31.3 Librarg of tbe Museum | | OF COMPARATIVE ZOÖLOGY, | AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS, Dounded bp private subscription, In 1861. Deposited by ALEX. AGASSIZ. | m. 7d08. | ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. HERAUSGEGEBEN VON D*. CARL BOGISLAUS REICHERT, PKOFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHFNDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS , MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN f ZU BERLIN. FORTSETZUNG VON REIL’S, REILU’S UND AUTENRIETH’S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1811. “Mit achtzehn Kupfertafeln. SL EIPZFG VERLAG vox VEIT ET COMF. ”r. a > Inhaltsverzeichniss. Seite Bidder, F., in Dorpat. Einige Bemerkungen über Hemmungs- nerven und Hemmungscentren. . » » » 2 co 2 on 00a 447 Bock, Dr. C., und Hoffmann, Dr. F. A., Assistenten an der medieinischen Universitäts-Klinik zu Berlin. Ueber eine neue Entstehungsweise von Melliturie . . » .» 22.2... 550 Boll, Dr. Franz, Assistent am physiologischen Laboratorium der Universität Berlin. Beiträge zur physiologischen Optik 530 Burmeister, H. Ueber Hoplophoros euphractus. (Hierzu lei NORA) re Es Ne 164 — — Osteologische Notizen zur Kunde der Panzerthiere Süd- Amerikas) 2 (Hierzu latex. sAne ee er 418 — — Osteologische Notizen zur Kunde der Panzerthiere Süd- Amerikası Hierzu Mat VIE) nee I Dönitz, Dr. W. Beobachtungen über erleren "Hierzu al NE er RS rare 71 — — Ueber eigenthümliche Organe an den Magenstücken der Sipbonophoren. (Hierzu, Dat: IM... 20.0.2. 88 — — Ueber Cordylophora lacustris. (Hierzu Taf. XI.B.) . . . 430 — — Beiträge zur Kenntniss der quergestreifteu Muskelfasern. ÜDERZURE ABER TE a ee Meer otlahlte 434 Dobrowolsky, W. Die Doppelzapfen. (Hierzu Taf. VII.B.) . 208 Er Aur Anatomie der-Retina. .. 2... Done 221 Du Bois-Reymond, E. Ueber den Einfluss körperlicher Neben- leitungen auf den Strom des M. gastroknemius des Frosches 561 — — Anleitung zum Gebrauch des runden Compensators . . . 608 Engelmann, Georg J., Stud. med. Schwefelsäure- und Phos- phorsäure- Ausscheidung bei körperlicher Arbeit .. ... 14 Gruber, Dr. Wenzel, Professor der Anatomie in Petersburg. Ueber den Fortsatz des Höckers des Kahnbeines der Fuss- wurzel — Processus tuberositatis navicularis — und dessen Auftreten als Epiphyse oder als besonderes artikulirendes Knöchelchen. (Ein Beitrag zu den secundären Fuss- wurzelknochen.) (Hierzu Taf. VIII.A.). ....... 281 — — Duplieität der Arteria ulnaris — neuer Fall — (nebst Be- Biehläsungen)., (Hierzu Bat VI. DB). 2 2.0.) 30% 286 — — Ueber das Tubereulum deltoideum und den Processus deltoideus des Schlüsselbeins. (Hierzu Taf. VIII.C.). . . 297 — — Ueber ein congenitales Loch im unteren Schulterblattwinkel Gnersdessen Epiphyse, unten een 300 — — Ueber einen Musculus tibio-astragaleus anticus des Menschen. Aherzu TafaxVL A)... 2er. 663 — — Ueber den Musculus und über die neue Bursa mucosa ilio-costocervicalis am Tuberculum der ersten Rippe, und IV Seite über einige aceidentelle Bursae mucosae am Rücken. (Hierzu Val: XIV. HB Se . 669 Hartmann, Robert. Einiges über Halodactylus diaphanus Earre. - (Hierzu Taf. XIMN. u. XIV.) (22207 Ges ee 489 Hitzig, Eduard. Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes ent- stehenden Störungen der Muskelinnervation und der Vor- stellungen vom Verhalten im Raume. ......... 716 Hoffmann, Dr. F. A., siehe Bock und Hoffmann. Holmgren. Ueber die wirkliche Natur der „positiven Strom- schwankung“ bei der einzelnen Muskelzuckung . ... . 237 Merkel, Dr. Fr., Prosector in Göttingen. Die Stützzellen des menschlichen Hoden. (Hierzu Taf. I)...» ..... 1 — — Ueber die Entwicklungsvorgänge im Innern der Samen- canalchen. 2 (Hierzu Tat XVII). 2 Se . 644 Mettenheimer, C. Ueber Zottenbildung in der Gallenblase . 486 Müller, Otto. Ueber den feineren Bau der Zellwand der Bacillariaceen, insbesondere des Triceratium Favus Ehrbg. und der Pleurosigmen. (Hierzu Taf. XV.)....... 619 Naumann, Dr. Oswald, Privatdocent der Pharmakologie an der Universität zu Leipzig. Ueber die Bedeutung des Leberfettes, bez. der Fettlebern für den gesunden und kranken©Korper . ©. 0. ale sa 41 Paschutin, Dr. Victor. Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke und Rohrzucker in Traubenzucker verwan- deln... (Hierzu. Taf: IX. u... X.).. 0.2. 2 305 Pincus, Dr., Docent an der Universität zu Berlin. Ueber den Bau des Haupthaares und den Haarwechsel im mittleren Lebensalter. „1... Kasse eller ea ee 55 Pfeiffer, E., siehe Quinke, H. und Pfeiffer. Quinke, H. und Pfeiffer, E. Ueber den Blutstrom in den Eungen. (Hierzu Taf, IV.)s. - 2 2... 22.0. re 90 Radziejewski, Dr. S., prakt. Arzt und Privatdocent in Berlin. Zur Wirkung des Antimons. 2 2 2... „U. 472 Real, Karl, Stud. med. Eine Abnormität im Verhalten des Gränzstranges des Nervus sympathicus. (Hierzu Taf. VII.C.) 180 Reichert, C. B. Beitrag zur feineren Anatomie der Gehör- schnecke beim Menschen und den Säugethieren. (Hierzu Wat: Va Vils) co o2 ua a ee ler wure. en ee oe 117 Robinski, Dr. Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitricum, Mikroskopische u. mikrochemische Untersuchungen 184 — — Untersuchungen über die Augenlinse, insbesondere zur Kritik der bisherigen Untersuchungsmethoden derselben . 385 — — Ueber das Cuticulum cerebri et cerebelli Dr. E.Fleichl’s 413 Stieda, Dr. Ludwig, Prosector u. ausserord. Prof. in Dorpat. Ueber den angeblichen inneren Zusammenhang der männ- lichen und weiblichen Organe bei den Trematoden . . . 31 Weil, Dr. A. Die physiologische Wirkung der Digitalis auf die Reflexhemmungscentra des Frosches nebst Versuchen über den Einfluss der Bluteirceulation auf diese Organe. Ex- perimentelle Untersuchungen . .». 2. 2... 020. 252 Die Stützzellen des menschlichen Hoden. Von Dr. Fr. MERKEL, Prosector in Göttingen. (Hierzu Taf. I.) Die samenbereitenden Elemente haben beim Studium der Hodenkanälchen das Interesse der Forscher so ausschliesslich gefesselt, dass für die accessorischen Gebilde nur wenig Zeit übrig blieb. In den neueren Beschreibungen, die man als massgebend ansehen muss, kennt man von letzteren nur eine, das Kanälchen umlagernde, geschlossene, röhrenförmige Scheide, die aber in ihrem Bau noch nicht so sicher erkannt ist, dass sie nicht noch Veranlassung zu Controversen gäbe. Im Inneren der Hodenkanälchen konnte man bis vor Kurzem nur die samen- bildenden Elemente selbst nachweisen, welche nach der bisheri- gen Vorstellung aneinandergepresst, sich gegenseitig abplattend, wie eine Art von Epithel der Wandung anliegen sollten, indem sie einander in der Lage halten, wie etwa die einzelnen Steine eines Gewölbes. Dass man die Zellen in isolirtem Zustande niemals polygonal abgeplattet, wie die Leberzellen, oder vielleicht zu zwei oder drei noch zusammenhängend findet, sondern dass sie durchgehends eine rundliche Form zeigen und stets einzeln beobachtet werden, dies war freilich bis jetzt noch Niemanden aufgefallen, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1371. 1 2 Dr. Fr. Merkel: In der Beschreibung der äusseren Umhüllung der Samen- kanälchen durch Lamellen, welche sich aus platten, durchsichti- gen Zellen zusammensetzen, stimme ich wie La Valette!) mit Henle?) vollständig überein und möchte nur hinzufügen, dass die Zellen erst beim erwachsenen Mann vollkommen platt sind, während sie in der Jugend einen grösseren Durchmesser zeigen. Eine Basalmembran, die innerhalb dieser zelligen Scheide liegt, hat Veranlassung zu manchen Controversen gegeben, in- dem sie von einer Anzahl von Forschern geläugnet, von anderen behauptet wird. Die beiden Ansichten sind erklärlich. Bei ganz jungen Knaben ist dieselbe nämlich oft so dünn, dass sie auf dem Durchschnitt der Kanälchen nur als feine Linie er- scheint und so leicht übersehen werden kann. Mit den Jahren wird sie dicker und hat ihre grösste Entwickelung vom 8. bis zum 12. Jahr. Von da an nimmt ihre Dicke dann allmählig wieder ab, bis sie beim kräftigen erwachsenen Mann auf die anfängliche feine Linie redueirt ist. Nur in den Jahren vor . Eintritt der Pubertät ist sie ohne Reagentien sichtbar, in den ° frühesten Perioden, wie im späteren Alter dagegen zeigt sie sich nur durch Kunsthilfe. Kölliker verwandte zu ihrer Darstel- lung beim Manne Kali’). Dieses Hilfsmittel gab mir weniger günstige Bilder, da durch die allgemeine Aufhellung, welche das Object erfährt, Trugbilder nicht ausgeschlossen schienen. Dass aber der erwähnte Forscher vollkommen richtig beobach- tete, gelang mir mit Hilfe der Oxalsäure nachzuweisen. Ich legte Hodenstücke in eine concentrirte, wässerige Lösung der- selben und härtete sie nachträglich in Alkohol. Auf Schnitten fand sich nun immer die Basalhaut als breiter Ring um die Substanz des Kanälchens gelegt (Fig. 6). Zu diesem Zweck lassen sich Präparate aus jedem Alter verwenden und zeigen stets das gleiche Ansehen. Aus dem Inneren der Samenkanälchen beschreibt erst Ser- toli*) neben den eigentlichen Hodenzellen nach Isolationsprä- 1) Stricker’s Gewebelehre, S 526. 2) Henle, Handb.d. Anat., S. 353 und 54. 3) Gewebelehre, 5. Aufl., S. 524. 4) Dell’ esistenza di dal celluce ranivficate rei canalicoli seminiferi del testiculo umano. Morgagni 1864. Die Stützzellen des menschlichen Hoden. 3 paraten aus einer Sublimatlösung noch andere platte, anschei- nend anastomosirende Zellen, die entschieden nicht zur Samen- bildung dienen sollten, deren Function ihm aber völlig dunkel blieb. Kölliker !), der dieselben ebenfalls und zwar durch Maceration in Kali darstellte, erging es nicht besser, auch er musste auf eine Erklärung derselben verzichten. Mir gelang es nun, diese Zellen in Schnittpräparaten in ihrer natürlichen Lage zu finden, wie ich in einer kurzen Notiz veröffentlichte ?). La Valette °) findet sie dann ebenfalls und bildet sie auch ab, ohne jedoch eine Deutung zu versuchen, während Boll!) meine Beobachtung vollständig bestätigen konnte. Bei jeder Untersuchung des Höden ist es natürlich von grosser Wichtigkeit, Präparate aus verschiedenen Lebensaltern zu durchmustern, da ja die verschiedenen Entwickelungsstufen oft Licht über sonst dunkle Punkte verbreiten. Meine Beob- achtungen ersireckten sich über Hoden aus allen Lebensaltern vom neugeborenen Knaben bis zum siebenzigjährigen Greis und durch einen besonderen Glücksfall konnte ich mir auch noch ganz frische Hoden eines sechsmonatlichen Embryo verschaffen. Denn um die in folgenden Zeilen beschriebenen Untersuchungen zu machen, war es unumgänglich nöthig, vollkommen frische Präparate zu benutzen, da nur an solchen die topographischen Verhältnisse noch unversehrt vorhanden sind. Bei der Untersuchung feiner Durchschnitte gehärteter Ho- - den sieht man nun die erwähnten zuerst von Sertoli gesehenen Zellen-ein von der Basalhaut des Kanälchens ausgehendes fä- cheriges Netz bilden, einem Schwamm vergleichbar, ohne irgend welche faserige Ausläufer, nur mit anastomosirenden platten Fortsätzen. Dieses Kammersystem, welches durch seine Lücken eine freie Communication gestattet, durch die es den eigentlichen samenbereitenden Elementen möslich gemacht ist, sich durch die ganze Länge des Rohres fortzubewegen, dient den contractilen °) D1.e. 8. 530. 2) Göttinger Nachrichten 1869, No. 1. SB) lo es Sb DIA 4) Beiträge zur Mikroskopie der acinösen Drüsen. Berlin 1869. 5) La Valette in Schultze’s Archiv Bd.1, S. 68. hy 4 Dr. Fr. Merkel: Samenzellen zur Stütze und zum Schutz und ich nenne deshalb diese Elemente „Stützzellen“. An ihrem Ursprung von der Basalhaut sind die Zellen meist etwas verdickt und sitzen hier mit einem breiteren Fuss auf. Sie stehen rechtwinkelisg von ihrer Ursprungsstelle ab und ragen convergirend als Radien eines Kreises, dessen Mittelpunkt mit dem Centrum des Kanälchens zusammenfällt, in das Lumen hinein. Je nachdem nun diese Anordnung regelmässig und wohl ausgeprägt ist oder nicht, zeigt sich auch eine mehr oder weniger concentrische Streifung des ganzen Inhaltes, die als eine unerklärliche Thatsache in den meisten Beschreibungen des Hoden aufgeführt wird. Macht man nur die Schnitte genügend fein, so wird man die linearen Kantenansichten der Scheide- wände, die dieses Verhalten bedingen, sehr wohl zu Gesicht bekommen. Wie sich die Ursprünge der Stützzellen an der Basalhaut gegenseitig verhalten, lehrt die Untersuchung der Oberfläche isolirter Kanälchen. Auf ihrer Innenfläche tragen diese nach der bisher üblichen Beschreibung ein polygonales Epithel mit runden Kernen. Kennt man nun aber die Stützzellen in ihrem Verhalten, so sieht man auf den ersten Blick, dass die angeb- lichen Epithelzellengränzen Nichts weiter sind, als die Kanten- ansichten der Stützzellen, was dadurch zu beweisen ist, dass die mehrseitigen Figuren beim Heben und Senken des Tubus bedeutend länger im Gesicht zu behalten sind, als es bei noch so dicken Epithelzellen je der Fall sein könnte. Die runden, angeblichen Kerne sind die hellsten und unentwickeltsten Hoden- zellen, die sich immer an der Peripherie des Kanälchens be- finden, indem die Entwickelungsformen dieser Zellen einen centripetalen Weg einschlagen, aussen die unentwickeltsten Zel- len, im Centrum des Kanals die fertigen Samenelemente zeigend. Weiter nach dem Inneren zu hört dann die regelmässige Anordnung auf und die Hohlräume bilden sich zufällig, ‚wie es der Platz eben mit sich bringst. In dieser Art verhalten sich jedoch nur junge Hoden und man möchte fast glauben, dass durch eine stärkere Thätigkeit der Drüse die regelmässige An- ordnung alterirt wird, indem bei kräftigen und etwas älteren Die Stützzellen des menschlichen Hoden. 5 Männern auch die äussersten Stützzellen vielfach verbogen und aus der Lage gerückt erscheinen. Die Einzelnheiten im Bau und in der Anordnung der Stütz- zellen lassen sich am besten durch die Betrachtung von Prä- paraten aus verschiedenen Altersstufen verstehen, nnd ich nehme aus der grossen Zahl der von mir untersuchten Hoden diejeni- gen heraus, welche die wichtigsten Abschnitte der Entwickelung repräsentiren Es sind dies folgende: Ein Präparat aus dem intrauterinen Leben, ein solches vom Neugeborenen; dann aus der Mitte des Knabenalters; ferner ein Präparat vom Eintritt des Geschlechtslebens und zuletzt noch aus der höchsten Ent- wickelung des Organs. Beim sechsmonatlichen Fötus (Fig. 1) sieht man das zarte Kanälchen kaum von der Umgebung abgesetzt, Alles ist noch unfertig und nur ein dünner Reif, der den Durchschnitt be- sränzt, lässt uns die Röhre erkennen. Im Inneren aber, wie aussen zeigen sich blasse Kerne in grosser Menge durch schein- ° bare Fasern getrennt. Betrachtet man dann genauer und mit stärkeren Vergrösserungen, so sieht man, dass der umgebende Ring der Durchschnitt einer Basalmembran ist, welche die aus- schliessliche Begränzung bildet. Nach aussen beginnt sofort das Stroma, ein indifferentes Gewebe von zellig-faserigem Bau mit einer grossen Menge von weiten Blutgefässen. Die glänzenden Fasern im Inneren der Kanälchen stellen sich als Kantenan- sichten von Stützzellen heraus. Von der Fläche gesehen sind diese sehr blass und kaum granulirt, auch ist der Kern nur schwer von den eingeschlossenen blassen Zellen, den ersten Anfängen der samenbildenden Elemente, zu unterscheiden. Doch sieht man bei Anwendung von Immersionslinsen das Verhältniss der Zellen zu einander, wie es in Fig. 7 abgebildet ist. Von der Basalhaut steigt hier die Zelle aus einem breiten Fuss ent- stehend auf; mit ihr in Zusammenhang befindet sich eine zweite, deren Kern sich scharf markirt. In den wenigen Monaten, welche von dem eben beschrie- benen Zeitpunkt bis zur normalen Geburt des Kindes verlaufen, geht die Entwickelung der Samenkanälchen mit rascheren Schritten vorwärts, als man glauben sollte. Beim Neugeborenen 6 Dr. Fr. Merkel: zeigt sich schon eine deutliche zellige Hülle, aus 2—3 Lagen bestehend, ausgebildet, die sich scharf gegen das umgebende Bindegewebe abgränzt (Fig. 2). Die Basalmembran, welche an Dicke kaum zugenommen hat, wird durch diese Zellenhülle sehr verdeckt und könnte auf dem Querschnitt beim ersten Anblick ganz vermisst werden. Doch entspringen auch hier die Stütz- zellen in ganz gleicher Weise von derselben, wie es in jedem Lebensalter der Fall ist. Die ersten eigentlichen Samenzellen sind schon fertig gebildet und zeigen sich als dunkelgranulirte Körper in den Kammern der Stützzellen. Letztere haben sich, um ersteren Raum zu geben, schon zu grösseren Platten ausge- bildet. Wo die Entwickelung der Samenzellen noch nicht been- det ist, sind auch die Stützzellen noch weiter zurück, und so findet man an einer Stelle weite Lücken, während an anderen noch die ursprünglichen kleinen Kammern sich erhalten haben. Der Durchmesser des ganzen Kanälchens hat sich vergrössert, dasselbe zeigt schon deutlich seine Bestimmung als absondernde Drüse. Die nächste Abbildung (Fig. 3) stellt den Querschnitt eines Samenkanälchens eines jährigen Knaben dar; und wie zu er- warten stand, haben sich hier die Verhältnisse noch weiter ge- klärt und entwickelt. Das Bindegewebe ist vollkommen fertig gebildet. Der starke Kernreichthum des Stromas hat einem rein fibrillären Bindegewebe der gewöhnlichen Art Platz gemacht und auch die Wand der wieder in ihrem Durchmesser vergrös- serten Kanälchen hat sich demgemäss verändert. Die zellige Umhüllung ist in ihren einzelnen Elementen sehr verschmälert und macht auf dem Durchschnitt den Eindruck von glänzenden, kurzen und groben Fasern. Die Kerne sind vollkommen platt und weit weniger deutlich zu sehen, als beim Neugeborenen. Die ganze Zellenhülle aber ist mehrschichtig geworden, hat sich verdickt, was das Kanälchen in Verbindung mit dem dunkelen Ansehen der Zellenquerschnitte scharf von der Umgebung abhebt. Die auskleidende Basalmembran zeigt sich auf das Aller- schönste ohne irgend welche Präparation. Von ihr gehen dann in gewohnter Weise die Stützzellen ab wit breiteren Füssen auf ihr festsitzend (Fig. 8). Der Typus der Zellen ist aber ein EEE Die Stützzellen des menschlichen Hoden. 7 völlig anderer geworden, man sieht, die Fortbildung ist beendet, sie stehen auf der Höhe ihrer Entwickelung. Sie bilden ein ziemlich derbes, leicht darzustellendes Gerüst Jede einzelne Zelle ist zu verfolgen, man sieht die Kerne (Fig. 8) und über- zeugt sich weit besser, als an den beiden schon betrachteten Präparaten von dem Aufbau des ganzen Kammersystems. Der Durchschnitt der Zellen ist stark lichtbrechend, glänzend; die Flächenansicht deutlich und dicht granulirt. Die eigentlichen Samenzellen sind in ihrer ersten Anlage als grössere, rundliche, sehr dunkel granulirte Körper ausgebil- det, erfüllen die meisten Kammern und lassen ein übersichtliches Bild derselben nicht zu Stande kommen; man ist lediglich auf die allerdings nicht ganz seltene Gunst des Schicksals ange- wiesen, da alle Kunsthilfe, wie Auswaschen, Auspinseln und dergl. immer so alterirend auf das zarte Stützgewebe wirkt, dass man es möglichst vermeiden muss. Die Kammern kann man im allgemeinen als gleich gross bezeichnen, sie sind so weit, dass sie je eine Hodenzelle sehr bequem beherbergen können. Mancherlei Schwankungen nach beiden Seiten lassen sich bei genauer Messung natürlich immer- hin finden. Wir müssen das eben beschriebene Entwickelungs- stadium des mittleren Knabenalters als den Gipfelpunkt der Ausbildung des bindegewebigen Stützapparates bezeichnen. Bis jetzt hatte derselbe volle Gelegenheit zu. ausgiebiger Geltung zu kommen, da die eigentliche Arbeit des Hoden noch nicht begonnen hat. .j Beobachten wir nun den Anfang dieser Arbeit, den Eintritt der Pubertät an der Geschlechtsdrüse eines spät entwickelten 17jahrigen Menschen, so entrollt sich hier ein von dem eben geschilderten sehr abweichendes Bild. Der Durchmesser des Samenkanälchens hat bedeutend an Breite gewonnen. Die Dicke der zelligen Wand hat sich fast um’s Doppelte vergrössert. Die Querschnitte ihrer Zellen sehen feinfaseriger und dunkler aus, wie beim jährigen, die Kerne derselben sind dünner und we- niger sichtbar geworden. Die Basalhaut und das mit ihr zu- sammenhängende Stützzellensystem sieht aus, als hätte man es gefasst und nach allen Seiten auseinander gezogen. B Dr. Fr. Merkel: Die Basalmembran ist nämlich wieder bedeutend dünner geworden, als im vorigen Präparat, sie markirt sich nur noch als einfache Linie. Im Inneren der Kanälchen ist ein reges Leben eingetreten, die primitiven Samenzellen haben begonnen sich zu verändern, man sieht samenbereitende Elemente von den verschiedensten Grössen. Die Stützzellenkammern haben die vollkommen regelmässige, rundliche Form verloren und viele haben sich nach Länge und Breite ausgedehnt. Die einzelnen Stützzellen sind nicht mehr so kräftig und derb, wie früher; ihr Durchschnitt gleicht einer ziemlich feinen Faser; ‚von der Fläche gesehen, erscheinen sie sehr durchsichtig und ganz zart und fein granulirt. Der Kern ist aber in jeder Zelle wohl zu sehen, mit einem deutlichen Kernkörperchen ausgestattet. Mit den Jahren macht dieses Zurücktreten des Stützgewe- bes gegen die eigentlichen und wesentlichen Hodenelemente immer grössere Fortschritte. Bei einem 47jährigen Mann z.B. (Fig. 5) zeigt sich die zellige Hülle nicht dieker, als beim 17jährigen und ebenso aussehend. Die Basalmembran ist dem Anschein nach gänzlich verschwunden. Solche Präparate waren es auch, welche zu der Eingangs erwähnten Controverse über die Existenz einer solchen Veranlassung gaben. Betrachtet man Fig. 6, deren Original demselben Hoden entnommen ist, wie das von Fig. 5, so wird jeder Zweifel schwinden. Es kommt nur auf eine geeignete Behandlung an, um sofort die Membran dar- zustellen. Die Stützzellen sind hier noch dünner geworden, als es beim Eintritt der Pubertät der Fall war, sie haben sich zu breiten, Epidermisschuppen ähnlichen Gebilden umgewandelt, die aber alle noch mit einem deutlichen, meist ovalen Kern ausgestattet sind. ‚Die Granulirung ist bis auf Spuren ver- schwunden, und es zeigen sich jetzt einzelne grössere fetttröpf- chenartige Gebilde über die Zellen verstreut (Fig. 10). Der Querschnitt der Stützzellen gleicht mehr als je dünnen Fasern, die als Netz das Kanälchen durchziehen. Die Kammern der Zellen sind sehr ungleich weit, oft zu grossen Hohlräumen um- gestaltet, oft und zwar besonders an der äussersten Peripherie noch klein, wie früher. Die Stützzellen des menschlichen Hoden, 9 Im Centrum des Kanals findet man entweder ein dickes Conglomerat von allerlei Gebilden, die sich in ihre Einzelnhei- ten nicht verfolgen lassen, oder es findet sich ein Lumen, wie in F ig. 5. Ein solches wird ja auch ganz allgemein angenom- men. Durchsucht man aber eine grössere Reihe von Präparaten, so wizd man auch solchefinden, denen dieser central gelegene Klum- pen fehlt ') und die ein Stützzellennetz zeigen, wie man es von Präparaten aus jüngeren Hoden gewohnt ist (Fig. 9). Die Zel- len sind hier nur ganz besonders dünn und werden dadurch von den gerade hier stark gehäuften, dunkelen, samenbildenden Ele- menten verdeckt. Dieselben Resultate, wie die eben beschriebenen, ergeben die Untersuchungen von Durchschnitten aus Hoden von ausge- bildeten Männern aus allen Lebensaltern. Uebersieht man noch einmal die ganze Reihe der Ent- wickelungsstufen, so zeigt sich, dass eine stetige Zunahme des ganzen Stützapparates der Samenkanälchen bis zum Anfang der Geschlechtsentwickelung stattfindet, und dass sich dann von da an ein allmähliger Rückschritt bemerklich macht, der aber nie- mals bis zum Verschwinden desselben führt. Dem beschriebenen spongiösen Zellensystem seinen Platz in der Gewebelehre anzuweisen, schien im ersten Augenblick eine leichte Sache zu sein, denn es schien sich denjenigen Geweben anzureihen, welche man schon lange aus den Lymphdrüsen und von anderen Stellen des Körpers als „reticuläres Bindegewebe“ kennt. Bei der Vergleichung der beiden Gewebsarten jedoch zeigte sich ein Unterschied, der vielleicht von grösserer Bedeu- tung ist, als man glauben sollte. Es ist dies ein Unterschied, der sich sowohl im Körper, wie auch in den Fortsätzen der Zellen ausspricht. Im Gefüge der Stützzellen findet sich, wie beschrieben, niemals ein fadenförmiger, ceylindrischer Fortsatz, sondern alle Fortsätze ohne Ausnahme sind vollkommen platt. Der Körper der Zelle selbst hat dieselbe Dicke, wie der Fort- 1) Besonders zu empfehlen sind zu diesem Zwecke Hoden von Menschen, die an langwierigen, aufreibenden Krankheiten gestorben sind, wie Diabetes, Tuberculose, Careinom u. =. £. 10 Dr. Fr. Merkel: satz, der Kern gleicht einer platten Scheibe. In den Lymph- drüsen dagegen sehen wir die Zellen als Knotenpunkt& eines complieirten Fasergefüges fungiren, verdickte, rundliche oder ovale Körper darstellend, mit einem ebenfalls mehr rundlichen Kern ausgestattet. Wir mögen diese Zellen betrachten, von welcher Seite wir wollen, immer bieten sie dieselbe Ansicht, ihr Körper erscheint als deutlich markirter Mittelpunkt, von dem sehr rasch sich verjüngende, meist drehrunde, manchmal auch etwas abgeplattete Fortsätze abgehen. Der kernführende Theil der Zelle erscheint unter allen Umständen als Hauptsache, die Fortsätze als mehr Nebensächliches. Bei den Stützzellen da- gegen ist die Zelle nur als solche zu erkennen, wenn sie platt liest? steht sie auf der Kante, so verschwindet der Kern, das ganze Gebilde gleicht nur noch einer schmächtigen Faser. Die Fortsätze sind hier so kurz, so aus Einem Guss mit der Zelle, dass man die Beschreibung eher dahin formuliren möchte, dass Stücke aus der Zelle ausgeschnitten wären, nicht dass sie Fort- sätze „aussendet“, wie man das mit dem grössten Rechte von den Zellen des reticulären Bindegewebes zu sagen pflegt. Der Hoden ist, wie bekannt, tubulös gebaut und es exi- stirt im menschlichen Körper keine einzige schlauchförmige Drüse, welche im Inneren ihrer Kanälchen auch nur das kleinste Bindegewebselement beherhergte, welche nicht ausschliesslich aus Epithelzellen bestände. Warum sollten nun aber gerade die Samenkanälchen hiervon eine Ausnahme machen? Im Ge- gentheil ist ja das Bindegewehe durch die Basalmembran her- metisch ausgeschlossen. Es ist also eher anzunehmen, dass die Stützzellen genetisch als epitheliale Gebilde aufzufassen sind. Eine endgiltige Entscheidung ist jedoch gewiss am fertig ge- bildeten Organ nicht zu- treffen, und man muss die Entwicke- lungsgeschichte zu Hilfe nehmen. Hier, im embryonalen Kör- per, steht das beschriebene Gewebe nicht isolirt da, sondern es finden sich noch mehrfach Gebilde, welche demselben ausser- ordentlich ähnlich sind. Geht man zuerst von der ursprünglichen Bildung des Ho- den aus, so ergeben die neuesten Untersuchungen von Wal- Die Stützzellen des menschlichen Hoden. 11 deyer'), dass er aus den Axengebilden hergeleitet ‘werden muss. Ganz in seiner Nähe und ebenfalls dem Axentheil an- gehörig, ‚bildet sich die Chorda dorsalis. Dieselbe zeigt in ihrer Structur eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Zellensystem in den Hodenkanälchen, indem die sogenannten Vacuolen im In- neren der Zellen nur von diesen umschlossene Hohlräume sind, wie es Dursy °) richtig beschreibt. Auch schon die Abbildun- gen von Robin 5) lassen das Verhältniss wohl erkennen, obwohl der Verfasser das Bild nach der alten Weise deutet. Mir selbst standen bis jetzt nur gehärtete Präparate von Petromyzon zu Gebote, wo sich die Sache genau in der beschriebenen Weise verhält. Nur ist hier das Kammersystem übersichtlicher als im Hoden, da in den Lücken keine dunkelen, das Bild trübende Zellen liegen, sondern nur eine wasserklare Substanz, die den Durchblick in keiner Weise erschwert. Doch nicht allein im Gebiete des Axenstranges, sondern auch in peripherischen Thei- len finden sich ganz analoge Bildungen. Ganz besonders ist es das Schmelzorgan, dessen Aehnlichkeit mit der Chorda schon mehrfach hervorgehoben ist. Dasselbe besteht, wie diese und das Kammersystem der Samenkanälchen, aus platten Zellen, welche sich durch ebenfalls platte, oft allerdings lang ausgezo- gene Ausläufer verbinden. Auch hier ist die Durchsicht sehr durch den klaren Inhalt der Hohlräume erleichtert. Die ganze Bildung des Schmelzorganes, die man am besten an den Epi- thelsprossen von Kollmann *) studiren kann, gleicht auffallend den frühesten Entwickelungsstufen des Hoden. Rundliche Zellen liegen in einem Fächerwerk und der ganze Epithelzapfen ist von einer dünnen Membran umgeben, die der Basalhaut der Samenkanälchen gleicht. Beim Uebergang in das schon fertig gebildete Schmelzorgan gehen die Scheidewände in das zellige Netzwerk über. während die runden Zellen, die den Inhalt bil- den, verschwinden, d. h. sich wahrscheinlich zu der gallertarti- 1) Eierstock und Ei. Leipzig 1870, 2) Dursy, Entwickelungsgeschichte des Kopfes, 1869, S. 23. 3) Robin, Notocorde, 1868, Fig. 55. 4) Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XX. 12: Dr. Fr. Merkel: gen Substanz verändern, die hier, wie in der Chorda, die Kam- mern erfüllt. Im Analogon der Hodenkanälchen im weiblichen Organismus, in den Graaf’schen Follikeln sind von Waldeyer (l. ce. S. 38) verzweigte Zellen aufgefunden worden, welche nach des Ver- fassers eigenen Worten aussehen, „gerade wie die sternförmigen Zellen der Schmelzpulpa“. Man möchte nun, wenn man die verschiedenen Orte ver- gleicht, wo sich diese specifisch gebildeten Zellennetze vorfinden, fast verzweifeln, einen leitenden Faden zu finden, der diese heterogenen Elemente verbindet. Allein von Schmelzorgan und Ovarium ist es ja durch Kölliker’s und Waldeyer’s Unter- suchungen mit Bestimmtheit festgestellt, dass sie sich aus epi- thelialen Gebilden entwickeln und von der Chorda und dem’ Hoden ist es, wenn auch nicht sicher, aber doch ganz und gar nicht unwahgscheinlich !), dass sie ihren ersten Ur- sprung aus dem äusseren Keimblatt herleiten. Nimmt man also vorläufig die letztere Hypothese als bewiesen an, so hätte man es bei diesen Bildungen ausschliesslich mit reinen Epithelial- gebilden zu thun. Diese, denen das sonst als Gerüste verwandte Bindegewebe versagt ist, müssen sich selbst ein Stützgewebe bilden, welches in der beschriebenen Form auftritt und als ein System von verzweigten Epithelzellen aufzufassen wäre. Ausser den erwähnten Gebilden ist es besonders eine Reihe aus dem Hornblatt entstehender acinöser Drüsen, welche eine ähnliche epitheliale Stützsubstanz vermuthen lassen. Es ist nicht unmöglich, dass die Drüsenkörbe von Boll?), welche der- selbe dem Bindegewebe zuzählt, sich schliesslich als Abkömm- linge des Epithels herausstellen. Doch sind zur Entscheidung dieser wichtigen Fragen, die bis jetzt in der Literatur verzeich- neten Nachrichten zu spärlich, und da meine eigenen Unter- suchungen, bei der Schwierigkeit, das entwickelungsgeschicht- liche Material herbeizuschaffen, noch längere Zeit in Anspruch 1) Vergl. Waldeyer, l. c. S. 113, und His, erste Anlage des Wirbelthierleibes. 1868. S. 156. 2) l.c. und Schultze’s Archiv. Bd. IV. Die Stützzellen des menschlichen Hoden, :13 nehmen dürften, habe ich mich entschlossen, die vorstehenden Gesichtspunkte einstweilen zu veröffentlichen. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1—6 sind 300 mal vergrössert. Fig. 1. Querschnitt eines Samenkanälchens vom 6 monatlichen Fötus. Fig. 2. Querschnitt eines Samenkanälchens vom Neugeborenen. Fig. 3. Querschnitt eines Samenkanälchens vom 8jährigen Knaben, Fig. 4. Querschnitt eines Samenkanälchens von einem 17 jährigen Menschen. Fig. 5. Querschnitt eines Samenkanälchens von einem 47 jährigen Mann. Fig. 6 wie Fig. 5 mit Oxalsäure behandelt. Fig. 7. Stützzellen vom 6monatlichen Fötus, stärker vergrössert. Fig. 3. Stützzellen vom 8jährigen Knaben. Fig. 9. Stützzellennetz aus dem Centrum eines Samenkanälchens vom 47jährigen Mann. Fig. 10. Stützzellen vom 47jährigen Mann. Flächenansicht. 14° Geo. J. Engelmann: - Schwefelsäure- und Phosphorsäure- Ausscheidung bei körperlicher Arbeit. Von GEO. J. EINGELMANN, Stud. med, aus St. Louis U. S. A. Von der Universität zu Tübingen gekrönte Preisschrift. Die Schwefelsäure- und Phosphorsäure-Ausscheidung, wenn auch an und für sich von geringerem Werth als die Stickstoff- - Ausscheidung für die wichtige Frage des Stoffwechsels und der Ernährung, gewinnt in Verbindung mit letzterer eine bis jetzt noch nicht gewürdigte Bedeutung; wenn auch sehr unterschätzt, so hat sie doch manche Bearbeiter gefunden, deren Resultate leider meist in schroffem Contrast zu einander stehen. Im Ganzen wird jedoch ein Parallelismus der Ausscheidung der Schwefelsäure, der Phosphorsäure und des Harnstoffs angenom- men, wie auch die Ansichten differiren mögen über einen Unter- schied bei Ruhe und Arbeit. So behauptet Mosler, dass die Phosphate durch geistige Anstrengung vermehrt werden; Lehmann findet, dass Körper- anstrengung die Sulphate und Phosphate vermehre. Pettenkofer und Voit (Ueber den Stoffverbrauch des normalen Menschen. Zeitschrift f. Biol. Bd. Il. 5. 459) geben an, dass Schwefelsäure und Phosphorsäure sich bei Ruhe und Arbeit gleich bleiben: Schwefelsäure- und Phosphorsäure-Ausscheidung u.s.w. 15 Bei mittlerer Kost Bei N-loser Kost so, P,0, 80, BO, 2,56 oil Ruhe LER 4.19 a7 315 4.18 Arbeit 2.57 | AR: 2 2.95 Sie sagen, „die Eiweisszerstörung bleibt sich gleich, und Ver- suche beweisen, dass die Zahlen nicht etwa daher rühren, dass in der Arbeitszeit mehr, in der darauf folgenden Ruhe weniger zerstört wird“. E. Bischoff in seiner Arbeit über die Ausscheidung der Phosphorsäure durch den Thierkörper (Zeitschr. f. Biol. Bd. IN. S. 309) beweist die Vermehrung der Phosphorsäure durch ver- mehrte Fleischzufuhr, sowie den gleichen Gang der Stickstoff- und Phosphorsäure-Ausscheidung. Siewert(N-Umsatz derim Körper verbrauchten Eiweisskörper) giebt eine tägliche Variation derim Harn gefundenen Phosphorsäure von 2.63 bis 3.08 Gr. an, und findet die Phosphorsäure-Ausscheidung in Harn und Koth mit der Einnahmme fast übereinstimend. Näher betrachten müssen wir die merkwürdigen Resultate von Byasson (Essai sur la relation qui existe a l’etat physio- logique entre l’activite cerebrale et la composition des urines. Paris 1868); dieser begiebt sich auf das dem Physiologen und gar dem Ohemiker bis jetzt so unzugängliche Feld der geistigen Thätigkeit, und findet dabei die Masse des Harns, den Harn- stoff, die Phosphate, sowie die alkalischen Sulphate vermehrt, bei Muskelanstrengung dagegen bleiben Schwefelsäure und Phosphorsäure gleich. Harnstoff, Harnsäure und Chlornatrium ist vermehrt. | Moyenne de la composition des Urines pour les jours: “ ai | Ü PO.B, S0,H, de regime mixte animal . . | 1432 | 0.485 34.47 | 1.970 | 1.054 deregimeuniformesansviande | 1074 | 0.177 22.41 | 1.653 | 0.598 u 1157 \ 0.117 , 20.46 | 1.508 | 0.464 d’activite cerebrale. . . . . 1320 | 0.117 | 23.88 | 1.977 | 0.942 d’activite museulaire. . . . 752 | 0.300 | 22.89 | 1.477 | 0.387 16 Geo. J. Engelmann: Den Angaben Byasson’s über den Einfluss körperlicher Arbeit auf die Ausscheidungen treten meine Resultate entgegen, und was die Vermehrung von Harnstoff, Phosphaten und Sul- phaten bei geistiger Anstrengung betrifft, so wird diese, im Fall sie nicht durch längeres Wachen bedingt war, am besten wider- lest durch die Arbeit von Luther H. Woods (On the influence of mental activity on the excretion of phosphorie acid by the kid- neys. Proceedings of the Connecticut medical society. 1869). Diese behandelt allerdings nur die Phosphorsäure, aber gerade hierin dürften wir am ersten eine Variation bei geistiger An- strengung erwarten; abgesehen davon ist ein so merklicher Unterschied, wie ihn Byasson angiebt, bei so gering gestei- gerter Thätigkeit unwahrscheinlich. Gaetgens’ Vergleich des Stoffwechsels eines Gesunden mit dem eines Diabetikers (Inaugural-Dissertation. Dorpat 1866), ist interessant als Bestätigung der Ansicht von Boecker, Bi- schoff, Kaupp u.a., dass die festen Harnbestandtheile, nament- lich diejenigen, die wir auf eine Zersetzung der N-haltigen Stoffe im Organismus beziehen dürfen (Harnstoff, Schwefelsäure und Phosphorsäure), vermehrt werden proportional den getrun- kenen Wassermengen, besonders den ausgeschiedenen Harn- mengen. Letztere Ansicht ist eben so unerklärlich als falsch. Von den von mir angestellten Versuchsreihen werde ich hier besonders aufmerksam machen auf Reihe I von 8 Tagen. 21.—29. März Reihe II von 6 Tagen. 13.—19. April ’ Reihe III von 6 Tagen. 13.—19. April A. Als Versuchsobject diente 1) G (ich selbst), 23 Jahre alt, Gewicht 58 Kilogr., in Reihe I und I; 2) in Reihe III (mit II vollständig parallel laufend) A, 16 Jahre, 63 Kilogr. Diese Versuche sind also am Menschen angestellt, und zwar nicht ohne Erwägung des Einwandes von Voit, dass der Mensch bis jetzt noch unbrauchbar sei für Stoffwechsel-Versuche wegen seiner complieirten Küche. Schwefelsäure- und Phosphorsäure-Ausscheidung u.s.w. 17 Beim Menschen sowie beim Thier sind gewisse Fehler- quellen nicht zu vermeiden; besonders möchte ich darauf hin- weisen, dass man beim Thier die Flüssigkeitszufuhr nicht mit der nothwendigen Genauigkeit eontrolliren kann, denn entspre- chend der vermehrten Wasser-Ausscheidung durch Haut und Lunge bei Muskelanstrengung ist der Bedarf gesteigert, folglich die während der Arbeit getrunkene Wassermenge bedeutend grösser als die während der Ruhe consumirte. Wie verträgt sich das mit dem Ausspruch Voit’s: „auch wenn man kein Eiweiss einführt, sondern nur die Strömung der vorhandenen Parenchymflüssigkeit durch die Organe stärker macht, muss eine grössere Menge von Eiweiss verbrennen. Dies ist nun ein Ein- fluss, der uns, wenn auch nicht qualitativ, so doch quantitativ ‚gänzlich unbekannt ist“. Also bringt er eine zweite, nach seiner eigenen Aussage völlig unbekannte Grösse in die Berechnung hinein, erstens den Uuterschied der Eiweisszersetzung, welcher durch die Arbeit bedingt ist, zweitens den, welcher auf der ver- mehrten Wasserzufuhr beruht. Auf Rechnung welcher ist nun das Resultat zu beziehen? Verachten wir also nicht den Men- schen im Vergleich zum Thier. Was die Gleichheit der Nahrung, diesen Hauptfactor an- belangt, so war, Dank der Freundlichkeit einiger Damen, welche die vorschriftsmässige Zubereitung der Speisen selbst übernah- men, das Möglichste geleistet. Die Speisen wurden von den- selben Massen genommen, vor und nach der Zubereitung ge- wogen; nur von dem Fleisch wurden zwei, in jeder Beziehung sich gleich aussehende Stücke genommen, das eine während der Ruhe, das andere während der Arbeit. In der Tabelle ist das Gewicht von Fleisch, Reiss u. s. w., wie sie auf den Tisch kamen, angegeben, doch lege ich den Hauptwerth auf die roh abgewogenen Mengen der Speisen und Zuthaten. Die Flüssigkeiten waren immer dieselben und wurden aus markirten abgemessenen Gefässen genossen. Die betreffende Diät wurde für Reihe II und III schon einige Zeit vor dem Versuch angefangen. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 2 18 | Geo. J. Engelmann: Tägliche Zufuhr. Reihe I Reihe II Reihe III en m un um | „arm am me mm | our me mm nen Milch en 382 350 175 | Dheo,uansan m ann. 430 350 350 SlWasseru.. 2. 830 | 2472 | 917 | 1811 | 840 | 1482 a cc. cc. cc. BENNWEM ET en 154 ze je} Bien WR. 830 Saucen. re) 40 Bleischin re 2: 400 441.6 441.6 Kartoffeln a0, 2. 17865 2350 250 u | Butter u 3... 121 ä 2 Weizenbrod 270 174 252.5 | 1312.1 | 320 1379.6 N ee 98 gar ee aa Reissaanane har 250 250 a | 22 | 20 | 20 Summa pro Tag. . . | 3746 | | 3123.1 | | 2861.6 Ich glaube mit möglichst gleichen und constanten Factoren gearbeitet zu haben, d. h. eine ausreichende, gleichmässige Kost, sowie gleiche Zeit der Ruhe erzielt zu haben; hierin einmal sichere Resultate gewonnen, konnte die Untersuchung den möglichst grossen Contrast zwischen Ruhe und Arbeit in das Auge fassen. Die Ruhetage wurden in meinem Zimmer meist auf dem Sopha zugebracht, doch an keinem war ein kurzer, langsamer Gang zu vermeiden. In Reihe I. bestand die Arbeit am ersten, zweiten und dritten Tag in Laufen, Bergklettern und Spazierengehen; der vierte war der härteste Arbeitstag, mit Holzsägen und Hacken, und Gehen zugebracht, doch die letzten Stunden des Abends wegen grosser Ermüdung im Zimmer. Reihe II und III kann ich in Einem aufführen, da die bei- den Versuchspersonen sich vollständig gleich verhielten. Der erste war der härteste Arbeitstag, anstrengendes Bergklettern und Graben im Garten. | Schwefelsäure- und Phosphorsäure-Ausscheidung u. s.w. 19 s Besonders ist die Nacht des zweiten Arbeitstags zu be- rücksichtigen, denn diese Nacht hindurch, genau die gewöhn- liche Schlafzeit von 10 Uhr Abends bis 7 Uhr Morgens, wurde marschirt, und zwar ein Weg von gut vier Stunden hin und zu- rück gemacht. Die Urinmenge war, wie es zu erwarten war, für uns beide während dieser Nacht grösser wie gewöhnlich, und wurde von G@ in zwei Mal, von A in drei Mal entleert. Weder über Hunger noch Durst zu klagen, und besonders zu bemerken, ist, dass nichts genossen wurde. Der auf diese Nacht folgende, der dritte, war der wärmste Arbeitstag; zwei Stunden geschlafen, sonst aber thätig, wenn auch nichts Anstrengendes unternommen, Starker Durst an diesen, sowie an den Nachmittagen der ersten zwei Arbeitstage, doch nicht mehr Wasser genossen als während der Ruhe. Wenn ich auch die, schon von Amerika aus widerlegten Resultate Byasson’s verworfen habe, so bin ich doch weit davon entfernt, die Möglichkeit einer Veränderung des Stoff- wechsels durch geistige Thätigkeit in Zweifel zu ziehen; indem wir die, uns noch sehr unbekannten Elemente, sorgfältig be- rücksichtigen, gehen wir jedenfalls am sichersten, also habe ich auch die geistige Thätigkeit auf ein Minimum beschränkt, und bei Ruhe und Arbeit möglichst gleich gehalten. Allerdings war in Reihe I, wo ich allein zu Hause war, und meine Zeit mit Lesen und Schreiben zubrachte, der Geist etwas mehr an- geregt als während der Arbeitszeit, weil die körperliche Arbeit rein mechanischer Natur war; doch ist der Unterschied so ge- ring, dass er zu vernachlässigen ist. Um die Behandlung des Urins noch anzudeuten, will ich kurz erwähnen, dass in Reihe I die Harnmenge von je 24 Stun- den gesammelt wurde, in Reihe II und III, von Tag und Nacht getrennt, als Nacht wurde die Schlafzeit von 10—7 gerechnet. Jede einzelne Portion wurde gemessen, Reaction und spec. Gew. bestimmt. Phosphorsäure wurde in Portionen von je 50 CC. durch Titrirung bestimmt, in Reihe I mit essigsaurem, in Reihe II und III mit salpetersaurem Uranoxyd. 9*r 20 | Geo. J. Engelmann: Schwefelsäure wurde durch Wägung, nach Ausfällen mit Chlorbarium bestimmt, und zwar immer aus 100 CC. Angesichts der neueren Untersuchungen war es von Inter- esse zu erfahren, ob vielleicht eine Variation in sonstigen schwefelhaltigen Körpern stattfinde; zu diesem Zweck wurden zwei Filtrate nach der Schwefelsäure-Ausfällung benutzt, gerade solche, worin sich ein bedeutender Unterschied in dem Schwe- felsäure-Gehalt gezeigt hatte, aus Reihe II die Nachtharne des dritten Ruhe-, und des zweiten Arbeitstags. Diese Portionen wurden in Kolben, nach nochmaligem Ba- rytzusatz, mit concentrirter Salpetersäure längere Zeit gekocht und die entweichenden Gase durch Bleiessig geleitet; weder Schwefelsäure noch Schwefelwasserstoff zeigte sich, ein Beweis, dass diese Körper, wenn überhaupt da, sich nur in verschwin- dend geringen Mengen vorfinden. Harnstoff wurde in der Harnbarytmischung, ohne Ausfällen des Chlors mit salpetersaurem Quecksilberoxyd titrirt, und eine bedeutende Correction für die, durch das Chlor in Anspruch genommene Quantität der Titrirflüssigkeit gemacht. Die ausgeschiedene Harnstoffmenge mag gross erscheinen, hat sich jedoch in auch zu anderen Zeiten gemachten Versuchen bei mir immer gleich stark erwiesen, Die Untersuchungen wurden stets mit dem noch sauren Harn angestellt; alle Titrirungen wurden wiederholt ausgeführt; und ausserdem zur Controlle der erhaltenen Zahlen die Bestim- mungen für die ganze Ruhe, sowie für die ganze Arbeitszeit aus einem Gemenge von relativen Quantitäten der einzelnen Urine gemacht. Die Arbeit wurde hauptsächlich in dem Laboratorium von Prof. Hoppe-Seyler ausgeführt. Wenden wir uns nun zu den so erlangten Resultaten, so zeigt sich eine durch körperliche Anstrengung vermehrte Aus- scheidung der hier untersuchten Spaltungsproducte der Eiweiss- körper. (Tab. VI.) Von den zwei uns interessirenden Säuren zeigt die Phos- phorsäure die geringste Vermehrung, doch genügend, um uns zu zwingen, die gesteigerte Phosphor-Ausscheidung bei heftiger N FH Schwefelsäure- und Phosphorsäure-Ausscheidung u.s.w. 2] Anstrengung und Ermüdung anzuerkennen. Reihe II und III beweisen, dass es eine nicht zu vernachlässigende Differenz ist; die drei Arbeitstage dieser beiden Reihen ergeben ein Plus von 1.289 und 1.347 Grm. Die geringe Verminderung 0.06 Grm., welche sich in Reihe I zeigt, kann ich nur auf nicht ausgeglichene Schwankungen zu- rückführen. Alle bis jetzt angestellten Versuche beweisen, dass gewisse Schwankungen in den täglichen Ausscheidungen stattfinden, deren Ursachen uns noch völlig fremd sind. Tab, I zeigt, wie beträchtlich diese Schwankungen während der Ruhe sind; eine Zusammenstellung mag es verdeutlichen. Reihe I. | Reihe I | Reihe II Reihe III | [1 num Maximum |Minimum Maximum Minimum Maximum ar | U 43.6 44.9 44.9 45.1 48.2 49.1 P,0, 3.0 3.9 2.6 2.9 25 | 28 S0, 3.0 3.6:..43.43.2 BIETEN EICH Sei es, dass sie einen gewissen Cyclus einhalten, sei es, dass sie von Veränderungen in der Nahrung oder von Unge- nauigkeiten in den Methoden abhängen, sie sind eben da, und bis jetzt müssen wir uns damit begnügen, dies zu constatiren, die Erklärung der zu Grunde liegenden Ursachen bleibt der Zeit überlassen. Sehr deutlich zeigt sich die Abhängigkeit der Phosphor- säure-Ausscheidung von der Nahrung in Reihe I und I. In Reihe II, bei derselben Person und entsprechender Diät, nur dass die 830 CC. Bier wegfallen, werden (Tab. IV) in der Ruhe 2.319 Grm. Phosphorsäure pro Tag ausgeschieden gegen 3.521 in Reihe I, und 5.9 in einem früher von mir angestellten Ver- such, wo die Bedingungen’ ähnlich waren bis auf eine Zufuhr von 1660 CC. Bier. Da die Nahrung sonst kaum verändert wurde, varliren Schwefelsäure und Harnstoff sehr wenig; Reihe I ergiebt ein Mittel pro Tag von 443 Grm. Harnstoff und 3.31 Grm. Schwefelsäure, Reihe II 0.7 Grm. Harnstoff und 0.03 Grm. Schwefelsäure mehr. 22 | Geo. J. Engelmann: Gleich der Phosphorsäure wird die Schwefelsäure-Ausschei- dung durch Muskelanstrengung vermehrt; und zwar ist diese Vermehrung, wie bei der Phosphorsäure, am bedeutendsten in Reihe III, wo sie 2.148 Grm. beträgt, gegen 1.478 in Reihe II, und 1.153 in Reihe 1. Trifft dies auch Alles zu, so existirt doch lange nicht der gewöhnlich angenommene, und dem oberflächlichen Beobachter so verlockend erscheinende Parallelismus zwischen der Schwefel- säure- und Phosphorsäure-Ausscheidung. Die Schwefelsäure- Ausscheidung steigt sofort bei körper- licher Anstrengung, die Phosphorsäure ist bei weitem träger und folgt ihr nur langsam nach; so finden wir in Reihe II und III (Tab. I), dass die Phosphorsäure-Ausfuhr, beeinflusst durch den zweiten, schweren Arbeitstag, am dritten ihre Höhe erst erreicht, während die Schwefelsäure-Ausfuhr an demselben, am zweiten Arbeitstag am bedeutendsten ist, und am dritten, der geringeren Anstrengung gemäss, wieder sinkt. Dasselbe finden wir, wenn wir (Tab. V) die Tag- und Nacht-Ausfuhr während der Arbeits- zeit mit den während der Ruhe vergleichen. Die Schwefelsäure-Ausscheidung in den 15 bewegten Stun- den eines Arbeitstags ist erheblich grösser als in den gleichen Stunden eines Ruhetags, dagegen ist die Ausscheidung in der Nacht eines Arbeitstags kaum grösser als in der eines Ruhetags (natürlich nur, wenn in der Nacht selbst keine Anstrengung erfolgt). Das Umgekehrte findet bei der Phosphorsäure statt, hier macht sich die Anstrengung eines Tags erst in einer vermehrten Ausscheidung in der darauf folgenden Nacht geltend. Am deutlichsten markirt sich dies langsame Nachfolgen der Phosphorsäure in der zweiten Arbeitsnacht, Reihe IT und IM (Tab. III). Die Arbeit dieser Nacht, welche die Schwefelsäure- Ausscheidung um 0.4; die Harnstoff-Ausscheidnng um 6.0 Grm. erhöht, liess die Phosphorsäure völlig unberührt, sie war in dieser Nacht nicht bedeutender als in den anderen, durchschla- fenen Nächten der Arbeitstage; erst am nächsten Tag zeigt sich die Wirkung der Nacht in einer bedeutenden Vermehrung der Phosphorsäure-Ausscheidung. Wir haben also bei der Schwefel- Schwefelsäure- und Phosphorsäure-Ausscheidung u.s.w. 923 säure-, sowie bei der Phosphorsäure- Ausscheidung, wenn auch nicht in gleichem Maass, eine Vermehrung durch Muskelarbeit gefunden; wie verhält es sich nun mit dem, wie gewöhnlich angenommen, mit diesen beiden Körpern sich gleich verhalten- den Harnstoff? War dies auch nicht Ziel meiner Untersuchung, und sind diese Experimente und die darauf verwendete Zeit nicht ausreichend, um die Details vollständig zu erschöpfen, so genügen sie doch, um ein allgemeines Resultat zu erzielen, und dies ergiebt: 1) dass bei mässiger Thätigkeit die Harnstoffmenge ver- mindert wird; 2) dass sie bei anstrengender Arbeit vermehrt wird; 3) dass die Harnstoff- Ausscheidung kein Maass für die Eiweisszersetzung ist. Besonders stütze ich mich hierin, wie in allen meinen An- nahmen, auf Reihe II und III, da diese zu gleicher Zeit von zwei unter gleichen Verhältnissen sich befindenden Personen ausgeführten Versuche keine Bedenken aufkommen lassen, dass die gewonnenen Zahlen etwa von individuellen Eigenthümlich- keiten oder sonstigen Zufällen herrühren. So zeigt sich in Reihe I (Tab. IV und VI) die Harnstoff-Ausscheidung während der vier Arbeitstage um 3.74 Grm. geringer als während der Ruhe; am’ ersten Arbeitstag sank die Harnstoffmenge von 44.6 auf 41.7, am zweiten auf 40.8, dann fing sie an langsam zu steigen, am dritten Tage 42.3, am vierten 43.6. Ebenso sank in Reihe II die Harnstoffmenge am ersten Arbeitstag um 3.5 Grm., von 45.1 auf 41.6, nun aber steigt sie bedeutend, und zwar ist dieser Umschlag bedingt durch den Einfluss der zweiten, der durcharbeiteten Nacht. Diese Nacht müssen wir näher in das Auge fassen, denn sie liefert Resultate, welche, neben den über Schwefelsäure und Phosphorsäure erlangten Thatsachen, mich zwingen, die jetzige Auffassung des Stoffwechsels bei Muskelanstrengung zu ver- werfen. In dieser Nacht, wo die Zeit der absoluten Ruhe des Schlafens durch anstrengende Thätigkeit ausgefüllt war, wo also der schroffste Gegensatz zwischen Ruhe und Arbeit er- > Geo. J. Engelmann: zielt wurde, stieg die Harnstoff- Ausfuhr bei G, Reihe II, von 12.8 auf 19.2, also um 6.4 Grm.! bei A, Reihe III, von 18,4 auf 24.0, um 5.6 Grm ! Und nicht nur ist die Harnstoff- Aus- scheidung während dieser Nacht vermehrt, sondern die Ver- mehrung erstreckt sich auch auf die nächsten 24 Stunden, wo starke Ermüdung herrschte; so ergiebt sich in Reihe IH und III ein Plus von Harnstoff während der Arbeitstage von 5.13 und 6.6 Grm. Parkes findet, dass bei Ruhe mehr Stickstoff ausgeschie- den wird als bei Arbeit, dass dagegen eine kleine, aber lang anhaltende Vermehrung nach dem Aufhören der Arbeit statt- findet, besonders betont er, dass dies bei gewöhnlicher Arbeit der Fall sei (meine erste Reihe), bei sehr heftiger Anstrengung finde eine Vermehrung statt (wie meine zweite und dritte Reihe). Wenn auch meine Resultate mit denen von Parkes über- einstimmen, so ist die Erklärung, die ich gebe, eine andere. Parkes sagt, dass bei Ruhe mehr Stickstoff ausgeschieden wird als bei mässiger Arbeit; dies ist unmöglich — die Zahlen er- klären sich dadurch, dass die Harnstoff-Ausscheidung bei mäs- siger Arbeit geringer ist als bei Ruhe. Stickstoff-Ausfuhr und Harnstoff-Ausscheidung sind keines- wegs identisch; nur so klärt sich dies räthselhafte Phänomen, dass bei mässiger Arbeit weniger Harnstoff als bei Ruhe, bei anstrengender Arbeit mehr ausgeschieden wird. Bekennen wir uns nun, schon genöthist durch die Ergeb- nisse der Schwefel- und Phosphorsäure - Ausscheidung, zu der Thatsache, dass die Eiweisszersetzung, also auch die Stickstoff- Ausscheidung bei der Arbeit vermehrt ist, so wird eben nicht aller Stickstoff als Harnstoff durch den Urin ausgeführt; auch ist die relative Menge des Stickstoffs, welche als Harnstoff aus- geschieden wird, bei der Arbeit eine andere als bei Ruhe, denn durch die Haut findet ein Theil des verbrannten Materials einen Ausweg, vielleicht auch durch die Lunge. So erklärt auch die Stickstoff-Ausfuhr durch Hautthätigkeit, und ein Wechsel ihrer Menge bei wechselnder Hautthätigkeit, in sehr plausibeler Weise die Differenz in den Resultaten Regnault’s, Schmidt’s Schwefelsäure- und Phosphorsäure-Ausscheidung u.s.w. 95 und Voit’s. Bei mässiger Arbeit, wo die Eiweisszersetzung nur wenig vermehrt ist, die Hautthätigkeit aber um ein Be- deutendes, wird so viel mehr Stickstoff in anderen Verbindun- gen und mit dem Schweiss ausgeschieden, dass das Harnstoff- quantum im Urin vermindert wird, bei starker Arbeit wird Stickstoff- Ausscheidung um so viel vermehrt, dass sie diese Abgabe erleiden kann, und doch noch im Harnstoff ein Plus erzeugen; glänzend rechtfertigen die gewonnenen Resultate diese Annahme. Lassen wir Reihe I ganz ausser Betracht, und halten wir uns an die parallel laufenden Reihen II und III, wo Nahrung und Thätigkeit sich gleich waren, aber ein bedeutender Unter- schied in der Hautthätigkeit beider Versuchspersonen herrschte; bei G, Reihe II, war sie bedeutend stärker als bei A, Reihe III. Das Harnvolum in Reihe II war während der Arbeit um 1125 CC. geringer als während der Ruhe, in Reihe III nur um 585 CC. also ging hier bei weitem weniger Wasser durch die Haut ver- loren. Am ersten und stärksten Arbeitstag (Tab. I) schied G, Reihe II, 3.5 Grm. Harnstoff, und 245 CC. Harn weniger aus als an dem vorhergehenden Tag; starke Perspiration; A, Reihe III, dagegen, der wenig schwitzte, dessen Harnvolum auch an diesem Tag nur um 140 CC. vermindert war, schied ca. 1.0 Grm. Harnstoff mehr aus. Dass trotzdem bei beiden, an diesem ersten Arbeitstag, die Eiweisszersetzung eine gleichmässig vermehrte war, und dass Harnstoff- Ausscheidung nicht identisch mit Eiweisszersetzung ist, beweist uns das Verhalten eines anderen Verbrennungspro- ducts der Eiweisskörper, die Schwefelsäure; diese ist bei beiden um 0.3 Grm. vermehrt. Hier wieder sehen wir in der Ver- mehrung der Schwefelsäure-Ausscheidung die körperliche Arbeit ausgesprochen; nicht Harnstoff, nicht Phosphorsäure, sondern die Schwefelsäure deutet getreulich jede Steigerung oder Ver- minderung der Muskelanstrengung an; und ich glaube aus mei- nen Zahlen schliessen zu müssen, dass wir in der Schwefelsäure- Ausscheidung das Maas der Eiweisszersetzung suchen müssen, es ist auf jeden Fall weit sicherer als der Harnstoff, auf wel- 26 Geo. J. Engelmann: chen kein Verlass ist wegen der vielen anderen, dem Stickstoff offenen Wegen, sowie wegen der nicht ganz sicheren Bestim- mungsmethoden. Doppelt wichtig wäre die Schwefelsäurebestimmung zur Entscheidung der Frage über die Eiweisszersetzung im Fieber, da, wegen der wechselnden, oft auf ein Minimum reducirten, oft enorm gesteigerten Hautthätigkeit, der Harnstoff gar zu un- sichere Resultate giebt. Kein Wunder, dass man lange nach einer Deutung der Entdeckung Voit’s suchte, dass Harnstoff durch Muskelanstren- gung nicht vermehrt werde; der Fehler liegt darin, dass man den Harnstoff als ein Maas der Eiweisszersetzung ansah, und weder auf Schwefelsäure, noch auf Phosphorsäure achtete. Sowie die Vermehrung der Eiweisszersetzung durch körper- liche Arbeit bewiesen ist, fällt auch die Annahme Moritz Traube's, welcher Voit’s Entdeckung zuerst deutete, „dass die bei der Arbeit verbrannten Substanzen nicht Eiweisskörper sind, sondern stickstofflos, — dass der Muskel sich nicht selbst bei der Arbeit oxydire, sondern ein ihm zugeführtes stickstofffreies Brennmaterial*. Ebenso fällt Herrmann’s Theorie des Stoffverbrauchs des arbeitenden Muskels, denn die Theorie der Spaltung der soge- nannten inogenen Substanz und Restitution des Myosins durch das Blut ist auf die Annahme basirt, dass das Myosin, da es eine Eiweisssubstanz, nicht verbrannt wird. Die hier gefundene Vermehrung der Eiweisszersetzung ist freilich eine geringe, und an und für sich nicht ausreichend, um die geleistete Arbeit zu erklären; hierbei ist es nöthig, der Theorie Pettenkofer’s und Voit’s Rechnung zu tragen, „dass durch die Sauerstoff- Aufnahme in die Organe, und durch das gleichmässig sich zersetzende Eiweiss eine Spannkraft ange- sammelt wird, die auch bei der Ruhe allmählig verbraucht wird, und die willkürlich in mechanische Arbeit umgewandelt werden kann“; nur ungewöhnliche Anstrengung vermehrt diese Eiweiss- zersetzung. Zweitens halte ich es für nicht unwahrscheinlich, dass auch stickstofflose Körper, welche in grossen Quantitäten zugeführt a A Schwetelsäure- und Phosphorsäure-Ausscheidung u. s. w. 97 werden, und welche Traube als alleiniges Material annimmt, bei der Arbeit verbrannt werden, so dass also nur ein Theil des vermehrten Stoffverbrauchs den Eiweisskörpern gelten würde. Die Schlüsse, zu welchen uns die gewonnenen Thatsachen führen, sind: 1) Die Schwefelsäure- und Phosphorsäure - Ausscheidung wird durch körperliche Anstrengung vermehrt. 