall der Lungenathmung leichter und länger als diese, Dorpat im Juli 1568. W. Gruber: Ueber d. Zungenbein-Schildknorp.-Hilfsband. 633 Ueber das Zungenbein-Schildknorpel- Hilfsband (Ligamentum hyo-thyreoideum accessorium). Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Taf. XV. A.) Ein langes, schmales, starkes, weiss-gelbliches, sehr elasti- sches, völlig isolirtes, zwischen dem Os hyoideum und der Cartilago thyreoidea ausgespanntes Band (a). Vorkommen. 1862 zuerst und seit dieser Zeit 10 Mal bei beiden Geschlechtern beobachtet. Nach darüber angestell- ten Massenuntersuchungen zu schliessen, ist das Band in '/,s bis !/;, d. F. vorhanden gewesen. Lage. In der Mitte des Hälses vor dem Sulcus hyo-thy- reoideus und vor dem Winkel der Cartilago thyreoidea. Ursprung. Von der Mitte des unteren Randes des Kör- pers des Os hyoideum. Verlauf. Unter der Halsaponeurose in der Medianlinie des Halses vor der Bursa mucosa subhyoidea — Plenck — (b.) und vor der Eminentia thyreoidea ganz vertical, oder zur Seite der letzteren etwas schräg abwärts. ; Ansatz. Am Winkel der Cartilago thyreoidea oder da- neben nach rechts oder links, an einer !/),—2 Lin. über der Mitte des mittleren Ausschnittes des unteren Randes der Car- tilago thyreoidea befindlichen Stelle, welche bisweilen als ein 634 W. Gruber: Ueber d. Zungenbein-Schildknorp.-Hilfsband. einfacher oder sogar doppelter, rundlicher oder ovaler, flacher Höcker (*) von beträchtlichem Umfange hervorragt. Gestalt, Grösse u. s. w. Platt oder platt-rundlich strang- förmig, bald und häufiger in der Mitte schmäler und an den Enden breiter (bisquitförmig), bald von oben nach unten an Breite zu- oder abnehmend, ausnahmsweise gleichmässig breit. — Schon beim 7monatlichen Embryo 4 Lin. (Par. M.) lang; in der Mitte '/, Lin., an den Enden °/, Lin. breit. Bei Er- wachsenen 6—12 Lin. lang; '/,—2 Lin. in der Mitte, !/,—2!/, Lin. an den Enden breit; '/,—'!/, Lin. diek. — Ist fibrös-ela- stisch und enthält anscheinend mehr elastische Fasern als Bindegewebsfibrillen. — Ist durch die Bursa mucosa subhyoi- dea (b.) vom Lig. hyo-thyreoideum medium (c.) und durch et- was schlaffes Bindegewebe und Fett von der Eminentia thyre- oidea völlig geschieden, durch Bindegewebe auch von der Halsaponeurose getrennt, durch kurzes Bindegewebe aber fester mit der vorderen Wand der Bursa mucosa subhyoidea vereinigt. Abbildung. Os hyoideum mit Larynx und Trachea von einem Manne. a. Ligamentum hyo-thyreoideum accessorium. b. Bursa mucosa subhyoidea. e. Ligamentum hyo-thyreoideum medium. * Quer-ovaler Höcker zum Ansatz des Lig. hyo-thyreoideum accessoriam am Winkel der Cartilago thyreoidea, welchem am unteren Rande der linke Fortsatz mangelt. St. Petersburg im Mai 1868. W, Gruber: Ueber die Muskeln u. s. w. 635 Ueber die Muskeln des unteren Schildknorpel-- randes — Musculi thyreoideiı marginales inferiores. Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Taf. XV.B.) 1. Musculus inceisurae mediae transversus. Unter dem Namen Musculus thyreoideus transver- sus anomalus hatte ich 1345 diesen unteren Randmus- kel des Schildknorpels, welchen ich als Prosector in Prag an dem Kehlkopfe einer 50jährigen Frau gefunden hatte, deren Schildknorpel am Winkel abnorm niedrig war (4°/, Lin.), und am unteren Rande eine abnorm tiefe Incisura media besass, beschrieben und abgebildet). Die Untersuchung des im Prager Museum aufgestellten Prä- parates ergab folgende Beschreibung: Der Muskel liegt im Trigonum cricothyreoideum auf den oberen zwei Dritteln des abnorm hohen Ligamentum cricothy- 1) W. Gruber: „Neuer anomaler Kehlkopfsmuskel.“ Im Auf- satze: „Ueber die Anomalien der Art. cricothyreoidea ima und der Art. ericothyreoidea, in ihrer wichtigen Beziehung zu einigen cbirur- gischen Operationen.“ Oesterr. medic. Jahrb. Bd. 52. Wien 1845. S. 148. Fig. 8. No. 4. 636 e W. Gruber: reoideum medium, unter- und innerhalb der Incisura media des unteren Randes des Schildknorpels und zwischen den oberen Theilen der Mm. ericothyreoidei. Er entspringt fleischig von der Hälfte der Incisura media und dem Processus des unteren Randes des Schildknorpels der einen Seite und inserirt sich fleischig an die Hälfte der Ineisura und an den Processus der anderen Seite, und hat auch mit allen seinen Fasern Insertions- stellen am Ligamentum ericothyreoideum medium. Die obern kürzesten Bündel verlaufen quer, die mittleren und namentlich die unteren bogenförmig nach abwärts gekrümmt, von einer Seite zur anderen hinüber. Der Muskel ist 4'/, Lin. hoch und 7'/, Lin. breit. Der Muskel ist gelegentlich weder von mir noch von An- deren wieder gesehen worden. Trotzdem darf er als bedeu- tungsloses Curiosum nicht genommen werden, weil er in dem von Eschricht') bei Hylobates albifrons aufgefunde- nen und bei diesem Affen vielleicht constant vorkommenden M. transversus s. impar sein Analogon hat, also eine Thier- bildung ist. Bei den von mir seit 1860 geflissentlich vorgenommenen Massenuntersuchungen über den Kehlkopf wurde nebenbei auch nach diesem Muskel gesucht. Ic'ı fand den Muskel in der be- schriebenen Anordnung zwar auch nicht, aber ‘ich fand statt seiner im December 1863 am Kehlkopfe eines Mannes ein selbstständiges unpaares linkes, später an einem ande- ren Kehlkopfe ein paares und endlich an einem dritten Kehl- kopfe ein unpaares rechtes Schildknorpelrandmus” kelcehen, welche ich als wirkliche Repräsentanten sei- ner Hälften nehmen konnte. Nachdem ich jede dieser drei verschiedenen Beispiele wieder angetroffen hatte, schreite ich zur Beschreibung des neuen Muskelchens, worüber ich die Präparate in der Sammlung in St. Petersburg aufbewahre, I!) „Beschreibung einiger neuen Muskeln am Kehlkopfe eines langarmigen Affen (Hylobates albifrons).“ — Arch. f. Anat,, Physiol. u. wiss, Medicin, Berlin 1834. S. 218. Taf. Il. Fig. 2 u. 3. No. 2. Ueber die Muskeln des unteren Schildknorpelrandes. 637 2. Musculus incisurae mediae obliquus. (Fig. 1,,2, 3). Vorkommen. Seit dem ersten Funde des Muskels unter 160 darauf untersuchten Kehlköpfen an 6 (2 Mal beiderseits, 2 Mal rechterseits, 2 Mal linkerseits).. Das Muskelchen ist so- mit unter 26—27 Fällen 1 Mal, und häufiger unpaar als paar zu erwarten. Lage. An einer oder beiden Hälften der Incisura media des unteren Schildknorpelrandes knapp unter diesem (Fig. 1, a), oder häufiger lateralwärts unter demselben, medianwärts vor demselben und theilweise darüber an der vorderen Fläche der Platte des Schildknorpels (Fig. 2, 3 a); von dem Fortsatze des unteren Randes des letzteren bis gegen den Winkel; vor dem lateralen Theile des Ligamentum cricothyreoideum medium oder darüber und vor den Mm. ericothyreoidei recti; lateralwärts unter der Insertion der Mm. hyo-thyreoidei und am Fortsatze des unteren Schildknorpelrandes neben und hinter der Insertion der Mm. sterno-thyreoidei. Gestalt. Platt — spindelförmig. Grösse. 6-9 Lin. lang; '/—1 Lin. am lateralen Ende, !a—2 Lin. am Körper und medialen Ende breit; bis 1 Lin. dick. Ursprung. Längs der einen ganzen Hälfte der Incisura media des unteren Schildknorpelrandes, von der Stelle neben dem Schildknorpelwinkel angefangen, wie ein halb gefiederter Muskel, oder mit dem medialen Endtheile in einer Länge bis 2'/, oder 3 Lin. von diesem Rande und darüber 1 Lin. hoch von der vorderen Fläche der Schildknorpelplatte, welche da- selbst ein Höckerchen (Fig. 3, *) besitzen kann, neben dem Winkel, 1 Lin. auswärts von der Medianlinie und 1 Lin. vorn- wärts vom M. hyo-thyreoideus fleischig oder fleischig-sehnig. Verlauf. Schräg ab-, aus- und rückwärts. Ansatz. Sehnig an den vorderen Rand und an die Spitze oder äussere Seite des Fortsatzes des unteren Schild- knorpelrandes. Variante. In einem Falle (Fig. 2) war das linke un- 638 W. Gruber: paar vorkommende Muskelchen (a) doppeltsch wänzig. Das supernumeräre untere Bäuchchen («) endete mit einer feinen Sehne in die sehnige Partie der hinteren Fläche des M. sterno-thyreoideus. Substitution. Bei Mangel des Muskelchens war dieses an einem Kehlkopfe beiderseits durch eine feine Sehne, an einem anderen Kehlkopfe links durch ein 6 Lin. langes und '/, Lin. diekes Fleischbündel des M. thyreo-pharyngeus, an einem dritten und vierten Kehlkopfe wieder links durch ein Bündel vom M. ericopharyngeus vertreten. Bedeutung. Die Lage des paaren und unpaaren M. ob- liguus beschränkt sich, wie die des M, transversus, auf die In- ceisura media des unteren Schildknorpelrandes, sein Ursprung und seine Insertion findet, wie bei letzterem, an der Ineisura media und an dem Fortsatze des unteren Schildknorpelrandes statt, folglich kann der M. obliquus als Repräsentant einer oder beider Hälften des M, transversus genommen werden. Ist dies richtig, wie kaum bezweifelt werden kann, so hat der M. obliquus auch die Bedeutung derselben Thierbildung, wie der M. transversus, welche sich durch den M. obliquus nur in unvollkommeneren Graden erhalten hat, als durch den M. transversus. H. Luschka') glaubte in einem von ihm bisweilen beob- achteten sehnig-feischigen Bündel des M. erieothyreoideus, welches von der Basis des Unterhornes des Schildknorpels an dem unteren Rande seiner Platte entlang zum Ligamentum crico- ı thyreoideum medium ausgespannt ist, den M. cericothyreoideus überbrückt und zum Theil die Grenze zwischen M, cricothyre- oideus und hyo-thyreoideus abgiebt, die Hälfte des M. trans- versus gefunden zu haben. Gegen diese Deutung spricht aber, dass das Bündel eben nur ein solches des M, cricothyreoi- deus und kein selbstständiges Muskelchen ist, und dass dieses Bündel auf die Ineisura media des unteren Schildknorpel- randes, wie der M, transversus, sich nicht beschränkt, son- 1) Die Anat, des mensch! Halses, Tübingen 1862, 9. 275, Ueber die Muskeln des unteren Schildknorpelrandes. 639 dern darüber hinaus auch auf die Ineisura lateralis erstreckt, was beim M. transversus nicht der Fall ist. Abbildungen von Kehlköpfen von Männern, Fig. 1. a. Unmpaarer rechter Musculus ineisurae mediae obliquus. b.b. Mm. ericothyreoidei recti (anomaler Weise sich kreuzend). Fig. 2. a Unpaarer linker Musculus ineisurae mediae obliquus bicaudatus. «. Supernumeräres unteres Bäuchchen desselben. $. Abgesondertes Bündel des rechten M. hyo-thyreoideus. Fig. 3. a.a. Paarer Musculus incisurae mediae obliquus (*) Höckerchen am Schildknorpel zum Ursprunge des rechten Muskelchen. 25. Mai St. Petersburg, S. Juni 1868. 640 W. Gruber: Ueber den seltenen Schildknorpelhorn- Giessbeckenknorpelmuskel (Musculus kerato-arytaenoideus). Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Tafel XV.C.) Man kannte bis jetzt folgende 9 Arten anomaler Kehlkopf- muskeln: 1. M. thyreo-hyoideus superior, minor, azygos —- Sömmerring') — (zum Körper des Os hyoideum); 2. M. thyreo-hyoideus superior minor, pr — Morgagni°), Hal- ler?) — (zum Ende des Cornu majus desselben); 3. M. thyreo- syndesmieus — Sömmerring'); 4. M. thyreo-hyoideus late- ralis s. kerato-hyoideus — W. Gruber’); 5. M. thyreoideus transversus — Gruber‘); 6. M. kerato-cricoideus — Mer- kel?); 7. M. crieo-cornieulatus — Tourtual°); 8. M. thyreo- 1) De corp. hum. fabrica. Tom. III. Traj. ad Moen. 1796. p. 117. 2) Epist. anat. XI. art. 43. Patavii 1764. p. 112. 3) Elem. physiol. Tom. III. Libr. IX. Sect. I. p. 383. Lan- sannae 1766. 4) L. c. 5) Neue Anomalien etc. Berlin 1849. 4. p. 14. 6) „Neuer anomaler Kehlkopfsmuskel,“ Im Aufsatze: Ueber die Anomalien der Art. thyreoidea ima und der Art. ericothyreoidea in ihrer wichtigen Beziehung zu einigen chirurgischen Operationen. Oesterr. med, Jahrb. Bd. 52. Wien 1845. S. 148. Fig. 8. No. 4. 7) Anat. u. Physiol. d menschl, Stimm- u. Sprach-Organs. Leipz. 1857. 8. 8. 132. Fig. 44. d. 8) Neue Untersuchungen über den Bau des menschl. Schlund- und Kehlkopfs. Leipzig 1846. 8. S. 105. Ueber d. selten. Schildknorpelhorn-Giessbeckenknorpelmusk, 641 trachealis — Gruber!) und 9. die Varianten des M. levator glandulae thyreoideae mit Ursprung von verschiedenen Stellen der Cartilago thyreoidea — Meckel?), Gruber’), Berg- mann®), Luschka°). Zu diesen Arten gehört noch eine 10. Art, d. i. der Schild- knorpelhorn - Giessbeckenknorpelmuskel — M. ke- rato-arytaenoideus (Fig. a). Der Muskel liegt an der hinteren Kehlkopfwand zwischen dem lateralen Rande des M. crico-arytaenoideus posticus und der Cartilago thyreoidea. Er ist bandförmig, 9 Lin. lang, 3/,—1 Lin. breit und '/,; Lin. dick. Er entspringt sehnig von dem medialen Theile des hinteren convexen Randes des unteren Hornes der Cartilago thyreoidea neben dem Lig. kerato-cricoideum posticum inferius, wird noch am Horne ge- lagert fleischig, steigt an diesem eine kurze Strecke aufwärts, verlässt es und krümmt sich hinter dem Lig. kerato-cricoideum posticum superius medianwärts gegen den M. crico- arytaenoi- deus posticus, steigt zwischen diesem Muskel und der Carti lago thyreoidea an ersterem schräg auf- und einwärts und inserirt sich mit einer platten, 1'/,-Lin. langen und 1—1!/, Lin. breiten Sehne an den Processus muscularis der Cartilago arytaenoidea. Ich habe diesen Muskel bei geflissentlich vorgenommenen Untersuchungen von mehreren Hunderten von Kehlköpfen nicht beobachtet, gelegentlich aber 1865 an dem Kehlkopfe eines Mannes (Fig.), den ich in meiner Sammlung aufbewahre, und nur linkseitig angetroffen. Der Muskel kann somit nur äusserst selten vorkommen. St. Petersburg im Mai 1868. 1) Bull. de P’Acad. Imp. des sc. de St. Petersbourg. Tom. III. p. 153; Melang. biol. Tom. III. Livr. 4. St. Petersburg 1861. p. 475, Fig. 1 et2a. 2) Handb. d. menschl. Anat. Bd. 4. Halle u. Berlin 1820. S. 449. 3) Neue Anomalien. $. 13. 4) Anthropotom. u. zootom. Notizen. Müller’s Archiv f. Anat. u. s. w. 1855. S. 338. 5) Die Anat. des menschl. Halses. Tübingen 1862. 3. 299. Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 42 642 W. Gruber: Ueber eine neue Variante des Musculus thyreo- trachealis und über den Musculus hyo-trachealis. Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Tafel XV.D.)- In der Sitzung der math.-physic. Classe der Academie der 30. November A 4 . x DETELE | : Wissenschaften in St. Petersburg am |, Hecamper [800 wurde ein Aufsatz gelesen, welchen ich über den von mir entdeck- ten Schildknorpel-Luftröhrenmuskel — Musculus thy- reo-trachealis — eingesandt hatte. Der Aufsatz, in welchem nicht nur der neue Muskel ausführlich geschildert ist, sondern auch die bis dahin gekannten 7 andern Arten supernu- merärer Larynxmuskeln zusammengestellt sind, erschien 1861 9). Der M. thyreo-trachealis ist daselbst als der am häu- figsten ('/, d. F.) vorkommende supernumeräre Larynxmuskel bezeichnet, als paarer oder unpaarer, (häufiger) oder, durch Verschmelzung der Muskeln beider Seiten (i. ’/, d. F.), zwei- köpfiger auftretend angegeben. In den ersteren beiden Fällen I) W. Gruber: „Ueber den neuen Schildknorpel - Luftröhren- muskel — M. thyreo-trachealis Mit zwei Holzschnitten. —, Bull. de l’Acad. Imp. des sc, St. Petersbourg., Tom, III, 1861. 4, p 153 -157. M&lang. biolog. Tom. III. Livr. 4. 1861. 8. p. 475 —481. Ueber eine neue Variante u. s. w. 643 ist der Muskel bandartig, bis 5 Cent. lang, bis 5 Mm. breit und bis 1 Mm. dick; in letzterem “Y förmig, bis 3 Cent. 5 Mm. lang, am Körper bis 15 Mm. breit und bis 2 Mm. dick. Seine Lage hat er oben in dem von den Mm. cricothyreoidei be- grenzten Trigonum cericothyreoideum vor den seitlichen Theilen des Lig. cricothyreoideum medium oder daneben vor den ge- nannten Muskeln; weiter unten vor der Mitte des Bogens der Cartilago cricoidea, ganz unten vor dem obern Theile der Trachea hinter dem Isthmus der Glandula thyreoi- dea. Stellen des seitlichen Theils des mittleren Ausschnittes des unteren Randes der Cartilago thyreoidea bis zum Processus dieses Randes lateralwärts, oder diese letzteren allein, neben, vor oder sogar hinter den Mm. cricothyreoidei dienen dem Muskel zum Ursprung. Der Verlauf des einköpfigen Mus- kels und der Köpfe des zweiköpfigen Muskels ist schräg. Der Muskel endet fast immer und in verschiedener Höhe: sehnig und zwar in eine dünne, verschieden kurze oder lange, bis’ 12 Mm. breite, gewöhnlich dreieckige Aponeurose, deren strah- lenförmig auseinander fahrende Fasern sich mit dem Perichon- drium der Trachea in verschiedener Höhe und Ausdehnung am 1.—-9. Trachealring vereinigen. Bei den seit Jahren angestellten Massenuntersuchungen über den Larynx, deren Resultate zu seiner Zeit werden ver- öffentlicht werden, beobachtete ich 1863 an der Leiche eines l5jährigen Knaben einen unpaaren rechtseitigen M. thy- reo-trachealis biceps, welcher seinen Verlauf vor dem Isthmus der Glandula thyreoidea zur Trachea nahm; und 1861 an der Leiche eines Weibes eine andere Art von ano- malen Trachealmuskeln, d. i. einen paaren M. hyo-tra- chealis. h a. Vor dem Isthmus der Glandula thyreoidea verlaufender Musculus thyreo-trachealis. (Fig.) Der Muskel (a) entspringt von der rechten Hälfte des unteren Randes des mittleren Ausschnittes des unteren Randes. der Oartilago thyreoidea vor dem Ursprunge des M. cerieothy- 42* 644 W, Gruber: reoideus mit zwei bandartigen Bündeln oder Köpfen, einem medialen (:) vor dem medialen Rande des M. cricothyreoideus und einem lateralen (?); von ersterem 1'/,—2 Lin. lateralwärts und eben so weit: vom Processus des unteren Randes der Car- tilago thyreoidea entfernt medianwärts. Beide Bündel ver- laufen vor dem M. cricothyreoideus, diesen kreuzend, dann vor dem Isthmus der Glandula thyreoidea schräg ab- und medianwärts. Gegen ihr Ende vor dem Isthmus: vereini- gen sie sich zu dem kurzen Körper des Muskels, welcher am 4. Trachealring in eine Aponeurose endigt, die mit strahlig auseinander fahrenden Fasern mit dem Perichondrium der Tra- chealringe sich vereinigt und vom 4. Ring angefangen abwärts an die Trachea sich inserirt. Der Muskel ist 4 Cent. lang; an den Köpfen 3—3'/, Mm., am Körper 3'/,—4 Mm. breit; bis I Mm. dick. Der um den Isthmus der Glandula thyreoidea wie eine Schleife gebogene Muskel wirkt nicht nur wie der gewöhnliche M. thyreo-trachealis, sondern trägt auch dazu bei, die Glandula thyreoidea in ihrer Lage zu erhalten. An demselben Präparate sind noch 3 für den rechten Lappen der Glandula thyreoidea bestimmte Mm. leva- tores zu sehen. Ein Levator (b.) entspringt vom rechten Processus des unteren Randes der Cartilago thyreoidea und en- digt an einem Höcker des oberen Randes des rechten Lappens der Glandula thyreoidea neben deren Isthmus; ein anderer (e.) kommt von dem nächst hinteren Bündel des M. hyothy- reoideus und begiebt sich zur hinteren Fläche des rechten Lappens der Glandula thyreoidea unter dessen oberem vorderen Rande; ein dritter (d.) endlich kommt mit einem Bündel von dem hintersten Bündel des M. hyothyreoideus, mit dem anderen vom M. thyreopharyngeus, und befestigt sich an die Spitze des rechten Lappens der Glandula thyreoidea., Das Präparat habe ich in meiner Sammlung aufbewahrt. b. Musculus hyo-trachealis. Der rechte Muskel entspringt vom vorderen Ende des grossen Hornes des Os hyoideum, der linke von da und mit einigen Bündeln vom Körper desselben. Der 5 Mm, breite 'und Ueber eine neue Variante u. s. w. 645 1 Mm. dicke Muskel steigt jederseits auf dem entsprechenden M. hyothyreoideus 5 Mm. rückwärts von dessen vorderem Rande, dann medianwärts vom M. sternothyreoideus, auf dem M. crico- thyreoideus hinter dem Isthmus der Glandula thyreoi- dea abwärts. Am ersten Trachealring. endet er in eine Apo- neurose, welche sich, am ersten bis dritten Trachealring mit deren Perichondrium vereinigt, an die Trachea inserirt. An der rechten Seite des Larynx ist ausserdem ein M. thyreo-trachealis zugegen, der am ersten Trachealring Sehnig endet. An der linken Seite sind zwei vor einander liegende Mm. levatores glandulae thyreoideae vorhan- den. Der oberflächliche dieser Muskeln entspringt über dem mittleren Ausschnitte des untern Randes der Cartilago thy- reoidea von dieser neben dem M. hyothyreoideus und endet an der vorderen Fläche des Isthmus der Glandula thyreoidea; der tiefe entspringt am Rande des genannten Ausschnittes neben dem M. ericothyreoideus und heftet sich an die hintere Seite des Isthmus der Glandula thyreoidea. Erklärung der Abbildung. a. Musculus thyreo-trachealis biceps. «. Medialer Kopf. $. Lateraler Kopf. b., c., d. Mm. levatores glandulae thyreoideae. St. Petersburg im Mai 1868. 646 W. Krause: Ueber die Nerven-Endigung innerhalb der motorischen Endplatten. Von Dr. W. Krause, Prof. in Göttingen. Die motorischen Endplatten des Frosches dürften bisher nur unvollständig erkannt worden sein. Dieselben sind von bedeutender Länge, z. B. 0,24 Mm. im Maximum, aber gerin- ger Breite, z. B. 0,015—0,03; sie haben dabei nur die unbe- deutende Dicke von 0,003 Mm. Characterisirt sind sie durch ihre sehr längliche Form, die selbst dann auftritt, wenn die Dimensionen der ganzen Endplatte sich viel geringer als die oben angegebenen herausstellen, was mitunter vorkommt. Zwi- schen den kreisförmigen Endplatten der Säuger, Vögel und Reptilien einerseits und den länglichen der nackten Amphibien und Fische andererseits bilden die Endplatten der Schildkröte vermöge ihrer ovalen Form eine Mittelstufe. Die Endplatten des Frosches enthalten 4—5 Kerne, etwas granulirte Substanz, deren Körnchen bis zu 0,001 Mm. messen, und blasse sich durch Goldchlorid färbende Terminalfasern, welche aus den eintretenden Nervenfasern hervorgehen. Letz- tere sind entweder einzeln vorhanden, so dass eine dicke dop- pelteontourirte Nervenfaser mittelst der Endplatte aufhört; oder eine solche Faser theilt sich eine kürzere oder längere Strecke, bevor sie an die Endplatte herantritt, in zwei bis drei Nerven- fasern, die noch von Neurilem umhüllt werden. Dieselben sind Ueber die Nerven-Endigung u. s. w. 647 entweder doppeltcontourirt und zugleich kürzer, oder sehr fein und zugleich von längerem Verlaufe, ehe sie zu der motorischen Endplatte gelangen. Jede Muskelfaser ist, wie bei den Säuge- thieren, ungefähr in der Mitte ihrer Länge mit nur einer ein- zigen Endplatte versehen, zu welcher nach dem Gesagten aber mehrere doppeltcontourirte Nervenfasern treten können. Wie immer die zutretenden Nervenfasern beschaffen sein mögen, stets gehen aus denselben durch Theilung mehrere blasse Terminalfasern von etwa 0,002 Mm. Dicke hervor. Dieselben verlaufen parallel der Längsrichtung ihrer Muskelfaser, wäh- rend die zu der Endplatte tretenden, von Neurilem bekleideten Nervenfasern theils in der Querrichtung der Muskelfasern, theils deren Längsrichtung folgend zu denselben gelangen. Die blassen Terminalfasern bleiben nun entweder unver- ästelt, indem sie sich neben den Kernen der Endplatte hin er- strecken, oder sie theilen sich, sei es sofort, sei es erst wäh- rend ihres Verlaufs innerhalb der Endplatte in sehr zahlreiche, nur 0,008 Mm. dicke Aeste, die mit kleinen knopfförmigen End- anschwellungen aufhören. Die letzteren dürfen nicht mit der sehr sparsamen, oben erwähnten, fein granulirten Masse ver- wechselt werden. Die Länge dieser Aeste kann bis zu 0,05 Mm. betragen, und eine unglaublich reichhaltige Nerven-Verbreitung sich finden. Manchmal stellen sie ganz kurze Auswüchse der beschriebenen breiteren Terminalfasern dar. In der Profilansicht bedingen diese sehr zahlreichen Endanschwellungen eine gegen die contractile Substanz gerichtete feine Zähnelung. Nachdem diese Verhältnisse, die trotz ihres mannigfaltigen Wechsels beim Frosch vielleicht am besten zu beobachten sind, einmal festgestellt waren, gelang es bei Lacerta agilis und im M. retractor bulbi der Katze mit Hülfe von Goldchlorid eine ganz analoge Vertheilung sehr feiner, vielfach verästelter, blas- ser Terminalfasern innerhalb der motorischen Endplatten wahr- zunehmen. Die bisher sogenannte „feinkörnige Substanz“ der Endplatten besteht, wie sich mit besseren Hülfsmitteln zeigen lässt, zum grössten Theile aus nichts Anderem, als den knopf- förmigen Endanschwellungen und optischen Querschnitten von solchen sehr feinen und blassen Terminalfasern, Obgleich mit- 648 W. Krause: Ueber die Nervenendigung u. s. w. unter einzelne der letzteren auch ungetheilt mit einer etwas dickeren Endanschwellung aufhören, so kommen doch niemals membranartige Ausbreitungen vor. Bei der Goldchlorid-Methode hat man sich besonders vor der Verwechselung mit elastischen Fasern zu hüten, welche sich ebenfalls schwarz färben. Nachdem an Fischen (Hecht) analoge Resultate wie beim Frosch erhalten waren, lässt sich nicht bezweifeln, dass die- selben für sämmtliche Wirbelthiere Gültigkeit haben. Für den Sachkenner bedarf es keiner Auseinandersetzung, dass in den jetzt festgestellten Thatsachen alle bisherigen auf unbefangener Naturbeobachtung beruhenden Beschreibungen ihre Bestätigung finden. Die Details sind beim niederen Wirbelthier in hohem Grade wechselnd und mannigfaltig, woraus sich die bisher be- stehenden Schwierigkeiten für die Erkennung der wirklichen Verhältnisse von selbst ergeben. Die noch obschwebenden Con- troversen lassen sich sämmtlich mit Leichtigkeit aufklären, worüber indessen weitere Mittheilungen vorbehalten werden. Göttingen, den 20. Juli 1868. W. Laschkewitsch: Ueber die physiol. Wirkung u. s. w. 649 Ueber die physiologische Wirkung des Cyan- (ases. Von Dr. W. LASCHKEWITSCH aus St. Petersburg. Die Existenz der Cyan-Hämoglobinverbindungen unterliegt, Dank den Arbeiten von Preyer und Hoppe-Seyler, keinem Zweifel mehr. Nicht blos Cyan-Wasserstoff, sondern auch Cyan- kalium treten mit Hämoglobin in chemische Verbindung ein. Was aber Cyangas anbelangt, so sind seine Beziehungen zu dem Blut und thierischen Organismus so wenig bestimmt, dass Dr. Hermann in seinem Buche dasselbe mit vollem Rechte in die Reihe der Gase von unbekannter Wirkung gestellt hat (Grundr. der Phys. des Menschen S. 153). Ich habe daher im Laboratorium des Herrn Profes- sor du Bois-Reymond eine Reihe von Versuchen ange- stellt, um die Wirkung des Cyangases auf das Blut und den thierischen Organismus näher kennen zu lernen. Das Cyangas wurde auf gewöhnliche Weise durch Zersetzung des Quecksilber- Cyans dargestellt. Meine erste Aufgabe war, die Wirkung des Cyangases auf das Blut zu prüfen. Leitet man Cyangas durch frisches, defibrinirtes Blut, so verliert das letztere allmählich seine Farbe und wird nach einiger Zeit vollständig dunkel. Bringt man einen Tropfen von solchem Blute unter das Mikros- kop, so findet man die Blutkörperchen klumpenweise schwim- men in geldrollenähnlichen Säulen, wie es gewöhnlich der Fall 650 W. Laschkewitsch: ist. Einige von ihnen haben ihre Form geändert, sind länglich sternförmig geworden, einige vollständig zerstört, zum grössten Theil aber behalten sie ihr normales Aussehen. Untersucht man solches Blut speetroscopisch, so sieht man auf ihrer gewöhn- lichen Stelle beide Oxy-Hämoglobinstreifen, nur sind dieselben ziemlich blass. Diese Blässe ist besonders wahrzunehmen in dem breiteren Streifen, der näher zu E liegt. Wird das Gas während der Beobachtung durchgeleitet, so ist leicht zu sehen, dass das Blasswerden an dem breiteren Streifen anfängt, indem es sich allmählich in der Folge auf den zweiten Streifen fort- setzt. Bei weiterer Durchleitung des Gases schwinden die bei” den Oxyhämoglobinstreifen, anstatt deren eine breite Linie mit verwischten Rändern zum Vorschein tritt, grade so wie es bei der Einwirkung von reducirenden Stoffen der Fall ist. Daraus wäre denn zu schliessen, dass das Oyangas auf das Oxyhämo- globin reducirend wirken müsse. Weitere Untersuchungen aber haben uns gezeigt, dass die Wirkung des Cyans auf das Hämo- globin viel weiter geht Es ist nämlich bekannt, dass das re- dueirte Hämoglobin Sauerstoff wieder aufnimmt, sobald es mit demselben nur in Berührung kommt, und in Folge dessen die beiden Absorptionsstreifen im Speetrum wieder erscheinen. Die reducirenden Stoffe rauben also nicht dem Hämoglobin die Fähigkeit, sich mit Sauerstoff zu verbinden. Anders verhält es sich bei der Einwirkung des Cyans auf eine Hämoglobinlösung. Die verschwundenen Absorptionsstreifen treten nicht mehr auf, trotz langen Schüttelns mit der Luft, was für die Zerstörung des Hämoglobins durch Cyangas spricht. Dieser Umstand ver- anlasste mich, die Wirkung des Cyans auf eiweisshaltige Flüs- sigkeit zu prüfen. Es wurde Cyangas in eine Lösung von Ei- weiss durchgeleitet, nach einiger Zeit wurde die klare Flüssig- keit opalescent und bald darauf kam eine schwache Trübung zum Vorschein. Wir sehen also, dass das Cyangas auf Biweiss- stoffe alterirend wirkt. Wichtig wäre es, die Absorptionsfähig- keit des Blutes für Cyan genau zu bestimmen; bei der schnellen Zersetzbarkeit des Cyans in Flüssigkeiten lassen sich leider kaum sichere Resultate hierbei erwarten, und wir sehen uns daher genöthigt, von dieser Untersuchung vor der Hand abzustehen. Ueber die physiologische Wirkung des Cyan-Gases. 651 Ferner untersuchte ich den Einfluss des Cyans auf Flimmer- bewegung. Verfolgt man unterm Mikroskope die Flimmerbewe- gung unter dem Einflusse einer wässerigen Lösung des Cyans, so beobachtet man, dass eine schwache Lösung die Flimmer- bewegung beschleunigt, eine concentrirtere aber dieselbe auf- hebt; das Verhalten des Cyans in diesem Falle ist also dasselbe wie das des Ammoniaks. Ueber die Wirkung des Cyans auf den thierischen Orga- nismus finden wir nur eine kurze Angabe bei Eulenberg in seinem Buche: „Die Lehre von den schädlichen und giftigen Gasen.“ Eulenberg giebt nämlich an, dass das Cyan zuerst reizend auf die Nasen- und Augenschleimhaut wirkt, dann hef- tige Krämpfe hervorruft, unter denen das Thier zu Grunde geht. Bei der Obduction ist besonders auffällig, wie schnell das Blut die hellrothe Farbe annimmt. (Dieses letztere ist mir jedoch nicht gelungen zu beobachten.) Das ist alles, was wir bei Eulenberg über die Wirkung dieses Stoffes vorfinden. Ich stellte es mir daher zur Aufgabe, über die Wirkung des Cyans eine eingehendere Untersuchung zu unternehmen. Zu meinen Versuchen benutzte ich sowohl kaltblütige Thiere, wie Frösche, Eidechsen und Tritonen, als auch warm- blütige, wie Vögel, Kaninchen und Meerschweinchen. Setzt man unter eine Glocke einen Frosch oder Eidechse und leitet man dann Cyan durch, so zeigt sich das Thier zuerst unruhig, schliesst die Augen zu, die Haut erscheint reichlich mit Secre- tion bedeckt, das Thier bekommt bald ein stumpfes Aussehen und dann treten Krämpfe ein. Wird das Thier aus der Glocke herausgenommen, so hören bald die Krämpfe auf, das Thier bleibt aber dann paralysirt. Die Hautsensibilität ist beträcht- lich gesunken: verdünnte Säuren, die beim normalen Frosche starken Reflex hervorrufen, bleiben hier ganz ohne Reaction, oder bringen höchstens sehr schwache Reflexe hervor. Das bloss- gelegte Herz dieser Thiere steht in der Diastole still. Tritonen in Wasser gelegt, das mit Cyan gesättigt war, sterben bald ab. Warmblütige Thiere verhalten sich beinahe ebenso, mit dem Unterschiede nur, dass bei allen die Symptome der Cyanver- giftung sich schneller entwickeln und stärker ausgeprägt waren. 