2) Harnstoff wird bei mässiger Arbeit vermindert, bei starker vermehrt. 3) Die Schwefelsäure- und nicht die Harnstoff-Ausfuhr ist als Maass der Eiweisszersetzung zu betrachten. 4) Es herrscht kein Parallelismus in der Schwe felsäure- Phosphorsäure- und Harnstoff-Ausscheidung. Tab. I. Ausscheidung pro Tag in den drei Reihen. 1870 | | en In 24 Stunden | In 1000 CC. N volum März ce 1920| so, | n 120, so, 21 | R | 2708 | 44390 | 3.481 | 3655 | 16.39 | 1.285 | 1.312 [> R | 2552 | 43.639 | 3.036 | 3.002 | 17.1 | 1.190 | 1.262 23 | R | 2181 | 44.928 | 3.620 | 3549 | 20.6 | 1.66 | 1.627 1 24 | R | 2134 | 44.600 | 3.947 | 3.036 | 20.9 1.85 | 1.424 25 | A | 2140 | 41.730 | 3.467 | 3424 | 19.5 | 1.62 | 1.600 I 26 | A | 1395 | 40.873 | 3.518 | 3.611 | 29.3 2.524 | 2 588 | 27 | A | 1715 | 42.360 | 3.310 | 3.760 | 24.7 | 1.98 | 2.192 28 | A | 1740 | 43.848 | 3.724 | 3600 | 25.2 | 2.14 | 2.069 April | ( 13 | R | 1710 | 44.948 | 2.998 | 3,375 | 14 | R | 1840 | 45.053 | 2.680 | 3.350 1 15 | R | 1520 | 45.189 | 2.780 | 3.296 16 | A | 1275 | 41.629 | 2.620 | 3.613 17 | A |.1575 | 50.826 | 3.204 | 4.097 | 18 | A | 1095 | 47.872 | 3.923 | 3.789 N 13 | R | 1680 | 48.410 | 2.850 | 3.279 14 | R | 1790 | 48.273 | 2.584 | 3.319 | m} !5 | R | 1850 | 49.115 | 2.699 | 3.584 16 | A | 1710 | 49.761 | 3.100 | 3.941 17 | A | 1705 | 55.217 | 3.128 | 4.328 18 | A | 1320 | 47.487 | 3-252 | 4.061 gagr| BEE | E82'69 | 0691 L08'L | 260'9| #89°36 | sog [yeaıv | | ınemox Gz8°8 | 061% | P9EG | GE6L 1389 | EHE°G 9GT’%6 | SSEE | ya ILo'7 | 9267 | 29817 | 06T 6872 en G9YL'’e6 | GG8% | HaqlYy \ IT oyıoy rsg’E| Ga0'E | 92968 | GEOL 8EF9 | EEF'E | FIG°E6 | CE0F I Oqud ı | : -Junpieyassny Iep euung | zseır| 686 lscerzı 068 | 088% | FFC | 778 Is29°2 698% | GEI’0E | 086 yaqıy | 81 ee zeeı ehr | 81] E18 31 09T | 688 | FE2'T | 89T'T | 21072 | 082 | 1993 | 10% | 0'2€E IF69'% |6C6'T 1002 TE | SL6 |Yegıv zT e?9°% | 912 | E'E | 20FT | TEST |IIF ST | 010 | 828% | #91 | S’ıa |FES z|698°L |0SE'TS | OFIT | Maqıv | 9T ee 9981 | 98T | 8'9% | 90€8°L | z88 |oTF'sı | 002 | IS6'T | ge’T | 295 [822° | 2IS’T |G02°08 | OGIL | oquy | ST 3 0908| gCT | C'2@ | 9E@T 816 |00S’9T | 009 ISLT | OFT | 298 |E80'2 | 999 T |EL2'TE | O6LL | oyay | Fl ES 020‘ | ge’ı | e'6a | E81 | 066 |zez'st| gg9 | OI6T | 82'T | #82 |966°1 | 098°T | 819'62 | SPOT | oyuy | El ) a 6er | 087 | E98 | SOET | S6C’T \zgr'st| cıa | Ico'e | FB’ | G’6E |g8rs 82787 06878 | 088 | Megıy 81) © 869% | 9#'s | Fre | SoS'T | LLET |092°6T | 09C | ErE's | o8’T | TIE |68G°2 | 2087 1999 TE | STOT | Hoqıy | ZI = 7087| 0F7 | o'cH | ser’T | Feat |088’71 |) 83 | 6EF'@ | SET | 16% |C17'2 | 998°T | 608’87 | 066 | Meaıy 9 \ ıy a E n198| ee | 2HH | 990°7 | 606 |896'2T | 06% | EIS’T | 8FT | 89% |0E8'7 058'1 | 923°2E | 085L | Oquyg | GI = 0888| 882 | OLE I Zeit | 296 \C6E'a1 | see I HıF Tl | FIT | 2IG [8182 |STA'T | 809g | COST | oyng | Fl Ss 8298| 89°7 | 878 | GBE'T | 660°T 89271 | OF | 0097 | IF | 982 066°T | 868’1 | 089°08 | O0ET | eyquy | EI U © - — — — — = — = — = - = —— = Te (do) € PER 4 N Belag N wm[oA| 3 Sn N € en‘ N wmoA E ö er judy ‘ON 0007 U] uepunIs-IyodeN 6 Uep uf ‘DD 000T U] uopunyg-deL CT uep uJ 0,81 uopaIgosoösne JyoeN op uf uspaıyosodsne Se] W] == — — m = —— | | 3yoe pun ey], roq jj] pun If eyroy ur Sunproyasny ES | "III 'deL Schwefelsäure- und Phosphorsäure-Ausscheidung u. s. w. 29 Tab. II. Koth und Urin in Reihe I. ba EN arbeit nn une unse \ — | mm N mn nn nn Masse | 50, | P,0, | Masse | 80, | P,O, | | Urin... 19076CC. | 12.808 | 14.084 |6990 CC. | 14.395 | 14.016 Koth... | 355 Grm | 1571 1.994 | 468 Grm.| 1.405 | 2.269 NSUmmMarel es ore 14.179 | 16.078 15.800 16.285 Im Mittel pro Tag. 3.545 4.019 3.950 4.071 Tab. IV. Summa der Ausscheidungen bei Ruhe und Arbeit, Summa pro Reihe | Mittel pro Tag Harn- c Harn- PROMIS volum U en 0: volum so, | 2 P,0, 1 | Ruhe 9076 177.557 14.084|13.242| 2269 | 44.364 13.521|3.310 Arbeit | 6990 |168.811114.019114 395] 1747 | 42.203 |3.505|3.599 1 | Ruhe 5070 135.190) 8.458 110.021, 1690 |45.063 12.819]3.340 Arbeit | 3945 |140.327| 9.747,11.499| 1315 | 46.776 |3.24913 833 un | Ruhe 5320 |145.798| 8.133110.182| 1777 | 48.599 |2.71113.394 Arbeit | 4735 |152.465| 9.480112.330| 1578 | 50.822 13.160]4.110 Tab. V. Summa der Ausscheidung während der drei Reihen. Summa Mittel pro Tag ae so, | | | | Harn- + P,0,| so, Harn- | U volum | | P,0, 30.675) 33.445] 1946 | 45 854 3.067] 3.344 33.246 38 224 1567 46.160 3324 3.822 + 2.5714 4.779| 379 Bel 0.306|-+ 0.257 + 0.478 Ruhe | 19.466458 545 Arbeit | !5 670/461.603 Arbeit I—3796|+ a 058 30 Geo.J.En gelmann: Schwefelsäure- und Phosphorsäure- n.s.w. Tab. VI. Plus oder Minus der Ausscheidungen während der Arbeitszeit. Harnvolum 2 | PO | S0, Reihe I — 2086 — 8.740 — 0.06 +1.153 Reihe II — 1125 + 5.137 + 1.289 + 1.478 Reihe III Su58b. 10 Heise + 1.347 + 2.148 = Dr. Ludwig Stieda: Ueber den angeblichen inneren u.s.w #1 Ueber den angeblichen inneren Zusammenhang der männlichen und weiblichen Organe bei den Trematoden. Von Dr. LupwIG STIEDA, Prosector und ausserordentlichem Professor in Dorpat. Siebold beschrieb 1836 (Helminthologische Beiträge III. Berichtigung der von Burmeister gegebenen Beschreibung des Distoma globiporum, in Wiegmann’s Archiv für Naturge- schichte, 1836, I. Bd., S. 217 und Fernere Beobachtungen über die Spermatozoen der wirbellosen Thiere, in Müller’s Archiv, 1836, S. 231) bei einigen Saugwürmern einen Kanal, welcher von dem einen Hoden zur sogenannten Vesicula seminalis po- sterior, d. h. zu dem jetzt als Schalendrüse aufgefassten Organ hinzieht und dadurch einen directen inneren Zusammenhang zwischen männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen ver- mittelt. Auf diese Weise ist nach Siebold’s Mittheilungen die Möglichkeit einer inneren Selbstbefruchtung gegeben. Spä- ter sprach Siebold 1846 in seinem Lehrbuch der vergleichen- den Anatomie der wirbellosen Thiere (Berlin 1848, S. 141 u. £.) die Existenz des von ihm als drittes Vas deferens bezeichneten Kanales allen Trematoden zu. Das allgemeine Vorkommen eines solchen inneren Zusam- menhanges zwischen Hoden und Schalendrüse bei den Saug- würmern ist aber durch Leuckart (die menschlichen Parasiten, 0 DEAN TUN A 32. Dr. Ludwig Stieda: I. Bd., Leipzig 1863, S. 479) bestritten worden. Leuckart lässt jenen Verbindungskanal nur für gewisse Trematoden gelten, giebt jedoch kein Verzeichniss der letzteren. Speciell beschrie- ben wird der in Rede stehende Kanal bei Distoma lanceolatum (l.c. 8.598). Siebold (die oben citirten Abhandlungen und Lehrbuch S. 144) führt besonders an: Distomum globiporum, nodulosum, elavigerum, oxyurus, hepaticum, und tereticolli und variegatum. Ferner wird der Kanal erwähnt bei Aspidogaster (Aubert, über das Wassergefässsystem, die Geschlechtsverhält- nisse, die Eibildung und die Entwickelung des Aspidogaster Conchicola, in Kölliker’s und Siebold’s Zeitschrift für wis- senschaftliche Zoologie Bd. VI, Leipzig 1855, 8. 349), bei Am- phistomum subclavatum (Walter, Beiträge zur Anatomie und Histologie einzelner Trematoden in Wiegmann’s Archiv für Naturgeschichte Jahrg. 1858, I. Bd., S. 269), bei Distoma Syna- mula Rud. im braunen Grasfrosch, in Kölliker’s und Sie- bold’s Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. XVII, 1867, | S. 213), bei Polystomum appendiculatum (Thaer, hebr. Poly- stomum appendiculatum, in Müller’s Archiv Jahrg. 1850), S. 602). Vielleicht, dass der Kanal noch bei anderen Saugwürmern beschrieben worden ist, mir sind gegenwärtig keine weiteren bekannt. Leider ist mir einige Literatur, z. B. die Abhandlung van Beneden’s nicht zur Hand gewesen. Den genannten Trematoden ist ferner nach Leuckart (l. c. S. 419) noch das Amphistomum conicum zuzuzählen. Bei Beschreibung der Geschlechtsorgane der Saugwürmer und bei Erwähnung des Verbindungskanals zwischen männlichen und weiblichen Organen heisst es: „Die erste Kenntniss dieses Ka- nals verdanken wir den Untersuchungen Laurer’s, der den- selben bei Amphistomum conicum beschrieb und abbildete, frei- lich ohne seine Bedeutung zu ahnen. Die letztere ist erst von Siebold festgestellt, der übrigens darin irrte, dass er diesen Zuleitungskanal für eine allgemeine, unter den Trematoden ver- breitete Einrichtung hielt, während es, wie gesagt nur einzelne Arten sind, die denselben besitzen“. Da ich Leuckart darin beistimme, dass der von Laurer NER Ueber den angeblichen inneren Zusammenhang u.s.w. 33 zuerst beschriebene und von ihm nur mit der Schalendrüse (Laurer, Disquisitiones anatomicae de Amphistomo conico Diss. inaug. Gryphiae 1850, bezeichnet dies Organ als Nodulus uteri) in Verbindung gesetzte Kanal identisch ist mit jenem Kanal, welchen Siebold und andere Autoren bis zum Hoden verfolgt haben wollten, so nehme ich keinen Anstand, den Kanal nach seinem Entdecker als Laurer’schen Kanal zu benennen. Ueber den Laurer’schen Kanal nun, welcher angeblich den inneren Zusammenhang zwischen männlichen und weiblichen Organen vermitteln soll, bin ich nun in Folge eingehender Un- tersuchungen zu einer wesentlich anderen Anschauung gelangt, als man bisher darüber gehabt hat. Im Laufe des verflossenen Halbjahrs beschäftigte ich mich mit anatomischen Untersuchun- gen des Amphistomum conicum und ich hatte mich dabei der besonderen Theilnahme eines meiner Zuhörer, des Hrn. Stud. med. vet. Constantin Blumberg, zu erfreuen, welcher dem- nächst die ausführlichen Ergebnisse dieser Untersuchung in einer eigenen Abhandlung veröffentlichen wird. Ich beschränke mich deshalb hier auf den Laurer’schen Kanal und seine Be- ziehungen zu den Geschlechtsorganen und schicke die Resultate der Untersuchung in Kürze voraus: 1) Es existirt kein innerer Zusammenhang zwischen männlichen und weiblichen Organen. 2) Der Laurer’sche Kanal geht aus der Schalen- drüse hervor und mündet auf der Rückenfläche des Körpers. 3) Der Laurer’sche Kanal hat die Bedeutung einer Scheide oder Vagina. Ehe ich an die nähere Begründung dieser Behauptungen gehe, bemerke ich, dass ich neben Quetschpräparaten vorwie- gend Längsschnitte und Querschnitte von solchen Amphistomen untersucht habe, welche in Alkohol oder in wässeriger Chrom- säurelösung erhärtet und mit Carmin gefärbt worden waren. Indem ich wegen einer ausführlichen Beschreibung der Geschlechtsorgane auf die demnächst erscheinende Abhandlung des Hrn. Blumberg verweise, hebe ich hier Folgendes hervor: Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 3 34 Dr. Ludwig Stieda: Das Amphistomum conicum ist ein Zwitter. Von den männlichen Organen sind zuerst die Hoden zu erwähnen: es existiren zwei stark gelappte Hoden. Jeder Hoden hat nur ein Vas deferens; beide Vasa deferentia vereinigen sich nach einer Strecke zu einem vielfach gewundenen Kanal, dem Ductus ejaculatorius oder der Vesicula seminalis. Der Kanal mün- det vermittelst des Penis an der Bauchfläche dicht neben der Oeffnung des Uterus oder Eierbehälters. Ein drittes Vas deferens, wie Siebold und andere Autoren beschrieben haben, existirt nicht. Ich befinde mich dabei in voller Uebereinstim- mung mit Laurer (]. c. S. 14), auf dessen ganz vortreffliche Darstellung des Baues des Amphistomum conicum ich später zurückkomme. Laurer weiss Nichts von einem dritten Vas deferens. Die weiblichen Geschlechtsorgane des Amphistomum co- nicum sind: die beiden Dotterstöcke, ein Keimstock, ein Eierbehälter oder Uterus und eine Schalendrüse mit dem nach aussen führenden Laurer’schen Kanale. Der Zu- sammenhang der weiblichen Organe unter einander gestaltet sich nun wie folgt: Von jedem der beiden baumförmig verästel- ten Dotterstöcke geht ein Kanal aus, der Dottergang; beide Kanäle vereinigen sich zu einem kurzen gemeinschaftlichen Dottergange, welcher von hinten her in die Schalendrüse eintritt (Fig. d). Die Schalendrüse (Fig. c) ist ein ellipsoi- discher, aus einzelligen Drüsen zusammengesetzter Körper, wel- cher im hinteren Theil des Körpers, etwas vor dem Bauchsaug- napf gelegen ist. Aus der Schalendrüse, welche je nach ihrer Füllung mit dem zelligen Bestandtheile der Keimorgane einen kleineren oder grösseren Hohlraum zeigt, geht der Eierbehäl- ter oder Uterus hervor (Fig. e). Er ist stark geschlängelt, mit Eiern gefüllt und läuft nach vorn, um dicht hinter der männlichen Geschlechtsöffnung, wie erwähnt, auszumünden. Es geht aberferner ausder Schalendrüsein gerader Richtung gleichsam als directe Fortsetzung des Eierbehälters ein enger, aber mus- kulöser Kanal hervor (Fig. f). Der Kanal durchsetzt die Wand der Schalendrüse, macht eine kleine Krümmung nach vorwärts, kommt dabei mitunter dem hinteren Hoden sehr nahe, wendet Ueber den angeblichen inneren Zusammenhang u.s.w. 35 sich dann zur Rückenfläche und mündet hier mit einer kleinen Oeffnung aus (Fig. g). Das ist der Laurer’sche Kanal; seine Mündung an der Rückenfläche liegt etwas vor dem Porus des Centralorgans des Gefässsystems ziemlich in der Median- ebene des Körpers. Während der Laurer’sche Kanal noch in der Schalendrüse sich befindet, nimmt er einen anderen leicht geschlängelten Kanal auf (Fig. b‘), nämlich den Ausführungsgang des Keimstocks (Fig. b), den Keimgang. Wollte Jemand dies Verhalten anders auffassen und sagen, der Keimgang nehme den Laurer’schen Kanal auf und münde dann in den Anfang des Uterus, so liess sich dagegen Nichts einwenden. Jedenfalls treffen in der Schalendrüse 3, resp. 4 Kanäle zusammen: 1) der Laurer’sche Kanal, 2) der Keimgang, 3) der gemeinschaftliche Dottergang, 4) der Anfang des Eierbehälters. Ich würde nun folgende Beschreibung als die dem Sach- verhalt eigentlich entsprechende geben: Der Laurer’sche Kanal beginnt mit einer median gelege- nen Oeffnung an der Rückenfläche, tritt in die Schalendrüse ein, nimmt den Keimgang auf und setzt sich dann, nachdem auch der Dottergang mit ihm sich vereinigt hat, in den Anfang des Eibehälters oder Uterus fort. Beim Vergleich meiner Darstellung mit der Laurer’s finde ich, abgesehen von der verschiedenen Deutung der einzelnen Organe, durchweg Uebereinstimmung mit der einzigen Ausnahme, dass die von mir entdeckte Aussenmündung des Laurer’schen Kanals von Laurer nicht gesehen worden ist. Laurer bezeichnet den damaligen Anschauungen entspre- chend die Dotterstöcke als Ovarien und die Dottergänge als Tubae Fallopianae und sagt von ihnen (l. c. S. 15): „Ambo duc- tus per canalem simplicem brevissimum cum nodulo sen cor- puseulo-exiguo globoso, vel ovali compressiusculo cohaerent*, Weiter heisst es dann: „Alius canalis panlo longior sursum di- rectus et parum curvatus ex nodulo hoc ad alium receptaculum exacte globosum ducit*. Der Nodulus Laurer’s ist unbedingt die Schalendrüse — er lässt daraus ganz richtig den „Oviduc- g* 36 Dr. Ludwig Stieda: tus“ hervorgehen und erklärt denselben (I. ce. S. 16) als „Initium uteri intestiniformis, vel potius oviductus. Das „Receptaculum globosum“ Laurer’s ist der Keimstock, dessen Zusammenhang mit der Schalendrüse ebenfalls richtig geschildert ist. Laurer meint, dass die Eier aus den Eierstöcken in den Nodulus uteri gelangen und dann zur Weiterentwickelung in das Receptaculum globosum, welches er für den eigentlichen Uterus hielt, geführt werden, um allendlich nach einigem Verweilen in dem Recep- taculum abermals in den Nodulus uteri und den Oviductus zu- rückzukehren. Dabei macht Laurer (I. c. S. 17) die treffende Bemerkung: „quo in loco (im Nodulus uteri, also in der Schalen- drüse) folliculo seu putamine proprio ceircumdabantur“. In Betreff jenes Kanals, welchen ich als Laurer’schen aufgeführt habe, lese ich bei Laurer (l. c. S. 16): „Praeter uterum aliud adhuc vas simplex, subtile, albidum, e latero sinistro noduli saepius jam memorati oritur, illo loco quo ca- nalis ille brevissimum ad organum globosum duceus, provenit; tergum petit, et haud procul a medio, vel fine anteriore cor- poris vesicularis, cuti adfigitur. Num ulterius decurrat, num hie finiatur, an extrorsum etiam aperiatur, nimiam propter te- nuitatem eruere nequivi*. Laurer war also sehr nahe daran, die Ausmündung des durchaus richtig beschriebenen Kanals zu finden. Laurer hat alles erreicht, was mit den damaligen Hülfsmitteln erreicht werden konnte; wäre es ihm möglich ge- wesen, Quer- und Längsschnitte des Amphistomum zu unter- suchen, so wäre seinem Blicke die Mündung des Kanals sicher- lich nicht entgangen. Die Deutung des Kanals anlangend, sagt Laurer: „Vas simplex e nodulo progrediens, cujus supra mentioneus feci, organis forsan etiam secernentibus adnumeran- dum est“. Die von Laurer gelieferte Abbildung (l. c. Fig. 23 der beigefügten Tafel), welche auch in Leuckart’s Werk übergegangen ist (l. c. 8. 478. Fig. 157), giebt eine sehr gute Uebersicht des Zusammenhangs der weiblichen Organe des Amphistomum lubricum. Von den drei Behauptungen, welche ich als Resultat mei- ner Untersuchung vorausschickte, haben die erste und zweite durch die gelieferte Beschreibung eine Begründung erfahren; Ueber den angeblichen inneren Zusammenhang u.5.w. 37 es bleibt mir nur noch übrig, einen Versuch zu machen, auch die dritte Behauptung, „dass der Laurer’sche Kanal die Be- deutung einer Scheide habe“, zu unterstützen. | Alle Autoren, welche jenen Verbindungskanal, d. h. den Laurer’schen Kanal gesehen haben, geben mit grosser Ueber- einstimmung an, dass derselbe Samenfäden enthalten habe. Ich kann dies bestätigend hinzufügen, dass ich auch häufig eine sa- menähnliche Masse im Laurer’schen Kanal getroffen habe. Einen anderen Grund, den Laurer’schen Kanal für die Scheide zu halten, finde ich darin, dass bisher bei den Saug- würmern eine eigentliche Scheide nicht nachgewiesen ist. Denn der Beweis, dass der sogenannte Eibehälter oder Uterus auch die Function einer Scheide hat, fehlt durchaus. Um dies zu erläutern, muss ich etwas weiter ausholen: Bei den Taenien ist die Existenz einer besonderen Scheide oder Vagina im Ge- gensatz zum Uterus oder Fruchthälter ausser allem Zweifel. Für die Bothriocephalen dagegen galt früher die Ansicht, dass bei ihnen ein Kanal vorhanden ist, welcher als Vagina und zugleich als Uterus fungire. Es ist mir bereits vor einiger Zeit gelungen nachzuweisen, dass diese Ansicht nicht haltbar ist, indem der Bothriocephalus latus eine besondere, vom Ute- rus durchaus getrennte Vagina besitzt. (Dieses Archiv Jahrg. 1864, S. 174— 212.) Es freut mich hinzufügen zu können, dass Leuckart diese Thatsache anerkannt hat. (Bericht über die wissenschaftlichen Leistungen in der Naturgeschichte der wirbel- losen Thiere während der Jahre 1864 und 1865, Berlin 1866, S. 90.) Durch den Nachweis einer selbständigen Vagina auch für die Bothriocephalen sind die Taenien und Bothriocephalen einander näber gerückt: sie verhalten sich in Bezug auf die Geschlechtsorgane wesentlich gleich, nur hat der Eibehälter der Bothriocephalen eine Ausmündung, der der Taenien nicht. Aber die Bothriocephalen, welche den Trematoden in vieler Bezie- hung verwandt sind, zeigen auch in Bezug auf den Eibehälter grosse Uebereinstimmung. Bei den Bothriocephalen hat der als Uterus bekannte Kanal nur die Function eines Eibehälters sollte der bei den Trematoden im Bau und Verlauf sich ganz gleich verhaltende Kanal noch daneben die Bedeutung einer 38. Dr. Ludwig Stieda: Scheide haben? Sollte ein und derselbe Kanal bei den Trema- toden auch den Samen zuleiten, während bei den Bothrioce- phalen ein besonderer Kanal mit dieser Function betraut ist? Die Trematoden würden sich dann wesentlich anders verhalten, als die Bothriocephalen. — Fasse ich aber den Laurer’schen Kanal als Scheide auf, so ist jener Unterschied zwischen Tre- matoden und Bothriocephalen geschwunden, beide besitzen eine gesonderte Scheide und einen gesonderten Eibehälter. Der Unterschied würde nur in der verschiedenen Lage der Scheidenmündung bestehen. Für die Bothriocephalen ist durch die Mündung der Scheide dicht am Penis die Möglichkeit und Nothwendigkeit einer Selbstbegattung geboten, welche für die Taenien durch die Beobachtung erwiesen ist. Für die Trema- toden wird durch die Lage der Scheidenmündung auf der Rückenfläche eine Selbstbegattung unmöglich sein; die innere Selbstbefruchtung (Siebold) ist wegen Abwesenheit eines ver- bindenden Kanals unmöglich; es wird bei ihnen nur eine gegen- seitige Begattung statthaft sein, wie eine solche bei vielen an- deren Plattwürmern längst erwiesen ist. Man möchte mir aber gegen die Auffassung des Laurer- schen Kanals als Scheide den Einwand machen, dass die Existenz eines solchen Kanals von Leuckart gegenüber Sie- bold für viele Saugwürmer bestritten worden ist. So lange die Siebold’sche Ansichtvon derallgemeinenVerbreitungjenes Kanals nicht bewiesen, so lange bei einigen Trematoden kein Lau- rer’scher Kanal gefunden worden ist, müsste für diese die alte Ansicht von der gemeinschaftlichen Function des Uteruskanals zu Recht bestehen. Allein hier bin ich im Stande, eine von mir gemachte Beobachtung zu verwerthen, welche ich früher gelegentlich der Oeffentlichkeit übergeben habe, ohne die rich- tige Deutung damals zu kennen. (Dieses Archiv 1867, S. 52 —59,) Ich habe nämlich bei Distoma hepaticum — für wel- ches Siebold speciell die Existenz jenes Verbindungskanals angiebt, Leuckart dieselbe in Abrede stellt — einen Kanal gefunden, welcher aus der Schalendrüse heraus bis auf die Rückenfläche führt und hier mündet, sich also genau so verhält wie der Laurer’sche Kanal. Ich glaube deshalb ein Recht zu Ueber den angeblichen inneren Zusammenhang u.s.w. 39 haben, auch dem Distoma hepaticum einen Laurer’schen Kanal oder eine Scheide zuzuschreiben. Als ich damals den Kanal beim Leberegel beschrieb, habe ich an die Bedeutung desselben als Vagina nicht im Entferntesten gedacht; vielmehr glaubte ich darin eine Binrichtung zu sehen, durch welche der Ueberfluss an Dottermasse nach aussen geführt werde; selbst- verständlich lasse ich diese Ansicht jetzt fallen. Ich füge schliesslich noch hinzu, dass schon Siebold (Wiegmann’s Archiv 1836, 5. 239) aufmerksam machte, wie die Beschaffenheit des Penis bei einigen Distomen (D. globipo- rum, elavigerum, oxyurus) eine Immissio in die daneben befind- liche weibliche Oeffnung ganz unmöglich mache. Hierdurch suchte Siebold die Annahme einer inneren Selbstbefruchtung zu unterstützen. Ist nun sowohl eine äussere Selbstbegattung, als eine innere Selbstbefruchtung nicht ausführbar, so bleibt nur die Begattung eines Thieres durch ein anderes übrig. Ich glaube nun, mitunter ein Pärchen in Copula gesehen zu haben; jedes Mal hatte sich dann das eine Thier mittelst seines Bauch- saugnapfs an die Rückenfläche eines anderen befestigt: eine Befestigung an der Bauchfläche habe ich nie beobachtet. — Auch in dieser Lagerung zweier Thiere finde ich eine Unter- stützung meiner Ansicht, dass der Laurer’sche Kanal die Scheide der Saugwürmer ist. 40 Dr. Ludwig Stieda: Ueber den angeblichen inneren u. s. w. Erklärung der nachstehenden Figur. Diese Figur giebt eine etwas schematische Darstellung des Zu- sammenhangs der weiblichen Organe des Amphistomum conieum auf einem Längsschnitt. a Bauchsaugnapf, b Keimstock, b' Keimgang, c Schalendrüse, d gemeinschaftlicher Dottergang, e Anfang des Uterus oder Eibehälters, f,f, Laurer’scher Kanal, g Mündung desselben auf der Rückenfläche. Dorpat, den 8./20. December 1870. Dr. Oswald Naumann: Ueber die Bedeutung des Leberfettes u.s.w. 4] Ueber die Bedeutung des Leberfettes, bez. der Fettlebern für den gesunden und kranken Körper. Von Dr. OswALD NAUMANN, Privatdocenten der Pharmakologie an der Universität zu Leipzig. In nachfolgender Abhandlung werde ich zu zeigen suchen, welch’ besonderen und hohen Werth das in der Leber enthal- tene, bez. gebildete Fett im Vergleich zu dem nicht aus der Leber stammenden, sowohl für den gesunden als auch für den kranken Organismus besitzt. Dass man die Bedeutung jenes Fettes für den Stoffwechsel, obgleich dieselbe unter gewissen Verhältnissen, wie wir sehen werden, in auffällisster Weise hervortritt, noch so wenig beach- tet hat, liegt wohl darin, weil man die es auszeichnenden Eigen- thümlichkeiten überhaupt nur wenig kannte. Diese bereits an _ anderer Stelle (Wagner’s Archiv 1865: Untersuchungen über die physikalischen Eigenthümlichkeiten und physiologischen Wirkungen des Leberthrans) näher beschriebenen Eigenschaften sind es, welchen das Leberfett seinen hohen physiologischen Werth verdankt; ich muss daher jene, 1. c. beschriebene Ver- suche, soweit sie als Unterlage für das Folgende dienen, hier kurz berühren. Es ergab sich aus ihnen u. a., dass das Leberöl der Fische nicht nur todte thierische Häute 4 bis 7 mal leichter durchdringt als alle anderen bekannten fetten Oele (Ol. ceti, Klauenfett, Butter, Pflanzenöle), sondern dass es auch bei weitem leichter 42° Dr. Oswald Naumann: von dem Darm aufgesogen und viel leichter oxydirt wird als die letzteren. [Zur Veranschaulichuug dieser so verschieden leichten Oxy- dirbarkeit der fetten Oele bietet sich uns im übermangansauren Kali ein ebenso feines als einfaches Mittel. Schüttelt man näm- lich gleiche Mengen der zu untersuchenden Fette unter mög- lichst gleichen Verhältnissen in verschiedenen Probirgläsern mit sehr verdünnten Lösungen jenes Salzes, so zeigt eine stärkere oder schwächere Entfärbung der Flüssigkeit den höheren oder geringeren Grad der Oxydirbarkeit des Fettes an.] Von allen Oelen wurden das Leberöl der Fische, der offic. Leberthran, insbesondere der schwarze, der Leberthran der Aesche, der Aalraupe und des Lachses bei weitem am rasche- sten oxydirt, nächstdem die übrigen Fischöle, d. h. die aus Haut und Muskeln der genannten Fische dargestellten Fette, sowie das Oleum ceti, weit später die Butter, das Klauen- Schöpsenfett, Tauben- und Rebhuhnfett u. s. w., zuletzt die Pflanzenfette mit Ausnahme des Leinöls, welches den thierischen Fetten am nächsten stand. Dieselben Erscheinungen traten übrigens auch ein bei Anwendung concentrirterer Salzlösungen, voraus- gesetzt, dass hinreichende Fettmenge vorhanden war, nur dass natürlich jetzt der Versuch bei weitem länger dauerte. Es ist hier nicht der Ort nochmals über den therapeuti- schen Werth des Fischleberthrans zu sprechen, welchen die Erfahrung längst anerkannt hat und welcher nach meinem Da- fürhalten lediglich auf der so leichten Resorbirbarkeit und Ver- brennlichkeit dieses Fettes beruht, sondern die allgemeine Wich- tigkeit hervorzuheben, welche das in der Leber eines jeden Thieres enthaltene Fett für dessen Stoffwechsel hat. Ich hebe daher zunächst als von besonderer Wichtigkeit für das Nach- folgende hervor, dass in allen mir vorgelegenen Fällen — beiden genannten Fischen, sowie beidem Schwein, der Gans, beiFettleber durch Phosphorvergiftung, bei Fettlebern tuberkulöser und an anderen Krankheiten Verstorbener, endlich auch bei der pathologischen Gänsefettleber — das aus der Leber gewonnene Fett bei weitem leichter oxydirbar war als das aus ande- Ueber die Bedeutung des Leberfettes u. s. w. 43 ren Theilen, z. B. vom Herzen, den Nieren, dem Un- terhautzellgewebe desselben Organismus genommene; ferner dass bei Hühnerembryonen der ätherische Extract der Leber die Lösung des übermangansauren Kali gleichfalls bedeutend rascher zu entfärben vermag als der aus dem Dotterrest ge- wonnene oder das aus diesem abgeschiedene Oel. Diese eigen- thümliche Beschaffenheit des Leberfettes und die Vergleichung der Grösse und Thätigkeit der Leber mit der Vollkommenheit der Athmungsorgane bei den verschiedenen Thierklassen recht- fertigen, wie sofort gezeigt werden soll, die Annahme, dass eine Hauptbestimmung der Leber darin besteht, dem thierischen Körper leicht assimilirbare, bez. leicht oxydirbare Fette zu liefern, wie sie vorzüglich für Zwecke der Athmung nothwendig sind. Dem entsprechend sehen wir zunächst, dass im Allgemeinen die Grösse und Thätigkeit der Leber, insbesondere auch deren Fettgehalt im umgekehrten Verhältniss zur Athmung der Thiere stehen (vgl. C. G. Carus, Zoot. 1819, $. 642 und 651; Erasm. Wilson in Todd’s Cyclop. 3. Bd. S. 175). Sehr auffällig tritt dies bei den vorzugsweise im Wasser lebenden Wirbelthieren, am stärksten bei den Fischen hervor, welche bei unvollkommen- ster Athmung die relativ grössten Lebern besitzen. Das Umgekehrte sehen wir bei den sich in freier Luft be- wegenden, mit den vollkommensten Athmungsorganen ausge- statteten Thieren: die Vögel haben im Vergleich zu ihren Ath- mungsorganen eine sehr kleine Leber, die Raubvögel nach Tiedemann die kleinsten, die Sumpfvögel die grössten. Wie es unter normalen Verhältnissen wegen der Regheit des Stoff- wechsels bei den Vögeln gar nicht zu einer erheblichen Fett- anhäufung kommt, so scheint sich umgekehrt bei manchen Fischen, Rochen, Kabeljau fast alles Fett in der Leber anzu- häufen, um erst von hier aus für den Organismus verwandt zu werden. Wie die Grösse der Leber, so steht auch nach den von mir angestellten Versuchen die Oxydirbarkeit der thierischen Fette im Allgemeinen im umgekehrten Verhältniss zur Voll- kommenheit der. Athmungsorgane der betreffenden Thiere. -44 Dr. Oswald Naumann: Die Fische, wie überhaupt die mit unvollkommenen Ath- mungswerkzeugen ausgestatteten Thiere (Amphibien), bedürfen viel leichter oxydabler Fette als die eine weit energischere Ver- brennung besitzenden (Land-)Säugethiere und Vögel. Das Fett der Fische ist daher bei weitem leichter oxydirbar als das der Säugethiere, das Fett der letzteren leichter als das der unter normalen Verhältnissen lebenden Vögel. Wenn trotzdem das Fleisch der Vögel, besonders das Wildpret, mit Recht als eine leichte Speise gilt, so liegt dies daran, weil bei diesen Thieren überhaupt nur wenig Fett zur Ablagerung kommt. Einen weiteren Beweis für die hohe Bedeutung der Leber als einer Bildungsstätte leicht oxydabler Fette sehen wir in dem Folgenden: Die Leber wird bekanntlich schon in früher Zeit des embryonalen Lebens gebildet und entwickelt während des- selben allem Anschein nach eine viel umfassendere Thätigkeit als nach der Geburt. Denn, während (bei den höheren, luft- athmenden Wirbelthieren) im ausgebildeten Zustand ein grosser Theil der Nahrung, bez. des Fettes, nämlich die im Chylus enthaltene, unmittelbar, d. h. ohne zuvor in die Leber zu ge- langen, durch den Ductus thoracicus dem Blut zugeführt wird, wird fast die ganze, dem Embryo zugeführte Nahrung, d. h. das Blut, welches in dem Mutterkuchen, bez. den, diesen entspre- chenden Organen gekreist hat, durch die Vena umbilicalis direct in die Leber geleitet und nur ein kleiner Theil gelangt durch den Ductus venosus in die Vena cava. Dieses Verhalten be- weist, dass die Leber für den Embryo, ich sage nicht andere, jedoch viel umfassendere Functionen hat als für das geborene Thier, Functionen, welche, wie wir weiter sehen werden, mit der unvollkommenen Athmung während des embryonalen Lebens in nächster Beziehung stehen. So lange der Embryo sich noch in seiner Hülle befindet, ist sein Oxydationsvermögen, ähnlich dem der Wasserthiere, ein sehr unvollkommenes, und wie letztere bei der Mangelhaftigkeit ihrer Athmung unter anderem eines sehr leicht oxydirbaren Fettes bedürfen, so auch der erstere. Wir sehen daher beim Hühnchen fast alles Fett des Dotters vor seiner physiologischen Verwandlung sich erst in der Leber ansammeln und besonders Ueber die Bedeutung des Leberfettes u. s. w. 45 zu der Zeit, wo daselbst durch einen erhöhten Blutzellenbildungs- process ein vermehrter Stoffwechsel sich ankündigt (Kölliker in Henle’s und Pfeuffer’s Zeitschr. IV. S. 112; Gewebelehre S. 580), den ganzen Dotterrest in die Leber aufgenommen und erst hier für seine physiologische Verwandlung zubereitet werden. Wie nun bei den Vögeln und Säugethieren während des embryonalen Zustandes bei weitem mehr Nahrung unmittelbar zur Leber geht, als es nach der Geburt noch der Fall ist, so sehen wir ein ähnliches Verhalten bei denjenigen Thieren fort- bestehen, welche zeitlebens eine unvollkommene Athmung bei- behalten, vornehmlich bei den Amphibien und vor allem bei den Fischen. Abgesehen davon, dass hier die (hauptsächlich in Betracht kommenden) Chylusgefässe in viel innigerer Berüh- rung mit den nach der Leber zu sich sammelnden Blutgefässen stehen, als bei den höheren luftathmenden Wirbelthieren, finden wir, dass ein Theil des Chylus, ohne erst in den Lungenkreis- lauf aufgenommen worden zu sein, durch Venen der hinteren Körperhälfte, bez. durch die Caudalvene (den Caudalsinus) un- mittelbar in die Leber gelangt. Noch mehr: Das Venensystem selbst, welches das von dem Darmkanal kommende, von diesem Nahrungsstoffe erhaltende Blut nach der Leber führt, mit einem Wort, das Pfortadersy- stem ist bei den genannten Thierklassen weit umfassender als bei den höheren Wirbelthieren. Bei den Cyprinen, der Schmerle und anderen Fischen dehnt es sich soweit aus, dass es auch alles Blut, welches in die Geschlechtstheile strömt, aufnimmt. Etwas ähnliches findet bei den Schildkröten statt. (Vgl. Boja- nus in d. Isis 1818, S. 1428.) Bei Cottus scorpius und dem Hecht ist besonders der Magen von einer grossen Menge Venen umsponnen, bei den Krokodilen und Schildkröten wird das Blut der Venae epigastricae, crurales und ischiadicae, bei den Schildkröten überhaupt das gesammte Blut aus dem hinteren Körperende in die Leber geführt (Gegenbauer, vergl. Anat. S. 855), um hier abermals der Umbildung zu unterliegen. Wenn wir daher aus bereits mitgetheilten Grün- den die Leber schon bei den Vögeln und Säugethieren 46 ‚Dr. Oswald Naumann: als Bildungsstätte leicht oxydirbarer Fette kennen gelernt haben, so kommt ihr diese Rolle in weit aus- gedehnterem Masse bei den Amphibien und Fischen zu. Hier tritt dieselbe ganz wesentlich mit als Hülfsorgan für die Athmung ein, indem sie das Blut für diese leichter angreif- bar, leichter oxydirbar macht. Wir sehen däher die Fische, welche die unvollkommenste Athmung besitzen, mit den gröss- ten Lebern ausgestattet, nächstdem die bei den immerhin noch mit unvollkommenen Athmungswerkzeugen versehenen Amphibien und den hinsichtlich der Athmung den Fischen'vergleichbaren Em- bryonen der Säugethiere und Vögel gleichfalls sehr grosse Lebern. Von wie grosser Bedeutung das Leberfett für den Haushalt der Thiere ist, sehen wir ferner daraus, dass dasselbe allem Anschein nach früher durch den Stoffwechsel verbraucht wird, als das nicht aus der Leber dem Blut zugeführte. Ich erinnere zur Begründung dessen zunächst an die von E. H. Weber entdeckten sogen. physiologischen Fettlebern, welche wir periodisch, hauptsächlich zum Frühjahr, bei den Fröschen auftreten sehen, an die Fettlebern der trächtigen und säugenden Thiere, sowie des neugeborenen Hühnchens. Die erhöhte vegetative Thätigkeit, welche alle diese Thiere zu ge- dachten Zeiten entwickeln, erfordern einen grösseren Stoffumsatz als gewöhnlich; sie finden das Material hierzu in der Leber aufgespeichert und sie verbrauchen es als dasjenige, welches wegen seiner leichten Oxydirbarkeit dem Sauerstoff den nächsten Angriffspunkt bietet. Wir sehen daher in den angeführten Fäl- len dieses Leberfett am raschesten schwinden (so auch bei den meisten Winterschläfern nach dem Erwachen); wir sehen es gleichfalls am raschesten schwinden bei allen acuten mit Consumption verbundenen Krankheiten, sofern die Athmung da- bei nicht wesentlich beeinträchtigt ist !), z.B. bei Typhus. Einen weiteren Beweis für die Wichtigkeit des Leberfettes dürften die Beobachtungen Virchow’s geben, nach welchen 1) Die Raschheit des Verlaufes und Stoffwechsels mag hier ver- hindern, dass Veränderungen eintreten, wie wir sie später bei chroni- schen mit Fettleber verbundenen Krankheiten kennen lernen werden. RE. Ueber die Bedeutung des Leberfettes u. s. w. 47 sich an der Gallenblasenschleimhaut gesunder Thiere in der Regel die Erscheinungen einer beträchtlichen Fettresorption zeigen. Sowohl die Epithelzellen, als auch das ganze submu- cöse Gewebe zeigte häufig eine enorme intracelluläre Fettabla- gerung, die sich nach W. Kühne auch bei der strangartig ver- änderten Gallenblase von Thieren mit Gallenfisteln findet, so dass es scheint, als wenn die Gallenblase und grössere Gallen- gänge dazu bestimmt sind, das mit der Galle ausgeschiedene Fett wieder in das Blut zurückzuführen, die Galle selbst also ursprünglich viel fettreicher abgesondert worden wäre, als man bisher glaubte. Für diese Art der Fettresorption spricht auch noch die Beobachtung Bernard’s, dass bei manchen Herbivoren ein kleiner Ausführungsgang des Pankreas in die Gallenblase mündet. Ich habe nun noch der pathologischen Fettlebern, insofern sie auf Fettinfiltration der Leberzellen beruhen, zu gedenken. Man hat als eine Hauptursache ihres Entstehens, zumal bei Lungen- tuberkulose, eine mangelhafte Athmung angegeben, andererseits aber wieder eingehalten, es könne diese nicht die alleinige Ur- sache ihres Auftretens bei gedachter Krankheit sein, weil Fett- lebern auch bei Tuberkulose der Knochen, des Darms, beson- ders auch bei erschöpfenden chronischen Durchfällen (der Kin- der) vorkommen, so wie umgekehrt fehlen bei anderen Lungen- krankheiten, bei welchen gleichfalls die Athmung beeinträch- tigt ist. Sicher giebt es Fälle von Fettlebern, bei welchen eine nachweisbare Erkrankung der Lunge nicht zugegen ist, ebenso sicher sprechen jedoch viele Gründe für die Annahme, dass eine mangelhafte Athmung, durch Herabsetzung des Oxydationspro- cesses, wenigstens einen Antheil an der Bildung von derartigen Lebern im Verlauf der Lungentuberkulose haben. Ich hoffe indess zu zeigen, dass diesen wie allen anderen Fettinfiltrationen der Leber — etwa mit Ausnahme der Fett- lebern der Säufer !) und Bonvivants — noch eine allgemeinere 1) Diese sind wohl nur als die Folge einer durch die Gegenwart des leicht verbrennlichen Alkohols bewirkten Stoffersparniss zu be- trachten. 48 Dr. Oswald Naumann: Ursache zu Grunde liege, nämlich dem kranken Körper in reich- lichem Masse ein leicht assimilirbares, für seine Forterhaltung nothwendiges Fett zu liefern; dass also die sogen. patho- logischen Fettlebern für den kranken Organismus mutatis mutandis dieselbe Bedeutung haben wie die physiologischen für den gesunden. Ich schicke vor Begründung dieser Behauptung voraus, dass auch die pathologischen Fettinfiltrationen der Leber nicht, wie man zu denken pflegt, ein einfaches Fettdepot, nicht eine gewöhnliche, aus dem Blut ab- geschiedene Fettmassesind, sondern dass auch dieses Fett im Vergleich zu dem in anderen Theilen des Körpers abgelagerten dieselben wesentlichen Eigen- thüm lichkeiten zeigt, wie dasin den gesunden Lebern enthaltene, insbesondere eine eben so leichte Oxy- dirbarkeit (ausserdem mit Schwefelsäure die sogen. Leber- thranreaction, d.h. eine mehr oder weniger violette Färbung). In dem Folgenden ist also zunächst nicht die Rede von den Fettlebern, welche man etwa als Theilerscheinung allge- meinen Fettreichthums auffassen könnte, noch von den so häufig mit anderen Leberstörungen complicirten Säuferlebern, sondern von den im Verlauf chronischer Krankheiten (Tuberkulose, In- anition u. s. w.), bei normaler oder abnorm verringerter äusserer Nahrungszufuhr auftretenden. Diese Fettlebern sind in Rück- sicht auf die bestehende Krankheit nicht als etwas Pathologi- sches, nicht als Theilerscheinung der Krankheit zu betrachten, sondern sie sind für das Fortleben des Kranken eine physiologische Nothwendigkeit, eine, wenn auch oft erfolglose Selbsthülfe der Natur, ohne welche der kranke Körper nicht fortbestehen könnte (es müsste ihm denn ein anderer Ersatz, etwa in den Hautdrüsen, geboten werden können). Ein Tuberkulöser tritt, je mehr er der Lungen- athmung durch Fortschreiten der Krankheit verlustig wird, hin- sichtlich des oben beschriebenen, zwischen Athmung und Leber- thätigkeit bestehenden Verhältnisses, gewissermassen mehr und mehr in den embryonalen Zustand zurück. Er ist bei seiner unvollkommenen Athmung nicht mehr fähig, das unmittelbar Ueber die Bedeutung des Leberfettes u. s. w. 49 aus der Nahrung mit Umgehung der Leber dem Blut zugeführte Fett gehörig zu verbrauchen, es sammelt sich dasselbe — ab- gesehen von dem höchst wahrscheinlichen Antheil, den hier die Eiweisskörper an der Fettbildung haben — in der Leber an, welche, ähnlich wie im embryonalen Zustand, eine erhöhte Thätigkeit beginnt, indem sie dieses Fett in einer uns freilich noch unbekannten Weise für den Stoffwechsel geeignet, bez. leicht oxydirbar macht. Ich schliesse mich daher, wenigstens theil- weise !), der zuerst von Larrey’ausgesprochenen, dann von Budd und Frerichs vertheidigten Ansicht an, dass diese Fettlebern von dem bei Tuberkulösen vermehrten Fettgehalt des Blutes her- rühren. Der Tuberkulöse ist sehr häufig schon in der frühesten Zeit der Erkrankung nicht mehr im Stande, das in der ge- wöhnlichen Nahrung enthaltene Fett hinreichend zu assimiliren, dasselbe genügt nicht mehr, wird wahrscheinlich nicht in der zur Erhaltung des normalen Lebens nöthigen Menge resorbirt, es wird das bereits im Zellgewebe des Körpers abgelagerte, als das näher gelegene von dem Blut ergriffen und aufgesogen, der Mensch magert ab. Dieses circulirende Fett ist jedoch noch nicht geeignet für den erkrankten, der Athmung theilweise ver- lustig gegangenen Körper verwandt zu werden: wie schon im gesunden Körper, bei normaler Athmung zu diesem Behufe ein Theil des für den Stoffwechsel nothwendigen Fettes erst in der Leber zubereitet wird, so ist dies in weit höherem Malse in dem vorliegenden nöthig. Wir sehen daher bei gleichzeitiger Abnahme des Fettes in anderen Geweben, besonders im sub- eutanen Zellgewebe, eine Zunahme desselben in der Leber. Wendet. man hiergegen ein, es entspräche nicht dem End- zweck der Natur in diesem Organ eine so grosse Fettanhäufnng zu begünstigen, weil ja dasselbe von dem kranken Körper bei weitem nicht verbraucht werde, so beantworte man zuvor die Frage, was für Ziele denn die Natur verfolge, wenn sie bei ı) Es bleibt noch dahingestellt, in wie weit nicht auch die Ei- weisskörper an dieser Fettbildung wesentlich betheiligt sind, und ob dieselben hierbei nicht eine viel grössere Rolle spielen als wir ver- muthen. Wir werden auf diese Frage später zurückkommen. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 4 TE 2 Au N N 50 Dr. Oswald Naumann: manchen Fischen, z. B. dem Rochen, dem Kabeljau, so enorme Fettmassen in der Leber ansammelt? Dieser Vergleich mag für den ersten Augenblick etwas paradox erscheinen, man wird ihm jedoch eine gewisse Berechtigung nicht absprechen, wenn man für beide Fälle die Aehnlichkeit der zwischen Leber und Ath- mung bestehenden Verhältnisse berücksichtigt. Ausserdem: wäre die Fettleber wirklich eine rein pathologische Erscheinung, so möchte man fragen: warum nicht dieselbe Erscheinung zu- gleich auch in der der Leber doch sonst so sympathischen Milz? Wir kommen nun zu den Fettlebern, welche wir im Ver- lauf anderer Krankheiten als solcher der Lungen auftreten sehen: bei Tuberkulose des Darms, bei chronischen, erschöpfenden Durchfällen, Marasmus u. s. w., deren Entstehung man also zu- nächst nicht mit einer unvollkommenen Athmung in Bezug bringen kann. Den Grund ihres Entstehens, ihrer Bestimmung haben wir bereits angegeben. Auch sie sind nicht als eigent- liche pathologische Erzeugnisse anzusehen, insofern sie für den gegebenen Fall eine Nothhülfe der Natur darstellen, um den Stoffwechsel zu unterhalten. Mit den chronischen Durchfällen wird dem Körper das nöthige Material, insbesondere auch das Fett entzogen; zur Forterhaltung des Lebens wird nun das entbehrliche Fett des Zellgewebes (bez. das Organeiweiss?) an- gerissen, da es aber noch nicht für seine Bestimmung tauglich, in die Leber geführt, um hier zu weit wichtigeren Functionen des Lebens, als denen es früher diente, verarbeitet zu werden. Aus den eben genannten Gründen erklärt sich auch das auf den ersten Anschein so wunderbare Auftreten von Fettlebern bei hungernden Fröschen, wie es E.H. Weber beobachtet hat. Die Thiere müssen eben zur Unterhaltung des Lebens das noch verfügbare Material zu weiterer Assimilirung in die Leber füh- ren. — Beziehentlich derjenigen Fettlebern, welche wir bei mit übermässigen Verlust an Bildungsmaterial — chronischen Eite- rungen, Carcinomen — verbundenen Krankheiten auftreten se- hen, müssen wir dieselben Ursachen der Entstehung annehmen, wie wir sie z. B. bei den Fettlebern säugender Thiere kennen gelernt haben, nur dass hier die Stoffausgabe (die Milch) eine physiologische, dort eine pathologische ist. Ueber die Bedeutung des Leberfettes u s. w. 51 Auch bei den Fettlebern Tuberkulöser muss, sofern es sich um andauernden übermässigen Substanzenverlust aus den Lun- gen handelt, dieses Moment der Entstehung mit berücksichtigt werden. Haben wir nun aus allen bisher besprochenen Fällen von Fettinfiltration der Leber gesehen, von wie grossem Werth das Leberfett für den Stoffwechsel im Allgemeinen ist, so zeigen uns besonders Fälle letztgenannter Art, welche Bedeutung das- selbe für den Zellenbildungsprocess hat und auch sie lassen uns gleichzeitig Rückschlüsse für das normale Leben machen. Wenn nämlich bei dem übermässigen Verbrauch an Bildungs- material eine Fettanhäufung in der Leber eine physiologische Nothwendigkeit ist, so ist anzunehmen, dass auch im gesunden Zustand das Leberfett zu sehr wichtigen, für das Leben noth- wendigen Verrichtungen verwandt werde; zu Verrichtungen, welchen zu dienen das nicht in der Leber bereitete Fett un- fähig ist; zu Verrichtungen, welche für das Leben so wichtig sind, dass, um dieselben zu unterhalten, bei ungenügender Nahrungszufuhr alles anderen Theilen noch entbehrliche Material in die Leber wandert. Ueber die chemische Beschaffenheit des Leberfettes wissen wir bekanntlich sehr wenig und es wäre gewiss von grösstem Intetesse, dasselbe näher zu untersuchen. Thatsache ist es, dass der Leberthran der Fische sich von allen Fetten am leichtesten verseifen lässt (ich habe im Vergleich zu dem in anderen Thei- len des Körpers abgelagerten Fett dasselbe gefunden bei dem Leberfett von Säugethieren und Menschen). . Ebenso ungenügend sind unsere Kenntnisse über die Bil- dung und über die Veränderungen, welche das Fett in der Leber erleidet. Erscheint es mir auch — in Rücksicht auf die bei den physiologischen und pathologischen Fettlebern auftre- tenden Erscheinungen — unzweifelhaft, dass bei letzteren ein grosser Theil des Fettes aus den Geweben aufgesogen und in die Leber geführt wird, so scheinen doch auch, wie schon oben erwähnt, mindestens unter Umständen, die Eiweisskörper eine hervorragende Rolle bei der Bildung von Fettlebern spielen zu können. Denn wie es, zumal nach den neuesten Unter- 4* 59 Dr. Oswald Naumann: a suchungen von Voit (Biol. V. 1) über die Bildung der Milch in den Brustdrüsen, als sicher anzunehmen ist, dass auch in der Leber Fett aus Eiweisskörpern gebildet wird, so ist kaum zu bezweifeln, dass auch in den genannten pathologischen Fäl- len nicht blos disponibles Fett, sondern auch Eiweiss, d.h. Organeiweiss, in die Leber geführt und zur Fettbildung ver- wandt werden wird, vornehmlich in den Fällen, wo das Fett bereits verbraucht worden ist. Es würde dieser Process etwa einer brennenden Lampe zu vergleichen sein, bei welcher zu- nächst das Oel als das leichtest verbrennliche, schliesslich nach dessen Verbrauch der Docht vom Feuer ergriffen wird. Ausserdem möchte man vermuthen, dass Eiweisskörper auch auf das bereits in der Leber vorhandene, d. h. resorbirte Fett in einer uns freilich noch unbekannten Weise einwirken und ihm hierdurch die oben beschriebenen Eigenthümlichkeiten zu Theil werden. Ich verkenne nicht, dass sich gegen vorstehende Anschauun- gen mancherlei Einwendungen machen lassen, bin jedoch über- zeugt, dass sie widerlegt werden können, wenn nicht schon durch das bereits Gesagte, so doch durch fernere Untersuchun- gen, besonders durch Vergleichung des Fettgehaltes der Leber bei verschiedenen Krankheiten. Ich will hier nur einen Ein- wand im Voraus zu widerlegen suchen. Man kann entgegnen, es sei widersinnig zu behaupten, dass das Fett der pathologischen Fettlebern am ehesten für den Stoffwechsel verbraucht werde, während doch sichtlich und gleichzeitig das Fett aus dem subcutanen Zellgewebe schwinde, vielmehr müsse man annehmen, dieses Fett sei es, welches zu- nächst verzehrt werde. Resorbirt wird allerdings dieses Zellgewebs-Fett in hohem Masse, nicht aber um in seiner Hauptmenge für den Stoffwech- sel verwandt zu werden: Die physiologischen Fettlebern bewei- sen eben — abgesehen von dem Beweis, welcher in der leich- teren Oxydirbarkeit des Leberfettes selbst liegt —, dass das Leberfett am raschesten verbraucht wird; denn wir sahen ja, dass, wenn die Lebensthätigkeit sich plötzlich ändert, d. h. der Stoffwechsel sich erhöht - wie z. B. beim eben ausgekrochenen Be and > 5% mi Ueber die Bedeutung des Leberfettes u. s. w. 53 Hühnchen —, diese Fettlebern am raschesten schwinden; wir sahen auch das Fett der Leber am raschesten schwinden bei acuten mit Consumption verbundenen Krankheiten, bei denen die Athmung nicht beeinträchtigt war (Typhus). Weshalb aber, kann man weiter fragen, eine so grosse Fettanhäufung in der Leber, wenn dasselbe so nothwendig für den Stoffwechsel gebraucht wird? Weshalb entgegne ich hierauf, eine so grosse Stoffverschwendung bei der Heilung von Wunden, bei der Samenbereitung, bei der Ovulation u. s. w.? Die Natur giebt eben zumeist im Ueberschuss, wo es sich um Ersatz, um Erhaltung der nothwendigsten Lebensthätigkeiten handelt. Ist einmal die physiologische, oder, wenn man will, patho- physio- logische Nothwendigkeit einer erhöhten Thätigkeit eines Organs vorhanden, und letztere eingeleitet, so entwickelt sie sich in reichem Masse fort, wie in den erst genaunten Fällen, so auch in dem unsrigen und sie schwindet erst mit der Nothwendigkeit ihres Eintrittes und Bestehens, d. h. mit der bestehenden Krankheit. Nach dem Gesagten ergeben sich folgende Schlusssätze: 1. Die Leber ist die Bildungsstätte eines eigenthümlichen Fettes, welches sich vor den in anderen Theilen des Körpers abgelagerten Fetten vorzüglich durch seine ausserordentlich leichte Oxydirbarkeit auszeichnet. 2. Das Leberfett ist dasjenige Fett, welches am frühesten für den Stoffwechsel verwandt wird; es tritt als Haupt- factor bei der Verbrennung und Zellenbildung auf. 3. In weit umfangreicherem Malse ist dies der Fall bei den mit unvollkommenen Athmungsorganen ausgestat- teten Wirbelthieren (Amphibien, Fischen u. s. w.); ebenso bei den Vögeln und Säugethieren, so lange sie sich im embryonalen Zustand befinden. 4. Die gewöhnlichen Fälle pathologischer Fettleber (In- filtration) sind nicht als ein einfaches, aus dem Blut abgeschiedenes Fettdepot zu betrachten, sondern auch hier wird das Fett durch die eigene Thätigkeit der Leber erzeugt, oder erhält wenigstens diejenigen Eigenthümlichkeiten, durch welche es sich vor den 54 Dr. OswaldNaumann: Ueber die Bedeutung des Leberfettes u. s.w. anderen Fetten auszeichnet. Es unterscheidet sich hinsichtlich seiner Oxydirbarkeit nicht wesentlich von dem in gesunden Lebern abgeschiedenen Fett. 5. Die pathologischen Fettinfiltrationen der Leber haben mutatis mutandis für den kranken Organismus dieselbe Bedeutung wie die physiologischen für den gesunden; sie sind eine Nothhülfe der Natur, dem kranken Kör- per leicht assimilirbare, zu seiner Forterhaltung noth- wendige Fette zu liefern. Dr. Pineus: Ueber den Bau des Haupthaares u. 5. w. 55 Ueber den Bau des Haupthaares und den Haar- wechsel im mittleren Lebensalter. Von Dr. Pıncus, Docent an der Universität zu Berlin. Meine nun zehnjährigen Beobachtungen über die Entwicke- lung und den Verlauf der chronischen Krankheiten des Haupt- haares führen mich zu zwei Schlüssen: 1. Die bei weitem meisten Fälle dieser Krankheiten fan- gen mit einer Verkürzung der typischen Länge des Haares an; diese Verkürzung, tritt gewöhnlich so ein, dass in einer jeden einzelnen Haargruppe (Haarkreis) je ein Haar von dem Krank- heitsprocess ergriffen ist; die anderen Haare der Gruppe folgen erst viel später. Ist die Verkürzung der zuerst ergriffenen Haare etwa bis zur Hälfte der ursprünglichen Länge gediehen, dann erfolgt zugleich eine Verdünnung des Haares. In einzelnen Fällen (wie ich glaube, besonders bei erb- licher Anlage oder bei Beginn der Krankheit kurz nach Eintritt der Pubertät) tritt Verkürzung und Verdünnung des Haares gleichzeitig auf. Diese Zeitepoche des Krankheitsverlaufs, in welcher das Haar nur an typischer Länge einbüsst, nenne ich das erste Stadium der chronischen Haarkrankheiten. Es ist dies erste Stadium bisher völlig unbeachtet geblieben: man nahm ein Haarleiden bisher nur wahr, wenn ein massenhafter Haarausfall oder eine Verdünnung des Haarwuchses, d. h. eine Verdünnung des Diekendurchmessers eines Theiles der Haare eintrat. 56 . Dr. Pincus: 2. Bei der Beobachtung und Behandlung der chronischen Haarkrankheiten giebt eine häufige Untersuchung des täglichen Haarausfalls das wichtigste Merkmal für die Beurtheilung, ob das Leiden vorschreitet oder abnimmt. Ohne dies Hülfsmittel und bei blosser Betrachtung des le- bendigen Haarwuchses stellen sich dem Auge die Veränderun- gen nur in Zeiträumen von 3 zu 3 Monaten als erkennbar dar: der Haarausfall giebt ein Bild derselben von Woche zu Woche. Die Pathologie und Therapie der chronischen Haarkrank- heiten hat an dem allgemeinen Fortschritt der Medicin nicht Theil genommen, weil das Krankheitsobject ein untergeordnetes, weil es der rationellen Erkenntniss so wenig zugänglich schien und weil seine Veränderungen sich immer nur in sehr grossen Zeiträumen constatiren liessen. Die Betrachtung des Haarausfalls giebt dem Beobachter den deutlichen Abdruck des Zustandes der Matrix; mit einer Ge- nauigkeit, wie schwerlich bei einem anderen chronischen Leiden, lassen sich die Wandlungen des Krankheitsprocesses und die Einflüsse der Veränderungen der Gesammt-Constitution auf den- selben verfolgen. Diese stetige Einsicht in das jedesmalige Sta- dium des Leidens ermöglicht zugleich eine Anordnung der therapeutischen Massnahmen, die von Woche zu Woche geän- dert werden kann, nicht auf Vermuthungen, nicht auf dunkle Mahnungen des practischen Blickes hin, sondern nach klaren Gründen. Die physiologischen Gesetze des Haarwachsthums sind uns zum grössten Theil unbekannt. Für besonders wichtig würde ich die Kenntniss derjenigen Bedingungen halten, welche den Abschluss des typischen Wachsthums regeln. Dieser Abschluss erfolgt (in gesunder Zeit) bei den verschiedenen Haaren in solchen Zwischenräumen, dass kahle Flecke nicht entstehen; die Beobachtungen an den Haaren meiner Finger haben für die kurzen Haare ergeben, dass die in einer Haargruppe zusammen- stehenden Haare sich nie in ein und demselben Stadium ihrer : typischen Entwickelung befinden; sie fallen daher auch nicht zu ein und derselben Zeit aus; die meisten chronischen Krank- heiten der längeren Haare verlaufen so, dass in einer Haar- BENTE .. - Ueber den Bau des Haupthaares und den Haarwechsel u s.w. 57 gruppe nur ein Haar ergriffen ist, das andere oder die beiden anderen bewahren ihre typische Länge und ihren Diekendurch- messer noch viele Jahre. Ich bin bei Untersuchung des Haar- wachsthums der Kopfhaut zu dem Schluss gekommen, dass je- des einzelne Haar einer Gruppe in seiner Entwickelung durch- aus abhängig ist von der Entwickelung seiner Nebenhaare der- selben Gruppe; ich bin auch des Glaubens, dass diese Abhän- gigkeit architektonisch im Bau der Outis festgestellt ist — aber ich bin ausser Stande, mehr als blosse Vermuthungen über diese anatomische Anordnung zu geben. Es muss diese An- ordnung von sehr festem Stil sein: schwere acute Erkrankungen der Cutis (Erysipel) und eben solche chronische (Eezema, Pso- riasis) vermögen nicht, sie zu erschüttern —— der Nachwuchs des Haares, wenn er sich überhaupt einstellt, zeigt dieselbe Un- gleichzeitigkeit im Abschluss des typischen Wachsthums der einzelnen Haare, welche früher vorhanden gewesen, auch wenn der Nachwuchs an Farbe, Elastieität, Straffheit und Dicke sehr er- hebliche Abweichungen erkennen lässt. Bezüglich der Beschaffenheit der einzelnen Haare glaube ich sagen zu dürfen, dass wir wesentliche Momente des nor- malen Baues kennen; die Zahl dieser Momente zu erweitern, ist Zweck der folgenden Mittheilung. (Eine Darlegung der mikroskopischen Verhältnisse habe ich hierbei nicht gegeben: was ich hiervon mitzutheilen hatte, habe ich in einem Aufsatz über die Farbe des Haares der demnächst im Virchow’schen Archiv erscheint, zusammengefasst ) Meine Absicht ist, die typischen Eigenschaften des norma- len Haarwuchses in mittleren Jahren zu schildern. Ich konnte zu diesem Zweck zwei Wege gehen: Ich stellte entwe- der eine gewisse Anzahl Beobachtungen neben einander und zog aus ihnen das arithmetische Mittel, oder ich erörterte einen Einzelfall, der mir einen gewissen Theil der normalen Bedin- gungen harmonisch zu vereinigen schien. Den ersten Weg habe ich nicht gewählt — ich hätte jeden Satz beginnen müssen mit: „In der Regel ist...“ und ihm dann den Nachsatz geben müssen: „In vielen Fällen indess ist es ....“; der Nachsatz hätte das conträre, oft sogar das contradictorische Gegentheil 58 Dr. Pincus: des Vordersatzes enthalten. Wenn ich von mir aus schliessen darf: so erschwert eine solche Darstellungsweise die Uebersicht. Bei einem Gegenstande aber, der den meisten Lesern unfrucht- bar erscheint (und dafür gilt bisher die Pathologie der chroni- schen Haarkrankheiten), kommt es meines Erachtens zunächst darauf an, einige feste Punkte möglichst ohne „aber“ zugewinnen. Ich habe den zweiten Weg gewählt: Die Beobachtungen über die Wachsthumsverhältnisse des normalen Haares sind an einer Dame von 35 Jahren gemacht. Das Haar ist gut, doch nicht gerade üppig zu nennen. Die Dame ist von mittelstarker Constitution und mässig guter Gesundheit; die Kopfhaut ist kräftig (d.h. elastisch, gut gepolstert, mässig leicht verschiebbar, mässig dick); das Haar ist von Jugend auf ohne Anwendung von Reiz- mitteln gut gepflegt worden; es steht dicht, ist elastisch, von mittlerer Stärke und stark aufstrebend (mit tiefer Krinne); die einzelnen Haare sind von annähernd gleicher Dicke. Das Haar ist von fruher Kindheit an etwas kraus und wird auch lockig getragen. Zur richtigen Beurtheilung des Ausfalls eines gesunden oder kranken Haarwuchses müssen nach meiner Meinung fol- gende Fragen beantwortet werden: 1. Der tägliche Ausfall umfasst überhaupt wieviel Haare und von welcher Länge? 2. Von diesen zeigten eine deutliche Spitze ..'.? 3. Ein deutliches Wurzelende fehlte bei ...? (Wurzel- ende abgerissen.) 4. Es fanden sich Haare mit Doppelriss ....? (abgerissene Haarstücke.) 5. Das Wurzelende war dünner und heller bei ...? 6. Die Ausgleichung der Haare der Rubrik 5 erfolgte bei welchen Theil der absoluten Haarlänge? 7. Unter den Haaren, deren ganze Entwickelung sich übersehen lässt, sind ... von geringem Dickendurch- messer? Nach diesen Beziehungen hin soll der nun folgende Haar- ausfall betrachtet werden. Ueber den Bau des Haupthaares und den Haarwechsel u. s. w. 59 I | ä ER ae 5 | Wurzelende dün- | # SE |an , =”, |828|58 _ |ner und heller, | > 2 ö u 38 | 83 35 ‘die Ausgleichung | * & Bemer- 8 Ei 52|2|85 jist erfolgt nach| #3 kungen 8 gr 2” | eo ® ... Zoll vom a E ci A | Az & | Wurzelende & A. Haarausfall am 27. Juni 1868. 1 3 | 1 ’ .. | Wurzelende abgerissen Bel ı h 1 | | 4 s 1 - . dünner, 1% | . ö 1 dünner, heller, 24| . | Wurzelende abgerissen 6 1 : - dünner, heller, 1 7 > 1 5 1 : 1 8 5 ; 1 - ı dünner, heller, 2 9 . 1 b - | dünner, heller, 2 10—11 1 5 1 > N . 12 - 1 i . dicker, 2% . | Wurzelende dicker 13 6 1 heller, 2% 14 1 1 B 15—16 . 1 B 1 A 5 17 . S il © dünner, 2 18—20 | -» 1 R . dünner, 2 21—22 | 7 1 5 & dünner, 4 o 23 . 1 dünner, 2 24 - B 1 dünner, 3 R 25—26 . il dünner, 3 27 5 1 . | dünner, heller, 2 e 238—29 5 1 1 A 5 30 5 N dünner, heller, 3% | - 31 s a 1 1 R ö 32 8 1 6 a heller, 3 B . 33 . 1 B e dicker, 3 . | Wurzelende | t dicker a—-5|.. | 1 I. | dünner, heller, 4 36—39 ; 1 & 3 dünner, 3 40 1 % dünner, heller, 2 41 1 a 1 42 N OP ER RE LE Ä 43—44 | 9 1 R } dünner, 3 & 5 45—4 | . 1 & 1 a N > 48 . . 1 1 . 6 B & >) Dr. Pineus: zu 7 EN, u = Ba l* =53| S Wurzelende dün- | = ES a “3 | =. ner und heller, „ | A a8 35 85 | 88 ‚die Ausgleichung = Bemer- ® SE SE | = Be ist erfolgt nach 353 | kungen & Ei | 2” er | E RR en N : | E | 5 | 2 | = Wurzelende a 49 ö 1 . e dünner, 3 . . 50 1 B . | dünner, heller, 3 ; 51 K 1 g dünner, heller, 4 . 52 10 ® 1 dünner, 5 | Wurzelende | abgerissen 53 ie dünner, 5 | Wurzelende abgerissen 54 N 1 dünner, 5 3%) 4 1 | ; dünner, 3 6 i 1 1 r 57 ; 1 5 dünner, heller, 3 , 58 11 1 I R heller, 2 59 R 1 : - dünner, 4 : 60 12 i 1 . dünner, heller, 6 61 1 i dünner, 2 . 62 I S 1 dünner, 3 | 63 13 | r 1 dünner, 6 64 ; 1 dünner, 2 s 65 - 1 . dünner, 4 66 14 \ 1 h dünner, 8 67 15 5 L h dünner, 4 . 68 3 1 . | dünner,6, heller,2 69 1 \ dünner,7, heller,3 70 ? i 1 o dünner, 2 B 71 ‚16 . 1 5 dünner, 6 . 72 ll ’ dünner, 3 } 73 - StalnEHT R dünner, 2 . | gespalten 74 17 a | 1 1 - | : B. Haarausfall am 28. Juni 1868. 1 | 2 | a! | 1 | Ic | ZRH 1 BR e 1 . a 1% | dieker,dunkler,14| 1 | Wurzelende | | | | | dieker und | | | dunkler 4 | 5 | 1 i . \ Wurzelende abgerissen Ueber den Bau des Haupthaares und den Haarwechsel u. s. w. 61 || Laufende Nummer | l I I [> 30—31 35—39 40—4l 42 —43 50-51 53—54 | ı | in pariser Zoll I . || Länge des Haares | | 1} P) 10 12 13 | Die Spitze ist deutlich u u El u Bu BE Be wur [ne u m Su Be Jeahl Pass Para u | Die Spitze fehlt oder ist undeutlich [ser } u 7 Hr ner und heller, die Ausgleichung ist erfolgt nach ... Zoll vom Wurzelende dünner, % dünner, heller, 2 dünner, heller, 2% dünner, heller, 2 dünner, 2 dünner, 2% dünner, 2% dünner, 3 dünner, heller, 2 dünner, 3 heller, 3 dünner, heller, DS [34] dünner, 2 dünner, 3 dünner, 3 dünner, heller, dünner, 3 dünner, heller, dünner, heller, PS dünner, 3 dünner, 5 dünner, 3 ' Das Haar ist sehr | r dünn EN Bemer- kungen Wurzelende abgerissen Wurzelende abgerissen Wurzelende abgerissen {ep} D&D Dr. Pineus: s &= s = ® | Wurzelende dün- = 3 EN |S= |#3 | 5, |ner und heller | 2 a 28,23 | 88 | 85 |die Ausgleichung "= | ‚Bemer- 3 SE |8E |&, | 85 list erfolgt nach SZ | kungen & Sen 2° | en et... zoll som a S = A = Wurzelende E . 1 dünner, 5 o E 14 1 A dünner, 5 . 1 1 , - 1 5 2 dünner, 3 3 1 . dünner, 4 . | gespalten 1 . | dünner, heller, 7! . | gespalten C. Haarausfall am 29. Juni 1868. 1 . 1 1 . 1 B 1 | ß ' B 1 1 Wurzelende abgerissen. Gespalten 1 2 1 - 1 E 1 1 > 1 1 1 e 1 ; . 1 . . dünner, 1% . 1 dünner, heller, 1%4| - 1 dünner, % 1 o 2 dünner, 1 - - 1 1 Wurzelende . abgerissen ; 1 A dünner, 1% c < 1 5 1 > 1 . 1 . dünner, 1% . e 1 > dünner, 1 1 » | dünner, heller, 1% 1 . . | dünner, heller, 2 - 1 ; . |dicker, dunkler, 2) . | Wurzelende dicker und dunkler dünner, 1 - dünner, 2% 1 dünner, heller, 1% | A dünner, 1% dünner, heller, 2 ee En Ueber den Bau des Haupthaares und den Haarwechsel u. s. w. 63 s re = ee 5 Wurzelende dün- ä 3 ES | 5= | *&8 | 5, |ner und heller, | „ Z PS =3 s® 35 die Ausgleichung | 7 3 Bemer- 3 SE |a: | 3% 55 ist erfolgt nach 3° kungen ® Se | 2 Bi S . Zoll vom 2 3 Br SE: Wurzelende S 30 11 | dünner, 2 31 1 c s heller, 2 32 l : . | dünner,3, heller,2 33 1 . . | dünner, heller, 3 34—35 7 1 R 1 : 36—41 1 dünner, 3 42 3 1 . dünner, 2 43 1 dünner, 2 44—46 1 dünner, heller, 3 47 1 dünner, heller, 2 48 1 dünner, heller, 2% 49 s 1 . . | dünner, heller, 4 50 8 E 1 Ä dünner, 2% 51—52 1 dünner, 3 53 8 1 { dünner, 2 54 a 1 55 1 dünner, 2 36—58 1 dünner, 3 59—62 | 1 dünner, 4 RR 1 dünner, heller, 3 64 1 dünner, 44, heller, 34 65 10 1l dünner, 2 66 £ 1 dünner, 3 67 2 1 E dünner, 4 68 1l 1 3 . | dünner,4, heller,3 69 N 1 dünner, heller, 4 70 12 N dünner, heller, 3 71—72 1 i dünner, 4 73 1 dünner, 4 74 - 1 dünner, heller, 4 75 A R 1 & dünner, 5 76 13 1 düuner, 3 77 1 dünner, 4 78 1 dünner, 5 79 \ E 1 2 dünner, 6 80 14 1 ä dünner,5, heller,4 öl 15 1 1 o 82 1 s dünner, 4 Br. 1 - dünner, 6 | ler 64 Dr. Pineus: Für die Beurtheilung der normalen Wachsthumsverhältnisse ist es nicht nöthig, dass ich den Haarausfall der einzelnen Tage gesondert betrachte; die Differenzen der einzelnen Tage sind nicht erheblich: die Fehlerquellen werden aber doch verringert beim Zusammenfassen der 3 Zahlengruppen. 1. Der Gesammtausfall der 3 Tage beträgt 220 Haare, d.h. pro Tag 73. In der Regel stellt man sich den täglichen Haarverlust in mittleren Jahren nicht so hoch vor. In der That ist er auch bei schlichtem und längerem Haar gewöhnlich nicht höher als 95—60; aber selbst diese Zahl wird von der gewöhnlichen An- nahme nicht vermuthet. In jüngeren Jahren (20—30) beträgt die Durchschnittzahl 90, in höheren (50—60) 120 und mehr, weil die beginnende Calvities die Lebensdauer eines Theiles des Haarwuchses abkürzt und somit einen raschen Wechsel herbeiführt. Von den 220 Haaren zeigten eine Länge von bis 2 Zoll 1 (0,4 pCt. des Gesammtausfalls) 2—6 „ 96 (25 pCt.) über 6 „ 163 (74 pOt.). Es erlangen sonach nur drei Viertel der Haupthaare eine Länge von über 6 Zoll. Man möchte a priori den Einwand machen: ein Haarwuchs, der eine grössere Durchschnittslänge besitzt als der geprüfte, zeige auch einen grösseren Procentsatz langer Haare — indess ich habe diese Vermuthung nicht bestätigt ge- funden: es ist auch in solchem Falle ein jedes vierte Haar ein kurzes. Diese Thatsache widerspricht gleichfalls der geläufigen Voraussetzung. Die kurzen Haare werden theilweise geliefert von dem an der äussersten Peripherie des Haarwuchses gelegenen Streifen, theilweise aber auch von dem centralen Theil des Haarwuchses. Bezüglich des ersteren lehrt der Augenschein, dass die daselbst wachsenden Haare ursprünglich auf eine geringe typi- sche Länge veranlagt sind; bezüglich des letzteren ist eine di- recte Beobachtung unmöglich: man ist auf Schlüsse angewiesen ; zweierlei ist möglich: entweder ist ein gewisser Theil der cen- Ueber den Bau des Haupthaares und den Haarwechsel u. s.w. 65 tralen Haare gleich den Haaren des Randstreifens ursprünglich kurz veranlagt oder das ursprünglich auf eine grössere Länge veranlagte Wachsthum modifieirt, unterbrochen. Ä Mir ist die letztere Möglichkeit die wahrscheinliche: Es lehrt nämlich die Betrachtung der Haare, dass sie, ganz gleich, welches ihre typische Länge ist, in der Regel etwas hinter der Mitte ihrer Länge an Dicke und Farbensättigung abnehmen; nun wird sich bei Erörterung der dritten Frage ergeben, dass in dem untersuchten Fall von den kurzen Haaren die Hälfte ein unverändertes Wurzelende zeigte, von den langen nur ein Viertel; es fand sich somit der als normal anzunehmende Dop- pel-Spindel-Bau bei drei Viertel der langen Haare, aber nur bei der Hälfte der kurzen. Dass auch bei den langen Haaren eine Abweichung von dem als normal angenommenen Bau vorkommt, berechtist zu dem Schluss: es seien die ursprünglichen archi- tektonischen Anlagen der Haarfollikel nicht gleich; denn es lässt sich für die lang gefundenen Haare eine plötzliche, vor- zeitige Unterbrechung ihres Wachsthums nicht annehmen. Aber den erheblich grösseren Procentsatz der kurzen Haare mit un- verändertem Wurzelende kann man, wie ich glaube, nicht an- ders deuten als durch die Annahme: ihr typisch veranlagtes Längenwachsthum sei abgekürzt worden. Zur Unterstützung dieser Schlussfolgerung darf ich wohl noch hinzufügen, dass ich bei chronischen Erkrankungen des Haares (Alopecia pityrodes, Calvities incipiens !), bei welchen die Verkürzung der typischen Länge ein wesentliches Symptom ist, das Procentverhältniss der kurzen Haare mit unverändertem Wurzelende erheblich gesteigert ‘gefunden habe (für die Haare bis zu 6 Zoll Länge auf 95 pCt.). Die Möglichkeit einer frühen Erkenntniss der meisten chronischen Krankheiten des Haupthaares beruht nach meiner Meinung auf Feststellung der Procentzahl der kurzen Haare im normalen Haarausfall. In der Tabellenanlage ist bei Angabe der Länge des Haares so verfahren worden, dass von den Zoll- 1) Virchow’s Archiv Bd. 37, Bd. 41, Bd. 45. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1371. 5 66 Dr. Pineus: bruchtheilen abstrahirt wurde; demgemäss zeigten von den 220 Haaren eine Länge von bis 4 Zoll (exel.) 19, d.i. 9 pCt. In diesem Verhältniss finden sich auch die von mir als Spitzenhaare bezeichneten Haare mit vollständiger Entwickelung in dem Haarausfall gesunder Männer bei einer Haartracht von . etwa 4!/, Zoll Länge; bei kürzerer Haartracht fällt der Procent- satz der Spitzenhaare auf 5 und noch weniger. Bei chronischer Haarerkrankung steigt dieser Procentsatz sehr früh. 2. Von den 220 Haaren zeigten eine deutliche Spitze 162 — 74 pCt. und zwar von den 57 Haaren bis zu 6 Zoll 46 = 81 pCt. von den 163 über 6 Zoll 116 = 71 pCt. Ob ein Haar seine deutliche Spitze bis zu seinem Ausfall be- hält oder nicht, das hängt zum Theil ab von seinem ursprüng- lichen Bau (Festigkeit und Elastieität der Rindenzellen), zum Theilvon der mehr oder weniger schonenden Behandlung des Haar- wuchses. Die Festigkeit und Elasticität der Rindenzellen neh- men stetig ab mit dem zunehmenden Alter des Individuums: bei gesunden Kindern haben fast alle ausfallenden Haare ihre deutliche Spitze behalten, in den zwanziger Jahren etwa 90 pCt., im 60. Jahre etwa 45. Lockiges Haar bewahrt seine Spitze nicht so lange wie schlichtes: natürliche Folge des Umstandes, dass bei schlichtem Haar die Rindenzellen mehr in einer (auf die Längsaxe des Haares senkrechten) Ebene liegen, während bei krausem Haar die Zellen in einer schraubenförmig ansteigenden Linie an ein- ander gefügt sind. 3. Ein deutliches Wurzelende fehlte bei 10 Haaren; von diesen hatten 7 eine Länge unter 6 Zoll. Ich habe auch bei der vorsichtigsten Haarfrisur von Frauen in mittleren Jahren stets eine kleine Anzahl Haare im Ausfall gefunden, denen das Wurzelende fehlte: sie waren abgebrochen oder abgerissen. Je jünger das Individuum, desto geringer ist die Anzahl. Unter den Krankheiten haben bekanntlich die Pilzaffeetionen ein häufiges Abbrechen des Haares zu Folge: die Bildungsstätte funttionirt nicht normal, das gebildete Haar wird Ueber den Bau des Haupthaares und den Haarwechsel u. s. w. 67 durch die hineinwuchernden Pilze aufgelockert und das Secret der Talgdrüsen wird dem Haar nicht in der gewohnten Menge (vielleicht auch nicht in der gewohnten Qualität) zugeführt; alle drei Momente wirken zusammen. Auch bei Alopecia areata (Area Öelsi) bricht das Haar häufig ab. Unter den Dyskrasien hat die Syphilis nach meinen Beobachtungen diese Wirkung sehr oft, auch wenn ein Exauthem der Kopfhaut oder eine Pi- tyriasis capitis (Seborrhöa sicca-Hebra) nicht vorhanden ist. Es liegt bei beiden zuletzt genannten Zuständen ein Vitium primae formationis vor. 4. Haare mit Doppelriss (kleine abgerissene Haarstücke) fanden sich gar nicht. Ich habe sie bei Locken-Frisur nie ge- sehen. Sie sind stets Folge unvorsichtigen Frisirens; ihre grös- sere oder geringere Zahl ist deswegen für den Therapeuten von Bedeutung; für die physiologische Betrachtung sind sie nur insofern von Werth, als sie sich erfahrungsgemäss häufiger fin- den bei dickem und wenig elastischem Haar (z. B. im höheren Alter). 9. Das Wurzelende war in Farbe und Dicke unverändert unter den Haaren bis zu 6 Zoll bei 27 = 47 pCt. über 6 Zoll bei 37 = 22 pCt. Die Bedeutung dieser Zahlen ist bereits bei Besprechung des ersten Punktes erörtert. Das Wurzelende war heller und (oder) dünner unter den Haaren bis zu 6 Zoll bei 24 = 44 pCt. über 6 Zoll bei 127 = 77 pCt. Das Wurzelende war dicker und dunkler bei 4 Haaren. Diese Steigerung der Dicke und Farbenintensität nach der Wurzel hin ist eine höchst merkwürdige Abweichung von der Norm, die ich nur in jüngeren und mittleren Jahren gefunden habe. Sie kann in zweifacher Weise zu Stande kommen: ent- weder wird das Haar im ersten Stadium seines Wachsthums (in welchem von der Spitze an eine stetige Dicken-Zunahme erfolgt) ganz plötzlich unterbrochen und kommt in diesem un- fertigen Zustande zum Abschluss; oder die Papille nimmt gegen Ende des typischen Wachsthums ganz plötzlich an Dicke zu; über die eventuellen Ursachen dieser Umfangs-Zunahme der 5* 68 Dr. Pineus: Papille weiss ich Nichts zu sagen und ich weiss auch nicht, welche Momente die Vermehrung der Pigment-Ablagerung be- dingen. Der Zustand ist mir völlig räthselhaft und nur das Eine hebe ich nochmals hervor, dass eine solche Zunahme der Farben-Intensität und des Umfanges sich niemals bei Zuständen findet, die in eine allgemeine Atrophie der Outis auslaufen (Cal- vities senilis und praematura, Alopecia chronica, Canities senilis nnd praematura). 6. Der Punkt, an welchem die bei No. 5 angegebene Ver- änderung des Wurzelendes der Haare begann, lag bei den Haa- ren über 6 Zoll in der Mitte des Haares bei 34 Haaren = 27 pCt. im Anfang des letzten Drittels Mae ln. 5 N, „. Miertels 1,720) DS onen r = 5 „u Eünttels 0 @roı mE =4 ,„ 5 & ® „iR Bechstelsmins names ul. » “ 2 „ .Achtels u. noch näher am Wurzelende „ 5 „ =23 „ Es umfasst sonach die Veränderung des Wurzelendes bei /; derjenigen Haare, welche dieselbe überhaupt zeigen, ein Drittel der ganzen Haarlänge und mehr. Die Verdünnung und das Hellerwerden des Wurzelendes entspricht nach Umfang und Grad dem Rückgang, der Atrophie der Matrix. Aus dem Maass, welches sich für den Gang dieser Atrophie ergiebt, darf man, wie ich meine, einen Schluss machen auf die Geschwindigkeit der Rückbildungsprocesse im Gesammtorganismus des Individuums. Meine bezüglichen Beobachtungen sind noch viel zu wenig um- fangreich, um mich zu allgemeinen Schlüssen zu berechtigen. Das aber glaube ich sagen zu dürfen: bei guter Constitution und guter Gesundheit weicht der Typus der Haarentwickelung in mittleren Jahren in dieser beregten Beziehung nicht wesent- lich von den hier angegebenen Zahlen ab; in jüngeren Jahren habe ich eine mehr gleichmässige Vertheilung auf alle oben angegebenen Bruchtheile der absoluten Haarlänge gefunden; in höheren Jahren habe ich eine zweifache Veränderung gesehen: es rückt nämlich (etwa in 5—10 pCt. der bezüglichen Haare) der Punkt der beginnenden Veränderung mehr nach der Spitze Ueber den Bau des Haupthaares und den Haarwechsel u. s., w. 69 hin bis zum Anfang des zweiten Drittels und es findet sich zu- gleich bei einer grösseren Anzahl Haare (als in mittleren Jah- ren) der Punkt näher dem Wurzelende, Dieser Befund ist wi- derspruchsvoll. Es wäre möglich, dass die letzteren Haare vor- zeitig in dem Abschluss ihrer Entwickelung unterbrochen wor- den sind (Calvities ineipiens) und dass das Hinaufrücken des Punktes, d. h. also die langsamere Rückbildung allein den Ty- pus des Greisenalters bildete; ich vermuthe dies, aber ich kann meine Vermuthung nicht weiter begründen. Von den Haaren unter 6 Zoll muss man für Feststellung dieses Punktes abstrahiren: die Fehlerquellen sind sonst zu gross, man kann gar nicht sagen, wie viele dieser Haare vorzeitig in ihrem Lebensgange unterbrochen worden sind. 7. Unter den Haaren, deren ganze Entwickelung sich übersehen liess, fanden sich 9 mit sehr geringem Dickendurch- messer; keines derselben hatte eine Länge von 5 Zoll; sie waren also zumeist von dem peripherischen Randstreifen gebildet. Man kann bei den meisten Individuen 3 Grade der Stärke der einzelnen Haare unterscheiden: bei sehr kräftigem Haar- wuchs lassen sich nur zwei Kategorien sondern, es sind hier die Differenzen zwischen den starken und mittelstarken Haaren zu gering, als dass sich (auch bei grosser Uebung und Geduld) eine feste Unterscheidung machen liesse. Bei weniger kräftigem Haarwuchs findet man entweder in einem Haarkreise alle 3 Stärken oder wenigstens 2 vertreten — oder die Ver- theilung geschieht so, dass der eine Haarkreis starkes Haar producirt und der benachbarte das mittelstarke, ein dritter das feine; die zweite Vertheilungsart ist nach meinen Beobachtun- gen die seltenere — ich weiss aber Nichts darüber, ob bei ihr der betreffende Haarkreis auch beim Wechsel des Haares stetig nur dieselbe Dicke producirt oder ob ein Wechsel eintritt; ich halte die zweite Alternative nicht für unmöglich: selbstverständ- lieh müsste alsdann der Bau der Follikel und Papillen beim Haarwechsel sehr erhebliche Veränderungen erfahren haben. Die ursprüngliche Anlage entscheidet, ob die Dicke der einzelnen Haare verschieden oder mehr gleichmässig ist, es scheint mir, dass die ursprüngliche Anlage mit der der Ent- 70 Dr. Pincus: Ueber die Bedeutung des Haupthaares u. s. w. wiekelung des Individuums keine Veränderung erfährt; indess meine Beobachtung erstreckt sich nur auf einen Zeitraum von 10 Jahren und eine Vergleichung von Individuen aus verschie- denen Altersstufen führt nicht zum Ziele. | Die gewöhnliche Beobachtung lehrt, dass in sehr vielen Fällen mit dem Beginn der Pubertät die Dicke der einzelnen Haare zunimmt (ohne dass jedoch das Proportionsverhältniss der Dicke der Haare unter einander eine Veränderung erfährt); zuweilen auch tritt dieselbe Veränderung nach der ersten Gra- vidität ein. Mit der Involution des Körpers beginnt die Oalvities, die stets eine Abnahme der Dickendimension der Haare bedingt. Dr. W. Dönitz: Beobachtungen über Radiolarien. 71 Beobachtungen über Radiolarıen. Von Dr. W. Dönıtz. (Hierzu Taf. II.) Das noch mangelhafte Verständniss vom Bau der Radio- larien beruht im wesentlichen darauf, dass wir so wenig un- terrichtet sind über die Abstammung sowohl des ganzen Orga- nismus wie seiner einzelnen Theile. Wenn z. B. J. Müller die grossen, ausserhalb der häutigen Kapsel gelegenen Alveolen aus kleinen Bläschen hervorgehen lässt, so ist damit wenig für das Verständniss gewonnen, denn man bleibt über den Ursprung der kleinen Bläschen, die ja auch nichts weiter als Alveolen sind, im Unklaren. Haeckel') bestätigt nur die Beobachtung J. Müller’s, ohne über die Abstammung der Bläschen etwas ermitteln zu können. A. Schneider?) kam mit seinen Beob- achtungen einen Schritt weiter. Er schälte die häutige Central- kapsel einer Thalassicolla nucleata aus dem umgebenden Weichkörper heraus und sah nach zwölf Stunden von der gan- zen Oberfläche derselben neue Pseudopodien ausstrahlen und später auch wieder Alveolen auftreten. Die Alveolen scheinen ihm nur „eine besondere Form der Sarcode“ zu sein, da sie 1) Die Radiolarien. Berlin 1862. S. 88. 2) Zur Kenntniss des Baues der Radiolarien. Dieses Archiv 1867. S. 509. 72% Dr. W. Dönitz: oft mit den Strängen derselben in ununterbrochenem Zusammen- hange gesehen werden. Diese Ansicht steht in Widerspruch mit der Angabe von J. Müller, wonach jede Alveole von einer zwar sehr zarten, aber klar und scharf umschriebenen, beson- deren Membran ausgekleidet sein soll. Auf eine Erklärung die- ses Widerspruches lässt sich Schneider nicht ein. Ebenso wenig wie über die Abstammung ist man über das Vorkommen der Alveolen im Klaren. Haeckel behauptet, dass extracapsuläre Alveolen bei allen polyzoön Radiolarien vorkämen, hat aber selber Collozoum ohne solche gesehen, und ich habe sie bei derselben Art, bei Collosphaera Hux- leyi, bei Sphaerozoum u. a. häufig vermisst. Frühe Entwickelungsstadien der Radiolarien sind nur selten zur Beobachtung gekommen. Die Erfahrungen, welche man darüber .besitzt, sind zum grössten Theil an Collosphaera Huxleyi gesammelt und gehen darauf hinaus, dass jugendliche Nester des Pigments und der Krystalle innerhalb der Central- kapsel entbehren. Diese Beispiele werden genügen, um zu zeigen, wie dürftig unsere Einsicht in den Bau der Radiolarien ist. Da ich nun einige Beobachtungen gemacht habe, welche unsere Kenntniss zu erweitern scheinen, so theile ich diese hier mit. Die jüngsten Stadien von polyzoen Radiolarien fand ich im März in Palermo. Da ich damals noch nicht wissen konnte, dass ich Entwickelungsformen von Radiolarien vor mir hatte und ausserdem mit anderen Arbeiten beschäftigt war, so unter- liess ich es leider, Zeichnungen davon anzufertigen und muss mich daher jetzt auf die blosse Beschreibung beschränken. Ich fischte damals mit dem Mullnetz hyaline Bläschen, von etwa '/; Mm. Durchmesser, an deren Oberfläche in unregelmässigen Abständen sich gelbe Körper befanden, welche das ganze Bläs- chen dem unbewaffneten Auge gelblich erscheinen liessen. Bei stärkerer Vergrösserung machten die gelben Körper durchaus den Eindruck von ziemlich platten Zellen, welche der Membran des wasserhellen Bläschens auflagen, denn sie schienen eine Membran zu besitzen und enthielten Gebilde, die wie Kern und Beobachtungen über Radiolarien. 73 Kernkörperchen aussahen. Der übrige Inhalt dieser zellartigen Körper bestand in gelbem Pigment und Fettkörnchen. Da mir aber die Abstammung dieser Körper unbekannt geblieben ist, so möchte ich, um nichts zu praejudiciren, sie nicht ohne wei- teres der äusseren Aehnlichkeit wegen für Zellen ansprechen, sondern werde sie nur die zellenähnlichen Körper nennen. Von Wichtigkeit für die Beurtheilung späterer Stadien scheint mir zu sein, dass diese Körper zerstreut auf der Membran eines mit Flüssigkeit gefüllten Bläschens sassen. Das nächst folgende Stadium fand ich im April in Nea- pel (Fig. 1). Die zellartigen Körper hatten ein wenig an Vo- lumen zugenommen, doch so, dass immer noch ein verschieden breiter Zwischenraum je zwei von ihnen trennte. Von der durch eine unregelmässig verlaufende Linie bezeichneten Peripherie dieser Körper gingen durchsichtige, farblose Fortsätze aus, welche langsam ihre Gestalt änderten und, wie es schien, sich hin und wieder mit Fortsätzen des benachbarten Körpers in Verbindung setzten. Der schwach grünlich gefärbte hyaline Inhalt führte kleinere und grössere discrete Körnchen von intensiverer moosgrüner Farbe, und Kügelchen, deren Lichtbrechungsver- mögen an Fetttropfen erinnerte und deren Farbe ein mattes blaugrün war. Durch die in ihrer Hauptrichtung radiär ver- laufenden hyalinen Fortsätze, so wie durch die Anordnung der gefärbten Körnchen erhielten die Körper ein schwach radiär gestreiftes Aussehen. Die eben erwähnten Fortsätze, von denen ich in dem vor- aufgehenden Entwickelungsstadium noch nichts wahrnahm, sind Pseudopodien in ihren ersten Anfängen. Hier würde es sich nun fragen, ob die Scheinfüsschen von dem Inhalt des zellarti- gen Körpers ausgesandt werden, oder ob ihr Mutterboden ausser- halb desselben liegt. Trotz aller auf diesen wichtigen Punkt verwandten Mühe gelang es mir nicht, diese Frage zu entschei- den. Die, wenn auch nicht ganz regelmässig erscheinende ra- diäre Anordnung der grünen Körnchen spricht für einen Zu- sammenhang des Inhalts mit den radiären Pseudopodien. Für die Selbständigkeit der letzteren spricht dagegen der Umstand, dass sie selber farblos sind, der hyaline Inhalt aber grün gefärbt a Dr. W. Dönitz: ist; und zwar ist die grüne Farbe desselben nicht nur ein Wi- derschein der grünen Körnchen, ‘denn sie findet sich auch an Stellen, wo auf eine verhältnissmässig grosse Entfernung hin selbst bei etwa 600facher Vergrösserung kein Pigment-Körnchen wahrgenommen wird. — Ferner liess sich nicht entscheiden, ob zwischen der grünen Masse und den Pseudopodien sich eine Membran vorfindet. Sind die polyzo&n Radiolarien etwas weiter entwickelt, so breiten sich die Pseudopodien weithin über das Bläschen aus und verflechten sich mit denen der benachbarten grünen Körper. Betrachtet man jetzt einen solchen Meerqualster im optischen Querschnitt, so sieht man die in Rede stehenden zellartigen Körper dicker geworden und frei in den Binnenraum des gan- zen Bläschens hervorragen, sich also gar nicht oder nur unbe- deutend über die äussere Oberfläche desselben erheben (Fig. 2, 3 und 6). Gegen den Hohlraum hin sind sie von einer feinen Membran begrenzt, welche aus derselben Substanz wie die Pseudopodien zu bestehen scheint, da sie allem Anschein nach seitwärts in dieselben übergeht; sie würde also aus contractiler Substanz bestehen. Es ist aber auch möglich, dass diese die grünen Körper gegen den Binnenraum abgrenzende Membran nichts anderes ist als die im ersten Entwickelungsstadium er- wähnte Membran des Bläschens, auf welcher die grünen Körper sitzen. Die fragliche Membran einerseits und die Pseudopodien andererseits umschliessen das Umwandlungsproduct des früheren zellartigen Körpers, auf welchen jetzt nach der gebräuchlichen Terminologie der Ausdruck „Nest“ angewandt werden kann. Der Inhalt des Nestes ist durch das Auftreten zahlreicher klei- ner, häufig zu Drusen vereinigter Krystalle so undurchsichtig geworden, dass man das Schicksal des Kernes nicht ohne wei- teres verfolgen kann. Vielleicht bringt ein noch aufzufindendes Zwischenstadium- näheren Aufschluss. Zur Zeit lässt sich nur mit Wahrscheinlichkeit sagen, dass der Kern des früher zell- artigen Körpers sich stark vergrössert und das spätere Nest darstellt. Die Pigmentkörper finden sich in beiden Stadien, nämlich in den von mir beobachteten frühen Entwickelungszu- ständen als grüne Körper von verschiedener Grösse, in den Beohachtungen über Radiolarien, 75 reiferen Zuständen als die bekannten gelben Körper, die vielfach für Zellen angesehen worden sind. Die Lage des gelben Pig- mentes im Bereiche der contractilen Substanz, ausserhalb der Membran des Nestes, welche in ihren Eigenschaften der Central- kapsel der einfachen Radiolarien entspricht, würde zu der Vor- aussetzung stimmen, dass aus dem Kern das Nest selber her- vorgeht. Das dem Kernkörperchen entsprechende Gebilde ist es dann wahrscheinlich, welches sich in den centralen Oeltropfen verwandelt. Ungefärbte, grössere und kleinere Kügelchen, welche manch- mal in der Lücke zwischen der inneren Grenzmembran und dem Nest anzutreffen sind (Fig. 2), scheinen zufällige Vorkommnisse zu sein. Ob die gelben Körper wirklich Zellen sind, wie Haeckel annimmt, ist zum mindesten sehr zweifelhaft. Die Gründe, weshalb man sie für Zellen hält, sind die Anwesenheit einer Membran und eines Kernes, und vor allen Dingen häufig beobachtete Theilungserscheinungen, d. h. eine Vermehrung durch Theilung. Die Membran ist leicht, selbst ohne Anwendung von Reagentien, zu sehen. Bei Kali- oder Schwefelsäurezusatz hebt sie sich zunächst blasenförmig ab und löst sich dann völlig auf. Aber das meist vorhandene helle Bläschen kann man nicht ohne weiteres Kern nennen. So oft ich auch nach einem Kernkör- perchen gesucht habe, war meine Mühe vergebens. Häufig wird einsolches durch einen grösseren, voroder hinter dem Bläschen liegenden, gewöhnlich orange-rothen Fetttropfen vorgetäuscht. Was endlich die Theilungserscheinungen betrifft (Fig. 11), so beweisen sie für die Zellnatur der gelben Körper gar nichts, da ja auch Chlorophylikörner innerhalb notorischer Zellen sich theilen, wie man dies z. B. bei Gefässeryptogamen täglich zu beobachten Gelegenheit hat. So lange man daher nichts nähe- res über die Lebenserscheinungen und die Herkunft dieser Pig- mentkörper weiss, wird man gut thun, mit dem Urtheil über ihre Natur zurückzuhalten und sie einfach als gelbe Körper zu bezeichnen. Die meisten Radiolarien, welche ich in dem zuletzt ge- schilderten Stadium antraf, gehörten dem Formenkreis des Col- lozoum inerme an. Es kamen aber auch Formen vor (Fig. 5), 76 Dr. W. Dönitz: deren Nester mit unregelmässig gebogenen, zusammengesetzten, manchmal mittelst ihrer Spitzen anastomosirenden Kieselstacheln besetzt waren. Die Figur zeigt wohl besser als jede Beschrei- bung die Unregelmässigkeit in der Verästelung nnd Anordnung dieser Stacheln. Am besten lässt sich diese Form, wenn man nicht ein neues Genus dafür schaffen will, dem Genus Sphae- rozoum unterordnen. Die Species scheint mir neu zu sein und ich schlage für sie den Namen Sphaerozoum Sanderi vor, zum Andenken an meinen Freund und Reisegefährten Dr. Julius Sander. Bisher sind uns noch nirgends Alveolen begegnet. Mit der Bildung derselben treten die Radiolarien in das nächst fol- gende Stadium, mit welchem sie ihrer vollendeten Form, so weit sie bekannt ist, entgegengehen. In ausgezeichneter Weise habe ich die Bildung der Alveolen bei Collozoum inerme beobachtet. Im Mai (in Neapel) sah ich in der die Kapsel (Gentralkapsel) umgebenden contractilen Substanz kleine, mit hyaliner Flüssigkeit erfüllte, kugelförmige Räume auftreten, von denen einzelne, die gegen den Binnenraum des Meerqualsters hin gelegen waren, sich unter meinen Augen vergrösserten, und über die Oberfläche hervorragten. Der prominirende Theil schnürte sich allmählig ab, indem er sich mehr und mehr vom Nest entfernte, während er durch einen anfänglich breiten, hoh- len Stiel mit ihm in Verbindung blieb (Fig 4). Während die Einschnürung und die Entfernung der Blase vom Mutterboden langsam und stetig vor sich geht, zeigt sich eine ziemlich leb- hafte Bewegung in der Wand der Blase und des Stieles, also in der contractilen Substanz. Punktförmige oder etwas in die Länge gezogene verdickte Stellen wandern auf und ab, ver- schwinden und bilden sich auf's Neue. Es sind die bekannten Bewegungserscheinungen der contractilen Substanz, welche hier an einer ungemein dünnen Membran ablaufen. Diese sogenannte Körnchenbewegung zeigte sich noch an den Stielen der Blasen, als sie schon zu ganz dünnen Fäden ausgezogen waren. Trotz der Feinheit dieser Stiele mussten sie doch noch hohl sein, denn es liess sich noch eine fortdauernde Vergrösserung der zugehörigen Blasen bemerken, die wohl nur dadurch zu Stande Beobachtungen über Radiolarien. var kam, dass den Blasen fortdauernd Flüssigkeit vom Nest aus zugeführt wurde, wenn sie nicht etwa, was immerhin unwahr- scheinlich ist, durch direete Diffusion durch die Blasenwand veranlasst war. Das Ende des ganzen Vorgangs hatte ich nicht Gelegenheit zu beobachten. Es besteht jedenfalls darin, dass die Bildung neuer Blasen und Alveolen aufhört, sobald der Binnenraum des Meerqualsters ganz mit Alveolen angefüllt ist. An Exemplaren von Collozoum, welche mit extracapsulären Alveolen schon versehen sind oder im Begriffe stehen, solche zu bilden, fand sich der Raum zwischen der Centralkapsel und dem centralen Oeltropfen immer schon von kleinen Bläschen erfüllt, welche häufig so dicht bei einander lagen, dass sie sich gegen einander abplatteten und Polyeder bildeten, was ich aus- drücklich gegen Haeckel’s Angabe hervorhebe, wonach ihre Form gewönlich rein kugelig sei, da sie nie so dicht gedrängt erscheinen, dass sie sich polygonal abplatteten (a. a. ©. S. 72). An den Wandungen dieser intracapsulären Bläschen habe ich zwar keine Bewegungserscheinungen bemerkt, aber ihr Verhal- ten gegen Reagentien so wie ihr den extracapsulären Alveolen analoges Verhalten spricht dafür, dass auch sie von contractiler Substanz gebildet werden. Zwischen ihnen liegen häufig kleine Krystalle, die von Schwefelsäure nicht angegriffen werden (Fig. 2, 3 und 4). In anderen Fällen sieht man zwischen den Biäs- chen feste Körper liegen, welche keine entschiedene Krystall- form haben. Nach Zusatz von Schwefelsäure treten sie deut- licher hervor, quellen etwas auf und erscheinen dann als un- regelmässig ovale, granulirte Körper (Fig. 5). Nach dem zu urtheilen, was man bis jetzt über die Krystalle der Radiolarien ermittelt hat, muss man diese Körper für die Bildungsstätte der Krystalle oder für die ersten Anfänge der Krystalle selbst an- sehen. Ein Analogon würden etwa die krystallisirten Eiweiss- körper bilden. Ueber die Entstehung der grossen intracapsu- lären Krystalle (Fig. 12), welche so grosse Aehnlichkeit mit Tripelphosphaten haben, konnte ich nichts ermitteln. Die geschilderten Erscheinungen regen zu einer ganzen Reihe von Betrachtungen an. Wir haben gesehen, dass eine von contractiler Substanz gebildete Blase sich einschnüren, und 78 Dr. W. Dönitz: dass die eingeschnürte Stelle sich zu einem unmessbar feinen Faden ausziehen kann, ohne dass dieser sein Lumen einzubüssen scheint. Darauf hin wird man an die Möglichkeit denken müs- sen, dass auch die Pseudopodien hohl sind; eine Möglichkeit, welche man bisher zu wenig berücksichtigt hat. Was die Ra- diolarien betrifft, so giebt uns das erste Auftreten der Schein- füsschen an jugendlichen Formen Aufschluss (Fig. 1). Dort finden sich verhältnissmässig breite Pseudopodien, an denen sich nie eine Differenzirung in Rindenschicht und centrale Masse beobachten lässt. Nie gelangt ein Pigmentkörnchen aus dem Inneren in die Pseudopodien hinein. Letztere erweisen sich sonach als solide Gebilde, und die häufig an älteren Exemplaren vorhandenen Fettkörnchen müssen in die contractile Substanz selber eingebettet sein. Hinsichtlich der Polythalamien hat Reichert beweiskräftige Beobachtungen an Gromien gemacht, an denen deutlich eine contractile Rindenschicht von einer nur passiv beweglichen In- haltsmasse unterschieden wird. Die Rindenschicht sendet ihre Pseudopodien aus, ganz ohne Betheiligung der durch ihre Körn- chen und Bläschen leicht erkennbaren Inhaltsmasse; also sind die Pseudopodien auch hier solide Gebilde. Es können aber die Contractionen der Rindensubstanz auch in der Weise ab- laufen, dass der Inhalt der Gromie in Bewegung versetzt wird. In diesem Falle entstehen dann wohl Einschnürungen, welche einen Theil der Inhaltsmasse wie in einen Bruchsack hinein- treiben; in die Pseudopodien hingegen gelangt nie etwas hinein. Bei Noctiluca kann man die Inhaltsmasse des sogenann- ten Kernes bis in die dickeren Stränge hinein leicht verfolgen. Wie weit diese Röhrenform der verästelten Fäden geht, liess sich direet nicht beobachten, doch sind Erscheinungen vorhan- den, welche mich zu dem Schluss kommen liessen, dass das ganze durch den Binnenraum ausgespannte Netzwerk aus hohlen Fäden besteht. Von Amoeben werden häufig Fortsätze ausgeschickt, in deren Hohlraum sich Inhaltsmasse hineinerstreckt, während andere Fortsätze nur von der Rindensubstauz gebildet sind. * Beobachtungen über Radiolarien. 79 An Spongien habe ich bis jetzt nur aus contractiler Sub- stanz bestehende bewegliche Fortsätze gesehen, Es wird nicht nöthig sein, auf alle bis jetzt bekannten Er- scheinungsformen der contractilen, oder besser protozootischen Substanz einzugehen. Das beigebrachte Material reicht aus, um zu zeigen, dass man zweierlei Arten von Fortsätzen unterschei- den muss. Nur die eine Art verdient den Namen von Pseudo- podien. Sie bestehen nur aus protozootischer Substanz und stellen eine Lebensäusserung derselben dar, durch welche die Form des Gesammtkörpers zunächst nicht beeinflusst wird. Dagegen ist die andere Art von Fortsätzen gerade als Ver- änderung der Gesammtform des Organismus aufzufassen. Im ersten Falle setzt sich die protozootische Substanz in directe Beziehung zu ihrer Umgebung, zur Aussenwelt; im zweiten Falle bezieht sich ihre Contraction auf die Inhaltsmasse. Beide Arten der Contraction scheinen verschiedene physiologische Be- deutung zu haben, auf welche ich hier nicht näher eingehen will. Es mag genügen, darauf hingewiesen zu haben, dass man sie morphologisch auseinander halten muss. Vergleichen wir nun weiter die oben geschilderten Ent- wickelungsstadien unter einander, so ergiebt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit, dass die Centralkapsel aus dem Kern des ursprünglich zellenartigen Körpers hervorgeht, und dass der Nucleolus sich in die Binnenblase umwandelt. Diese Vermu- thung stützt sich darauf, dass einerseits die Centralkapsel von einer isolirbaren Membran umschlossen wird, und dass anderer- seits der kernartige Körper das einzige Gebilde ist, welche ssicher eine Membran besitzt, nachdem die Nester angefangen haben, Pseudopodien auszusenden. Man wird also nicht umhin können, beide Membranen zu identificiren, bis nicht etwa ein noch auf- zufindendes Zwischenstadium uns eines anderen belehrt. Dem- nach würde der dem Zellinhalt entsprechende Theil sich in contractile Substanz umwandeln, und die discreten Körper inner- halb desselben, nämlich Pigment und Fett, würden wir dann in den Einschlüssen der protozootischen Substanz wiederzusuchen haben. Ob die gelben Körper Neubildungen sind oder auch 80 Dr. W. Dönitz: » von dem ursprünglichen Pigment abgeleitet werden, bleibt fraglich. Da ferner auch die Centralkapsel, wie wir gesehen haben, Alveolen und contractile Substanz umschliesst, so müssen wir, in unseren Folgerungen weiter gehend, annehmen, dass auch der Inhalt des kernartigen Körpers sich in contractile Substanz verwandelt. Vielleicht stellt der Inhalt der Centralkapsel sogar den Mutterboden der contractilen Substanz dar. Dafür sprechen wenigstens die erwähnten Experimente von A. Schneider, und der Umstand, dass die Centralkapsel in allen Fällen, wo sie genauer untersucht wurde, sich fein durchlöchert darstellte. Bei einer Thalassicolla, wahrscheinlich pelagica, fand ich die Oberfläche der Kapselmembran mit grösseren und kleineren kegelförmigen Erhöhungen besetzt, von denen die grösseren eine deutliche Durchbohrung erkennen liessen. An den kleineren konnte man wohl ihrer Zartheit wegen die Poren nicht sehen. (Schwefelsäure machte die Membran aufquellen; die kegelförmi- gen Spitzen entzogen sich fast vollständig der Beobachtung, und _ die Membran erschien radiär gestreift.) (Fig. 8 und 9.) Damit ist die Möglichkeit der Communication des Inhaltes der Kapsel mit der ausserhalb gelegenen contractilen Substanz bewiesen, und die angeführten Experimente lehren, dass die Communica- tion in der That stattfindet: es tritt aus den Poren contractile Substanz hervor. Wir sind demnach gezwungen, auch innerhalb der Centraikapsel protozootische Substanz anzunehmen, in wel- cher mit Flüssigkeit gefüllte Hohlräume auftreten und alle son- stigen, dieser Substanz eigenthümlichen Erscheinungen sich gel- tend machen können. Besondere Membranen sind an diesen Hohlräumen (Haeckel’s kugeligen, wasserhellen Bläschen) ebenso wenig vorhanden als an den extracapsulären Alveolen. Alle Alveolen der Radiolarien, mögen sie extra- oder intracapsulär gelegen sein, sind nichts als Flüssigkeits- ansammlungen in der Masse der protozootischen Substanz. Beobachtungen über Radiolarien. 81 Erklärung der Abbildungen. NB. Die römischen Zahlen am Ende der Erklärung jeder einzel- nen Figur bezeichnen das Gundlach’sche Objectiv, unter dessen Anwendung die entsprechende Zeichnung angefertigt wurde. Fig. 1. Vier zellenartige Nester einer Jugendform eines Collo- zoum. Die Begrenzung des zellenartigen Körpers ist trotz der von ihm ausstrahlenden Pseudopodien noch eine scharfe und unveränder- liche, aber eine Membran nicht nachweisbar. Der Inhalt zeigt radiäre Streifung und enthält grünes Pigment und Oeltröpfehen in verschie- dener Grösse. Im Centrum liegen die Gebilde, welche dem Kern und Kernkörper entsprechen. G. VI. Fig. 2. Jugendform von Collozoum (inerme?), von der Seite gesehen. Es ist nur ein einziges Nest der Colonie gezeichnet. Die der Oberfläche der Colonie entsprechende Seite ist mit Pseudopodien besetzt. Die entgegengesetzte, dem Binnenraum zugekehrte Seite ist scharf umgrenzt und von einer Membran gebildet, die sich ein wenig von der Centralkapsel abhebt und seitlich in die Pseudopodien über- zugehen scheint. Der Raum zwischen dieser Membran und der Central- kapsel enthält einige farblose Kügelchen und gelbe Pigmentkörper, die aber hauptsächlich gegen die Pseudopodien hin angehäuft sind. Die Centralkapsel umschliesst einen Inhalt, in welchem man die kleinen länglichen Körper erkennt, die sich wahrscheinlich in Krystalle um- wandeln. Das Centrum des Nestes ist von einem Oeltropfen einge- nommen. G. V. Fig. 3. Ein Nest einer Colonie, Sphaerozoum Sanderi nov. sp., die sich auf gleicher Entwickelungsstufe befindet, wie die in Fig. 2 dargestellte. Die Centralkapsel ist mit unregelmässig sich verzwei- genden und anastomosirenden Kieselnadeln besetzt. G. V. Fig. 4 Collozoum inerme. Man übersieht das im Texte be- schriebene Auftreten der extracapsulären Alveolen. An der dieselben bildenden protozootischen Substanz zeigen sich die unter dem Namen der Körnchen bekannten knotenartigen Anschwellungen. Zwischen den intracapsulären Alveolen liegen längliche Körper in ziemlich regel- mässiger Vertheilung. G. IV. Fig. 5. Der mit Schwefelsäure behandelte Inhalt der Centralkapsel eines Collozoum inerme. Die in die contractile Substanz einge- betteten festen Körper treten deutlicher hervor und zeigen jetzt, nach Einwirkung der Säure, ganz unregelmässige Formen. G. VI. Fig. 6. Totalansicht einer Colonie von Collozoum inerme. Der Binnenraum ist noch nicht mit extracapsulären Alveolen erfüllt. G. 1. Fig. 7. Zwei Nester der in Fig. 6 gezeichneten Colonie, von de- nen das eine zwei Oeltropfen enthält. Man erkennt ausserhalb der Centralkapsel schon kleine Alveolen. Reichert’s u. du Bois-keymond’s Archiv. 1871. 