652 W., Laschkewitsch: Kaninchen und Meerschweinchen, die unter eine Glocke gesetzt wurden, zeigten beim Durchleiten von Cyan Unruhe, thränende Augen, Schleimabsonderung der Nase, wobei die Thiere wie be- täubt auf die Seite fielen, von starken Krämpfen befallen wur- den, unter denen sie rasch zu Grunde ‘gingen. Mit Ausnahme der Cyanose der Lippen, Lunge, Conjunctiva palpebrarum und einer Ueberfüllung der Pia mater waren keine besonderen Er- scheinungen an den durch Cyan vergifteten Thieren zu bemer- ken. Das Blut aus dem Herzen zeigte bei der Spectralanalyse die Oxyhämoglobinstreifen. Die grösste Empfindlichkeit gegen Cyan zeigten Vögel: verhältnissmässig unbedeutende Mengen des Cyans genügten, um Sperlinge und Meisen augenblicklich zu tödten. Wenn man die Thiere bei den ersten Zeichen der Cyanwirkung aus der Glocke befreit und der Luft aussetzt, so erholen sich dieselben in 2—3 Stunden. Man bemerkt an ihnen in dieser Zeit Sensibilitätsverlust, krampfhafte Bewegung des Diaphragma, während die Thiere in tiefer Narcose sich befinden. Folglich sind die Haupterscheinungen der Cyanvergiftung Be- täubung des Thieres mit Sensibilitätsverlust und starke teta- nische Krämpfe. Wenn wir der Ursache dieser Wirkung des Cyans nachforschen, so müssen wir unbedingt dem Nerven- system den Hauptantheil an allen eben beschriebenen Erschei- nungen zuschreiben, aber diese Erscheinungen könnten sich ebenso primär wie consecutiv ausbilden. Die Gehirnanämie wird dieselben Symptome zur Folge haben, ob sie durch Gefässver- engerungen, oder durch plötzlichen Stillstand des Herzens her- vorgerufen wird. Es lag folglich die Aufgabe vor, zu eruiren, ob Anämie oder der directe Einfluss des Cyans auf's Gehirn die oben erwähnten Erscheinungen hervorbrachten. Einem grossen Kaninchen wurden beide Sympathiei am Halse durchschnitten, um auf diese Weise der Möglichkeit einer spas- modischen Zusammenziehung der Gefässe und der dadurch be- dingten Gehirnanämie mit dieselbe begleitenden Krämpfen, soweit diese Erscheinungen in causalem Verhältnisse zu einander stehen, vorzubeugen. Das Thier ward darauf vergiftet, Das Resultat fiel im negativen Sinne aus: Die Krämpfe erfolgten ganz in derselben Weise, wie ohne vorherige Durchschneidung der Sym- Ueber die physiologische Wirkung des Cyan-Gases, 653 pathici. Damit ist jedoch die Frage noch lange nicht erledigt. Wir haben Stillstand des Herzens an Fröschen, Tritonen ‚und Eidechsen, die mit Cyan vergiftet waren, beobachtet, es wäre leicht zu vermuthen, dass die Krämpfe eben durch den letzt- genannten Umstand bedingt seien. Zur Lösung dieser Frage unternahmen wir auf Anrathen des Prof. Rosenthal folgenden Versuch. Zum Zwecke der un- mittelbaren Beobachtung der Herzthätigkeit wurde dem Versuchs- kaninchen der Thorax geöffnet, worauf künstliche Athmung ein- geleitet und im Verlaufe des ganzen Versuches unterhalten ward. Die eingeblasene Luft strich durch ein Müller’sches Ventil, das mit Wasser gesperrt war. Durch ein seitliches Rohr, wel- ches gleichfalls unter Wasser mündete, konnte dieser Luft das Cyangas in beliebigen Mengen beigemischt werden. Diese be- queme und exacte Methode ist von Prof. Rosenthal für. das Studium der Wirkung von Gasen erfunden und schon öfter an- gewendet worden. Sobald das Cyangas einmal eingeathmet war, stand das Herz einen Augenblick still in der Diastole, bald aber fing das Herz wieder an zu schlagen, wiewohl langsamer, je- doch vollkommen regelmässig und kräftig; die tetanischen Krämpfe stellten sich auch hier bald ein. Kein Zweifel also, dass die Krämpfe in keinem causalen Zusammenhange mit dem beobachteten Berzstillstande stehen. Es bleibt also nur anzu- nehmen, dass das Cyangas bei seinem Eindringen (durch das Blut) in’s Gehirn in demselben eine Reizung hervorruft, die das Zustandekommen der Krämpfe zur Folge hat. Diese An- nahme wird noch dadurch unterstützt, dass das Cyangas auf einen frisch ausgeschnittenen Nerven geleitet, denselben in einen Reizungszustand versetzt. Es bleibt noch übrig über die Wirkung des Cyan’s auf's Herz zu berichten. Wir haben oben erwähnt, dass unter an- deren Symptomen bei Cyanvergiftung man immer Stillstand des Herzens in der Diastole vorfand, obwohl derselbe bei Kaninchen nur kurz andauertee Beim Durchschneiden der beiden Vagi wird dies nicht beobachtet, obgleich das Herz sich viel lang- samer contrahirte. Das zeigt, dass Cyan den Stillstand des Herzens durch die Einwirkung auf die Ursprünge der Nn. vagi 654 W. Laschkewitsch: Ueber die physiol. Wirkung u. s. w. in der Medulla hervorruft, nebenbei aber auch etwas auf die Herzcentra einwirkt. Alle diese Versuche lassen uns über die Einwirkung des Cyans zu folgenden Schlüssen kommen: l. Cyan geht mit Hämoglobin keine chemische Verbindung ein, obwohl dasselbe darauf eben so verändernd wie auf andere Eiweisskörper wirkt. 2. Die Flimmerbewegungen der Epithelien werden verstärkt oder ganz aufgehoben durch wässerige Cyanlösung, je nach der Concentration der Lösung. 3. Die starken tetanischen Krämpfe haben ihre Ursache in der Einwirkung des Cyans auf das Central-Nervensystem. 4. Herzstillstand wird durch die Reizung der Nn. vagi her- vorgerufen. 5. Auf die peripherischen Nerven wirkt Cyan als mächtiger Reiz. 6. Das Blut der mit Cyan vergifteten Thiere zeigt bei Spec- traluntersuchung deutlich die beiden Oxyhämoglobin- streifen. Berlin, Anfangs August 1868. (sb | S Mayer: Ueber den zeitlichen Verlauf n. s w. 65 Ueber den zeitlichen Verlauf der Schwankung des Muskelstromes am Muse. gastroenemius. Von DR. SiIGmunp MAYER in Heidelberg. Bernstein hat den zeitlichen Verlauf der negativen Schwankung des Muskel- und Nervenstromes mit Hülfe eines zu diesem Zwecke construirten Apparates,untersucht. Eine vor- läufige Mittheilung der Leistungen dieses Apparates und der damit gewonnenen Resultate ist der Akademie der Wissenschaf- ten in Berlin!) vorgelegt worden. Mit Hülfe ganz derselben Versuchsanordnungen, deren aus- führliche Darlegung durch Bernstein demnächst erfolgen wird, habe ich nun den zeitlichen Verlauf der Schwankung des Mus- kelstromes am Muse. gastrocnemius untersucht. Da die Ver- suche von Bernstein sich nur auf den regelmässig gebauten, parallelfaserigen Muskel (Musc. sartorius) des Frosches beziehen, so schien die Ausdehnung derselben auf den unregelmässig ge- faserten, mit natürlichem Querschnitt versehenen Musc. gastro- cnemius nicht ohne Interesse zu sein. Der M. gastrocenemius wurde in der gewöhnlichen Weise präparirt und vom N. ischiadicus aus in Contraction versetzt. Die Ableitung zum Galvanometer geschah von der Achillessehne und dem natürlichen Längsschnitt am oberen Ende der Rücken- fläche des Muskels. Die Versuche ergaben nun, dass man während des Ablaufes der Schwankung an letzterer zwei Stadien unterscheiden muss. In dem ersten Stadium ist die Schwankung eine negative, der Strom erleidet eine Abnahme, in dem zweiten Stadium ist die Schwankung eine positive, der Strom erleidet eine Zunahme. ı) Monatsberichte der Berliner Akademie. Sitzungen vom 14. Fe- bruar und 18. Juli 1867. 656 S. Mayer: Ueber den zeitlichen Verlauf u. s. w. Die Curve der Schwankung besteht somit aus zwei Abschnitten, einem negativen und einem positiven, wenn man die jeweiligen Höhen des Stromes als Ordinaten auf die Abscisse der Zeit auf- trägt. Das Maximum der negativen Schwankung übertrifft für gewöhnlich das Maximum der positiven. In einer kleinen Tabelle stelle ich für 10 Versuche die für einzelne Theile der Schwankungscurve berechneten Zeit- werthe in Secunden zusammen. Es bedeutet t die Zeit vom Moment der Reizung bis zum Anfang der negativen Schwankung, T die Zeit vom Moment der Reizung bis zum Ende der positiven Schwankung, — M die Zeit vom Moment der Reizung bis zum Auftreten des Maximums der negativen Schwankung, +M die Zeit vom Moment der Reizung bis zum Auftreten des Maximums der positiven Schwankung. Nummer a | +M R | Bun nm 0,010 | 0,020 1 | 0,0034 | 0,008 2 0,0040 | 0,007. . -0,010 0,020 3 0,0040, 1, „WON m ande a a U OO | OHR 5 au Bu hr PIOID 6 us 24 0,017 0,020 7. 0,014 | 0,018 810-101 9014 | 0,017 90.1.0006 0,008 | 0,013 10 — 1.0006 0,010 | 0,012 Mittel | 0,0038 | 0,007 |' 0,012 ' 0,017 Diese Zahlen ergeben nun, dass die Schwankungscurve zum grösseren Theile noch in das Stadium der latenten Rei- zung hineinfällt. Die Differenzen in den einzelnen Versuchen erklären sich wohl hinreichend aus der verschiedenen Länge der Muskeln, ihrer variabeln Erregbarkeit und dem damit in Zusammenhang stehenden ungleichmässigen Beginne der Con- traction, Die Schwankung des Muskelstromes zeigte die beschriebe- nen Eigenschaften sowohl an ausgespannten Muskeln, als an sol- chen, die den Elektroden frei auflagen. An Muskeln mit star- kem Muskelstrom habe ich den positiven Theil der Curve gewöhnlich vermisst, während die Curve regelmässig die be- schriebene ist, wenn die Muskeln von Haus aus schwach elek- tromotorisch wirksam, oder durch Aufbewahren der Frösche in Eis künstlich parelektronomisch gemacht worden waren. F. C. Donders: Die Schnelligkeit psychischer Processe. 657 Die Schnelligkeit psychischer Processe. Von F. ©. DoNDeRrs. Erster Artikel. Einleitung. Während die Philosophie sich im Abstracten mit der Be- trachtung der psychischen Erscheinungen beschäftigt, hat die Physiologie, über die Resultate der Philosophie verfügend, den Zusammenhang zwischen diesen Erscheinungen und der Gehirn- thätigkeit zu untersuchen. Auf morphologischem Gebiet springt dieser Zusammenhang sogleich in’s Auge. Gegenüber den be- kannten Thatsachen der vergleichenden Anatomie und Anthro- pologie ist jeder Zweifel über das Bestehen eines solchen Zu- sammenhangs unhaltbar. Aber die Physiologie kann sich mit diesem allgemeinen Resultat nicht zufrieden stellen. Im Ver- band mit den Störungen, die bei krankhaften Veränderungen beobachtet werden, sucht sie durch das Experiment die ver-” schiedenen psychischen Fähigkeiten soviel wie möglich zu lo- ealisiren und vor Allem der Art der Thätigkeit, welche die psychischen Erscheinungen begleitet, auf die Spur zu kommen. Mit der Untersuchung des feineren Baues des Gehirns verbin- det sie deshalb die der chemischen Zusammensetzung und der Umsetzung seiner Bestandtheile. Sie constatirt, dass bei Blut- verlust oder unterdrückter Herzthätigkeit das Bewusstsein ver- loren geht, sie lernt daraus, dass regelmässige Zufuhr von Blut Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 43 658 F. C. Donders: eine Bedingung für psychische Processe ist, — und sie schliesst, dass dem Leben des Gehirns Stoffwechsel zu Grunde liegt. Sie überzeugt sich nun weiter, dass, ebenso wie in anderen Orga- nen, das Blut bei Ernährung des Gehirns eine Veränderung er- leidet, und findet bei Vergleichung des ein- und austretenden Blutes, dass Sauerstoff verbraucht, Kohlensäure gebildet und Wärme entwickelt wird. Sie weiss, dass Wärme aus anderen Formen von Arbeitsvermögen entstanden sein kann, z. B. aus elektromotorischer Thätigkeit, welche sie in dem Gehirn an- nehmen darf, nachdem sie in den morphologisch und chemisch damit übereinstimmenden Nerven ihre Anwesenheit erwiesen hat. Sie setzt sich weiter zum Ziel, durch fortgesetzte Unter- suchung alle Phasen des chemischen Processes im lebenden Gehirn aufzuspüren, und der Reihe von Umwandlungen, die mit chemischem Arbeitsvermögen beginnt und mit Wärme en- digt, Schritt für Schritt zu folgen. Und überzeugt, dass die Erscheinungen nur durch Messen und Wägen auf Gesetze zu- rückgebracht werden können, wird sie nicht ruhen, ehe sie, mit der Art, die Quantität der Umsetzung und der umgesetzten Stoffe bestimmt und darin das Aequivalent für die verschiede- nen Formen von Arbeitsvermögen gefunden haben wird. Aber wird jemals die psychische Thätigkeit in die Kette der sich transformirenden Kräfte aufgenommen werden können? Soviel wir sehen, besteht dazu nicht die geringste Aussicht. Das Wesen aller Formen von Arbeit und Arbeitsvermögen, die wir kennen und messen, ist Bewegung oder Bedingung von Be- wegung, und niemand kann sich eine Vorstellung machen, wie „us Bewegungen, auf welche Weise sie auch combinirt seien, Bewusstsein oder irgend eine psychische Thätigkeit entstehen könne. Psychische Thätigkeit ist, so wie wir sie an erster Stelle in uns selbst wahrnehmen, in Form und Wesen voll- kommen eigenthümlich. Nirgends zeigt sie einen Uebergang oder Verwandtschaft zu anderen Naturerscheinungen, und das (Gesetz von der Erhaltung der Kraft, welches, für alle bekannten Naturkräfte gültig, bei jeder Untersuchung als leitendes Prineip angenommen wird, ist vollkommen ausser Macht, die psychi- schen Erscheinungen unter seine Herrschaft zu bringen. Denn, Die Schnelligkeit psychischer? Processe. 659 abgesehen von ihrer specifischen Natur, die ihr Entstehen aus chemischer Spannkraft ebenso undenkbar macht, als ihre Um- wandlung in Wärme oder elektrische Bewegung, lassen sie sich ja weder messen noch wägen, und wir kennen für Gefühl, Ver- stand oder Wille keine Einheit, womit sie sich in Zahlen aus- drücken lassen. Die Frage, welche die Physiologie sich vorzulegen hat, ist dann einfach diese: Was geschieht in dem Gehirn, während wir fühlen, denken und wollen? — Man sieht sogleich ein, dass diese Fassung nichts präjudicirt, wie sie auch nichts präjudi- eiren darf. Aber wir müssen auch erkennen, dass die voll- ständige Beantwortung, d. i. eine innerhalb unseres jetzigen Gesichtskreises vollkommene Kenntniss der Gehirnthätigkeit, wo- mit jeder psychische Process verbunden ist, uns dem Verständ- niss der Art dieses Zusammenhangs keinen Schritt näher brin- gen würde. Eine Erklärung der psychischen Erscheinungen, in dem Sinn, worin wir Erscheinungen erklärt nennen, wäre nur erreichbar, wenn sie auf ein allgemeines Gesetz, wie das von der Erhaltung der Kraft, zurückgeführt werden könnten, und hierzu scheint, wie wir sahen, a priori die Aussicht abge- schnitten. Aber ist denn bei psychischen Processen jede quantitative _ Behandlung ausgeschlossen? Keineswegs! Ein wichtiger Factor schien der Messung zugänglich: ich meine die Zeit, die für ein- fache psychische Processe gebraucht wird. Für die Entschei- dung der Frage, ob wir Recht haben, den im Allgemeinen be- wiesenen Zusammenhang auf besondere Fälle anzuwenden, mit anderen Worten, ob wir annehmen dürfen, dass mit der Verschie- denheit jedes besonderen Gefühls, jeder besonderen Vorstellung, jeder Willensäusserung eine absolut entsprechende Verschieden- heit der Gehirnthätigkeit verbunden sei, scheint die Bestimmung dieser Zeit nicht ohne Gewicht. Seit langer Zeit nahm ich mir vor, meine Bemühungen darauf zu richten. In der Sitzung der Koninklijke Academie van Wetenschappen zu Amsterdam vom 24. Juni 1865 gab ich eine Uebersicht der ersten hierauf be- züglichen und unter Mitwirkung von Herrn de Jaager und von einigen anderen Zöglingen der Universität Utrecht erlang- 437 660 F. C. Donders: ten Resultate, die hierauf ausführlicher in der Dissertation von Herrn de Jaager:, over den physiologischen tijd der psychische processen mitgetheilt wurden. Die Idee zu diesen Versuchen war, wie auch die Vorrede meldet, von mir ausgegangen, die befolgten Methoden waren von mir an die Hand gegeben, und die Versuche wurden im physiologischen Laboratorium angestellt und von mir geleitet. Um dieselbe Zeit gab ich, unter Erwähnung der Methoden, eine Uebersicht der erhaltenen Resultate in einigen zu Utrecht und anderwärts ge- haltenen populären Vorträgen. Endlich zeigte und beschrieb ich in der Sectionssitzung für Natur- und Heilkunde der Pro- vinciaal Utrechtsch genootschap von 1866 zwei bei meinen Versuchen gebrauchte Apparate, den Noömatachograph und den Noömatachometer. — Im weiteren Lauf der Unter- suchung häufte sich indessen das Versuchsmaterial in dem Maasse auf, dass mir zur gehörigen Sichtung und Bearbeitung die Zeit fehlte, und da auch jetzt die Aussicht dazu nicht gün- stig ist, habe ich mich entschlossen, vor der Hand die Haupt- sachen in gedrängter Form mitzutheilen. Um die Uebersicht zu erleichtern, soll verschiedenes die Methoden, die speciellen Ergebnisse, die Berechnungen u. s. w. Betreffende in besonde- ren Anmerkungen beigefügt werden. Vor kaum 25 Jahren wurde die Zeit, innerhalb welcher gereizte Nerven ihre Thätigkeit nach dem Gehirn und das Ge- hirn seine Befehle nach den Muskeln bringt, für „unendlich klein“ gehalten. Johannes Müller, dem unter den Physio- logen seiner Zeit der erste Platz zukommt, nannte die Fort- pflanzungsgeschwindigkeit in den Nerven nicht allein unbekannt, sondern ging so weit, zu prophezeien, dass die Mittel für die Bestimmung dieser Schnelligkeit uns wohl immer versagt blei- ben würden. Und siehe, kurze Zeit danach, im Jahre 1845, skizzirte du Bois-Reymond in allgemeinen Zügen den Plan für eine solche Bestimmung, und 1850 schon brachte sie Helm- holtz zur Ausführung. Die Methode war einfach. Helmholtz reizte die Muskel- Die Schnelligkeit psychischer Processe. 661 nerven nach einander an zwei Stellen, deren eine an der Ein- trittsstelle in den Muskel, deren andere in grösserer Entfernung davon gelegen war, und bestimmte für beide Fälle die Zeit, die verlief, bevor sich der Muskel contrahirte. Der Unterschied der Dauer zeigte die Zeit an für die Fortleitung in dem zwi- schen den beiden gereizten Stellen gelegenen Nervenstück, und hiermit war die Fortpflanzungsgeschwindigkeit bekannt, welche, wie sich zeigte, nicht mehr als 100 Fuss in der Secunde be- trug. - Das ist eine Schnelligkeit, die Vögel in ihrem Flug übertreffen, der Rennpferde sich nähern, und die unsere Hand bei den schnellsten Bewegungen des Arms erreichen kann. Dies Resultat war bei Fröschen gewonnen. Bei warmblü- tigen Thieren, insbesondere beim Menschen, war die befolgte Methode nicht anwendbar. Hier schlug Helmholtz einen an- deren Weg ein. Er reizte die Haut nach einander auf zwei Punkten, von denen der eine in kleinerer, der andere in grös- serer Entfernung vom Gehirn gelegen war, und reagirte auf den erhaltenen Reiz, in beiden Fällen, so schnell als möglich mit einem bestimmten Signal, z. B. einer Bewegung der Hand. War hiermit die zwischen Reiz und Signal verlaufende Zeit für beide Fälle bekannt, dann wurde der Zeitunterschied als Lei- tungsdauer für den Längenunterschied der Gefühlsnerven in Rechnung gebracht: denn abgesehen von diesem Unterschied ‚schienen beide Versuche vollkommen gleich zu sein. Auf diese Weise wurde nun beim Menschen eine Leitungsgeschwindigkeit von ungefähr 200 Fuss in der Secunde berechnet, d. i. etwa das Doppelte von der für Froschnerven gefundenen. Man sieht leicht ein, dass die hier befolgte Untersuchungs- weise nicht vorwurfsfrei ist. Erstens ist es schwer, den Reiz auf verschiedene Stellen der Haut mit gleicher Stärke einwir- ken zu lassen, und bei verschiedener Reizstärke ist die physio- logische Zeit, wie sich herausgestellt hat, nicht ganz dieselbe. Aber ausserdem setzt die Methode voraus, dass die Dauer des Processes im Gehirn ganz unabhängig von dem Ort der Rei- zung sei. A priori schon ist dies nicht wahrscheinlich. Tritt man nach einander von zwei Seiten in ein Zimmer, um darin Verschiedenes zu verrichten, dann wird man in beiden Fällen 662 F. C. Donders: wohl nicht genau innerhalb derselben Zeit durch eine dritte Thür nach aussen kommen. Und offenbar wird der Unterschied im Aufenthalt ganz auf Rechnung der Fortpflanzungsgeschwin- digkeit gebracht. Es kann also nicht befremden, dass bei Wie- derholung dieser Versuche, im Wesentlichen nach derselben Me- thode, sehr auseinander gehende Resultate erhalten wurden. Ueber diese brauchen wir indessen nicht zu berichten, denn vor Kurzem glückte es, beim Menschen auf ebenso einfache und entscheidende Weise als beim Frosch, die Fortpflanzungsge- schwindigkeit in einem Bewegungsnerven zu bestimmen, also mit vollkommener Ausschliessung des psychischen Processes im Gehirn. Es ist wiederum Helmholtz!), der hier den Weg bahnte. Auf seine Veranlassung reizte Baxt die Nerven der Muskeln des Daumenballens nach einander am Handgelenk und oberhalb der Ellenbogenfalte, während, im übrigen, Ellenbogen, Vorderarm und Hand unbeweglich in einen Gipsverband ge- schlossen waren: in beiden Fällen zuckten nun die genannten Muskeln und konnten die Momente der Zuckung mittels eines Hebels auf dem Myographion registrirt werden. Das so erhal- tene Resultat ist sehr befriedigend. Mit sehr geringen Abwei- chungen wurde nämlich eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit ge- funden von 33 Metern in der Secunde, — das ist nur wenig mehr als bei Froschnerven. Durch diese directe Bestimmung sind nun alle Versuche an Gefühlsnerven, bei welchen die Hirnthätigkeit mit einge- schlossen war, in’s Gebiet der Geschichte verwiesen, — und man weiss, was dies sagen will. von Wittich?) würde gern noch seiner etwas grösser gefundenen Schnelligkeit für die Ge- fühlsnerven einige Geltung lassen. Aber es geht nicht; die Uebereinstimmung von Gefühls- und Bewegungsnerven ist in allen Hinsichten zu vollkommen, um zu erlauben, dass gegen- über den sicheren Bestimmungen bei diesen die nach unsiche- ren Methoden gefundene ‚Leitungsgeschwindigkeit für jene auf- recht erhalten werde. In wie weit aus solchen Versuchen, die 1) Königl. Acad, der Wissensch. zu Berlin, 29. April 1867. 2) Zeitschr. f, ration, Medizin 1868, XXXL S. 112 u. f. Die Schnelligkeit psychischer Processe. 663 ich an verschiedenen Personen in grosser Zahl anstellte, in Zu- sammenhang mit dem Unterschied der gereizten Stelle, ein zeit- licher Unterschied für die Leitung im Gehirn abzuleiten sei, werde ich vielleicht näher untersuchen. So ist denn die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den Ner- ven bekannt, und die Prophezeiung von Johannes Müller auf glänzende Weise Lügen gestraft. Bemerkenswerth ist es, dass die Theorie den Muth gab, sich an die Auflösung des un- auflösbar genannten Problems zu wagen. Aus der theoretischen Vorstellung: dass die Fortpflanzung nicht zu betrachten sei als die einer fortschreitenden Kraft oder Bewegung, sondern viel- mehr als ein auf jedem Punkt sich erneuender chemischer und damit verknüpfter elektromotorischer Process, — kam man näm- lich auf die Vermuthung, dass die Nervenleitung nicht so be- sonders schnell, und dass die Kürze der Nerven kein absolutes Hinderniss für ihre empirische Bestimmung sein würde. 1. Sollte nun auch der Gedanke nicht die unendliche Schnel- liskeit haben, die man ihm zuzuschreiben pflegt, und sollte es möglich sein, die Zeit zu bestimmen, die zur Bildung einer Vorstellung oder einer Willensbestimmung gefordert wird? Diese Frage beschäftigte mich seit längerer Zeit. Oben be- schrieben wir die bei der Untersuchung der Fortpflanzungs- geschwindigkeit in den Gefühlsnerven angewandte Methode. In der Zeit, die bei diesen Versuchen zwischen Reiz und Signal verläuft, ist auch ein bestimmter psychischer Process aufgenom- men. Dasselbe gilt für die Versuche, in denen der Reiz auf eins der andern Sinneswerkzeuge einwirkte. Hierüber wurde die erste vergleichende Untersuchung durch Hirsch, den be- kannten Astronomen von Neuchatel, angestellt. Die zwischen Reiz und Signal verlaufende Zeit nannte er die physiologische Zeit, und bei gleichem Signal, z. B. einer Bewegung der Hand, fand er diese Zeit am kürzesten nach einem Reiz auf der Haut (natürlich in der Nähe des Gehirns), länger nach einem Reiz auf’s Gehör, länger noch nach einem Reiz auf’s Gesicht. Im Allgemeinen wurde durch spätere Untersucher dieses Ergebniss 664 F. €. Donders: befestigt. Aus sämmtlichen Versuchen, worunter auch die von mir und meinen Schülern genommenen, berechnete ich für die drei genannten Sinneswerkzeuge: Gefühl, Gehör und Gesicht, die physiologische Zeit resp. auf ungefähr '/,, !/,; und !/, Se- cunde. Aber wie viel hiervon gehört zu dem eigentlichen psychi- schen Process? Darüber sind wir ganz im Unsicheren. In die- ser kurzen Zeit muss viel geschehen. Folgen wir dem Process von dem Moment des Reizes an bis zu dem des Signals, so haben wir zu unterscheiden: l. die Einwirkung auf die percipirenden Elemente der Sinneswerkzeuge; 2. die Mittheilung an die peripherischen Ganglienzellen, und das bis zur Entladung geförderte Anwachsen (die „Schwelle* von Fechner); 3. die Leitung in den Gefühlsnerven bis zu den Ganglien- zellen der Medulla; 4. die steigende Thätigkeit in diesen Ganglienzellen; 5. die Leitung nach den Ganglienzellen des Organs der Vorstellung; 6. die steigende Thätigkeit in diesen Ganglienzellen; 7. die steigende Thätigkeit der Ganglienzellen des Organs des Willens; 3. die Leitung nach den Nervenzellen für Bewegung; 9. die steigende Thätigkeit in diesen Zellen; 10. die Leitung in den Bewegungsnerven bis an den Muskel; ll. die latente Thätigkeit im Muskel; 12. die steigende Thätigkeit bis zur Ueberwindung des Wider- standes vom Signal. Der ganze Process kann in !/, Secunde ablaufen; als Mi- nimum wurde selbst '/, gefunden. Die Zeiten nun, welche für die einzelnen Abschnitte des Processes gebraucht werden, sind nicht zu bestimmen. Allein die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den Nerven können wir ungefähr in Rechnung bringen, und dies führt dann zu dem Resultat, dass der psychische Process der Vorstellung und Entschliessung kürzer dauert als !/,, Se- cunde, aber erlaubt nicht einmal zu behaupten, dass er länger Die Schnelligkeit psychischer Processe. 665 als O0 dauere. Die Wahrheit ist, dass diese Versuche uns nur die Grenze nach der Seite des Maximums lehren, und über die des Minimums durchaus keinen Aufschluss geben. Ich kam nun auf die Idee, in den Process der physiolo- gischen Zeit neue Termen von psychischer Thätigkeit einzu- schieben. Untersuchte ich, wie viel die physiologische Zeit hier- durch verlängert wurde, dann würde, so urtheile ich, die Dauer des eingeschobenen Acts damit bekannt sein. In der oben eitirten Mittheilung an die Koninklijke Aca- demie van Wetenschappen wurden die ersten hierauf bezüglichen Bestimmungen mitgetheilt (siehe Anmerkung 1). Bei der ersten Reihe von Versuchen wurden gleiche Elek- troden auf beide Füsse gesetzt. Die Einrichtung war so ge troffen, dass man nach Belieben (durch Umlegen einer Pohl- schen Wippe) dem rechten oder linken Fuss einen elektrischen Schlag beibringen konnte. — Nun wurden die Versuche auf zwei Weisen genommen: a. während man wusste, auf welchen Fuss der Reiz wirken würde, wobei man das Signal mit der Hand derselben Seite gab; b. während man nicht wusste, wel- cher Fuss den Reiz empfangen würde und man auch das Signal mit der Hand der gereizten Seite geben sollte. Im letzten Fall wurde mehr Zeit gebraucht als im ersten, und dieser Unter- schied stellte die Zeit dar, welche man nöthig hatte, um sich “vorzustellen, welche Seite gereizt wurde, und um in Verband mit dieser Vorstellung die Wirkung des Willens rechts oder links zu bestimmen. Im Uebrigen war der ganze Process in beiden Fällen gleich. Es zeigte sich, dass die so eingeschobene psychische Thätigkeit, aus den Mitteln berechnet, ‘/,, Secunde verlangte). Vorher war gefunden, dass das Geben eines Signals mit der linken Hand 0,009 Secunden länger dauerte als mit der rechten, welcher Unterschied in Rechnung gebracht wurde. Dies war die erste Bestimmung der Dauer eines wohl um- schriebenen psychischen Processes, der in Wundt’s Versuchen 1) Siehe de Jaager a.a. 0. S. 21—32: Die Methode war noch nicht genau genug, um dem Unterschied der Minima zu vertrauen (vergl. Anmerk. 2). 666 F. ©: Donders: mir zu fehlen scheint. Es galt die Entscheidung eines Dilemmas und eine dieser Entscheidung entsprechende Willensthätigkeit. Dieselbe Untersuchung wurde mit Reizung des Sehwerk- zeugs angestellt. Hier wurde die physiologische Zeit bestimmt bei einfacher Reaction auf Licht und bei differentieller Reaction auf rothes und auf weisses Licht. Bei den letzten Versuchen musste für rothes Licht das Signal mit der rechten Hand, für weisses mit der linken gegeben werden. Die Entscheidung eines Dilemmas und die für ein entsprechendes Signal verlangte hier mehr Zeit als bei den vorigen Versuchen: im Mittel für fünf Personen betrug sie 0,154 Secunden. Der kleinste Mittelwerth war 0,122 Secunden bei Herrn Place; des grössten, 0,184 Se- cunden, machte ich mich schuldig, der die doppelte Lebzeit der übrigen Beobachter hatte. Auf die Ursache des Unterschieds bei Reizung der Haut und bei Reizung des Auges kommen wir später zurück. Bei diesen Versuchen wurde ‘das Signal mit einem der Hände gegeben. Später stellte ich noch eine Reihe von Ver- suchen an, wobei als Reiz gewisse Buchstabenzeichen, entweder entblösst oder plötzlich durch einen Inductionsfunken erleuchtet wurden, und das Signal im Aussprechen des Klangs bestand: hier verlangt der eingeschobene psychiche Process, aus den Mit- teln berechnet, 0,166 Sec. (!/;, Sec.), aus den Minimis 0,124 ('/s See.). — Diese Methode eignete sich nun weiter für Ver- suche, wobei nicht von zwei, sondern von 5 Vocalzeichen, eins erkannt und als Klang ausgesprochen werden musste. Auf diese Weise habe ich nicht weniger als fünf Reihen von Beobachtun- gen an verschiedenen Tagen ausgeführt, und es zeigte sich, dass bei der grösseren Auswahl aus fünf wirklich etwas mehr Zeit verlangt wird als bei der Wahl aus zwei, nämlich 0,170 Sec. bei Berechnung aus den Mitteln, 0,163 Sec. bei Berechnung aus den Minimis (Anmerk. 2). Endlich wurden dieselben Versuche mit Reizung des Ohrs angestellt. Hier bestand der Reiz im Klang eines Vocals, und Signal war die Wiederholung desselben Vocals. — Zwei Per- sonen A und B sitzen hierbei vor der Oeffnung des Phonauto- graphen. Während man den Cylinder dreht, stösst A einen Die Schnelligkeit psychischer Processe. 667 wu Vocal aus, und B hat diesen so schnell wie möglich zu wiederholen. Für beide ist der Anfang der a Schwingungen auf der unteren Linie Fig. 1 ina und b # zu sehen, und die Länge der Zeit zwischen beiden ist aus den gleichzeitig registrirten Stimmgabel- # schwingungen abzuleiten. Diese Versuche wurden nun auf zweierlei Weise angestellt: a. während man wusste, welchen Vocalklang man zu hören be- 2 kommen würde, und einfach mit demselben Klang so schnell als möglich reagiren musste; b. während M man nicht wusste, welchen Vocal man hören würde, "und sich also von dem Vocalklang Rechenschaft ge- ben musste, um denselben als Signal zu wieder- holen. In meinen ersten Versuchen mit de Jaager N antwortete ich bei bekanntem Klang ki, im Mittel in 0,180 Sec., bei unbekanntem in 0,268 Sec., was #4 einen Unterschied von 0,088 Sec. giebt; de Jaa- ger erhielt, bei namentlich anfangs grösseren Zah- = len, einen gleichen Unterschied von 0,088 Sec. — = Später fand ich in 7 Reihen, wobei ich das Signal zu beantworten hatte, für bekannten Klang im Mittel 0,201 Sec. (!/, Sec.), für unbekannten Klang 0,284: also ein Unterschied von 0,083 Sec. (ungefähr '/ıs # Sec.), und aus den Minimis berechnet, wurde dieser Unterschied auf 0,067 Sec. (ungefähr !/,, Sec.) re- dueirt. In vier anderen Reihen, wobei ich entweder den voraus bekannten oder einen von nur zwei un- | bekannten Klängen zu wiederholen hatte, verlangte A die Wiederholung des bekannten Klanges noch et- 2 was weniger (0,184 Sec.) und betrug die Verlänge- rung für den unbekannten, bei Berechnung aus den = Mitteln, nur !/,s (0,056 Sec.), bei Berechnung aus # den Minimis !/,, (0,0615 Sec.). | Bei drei anderen Personen von verschiedenem, = im Allgemeinen jugendlichem Lebensalter, wurde, “ bei Versuchen mit fünf Vocalklängen, bei unbekann- M tem Klang, eine Verlängerung von resp. 0,088 Sec,, 668 F. C. Donders: von 0,087 Sec. und von 0,069 Sec gefunden. In der That eine merkwürdige Uebereinstimmung. Recapituliren wir jetzt die erhaltenen Resultate, so zeigt sich, dass für Entscheidung und conformes Signal gefordert wird: Secunden . 1. bei Reiz auf die Haut, — Dilemma, aus den Nıtselnvberechnet. 2 ar 2. RE 0,066 2. bei Reiz auf’s Sehorgan: a. zwei Farben, Dilemma, bei fünf Per- sonen, aus den Mitteln berechnet . . 0,181 b. zwei Vocalzeichen, Dilemma, aus den Mitteln "berechnet. Krk u. Tun 0,166 aus den Minimis berechnet . . . 0,124 c. fünf Vocalzeichen, aus den Mitteln 5 rechnetr Sustie 8 . SARGRR 0,170 aus den Minimis beiischuein 2 RER 0,163 3. bei Reiz auf’s Gehör: a. zwei Vocalklänge, aus den Mitteln be- rechnet. xi 154° ec. < ; 0,056 aus den Minimis bereahnet EN. 0,0615 b. fünf Vocalklänge, bei mir selbst, früher, aus den Mitteln berechnet . . . . . 0,088 später, aus den Mitteln berechnet . . 0,083 . aus den Minimis berechnet . . . . 0,067 Idem bei vier anderen Personen, aus den Mitteln berechnet . . . ! . 0,088 u: r ” SR). 0,069 ag * ” u 15: ar ER 0,087 Be r » PR 0,088 Einige dieser Unterschiede lenken dabei sogleich die Auf- merksamkeit auf sich. Zuerst: warum fordert das gestellte Di- lemma weniger Zeit bei Unterschied von Klang (0,056) als bei # Die Schnelligkeit psychischer Processe, 669 Unterschied von Farbe (0,124)? — Die Antwort ist: dass das auf den Klang zu gebende Signal, die einfache Nachahmung, durch Uebung natürlich geworden ist, natürlicher als das bloss conventionelle Signal, mit rechter oder linker Hand, bei Unter- schied von Farbe. Für dies letztere lässt sich denn auch durch fortgesetzte Uebung grössere Schnelligkeit erreichen. Für die Nachahmung von Vocalklängen dagegen war das Maximum von Schnelligkeit, wie sich herausstellte, schon nahezu erreicht — und so lehren uns die hierbei erhaltenen Werthe unmittelbar das Minimum der Zeit kennen, die für Entscheidung eines ein- fachen Dilemmas mit correspondirendem Entschluss nöthig ist: — !/s Secunde. — Bei Hautreizung inzwischen, wobei das zu gebende Signal gleichfalls conventionell war (Bewegung auch von rechter oder linker Hand), forderte derselbe eingeschobene Process nur !/,, Sec. oder 0,066 Sec., also wenig mehr als bei dem geübten Signal der Vocalklänge. Auch dies Ergebniss kann uns nicht befremden. Wir liessen die Reizung der redh- ten Seite mit der rechten Hand, die der linken Seite mit der linken beantworten. Dazu ist sicher die Neigung bereits ge- geben, als Resultat von Gewohnheit oder Uebung: denn ver- langte man Bewegung der rechten Hand bei Reizung der linken Seite, oder umgekehrt, dann war die Zeit länger und Verwechs- lung nicht selten. — Noch eine letzte Bemerkung. Zum Er- kennen von und Reagiren auf Vocalzeichen wird ungefähr das Doppelte der Zeit gebraucht, die zum Erkennen von Vocal- klängen mit conformer Reaction nöthig ist, und sicher doch haben wir ebensoviel Uebung im Sehen und Aussprechen von Vocalzeichen als im Hören und Wiederholen. Dieses Resultat hat mich sehr befremdet. Der Grund kann in verschiedenen Theilen des zusammengesetzten Processes gelegen sein. Ich glaube ihn indessen in den rein psychischen suchen zu müssen. Die Reaction auf Licht fordert, wie ich aus den sämmtlichen Beobachtungen verschiedener Personen berechnete, in der Regel etwas mehr Zeit als die auf Klang. Vereinige ich die bei mir selbst erhaltenen Resultate von 8 Versuchsreihen mit Reaction auf Licht und von 12 mit Reaction auf Klang, so finde ich gleichwohl beide gleich: 670 F. C. Donders: für die erste nämlich. . 