6 82 Dr. W. Dönitz: Fig. 8. Ein Stück der isolirten Centralkapsel einer Thalassi- colla (pelagica?), mit konischen Wärzchen besetzt, von denen die grösseren eine deutliche Durchbohrung zeigen. G. VIII. Fig. 9. Dieselbe Centralkapsel mit Schwefelsäure behandelt. Man sieht die wahrscheinlich auf Porenkanäle zu beziehende radiäre Strei- fung. G. VII. Fig. 10. Gelbe Pigmentkörper, welche von einer verhältnissmässig dicken Membran umgeben sind, ein helles Bläschen und gelbe Körner enthalten, von denen sich einer durch seine Grösse auszeichnet. Diese Körner nehmen durch Jod- und Schwefelsäurezusatz rothbraune bis violetblaue Farbe an. G. VII. Fig. 11. Gelbe Körper, in der Theilung begriffen. @. VI. Fig. 12. Krystalle aus dem Inhalt der Centralkapsel von Collo- sphaera Huxleyi. ©. VI. Ueber eigenthümliche Organe an den Magenstücken u.,8. W. 83 Ueber eigenthümliche Organe an den Magenstücken der Siphonophoren. Von Dr. W. Dönıtz. (Hierzu Taf. III.) In den Saugtentakeln der Siphonophoren kommen beweg- liche Organe vor, welche in der mir bekannt gewordenen Lit- teratur nicht erwähnt werden. Sie gehen aus einer Substanz hervor, welche untersucht werden muss, bevor wir eine Be- schreibung der fraglichen Körper selber vornehmen können. ‘Die Innenfläche der Stützlamelle, welche sich in allen Ab- theilungen des Siphonophorenkörpers vorfindet, ist in den Ma- genstücken von einer Substanz bekleidet, welche auf den ersten Blick das Aussehen und die Eigenschaften der contractilen Sub- stanz besitzt, wie sie in ausgezeichneter Weise bei allen Hy- droidpolypen vorkommt. Die genauere Untersuchung dieser Bekleidungsmasse stellt es indessen in Frage, ob contractile Substanz vorhanden, oder wenigstens ob sie allein vorhanden sei. Die fragliche Schicht setzt sich nämlich eontinuirlich durch den Stamm bis in die verzweigten Kanäle der Schwimmstücke fort, und in diesen letzteren ist ein Epithel mit Sicherheit nachzuweisen. Zur Untersuchung eignet sich vorzüglich die bei Neapel und um Sicilien häufige Apolemia contorta. In ganz frischem Zustande zeigen sich dort auch die Kanäle der Schwimm- stücke von einer gleichmässigen, hyalinen Substanz ausgekleidet, 6* 84 A DW Dene. in welcher man, ziemlich regelmässig zerstreut, kernartige Kör- per erkennt (Fig. Ik). Lässt man nun das Präparat einige Zeit Ilegen, oder nimmt man zur Untersuchung Schwimmstücke, die einige Zeit in Chromsäurelösung gelegen haben, so zerfällt die fragliche Substanz in kleine, unter einander gleich grosse Ab- schnitte, welche sich leicht von einander isoliren lassen, und von denen ein jeder mit einem der erwähnten kernartigen Kör- per versehen ist. Es gewinnt sonach den Anschein, als habe man es mit einer Epithellage zu thun. Wer indessen mit den Formen vertraut ist, unter denen die contractile Substanz auf- ‘ treten kann, wird dagegen den Einwand erheben, dass dieser beim Absterben eintretende Zerfall sehr wohl durch eine vor- aufgehende Zusammenziehung einer Schicht contractiler Substanz bedingt sein könnte, Hiergegen spricht nun wieder die auffal- lende Gleichmässigkeit der kleinen zellenartigen Abschnitte, und ihre scharfe Begrenzung, die sich nur durch die Annahme einer Membran erklären lässt. Auch die im frischen Zustande sehr wohl erkennbaren kernartigen Körper, die hier wegen der voll- ständigen Abwesenheit von Nesselkapseln nicht mit solchen verwechselt werden können, sprechen so sehr zu Gunsten der Epithelien, dass ich kein Bedenken hege, ein vollsaftiges Epi- thel als Auskleidung der Kanäle in den Schwimmstücken an- zunehmen. Diese Schicht, in welcher wir ein Epithel glauben nachgewiesen zu haben, setzt sich mit allen erwähnten Eigen- schaften aus den Kanälen in den Stiel der Schwimmstücke fort, und von hier aus geht sie, allem Anschein nach, in die Substanz über, welche den Hohlraum des Stammes der Colonie auskleidet. Weiterhin lässt sich diese Schicht durch die Stiele der Polypen bis in diese selbst hinein verfolgen. Diese Conti- nuität muss zu der Annahme führen, dass auch die Polypen innerlich von einer Epithelschicht überzogen werden, wenngleich hier ein Zerfallen in zellartige Körper nicht so deutlich beob- achtet wurde. Zwar sieht man öfter an einem expandirten Tentakel eine radiäre Streifung der Innenschicht (Fig. 2r), manch- mal auch kernartige Körper (Fig. 2k), doch nicht mit der für einen Beweis wünschenswerthen Deutlichkeit, und die Stücke, in welche die Innenschicht der Polypen beim Zerfasern zerfällt Ze Ueber eigenthümliche Organe an den Magenstücken u.s.w. 85 (Fig. 8), können nicht mit Sicherheit als Zellen gedeutet werden. Ausserdem ist an die Möglichkeit zu denken, dass die Stütz- lamelle zunächst von einer Schicht contractiler Substanz über- zogen ist, welche erst ihrerseits das Epithel trägt. Es würde in diesem Falle die innere Bekleidung der Stützlamelle dieselbe Anordnung zeigen wie die äussere. Es lässt sich nämlich an der äusseren Oberfläche der Schwimmstücke ein regelmässig polyedrisches Epithel nachweisen (Fig. 3), und zwischen diesem und der Stützlamelle eine hyaline Substanz. Der gesammte Ueberzug der Stützlamelle geht continuirlich auf den Stamm und die Tentakel über und zeigt dort alle Eigenschaften und Lebenserscheinungen der contractilen Substanz, während es nicht überall gelang, eben auf diesen Tentakeln ein Epithel deutlich zu machen. Daraus ergiebt sich mit Wahrscheinlichkeit, dass an einer Stelle des Siphonophorenkörpers das Epithel, an einer anderen die contractile Substanz vorherrscht, und zwar in der Weise, dass häufig die eine vom anderen verdeckt wird. Was die contractile Substanz betrifft, so ist es mit Rücksicht auf andere Erscheinungsformen derselben, die ich später einmal zu besprechen gedenke, wohl zweckmässig, sie unter den von Rei- chert aufgestellten Begriff der protozootischen Substanz zu subsumiren, von der dasjenige, was man bisher contractile Substanz nannte, die in Rede stehende Erscheinungsform darstellt. Die innere Belegmasse also, von der wir es wahrscheinlich gefunden haben, dass sie aus einer mit Epithelialüberzug ver- sehenen Lage contractiler oder protozootischer Substanz besteht, enthält in den Magenstücken häufig als Einbettung vereinzelte oder zu zweien und mehreren bei einander stehende Vacuolen, die mit hyaliner Flüssigkeit gefüllt sind (Fig. 4 und 2V). Sie wurden von Kölliker als Magendrüsen beschrieben, doch gehen ihnen alle Charaktere der Drüsen ab, denn weder haben sie einen Ausführungsgang, noch sind sie mit Epithel ausgekleidet. Sie sind eben nichts als mit Flüssigkeit erfüllte Lücken in der Sub- stanz. Unter diesen Vacuolen, noch innerhalb der Dicke der Belegmasse, sah ich bei einem jungen Exemplar von Forska- lia Edwardsii ziemlich grosse Nesselkapseln vereinzelt oder 86 Dr. W. Dönitz: in Häufchen bis zu dreien vorkommen (Fig. 2n). Welche Functionen die Nesselfäden hier im Inneren des Tentakels, ja sogar entfernt von der Oberfläche, unter Vacuolen liegend ver- richten können, bleibt durchaus räthselhaft. Die innere Oberfläche der Magenstücke trägt zweierlei Ar- ten Cilien, von denen die eine gewöhnlich ruht, die andere schwingt. Die schwingenden Cilien stehen manchmal vereinzelt, manchmal gehäuft. Die starren Cilien erscheinen immer gehäuft auf der etwas in den Hohlraum prominirenden Wand. einer Vacuole und divergiren nach allen Richtungen (Fig. 4f). Die Ruhe aber ist keine dauernde. Der Eintritt der Bewegung dieser anfänglich starren Cilien steht, soviel ich beobachten konnte, mit dem Auftreten eines höchst eigenthümlichen Orga- nes in Verbindung. Es bilden sich nämlich öfter unter den Augen des Beobachters, vorausgesetzt, dass das Präparat von einem ganz frischen Exemplar entnommen ist, kleine, anfänglich spitze Fortsätze, welche in den Hohlraum des Tentakels hinein- ragen, an Grösse zunehmen und sich auch wohl verästeln. Sie zeigen sich immer in nächster Nähe der Vacuolen. Bei For- skalien fand ich sie gewöhnlich klein, spitz, selten schwach verzweigt (Fig. 2p). Geradezu baumförmige Figuren fand ich bei Hippopodius neapolitanus (Fig. 5). Eine eigenthüm- liche Erscheinung boten sie bei Apolemia contorta und uvaria dar. Dort traten sie zunächst auch als spitze, hyaline Fortsätze auf und wurden dann an dem vorher spitzen Ende breiter. Dann entstanden in ihrem Inneren Hohlräume, die bald miteinander verschmolzen und so einen in der Achse ge- legenen Kanal bildeten. Endlich öffnet sich der Kanal, nachdem der Fortsatz sich hakenförmig gekrümmt hatte. Unterdessen haben die starren Cilien schwach zu vibriren angefangen und neigen allmählig ihre Spitzen gegen die Mündung des Kanales im Haken. Dann beginnt eine lebhafte Bewegung; es sieht aus, als ob der Haken die Cilien verschlänge, die jetzt in Schwingungen gerathen. Diese Schwingungen entsprechen de- nen eines an beiden Enden befestigten, in Bewegung gesetzten Stranges (Fig. 6 und 7). Manchmal auch sieht man, wie der Ueber eigenthümliche Organe an den Magenstücken u. s. w. 87 Haken seine Beute wieder loslässt, sich verkleinert und ver- schwindet, während die Bewegung der Cilien aufhört. Dieser auffällige Vorgang scheint zum Zweck zu haben, Flüssigkeit in ein System von Vacuolen hineinzupumpen. Man findet nämlich gewöhnlich, dass das basale Ende älterer Magen- polypen von mächtigen Vacuolen so stark angefüllt ist, dass dieser Abschnitt sich im Zustande völliger Expansion befindet. Das peripherische Ende dagegen enthält manchmal noch gar keine Vacuolen, während das Uebergangsstück die Vermit- telung bildet, und zwar in der Weise, dass die Anzahl sowohl der Vacuolen wie der daneben sich vorfindenden Häkchen und Fortsätze gegen die Basis des Polypen hin zunimmt. Abgesehen nun davon, dass man hin und wieder eine unter der Wirkung der Cilien und Haken zu Stande kommende Vergrösserung der Vacuolen zu beobachten glaubt, spricht das erwähnte locale Verhältniss dafür, dass erst durch die Wirkung der Häkchen die Vermehrung und pralle Anfüllung der Vacuolen zu Stande kommt. Sind aber einmal die Vacuolen prall gefüllt, so ent- ziehen sich die Häkchen der Beobachtung; vielleicht auch gehen sie zu Grunde, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt haben. Dass die Häkchen aus protozootischer Substanz bestehen, ergiebt sich aus der Art ihrer Bildung und ihrer Formverände- rungen. Es sind Fortsätze, welche, von der inneren Belegmasse der Stützlamelle ausgesendet, sich durchaus selbständig bewegen und unter Umständen verästeln. Ob sie bei ihrem Auftreten eine wahrscheinlich vorhandene Fpithelschicht durchbrechen, wurde nicht beobachtet, da ja die Anwesenheit einer solchen Epithellage mehr vermuthet, als durch die Beobachtung mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Ebenso wenig liess sich entscheiden, ob die Vacuolen innerhalb von Zellen, oder in der Dicke der contractilen Substanz auftreten. Es gelingt zwar manchmal, kleine Abschnitte zu isoliren, welche eine oder mehrere Vacuolen, einen kernartigen Körper und vielleicht noch einen Pigmentfleck enthalten und mit starren Cilien besetzt sind (Fig. 8). Aber die Zellennatur dieser Theile ist doch zu un- sicher, um hierauf eine Ansicht zu gründen. Ferner liess sich 88 Dr. W. Dönitz: über die Bedeutung des Vorganges der Vacuolenbildung nichts sicheres ermitteln. So viel ist gewiss, dass die Saugtentakel (Polypen) keine Nahrung mehr aufnehmen können, sobald ihr Lumen durch die Vacuolen vollgestopft ist und sie selber bis zum Uebermass ausgedehnt sind. Die Tentakel müssen sonach ihre Function ganz einstellen oder sie ändern. Ersteres scheint nicht der Fall zu sein, denn das active Erscheinen der Häkchen und das beginnende Schwingen vorher ruhender Cilien dürfte darauf hindeuten, dass man es mit einer Erscheinung des Le- bens, und nicht des Verfalls zu thun hat. Zu welchem Zweck aber dieses Alles vor sich geht, darüber wird man kaum Ver- muthungen anstellen dürfen, bevor nicht weiter tragende Beob- achtungen vorliegen. Jedenfalls aber erregt das Nebeneinander- bestehen und trotzdem so verschiedene Verhalten der Cilien und der Fortsätze protozootischer Substanz mancherlei Bedenken gegen die neuere Annahme, dass Cilien nur eine Erscheinungs- form des sogenannten Protoplasma’s sind. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Apolemia contorta. Ein Theil des Kanalsystems eines Schwimmstücks. S Stiel des Schwimmstücks. s Stützlamelle. V Verzeignng des Kanals in vier Radiärkanäle, von denen nur zwei gezeichnet sind. k Kerne der Zellen, welche die Kanäle und den Stiel auskleiden. Fig. 2. Forskalia Edwardsii. Magenpolyp; links im optischen Längsschnitt, rechts Ansicht der Innenfläche. Von der Basis her ra- gen roth pigmentirte Wülste in den Hohlraum hinein Die Innenfläche ist mit zerstreut stehenden, langen, schwingenden Cilien besetzt. s Stützlamelle.. k kernartige Körper in der inneren Belegmasse der Stützlamelle. r radiäre Streifung derselben *Schicht, vielleicht auf Zellen zu beziehen. v Vacuolen in dieser Schicht. n Nesselkapseln, unter den Vacuolen gelegen. p bewegliche Fortsätze. Fig. 3. Apolemiacontorta. Aeusseres Epithel eines Schwimm- stücks. Fig. 4. Diphyes. Magenpolyp im optischen Längsschnitt. s Stützlamelle.. e äussere Belegmasse (contractile Substanz mit Cilien besetzt). v Vacuolen der inneren Belegmasse (Kölliker’s Magen- drüsen). f starre Cilien auf den etwas prominirenden Wänden der Vacuolen. w schwingende Cilien. 3 Pe Tr Fr“ P Ueber eigenthümliche Organe an den Magenstücken u. s. w. 89 Fig. 5. Hippopodius neapolitanus. Wand eines Magenpolypen im optischen Längsschnitt. Die Innenfläche ist mit vielfach sich ver- ästelnden, beweglichen Fortsätzen besetzt. Daneben die starren, auf den Vacuolenwänden sitzenden ruhenden Cilien. Fig. 6. Apolemia uvaria. Optischer Längsschnitt der Wand eines Magenpolypen. Die innere Belegmasse der Stützlamelle führt Vacuolen von verschiedener Form und Grösse. In die Vacuolen ragt ein kugelrunder Körper von unbekannter Bedeutung hinein. Die In- nenfläche wird von hakenförmigen, hohlen Fortsätzen überragt, welche die Spitzen der jetzt schwingenden, früher ruhenden Cilien in ihre Mündung aufgenommen haben. Fig. 7. Dasselbe in der Flächenansicht. Fig. 8 Apolemia uvaria, Durch Zerzupfen erhaltener, zellen- artiger Bestandtheil aus der inneren Belegmasse eines Magenpolypen, mit Vacuolen, kernartigem Körper und Pigment. Oberfläche mit star- ren Cilien besetzt. 90 HB Ousncke und Prater Ueber den Blutstrom: in den Lungen, Von H. Quincke und E. PFEIFFER. (Hierzu Taf. IV.) Die Beziehungen zwischen Respiration und Bluteireulation im Organismus sind ausserordentlich mannichfacher Natur und deshalb nur unvollständig erforscht. Abgesehen von den Ner- venapparaten, durch welche beide Functionen in Connex mit einander stehen, hat schon allein die anatomische Nebeneinan- derlagerung von Herz und Lungen zur Folge, dass rein me- chanisch die Bewegung des einen Organs auf Lage und Bewegung des andern Organs einwirkt; jede Krankenunter- suchung weist darauf hin, wie die rhythmischen Bewegungen des Herzens und der Respiration in der mannichfachsten Weise mit einander interferiren und sich dadurch von Moment zu Moment die gegenseitigen Beziehungen zwischen Herz und Lungen ändern. Eine der wichtigsten dieser Beziehungen ist der Einfluss der Respiration auf die Fortbewegung des Blutes. Ziemlich genau erforscht ist der Einfluss der Respirations- bewegungen auf den grossen Kreislauf und ist dieser nament- lich von Donders im Zusammenhang geschildert worden. Ab- gesehen von den eigentlichen respiratorischen Bewegungen ist schon allein die Lagerung des Herzens innerhalb des ruhen- Ueber den Blutstrom in den Lungen. 91 den Thorax unter einem Druck, der beim Menschen 7"" Hg, geringer als der der Atmosphäre ist, von Einfluss auf die Ver- werthung der Kraft seiner Contractionen. Bezeichnen wir den durch den linken Ventrikel erzeugten mittleren Blutdruck im An- fangstheil der Aorta mit K, so beträgt derselbe an der Austritts- stelle der Aorta aus dem Thorax nur K—7"” Hg.; mit diesem auf der einen Seite verloren gegangnen Druck von 7”" Hg. wird das an der Einmündungsstelle der grossen Venen in den Thorax angelangte Blut in letztern hereingesogen, mit diesem Druck dehnt es den diastolisch erschlafften rechten Ventrikel aus. Also einfach weil das Herz, das seiner Construction nach nur eine Druckpumpe ist, in einem luftverdünnten Raume ge- lagert ist, wird dasselbe zu einer Saug- und Druckpumpe, Je grösser der Druckunterschied zwischen der Atmosphäre und dem Innern des Thorax, also je tiefer die Inspirationsstellung, ein um so grössrer Theil der disponibeln Herzkraft wird für das Ansaugen des Blutes verwerthet und kommtdafür beim Fort- pressen nicht zur Verwendung. Es wechselt daher das Ver- hältniss dieser beiden Theile zu einander mit den Respirations- bewegungen. Weniger klar als diese Verhältnisse, die grossentheils am lebenden Menschen beobachtet werden können, ist der Einfluss der Respirationsbewegungen auf den kleinen Kreislauf. Zuerst scheint diese Frage von Haller!) ins Auge gefasst uud experimentell geprüft worden zu sein. Letzterer machte seine Beobachtungen theils am lebenden Thier theils an der herausgeschnittenen Lunge, welche er von der Vena cava aus von einer gefärbten Flüssigkeit durchströmen liess, während ein Diener die Lunge mehr oder weniger auf- blies. Das Resultat war eine Erleichterung des Durchtritts der Flüssigkeit in den linken Ventrikel und in die Trachea(!?), wenn die Lunge aufgeblasen war, wogegen die collabirte Lunge sich wenig oder gar nicht durchgängig erwies. Nur sehr for- 1) Elem. physiol. Laus. 1760. Tom II. Lib. VI. Sect. IV. 8.8. PD. 330, 92 H. Quincke und E. Pfeiffer. eirte Aufblasung soll nach Haller den Blutstrom wieder er- schweren (l. c. p. 336). Nach Haller stellte zuerst Poiseuille!) zur Lösung der Frage wieder Versuche an den Lungen von Hunden, Katzen und Kaninchen an, welche im Gegensatz zu jenem eine Er- schwerung des Blutstroms im aufgeblasenen Zustande ergaben. Zu einem analogen Resultat kam Poiseuille auf anderm Wege, indem die mit erstarrender Masse injieirten Capillaren eines aufgeblasenen Lungenlappens mikroskopisch einen geringeren Durchmesser zeigten als die eines collabirten Lappens: drittens endlich beobachtete Poiseuille an den Lungen lebender Am- phibien mikroskopisch Verlangsamung des Blutstroms mit der Inspiration. Mit den Poiseuilleschen Angaben stimmt überein J. J. Müller?), der bei Versuchen über die Athmung in der Lunge den Blutstrom durch das collabirte Organ schneller als durch das aufgeblasene vor sich gehen sah. Wie es scheint, nicht nach Versuchen, sondern auf indi- rectem Wege kam schon früher Donders®) zu dem Schluss, dass das Blut aus den Lungencapillaren fortwährend mit einer ge- wissen Kraft — proportional dem elastischen Widerstand der Lungen — nach den Hauptstämmen der Lungenvenen und nach dem Herzen gepresst werde. In einigermassen ausgedehnte Lungen ströme das Blut leichter ein, bei starker Ausdehnung hingegen werde der Kreislauf durch Ausdehnung und Abflachung der Capillaren gehemmt. Letzteren Schluss zieht Donders‘) auch aus dem Einfluss, den forcirte Inspiration beim Menschen auf den Puls hat. Nur auf die Hallerschen Angaben gestützt und übrigens rein theoretisch hat neuerdings Diesterweg?) eine inspiratori- sche Erweiterung des gesammten Lungengefässgebiets und eine 1) Compt. rendus. 1855. Bd. 41. p. 1072. 2) Arbeit aus d. physiol. Anst. z. Leipzig. IV. Jahrg. 1869. 3) Zeitschrift f. rat. Medic. N. F. III. 1853. 4) Zeitschrift f. rat. Medic. N. F. IV. 1854. 5) Krit. Beitr. z. Phys. u. Path. Heft 1. Frankfurt a. M. 1866. Berl. klin. Woch. 1867. Ueber den Blutstrom in den Lungen. 93 gleichzeitige Erleichterung des Blutstroms dedueirt und dieselbe als so bedeutend dargestellt, dass die motorische Thätigkeit des Herzens für den gesammten Kreislauf dadurch ganz in den Hintergrund gedrängt wird. — Wie man sieht, sind die Angaben der Autoren über den Mechanismus des Lungenkreislaufs weder sehr zahlreich noch übereinstimmend, so dass eine erneute experimentelle Prüfung wohl geboten erschien. An die Hauptfrage, wie die Ausdeh- nung der Lungen den Blutstrom in denselben beeinflusst, schliessen sich dann ganz von selbst einige andre Fragen, wie die nach dem Wechsel der Capacität des Lungengefässgebiets u. 8. w. an. Die Versuche wurden sämmtlich an den frischen Lungen durch Verblutung getödteter Hunde angestellt. Die Thiere waren von mittlerer Grösse, 5—8 Kilogr. schwer. Die Lungen * von kleineren Hunden, sowie von Katzen bieten bei der Ma- nipulation Schwierigkeiten und werden zu schnell unbrauchbar. Als durchströmende Flüssigkeit diente frisches defibrinir- tes Hundeblut, demselben- Thier wie die Lungen entnommen. Da die geringe Menge des so gewonnenen Blutes für die An- stellung der Versuche manches Unbequeme bot, wurde es, wenn irgend möglich, mit frischem durch Arteriotomie gewonnenem Blut eines andern Hundes vermischt. Wo solches nicht zu Gebote stand, versuchten wir einigemal das Blut mit Ascites- . Hüssigkeit von Menschen (im Verhältniss '/,., '/,) zu mischen, doch wurde unter solchen Umständen die Lunge ziemlich schnell (nach !/, bis 1'!/, Std.) oedematös, während sie sich bei Anwendung reinen .‚Hundebluts mehrere Stunden intact erhielt. Uebrigens war letzteres Blut auch nach 24stündigem Stehen in der Kälte noch zu einem Versuche brauchbar, wogegen längeres Stehen, auch wenn Fäulniss anscheinend noch nicht begonnen hatte, schneller Oedem der Lungen zur Folge hatte. Bei Versuchen mit Ochsen- oder Schweineblut schien sich die Lunge des Hundes ebenfalls nicht so gut zu conserviren wie mit Blut von derselben Species, doch fehlte bei diesem vom Schlächter bezognen Blut die Garantie der Frische. Für die Zu- und Ableitungsröhren des Bluts wurde stets 94 H. Quincke nnd E. Pfeiffer. darauf geachtet, nirgends eine Stelle im Strombett zufhaben, die enger als Aorta und Pulmonalis war. Die Canülen, welche in diese Gefässe eingebunden wurden, entsprachen ungefähr der Weite derselben bei Thieren von der angewendeten Grösse. Bei einigen Versuchen waren es gebogne Glascanülen, bei den meisten Messingcanülen von 6,5””" Lumen, welche in die A. pulm. eingebunden wurden; für den Blutabfluss dienten entweder eben- solche in der Aorta befestigte Canülen, oder es wurde eine weite Glascanüle mit entsprechend geformtem Rande in das Ostium venos. sinistr. eingebunden, nachdem der linke Ventrikel gröss- tentheils abgetragen war; hiedurch wurden die Störungen ver- mieden, welche letztrer noch durch einzelne spontane Contrac- tionen sowie durch wechselnde nur von Elasticitat abhängige Ausdehnung hervorrufen konnte. Die Canülen waren mit Kaut- ‘ schukschläuchen von entsprechender Länge und Durchmesser verbunden. Der erforderliche Blutdruck wurde anfänglich dadurch er- zielt, dass ein constanter Luftdruck auf das in einer geschloss- nen Flasche befindliche Blut einwirkte, Später wurde die Blut- flasche einfach wie im Irrigator bis zu der erforderlichen Höhe erhoben; da indess hierbei immer Niveauschwankungen von mehreren Centimetern vorkamen, liessen wir in der Mehrzahl der Versuche das Blut aus einer in gewisser Höhe aufgestellten Mariotte’schen Flasche ausfliessen, so dass constanter Druck vorhanden war. — Die absolute Höhe dieses Drucks — d.h. also : die senkrechte Entfernung des Anfangstheils der A. pulmonalis vom untern Ende des Luftrohrs in der Mariotte’schen Flasche — nahmen wir entsprechend den von Beutner!) gegebnen Zahlen zu etwa 30"® Hg. oder, da hier die Blutsäule selbst drückte, zu 30—50°" Blut, je nach der Grösse des Thiers den grössern oder geringern Druck wählend. Der Druck in der Vena pulmonalis d. h. der senkrechte Abstand des Anfangstheils der A. pulm. von der Mündung des Abflussschlauches wurde in den anfänglichen Versuchen nicht speciell berücksichtigt, später wurde er zu 4—22“® (Blut) gewählt, — allerdings etwas 1) Zeitschrift f. rat. Med. N. F. Il. 1852. Ueber den Blutstrom in den Lungen. 95 willkürlich, da Beutner nur eine Zahl (= 10'/,"" Hg.) und zwar für die Katze giebt. In einem in Cubikcentimeter getheilten Glascylinder wurden die in bestimmten Zeiten — 20, 30, gewöhnlich 60 Sec. — aus- fliessenden Blutmengen aufgefangen und gemessen !). - Was nun die verschiedne Ausdehnung der Lungen betrifft, so konnte dieselbe auf zwei Weisen hergestellt werden, einmal durch Aufblasen von der Trachea aus und zweitens durch Verminderung des auf der Pleura lastenden Drucks. Welche Anordnung den natürlichen Verhältnissen am besten entspräche und ob die beiden Wege zu verschiednen Resul- taten führen würden, liess sich von vornherein nicht übersehen, wenn auch für den ersten Blick die Ausdehnung durch Ver- mindrung des auf der Pleura lastenden Drucks, wie sie im Thorax stattfindet, den Vorzug zu verdienen schien. Um auf beide Weisen experimentiren zu können, wurden folgende Einrichtungen getroffen. Auf ein cylindrisches Glas von17 °“ Durchmesser und 30° Höhe konnte vermittelst eines Kautschukringes der übergreifende Rand eines Metalldeckels luftdicht aufgebunden werden; letztrer war von 5 Glasröhren durchbohrt; drei davon in der Mitte des Deckels hatten ent- sprechende Stellung und Weite um (vor der Befestigung des Deckels) mit den Canülen der A. pulm., der Aorta resp. des Ost. venos,. sinistr. und der Trachea durch kurze Kautschuk- schläuche verbunden werden zu können. Die vierte Oeffnung . konnte mit den zur Erzeugung des negativen Drucks bestimmten Saugflaschen verbunden und abgeschlossen werden, sobald das 1) Einer Schwierigkeit müssen wir noch gedenken, die im Anfang mehrere Versuche vereitelte: der schnellen Gerinnung des Herzbluts in der Canüle, sobald das Einbinden derselben, (und dies ist besonders leicht beim Ostium venosum sinistrum der Fall) einige Zeit in Anspruch nimmt. Um dieses Hinderniss, das natürlich jeden Blutstrom unmöglich macht, zu vermeiden, banden wir daher in den meisten Fällen zunächst die Metallcanülen sowohl in Aorta wie in A. pulmonalis, spülten möglichst schnell das in Herz und Lunge noch enthaltne fibrinhaltige Blut mittelst defibrinirten Blutes aus und ban- den nun erst statt der Aortacanüle eine Canüle in das Ostium veno- sum sinistrum; das Blut wurde durch Schlagen von neuem defibrinirt. 96° H. Quincke und E. Pfeiffer. in der fünften Oeffnung angebrachte Quecksilbermanometer den erforderlichen Stand erreicht hatte. Die Trachea communicirte bei dieser Anordnung frei mit der Atmosphäre. Sollte die Auf- blasung der Lungen durch Erhöhung des Luftdrucks von der Trachea her geschehen, so liess man Oeffnung 4 mit der At- mosphäre communiciren und erzeugte positiven Druck in der Trachea entweder mittelst zweier Druckflaschen oder — ein- facher — durch Blasen mit dem Munde; sobald ein zweites seitlich angefügtes Manometer den erforderlichen Stand zeigte, wurde die Trachea abgeschlossen. Abgesehen von geringen Unregelmässigkeiten, wie sie bei jedem Blutstromversuche vorkommen, und die wir weiter unten besprechen werden, ergab sich nun constant bei Anwendung negativen Pleuradrucks für die ausgedehnte Lunge eine grössre Stromgeschwindigkeit als für die collabirte. Als Beispiel wähle ich aus mehreren Versuchen nur zwei. Versuch I. Kleiner Hund. Durch Verblutung getödtet. Zum Stromversuch das geschlagene Blut mit 10 Theilen Aseitesflüssigkeit gemischt. Blut- druck 28 Ctm. Durchgeflossene ; Menge in 15 Sec. raum in Mm. Hg. in Ce. Durchgeflossene i Menge in 15 Sec. No. in Ce. N | Druck im Pleura- Druck im Pleura- “ | raum in Mm Bg. 1. 0 145 9. — 6 182 2. — 10 165 10. 0 160 3. — 10 187 11. 0 162 4. 0 155 12. 0 150 3. 0 155 13. — 15 180 6. 0 155 14. — 13 190 T. — il 175 15. —‚B 180 8. = 170 Ueber den Blutstrom in den Lungen. 97 Versuch II. Kleiner, junger Hund. Zum Stromversuch geschlagenes Hundeblut, wa No Druck im Pleura- | a Min. No. | Druck im Pleura- retten raum in Mm. Hg. | in Ce. | raum in Mm. Hg. ın Ce. | 9 1 10 | 75 2 12. —18 (rar 1A 3. RE) | 18,5 4. 14*) —26 | 39 5. 15. | —18 | 21 6. 16. | —) | 14 de 0 17 | —5 4,5 8. 0 18. (+33)”*) (2,5) 9. 0 19. —45 64 10. | 0 5,5 re] Man ersieht aus diesen Tabellen zugleich, dass innerhalb der angewandten Druckgrenzen die Durchflussmengen im Allge- meinen um so mehr zunehmen, je stärker die Lunge ausge- dehnt ist. Es folge nun ein Versuch, wo die Lunge durch positiven Druck von den Bronchien her ausgedehnt wird. Versuch II, Mittelgrosser Hund. Lungen bleiben im geöffneten Thorax liegen. Zu- und Abflusscanüle in A. pulm. und Aorta. Durch die Trachea werden die Lungen aufgeblasen. Blutdruck 45 Ctm. Blut. Positiv. Druck in | In 1 Min. durch- Trachea u. Bron- | geflossene Menge chien in Mm. Hg. in Ce. Positiv. Druck in Trachea u. Bron- chien in Mm. Hg. In 1 Min. durch- geflossene Menge in Ce. No. No. 1: | [H) 31 18% 0 | 71 2. 0) 38 14. +22 18 3. +15 48 15. +20 25 4. +15 | 41 16. +5 81 a: +15 | 49 1 0 77 6. +13 | 54 18. 0 71 M. +13 54,5 19. +12 69 8. +6 74 20. +16 60 9. +6 81 21. +25 28 10. +3 79 22. +5 64 ib +3 81 23. 1) 66 12. ) | 67 | *) Von 1 bis 13 Blutdruck = x + 6 Mm. Hg. Von 14 bis 19 Blutdruck = x + 12 Mm. Hg. “")D. i. + 33 Mm. Hg. positiver Druck in der Trachea, während die Pleura unter Atmosphärendruck steht. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 7 98 H. Quincke und E. Pfeiffer. Hier ist die Durchflussmenge am grössten bei niedrigem Druck und bei 0 und nimmt ab bei steigendem Druck. Es ergiebt sich also ein ganz entgegengesetzter Einfluss auf den Blustrom, wenn die Lunge einmal durch negativen Pleuradruck, das andre Mal durch positiven Bronchialdruck aus- gedehnt wird; im ersten Fall erleichtert die Ausdehnung den Blutstrom, im zweiten Fall erschwert sie ihn; — ein Gegen- satz wie er in mehreren Versuchen auch an ein und derselben Lunge gezeigt wurde und wie er in Nr. 18 Vers. II. hervortritt. Das Factum einmal festgestellt, wird der Grund dafür durch nachfolgende Ueberlegung klar werden, welche am ein- fachsten an eine schematische Zeichnung anknüpfen wird. en D Farmananaunul == = = m Pe == ee Tanke en EL @ Mn ndesssssseusee= Ueber den Blutstrom in den Lungen. 99 "Die mit punctirten Linien bezeichneten Röhre stellt einen elastischen Schlauch dar, welcher von Flüssigkeit durchströmt wird; der Schlauch verläuft frei durch Raum R und grenzt nur eine gewisse Strecke weit, und nur mit einem Theil seiner Peripherie (Fig. a, b, c.) an einen benachbarten Raum R ,. Anfang und Ende der Strombahn befinden sich ausserhalb der Räume R und R,. Stellt man nun in dem Raum R den Luftdruck Aı+p her, während der Raum R, unter Atmosphärendruck A verbleibt, so wird für das Strombett eine Aenderung nur auf der Strecke zz eintreten: der Flüssigkeitsdruck auf .die Gefäss- wand von innen ist derselbe, der Druck von aussen ist ver- mehrt, also wird die Wand an dieser Stelle eingedrückt, das Strombett verengt, der Flüssigkeitsstrom erschwert. (Fig.a.) Stellt man im Gegentheil dieselbe Druckdifferenz p dadurch her dass R unter Atmosphärendruck bleibt, R, unter den Druck A—p kommt, so wird der äussre Druck auf das elastische Rohr in seinem ganzen Verlauf durch R, verringert während der Innen- druck der alte bleibt, das Rohr wird sich erweitern, der Flüssigkeitsstrom wird erleichtert. (Fig.b.) Auf der Strecke zz wird die Lage der Röhrenwand so weit sie an den Raum R grenzt nicht verändert, und nur in dem Theil Peripherie, der an R, srenzt, findet eine Erweiterung statt, — also auch auf dieser Strecke eine Erleichterung des Stroms gegenüber dem Gleich- gewichtszustande, wenn auch der Grad der Erweiterung hier dadurch bedingt ist, ob ein grössrer oder geringrer Theil der Peripherie des Rohrs an den Raum R grenzt. Unter ganz ähnlichen Verhältnissen wie das elastische Rohr in diesem Schema befinden sich nun die Lungengefässe, die mit einem Theil ihrer Oberfläche, namentlich in den prominirenden Capillaren der Alveolen dem Luftdruck ausgesetzt sind, wie er in Trachea und Bronchien herrscht, in einem andern Theil ihres Verlaufs, namentlich den grössern Stämmen, hingegen . unter demselben Druck wie die Pleura stehen. Während des Verlaufs der Gefässe im Lungenparenchym wird der auf ihrer Aussenfläche lastende Druck seiner Grösse nach zwischen dem bronchialen und pleuralen Druck liegen. Es leuchtet ein, dass bei der oben geschilderten Versuchs- q7* 100 HM Onineke und HPfeiftsn anordnung in Versuch I. und II., wo die Lunge durch nega- tiven Pleuradruck aufgeblasen wurde, die Lungengefässe mit einem Theil ihrer Aussenfläche unter geringeren Druck kamen als vorher, entsprechend dem Schema B sich erweiterten und dass daher der Blutstrom leichter vor sich ging als im Gleich. gewichtszustande der Lunge. Die Aufblasung durch positiven Druck von der Trachea entspricht dem Schema A, führt zu einer Abflachung der Lungencapillaren und demnach zu einer Erschwerung des Blutstroms. Es erhebt sich nun die Frage, welche der beiden Ver- suchsanerdnungen den natürlichen Verhältnissen am besten entspricht, soweit der Blutstrom dabei in Betracht kommt. Im Körper wird die Ausdehnung der Lungen allerdings be- wirkt durch eine Verminderung des in der Pleurahöhle herrschen- den Drucks, während der Luftdruck in Trachea und Bronchien bei In- und Exspiration (annähernd) derselbe bleibt; gleichzeitig und in demselben Maasse wie der pleurale Druck vermindert sich aber auch der auf der äusseren Fläche des Herzens und der grossen Pulmonalgefässe lastende Druck; arbeitet daher, wie wir für diese Betrachtung zunächst supponiren wollen, der rechte Ventrikel bei In- und Exspirationsstellung mit derselben Energie, so wird der Druck, welcher in den Aesten der A. und V. pulmonal. herrscht, bezogen auf den Atmosphärendruck, in der Inspirationsstellung ein geringerer sein als während voll- kommener Exspiration; es wird daher derjenige Theil des Lungengefässsystems, der dem Atmosphärendruck ausgesetzt ist, in der Inspiration weniger ausgedehnt werden als in der Exspiration und es wird diejenige Versuchsanordnung den na- türlichen Verhältnissen entsprechen, wo Blutdruck (in Arterie und Vene) und Druck im Pleuraraum dieselben bleiben, der Luftdruck in Trachea und Bronchien hingegen gesteigert wird. Es wird dies Verhältniss durch beigefügtes Schema ver- anschaulicht, welches sich von dem vorigen nur dadurch unter- scheidet, dass Druckgefäss und Sammelgefäss für die Flüssig- keit sich in demselben abschliessbaren Raum befinden. Bei dieser Anordnung wird man in Bezug auf den Blutstrom durch das elastische Rohr genau dieselben Veränderungen erreichen, Ueber deu Blutstrom in den Lungen, 101 ob man in dem rechts [8 et , gelegnen Raum den TEEN | Druck unter den der s E Sr -| Atmosphäre ernie- Se drigt, (was den Ver- hältnissen im Körper entsprechen würde) oder ob man ihn statt dessen im linken | Raum um ebensoviel | erhöht. | Die Versuche wur- | den diesenBetrachtun- gen zufolge weiter- hin nun stets so angestellt, dass die äussre Lungenoberfläche und das Niveau des Flüssigkeitsreservoirs sich unter Atmosphä- rendruck befanden, während die Aufblasung der Lungen durch positiven manometrisch messbaren Druck geschah. Hierbei war es möglich die Lungen während des Versuchs in dem geöffneten Thorax zu belassen, während die Canüle in Trachea, A. pulmon. und Aorta, resp. Ost. venos. sinistr. eingebunden war. Es hat _ dies ausser der Einfachheit verschiedne Vorzüge: die Lungen bleiben in möglichst natürlicher Lage, es finden daher möglichst wenig Zerrungen und Knickungen der zu- und abführenden Gefässe statt; — der jedesmalige Aufblasungsgrad der Lungen lässt sich durch Vergleichung ihres Volumens mit den Thorax- wandungen besser beurtheilen als.an den herausgenommenen Organen. 102 R H, Quincke und E. Pfeiffer, Versuch IV. Junger kräftiger Pinscher. Zum Stromversuch Hundeblut. Druck in A. pulm. 30 Ctm.; in V. pulm. 4Ctm VonNo. 1-42 Ausflusscanüle in der Aorta, von da ab in Ost. venos. sin. | Druckin der Due Bemerkun- Druck in der Tu No. Trachea ımengein 0. Trachea | menge inMm. Hg. | !Min. gen in Mm. Hg. |ial Min. in Ce. in Ce. 1 0 35,5 44 0 27 2 0 35,5 45 | +10 26 3 +12 30 Die unsen 46 +10 22,5 | +2 0128 oralen 147| +15 15,5 6) +14 | 27 aus. 48 +13 17 6 +13 22 49 +10 19 7| +15 15 he 19,5 8| +5 TO es ao 0 29 9 OR 35,5 elle 2 o [97 10 0.1029 1 son nn 11 0 28 12, -F10 19% 95 Sl 9,5 13) +10 N k 56] +10 E= was mehr 14 +16 12 (at Inspira- 2. Bun tionsstellung ze 15 116 19 Die Lungen ]59 +6 47 vermindern | 60 +6 36 16 10 19 ihr Volumen 61 6 41 17 +10 19 nur wenig, ar ; 18 +5 | 35 zwischen 15 | 62 +6 40 5 —16u.17—18. | 63 0) 52 20 +5 24 65 0 45 21 +5 25 jDie Lungen ‚> 22 0 39 \ collabiren 66 0 46,5 ER N 32 völlig. 67 25) 42,5 68 10 34 24 +15 13,5 69 Bi 20,5 25 +15 13,5 70 +13 25,5 26 0 34 71 +10 öl 27 0 30 712 +10 32 3e h se 73 +5 44,5 74 9 46,5 30 +5 DS Lungen 74 0) 47,5 31 +5 25 kaum halb 176 0 ı 44 “ sn 20 aufgeblasen. 4 +20 17 « | +15 18 34 +15 15,5 Inpirations- 79 [9] 52.5 35 +15 14 stellung. 80 0) 57 36 +10 18,5 |Lungen we- 81] 0 58,5 37 +10 18,5 nig kleiner. 82 6R(+15bis20) 61 38 +5 25,5 83 J6R(-H15bisdo)! 58 39 +5 25,5 84 0 66 40 0 27 85 ‚6RC-H15bis20)) 64,5 4l 0 28 86 ri2 48 42 0421,28 87 +9 57 43 0 ' 88 0 60,0 TEE VREEREEEEETITTENETTTT Bemerkun- gen. L. nur halb aufgeblasen. Inspirations- stellung. L. wenig kleiner. Übermässige Ausdehnung der Lungen. L. immer noch über ge- gewöhnliche Inspirations- stellung. L. collabiren gut. GeringeAus- dehnungd.L. Starke In- spirations- stellung. Inspirations- stellung. Übermässige Ausdehnung L. collabiren ziemlich gut, Ueber den Blutstrom in den Lungen. 103 f IE iz | h Durch- A Durch- Druck in der | fluss- |Bemerkun- | Druck in der | Auss- Bemerkun- No. Trachea | menge | No.| Trachen menge | inMm.Hg. |in !Min.| gen., | inMm.Hg. [in 1Min. gen. ‚ in Cc, | in Cc. | 89 +10 | 54 94 +5 | 69 |L. collabirt 90 +20bist10, 31 | 95 OR NR RS Br 91 +30bist24 8 96 050,70 92 Bali "16 97 |6R(-+20) 71,5 93, +11. | 36 98 0,174 Anmerk. zu No. 82, 83, 85 und 97. Es wurden mit den Lungen respiratorische Bewegungen angestellt, 6 in der Minute, so dass jede Inspiration (auf 15 bis 20 Mm. Hg.) etwa 5 Sec. dauerte, und ebenso jede Exspiration, bei welcher die Lunge jedesmal vollständig collabirt. Versuch V. Erwachsener Hund. Zum Stromversuch Hundeblut. Druck in A. pulm. 28% Ctm., von No 24 ab 43 Ctm., in V. pulm. 10% Ctm. Canülen in A, pulm. u. Aorta. l | | Druck in der ar | Bemerkun- | Druck in der | Bemerkun- No.| Trachea | menge No.| Trachea | menge inMm.Ag- nl Min. gen. inMm.Hg. nl Min. gen. in Ce. | in Ce. ı 1 | 0) 17. | 32 +45 nur | Übermässige p) 0 16,5 .| 33 +40 Tropfen Ausdehnung 3 +8 ! 16,5 | DieLungen 5 34 +30 5 Al 42 185 |norseman j35| +27 9,5 d +12 15 mälig aus. 186 +25 16 6 +11 | 14,5 37 +10 57,5 7: +12 ı 14 38 +10 47 8 +12 13 39 +10 22 9 +17 19 Inspirations- | 40 +5 15 Fast nochIn- Be N 8, | Stellung. lan +5 14 spirations- ar 421 4,5 42 0 15,5], relung 12 +20 6) 43 (0) 13 13 0) 12 44 +10 12 14 (0) | 12 45 +50 nur | Übermässige 15 +10 1 46 140 Ne Ausdehnung joe 10 8,5 47| +30 8 17 9 Urs 48 18 35 oa Ir über In- [49 As |8 19 +18 | 35 lung? 50 +10 67 20| +10 6,5 | L. verklei- 551 +10 57 21 BIO SENLG> N 52 +10 | 36 22 0 7,5 © 458 410, 131 23 0) 6 54 +5 33 24 ö 52 | 55 52 033 25 0 25,5 56 0 24 26 82 165 57 0 8,24 | 27 0) 11,5 98 0 24 .23| +9 8 59 a 29 Zr8. 16,5 60 (0) 16 | 30 18.010 Budo Su His | lol 30 (1 | Es beginnt zwar etwas Oedem, doch collabirt die Lunge noch ziemlich gut, 104 H, Quincke und E. Pfeiffer. Versuch VI. Junger Pinscher. Hundeblut als Stromflüssigkeit. Ausflusscanüle von Nr. 1—25 in Aorta, dann in Ost. venos. sinistr. Blutdruck 31 Ctm. (von Nr. 52 ab 43 Ctm.) in A. pulm.; 6 Ctm. in V. pulm. Durch-. | Durch- Druckinder | Auss- Bemer- Druckinder Auss- Bemer- No.| Trachea menge No. Trachea | menge in Mm. Hg. in 1Min. kungen. inMm.Hg. jn1Min.| kungen. in Ce. 3 | in Ce. 1 0 78 33 +11 24 2 0 74 34 +15 19 3 +10 63 35 +10 23 4 +8 61 36 +10 23 5 +11 54 37 +5 .|80 6 +11 46 38 +9 sl Zu 46 39 0 1% 8 +14 41 Jetzt erst I 40 0) | 24 9 +14 38 Inspirations- $ 41 0 23 u 10| +15 37 stellung. |42| +15 | 24 | Übermässige 11 +13 39 Inspirations- | 43 +22 ESS AnnGehnnne 12 0 96 stellung. 544 +18 10 13 0: 97 45 0) 43 14 +12 | 60 | 46 0 39 Na AT 0 32 ia 72 50 48 | 6R(+15) | 36,5 18 0 66 | 49 0 ı 29 19 0 65 | neo 0 23 | L. halb : 20 -+6 67,5 au ren BL ORCH EDS) 2 ti - z Sn ars ln keins ||ie 012 22| +15 44 Starke il5A |; 2 1.102 See Mässige 3310 +10. 1.48 ee 155 48,720 one En 591. 225, Allg 60 +9 45,5 26 {0} 29 yon jetzt ab1 61 +9 40 27| 0 36 OO 0 37,5 |L. ziemlich | los ätarer 1163 0 | 34 | gut oollabirt 28 76 | 88. \Dieeinöncfst| - ‚n10 ran 29 +5 36 2 AUS eR 65 +15 127,5 bermässige 30 +10 31 erst eeie al 66 +3 129,5 Ausdehnung 31 +8 28,5 | mälig aus. [67 Re o. 32 +12 25 MessıgS In-I68 | 6R(+15) | 97 spirations- | e| "erellung [69 6R(+15) | 29 ; Ueber den Blutstrom in den Lungen. Junger Pinscher. Versuch VI. 105 Hundeblut zum Stromversuch. Canülen in Art. pulm. und in Ost. venos sim. Druck in a, pulm, 40 tm. | Durch- in V. pulm. 20 Ctm. | Durch- | Druckinder | Auss- Bemer- | Druck inder Auss- Bemer- No.| Trachea menge | No.| Trachea menge in Mm. Hg. in 1Min.) kungen. inMm.Hg. in1Min.| kungen. in Ce. in Cc. nn RT KR EB] LEARN | EHER EBENEN FE ENDE LEBBRRS EINGEHEN | 1 0 14 24 0 erh 2 0 13,5 25 +15 11 une) 14,5 |L. fast noch [26 [1 XR+13b.15) | 17 | collabirt. | 4 +8 13 27 |12R(+12 6.15) | 20 5l +14 16 | L. dehnen [28 0 | 26 sich allmälig | 6 +13 InS16 aus. 29 0 | 28 ” +16 18 Inspirations- 1 30 +10 20 | stellung. 8 +15 143 sl +10 IORRLZ, 6) +7 22 32 +20 I 14,5 | 10 BIT 33 +0 | 16 11 0 13,5 34 +10 313 12) +10 14 35 +2 MR 13| +15 12 L. stark [36 | 0 10,5 |1-eollabiren \ unvoll- 14 +15 10 | ausgedehnt. 37| 6R (+12) 17 , 5| +10 u | 38 | 12R (+12) | 13 | | 16 OL. | 39 0 10 | ! | I 17| 6R (+12) | ade 40 0 25,5 | 18| 6R 0 15 | 41 0 15 19 11. >) 42 0 13,5 20| 6R en 16 | a3 | f) 50 | 21| 6R (+12) | 20 | Exspiration a 0 42 t f 22) +15 10,5 |" sstattaufo [45 oO a9, > 23| ER +12) | 15 | wie am ar. [46] o | 9% Zwischen Nr. 39 und 40, sowie zwischen 42 und 43 sind einige foreirte Aufblasungen gemacht worden. NN ELLE 106 H. Quincke und E. Pfeiffer. Versuch VIII. Kräftiger erwachsener Pinscher. blut. Zum Durchströmen frisches Hunde- Canülen in A. pulm. und Ost. venos sinistr. A. pulm. 45 Otm., in V. pulm. 21 Ctm. Druck in Druck in der No.| Trachea in Mm.Heg. 1 (0) 2 0 3 +10 4 +10 5 0 6 0 di +5 8 +10 9 +15. 10 +10 11 +5 12 0 13 0) 14 |6R(-+10bis12) 15 |6R(+-10big12) 16 (0) 17 0) 18| 6R (+10) 19 +10 20 0 21| 6R (+10) Durch- Durch- Auss- | Bemer- Druck inder | Auss- , Bemer- menge No Trachea menge Enz kungen. inMm.He. |in1Min.| kungen. n Ce. 7 in Ce. 39,5 22| 6R (+10) 62 40 23 6R (+10) | 57 55 L. dehnen 194 +10 47 Ba ae RD 0 60 a1 26 | 6R (+10) 58 67 27 \12R (410) | 78 67,5 28 a 61 29| 6R (+10) 74 45 ne 30 |12R (+10) | 64 56 stellone. ia] ERTCLIO) I 7 69 32 |12R (+10) 76 66 33 0 76 ” a: 1 v ” Exspiration 72 35| 6R (+15) | 88 pi 56 36 | 6R 415) | 87 Vauf 4-10 sta 44 37: 0 100 48 33| +10 105 66 39 +15 80 98 | i40| 6R (+15) | 100 | wie sub 35. 6 41 0 114 der 141 () 35 | Lungen collabiren nicht mehr ganz gut. Hund von 7 Kilo,; Versuch IX. frisches Hundeblut zum Strömen. Ganülen in A. pulm. und Ost. venos.-sinistr.. Blutdruck in A. pulm. 41 Ctm., in V. pulm. 21 Ctm. MUTTER VER DELETE I Druck in der | I | | | | | No.| Trachea in Mm. Hg. 1 0 2 0) | 3|6R +10) | 4 12R (+10) | 5, 6R (+10) 6 0 Tı Ze 8, +15 91 +14 10 | +14 Durch- finss- meng in SG Min. | Bemer- a) kungen. No. | 11 12 Exspir. 0 13 Exspir. 0. 14 Exspir. +5 #15 bis 8, 16 17 18 19 20 Druck in der Trachea in Mm.Heg. | 0) 0 6R (+10) ÖR(-H5bis8) 6R (+15) 6R(-+5bis 8) 6R (-+10) | 68 (+15) ) 0 z ren Exspir. 0. Ueber den Blutstrom in den Lungen. 107 Ausser den hier tabellarisch aufgeführten Versuchen wur- den noch eine Anzahl anderer angestellt, welche im wesent- lichen übereinstimmende Resultate gaben. Sehen wir zunächst ab von den mit R bezeichneten Versuchen, in welchen die Respirationsbewegungen nachgeahmt wurden, so ergiebt sich übereinstimmend mit Versuch III für den ausgedehnten Zustand der Lunge eine geringere Durchflussge- schwindigkeit als für den collabirten und zwar ist die Abnahme der letzteren mit den geringeren Graden des Druck- zuwachses in der Trachea weniger merklich, oft sogar ver- schwindend gegenüber den höheren Graden trachealen Drucks. Es stimmt dieses Ergebniss mit den Beobachtungen von Poi- seuille und von J. J. Müller überein, steht dagegen im Wi- derspruch mit den Angaben Haller’s. — Einzelne die Versuche betreffende Punkte bedürfen noch näherer Besprechung, zunächst das absolute Maass der zur Ver- wendung gekommenen Schwankungen des trachealen Drucks. Um einen positiven Anhalt für die normale Spannung zu ge- winnen, bestimmten wir dieselbe bei einem Theil der Thiere nach der Methode von Donders (l. c. p. 290), indem wir vor Eröffnung des Thorax ein Manometer in die Trachea einfügten; für Thiere des angewendeten Kalibers ergaben sich meist nur 4—5 Mm. Hg. Aus verschiedenen, schon von Donders(p. 302) angeführten Gründen, mussten diese Zahlen zu niedrig sein und es war auch ein Plus von 1% bis 2% Mm. Hg. Druck er- forderlich, um die Lungen gleich darauf soweit auszudehnen, dass sie den Thorax ebenso ausfüllten, wie vor Eröffnung der Pleuren. Allein schon nach kurzer Zeit und namentlich sobald einige Stromversuche gemacht sind, bringt dieser Druck die Lunge nicht mehr auf ihr altes Volumen; es ist dazu ein höhe- rer Druck, 10, 12, selbst 15 Mm. Hg. erforderlich; im allge- meinen steigt die Zahl mit der Dauer des Versuchs. Ausser- dem aber stellt sich bei längerer Versuchsdauer eine Unvoll- kommenheit der Elastieität ein; die Lunge bleibt mit ihrem Volumen hinter den Druckschwankungen zurück, so das dem- selben absoluten Trachealdruck ein kleineres Lungenvolumen entspricht, wenn niedrigerer Druck, ein grösseres, wenn höhe- 108 H. Quincke und E. Pfeiffer. rer Druck voranging. Es ist dies in den Tabellen aus den Be- merkungen über das Lungenvolumen, wie es sich durch Ver- gleich mit den Brustwandungen abschätzen liess, zu ersehen. Die Durchflussgeschwindigkeit erschien durch diese Volumsver- schiedenheit im Allgemeinen nicht beeinflusst und allein ab- hängig von der Druckdifferenz zwischen Trachea und Pleura.!) Lagen nun auch die angewandten Druckgrössen häufig über dem mittleren Niveau der Lungenspannung, so überschreiten sie doch mit Ausnahme der ganz grossen Zahlen (20—40 Mm, Hg.) nicht die überhaupt möglichen Grenzen und es wird dar- aus nur die Beschränkung zu folgern sein, dass, verglichen mit diesen höheren Graden die Schwankungen in der Spannung des Lungengewebes bei gewöhnlicher Respiration die Durchflussge- schwindigkeit relativ weniger beeinflussen. Eine im Beginn fast jeden Versuchs auffallende Abwei- chung ist die, dass trotz hohen Trachealdrucks die Durchfluss- geschwindigkeit weniger beeinflusst wird, als in den späteren Nummern desselben Versuchs; der Grund liegt darin, dass die Lungen während der Vorbereitungen zum Versuche stärker collabirten, die feineren Bronchien. zum Theil verklebten und nun erst diese Adhäsionen gelöst werden mussten. Bei.genauer Durchsicht der Versuche wird man übrigens auf zahlreiche einzelne Abweichungen von der allgemeinen Re- gel stossen: indem trotz erheblicher Druckabnahme in der Trachea die Durchflussmenge doch nicht steigt; ein anderes Mal bei gleichbleibendem Druck die Durchflussmenge allmälig abnimmt oder gar urplötzlich bedeutend ansteigt. Es sind dies Unregelmässigkeiten, wie sie bekanntlich bei allen künstlichen Blutstromversuchen vorkommen (wenn sie auch nach J. J.Müller an den Lungen seltener sind als am Muskel); sie mögen ihren Grund haben theils in spontanem Wechsel des Lumens einzel- 1) Nur in einigen Fällen war — bei demselben Trachealdruck — in der absteigenden Reihe, wo also die Lunge voluminöser blieb, die Durchflussmenge grösser als in der aufsteigenden Reihe; vielleicht ist dies so zu erklären, dass im ersteren Fall durch die vermehrten Widerstände in der Lungensubstanz diese selbst und somit auch die in ihr verlaufenden Gefässe stärker ausgedehnt erhalten wurden, Be Ueber den Blutstrom in den Lungen, 109 ner Gefässbezirke, theils in Verstopfung einzelner Gefässe durch Luft (beim Einbinden der Canüle eingedrungen), kleine Ge- rinnsel oder angehäufte Blutkörperchen, die bald vorübergehend, bald dauernd statt hatte; aus letzterem Umstand erklärt sich die von uns wie von anderen beobachtete Abnahme der Durch- flussmenge mit der Dauer des Versuchs. Auch Zerrung und Knickung grösserer Arterien und Venen wie sie namentlich beim Collabiren der viellappigen Lungen des Hundes stattfinden, kann den Blutstrom zeitweise erschwe- ren. Werden die Lungen nun aufgeblasen, so gleichen diese Knickungen sich aus, und es kann die Entfernung dieses Hin- dernisses in den grossen Stämmen den Einfluss des erschwer- ten Capillarkreislaufs übertreffen, so dass der Blutstrom in der aufgeblasenen Lunge leichter von Statten zu gehen scheint als in der collabirten. Es ist klar, dass dieser Umstand um so leich- ter eintreten wird, wenn die Lungen aus ihrer natürlichen Lage entfernt und durch freies Aufhängen der eigenen Schwere über- lassen sind. Mehrmals hatten wir Gelegenheit, diese Erfahrung zu machen und dürften hierin auch die Versuchsergebnisse Hallers ihre Erklärung finden, der ja an herausgenommenen Lungen experimentirte und den Blutstrom an der aufgeblasenen Lunge leichter, an der collabirten schwerer oder gar nicht (!) vor sich gehen sah. — Wie wir schon oben ausgeführt haben, lassen sich die aus den Versuchen erhaltenen Resultate direct auf den Blutstrom der Lungen in ihrer natürlichen Lage im Thorax übertragen, so dass also auch hier während der Inspirationsstellung der Durchfluss des Blutes erschwert ist gegenüber dem Zustande der Exspiration und der vollständigen Gleichgewichtslage der Lungen. Berücksichtigt sind hierbei aber nur die mechanischen Verhältnisse der Lunge und des Thorax; der Blutdruck in der A. pulm. ist als constant vorausgesetzt und ganz ausser Acht gelassen der etwaige Einfluss der Respirationsbewegungen auf die Thätigkeit des rechten Ventrikels. Da derselbe während der Inspirationsstellung unter geringerem äusseren Druck sich befindet, wird er in der Diastole durch das in den Thorax strö- mende Venenblut auch stärker ausgedehnt als im Zustand der 110 H. Quincke und E. Pfeiffsr. Exspiration; seine Innenfläche wird daher höherem Drucke aus- gesetzt sein, und er wird beim Beginn der Systole ein grössere Blutmenge zu befördern haben, als während einer (sit venia verbo) exspiratorischen Systole. Dass dieser Umstand für den durch die Contraction erzeugten Druck von wesentlichem Ein- fluss ist, geht, wenigstens für das Froschherz, aus den Ver- suchen von Coats!) unzweifelhaft hervor.) Wenn es da- her erlaubt ist, hieraus einen Schluss auf die Verhältnisse beim Säugethier zu machen, so wird man zwar festhalten müssen, dass der Stromwiderstand in den Lungen inspira- torisch erhöht ist, dass jedoch der gleichzeitig vom rechten Ventrikel erzeugte höhere Druck in der A. pulm. compen- sirend dafür eintritt; — ob vollständig oder unvollständig, und bis zu welchem Grade, muss vorläufig dahingestellt bleiben. Auch die Versuche von Einbrodt°), welche den aus so verschiedenartigen Momenten zusammengesetzten Einfluss der Respiration auf Herzschlag und Blutdruck behandeln, geben darüber keinen Aufschluss, da sie weniger die von uns unter- suchte Einwirkung der In- oder Exspirationsstellung als die der In- und Exspirationsbewegung berücksichtigen. Neben der Frage nach den Stromwiderständen im In- und Exspirationszustand der Lunge erhebt sich nun die Frage nach den damit verbundenen Schwankungen in der Capacität des Lungengefässgebietes. Es liegt auf der Hand, dass die Durchflussmenge, resp. der Durchmesser der Strombahn und die Capacität derselben durchaus nicht in demselben Sinne zu va- riiren brauchen; sehr wohl könnten trotz der Verengerung des 1) Arbeiten aus der physiol. Anstalt zu Leipzig. IV, Jahrg. 1869. 2) Die einzigen etwa sonst noch hierher zu rechnenden Unter- suchungen, die von v. Bezold und Stezinsky (Unters. a. d. phys. Laborator. zu Würzburg) beziehen sich nur auf Aenderung der Puls- zahl und ergeben, dass vermehrte Spannung im Körperarteriensystem zwar die Pulszahl erhöht, dass jedoch Druckzunahme im rechten Her- zen (durch vermehrten venösen Zufluss oder durch Zuklemmen der A. pulm.) ohne Einfluss auf dieselbe ist. 3) Sitzungsbericht d. Akad. d. Wissensch. z. Wien. 1860. Math. Naturw. Kl. Bd. 50. CHR. > R' Theils der Strombahn, der dem erhöhten bronchialen Druck aus- Ueber den Blutstrom in den Lungen. 111 gesetzt ist, die übrigen Gefässe in ihrem Querschnitt und das ganze System in seiner Länge durch die Aufblasung der Lunge so sehr gedehnt werden, dass daraus im Ganzen eine Capaci- tätszunahme resultirte. Zahlreiche Versuche lehrten uns nun, dass die Capaeität des Lungengefässgebietes ganz analoge Schwankungen zeigte wie die Durchflussmengen, nämlich eine Abnahme bei Aufbla- sung mittelst positiven Drucks von der Trachea her, eine Zu- nahme, wenn die Aufblasung durch Verminderung des pleura- len Druckes geschieht. Welche von beiden Versuchsanordnungen den natürlichen Verhältnissen im Thorax entspricht, geht aus den früheren Be- trachtungen hervor, die für diesen Punkt ebenso gültig sind, wie für die Stromwiderstände. Flösse das venöse Blut direct aus den Körpervenen in die Lungen, so würde die Ausdehnung durch Ansaugung die Natur nachahmen und die Capacität in der Inspiration grösser sein, als in Exspiration. Da indessen der Druckapparat für das Lungenblut — das rechte Herz — stets unter demselben Druck steht, wie die Pleura und diese zusammen — gegenüber dem Druck in den Bronchien — va- riiren, so wird die’entgegengesetzte Anordnung die entsprechende sein. Allerdings gelten auch hier die möglicherweise eintre- tenden Beschränkungen, die aus der oben auseinandergesetzten veränderten Thätigkeit des Herzens resultiren können. Die Thatsache der Capacitätsschwankung bei Veränderunng ' des Lungenvolumens, so wie die Richtung, nach welcher die- selbe statt hat, kann man bei den Stromversuchen, wie sie oben beschrieben wurden, beobachten. Während der Aufblasung durch Ansaugung wird vorübergehend der Ausfluss des Blutes auf der venösen Seite verlangsamt, der Zufluss auf der ar- teriellen beschleunigt und zwar so lange, bis die Lunge ein constantes Volumen angenommen hat; während beim Collabi- “ ren der Lunge das umgekehrte statt findet. Wird der Zufluss zugeklemmt, so bemerkt man zugleich mit jeder Volumszunahme der Lunge ein Zurückgehen der Flüssigkeit im Ausflussrohr, mit jedem Collabiren ein Steigen, resp. Ausfliessen, und zwar 112 BO unke und EPieeen findet dies in gleicher Weise statt, ob die Canüle in die Aorta oder in das Ost. venos. sinistr. eingebunden ist, so dass etwaige Volumsschwankungen des Herzens dabei wenig oder gar nicht ins Gewicht fallen. Geschieht die Aufblasung der Lunge durch Erhöhung des trachealen Drucks, wie in den Versuchen II—IX, so findet das Gegentheil statt. Durch das Aufblasen der Lunge wird Blut sowohl aus den Arterien, wie aus den Venen ausgepresst, was sich durch vorübergehende Verlangsamung des Zuflusses (an den aufsteigenden Luftblasen der Mariotte’schen Flasche be- merkbar) und Beschleunigung des Abflusses kund giebt, — und zwar um so mehr, je stärker die Aufblasung ist. Beim Colla- biren der Lunge wird das Blut nach derselben angesogen. Noch deutlicher veranschaulicht man sich dies, wenn die Beobachtung nicht während des Strömens gemacht wird, son- dern wenn, bei übrigens gleicher Versuchsanordnung, senk- rechte (gleichweite) Glasröhren mit den Canülen in Verbin- bung gebracht sind; schnell hat sich durch die Capillaren hin- durch der Stand des Blutes in den beiden Glasröhren ausge- glichen, um nun mit jeder Aufblasung der Lunge gradatim zu steigen, mit jedem Collabiren derselben zu fallen. Dabei er- giebt sich constant, dass die Niveauschwankungen auf der ve- nösen Seite 3—6 mal grösser sind, als auf der arteriellen — ein Beweis, dass die Capacität der Lungenvenen durch die In- spiration in höherem Grade vermindert wird als die der Ar- terien. Versuch X ist ein Beispiel in Zahlen; die Glasröhren wa- ren in Cc. getheilt. Wie man sieht, gleicht sich der Niveauunterschied, der bei Volumsänderungen in Arterie und Vene eintritt, jedesmal schnell wieder aus. Ausserdem aber bemerkt man ein continuirliches Sinken der Flüssigkeit in beiden Röhren. Dasselbe dürfte sei- nen Grund haben einmal in einer langsamen Transsudation von Serum in das Lungengewebe, sowie auf die freien Flächen der Pleura und der Bronchialschleimhaut, zweitens aber auch in einem Blutaustritt aus den mit dem Pulmonalsystem ja com- municirenden Bronchialvenen; dass ein solcher in grösserem oder Ueber den Blutstrom in den Lungen. 113 Versuch X, Lungen vorher zum Stromversuch benutzt. Canülen in A. pulm. und Ost. venos sinistr.; in den senkrechten Glasröhren steht die Blutsäule etwa 20 Ctm. über dem Ursprung der A. pulm.; dazu kommt noch die variable Zahl der Ce. Col. 3 u. 4. - Stand | Capaeitätszu- (+) Druck in R her | \ | der | der Flüssigkeitin Üc. resp. Abnahme | Berns No | Trachea im auf dr | | in Arterien- Venen- sen) Kate. 1 EUNgen, BEE: | Ürohr | rohr | in Ce. | in Ce. CHEMIE LEBE ZIP ALS SD U Kamm Tr Tag SC a LI me an CELL EI EEE II Do ame TREE Tr 1 | De 9, | 2,7 jun | Bu ruo | 732. | %: ' IR | | Einige Augen- 3 +10 3,4 | 3,4 404 I: blicke später, als .| BE ee | | haben. 5 0 | 2,1 2 ! h | N | U, 0,9 } 6| +10 2,2 So | | | 7 +10 2,4 2,6 Kap | IA | 8 0 2,5 1,9 % | N | a 0 1,7 1, | : j —0,8 —4,5 to) +20 2,5 BR 11 +20. |. 3,7 4,3 Einige Augen- 5 6 | 33 ” | +0,5 | +3,1 blicke später. geringerem Maasse stattfindet, konnte schon bei den Stromver- suchen bemerkt werden, wo sich mit der Zeit Blut oder blu- tiges Serum in verschiedener Menge in den Pleurahöhlen an- zusammeln pfleste. (cfr. J. J. Müller Il. c. p. 40).) 1) Eine Angabe über den Einfluss des Luftgehalts auf den Blut- gehalt der Lungen findet sich übrigens schon bei Rilliet und Barthez, welche an atelektatisch gewordenen Lungen (poumons congestionnes) beim -Aufblasen das Blut aus den Lungengefäsen fliessen sahen. (Malad. des enfants. II. Edit. 1853. T.I. p. 429 ff.) Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 8 N PT VENEN ER TUE URN l N ‘ EN 114 H. Quincke und E. Pfeiffer. Nachdem durch vorstehende Versuche, wie wir glauben, erwiesen ist, dass die Stromwiderstände und die Geräumigkeit des Lungengefässgebietes in den verschiedenen Phasen der Re- spiration eine verschiedene ist, schliesst sich daran fast von selbst die Frage, ob die Respirationsbewegungen auch an der Beförderung des Blutes aus dem rechten Ventri- kel in den linken Vorhof irgend welchen activen Antheil nehmen. Aus dem was über die Capacität des Lungengefässgebietes gesagt wurde, ergiebt sich, dass die Lunge mit jeder Inspira- tionsbewegung Blut sowohl aus den Arterien wie aus den Ve- nen auszutreiben strebt; da nun dem Austritt des Blutes aus der Pulmonalarterie durch die Semilunarklappen derselben vor- gebeugt wird, so kann die Entleerung nur nach der venösen Seite, nach dem linken Vorhof zu stattfinden und dieser wird für die vermehrte Aufnahme von Blut um so mehr geeignet sein, je tiefer die Inspiration ist, je mehr also der auf seiner Aussenfläche lastende Druck vermindert ist. Während der Ex- spirationsbewegung im Gegentheil, wo die Capacität des linken Vorhofs gradatim sinkt, wird wegen vermehrter Capacität der Lungengefässe der Blutzufluss zu demselben vorübergehend ver- mindert sein, so dass hiernach in Bezug auf die periodische Vermehrung des Blutzuflusses zu den Vorhöfen sich ein voll- ständig synchroner Rhythmus für den linken und für den rech- ten Vorhof herausstellen würde. In der Absicht, die oben aufgeworfene Frage experimentell zu entscheiden, stellten wir eine Reihe von Versuchen an, in welchen bei übrigens gleicher Anordnung die Respirations- bewegungen der Lunge nachgeahmt wurden. Dieselben sind in den Tabellen IV—IX mit enthalten und durch ein R aus- gezeichnet. so dass z. B. 6R (+12 bis ı5) bedeutet, dass in der Minute 6 Inspirationen und ebensoviel gleichlange Exspi- tionen gemacht wurden, wobei der Trachealdruck auf 12 bis 15 Mm.Hg. stieg; in der Exspiration ging der Trachealdruck, wo nichts anderes bemerkt ist, auf O herab. Nach aprioristischen Betrachtungen sollte man bei derarti- gen Versuchen eine Durchflussmenge erwarten, die etwa in der u gern Ueber den Blutstrom in den Lungen. 115 Mitte liegt zwischen den der Inspirationsstellung und der Ex- spirationsstellung entsprechenden Mengen, vermehrt vielleicht um ein Quantum, das trotz der fehlenden Pulmonalklappen, durch die auf der venöseu Seite ja erheblicheren Capacitäts- schwankungen ausgepresst wird. Das Resultat der Versuche hingegen zeigt ziemlich über- einstimmend eine grössere als die vermuthete Durchflussmenge, meist erreicht dieselbe oder übersteigt wohl sogar die Durch- flussmengen, wie sie der collabirten Lunge entsprechen. Die Erklärung für dies auffallende Verhalten dürfte in fol- gendem liegen. An verschiedenen Stellen der Tabellen zeigt sich (beispielsweise VII, 39—46: VI, 45,52; V, 36, 48-50) dass nach voraufgegangener ein- oder mehrmaliger starker Auf- blasung der Lungen die Durchflussmenge bei den nun folgen- den niedrigeren Drücken (in der Trachea) vorübergehend auf- fallend hoch sind, um jedoch bald wieder abzusinken. Es scheint also Ausdehnung der Lunge für kurze Zeit nachher die Stromwiderstände herabzusetzen, und dies macht sich bei den Respirationsversuchen geltend, wo der vermehrte Widerstand auf der Höhe der Inspirationen durch die nachfolgende Strom- erleichterung in der Exspiration aufgewogen wird. Der Grund, warum stärkere Bewegungen der Lunge den Blutstrom consecutiv erleichtern, dürfte darin liegen, dass durch die Aenderung von Länge und Durchmesser fast sämmtlicher Theile der Lungengefässe die Blutkörperchen, welche Neigung haben, sich zusammen zu ballen, aus einander gerissen werden, dass dieselben vielleicht durch enge Stellen hindurch gepresst und kleine locale Stasen gelöst werden. Es ist fraglich, ob für die Circulation des Blutes im lebenden Or- ‚ganismus dieses Moment in demselben Maasse oder überhaupt in Frage kommt, da hier geringere Neigung zum Zusammen- ballen besteht; immerhin dürfte die durch solche Aenderung im Lumen der Gefässe herbeigeführte Vermischung des mar- ginalen und axialen Stroms der Bewegung förderlich sein, viel- leicht auch den Gaswechsel der Blutkörperchen erleichtern. Ob die Zahl der Respirationen ın einer Minute 65 oder 12 war, schien, so weit unsere Versuche reichen, nicht von wesent- 8” 116 H. Quincke und E. Pfeiffer. lichem Einfluss; hingegen schienen tiefere Inspirationen den Blutstrom mehr zu fördern als flachere (s. Vers. IX); — eine Thatsache, die mit der oben gegebenen Erklärung vollkommen gut in Einklang zu bringen ist. — Fasst man alles zusammen, so ergiebt sich, dass die Re- spirationsbewegungen zur Blutbewegung in der Lunge allerdings etwas beitragen; vorzugsweise durch den Wechsel in der Capacität des Gefässgebietes; ob die Be- wegungen im Leben auch den Blutstrom selbst so wie in un- seren Versuchen beeinflussen; konnten wir nicht entscheiden, da eine vorwurtsfreie Versuchsmethode am lebenden Thier zu erdenken uns bisher nicht gelang. Vorstehende Arbeit wurde grösstentheils im Laboratorium der hiesigen Anatomie ausgeführt, dessen Benutzung Herr Ge- heimerath Reichert uns in der liberalsten Weise gestattete. Einige anfängliche Versuche stellte der eine von uns im phy- siologischen Institut zu Leipzig an und ist für den dabei er- theilten freundlichen Rath Herrn Professor Ludwig zu grossem Danke verpflichtet. Berlin, 5. Mai 1871. Auf Taf. IV. ist der Versuch IV graphisch dargestellt. Die aus gezogenen Linien zeigen die Variationen des positiven Drucks in den Bronchien, die punktirten Linien die entsprechendeu Durchflussmen- gen. Die auf der Abseisse verzeichneten Zahlen sind die Nummern der Einzelversuche, — durch ein Versehen den Nummern der.Tabelle (S. 102) nicht genau entsprechend, so dass No. 10 der Tafel =Nr. 11 der Tabelle ist etc. Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w. 117 Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke beim Menschen und den Säugethieren. (Zweite Abtheilung.) Von C. B. REICHERT. (Hierzu Taf. V und VI.) (Auszug aus dem am 18. Juli:1864 in der Sitzung der physikalisch- mathematischen Klasse d. Akad. d. Wissensch. gehaltenen Vortrage. — Wiederholter Abdruck mit Zusätzen. —) Meine Untersuchungen über den feineren Bau der Gehör- schnecke des Menschen und der Säugethiere haben zu Ergeb- nissen geführt, die von der zur Zeit gangbaren Darstellung des häutigen Schneckenkanals sowohl in einzelnen, rein anatomischen Thatsachen, als auch hinsichtlich seiner morphologischen Bezie- hung zur Umgebung (knöcherne Schnecke mit dem Nervus coch- leae) sehr wesentliche Abweichungen darboten. Es schliesst sich die noch heut zu Tage sehr beliebte Auf- fassung des häutigen Canalis cochlearis an die Lehre Remak’s an, durch welche die von mir beschriebene epitheliale Umhül- lungshaut als embryonale Anlage der Epidermis und zugleich des cerobrospinalen Centralnervensystems (Gehirn und Rücken- mark) in die Bildungsgeschichte der Wirbelthiere eingeführt wurde. Mit dieser Lehre haben sich bekanntlich die zahlreichen Angaben eingefunden, dass die Zellkörper der Epidermis der äusseren Haut und der Häute im Allgemeinen continuirlich mit 118 C. B. Reichert: Nervenfasern in Verbindung stehen und als deren terminale Ausläufer zu betrachten seien. Da nun erwiesen war, dass die Umhüllungshaut als Epithel oder Epidermis an der Bildung des häutigen Labyrinthes betheiligt ist und die Höhlenfläche des häutigen Schneckenkanals überzieht, so war es selbstverständ- lich, dass man in dem wirklichen oder doch als solches ange- nommenen Epithel des fertig gebildeten Canalis cochlearis mem- branaceus die terminalen Ausläufer, die Endorgane der Schneckennerven aufsuchte und auch schliesslich fand. Remak’s Bildungsgeschichte der Wirbelthiere ist noch durch eine andere Rigenschaft charakterisirt, auf die ich hier, um die beiden Standpunkte in der morphologischen Auffassung und Behandlung des häutigen. Schneckenkanals zu erläutern, mit einigen Worten hinweisen muss. Der Verfasser vernach- lässigt absichtlich oder er kennt gar nicht die Lehre von den Primitivorganen und ihre Bedeutung für die Bildungsgeschichte, so wie für die wissenschaftliche Behandlung der organisirten Form; er weiss Nichts davon, dass man den Wirbelthier-Organismus in Haupt- und untergeordnete Bestandtheile bis zu den histologi- schen Elementen hin zusondern, systematisch zu zergliedern undmit Beziehung hierauf ihre einheitliche Verbindung untereinander auf- zusuchen und festzustellen habe. Im Anschluss an die, in den anatomischen Handbüchern gebräuchliche, für das Auswendig- lernen, für die erste Beschreibung und Demonstration von Prä- paraten, auch für gewisse physiologische Bedürfnisse ganz zweck- mässig eingerichtete Darstellung der Form des Körpers ist ihm die morphologische Organisation eben nur ein künstliches Bau- und Flechtwerk aus histologischen wirklichen oder als solchen angenommenen Elementen. Die bekannte Wiederholung gleich- artiger histologischer Elemente und selbst näherer Bestandtheile in den einzelnen Organen, sowie diezahlreichen Verbindungen unter einander bieten dieser hergebrachten oder nach einem anderen beliebten Schema unternommenen Behandlung des anatomischen Materials eine leichteHandhabe. Die ersten Anlagen desWirbelthier- Organismus sind daher nach Remak hauptsächlich Magazine histologischer Bau- und Flechtwerks- Materialien, und der Bil- dungsprocess besteht wesentlich in einem Vorgange, durch wel- u Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w, 119 chen diese Materialien an Ort und Stelle hingeschafft und zu Organbestandtheilen zusammengefügt und verflochten werden, Remak hatte bei dieser handthierlichen und dem atomistischen Standpunkte leicht zugänglichen Auffassung der Bildungsvor- gänge nur einen, wenn auch wichtigen Theil (Elemente des Nervensystems, der willkürlichen Muskeln, des Drüsenepithels) der histologischen Baumaterialien berücksichtigt, seine Nachfol- ger haben diese Lücken theilweise, so z. B. in Betreff der Bindesubstanzen, des Blutes, zu ergänzen gesucht. Auf Grundlage eigener Beobachtungen bin ich zu jeder Zeit sowohl dieser allgemeinen Auffassung des Bildungsprocesses, als auch den darauf bezüglichen positiven Angaben, sowie endlich der, für die morphologische Auffassung des häutigen Schneckenkanals einflussreichen Behauptung entgegengetreten, dass die epitheliale Umhüllungshaut mit ihrem centralen Theile die Anlage des Central-Nervensystems sei. Neuerdings hat Dönitz eine Prüfung der angeregten Controverse genau nach der Unter- suchungs-Methode unternommen, welche die Nachfolger Remak’s zur Feststellung der Lehre des sensiblen Hornblattes angewen- det haben. Seine vortrefflichen, zur Demonstration der Anlage der Primitivorgane sehr geeigneten Präparate lassen auch nicht den geringsten Zweifel darüber, dass die beiden Anlagen, die der Umhüllungshaut und des Central- Nervensystems, zeitlich und räumlich völlig unabhängig voneinander durch unmittelbare Differenzirung des Bildungsdotters entstehen. Dönitz hat häufig die Erfahrung machen müssen, dass an den für diese Unter- suchungs-Methode erhärteten Embryonen die Differenzirungslinien zwischen den Primitivorganen kaum bemerkbar oder auch gar nicht hervortreten, und dass selbstverständlich die Umhüllungs- haut gerade in ihrer Ausbreitung über die Rückenfurche des Central- Nervensystems in ihrem normalen morphologischen Verhalten gestört oder auch gänzlich abgelöst ist. Aber es gehört doch selbst in einer an naturwissenschaftlichen Curiositäten sehr rei- chen Zeit zu den wunderbaren Erscheinungen, dass viele Natur- forscher Jahrzehnte lang die in Rede stehende Untersuchungs- Methode benutzen, sie auf das Wärmste empfehlen, und dass dennoch bis auf Dönitz Niemand so glücklich gewesen ist 120 C. B. Reichert: Präparate zu erhalten, aus welchen die thatsächlichen Irrthümer Remak’s so unzweideutig hervorgehen. Es könnte scheinen, als ob Erwägungen dieser Art bei einer Wissenschaft überflüssig seien, in welcher es schliesslich auf die Feststellung sinnlich wahrgenommener, morphologischer That- sachen ankommt. Die Zeit jedoch der sogenannten nackten Thatsachen, wenn sie jemals in voller Herrlichkeit bestanden, hat leider in den letzten Jahrzehnten selbst für die beschrei- bende Anatomie aufgehört. Man kann heut zu Tage nicht ein- mal das Peritoneum von den Wänden der Bauchhöhle zu den Eingeweiden, die Epidermis von der Haut zum Epithel des Tubus alimentarius, Nerven und Gefässe von den Centren zu den Verzweigungen, die Bindesubstanzen von einem Bestandtheil des Körpers zum anderen u. s. w. in ihrem Zuge und Zusam- menhange anatomisch beschreiben, ohne dass die neuere Litera- tur darin einen thatsächlichen Ausdruck irgend einer unbegrün- deten und oft unwissenschaftlichen morphologischen Hypothese gesucht und gefunden hätte. Und vollends auf dem so schwie- rigen embryologischen und mikroskopisch-anatomischen Gebiete, wo häufig sogar künstlich zugerichtetes Beobachtungsmaterial verarbeitet wird, haben sich allerlei physiologische und mor- phologische Postulate, ja selbst die Phrase mit solcher Ver- blendung, Selbstüberhebung und gegenseitiger Lobhudelei gel- tend gemacht, dass man das Vertrauen zu den anatomischen Untersuchungen verloren hat, und dass die Geschichte unserer Wissenschaft dereinst eine förmliche Krankheitsperiode zu ver- zeichnenhaben wird. WodieLiteratur von solchen Arbeitenüberläuft und ohne Scheu von vornherein wider Natur und Geschichte auf dem Partei- Standpunkt abgestempelt wird, da ist man der nicht sehr angenehmen Aufgabe überhoben, auf einzelne Bei- spiele einzugehen. Nur um den nachtheiligen Einfluss zu cha- rakterisiren, den die irrige Lehre vom sensiblen Hornblatt auf die anatomischen Untersuchungen ausübt, sei hier erwähnt, dass man Haarsack und Pulpa pili, sowie Zahnsäckchen und Organon adamantinae, unerachtet der wohl begründeten Einsprache Reissner’s und meines Neffen M. Reichert, fortdauernd als unmittelbare Umwandlungsproducte der Epidermis entstehen lässt! Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s.w. 12] Auf meinem Standpunkte muss ich daher bei der vorlie- genden Frage zunächst die thatsächlich widerlegte Lehre vom sensiblen Hornblatt fallen lassen. Ich will dabei die Möglich- keit nicht gänzlich abweisen, dass dessen unerachtet zwischen Umhüllungshaut, resp. Epidermis einerseits und zwischen den Elementen descentralen und peripherischen Nervensystemsandrer- seits irgend eine Art morphologischer Beziehung auftreten könne; wissen wir doch, dass zwischen Elementen gesondert entstandener Anlagen von Organen, — vornehmlich durch Vermittelung der Bindesubstanzgebilde, des Blutes, der Nervenfasern —, spätersogar continuirliche Verbindungen zu Stande kommen. Gleichwohl wird man eingestehen müssen, dass die Natur der Epithelien, sobald die Lehre vom sensiblen Hornblatt aufhört, einer der- artigen Verbindung kaum eine fassliche Handhabe darbietet. Ausserdem muss ich hinzufügen, dass ein sicher gestellter, that- sächlicher Beweis für den continuirlichen Zusammenhang der Epithelien und Nervenfasern zur Zeit wenigstens nach meiner Ueberzeugung noch nicht erbracht ist. Gesetzt indess, es ge- länge einen solchen thatsächlichen Beweis zu führen, so würde es dennoch mit Rücksicht auf die unzweifelhaft gesonderten Anlagen der Umhüllungshaut und des Centralnervensystems noth- wendig sein, die Epidermis als einen mit dem Centralnervensystem in Verbindung getretenen Bestandtheil des Körpers, nicht aber als terminale Endigung der Nervenfasern aufzufassen und zu behandeln. Zur Aufklärung meines Standpunktes wünsche ich sodann darauf aufmerksam zu machen, dass ich bei’allen meinen ana- tomischen Untersuchungen und auch bei den vorliegenden, so- weit es irgend die ermittelten, anatomischen Thatsachen ge- statten, auf den Sinn der Lehre von den Primitiv-Organen Be- dacht nehme. Nach meinen Beobachtungen sind an der durch das Labyrinthgrübchen eingeleiteten Bildung des Ohrlabyrinthes, wie beim Auge, folgende als Anlagen gesondert auftretende Or- gane betheiligt: 1) das Gehirn (Centralnervensystem) mit seinem als N. acusticus hervorwachsenden Bestandtheile; 2) die Rücken- platte des Wirbelsystems am Kopfe; 3) die diese Platte äusser- lich überziehende Cutis (derma); 4) die epitheliale Umhüllungs- 122 C. B. Reichert: haut, welche zum Theil wenigstens die Epidermis vertritt. Remak und seine Nachfolger haben die unter 2) und 3) ge- nannten Organe mit dem Namen „Seitenplatten des Kopfes“ bezeichnet, ein Ausdruck, der nur desshalb fehlerhaft ist, weil man mit ihm aus einem ganz unverständlichen Grunde die Rückenplatten der Cutis und des Wirbelsystems im Bereiche des Kopfes in ihrem thatsächlichen Bestande und in der mor- phologischen Beziehung zu den gleichen Bestandtheilen am Rumpfe zu verdecken sucht. Dieser Auffassung und Darstellung gegenüber muss ich hervorheben, dass ich im häutigen Labyrinth und also auch im häutigen Schneckenkanal die umgewandelte Cutis mit der Umhüllungshaut, resp. mit der Epidermis aner- kenne, und dass ich die, in der Umgebung des häutigen Labyrin- thes gelegenen Gebilde (Labyrinthkapsel u. s. w.) als Bestand- theile des Wirbelsystems mit dem von diesen aufgenommenen N. acusticus betrachte. (Vergl. meinen „Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w.“. Abhandl. der Akad. der Wissensch. zu Berlin; 1864, S. 1—18). ‚In dieser Auffassung ist also das Ohrlabyrinth nicht eine nach der Remak’schen Schule berufene Versammlung von hi- stologischen Elementen, sondern ein Apparat, bei dessen Bildung die bezeichneten Organe mit gleichartigen und ungleichartigen histologischen Elementen sich betheiligt haben und in organi- sirte Verbindung getreten sind. Die Abgrenzung der einzelnen Organe im ausgebildeten Ohrlabyrinth, vornehmlich die genaue Feststellung derjenigen Bestandtheile, die aus der Cutis und aus dem Wirbelsystem hervorgehen, desgleichen die Art und Weise, wie die organisirte Verbindung zwischen den einzelnen Organen ausgeführt ist, dies sind Fragen, über die man seine Ansichten haben mag, die aber so lange als offene zu behandeln sind, bis eine grössere Uebereinstimmung in der Deutung der Bildungserscheinungen und in dem thatsächlichen, anatomischen Verhalten des fertigen Öhrlabyrinthes erzielt sein, wird. Die neueren Beobachtungen Böttcher’s, die sich ganz und gar an die Lehre vom sensiblen Hornblatt und von den „Seitenplatten* anschliessen, vermag ich leider für diesen Zweck nicht zu ver- werthen. Es genügt mir überhaupt, in allgemeinen Umrissen Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s.w. 123 den Standpunkt, auf welchem die gangbare Auffassung und Be- handlung des häutigen Schneckenkanals der meinigen gegenüber sich erhebt, charakterisirt und so das eine wichtige Moment bei Beurtheilung der bestehenden Controverse erläutert zu haben. Aus den Ergebnissen meiner Untersuchung des häutigen Schneckenkanals geht aber hervor, dass der Schwerpunkt der Controverse in den von mir ermittelten, rein anatomischen Thatsachen ruht. Diejenigen Beobachtungen, welche allgemein verbreiteten Angaben anderer Autoren widersprechen und meiner Auffassung des häutigen Schneckenkanals zur Stütze dienen, sind folgende. }. Unter No. 8 beschreibe ich das die Paukenlefze des Sulcus spiralis durchsetzende „radiäre Kanalsystem“, zu dessen Erläuterung ich die von Prof. Hartmann genau nach meinen Präparaten angefertigten Figuren hinzugefügt habe. Die radiä- ren Kanäle stehen in freier Communication mit dem die aus- laufenden, terminalen Bündel des N. cochleae enthaltenden Ka- nalsystem im Knochenparenchym der Lamina spiralis ossea und endigen in den Hohlraum der Papilla spiralis Huschke mit kreisförmigen Oeffnungen, die in der Habenula perforata zwi- schen den radiär auslaufenden Leistehen der Anheftungsplatten der inneren Corti’schen Fasern sichtbar sind. Man hat es hier also mit der Gegend zu thun, wo nach der allgemein ver- breiteten Ansicht eine faserige Verbindung zwischen dem Nerv- cochleae in der Lamina spiralis ossea und den Elementen der Papilla spiralis stattfinden soll; und es liegt nahe, das radiäre Kanalsystem für eine solche Communication in Anspruch zu nehmen, vornehmlich, wenn man die Lehre vom sensiblen Horn- blatt cultivirt. Dieser Annahme muss ich ganz entschieden entgegentreten. Die radiären Kanälchen enthalten nicht die geringste Spur eines geformten, faserigen, körnigen, oder zelli- gen Bestandtheils; sie werden regelmässig von der Flüssigkeit erfüllt, die man bei Untersuchung des Präparates verwendet hat; bei stärker gezerrten und gedrückten Präparaten ist es unvermeidlich, dass Partikelchen des geronnenen Marks und faserige Elemente des Nervus cochleae in das angrenzende, weitere, centrale Ende der Kanälchen hineingedrängt werden; 124 C. B. Reichert: in der jedenfalls düssigen Füllungsmasse derselben sind auffäl- lige Niederschläge, vornehmlich eiweissartiger Natur, nicht zu erzeugen. Nach Maassgabe der Umstände muss angenommen werden, dass der flüssige Inhalt der radiären Kanälchen mit dem der Höhle der Papilla spiralis Huschke übereinstimme, und von letzterem darf man aussagen, dass es Endolympha des häutigen Schneckenkanals sein müsse. Die Anfertigung von Präparaten mit der Flächen-Ansicht des radiären Kanalsystemsist nicht schwierig. (Fig. 3.) Man wählt dazu am Zweckmässigsten frische Ohrlabyrinthe von Neugeborenen, von jungen Katzen oder Hunden. Die Vorhofswand des häuti- gen Schneckenkanals wird sodann entfernt und die Paukenwand zugleich mit der Lamina spiralis ossea in beliebiger Ausdehnung frei gemacht. An der so auf einer Glasplatte liegenden Lamelle wird ferner mittelst eines Pinsels das Epithel an der Treppen- fläche, desgleichen das an der Höhlenfläche zugleich mit den übrigen Bestandtheilen der Papilla spiralis Huschke entfernt, so dass nur die Paukenlefze des Suleus spiralis mit der basi- laren Membran zurückbleibt. Bei stark‘ entwickelter Crista acu- stica muss auch diese abgetragen werden. Zur Befeuchtung des Präparates benutze ich Wasser, gefärbt durch Jod, Rosanilin, carminsaures Ammoniak, um namentlich auch die etwa vorhan- denen eiweissartigen Gebilde stärker hervortreten zu lassen Metalllösungen, welcher Art sie auch sein mögen, sind selbst- verständlich gänzlich zu vermeiden, wenn man nicht absichtlich Kunstproducte machen will. Die radiären Kanäle lassen sich nun wegen ihres Verlaufes in der Paukenlefze am besten von der Höhlenfläche aus und zwar an solchen Stellen des Präpa- rates verfolgen, wo zufällig bei Ablösung der inneren Corti- schen Fasern gleichzeitig mit den Anheftungsplatten auch die von diesen zum Grunde des Sulcus spiralis abziehenden Leist- chen entfernt worden sind. Man hat so die Gelegenheit, an jeder Gehörschnecke Hunderte von radiären Kanälchen zu durch- mustern; man übersieht deutlich ihren ganzen Verlauf, ihre nicht rein cylindrische, sondern einem abgestutzten spitzen Hohlkegel vergleichbare Form, die enge, stets mehr kreisförmige, niemals schlitz- oder spaltförmige freie Oeffnung, die zwei- bis Berui " AI = h \ Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w. 1925 dreimal weitere Communicationsöffnung mit dem Hohlraum im Parenchym der Lamina spiralis ossea, in welchem |die ausstrah- lenden Bündel zum Theil wenigstens markhaltiger Fasern des Nervus cochleae ihre Lage haben und durch ihre Aufeinander- folge in der Lamina spiralis ossea das Auftreten des von mir bezeichneten Margo crenulatus bedingen; man überzeugt sich endlich, dass auch nicht ein einziger dieser Hunderte von ra- diären Kanälchen einen festeren, geformten Inhalt, oder ein von dem Schneckennerven ausstrahlendes Faser-Element enthält, obgleich das centrale Ende derselben oft so weit ist, dass es zwei, selbst drei markhaltige Nervenfasern aufnehmen könnte. Ueber die Art und Weise, wie die Ausstrahlungen der Schnecken- nervenfasern an der Communicationsöffnung endigen oder sich verhalten, mag ich keine irgendwie entscheidende Ansicht aus- sprechen; die von Henle beschriebenen Stiftchen (Handbuch der system. Anat. des Menschen. Bd. II, S. 791) habe ich gleichfalls gesehen; ich habe sie für Kunstproducte gehalten, weil sie häufig gar nicht zu beobachten waren. “ Der erläuterte anatomische Befund verlöre an seiner Be- deutung, wäre es unter den obwaltenden Umständen denkbar, dass bei Anfertigung der Präparate, vornehmlich bei Ablösung der Papilla spiralis, gleichfalls auch der Inhalt der radiären Kanäle herausgezogen und entfernt werden könnte. Diese An- nahme ist jedoch im höchsten Grade unwahrscheinlich der Thatsache gegenüber, dass bei allen Präparaten stets auch alle Kanälchen des geformten Inhaltes entbehren. Sodann besitzen die Kanälchen nicht eine rein cylindrische, sondern eine spitze Hohlkegelform; der Durchmesser an der Basis beträgt beim Menschen 0,004 bis 0,0075 Mm., an der abgestutzten Spitze 0,0018 bis 0,005 Mm.; die freie kreisförmige Oeffnung zeigt sich sogar in der Regel etwas enger, als die entsprechende Durch- schnittsöffnung an dieser Stelle des Hohlkegels. Es ergiebt sich hieraus, dass die etwa vorhandene Füllungsmasse der Kanälchen an geformten Bestandtheilen auch beim besten Willen bei der Rei- nigung desPräparates nicht entfernt werden könnte. Endlich muss hinzugefügt werden, dass auch an Durchschnittspräparaten der Paukenwand des Schneckenkanals (vergl. Fig. 2) mit unver- 126 C. B. Reichert: sehrten Corti’schen Fasern die radiären Kanälchen völlig frei von geformtem festen Inhalt gesehen werden, obgleich hierbei eine Reinigung des Präparats, um die Kanälchen zur Anschauung zu bringen, gar nicht erforderlich ist. 2. Die zweite anatomische Beobachtung, auf welcher meine Darstellung des häutigen Schneckenkanals beruht, besteht darin, dass ich in der von den Autoren unter dem Namen Corti’sche Membran, Membrana tectoria beschriebenen Lamelle das von seiner äusseren Anheftung abgerissene und im aufgerollten Zu- stande auf den Corti’schen Apparat niedergefallene, bindege- webige Substrat der Vorhofswand des häutigen Schneckenkanals in völlig unzweifelhafter Weise erkannte. Die leichte Zerstör- barkeit der Vorhofswand des häutigen Schneckenkanals, vor- nehmlich auch des bindegewebigen Substrats hat bekanntlich die grösste Verwirrung in der feineren Anatomie der häutigen Gehörschnecke erzeugt; auch ich selbst bin längere Zeit irre geleitet gewesen. Nach meinen Erfahrungen sind mikroskopi- sche Durchschnitte der Gehörschnecke von dazu vorbereiteten Partes petrosae des Schläfenbeins nicht anzufertigen, ohne die Vorhofswand des häutigen Schneckenkanals mindestens zu einem Theile, vornehmlich in Rücksicht auf die feine elastische, so characteristisch schräg parallel gestreifte bindegewebige Lamelle, zu verletzen. Bei Untersuchung der Schnittflächen an der pa- rallel zur Längsaxe halbirten Gehörschnecke einer jungen Katze entdeckte ich zufällig mittelst der Loupe, dass an zwei Stellen des durchschnittenen häutigen Schneckenkanals die sogenannte Corti’sche Membran fehlte. Indem ich an diesen Stellen die weitere Untersuchung mit der Nadel vornahm, verletzte ich die Vorhofswand des häutigen Schneckenkanals, und unter meinen Augen fiel die sich aufrollende sogenannte Oorti’sche Lamelle auf den Corti’schen Apparat der Paukenwand herab. Die mikroskopische Untersuchung liess keinen Zweifel darüber, dass das, was sich unter meinen Augen abgelöst hatte, die so cha- rakteristisch gezeichnete Corti’sche Lamelle sei. Seit dieser Zeit haben auch meine Untersuchungen der Paukenwand des häutigen Schneckenkanals, namentlich der Höhlenfläche des Corti’schen Apparats und der Papilla spiralis Huschke im a Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w. 197 Allgemeinen sehr wesentlich an Sicherheit gewonnen, nicht allein deshalb, weil ein grober Irrthum in der feinen Anatomie des häutigen Schneckenkanals beseitigt war, sondern weil man sich von der Paukenwand Präparate verschaffen kann, deren Höhlenfläche nicht durch die herabgefallene Vorhofswand gestört und verändert ist. Ich habe mir daher zur Anfertigung von Präparaten der Paukenwand für die mikroskopische Untersuchung stets solche Windungen des häutigen Schneckenkanals aufge- sucht, an welchen die Vorhofswand nicht verletzt war, und zu- vor die Ablösung derselben an der inneren Anheftungsstelle —, d. h. nach innen oder centralwärts von der Crista acustica, — mittelst einer lanzettförmigen Staarnadel ausgeführt, damit die Höhlenfläche der Paukenwand ungestört und unverdeckt durch die Vorhofswand zur Untersuchung vorliege. 3. An solchen Präparaten habe ich mich sodann überzeugen ‚können, dass die Membrana reticularis (Kölliker) nicht, wie eine cuticulare Bildung, über, sondern unter dem Epithel an der Höhlenfläche der Paukenwand des Schneckenkanals ihre Lage hat und die in Folge der Aushildung des Corti’schen Apparates mehr abgesonderte Grenzlamelle des bindegewebigen Stroma’s dieser Wand darstellt. Die Vermuthung Henle’s (a. a. 0.8. 811), dass ich die Lamina retieularis an irgend einer Stelle meiner anatomischen Beschreibung mit der Membrana tectoria verwechselt haben könnte, darf nach dem, was ich oben auseinandergesetzt habe, auch nicht im entferntesten Sinne als begründet angesehen werden. 4. An die so eben besprochene Beobachtung schloss sich die leicht an Durchschnitten der Paukenwand des häutigen Schneckenkanals (vergl. Fig. 2) zu ermittelnde Thatsache, dass die Corti’schen Fasern in einem von der Lamina reticularis und Lamina basilaris begrenzten, also inmitten des bindegewe- bigen Substrats der Paukenwand gelegenen, etwa halbeylindri- schen Hohlraum ausgespannt sind und mit dem Epithel der Höhlenfläche des häutigen Schneckenkanals, sowie der Treppen- gänge in gar keiner continuirlichen Verbindung stehen. Dieser Hohlraum, den ich „Cavum papillae spiralis“ Huschke nennen möchte, communicirt durch Löcher (Zona fenesträta der Lamina 128 C. B. Reichert: reticularis) mit der Höhle des häutigen Schneckenkanals, sowie mit den freien Oeifnungen der spiralen Kanälchen; er enthält, von den Corti’schen Fasern abgesehen, keine Spur von Zellen- körper, sondern muss dem bezeichneten anatomischen Verhalten gemäss mit Endolympha gefüllt sein. Man kann es nicht ver- hindern, dass durch die Präparation gelöste, mehr oder weni- ger veränderte Epithelzellen zwischen den Corti’schen Fasern, vornehmlich in dem von ihnen und der Lamina basilaris gebil- deten Winkel sich einklemmen, aber es ist, sofern man die Reflexion auf das sensible Hornblatt beseitigt, nicht schwierig sich zu überzeugen, dass man es mit zufällig adhärirenden und eingeklemmten epithelialen Zellenkörpern zu thun hat. Durch die longitudinal durchschnittene Schnecke einer jungen Katze, an welcher das aus dem Vas spirale in den Hohlraum extravasirte Blut im continuirlichen Strom wie aus einem geöffneten Blut- gefäss so aus dem Cavum papillae spiralis ausfloss, wurde ich zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Hohlraum nicht von Zellkörpern verstopft sein könne; die mikroskopische Unter- suchung durchschnittener Paukenwände des häutigen Schnecken- kanals haben später diese Vermuthung zu einer gesicherten anatomischen Thatsache erhoben. Die Corti”schen Fasern be- sitzen keine histologischen Eigenschaften eines epithelialen Ge- bildes; sie gehören zu den Bindesubstanzgebilden ohne nach- weisbare Zellkörper und bestehen, vornehmlich am Mittelstück, aus einer auffällig biegsamen, sehr elastischen Grundsubstanz, so dass ich die Einführung des Namens „Gehörstäbehen“ nicht befürworten möchte. Ihre Länge und Dicke variirt je nach der Ausspannung; durch Ausspannung aber können sie noch einmal so lang als im verkürzten Zustande werden. Mittelst der An- heftungsplatten gehen sie continuirlich in die innerste Lamelle der Membrana basilaris über; die Scheitelplatten hängen in der Zona fenestrata so innig mit der Lamina retieularis zusammen, dass es fraglich ist, ob eine vollständige Ablösung zu Stande gebracht werden kann. Die Form der Endstücke der Corti- schen Fasern variirt je nach dem Ausdehnungszustande; im stark verkürzten Zustande bildet sich ein deutlicher und dicker hervortretendes Uebergangsstück zu den Endplatten, deren Be- schreibung später folgt. Br BNn ! Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s.w. 129 5. Schliesslich möchte ich noch hinzufügen, dass ich vollauf alle jene wunderlichen Gebilde kennen gelernt habe, die von den Autoren als besondere epitheliale Formationen beschrieben und mit den angeblichen Ausläufern des Nervus cochleae in Verbindung gebracht worden sind; muss aber gleichzeitig be- merken, dass dieselben an nicht gezerrten Präparaten gänzlich fehlen. Es sind diese Gebilde nach meinen Untersuchungen ganz zuverlässig Kunstproducte, bei welchen sogar adhärirende Fetzen der in ihrer Lage verkannten und von der Habenula pectinata abgerissenen Lamina reticularis eine Rolle gespielt haben. Will man die Epithelzellen des häutigen Schnecken- kanals in planmässig deformirten Zuständen herstellen, so empfehle ich nach meinen Erfahrungen zuerst die Behandlung der Präparate mit der Müller’schen Flüssigkeit und nachträg- lich die Anwendung austrocknender Mittel. Werden dann noch Metallpräparate oder irgend welche Lösungen zu Hilfe genom- men, die Niederschläge bilden, so kann man nach dieser Rich- tung hin recht viel leisten. Nach Anwendung der Müller- schen Flüssigkeit habe ich selbst die aufgequollenen Zellen der Vorhofswand des häutigen Schneckenkanals nach einer leichten Zerrung unter meinen Augen in ein Netz von Fasern sich ver- wandeln sehen, in deren Knotenpunkten die Kerne ihre Lage eingenommen hatten. Ich war darauf gefasst, dass das Epithel des häutigen Schneckenkanals theilweise wenigstens Cilien tra- gen würde; bis jetzt habe ich indess vergeblich nach Cilien gesucht. Um das Epithel an der Höhlen- und Treppenfläche der Paukenwand des häutigen Schneckenkanals unter möglichst normalen Verhältnissen zu untersuchen, ist die vorsichtige Ab- trennung dieser Wand in der oben angedeuteten Weise durch- aus erforderlich. Da man den häutigen Schneckenkanal und namentlich auch die Region der Papilla spiralis Huschke unter allen Umständen, — in Folge der ausgeflossenen Endolympha, — nur im abgespannten und verengten Zustande zur Unter- suchung sich verschaffen kann, so ist auch selbst ohne Beihilfe der austrocknenden Mittel eine gewisse Verdickung der epithe- lialen Membran und ihrer Zellen, beziehungsweise ein Ueber- gang der letzteren in die cylindrische Form, auch da unver- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 9 130 C. B. Reichert: meidlich, wo dieselben im erweiterten Zustande des Hohlraumes vielleicht nicht vorhanden sind. Die mitgetheilten Beobachtungen differiren in dem Grade von allgemein verbreiteten Angaben, dass es kaum möglich sein dürfte, vermittelnde Wege einzuschlagen. Nach der gangbaren Ansicht sollte der häutige Schneckenkanal ein Gewebe sein, in welchem die zahlreichen terminalen Ausläufer des Nervus coch- leae und dazu gehörige Nerven-Elemente mit den acustischen Wasserwellen in unmittelbaren Verkehr treten. Nach meinen Beobachtungen fehlt im häutigen Schneckenkanal jede Spur eines Nervenelements, die in unmittelbare oder mittelbare mor- phologische Beziehung mit dem Nervus cochleae zu bringen wäre; dass mit den Gefässen Elemente des N. sympathicus eintreten, halte ich für wahrscheinlich, sie sind aber bisher von keiner Seite beobachtet. Meine Beobachtungen dagegen führen, wie mir scheint, mit Nothwendigkeit zu der Ansicht, dass der häutige Schneckenkanal, ebenso wie der optische Apparat des Auges, als ein acustischer Apparat zu betrachten sei, durch welchen die acustische Wellenbewegung in der Endolympha zu dem in der Lamina spiralis ossea ausgebreiteten Schneckenner- ven hinzugeleitet wird. Ueber die physikalische Leistung der Corti’schen Fasern möchte zur Zeit kaum eine genügend be- gründete Ansicht auszusprechen sein. Vielleicht dienen sie nur dazu, gleich Spannbalken den Spannungszustand der Wände des Cavum papillae spiralis H zu reguliren, eine Vorstellung, die bei mir durch das Verhalten der Spannfäden der Brutkapseln bei den Bryozoen angeregt wird. (Vergl. meine Abhandl.: Ver- gleichende anatomische Untersuchungen über Zoobotryon pellu- eidus Ehrenb. in den Abhandl, d. Akad. d.Wissensch. zu Berlin, 1870, S. 294 u. s. w.) Die Ergebnisse meiner Untersuchungen wurden nach einem demonstrativen Vortrage in der Akademie der Wissensch. am 18. Juli 1864 durch den Monatsbericht desselben Jahres ver- öffentlicht. Ich hatte die Absicht, meine Beobachtungen, na- mentlich durch embryologische Forschungen zu ergänzen und in Begleitung von Abbildungen der von mir angefertigten Prä- parate ausführlicher zu erläutern. Durch anderweitige Arbeiten Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s.w. ]3] bin ich bisher daran verhindert gewesen; auch habe ich keine Aussicht, in nächster Zeit mich dieser Aufgabe zuwenden zu können. Inzwischen haben Löwenberg'), Henle?), desglei- chen Rosenberg‘) und Böttcher), sowie Gottstein und Waldeyer ’) ihre Beobachtungen über den häutigen Schnecken- kanal mitgetheilt. Dass die Schule des sensiblen Hornblattes sich nicht die Mühe geben würde, auf meine Angaben einzu- gehen, war zu erwarten. Aber auch von Henle sind nicht überall genügend die controversen Punkte hervorgehoben; es ist zu schwierig, ohne erläuternde Zeichnungen in der immerhin dürftigen Beschreibung so verwickelter Formen sich zurecht zu finden. Unter diesen Umständen habe ich mich entschlossen, die Ergebnisse meiner Untersuchungen über den häutigen Schneckenkanal mit Zeichnungen und einigen Zusätzen hier noch einmal zu veröffentlichen. Die Zeichnungen sind dieselben, die ich mit den dazu gehörigen Präparaten zur Demonstration bei meinem Vortrage in der Akademie benutzt habe. 1. An den Wänden des häutigen Schneckenkanals sind zu unterscheiden: das die Höhle auskleidende Epithel und das Substrat. Letzteres enthält der Hauptmasse nach Bindesub- stanzgebilde (hyalinen Knorpel — Faserknorpelgewebe ohne und mit elastischen Elementen, Bindesubstanzlamellen reich an ela- stischem Stoff) in verschiedener oft sehr zierlicher Form und Blutgefässe. Elemente des Nervensystems, Nervenfaser und Nervenkörper, sind im Substrat des häutigen Schneckenkanals nicht nachzuweisen. Zu den angeführten beiden Bestandtheilen tritt da, wo der häutige Schneckenkanal eine freie Fläche der Höhle des Schneckengehäuses zuwendet, — also an der Pauken- 1) Gaz. hebdomad. 1864, No. 42. 2) Handbuch der system. Anat. 1866; Bd. II, S. 715 u. f. Gehör- apparat. 3) Untersuchungen üter die Entwickelung des Canalis cochlearis der Säugethiere Inaugural-Abb. Dorpat 1868, 4) Acta academiae C. L. C. G. natur. curios. Vol. XXXV. 5) Centralblatt f. d. med, Wissenschaft. 1870, No. 40, 9* 132 AO BE Reichert und Vorhofswand, — das Epithel der perilymphatischen Räume, — nämlich der Pauken- und Vorhofstreppe, desgleichen am Vorhofsblindsack das Epithel des von mir beschriebenen peri- Iymphatischen Raumes des Vorhofs, — hinzu. Es ist unpassend das aus der Umwandlung der Cutis ent- standene Substrat, welches an der Lamina spiralis ossea und an der äusseren Wand des häutigen Schneckenkanals mit der Beinhaut der knöchernen Schnecke in continuirlicher Verbindung steht, als Fortsetzung dieser Beinhaut im genetischen Sinne anatomisch zu behandeln (Kölliker). 2. Das den perilymphatischen Räumen a rige Epithel verhält sich an den freien Flächen des häutigen Schneckenkanals nicht anders als dasjenige, welches mit ihm continuirlich zusammenhängt und auf den freien, den peri- Iymphatischen Räumen, resp. Treppengängen u. s. w. zugewen- deten Flächen der Wände der knöchernen Labyrinthkapsel und ihrer Beinhaut sich ausbreitet. Die histologische Form dieses Epithels stimmt im Wesentlichen mit derjenigen des Epithels an den serösen Flächen der Pleura, des Peritonaeum u. s. w. überein; es ist ein polyedrisches Plattenepithel mit häufig rhom- boidalen, selbst spindelförmigen Zellen, deren Contouren nur .m ganz frischen Zustande oder nach Anwendung geeigneter hea- senzien zu erkennen sind. Das Epithel besteht aus mehr plattgedrückten gekernten Zellen und kann durch Zerrung in eine mehr oder weniger pa- rallel gestreifte Substanz verwandelt werden, an welcher nur die Kerne und nicht die eigentlichen Zellencontouren zu sehen sind. In diesen Zuständen kann es mit den sogenannten unreifen Bindesubstanzgebilden, auch mit Nerven-Gebilden verwechselt werden. An der Vorhofswand des häutigen Schnecken- kanals sind die einzelnen Epithelzellen grösser als an der Pau- kenwand. An letzterer besitzen die Zellen eine länger gezogene rhomboidale und selbst deutlich spindelförmige Begrenzung; der Längsdurchmesser der Zellen ist der Längsaxe des Kanals pa- rallel gerichtet, Die von M. Schultze und Deiters im Bereiche der Pa- pilla spiralis H. und ues Corti’schen Apparates beschriebenen Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s.w. 133 varicösen Nervenfaserenden des Schneckennerven lassen sich als gezerrtes Epithel der Paukentreppe nachweisen. Auch die Stützfasern, welche nach Deiters die Corti’schen Fasern stützen sollen, sind auf dieses Epithel und auf abgerissene Fetzen der L. reticularis und basilaris zu beziehen. Kölliker deutete dieses Epithel als Bindegewebskörperchen (Handbuch der Gewebel. 1863. S. 715). Ebenso hat derselbe das gezerrte Epithel der Vorhofstreppe als eine Lage „einfacher Bindesub- stanz“, welche aus dichten Netzen von Bindegewebskörperchen bestehen und auch Capillargefässe führen soll, beschrieben (a. a. OÖ. S. 706). 3. Das Epithel der perilymphatischen Räume und Treppen- gänge fehlt in der Schnecke und im Vorhofe an keiner Stelle der diesen Räumen zugewendeten Fläche. Die Angabe, dass dasselbe an einzelnen Stellen nicht vorhanden sei, ist dadurch entstanden, dass man dasselbe im gezerrten Zustande als Ner- ven- oder Bindesubstanzgebilde u. s. w. gedeutet hatte! (Kölli- ker: Hdb. d. Gewebel. 1863, S. 119. — Hensen: Zeitschr. f£, w. Z. Bd. XIII. S. 483). 4. Das der Hauptmasse nach aus Bindesubstanzgewebe bestehende Substrat des häutigen Schneckenkanals un- terhält, wie ich es in meinem Vortrage am 16. Juni auseinan- dergesetzt habe, an der äusseren Wand und an der inneren oder Spindelkante, des-leichen an den von mir bezeichneten Stellen der terminalen Blindsäcke, eine so innige continuirliche Verbindung mit den Bestandtheilen (Beinhaut) der knöchernen Labyrinthkapsel, dass scharf hervortretende Abgränzungen nicht bemerkbar werden !). 1) Hensen a.a. 0, 488 hat gleichfalls darauf hingewiesen, dass man das aus der Cutis sich entwickelnde Substrat des häutigen Schneckenkanals, wie ich dies ursprünglich gethan habe, von der Beinhaut des Schneckenkanals trennen müsse und nicht so darstellen dürfe, als wenn es aus demselben hervorgegangen wäre. Er kommt aber hierbei in Widerspruch mit der von ihm vertretenen Ansicht, dass das häutige Labyrinth, wie Remak und Kölliker behaupten, aus dem die Anlage der Cutis bedeckenden Epithel (meine Umhüllungs- haut, Remak’s Hornblatt) sich bilde. Den von ihm für das Substrat 134 C. B. Reichert: Die feinsten mit Hülfe des Mikroskops nachweisbaren Tex- tur- und Structurverhältnisse ‚lassen sich am Haupttheile des häutigen Schneckenkanals am zweckmässigsten nach den drei Wänden erläutern, wobei die innere Kante mit der Zona carti- laginea der Lamina spiralis membranacea (Umgebung des Sul- cus spiralis) zur Paukenwand hinzuzuziehen ist. 9. Das Substrat der „Vorhofswand“ ist die unter dem Namen „Corti’sche Membran“ beschriebene elastische Bindesub- stanz-Lamelle, welche Corti und auch Reissuer in Bezug auf die querstreifige Zeichnung richtig beschrieben haben. An dem äusseren Rande ist von mehreren Beobachtern (Böttcher, Deiters) eine netzförmige Zeichnung bemerkt worden. Dies ist die Randpartie, welche von der äusseren Wand des häutigen Schneckenkanals abgerissen ist. Am inneren Winkel des häu- tigen Schneckenkanals tritt das Substrat der Vorhofswand auf den inneren Rand der Crista acustica über. Ich habe an dieser Stelle keine auffällig hervortretende knorpelige Leiste (Crista Reissneri) erkennen können. Das Substrat der dünnen Vorhofs- wand geht continuirlich in die Grundsubstanz der hyalinknor- peligen Crista acustica unmittelbar über. Mit Reissner lassen sich an derselben zwei Bezirke un- terscheiden, ein innerer und ein äusserer, der in die äussere Wand des häutigen Schneckenkanals übergeht. Die Streifung ist in der inneren Zone geriuger, auch gelingt es hier schwie- riger eine Spaltung in Fasern zu bewirken. Die innere Zone muss bedeutend dünner sein (Corti, Hensen) als die äussere, da beide durch Zerrung leicht von einander getrennt werden können. Der äussere Bezirk liegt dann frei und fällt aus dem Segment der Schnecke leicht heraus; der innere dagegen legt sich auf die Crista acustica, rollt sich auf, nimmt das kleinzel- lige Epithel der Höhlenfläche in sich auf und schiebt sich in den Sulcus spiralis der Crista acustica hinein. Das bezeichnete des häutigen Schneckenkanals vorgeschlagenen Namen „Stratum con- junetivum“ halte ich nicht für glücklich gewählt; auch sind ihm nicht alle zum Substrat des häutigen Schneckenkanals gehörigen Bestand- theile bekannt gewesen. An der Vorhofswand hat er dasselbe nicht aulfinden können a.a. 0. S, 484, Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w. 135 Epithel ist es wahrscheinlich, welches die Kölliker’sche Epi- thelwulst am Sulcus spiralis darstellt, und welches Hensen mit dem Namen ÖOrganon Köllikeri belegt hat '). 6. Der wichtigste Theil am häutigen Schneckenkanal ist in dem Substrat der „Paukenwand“ gegeben. Hier ist es, wo die acustischen Apparate ausgebildet sind, durch welche die auf die Endolympha fortgepflanzten Schallwellen-Bewegung regulirt und mit dem Schneckennerven in Verkehr gesetzt wird. Es gehören zum Substrat dieser Wand: die Pars cartilaginea und membranosa der Zona Valsalvae, der Corti’sche Apparat, die Lamina reticularis (Köll.). In Uebereinstimmung mit dem feineren Bau können am Substrat der Paukenwand, — im Haupttheile des häutigen Schneckenkanals (nicht in den terminalen Blindsäcken), — drei der Länge nach neben einander hinziehende und auch in der äusseren Form ausgedrückte Abschnitte oder Zonen unterschie- den werden: 1) die innere Zone, oder Pars cartilaginea Zonae Valsalvae; 2) die mittlere Zone, oder die Papilla spiralis Huschke; 5) die äussere Zone, oder die Zona pectinata. Die am inneren Rande des häutigen Schneckenkanals ge- legene Pars cartilaginea Zonae Valsalvae ist in die Halb- rinne der knöchernen Lamina spiralis so eingefügt, dass ihre eigene Paukenlefze auf der die Enden des Schneckennerven enthaltenden Paukenlefze des knöchernen Spiralblattes ruht, und hier wie an allen Berührungsstellen innig mit der Letzteren verbunden ist. Nach der. Höhle des häutigen Schneckenkanals hin bildet sie den Sulcus, oder Semicanalis spiralis, der mit dem Labium vestibulare oder der Crista acustica frei (von dem Epi- thel abgesehen) in die Höhle des häutigen Schneckenkanals hin- einsieht und zu den bekannten Gehörzähnen oder Corti’schen Zähnen erster Reihe ausgebildet ist. Das mit der Paukenlefze des knöchernen Spiralblattes eng verbundene Labium tympani- 1) Die Untersuchung embryonaler Gehörschnecken hat mich über- zeugt, dass die Kölliker’sche Epithelwulst hier höchst wahrscheinlich mit. der Papilla spiralis Huschke zusammenfällt. Da Dönitz gegen- wärtig die Bildungsgeschichte dieser Papilla verfolgt, so verweise ich auf dessen Mittheilungen. 136 C. B. Reichert: cum der knorpeligen Spiralfurche setzt sich unmittelbar in die Bestandtheile des Substrats der Papilla spiralis H, fort. Das Substrat dieser Papille tritt in Form einer halbeylin- drischen Erhabenheit gegen die Höhle des häutigen Schnecken- kanals hervor und ist in drei durch Hohlräume von ein- einander getrennte Schichten oder Blätter geschieden. Die gegen die Höhle des häutigen Schneckenkanals gewendete und am Mantel des Halbeylinders hinziehende erste Grenzla- melle ist die Lamina reticularis Köll.; für die an der Durchschnittsläcke des Halbeylinders gelegene, in der Hauptrichtung der Paukenwand des häutigen Schneckenkanals hinziehende und gegen die Paukentreppe gewendete Lamelle werde ich den Namen „Lamina oder Membrana basila- ris“ beibehalten; sie enthält das innere Spiralgefäss. Die zwischen beiden eingeschobene mittlere Lame:le wird von den Corti’schen Fasern gebildet und stellt den Corti’schen Ap- parat dar. Am Rande des Substra:s der halbeylindrischen Pa- pilla spiralis setzen sich die drei Lamellen einerseits in das L bium tympanicum der Pars cartilaginea Z V, andrerseits und nach Aussen !) in die Zona pectinata unmittelbar fort; doch gelingt es diese beiden Theile den drei Lamellen des Substrats der Papilla spiralis entsprechend in einzelne Schichten zu zer- reissen. Ausserdem ist die von den Corti’schen Fasern ge- bildete mittlere Lamelle am Scheitel des Halbeylinders durch die Scheitelplatten auf das Innigste mit der Lamina reticularis vereinigt, so dass der zwischen ihr und der Grenzlamelle ge- legene, mehr oder weniger spaltförmige Hohlraum in zwei Abtheilungen (seitliche Kammern) geschieden ist, während der zwischen den Corti’schen Fasern und der Lamina basilaris gelegene etwa dreiseitig begrenzte Hohlraum die mittlere ein- fache Höhle des Corti’schen Organs darstellt. Der mitt- 1) Es ist leider nicht zu vermeiden, bei der Beschreibung der Schnecke die Worte „innen“, „innere“ und „aussen“, „äussere“ im zwiefachen Sinne zu gebrauchen. Mit diesen Worten wird sowohl das verschiedene Lageverhältniss zur Schneckenaxeals auch, — namentlich in Betreff des häutigen Schneckenkanals, — dasjenige zum Hohlraum des häutigen Schneckenkanals bezeichnet. PR a RE Ale / Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w. 137 lere Hohlraum steht mit den seitlichen Kammern durch die zwischen den Corti’schen Fasern befindlichen Spalten in of- fener Verbindung; beide seitlichen Kammern sind durch die Löcher in den Zonae fenestratae der L. reticularis mit dem Hohl- raum des häutigen Schneckenkanals in freien Verkehr gesetzt; in die innere seitliche Kammer öffnet sich das radiäre Kanal- system. (Vergl. den Abschnitt sub No. 14.) Die Zona pec- tinata entspricht dem früher mit gleichem Namen belegten Theile der Zona Valsalvae. Sie setzt sich an der Paukenkante des häutigen Schneckenkanals unmittelbar in das knorpelige> an der Wurzel sowie in der ersten Windung des Körpers der Schnecke, verknöcherte secundäre Spiralblatt fort. Aus der mitgetheilten Beschreibung geht hervor, dass ich die Ansicht Kölliker’s, die Zähnchen der Crista acustica und die Corti’schen Fasern seien Epithelialgebilde, und die M. re- ticularis eine Art Cuticula, in keiner Weise zu vertreten im Stande bin. 7. Der Boden des Sulcus spiralis ist quer gefurcht, wie schon Böttcher angegeben. Die erhabenen Leistchen setzen sich einerseits in die Zähne der Crista acustica, andrer- seits, an Höhe abnehmend, auf die Paukenlefze fort, und zwar zunächst in die Gegend mit den scheinbaren Zähnen Corti’s, sodann in die sogenannte Habenula perforata, woselbst sie in die Anheftungsplatten der inneren Corti’schen Fasern aus- laufen. Die zum Sulcus spiralis ausgebildete Knorpelsubstanz der Zona cartilaginea an der inneren Kante des häutigen Schnecken- kanals nimmt nach dem Vorhofs- und Kuppelblindsack hin, - gleichzeitig mit der Lamina spiralis ossea, an Dicke ab. Hier- mit in Uebereinstimmung wird die Furche nach den Blindsäcken hin enger. Gleichzeitig nimmt die Paukenlefze, namentlich nach dem Kuppelblindsack hin, an Breite zu. Die Crista acu- stica mit den Zähnchen dagegen wird allmälig schmäler und stellt schliesslich eine Reihe papillenartiger Auswüchse dar, welche von der Paukenlefze an der Stelle ausgehen, wo die Vorhofswand unter einem spitzen Winkel mit ihr zusarmmentrifft, An dem Kuppelblindsack setzen sich einige Papillen auf die 138 C. B. Reichert: ‘Wand desselben fort, obgleich die Pars cartilaginea nicht mehr als Furche, auch nicht als Paukenlefze ausgebildet ist. Auch nach dem Vorhofsblindsack hin finden sich noch einige Zähn_ chen an dem Verbindungsbogen beider Spiralblätter in einer Gegend, wo gleichfalls die nervenhaltige Lam, spiral. nicht mehr aufzuweisen ist. Hieraus geht hervor, dass die Crista acustica mit den Zähnchen, obgleich sie im grössten Theile des häutigen Schneckenkanals mit der Paukenlefze im Sulcus spiralis ver- einigt auftritt, auch unabhängig von derselben in Form einzelner Papillen des C. coch. membr. sich zeigt. Die Paukenlefze setzt sich vom Grunde der Spiralfurche in die Paukenwand des häutigen Schneckenkanals in der Art weiter fort, dass sie zuerst in zwei Blätter, in die Lamina re- tieularis Kölliker’s und in den Theil sich trennt, für welchen ich den Namen Zona perforata beibehalten möchte. Letztere spaltet sich später in die mittlere Schicht mit den Corti’schen Fasern und in die Lamina basilaris der Paukenwand, welche von Kölliker Habenula tecta genannt worden ist. Die Corti- sche Faserschicht und die Lamina reticularis enthalten gar keine Gefässe, die Lamina basilaris das innere Spiralgefäss. Für die anatomische Vorstellung der Paukenwand des häutigen Schnecken- kanals möchte es zweckmässig sein, die gefässhaltige Lamina basilaris als den substanzvolleren Träger der Vorhofswand, die mittlere Corti’sche Faserschicht und die Lamina reticularis hingegen als davon abgelöste Lamellen anzusehen. Von diesem Standpunkte aus lässt man das Labium tympanicum unmittel- bar in die Membrana basilaris sich fortsetzen, nachdem die beiden anderen Blätter davon getrennt sind. Der Uebergang in diese Schicht erfolgt unter allmäliger Zuschärfung. Nach der Höhle des häutigen Schneckenkanals hin ist das Labium tympanicum, wie schon angegeben, dem Grunde des Sulcus spiralis zunächst nur schwach radiär gefurcht (Dents apparents Corti’s), indem die Leistchen aus dem Grunde des Suleus spiralis sich hier weiter fortsetzen. An diesem inneren Bezirke des Labium tympanicum inserirt die Lamina reticularis; hier habe ich Theile derselben festsitzen gesehen, hier beob- achtet man noch häufiger abgerissene Fetzen derselben. Die Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s.w. 139 Leistchen des Labium tympanicum ziehen aber nach Aussen hin weiter fort, nehmen allmälig an Höhe zu und gehen un- mittelbar in die dreiseitigen Insertionsplatten der inneren Corti- schen Fasern über. Nach Entfernung der Lamina reticularis und der inneren Corti’schen Fasern bleiben die Insertionsplatten der letzteren nicht selten an der Paukenlefze haften. Die Höhlenfläche der Paukenlefze zeigt dann gerade auffälliger radiär gestellte dun- kele, schattige Stellen, die zum Theil durch die bezeichneten Insertionsplatten der inneren Corti’schen Fasern bewirkt wer- den. Dies ist die Gegend, welche Habenula perforata ge- nannt worden ist, indem man, in vielen Fällen wenigstens, die dunkel schattirten Stellen auf Oeffnungen bezog, durch welche die an senkrechten Durchschnitten der Paukenlefze sichtbaren Kanälchen sich öffnen und die Enden des Schneckennerven aus der Lamina spiralis ossea zum Corti’schen Organe hindurch- treten sollten. 