0,1953 Sec, für die zweite . . . . 0,1952 „ Eine so vollkommene Uebereinstimmung ist natürlich zufällig, um so mehr, als in einigen Versuchen die einfachen Vocale, in anderen die Vocale mit Explosiven als Signale dienten und die physiologischen Zeiten je nachdem ein wenig verschieden sind (Anmerk. 3). Aber es folgt doch daraus, dass für Klang und Licht die physiologischen Zeiten bei mir nicht merkbar von einander abweichen. Auch glaube ich annehmen zu dürfen, dass die Unterscheidung von zwei Farben ebenso schnell ge- schieht, als die von zwei Klängen, und dass die Reaction auf Unterscheidung der ersteren durch genügende Uebung auf die- selbe Zeit zurückgebracht werden könnte als die Reaction auf Unterscheidung der letzteren. Den Grund meine ich deshalb in der Form des Zeichens suchen zu müssen, welche die Seele nicht so schnell erkennt als den Klang. ' Umi von diesem Unter- s@hied Rechenschaft zu geben, müssen wir den Eindruck des Klanges und der Form des Zeichens etwas näher zergliedern. Auf der Netzhaut ist dieser Eindruck sehr zusammengesetzt. Eine Anzahl von pereipirenden Elementen, von denen jedes den empfangenen Reiz, mit seinem eignen Localzeichen, nach dem Gehirn überbringt, wird plötzlich getroffen und daraus construirt sich die Form in unserer Vorstellung. Die getroffenen Elemente sind ganz andere, wenn das Zeichen gross, als wenn es klein ist, und ein a bleibt doch ein A, ein i ein j. Auch eine kleine Abweichung der Gesichtslinie lässt das ganze Bild des Letter- zeichens auf andere Elemente der Netzhaut fallen. Der Process für die Vorstellung der Form ist also nothwendig sehr zusam- mengesetzt, und es kann uns nicht befremden, dass er mehr Zeit verlangt, als die Vorstellung eines Lichteindrucks im All- gemeinen oder selbst einer Farbe, die auf bestimmte pereipi- rende Elemente einwirkt oder nur eine besondere Energie ver- gegenwärtigt. Für einen solchen Process, vermehrt noch mit der Zeit für die differentielle Willensbestimmung (Entschluss), ist 0,16 Sec, verhältnissmässig nicht viel. — Und wie geschieht nun die Vorstellung eines Klanges? Für viele Klänge kann der Process wohl ebenso zusammengesetzt sein, wie für momentan Die Schnelligkeit psychischer Processe. 671 erleuchtete kleine Formen. Denn gewöhnliche Klänge bestehen ja aus einer Zahl von Partialschwingungen, die gleichfalls ver- schiedene Nervenfasern in Thätigkeit bringen, und für jede Ton- höhe ist es wieder ein ganz anderes System von Nervenfasern, welches den Eindruck empfängt: das Einzige, was den Process einfacher erscheinen lässt, ist der Zusammenhang zwischen den Partialtönen, welche bei jeder Tonhöhe grösstentheils wieder die sogenannten harmonischen sind. Ist aber auch für Klänge im Allgemeinen der Process so zusammengesetzt, so gilt dies doch nicht von Vocalen. Bei jedem Vocal ist, wie ich vor 10 Jahren schon zeigte, die Mundhöhle auf einen absoluten Ton gestimmt, welches auch die Tonhöhe der Stimme sei, mit der er hervorgebracht wird, und in Verband hiermit hat jeder Vo- cal seine absoluten, schier unveränderlichen Obertöne. Bei dem- selben Vocalklang werden also auf jeder Tonhöhe zum Theil dieselben Töne hervorgebracht, also jedesmal zum Theil die- selben Nervenfasern gereizt, die, wenn man einen Vocalklang zu erwarten hat, diesen sogleich charakterisiren, — und dies ist die Ursache davon, dass die Vorstellung des Vocaltimbres nicht einen so zusammengesetzten Process voraussetzt, wie er für die Vorstellung aus dem Vocalzeichen nöthig erscheint. Nachdem die vereinigte Zeit gemessen war, in welcher so- wohl Unterscheidung aus zwei oder mehr Eindrücken als ent- sprechende Willensbestimmung möglich ist, eröffnete sich die Frage, ob für beide Theile des Processes die geforderte Zeit nicht besonders zu bestimmen wäre. Es schien mir, dass man der Lösung dieser Frage näher kommen würde, wenn man die Bedingung stellte: dass nur auf einen Reiz das Signal folgen sollte, mit Vernachlässigung aller übrigen. So wurden Vocalklänge ohne nähere Anweisung als Zeichen bestimmt, aber nur auf einen, z. B. auf i, sollte man mit i ant- worten, auf die übrigen schweigen. Man spannt sich nun für das Erkennen von i an und hält die Stellung der Mundtheile und den Mechanismus dafür vollkommen bereit, so dass man beim Erkennen von i nur den Athem auszustossen hat, um den correspondirenden Klang vorzubringen — ganz wie beim Rea- 672 F. C. Donders: giren mit i, während man wusste, dass i gehört werden würde. Est ist also bei dieser Versuchsweise keine Wahl für das Signal mehr nöthig: — allein das Unterscheiden, das Erkennen von i wird in den gewöhnlichen Process eingeschoben. Und wirk- lich zeigte sich’s, dass hierzu weniger Zeit nöthig war, als zum Beantworten jedes Vocalklangs mit gleichem Klang. Von den vielen auf diese Weise von mir angestellten Versuchen will ich nur die Resultate von drei Reihen beifügen, die an einem und demselben Abend in solcher Reihenfolge genommen wurden, dass, soweit Ermüdung dabei in’s Spiel kam, dieselbe gleich- mässig über die drei Versuchsarten vertheilt ward: a. bei Reaction auf bekannten Klang; bin 5 „ unbekannte Klänge; Baus " „ einen der unbekannten Klänge. Bei jeder dieser Arten wurde die mittlere Dauer und das Minimum aufgenommen: Tausendstel einer Seeunde für a. betrug die mittl. Dauer 201, das Minimum 170,5 bir; Huskies DRAN a 237,5 Ch EN A al nıy n 212,6 Man findet nun: aus den Mitteln. aus den Minimis. im Mittel. b—a = 83 67 75 c—a = 36 42 39 In diesen Versuchen wurde also für die Vorstellung eines bestimmten Klanges (längere Dauer bei Methode c als bei Me- thode a) nur reichlich halb so viel Zeit gebraucht, als für die- selbe Vorstellung in Verbindung mit entsprechender Willens- bestimmung. Die Entwicklung der Vorstellung dauert bei mir 0,039, d. i. beinahe ! Secunde, verlangt die Willensbestimmung. Oben theilten wir /as Secunde; etwas weniger, reichlich "/g, Versuche mit von anderen Personen, die zu dem combinirten Process weniger Zeit gebrauchten. Wahrscheinlich wird auch bei diesen für die beiden Termen die Zeit ungefähr in gleiche Theile getheilt werden müssen. Doch ist dies aus den von ihnen nach der c-Methode gethanen Bestimmungen nicht genü- gend abzuleiten. Es zeigte sich, dass für viele die c-Methode Die Schnelligkeit psychischer Processe., 673 eine gewisse Schwierigkeit liefert. Sie geben das Signal, wo sie hätten schweigen müssen. Und geschieht das auch nur ein Mal, so ist die ganze Reihe zu verwerfen: denn was bürgt uns dann dafür, dass da, wo sie das Signal geben mussten und auch wirklich gaben, gehörig gewartet war, bis sie sicher unter- schieden hatten? Da man ausserdem nur dann und wann ein- mal gerade den Vocalklang zu hören giebt, auf den die Antwort verlangt wird, haftet an dieser Methode immer der Nachtheil, dass die meisten Umgänge des Cylinders unbenutzt bleiben. Ich lege darum viel Werth auf die oben erwähnten, an mir selbst erhaltenen Resultate von drei Versuchsreihen, mit An- wendung der drei Methoden für jede Reihe, wobei die Versuche tadellos ausfielen (Anmerk. 4). Inzwischen könnte man noch zweifeln, ob auf die befolgte Weise wirklich die zu einer bestimmten Vorstellung erforder- liche Zeit gemessen wird. Findet man nicht vielmehr die Zeit, um welche das Bestimmen der Art eines Vocalklangs länger dauert als das blosse Hören? Wir antworten hierauf verneinend. Wer die Versuche gemacht hat, weiss, dass das Signal da, wo es nur um Reaction im Allgemeinen zu thun ist, bei Allem was geschieht, losbricht. Wartet man mit Spannung auf eine Lichterscheinung, — man reagirt unwillkürlich auch auf einen Klang und umgekehrt, und ebenso auf einen Stoss, einen elek- trischen Schlag, kurz auf jeden kräftigen Eindruck. Man war- tet nicht bis man hört, sondern nur bis man gewahr wird, und man findet also nach der befolgten Methode die Zeit, welche verläuft zwischen dem ersten Moment eines Gewahrwerdens und der vollkommenen Vorstellung von der Art des Gehörten, das ist die für die Entwicklung einer bestimmten Vorstellung erforderliche Zeit. Dieselben Versuche nach der c-Methode habe ich ange- stellt, während das Sehen von Vocalzeichen der Reiz war. Die zum Erkennen erforderte Zeit war dabei verhältnissmässig kurz, kaum länger als bei Vocalkläugen. Dies Ergebniss ist sehr bemerkenswerth, wenn man bedenkt, dass das Unterschei- den von Vocalzeichen, wie sich uns in den Versuchen nach der a- und b-Methode gezeigt hat, viel mehr Zeit fordert, als das Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868, 44 674 F. ©. Donders: Unterscheiden von Vocalklängen. Doch glaube ich, dass sich davon Rechenschaft geben lässt. Bei den Versuchen nach der b-Methode konnte man sich im Voraus keine Vorstellung machen, welchen Eindruck man empfangen würde: man musste sich dessen enthalten, um auf jedes Vocalzeichen, das etwa zum Vorschein kommen mochte, mit gleicher Schnelligkeit reagiren zu können. Zur Unterscheidung ward dabei nun verhältniss- mässig viel Zeit gebraucht. In den nach der c-Methode ange- stellten Versuchen dagegen, von denen hier die Rede ist, konn- ten zwar auch alle Vocalzeichen erscheinen, aber man hatte nur auf eins davon zu reagiren, auf die übrigen zu schweigen, und man konnte also und musste selbst das eine in der Vorstel- lung haben, um nach constatirter Gleichheit von Eindruck und Vorstellung unmittelbar das in seinem Mechanismus präparirte Signal zu geben. In anderweitig mitgetheilten Versuchen!) über das stereoskopische Sehen hat sich mir der grosse Einfluss einer vorausgehenden Vorstellung auf das Erkennen von Formen auf’s Deutlichste gezeigt. Auch mit anderen Reizen, z. B. elektrischen Schlägen auf die Haut, sind Versuche nach der c-Methode anzustellen, aber auch hier allein mit Rücksicht auf ein gestelltes Dilemma. Auch ist man nicht beschränkt auf die Wahl eines Klanges als Signal. Man kann nämlich beim Hören von allen Klängen oder nur beim Hören von einem vorausbestimmten Vocalklang eine Be- wegung mit der Hand machen und der Unterschied giebt dann wieder die für eine bestimmte Vorstellung erforderte Zeit an; aber dabei ist dann die Vergleichung mit differentieller Reaction auf jeden der Klänge ausgeschlossen, und die Versuche würden dem Zweck nicht entsprochen haben, wenn ich nicht auf den Gedanken gekommen wäre, als Signal die Klänge zu regi- striren. Alle vorstehenden Ergebnisse sind mit einem unter dem Namen Noüömatotachograph?) beschriebenen Apparat erhalten. Das Streben nach näherer Analyse der Dauer der psychischen Pro- I) Archief voor natuur- en geneeskunde,. D. II. S. 332 u, f. 2) Archief voor natuur- en geneeskunde, D, III. S. 105. Die Schnelligkeit psychischer Processe. 675 cesse hat mich weiter geführt auf eine Methode, die auf einem sanz anderen Prineip beruht als die oben mitgetheilte, und wobei das als No@matotachometer beschriebene Instrument ge- braucht wird, Ich beabsichtige, die damit erhaltenen Resultate näher mitzutheilen. Anmerkungen. Anmerkung I. Bei unseren Messungen wendeten wir die gra- phische Methode an. Sie ist eirfach, sicher, leicht anwendbar und für unsern Zweck genau genug. Gälte es die Messung von absoluten, unveränderlichen Werthen, dann würde man nach der grössten Ge- nauiskeit streben müssen Beim Messen der etwas inconstanten Dauer von psychischen Processen ist eine Bestimmung in Tausendstel Se- eunden ausreichend, und wir dürfen nun die Einfachheit und Sicher- heit nicht einer grösseren aber zwecklosen Genauigkeit opfern. Bei unsern Versuchen kommt es auf drei Dinge an: 1. Wir brauchen eine genau bekannte chronoskopische Einheit. Diese finden wir in den registrirten Schwingungen einer Stimmgabel. Die Schwingungszahlen der benutzten Stimmgabeln haben wir direct bestimmt durch gleichzeitiges Registriren ihrer Schwingungen und der Secunden einer Uhr, und der geringe Einfluss der Temperatur wurde gefunden aus der Aenderung der Anzahl Schwebungen mit einer andern, auf unveränderter Temperatur gehaltenen Stimmgabel. 2. Der Moment der Reizung musste unter oder auf der Stimm- gabellinie genau registrirt werden. Für verschiedene Versuche geschieht dies auf verschiedene Weise. Lassen wir einen Inductionsfunken von dem schreibenden metall- nen Federchen der Stimmgabel durch das Papier auf den Cylinder überspringen, dann ist der Moment scharf markirt auf der chronosko- pischen Linie. Leicht ist die Einrichtung zu treffen, dass nach Gut_ dünken der Funke entweder nur gesehen, oder nur gehört, oder, indem man einen kleinen Theil der Entladung durch den Körper leitet, nur gefühlt wird. So kann man abwechselnd bei Reaction auf jedes der drei Sinneswerkzeuge die physiologische Zeit bestimmen. Um beim Oeffnen des constanten Stromes, das bei und durch Drehung des Cy- linders geschieht, nur einen Funken zu erhalten, muss man in die Induetionskette ein Funkenmikrometer bringen, mit Kugeln, die bei- nah bis zum Maximum der Schlagweite von einander gerückt sind. Ein soleher Funke kann zugleich dienen, um das Dilemma von Far- benunterschied (ob oder ob nicht durch gefärbtes Glas gesehen), das 44 * 676 F. ©. Donders: Unterscheiden von (dureh den Funken erleuchteten) Buchstabenzeichen u.s. w. zur Entscheidung zu bringen: immer wird in demselben Mo- ment, worin der Funke zwischen den Kugeln des Mikrometers über- springt, das Zeichen auch auf die chronoskopische Linie gesetzt. — Bei unseren früheren Versuchen war die Methode noch nicht so genau. Ein Vocalklang, der das Ohr trifft, kann auch das Federchen des Phonautographen von Scott-König, oder eines von König für mich verfertigten einfachen Instruments in Schwingungen bringen, — bei gleichem Abstand in demselben Moment als das Trommelfell. Unter die chronoskopische Curve schreibt das Federchen eine gerade Linie, bis es durch den Vocalklang in Schwingung kommt: so ist der Reizmoment scharf aufgezeichnet. 3. Das Signal, womit reagirt wird, muss gleichfalls mit Präeision auf oder unter der chronoskopisehen Linie notirt werden. Die hierfür gebräuchlichen Elektromagnete mit durch die Stromstärke veränder- lichem Retard, sind in unsern späteren Versuchen ganz hei Seite ge- stellt. Die Bewerung, worin das Signal besteht, wird ohne Zwischen- kunft von irgend welchem Mechanismus registrirt. Ein verticales leichtes Holzstäbehen, beinah ohne Reibung um seine Längsaxe dreh- bar, trägt an seinem obern Ende ein horizuntales, auf deu Cylinder schreibendes Feiderchen und nahe seinem Unterende ein horizontales Stück, das, zwischen zwei Fingern gehalten, weggeschlagen werden kann und in demselben Augenblick das schreibende Federchen ab- weichen macht: auf diese Weise kann, in Verband mit einem aufzu- lösenden Dilemma, auch über links oder rechts Wegschlagen Verab- redung getroflen werden, Das Signal auf Vocalklänge ist die Wiederholung des Vocalklangs, welche der Phonautograph auf derselben Linie registrirt, als den Reiz (vel. Fig. 1) Auf Vocalzeichen wird das Signal auch als Vocalklang gegeben. Durch Reaction auf irgend einen Reiz, abwechselnd mit Bewegung der Hand und mit Vocalklang, wird der auf dem Unter- schied des Signals beruhende Zeitunterschied gefunden (vergl. An merk. II). Der grosse Vortheil des Gebrauchs von Stimmgabelschwingungen als chronoskopische Einheit besteht darin, dass man den Cylinder frei aus der Hand umdrehen kann: man findet die Dauer des Processes in der zwischen Reiz und Signal liegenden Anzahl Schwingungen, unabhängig von deren Länge, und auf gleichmässige Umdrehungs- geschwindigkeit kommt es deshalb nicht besonders an. Die Umdre- hung geschieht ungefähr in einer Secunde, und bei jeder Umdrehung macht man einen Versuch, nach welchem der Handgriff wieder auf dem Fleck ruht, von dem man ausgegangen war. Der von mir ge- brauchte Cylinder hatte einen Durchmesser von 19 Ctm, war 25 Ctm. lang und konnte nach Belieben mit Spiral- oder Circularbewegung Die Schnelligkeit psychischer Processe, 677 gebraucht werden. Der Versuch fiel immer nahezu in die Zeit der grössten Umdrehungsgeschwindigkeit, und hier waren, bei 261 Schwin- gungen in 1”, Fünftel und selbst Zehntel einer Schwingung noch sehr gut abzulesen. Am Ende des Versuchs wird das Papier auf einer Linie, die ungefähr dem Anfang und Ende aller Umgänge entspricht, durchgeschnitten, so dass jeder durchlaufenden Stimmgabeleurve auf dem langen Blatt ein Versuch entspricht. Die Versuche werden nun numerirt und zu jedem Versuch die nöthigen Bemerkungen gesetzt, bevor die Schwärze durch firnisshaltigen Alkohol fixirt wird. Anfangs brauchten wir durchgehends eine Stimmgabel von 261 Schwingungen in 1”, die sicher befestigt, einige Secunden vor jedem Versuch durch Hervorziehen eines sacht zwischen ihre Arme geklemm- ten Klötzchens in Schwingung versetzt wurde. Hiermit war man ge- warnt, dass der Reiz gleich folgen würde. Später standen uns die durch Klektromagnetismus in Schwingung erhaltenen Stimmgabeln zu Dienste, die König nach dem von Helmholtz für die Synthese von Vocalklängen befolgten Princip verfertigt. Anmerkung Il. Bei der Bestimmung der Dauer der psychi- schen Processe habe ich besonderen Werth gelegt auf die gefundenen Minima. Die Unterschiede, die wir finden, hängen sicher grossentheils ab von wirklichen Unterschieden in der Dauer der psychischen Processe. Der Moment des Reizes wird genau registrirt, ebenso der des Signals, und welcher wahrscheinliche Fehler an den verschiedenen, nicht psy- chischen Termen des Processes kleben möge, können wir nicht genü- gend zur Klarheit bringen, aber er ist sicher nicht gross. Wir müssen also die Werthe einfach so nehmen, wie wir sie finden, und uns mit der Kenntniss der Maxima, der Minima und der Mittel zufrieden stel- len. Den Grund der Unterschiede wünschen wir hier noch nicht nä- her zu untersuchen. Das allein bemerken wir, dass das Maass der Spannung und der Abstraction von allen andern Gedanken einen grossen Einfluss hat. Eine Zerstreuung beim Einfallen des Reizes wird immer mit Verlängerung des Processes gestraft. Aber in Ver- band hiermit ist es klar, dass die gefundenen Minina die reinsten Werthe sind: sie vergegenwärtigen den am meisten regelmässigen ungestörten Lauf des Processes. Durch Substraetion des Minimum von allen gefundenen Zeiten erhält man dann in den Unterschieden, eine gute Uebersicht der Abweichungen von der idealen Regelmässig- keit, und hieraus wird sich wohl Einiges über den Grund dieser Ab- weichungen ableiten lassen. — Die Bedeutung, die wir den Minimis beilegen, veranlasste uns, für zwei Reihen von Versuchen, die durch Einschieben eines psychischen Terms von einander verschieden sind, ausser dem Unterschied der Mittel auch immer den der Minima zu bestimmen. Gefährlich würde es sicher sein, allein nach den Minimis 678 F. C. Donders: zu gehen. Die Möglichkeit besteht, dass bei schlecht beherrschter Spannung das Signal losbricht, bevor der Reiz eingewirkt hat, und dann findet man ein zu kleines Minimum: bei ungeschiekten Expe- rimentatoren kam das Signal ein einzelnes Mal schon vor dem Reiz. Will man diesem Uebelstand dadurch begegnen, dass man die Ver- suche mit relativ grossen Zwischenpausen, z. B. von einer Minute, und ohne Warnung, dass der-Reiz kommt, auf einander folgen lässt, dann findet uns der Reiz oft weniger wachsam, und die äusserste minimale Grenze wird dann schwer erreicht. Selbst bei Warnung kurz vor dem Versuch, so dass die Aufmerksamkeit nicht lange zu dauern braucht, ist eine grosse Reihe von Experimenten nöthig, um sich dem erreichbaren Minimum zu nähern, und darum müssen die zwei Reihen, deren Minima uns die gesuchte Differenz liefern, sehr gross oder doch gleich gross sein. — Niemals haben wir es versäumt, auch den Unterschied der Mittel zu bestimmen, Sie schützen uns vor dem groben Irrthum, wozu ein unvorsichtiger Gebrauch der Minima führen könnte. Und offenbar stellt ihr Unterschied in zwei Reihen doch auch die Dauer des in einer der Reihen eingeschobenen psychi- schen Terms dar. Es war indessen voraus zu sehen, dass für den- selben Term die Unterschiede der Mittel etwas grösser ausfallen wür- den als die der Minima: denn die Störung, welche die längere Dauer des Processes verursacht, drückt auch auf die psychischen Termen um so mehr, je complieirter sie sind, folglich am meisten in der Reihe, in welcher ein psychischer Term eingeschoben ward. Für die- sen Term haben wir also allein in den Minimis des ganzen Processes das Minimum zu erwarten: dieser Erwartung entsprach im Allgemei- nen das Ergebniss. Anmerkung Ill. Es kann nicht unwichtig sein, zu unter- suchen, wie viel Zeit bei gleichem Reiz das eine Signal mehr kostet als das andere. Für verschiedene Klänge und für die Bewegung der Hand kanu ich dazu einen Beitrag liefern, gestützt auf 91 neue Beob- achtungen, die an verschiedenen Beobachtungstagen alle durch mich selbst angestellt wurden. Das Signal wurde theils auf Licht-, theils auf Klangeindrücke gegeben. Die Klänge waren die Vocale, mit oder ohne vorausgehende Consonanten, p, t oder k. Verglichen wur- den z. B. pi, ti, ki und i, — oder eigentlich nicht i, sondern i mit vorausgehendem Hamze der Araber, das ist, eingesetzt bei geschlos- sener Stimmritze: das Hamze der Araber ist eigentlich auch ein Verschluss-Consonant, wird aber in den meisten Sprachen vernach- lässigt, — nur von guten Gesanglehrern nicht, die beim starken Ein- setzen von Vocalen gegen den Stoss des Hamze sehr zu kämpfen haben. Ohne Hamze eingesetzt, entsteht der Klang nicht plötzlich genug, um den Anfang scharf zu registriren. Die Bewegung der Hand bestand im Hervorziehen eines zwischen die Enden der Arme der Die Schnelligkeit psychischer Processe. 679 Stimmgabel sacht eingeklemmten Klötzchens mit Handhabe, worauf die Schwingungen, ebenso wie die der Vocalklänge, sogleich durch den Phonautograph aufgeschrieben wurden. — Wir beschränken uns auf die Mittheilung der Endergebnisse in Schwingungen von 261 auf 1”. Signal. Vocal mit k Mittel. Minim. 219,3 216,5 Vocal mit t Mittel. Minim. Vocal Mittel. Minim. Licht. . | 438,3 48,5 Vocal mit p Mittel. Minim. 45,1 40,5 | 53 48 id....1508 48 | 52 52 |587 56. | 50,8 217,5 Klang . | 50 Be 583 53 sga Magcı.ı 63. 60,7 Licht. . | 56 53,2 | 56,5 545 | 593 583,7 | 61,2 58,9 An nen. 150,22 46,57| 52,97 50 | 56.05 1,42 | 55.65. 53,27 Hieraus folgt, dass ohne Ausnahme der Verschluss-Consonant vor dem Vocal mehr Zeit verlangt, als der einfache Vocal mit Hamze, und dass p weniger Verzögerung giebt als t und k, wie auch schon aus dem Mechanismus zu vermuthen sein würde. Die Verzögerung be- trägt, berechnet aus den Mitteln und aus den in Parenthese gesetzten Minimis, für p für t für k 2,75 — (8,48) 5,83 — (4,85) 5,43 — (6,7). In drei Beobachtungsreihen konnten wir das Signal von Klängen mit dem der genannten Handbewegung vergleichen, und fanden für die Handbewegung jedesmal mehr Zeit nöthig: in der ersten Reihe der Tabelle nämlich im Mittel 52,7 und Minim. 51, das ist 9,4 und (9,5) Schwingungen mehr als für den Vocal; in zwei andern Reihen, wobei der Vocal nicht bestimmt wurde, 3,95 und (6,63) und 4,85 und (6,93) mehr als für pi. Anmerkung IV. Von den 51 Versuchsreihen, die gemacht, ausgezählt und berechnet sind, theile ich hier eine ausführlich mit, und ausserdem die Resultate von zwei anderen Reihen. In diesen Rei- hen kommen auf derselben Rolle abwechselnd die nach der a-, b- und c-Methode angestellten Versuche vor, d. i. bei Reaction auf bekannte, auf unbekannte und auf,einen der unbekannten Klänge. Bei der c-Methode bleibt immer ein Theil der Klänge unbeantwortet: auf Rolle XVI B, wovon wir die Resultate hier in ihrem ganzen Umfange mittheilen, Kommen auf 22 Curven nur 15 Bestimmungen vor, weil bei der a-Methode das Signal einmal wegen Zerstreuung ausblieb, und bei der c-Methode, wie sich gehörte, sechsmal nicht gegeben wurde, 680 F. C. Donders: 21. August, Abends 7 Uhr; die Herren Hamer und Donders vor dem Phonautograph. H. ruft, D. antwortet. Stimmgabel = 261 Schwingungen. Methode a. Ki zu beantworten mit Ki. Nummer. Reiz. Signal. Anzahl Schwingungen. 1 Ki Ki 45 2 Ki ausgeblieben | 3 Ki Ki 54 | im Mittel = 51,5 20 Ki Ki 53 { Minimum = 45. 21 Ki Ki 60 22 Ki Ki 45,5 Methode b. Unbekannter Klang, zu beantworten mit gleichem. Nummer. Reiz. Signal. Anzahl Schwingungen. + Ko Ko Ki 5 Ke Ke 72 6 Ki Ki 72 im Mittel = 74,33 17 Ki Ki 76 Minimum = 72. 18 Ku Ku 74,5 19 Ke Ke 74 Methode c. Von den Klängen allein Ki zu beantworten. Nummer. Reiz. Signal. Anzahl Schwingungen. 7 Ku — 8 Ki Ki a] 9 Ki Ki 61, 10 Ka - im Mittel = 63,34 11 Ku - Minimum = 59. 12 Ki Ki 62 13 Ke — 14 Ki Ki 59 Auf der folgenden Tabelle sind die Resultate der einzelnen Beob- achtungen von dieser Rolle mit den von zwei ähnlichen Rollen, zu- sammen 38, an demselben Abend gemachte Bestimmungen vereinigt. Anzahl Schwingungen. Metho- 2 J 8 Mittel aus den| Minimum aus den; XV XVIA XVIB | DE 38 Bestim- gen, mungen. a. | 866 | 4966 | 51,5 52,41 | 44,5 b. | 74,83 73,08 74,33 74,08 62 e. | 60,83 60,5 63,37 61,89 55,5 Die Schnelligkeit psychischer Processe. 681 Man findot nun Aus den Mit- Minimum aı Aus den Mitteln teln von allen", a aus nn 38 Bestim- Beobachtun- si KV NEN, XVIB eh ee. b—a 18,17 23,42 22,83 21,67 17,5 c—a 4,17 10,84 11,87 9,48 11 Also für die drei Rollen zusammen : Aus den Mitteln Aus den Miminis Im Mittel Sm nn Onmimereen —— m , — Schwin- | Tausend- Schwin- | Tausend- | Schwin- | Tausend- gungen. | stel Sec. | gungen. | stel Sec. | gungen. | stel Sec. Z l b-al 21,67 83 17,5 67,05 19,585 | 75,03 cal. 348 36,32 11 42,15 10,24 | 39,24 682 H. Magnus: # Physiologisch-anatomische Untersuchungen über das Brustbein der Vögel. Von Dr. Hugo Macnus, prakt. Arzt zu Breslau. (Hierzu Taf. XVI. u. XVII) Schon in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts ist von einigen französischen Naturforschern') der Versuch gemacht worden, die bis jetzt aufgestellten, grösstentheils nur auf äusse- ren Kennzeichen und Merkmalen basirten systematischen Ein- theilungen der Wirbelthiere durch neuere, hauptsächlich auf anatomischen Grundlagen fussende Systeme zu verdrängen. Auch in neuerer Zeit hat man vereinzelt den Versuch gemacht, 1) Blanchard. Recherches sur les caracteres osteologiques des oiseaux appliquees a la classification naturelle de ces animaux. An- nales des sciences naturelles. Tom. XI. 1859. Gervais. Remarques sur les caracteres, que l’on peut tirer du sternum des oiseaux. Ann. d. scienc. nat. Tom VI. 1856. Geoffroy. Sur des observations comm. a l’Academie au sujet des sternum des oiseaux. Nouv. Ann. du Museum. Tom. II, 1833. L'’Herminier. Sur l’appareil sternal des oiseaux. Me&m. de la Soc. Linne. Tom. III. 1827. De Blainville. M&m. sur l’emploi de la forme du sternum et de ses annexes pour la confirmation ou pour l’&tablissement des fa- milles naturelles parmi les oiseaux. Journal de physique et de che- mie. Tom. XCII. 1821, Physiologisch-anatomische Untersuchungen u. s. w. 683 die Ergebnisse, welche die anatomische Untersuchung der ver- schiedenen Klassen und hauptsächlich eine genaue Kenntniss ihrer Skelete liefert, für eine systematische Eintheilung des Thierreichs zu verwerthen. Mit besonderer Vorliebe hat man sich für diese Studien die Klasse der Vögel ausgewählt, wie Blanchard, eine Klasse, die für derartige Untersuchungen aller- dings auch ein sehr fruchtbares Material liefert, und, wie man aus den eben eitirten Arbeiten entnehmen kann, auch schon zu sehr interessanten Thatsachen geführt hat. Doch scheint mir die Art und Weise, wie die betreffenden Gelehrten diesen Versuch durchzuführen unternommen haben, durchaus nicht immer die gerade sehr zu billigende zu sein. Dieselben haben sich bei ihren Arbeiten fast ausnahmslos hauptsächlich an die Form des Sternum gehalten, die übrigen Scelettheile aber nur ganz obenhin behandelt. Es ist aber jeder andere Knochen des Skelets, hauptsächlich Kopf, Furcula, Pelvis gerade bei den Vögeln von ganz derselben Wichtigkeit wie jener, und dann ist es doch ein mehr oder weniger merkwürdiges Princip, die Vö- gel nur nach ihrem Brustknochen zu classificiren. Ein anderer Umstand scheint mir hierbei auch noch von der grössten Bedeutung. Es muss nämlich ein System, das die anatomischen Verhältnisse berücksichtigt und mehr in den Vordergrund rückt, auch die äusseren Formen und Eigenthüm- lichkeiten in seinen Kreis ziehen, wenn es überhaupt Anspruch auf Gebrauchsfähigkeit machen will und für den Laien ver- ständlich sein soll. Ein logisches System der Thiere darf also weder bloss die Aeusserlichkeiten, noch bloss die anatomischen Eigenthümlichkeiten als Eintheilungsprineip verfolgen, sondern muss beides vereinen. Eine kritische Betrachtung der äusseren Formen, verbunden mit einer genauen anatomischen. Untersu- chung, der den einzelnen Genera und Species eigenthümlichen Skeletformen dürfte wohl das System liefern, welches das natur- gemässeste und logischste wäre. Es ist ja auch die Betrach- tung einzelner Theile des Skelets für die jetzt bestehenden Systeme ein Hauptfactor und Stützpunkt. So ist z. B. bei den Quadrupeden die Kenntniss der Zähne und Füsse für eine Syste- matologie verwerthet worden; bei den Vögeln sind es Schnabel, 684 H. Magnus: Nasenlöcher, Füsse. Es liegt also durchaus kein Grund vor, warum man gerade nur diese Theile des Skelets einer Unter- suchung für würdig erachtet hat, dagegen so wichtige und höchst interessante Aufschlüsse liefernde Theile, wie Kopf und Sternum, ganz unberücksichtigt lässt. Dass man beide erst dann genau untersuchen kann, wenn sie macerirt und präparirt sind, wird wohl von Niemand als Grund dafür geltend gemacht wer- den. Es ist nun allerdings ein solches System, wie das soeben besprochene, nur dann möglich, wenn äusserst genaue und mög- lichst umfangreiche, d. h. recht viel Material bietende Vor- arbeiten und Monographien über die Skelete oder einzelnen Knochen vorliegen. Einen solchen Zweck verfolgt die vorliegende Untersuchung des Brustknochens der Vögel. Das Sternum der Vögel liegt, wie das aller Vertebraten, in der Medianlinie des Thorax in dessen .vorderer, respective unterer Wand, doch erstreckt es sich meist noch über die obe- ren Parthieen des Abdomen und bedeckt ausserdem auch einen nicht unbeträchtlichen Theil der Seitenwände des Thorax. Diese im Vergleich mit der Entwickelung des Brustbeins bei den an- deren Wirbelthieren so in die Augen springende Breiten- und Längenausdehnung derselben erklärt sich aus den von allen anderen Classen der Wirbelthiere so wesentlich abweichenden Lebensbedingungen der Vögel. Die starke Entwickelung der am Sternum und seinen Adnexen entspringenden 5 Musculi peectorales, welche als Flugmuskeln fungiren, bedingt natürlich breite und starke Ursprungspunkte derselben, von denen aus die Muskeln ihre Wirksamkeit entfalten können. Ferner er- leichtert das einem Schiffskiel ähnlich gebaute, stark ausgehöhlte Brustbein dem Vogel das Schweben in der Luft ganz ungemein. Ks trägt gleichsam, besonders da sich ziemlich bedeutende Luft- säcke in seiner Concavität bergen, den Rumpf des Vogels in der Luft. Eine dritte, durchaus nicht gering anzuschlagende Function dieses Knochens ist der Schutz, den es den in Brust und Bauch liegenden Luftsäcken gewährt. Die dünnen mem- branösen Luftsäcke würden, wären sie nicht durch eine starke Knochendecke geschützt, leicht von der äusseren Luft compri- Physiologisch-anatomische Untersuchungen u. s. w, 685 mirt und die Füllung derselben mit Luft dem Vogel auf diese Weise sehr erschwert werden; das würde aber soviel heissen, als ganz bedeutende Herabsetzung des Flugvermögens. Die ganz besonders ausgesprochene Ausdehnung der Luftsäcke nach unten erklärt auch das Ueberwiegen des Längsdurchmessers des Sternum über den Querdurchmesser. Die Dicke des Brustbeins ist keine bedeutende. Die mitt- leren Partien desselben sind die dünnsten und gegen das Licht gehalten durelscheinend; die Seitenränder, sowie der obere Rand sind weit massiger und dicker. Massiv ist das Sternum ebensowenig, wie alle anderen Knochen des Vogelskelets, bei denen wir eine auf Kosten der compacten Knochensubstanz aus- gesprochene Entwickelung der spongiösen Substanz beobachten. Diese Structur der Knochen bedingt erstens eine bedeutende (ewichtsherabsetzung des Gerippes und zweitens bilden die spongiösen Knochen weite Maschen, welche als Luftreservoir dienen. Auf einem Durchschnitt durch ein Vogelsternum er- blickt man eine vordere und hintere mässig dicke Knochentafel, zwischen denen regellos sich spongiöse Knochenballen ausspan- nen und so ein Maschennetz bilden. Die Grösse der Maschen varüirt sehr, die weitesten finden sich in den seitlichen Rän- dern, im oberen Rand und endlich in der Basis der Crista. Dieser fächerige Bau lässt sich übrigens schon von aussen er- kennen, indem sowohl auf der vorderen wie hinteren Fläche des Brustbeins zahlreiche weisse zarte Strichelchen auftreten, welche sich als Verwachsungsstellen der spongiösen Balken mit den Knochentafeln manifestiren. Gegen das Licht gehalten, zeichnet sich dies Maschenwerk des Sternum als zartes elegan- tes Netz ab. Mit dem Brustknochen sind durch Gelenke die Rippen- anhänge und die beiden Ossa coracoidea verbunden. Eine ge- lenkige Verbindung zwischen Rippen und Sternum finden wir bei den Vögeln; sie hat ihren Grund in der so wenig ausgie- bigen Beweglichkeit des breiten Brustbeins, und giebt so den Rippen die Möglichkeit, sich ungehindert durch das Sternum, welches sich fast gar nicht von seinem Platze rühren kann, be- wegen zu können. 