8 Das Labium tympanicum enthält in dem Theile, wel- cher einerseits in die Membrana basilaris, andrerseits in die Lamina spiralis ossea mit dem Schneckennerven übergeht, ein „radiäres Kanalsystem“, das, wie schon bemerkt, sowohl an senkrechten Durchschnitten, als bei Flächenansicht erkannt werden kann. Im letzteren Falle müssen die Lamina reticularis und die Corti’schen Fasern mit ihrer Fortsetzung in die Dents apparents vorsichtig entfernt werden, da der Schattenwurf die- ser Theile die Contourlinien der radiären Kanälchen und die Oeffnungen mehr oder weniger verdeckt. Die hohlcylindrischen oder richtiger abgestumpft spitz hohlkegelförmigen Kanälchen verlaufen in radiärer Richtung nahezu parallel nebeneinander unter dem Boden der Furchen, welche die in die Insertionsplatten der inneren Corti’schen Fasern sich fortsetzenden Leistchen bilden. Sie öffnen sich mittelst einer kreisförmigen, oder der Kreisform sich nähernden elliptisch begränzten Oeffnung an der Uebergangsstelle der Leistchen in die Insertionsplatten. Nach dem durch den Margo erenulatus ausgezeichneten Ende des Schneckennerven hin sieht man die Kanälchen zu zwei, drei und, je nach der Breite 140 C. B. Reichert: jedes Vorsprunges dieses Randes, in vermehrter Zahl conver- giren und in einen Hohlraum einmünden, der sich saumartig um das in einem Vorsprunge des Margo cerenulatus enthaltenen Faserbündel herumzieht. Sind die inneren Oorti’schen Fasern und die Dents apparents mit Bestandtheilen des Labium tym- panicum in den Furchen zwischen ihnen entfernt worden, so zeigen sich die Kanälchen künstlich mehr oder weniger geöffnet. Solche Oeffnungen sind dann langgezogen und spaltförmig. Manche Zeichnungen der Autoren von den Oeffnungen dieser Kanälchen scheinen diesen künstlich gebildeten Spaltöffnungen zu entsprechen. Da die Marksubstanz der Lamina spiralis os- 'sea pr. mit dem Schneckenverven an der Paukenseite des La- bium tympanicum hinzieht, so steigen diese Kanäle schräg nach aussen durch die Dicke der Lefze hindurch, um an der Höhlen- fäche sich zu öffnen. 9. Die meisten Forscher lassen durch die Kanälchen des beschriebenen radiären Kanalsystems den Schneckennerven sich fortsetzen. Wie der Schneckennerve an dem Margo cre- nulatus (Mensch) endet, habe ich bisher mit genügender Sicher- heit nicht verfolgen können. Ich habe frische Präparate aus der Gegend des Hamulus vor mir gehabt, an welchen Schlingen- bildungen der einzelnen Fasern, wie sie früher schon Böttcher gesehen haben wollte, ganz täuschend zu beobachten waren; ich habe aber die Enden der Schlingen nicht deutlich verfolgen können und halte es noch immer für möglich, dass eine Täu- schung vorliege. Mit völliger Sicherheit muss ich mich aber dafür aussprechen, dass durch die bezeichneten Kanäle kein Bestandtheil eines Nerven, auch keine aus Albuminaten beste- hende feste Substanz hindurchtritt oder in denselben sich be- finde. Die Kanäle können nur von einer Flüssigkeit erfüllt sein, welche, wie die Endolympha, eine sehr geringe Menge gelöster Eiweisssubstanz enthält; an den von mir bezeichneten Margo crenulatus des Schneckennerven in der Lamina spiralis primaria muss ich das peripherische Ende desselben setzen. 10. Die den Sulcus spiralis bildende Substanz besteht aus hyalinem Knorpelgewebe, welches von Gefässen durchzogen wird. Dr Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u.s w. 141 Die Knorpelkörperchen sind in derjenigen Schicht, die als Crista acustica ausgebildet ist, entsprechend den Furchen zwischen den Zähnchen in radiären Reihen gruppirt. Die Leistchen, welche in die Zähne der Crista acustica auslaufen, bestehen nur aus Grundsubstanz des hyalinen Knorpelgewebes. Auch im Labium tympanicum sieht man bei Erwachsenen nur Grundsubstanz und keine Knorpelkörperchen. Im übrigen Theile des Knorpels sind die Knorpelkörperchen gleichfalls in Gruppen von zuweilen spindelförmiger Umgrenzung geordnet, scheinen jedoch in ver- schiedene Richtungen hinzuziehen. Die Aufstellung eines be- sonderen Gewebes unter dem Namen „spindelförmiges Knorpel- gewebe“ (Deiters, Hensen) ist nicht gerechtfertigt. ll. An der Lamina reticularis sind zunächst zwei Zonen zu unterscheiden: die mittlere am Scheitel der Papilla spiralis gelegene von Epithelium freie, und die auf den beiden Abhängen des Vorsprungs der Papille sich ausbreitende mit Epithelium bedeckte. An der ersteren unterscheide ich noch den mittleren häutigen Theil und die zu beiden Seiten desselben gelegene von Oeffnungen durchbrochene gefensterte Zone, Zona fene- strata interna und externa. Der mittlere häutige Theil entspricht der Pars membranosa Deiters; sie wird durch die mit ihr vereinigten Scheitelplatten der Corti’schen Fasern scheinbar in rechteckige Felder abgetheilt. Die Oeffnungen der Zona fenestrata entsprechen den schon von Deiters beschrie- benen oberen und unteren Löchern an der Membrana velamen- tosa. Die schmalen Brücken oder Septa, welche die Oeffnungen der äusseren Zona fenestrata von einander trennen, sind die Deiter'schen Stäbe der Lamina reticularis, die derselbe irr- thümlich von den Scheitelplatten der Corti’schen Fasern aus- gehen lässt. An dem zweiten von Epithelium bedeckten Bezirke der Membrana reticeularis sind gleichfalls zwei Zonen oder Regionen zu unterscheiden. Die zunächst an die Löcher, namentlich an die äusseren, anstossende, zeigt das reticulirte Ansehen, welches der ganzen Lamina den Namen verschafft hat. Das reticulirte Ansehen wird aber nicht durch. ein Fasernetz erzeugt, da zwischen 142 C. B. Reichert: den vorgeblichen Fasern eine, jene scheinbaren Maschen füllende, häutige Substanz nachzuweisen ist (Koelliker). Das reticulirte Ansehen ist vielmehr von einer in Alveolen, zur Aufnahme von grösseren Epithelialzellen, modellirten häutigen Lamelle abzu- leiten An dem äusseren Abhange lassen sich drei bis vier (?) alternirend gestellte Reihen solcher Alveolen nachweisen, deren Zahl jedoch nach dem Vorhof und der Kuppel "hin sich ver- mindert. An dem inneren Abhange konnte ich nur zwei Al- veolen-Reihen unterscheiden. Nach Innen und Aussen von der Regio alveolaris, also nach der Anheftungsstelle hin, zeigt die in Rede stehende Lamelle keine deutliche alveolare Ausbildung und geht vielmehr als ebene, sich leicht faltende Lamelle einer- seits in die Zona pectinata, andererseits in die Zona perforata über. Die Anheftungsstelle dieser beiden Zonen findet sich in der Nähe der Anheftungsplatten der Corti’schen Fasern. Die zwischen den Alveolen hinziehenden und demnach gleichfalls alternirend auftretenden Septa sind die Deiter schen Phalangen. 12. An den im normalen Zustande unter einen abgestumpf- ten, etwa rechten Winkel gestellten Corti'schen Fasern sind zu unterscheiden: die beiden Endstücke und das Mittel- stück. Das Mittelstück ist mehr oder weniger cylindrisch und scheint bei den zahlreicheren und dichter gedrängt aufeinander- folgenden inneren Corti’schen Fasern etwas dicker und zugleich etwas kürzer zu sein. Von den beiden Endstücken nenne ich das an dem häu- tigen Theile (Pars membranosa Deiters) der Zona fenestrata Laminae reticularis anliegende die „Scheitelplatte* (Henle’s „oberes“ Ende), das an der Lamina basilaris inserirende die basilare oder „Anheftungsplatte* (Henle’s „unteres“ Ende) Die Endstücke bieten in der mikroskopischen Profil- Ansicht gewöhnlich oder doch sehr häufig eine dreiseitige Be- grenzung dar; auch ist es die Spitze des Dreiecks, welche leicht auf ihrem Uebergange zum Mittelstück verfolgt werden kann. Von diesem Gesichtspunkte aus habe ich meine erste Beschrei- bung aufgenommen, welche mir jetzt nicht genügt, und die ich durch die folgende zu ersetzen wünsche. Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u.s. w. 143 Ich habe bereits hervorgehoben, dass Grösse und Form der Endstücke variabel seien, je nachdem die Corti’schen Fa- sern in einem mehr verkürzten oder ausgedehnten Zustande vorliegen. Beim Vergleich dieser beiden Zustände stellt sich heraus, dass an den Endstücken der äusseren Corti’schen Fa- sern, desgleichen an der Scheitelplatte der inneren zwei Theile zu unterscheiden sind: der vorzugsweise variable Uebergangs- Abschnitt zum Mittelstück und der in Grösse und Begrenzung mehr constante Theil, durch welchen die bezeichneten Endstücke der Corti’schen Fasern ihre Verbindung mit der Lamina re- ticularis und basilaris unterhalten, und die ich die „Grundla- melle“ nennen möchte. Diese stets durch einen radiär gerich- teten längsten Durchmesser ausgezeichnete Grundlamelle tritt in der Gesammtform der Endstücke so überwiegend hervor, dass der Name „Platte“ für das ganze Endstück gerechtfertigt er- scheint. Auf ihr erhebt sich der Uebergangs-Abschnitt in Form eines niedrigen Kegels stets so, dass die zum Mittelstück über- gehende Spitze an dem einen oder anderen Ende hervortritt, und dass das ganze Gebilde in Betreff seiner Gesammtform mit einer auf eine feste Grundlage aufgestützten Fuss- oder hand- förmigen Platte verglichen werden kann, an welche das Mittel- stück, wie der angrenzende Abschnitt der Extremität, sich an- schliesst. Die Anheftungsplatte der inneren Corti’schen Fasern ist von den übrigen Endstücken dadurch wesentlich unterschie- den, dass sie in der Gesammtform eine dreiseitige Platte dar- stellt, und dass diese mit der einen Seite, d.h. mit dem basila- ren Rande, auf die Paukenlefze senkrecht aufgesetzt ist. Es macht sich hier offenbar eine Vorrichtung geltend, durch welche der ungehinderte Verkehr der Endolympha der mittleren Kam- mer des Cavum papillae spiralis H. mit der Endulympha des spiralen Kanalsystems,. welches in der inneren seitlichen Kam- mer frei ausmündet, hergestellt wird. Die Scheitelplatten inseriren an der Pars membranosa der Laminae reticularis, wie bekannt, mittelst einer Grundla- melle, welche die Form eines Rechtecks zeigt. Mit den langen Seiten grenzen die Grundlamellen einer und derselben Reihe dicht aneinander. Ob sie zugleich auch fest aneinander haften, 144 C. B. Reichert: ist schwierig zu ermitteln. Sie lassen sich einzeln, aber auch im gemeinschaftlichen Verbande ablösen. Doch lässt sich im letzteren Falle nicht mit genügender Sicherheit aussagen, ob der Zusammenhang durch gegenseitige feste Anheftung der sich berührenden Ränder oder durch die darüber hinwegziehende Pars membranosa der Lamina reticularis bewirkt wird. In der Scheitellinie des Cavum papillae spiralis H. stossen die einan- der zugewendcten kurzen Ränder der Grundlamellen beider Corti’schen Faserreihen unmittelbar und scheinbar nathförmig aneinander; es correspondiren etwa drei innere Rechtecke mit zwei äusseren; die Trennung beider Reihen voneinander gelingt aber auch hier. An der von der Scheitelnath abgewendeten kurzen Seite befindet sich die Stelle, von wo aus der kegelför- mige Uebergangs-Abschnitt der Scheitelplatten sich erhebt. Bei kurzen, dicken Corti’schen Fasern pflegt der dann auch dik- kere Uebergang-Abschnitt einen grösseren Bezirk der Grund- lamelle in Anspruch zu nehmen oder mit weiterer Basis sich zu erheben; bei langen, dünneren Fasern sclıeint es oft, als ob der Uebergangs- Abschnitt ganz auf das äusserste Ende beschränkt bleibe; die kegelförmige Erhebung ist dann auch unbedeutend. Im letzteren Falle beobachtet man häufig, dass das Mittelstück der Corti’schen Faser scheinbar ohne Uebergangs- Abschnitt und mit einer auffälligen Krümmung aus der Grundlamelle her- vorgeht. Werden alsılann die Scheitelplatten von oben her beobachtet, so kann der optische Durchschnitt des Mittelstücks ein Loch oder auch einen kernartigen Körper, endlich eine Ein- kerbung am Rande der Grundlamelle vortäuschen. Pıäparate dieser Art haben Deiters veranlasst, die von ihm sogenannten Stäbchen der L. reticularis in eine Einkerbung der Scheitel- platten (äussere Mitglieder Deiters) einzufügen. An den Anheftungsplatten der äusseren Corti’schen Fasern kann die zur Insertion an der Lamina basilaris (Zona pectinata) dienende Grundlamelle in der Begrenzung eines gleichschenkligen, spitzen Dreiecks aufgefasst werden, dessen Basis ohne scharfe Abgrenzung in die Zona pectinata sich ver- liert. Nicht selten werden bei Ablösung der äusseren Corti- schen Fasern stachelartige Fortsätze abgerissen, die sich zwi- oa a r I Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w. 145 schen den Zellen des Epithels des häutigen Schneckenkanals hineindrängen. An der gegen die Axe des Cavum papillae spiralis gerichteten Spitze der dreieckigen Grundlamelle sieht man den kurzen, kegelförmigen Uebergangs- Abschnitt sich er- heben und in das Mittelstück der Corti’schen Faser sich fort- setzen. Der kreisförmige optische Durchschnitt des Uebergangs- Abschnittes wurde von Deiters als Begrenzung einer Höhle auf- gefasst und die ganze Anheftungsplatte mit einer Glocke ver- glichen. Die Anheftungsplatte derinneren Corti’schen Fasern ist in Form eines ungleichseitigen, stumpfwinkligen Dreiecks begrenzt und mit ihrem basilaren Rande senkrecht auf die Paukenlefze, wie schon angegeben, aufgesetzt. Im Profil be- trachtet giebt sich eine Grenzlinie zwischen dem basilaren Rande und der Paukenlefze zu erkennen, die bei flüchtiger Beobachtung so gedeutet werden könnte, als ob beide Theile durch eine Nath verbunden seien und nur im Contact miteinander ständen. Die Grenzlinie ist aber nicht scharf und wird bei näherer Unter- suchung leicht als ein Schattenwurf erkannt, der durch den ab- gerundeten rechten Winkel erzeugt wird, welchen die Anhef- _ _tungsplatte mit der Paukenlefze bildet. Die Substanz der An- heftungsplatte geht vielmehr auch hier continuirlich in die Sub- stanz der Paukenlefze über, so dass bei Abtrennung der ersteren von der letzteren häufig mehr oder weniger lange Abschnitte der Dents apparents, in welche der innere Winkel der Platte sich unmittelbar fortsetzt, zugleich abgezogen werden. Von den beiden anderen freien Rändern der dreiseitigen Anheftungsplatte ist die innere längere nach der inneren seitlichen Kammer, die äussere kürzere, etwas concave gegen die mittlere Kammer des Cavum papillae spiralis H. gerichtet. Die Spitze des Dreiecks geht in das Mittelstück über. Die freien Flächen der Anhef- tungsplatte sind den correspondirenden Flächen der nächsten Platten zugewendet und begrenzen mit diesen die schattigen Furchen in der Habenula perforata. Diese Furchen, die sich direct in die flachen Furchen zwischen den Dents apparents mit den freien Oeffnungen der spiralen Kanälchen fortsetzen, bleiben für den freien Verkehr der Endolympha auch dann noch Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 10 146 ©. B. Reichert: geöffnet, wenn die stark verkürzten und verdickten Mittel- stücke der inneren Corti’schen Fasern sich unmittelbar be- rühren, und die sie trennenden Zwischenräume scheinbar wenigstens verschlossen werden. 13. Die Substanz der Lamina reticularis und der .Corti’schen Fasern, namentlich aber die der letzteren, ist ein an elastischem Stoff sehr reiches Bindesubstanzgewebe, wel- ches bei Erwachsenen keine deutlichen Bindesubstanzkörperchen erkennen lässt. Die Corti’schen Fasern, wie die Septa oder Stäbchen der Zona fenestrata, lassen sich ausserordentlich in die Länge ziehen, ohne zu zerreissen. Sie sind ferner so bieg- sam, dass sie in beliebige spirale und wellenförmige Form ge- krümmt sein können. Die Biegungen können so klein sein, dass sie wie Knötchen an den Fasern erscheinen. Das sind die Varicositäten Kölliker’s, die ihn früher dazu verleitet hatten, die Corti’schen Fasern für Nervenelemente zu halten. 14. ImSubstrat der Papilla spiralis Huschke sind die schon sub No. 6 erwähnten Hohlräume enthalten. In der Ein- leitung zum vorliegenden Abdruck habe ich die durch die La- mina reticularis und durch die Lamina basilaris in ihrer Ge- sammtheit abgegrenzten und untereinander communicirenden Hohlräume das „Cavum papillae spiralis Huschke* genannt und eine „mittlere « Kammer, desgleichen die beiden „seitlichen “, — eine „äussere“ und eine „innere“, gegen den Modiolus der Schnecke gewendete, — unterschieden. Die mittlere Kammer ist im Durchschnitt dreiseitig; die Basis wird von der das Vas spirale enthaltenden Lamina basi- larıs gebildet, die beiden Seiten von den Corti’schen Faser- reihen (Mittelstück). Die Scheitelkante ist abgestumpft; hier haben die mit der Pars membranosa der Lamina reticularis ver- einigten Scheitelplatten der Corti’schen Fasern ihre Lage. In diesem Hohlraum befinden sich keine zelligen Gebilde (Köl- liker), keine Stützfasern (Deiters); die mittlere Kammer ist nur von Endolympha erfüllt. Die Höhle der mittleren Kammer sammt Inhalt steht durch die Spalten zwischen den Corti’schen Fasern in directer Verbindung mit den seitlichen Kammern; die Communication mit der inneren seitlichen Kammer wird noch YA Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u.s w. 147 ganz besonders durch die zwischen den Anheftungsplatten der inneren Corti’schen Fasern verlaufenden Furchen erleichtert und gesichert. Gelegentlich sei bemerkt, dass ich das Vas spi- rale der Lamina basilaris, mit Blut stark gefüllt, recht oft nicht nach der Paukentreppe, wie gewöhnlich beim entleerten Zu- stande, sondern nach dem Hohlraum der mittleren Kammer hervortretend gesehen habe. Zwischen den Corti’schen Faserreihen und der Lamina reticularis haben die mehr spaltförmigen seitlichen Kammern ihre Ausbreitung; zur Begrenzung derselben würden aber noch schmale Abschnitte der Hab. perforata und Zona pectinata der Paukenwand hinzuzuziehen sein. Auch sie sind nur von En- dolympha erfüllt, die durch die Zona fenestrata der L. reticu- laris einen freien Verkehr mit der Endolympha der Höhle des häutigen Schneckenkanals unterhält. In der inneren seitlichen Kammer und zwar in den Furchen zwischen den Dents appa- rents der Zona perforata, die sich in die Furchen zwischen den Anheftungsplatten der inneren Corti’schen Fasern fortsetzen, befinden sich die kreisförmigen Oeffnungen, durch welche das spirale Kanalsystem mit dieser Kammer communicirt. 15. Das Substrat der „äusseren“ Wand des häutigen Schneckenkanals geht mittelst eines zugeschärften Vorsprunges (Lamina spiralis accessoria) in die Zona pectinata des Substrates der Paukenwand über und besitzt in der Nähe dieser L. spir. acc. einen zweiten frei in die Höhle des häutigen Schnecken- kanals vorspringenden Theil, welcher das äussere Spiralgefäss (Brechet’sche Vene?) enthält, so dass zwischen beiden Vor- sprüngen eine flache Furche gebildet wird, die dem Sulcus spi- ralis gegenüberliegt. Die Substanz dieser Wand besteht der Hauptmasse nach aus elastisch hyalinem Knorpelgewebe. Die elastischen Fasernetze sind besonders zahlreich in dem von der L. spir. ace. zur Beinhaut der äusseren Wand der Paukentreppe auslaufenden Theile; im Allgemeinen haben sie aber sowohl an dieser Stelle als an der äusseren Wand des häutigen Schnecken- kanals selbst einen gegen die L. spir. acc. ausstrablenden Ver- lauf. Zwischen den Fasernetzen sind in der hyalinen Grund- substanz Gruppen von Knorpelkörperchen scheinbar in die Ma- 10* 148 C. B. Reichert: schen der elastischen Fasernetze eingelegt. Die in die Zona pectinata vorspringende Lamina spiral. access, und der Boden der Furche zwischen ihr und der das äussere Spiralgefäss ent- haltenden Leiste ist frei von Knorpelkörperchen und elastischen Fasern. Auch nach der Paukentreppe hin bleibt ein scheinbar von Knorpelkörperchen und elastischen Fasern freier Saum hya- liner Grundsubstanz sichtbar. Zwischen der Anheftungsstelle der Vorhofswand und dem das Spiralgefäss enthaltenden Vor- sprunge breitet sich in der gegen den Hohlraum gewendeten Schicht dieser Wand die Stria vascularis aus; hier fehlen gleich- falls elastische Fasern und Knorpelkörperchen. Auf dem Ueber- gange zum Substrat der Vorhofswand ist diese Schicht gewöhn- lich ohne Gefässe und reisst leicht netzfaserig ein. 16. Der zweite Hauptbestandtheil der Wand des häutigen Schneckenkanals ist das die Höhlenfläche des letzteren bekleidende Epithel. Es giebt eine Gegend, in welcher ich niemals Epithelzellen vorgefunden habe; dies ist die Scheitel- gegend der Papilla spiralis H., an welcher der epithelfreie Be- zirk der Membrana reticularis mit der Pars membranacea und den beiden Zonae fenestratae völlig frei liegt. Den auf die Endolympha des häutigen Schneckenkanals fortgesetzten Schall- wellen ist hier durch die Oeffnungen der gefensterten Zone der freie Durchgang zur Endolympha in den seitlichen Kammern der Papilla spiralis H. und in dem radiären, unmittelbar auf die nachweisbaren Enden des Schneckennerven auslaufenden Kanalsystem gestattet. Das Epithel wechselt seine Beschaffenheit an den verschie- denen Wänden und selbst im Bereiche einer und derselben Wand. Auf den Abhängen der Papilla spiralis, in der Regio alveolaris der Membrana reticularis besteht das Epithel aus kurzen cylindrischen Zellen, die in die Alveolen eingesetzt sind und, wie letztere, in den einzelnen Reihen alternirend zu ein- ander gestellt sind. Die auf dem äusseren Abhange gelege- nen gewöhnlich in drei Reihen geordneten Epithelzellen sind die bekannten Corti’schen Zellen. Auf diese eylindrischen Epi- thelzellen folgt ein mehr einfaches Plattenepithel, dessen Zellen vollsaftig und in etwa zwei bis drei Reihen nebeneinander geord- Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w. 149 net sind. Sie liegen in der Gegend, wo die Abhänge der Pa- pilla spiralis einerseits auf die Zona pectinata, andrerseits auf den Suleus spiralis übergehen. Durch Diffusion sah ich diese Zellen in jene grossen runden Zellen sich umwandeln, welche zuerst von Claudius beschrieben worden sind. Auf der Zona peetinata und perforata ist im Anschluss an die eben beschrie- benen Epithelzellen ein durch die Kleinheit seiner Zellen aus- gezeichnetes Plattenepithel ausgebreitet. An der Lamina spi- ralis secundaria, im Bereiche des Sulcus spiralis und der Crista acustica werden die Zellen des Plattenepithels wieder etwas höher und mehr cylindrisch, Ein mehr ausgesprochenes eylindrisches Epithel zeigt sich gewöhnlich im Bereiche der Stria vascularis. Doch wäre noch zu untersuchen, ob nicht die Einschrumpfung der Stria vasc. und die dadurch erzeugte Ver- kleinerung der freien Fläche, vornehmlich bei Entleerung der Blutgefässe, auf das Oylindrischwerden der Zellen eingewirkt hat. Die Höhlenfläche der Vorhofswand (Corti’schen Mem- bran) dagegen ist durch ein polyedrisches Plattenepithel ausge- zeichnet, welches sich auch eine Strecke entlang auf die äussere Wand des häutigen Schneckenkanals herüberzieht. An nicht gezerrten Präparaten sind im Bereiche der Pa- pilla spiralis H., andere Formen als die beschriebenen von mir nicht vorgefunden. Sind aber die Präparate gezerrt, — und dies muss, nach den Zeichnungen zu urtheilen, auch bei den Präparaten von Deiters der Fall gewesen sein, — so zeigen sich mikroskopische Bilder, welche die Auffassung sogenannter Stachelzellen, Fadenzellen u. s. w. veranlasst haben. An den mit den gewöhnlichen Reagentien behandelten Prä- paraten sind die Kerne namentlich der kleinzelligen Epithelien durch die dunkle Contour und den starken Glanz sehr ausge- zeichnet. An zerstörten Präparaten liegen dieselben frei in Srosser Anzahl über die Paukenwand des häutigen Schnecken- kanals verbreitet; sie adhäriren natürlich sehr leicht an solchen Stellen, wo Vertiefungen und Erhabenheiten sich vorfinden, wie z.B. in den Furchen der Zona pectinata und an den Anheftungs- platten der Corti’schen Fasern, woselbst sie als diesen Thei- len angehörige Körper beschrieben worden sind (Kölliker). 150 C. B. Reichert: Erklärung der Abbildungen. Allgemein gültige Bezeichnungen: 1) solche, die bereits in meiner Abhandlung „Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke des Menschen und der Säugethiere“ (Abth. I, Abhandl. der Königl. Akad. d. Wiss. zu Berlin 1864, 8. I bis 60 mit 3 Taf.) Verwendung gefunden haben. C Kanal des knöchernen Schneckenkörpers mit Beinhaut. Ce äussere Wand des knöchernen Schneckenkanals, Ca seine Spindelwand, Ci die Zwischenwand. M Modiolus mit der Spindelsubstanz, in welcher der Nervus cochleae Aufnahme findet. hg Canalis spiralis s. ganglionaris modioli, worin das Ganglion des Schneckennerven sich ausbreitet. Ne Nervus cochleae. F Spongiöse Knochensubstanz des Felsenbeines. lsp Lamina spiralis primaria. Isp‘ Lamina spiralis secundaria. Pv Vorhofstreppe der älteren Autoren nach Abzug der Abtheilung des Hohlraumes, der zum häutigen Schneckenkanal gehört. Pt die Paukentreppe. Cm der häutige Schneckenkanal, Cmt Paukenwand desselben, (Zona cartilaginea und membranacea laminae spiralis pr.), Cmv Vorhofswand, Cme äussere, von der Schneckenaxe abgewendete Wand. at Paukenkante, av Vorhofskante, ai Innere oder Spindel-Kante des im Allgemeinen dreiseitig pris- matisch begrenzten häutigen Schneckenkanals. cac Crista acustica des häutigen Schneckenkanals ; labium vesti- bulare des suleus spiralis mit den Gehörzähnen. O Corti’sches Organ. 2) Neu hinzutretende allgemein gültige Bezeichnungen: a) in Betreff des knöchernen Schneckenkanals oder der Labyrinthkapsel. E das Epithel der Treppengänge. Et das Epithel der Paukentreppe. Ev das Epithel der Vorhofstreppe. Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u, s. w. 151 I Hohlraum der Lamina spiralis primaria, in welchem die einzel- nen, terminalen Bündel der Schneckennerven liegen. b) betrifft den häutigen Schneckenkanal. eo Epithel des häutigen Schneckenkanals. eo! Corti'sche Zellen. e® Regionen mit eylindrischen Zellen. e? das Plattenepithel an der Vorhofswand. S das Substrat des häutigen Schneckenkanals. St das Substrat der Paukenwand. —t! Zona cartilaginea Valsalvae, insbesondere des Labium tym- panieum H. des Sulcus spiralis. sp Suleus spiralis. —t? das Substrat der Papilla spiralis H., —t?b Aeussere nach der Paukentreppe hin gelegene Lamelle, —t?b! Zona perforata. r radiäre Kanälchen derselben. —t2b?2 Lamina basilaris, x das Spiralgefäss derselben. —t?b? der zur Zona pectinata übergehende Abschnitt. —t?r die innere zur Höhle des häutigen Schneckenkanals gewen- dete Lamelle des Substrats vorliegender Gegend, — die so- genannte Lamina reticularis; —t2rm die Pars membranosa derselben ; —t?ro Zona fenestrata; —t?ra Zona alveolaris. — t2i die inneren Corti’schen Fasern, —t?e die äussere; in specie ihre Mittelstücke. —t?iv und t?ey die Scheitelplatten der Corti’schen Fasern, —t?ib und t?eb die basilaren oder Anheftungsplatten. v die Kammern der Höhle im Substrat der Papilla spiralis H. vm die mittlere Kammer; vi die innere, ve die äussere seitliche Kammer. —t? das Substrat der Zona pectinata. Sy das Substrat der Vorhofswand, Se das Substrat der äusseren Wand des häutigen Schnecken- kanals. Die Beschreibung der einzelnen Figuren habe ich absichtlich mög- lichst ausführlich und unter wiederholter Berücksichtigung des Textes gemacht. — Die mikroskopischen Einzelnheiten der Präparate sind meist bei 4-—- 500facher Vergrösserung von Prof. Hartmann gezeich- net; nur in Fig. 4 ist dies Maass willkürlich überschritten. HERE et NEE 152 GEB Reıchöst: ae | : 3 ; Tafel V. Fig. 1. Durch vorstehende Abbildung wünsche ich eine vollständige Uebersicht des gröberen und feineren Baues des Schneckenkanals, vornehmlich des häutigen, nach meinen Be- funden zu geben. Ich habe zu diesem Zweck ein schmales Stück aus dem Anfang der 2. Windung des Schneckenkanals gewählt, das zwar in der Durchschnittszeichnung angelegt ist, zugleich aber an einzelnen Stellen - die Flächenansicht des schmalen Abschnittes darbietet, damit der complieirte Bau an- schaulicher hervortrete. Meine Worte haben es bereits ange- deutet, dass man es mit einer schematischen Zeichnung zu thun hat. Die Anfertigung eines Präparates in solcher Vollständig- keit, wie es in der Zeichnung dargestellt wird, ist für mikros- kopische Beobachtungen zur Zeit wenigstens nicht ausführbar. Doch muss ich bemerken, dass das Schema jede unter den vor- handenen Umständen mögliche Rücksicht auf die von mir an- gefertigten Präparate genommen hat. Die äussere Form des knöchernen und häutigen Schneckenkanals ist in stark ver- grössertem Maassstabe von dem Präparat und von den Zeich- nungen entnommen, welche in der ersten Abtheilung meiner Untersuchungen über die Gehörschnecke der Säugethiere erläu- tert sind; zum Vergleich sind namentlich Fig. 6 und Fig. 7 der Tafel II heranzuziehen. Es kam mir hierbei vornehm- lich darauf an, das Form- und das Grössenverhältniss der Haupttheile des Schneckenkanals, — des knöchernen und häu- tigen Kanals, ferner der Treppengänge, der einzelnen Zonen an der Vorhofswand des häutigen Schneckenkanals, — möglichst streng einzuhalten. Um die feinere Struktur des häutigen Schneckenkanals deutlicher hervortreten zu lassen, ist die Zeich- nung nach Präparaten bei etwa 300facher Vergrösserung ange- fertigt. Etwas schärfer, als man es an den Präparaten gewöhn- lich sieht, ist die Abgrenzungslinie zwischen der inneren Kante des häutigen Schneckenkanals und der Lamina spiralis ossea hervorgehoben, was sich genetisch und in Rücksicht auf meine Darstellung des Zusammenhanges und der Verbindung der be- treffenden Bestandtheile rechtfertigt. F. Spongiöse Knochensubstanz der Pars petrosa des Schlä- fenbeins. M. Spindelsubstanz des Modiolus. hg. Der spirale Kanal der Spindelsubstanz, in welchem die Habenula ganglionaris des Schneckennerven ihre Lage hat. (Canalis spiralis periphericus.) Lsp. Die von der Spindelsubstanz des Modiolus gegen die innere Kante des häutigen Schneckenkanals mit der Crista acustica (cac) vorspringende Lamina spiralis ossea primaria, welche zugleich die aus der Habenula ganglionaris hervortre- tenden terminalen Fasern des N. cochleae enthält. Lsp°. Begrenzungslinie der Furche am freien Rande des u re Ba Ben Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w. 153 knöchernen primären Spiralblattes, in welche die abgerundete innere Kante des häutigen Schneckenkanals mit der Ur. acus- tica eingefügt ist. Beide Theile treten an den Berührungs- flächen durch ihre Bindesubstanzen in so innige Verbindung miteinander, dass die gegenseitige Abgrenzungslinie an Durch- schnitten niemals scharf, aber doch in der durch die Zeichnung markirten Weise genügend deutlich ausgeprägt ist. Die Furche des primären Spiralblattes wird von zugeschärften Lefzen begrenzt, von welchen die zur Paukentreppe gewendete stark ausgezogen ist und die in ihr gelegenen äussersten Enden des Schnecken- nerven, an der Paukenwand des häutigen Schneckenkanals ent- lang, bis zur inneren'Seitenkammer (vi) der Papilla spiralis H. heranbringt. l. Durchschnitt des Hohlraums der Lam. sp. pr., in wel- chem die peripherischen Enden des Schneckennerven frei liegen, und in den die erweiterten Enden der radiären Kanälchen (r) ausmünden. C. Die knöcherne Schnecke oder die Labyrinthkapsel der Pars petrosa des Schläfenbeins, zugleich mit der Beinhaut; sie ist nur in ihrem Zuge angedeutet und deshalb auch an der äusseren Wand die Abgrenzungslinie von der mit ihr verwach- senen äusseren Wand des häutigen Schneckenkanals nicht be- sonders hervorgehoben. — Ca. Das Spindelblatt oder die innere ‘Wand der Labyrinthkapsel; Ci der zur Zwischenwand gehörige Abschnitt derselben; Ce ihre äussere Wand. Lsp!. Lamina spiralis secundaria (Ligamentum spirale Köll.), die zur Befestigung der Paukenwand des häutigen Schneckenkanals vorspringende Leiste der Labyrinthkapsel, welche im Anfange der ersten Windung des Schneckenkörpers theilweise verknöckert ist, in den übrigen Windungen nur als eine durch elastische Knorpelsubstanz verdickte Stelle der Bein- haut angesehen werden kann. Ce!. Die an der äusseren Wand der Labyrinthkapsel sicht- bare Leiste, welche gegen den Hohlraum des häutigen Schnecken- kanals in ziemlich gleicher Höhe mit der Crista acustica vor- springt. Sie wird von Deiters irrthümlich für die Anheftung der Corti’schen Membran in Anspruch genommen. Oberhalb der vorspringenden Leiste ist die Beinhaut (?) der Labyrinth- kapsel an dieser Wand in einem schmalen Streifen durch Dicke und den Reichthum feiner Blutgefässe ausgezeichnet; es ist dies die in der Zeichnung leichthin markirte Stria vascularis. Ich muss es unentschieden lassen, ob die erwähnte Leiste und die Stria vascularis genetisch als Bestandtheile der Beinhaut an der äusseren Wand der Labyrinthkapsel zu betrachten sind, oder ob sie zur äusseren Wand des Canalis cochlearis membra- naceus gehören. Beide Theile sind auch hier, wie an anderen unmittelbaren Berührungsstellen, so innig mit einander verbun- den, dass man vergeblich nach hervortretenden Abgrenzungs- linien sucht. IA, C. B. Reichert: Ce?. Die nur wenig vorspringende Leiste der Beinhaut an der äusseren Wand der Labyrinthkapsel, die zur Befesti- gung der Vorhofswand des häutigen Schneckenkanals dient. Pv, Pt bezeichnen die ganz oder theilweise vom Durch- ' schnitt getroffene Vorhofs- und Paukentreppe der knöchernen Schnecke; die vollständig durchschnittenen gehören zu der Windung, deren entsprechender häutiger Schneckenkanal hier dargestellt ist. Et. Das rhomboidale, plattenförmige Epithel der Pauken- treppe. Et!. Dasselbe Epithel an der Paukenwand des häutigen Schneckenkanals. Ev. Das Epithel der Vorhofstreppe. Ev!. Dasselbe Epithel an der Vorhofswand des häutigen Schneckenkanals, das sich, wie das Epithelium fusiforme der Blutgefässe, durch die spitz-rhomboidale Form der Zellen aus- zeichnet. Durch Zerrung dieses Epithels entstehen, wie im Text angegeben, jene Kunstprodukte, welche Nerven- und Binde- substanzgebilde vorspiegeln können. Cm. Der häutige Schneckenkanal (Canalis cochlearis mem- branaceus). Cmv. Die Vorhofswand desselben so dargestellt, dass an der äusseren Hälfte die nach der Vorhofstreppe, an der inneren die nach der Höhle des häutigen Schneckenkanals gewendete Fläche zur Anschauung tritt. Das beide Flächen deckende Epithel ist nur theilweise ausgeführt, damit das durch seine schräg verlaufende, parallele Streifung ausgezeichnete, binde- gewebige Substrat der Wand (die Corti’sche Membran der Autoren) gleichzeitig gesehen werde. Cmt. Die Paukenwand des häutigen Schneckenkanals mit der Crista acustica und der Papilla spiralis H. so gezeichnet, dass man sowohl die Höhlenfläche, als auch an der Schnitt- fläche die Kammern in der Huschke’schen Papille und die Oorti’schen Fasern zur Ansicht hat. Cme. Die äussere Wand des häutigen Schneckenkanals, welche gleichfalls mit besonderer Rücksicht auf die Höhlen- fläche und des daselbst sich ausbreitenden Epithels aufgenom- men ist. at. av, ai: Pauken-, Vorhofs-, innere (Spindel-) Kante oder Winkel des dreiseitig prismatisch gestalteten häutigen Schnecken- kanals. — Bei starker sphärischer Krümmung der äusseren Wand des häutigen Schneckenkanals tritt der Paukenwinkel, wie im vorliegenden Falle, nicht deutlich heraus; die Pauken- wand geht hier gradlinig in die äussere Wand so über, dass die Abgrenzung beider Wände nur durch das Ligamentum spi- rale (K.) regulirt werden kann. — Am abgerundeten inneren Winkel tritt die Orista acustiea mit den Gehörzähnchen gegen die Höhle des häutigen Schneckenkanals hervor und wird mit Rücksicht auf den dadurch gebildeten Sulcus spiralis (sp) das Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w. 155 Labium vestibulare (Huschke) des letzteren genannt, Die dem Labium vestibulare gegenüberliegende Wand des Sul- cus spiralis wird von Huschke mit dem Namen Labium tym- panium bezeichnet; sie gehört aber mit der Orista acustica zur Paukenwand des häutigen Schneckenkanals. Es ist morpho- logisch wichtig, diesen Gesichtspunkt festzuhalten und vornehm- lich das Labium vestibulare (Crista acustica) als eine von der Paukenwand (Labium tympanicum) ausgehende Bildung des häutigen Schneckenkanals zu betrachten. Zur richtigen Wür- digung dieser Gegend ist auch in Betracht zu ziehen, dass die Crista acustica (— und mit ihr der Suleus spiralis —) nach den beiden Enden des häutigen Schneckenkanals hin allmälig niedriger wird und vor dem gänzlichen Verschwinden nur noch in Form papillarer Ursprünge gesehen wird, — und zwar in einer Gegend, wo das Labium tympanicum als ein besonderer Abschnitt der Paukenwand des häutigen Schneckenkanals nicht ausgebildet ist. S. Das Substrat des häutigen Schneckenkanals mit vor- nehmlicher Berücksichtigung seines Hauptbestandtheiles, der Bindesubstanzgewebe, dargestellt. Es sind darin ausserdem noch Blutgefässe nachgewiesen, deren Ausbreitung aber, von der Stria vascularis abgesehen, sich auf die Paukenwand beschrän- ken würde. Von diesen Blutgefässen ist in der Zeichnung nur das sogenannte innere Spiralgefäss aufgenommen. — Sv, St, Se: Substrat der Vorhofs-, der Pauken-, der äusseren Wand des häutigen Schneckenkanals, von welchen jedoch nur das Substrat der beiden ersteren Wände, durch die perilymphati- schen Treppengänge von den entsprechenden Wänden der Laby- rinthkapsel zum grössten Theile abgelöst, in freier, selbständi- ger Begrenzung auftritt. Sv, Sv!. Die innere und äussere Zone des Substrats der Vorhofswand; von der inneren Zone ist ein epithelfreier Thei, der Höhlenfläche, von der äusseren die Aussenfläche sichtbar Die Grenzlinie zwischen beiden Zonen liegt etwa in der Mitte der Lamelle; hier, an der dünnsten Stelle des Substrats, trennen sich beide Zonen so leicht; die innere Zone fällt dann als so- genannte Corti’sche Mebran auf den Sulcus spiralis H. herab, während die äussere Zone, gewöhnlich gleichzeitig auch am Vorhofswinkel abgerissen, als frei liegende Lamelle innerhalb des Hohlraums des häutigen Schneckenkanals aufgefunden wird, wenn sie nicht zufällig verloren gegangen ist. St. Die Paukenwand des Substrats, an welcher ich drei Theile unterschieden habe: —t! den inneren Theil oder Pars cartilaginea Zonae Valsalvae mit der Crista acustica; —t? den mittleren Theil oder das Substrat der Papilla spiralis H. mit den Corti’schen Fasern und —t? den äusseren Bezirk oder Pars pectinata, durch welche die Paukenwand des häutigen Schnecken- kanals an die Lamina spiralis secundaria befestigt wird, und zugleich der Uebergang in das Substrat der äusseren Wand stattfindet. 156 C. B. Reichert: —t!. Mit dem vorstehenden Buchstaben wünsche ich die Gegend des Suleus spiralis und speciell das Labium tympani- cum in der Ausdehnung bis zum Substrat der Papilla spiralis H. zu bezeichnen. Die Höhlenfläche dieses Substrats ist, wie die Vorhofsfläche der Crista acustica, durch parallel in der Richtung des Radius rector verlaufende, niedrige Leistchen und entsprechende Furchen ausgezeichnet. - —t?, Das Substrat des mittleren Theiles der Paukenwand zeigt das dreikammerige Cavum papillae spiralis H. und die in Folge der Ausbildung dieser Höhle darin gesonderten einzelnen Lamellen, —t?b bezeichnet die äussere, zur Paukentreppe gelegene Lamelle, die als Fortsetzung der Paukenlefze der Crista acus- tica gradlinig zum Ligamentum spirale hinzieht, — die soge- nannte Membrana oder Lamina basilaris. Sie liest an der Schnittfläche der halbeylindrischen oder halbelliptischen Papilla spiralis H. und ihres Cavum und ist der stärkste und festeste der einzelnen Bestandtheile dieses Substrats. Es lassen sich an ihr drei Abschnitte unterscheiden: der mittlere, welcher durch die Anheftungsplatten der inneren und äusseren Corti’schen Fasern begrenzt wird und das Spiralgefäss (x) enthält; — die nach Innen (zur Axe der Schnecke hin) von den inneren Corti'schen Fasern gelegene Zona perforata, an deren Höhlenfläche sich die Dents apparents Cortis und zwischen diesen Leistchen die kreisförmigen Oeffnungen der radiären Kanäle befinden; — endlich nach Aussen von den Anheftungsplatten der äusseren Corti’schen Fasern derjenige Abschnitt, in welchem die genannten Anheftungsplatten im ra- diären Verlauf zu den Leistchen der Zona pectinata sich fort- setzen. r. Die Kanälchen des radiären Kanalsystems, welche in einer schrägen Richtung das Substrat der Zona perforata durch- setzen, nicht zwischen, sondern nach Innen von den Anheftungs- platten der inneren Corti’schen Fasern sich öffnen und die Com- munikation zwischen der inneren Kammer des Cavum Papill. spir. H. und dem Hohlraume des primären knöchernen Spiral- blattes mit den Enden des Schneckennerven herstellen. x. Das Spiralgefäss der Lamina basilaris, das in gefülltem Zustand auch in die mittlere Kammer des Cavum Papill. spir. H. sich hineindrängt. —t?r. Die nach der Höhle des häutigen Schneckenkanals gelegene Grenzlamelle des in Rede stehenden Substrats, die Lamina reticularis Köll. Sie bildet die Mantelwand des halb- eylindrischen Cavum Papill. spir. H. An ihr sind folgende Zonen besonders aufzunehmen: t?rm. Die mittlere an die Scheitelplatten der Corti’schen Fasern angeheftete Zone, die Pars membranosa (Deiters); —t’ro die zu beiden Seiten derselben hinziehende Reihe von Fenstern oder Oeffnungen, welche durch die Deiters’schen Ber Ya ji r Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w. 157 Stäbe getrennt werden, — Zona fenestrata. Durch sie wird die fernere Communication zwischen der Höhle des häutigen Schneckenkanals und den seitlichen Kammern des Cavum Pa- pill. spir. H. vermittelt. Diese beiden beschriebenen Zonen sind epithelfrei und lassen sich in eine Zone zusammenfassen. —t?ra. Die neben der Zonae fenestratae jederseits an den Abhängen der Papill. spir. H. hinziehende Zona alveolaris, in deren Alveolen die sogenannten Corti’schen Zellen befestigt sind. —t?e und —ti. Die zwischen der Lamina reticularis und Lamina basilaris ausgespannten äusseren und inneren Öorti’schen Fasern. Sie bilden, parallel an einander gereiht, zwei das Ca- vum papill. spir. H. schief durchsetzende, unter einem zur Lam. basilaris offenen Winkel gegeneinander geneigte Wände, durch welche das Cavum in drei Kammern abgetheilt wird. An der abgestumpften Kante des Winkels vereinigen sich die Scheitel- platten der Corti’schen Fasern in einer Nath (Scheitelnath) und sind mit der Pars membranacea der Lamina reticularis verwach- sen; an der Lamina basilaris gehen die basilaren oder Anhef- tungsplatten der Corti’schen Fasern in die Substanz der be- zeichneten Lamina über. vm. Die mittlere, von der Lamina basilaris und der beiden Corti’schen Faser-Reihen begrenzte Kammer des Cavum papill, spiral. H. ve, Die äussere seitliche Kammer des Cavum papillae spiral. H. vi. Die innere seitliche Kammer desselben. Beide seitlichen Kammern stehen durch die Spalten zwi- schen den Corti’schen Fasern mit der mittleren Kammer, ferner durch die Oeffnungen der Zona fenestrata .mit der Höhle des Canalis cochlearis mebranaceus, endlich die innere seitliche Kammer mit den Kanälchen des radiären Kanalsystems in offe- ner Communication. e. Das Epithel des häutigen Schneckenkanals. e!. Die Corti’schen Zellenreihen des Epithels, die in die Alveolen der Lamina reticularis eingefügt sind. e?. Das auf den Abhängen der Papilla spiralis H., des- ‘gleichen an der äusseren Wand in der Region der Stria vascularis und des leistenförmigen Vorsprunges vorkommende cylindrische Epithel. e?. Plattenförmiges Epithel an der Vorhofswand. Tafel VI. Fig. 2. Abbildung eines von mir angefertigten Segments der knöchernen und häutigen Lamina spiralis, oder, wie man jetzt sagen müsste, der durch das primäre und secundäre Spi- ralwand gestützten Pauckenwand (Umt) des häutigen Schnecken- kanals, an welchen die einzelnen Bestandtheile des Substrats möglichst gut erhalten sind. Ich habe das noch gegenwärtig 158 C. B. Reichert: von mir aufbewahrte Präparat auf die Weise hergestellt, dass ich die mit den Spiralblättern frei gemachte Paukenwand des häutigen Schneckenkanals vom Menschen mit dem Rasirmesser auf einer Glasplatte radiär durchschnitt. Von den so angefer- tigten Segmenten war das hier abgebildete in ganzer Ausdeh- nung am besten gelungen; auch ist es möglich gewesen, dasselbe auf dem Objectträger so zu fixiren, dass es zu Demonstrationen benutzt werden kann. Ganz besonders lehrreich ist das Prä- parat dadurch, dass Lage und Verlauf der Lamina reticularis (—t?r), der Lamina basilaris (—t?:b), die Corti’schen Fasern (—t?e und t2i), die spiralen Kanälchen (r) »n ihrem Zuge durch die Dicke der Zona perforata, die drei Kammern der Papilla spiralis (Huschke) deutlich hervortreten, und bin ich durch das- selbe zuerst auf die natürliche Lage der Lamina reticularis, auf ihre Verbindung einerseits mit der Zona perforata (Labium tympanicum des Sulcus spiralis Huschke) und mit der Zona pectinata, andererseits mit den Scheitelplatten der Corti’schen Fasern aufmerksam gemacht worden. Die Epithelzellen, sowohl die inneren als die äusseren, sind an dem Schnittchen nur in einem theilweise derangirten Zustande zu erhalten gewesen. Lsp. Die Lamina spiralis ossea s. primaria mit dem Schneckennerven (Nc) und einem Stück des Habenula ganglio- naris (hg). Lsp®. Begränzungslinie der Furche des primären Spiral- blättchens, in welche die Crista acustica mit dem angrenzenden Bezirke der Paukenwand des häutigen Schneckenkanals (Region der Spindelkante) eingefügt ist, und wo beide Theile sich innig miteinander verbinden. 