686 H. Magnus: Ueber die vom Brustbein entspringenden Muskeln ver- gleiche meine Dissertation: De museulis costarum sternique avium. Trotz der so überaus zahlreichen und verschiedenen For- men und Gestaltungen, in denen wir das Sternum bei den ein- zelnen Familien antreffen, lässt sich doch bei genauer gründ- licher Untersuchung jede von diesen verschiedenen Formvarie- täten von einem Grundtypus ableiten. Die vielen so bedeutend differirenden Modificationen und Veränderungen in der Form dieses Knochens sind nichts als Ergebnisse des Einflusses der Lebensweise der Vögel. Die Formen des Skelets haben sich der Lebensweise des Vogels entsprechend umgebildet und sich dieser gleichsam angepasst. Man kann also bei nur einiger- massen genauerer Kenntniss aus der Betrachtung des Knochen- baues sehr leicht einen Rückschluss auf die Lebensweise des Vogels machen. Dies hat mich veranlasst, fünf Hauptformen aufzustellen, welche den Einfluss der Lebensweise auf die Um- formung und Entwickelung des Brustknochens zeigen sollen. Die erste Form finden wir bei den Cursores; bei diesen zeigt das Sternum eine für die Lebensweise dieser Thierklass« ganz characteristische Form. Die Crista sterni fehlt, die Flug- muskeln sind verkümmert, kurz, das Brustbein hat hier die Form eines rundlichen schildförmigen, leicht gehöhlten Knochens, der nur als Schutz für den Thorax und Ansatzpunkt für die diversen Brust- und Armmuskeln fungirt. Die Vertreter dieser Form sind Struthio, Rhea, Casuarius. Auch bei ganz jungen Thieren solcher Klassen, die eine starke Crista zeigen, habe ich das Fehlen derselben beobachtet; ein Beweis, dass deren Entwickelung nur von der grössern oder geringern Flugfähigkeit abhängt; so habe ich es bei 2 jungen Schwänen gefunden. Die zweite Form finden wir in der Klasse derjenigen Vö- gel, die durch ihr ganz besonders entwickeltes Flugvermögen ausgezeichnet sind. Das Sternum ist hier nämlich sehr lang und breit, sowie stark coneav; die Kielform ist ganz besonders deutlich ausgesprochen, indem der Winkel, den die Crista mit dem Körper des Sternum bildet, ein stumpfer ist. Physiologisch-anatomische Untersuchungen u. s. w. 687 Der untere Rand des Sternum ist meist glatt; relativ kleine Löcher finden sich zumeist über demselben. In diesem brei- ten, stark ausgehöhlten, nach unten sich zuspitzenden Knochen ruht der Vogelrumpf gleichsam wie in einem Schiff und schwebt von demselben getragen, ruhig und sicher in der Luft. Es ge- hören hierher alle Vögel, die sich durch ihren kühnen, schwe- benden Flug auszeichnen, so alle Tagraubvögel mit ihren zahl- reichen Klassen, ferner die Cypselidae, Caprimulgidae. Die dritte Gruppe umfasst diejenigen Vögel, die bald auf dem Boden leben, bald in den Lüften. Hier ist der Brust- knochen viel weniger concav und kleiner als wie bei den vori- gen; die Crista sterni ist gut entwickelt; der untere Rand meist jederseits mit einem starken Einschnitt versehen, bei ein- zelnen mit zwei. Diesen Typus repräsentiren die Oscines, Upupa, Merops, Alcedo, Buceros, die Hühnerartigen; die mei- sten aus der Ordnung der Scansores. Die vierte Form finden wir bei den Schwimmvögeln. Hier ist das Sternum breit und lang, mässig concav; die stark ent- wickelte Crista spitzt sich nach vorn nicht unbedeutend zu. Der untere Rand zeigt jederseits einen oder zwei Einschnitte; eine Ausnahme hiervon macht Mergus, bei dem sich diese Ein- schnitte nach meiner Beobachtung immer in Löcher umwan- deln; ebenso bei einzelnen Enten, so Anas clangula. Diese Form befähigt, vermittelst ihrer Länge und Breite, den Vogel in ganz exquisiter Form zum Schwimmen; das so entwickelte Brustbein trägt den Vogel gleichsam auf dem Wasser. Die schwächere Concavität desselben rührt von einer schwächeren Entwickelung der abdominellen Luftsäcke her. Die Zuspitzung der Crista nach vorn erleichtert dem Vogel das Durchschneiden des Wassers; ganz exquisit zeigt sich diese Zuspitzung bei allen tauchenden Vögeln, so bei Mergus, Haliaeus, Plotus, Sula, Po- diceps, Colymbus u. s. w. Die fünfte und letzte Gruppe umfasst die Grallatores. Bei diesen ist das Sternum sehr lang und schmal; die Crista ganz bedeutend ausgeprägt; der untere Rand nie ohne Ausschnitte. Die Concavität wieder stärker. Die schnellen Laufbewegungen dieser Thiere, sowie das schnelle Hin- und Herschiessen der- 688 H. Magnus: selben in der Luft bedingen diese Form. Das schmale Sternum mit seiner scharfen Crista durchschneidet beim Laufen wie beim Fliegen schnell und leicht die Luft. Es können deshalb die Repräsentanten dieser Gruppe schnell und ausdauernd fliegen, doch nie so wie die Raubvögel, die von ihrem breiten Brust- knochen getragen werden, ruhig und lange in der Luft schweben. Es lassen sich natürlich die soeben aufgestellten Grund- typen nicht ganz scharf und präcise begrenzen, da sie vielfach in einander übergehen; z. B. bilden wohl die Strigidae den Uebergang von der 2. zur 3. Form, doch ist dies auch durch- aus nicht die Absicht der vorhergehenden Discussion gewesen, es sollte vielmehr nur ein Versuch sein, die zahlreichen Formen und Variatioren, in denen uns das Vogelbrustbein begegnet, als Ergebnisse und Resultate des Einflusses der Lebensweise auf das Skelet darzustellen. Einzelne dieser Formen lassen sich ‘direet ohne grössere Schwierigkeit erklären, während wir für andere wohl nur schwer eine passende Erklärung finden werden. So hängt die grössere oder kleinere Concavität des Sternum von der entsprechenden Entwickelung der Luftsäcke ab, die der Innenfläche dieses Kno- chens anliegen. Je schärfer das Flugvermögen ausgeprägt ist, um so mehr entwickeln sich die Luftsäcke und also auch natür- lich der dieselben schützende Knochen. Die kleinsten Foramina oder Ausschnitte des unteren Ster- nalrandes im Verhältniss zur Grösse des ganzen Brustknochens habe ich bei allen den Vögeln beobachtet, die hoch und gut fliegen; also Raptatores, Larus, Sterna, Ciconia. Eine Erklä- rung hierfür liesse sich wohl durch folgende Betrachtung geben. Um den Vogel zum anhaltenden Flug zu befähigen, muss der- selbe ein bestimmtes Quantum Luft in seine Knochen aufneh- men; je grösser nun das Sternum, der umfangreichste Knochen des ganzen Scelets, ist, um so mehr Luft kann dasselbe auf- nehmen. Die Grösse desselben wächst aber natürlich mit der Abnahme des Umfangs der Löcher oder Einschnitte, und so auch seine Fähigkeit, grössere Quantitäten Luft einzunehmen. — Gehen wir jetzt zu der specielleren anatomischen Unter- suchung des Brustbeins über. Ich theile dasselbe ein in den / Physiologisch-anatomische Untersuchungen u. s. w. 689 Körper und die von demselben ausgehenden Fortsätze, deren zwei Paar paarige, Processus laterales superiores (Processus laterales antiei Wiedemann. Processus costalis. Gurlt. Apophyse claviculaire Vieg d’Azyr.) und Processus latera- les inferiores (Processus laterales postici Wiedemann. Les anses laterales Vieq d’Azyr.), und zwei unpaarige, Crista sterni und Spina sternalis, existiren. Der Körper bildet die eigentliche Basis und Grundlage des ganzen Knochens; er stellt einen länglichen viereckigen Kno- chen dar, an dem wir eine vordere convexe, hintere concave Fläche und einen oberen, unteren Rand und zwei Seitenränder unterscheiden müssen (s. Taf. 16; L.). — Die vordere Fläche (Taf. 16; I. A.) ist convex, plan meist ohne jedes Foramen; nur bei Colloealia') ist dieselbe jederseits mit einer ovalen Fontanelle versehen, die durch eine sehnige Membran geschlossen wird. Bei Colymbus areticus und septemtrionalis (s. Taf. 16;"Il. M.) ist das untere Ende der vorderen Fläche mit mehreren regellos angeordneten Löchern versehen. In der Medianlinie der vorde- ren Fläche steigt die Crista sterni senkrecht herab und theilt dieselbe so in zwei symmetrische Hälften; geht die Crista bis an den unteren Rand des Sternum, so ist diese Theilung eine vollständige, so bei Gypogeranus, Alcedo, Cuculus, Cypselus, den meisten Grallatores, einzelnen Natatores, so Colymbidae (s. Taf. 16; I. A.C.H.L. M.N.). Spaltet sich aber die Crista, bevor sie den unteren Rand erreicht hat, in zwei Schenkel, so schaltet sich zwischen die beiden seitlichen Hälften der vorderen Fläche eine kleine dreieckige Platte ein, die am unteren Ende der Crista liegt. Dieselbe stellt ein Dreieck vor, dessen Basis der untere Sternalrand, dessen Schenkel die divergirenden End- leisten der Crista bilden und dessen Spitze im unteren Ende der Crista liegt. Sehr deutlich ausgesprochen ist diese Form bei den Tagraubvögeln (s. Taf. 17; III. B. D.), bei den Eulen (Taf. 16; II. G.), bei den Öseines, bei Buceros, Psittacini; bei sehr vielen Schwimmvögeln, so Anser, Cygnus, Pelecanus. Bei einzelnen 1) Bernstein. Beiträge zur näheren Kenntniss der Gattung Colloealia. Aus den Verhandlungen der kaiserl. Leopold.-Carolinischen Academie der Naturforscher. Vol. XXVI. P. I Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868- 45 690 H. Magnus: hört die Crista schon 1—2” vor dem unteren Sternalrand auf; alsdann gehen an dieser Stelle die beiden seitlichen Hälften in einander über; dies beobachtet man bei Aquila leucocephala (Taf. 16; 1.); bei Pelecanus, Sula, Haliaeus erreicht sie sogar kaum die Mitte der vorderen Fläche. “Die Foramina, die bei sehr vielen Arten sieh dicht ober- halb des unteren Randes zeigen, sowie die daselbst auftretenden Einsehnitte gehören in die weiter unten folgende Beschreibung des unteren Randes. Die vordere Fläche zeigt somit eigentlich nichts besonders Bemerkenswerthes, nur möchte ich noch auf einige Knochenleisten, die sich auf derselben zeigen und noch wenig beobachtet worden sind, aufmerksam machen. Es finden sich meist jederseits 3 solche Leisten. Die eine geht von dem lateralen Ende der vorderen Lefze des oberen Randes schräg zum Seitenrand herab, den sie ungefähr in seinem oberen Drittel erreicht (Taf. 16; I. Sp. 8.). Sie bezeichnet die Grenze, bis zu der sich der Musculus Subelavius nach unten erstreekt, und möchte ich sie deshalb Spina Subelavii nennen. Bei star- ker Entwickelung dieses Muskels tritt natürlich auch diese Spina besonders deutlich hervor, so dass der von ihr begrenzte Theil zu einer seichten Grube vertieft erscheint; so zeigt sie sich besonders bei den Raptatores, bei Picus, Psittaeini. Sehr schwach habe ich sie bei Diomedea und Pelecanus gefunden. Eine andere Leiste geht etwa von der Mitte der vorderen Lefze des oberen Randes entweder schräg zur Basis der Crista sterni hin (Taf. 16; 1. Sp. P.), so bei den Raptatores, Corvinae, Laridae, Colymbidae, Ardea, Sterna u. s. w., oder sie geht parallel dem Seitenrand über die vordere Fläche fast bis zum unteren Raud herab, so bei Psittacus, Vanellus, Anatidae. Diese Leiste zieht die Grenze für die laterale Entwickelung des Musculus pecto- ralis medius und möchte ich ihr deshalb den Namen Spina peetoralis beilegen. Die Entwickelung dieser Leiste hängt wesentlich, sowie die jedes Knochenvorsprunges, der Muskeln zum Ansatz dient, von der mehr oder weniger starken Ausbil- dung ihres Muskels ab. Dieser Muskel ist aber bei allen den Vögeln, die einen grossen Kopf und langen Hals haben, sehr kräftig und muss es auch sein, da er ein Hauptregulator für Physiologisch-anatomische Untersuchungen u. s. w. 691 die Erhaltung des Gleichgewichtes während des Fluges ist. Dadurch nämlich, dass er, von der unteren Körperfläche ent- springend, nach oben und vorn aufsteigt, dann sich um das Os coracoideum herumschlägt und direct nach hinten strebt, über- trägt er einen grossen Theil des Gewichtes der vorderen Körper- hälfte auf das Os coracoideum und weiter nach hinten auf den Humerus; er zieht seine im Bogen nach hinten gehende Sehne kräftig nach hinten, so dass, wie schon Cuvier') angedeutet hat, er das Ueberschlagen des Vogels in der Luft verhindert. Es hängt und ruht das Vogelscelet also in diesem Muskel wie in einer Schleife. Macht sich daher eine besonders kräftige Entwickelung des Kopfes und Halses geltend, so wird dem- gemäss auch, um das Gleichgewicht des Körpers zu normiren, der Pectoralis medius und mit ihm seine Ursprungsleiste am Sternum schärfer hervortreten müssen. Wir finden auch bei allen Vögeln, die einen sehr grossen Schädel haben, eine starke Spina pectoralis, so bei allen Raptatores, bei Psittacus, bei den langhälsigen Grallatores und Natatores. Bei den Oscines und allen den Arten, die sich nicht durch besondere Entwickelung der vorderen Körperhälfte auszeichnen, habe ich die Spina pec- toralis immer nur sehr schwach angedeutet gefunden, ja häufig sogar vermisst. Eine dritte quer von der Crista zum Seiten- rand strebende Leiste zieht dem Pectoralis major eine Grenze für seine Ausdehnung nach unten (Taf. 16; I. H.). Die hintere Fläche des Körpers ist concav; die tiefste Stelle der Concavität liegt in der Medianlinie in einer vertical herabsteigenden Furche. Ganz glatt habe ich diese Fläche nur bei den Colymbidae gefunden, während bei allen Anderen sich mehr oder weniger zahlreiche Löcher in derselben zeigen, die in die Luftzellen des Sternum führen. Eine sehr kleine An- zahl findet man bei den Oscines, den Hühnern und den klei- neren Grallatores; sehr zahlreiche dagegen bei den Raubvögeln und grösseren Wadvögeln. Bei Anas habe ich nur ein Loch beobachtet, das in der Medianlinie dicht unterhalb des oberen Randes liegt, ebenso bei Larus. Die Anordnung der Löcher ist 1) Cuvier. Vergleichende Anatomie. Tom. I. pag. 249. 45* 692 H. Magnus: so, dass sie sich in grosser Menge in der Medianfurche, längs des oberen Randes und der Seitenränder finden, so bei den Corvini, bei Cuculus, Cieonia. Ueber die Form dieser Löcher lässt sich nichts bestimmtes angeben, da dieselbe sehr variirt; so verschmelzen bisweilen die Löcher längs des oberen Randes zu zwei grossen Löchern, die neben der Medianfurche liegen, so habe ich es häufig bei Pieus, Psittacus gesehen, oder sie vereinigen sich zu einem umfangreichen Loch, das gerade in der Medianfurche liegt, wie ich es bei Ardea einerea und Te- trao urogallus bisweilen gefunden habe. Doch sind dies eben nur Ausnahmen, die sich bei den Einen finden, während sie Anderen derselben Species fehlen. Ausserdem sieht man noch manchmal auf der hinteren Fläche einzelne hervorspringende Querleisten, die am Seitenrand entspringen und quer nach der Mitte hin verlaufen, oder sehr kurz sind; recht deutlich habe ich sie bei Larus, Ciconia angetroffen. Am tiefsten ist die Con- cavität der hintere.: Fläche bei den Raptatores, bei Psittacus, den grösseren Grallatores; am flachsten bei den Natatores, z. B. Anas, eine Erscheinung, die ich schon vorhin durch den Ein- fluss der Lebensweise zu erklären versucht habe. — Am brei- testen ist der Brustbeinkörper bei den Schwimmvögeln, beson- ders bei Pelecanus und Diomedea; am schmalsten bei den Gral- latores; dafür macht sich aber in der Grösse des Längendurch- messers das umgekehrte Verhältniss geltend, so hat z.B. Grus wohl das längste Sternum. Die Seitenränder, Margines laterales, zeigen drei Abschnitte; der oberste wird gebildet durch einen mehr oder minder ausgebildeten Fortsatz, Processus lateralis superior; an ihn schliesst sich nach unten der rippentragende Theil des Seitenrandes an, der nach unten zu in den dritten Abschnitt übergeht, welcher die verschiedensten Formen zeigt, bald ge- rade nach unten herabsteigt, bald einen Fortsatz, Processus la- teralis inferior, nach der Seite schickt. lassen wir alle drei Theile einmal als Ganzes ins Auge, so können wir von diesem Rand sagen, dass er bei allen den Arten, deren Sternum einen Processus lateralis inferior besitzt, nach unten zu divergent mit dem andern Seitenrand verläuft. Bei Fehlen dieser Fortsätze Physiologisch-anatomische Untersuchungen u. s. w. 693 gehen beide Ränder meist parallel bis fast an den unteren Rand, kurz vor dem sie sich aber etwas ausbauchen (s. Taf. 16; I.), oder sie gehen ganz parallel bis unten, so bei Ardea, Buceros (Taf. 16; II. E. F.). Divergent nach unten zu verlaufen beide Seiten- ränder bei den Edelfalken (Falco peregrinus, aesalon, subbuteo, islandicus, tinnunculus, rufipes und cenchris), ein Verhalten, welches gerade unter den Raubvögeln ganz besonders diese Fa- milie charakterisirtt. Auch die Psittaeini zeigen diese Form, ebenso Cypselus, Collocalia. Eine Oonvergenz der Seitenränder nach unten wird nur äusserst selten beobachtet, so bei Haliae- tos albicilla, bei einzelnen Grallatores. Untersuchen wir nun die 3 Abschnitte der Seitenränder einzeln. Der oberste Abschnitt, Processus lateralis supe- rior, durchläuft alle Phasen der Entwickelung, von einer klei- nen rundlichen, kaum vom Corpus sterni deutlich äbgesetzten Knochenplatte (Psittacus, Milvus, Astur, Circus), bis zu einem schlanken, langen, nach oben oder aussen strebenden Fortsatz (Oscines, Corvini, Alcedo, Picus, Strigidae, Gallinacei, Ardea, Anas; s. Taf. 17; IV.A.D.E.F.L.). Es beginnt dieser Fortsatz am lateralen Ende der hinteren Lefze des oberen Randes; bis- weilen findet sich an dieser Stelle eine seichte Incisur (Taf. 16; I. F.), welche denselben vom oberen Rand deutlich abtrennt, so bei den Aquilae, die auch einen mehr entwickelten Fortsatz besitzen, als die übrigen dieser Ordnung; ebenso bei Anser. Seine Grenze nach unten zu ist keine bestimmte, er geht viel- mehr ohne irgend welche Incisur oder Vorsprung in den rippen- tragenden Theil des Seitenrandes über. Man trennt beide Theile am besten, wenn man in der Verlängerung des oberen Randes durch die Basis dieses Fortsatzes eine Grade zieht. Am schwächsten ist der besagte Fortsatz, wie schon erwähnt, bei Milvus, Astur, Circus; dann kommen einzelne Arten aus der Ordnung der Grallatores, so Vanellus, Scolapax, während es bei anderen ziemlich gross und nach der Seite gerichtet ist, so bei Ardea, Ciconia. Ziemlich bedeutend ist er bei allen Schwimmvögeln, doch am längsten bei den Öseines und den Hühnern, bei Picus, Ramphastos, Sturnidae, Strix aluco. Auch bei Struthio ist er sehr kräftig und nach der Seite gerichtet, 694 H. Magnus: während er bei den vorher erwähnten Arten schräg nach oben und aussen geht. Er endet gewöhnlich bei diesen Arten mit einer breiten Platte, so besonders bei Centropus Mirbeckii, während er bei Picus mit knopfförmig verdicktem Ende auf- hört. Bei den Wasservögeln ist er meist eine breite rundliche oder mehr viereckige Platte (so Anas, Podiceps, Taf. 17; IV. K.L.). Bei einzelnen Familien trägt er sogar noch Gelenkflächen zum . Ansatz für 1 bis 2 Rippen, so bei Picus, Aquila, Ciconia; alsdann ist seine Grenze nach unten hin natürlich noch viel weniger deutlich als sonst. Strix fammea und Otus vulgaris können allein, abgesehen von anderen Verschiedenheiten im Scelet, durch diesen Fort- satz unterschieden werden. Bei Strix flammea ist derselbe breit, ziemlich kurz, fast direct nach der Seite strebend, mit einer viereckigen breiten Spitze endend. Bei Otus vulgaris ist er schmal, schlank, nach oben und aussen gerichtet, in eine scharfe Spitze zulaufend. Die sich nach unten an diesen Fortsatz an- schliessende, die Gelenkflächen für die Brustbeinrippen tragende Pars artieularis stellt einen graden, oder ein wenig nach innen ausgehöhlten breiten Knochenrand dar. Die Länge die- ses Randes ist eine sehr wechselnde und richtet sich nach der Anzahl der Gelenkflächen, die er trägt; seine Grenze nach un- ten zu ist die letzte Gelenkfläche. Sind nur wenig Gelenk- flächen, so ist natürlich die Pars articularis kurz, so bei Ardea, Strigidae, Alcedo, Cuculus, Pieidae, den Hühnerartigen; sind die Gelenkflächen sehr eng und nahe an einander gerückt, so verkürzt sich natürlich dieser Theil auch nicht unbedeutend, so bei den Oscines. Am längsten habe ich denselben bei den Natatores gefunden, wo die letzte Gelenkfläche dicht am Ur- sprung des Processus lateralis inferior sich findet. Auch bei den Tagraubvögeln ist die Pars artieularis lang; bei Ciconia verlängert sich der rippentragende Seitenrand durch das Weit- auseinanderstehen der 5 Gelenkflächen. Die Zahl der Rippen, die sich am Sternum ansetzt, varlirt von 3 bis 9; darunter oder darüber habe ich sie nie fallen oder steigen sehen. Es giebt übrigens die Anzahl der ans Sternum sich ansetzenden Rippen bei verschiedenen Species derselben Art eine Unterscheidung - Physiologisch-anatomische Untersuchungen u. s. w. 695 derselben; doch muss ich gleich hinzusetzen, dass die Anzahl der Rippenpaare bei den Vögeln sehr schwankt, also dies Cri- terium nur eine relative Sicherheit zur Unterscheidung bietet. Ich lasse hier eine kleine Tabelle folgen über die Anzahl der ans Sternum sich ansetzenden Rippen; aus der Zahl dieser kann man die Zahl sämmtlicher Rippen sehr leicht berechnen, wenn man noch 2 Paar falsche Halsrippen, die sich fast bei allen Arten finden, und 1 Paar falsche Bauchrippen, die sich nicht überall finden, als bei den Hühnern, Natatores, Gralla- tores, mit wenigen Ausnahmen. Rneagamericana, - . . . „dena Casuarius galeatus. . . .erisunlık Casuarius Novae Holland... . 2.5 Ardea cinerea „. Stellaris 3 4 „ Ininuta 5 Ayo Alle Hühnerarten Fast alle Clamatores Strix flammea . Strix vulgaris Alle. Fringillae . Alle Corvini Lanius Sturnus Motacilla Vultur einereus Ramphastos Toce Platalea Phoenicopterus . Tantalus . Cieoma .. 7 Picidae Sula Haliaeus . Cacatua moluecensis . Psittacus rufirostris ax a a x an oa IT ST A m [ 696 H. Magnus: Psittacus leucocephalus . - sulphureus . x erythacus 2 aureus “ amazonicus a dominicus . . ochrocephalus . 5 macao r melopsittacus . Diomedea Larus . Aptenodytes Thalassidroma . Merzus en. er Cathartes percnopterus . Alle Edelfalken Gypaötos barbatus Lestris Alle Adler Rineit 5t Ausgenommen Haliaetos albicilla Astur . Circus Milvus > Cygnus olor 5 Be Grus So A SNAISÄAANHn N AD Ho nn Cygnus musicus SP EN TUE TI Dass diese Zahlen Schwankungen unterworfen, habe ich vorhin schon angedeutet, doch habe ich, da ich die meisten der angeführten Vögel in verschiedenen Exemplaren untersucht habe, wohl beurtheilen können, welche Zahlen die gewöhnlichen sind, und diese habe ich 'in die Tabelle aufgenommen. Wo ich bloss ein Thier untersuchen konnte, habe ich die Zahlen nicht angegeben; so habe ich bei I Exemplar von Falco api- vorus d wahre Rippen gefunden, ebenso bei Meleagris gallo- pavo 5, bei Tetrao lagopus 5; bei 5 untersuchten Perlhühnern zeigten vier 4 Paar echte Rippen, eins aber ö; bei 3 Exem- Physiologisch-anatomische Untersuchungen u. s. w. 697 plaren von Crax hatten zwei 4, eins 5 Paar wahre Rippen; bei Fulica atra hatten zwei 7, eins 6 Paar u. s. w. Wie sich aber Species einer Gattung durch die Rippenzahl unterscheiden lassen, sieht man bei Psittacus, Ardea, Oygnus, Casuarius, Falco nobilis. In demselben Grade wie die Anzahl der Gelenkflächen für die Rippen am Sternum variirt, ist die Form derselben constant. Der dieselben tragende Sternalrand ist ziemlich breit und zeigt zwei Lefzen, eine vordere und eine hintere, von denen die erstere meist gegen die andere etwas zurücktritt. Die Gelenkflächen nun springen als Querleisten dieses Randes stark hervor. Der Raum zwischen zwei solchen Leisten ist concay und zeigt einige Foramina, welche in die Luftzellen des Brustbeins führen; ganz besonders gross habe ich dielben bei Struthio, Ardea beobachtet, während ich sie bei Vanellus eristatus und Scolopax rusticola vermisst habe. Die Querleisten selbst tragen an ihrem vorderen und hinteren Ende je einen flachen, rundlichen Gelenkkopf, und sehen nicht direct nach aussen, sondern nach aussen und unten, entsprechend der Richtung der Brustbeinrippen, die sich an dieselben ansetzen. Die Länge dieser Leisten nimmt nach oben und unten ab, so dass schliesslich die obere und untere zu einem kleinen rund- lichen Condylus sich umgewandelt haben. So bei Psittaci, Ana- tidae, Colymbidae. Bei den Raptatores zeigt nur die oberste Gelenkfläche diese Umwandlung, ebenso bei den meisten Osci- nes, Corvini, Coracias, Bei Pieus ist die oberste Gelenkfläche die stärkste, zu einer breiten, dicken Querleiste umgewandelt; dafür ist die folgende zweite die kleinste, Bei Larus zeigt nur die unterste Gelenkfläche die Umwandlung in einen rundlichen Gelenkcondylus. Bei vielen verkleinern sich die Gelenkflächen bloss nach oben und unten, ohne jene Umwandlung einzugehen, so Alcedo, Cueulus, Vanellus, Scolopax, Totanus, Sterna u. s. w. Die Rippen tragen dem entsprechend ebenfalls zwei glatte, we- nig vertiefte Köpfchen, welche auf die Gelenkflächen des Ster- num passen. Die Bewegung in diesem Gelenk geschieht um eine Axe, die quer durch die Rippenköpfchen geht; es besteht dieselbe also nur in einem Heben und Senken der Rippen; wir müssen das Gelenk daher als einen Ginglymus ansprechen. 698 H. Magnus: Eine zweite Bewegung, die in diesem Gelenk noch möglich ist, ist ein Vor- und Zurückrutschen der Rippen auf der Gelenk- fläche; doch ist dasselbe nur sehr unbedeutend, so dass wir ganz davon absehen und das Gelenk als reines Winkelgelenk bezeichnen können. Verstärkungsbänder der dies Gelenk ein- schliessenden Kapsel sind ein vorderes und ein hinteres, welche von dem Rippenhals auf die vordere und hintere Fläche des Brustbeins sich strahlenförmig ausbreiten. Die Gelenkkapsel setzt sich an den Rippen kurz hinter deren Köpfchen an; am Sternum setzt sie sich an den Umfang der Gelenkfläche an. Die Richtung der Brustbeinrippen ist eine schiefe; dieselben steigen von unten und aussen nach oben zum Sternum auf. Die unter- sten Rippen steigen am steilsten auf, so dass sie dem Seiten- rand des Sternum fast anliegen; die oberen Rippen haben eine mehr horizontale Richtung. Schärfer und bestimmter als gegen den Processus lateralis superior grenzt sich dieser rippentragende Theil gegen den letz- ten unteren Abschnitt des Seitenrandes ab. Die letzte Gelenk- fläche bildet hier die Grenze. Dicht unter derselben springt die äussere Lefze des Seitenrandes als scharfer, schneidender Kamm vor, während die hintere als abgerundete, schwach aus- geprägte Leiste bedeutend zurücktritt; ein Verhalten, das ich überall sehr deutlich entwickelt gefunden habe, am schwächsten bei Ciconia. Fehlen die Processus laterales inferiores des unteren Sternalrandes, so geht dieser unterste Abschnitt, abge- rechnet einige Ausbuchtungen besonders am Ende (Taf. 16; L. E.), grade bis zum unteren Rand des Brustbeins. Beim Auftreten jener Fortsätze dagegen verläuft er meist schief nach unten und aussen, so dass er mit dem rippentragenden Theil einen stum- pfen, nach aussen offenen Winkel macht; besonders sieht man dies bei den Hühnerartigen (s. Taf. 17; IV. K.). Eine Ausnahme hiervon machen Ardea, Buceros, Ciconia, Haliaötos, wo der Rand bis unten grade verläuft. Die Abweichung desselben nach aussen zeigt natürlich alle möglichen Uebergänge; sehr schwach ist dieselbe bei Vanellus, Scolopax. Wenden wir uns jetzt zur Betrachtung des unteren Ran- des. Derselbe zeigt die meisten Variationen und Formen, welche Physiologisch-anatomische Untersuchungen u. s. w. 699 sich aber doch schliesslich alle als Modificationen und Umbil- dungen einer Grundform ergeben. Als Grundform möchte ich die des vollkommen glatten, convexen Randes bezeichnen, wie wir ihn bei Cypselus apus (Taf. 16; II. A.) und bei Collocalia finden. Aus dieser entwickelt sich durch Treiben eines Fort- satzes und durch stärkeres Zuspitzen des Randes nach der Me- dianlinie hin die zweite Form, wie wir sie bei Aquila leuco- cephala, Gypogeranus africanus (Taf. 16; II. B. ©.) beobachten. Tritt nun dieser mediale Fortsatz stärker hervor, so bilden sich natürlich zu seinen beiden Seiten mehr oder weniger tiefe Ein- schnitte und so wandelt sich die untere Parthie des Margo late- ralis durch Tieferwerden dieser Einschnitte in die vorhin er- wähnten Processus laterales inferiores um. Ueber die Form- veränderung des unteren Randes durch die verschiedenen For- men dieser Einschnitte und des medialen Fortsatzes habe ich in Taf. 16; II. D.—O. eine kleine Uebersicht zu geben versucht. Aus dieser Form resultirt diejenige, bei der oberhalb des un- teren Randes jederseits ein Foramen sich findet, so bei Vultur leucocephalus Taf. 17; III. C., Cathartes perenopterus Taf. 17; IH. B. und D., Falco peregrinus, ferner bei Milvus, Astur, Circus, Psittaeini; es entstehen diese Foramina einfach durch eine knö- cherne Brücke, welche die untere Oeffnung der oben erwähnten Einschnitte verschliesst. Bei jungen Thieren, die zu einer Spe- cies gehören, die jene Foramina im Sternum führt, findet man diese Löcher noch als Einschnitte; erst späterhin verwandeln sie sich in rings mit Knochen umrandete Foramina (s. Taf. 16; Il. O.). Die letzte Form endlich, bei der wir jederseits von der Medianlinie zwei Einschnitte und zwei Fortsätze beobachtet, bildet sich einfach so, dass in den Processus laterales inferiores, wie sie uns Taf. 16; II zeigt, jederseits ein Foramen sich zeigt (s. Taf. 17; IH. A. Diomedea exulans). Diese Foramina treten nicht constant auf, fehlen bald, bald sind sie sehr gross oder sehr klein. Durch unterbleibende Verknöcherung der unteren Peri- pherie dieser Foramina verwandeln sich dieselben in Einschnitte, welche den Processus lateralis inferior, in dem sie sich finden, in zwei Fortsätze spalten. Recht deutlich kann man dies bei Larus sehen (Taf. 17; III. G.), wo der laterale Einschnitt sehr klein 700 H. Magnus: ist; eine Uebersicht dieser Form findet sich Tab. 17; III. E.—K. Welche Einflüsse sich geltend gemacht haben, um diese Um- wandlungen und Formvarietäten hervorzubringen, lässt sich schwer sagen. Einen nicht unbedeutenden Einfluss möchte ich dem Musculus rectus einräumen, der sich am unteren Rand des Sternum ansetzt und so durch seine grössere oder kleinere Entwickelung auch den medialen Fortsatz mehr hervortreten lassen wird. Bei hoch- und gutfliegenden Vögeln ist der un- tere Rand nur durch unbedeutende Einschnitte oder Foramina unterbroehen; hier ist der Schutz, den das Sternum den Luft- säcken bieten soll, und die Verkleinerung der Luftzellen des Sternum, die durch grosse Einschnitte bedingt, das Flugver- mögen herabsetzen würde, die Ursache. Die hühnerartigen Vö- gel, die sehr viel laufen, dagegen weniger gut fliegen, haben die grössten Einschnitte. Das sehr grosse Brustbein dieser Thiere wird auf diese Weise leichter, ohne seine Widerstands- fähigkeit zu verlieren, und begünstigt durch seine grössere Leichtigkeit ein viel rascheres Laufen dieser Thiere. Tiede- mann!) will die bedeutende Ausdehnung des Hühnersternum nach unten durch den Schutz, den es dem Magen gewähren soll, erklären. Die Formen des unteren Randes bieten uns ein sehr schätzenswerthes Material zur Unterscheidung einzelner Species desselben Genus. So zeigt Larus glaucus Brunichii einen un- teren Rand mit jederseits einem Einschnitt, ungefähr wie Ardea (s. Taf. 16; II. E.). Alle anderen Möven, die ich untersucht habe, als Larus ridibundus, canus, argentatus, tridactylus zeigen jeder- seits zwei Einschnitte (s. Taf. 17; IH. G.). — Alle entenartigen Vögel zeigen am unteren Rand jederseits einen tiefen Ein- schnitt; Mergus dagegen hat einen unteren soliden Sternalrand mit jederseits einem Foramen über demselben; ebenso Anas elangula. — Strix flammea hat jederseits einen Einschnitt im unteren Sternalrand (Taf. 17; Il. G). Strix Bubo, aluco, otus jederseits zwei, im Ganzen also vier. Diese Angabe berichtigt zugleich die Behauptung Tiedemann’s — in dem soeben an- 1) Tiedemann. Anatomie u. Naturgeschichte d. Vögel. Bd.I. Physiologisch-anatomische Untersnehun gen u. s. w. 701 geführten Werke p. 215 — dass alle Eulen vier Einschnitte im unteren Sternalrand hätten. Colymbus aretieus und septemtrionalis (Taf. 16; II. m. ) haben am unteren Rand des Sternum jederseits einen schmalen, nach oben sich verschmälernden Einschnitt; zwischen diesen beiden ragt eine mediale, breite Platte hervor, die von zahlreichen, regellos gestellten Löchern durchbrochen ist. Die Processus laterales inferiores sind grade, etwas schief nach aussen gerich- tet, kurz, werden vom medialen Theile bedeutend überragt, sind unten schmäler wie oben. Podiceps auritus und suberista- tus (Taf. 16; Il. L.) dagegen haben jederseits einen rundlichen, ovalen, und in der Medianlinie noch einen spitzwinkligen, tiefer einspringenden Einschnitt; die Processus laterales inferiores krümmen sich nach innen, überragen den mittleren Theil des unteren Randes, sind oben und unten gleich breit. Bei allen von mir untersuchten Papageien habe ich den unteren Sternalrand ganz solid gefunden, mit jederseits einem Foramen über demselben; nur Psittacus Macao (Taf. 16; II. D.) zeigt zwei Einschnitte mit einem zwischen beiden hervortreten- den kurzen Fortsatz. Die Edelfalken zeichnen sich durch die Bildung dieses un- teren Randes, sowie durch die des ganzen Brustknochens von allen anderen Klassen der Raubvögel aus. Derselbe ist hier ziemlich in die Breite gezogen, wenigstens breiter als der Breitendurchmesser des Corpus sterni, etwas verdickt, leicht nach vorn umgebogen und mit einer schmalen, von der Crista ausgehenden Leiste gleichsam umsäumt. In der Medianlinie derselben tritt nur ein kleiner knopfförmiger Fortsatz hervor. Die Ausschweifungen sind nur ganz seicht, während sie bei Astur, Milvus, Circus viel tiefer sind, ebenso bei Cathartes (s. Taf. 17; IH. B.). Die Foramina oberhalb des unteren Randes sind dreieckig, mit abgerundeten ‚Winkeln, relativ die grössten von allen Arten dieser Ordnung; sie verschwinden nur ganz aus- nahmsweise, während sie bei Cireus z. B. sehr häufig ver- schwinden, oder halb zuwachsen. Die Vultures (Taf. 17; II. C.) zeichnen sich durch einen sehr convexen unteren Rand des Brustbeins aus, wie wir ihn in 702 H. Magnus: dieser Weise bei keinem anderen Individuum aus der Ordnung der Raptatores finden. Ebenso zeichnet sich Haliaötos albieilla durch zwei Ausschnitte im unteren Sternalrand aus, ähnlich wie bei Psittacus Macao. Gypogeranus africanus zeigt eine ganz eigenthümliche, sonst bei keinem Tagraubvogel zu findende Gestaltung des unteren Sternalrandes. Derselbe fällt hier nach der Medianlinie hin gleichsam terrassenförmig ab; in der Medianlinie ragt das un- tere Ende der Crista sterni als starker Fortsatz hervor (Taf. 17; I. ©.). Alle Segler, Cypselidae, haben einen unteren ganz platten, nur wenig convexen Rand (s. Taf. 16; I. A.). Meleagris gallopavo zeichnet sich durch die grosse Breiten- ausdehnung des lateralen Processus des unteren Randes aus, die z. B. bei Tetrao tetrix (Taf. 17; IIL. K. a.) nicht breiter als die medialen (b.) sind; besonders ist das untere Ende dieser Fortsätze schaufelförmig verbreitert. Breit und dick sind diese Fortsätze bei Goura coronata, der gleichsam den Uebergang zwischen Hühnern und Tauben ver- mittelt (Taf. 17; III. H.). Die Tauben haben nur jederseits einen Ausschnitt im unteren Rand, dagegen zu beiden Seiten des me- dialen Fortsatzes noch je ein Foramen. Denkt man sich bei Goura die kleinen Einschnitte (d) durch eine untere Knochen- brücke geschlossen, so haben wir die characteristische Form für die Tauben. Eine ähnliche Form mit zwei Löchern und zwei Binschnitten habe ich bei Vanellus beobachtet. Bei allen aus der Ordnung der Oseines hat der untere Sternalrand zwei ziemlich tiefe Einschnitte, jederseits einen (Taf. 16; 11.K. Taf, 17; IV. D.). In der Ordnung der Clamatores treten verschiedene Formen dieses Randes auf; so haben die Caprimulgidae zwei mässig tiefe, aber ziemlich breite Aus- schnitte (jederseits einen), welche einen ziemlich stark promi- oirenden medialen Fortsatz zwischen sich haben. Die Cypselidae haben einen ganz massiven Rand (Taf. 16; II. A.) Dagegen haben die Colopteridae, Epopidae, Buceridae jederseits einen Einschnitt wie die Oseines. Kurystomi, Meropidae und Halcyo- nidae haben jederseits zwei, im ganzen also vier Einschnitte Physiologisch-anatomische Untersuchungen u. s. w. 703 (Taf. 17; IV. H.M.). Cuculus hat jederseits einen seichten, rund- lichen Einschnitt und zugleich ist der untere Rand stark nach vorn umgebogen; auch Ramphastos hat nur zwei Einschnitte im unteren Rand; Junx und Picus dagegen vier; die Papageien meist gar keine. Diese Einschnitte und Foramina sind durch eine starke bindegewebige Membran verschlossen. Wenden wir uns jetzt zur Untersuchung des oberen Ster- nalrandes: Derselbe ist convex, erreicht grade in der Median- linie seine grösste Höhe und trägt die durch einen mittleren Fortsatz oder Furche getrennten Gelenkflächen für den Ansatz der Ossa eoracoidea. Diese Gelenkflächen zeigen bei allen Arten im grossen Ganzen denselben Bau; sie haben eine vordere und hintere Lefze, zwischen denen sich eine mehr oder weniger tiefe Furche hinzieht; ziemlich tief habe ich dieselbe bei den Tauchern gefunden. Die hintere Lefze gleicht einem rundlichen Knochenwulst und trägt einen länglichen überknorpelten Con- dylus artieularis, der dem Os coracoideum zum Stützpunkt dient. Beide hintere Lefzen werden in der Mitte meist durch einen seichten Ausschnitt getrennt, so bei den Oscines, Tagraubvögeln mit Ausnahme der Edelfalken, wo sich an Stelle dieses Aus- schnittes ein kleiner, spitzer Fortsatz erhebt, ebenso bei Cucu- lus (s. Taf. 17; IV. B. C.). Auch bei den Strigidae finden wir einen solchen Ausschnitt, ebenso bei Anatidae, Colymbidae. Bei vielen erstreckt sich der die vorderen Lefzen trennende Fort- satz, Spina sternalis, auch noch auf die hintere Lefze, so bei den Papageien, Hühnerartigen, Picidae, Cypselus, Vanellus, Scolopax, Larus, Sterna. Die vordere Lefze gleicht mehr einem scharfen schneidenden Kamm, und bildet an ihrem lateralen Ende ıneist ein deutlich fortspringendes Tuberculum, so bei den Fringillen, Eulen, Laridae, Anatidae. Die Höhe beider Lefzen ist entweder eine gleiche, was jedoch ausnahmsweise der Fall ist, so bei Cuculus, oder es ist die hintere höher wie die vor- dere, so bei den Oscines, vielen Clamatores, allen Raptatores, vielen Schwimm- und Sumpfvögeln, so ganz exquisit bei Ardea. Die vordere Lefze überragt die hintere bei den Tauchern. Es nimmt nun die durch die beiden Lefzen und die dazwischen 704 H. Magnus: befindliche Furche gebildete Gelenkfläche das untere Ende des Os coracoideum auf; durch zwei sehr starke Bänder, ein vor- deres äusseres und ein hinteres inneres, wird dies Gelenk be- festigt. Die Form desselben und seine äusserst geringe Beweg- lichkeit drücken demselben den Charakter einer Amphiarthro- sis auf. Getrennt werden beide vorderen Lefzen in der Medianlinie durch die vorhin schon genannte Spina sternalis. Dieser Fortsatz nun zeigt die mannigfaltigsten Formen. Im Allgemeinen lässt sich die Behauptung aufstellen, dass die grössere oder kleinere Entwickelung dieses Fortsatzes von dem Ansatz des Gabelschlüsselbeins, Furcula, an denselben abhängt. Setzt sich die Fureula nicht an die Spina sternalis, sondern an den obe- ren Rand der Crista, so ist die Spina sternalis nur schwach angedeutet. Dies beobachten wir bei Caprimulgus, Strix, Tan- talus, Platalea, Ciconia, Anas moschata, tadorna, Mergus, Pele- canus, Podiceps u. s. w. Ist die Fureula dagegen an die Spina sternalis angeheftet, so ist diese stark entwickelt und zeigt eine dreieckige Form mit vorderer scharfer Kante, so bei den Tag- raubvögeln, bei Larus, Vanellus. Bei vielen Arten setzt sich die Furcula nicht direct an die Spina sternalis, sondern sie schiekt einen Knochenfortsatz nach hinten, der sich vermittelst eines Bandes an die Spina anheftet; so bei den Oseines, Cla- matores, bei den Hühnern, bei Alca, Larus. Es findet sich diese Spina sternalis, wie schon oben ange- deutet wurde, entweder nur auf die vordere Lefze beschränkt, oder sie geht auch auf die hintere über; dies letztere beobach- tete ich bei den Spechten, den Oypselidae, bei Vanellus, Tota- nus, Scolopax, Larus, Sterna, den Hühnerartigen. Bei den Raubvögeln, Oseines, Corvini, Alcedo, Coracias, Ardea, be- schränkt sie sich nur auf die vordere Lefze. Es bietet dieser Fortsatz eine solehe Menge von Formen dem Beobachter, dass wir etwas genauer uns mit demselben beschäftigen müssen. Be- trachten wir zuerst seine Form, wenn er nur auf der vorderen lwefze sich findet. Derselbe zeigt uns dann eine dreieckige, pyramidale Form mit einer hinteren, einer oberen und zwei seitlichen abgerundeten Leisten oder Kanten. Kurz und ge- Physiologisch-anatomische Untersuchungen u. s. w. 705 drungen ist diese Spina bei den Tagraubvögeln; bei den Stri- gidae ist sie sehr klein, besonders bei Strix flammea, während sie bei Aluco, Bubo etwas höher ist. Sehr breit und kurz habe ich sie bei Gypa&tos barbatus afr. gefunden, wo auch die seitlichen Flächen, über die sonst nichts zu berichten ist, ein- zelne Foramina zeigten. Sehr lang und schmal ist dieser Fort- satz bei Ardea, bei Anas boschas; bei den übrigen Enten ist er kurz, bei Anser viereckig. Bei den Öscines, Corvini ist er ebenfalls lang, nach hinten und oben aufsteigend, gabelförmig gespalten. Die vordere scharfe Kante zeigt sehr verschiedene Formen in ihrer Entwickelung. Sie erstreckt sich bis auf den oberen Rand der Crista sterni herab, wo sie und zwei seitliche, ihr parallel laufende rundliche Knochenwülste als Ursprunglinien der Crista bezeichnet werden: Bei den Hühnern ist diese scharfe mittlere Kante am schwächsten entwickelt und der obere Rand der Crista sehr ausgehöhlt (Taf. 17; IV. A. a.), auch bei Cuculus und den Raptatores ist sie schwach. Durch allmähliges schär- feres Hervortreten dieser mittleren Kante wandelt sich der obere Cristalrand in einen scharfen schneidenden Kamm um; eine Uebersicht darüber giebt Tab. 17; IV. A.—K. Sehr deutlich ist dieser Kamm bei Alcedo, Coracias, Junx, Psittacus, Picus, Ana- tidae, Colymbidae, Plotus, Haliaeus. Man sieht auf beiden Seitenflächen dieses Kammes je einen rundlichen Knochenwulst, ein Beweis dafür, dass sich der Kamm einfach durch starkes Hervortreten der mittleren Leiste des oberen Oristalrandes bil- det, während die beiden seitlichen Leisten unverändert bleiben und sich dann an den Seitenflächen des Kammes als jene rund- lichen Wülste zeigen. — Die obere Fläche ist meist dreieckig und je nach der Dicke und Breite des ganzen Fortsatzes grös- ser und kleiner. Bei den Oseines, Corvini, Picus theilt sie sich gabelförmig in zwei Zacken (Taf. 17; VI.D. F.); auch bei einzel- nen Papageien, wo dieselbe durch eine tiefe mittlere Furche ausgezeichnet ist, findet sich diese Theilung. Bei den Edel- falken, bei Cuculus, Ardea, Anatidae spitzt sich die Spina so zu, dass ihre obere Fläche fast ganz verschwindet. Die hintere Fläche ist mässig breit, entweder mit einzelnen Foramina ver- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 46 706 H. Magnus: sehen, so bei Oriolus, allen anderen Corvini, Alcedo, Colloca- lia, oder glatt ohne Löcher. Bei einzelnen steigt von der obe- ren Fläche beginnend eine Leiste über die Hinterfläche, so bei den Raptatores diurni. (seht die Spina sternalis auch auf die hintere Lefze über, so ändert sie sich in ihrer Form doch nur wenig; sie zeigt dann dieselben Kanten und Flächen, die wir soeben besprochen haben. Bei den Hühnerartigen zeigt sich ein Foramen, welches die Spina von einer Seite zur anderen quer durchsetzt (Taf. 17; IV. A.). Bei einzelnen Arten ist die hintere Fläche ebenfalls von einem ziemlich umfangreichen Foramen durchbohrt, so bei Numida meleagris, Gallus Pumilio, Crax Alector, Urax Pauxi. Man kann durch dieses zweite Loch die Brustbeine dieser drei Arten von denen der anderen Hühner unterscheiden, da sich dasselbe constant zu finden scheint; ich habe es wenigstens bei 6 Exemplaren von Numida, die ich untersucht habe, stets ge- funden, ebenso bei Crax und 3 Pumilio. Auch Merops (Taf. 17; IV.M.) zeigt einen quer durchbohrten Fortsatz. Cypselus und Collocalia zeigen die kleinste Spina sternalis, welche sich in Form einer schmalen, niedrigen Leiste von der vorderen auf die hintere Lefze erstreckt. Durch die Form dieses Fortsatzes unterscheiden sich einige Arten ganz wesentlich. So haben die Edelfalken zwei Spinae, eine vordere und hintere (Taf. 17; IV.C.); eine Form, die über- haupt selten, sich bei keinem anderen Falken findet. Es ge- hören hierher Falco peregrinus, tinnunculus, subbuteo, aesalon, rufipes, cenchris. Strix dammea hat nur eine schmale Leiste an Stelle der Spina, während Aluco einen kleinen Fortsatz besitzt. Bei Podiceps ist der Fortsatz am allerkleinsten, während er bei Ardea Virgo die grösste Entwickelung zeigt. Die Eurystomi (Taf, 17; IV. E.) haben einen dreieckigen, nach oben sich zuspitzenden Fortsatz. Ich möchte hier noch einen Irrthum berichtigen, den ich Physiologisch-anatomische Untersuchungen u. s. w, 707 in Bernstein’s') Anatomie der Krähen gefunden habe. Bei Oaryocatactes soll sich diese Spina sternalis in einen vorderen und hinteren Fortsatz, ähnlich wie bei Cuculus (Tab. IV. C.), spalten; ein Verhalten, das ich bei 5 Exemplaren von Caryo- catactes nie habe constatiren können, vielmehr theilt sich die Spina sternalis, wie bei allen anderen Corvini, an ihrem oberen Ende gabelförmig in zwei Zacken. Es bleibt uns jetzt bloss noch die Betrachtung der die vordere Fläche des Sternum halbirenden Crista sterni. Die- selbe steigt senkrecht in der Medianlinie der vorderen Sternal- fläche herab. Man unterscheidet an ihr eine obere und vordere Kante, sowie zwei Seitenflächen. Die obere Kante (Tab. I. G.) haben wir schon bei der Spina sternalis besprochen. Wir haben deshalb hier nicht mehr viel darüber zu sagen. Es sei hier nur der eigenthümlichen Form dieses Randes bei den Tau- chern gedacht. Es geht derselbe hier von der Basis der Spina sternalis schräg nach vorn und oben in die Höhe, so dass da, wo er auf den vorderen Cristalrand stösst, ein ziemlich spitzer Winkel entsteht; diese Form des Randes befähigt die Vögel schnell und kräftig das Wasser beim Tauchen zu durchschnei- den. Ich habe sie bei Plotus, Haliaeus, Sula, Mergus, Colym- bus, Podiceps ganz besonders deutlich ausgeprägt gefunden (Taf. 175:1Vs KR.) Eine andere merkwürdige Form dieses oberen Cristalrandes muss hier noch erwähnt werden; es ist die, in der wir das Sternum bei Grus und Cygnus musicus antreffen; bei Grus ist der hintere Theil dieses Randes, der an die Spina sternalis grenzt, zu einer knöchernen Kapsel aufgetrieben, vor der sich eine Oeffnung befindet; in diese Oeffnung tritt ein Theil der Trachea. Bei Cygnus ist der obere Rand in einen tiefen, klaf- fenden Spalt umgewandelt, der ebenfalls zur Aufnahme der Trachea bestimmt ist. Bei Ciconia und Tantalus habe ich einen schmalen, seichten Spalt im oberen Rand gefunden. Auch bei den Möven beobachtet man einen ganz characteristischen 1) Bernstein. De anatomia corvorum. Pars prima. Osteolo- gica. Breslau 1853. pag. 35. 46* 708 H. Magnus: oberen Cristalrand. Er geht hier von der Basis der Spina sternalis grade und wenig concavy nach vorn, um sich plötzlich zu einem vorspringenden abgerundeten Winkel zu erheben. An dem vorderen Rand ist nichts bemerkenswerthes; der- selbe ist convex, seine grösste Höhe liegt meist in der Nähe des Winkels, den der obere Cristalrand mit dem vorderen Rand bildet. Nach unten zu fällt er allmählich ab; über seine En- digungsarten habe ich schon bei Betrachtung des Corpus sterni gesprochen; es sei hier nur noch einmal kurz erwähnt, dass die Crista am längsten bei Gypogeranus africanus (Tab 16; II. ©.) wird, während sie bei den Tauchern, wie Sula, Plotus, Haliaeus kaum bis zur Mitte des Brustbeins herabreicht; auch Pelecanus zeigt diese Form. Sehr convex ist der vordere Rand bei Ci- conia, Ardea, Haliaötos albieilla. Seine Breite nimmt von oben nach unten ab. Da, wo oberer und vorderer Cristalrand an- einanderstossen, bilden sie einen Winkel, der die verschieden- sten Formen zeigt. Bei den Oscines ist er spitz, bei den Papageien dagegen abgerundet; auch bei den Raptatores ist er mehr abgerundet, während er bei Schwimm- und Sumpfvögeln spitz ist; ganz besonders zugespitzt ist er bei allen tauchenden Vögeln; auch bei den Anasarten ist er sehr scharf. Bei Larus und Sterna ragt dieser Winkel als ein breiter, abgerundeter Fortsatz vor. Bei Ciconia, Tantalus', Pelecanus Buceros ist dieser Winkel breit abgeplattet und liegt auf ihm die Furcula auf; bei Grus ist die Furcula mit demselben knö- chern verschmolzen und zwar jeder einzelne Schnabel derselben besonders. Auch bei Pelecanus habe ich einmal Furcula und Crista knöchern verschmolzen angetroffen, ein Fall, der bei älteren Thieren dieser Gattung nicht selten vorzukommen scheint. Be- sonders breit habe ich diesen Winkel und den darauf folgenden Theil des vorderen Cristalrandes bei Buceros abessinicus ge- funden, ebenso bei Ciconia argula. jei allen Raptatores ist dieser oberste Theil des vorderen Randes breit, zu einer dreieckigen Platte umgewandelt; beson- ders breit habe ich ihn bei Aquila leucocephala und chrysaötos Physiologisch-anatomische Untersuchungen u. s. w. 709 gesehen, auch bei Strix flammea, Bei allen kleineren Vögeln ist dieser Rand ziemlich scharf, oben und unten gleich breit; bei Schwimm- und Wadvögeln habe ich ebenfalls keine bedeu- tenden Differenzen in der Breitenausdehnung dieses Randes an seinem oberen und unteren Theil bemerkt. Die beiden Seitenflächen der Crista sind plan, ohne be- sondere Eigenthümlichkeiten; nur eine Leiste, die ziemlich pa- rallel mit dem oberen Rand verläuft, möchte ich hier erwähnen; sie ist eine Urpsrungsleiste für den Musculus pectoralis major. Die Höhe dieser Seitenflächen fällt natürlich mit der Höhe der ganzen Crista zusammen. Eine sehr hohe Crista zeigen die Papageien, ferner Caprimulgidae, Cypselidae, Rap- tatores — besonders Haliadtos — Ciconia, Ardea, Grus, Scolo- pacidae, Vanellus, Totanus, Laridae; auch die Hühnerartigen haben eine hohe Crista. Niedrig habe ich dieselbe bei den Vultures gefunden, bei den Strigidae. — Die Abgrenzung der Crista gegen den Körper des Sternum ist bald mehr, bald we- niger ausgesprochen; bei den Falken und Adlern, überhaupt allen Raubvögeln geht die Crista ganz allmählich in den Brust- beinkörper über, während bei den Schwimmvögeln die Crista sich senkrecht aus der Vorderfläche des Sternum erhebt und mit dieser so einen scharfen einspringenden Winkel bildet. Auch bei den Oscines finden wir dies Verhalten, ebenso bei den Clamatores. Bei Cuculus und Picus beobachten wir einen allmählichen Uebergang, wie bei den Raptatores. Scharf abge- grenzt aber ist die Crista wieder bei den Hühnern und den meisten Grallatores; Ardea macht eine Ausnahme davon. Während die Crista bei fast allen Vögeln vollkommen so- lide ist, zeigt Collocalia in der Basis dasselbe, circa in deren Mitte, eine nicht unbeträchtliche, durch eine Membran geschlos- sene Fontanelle Hin und wieder habe ich bei einzelnen Vö- geln in der Crista Löcher gefunden, doch haben dieselben durch- aus keinen Anspruch auf ein constantes Auftreten. Interessant ist die Beobachtung, dass bei Cygnus musicus die Crista viel grösser und höher entwickelt ist, als bei unse- rem Cygnus olor, der fast gar nicht fliest. Das gänzliche Fehlen der Crista bei den Cursores wurde 710 H. Magnus: schon vorhin erwälınt; das Sternum ist ziemlich concav und so tritt natürlich der mittlere Theil der vorderen Fläche ziemlich stark hervor. Ueber die Entwickelungsgeschichte des Sternum habe ich bloss sehr geringe eigene Untersuchungen anstellen können, welche mir nur die vortreffiche Untersuchung von Cuvier!') über diesen Gegenstand bestätigt haben. 1) Cuvier. Extrait d'un memoire sur le progres de l’Ossification dans le Sternum des oiseaux. Annales des sciences nat. par Au- dubon ete. 1832. Tom. 25. pag. 260. Dr. J. Sander: Ueber das Quercommissurensyst. u. s. w 711 Ueber das Quercommissurensystem des Grosshirns bei den Beutelthieren. Von Dr. JULIUS SANDER, Assistenzarzt der Nervenklinik in der Königl. Charite. (Hierzu Tafel XVIII. A,) Gegen die Angaben Owen’s (Philosophical Transactions, 1837 und in mehreren späteren Arbeiten; cf. Flower), dass die Gehirne der Marsupialia und Monotremata gar keinen Balken, oder höchstens ein Balkenrudiment besässen, welches letztere er noch dazu als Psalterium zum Fornix ziehen möchte, ist schon W. H. Flower!) aufgetreten. Seine Untersuchungen finden sich resumirt in folgenden Sätzen: The differences are manifold, but all have a certain relation to, and even a partial dependence on each other. They may be enumerated under the following heads: 1. The peculiar arrangement of the folding of the inner wall of the cerebral hemisph. A deep fissure with correspon- ding projection within, is continued forwards from the hippo- campal fissure, almost the whole length of the inner wall. ') On the commissures of the cerebral hemispheres of the Marsup. and Monotr. as compared with those of the Placental mammals. — Proceedings of the royal society of London; XIV, 1865 p. 71—74, 712 Dr. J. Sander: 2. The altered relation (consequent upon this disposition of the inner wall) and the very small development of the upper trans- verse commissural fibres (corp. callosum). 3. The immense increase in amount and probably in function of the inferior set of transverse commissural fibres (anterior commissure). — Bei der grossen Bedeutung, die der Name Owen’s mit Recht in der vergleichenden Anatomie beansprucht und der weiten Verbreitung, die von ihm begangene Irrthümer gefunden haben, dürfte es gleichwohl nicht überflüssig erscheinen, wenn auch ich noch auf die Frage eingehe, da mir die Gefälligkeit meines verehrten Freundes, des Herrn Dr.-Hilgendorf, z. Z. Director des zoologischen Gartens in Hamburg, die Gelegenheit verschafft hat, das Gehirn von Macropus giganteus Zimmer- mann. zu untersuchen; ebenso bin ich Herrn Dr. Hensel ver- pflichtet für die Liebenswürdigkeit, mit der er mir zwei Köpfe von Didelphis Azarae Temminck. überliess, in denen die Gehirne noch leidlich gut erhalten waren. Da mein Material solcher Gestalt nur ein geringes war, konnte ich natürlich nicht daran denken, alle etwa noch schwebenden Fragen betrefis des Beutelthiergehirns lösen zu wollen, und ich beschränke mich daher auf eine Untersuchung des Quercommissurensystems des Gross- hirns. — In einer Arbeit „über Balkenmangel im menschlichen Ge- hirn* (Griesinger’s Archiv I, 1. p. 132) habe ich bereits darauf aufmerksam gemacht, dass man gut thue, das ganze Quer- commissurensystem des Grosshirns, das an der Lamina termi- nalis beginnt und mit dem Splenium des Balkens abschliesst, als ein Ganzes aufzufassen, also Alles das, was im menschlichen Gehirn bezeichnet wird, als: lamina terminalis (gleichzeitig vorderes Schlussstück des 1, Hirnbläschens) comm, anterior, e. der Stiele des septum pellucidum und der Säulchen des Fornix, Lamina genu, l. rostri und corpus callosum.') Eine Commissur der Körper des Fornix existirt als Quercommissur nicht; ') ef. Reichert, der Bau des menschlichen Gehirns Il: p. 73 fl. Daselbst ist die embryologische Begründung für meine Behauptung zu finden. Ueber das Quercommissurensystem u. s. w. 713 fehlt der Balken, wie dies im menschlichen Gehirn zuweilen beobachtet wurde, ganz, so giebt es zwar einen Fornix, aber seine beiden Hälften stehen won einander entfernt und wenn man in die seissura pallii hineinsieht, so blickt man direct auf die tela choreoidea superior (l. e.). Sind also Querfasern ober- halb der Decke des 3. Ventrikels vorhanden, so gehören sie dem Quercommissurensystem in dem eben erörterten Sinne an, unter keinen Umständen dem Fornix, dessen Entstehung und Bedeutung Reichert ]. e. p. 20 auseinander gesetzt hat, Zwischen jenen Querfasern und der Decke des 3. Ven- trikels wird man auf die Längsfasern des Fornix stossen, der überall da vorhanden sein muss, wo die Grosshirnblasen über- haupt nach oben das Stammbläschen umwachsen. Da dies bei allen Säugethieren der Fall ist, so haben alle diese einen Fornix und alle haben auch Quercommissuren, die von der Lamina terminalis beginnend, in den verschiedenen Species verschieden weit nach hinten reichen und zwar im Allgemeinen um so weiter, je höher die Art im System steht. Mit Ausnahme des Stammlappens, der in seinen grossen Kernen das motorische Centrum enthält (wie pathologische Beobachtungen am Menschen leicht zeigen; vielleicht auch das sensible), dient das Grosshirn offenbar dem, was man kurz als psychische Functionen be- zeichnen kann und wird natürlich Hand in Hand mit diesen an Grösse zunehmen müssen. Die Balkenfasern sind recht eigentlich Grosshirnfasern und bilden den grössten Theil des Centrum semiovale; je höher das Grosshirn entwickelt, desto mehr überwiegen sie über die Fasern der Stammstrahlung und um- gekehrt, ebenso wie der Stammlappen (den ich natürlich immer im Sinne Reichert’s auffasse) an relativer Grösse mit der höheren Entwickelung des Grosshirns abnimmt. Die C. cerebri anterior, die den Schläfenlappen der einen Seite mit dem Riech- kolben der anderen in Verbindung setzt (cf. hierüber meine Arbeit in diesem Archiv 1866, H. 6: über Faserverlauf und Bedeutung der ce, a.), macht davon insofern eine Ausnahme, als sie besonders differenzirt ist zu einer sensoriellen Commissur in der Art des Chiasma n. opt. Es ist damit jedoch durchaus nicht gesagt, dass sie nicht auch andere Fasern enthalten könnte, 714 Dr. J. Sander: und ich werde gleich zu zeigen haben, dass dem zuweilen wirk- lich so ist. Das Zeichen höherer Entwicklung ist stets weiter gehende Sonderung functionell® verschiedener Theile, und so kann auf niederer Stufe noch Manches zu einem Ganzen ver- einigt sein, was auf höherer Stufe in eine Reihe einzelner Theile zerfällt. — Ich habe diese Betrachtungen vorausgeschickt, um den Standpunkt zu kennzeichnen, den ich bei der Untersuchung des Gehirns im Allgemeinen fest gehalten sehen möchte; es ist die hauptsächlich durch Reichert begründete Methode, der beschreibenden Anatomie des Gehirns die Entwicklungsgeschichte zu Grunde zu legen. Der Fornix ist so sehr verschieden vom Balken, nicht nur weil ersterer Längs- letzterer Querfasern führt, sondern weil ersterer aus „der sichelförmigen Platte“ hervorgeht, die stets vorhanden sein muss, während der Balken erst viel später sich bildet, seinen Ursprung von der Lamina terminalis nehmend. - - Fig. 1 stellt die rechte Hälfte des Gehirnes von Macropus giganteus Zimmermann. auf einem der Mittellinie sehr nahen Längsschnitte in natürlicher Grösse dar; der grösste Theil des Riechkolbens fehlte leider schon, als mir das Gehirn zur Unter- suchung übergeben wurde. Man sieht in den geöffneten dritten Ventrikel hinein, dessen Decke in der Zeichnung nicht ordent- lich sichtbar ist. Ohne weiteres verständlich ist hier der Zug des Quercommissurensystems, das bei ch. o., dem Chiasma n. opt. beginnt und längs der Lamina terminalis (L. t.), an der die colossal grosse ©. anterior (c. a.) gelegen ist, in den Balken (ec. call.) übergeht, dem sich der Fornix (forn.) wie bei den placentalen Thieren von unten her anlegt. cr. f. stellt wahr- scheinlich den aufsteigenden Schenkel des Fornix dar. Dass C. call. wirklich Balken, forn, wirklich Fornix ist, ist leicht aus dem in Fig. 2 abgebildeten Querschnitt ersichtlich; man sieht den quer durchschnittenen Fornix und die längs getroffenen Fasern des Balkens, die in ihrer lateralen Ausbreitung, wie stets, die Decke des Seitenventrikels bilden. Das ganze Quer- commissurensystem ist freilich sehr wenig ausgebildet, so dass der hinterste Punkt desselben noch nieht einmal das Pulvinar Ueber das Quereommissurensystem u. s. w. 715 des Sehhügels erreicht und der dritte Ventrikel in seinem hin- tersten Theil nur von der tela choreoidea superior gedeckt wird. Aus Fig. 2 kann man noch sehen, wie gross der Stammlappen ist im Verhältniss zu den Gewölbstheilen des Grosshirns; der Schnitt ist so weit nach vorn geführt, dass die ©. anterior eben noch an ihrer hintersten Peripherie getroffen worden ist; auf dem Durchschnitt ist daher der Thalamus optieus nicht mehr sichtbar; der nucleus intra-ventrieularis (n. i. v.) und der Linsenkern (n. leut.) werden von sehr mächtigen Fasermassen, die sicher grösstentheils zur Stammstrahlung gehören, umgeben; die corona radiata wäre bei cor. rad. zu suchen. Einer be- sonderen Erläuterung bedarf noch die c. anterior. In Fig. 2 sieht man ein Bündel derselben (x) zwischen Linsenkern und intraventrieulaerem Kern hindurchziehen. Fig. 3 ist so ge- wonnen, dass ein Flächenschnitt von vorn nach hinten horizontal so durch das in Fig. 2 abgebildete Hirnstück gelegt wurde, dass auf das untere, abgebildete Stück etwa !/, der C. anterior kam; die vordere Spitze des Gehirns liegt bei A. Die Fasern der vorderen Commissur wurden dann noch möglichst sorg- fältig präparirt. Die Fasern breiten sich im ganzen Bereich des Stirnlappens, fächerförmig auseinander fahrend, aus; ein besonderes Bündel (y) zieht deutlich getrennt in den Riech-" kolben. — Hiermit vergleiche man nun Fig. 4, einen Längsschnitt durch das Gehirn von Didelphis Azarae Temminck., der fast genau die Mittellinie getroffen hat. Man wird auch hier mühe- los den Zug des Quercommissurensystems vom Chiasma nerv. opt. bis zur Balkenwulst verfolgen können. Der Balken ist hier nicht kürzer, als beim Känguruh; er erreicht nahezu das Pulvinar des Sehhügels.. Auch hier ist die C. anterior ver- hältnissmässig gross. Das Gehirn war zu bröcklich, als dass eine genaue Präparation möglich gewesen wäre; so viel ist sicher, dass auch hier ein Bündel der ©. anterior in den sehr grossen Riechkolben zieht; über die sonstige Verbreitung ihrer Fasern kann ich keine genauern Angaben machen. Hinter der vorderen Commissur zieht auch hier ein Faserbündel in die Höhe, wahrscheinlich der aufsteigende Schenkel des Fornix. ” 716 Dr. J. Sander: Das Gehirn ist so gut wie windungslos und das Grosshirn so- wohl im Verhältniss zur Grösse des Thieres, als auch gegen die Theile des Hirnstammes sehr klein; damit stimmt sehr gut die Angabe des Herrn Dr. Hensel, dass Didelphis Azarae ein sehr dummes Thier sei. Ein Septum pellucidum ist weder bei Macropus, noch bei Didelphis ausgeprägt vorhanden; dies ist jedoch ganz unwesent- lich. Da das S. pell. nichts ist, als ein zwischen Fornix und Balken abgekammertes Stück der medialen Mantelfläche, so wird es, wenn beide sehr nahe aneinander rücken, natürlich auf ein Minimum redueirt werden müssen. So haben wir es hier an- gedeutet in der namentlich in Fig. 1 sichtbaren Rinne bei a. Ebenso gut wie sich der sog. Körper des Fornix dem Balken von unten her anlegt, wird sich auch der vordere Theil der Lamina genu und dem Balkenknie anlegen müssen, wenn die Höhe des vorderen Theils des Seitenventrikels eine sehr ge- ringe ist, wenn Boden und Decke sich nahezu berühren. Dass dem hier so ist, ef. Fig. 2. Das Quercommissurensystem der untersuchten beiden Beutel- thiere unterscheidet sich von dem der höher stehenden Säuge- thiere also nur durch geringere Grösse. Da diese zwei Thiere ziemlich fern im System von einander stehen, 80 ist es wohl nicht zu kühn, wenn ich namentlich auch auf die Angaben Flower’s gestützt, annehme, dass kein Grund vorliegt, von einem Fehlen des Balkens bei den Marsupialia zu sprechen. Was das Verhalten der Commissura anterior angeht, so führt dieselbe hier entschieden Fasern, die sich bei den placentalen Thieren nicht in ihr finden. Bei den letzteren ist es bekannt, dass ein grosser Theil der Markmasse des Stirnlappens der Balkenstrahlung angehört und vom Balkenknie aus über das Vorderhorn hinweg zieht. Ich habe für Macropus gezeigt, dass ein Theil der Fasern der ©. anterior hier dieselbe Stelle ein- nimmt; in dieser Einrichtung liegt nichts Wunderbares und ich kann auf die diesem kleinen Aufsatz vorangeschickten Be- trachtungen verweisen. Bei Didelphis verhält sich die Sache wahrscheinlich ebenso. — Mein Material hat nicht mehr hingereicht, um Genaueres Ueber das Quercommissurensystem u. s. w. 1717 über die Längsfasern der Zwinge zu ermitteln, die bei den placentalen Thieren gleichfalls bis über das Balkenknie fort- reichen; ich muss mich daher für jetzt damit begnügen, be- stätigt zu haben, dass die Beutelthiere in der Organisation des Gehirns, wenigstens was das Quercommissurensystem des Grosshirns anlangt, keine Ausnahme machen von dem allgemei- nen Schema des Säugethiergehirnes. Berlin, im September 1868. Figurenerklärung. Sämmtliche Figuren verdanke ich meinem Freunde, Herrn Dr. W. Doenitz. Die Herstellung der Präparate ist im Text angegeben; ich lasse daher nur noch die Erläuterung der Buchstaben folgen. Fig. 1. natürliche Grösse. Macropus. A. vordere Spitze des Gehirns. ch. o. chiasma n. opt. l. t. lamina terminalis. c. a. commissura anterior. c. call. corpus callosum. lob. olf. lobus olfaetorius. er. f£ Säulchen des Fornix. forn. Fornix. a. Spalte zwischen Fornix und Balken; Analogon des Septum pellueidum. th. 0. thalamus opticus. gl. p. Zirbeldrüse. corp. quadr. corpora quadrigemina. cb. cerebellum. p. pons Varolii. Fig. 2. natürliche Grösse. Macropus, A. vordere Spitze des Gehirns. forn. Fornix, quer durchschnitten. c. eall. corpus callosum, längs durchschnitten. ventr. lat. Seitenventrikel. cor. rad. corona radiata. n. i. v. nucleus intra-ventricularis. n. lent. nucleus lentiformis. ec. a. commissura anterior. x. Bündel derselben, das zwischen den beiden grossen Kernen hindurchzieht. 