1. Der wahrscheinlich mit Endolympha gefüllte Hohlraum, des primären Spiralblättchens, in welchem die im Margo erenu- latus endigenden Nervenfaserbündel frei liegen, und der wie ein Saum die einzeln hervorspringenden Bündel umgürtet. Lsp'. Das äussere oder secundäre, elastisch-knorplige Spi- ralblättchen (Lig. spiral. Köll.). Et, Ueberreste des Epithels der Paukentreppe im Bereiche der Paukenwand des häutigen Schneckenkanals in gestörter Lage und Form der Zellen. e. Das Epithel des häutigen Schneckenkanals am Sulec. spiralis und an der Crista acustica. e!. Reste der Corti'schen Zellen. e2. ‚Cylindrische Epithelzellen auf den Abhängen der Pa- pilla spir. H. —. e’. Abgeplattetes Epithel in der Zona pec- tinata. St. Substrat der Paukenwand des häutigen Schnecken- kanals. —t!, Pars cartilaginea zonae Valsalvae. sp. Suleus spiralis. — cac. Ürista acustica oder das La- bium vestibulare der Spiralfurche. —. —t! bezeichnet zugleich speciell das Labium tympanicum H. der Spiralfurche. RA Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w. 159 —t?. Das Substrat der Papilla spiralis H,, und —t’b die hier vorliegende, nach der Paukentreppe gewendete Lamelle desselben. —t?b!. Die Zona perforata mit den Dents apparents, in welche die basilaren Platten der inneren Corti’schen Fasern sich fortsetzen. r. Die radiären Kanälchen, die schief durch die Zona per- forata hindurchziehend in den Furchen zwischen den Dents apparents sich öffnen. —t?b?. Der mittlere Abschnitt oder die Lamina basilaris mit dem inneren Spiralgefäss (x). t?b3. Der zur Zona pectinata übergehende äussere Ab- schnitt der in Rede stehenden Lamelle (—t?b). —t?r. Die nach der Höhle des häutigen Schneckenkanals gelesene innere Lamelle der Paukenwand in der Region der Papilla spiralis Huschke, die sogenannte Lamina reticularis. Diese Lamelle ist bei Anfertigung des Segments stark gezerrt und in der Zona pectinata wahrscheinlich eine kleine Strecke von der normalen Anheftungsplatte an der äusseren Lamelle abgelöst. Im Bereiche der Pars membranosa (—t?rm) hängt sie fest mit den Scheitelplatten einiger Corti’schen Fasern zusam- men. Die Zona fenestrata und die Zona alveolaris sind in Folge des gezerrten Zustandes der Lamelle nicht deutlich zu sehen; nur rechts macht sich die Spur eines Fensterchen be- merkbar. —ti?2 und —te? Die inneren und äusseren Corti’schen Fasern (insbesondere deren Mittelstücke), durch welche das Ca- vum papillae spiralis H. in 3 Kammern abgetheilt wird. Von den äusseren Corti’schen Fasern sind nur zwei vollständig; von zwei anderen hängen Ueberreste der Mittelstücke, — das eine mit der Scheitelplatte, das zweite mit der basilaren Platte, — am Präparat. . Von den inneren Corti’schen Fasern sind drei vollständig vorhanden. —t?iv und —t?ev. Die Scheitelplatten der Corti’schen Fa- sern, insbesondere deren Grundlamelle, die mit der Pars mem- branacea der Lamina reticularis vereinigt ist. Man sieht hier ihre zur mittleren Kammer gewendete Fläche, da die Scheitel- region der Pap. spir. H. durch den Schnitt eine schräge Stellung erhalten hat. —t2ib und t?eb. Die basilaren oder Anheftungsplatten der Corti’schen Fasern, von welchen die mit dem Rande (Basis des Dreiecks) aufgestellte Platte der inneren Corti’schen Fasern ihre dreieckige Form vollständig übersehen lassen, während die An- heftungsplatten der äusseren Oorti’schen Fasern mit ihrer Grund- lamelle angeheftet sind. vm, vi, ve. Die mittlere, innere und äussere Kammer des Cavum papillae spiralis Huschke, deren Form im Text Nr. 6 erläutert ist. 160 C. B. Reichert: Fig. 3. Das primäre knöcherne Spiralblatt- in Verbindung mit der Paukenwand des häutigen Schneckenkanals (Zona car- tilagionea und membranacea des früher sogenannten häutigen Spiralblattes) von der Vorhofstreppe aus betrachtet. Das Mi- kroskop ist auf den Zug des Schneckennerven im knöchernen Spiralblatt und auf. dem in gleicher Ebene mit ihm verlaufen- den Theil des Substrats der Paukenwand (St) des häutigen Schneckenkanals eingestellt. Von der Crista acustica (cac) sind in die Zeichnung nur Andeutungen aufgenommen. An der Pau- kenwand des häutigen Schneckenkanals sind das innere Epithel, desgleichen die L. retieularis und die Scheitelplatten der Corti- schen Fasern entfernt, während die Anheftungsplatten und die dazu gehörigen, mehr oder weniger derangirten Mittelstücke erhalten sind. Die Abbildung dient vorzugsweise dazu, den Zug des Schneckennervengeflechts in der Lam, spiral. primaria bis zu dem durch die terminalen Bündel gebildeten Margo cre- nulatus zur Anschauung zu bringen. Auch sieht man vom Rande der Marg. crenul. die Oeffnungen der radiären Kanäl- chen (Katze). Nc. Der Schneckennerven, hg Ganglienzellen desselben. Nc!. Die den Margo crenulatus bildenden terminalen Bün- del der Schneckennerven. r!. Die Oeffnungen der radiären Kanälchen und Abschnitte der letzteren. —t?i und —t?e innere und äussere Corti’sche Fasern (Ab- schnitte ihrer Mittelstücke. —t?ib und t?eb.. Die Anheftungsplatten der inneren und äusseren Oorti’schen Fasern; an den äusseren erkennt man die spitz dreieckige Begrenzung der Grundlamelle deutlich; von der Spitze erhebt sich der Uebergangsabschnitt: der Platte zum Mittelstück. Die mit dem basilaren Rande befestigten, drei- eckigen inneren Anheftungsplatten sind in ihrer Begrenzung bei der Ansicht von oben, von der Vorhofstreppe aus, nicht markirt. Gewöhnlich erscheint die Anheftungsregion, wie auch die Abbildungen anderer Autoren lehren, parallel gestreift, in dichter gedrängter Aufeinanderfolge, als die parallele Linien, durch welche die äusseren Anheftungspunkte von einander ge- trennt werden. Diese parallele Streifen ziehen sich in die durch die Dents apparents erzeugten Streifen der Zona perforata so allmählich hinein, dass man kaum eine Scheidegrenze bemerkt; zuweilen ist die Region der Anheftungsplatten durch von ihnen erzeugte dunkle schattige Stellen im mikroskopischen Bilde an- gedeutet. —t?b!. Zona perforata mit dem in die inneren Seitenkam- mern des Cavum pap. sp. H. sich öffnenden Abschnitt der ra- diären Kanälchen (r). —t?b?2. Lamina basilaris mit dem Spiralgefäss (x), von welchem ein zu dem Gefässnetz in der Lamina spiralis pri- maria hinziehender Seitenast sichtbar ist. BR Pi Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s.w. 161 —t3, Zona pectinata mit einigen daran festsitzenden Resten der Zellenkörper des sie deckenden Epithels, Fig. 4. Ansicht der Scheitelgegend der Papilla spiralis H. mit den zum grössten Theile erhaltenen Corti'schen Zellen. Die Abbildung ist dazu bestimmt, die Pars membranosa Dei- ters, die Zona fenestrata mit den Stäbchen Deiters, endlich auch die Pars alveolaris der Lamina reticularis in stark ver- vergrössertem Maasstabe bei der Ansicht von der Vorhofstreppe aus zu veranschaulichen (Katze). —t?’rm, Die Pars membranosa D. der Lam. reticularis. Sie erscheint, wie gewöhnlich in der mikroskopischen Zeich- nung, welche die durchscheinenden, mit ihr verwachsenen Grundlamellen und das Uebergangsstück der Scheitelplatten zu dem Mittelstück der Corti’schen Fasern erzeugen; nur am Rande treten Fetzen von ihr frei hervor. s. Scheitelnath, in welcher die Grundlamellen der Schei- telplatten (—t?iv und —t?ev) der Corti’schen Fasern sich ver- einigen. —t?i und —t?e. Mittelstücke der inneren und äusseren Corti’schen Fasern. —t21! und —t?e!. Die durchscheinenden optischen Durch- schnitte dieser Mittelstücke, die als Kerne gedeutet worden sind. Liegen diese optischen Durchschnitte zufällig an der Verbin- dungsstelle der Deiter’schen Stäbe mit der Pars membranosa, so wird die letztere am Rande wie eingekerbt erscheinen. (Deiters.) —t?ro. Die Zona fenestrata interna, deren Löcher mehr elliptisch begrenzt sind. —t?ro!. Die Zona fenestrata externa, deren elliptisch be- grenzte Löcher am äusseren Pole durch die grösseren Corti’ schen Zellen eingeengt werden. —t?ra. Pars- alveolaris der Lamina reticularis; an den nicht gefüllten Alveolen sieht man die sie trennende Septa, die sogenannten Deiter’schen Phalangen, deutlich; am Rande des Präparats befinden sich Segmente von Alveolen, an welchen die den Boden formirende Lamelle erkannt wird. —t?r. Lamina reticularis in der Anheftungsregion. el, Die Cortischen Zellen. e?. In der Form zum Theil veränderte, sogar durch ad- härirende Faserfragmente der Lamina reticularis entstellte Cylin- der-Zellen. Fig. 5. Das Corti’sche Organ oder die Corti’schen Fa- sern, von der Paukentreppe her betrachtet. Man sieht durch die Lamina basilaris und durch die mittlere Kammer das Ca- vum papill. spiral. H. (vgl. Fig. 2) hindurch auf die durch die Corti’schen Fasern gebildeten Seitenwände und auf die abge- stumpfte Scheitelkante dieser Kammer. In die Abbildung sind ferner aufgenommen: die basilaren Anheftungsplatten der Corti- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 11 fh \ "4 ie REF 162 C. B. Reichert: schern Fasern an der Lamina basilaris und die nach Innen und Aussen in gleicher Ebene angrenzenden Bezirke der Pauken- wand, — ein sichtbarer Abschnitt der Zona perforata und die den Schneckennerven führende Lamina spiralis primaria nach Innen, die Zona pectinata nach Aussen. Damit die Höhlen- fläche des Corti’schen Organs frei gesehen werde, ist die zwischen dem primären Spiralblättchen und der Zona pectinata ausge- spannte Lamina basilaris ohne Spiralgefäss nur in den Con- tourlinien des Präparates angedeutet. (Hund.) Ne. Der im primären Spiralblättchen verlaufende und mit seinen terminalen Bündeln im Margo crenulatus endigende Schneckennerv. —t1, Zona perforata. r. Radiäre Kanälchen. t?b. Contour der Lamina basilaris. t°. Zona pectinata. O. Das Corti’sche Organ. —t?i und —t?e. Die vielfach gewundenen und Kanten bil- denden Mittelstücke der inneren und äusseren Cortischen Fasern. —t?iv und t?ev. Die Scheitelplatten der inneren und äusse- ren Corti’schen Fasern, insbesondere ihre Grundlamelle — s. Die Scheitelnath. —t2ib und t?eb. Die Basilaren oder Anheftungsplatten der inneren und äusseren Öorti’schen Fasern; an der Grundlamelle der äusseren markirt sich der optische Durchschnitt der Mittel- stücke. Ueber das mikroskopische Bild der basilaren Platten der inneren Corti’schen Fasern habe ich mich bereits ausge- sprochen. Fig. 6. Ein Stück des primären Spiralblattes mit den im Margo erenulatus endigenden Faserbündeln des Schneckenner- ven und die angrenzende Zona perforata, desgleichen der nächste Abschnitt der Lamina basilaris nebst einzelnen Anheftungs- platten der inneren Corti’schen Fasern, — von der Vorhofs- treppe aus betrachtet. (Katze) Das abgebildete Präparat soll vornehmlich das Substrat der Zona perforata der Paukenwand des häutigen Schneckenkanals mit dem dasselbe schräg durch- setzenden radiären Kanalsystem erläutern. (Mensch.) r. Die radiären Kanälchen. Man sieht dieselben zu zwei und drei, — in anderen Fällen auch in grösserer Anzahl — unter allmählicher Erweiterung ihres Lumens spindelwärts con- vergiren und schliesslich in einen Hohlraum (s) des primären Spiralblättchens auslaufen, der in der Umgebung des freien Endes der einzelnen Faserbündel des Schneckennerven oft wie ein dasselbe umgebender pellucider Saum beobachtet wird. r!'. Die in der inneren Seitenkammer des Cavum papill. spiral. H. sichtbaren Oeffnungen der radiären Kanälchen. Sie sind nahezu oder meist völlig kreisföürmig begrenzt, niemals spalt- oder schlitzförmig; sie liegen stets in den seichten Fur- A en. Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke u. s. w. 163 chen zwischen den Dents apparents der Zona perforata, niemals zwischen den basilaren Anheftungsplatten der inne- ren Öortischen Fasern. —t?b!, Zona perforata mit den Dents apparents. —t?i und —t?’ib. Mittelstücke und basilare Anheftungs- platten der inneren Corti’schen Fasern. Isp und Ne. Das primäre Spiralblatt mit den terminalen Faserbündeln des Schneckennerven. —t’b?. Stück der Lamina basilaris. Fig. 7. Zwei innere und zwei äussere von den bezüglichen Lamellen der Paukenwand des häutigen Schneckenkanals ab- gerissene Corti’sche Fasern. In der einen Abbildung sind die Fasern bei der natürlichen Stellung in der Profil-Ansicht ge- zeichnet, bei der zweiten ist besonders die Flächen-Ansicht der Grundlamelle berücksichtigt. (Katze.) Vergl. die Erläute- rung im Text Nr. 12. —t?i und —t?e, Die inneren und äusseren Corti’schen Fa- ‚sern, speciell ihre Mittelstücke, —t?iv und —t?ev ihre äussere Scheitelplatte, —t?ib und —t?’eb die basilaren Anheftungsplatten. g. Die Grundlamelle an den Scheitelplatten beider und an der basilaren Anheftungsplatte der äusseren Oorti’schen Fasern; g'. Die an dieser Grundlamelle hervortretende, kegelför- mige Erhebung, mit welcher die bezeichneten Platten in das _ Mittelstück übergehen. 11? 164 H. Burmeister: Ueber Hoplophorus euphractus. Von H. BURMEISTER. (Hierzu Taf. VII A.) Im Jahre 1841 veröffentlichte Herr Dr. Lund im VII. Bande der Abhandl. d. math. phys. Classe der Königl. Acade- mie zu Kopenhagen S. 70 einige Angaben über den Bau eines fossilen Panzerthieres aus der Gruppe der Edentaten, welches er mit dem Namen Hoplophorus euphractus belegte und von dessen Panzerplatten er auf Taf. XI seiner Abhandlung eine Abbildung in natürlicher Grösse gab. Zu dieser schon im Jahre 1837 von ihm verfassten ersten Andeutung gesellte der eifrige Forscher allmälig weitere Notizen, indem er in seiner dritten Abhandlung vom Jahre 1838 (ebenda, S. 228) Fuss- knochen bekannt machte, die auf Taf. XV und XVI desselben Bandes abgebildet wurden, und dieselben mit der inzwischen von d’Alton veröffentlichten Beschreibung der Fussknochen eines ähnlichen, von Sello gefundenen Thieres (Abhandl. d. Königl. Akademie zu Berlin aus dem Jahre 1833, math. phys. Classe) verglich, das letztere unter dem Namen Hopl. Sellowii von seiner Art unterscheidend. In einem Nachtrage zu dieser Abhandlung (ebenda, S. 290) vom Jahre 1839 fügt endlich Dr. Lund noch eine kleinere dritte Art hinzu: H. minor, die er nicht weiter kennzeichnete, nachdem er die muthmassliche Grösse der « Ueber Hoplophorus euphractus. 165 ersten mit der eines Ochsen verglichen hatte. Von eben dieser ersten Art fand der unermüdliche Gelehrte später noch das merkwürdige, aus vier verwachsenen Wirbeln gebildete mittlere Stück des Halses, nebst zwei Zähnen und gab von beiden kennt- liche Abbildungen im IX. Bande derselben Abhandlung auf Taf. XXXV, Fig. 1—4 (1842). Daraus ergab sich mit Bestimmt- heit, dass Dr. Lund’s Hoplophorus identisch sei mit der in- zwischen von Owen bekannt gemachten Gatt. Glyptodon, we- nigstens so weit, als die Beschreibungen beider bis dahin vor- lagen, und so ist es gekommen, dass der spätere Name allmä- lig den älteren verdrängt hat. Bei meinen früheren Arbeiten über Glyptodon hatte ich stets den Lund’schen Angaben Rechnung getragen, indessen die drei vom Verfasser aufgestellten Arten nicht mit Sicherheit unter meinen bedeutenden Vorräthen erkennen können, so dass ich es vorziehen musste, sie nur ganz im Allgemeinen zu be- rühren; auch als ich später die letzte Abhandlung Dr. Lund’s aus dem XII. Bande der Schriften der Königl. Akademie zu Kopenhagen vom Jahre 1845 erhielt und darin auf Taf. LI und LIT die Abbildung des Schädels und Hinterfusses von H. euphractus fand, wurde mein Urtheil nicht klarer; ich sah un- ter meinen Vorräthen zwar Aehnliches, aber durchaus keine so sichere Uebereinstimmung, dass ich den H. euphractus zu einer der mir vorliegenden Arten hätte bringen können. Umsomehr überrascht es mich, in einer kleinen, mir vom Verfasser über- sendeten Abhandlung des Hrn G. Pouchet (Journ. de I’Anat. et d. 1. Physiol. ete. par Ch. Robin. Paris, Juillet, 1866.) den H. euphractus bestimmt auf eine im Museum zu Paris befind- liche Glyptodon-Art gedeutet zu sehen, welche ein hiesiger Sammler, Hr. Sequin dorthin verkauft hatte, Hr. G.Pouchet ‘identifieirt dieselbe zugleich mit Gl. ornatus Owen’s. Von demselben besass das hiesige Museum damals nur ein ganz kleines Panzerstück, welches ich wegen seiner geringen Dicke, der mangelnden Rauhigkeit der Oberfläche und seines lockeren Knochengefüges für den Jugendzustand von Gl. clavipes gehal- ten hatte; eine Ansicht, die durch wiederholte Vergleichung des kleinen Bruchstücks bei mir sich befestigte, denn füglich 166 H. Burmeister: konnten die angegebenen Unterschiede das jugendliche Alter eines später doppelt so grossen Thieres bezeichnen. Aber Pouchet’s Abbildung des ganzen Panzers wollte mir damit nicht stimmen, denn seine Gesammtform ist völlig verschieden von der des Gl. clavipes, und das vermehrte nur die Ungewiss- heit über Gl. ornatus und Hoplophorus, in welcher ich mich befand. Aus derselben bin ich indessen durch einen glücklichen Fund vor etwa 2 Monaten gerissen worden; es liegen mir jetzt aus der Bravard’schen Sammlung, welche von der National- Regierung angekauft worden ist, drei Exemplare einer mir bis dahin unbekannten Glyptodon-Art vor, auf welche Pouchet’s Abbildung und Beschreibung vollständig passt, die also sicher dessen Hoplophorus euphractus angehören. Da diese 3 Exem- plare, obgleich alle lückenhaft, sich doch so gut ergänzen, dass daraus ein vollständiges Bild des Panzers und Skelets sich her- stellen lässt, so stehe ich nicht an, über diese mir neue Glyp- todon-Form einige Mittheilungen zu machen, welche dazu die- nen können, die Angaben Dr. Lund’s und G. Pouchet’s zu erweitern und dadurch den Hoplophorus euphractus endgültig festzustellen. Zuvörderst ist diese Art eine der kleinsten und nicht grösser als ein starker Hammel oder ein kräftiger Ziegenbock, keines- wegs aber mit einem Ochsen zu vergleichen, obwohl andere Glyptodonten diese Grösse erreichen, ja noch übertreffen. Hr. Pouchet giebt die Länge seines Panzers mit der Krümmung zu 1,33 Met., die Breite desselben in derselben Weise gemessen zu 1,23 an. Unser Panzer ist etwas grösser, denn sein Längs- perimeter beträgt 1,40, sein querer 1,65; welcher Unterschied für die zweite Messung auf Rechnung der fehlenden Seitenrän- der des Pariser Exemplars zu schieben ist; denn bei allen voll- ständigen Glyptodon-Panzern unserer Sammlung (es sind deren fünf) ist der transversale Perimeter grösser als der longitudi- nale. Die allgemeine Form des Panzers ist durchaus eigen- thümlich, sehr länglichoval, mit stark verjüngtem vorderen Ende und dabei abgeplattet auf der Mitte, mit leichtem Eindruck auf der Schulterpartie. Die vordere kleinere Oeffnung für Hals a Ueber Hoplophorus euphractus. 167 und Kopf hat einen kappenförmig vortretenden mittleren Rand; die hintere grössere für den Schwanz ist nicht, wie bei allen anderen Glyptodonten, von einem etwas zurückgebogenen Saume des Panzers umgeben, sondern sie fällt in fortlaufender Curve grade abwärts und ist in Folge dessen etwas keiner als bei den anderen Arten. Rücksichtlich seiner Zusammensetzung, so be- steht auch dieser Glyptodon-Panzer, wie alle übrigen, aus sehr verschieden geformten Knochenplatten, die in regelmässig an- geordneten Längs- und Querreihen aufeinander folgen und durch zackige Nähte sich verbinden. In der mittleren Partie des Rückens, wo die Platten am grössten sind, verwachsen sie all- mälig innig mit einander; an den Seiten bleiben die Nähte be- ständig und hier werden die Platten durch Bindegewebe zu- sammengehalten, das mit den über- wie untergelagerten orga- nischen Geweben in Zusammenhang steht. Ihr Umriss ist in der vorderen und hinteren Partie des Panzers regelmässig sechs- eckig, in der mittleren Region werden sie oblonghexagonal und hier beträgt ihr grösster Durchmesser 0,033 und ihr kleinster 0,027; nach dem Rande zu werden sie kleiner, 0,030 lang und 0,021 breit; doch giebt es in der Nähe der vorderen Panzer- öffnung, zumal an den Seiten daneben, zahlreiche, noch viel kleinere, fünfeckige, viereckige, selbst kreisrunde Platten von 0,015 Durchmesser und etwas unregelmässiger Anordnung. Hr. Pouchet hat leider die Zahl der Plattenreihen seines voll- ständigen Panzers nicht angegeben; der unsrige musste aus ver- schiedenen Stücken zusammengesetzt werden und besteht jetzt in seiner Restauration aus 45 Platten in den mittleren Längs- reihen und etwa 64 in den Querreihen, da wo er seine grösste Peripherie zeigt, die eigenthümlich geformten Randplatten mit- gerechnet. Höchst charakteristisch ist die geringe Dicke der Platten im Vergleich mit der mehr als doppelten der typischen Glyptodonten; ihr senkrechter Durchmesser beträgt da, wo sie am dicksten sind, d. h. über dem Kreuz, nicht mehr als 0,012; an den Seiten fällt die Dicke bis auf 0,008 und neben dem vorderen Eingange sind die kleinsten Platten nur noch 0,005 dick. Ihre beiden Oberflächen, die äussere und die innere, sind verschieden; letztere ist ziemlich eben, zeigt eine leichte 168 H. Burmeister. Wölbung nach innen und gegen die Mitte hin ein oder meh- rere kleine Löcher zum Eintritt von Blutgefässen in die schwammige, von Geweben und Flüssigkeiten erfüllte Knochen- substanz. Die äussere Oberfläche ist mehr geglättet, stellen- weise fast wie polirt und von regelmässig angeordneten Furchen durchzogen, welche auf jeder Platte ein centrales Feld von 6 bis 9 peripherischen absondern. In diesen Furchen zeigt sich hier und da auch ein kleiner Porus zum Austritt der Blutge- fässe und Nerven für die Matrix der aufgelagerten Horngebilde, Die regelmässig sechseckig geformten Platten haben gewöhnlich ein centrales achtseitiges Feld und rings um dasselbe 8 kleinere fünf- oder sechseckige!); bei den oblonghexagonalen Platten, deren Mittelfeld elliptisch gestaltet ist, kommen ausser den 8 oder 9 Randfeldern noch 4 kleinere Felder an den Ecken der Platte hinzu, so dass die Zahl aller Feldechen dieser Platten bis auf 14 anwächst. Auf den an Umfang viel geringeren Sei- tenplatten verlieren sich die Eckfeldchen, während das Mittel- feld an Grösse zunimmt, je weiter die Platten dem Rande sich nähern; und auf den Platten, unmittelbar neben dem Rande, ist endlich dieses Mittelfeld so gross geworden, dass für die peripherischen Feldehen nur ein wulstiger Saum übrig bleibt!), ja die kleinsten Platten der vorderen Seitenlappen des Panzers weichen noch mehr durch einen ganz schmalen granulirten Rand rings um das grosse Mittelfeld ab, welches letztere meist kreisrund ist, oder die Form der Platte nachahmt.’) Ganz eigenthümlich sind endlich die äussersten Randplatten bei Ho- 1) Diese Form der Platten und ihre Anordnung stellt Dr. Lund’'s Fig. auf Taf. XI a. a. O. recht gut in natürlicher Grösse dar; auf eben solche, nur etwas grössere Platten ist auch Owen’s Gl. orna- tus gegründet, wie dessen Abbildung lehrt. 2) Diese Form der Platten zeigt Dr. Lund’s Figur 10 der ersten Tafel (a. a. 0. Tom. VIII), welche im Text unter I1 erwähnt wird, in Folge eines Fehlers der Bezifferung der Tafel. 3) Platten aus dieser Gegend des Panzers hat Nodot in seiner Descript. d’un nouv. genre d’Edente pl. 11, Fig. 3 abgebildet und darauf seinen Gl. graeilis gegründet. Auch Dr. Lund’s Fig. 5, Taf. XXXV (a. a. O. Tom. IX.) scheint mir dieselben Platten darzu- stellen. Ueber Hoplophorus euphractus. 169 plophorus gestaltet, denn sie werden grösstentheils kleiner und selbst dünner, als ihre Nachbarn, während sie bei den übrigen Glyptodonten stets dieker und meistens auch grösser sind. Am Umfange der beiden Panzeröffnungen haben sie eine fast vier- eckige Form, an den beiden Seiten dagegen eine dreieckige. Jede dieser Randplatten führt eine grosse centrale Rosette, die bis an den freien Rand reicht, aber keine deutlichen Neben- feldchen; doch sieht man auf den Platten des mittleren Ran- des der vorderen Panzeröffnung, und nicht bloss auf den äusser- sten, sondern auch auf denen der vorhergehenden Reihen, so weit wie die vorragende Kappe reicht, einige (4--6) grosse kreisrunde Gruben im Kreise gestellt, die wahrscheinlich, wie Pouchet schon vermuthete, zur Aufnahme steifer Borsten dien- ten. Ausserdem ist ihr freier Rand nicht abgerundet, wie bei den anderen Randplatten, sondern scharf und abwärts gebogen, was gleichfalls bei keiner anderen Glyptodon-Art sich findet. Ein ganz besonderer Charakter des Panzers besteht in dem Mangel der klaffenden Näthe zwischen den 3 bis 4 äussersten Reihen der vorderen Hälfte des Seitenrandes. Diese Platten schieben sich bei den typischen Glyptodonten sogar etwas über einander, so dass eine gewisse Beweglichkeit der durch Binde- gewebe zusammengehaltenen Platten in dieser Gegend des Pan- zers möglich ist. Nodot gründete auf diese Beschaffenheit, die er für eine Eigenthümlichkeit gewisser Arten hielt, seine Gattung Schistopleurum. Ich hatte denselben Bau bisher bei allen von mir untersuchten Glyptodon-Panzern gefunden und hielt ihn deshalb für ein Gemeingut der ganzen Gruppe; aber Ho- plophorus hat ihn nicht, seine Panzerplatten schliessen auch am ganzen Rande ebenso fest an einander, wie in den höheren Reihen, weshalb eine Verschiebung des Randes, ein geringes Oeffnen und Schliessen desselben, bei dieser Art gewiss nicht ‚Statt findet. Ich habe schliesslich noch des Schwanzpanzers zu geden- ken, von dem mir ein unvollständiges Exemplar vorliegt, das zugleich mit dem einen der drei Panzer gefunden wurde. Er ist völlig wie der Schwanz von Gl. clavipes gebaut, besteht anfangs aus beweglichen, allmälig kleineren Ringen (wahrschein- 170 H. Burmeister. lich sechs), die gleich den Gliedern eines Fernrohrs in ein- ander stecken, und endet mit einem am Anfange kolbigen, am Ende zugerundeten, schlank konischen Tubus, der wie die Ringe auf jeder Randplatte, so überall mit grossen elliptischen Ro- setten besetzt ist. Seine Gesammtlänge scheint etwa 0,70 bis 0,80 gewesen zu sein, wovon die Hälfte auf die Ringe, die an- dere Hälfte auf den Tubus fallen mochte. Die obersten Ringe haben in der ersten der beiden Reihen von Platten, woraus sie bestehen, eben solche tiefe Gruben, wie der Kopfrand des Pan- zers, scheinen also auch steife Borsten getragen zu haben. Vom Brust- und Bauchpanzer, den ich bei mehreren Glyp- todonten nachweisen konnte, fand sich bei dieser Art keine Spur. — Das Skelet, von dem Hrn. Dr. Lund ein halber Schädel nebst dem Hinterfuss und Hrn. Pouchet nur das Becken vor- lag, kenne ich jetzt ziemlich vollständig, mit Ausnahme der hinteren Partie des Beckens, deren grosse Eigenthümlichkeit Pouchet nachweist. Ich will, bevor ich zu speciellen Anga- ben übergehe, die Bemerkung voraufschicken, dass dasselbe fast in allen seinen Eigenschaften mit dem der Gattung Panochthus übereinstimmt (siehe Anales del Mus. Publ. d. Buen. Aires Tom. II. pt. 1), und von dem der typischen Glyptodonten eben so weit abweicht, wie die genannte Gattung. Hieraus folgt, dass Hoplophorus, welcher in der Sculptur des Panzers zwar mehr mit Glyptodon als mit Panochthus übereinstimmt, in- dessen im Bau desselben von beiden sich scharf durch die mangelnde Randklüftung unterscheidet, eine eigene Gattung bilden müsse, die als verbindendes Mittelglied zwischen Pan- ochthus und; Glyptodon auftritt, insofern das Aeussere ihres Baues mehr mit Glyptodon, das Innere mit Panochthus har- monirt. So behält denn die von Hrn. Dr. Lund gegründete Gattung ihre volle Berechtigung und bezeugt für immer den sicheren Blick und das scharfsinnige Urtheil dieses trefflichen Gelehrten. In der nachfolgenden Darstellung beabsichtige ich übrigens nicht, die einzelnen Theile des Skelets ausführlich zu beschrei- ben, ich behalte mir die detaillirte Schilderung derselben für a AH Ueber Hoplophorus euphraetus. 171 das neunte Heft meiner Anales del Mus. Publ. de Buenos Aires vor, woselbst ich sie durch Abbildungen erläutern werde; für jetzt genüge die Angabe derjenigen Verhältnisse welche für die Gattung Hoplophorus charakteristisch sind, und bisher noch nicht bekannt waren. Mit dem Schädel beginnend, so kennen wir die vordere Hälfte desselben durch Dr. Lund’s Abbildung im XII. Bande der Abh. d. Kön. Akad. zu Kopenhagen auf Taf. LI. Die grosse Aehnlichkeit, welche sich in dieser Figur mit meinem Schädel von Panochthus tuberculatus ausspricht, hatte mich früher be- stimmt, in Hopl. euphraetus eine Art der Gattung Panochthus zu vermuthen und ihn zu P. bullifer zu bringen (Anales ete. Tom. II. pag. 29), welche Annahme mir um so mehr gerecht- fertigt schien, als auch der von Dr. Lund auf Taf. I. II. a. a. 0. abgebildete Hinterfuss fast völlig mit dem von Panochthus übereinstimmt (siehe Anales, 1. l. pag. 103). Allein gegenwär- tig bin ich durch den Besitz von drei Cranien, denen freilich die Nasen- und Stirnpartie fehlt, obwohl sie übrigens ziemlich wohl erhalten sind, belehrt worden, dass dieser Schädel, bei grosser Aehnlichkeit mit dem von Panochthus, doch in einigen wesentlichen Punkten sich davon unterscheidet und unzweifel- haft zu Hoplophorus gehört. Durch die hochgewölbte Stirn, die herabgebogene Nase und den nach vorn erhabenen, also breiteren Jochbogen mit Panochthus zunächst verwandt, ent- fernt sich Hophlophorus doch deutlich von dessen Gattungs- typus durch die mangelnde Verbindung des Jochbogens mit der hinteren Orbitalecke, obgleich eine stumpfe, einwärts gebogene Ecke des Jochbogens auch bei Hoplophorus sich dieser Ecke sehr nähert. Ich hatte vermuthet, dass die Verbindung auch an dem von Dr. Lund abgebildeten Schädel vorhanden gewesen und nur durch Bruch verloren gegangen sei, aber ich habe mich in dieser Annahme geirrt; es hat hier keine Verbindung statt gefunden, sondern der Orbitalrand ist, wie bei Glyptodon, nach hinten geöffnet gewesen, obwohl nicht so stark, wie bei letzte- rer Gattung. Dieser Charakter ist von grosser Bedeutung und genügt allein zur generischen Trennung des Hoplophorus von Panochthus; er ist aber auch der einzige von solchem Gewicht 172 H.:Burmeister. im ganzen Schädelbau beider Genera; alles Andere ist völlig übereinstimmend, einzelne kleine Abweichungen der Form ab- gerechnet, wie z. B. die des absteigenden Fortsatzes am Joch- bogen, welcher bei Hoplophorus eine winkelförmige Knickung des Seitenrandes und eine etwas stärkere Krümmung hat. An Dr. Lund’s Exemplar war dieser Fortsatz gerade da abge- brochen, wo die winkelförmige Knickung des Randes sich be- findet; wohl weil der Fortsatz hier plötzlich viel dünner, also brüchiger wird. Endlich bietet sich ein kleiner Unterschied im Zahntypus dar, obgleich die Anlage ganz dieselbe ist, bis auf die gabelförmige Theilung der mittleren Zahnsubstanz (vasi- dentina) im hintersten Lappen der vier letzten oberen Back- zähne und im vordersten der fünf unteren, welche für Panoch- thus gilt (siehe Anales etc. Tom. II. pl. IV). Bei Hoplophorus findet sich diese Theilung nur im letzten Backzahn des Ober- kiefers, wo sie bei Panochthus fehlt, dagegen im Unterkiefer ebenso an den 5 hinteren Zähnen.') Den Hals besitzen wir von allen 3 Individuen fast voll- ständig, ja den Atlas sogar viermal. Letzterer gleicht dem von Panochthus sehr, doch ist der Höcker auf dem Bogen, welcher dem Dornfortsatz entspricht, niedriger und die seitlichen Flügel, den Querfortsätzen entsprechend, sind kürzer, dafür aber nach oben in eine viel schärfere Spitze ausgezogen. Mit den breiten Flügeln des Atlas der typischen Glyptodonten ha- ben sie gar keine Aehnlichkeit. Uebrigens herrschen auch bei dieser Art beträchtliche individuelle Verschiedenheiten, so dass jeder der 4 Atlas etwas anders aussieht. Die Breite des gröss- ten beträgt zwischen den äusseren Rändern der Gelenkgruben für die Condyli occipitales 0,080 und die Höhe in der Mitte beider Bogen mit dem Höcker 0,060. — Das Mittelnackenstück, aus dem zweiten bis fünften Halswirbel gebildet, haben wir ebenfalls viermal, darunter 2 vollständige Exemplare; sie be- 1) Herrn Dr. Lund’s Fig. 4, Taf. XXXV des IX. Bandes der genannten Abhandlung stellt sehr gut den dritten Zahn des Unter- kiefers dar, wie er an meinen Schädeln beschaffen ist: die Fig. 3 da- gegen passt zu keinem der mir vorliegenden Zähne und scheint einer ganz anderen Art anzugehören. Ueber Hoplophorus euphractus., 173 weisen, dass das von Dr. Lund a. a. OÖ. abgebildete Exemplar seine Spitzen verloren hatte, denn der obere Dorn ist höher, dabei stark seitlich zusammengedrückt, nicht dick, wie bei Pan- ochthus, und am Ende, wie bei den typischen Glyptodonten, mit 3 nach oben und den beiden Seiten hervortretenden schar- fen Kanten versehen. Die Querfortsätze gehen am Ende wie in einen abgerundeten Lappen über und haben nach hinten eine grosse ovale Gelenkfläche zur Verbindung mit dem nachfolgen- den Wirbel. Die ganze Breite des Knochens zwischen den Querfortsätzen beträgt 0,116, die Höhe in der Mitte 0,076. Im Ganzen ähnelt dieser Knochen mehr dem von Glyptodon, als demselben von Panochthus. — Auf das Mittelnackenstück folgt bei zweien unserer 3 Exemplare ein isolirter sechster Halswirbel, welcher völlig demjenigen von Panochthus gleicht (Anales ete. Tom. II. pl. V. Fig. 4), aber kaum halb so gross ist und relativ kürzere, doch etwas breitere Querfortsätze be- sitzt. Seine Breite stimmt mit der des Mittelnackenstücks über- ein, die Höhe ist, trotz des spitzen Dorns, nur 0,046. Bei dem dritten Exemplar ist dieser sechste Wirbel innig nach seiner ganzen Ausdehnung mit dem folgenden Hinternackenstück ver- wachsen. Herr Pouchet hat diese Verwachsung ebenfalls an seinem Exemplar wahrgenommen und für Regel bei Hoplo- phorus gehalten; aus meinen Wahrnehmungen folgt, dass es eben so viele Ausnahmen wie beobachtete Verwachsungsfälle giebt, die Verwachsung also nicht Regel ist, sondern mitunter eintritt, aber nicht, wie es mir scheint, nothwendig mit zuneh- mendem Alter erfolgt, denn gerade bei unserem grössten, muth- masslich ältesten Individuum hat sie nicht Statt. Der siebente Halswirbel ist dagegen immer mit den beiden ersten Rücken- wirbeln, wie diese unter sich, verwachsen und bildet mit ihnen das Hinternackenstück. Letzteres besteht also bei Hoplophorus in einzelnen Fällen aus vier Wirbeln, bei allen anderen Glyptodonten nur aus dreien. Es gleicht in seiner Gesammtform mehr dem von Panochthus, als dem von Glyptodon, namentlich durch den hohen, am Ende knopfartig verdickten Dornfortsatz; aber es ist relativ etwas schmäler und die Grenzen der drei verwachse- 174. | H. Burmeister: nen hinteren Wirbel sind nicht so deutlich, während, wenn ein vierter vorderster damit verwachsen ist, dessen Grenzen ‘etwas deutlicher bleiben. Seine Breite beträgt vorn 0,122, hinten zwischen den Gelenkflächen, die es mit dem Rückenrohr ver- binden, 0,060; die Höhe des ganzen Knochens ist in der Mitte des Dorns 0,115. Von dem auf das Hinternackenstück folgenden Rückenrohr, das die übrigen Rippen tragenden Wirbel bis zu den rippen- losen Lendenwirbeln in sich fasst, besitzt unser Museum nur den Anfang, die vordersten 3!/, .(den dritten bis sechsten) Rückenwirbel enthaltend. Es ähnelt ganz dem von Panochthus, ist aber, entsprechend dem Hinternackenstück, relativ etwas schmäler; seine Breite zwischen den Seitenkanten beträgt vorn 0,113 und hinten nur 0,082. Man erkennt übrigens, ebenso wie bei Panochthus, die einzelnen der verwachsenen Wirbel deutlich an den von den Intervertebrallöchern herabsteigenden Furchen und ersieht daraus, dass die Wirbel von vorn nach hinten etwas breiter werden; der erste von den dreien (der dritte) ist 0,018, der zweite 0,025 und der dritte 0,029 breit. Die Abschnitte der Wirbelsäule hinter dem Rückenrohr fehlen unseren drei Exemplaren, mit Ausschluss zweier isolir- ter Schwanzwirbel. Meine verschiedenen Beschreibungen haben gelehrt, dass die Lendenwirbel der Glyptodonten mit den Kreuz- wirbeln in ein ungetheiltes Knochenrohr verwachsen, dass die hohen Dornen der vordersten Kreuz- und hintersten Lenden- wirbel einen ungetheilten Kamm bilden, der mit den ebenso hohen Darmbeinen verschmilzt, zugleich mit ihnen den Panzer tragend, und dass die Sitzbeine starke Flügel nach oben ab- senden, welche denselben Zweck erfüllen. Gewöhnlich sind in dieser Strecke der Wirbelsäule sechszehn Wirbel vorhanden. Hrn. Pouchet’s Abhandlung lehrt, dass der entsprechende Theil der Wirbelsäule von Hoplophorus ebenso gebaut war, mit dem Unterschiede, dass sämmtliche Lenden- und Kreuzwirbel mit Ausnahme der beiden letzten, durch ihren Dornenkamm mit dem Panzer verwachsen. Ich habe an unserm Exemplar die Spuren dieser Verwachsung nur vom Ende der Lendenwirbel- partie an wahrnehmen können, und muss folglich schliessen, NE. - 5 Ueber Hoplophorus euphractus. 175 dass in dieser Partie ähnliche individuelle Verschiedenheiten vorkommen, wie in der Gegend des Hinternackenstücks. Die beiden letzten Kreuzwirbel verhalten sich, nach Hrn. Pouchet’s Darstellung, ganz eigenthümlich, insofern sie weder unter sich, noch mit den Sitzbeinflügeln verwachsen sind, son- dern an dieselben nur angeheftet waren. Auch hatte der Quer- fortsatz des vorletzten Kreuzwirbels, welcher in der Regel viel schmäler ist als der letzte und sich mit demselben in der Mitte verbindet, bei Hoplophorus gleiche Länge und fast gleiche Breite mit dem letzten und verwuchs eben so wenig mit ihm wie mit den Sitzbeinflügeln. Ich kann leider mit meinen Hilfsmitteln nichts über diese eigenthümlichen Verhältnisse aussagen, inden ich vom Becken nur die rechte Seite der Ossa innominata bis zum Anfange des Sitzbeinflügels besitze, woran die betreffende Partie der Verbindung fehlt. Hinter dem Kreuzbein folgen zunächst einige freie Schwanz- wirbel, gewöhnlich sieben, und dann mehrere verwachsene, welche im Tubus des Schwanzpanzers stecken. Meine Vor- räthe lehren, dass Hophlophorus sich ebenso verhielt. Ich be- sitze zwei freie Schwanzwirbel (vielleicht der fünfte und sechste) welche durch ihre schlanken Querfortsätze mit stark herabge- bogener, fast hakenförmiger Spitze am meisten denen von Gl. elavipes ähneln, dessen Schwanz überhaupt ganz denselben Bau zeigt. Der vordere dieser beiden Wirbel ist 0,059 im Körper lang und 0,145 zwischen den Querfortsätzen breit; der hintere hat in denselben Richtungen 0,055 und 0,122. Die drei an ihnen befestigten unteren Dornen liegen auch vor; sie ähneln dem fünften, sechsten und siebenten von Panochthus (Anales, Tom. I., Taf. I.), haben aber etwas längere untere Enden, die förmliche 0,015 lange Spitzen bilden. Der erste von den dreien ist 0,060 lang, der zweite 0,049, der dritte 0,030; zwischen den unteren Spitzen haben alle drei fast gleiche Breite, nämlich 0,038. Auf die flache Unterseite der Spitzen stützt sich der Panzerring von unten, ja er verwächst sogar damit, wie 2 der Dornen lehren, weil der Ring unten ganz geschlossen ist, und nieht in der Mitte eine Lücke hat, wie bei Panochthus. Von den Rippen, dem Brustbein und den Sternocostal- 1276 H. Burmeister: knochen ist soviel erhalten, um daraus zu ersehen, dass diese Partie des Skeletes völlig wie bei Panochthus gestaltet war; namentlich das Manubrium sterni, dessen linke Seite vorliegt, gleicht ganz dem von Panochthus und ist nicht mit dem ersten Rippenpaar verwachsen, sondern nur dureh elastische Substanz mit ihm verbunden gewesen. Die Gliedmaassen liegen mir alle vier vollständig vor, mit Ausnahme des Schulter- und Beckengürtels, von dem nur ein- zelne Reste sich erhalten haben. Auch hier ist alles wie bei Panochthus gebildet und Aehnlichkeit mit Glyptodon nur in soweit vorhanden, als auch Panochthus damit harmonirt. Vom Schulterblatt habe ich das untere Ende mit der Cavitas glenoi- des und dem Acromion. Beide Theile ähneln denselben von Panochthus vollständig. Die Cavitas ist 0,060 lang und 0,032 in der hinteren Partie breit, nach vorn verschmälert sie sich um die Hälfte; das Acromion ist 0,075 lang und völlig wie bei Panochthus gestaltet, also relativ kürzer, schmäler und we- niger gebogen als bei Glyptodon, mit scharf vortretender, win- kelförmiger Ecke am Anfange des hinteren Randes. Der Hu- merus ist 0,250 lang und relativ viel schlanker als der von Panochthus, doch diesem ähnlich durch die Brücke am unteren Ende zwischen Epitrochlea und Mittelläche. Diese Brücke ist, wegen der grösseren Schlankheit des Knochens, ‚etwas höher hinaufgerückt als bei Panochthus und in Folge dessen auch weiter. Besonders aber unterscheidet den Humerus der viel höhere und schärfere Seitenkamm in der oberen Hälfte der äusseren Seite, welcher die Tuberositas magna begrenzt. Da- durch ähnelt der Knochen etwas mehr dem von Glyptodon. — Radius und Ulna sind viel zierlicher als bei Panochthus und jener ist stärker gebogen, daher er in seiner ganzen Länge frei liegt, nur am Anfang und am Ende sich mit der Ulna ver- bindend. Im Uebrigen gleicht ihre Form völlig der von Pa- nochthus, daher es nicht nöthig ist, weiter davon zu reden. Der Radius ist 0,130, die Ulna 0,192 lang. — Auch vom Vor- derfuss brauche ich nicht mehr zu sagen, als dass er sich völlig wie bei Panochthus verhält, also vier Zehen hat, welche dem zweiten bis fünften Finger des Menschen entsprechen. Jeder Ueber Hoplophorus euphractus. 177 einzelne Knochen ist ganz wie der entsprechende von Panoch- thus gestaltet, nur kleiner und etwas zierlicher. Die beiden ossa multangula sind in ein einziges Knöchelchen verwachsen, die übrigen Carpusknochen aber vollzählig. Am meisten weicht das os pisiforme durch die relativ viel grössere Breite seiner freien zungenförmigen Hälfte von dem bei Panochthus (Anales etc. Tom. II, pl. VII, fig. 6) ab. Auch die Sesam- und Sehnen- beinchen sind ebenso gestaltet. Die ganze Länge des Fusses beträgt 0,155, welche grösste Länge nur die erste der vorhan- denen Zehen erreicht. Von der hinteren Extremität wurde des Beckens schon ge- dacht. An dem mir vorliegenden Stück desselben, die Gegend am Acetabulum der rechten Seite begreifend, ist als Eigen- thümlichkeit nur des Zapfens zu erwähnen, welcher vom inneren Rande des Acetabulums ausgeht und auf dem Anfange des os pubis sitzt. Dieser bei Panochthus dicke Zapfen steigt bei ihm senkrecht herab und in ähnlicher Form doch minder dick, mehr comprimirt, sieht man ihn auch bei Glyptodon; aber bei Hoplo- phorus ist er gerade vorwärts gerichtet, mehr konisch gestaltet, relativ kürzer, also ganz eigenthümlich gebaut. Das Acetabu- lum hat, wie die cavitas glenoides, einen nierenförmigen Um- riss, ist aber nach vorn breiter als nach hinten; sein grösster Durchmesser beträgt 0,073, sein kleinster in der Gegend des Ausschnitts: für das Ligamentum teres 0,0335. Das os pubis, dessen Anfang sich erhalten hat, ist ovalrund und 0,012 dick; also auch von dem stark comprimirten bei Panochthus ver- schieden. In der Dicke übertrifft das sehr dünne Schambein der Glyptodonten mit Stachelschwänzen und harmonirt am ' meisten mit dem von Gl. clavipes. Die Länge des Foramen obturatorium möchte, nach der Krümmung am Sitzbein zu ur- theilen, 0,095 gewesen sein, seine mittlere Weite etwa 0,052. Den Oberschenkel besitzen wir dreimal, aber keiner ist vollständig; allen dreien fehlt das obere Ende, und dem einen auch das untere. Nach den vorhandenen Stücken zu urtheilen, mag seine ganze Länge etwa 0,350 betragen haben; das am besten erhaltene Exemplar ist 0,280 lang, doch fehlt die ganze Gegend des trochanter major und des condylus. Im Einzelnen Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 12 178 H. Burmeister: stimmt der Schenkelknochen sehr mit dem von Panochthus überein; auch darin, dass die Gelenkfläche für die Kniescheibe mit denen der beiden condyli zusammenfliesst, was bei Glyp- todon nicht der Fall ist. Ein kleiner Formunterschied bietet sich in der beträchtlich tieferen Ausbuchtung des Randes am dritten unteren trochanter dar,, welche Ausbuchtung letzteren etwas deutlicher vom Condylarknorren absetzt, als es übrigens bei den Glyptodonten der Fall ist. Der Querdurchmesser des Femur ist da, wo er am dünnsten ist, 0,052, die grösste Breite dicht über den unteren condylis beträgt 0,115. — Das wie bei allen Glyptodonten mit dem Pfeifenbein ver- wachsene Schienbein hat Dr. Lund schon gekannt und auf Taf. LVI a. a. O. abgebildet, aber zu Scelidotherium gezogen. Seine Figur in halber natürlicher Grösse passt gut zu den drei mir vorliegenden Exemplaren desselben Knochens, wenn man die Grössenangabe auf die Gesammtoberfläche und nicht bloss auf den linearen Durchmesser bezieht!). Von unsern 3 Exem- plaren ist das grösste 0,220, das kleinste 0,208 lang in der Richtung des Pfeifenbeins, wo der Knochen seine grösste Länge hat. Er harmonirt ührigens völlig in der Gestalt mit dem von Panochthus, wenn man berücksichtigt, dass er relativ schmäler, also gestreckter gestaltet ist und in Folge dessen die Lücke zwischen Schienbein und Pfeifenbein etwas länger; auch sind die hervorragenden Ecken und Kanten nicht so scharf ausge- prägt, weil der ganze Knochenbau von Hoplophorus zierlicher ist, — Vom Hinterfusse brauche ich nicht im Besonderen zu reden, weil Dr. Lund’s Abbildung desselben auf Taf. I. II. seine An- sicht gewährt. Ich habe ihn zweimal vor mir, einen linken und einen rechten, denen aber beiden der calcaneus fehlt, wäh- rend sie übrigens vollständig sind. Er besitzt nur vier Zehen, wie Panochthus, indem die bei Glyptodon vorhandene innerste 1) Sollte die Grössenangabe von Dr. Lund’s Figur auf den Li- neardurchmesser sich beziehen, so würde das Original der Abbildung nicht zu Hoplophorus gehören können, sondern wie ich früher an- nahm, indem ich die Grösse auf die Lineardimension deutete, nur zu Panochthus. “ 1; | Ueber Hoplophorus euphractus. 179 Zehe fehlt, und ähnelt dem Fusse jener Gattung ganz. Auch hier passt Dr. Lund’s Figur in ?/, der natürlichen Grösse nicht genau zu meinen Exemplaren; sie sind kleiner und wenig grösser als die Abbildung. Ferner weicht die Form der Krallen- glieder etwas ab, weil an meinen Exemplaren relativ breiter, nicht so deutlich zugespitzt und die seitlichen weniger dreieckig geformt. Das scheint auf spezifische Verschiedenheit hinzu- weisen, welche ich indessen dahin gestellt sein lasse, bis ich die genauen Abbildungen aller Körpertheile vorgelegt haben werde, aus denen dann Herr Prof. Reinhardt zu Kopenhagen wo die Lund’schen Originale sich befinden, bei seiner grossen Vorliebe, sich mit meinen Publicationen zu beschäftigen, wohl ermitteln wird, ob in der That specifische Unterschiede vor- liegen. — Da bis jetzt keine naturgetreue Abbildung eines vollstän- digen Glyptodonten-Panzers vorhanden ist, auch die von Nodot besorgte im Einzelnen Unrichtigkeiten, zumal in der Form und Anzahl der Plattenreihen enthält, so habe ich eine solche von Hoplophorus euphractus beigegeben, welche die von G. Pouchet veröffentlichte Figur berichtigt, insofern auch in ihr die Platten zu gross gerathen, die Zahl der Reihen verringert ist und end- lich die untere Seitenpartie ganz fehlt. Letztere ist an unserem Exemplar vollständig, ohne alle Restauration, welche nur die oberen Seitentheile, da wo sie an die vollständige Kückenfläche stossen, betroffen hat. — Buenos Aires, im März 1871. Erkläruns der Abbildung. A. Koptpanzer. B. Rumpfpanzer. C. Schwanzpanzer. D. Mittlere Rückenplatte. Die Zahlen geben die auf einander folgenden Platten- Querreihen an. 12° TE REIHE IR 17 10) 701 BETRETEN $ } ER TERN Ro u 180 Karl Real. Eine Abnormität im Verhalten des Gränzstranges des Nervus sympathicus. Von | Kar REAL, Stud. med. (Hierzu Taf. VII A.) Da sich verhältnissmässig so wenig die Gelegenheit bietet den Nervus sympathicus zu präpariren, so ist es leicht begreif- lich, warum die Beobachtungen über Unregelmässigkeiten in seinem Verhalten weit seltener sind, als dies bei andern Ner- ven der Fall ist. Ich glaube daher es nicht unterlassen zu dürfen, einen Fall zu beschreiben, den ich diesen Winter Ge- legenheit hatte zu beobachten und welchen Herr Professor Meyer die Güte hatte mir zur Ausarbeitung zu überlassen. Ich thue dies noch um so mehr, weil nach meiner Ansicht solche Varie- täten von grossem physiologischem Interesse sind und weil dies ein Fall ist, wie ich einen ähnlichen, so weit mir die Lite- ratur bekannt ist, noch keinen beschrieben gefunden habe. Es war an der sehr abgemagerten Leiche eines sechsund- dreissigjährigen Mannes, welcher in der Pfleganstalt Rheinau gestorben war, an der ich den Nervus sympathieus präparirte. Nach Aussage des Arztes litt der Kranke an progressiver Muskel- atrophie, starb aber an einer acuten Pneumonie. Be: j S h Eine Abnormität im Verhalten des Gränzstranges ete. 181 ‚Als ich den Sympathicus auf der linken Seite des Halses frei präparirte, fand ich nichts Abnormes in seinem Verhalten Sowohl das Ganglion superius als das Ganglion medium waren von gewöhnlicher Grösse. Letzteres hatte eine viereckige Form und stand mit zwei Strängen, die die Arteria subclavia schlingen- förmig umgaben, mit dem Ganglion infimum in Verbindung, Dieses war ein grosses spindelformiges, etwas mehr als ein Zoll langes Ganglion, das sich vom ersten bis zum zweiten Rippenköpfchen erstreckte. Es hatte zwei Anastomosen zum letzten Cervical- und ersten Intercostalnerven. Von da zeigte sich im Verhalten des Gränzstranges das gewöhnliche Verhält- niss bis zur siebenten Rippe hinunter, mit Ausnahme etwa, dass auf der sechsten Rippe kein Ganglion gelegen war, ein Ver- hältniss, das sich ja sonst wohl häufig findet. Auf dem sieben- ten Rippenköpfchen lag aber ein sehr grosses spindelförmiges Ganglion, das sowohl vom fünften als vom sechsten Intercostal- nerven Aeste bekam. Mit diesem Ganglion hörte auf einmal der Gränzstrang auf, begann aber selbständig wieder mit zwei ° Wurzeln, welche aus dem siebenten Intercostalnerven stammten. Trotz aller Aufmerksamkeit gelang es mir nicht, eine Verbindung zwischen dem grossen Ganglion auf der siebenten Rippe und diesen zwei neuen Wurzeln zu finden. Auf der achten Rippe fand sich kein Ganglion, hingegen zwei kleinere auf der neun- ten und zehnten Rippe, von welchen jedes eines eine Verbin- dung mit dem betreffenden Intercostalnerven hatte. Auf der zehnten Rippe erlitt der Gränzstrang neuerdings eine Unter- brechung und begann wiederum frei mit zwei Wurzeln aus dem zehnten Intercostalnerven. Beide Wurzeln vereinigten sich so- gleich in ein Ganglion, welches auf der elften Rippe lag, und das durch einen einfachen Stamm mit einem Ganglion auf der zwölften Rippe in Verbindung stand. Im Ferneren zeigte der Gränzstrang seine normalen Verhältnisse, soweit ich sie noch ver- folgen konnte, indem der untere Theil des Körpers schon ver- arbeitet war. Interessant ıst das Verhältniss, wie sich dieser so abnorme Gränzstrang zu den beiden Nervi splanchnici verhielt. Der Nervus splanchnicus major entsprang mit einer Wurzel aus dem 182 Karl Real. Ganglion auf der fünften Rippe und mit zweien aus dem grossen Ganglion auf der siebenten Rippe. Diese drei Wurzeln vereinig- ten sich bald und gingen als ein ziemlich starker Stamm unter dem Zwerchfell hindurch zum Ganglion solare. In den Verlauf der zweiten Wurzel aus dem grossen Ganglion war ein kleineres Ganglion von der Grösse eines Hirsekornes eingeschaltet. An diesen ersten Strang schloss sich ein zweiter an, der nur mit einer Wurzel aus dem Ganglion auf der zehnten Rippe entsprang. Der Nervus splanchnicus minor entstand mit zwei Aesten aus den Ganglien auf der elften und zwölften Rippe, und ging selbst- ständig durch das Zwerchfell hindurch, um ebenfalls ins Ganglion solare einzutreten. Nachdem ich nun den Gränzstrang auf der linken Seite aufs sorgfältigste untersucht hatte, machte ich mich auch an die Ausarbeitung desselben auf der rechten Seite. Doch dieser zeigte sich in seinem Verlaufe als vollkommen normal. In der älteren Literatur finden sich nach Angabe von W. Krause und J. Telgmann: Die Nervenvarietäten beim Men- schen, nur zwei Fälle, welche dem eben beschriebenen etwa an die Seite gestellt werden könnten. Der eine findet sich in Haller’s Elementa physiologiae etc. 1757—66 T. IV. pag. 261. Er beschreibt dort einen Gränz- strang, der auf der sechsten Rippe endete und frei mit einer Wurzel aus dem siebenten Intercostalnerven wieder entsprang. Der zweite Fall findet sich bei Bichat, Recherches physiologiques sur la vie et la mort, 3me Ed. Paris 1805. p. 71, woselbst er einen Gränzstrang beschreibt, der einen deutlichen Unterbruch in seinem Verlaufe zwischen dem Brust- und Lenden- theile zeigte. Der dritte ähnliche Fall von theilweiser Unterbrechung des Gränzstranges ist in den Archives neerlandaises des sciences exactes et naturelles, I. No. 4. p. 293 von Herrn Vos, Stud. med. in Utrecht, beschrieben. Herr Vos giebt an, dass der Gränzstrang, welchen er an der Leiche eines achtmonatlichen _ Kindes präparirte, mit einem dünnen Nervenfaden am dritten Intercostalnerven plötzlich aufhörte, nachdem er unter der Arteria subelavia ein grosses Ganglion gebildet hatte. Der Gränzstrang Eine Abnormität im Verhalten des Gränzstranges u.s. w. 183 begann erst wieder mit einem ganz feinen Ramus communicans zum sechsten Intercostalnerven, aber erst von der siebenten Rippe an zeigte er sich wieder in seiner regelmässigen Form. Wie es aus der obigen Beschreibung leicht ersichtlich ist, zeichnet sich der von mir beobachtete Fall von den drei ange- gebenen Fällen besonders aus: einmal durch die doppelte Unterbrechung des Gränzstranges zwischen der siebenten und ach- ten und zwischen der zehnten und elften Rippe, zweitens durch die Einschiebung eines Ganglions in den Verlauf des Nervus splanchnicus. In Bezug auf dieses letztere Verhältniss habe ich nur noch zu bemerken, dass ein ganz ähnlicher Fall von Lobstein (De nervi sympathici hum. fabrica, usu et morbis. Paris 1823) beschrieben worden ist. Zürich, März 1871. 184 Robinski: Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitricum. Mikroskopische und Mikrochemische Untersuchungen. Von Dr. Rosiınsktı. I. Der erste, der eine „Kittsubstanz“!) auf die Reaction des Arg. nitr. hin statuirte, war Recklinghausen.!) Er be- schränkte sich auf die Annahme der „Kittsubstanz“ zwischen den Epithelien und glatten Muskelfasern. Während Reckling- hausen sagt, dass der Silberniederschlag „wahrscheinlich“ innerhalb einer „Kittsubstanz“ auftritt, was übrigens noch näher zu begründen wäre, nehmen viele Autoren diese Ansicht ohne weiteres als gesichert an. — Später wurde von Kühne die „Kittsubstanz* zwischen den Epithelien auf die Silberreaction hin gewissermassen als Grundlage angenommen und das Vor- kommen der „Kittsubstanz“ im thierischen Körper noch erwei- tert. Die Sehnen, Fascien und Aponeurosen, die Gelenkbänder und Kapseln, die Sklera des Auges, die serösen Häute, das Unterhautzellgewebe, sowie das Bindegewebe unter den 1) Wie bekannt stellte Rollet, durch Einlegen der Sehnen in Kalk- und Barytwasser, aus denselben eine die sogenannten Sehnen- Fibrillen angeblich verbindende, verkittende Substanz, „die Kittsub- stanz“ dar. 2) „Die Lymphgelässe und ihre Beziehung zum Bindegewebe“. Berlin 1862. Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitricum, 185 Schleimhäuten, zwischen den Muskeln, den Nerven und den secretorischen Elementen der Drüsen sollen nach Kühne‘) mindestens vier gemeinsame chemische Bestandtheile enthalten. Unter diesen wird auch die uns hier beschäftigende „Kittsub- stanz“ aufgeführt. Als einzige, aber ganz charakteristische, die „Kittsubstanz“ auszeichnende mikrochemische Reaction?) wird die „merkwürdige“ Eigenschaft angegeben, welche sie mit allen Kittsubstanzen, die sich überhaupt im Thierkörper z. B. zwi- schen allen Epithelzellen vorfinden, theilen soll, nämlich sich leicht mit Silbersalzen unter gewissen Umständen zu impräg- niren, so dass sie nach der Belichtung von reducirtem Silber schwarz wird. Wir finden eine so grosse Verwirrung in den Angaben über dieses Thema von wahren und falschen Vor- stellungen und Beobachtungen durcheinander, dass es durchaus geboten erscheint,, ehe das Chaos noch grösser wird, den That- bestand klar darzulegen; und sollte es der vorliegenden Arbeit gelungen sein, wenigstens einige Klarheit, einiges Licht in diese Fragen gebracht zu haben, so ist ihr Zweck vollständig er- reicht. — IT. Wenn wir unter dem Mikroskope zum Epithel, z. B. der vorderen Fläche der Cornea, der sogenannten Conjunctiva, eine Argentum nitricum-Lösung hinzusetzen, so sehen wir eine aus- gezeichnete Reaction auf Epithel, eine Verdunkelung, Verdeut- lichung der Contouren seiner Zellen. Um sicher zu gehen, um sich möglichst vor Irrthümern zu schützen, müssen wir auch bei diesen Untersuchungen möglichst schwacher Lösungen uns be- dienen, z. B. 1: 800, 1: 1000. Die Nachtheile stärkerer Lö- sungen habe ich schon früher dargethan, so wie die Fehler und Irrthümer, die auch bei Untersuchungen des Epithels ver- mittelst dieser Methode vorgekommen. Diese Verdeutlichung der polyedrischen Epithelcontouren be- ruht nicht einfäch auf einem Niederschlage, sondern wie wir 1) „Lehrbuch der physiologischen Chemie“ 1870, S. 354. 2) 1. c, 8. 359. 186 " Robinski. uns bald überzeugen werden, auf einer wirklichen Färbung der Membranen. Die sich bildenden Niederschläge der Silbersalze zeigen zwar unter dem Mikroskope den Epitheleontouren oft täuschend ähnliche Maschen und Netze, auch auf Gebilden, wo keine Spur von Epithelien vorkommt, selbst auf reinem Glase u. s. w., aber man kann bei einiger Uebung und Vorsicht diese Kunstprodukte doch unterscheiden und braucht desshalb dieses Mittel aus unserem, an mikrochemischen Reactionsmitteln noch so armen Untersuchungsapparat nicht ganz zu verwerfen. Ich würde es bei manchen Untersuchungen nicht gern vermissen, bei vielen unmöglich mich ohne es behelfen (Untersuchungen der Augenlinsenfasern), kann aber meinen Untersuchungen und Erfahrungen zufolge unmöglich ihm die hohe Wichtigkeit bei- legen, wie dieses andererseits geschehen. Vorsicht und Uebung ist wohl bei allen Mitteln nöthig, vielleicht hier mehr als an- derswo, wenn wir nicht Kunstprodukte erhalten und dieselben als neue Entdeckungen ausgeben wollen, was freilich geschehen; ja, wenn bei irgend einer Methode, so ist wohl hier das Meiste in merkwürdigen und haltlosen Entdeckungen und Novitäten geleistet; aber dieser Einwand genügt nicht zur gänzlichen Ver- werfung des Mittels. Wir müssen auch nicht Tate Zeit der Einwirkung des Silbers ausgesetzte Präparate untersuchen, sondern das zu un- tersuchende Gebilde möglichst frisch unter das Mikroskop neh- men, die Silberlösung hinzusetzen und die nun nach und nach auftretenden Bilder beobachten. Wir sehen dann zunächst an der Oberfläche die Verdeutlichung, Verdunkelung der polyedri- schen Epithelzeichnung erscheinen. Einige Forscher (Auer- bach) meinen, die auftretende Verdeutlichung beruhe auf einem Niederschlage in die Furchen des Epithels. Wäre dieses der Fall, dann könnte beim mehrschichtigen Epithel diese Färbung oder wie man will Niederschlag, nur an der Oberfläche, nicht in allen Schichten eintreten, wie man es doch beim Epithel der Vorderfläche der Cornea leicht sehen kann. Andere Beobachter (v. Recklinghausen) nehmen nun an, es färbe sich nicht die Membran der Epithelien, sondern eine zwischen den Epithelzellen gelegene Substanz, die sog. „Kittsub- PRFEREN:S nr . ’ } Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitrieum. 