718 Dr. J. Sander: Ueber das Quercommissurensystem u. s. w. Fig. 3. ungefähr 2!/mal vergrössert. Macropus. A. wie stets. lob. olf. Riechkolben. n. lent. nucleus lentiformis. c. a. comm. anterior. x. Ausbreitung derselben im Stirnlappen. y. Bündel der ce. anterior, welches in don Riechkolben zieht. Fig. 4 ungefähr 2'/mal vergrössert. Didelphis. lob. olf. lobus olfactorius. ch. o. chiasma n. o. l. t. lamina terminalis. c. a. commissure anterior. ce. call. corpus callosum forn. Fornix, völlig angelegt an den Balken. er. f. erus ant. fornieis. th. 0. thalamus opticus. corp. quadr. corpora quadrigemina. ag. S. aquaeductus Sylvii; der ursprüngliche Hohlraum ist hier nicht wie bei den höheren Säugethieren zu einem engeu Canal verengt, sondern ventrikelartig geblieben, wie es bei den Fischen sich findet. p. pons Varolii. cb. cerebellum. Dr. 0. Schultzen: Quantitative Bestimmung u. s. w. 719 Quantitative Bestimmung des oxalsauren Kalkes ım Harn. Von Dr. O. SCHULTZEN. Trotz der grossen Verbreitung der Oxalsäure in Nährpflanzen, trotz der unendlich vielen Quellen, welche sich im Organismus für die Bildung dieser Substanz finden, so namentlich der Zucker, die Fette, Harnsäure, Gallensäuren, — erscheint die- selbe doch nur selten in einigermassen erheblichen Quantitäten im Organismus und dessen Secreten. Die Ursache davon ist jeden- falls die geringe Widerstandsfähigkeit der Oxalsäure gegen eine gewisse Kategorie von oxydirenden Mitteln, wie „Ueberfhangan- säure, Braunstein und Schwefelsäure, Ozon,“ welche alle in der Art ihrer Wirksamkeit eine gewisse Aehnlichkeit mit den Vorgängen im lebenden Organismus haben. Kleine Mengen passiren jedoch stets den Körper und lassen sich mit Sicherheit und unter normalen Verhältnissen, in sehr constanter Quantität nachweisen. Das Verfahren von Lehmann, welcher den Harn ver- dunstete, den Rückstand mit Weingeist aufnahm und dieses Extract zur Fällung des oxalsauren Kalks mit etwas Aether versetzte, hat mir nie ein positives Resultat ergeben; auch beim Ausfrieren des Harns fanden sich die Octaeder des Kalkoxalats nur ausnalımsweise. Die nachfolgende Methode giebt bei einiger Sorgfalt sehr gute Resultate. Man macht den frisch entleerten Harn mit etwas Ammo- niak schwach alkalisch, fügt etwas mehr Chlorcaleium hinzu, als zur vollständigen Fällung der Phosphorsäure erforderlich ist, und verdunstet ohne vorher zu filtriren im Wasserbade bis auf ein kleines Volum. Nach Zusatz von starkem Weingeist und zwölfstündigem Stehen wird filtrirtt und so lange mit Weingeist gewaschen, bis das Filtrat farblos und frei von ge- lösten Substanzen abläuft. Durch Waschen mit Aether entfernt man eine Spur Fett und den Alkohol im Rückstande, worauf 720 Dr. OÖ. Schultzen: Quantitative Bestimmung u. s. w. derselbe durch gelindes Erwärmen leicht als gelbliches, trocknes Pulver erhalten wird, welches fast nur aus schwefelsauren und harnsauren Alkalien, phosphorsaurem und oxalsaurem Kalk be- steht. Wasser nimmt daraus die schwefelsauren Alkalien, ver- dünnte Essigsäure den phosphorsauren Kalk auf; dem Rück- stand entzieht man den oxalsauren Kalk durch Salzsäure und fällt denselben aus dieser Lösung durch Ammoniak und Essig- säure in Ueberschuss; auf diese Weise erhält man entweder Octaeder, oder vierseitige Säulen mit an beiden Seiten auf- gesetzter vierseitiger Pyramide. Durch das zum Harn gesetzte Chlorcalcium wird alles phosphorsaure Natron, welches den im Harn enthaltenen oxal- sauren Kalk in Lösung hält, zersetzt und durch den Alkohol- zusatz werden auch die letzten Spuren dieses Salzes ge- fällt. Dampft man Harn ohne vorherigen Zusatz von Chlor- caleium ein und zieht mit Alkohol aus, so enthält dieses Extract stets kleine Mengen von Oxalsäure, wahrscheinlich als Natronsalz, da, wie mich Versuche gelehrt haben, phosphor- saures Natron mit oxalsaurem Kalk, sich theilweise zu Kalk- phosphat und Natronoxalat umsetzen. Eine Reihe von Wägungen ergaben für den normalen Menschenharn = 0,1 grms. auf 24 Stunden = 0,07 grms. Oxalsäure. Bei der Untersuchung pathologischer Harne ergab sich nur für einige Fälle von lIeterus catarrhalis eine erheb- liche Zunahme dieses Körpers bis 0,5 grms. in 24 Stunden. Bei Pneumonie,- Emphysem, Pleuritis, Herzfehlern, bei welchen Affectionen häufig krystallinische Ausscheidungen von oxalsaurem Kalk beobachtet werden, konnte eine wirkliche Vermehrung dieses Körpers nicht constatirt werden. Es dürfte dieses eine weitere Bestätigung für die von Voit!) gegebene Er- klärung der Harnsäure-Sedimente sein, da auch das Kalk- oxalat nur durch Vermittelung des sauren phosphorsauren Na- trons in Lösung erhalten und durch Zersetzung dieses Salzes präeipitirt wird. ') Bay. Akad. Sitz.-Ber. 1867, II. S. 279— 283. Dr. N. Bistroff: Die physiologische Wirkung u. s. w. 721 Die physiologische Wirkung des Ammonium bromatum auf den thierischen Organısmus. Von Dr. NıcoLAuUS BisTROFF aus St. Petersburg. Es sind vorzüglich die Engländer, die über die therapeu- tische Anwendung des Ammonium bromatum gearbeitet haben und dasselbe als nützlich in verschiedenen Nervenleiden preisen. (Gibb, Ritchie, Harley, Belgrave). Wir benutzten das- selbe auch vielfach in der Kinderklinik in Petersburg und beson- ders beim Keuchhusten, aber wenn wir auch einigermaassen die Krankheits- Anfälle abnehmen sahen, so trat diese Abnahme doch lange nicht in dem Grade ein, wie sie Gibb beobachtet haben will, und wonach er das Präparat als Radicalmittel gegen den Keuchhusten empfehlen zu können glaubt. Die Meinungen über die Art der Wirkung dieses Mittels sind getheilt. Bel- grave') will demselben die Wirkung des Kalium bromatum zu- schreiben, nur in etwas geringerem Grade; Gibb?) vindicirt für dasselbe eine besondere Einwirkung auf die Empfindungs- nerven des Schlundes; Binz,’) der es in einer Keuchhusten- !) Canstatt’s Jahresbericht 1865. Leistungen in der Pharmako- dynamik und Toxikologie, S. 97. 2) Gibb, British Med. Journal 1362. 9) Binz, Centralblatt für die med. Wissenschaften 1867, No 26. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 47 122 Dr. N. Bistroff: Epidemie viel benutzte, behauptet, dass dasselbe gar keine Vorzüge vor dem Salmiak haben soll. Wir sahen uns daher veranlasst, um die Wirkung dieses Mittels genauer zu ermitteln, eine Reihe von Untersuchungen an verschiedenen Thieren an- zustellen, und wir wollen hier kurz die Resnltate dieser Unter- suchungen mittheilen. A. Versuche an Fröschen. 2 Decigramme des Ammonium bromatum werden in Lösung unter die Haut eines Frosches injieirt. In der ersten Minute stellen sich alle Zeichen einer übermässigen Reizung ein. Der Frosch springt plötzlich und weit, dann tritt einige Ruhe ein, die Bewegungen werden schwächer, langsamer, das Thier bleibt endlich unbeweglich. Die Athmung ist beschleunigt, die Reizbarkeit und Erregbarkeit bedeutend gesunken. Nach 15 — 20 Minuten treten heftige allgemeine klonische Krämpfe ein, welche bald in Tetanus übergehen. Später verschwin- det alle Reizbarkeit des Thieres. Man kann dasselbe knei- pen, brennen, schneiden, stechen, ohne den mindesten Reflex hervorzurufen; die Athmung wird immer seltener, die Krämpfe heftiger, das Thier verändert nicht mehr die ihm beliebig ge- gebene anomale Lage, die Augen sind nicht mehr reizbar und der Frosch stirbt dann eine halbe Stunde und noch früher nach der Einspritzung. Das Herz schlägt etwas beschleunigt, aber immer gleichmässig noch lange Zeit später (gegen 2 Stunden). Nach Einspritzung einiger Tropfen einer 20procentigen Lösung von Ammonium bromatum in das entblösste Herz eines Frosches, sahen wir nur einen Augenblick die Kammer still stehen, die Vorkammern aber fuhren fort, sich zusammen zu ziehen, und nach einer Minute sahen wir wieder das ganze Herz in seiner normalen Thätigkeit ganze Stunden lang fortfahren. Das lebendig ausgeschnittene Herz eines Frosches in eine lOprocentige Auflösung von Ammonium bromatum gelegt, büsst seine normale Thätig- keit gar nicht ein. Nach Unterbindung der Arterien an einer Extremität vor der Einspritzung, sahen wir immer die Reiz- barkeit in dieser Extremität nach geschehener Einspritzung ebenso wie die Reflexerregbarkeit sinken, wiewohl in etwas geringerem Grade, als in der nicht unterbundenen Extremität, Die physiologische Wirkung u. s. w. 723 Die elektrische Reizbarkeit der Muskeln zeigte in beiden Ex- tremitäten keinen Unterschied, Der beim lebendigen Frosche ausgeschnittene Muskel (M. sartorius), 5 Minuten in eine lOprocentige Lösung des Ammonium bromatum gelegt, behält seine normale Reizbarkeit für Elektricität. Nach Einspritzungen kleinerer Mengen dieses Mittels (gegen 1 Decigramm) tritt ebenso eine Abnahme der Bewegungen, der Reflexthätigkeit und Reizbarkeit ein, aber in viel geringerem Grade, und manch- mal sahen wir die Frösche sich wieder erholen und die normale Reizbarkeit zurückkehren. Das Wasser, in dem die Frösche sich befanden, chemisch untersucht, zeigte die Gegenwart von Brom an. Hält man die eine Extremität eines gesunden Frosches gegen 5 Minuten lang in einer 20procentigen Lösung des Ammonium bromatum versenkt, so lässt sich keine Ver- minderung der Reizbarkeit an dieser Extremität beobachten. Dieselben Erscheinungen sahen wir auch nach Einführung des Ammonium bromatum in den Magen des Frosches in der Menge von 1—2 Decigrammen, nur stellen sich alle Er- scheinungen etwas später ein. Die mikroskopische Unter- suchung des Blutes und der Muskeln der vergifteten Frösche zeigt keine Veränderung. Bei innerlichem Gebrauch dieses Mittels zeigt die Magenschleimhaut stellenweise starke Hyperä- mie und hämorrhagische Ekchymosen. Zur parallelen Ermittelung der Wirkung des Ammonium bromatum und Ammonium chlo- ratum stellten wir Versuche an zwei Fröschen an, indem wir einem jeden unter die Haut bis 2 Decigramme der entsprechenden Stoffe in 2Oprocentiger Lösung injieirten. Die Erscheinungen des Ammonium chloratum waren genau dieselben, wie nach Ammonium bromatum, es waren nämlich die Gehirn-Centren besonders afficirt, es stellten sich starke allgemeine klo- nische Krämpfe ein, die bald in tonische übergingen, be- deutende Verminderung der Reflexthätigkeit und der Reiz- barkeit, völlige Lähmung mit bald folgendem Tode. Dem Herzen gegenüber verhält sich das Ammonium chloratum genau so, wie das Ammonium bromatum, und die parallelen eben beschriebenen angestellten Versuche mit einer 20procen- tigen Lösung des Ammonium chloratum zeigten, dass diese 47° 724 Dr. N. Bistroff: beiden Mittel durchaus nicht zu den Herzgiften zu zählen sind. Im Ganzen zeigten alle parallelen Versuche mit diesen beiden genannten Mitteln die völlige Identität ihrer Wirkung. Der einzige Unterschied wäre denn in der Schnelligkeit, mit der. die Wirkung bei diesen beiden Mitteln sich einstellt, indem das Ammonium chloratum manchmal seine Wirkung erst später zum Vorschein kommen liess. B. Versuche an Kaninchen. Einem mittelgrossen Kaninchen werden mittels eines elasti- schen Katheters in den Magen 3 Gramm Ammonium bromatum in Lösung eingeführt. Nach 20 Minuten zeigen sich die Bewegungen des Thieres geschwächt, der Kopf ist seitwärts geneigt, das Thier vermag nicht den Kopf in der natürlichen Lage zu erhalten; die Pupille reagirt auf Licht, das Auge zeigt sich aber weniger empfindlich gegen Berührung; die Reizbarkeit und Reflexthätig- keit sind gesunken, Kneipen, Stechen bleiben ohne Reaction; die Herzschläge sind beschleunigt, das Athmen ist anfangs beschleu- nigt, wird aber später immer verlangsamt und tiefer; nach einer halben Stunde treten kloniche Krämpfe im Gesicht, den vorderen und hinteren Extremitäten ein, welche allmählich sich verstärken und von Ruhepausen unterbrochen einen tonischen Charakter gewinnen, der Kopf wird nach hinten geworfen, die Zähne knirschen, man hat die Erscheinungen des Opisthotonus, vor sich, die Augen treten stark hervor, das Thier wird cyanotisch, die Temperatur sinkt, und endlich tritt der Tod unter Erstickungs- Erscheinungen ein. Wird dann die Tracheotomie gemacht und künstliche Athmung eingeleitet, so lässt sich das Leben eine Stunde und noch mehr erhalten. Bei Eröffnung des Thieres erscheint das Blut stark dunkel, das Herz vom Blut ausgedehnt, die Hirnhäute hyperämisch, ebenso die Lungen und die Trachea, welche letztere von einem schaumigen Schleim erfüllt ist. Die Schleimhaut des Magens zeigt an vielen Stellen Ekehymosen und hämorrha- gische Infiltrationen. Die Harnblase war bald leer, bald mit Brom enthaltendem Urin gefüllt. (Grössere Kaninchen bedürfen einer grösseren Dosis; im Allgemeinen sind 5 Gramm hinreichend, um ein starkes grosses Die physiologische Wirkung u. s. w. 725 Kaninchen tödtlich zu vergiften. Um die Wirkung mittlerer und kleinerer Dosen zu ermitteln, brauchten wir solche von beziehlich 1—2 Gramm und von 1—5 Deeigramm. Wir beob- achteten hierbei, dass mittlere Dosen, weit entfernt das Thier zu tödten, auch keine Krämpfe hervorrufen, bloss Schwäche und schwankende Bewegung zum Vorschein bringen. Bei lange fortgesetztem Gebrauch dieses Mittels (bis 2 Wochen) zeigen sich die Thiere bedeutend abgemagert und nehmen an Ge- wicht ab. Zwei Kaninchen starben in Folge davon, und bei der Section fanden sich bei dem einen derselben Tu- berkeln in den Lungen und in der Leber; natürlich ist damit nicht gesagt, dass diese Tuberkeln im causalen Zusammenhang mit dem Gebrauch unseres Mittels ständen. Die meisten Thiere erholten sich nach kleineren Dosen des- selben und kehrten allmählich zum völlig normalen Zustande wieder. Subcutan injieirt verursacht dies Mittel heftigen Schmerz, indem die Thiere stark aufschreien und sehr unruhig sich bewegen. An der Umgebung der Stichstelle zeigt sich bald starke Schwellung, die später auch in Eiterung übergeht, wobei sich in der Folge auch Narbengewebe bildet. Es wurde auch eine Reihe von Vergleichsversuchen an möglichst gleich grossen Kaninchen mit Ammonium bromatum und Ammonium chloratum angestellt, wobei jedesmal in beiden zu Vergleichsversuchen dienenden Thieren je 3 Gramm der genannten Mittel in den Magen eingeführt wurden. Die Ver- giftungs - Erscheinungen zeigten sich jedesmal nach Anwen- dung der genannten beiden Mittel genau dieselben, auch in der Intensität der Wirkung, es traten genau die nämlichen Krämpfe und im Allgemeinen dasselbe Bild der centralen Ge- hirnlähmung ein, C. Versuche an Katzen. Wir bezweckten mit diesen Versuchen den Einfluss des Ammonium bromatum auf die Reizbarkeit des Laryngeus superior zu ermitteln, da im Allgemeinen von allen Seiten ausgesprochen war, dass das genannte Mittel einen specifischen Einfluss auf 726 Dr. N. Bistroff: die Herabsetzung der Reizbarkeit der Schleimhaut des Schlun- des habe (Gibb). Am Halse eines jungen Katers wurde der Kehlkopf blossgelegt, die Membrana hyothyreoidea durch- schnitten, die Epiglottis durch einen Faden hervorgezogen und die Reizbarkeit der Schleimhaut untersucht, indem wir jedes- mal gewisse Stellen') der Schleimhaut mit einer Federfahne berührten. Diese Berührungen wurden jedesmal von sehr heftigen Husten-Anfällen begleitet. Nachdem wir so eine sichere Vorstellung von den Graden der normalen Reizbarkeit der Schleimhaut gewonnen haben, führten wir dann 1 Gramm Ammonium bromatum in den Magen ein, worauf wir sodann nach Verlauf von drei Stunden auf genannte Weise die Reiz- barkeit der Schleimhaut wieder prüften. Es stellte sich dann heraus, dass diese Reizbarkeit durch Einwirkung des genannten Mittels nicht im Mindesten gelitten hatte, indem leichte Be- rührung an bestimmtan Stellen von den ‘ganz gewönlich auf- tretenden heftigen krampfhaften Hustenanfällen begleitet waren. Wir versuchten dann acht Tage lang täglich kleine Dosen zu je !/, Gramm zu verabreichen. Die am letzten Tage vorgenommene Untersuchung der Reizbarkeit der Schleimhaut zeigte gar keine Abweichung, keine Herabsetzung der Reizbarkeit, Endlich bei fortgesetzten Versuchen mit immer gesteigerten Dosen gelang es uns, eine Herabsetzung der Reizbarkeit der Schleimhaut zu beobachten, die aber nicht eher eintrat, als zugleich mit der sich einstellenden Herabsetzung der allgemeinen Reizbarkeit aller Nerven, worauf dann auch der Tod eintritt. Aus diesen kurz mitgetheilten Versuchen glauben wir folgendes schliesslich ableiten zu können, l. Das Ammonium bromatum ist wegen seiner Unwirk- samkeit gegen das Herz nicht mit Kalium bromatum zu ver- gleichen, indem letzteres ähnlich anderen Kalisalzen ein stark wirkendes Herzgift darstellt, da es direct die Musculatur und _ die exeitomotorischen Ganglien des Herzens lähmt. Nach den Untersuchungen von Eulenburg und Guttmann über die ') Die Empfindlichkeit verschiedener Stellen der Kehlkopfschleim- haut bei Katzen ist besonders von Blumberg untersucht worden, Die physiologische Wirkung u. s. w. 727 physiologische Wirkung des Bromkalium (Centralbl. für die medic. Wissenschaften, 1867. No. 22) genügt es, das ausgeschnittene Froschherz höchstens fünf Minuten lang in einer 2procentigen Lösung von Kalium bromatum liegen zu lassen, um einen länger dauernden Stillstand des Herzens zu bewirken, mit gleich- zeitigem Verlust aller Reizbarkeit. Dasselbe beobachteten wir nach Einspritzung einiger Tropfen der genannten Lösung in das Innere des Froschherzens. Indessen bringt eine fünf Mal concentrirtere Lösung von Ammonium bromatum, bei länge- rem Aufenthalt eines ausgeschnittenen Froschherzens darin, keine dergleichen Erscheinungen hervor, die Herzthätigkeit dauert nach wie vor in ganz normaler Weise fort. Eine 20procentige Lösung des Ammonium bromatum in das blossgelegte Herz eines Frosches eingespritzt, lähmt die Bewegungen desselben während einer ganzen Stunde und noch mehr, nicht. In Bezug auf das Herz also sind das Ammonium bromatum und das Kalium bromatum ganz verschieden wirkende Stoffe. 2. Das Ammonium bromatum ist ein stark wirkendes Gift, das die Nervencentra, d. h. Gehirn und Rückenmark, stark lähmt. Diese Affection der Nervencentra äussert sich in der Störung der Bewegung, Verminderung der allgemeinen Reizbarkeit und der Reflexfähigkeit. 3. Die Athemveränderungen und die Beschleunigung der Herzthätigkeit möchten vielleicht durch eine Affection des ver- längerten Markes zu erklären sein. 4. Von einer specifischen Wirkung des Ammonium bro- matum auf die Reizbarkeit des Laryngeus superior kann nicht die Rede sein. 5. Das Ammonium :bromatum wirkt ganz ähnlich dem Ammonium chloratum. Der hier und da bei unseren Versuchen zum Vorschein gekommene unbedeutende Unterschied bezog sich nur auf die Eintrittszeit der Wirkung, nicht aber auf die Wirkungsweise selbst, 6. Auf die Muskeln und peripherischen Nerven-Endigungen scheint das Ammonium bromatum keine Wirkung zu haben. Ein Muskelstück in einer lOprocentigen Lösung dieses Mittels 728 Dr. N. Bistroff: Die physiologische Wirkung u. s. w. einige Zeit aufbewahrt, zeigt gar keine Functions - Verände- rungen. Die beschriebenen Versuche wurden im physiologischen Laboratorium der Berliner Universität ausgeführt. Eine ein- gehendere Abhandlung dieses Gegenstandes hoffen wir später an einer anderen Stelle mitzutheilen. Am Schlusse können wir nicht umhin, dem Prof. Rosen- thal für seine Unterstützung bei diesen Versuchen den besten Dank zu sagen. Dr. R. Salbey: Ueber die Structur u. d. Wachsthum u. s. w. 729 Ueber die Structur und das Wachsthum der Fischschuppen. Von Dr. R. SALBEY. (Hierzu Tafel X VIIL.B.) Zu den Schriftstellern, welche genauer auf den mikros- kopischen Bau der Schuppen eingehen, gehört vor Allen Heusinger, der zuerst!) den Schuppen einen Platz in der Reihe der Gebilde, die der Haut angehören, zuertheilt. Er rechnet die Schuppen unter die Horngewebe, die der Haut angehören und von dieser, wie von einer Tasche, umgeben werden. Er theilt sie ein: 1. in kleine, in der Haut verborgene Schuppen, die bei der. oberflächlichen Betrachtung des Fisches gar nicht wahrzunehmen sind; 2. in eigentliche Schuppen, ganz analog dem Schildpatt zusammengesetzt, nur mit dem Unter- schiede, dass in ihnen noch eine Ablagerung von phosphor- saurem Kalk in die Lamellen vorhanden ist; 3. in Schuppen mit gezähntem freien Rande; 4. in Knochenschupgen und 5. in Knochenplatten. Nach ihm folgt eine Arbeit Kunzmann’s,?) der sich in grosser Weitschweifigkeit mit einer Eintheilung der Schuppen 1) C. F. Heusinger, System der Histologie Vol. I. pag. 226. 2) Kuntzmann. Verhandlungen der Gesellschaft naturforschen- der Freunde in Berlin 1824. Theil I. p. 269. 730 Dr. R. Salbey: nach Form, Consistenz, Zeichnung und Lage des Mittelpunktes abgiebt Das Jahr 1840 bringt uns zu ungefähr gleicher Zeit sehr genaue Untersuchungen, von Mandl') und Agassiz?) ausge- führt und veröffentlicht, welche in ‚ihren Resultaten ziemlich weit von einander abweichen. An sie schliessen sich die Unter- suchungen von Peters?) an. Nach diesen 3 wichtigsten Schriften über die Histologie der Schupgen finden wir nur noch an einzelnen Punkten nebenbei von einigen For®chern Bemerkungen über diesen Gegenstand. Bei der Untersuchung der Structur der Hartgebilde in der Haut eines Thieres ist es vor Allem nöthig, zunächst seine Aufmerksamkeit dem Bau der Haut im Allgemeinen zuzuwenden da diese Gebilde nur als veränderte Theile der Haut anzu- sehen sind und demgemäss in ihrem Bau mit Rücksicht auf die Structur derselben im Allgemeinen allein richtig beur- theilt werden können. Der im Wasser lebende Fisch zeigt, aus diesem entfernt, frisch eine mehr oder weniger starke schleimartige Oberfläche. Man war in früherer Zeit der Ansicht, und auch Agassiz macht sie zu der seinigen, dass dieser Schleim aus besonderen Drüsen secernirt werde und dann erst auf die Oberfläche des Fisches trete. Er sagt in seinen „Recherches sur les poiss. foss.“, dass die Oberfläche des Fisches mit einem Schleime bedeckt sei, und dass derselbe aus einem Schleimkanale secernirt werde, der in der ganzen Länge des Körpers verlaufe, sich in allen Gesichts- und Kopfknochen verästele und auf dem Leibe des Fisches seine Ausführungsgänge in einer Reihe von ') Mandl. Annales des Sciences naturelles 1839. Tom. XI. pag. 347 und Tom XIII. pag 69. ?), L. Agassiz. Annales des Sciences naturelles 1840, Tom, XIV. p. 97. — Recherches sur les poiss. fossiles. Tom. I. p. 61. 1843. ») Peters. J. Müller's Archiv für Anatomie u. Physiologie 1842. pag. CCIX, Ueber die Stuctur und das Wachsthum u. s. w. 731 Röhren habe, die quer durch die Schuppen der Linea lateralis gehen. Von dort verbreite sich der Schleim über den ganzen Körper, wie man es sehen könne, wenn man die Oberfläche des Fisches mit einem Stück Leinwand abtrockne, wo dann die ganze Oberfläche wieder schlüpfrig werde durch den Schleim, welcher aus der Oeffnung dieser Poren auf den übrigen Körper sich ergiesse. Besondere Schleimdrüsen, welche Schleim auf die Ober- fläche des Fisches secerniren, existiren nach Leydig nicht; die Kanäle der Linea lateralis sowohl, als die Oeffnungen an den Gesichts- und Kopfknochen der Fische sind nach den werth- vollen Untersuchungen des genannten Verfassers nicht Aus- führungsgänge von Schleimdrüsen, sondern der Sitz eines Sinnesorganes, das nach seinen Annahmen unter die Tastwerk- zeuge zu rechnen sei. Wir bedürfen aber auch gar nicht der Schleimdrüsen, um die schleimige Oberfläche des Fisches uns zu erklären. Dieser Schleim ist einfach die erweichte und zum Theil zu Grunde gegangene, obere Lage der Epidermis, die aus Pflasterzellen besteht. Die Haut der Fische besitzt also eine, der der übrigen Wirbelthiere ganz analoge Epidermis; der Unterschied liegt nur darin, dass nicht, wie bei den Landthieren, die obersten Lagen verhornen und so ein gut ausgebildetes Stratum corneum der Oberhaut bilden, sondern, wie es häufig bei dem geschich- teten Pflasterepithel an Schleimhautoberflächen geschieht, nur in geringem Grade dem Verhornungsprocesse unterliegen, im Wasser selbst noch veränderliche sind, aufquellen und so eine andere Art des Unterganges haben, indem sie allmählich platzen und die schleimige Bekleidung der Oberfläche des Fisches herstellen. Aus diesem Grunde ist bei den Fischen auch keine scharf ausgeprägte, in zwei Schichten getheilte Epidermis zu finden, sondern nur eine, welche mehr der unte- ren Lage, dem Rete Malpighii, mit vollsaftigen, runden, kern- haltigen Zellen entspricht. Dicht unter dem Rete Malpighii findet man eine Haut- schicht, welche eine mehr oder weniger grosse Anzahl Pig- mentzellen enthält, die bald höher, bald tiefer in derselben 132 Dr. R. Salbey: liegen und auf der Oberfläche des Fisches schon mit blossem Auge als schwarze Punkte zu erkennen sind. Diese Zellen senden nach allen Richtungen eine Menge von in Windungen verschiedener Art verlaufenden Ausläufern aus, die sich ihrer- seits wieder verästeln und oft bis in die Regionen der Ausläufer einer andern Pigmentzelle erstrecken können, so dass sie dann eine Verbindung dieser Ausläufer untereinander, die, wie die genauere Beobachtung zeigt, nicht existirt, vortäuschen, Die Zellen sind mit einem braunen, in den dickeren Lagen ganz schwarz erscheinenden Pigment erfüllt, und sind Kerne in ihnen nicht zu erkennen. Es ist diese Schicht als die ober- flächlichste Lage der Cutis aufzufassen. Die Cutis ist im Wesentlichen aus in zwei Richtungen fast unter rechtem Winkel sich kreuzenden Bindegewebsbündeln, die in regelmässigen Abständen Bindegewebskörperchen ent- halten, zusammengesetzt. — Papillen besitzt die Lederhaut der Fische in vielen Fällen nicht, während bei einzelnen Gattungen die Haut ganz ausgezeichnete Bildungen dieser Art hat. So haben die meisten unserer Süsswasserfische am ganzen Kopfe, mit Ausnahme der Hautstellen, die als eingeklappte Hautfalten versteckt liegen, sowie auch über den übrigen Körper hin Pa- pillen von cylindrischer, auch wohl kelchförmiger, seltener spitz zulaufender Form (Leydig).!) Für die folgende Beschreibung der übrigen Theile der Lederhaut legen wir die Untersuchungen von Agassiz und Peters zu Grunde. Den zunächst unter der Pigmentzellen- schicht gelegenen Theil bildet nach Peters eine aus ver- schlungenen Bindegewebsfasern bestehende Schicht, welche Höhlungen zur Ablagerung von Fettkügelchen zwischen sich lässt. Der genannte Verfasser fand das Fett an der Oberfläche oft in sehr feinen Nadeln krystallisirt und glaubt, dass sich dasselbe zu den von Ehrenberg und schon früher von Röau- mur entdeckten, silberglänzenden Stäbchen, die den Silberglanz der Fische hervorbringen, ausbilde. ')F. Leydig. Lehrbuch der Histologie der Menschen und Thiere 1857. pag. 90. ff. Ueber die Structur und das Wachsthum u. s. w. 7133 Unmittelbar auf der oberen Fläche der Schuppen zeigt sich noch eine äussert feine, von der obersten Schicht deutlich getrennte Membran, welche, indem sie die Schuppe innig über- zieht, die Erhabenheiten und Vertiefungen, und überhaupt alle Modellirungen der oberen Schuppenfläche nachahmt. Diese Schicht schlägt sich auch auf die untere Fläche einer jeden Schuppe herum, und bildet bei manchen Fischen an dem hinteren Rande der Schuppen noch Anhänge, wie bei den Labroiden. Man sieht schon hier, dass die Schuppen der Fische in einer dieselben von allen Seiten umgebenden Tasche der Cutis liegen, und dass sie demnach, ihrer Entstehung nach, allein der bezeichneten Membran angehören können. Die nun folgende Schicht, die Agassiz die tendinöse nennt, besteht aus den oben erwähnten, in zwei Richtungen verlaufenden Bindegewebsbündeln und ist von allen Schichten die stärkste. Unter ihr liegt die fibröse Schicht (Agassiz), ein glattes, dünnes, festes Gewebe mit geraden, breiten, bandartigen, durch- sichtigen Fasern. Auf ihr liegen in grosser Menge die stäbchen- förmigen Gebilde Ehrenberg’s. Diese fibröse Schicht hängt durch ein subcutanes, mehr weniger fettreiches Zellgewebe mit der darunter liegenden Muskulatur des Fisches zusammen. Es wird in diesem Aufsatze nur von den eigentlichen Schuppen die Rede sein; es ist daher nöthig, an dieser Stelle erst eine Grenze für das Object der Betrachtung zu ziehen. Man versteht unter eigentlichen Schuppen, wenn man der von Agassiz gegebenen Eintheilung folgt, welcher die Fische nach den Schuppen in 4 Klassen, in die der Placoiden, der Ganoiden, der Cycloiden und Otenoiden eintheilt, nur die Schuppen der letzten beiden Klassen derselben. Sie unterscheiden sich wesentlich von den beiden erstgenannten Gruppen zunächst durch den Mangel an Knochenkörperchen und einer Schmelzschicht. Die Hautgebilde der Placoiden kann man überhaupt nicht unter die Schuppengebilde rechnen, es sind wirkliche Hautknochen, die weder durch Form, noch durch Consistenz und durch Structur an wirkliche Schuppen erinnern. 734 Dr. R. Salbey: Die Bedeckungen der Ganoiden haben die Schuppenform beibehalten, zeichnen sich aber durch Knochenkörperchen und durch eine Schmelzschicht vor den eigentlichen Schuppen aus. Zu diesen Verschiedenheiten der Schuppen selbst kommen noch eine Menge anderer Unterschiede, die den ganzen Orga- nismus der Fische, welche sie tragen, betreffen, und zwischen beiden eine scharfe Grenze setzen, die in den verschiedensten Versuchen, eine durchgreifende Olassification der. Fische her- zustellen, immer gleich deutlich sich markirt. Die Placoiden und Ganoiden, die auch in viel geringerer Anzahl sich vorfinden, sind die Ueberreste zweier grosser Fischklassen, die ihre meisten Vertreter in ziemlich frühen Perioden der Geschichte unseres Erdballs finden und bis zur Grauwacke und noch weiter hinaufreichen, während die Oycloi- den und Ötenoiden erst in der Kreideformation ihren Anfang nehmen. So verschieden nun auch die Schuppen der Cycloiden und Ctenoiden untereinander zu sein scheinen, wenn man ihre Form und ihre Zeichnung betrachtet, so lässt sich doch die ganze Reihe dieser Gebilde in einen ziemlich engen Rahmen zusam- menfassen, da ihre Structur im Wesentlichen dieselbe ist, und die bestehenden Unterschiede sich leicht bei der Behandlung des Themas nebenher beleuchten lassen. Jede Schuppe, was sie immerhin für eine Form haben möge, besitzt schon bei der oberflächlichen Vergleichung eine Menge Eigenthümlichkeiten, die sich überall in mannigfachen Abwechselungen wiederholen. Betrachtet man die Schuppen von der Fläche, . so fallen zunächst zwei verschiedene Zeichnungen an ihnen auf. Die eine derselben besteht in meist cireulären, um einen entweder im Centrum liegenden oder excentrisch gelegenen Punkt ge- henden, bald die ganze Schuppe, bald nur den vorderen Theil derselben einnehmenden Linien oder Streifen. Diese concentrischen Linien (Fig. 1. a.) sind an mehreren Stellen von radiär gestellten Streifen (Fig. 1.c.) durch brochen, welche ihre Richtung von dem Centrum nach dem äusseren Rande der Schuppe hin nehmen. Ausserdem bemerken Ueber die Structur und das Wachsthum u. s. w. 735 wir auf der Schuppe eine Menge kleinerer ovaler oder rund- licher und grösserer fast viereckiger, aber mit abgerundeten Kanten versehener Körperchen (Schuppenkörperchen), die keine weitere Structur zeigen. (Fig. 3.) Bei den Ctenoiden treten zu diesen Merkmalen noch am hintereren Rande, der wie ein Kamm aussieht, in mehreren Reihen alternirend angeordnete Zähne, die, je weiter sie nach vorn auf der Schuppe stehen, unvollkommener werden und noch vor der Gegend des Mittelpunktes ganz aufhören. Fig. 1. d. u. e.) Die concentrischen Streifen, welche in grosser Menge und ziemlich regelmässiger Entfernung neben einander her- laufen, lassen sich nicht immer durch die ganze Region der so gezeichneten Schuppe verfolgen. Oft hört ein Streifen auf, indem er mit einem kleinen, ein- oder auswärts gerichteten Bogen endist. Manchmal ist zwischen den grösseren circulären Streifen ein kleinerer Streifen eingeschaltet, der nach kurzem Verlaufe wieder endet. Bei vielen Schuppen gehen diese concentrischen Zeichnungen um die ganze Schuppe herum, bei anderen sind sie nur auf dem vorderen Theile, der von der vorhergehenden Schuppe bedeckt wird, sichtbar, und der hintere Theil ist frei davon. Bei mässigen Vergrösserungen erscheinen die concentrischen Streifen einfach und scharf, bei stärkeren wird ihre Form zu- sammengesetzter; der Streifen erscheint jetzt gezähnelt, und wenn man mit dem Focus etwas tiefer geht, so scheint es auch, als wenn derselbe aus kleinen runden Zellen bestände. Die Streifen zeigen einen nach dem Centrum der Schuppe gerichteten Schatten, der schon bei der Flächenbetrachtung der Schuppe darauf hindeutet, dass jene Erhabenheiten angehören, welche unter dem Mikroskope die dunkeln Contouren liefern. Macht man einen mikroskopischen Schnitt von der Schuppe, welcher bei der geringen Dicke des Gebildes nicht ganz senk- recht, sondern, um eine grössere Schnittfläche zu erzielen, etwas schräg in der Längsaxe der Schuppe geführt werden muss, so zeigt uns das Bild, welehes wir erhalten, die Be- deutung dieser Streifen ganz deutlich. (Fig. 1.a.) Wir sehen 736 Dr. R. Salbey: auf einem solchen Schnitte zunächst eine Menge paralleler Linien, welche von der Schichtung der Schuppe herrühren. An dem oberen, der freien Fläche der Schuppe zugehörigen Rande des Bildes, wo die parallelen Linien aufhören, tritt uns eine Lage entgegen, deren untere Begrenzung ebenfalls eine gerade Linie darstellt, deren obere Grenze aber gezähnelt er- scheint. Die Zähne dieser Lage stehen genau in derselben Entfernung, in welcher man bei der Flächenbetrachtung die concentrischen Streifen wahrnahm. Durch den schrägen Schnitt hat man auch Gelegenheit, sich von der Identität derselben mit den concentrischen Linien zu überzeugen und sieht zugleich noch etwas, was die Erklärung zu der oben erwähnten That- sache giebt, dass auf der Fläche bei gewisser Focuseinstellung die concentrischen Streifen aus kleinen runden Zellen zu be- stehen scheinen. Man sieht, dass die Erhabenheiten, welche wie Riffe die Oberfläche der Schuppe bedecken, nicht in allen Stellen gleich hoch sind, sondern kleine Vertiefungen zwischen sich lassen, so dass die concentrischen Streifen aus einer Reihe im Allgemeinen concentrisch gestellter Riffe bestehen, die wie- der eine höckerige Oberfläche haben. Bringt man daher den Focus in eine gewisse Tiefe, so müssen anstatt der gezähnelten Linien eine Menge in Reihe gestellter, kleiner runder Zellen erscheinen, was Mandl zu der Annahme von Zellenlinien ge- führt hat. Es fällt bei der Betrachtung dieses Schnittes sogleich ins Auge, dass die Lamellen, welche die Schuppe zusammensetzen und einander parallel liegen, durchaus nicht mit den con- centrischen Streifen in Zusammenhang zu bringen sind, wie früher Agassiz noch in seinem Streite mit Mandl annahm, wo er die concentrischen Erhabenheiten der Oberfläche der Schuppe als die aufgeworfenen Ränder der Schuppenlamellen auffaste. Wenn also diese Erhabenheiten nur der obersten Lage angehören, so bedarf es auch weiter keiner Erklärung, weshalb manchmal die ihnen entsprechende Zeichnung plötzlich endet, oder weshalb sich einmal wieder ein ganz neuer Streifen zwischen die längeren concentrischen einschiebt. Ueber die Structur und das Wachsthum u. s. w. 7137 Agassiz meint von dieser oberen Lage, dass sie aus vielen, dachziegelartig angeordneten, kleinen Lamellen bestehe; ich habe jedoch an der oberen Fläche nur immer ein Blatt erkennen können, welches selbstständig diese Erhabenheiten bildet. Ich kann mir auch nicht erklären, wie Agassiz, wenn er viele nebeneinanderliegende kleine Lamellen annimmt, die Zeichnung der Schuppe, wie man sie von der Fläche aus sieht, auffassen will, er müsste denn diese Lamellen ohne alle Ord- nung entstehen lassen. Die darüber liegende Schicht der Cu- tis fügt sich an alle Erhabenheiten und Vertiefungen der oberen Schuppenlage genau an. Ich schliesse an diesen Punkt sogleich die Zusammen- setzung der Schuppen aus übereinander liegenden Lamellen an, da man auch bei der Erklärung der radiär stehenden Zeich- nungen wieder auf dieselben stösst. Die Schuppe besteht aus einer ziemlich grossen Anzahl von Lamellen. Leeuwenhoeck hat bei einem alten Karpfen deren über 40 gezählt. Die Lamellen oder Schichten sind nicht gleichmässig, son- dern so angeordnet, dass zwischen zwei dickere je eine dünnere sich lagert, die auch in ihrer Substanz von den dickeren Schichten verschieden ist. Die dickeren Schichten sind farb- los und glänzend, die dünneren gelblich und undurchsichtig, erstere sind „kalkhaltige Lamellen,“ letztere sind von einer zwischen die kalkhaltigen Lamellen abgelagerten „Kitt- substanz“ gebildet. (s. Fig. 2. f.) Die Anzahl der Lamellen steht in keinem bestimmten Verhältniss zu dem Alter des Thieres, wenigstens sprechen die Zahlenverhältnisse der Lamellen bei sehr verschieden alten Thieren einer und derselben Gattung nicht dafür. Da jedoch die Lamellen der älteren Thiere dicker sind und der Farben- unterschied zwischen den einzelnen Lagen nicht mehr besteht, so ist es wahrscheinlich, dass die Kittsubstanz, welche bei diesen jungen Thieren die Blätter verbindet, für das Auge des Beobachters aber als eine selbstständige Schicht erscheint, in der Länge der Zeit mit einer Kalklamelle, mit welcher sie in Verbindung steht, verschmilzt, indem sie durch allmählige Verkalkung mit derselben sich verbindet. So kommt es denn, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1868. 48 138 Dr. R. Salbey: dass die Anzahl der Lamellen, obgleich sie beim alten. Fische in Wirklichkeit eine viel grössere geworden ist, dennoch nicht vermehrt erscheint, da die Bindeglieder der älteren Lamellen als solche verschwunden sind. Es wirft diese Annahme zu- gleich auf die Entstehung der Schuppen ein Licht, Das Wachsen der unteren Lagen der Schuppe muss in folgender Weise stattfinden: Inder dem unteren Theile derSchuppe anliegenden Membran der Cutis findet periodisch eine Kalkablagerung statt. Die mit Kalksalzen imbi- birte wird zur untersten Lamelle der Schuppe; zwischen der Cutis und dieser neugebildeten Lage setzt sich wieder eine Kittsubstanz ab. Nach einer gewissen Zeit, die dem schnelleren oder langsameren Wachs- thum des Fisches und der Vergrösserung seiner Körper- oberfläche entspricht, findet wieder ein ähnlicher Vorgang statt und so fort. Wir finden daher, obgleich bei ganz jungen Fischen wegen der Kleinheit der Objecte die Untersuchung dieser Verhältnisse sehr erschwert ist, in den Schuppen jün- gerer Fische schon eine ziemlich grosse Anzahl von Blättern von verschiedener Farbe vor. Betrachtet man dagegen die Schuppen alter Thiere, so bemerkt man dickere Lagen, aber in nicht viel grösserer Anzahl, da die Kittsubstanz unter- dessen zwischen den ältesten Lamellen eine Verkalkung ein- gegangen ist. Mit dieser Art des Wachsthums stimmt es auch vollkom- men überein, dass die untersten Lagen der Schuppe die grössesten sind, und dass, was schon Peters erwähnt, sich an der unteren Fläche der Schuppe ein weicherer Theil befindet. Dieser weichere Theil ist eben die Kittsubstanz, welche bei der untersten Lamelle sich zwischen dieser und der Cutis abgelagert hat. Für das Bestehen einer nicht verkalkten Kitt- substanz spricht ausserdem noch die Thatsache, dass bei Schnitten, die senkrecht auf die Fläche der Schuppe geführt sind, und welche nicht ganz vom vorderen bis zum hinteren tande der Schuppe gehen, die einzelnen Lamellen frei hervor- ragen, während die Kittsubstanz, die weicher ist, an. dieser Stelle durch den Druck des Messers zu Grunde gegangen oder Ueber die Structur und das Wachthum u. s. w. 7139 abgerissen ist, so dass nur noch die kalkhaltigen Lamellen an dieser Stelle bestehen, zwischen denen die weiche Kittsub- stanz fehlt. Die Substanz der Kittlamellen erscheint meist homogen, doch sieht man an vielen Schnitten durch die Schnittführung sich Faserelemente ablösen, die überall wo sie vorkommen, in der- selben Richtung verlaufen. Es ist daher wohl anzunehmen, dass auch die Kalklamellen eine faserige Textur haben, deren Erkennung nach Ablagerung von Kalksalzen nicht mehr mög- lich ist. _ Neben den concentrischen Zeichnungen, die der obersten Schicht der Schuppe allein angehören, zeigen sich bei der Betrachtung von der Fläche radiär nach einem gemein- samen Mittelpunkte von der Peripherie her verlau- fende Streifen (Fig. 1. c.), die jedesmal aus zwei im grösserer oder geringerer Entfernung neben einander herlaufen- den Linien bestehen. Es sind dies die „Oanaux longitu_ dinaux“ Mandl's, die „Sillons en eventail“ von Aggasiz, die „Nähte“ von Peters. Mandl glaubte diese Streifen bedingt durch Längskanäle, die von der Peripherie der Schuppe dem „Foyer“ oder Cen- trum derselben zustrebend mehr weniger vollständige Kanäle bilden, welche unmittelbar mit der Haut in Berührung stehen und die Funetion nutritiver Gefässe übernehmen sollten. Weder, Agassiz noch Peters haben solche Kanäle ge- funden. Agassiz bezeichnet, sie richtig als fächerförmig ver- laufende Sillons, welche sämmtliche Lagen der Schuppen durch- brechen, doch lässt, er sich nicht weiter über die Bedeutung derselben aus, während Peters ihre Bedeutung darin findet, dass sie Nähte darstellen. Seine Ansicht wurde durch die Beobachtung gestützt, dass die. Schuppen beim Kochen ver- brennen und bei Behandlung mit starken Säuren so leicht an diesen Stellen sich trennen. . Da indess die, den Furchen ent- sprechende, durch’ die Dicke der Schuppe hindurchgehende Substanz, nicht allein, die verkalkten Lamellen verbindet, son- dern auch ohne Abgrenzung in die Kittlamellen zwischen jenen 48* 740 Dr. R. Salbey: übergeht und im Wesentlichen aus Kittsubstanz besteht, so lässt sie sich nicht einfach als Nahtsubstanz auffassen. Man benutzt zur Untersuchung dieser zweiten Eigenthüm- lichkeit der Schuppen wieder einen etwas schräg, aber dieses Mal in der Queraxe der Schuppe geführten Schnitt. Zunächst sieht man an demselben wieder die parallel begrenzten, ab- wechselnd farblos und gelblich gefärbten Lamellen, und auf dem oberen Rande wieder die, jetzt in einer anderen Richtung getroffenen Riffe der obersten Schicht. An der Stelle, wo eine Furche getroffen ist, bemerkt man an der obersten Lage einen Einschnitt; die Lage fehlt an dieser Stelle ganz und ist im Grunde der Furche durch Kittsubstanz ersetzt. Im weiteren Verlaufe des Sillon durch die tiefer liegenden Lamellen bieten sich verschiedenartige Bilder dar. In dem einen Falle geht sie senkrecht durch die ganze Dicke der Schuppe, aus dersel- ben Substanz bestehend, die man zwischen den eigentlichen Lamellen wahrnahm. In anderen Fällen theilt sie sich gabel- förmig in der Region der Lamellen der unteren Schicht und fasst zwischen sich eine schmale, nach unten breiter werdende Lage kleiner, ganz den übrigen Blättern gleichender Lamellen mit abwechselnden Schichten. Diese Schicht schiebt sich also gleichsam keilförmig zwischen die anderen der Schuppe hinein und trägt so zur Verbreiterung und Vergrösserung der Schup- pen in den unteren Theilen bei, indem sie die Lagen ausein- anderdrängt. (Fig. 2. b.) Die Zahl dieser Sillons ist sehr wechselnd bei den einzel- nen Schuppen; bald richtet sie sich, wie bei Perca fluviatilis nach der Zahl der Ausbuchtungen des vorderen Randes der Schuppe, indem immer je zwei Sillons eine Ausbuchtung um- fassen, bald ist die Anzahl, wie bei Scarus striatus, welcher überhaupt an seinen grossen Schuppen am bequemsten die Eigenthümlichkeiten der Schuppen zur Anschauung bringt, un- begrenzt. Die Sillons gehen übrigens nicht blos in der Rich- tung von der Peripherie nach dem Centrum, sondern ver- laufen auch in anderen Richtungen, wie Peters z, B. am Ophidium und anderen Fischen gesehen hat, wo sie auch con- centrisch angeordnet sind. Ueber die Struetur und das Wachsthum u. s. w. 741 Was den Ort anbetrifft, an welchem die Sillons an der Schuppe vorkommen, so sind sie bei Weitem am regelmässig- sten auf dem vorderen Theile der Schuppe zu finden und laufen in diesem Falle unter spitzem Winkel nach dem Foyer zu- sammen, oder sie sind in derselben Weise auf die ganze Schuppe vertheilt. Die Sillons sind nicht in ihrer ganzen Ausdehnung gleich weit, sondern werden im Allgemeinen nach dem Centrum hin enger, zeigen aber auch noch in ihrem Ver- laufe mannichfache Ausbuchtungen. Sie können, wie man es beobachten kann, dadurch, dass sich in sie hinein Lamellenlagen schieben, zur Vergrösserung der Schuppe in der Fläche bei- tragen und vermitteln durch ihre erst spät verkalkende Kitt- substanz die Möglichkeit einer fortwährenden Ablagerung von Kalksalzen in die nicht mehr in directtem Zusammenhange mit der Cutis stehenden Lamellen und die Kittsubstanz der Schuppe. Aus dem letzteren Umstande erklärt sich auch das, was Mandl gesehen hat, dass nämlich bei älteren Exemplaren von Abramis keine Furchen mehr vorkommen, während die Schuppen jüngerer Exemplare sie noch besitzen. Mit den beiden bis jetzt erwähnten Eigenthümlichkeiten der Schuppen, den concentrischen und radiären Streifen, steit noch eine dritte in engem Zusammenhange; es ist dies der Punkt, um welchen herum beide Streifen sich an- ordnen (Fig. 1. b.), und der von den verschiedenen Natur- forschern verschieden gedeutet! worden ist. Agassiz nennt ihn „Centre de l’accroissemet“, Mandl „Foyer“ Mandl unterscheidet noch einen „Foyer granuleux“, wo sich Schuppen- körperchen (zu denen wir weiter unten kommen), unter- brochene concentrische Streifen (Zellenlinien Mandl’s) und mehr weniger deutliche Zellen finden, und „Foyer uni“, wo die Oberfläche Nichts dergleichen darbietet. Mandl erklärt den Foyer als den Punkt der Schuppe, von welchem hauptsächlich die Ernährung ausgehe, Agassiz für den ältesten Theil der Schuppe, dessen älteste Schichten hier abgeblättert oder abgerieben seien. Ich schliesse mich der letzten Ansicht an, kann mich aber mit dem letzteren 742 Dr. R. Salbey: Theile derselben, dass hier eine Abblätterung oder Abreibung der ältesten Schichten stattgefunden habe, nicht einverstanden erklären. Es fällt diese Ansicht schon mit der Annahme zweier verschiedener Lagen der Schuppe; es ist ferner na- türlich, dass die Erhabenheiten, welche sich dem Centrum der Schuppe am nächsten befinden, kleiner und undeutlicher sind, als weiter nach der Peripherie hin, weil an diesem Punkte wo die obere Lage der Schuppe am dünnsten ist, (da sie zu einer Zeit entstand, die dem jüngsten Alter des Fisches ange- hörte), sich nicht so grosse Erhabenheiten entwickelten, als an den peripherischen Theilen, die einem höheren Lebensalter des Fisches angehören. Eine Abblätterung kann man auch schon wegen des Bestehens einer Cutis auf der Schuppe nicht an- nehmen, und bei einem Abreiben wäre ja eine Verletzung der Epidermis und Cutis an dieser Stelle vorauszusetzen. Der Foyer stellt also weiter Nichts als den ältesten Theil der Schuppe dar, und es ist an dieser Stelle, weil sie eben die älteste ist, die Verkalkung am weitesten vorgeschritten, auch ist die Schuppe an dieser Stelle am dicksten, da hier sich die grösste Anzahl von Lamellen der unteren Lage be- findet. * Der Ort des Foyer auf der Schuppe ist bei den ver- schiedenen Fischen wechselnd. Kuntzmann hat bei seiner Eintheilung der Schuppen nach der Zeichnung die Stellung des Foyer zur Schuppe mit als Eintheilungsprineip benutzt, es hat jedoch dieser Punkt für die Structur der Schuppe keine tiefere Bedeutung. Auf der Schuppe befinden sich noch, augenscheinlich zur Bildung derselben in einem gewissen Verhältnisse stehende, Körperchen (Fig. 3.) von verschiedener Grösse und Form, die kleineren oval oder rundlich, die grösseren viereckig mit abgerundeten Grenzen. Sie erscheinen dunkler als die Schuppe selbst, bleichen durch Säuren und bei der Verbrennung, blei- ben aber beständig, auf welche Weise man auch die Schuppen behandeln möge. Agassiz hat sich nicht davon überzeugen können, dass diese Figuren von wirklichen soliden Körpern herrühren sollen, er meint, die unregelmässige Vertheilung Ueber die Structur und das Wachthum u. s. w. 743 (derselben und die wechselnde Anzahl mache das Bestehen von wirklichen Körpern unsicher. Ferner kommt es ihm vor, als wenn die Zahl derselben durch Quetschen des Öbjectes ver- mehrt werde. Er schliesst aus diesen Umständen, dass die Figuren von leeren Räumen herrühren, die an Stellen, wo die Lamellen sich von einander getrennt haben, entstehen, so dass durch die veränderte Brechung des Lichtes an solchen Punkten das Vorhandensein von soliden Körpern vorgetäuscht werde. Er hat sie auch an dieken, starken Schuppen nicht gefunden und deutet diesen negativen Befund zu Gunsten seiner Ansicht. Mandl findet diese Körperchen mitten in der Substanz der Schuppe, an der Basis der concentrischen Linien und in einem besonderen Gewebe liegen. Sie nehmen nach dem Rande der Schuppe an Grösse ab, an Zahl zu, und bilden oft an den radiären Streifen nur noch Granulationen. Peters wieder hat diese Schuppenkörperchen nur an der unteren Fläche wahrgenommen, niemals, wie Agassiz, an der oberen. Er meint, sie bestehen aus Knochensubstanz und bilden sich aus der krümlichen Substanz, in die sie nach dem Rande der Schuppe und nach den Furchen hin übergehen, und sind es auch, aus denen die Zähne am hinteren Rande vieler Schuppen hervorgehen (Ctenoidschuppen). Man findet nach ihm unter diesen elliptischen Körpern andere von vier- eckiger Gestalt, welche sich in regelmässigen Reihen ablagern und zu diesen Zähnen auswachsen. Leydig endlich erklärt sie als Kalkkugeln, welche das Material zur Verkalkung der Schuppen liefern und eine ähnliche Bedeutung haben, wie die Zahnbeinkugeln bei der Bildung der Zahnsubstanz. Ich schliesse mich der Ansicht, dass die Schuppenkörperchen nicht Vacuolen angehören, sondern verknöcherte und kugelige Körper darsellen, wie es besonders Leydig behauptet, an, und glaube, dass nur Wenige mit Agassiz diese Gebilde für eine optische Täuschung halten werden. Ich finde diese Körperchen, die an den Schuppen in grosser Anzahl vorkommen, und die ich überhaupt an allen Schuppen der Ctenoiden und Cycloiden, welche ich untersuchte, bemerkt 744 Dr. R. Salbey: habe, zumeist an der oberen Fläche gelagert, oder auch in die Substanz der Schuppe und namentlich in die oberen Schichten der unteren Lage eingebettet, und zwar so, dass sie, je weiter sie von den radiären Furchen entfernt liegen, desto tiefer in die Schuppe hineingehen. Es entstehen daher buchtige Zeichnungen auf den Schnittfiächen parallel der Queraxe der Schuppe, die in der Mitte zwischen zwei Furchen am weitesten in die Substanz sich hineinziehen. Mehr nach dem hinteren Rande der Schuppe zu ver- schmelzen manchmal mehrere dieser Körperchen zu einem un- regelmässigen grösseren Körper, welcher in seiner Begrenzung noch seine Entstehung aus mehreren kleinen erkennen lässt. Wahrscheinlich sind es einzelne mit jenen in Form von Kugeln verknöcherte Theile der Bindesubstanz, die man so häufig am Rande grösserer Knochenstücke beobachtet. In allen bisher erwähnten Eigenthünlichkeiten stimmen die Cyeloid- und Ctenoidschuppen überein, die letzteren haben nur noch ein charakteristisches Merkmal, das den Unterschied zwi- schen beiden Arten ausmacht. An dem hinteren Rande der Ctenoidschuppen, über den- selben hinausreichend, bemerkt man an der oberen Fläche eine Menge in gleichmässigen Abständen mit grosser Regelmässig- keit angeordneter Spitzen, die wie Zähne eines Kammes nebeneinander stehen (Fig. 1.d.). Die Spitzen oder Zähne sind regelmässige Kegel, die nach ihrer Basis zu sich öfters an einer telle noch einmal plötzlich verengen und so eine Form dar- stellen, die man mit den Spitzen der Helme vergleichen kann. Weiter nach vorn von diesen Spitzen stehen Gebilde, gleich- falls im Halbkreise angeordnet, welche eine unverkennbare Aehnlichkeit mit ihnen zeigen. Je weiter sie nach vorn stehen, desto undeutlicher wird ihre Form, desto matter ihre Grenze, bis sie endlich gegen den Foyer hin ganz verwaschen aus- sehen, und zuletzt ganz verschwinden, noch ehe sie diesen er- reicht haben. Peters hat gemeint, dass die Körperchen, . welche ich oben beschrieben habe, sich immer mehr vergrössern, zuletzt zu diesen Spitzen auswachsen und an den hinteren Rand der Schuppe treten; ich kann mich mit dieser Anschauung Ueber die Structur und das Wachthum u. s. w. 745 nicht einverstanden erklären. Man kann leicht sehen, wenn man bei der Präparation der Schuppe nicht ganz vorsichtig zu Werke gegangen ist, dass die eine oder andere Spitze an der verengten Stelle abgebrochen ist, offenbar erst durch die Präparation. Der übriggebliebene Rest der Spitze unterscheidet sich nun durch Nichts von den Körpern der weiter nach vorn stehenden Reihen. Ich möchte aus diesem Umstande gerade umgekehrt schliessen, als es die früheren Beobachter gethan haben, und behaupten, dass die Spitzen bei dem allmählichen Wachsthum der Schuppe als Bestandtheil der oberen Schicht am hinteren Rande der Schuppe sich bilden, und dass in Folge dessen die zuletzt gebildeten Spitzen vollständig erhalten sind, während die durch das weitere Wachsthum schon nach vorn auf die obere Fläche der Schuppe gerückten Spitzen durch äussere Insulte abbrechen und kleiner werden, so dass die am weitesten vorn stehenden, also ältesten Rudimente dieser Art Gebilde endlich in ihrer Form eine noch geringe Aehnlichkeit mit den ausgebildeten Spitzen haben. Für diese Ansicht spricht ausserdem die Thatsache, dass bei Ctenoidschuppen jüngerer Thiere ebenso wie bei älteren nur die letzte am hinteren Rande stehende Reihe von Spitzen ausgebildet erscheint, während die Zahl der Reihen rudimen- tärer Spitzen eine kleinere ist, als bei älteren. Die Spitzen und ihre Ueberreste zeigen nicht bei allen Fischen dieselbe Form und Grösse, sondern sind sehr verschie- den, aber stets nach demselben Typus angeordnet. Bald sind sie klein und nur bei der Berührung des Fisches als geringe Rauhigkeiten der Oberfläche zu bemerken, bald sind sie deut- lich mit blossem Auge zu erkennen. Da der hintere Rand der Schuppe mit dem Wachsthum derselben immer grösser wird, so ist es natürlich, dass die letzten Reihen eine immer grössere Menge von Spitzen erhalten und dass, da sie mit grosser Regel- mässigkeit angeordnet sind, die ganze Menge dieser Körper bis zu den Rudimenten hinauf in Form einer Quincunx ange- ordnet erscheinen. Eine besondere Structur lässt sich an den Spitzen nicht erkennen, 746 Dr R. Salbey: Mandl hat seine Spitzen, welche er Zähne nennt, mit einem Sack, in dem sie sich bilden sollen, und einer Wurzel versehen sein lassen, ist wohl aber darin zu weit gegangen. Die einzelnen Spitzen haben allerdings an ihrer Basis eine scharfe, abgerundete Grenze, aber wirkliche Wurzeln hat noch kein Beobachter ausser Mandl an ihnnen gefunden, Was die Bedeutung dieser letzterwähnten Formationen für die Olassification, für die Möglichkeit, aus der’ blossen Schuppe schon die Art oder Gattung des Fisches zu erkennen, betrifft, so ist dieselbe nicht ersichtlich, und Peters hat darauf hin- gewiesen, dass er bei der Untersuchung von Pelamys sarda dessen Schuppen im Allgemeinen eycloid sind, in der Gegend der Brustflossen auch Ctenoidschuppen gefunden hat; es be- stehen also Uebergänge zwischen beiden Formen, und beide können nebeneinander auf ein und demselben Fische vorkom- men. Johannes Müller lässt sich in. gleicher Weise über die Bedeutung der Spitzen oder Zähne für die Classification der Fische aus. Was ich oben an einzelnen Stellen über die Entstehung der eigentlichen Schuppen gesagt habe, will ich hier kurz noch einmal zusammenstellen Die Schuppen, ein Gebilde der Cutis, von allen Seiten von derselben wie von einer Tasche umgeben, setzen sich aus zwei verschiedenen Lagen zusammen. Die obere, mit dem Leibe des Fisches zugekehrter glatter und mit äusserer durch vielfache Erhabenheiten ausgezeichneter Fläche, welche die eoncentrischen Streifen herstellen, entwickelt sich von der oberen Schicht der Outis durch Ablagerung von Kalksalzen in die- selbe. Die untere Lage besteht aus vielen, der Zahl nach nicht bestimmten und mit der Anzahl der concentrischen Er- habenheiten der oberen Schicht in keiner Weise im Verhält- niss stehenden Lamellen, die periodisch durch Kalkablagerung in die unter der Schuppe befindliche Schicht der Cutis sich bilden und jedesmal zwischen sich eine unverknöcherte Schicht (Kittsubstanz) lassen. Die unterste Lage dieser Kittsubstanz liegt zwischen der zuletzt gebildeten Kalklamelle und der die Schuppe umschliessenden Cutisschicht. Die Grösse der Lamellen Ueber die Structur und das Wachsthum u. s. w. 747 nimmt auch unten zu, so dass die oberste Lamelle am kleinsten die unterste am grössesten ist. Die Längsfurchen theilen die Schuppe in ihrer ganzen Dicke der Fläche nach in nebeneinander liegende Theile, deren Anzahl dureh die Längsfurchen bedingt ist. Sie sind mit einer unverkalkten Kittsubstanz erfüllt und können der Ver- mittlung der Ablagerung von Kalksalzen in das Innere der Schuppe, insbesondere in die Kittsubstanz dienen. Diese Ab- lagerung findet hauptsächlich von oben her statt, wo sich auch die als Schuppenkörperchen bezeichneten Kalkconcremente vor- finden. Die Kittsubstanz der Furchen kann im höheren Alter gleichfalls verkalken. Die Längsfurchen können ausserdem noch zur Vergrösserung‘ der Schuppen in die Breite dadurch bei- tragen, dass sich in sie hinein‘ von unten her keilförmig La- mellenlagen, gleichfalls mit interlamellärer Kittsubstanz, ent- wickeln, und so die Breitenausdehnung der Schuppe ver- mehren. Die Zähne ‘des hinteren Randes der oberen Schicht der Ctenoidschuppen bilden 'sich periodisch mit dem Wachs- thum der Schuppe am hinteren Rande selbst und rücken, je weiter nach vorn gelangend, desto rudimentärer werdend, all- . mählich in Folge der Vergrösserung der Schuppen nach vorn. Alle Körper dieser Art haben einmal am hinteren Rande als vollkommene Spitzen sich entwickelt. Was die Form der Schuppen im Allgemeinen anbetrifft, so wechselt ihre Grösse und Gestalt bei den einzelnen Arten ins Unbegrenzte, von den kleinen kümmerlichen Schuppen von Anguilla bis zu den grossen schönen Schuppen der Cyprinus und Scarusarten. Wie ihre Grösse und Gestalt, so ist auch ihre Consistenz nach den einzelnen Arten sehr ver- schieden. Beachtenswerth ist noch ihre Anordnung an der Ober- fläche des Fisches. In den meisten Fällen stehen sie dach- zigelförmig in transversalen Reihen angeordnet, doch kommen auch Fische vor, bei denen die Schuppen sich nur mit den Rän- dern berühren oder ganz einzeln stehen. Bei der dachziegelförmigen Anordnung bedeckt jede trans- 748 Dr. R. Salbey: versale Reihe mıt ihrer hinteren Fläehe die vordere Fläche der Schuppen der nächst folgenden Reihe. Agassiz hat, um die genaue Kenntniss der Anordnung der Schuppen auf der Ober- fläche des Fisches zu erleichtern, verschiedene technische Be- zeichnungen eingeführt. Er nimmt „series dorsoventrales“ an; diese werden durch die Linea lateralis getheilt in „series mediodorsales“ und „medioventrales“, und zerfallen ihrerseits wieder in anterieures und posterieures. Ueber die Anzahl der Schuppenreihen und ihr Verhältniss zu dem ÖOrganissmns des Fischkörpers macht Agassiz noch eine interessante Bemerkung. Fast alle Fische mit grossen Schuppen haben so viel Schuppenreihen, als sie Wirbel haben. Es stimmt diese Thatsache mit den Gesetzen, die wir für den Aufbau des Wirbelthierkörpers annehmen, sehr wohl überein. Herr Geh. Medicinalrath Reichert hatte die Güte, mir obiges Thema zu stellen und mir mit der grössten Liberalität das Material zu meinen Untersuchungen aus dem anatomischen Museum zu gewähren. Sei es mir daher vergönnt, demselben für das Interesse und die gütige Unterstützug, welche er mei- ner Arbeit zugewendet hat, an diesem Orte meinen Dank aus- zusprechen. Erklärung der Figuren. Fig 1. Schuppe von Perca fluviatilis. A. vorderer in der Haut des Fisches gelegener Theil der Schuppe. B. hinterer freier Rand der Schuppe. a. Uoncentrische Zeichnungen der oberen Schicht. b. Foyer. c. Radiäre Furchen, Nähte, d. Spitzen, Zähne der ÜÖtenoidschuppen. e. Reihen rudimentärer Spitzen, Fig. 2. Ansicht von der Fläche einer quer und etwas schräg durchschnitten Schuppe von Scarus striatus. a, Die obere Lage an zwei Stellen b. b. von den radiären Ueber die Structur und das Wachsthum u. s. w. 749 Furchen durchsetzt Sie geht bei der Linie c. in die Oberfläche der Schuppe über und zeigt die concentrischen Erhabenheiten (a) derselben. d. Die untere Lage der Schuppe bestehend aus den ver- knöcherten Lamellen e. und der nicht verknöcherten Kittsubstanz f. f‘. Freiliegende Lamelle der Kittsubstanz in continuirlicher Ver- bindung mit der die Sillons ausfüllenden nicht verkalkten Substanz. Die radiären Furchen bb. ziehen durch die ganze Dicke der Schuppe und spalten sich in der unteren Partie derselben, indem sie schmälere Lamellen zwischen sich fassen. Fig. 3. Schuppenkörperchen der Schuppen von Perca fluviatilis. 750 Dr. W. Dönitz: dal Ueber Noctiluca miliaris. Erwiderung an Herrn Prof. V. Carus. Von Dr. W. Dönttz. Herr Professor V. Carus hat es für nöthig erachtet, meine in diesem Archiv veröffentlichte Arbeit über Noctiluca milia- ris einer Kritik!) zu unterwerfen, zu der ich unmöglich schwei- gen kann, da mir darin der schwerste Vorwurf gemacht wird, der. einen wissenschaftlichen Forscher treffen kann — Ent- stellung von Thatsachen. Ich nannte es einen mir unerklärlichen Irrthum, dass Herr Professor V. Carus in der Diagnose der eigens für die Noetiluca geschaffenen Klasse der Myxocystodea diesen Thieren ein gallertiges, dem Schleimgewebe höherer Thiere ver- gleichbares Parenchym zuschreibt. Nachdem Herr Prof. V. Carus diese Stelle meiner Arbeit in seiner Kritik wieder- holt hat, fährt er fort: „So dankbar ich jederzeit für die Be- richtigung von Irrthümern sein werde, von denen ich meine Arbeiten ebensowenig wie die des Herrn Dr. W. Dönitz frei weiss, so entschieden muss ich mir derartige Entstellungen verbitten, wie sie in den Bemerkungen des Herrn Dr. Dönitz enthalten sind.“ 1) M. Schultze's Archiv 1868. S. 351 u. 352. Ueber Noetiluca miliaris. 751 Das konnte ich allerdings nicht; erwarten, dass man mich der Entstellungen zeihen würde, wenn ich wörtlich eitire.’) Herr Prof. V. Carus vermeidet es hier, von seiner Diagnose zu sprechen, auf die ich mich. ausdrücklich beziehe; er ver- weist vielmehr auf eine ganz andere Seite, auf welcher eine etwas ausführlichere Beschreibung steht. Damit ist für den denkenden Leser aber nichts gewonnen, denn in dieser Be- schreibung wird von neuem wieder von einer Gallerte gesprochen, gegen deren Existenz einzig und allein der von Herrn Prof. V. Carus ineriminirte Abschnitt meiner Arbeit gerichtet ist. Sollten aber meine Entstellungen daranf hinauskommen, dass ich unter „Schleimgewebe“* ein Bindesubstanzge- bilde verstehe, so bitte ich Herrn Prof. V. Carus, sich die Ueberraschung zu bereiten, in irgend einem Handbuch der Histo- logie, z. B. in dem von Frey oder Hessling, im Register das Wort „Schleimge webe“ aufzuschlagen und sich auf ein Capitel verweisen zu lassen, welches von nichts anderem als einem Bindesubstanzgebilde handelt. Dass aber Herr Professor V. Carus dieses Wort in einem anderen als dem gebräuchlichen Sinne hat anwenden wollen, konnte ich, um so weniger ver- muthen, als an der citirten Stelle das supponirte Noctiluken- gewebe mit dem Schleimgewebe höherer Thiere verglichen wird. Was sind nun höhere Thiere? In dem Carus’schen Handbuche bilden die nächst höhere Klasse die Hydrozo£ön, von. denen. in der Diagnose gesagt wird, dass sie ein gal- lertiges, seltener bis knorpelhartes Coenenchym besitzen. Zur Erläuterung dient ein Satz in der ausführlicheren Be- schreibung: „Bei den medusoiden Formen nimmt das Ectoderm durch Aufnahme eines sich an die Bindesubstanzen hö- herer Thiere anschliessenden Gewebes von Gallert — bis Knorpelconsistenz an Mächtigkeit zu.“ Wir. werden. hier zwar wieder auf die höheren Thiere verwiesen, aber 'es ist 1) Gerstäckeru. Carus, Handbuch der Zoologie, Bd. II. S. 567, „Myxocystodea: Thiere, deren gallertiges, dem Schleimge- webe höherer Thiere vergleichbares Körperparenchym von einer deutlichen Membran umgeben und mit Mund, Magen und After, versehen ist. Bewegungsorgan ein fadenförmiger Anhang “ 7152 Dr. W. Dönitz: unnöthig, noch weiter zu suchen, denn Herr Prof. V. Carus erklärt hier selbst ja ausdrücklich sein Gallertgewebe für Bindesubstanz. Wenn demnach Herr Prof. V. Carus mir Entstellungen vorwirft, so scheint ihm in dem Augenblicke nicht gegenwärtig gewesen zu sein, was er selbst geschrieben hat. Dagegen pflichte ich Herrn Prof. V. Carus sehr gern bei, wenn er erklärt, dass die Differenz unserer Ansichten darin besteht, dass er zwischen dem Sarcodegerüst eine organische (soll wohl heissen organisirte!) Substanz, ich aber Seewasser annehme. Warum aber erklärt sich Herr Prof. V. Carus nicht darüber, ob er gesonnen ist, diese seine Ansicht immer noch aufrecht zu halten? Ist eine organisirte Substanz zwischen den Fäden der Noctiluca vorhanden oder nicht, das ist der "Kern der Frage. Ich behaupte nein, Herr Prof. V. Carus schweigt darüber und zieht es vor, sich über meine Auffassung des Wortes Schleimgewebe zu ereifern, womit für die Wissen- schaft natürlich nichts weiter als ein Blatt Maculatur gewonnen ist. Auch wird die Sache des Herrn V. Carus dadurch um nichts besser, wenn er angiebt, dass er den Ausdruck Schleim- gewebe nur gebraucht habe, um die Diagnose kurz zu fassen. Eine Diagnose, sie mag noch so kurz sein, muss meiner Ansicht nach doch wenigstens den Vorzug der Richtig- keit besitzen. Enthält sie aber Unrichtigkeiten, so kann man diese doch wahrhaftig nicht mit ihrer Kürze entschuldigen wollen. Wenn ich übrigens früher, als der erste Theil des Handbuches noch nicht erschienen war, schon hätte wissen können, wie wenig sich die Diagnosen des Herrn Prof. V. Carus durch ihre Correetheit auszeichnen,') so würde ich ihn und ') Um den in Obigem enthaltenen Vorwurf zu begründen, wird es genügen, nur einige Beispiele anzuführen, wie sie mir gerade nahe liegen. 1. Von den Sertulariden heisst es S. 558, sie häften einen Kreis fadiger Tentakeln unmittelbar um den Mund, im Gegen- satz zu den Campanulariden, bei welchen der Tentakelkreis un- terbalb des conisch vortretenden Mundes sitzt. Das ist falsch, denn bei den mir im frischen Zustande bekannten Sertulariden, z. B. Plumularia,Halecium, Sertularia, befindet sich die Mundöffnung Dr. W. Dönite: : 753 sein Lehrbuch ebensowenig citirt haben, wie die Arbeit des Herrn Engelmann „Ueber die Vielzelligkeit der Noctiluken.* auf der ‚Spitze eines Conus. Und dass bei den Campanulariden das Mundstück häufig kugelförmige, urnenförmige etc. Gestalt hat, scheint Herrn Prof. V. Carus auch nicht bekannt zu sein. 2. Auf S,. 550 steht, dass Carduella und Depastrum eine becherförmige Glocke haben. Wenn dem so wäre, dann würden Gosse und Allmann diese Genera gewiss nicht von Lucernaria abgezweigt haben. Gosse’s Diagnose der beiden nicht unnöthiger- weise von einander getrennten Genera lautet: „Depastrum, corpus repente contractum, et supra et infra alvum.“ Es gehört ein nicht unbedeutender Grad von Einbildungskraft dazu, aus diesen noch dazu von Zeichnungen begleiteten Worten eine Becherform her zuleiten. Ob x.eiterhin Herr Prof. V. Carus im Recht ist, wenn er behauptet, «:ss Lucernaria cyathiformis ein bis drei Tentakel- reihen besitzt, während Gosse ausdrücklich sagt: „Tentacula mono- sticha“, das wage ich nicht zu entscheiden, da ich diese Thiere nicht aus eigener Anschauung kenne. Herr Prof. V. Carus wird sie sich ja wohl angesehen ha en, als er seine abweichende Diagnose schrieb. Auch der jetzt ur Hälfte erschienene I. Theil des Handbuches ist nicht besser ausg fallen. z. B. 3. 8. 113 heisst es in der Diagnose der Ordnung Prosimii „der 4. Finger ist vorn und hinten der längste.“ Im Widerspruch dazu wird von der zu dieser Ordnung gehörigen Tarsida auf S. 117 in der Diagnose bemerkt: „Vorn ist der dritte, hinten der vierte Finger der längste. Es fällt dies um so mehr auf, als sonst öfter in dem Handbuche die Ausnahmen entweder angegeben oder durch ein „meistens“ u. dergl. wenigstens angedeutet zu werden pflegen. 4. Von den Galaginina wird 8. 117 angegeben : Gebiss wie bei Stenops, und von Stenops heisst es: „Letzter oberer Molar vier- höckerig“. Die in unserem vergleichenden anatomischen Museum auf- bewahrten Galaginina haben trotzdem alle nur einen dreihöckerigen letzten oberen Backenzahn. 5. Auch die Zahnformel dieser Halbaffen ist unrichtig. Ein aus- gewachsenes Exemplar von Otolienus crassicaudatus (No. 14699) hat m */s und nicht °/, wie für die Nyeticebina angegeben wird, zu denen Stenops gehört, mit dessen Gebiss dasjenige der Gala- ginina (dazu Otolienus) übereinstimmen soll. Von den drei Höckern des letzten oberen Molarzahnes ist der hinterste so klein, dass man kaum von drei Höckern sprechen kann. 6. Von Pterodictieus heisst es auf S. 117: „Letzter oberer Back- zahn zwei-, letzter unterer vierhöckerig. An dem Exemplar unseres Museums No. 10298 trägt jedoch der letzte obere Molaris drei Höcker, Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1868. 49 754 Dr. W. Dönitz: Ueber Noetiluca miliaris. Dass ich Engelmann ’s Aufsatz nicht erwähnt habe, hält Herr Prof. V. Carus für eine so grosse Unterlassungssünde> dass er mehr als eine halbe Druckseite Worte darüber verliert- Um mich aber deswegen zu rechtfertigen, kann ich nur sagen, dass ich geglaubt hatte, man würde kein grosses Gewicht auf eine Arbeit legen, die nichts neues weiter bringt, als dass man im Stande sei, Kerne an der Schale von solchen Noctiluken zu sehen, „die bereits einen oder zwei Tage lang todt im Seewasser gelegen hatten.“ Es ist dies eine Methode der Darstellung von Kernen, die doch erst noch viel genauer geprüft werden müsste, ehe man die mit ihrer Hilfe gewonnenen Resultate für gesichert halten darf. Dass aber die Methode, Seewasser zur Deutlichmachung von Kernen todter Thiere an- zuwenden, für die Noctiluken wenigstens ganz unbrauchbar ist, erlaube ich mir hiermit ausdrücklich hervorzuheben. Im übrigen aber verstehe ich nicht, dass die Existenz der Kerne resp. Zellen deshalb nun erwiesen sein soll, weil Herr Prof. V. Carus und Engelmann „unabhängig von einander zu gleichen Ansichten über den Bau der Noctiluken kamen.* Das beweist mir nur ven neuem, dass zwei Beobachter sich eben gleichzeitig irren können. während an dem entsprechenden unteren Zahn die hinteren Höcker ein- ander so stark genähert und mit einander verschmolzen sind, dass schon sehr viel guter Wille dazu gehört, darin zwei distinete Höcker zu sehen, Ich will die Beispiele von den mangelhaften Diagnosen des Herrn Prof. V. Carus nicht noch vermehren. ‘Sie werden schon hinreichen, meinen obigen Ausspruch zu begründen, und ich denke, Herr Prof. V. Carus wird mir für diese Hinweisungen Dank wissen, da er in seiner Kritik die freundliche Bemerkung macht, dass er jederzeit für die Berichtigung von Irrthümern dankbar sein werde. Auf Wunsch bin ich gern bereit, ihm so viel Berichtigungen zukommen zu lassen, als einem Autor nur lieb sein kann. Ueber Immunität gegen Stryehnin. 55 Ueber Immunität gegen Strychnin. Mit Bezug auf die in diesem Archiv, 1867, S. 629 ff., mit- getheilten Versuche des Hrn. Dr. Leube über die vergleichs- weise Immunität der Hühner gegen Strychnin, hatte Hr. Professor Peters die Güte, mich auf folgende Notiz aufmerk- sam zu machen, welche in Sir J. Emerson Tennent’s Sketches of the Natural History of Ceylon, London 1861, p. 242, (entnommen den Asiatic Researches, vol. XV. p. 184) ent- halten ist. „Der Nashornvogel* — Buceros Rhinoceros — „ist auch „frugivor, und die Eingebornen versichern, dass, wenn bei dem „Versuch eine Frucht abzunehmen der Stengel zu zähe ist, um „durch die Kiefer getrennt zu werden, er sich von dem Zweige „herabstürzt, um so dem Druck des Schnabels das Gewicht „seines Körpers hinzuzufügen. Der Nashornvogel ist sehr häufig „in Quttack und trägt dort den Namen „Kuchila-Kai*, oder „Kuchila-Fresser, wegen seiner Vorliebe für die Frucht von Strych- „nos Nux vomica. Die Eingebornen betrachten sein Fleisch „als ein vorzügliches Specificum gegen rheumatische Affectionen.* Allerdings lese ich in J. Lindley’s Vegetable Kingdom (3% Edition, London 1863, p. 603), dass, nach Roxburgh, Strychnos Nux vomica eine schön orange, runde Frucht von der Grösse eines kleinen Apfels trägt, mit einer brüchigen Schaale und einem weissen gallertigen Fleisch, welches voll- kommen unschädlich zu sein scheine, da es von vie- len Arten von Vögeln gierig gefressen werde. Es bleibt danach zweifelhaft, ob nicht auch der Nashornvogel mit Zurücklassung der Samen nur das Fleisch geniesst, ob er, was 49* 756 Ueber Immunität gegen Strychnin. Hr. Professor Peters nicht für unmöglich hält, die Samen zwar verschluckt, diese aber unzerkleinert schnell genug den Verdauungscanal durchlaufen um kein Gift abzugeben, oder ob der Vogel wirklich gegen Strychnin fest sei. Keinem derartigen Zweifel giebt die folgende Nachricht Raum, die ich gleichfalls Hrn. Professor Peters verdanke. „Der in Costa Rica verstorbene Dr. med. Carl Hoffmann „schickte mir im Jahre 1858 eine neue Art der zweizehigen „Faulthiere, welche ich nach demselben Choloepus Hoffmanni „benannte!) und welche, ausser den Manatis, das einzige „Säugethier mit normal sechs Halswirbeln ist. Dem Thier war „die Notiz beigefügt: „Hat ein sehr zähes Leben, Strychnini „ngt. X tödteten es erst nach acht Tagen.“* !) Monatsbericht der Berliner. Akademie 1858, S. 128. [E. d. B.-R] o Dr. H. Quincke: Ueber das Verhalten der Eisensalze u. s. w. 757 Ueber das Verhalten der Eisensalze ım Thierkörper. Von Dr. H. QUINcKE, Assistenten der medicinischen Universitätsklinik zu Berlin. Im Novemberheft des Journal of Anatomy and Physiology 1868 beschreibt Blake Versuche mit Eisenoxyd- und -oxydul- salzen und schliesst aus denselben auf eigenthümliche Wirkungen sowohl der einen, wie der anderen, auf die Capillaren, das Herz und das Centralnervensystem. Diese Mittheilung veranlasst mich die Ergebnisse einer schon lange begonnenen aber noch unvollendeten Untersuchungsreihe über das Eisen hier wenigstens theilweise zu veröffentlichen. Eisenoxydulsalze, welche im Gegensatz zu den Oxydsalzen Eiweiss bekanntlich nicht coaguliren, werden bei der Ein- spritzung in die Venen ziemlich schnell oxydirt und bilden gröbere und feinere Gerinnungen, welche zu Gefässverstopfungen im kleinen und grossen Kreislauf führen. Durch letztere werden die von Blake beobachteten Erscheinungen vollkommen erklärt. Geschieht die Einspritzung schnell und in grösserer Menge, so tritt durch die Gerinnsel momentan oder in wenig Minuten Hemmung des Lungenkreislaufs und dadurch Tod ein. Ueberlebt das Thier die Einspritzung, so findet man Embolien durch Eisenalbuminat auch im grossen Kreislauf. Geschieht die Ein- spritzung hinreichend langsam, so dass der entstehende Nieder- schlag feinkörnig ist, so wird er von den weissen Blutkörperchen aufgenommen und ist in diesen überall zu finden. So erklären sich die Versuche von Mayer,') welcher nach Eiseneinspritzung ') De ratione qua ferrum mutetur in corpore. Dorpat 1851. „ 758 Dr. H. Quincke: Ueber das Verhalten: des Eisensalze u. s. wi! Grünfärbung der Schleimhäute durch NH,S beobachtete und daraus eine Ausscheidung des Metalls auf diesem Wege nach- weisen wollte. Beim Frosch erhält man eine auf ganz analogem Wege entstandene Füllung der weissen Blutkörperchen mit Eisenalbumi- nat nach Injection von milchsaurem Eisenoxydul in den Rücken- Iymphsack. — Die Verbindungen des Eisens mit Citronensäure,!) Weinsäure und Aepfelsäure, welche sich in ihrem chemischen Verhalten bekanntlich dadurch unterscheiden, dass durch Alkalien das FeO, resp. Fe,O, aus ihnen nicht gefällt wird, verhalten sich auch im Organismus ganz verschieden von den übrigen. Von den Oxydsalzen dieser Säuren sind viel grössere Mengen nöthig, um in EiWeisslösungen Niederschläge zu machen, als von den übrigen Fe,O,-Salzen. In’s Blut ein- gespritzt, geben sie daher nicht leicht zu den erwähnten Em- bolien Anlass. Vom Unterhautzellgewebe oder vom Dünndarm aus werden sie schnell reserbirt und mit dem Urin wieder ausgeschieden, gleichgültig ob derselbe sauer oder alkalisch reagirt. Während der Ausscheidung ist das Eisen in den Haru- canälchen und deren Epithelien mikrochemisch nachweisbar. War das eingespritzte Salz einer der genannten Pflanzensäu- ren ein Oxydsalz, so erscheint das Eisen stets theilweise als Oxy- dul im Harn wieder; wurde ein Oxydulsalz eingespritzt, so finden sich im Harn ebenfalls beide Oxydationsstufen. Wie sich die Menge des Oxyds zu der des Oxyduls im einzelnen Falle ver- hält, hängt von der Quantität des eingespritzten Salzes ab. — Die Versuche wurden an Hunden, Kaninchen und Fröschen angestellt. Zum mikroskopischen Nachweis des Eisens in den Geweben diente Hinzufügung von Schwefelammonium oder von Salzsäure und Ferrocyankalium zum Präparat. !) Der Uebergang des eitronens. Eisenoxyds in den Haru wurde schon von Kölliker und Müller beobaebtet. Würzb, Verhandl 1855: Berlin, 22. December 1868. H. Burmeister: Erwiderung auf die briefliche u. s. w. 759 Erwiderung auf die briefliche Mittheilung des Herrn Dr. d. Reinhardt, die Hautbedeckung der Gravigraden betreffend. Von H. BURMEISTER, Buenos Ayres, den 26. October 1868. Vor Kurzem erhielt ich in einer Büchersendung aus Halle die letzten Jahrgänge dieses Archivs und fand in dem vom Jahre 1866 (S. 414) die briefliche Mittheilung des Herrn Dr. J. Reinhardt, über meine Entdeckung eines Haut- panzers bei Mylodon, welche im Jahrgange 1865. S. 334 abgedruckt ist. Schon früher war mir eine ähnliche Nachricht desselben Verfassers in den Ann. u. Mag. Nat. Hist. III. Ser. Vol. XVII. S. 137. zu Gesicht bekommen, da indessen in letzterem die grössere Ausführlichkeit meiner Angaben, gegen die des Herm Dr. Lund, welchem Herr Dr. Reinhardt die Priorität der Entdeckung vindicirt, eingeräumt wird, so liess ich die Sache auf sich beruhen, um so mehr, als ich mir nicht bewusst werden konnte, Herrn Dr. Lund, den ich hochschätze, durch meine Mittheilung zu nahe getreten zu sein. Indessen die erneute Mittheilung des Herrn Dr. Reinhardt in diesem Archiv lautet ganz anders; sie übergeht das Thatsächliche der beiderseitigen Angaben mit Stillschweigen, und zeihet mich der „Unachtsamkeit“, dieselbe zugleich grossmüthig durch ? 760: | H. Burmeister: meine mangelhafte Kenntniss der dänischen Sprache ent- schuldigend. Die Sache verhält sich indess anders; ich erwähnte Herrn Dr. Lund’s Angabe nicht aus Unachtsamkeit, sondern aus Unbekanntschaft mit seiner Wahrnehmung, weil dieselbe in einem damals noch nicht in meinem Besitz befindlichen Theile seiner Abhandlungen steht. Seit dem Jahre 1845 besass ich drei Abhandlungen des genannten verdienten Gelehrten aus dem IX., X. und XI Bande der Schriften der Königl. Dänischen Akademie und hielt diese drei Theile für alles, was Herr Dr. Lund über seine Entdeckung der fossilen Fauna Brasiliens publieirt habe; erst bei meiner Anwesenheit in Lagaa santa, im Hause des Herrn Dr. Lund, woselbst ich im Mai 1851 gastliche Auf- nahme fand, lernte ich eine vierte Abhandlung (aus dem XII. Bande genannter Schriften) bei ihm selber _kennen, von deren Inhalt ich nur in so weit Erinnerung behalten habe, als sie die Abbildung des grossen Fangzahnes von Machaerodus, nebst anderen Theilen des Gebisses enthält. Hierauf bezog ich mich bei meiner Beschreibung des Machaerodus im Jahre 1867 (Schrft. der Naturf. Gesellschaft zu Halle), die Abhandlung selbst lag mir auch bei Abfassung des fraglichen Aufsatzes nicht vor. Endlich im October vorigen Jahres (1867), bin ich durch gütige Mittheilung des Herrn Dr. E. Warming in Kopenhagen in deren Besitz gelangt, wie ich das im vierten Heft der Anales del Mus. Publ. de B. A. (S. 299) angezeigt habe. — In dieser vierten Abtheilung der Aufsätze des Herrn Dr. Lund findet sich (S. 21 des Separat - Abdrucks) eine Beobachtung, welche mit meiner theilweis sich berührt, in- dessen doch keine entscheidende Gewissheit über die Haupt- bedeckung der Gravigraden ausspricht, sondern zwischen Ver- muthung und Wahrnehmung sich bewegt, wie der Leser aus nachstehender wortgetreuen Uebersetzung von Herrn Dr. Lund’s Angaben ersehen wird: „Ueber die Kenntniss der Hautbedeckung dieses Thieres (Seelidotherium) hat mir die betreffende Höhle eine grosse Erwiderung auf die briefliche u. s. w. 761 Aufklärung gegeben. Ich habe schon bei früherer Gelegen- heit zu beweisen gesucht, dass dasselbe nicht mit einem Panzer, wie die Panzerthiere bekleidet war und das hat sich bei späterer Erfahrung mir bestätigt und jetzt, wenn es noch nöthig wäre, vollständig bekräftigt; über diesen Punkt herrscht gegenwärtig kein Zweifel mehr. Indessen glaube ich nunmehr in Erfahrung gebracht zu haben, dass die Hautbedeckung auch kein gewöhnliches Haarkleid war, wie es sich beim gegenwärtigen Faulthier und Ameisenbär findet. In mehreren Höhlen hatte ich schon früher mir räthsel- hafte Körperchen gefunden, d. h. kleine, runde, im All- gemeinen linsenförmig flachgedrückte Körner, von der Grösse einer kleinen Erbse bis zu der einer Haselnuss, bestehend aus compacter Kalksubstanz, aber doch mit organischer Struetur auf dem Bruche Sie fanden sich gewöhnlich in grosser Menge bei einander, so dass ich schon die Ver- muthung hegte, es möchten Kalkausscheidungen in der Haut des einen oder anderen grossen Thieres sein und bei dem zusammengehörigen Gehalt der verschiedenen Höhlen, wo diese Masseı vorkommen, war Scelidotherium das einzige Thier, welches sich mit ihnen in beständiger Gesellschaft fand, wesh:]b ich immer hauptsächlich an die Gattung ge- dacht habe. Darum gewährte es mir eine ganz besondere Freude, 'n gegenwärtiger Höhle die erwähnten Körperchen unter Verhältnissen wieder zu finden, welche mir keinen Zweifel über deren Ursprung liessen, insofern sie theilweis im Umfange des Skelets von Scelidotherium abgelagert waren, Dieses Thier hat also eine mit Warzen bedeckte Haut gehabt, durchdrungen von Kalkabsonderungen, und war darum höchst wahrscheinlich nicht mit reichlichen Haaren bekleidet, sondern wohl nur mit zerstreuten Borsten besetzt. Dass ein ähnliches Verhältniss bei Coelodon Statt gefunden habe, bemerkte ich‘ schon früher, und insofern diese zwei Thiere, wie ich beweisen werde, zu verschiedenen Unter- abtheilungen der Megatheroiden gehören, wird es im höch- sten Grade wahrscheinlich, dass dasselbe Verhältniss für die ganze Gruppe Geltung haben, wodurch für dieselben 762 H. Burmeister: Erwiderung auf die briefliche u. s. w. unleugbar eine grosse Annäherung an die Panzerthiere ange- zeigt wird.* — Dies sind die Worte des Herrn Dr. Lund; sie stehen in so fern mit meiner Entdeckung bei Mylodon (denn so darf ich sie, ‚trotz des Widerspruchs des Herrn Rein- hardt nennen) in Contrast, als der allseitige Aneinander- schluss der sogar über einander weggreifenden Körperchen keinen Raum darbietet für dazwischen hervorbrechende Borsten, ‚dieselben auch, nach der Analogie von Glypto- don und Dasypus, stets besonderen Grübchen in oder zwischen den Panzerknöchelchen verlangen, von denen sich wenigstens bei Mylodon keine Spur entdecken lässt. — Nach dieser Darstellung wird der geneigte Leser zu- geben, dass ich Herrn Dr. Reinhardt mit mehr Grund der Uebereilung beschuldigen darf als er mich der Unacht- samkeit, insofern mein Stillschweigen über die Beobachtung des Herrn Dr. Lund, bei der offen ausgesprochenen Ver- ehrung meinerseits für denselben, mir von. wohlwollender Seite nur als Umbekanntschaft ausgelegt werden durftez — und dass darum ‘meine eigene Beobachtung bei Mylodon den Werth einer Entdeckung noch nicht verloren habe, weil Herr Dr. Lund etwas Aehnliches aber doch im Einzelnen Anderes bei Scelidotherium früher wahrnahm, Schliesslich benutze ich diese sich mir darbietende' Ge- legenheit zur Anzeige, dass das von Herrn Dr. Lund auf- gestellte Genus Sphenodon, nach dessen eigenem Geständniss in oben erwähnter vierter Abtheilung seiner Schriften (S. 6.) eingehen muss, weil es nur auf die Zähne ganz junger Individuen von. Scelidotherium sich stützt, und dass mein Beibehalten dieser Gattung im dritten Heft der Anales del Mus, Publ. de B. A. (pag. 181.) aufs Neue den unzweideu- tigsten Beweis führt, dass mir der Inhalt besagter vierter Ab- theilung bis dahin unbekannt geblieben war. Berlin, Druck von Gebr. Unger (Th. Grimm), Friedrichsstrasse 24, Berichtigung zu Tafel XI. (Heft IV.) Fig. 3 ist unrichtig; es sollen die weissen Bänder die Räume zwischen den Muskeln der Leibeswand, die dunkeln Bänder aber die Muskeln des Leibeswand selbst vorstellen. Es müssten daher die hinteren Parietovaginalmuskeln von den dunkeln Bändern stellenweis verdeckt werden, während auf der Figur fälschlich die hellen Bänder sie verdecken. Dieser Irrthum ist um so störender als nun in der Figur die Längsmuskelschicht fälschlich als Muskelnetz erscheint. Vergl. den Text 8. 472. Bei der Correctur der Tafel habe ich leider den von mir gerügten Fehler übersehen. N. u Be 4,” er Ve ee I pe d ‘. en | 5: I \ < Fa . ® N 2 , : We ® 5 sc .s 2:0 h wi j ö r BE ve N N a ee Ze ne ZZ er r [3 a d bi ir 4 1» ' # l N i en mn “ Den ee 2 SE EB ze MER - nn ee B A en a er » In a. er. ee ER Bl ich en he; hands ia ven er en. Ri. ET : Br. RR 04 RT A N Kart Fe IR Dt re 1 ee ih v2 Fat ehe hr ERREEN i Bir - 5 ‚ 4 EM a mt E LT FE 1abaätl ee 1,maloe Ir BE An int 1b u sh Tode“ vuhiiet ldap 8 si een a Kt, ee = inne Hr aa ee ee whmitl nlled air daiblonkiegit ehrt ui - sahnamalnomastıet si, di, ‚uarsil, dordsulnt 44 Mieten “Url Er int re ob Au ER 7aR ef Kaya: r2 KR EISEN Dean DES IE; ugohhe: = Brenn 1 Mi HITHETREN ur ln 7 Senislauik als Hai m _ re iii, aha! Dr Pr N TEE Wr Kuh bay Feuer 7 an) ei ter bagand Er .r. 4 f De En Ardınbuh Eee Si ale In MURR a : Iröier ah OR N Dr f re u‘ EEE 7, ; nu. Me: re is, Hu ut 1 2 a i er Fee y 2 a 24 .. h w ühe) ee eis * 3 « . Re, Fa INe7 2 ahtz Se ‚s. re nr“ ni I - 4 ie ager IT Urea 17 ‘ 4 o £ Anat.u Phys. 1868. ME I. 1 N N N 1 fr 1 1 1 1 N 1 1 ! 1 1 ! i Mer EEE ne wi ir 5 a » i FE. = . n ri d BR ne ee en lan mis - PN nn dr T = | Ä S S e E EAÄnat. u. Phys. 1868. en. v _--d FR \ Hagenschieber se. Fe 2 u Br - Archiv £_Anat.u Phys. 1868. 4A ö 1 | A0. EN. 7 | | E - II 13 ZUR NÄRRRNRNSSD i zn AHNIRSS h I Il) Ah Schneider del. a7 Wagenschieber sr. Archiv f. Anat. u. Phus. 4868. 3 | = : Taf IV. r Wagenschieher Donitz da, Arco f. Anat. u. Phys. 1808. Barteds dd, u Je Archiv 7. Anat. u. Phys. 18.68. Taf W. Hngenschreber sc Anat. u: Phys. 1868. Archw 7. erg en nrgmene nn nenne RAN ne ES, € € c N, NR, aan Taf. W. Hagenschreber SC. a 52 57 = > u ie ee : BES Da a in nn m u ee ee iu = En = B . ; ) | . Hi 5 5 | i > i ; ö B R ? | \ y% - S \ « £ : : ö ; ; ; h Se - = } T {} h ! h b og I Tre Den Taf: IM. Archiv £Anat. u Phys. 1868. Wagenschieber 50. Buciheiz de, | A P% T I ARTEN) DIT BETTIEER P Rus F | A { j 2 ; { j 5 ! | | j 7 u.Phus. 1808. Archiv A —= „u Dworzaczeck del. - . 2 EEE . ie: . ; > er ann nid EN ERURIRENE: e Kerze) ae © \ £ STIER ET EN Archiv f. Anat.u_Phys. 1868. TE MWagenschieber sc ZI TEN (ur met al! 11) I! Ara liaeR = = je el Ich] Iran 3 u B er A a pam Be IH a E= ee I | N is ee Ein HE: Sl RD r- 2 Ton HE en ee N | ! | 8 um SORGT IETE IT WEEZE Re) | Taf. AL, ü Ü ! Zum eg eg) I) u £ Anat.u.Phas. 1868. — a i u nn = A Archiv f£ Anat. u. Phys. 1868. Wagenschiiber se > S S 9 Anal: u. Phys: 1868. BED > 9 Zgenschber sc. MH ' 2 . 1: > en en Ze en 32 2g2npruBUN "09922. SoyJ m ZVuR I apa Archiv f. Anat. u. Phys. 1868. TafpU. Aguila leutocephala. Cvpselus apus E ) bypogeranus africanus. D | N N Stric flammea. SM b Seolopax rustivola Ayuila leucocephala. ee Podiceps subertstatus. lulica atra. Falcolinnune dus juv. Magnus del. Hügenschieber se. en rue nee u Strix brachvolus. G HS leucocephalus. f} IM (4 Courra coronala. Diomeda exulans. Totanus calidris. Darus. ridibundus, K Tetrao telrıx Anas boschas. Falco subbuteo. Merops apiaster. / Magnus de. Ungenschieber sc. 3 4 . Archiv f. Anat. u. Phys. A868. A TV. form. erf gen corn.quadr. a f R F Fi en er NIIT TI 0 No -O6H DODO a 02656000009 Keulaejs er SBOHBHU000O } OAOS Fb Y © SI E L f Pr Ira, = h SR 7 RE Ü CHF 2 | o S ©) oO CHA {viB| 2 @) Q ®) O [ap ® { | Il Ma, N ü Salber del. z i r Wayenschieber s£ we a N RR KR 2 , 1868. Not. ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE UND eier MEDIEIN. HERAUSGEGEBEN VON D*. CARL, BOGISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN — ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND * D*. EMIL DU BOIS-REYMOND Ar PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- » TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, < FORTSETZUNG VON REIL’S, REILU’S UND AUTENRIETE’S, RR J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. e: “ JAHRGANG 1868. “ Bogen 1—9. Tafel I—Il. IE BIPZTG VERLAG vos VEITET COMP. ER ‚Ausgegeben im Februar 1368. Inhalt des ersten Heftes. Seite Die Endigungsweise der Herzzweige des N. vagus beim Frosch. Von F. Bidder in Dorpat, (Hierzu Taf. IB) . . .... 1 Ueber Bau und Entwickelung von Polygordius. Von Anton Schneider. (Hierzu Taf. II. u. II.A) . . . et . 51 Ueberdie Ursachen der Temperatur-Erniedrigung bei Duferdrückune der Hautperspiration. Von Dr. W. Laschkewitsch aus Pe- tersburg. . . . Bi.) Seltene sale de Mansahen, Yan Dr. hr Aeby, Professor in Bern. (Hierzu Taf. IIL.B). . . . «68 | ee über Flimmerepithel und Becherzellen. Von Dr. Rabl- 2 > Rückhard, Stabsarzt. (Hierzu Taf. LA) . . . 72 f Zur Qlassification des Aphredoderus gibbosus (Le Sueur) Buolonıle sajanus (J. Gilliams). Von Th. A. Tellkampf, Dr. med.. . 88 Medicinische -Erinnerungen aus dem nordöstlichen Afrika. Von Rob. Hartmann . .. Pe Sl: Ueber den Ramus collateralis Yhldası Kt radialis. Ash Dr. W. Krause, Professor in Göttingen . » 2 2 2.2.2.2. 134 Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. - Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. L # a Eee ES r Be a ur RE ai A 4868. Nor. N & ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE UND WISSENSCHAFTLICHE MEDIECIN. HERAUSGEGEBEN VON D*. CARI, BOGISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ‚ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER. KÖNIGLICHEN A AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN „LABORA- TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, FORTSETZUNG VON REIL'S, REIU’S UND AUTENRIETE’S, J. F. MECKEL’S UND JOB7 'MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1868. Bogen 10—17. Tafel IV — VI. HEFT II. IRB EP 2:16. VERLAG vos VEIT ET COMP. Inhalt des zweiten Heftes. Seite Ueber Noctiluca miliaris Sur. Von Dr. W. Dönitz. (Hierzu Tal. IV TER a Re Ueber die Ausscheidung von Arzneistoffen durch die Darmschleim- haut. Von Dr. H. Quincke, Assistenten an der medieini- schen Universitätsklinik zu.Berlin.. . . . -. 150 Ueber die Bauchhlas@ngenitalspalte, einen bestimmten Grad der - sogena Inversion“der Harnblase. Von Max Bartels. (Hierzu Tal Ya. : .165 | Versuche über die Harnstoffausscheidung während und nach der Muskelthätigkeit._ Von J. Weigelin aus Stuttgart ‘. . . 207 Der Musc, hyo="ünd genio-epiglotticus. Von Prof. Dr. H. Y. ka in Tübiffgen. (Hierzu Taf. VIA) . . . . . 224 Der Flexor digitorumr pedis communis lorgus und seine Varietäten.. Von Theodor Gies aus-Hänau. (Hierzu Taf. VIB) . . 231° | Anatomische Untersuchungen über den Bau der Araneiden. Von Dr. Reinhold Buchholz und Dr. Leonard Landois, Privatdocenten zu Greifswald. (Hierzu Taf. VII. und VIIIA.) 240 Ueher die Endigung des N. optieus. Von W. Krause, Professor in Göttingen er Ueber die beste Methodes"Präparate zur ae, der Höble _ und Klap s Herzens in trockenem-ZtfStande herzustellen. Beitgagfür anatomischen Techmik’von Dr. A. Baurin Erlangen 262 Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. - Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. .137° at Bu wa Ku En a 2 A el, m 256 . ARCHIV | AN ATOMIE, PHYSIOLOGIE UND _ WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. HERAUSGEGEBEN voN pr. CARI, BOGISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ÄANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN } AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFEBBOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN. LABORA- TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, FORTSETZUNG VON REIL’S, REIL'S UND AUTENRIETH’S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. I 2. JAHRGANG 1868. Bogen 18— 26. Tafel VIIIA. u.B., IX u. X. "HEFT IH. BEIPZIG. VERLAG vos VEIT ET PONEER Ausgegeben im Juli 1868. Inhalt des dritten Heftes. Seite Ueber den Musculus orbieularis orbitae und seinen Einfluss auf den Mechanismus der Thränenabsonderung. Von Dr. P. Less- haft, Prosector der pract. Anatomie zu St. Petersburg. (Hierzu Taf, VILB) 25 NEE N U N Anatomische Beiträge. Von Dr. Bochdalek jun., Prosector an der Hochschule zu Prag . . . . u Tue OR Ueber die Empfindungsnerven der EL Extremilkien beim Frosche. Von A. Koschewnikoff aus Moskau (Hierzu Taf. IX.) Die Vacuole eine physikalische Unmöglichkeit. Von Prof. Dr. Jessen. .. PL; Die Mechanik der Keleklen des u Von Dr.H. Kaiser, Kreisarzt zu Dieburg bei Darmstadt. (Hierzu Taf. X.) . . . 8350 Zur Theorie des Fechner’schen Gesetzes der Empfindung. Von Dr. J. Bernstein in Heidelberg . . . . 388 Ueber die sogenannten amöboiden Bowsgtngen bad. di Öohn- heim’schen Entzündungserscheinungen. Von Dr. W. Dönitz 394 Eine neue Methode der quantitativen Eiweissbestimmung. Von Dr, Max Haßbleor. ..;.. 0..0 mu wu aa Re Le a Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. Br a N i ven a: rilden Dun 1868. No.A. ARCHIV FÜR ANATOMIE, PIYSIOLOGIE WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. N HERAUSGEGEBEN voN D*. CARL BOCISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR. DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATONMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER, WISSENSCHAFTEN, r UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND. " PROFEBSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- TORIUM8, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, FORTSETZUNG VON REIL'S, REIL'S UND AUTENRIETE’S, 3. F. MECKEL'S ER Jol. MÜLLER’S ARCHIV. ' JAHRGANG 1868. Bogen 27 — 34. Tafel XI— XIV. HEFT IV. ERLPZTIG. VERLAG vor VEIT ET COMP. Ausgegeben im August 1868. - Inhalt des vierten Heftes. Beite Beiträge zur Lehre vom Icterus. Von Dr. B.Naunyn . . .401 Ueber die Wärmebildung erstarrender Muskeln. Von Dr. Ju- lius Schiffer in Berlin . . . 442 Beiträge zur Anatomie und Entwickefünperesthichtb der sh lactolaemen Süsswasserbryozoen, insbesondere von Alcyonella fungosa Pall sp. Von H.Nitsche. (Hierzu Taf. XI—XIV.) 465 Der Einfluss der künstlichen Respiration auf die nach Vergiftung mit Brucin, Nicotin, Picrotoxin, Thebain und Coflein eintre- tenden Krämpfe. Von Dr. P.Uspensky aus Petersburg . . 522 Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manusecripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. 1868. No. 3. new ANATOMIE, PHYSIOLOGIE WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. voN -D*. CARL, BOGISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN JANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, = D= EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- NR ‚ TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN zu BERLIN. _FORTSETZUNG VON REIL’S, REIL’S UND AUTENRIETB'S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1868. Bogen 35—42. Tafel XV.A—D. HEFT V. LEIPZIG, VERLAG vox VEIT ET COMP En. Ausgegeben im November 1268. > Inhalt des fünften Heftes. Seite Ueber die Präexistenz der elektrischen Gegensätze im Muskel und Nerven. Von Hermann Munk. . . EEE HRD Ueber den Bau der Acanthocephalen. Von Kata Böhneider 584 Beobachtungen an curarisirten Fröschen. Von F. Bidder in Dorpat . . . 598 Ueber das Zungenbeii® -Schildknorpel- _Hilfsband KL Liga hyo-thyreoideum .accessorium). Von Dr. Wenzel Gruber, Prof. der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Taf. XV.A.) . 633 Veber die Muskeln des unteren Schildknorpelrandes (Musculi thyreoidei marginales inferiores). Von Dr. Wenzel Gruber, Prof. der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Taf. XV.B.) . 635 Ueber den seltenen Schildknorpelhorn - Giessbeckenknorpelmuskel (Museulus kerato-arytaenoideus). Von Dr. Wenzel Gruber, Prof. der Anatomie. in St. Petersburg. (Hierzu Taf. XV,C.) . 640 Ueber eine neue Variante des Musculus thyreo-trachealis und über den Musculus hyo-trachealis. Von Dr. Wenzel Gruber, Prof. der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Taf. XV.D.) . 642 Ueber die Nerven-Endigung innerhalb der motorischen Endplatten. Von Dr. W. Krause, Prof. in Göttingen. . . nr... 2648 Ueber die physiologische Wirkung des Cyan- RR Von Dr. W. Laschkewitz aus St. Petersburg. . . . . 649 Ueber den zeitlichen Verlauf der Schwankung des Korketrhnse am Musc. gastrocnemius. Von Dr. Sigmund Mayer in Hei- delberg‘ „N un are aan are Nee ie re Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. ABCHIN. ANATOMIR, PHYSIOLOGIE | WISSENSCHAFT LICHE MEDICIN. D*. CAR], BOGISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN ‘ AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, -DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- 'TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, - FORTSETZUNG VON REIL’S, REIL'S UND AUTENRIETH’S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1868. Bogen 43—49 Tafel XVI—XVII. HEFT VI | LEIPZIG VERLAG vos VEIT ET COMP- Ausgegeben im Januar 1869 Inhalt des sechsten Heftes. Seite Die Schnelligkeit psychischer Processe. Von F.C. Donders. '. 657 Physiologisch -anatomische Untersuchungen über das Brustbein der Vögel. Von Dr. Hugo Magnus, prakt. Arzt zu Breslau. (ddrzu Lab VI. DER VI): 156 . 682 Ueber das Quercommissurensystem des Gnsehiten > den Bsntalk thieren. Von Dr. Julius Sander, Assistenzarzt der Nerven- klinik in der Königl. Charite. (Hierzu Tafel XVII. A). . . 7ıı Quantitative Bestimmung des oxalsauren Kalkes im Harn. Von Dr. 0.Schultzen . . . es 718 Die physiologische Wirkung dei Kanone MEER aut iin thierischen Organismus. Von Dr, Nicolaus BAR aus St. Petersburg. . . Be Ueber die Structur nnd or Wachsthum PR Thhchsefippänt Von Dr. B. Salbey. (Hierzu Tafel XVIIL B). .::. 2. ...2,,728 Ueber Noctiluca miliaris. Erwiderung an Hrn. Prof. V. Carus. Von: Dr-W.Donitzi-.2 a Ueber Immunität gegen Strychnin Er SI ter stbh Ueber das Verhalten der Eisensalze im Thiorkörper. Von Dr, H. Quincke, Assistenten der medieinischen Universitätsklinik zu Berlin - „ . « 757 Erwiderung auf die beiefiche Mittheilung des Hrn. Dr. 2. Rein: hardt, die Hautbedeckung der Gravigraden betreffend. Von HB. Bushaister.,,.. we: ae ae ER Die EA Berichtigung. Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. 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