187 stanz“ Durch die Annahme einer solchen Substanz wollte man die auftretende Färbung erklären; aber zur Erklärung dieser Erscheinung brauchen wir nicht erst zu einer „Kittsub- stanz“ unsere Zuflucht zu nehmen, wie wir gleich sehen werden. Beobachten wir die Epithelien nach Einwirkung des uns hier beschäftigenden Reagens weiter, so sehen wir gleich nach der Verdeutlichung der polyedrischen Epithelcontouren, dass sich diese Färbung von den Rändern, vom deutlich hervorgetretenen Umfange nach der Mitte zu allmählig fortsetzt und endlich er- scheint die ganze Zelle gebräunt. Anfangs ist sie noch in der Mitte heller, nach den Rändern zu immer dunkler, daher blei- ben auch anfangs die Contouren noch deutlicher, noch vom Innern abstechend. Später wird am Lichte, wie natürlich, nach und nach das Innere immer mehr gebräunt, verdunkelt, na- mentlich wenn stärkere Lösungen angewandt werden, so dass das ganze Gesichtsfeld nun zu einem dunkeln, schwarzen Bilde verschwimmt, wo die Contouren der Zellen nicht mehr zu unter- scheiden sind. — Inhalt und Contouren bieten ein und dieselbe Färbung, dieselbe „merkwürdige“ Eigenschaft dar. Wo soll man hier die „Kittsubstanz* suchen? Ist aber die ganze ge- färbte Epithelmembran zur „Kittsubstanz* geworden, da sie diese characteristisch (?) sein sollende, „merkwürdige“, nur (?) der „Kittsubstanz“ eigenthümliche Eigenschaft zeigt? — Würde sich diese supponirte „Kittsubstanz“ färben, so könnte beim einschichtigen Epithel, wo nur an den Rändern die vermeintliche „Kittsubstanz“ sich befinden würde, die Ver- färbung unmöglich sich über die ganze Zelle ausdehnen, da nur die „Kittsubstanz“ an den Rändern sich so „merkwürdig“ fär- ben könnte. Wir haben im Organismus einschichtiges Epithel, sehr schöne, dazu geeignete, wie dazu gemachte Präparate, so 2. B. das einschichtige Epithel der hinteren Fläche der Cornea, der sog. Membrana Descemeti, wo also nur an den Rändern, am Umfange der Epithelzellen die vermeintliche „Kittsubstanz“ vorhanden wäre. Es dürften sich hier also nur der Umfang, d. i. die Randbegrenzung der Epithelzellen verdunkeln, nicht aber die ganze Zelle, die sich nach und nach in der oben beschrie- benen Weise färbt. 188 Robinski. Auch Schweigger-Seidel, der überhaupt die Wirkungen des Arg. nitr. sehr genau studirt hat, erklärt sich gegen die An- nahme einer mit „merkwürdigen“ Eigenschaften ausgestatteten „Kittsubstanz“ und giebt folgende Erklärung!) für das Zustande- kommen der dunkeln Linien: die in Betracht kommenden Häute sind in frischem Zustande von einer dünnen Schicht Serum be- deckt; die regen Beziehungen nun zwischen Höllenstein und Eiweiss sollen die schwarzen Liniennetze hervortreten lassen. Genügt jedoch diese Erklärung? Wir sehen an Membranen, z. B. an den in Froschbehältern herumschwimmenden Frosch- häuten, die nicht im serumdurchfeuchteten Zustande sind, die- selben Erscheinungen auftreten, wie an den serumdurchfeuchteten Epithelien; ihre polyedrische Zeichnung wird nach Zusatz der Silberlösung deutlicher, und nach und nach färbt sich die ganze Zelle, die ganze Epithelzellenmembran. Auch diesem gewissermassen vermittelnden Standpunkt Schweigger-Seidels, „dass zwischen den mit ihren Rändern nicht verschmolzenen Zellen dünne Schichten einer eiweissartigen Substanz abgelagert sind, die als Kitt wirken,“ können wir also durchaus nicht beistimmen. Wir haben gesehen, dass auch Membranen im nicht serumdurchfeuchteten Zustande diese Reac- tion zeigen, sodann dass auch, wie Schweigger-Seidel?) vor- schlägt, mit einer 4°/, Zuckerlösung abgespülte, von ihren „dün- nen Schichten einer eiweissartigen Substanz“ befreite Präparate, diese Einwirkung des Arg. nitr. zeigen, ja in toto gebräunt werden und dass sich, wieSchweigger-Seidel sagt, „unterdem Einflusse des Lichts die Membran bräunt.“ Die Schweigger- Seidel’sche Annahme und Erklärung ist ausserdem, ebensowenig als die von Recklinghausen’sche, einfach und natürlich ge- nug; sie ist noch viel zu gesucht und ist ebensowenig wie die „Kittsubstanz“* von Recklinghausen’s im Stande uns alle Erscheinungen zu erklären. 1) Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig vom Jahre 1866. (Schweigger-Seidel: „Ueber die Epithelien sowie über die von Recklinghausen’schen Saftkanälchen als die vermeint” lichen Wurzeln der Lympbgefässe“ pag. 153). 2) l. c. pag. 159. Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitricum. 189 Wie ist nun also diese Eigenschaft „schwarz zu werden“ zu deuten? Ist es etwas so ganz absonderlich „merkwürdiges“, dass wir bei Verdeutlichung der ganzen Zelle immer die sog. Ränder, die Conturen schärfer markirt auftreten sehen? können wir uns das gar nicht anders erklären, als durch die Annahme z. B. einer „Kittsubstanz“, die wir wiederum mit einer „merk- würdigen“ Eigenschaft ausrüsten müssen? haben wir denn nicht viele ähnliche Vorgänge der Art bei den Zellengebilden? Wenn man sich das gleiche Verhalten der Fetttropfen und Luftblasen, ferner das der verschiedenen Arten von Blutzellen unter dem Mi- kroskop in Erinnerung bringt, so wird man auch verstehen können, warum in unserem Falle die Färbung zu allererst an den Rändern auftritt und nach und nach, erst bei stärkerer Tingirung, gegen die Mitte hin sichtbar wird u. s w. Diese meine Erklärung, dass durch die bekannte, so grosse Neigung des Arg. nitr. mit den im Organismus vorhandenen, zahlreichen Salzen Verbindungen einzugehen, sich zu reduziren, die thieri- schen Gebilde überhaupt und so auch die Epithelzellen resp. deren Zellenmembranen tingirt, geschwärzt werden, ist so natürlich einfach und ausserdem Alles zur Genüge erklärend, dass es Wunder nimmt, warum man erst so weit nach Erklärungen herumgesucht, die obgleich weit hergeholt, am Ende denn doch nicht viel zu erklären im Stande sind. Denn ob wir nun eine „Kittsubstanz“ oder „dünne Schichten einer eiweissartigen Sub- stanz“ etc. annehmen, immerhin bleibt es ganz unmöglich damit gewisse Erscheinungen zu erklären, wie z. B. die geringere oder stärkere Dicke der schwarzen Linien, die einzig und allein (Auerbach) von der geringeren oder stärkeren Concentration der angewandten Lösung des Höllensteins abhängt. Leicht er- klärlich, selbstverständlich erscheint es dagegen, dass bei der schwächern oder intensiveren Färbung der Membran eine ge- ringere oder stärkere Concentration der angewandten Lösung von Einfluss auf die Dicke der auftretenden Contourlinien sei. Ich frage nur noch wie, durch welches Wunder wollte man die bekannte Neigung des Arg. nitr. zu Verbindungen, Reductionen und Färbungen, wenn es mit thierischen Gebilden überhaupt, hier z. B. Epithelien in feuchtem Zustande zusam- s a A RR pr ; WER WERE \ BRD RR 190 Robinski. mengebracht wird, vermeiden; wie sollte die Bräunung, resp. Schwärzung der Gewebe hintenangehalten werden? — Aus alle dem Gesagten ersehen wir zur Genüge, dass die Annahme einer „merkwürdigen“ Kittsubstanz zwischen den Epithelien ohne jeden Beweis, ganz willkürlich und auf die angegebenen Gründe hin ganz unstatthaft ist. Von der grössten Wichtigkeit aber ist es, sich diesen so weit verbreiteten Irrthum klar zu machen, da durch diese „mikrochemische Reaction“ des Epithels der Grund- stein gelegt worden zu weiteren Irrthümern, wie ja mit Hülfe einer auf dieses Verhalten gestützten „mikrochemischen Me- thode* Kühne an den oben genannten Orten und Geweben eine „Kittsubstanz“ als einen der vier gemeinsamen Bestand- theile des Bindegewebes aufstellen und begründen wollte. Wie hier das Verhalten ist, werden wir gleich sehen und wollen um so mehr darauf eingehen, als diese Untersuchung meine Ansicht mehr begründen wird und als ein weiterer Beleg dafür angesehen werden kann. II. Feingeschnittene Sehnen zerfallen nach Rollett mit Kalk- oder Barytwasser behandelt, zu isolirbaren Fibrillen, weil angeblich die zwischen ihnen befindliche, sie zusammenhaltende „Kittsubstanz“, durch die eben genannten Mittel, aufgelöst werde. Diese „Kittsubstanz“ der Sehnen Rolletts wird von Kühne als identisch betrachtet!) mit der hypothetisch und völlig unbegründet zwischen den Epithelzellen angenommenen, eben besprochenen „Kittsubstanz*. Wäre dieses der Fall, dann müsste sie mindestens die besagte, characteristische, „merkwürdige“ Eigenschaft besitzen, sich mit Silbersachen zu imprägniren und nach Einwirkung des Lichtes eine schwarze Färbung annehmen. Meine . Untersuchungen jedoch zeigen diese „merkwürdige“ Eigenschaft üerhaupt nicht, ja auch Kühne selbst scheint es zuzugestehen. Entstünde aber auch eine schwarze Färbung, dann wäre ja noch überhaupt erst zu beweisen, dass diese auch bei anderen Gebilden ganz natürliche, durch Arg. nitr. auftre- 1) I. c. pag. 359 und 360. Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitrieum,. 19] tende Färbung auf irgend eine A ehnlichkeit, auf irgend eine Ge- meinschaft mit der „Kittsubstanz“ Rollett’s hindeutet, was nir- gends geschehen. Diese angebliche „Kittsubstanz* Ro] lett's zeigt nun aber diese „merkwürdige“ Bigenschaft gar nicht, die Präparate 2. B. von Querschnitten bräunen sich ganz gleichmässig, wir sehen nicht einmal solch’ eine Differenz wie z. B. beim Epithel, sie bräunen sich in toto, nicht wegen einer absonderlichen, „merk- würdigen“ Eigenschaft, sondern wegen der bekannten Neigung des Arg. nitr. chemische Verbindungen einzugehen und dadurch die Substanzen diffus zu färben, zu schwärzen. Es ist also nicht eine Kittsubstanz, welche diese Eigenschaft besitzt, sondern alle Gewebe werden ebenso tingirt. Wir können also auch unmöglich eine eigene, „mikrochemische Methode“ mit Zuhülfe- nahme dieses Verhaltens stützen, es fehlt jedwede Begründung, jeglicher Beweis. Wenn wir bedenken, dass diese „Kittsubstanz“ in den Seh- nen sogar chemisch isolirbar, nachweisbar ist, so müsste sie um so mehr nachweisbar sein durch die äusserst empfindliche Reac- tion des Argentum nitricum, was nicht der Fall ist. Die Sehnen- Kittsubstanz Rollett’s müsste, sofern ihre Annahme gerecht- fertigt war, den aufgestellten Theorien zufolge ganz anderer Art sein, als die supponirte „Kittsubstanz“* des Epithels, denn sie besitzt eben die merkwürdige Eigenschaft, auf Silber zu reagiren, die dieser zugeschrieben wird, durchaus nicht. Es lässt sich demnach die Anwesenheit einer, die Rollett’schen Fibrillen verbindenden Kittsubstanz nicht durch Silbersalze nach- weisen. Uebrigens dass der Eiweisskörper, den Rollett aus den Bindesubstanzgebilden vermittelst Kalk- und Barytwasser auszog, nicht von einer Kittsubstanz, sondern aus der Paren- chym-Flüssigkeit herstammte, hat Baur beweisen und damit der Rollett’schen Lehre den Boden entziehen wollen. Da nun das salpetersaure Silber nicht im Stande ist, Fibrillen deut- lich zu machen, so kann man das Verhalten des Bindegewebes zu Silbersalzen durchaus nicht in der Weise verwerthen, 1) 1. e. pag. 52 und 53. 192 Robinski. dass Kittsubstanzen überhaupt durch jene mikrochemische Me- thode optisch nachweisbar wären. v. Recklinghausen beschreibt beim Sehnengewebe eine andere und auch ganz anders zu deutende Erscheinung!) als Kühne. Man taucht nach Recklinghausen Längsschnitte der Sehnen in Silberlösung ein, dann sieht man das Gewebe sich braun färben, und in dem sonst braun gefärbten Gewebe helle, ziemlich scharf begrenzte, mehr oder minder regelmässig gestaltete, mit einander verbundene Flecke. Solche helle Flecke sieht man auch nach der Silberbehandlung in der Cornea. Von verschiedenen Seiten ist nun darauf hingewie- sen worden, dass alle diese Erscheinungen nur künstliche Pro- ducte seien. Meinen Untersuchungen zu Folge muss man einen Unterschied machen, wie wir gleich sehen werden, zwischen den Bildern in dem Bindegewebe überhaupt und denen in der Cornea. Je nach dem Gewebe, mit welchem die Untersuchung ange- stellt ward, je nach der Thiergattung, der das Gewebe entnom- men ist, sollen diese hellen Flecke von verschiedener, mehr oder minder regelmässiger, sternförmiger Gestalt sein, morgen- sternartige Figuren oder mehr kolbige Gebilde, die Fortsätze aussenden, welche mit den benachbarten Ausläufern oder Flecken communiciren und so ein Netz und Maschenwerk bilden, die ‘sog. „Saftkanälchen“. Das besondere Verdienst der Ver- silberungsmethode, eine endgültige Lösung der Lymphgefäss- wurzelfrage nachgewiesen zu haben, kann ich jedoch nicht aner- kennen, so gerne ich auch die lange und vielfach ventilirte Frage gelöst sehen möchte. : Auch andere Forscher, wie nament- lich Schweigger-Seidel, der ausführlicher in seiner Arbeit: „Ueber die Epithelien, sowie über die v. Recklinghausen- schen Saftkanälchen, als die vermeintlichen Wurzeln der Lymph- gefässe“ sich mit diesem Thema beschäftigt hat, haben bereits dieses ausgesprochen. Die Opposition ist zu gross und zählt zu gewichtige Stimmen und Beweise, als dass sie fernerhin nicht durchdringen sollte; das Resultat ist wohl über kurz oder lang vorauszusehen, wenn man sieht, wie ein Bollwerk nach dem andern fällt und die Unhaltbarkeit dieser Theorien immer "DL e. pag. 52 und 59. Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitrieum. 193 mehr dargelegt wird. Schweigger-Seidel meint!): „Wenn ich nun in Bezug hierauf auch sagen muss, dass die mikros- kopischen Bilder, welche man erhält, von v. Recklinghau- sen treffend geschildert sind, so kann ich doch nicht zugeben, dass alle Einwürfe, welche von Seiten der Kritik gegen die Deutung der Befunde im Speciellen erhoben werden können, berücksichtigt, oder gar widerlegt wären.“ Schweigger-Sei- del hat sich mit diesem Thema noch weiter beschäftigt, wie wir aus einer neuen Arbeit?) „über die Hornhaut des Auges“ ersehen, doch konnte er seine früheren Ansichten und Behaup- tungen nur „bestätigen“, ja „erweitern“ und sie durch neue Beobachtungen begründen. Er hat, sowie die meisten Forscher der Opposition, die Deutung angegriffen, welche den auf der Oberfläche der serösen Häute und der Gelenkmembranen, bei Behandlung mit Silberlösung, auftretenden Bildern („Saftkanäl- chen“ v. Recklinghausen’s) zu Theil geworden; er hatte es früher bestritten in seiner Arbeit: „über die Saftkanälchen als die vermeintlichen Wurzeln der Lymphgefässe“, dass man natür- liche Spalten und Silberlücken einander vollkommen gleich setzen dürfe, und diese Berechtigung bestreitet er auch fernerhin. Wie ich schon früher gezeigt,’) muss man diese „Saftkanälchenbilder“ als ganz zufällige Gebilde bezeichnen und muss ich hier auf diese Untersuchungen verweisen. Indess muss auch ich mich dage- gen verwahren, als ob ich gegen ein Kanalsystem im Bindege- webe überhaupt auftreten wollte. Dass ein solches existirt, zeigen uns viele physiologische und pathologische Vorgänge, und ahnten es schon unsere Vorgänger; nur gegen die ganz will- kürliche Deutung der nach der Silberbehandlung sehr oft auf- tretenden Bilder als „Saftkanäle“ u. s. w. muss ich auch heute 1) 1. e. pag. 160. 2) Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig, IV. Jahr- gang 1869, „Ueber die Grundsubstanz und die Zellen der Hornhaut des Auges. 3) Archives de Physiologie publiees par Mm. Brown-Sequard, Charcot, Vulpian 1869. („Recherches mieroscopiques sur l’epithelium et sur les vaisseaux lymphatiques capillaires“ par le Dr. Robinski), sowie über denselben Gegenstand Comptes rendus des seances de l’Aca- demie des Sciences, 26. April 1869. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 13 194 Robinski: ganz entschieden Einsprache erheben. Diese Bilder, sowie die bald zu besprechenden „Lymphgefässe* vermittelst des Ein- tauchens in Silberlösung dargestellt, sind ganz zufällige, künst- liche Gebilde. So sehen wir z. B. dieselben auf reinem Glase ebenso auftreten, wie auf oder in thierischen Gebilden. Wer sich diese kleine Mühe nehmen will, kann sich jeden Augen- blick davon überzeugen. Was sollen wir von solehen Gebilden halten? Auf diese Weise entstandene Figuren und Zeichnungen füge ich nicht bei; sie gleichen den von v. Recklinghausen und Anderen veröffentlichten vollständig; sie sind heute sattsam, ja bis zum Ueberdruss, bekannt. Auf diese Weise könnten wir „Saftkanälchen“, Lymphgefässe u. s. w. nebst der obligaten „Kittsubstanz“ überall auch auf reinem Glase darstellen und entdecken. Eine Stütze für die Richtigkeit einer solchen Annahme der „Saftkanälchen* im Bindegewebe bildet die Cornea, wo wir in der That helle Flecke, helle Figuren, „Saftkanälchen“ nach der Silberbehandlung auftreten sehen. Schweigger-Seidel sagt)): „Der Erfinder der Saftkanälchen hält seine Lehre bezüglich der Hornhaut für so vollkommen gesichert, dass er mit dem einfachen Hinweis auf sie die anderen Angriffe abschlagen zu können vermeint.”) Selbstverständlich ist dies kein wissen- schaftliches Verfahren.“ Nach Schweigger-Seidel verschafft uns die Methode der Versilberung selbst keine richtige Vor- stellung von der Structur der Hornhaut, sie ist deshalb, meint er, nur mit Vorsicht anzuwenden oder lieber ganz zu verwer- fen.“ jIch will nicht mit Schweigger-Seidel zu diesem Ur- theil mich bekennen, zu dem schon Hartmann?) in seinen sonst so beachtenswerthen Untersuchungen gelangt war; denn 1) Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig IV. Jahr- gang 1869 pag. 123. 2) Stricker’s Handbuch der Gewebelehre (v. Recklinghausen „das Lymphgefässsystem“ pag. 228). 3) „Ueber die durch den Gebrauch der Höllensteinlösung künst- lich dargestellten Lymphgefässanhänge, Saftkanälchen und epithelähn- lichen Bildungen“ in Reichert’s und du Bois-Reymond’s Archiv 1864, Die Kittsubstanz auf Reaetion des Argentum nitricum. 195 dadurch, dass wir zu weit gehen, schaden wir der Sache, der wir nützen wollen. Diese hellen Flecke, hellen Figuren in der Cornea erhalten wir zu constant, zu regelmässig, wie dies sonst im Bindegewebe nirgends der Fall, in allen Schichten der Cornea, so dass wir sie schon deshalb nicht als ein Werk des Zufalls ausgeben sollten. Ausserdem können wir sie, was von grosser Wichtig- keit ist, auch auf andere Weisen, vermittelst anderer Methoden demonstriren!); und die entstehenden Bilder. gleichen volkom- men denen nach Silberbehandlung, so dass wir sie nicht als zufällige Kunstprodukte zu betrachten befugt sind. Ich will hierbei nicht unerwähnt lassen, dass selbst das constante Auf- treten der stets etwas steifen dendritisch configurirten Hohl- räume in der Cornea sammt der Füllung dennoch ein Kunst- produkt sein könne, — veranlasst durch die in Folge der Ab- spannung und des Eintrocknens der ÖOornea sich einstellende theilweise Ablösung der Cornealamellen von einander. Dass fest adhärirende Lamellen bei theilweiser Trennung durch den- dritisch configurirte Lücken sich zu lösen beginnen, ist eine be- kannte Erfahrung. Für unsere Frage ist die Entscheidung dieser Controverse insoweit von Wichtigkeit, als selbstverständlich die in Rede stehende Erscheinung jeden Anhaltspunkt für die Auf- stellung eines Kanalsystems im Bindegewebe verliert, sobald die künstliche, wenn auch sehr constante Entstehung der Lücken in der bezeichneten Weise festgestellt ist. Auf die verschiedenen laut gewordenen Anschauungen über diese hellen Figuren wollen wir hier nicht näher eingehen; es würde uns zu weit von unserem Thema abführen, und es ist auch ganz gleichgültig für vorliegenden Zweck; für uns genügt das Factum, dass die Grundsubstanz gebräunt, geschwärzt wird, und nur einzelne helle Flecke darin von der Tingirung frei bleiben. Wir überzeugen uns bei der Cornea, durch verschiedene Einstellung des Mikroskops, durch ziemlich bedeutendes Heben 1) Siehe z. B. Leber, „Ueber einige anderweitige Imprägnations- methoden der Hornhaut“ im Archiv für Ophthalmol. Bd. XIV. 13* un: ‘ H 196 Robinski: und Senken des Focus des Mikroskops, welches genügen würde, um den Fleck aus dem Gesichtsfelde verschwinden zu lassen, dass diese Figuren eine messbare Dicke haben. Durch ent- sprechende Einstellung, durch Heben oder Senken sieht man die hellen Flecke schärfer oder macht sie verschwinden, lässt tiefere, darunterliegende Schichten hervortreten u. s. w. Hoyer!) versucht diese Lücken zu erklären, jedoch nicht genügend. Die Erklärung, die ich für die hellen Flecke gebe, die die natürlichste und einfachste ist, ist wohl folgende. Wir haben schon bei den Epithelien gesehen, dass das sich mit dem Gewebe resp. dessen Salzen verbindende, im Lichte redueirende Arg. nitr. die Gewebe bräunt. Alle Gewebe, wie ganz natür- lich und wie kaum anders zu erwarten, werden durch das sich redueirende Arg. nitr. diffus mehr oder minder stark gebräunt, geschwärzt, daher auch die Färbung der Corneasubstanz etwas ganz natürliches, nichts auffälliges ist; zu erklären bleiben nur die hellen Flecke. Eine Annahme, dass nach Vorgang der „Epithelkittsubstanz“ die sich färbende Grundsubstanz aus „Rittsubstanz“ bestehe, ist gänzlich unstatthaft; nicht einmal die Angaben der eifrigsten Verfechter der „Kittsubstanz“ und der neuen „mikrochemischen Methode“ lassen hier eine solche Deutung zu. Man müsste jedoch annehmen, es sollte der Fall sein, da nach den angeführten Theorien von Kühne mit Hülfe einer auf dieses Verhalten der „Kittsubstanz“ gestützten „mikro- chemischen Methode“ im Bindegewebe präformirte feine Lücken- systeme („Saftkanälchen“) aufzufinden, zu demonstriren seien. Gefährlich nur ist vielleicht die beim Sehnengewebe bereits dargelegte herrschende Verwirrung des Begriffs „Kittsubstanz“, da auch hier auf ganz andere chemische Reactionen hin, eine „Kittsubstanz*“ in der Cornea demonstrirt wird, die jedoch mit der vermeintlichen „Kittsubstanz“ Kühne’s oder v. Reckling- hausen’s nichts gemein hat, als dass ihr derselbe Name bei- gelegt worden. Die Grundmasse, die Grundsubstanz der Cornea sehen wir ı) Hoyer „Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde“ in Reichert’s und du Bois-Reymond’s Archiv 1865, pag. 213. sr PiRZIE Bi Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitricum. 197 also mehr oder minder schwarz gefärbt, und nur hier und da die hellen Flecke, Lücken. Wir haben gesehen, dass diese hellen Flecke nicht nur eine Länge und Breite, sondern auch eine Tiefe besitzen, sie stellen also einen Raum dar. Während das Gewebe selbst gebräunt wird, bleiben sämmtliche Räume und Lücken darin ungefärbt und erscheinen dann hell, als helle Flecke auf braunem Grunde. Auf dieses Verhalten aber eine „mikrochemische Methode“ zu stützen, um eine „Kittsubstanz“ u. Ss. w. in den Geweben demonstriren zu wollen, ist ganz un- statthaftl. So überzeugen wir uns auf jedem Schritt, wie haltlos die aufgestellten Theorien und Behauptungen sind. IV. Eine solche Differenzirung der Grundsubstanz und der in dieser eingeschlossenen kleinsten Räume „Saftkanälchen“, will v. Recklinghausen, wie hinreichend bekannt, auch auf die Gefässe, Arterien, Venen und namentlich Lymphgefässe aus- dehnen. Es sollen sich durch Eintauchen der entsprechenden Präparate in eine Silberlösung die Gefässe durch ihre Hellig- keit so markiren, dass sie wie „die besten Injectionen“ ihren Verlauf erkennen lassen. Was wir von den „Saftkanälchen“ zu halten, haben wir soeben gesehen. Es ist schon von vielen Autoren und oft mit grosser Gründlichkeit, die Haltlosigkeit dieser Anschauungen von Recklinghausen’s, hinsichtlieh der Demonstration der Lymphgefässe durch Eintauchen gezeigt worden. Die zur Beisteuer der Wahrheit nöthige Berücksichti- gung jedoch haben sie im Ganzen nicht gefunden, weil sie meist wiederum in ihren Behauptungen zu weit gegangen; sie hatten Alles geleugnet, Thatschen, die schwerlich geleugnet werden können, meist wollten sie selbst das Arg. nitr. aus den mikros- kopischen Untersuchungen ganz verwerfen. Konnten sie also den Glauben verdienen? Es wurde eben dadurch den Gegnern der Sieg nur erleichtert. Man sah zwei sich schroff gegenüber- stehende Meinungen: die einen (v. Recklinghausen) demon- striren damit alles, 1) Epithel, 2) Saftkanälchen und 3) Lymph- gefässe u. s. w.; die anderen leugnen die Darstellung der Lymphgefässe und Saftkanälchen nach Silberbehandlung, leug- 198 Robinski: nen alles durch Silberbehandlung dargestellte Epithel als zu- fällige, künstliche Gebilde u. s. w. und verwerfen die Versil- berungsmethode, da sie zu so vielen Irrthümern Veranlassung gegeben. Sie hatten Recht, vor mancher gar zu voreiligen Neuerung und Neuerungssucht zu warnen, manchen Ent- deckungseifer zu geisseln und zu dämpfen, aber so weit zu gehen und Alles zu verwerfen, war das zweite Extrem und deshalb wurde ihre Stimme nicht so beachtet, als sie es ver- diente. So wie die Sachen standen, wurde nun von vielen Seiten das, was v. Recklinghausen aufgestellt, im Ganzen angenom- - men, — und weshalb? So giebt Koelliker!) sogar zu, dass bei der Silberbehandlung so manches „dem Glauben an das Gesetzmässige der Erscheinung Eintrag thut“ und dass deshalb von verschiedenen Seiten, wie Henle, Adler, Hartmann, Federn, Stricker u. s. w. Zweifel laut geworden; doch, in- dem er näher (?) auf den Nachweis (!) der Zellenhaut der capil- laren Lymph- und Blutgefässe durch Silbersalze eingeht, sagt er dennoch, dass, wer selbst die Mühe sich nehmen wollte, eine Reihe von epithelialen Bildungen mit und ohne Silber zu untersuchen, der müsste bald zur Ueberzeugung kommen, es handle sich bei Silberniederschlägen „wesentlich um regelrechte Bildungen“. Wir ersehen aus dieser erwähnten Stelle, dass auch Kölliker den „näheren Nachweis“ für die Lymphgefässe auf den Beweis stützt, epitheliale Bildungen mit Silber demon- striren zu können, und wenn man dies könnte, (daraus soll der Schluss folgen), so handele es sich überhaupt bei den Silber- präparaten „wesentlich um regelrechte Bildungen“, und dann ver- dienen auch alle Angaben v.Recklinghausen’s, seine Saftkanäl- chen u. s. w. vollständigen Glauben. Zu solchen falschen Schlüssen kommen ausser Kölliker noch viele Andere. Man überzeugte sich, dass man bei einiger Uebung und Vorsicht epitheliale Gebilde mit Silber demonstriren kann u. s. w. und sah sich daraufhin verleitet, an von Recklinghausen sich anzu- schliessen. Doch wenn wir auch alles das vom Epithel Ange- 1) Handbuch der Gewebelehre des Menschen, 5. Aufl. 1867 pag. 604. Fl Perl , Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitrieum. 199 gebene zugestehen, so folgt doch daraus noch nicht der „nähere Nachweis“ der Lymphgefässe u. s. w., das bliebe noch immer zu beweisen, und allen Forschern, die gründlicher auf diesen Gegenstand eingegangen sind, zeigte sich, wie auch mir, das Gegentheil. Ich musste gegen die durch Eintauchen (Imprägna- tion) gewonnenen Bilder und Figuren von vermeintlichen Lymph- gefässen und gegen die hierauf gestützten Resultate und Aus- führungen auftreten und muss es auch jetzt noch, um so mehr, da ich mich durch meine und durch Anderer fernere Unter- suchungen immer mehr von der Haltlosigkeit der aufgestellten Ansichten überzeugte. Ich habe schon früher in meinen Unter- suchungen ausführlicher dargethan, wie man Kunstprodukte für Lymphgefässe etc. gehalten und wie auf diese Weise nicht präexistirende, sondern Kunstgebilde zum Vorschein kommen und zu irrthümlichen Ansichten Veranlassung geben; ich ver- weise auf meine Arbeit, sowie auf die anderen, heute wohl allen, wenigstens in Auszügen und Referaten, leicht zugänglichen Ar- beiten der Opposition, aus denen erhellt, wie vielfach die Quel- len der gangbarsten Irrthümer sind. Auch Kölliker, obgleich er „näher“ auf den „Nachweis“ der Zellenhaut der capillaren Blut- und Lymphgefässe durch Silbersalze einzugehen verspricht, schweigt darüber, ob er durch Eintauchen der Präparate in Silberlösung sich von der Wahrheit und Wirklichkeit überzeugt. Und ist es so schwierig, dass Kölliker und so viele andere tüchtige Mikroskopiker, die ihre Bedenken ausgesprochen, durch Einlegen entsprechen- der Präparate in eine Silberlösung sich von der Richtigkeit dieser Angaben nicht hätten überzeugen können? Ich habe mich auch vergeblich darum bemüht, habe zwar den v. Reckling- hausen und Anderen abgebildeten täuschend ähnliche Bilder gesehen, konnte sie aber nicht im geringsten in der Constitu- tion des Gewebes begründet finden. Wie gesagt kann ich auch heute nur die aus meinen Untersuchungen gewonnenen Resultate aufrecht erhalten und durch nachträgliche Beschäftigung mit diesem Gegenstand bekräftigen. Wenn etwas noch, so hat mich die Abhandlung v. Recklinghausen’s „das Lymphgefäss- system“ im „Handbuche der Lehre von den Geweben“ (heraus- 200 Robinski: gegeben von Stricker) und namentlich die dort beigefügten Figuren darin bekräftigt; sie liefern vielleicht den besten Be- weis für die Richtigkeit meiner Untersuchungen‘). Ich habe immer in meinen Arbeiten das, was man vom Arg. nitr. bei mikroskopischen Untersuchungen erwarten und verlangen kann, möglichst hervorgehoben, doch wollen wir nicht andererseits, wie von vielen Forschern geschehen, wieder zu weit gehen, zu vieles von ihm verlangen, auch hier in dieser Frage ist wohl die goldene Mittelstrasse der beste und sicherste Weg. Wenn Jemand, so will ich nicht die Verdienste v. Reck- linghausen’s und der Versilberungsmethode schmälern, wie sich jeder aus meinen bisher veröffentlichten Arbeiten über- zeugen kann. Aber gegen das, was nicht mit der Wirklichkeit im Einklange steht, muss ich auftreten. Um so mehr halte ich es heute für die Pflicht eines Jeden, der Wahrheit Vorschub zu leisten, dem nicht um den Parteihader und Parteistandpunkt, sondern um die Wahrheit zu thun ist, da schon der Nimbus der „Infallibilität“ über die Versilberungsmethode gezogen ist. „Noli me tangere“ heisst es, und wer nicht blindlings für mich, der ist gegen mich, so lautet die Parole, und wer dagegen seine Bedenken erhebt, der wird verketzert und verdammt. Ob da- mit wohl der Wissenschaft gedient ist? Ein solches Vorgehen kann nur der Wissenschaft und Wahrheit Abbruch thun. Ich glaube es, und man kann es sich vorstellen, es hält heute man- chem schwer von den Lymphgefässen, von der merkwürdigen „Kittsubstanz“ nach der Silberbehandlung Abschied zu nehmen, wir haben uns schon so schön in die „Kittsubstanz“, in die „Kittmassen“ u. s. w. hineingelebt, und nun soll man sich davon auf einmal trennen? Was will man aber zu den Lymphgefässen nach Silber- behandlung sagen, wenn diese dunkele Färbung, diese Grund- masse mit hellen Strassen, diese vielheweisenden Präpa- rate und Zeichnungen, wie auf dem Zwerchfell, so auch auf reinem Glase sich darstellen lassen, und zwar am schönsten und sichersten, wenn man sie genau nach der Vor- 1) Vgl. den Aufsatz „Zur Lympheapillarfrage“ dieses Archiv 1869, Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitricum. 201 schrift v. Reeklinghausen’s anfertigt. Die beste Methode nach Recklinghausen zur Darstellung seiner Lymphgefäss- bilder besteht darin, dass man mit Silberlösung durchtränktes Filtrirpapier auf das Zwerchfell ausbreitet. Nehmen wir reines Glas, ein reines Objectgläschen, breiten dar- auf mit Silberlösung durchtränktes Filtrirpapier aus, so erhalten wir unter Einwirkung des Lichtes, nach Hin- wegnahme des Papiers, die schönsten von Recklinghausen und anderen so schön copirten, überall dargestellten und beschriebenen Saftkanälchen und Lymphgefässe. Man sah grosse Massen von Exsudaten u. s. w. in kurzer Zeit auftreten oder verschwinden; es müssen Wege da sein, das ist immer klar gewesen und geahnt, verschiedene Hypo- thesen sind aufgestellt worden, man wartete mit Spannung auf die Lösung dieser Probleme. Als deshalb Jemand Auskunft über diese Wege zu geben, diese Wege unter dem Mikroskope zeigen zu können glaubte, hatte er von vorn herein alles für sich — aber ist es auch so, ist alles unumstösslich, steht alles Neue und Behauptete auch immer im Leben mit der Wirklich- keit, mit der Wahrheit im Einklange? Wie oft hat man schon grosse und wichtige Entdeckungen gemacht, Neuerungen ein- geführt, die sich später als irrig und auch nicht als so ganz neu herausgestellt hatten. Die Einwürfe und Beweise von Sei- ten der Kritik gegen die Befunde im Speciellen kann ich wohl als bekannt voraussetzen, ich wiederhole sie hier deshalb nicht, und bis jetzt sind sie nicht widerlegt. Wir haben gesehen, wodurch viele Mikroskopiker bewogen worden sind, den Ansichten v. Recklinghausen’s beizutreten und warum die Kritik nicht die nöthige Beachtung gefunden. Sehen wir nun die Vertheidigung, die Antworten, die auf die Kritiken erfolgt sind, Chrzonszczewski'), Hüter?) u. s. w. durch, so finden wir die nämliche Art und Weise der Beweis- führung. Es wird zuerst demonstrirt, man sieht, wenn man „eine Reihe von epithelialen Bildungen“ mit und ohne Silber 1) Virehow’s Archiv Bd. XXXV. 2) daselbst Bd. XXXVI. 202 Robinski: untersucht, dass man mit Uebung und Vorsicht die meisten Bil- der als „regelrechte Bildungen“ ansehen kann, was ja v. Reck- linghausen behauptet, dagegen Hartmann und andere be- stritten. Man überzeugt sich also, dass diese Angaben v. Reck- linghausen’s zutreffen, dass die Gegner im Unrecht sind, also, so ist der Schluss, hat v. Recklinghausen in Allem Recht. Wie unrecht, wie einseitig, wie wenig beweisend für die Lymphgefässe aber solche Schlüsse sind, sieht Jedermann ein. — Sei dem nun aber auch, — was die Demonstration der Lymphgefässe durch Eintauchen anbetrifft, — wie ihm wolle, so können wir unmöglich, worauf es uns hier schliesslich an- kommt, der Anforderung Kühne’s Folge leisten, mit Hülfe einer auf dieses „merkwürdige“ Verhalten gestützen „mikro- chemischen Methode“ eine Kittsubstanz für bewiesen zu halten. Wie wir schon gesehen und wie wir uns jeden Augenblick über- zeugen können, kommt diese „merkwürdige“ Eigenschaft, von Silber „schwarz zu werden“, allen Geweben zu. Vermöge seiner bekannten grossen Neigung, Verbindungen einzugehen, färbt das Silber alle Gewebe diffus, wie natürlich. Ich frage die Anhänger dieser „merkwürdigen“ Kittsubstanz noch einmal, wie, durch welches Wunder wollte man die bekannte Neigung des Arg. nitr. zu Verbindungen, Reductionen und Färbungen, wenn man es mit thierischen Gebilden im feuchten Zustande zu- sammenbringt, vermeiden, wie sollte die Schwärzung hintenan- gehalten werden? Die Annahme einer mit merkwürdigen Eigen- schaften ausgestatteten, im thierischen Körper so weit verbrei- teten „Kittsubstanz* auf diese Grundlagen hin ist, wie wir gesehen, also ganz willkürlich, unstatthaft, weit hergeholt und gesucht und vermag uns trotzdem nicht Alles zu erklären. Suchen wir nicht nach dem Aussergewöhnlichen, „Merkwürdi- gen“, begnügen wir uns mit einfachen und natürlichen Vor- gängen und Erklärungen. V. Schon aus dem Vorhergehenden ersehen wir, wie wenig Halt die Aufstellung einer eigenen merkwürdigen „Kittsubstanz* Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitrieum. 203 hat, verfolgen wir aber noch die übrigen Angaben, um das Thema möglichst zu erschöpfen und sehen wir auch hier zu, wie es damit steht. von Recklinghausen meint!), dass auch bei den glatten Muskelfasern die Grenzlinien deut- licher hervortreten, „wahrscheinlich“ durch einen Niederschlag des Silbers innerhalb einer „Kittsubstanz“, ohne diesen Aus- spruch weiter zu beweisen. Kühne?) nun nimmt es auch hier schon als ausgemacht und bewiesen an. „Zwischen glatten Mus- kelfasern“, sagt er, „existirt ausser dem Bindegewebe noch ein anderes, accessorisches Element, nämlich eine Kittsubstanz, welche auch die am dichtesten aneinanderliegenden Zellen trennt. (?) Diese fixirt sehr leicht Silbersalze und schwärzt sich damit im Lichte.“ Wozu dort ausser dem „Bindegewebe“ noch ein „accessorisches“ Gewebe, eine „Kittsubstanz“ existiren sollte, um die Fasern einzeln oder in Gruppen zu verbinden oder zu „trennen“, ist nicht recht einleuchtend. Doch gesetzt, eine solche „Kittsubstanz* wäre dort nothwendig, so liesse sich die Annahme derselben auf die erwähnte „merkwürdige“ Eigenschaft „schwarz zu werden“ durchaus nicht basiren, wenn wir keine anderen Beweise dafür haben. Wie wir gesehen haben und uns jeden Augenblick überzeugen können, wenn wir uns die Mühe nehmen wollen, einige Präparate zu untersuchen, so wür- den wir schwerlich einen Ort im thierischen Organismus fin- den, wo die „Kittsubstanz“ nicht anzutreffen, nicht zu entdecken wäre, wofern man durch ein solches Verfahren seine Untersuchun- gen stützen wollte. Wir sehen die quergestreiften Muskeln ebenso „schwarz werden“ als die glatten, nur da bei den quergestreif- ten die Bauart eine andere, so sehen wir es nicht in der Weise hervortreten, wie bei den glatten Muskelfasern. Diese charakte- ristische Eigenschaft sehen wir übrigens bei der Untersuchung der glatten Muskelfasern vermittelst Argentrum nitrieum nur sehr schwach, gar nicht so deutlich auftreten, wie es z. B. bei den Epithelien und Linsenfasern der Fall ist; zur Untersuchung und Erkennung der glatten Muskelfasern, würde ich daher das 1) „Die Lymphgefässe”, S. 8. 2) „Lehrbuch der physiologischen Chemie, S. 333. . 204 Robinski: Arg. nitr. gar nicht empfehlen. Was aber diese Bräunung und dadurch auftretende leichte Verdeutlichung der Contouren nebst dem daraus abgeleiteten Beweis eine: merkwürdigen „Kittsub- stanz“ anbetrifft, so verhält sich die Sache genau so, wie bei den Epithelien. Die glatten Muskelfasern werden gleichmässig geschwärzt, doch die Ränder treten schärfer, markirter hervor, was nichts „Merkwürdiges“ ist, oder gar erst irgend ein Beweis einer „Kittsubstanz.“ VI. - Nicht unerwähnt will ich lassen die von Hoyer!) beobach- tete Thatsache, dass mittelst Höllensteinlösung auf der inneren Fläche einer jeden Kapsel des Pacinischen Körperchens ein Netzwerk von feinen, schwarzen, geschlängelten Linien sich darstellen lässt, welches in seiner Form ganz übereinstimmt mit den Bildern, welche bei Anwendung desselben Mittels an den Epithelien der serösen Membranen auftreten. Wir müssen auch hier die Annahme einer „Kittsubstanz“ aus denselben Ursachen wie bei den Epithelien ablehnen. Ob die polyedrische Zeich- nung auf ein vorhandenes, wirkliches Epithel, oder auf einen polyedrischen Niederschlag reducirten Silbers zurückzuführen sei, darüber erlaube ich mir keine Entscheidung, immer aber ist in ersterem Falle die eintretende Tingirung auf dieselben Ursachen zurückzuführen wie beim Epithel, oder, wie wir gleich sehen werden, bei den Augenlinsenfasern. vn. Ich habe gefunden, dass die sonst im frischen Zustande schwer zu beobachtenden Augenlinsenfasern durch Ein- legen in eine schwache Arg. nitr. Lösung tingirt und verdeut- licht werden, was zu ihrer Demonstration und Untersuchung von Wichtigkeit ist. Um zur Untersuchung brauchbare Prä- parate der Linsenfasern zu erhalten, musste man früher die Linsen erst längere Zeit liegen lassen, sie vorbereiten, man ge- 1) Reichert’s und du Bois-Reymond’s Archiv, 1865. „Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde“. Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitrieum. 205 brauchte Wochen und Monate dazu. Schon die lange Zeit allein, wenn nicht die mehr oder minder starke chemische Einwirkung der angewandten Mittel musste unerwünschte Veränderungen, Zersetzungen, Kunstprodukte der an sich so zarten Linsenfasern hervorbringen. So wie bei den Epithelien, so wird bei den Linsenfasern die äussere Hülle, die Linsenfasermembran gefärbt. Auch hier ist genau derselbe Vorgang; zuerst markiren sich die Umrisse und nach und nach wird die ganze Faser verdunkelt, geschwärzt. Ich habe es schon früher in diesem Archiv!) ge- zeigt, dass es die Linsenfasermembranen sind, die sich färben. So wenig wie bei den Epithelien eine „Kittsubstanz* angenom- men werden kann, ebensowenig sind wir berechtigt eine solche zwischen den Augenlinsenfasern zu statuiren. Die Augenlinsen- fasermembranen geniessen kein Vorrecht; so wie alle anderen Gebilde, so wie die Epithelien u. s. w., so werden auch sie durch Arg nitr. tingirt, „geschwärzt“, sollen wir darin etwa eine „merkwürdige“ Eigenschaft suchen? Sollen wir aus der Aehnlichkeit dieser Reaction der Linsenfasern und Epithelien auf eine Aehnlichkeit dieser Gebilde, ja auf Entstehung der einen (Linsenfasern) aus den anderen (Epithel der Linsenkap- sel) schliessen? Aus dem Gesagten erleuchtet wohl die Ant- wort zur Genüge, weder ein Beweis einer eigenthümlichen „Kittsubstanz“, noch eine Aehnlichkeit dieser Gebilde ergiebt sich aus dieser „merkwürdigen“ Reaction im Geringsten. VID. Schlussbemerkung. Aus dem ÖObigen sehen wir also, dass alle thierischen Ge- webe durch die leicht fällbaren Silbersalze diffus gebräunt, ge- schwärzt werden. „Merkwürdig* ist diese Eigenschaft gar nich für denjenigen, der das Arg. nitr. kennt, ja im Gegentheil, Jedermann findet dies ganz natürlich, und „merkwürdig“ wäre es, wenn es nicht der Fall wäre. Nur durch physikalische, optische Gesetze sind einige Er- 1) „Methode zur leichten Darstellung der Augenlinsenfasern“, dieses Archiv’ 1870. 206 BR obaniski: scheinungen, z. B. die markirten Contouren bei den Epithel- zellen, Lin»enfasern u. s. w. zu erklären, man kann aber nicht besondere „merkwürdige“ chemische Reactionen darauf grün- den oder gar neue chemische Substanzen damit demonstriren. Wenn man mit der Versilberungsmethode auch keine be- sondere „Kittsubstanz“ demonstriren kann, so ist sie deshalb doch nicht weniger gut, nicht weniger geeignet als Demonstra- tions- und Untersuchungsmittel, und zur Verdeutlichung, zum schärferen Hervortreten der Epithelien und der Augenlinsen- fasern kann ich das Arg. nitr. empfehlen. Natürlich ist bei Anwendung dieses Mittels Vorsicht und Uebung nothwendig. Die von Rollett aufgestellte, angeblich durch andere che- mische Mittel darstellbare „Kittsubstanz“, kann nicht im Sinne Kühne’s aufgefasst werden, d. h. eine im Sinne Kühne’s (v. Recklinghausen’s) angenommene eigene „Kittsubstanz“ die die charakteristische und „merkwürdige“ Eigenschaft besitzt, auf Arg. nitr. „schwarz zu werden“, existirt nicht, so wenig zwischen den Epithelien, als im Bindegewebe u. s. w. Ein besonderes seröses System von Kanälen im Bindege- . webe kann durch Höllenstein nicht demonstrirt werden. In der Cornea sehen wir nach Arg. nitr. helle Lücken in der Färbung auftreten, die sich als ein Netzwerk mit ziemlich ansehnlich erweiterterten vielstrahligen Knotenpunkten charak- terisiren, die nicht nur eine Länge und Breite, sondern auch eine messbare Dicke haben, sie sind nicht so tief als breit, sind also senkrecht zur Oberfläche der Cornea abgeplattet und sind als Höhlungen, Räume in der gebräunten, geschwärzten Grundsubstanz der Cornea zu betrachten. Wie aber diese Lücken zu deuten und wie sie entstanden sind, das ist durch das Ver- halten der Silberlösung nicht sicher festzustellen. Die Bilder in der Cornea bilden die Hauptstütze für die „Saftkanälchen* in dem Bindegewebe, ja, wie wir gesehen haben, auch für die Lymphgefässe und auch für die Kühne’sche mikro- chemische Theorie der „Kittsubstanz“. Neuerdings sprechen sich noch andere Forscher gegen die Silber-Bilder in der Cor- nea aus. Meinen Untersuchungen zufolge schliesse ich mich auch hierin an v. Recklinghausen an, wie ich überhaupt Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitricum. 207 gerne zugestehe, was diesem Forscher und der von ihm einge- führten Silberbehandlung zuzugestehen möglich ist, aber ebenso muss ich mich mit aller Energie gegen das wenden, was mit der Wirklichkeit und Wahrheit im Widerspruch steht. Wir sehen die Saftkanälchen, sowie die Lymphgefässe und polyedrischen Netze auf reinem Glase nach Silberbehandlung auftreten. Wer sich die kleine Mühe nehmen will, kann sich jeden Augenblick auf reinem Glase davon überzeugen; nament- lich schön gelingen sie nach der von v. Recklinghausen ge- sebenen Vorschrift mit Fliesspapier. Hieraus erhellt, was wir von Lymphgefässen u. s. w. durch Eintauchen zu halten haben. Was die „Saftkanälchen“ anbetrifft, so fragt es sich, ob es überhaupt erlaubt ist, aus dem Bau der Cornea einen allge- meinen Schluss anf den Bau des Bindegewebes zu ziehen? Trotz der Aehnlichkeit haben wir ja doch so grosse, so durch- greifende Differenzen, dass dies unstatthaft erscheint. Dennoch hat man so weitgehende Schlüsse sich erlaubt! Manche Autoren bauen wiederum auf diesen weiter fort und verfechten diese Ansichten und Vermuthungen, halten daran fest mit einer Aus- dauer, die einer besseren Sache würdig wäre. Ich habe mich bemüht, wegen der Wichtigkeit der Frage, ein möglichst erschöpfendes Bild von der Lage der Dinge zu geben, und möchte es mir gelungen sein, wenigstens einige Klarheit, wenigstens einiges Licht in diese Fragen über die „Kitt- substanz“ zu bringen, so habe ich meinen Zweck vollständig erreicht. Lassen wir dem Silber, was des Silbers ist, doch wollen wir andererseits wiederum nicht zu weit gehen, nicht zu viel von ihm verlangen. = 208 W. Dobrowolsky: Die Doppelzapfen. Von W. DoBROWOLSKY. (Hierzu Taf. VII B.) Die Doppelzapfen, die seit der Zeit von Hannover bekannt sind, stellen ein interessantes Gebilde dar, sowohl nach der Mannigfaltigkeit ihrer Form, in welcher sie unter dem Mikros- kop erscheinen, als auch nach der Schwierigkeit, welche sie bei der Ergründung ihrer physiologischen Bedeutung bieten. Meistentheils beobachten wir Doppelzapfen in den Formen wie sie von M. Schultze schon beschrieben worden'). Es ver- binden sich zwei ungleiche Zapfen zu einem Doppelzapfen. Zu- nächst trifft man Verschiedenheiten in den Innengliedern. Der Hauptzapfen ist in der Höhe der membrana limitans externa zu einem dünnen Faden verschmälert; an dem äusseren Ende entsprechend der Lage des Ellipsoidkörpers und des Fetttropfens hat er eine grosse Anschwellung. Der Nebenzapfen hat da- gegen seine grosse Dicke bei der membrana limitans externa, während er sein dünnes Ende dem Aussengliede zukehrt. Der Hauptzapfen enthält den bekannten citronengelben Fetttropfen, während der Nebenzapfen an seiner schmalen Spitze eine min- der intensiv gefärbte gelbe Masse von abgestutzt kegelförmiger Gestalt enthält. Im Hauptzapfen hat der linsenförmige Körper 1) Archiv für mikroskop. Anatomie. B. III, S. 231 —236. ER Sa Die Doppelzapfen. 209 eine convexe Krümmung, während im Nebenzapfen die Grenz- linie ihre Convexität nach aussen kehrt. Es ist ferner der Kör- per des Nebenzapfens beträchtlich kürzer, als der des Haupt- zapfens; die Uebergangsstelle in das Aussenglied liegt am Hauptzapfen weiter nach aussen und rückt sich am Nebenzapfen zurück. So beobachten wir meistentheils die Doppelzapfen beim Huhn. (s. Fig. 19, 22, 23, 24). Zu dieser Beschreibung von M. Schultze erachte ich für nicht überflüssig noch folgende Bemerkungen und Ergänzun- gen hinzuzufügen: 2) Die Länge der Aussenglieder im Nebenzapfen, von der M. Schultze nichts Bestimmtes angiebt, ist sehr verschieden und meiner Meinung nach vom Grade der Entwickelung und dem Alter des Zapfens abhängig. Wir finden Doppelzapfen, bei denen die Aussenglieder der Nebenzapfen viel kürzer sind, als die Aussenglieder der Hauptzapfen; dann sehen wir an- dere, in denen dieser Unterschied in der Länge ihrer Aussen- glieder schon geringer ist und zuletzt eine dritte Art von Doppelzapfen, bei denen die beiden Aussenglieder dieselbe Länge und Form haben. Dasselbe müssen wir von der Länge des Innengliedes des Nebenzapfens sagen; bald ist dasselbe kürzer, als beim Hauptzapfen — und dieses Verhältniss beobach- ten wir meistentheils unter dem Mikroskop, — bald ist aber die Länge der beiden Innenglieder ganz gleich. Mit dieser mehr oder minder bedeutenden Länge des Innengliedes des Neben- zapfens scheint die Länge des Aussengliedes im directen Zu- sammenhange zu stehen, d. i. je länger das Innenglied ist, um so länger ist auch das Aussenglied. (s. Fig. 16, 24.) 2) Im Nebenzapfen ist nach der Beschreibung von M. Schultze kein Fetttropfen, sondern bloss eine gelbliche Masse vorhanden. (s. Fig. 16, 18, 19, 24.) Dieser Fall trifft jedoch nicht immer zu. In selteneren Fällen können wir den Fetttropfen im Nebenzapfen beim Huhn ganz deutlich beobachten. Dieser Petttropfen ist meistentheils viel kleiner, als der des Haupt- zapfens, und deshalb ist es bei der Untersuchung sehr leicht, denselben zu übersehen. (s. Fig. 21, 23.) Ausserdem fällt die- ser Fetttropfen im Nebenzapfen leichter heraus, als ein grosser Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 14 210 W. Dobrowolsky: Fetttropfen, worauf wir an der Stelle des Fetttropfens bei aufmerksamer Untersuchung ein kleines rundes Loch bemerken, (s. Fig. 11, 12, 20). Der erwähnte Unterschied in der Grösse der Fetttropfen scheint vom Alter des Nebenzapfens abhängig zu sein. Wenigstens sicher ist es, dass die Grösse der Fett- tropfen in den Nebenzapfen sehr verschieden ist und zweimal beobachtete ich beim Huhn Doppelzapfen, in denen die beiden Zapfen ganz gleich entwickelt waren, gleiche Form und Umfang hatten, etwas schlank und eine jede mit einem Fetttropfen der- selben Grösse, wie sie in einzelnen Zapfen mit gelben Fett- tropfen vorkommen, versehen war; die beiden Zapfen waren von einander ihrer ganzen Länge nach bis auf’s Korn getrennt. Es waren aber Doppelzapfen, weil beide Zapfen einem einzigen Korn angehörten. Ebenso habe ich dreimal Doppelzapfen ge- sehen, in denen beide Zapfen gleichmässig entwickelt waren, die gleiche Länge hatten mit gleich langen Aussengliedern und mit gleichen Fetttropfen. Dabei waren beide Zapfen innig mit ihren Innengliedern verbunden; es war besonders merkwürdig, dass die beiden Fetttropfen sehr klein waren, mit blauen Far- ben, und die beiden Zapfen wie Nebenzapfen aussahen, so dass in den erwähnten Fällen die Hauptzapfen ganz fehlten. Dabei müssen wir noch bemerken, dass in beiden Zapfen die Fett- tropfen sehr häufig etwas unregelmässig sind und nicht immer ihre runde Form behalten. 3. Die Ellipsoidkörper haben nach der Beschreibung von M. Schultze im Hauptzapfen eine convexe, im Nebenzapfen eine concave Krümmung. Meiner Meinung nach ist es richtiger zu sagen, dass die Form der Ellipsoidkörper in Doppelzapfen vielen Abweichungen unterworfen ist, und wenn die Ellipsoid- körper im Hauptzapfen meistentheils eine convexe Krümmung haben, so ist im Nebenzapfen diese sehr verschieden. Ich be- obachtete sehr häufig in Nebenzapfen concave und convexe Krümmung, auch Abwesenheit jedweder Krümmung, dabei war das innere Ende des Ellipsoidkörpers ganz gradlinig. Beson- ders unregelmässig ist diese Krümmung der Ellipsoidkörper in den Nebenzapfen, welche noch keinen Fetttropfen, sondern nur eine gelbliche Masse haben, indem in Nebenzapfen, die schon Die Doppelzapfen. 211 einen eigenen, obgleich kleinen Fetttropfen haben, die Form der Ellipsoidkörper nahezu wie normal aussieht und die Krüm- mung meistentheils eine convexe ist. Auch dieser Unterschied kann durch den verschiedenen Entwickelungsgrad erklärt wer- den. (s. Fig. il, 18, 19, 23.) 4) Das Verhältniss der Doppelzapfen zur äusseren Körner- schicht verdient eine besondere Aufmerksamkeit nach der Mannigfaltigkeit der hier vorhandenen Formen und deshalb, weil bis jetzt auf dieses Verhältniss fast keine Aufmerksamkeit gelenkt wurde. a) Die beiden Zapfen, die zu einem Doppelzapfen gehören, haben ein einziges gemeinsames Korn. (s. Fig. 21.) Dieses Ver- hältniss kann beobachtet werden nicht nur in den Fällen, wo der Nebenzapfen keinen eigenen Fetttropfen besitzt und ver- glichen mit dem Hauptzapfen zu wenig entwickelt ist, sondern auch in denjenigen, wo der Nebenzapfen seinen eigenen Fett- tropfen hat, der so gross ist, wie derselbe im Hauptzapfen, wo beide Zapfen ihrer Form und Grösse nach ganz gleich sind. b) Die beiden Zapfen haben ein gemeinsames Korn, aber in diesem Korne scheint ein Strich von oben nach unten die beginnende Theilung des Kornes anzudeuten. Die hierher ge- hörigen Formen sind besonders zahlreich; auch bemerkt man viele und verschiedene Uebergänge von der beginnenden Theilung des Kornes bis zu ihrer völligen Zertheilung in zwei Körner. (siehe Fig. 14, 17, 18, 20.) Entsprechend dem höheren Grade der Entwickelung beobachten wir in einigen Fällen die Doppel- zapfen mit zwei Körnern, welche noch innig untereinander ver- bunden sind, sehr eng aneinander anliegen und eine besondere Form haben; dieselben sind wie von den Seiten zusammenge- presst, sind ziemlich lang, aber schmal; dabei ist die Form der beiden Körner zusammen sehr ähnlich den Körnern der anderen einzelnen Zapfen. c) Die beiden Zapfen haben schon zwei Körner, aber diese Körner liegen in verschiedener Höhe. (s. Fig. 11, 16, 19.) Das Korn, welches dem Hauptzapfen gehört, liegt meistentheils etwas niedriger direct unter der Membrana limitans externa oder nahezu an derselben. Das Korn, welches zum Neben- 14* a nn; s I a Re 212 W.’Dobrowolsky: zapfen gehört, liegt höher und zuweilen neben dem des Haupt- zapfens. Viel seltener beobachten wir das umgekehrte Ver- hältniss, so dass das Korn des Nebenzapfens niedriger, als das des Hauptzapfens liegt. Es steht das erwähnte Verhältniss der Körner der Doppel- zapfen im Zusammenhange mit der Entwickelung und Grösse des Nebenzapfens, weil derselbe meistentheils kürzer ist, als der Hauptzapfen. Je mehr der Unterschied der Länge der bei- den Zapfen verschwindet, um so mehr verschwindet auch der _ Unterschied in der Lage der beiden Körner, die früher auf ver- schiedenen Höhen lagen. Auf solche Weise, indem der Neben- zapfen eine und dieselbe Länge wie der Hauptzapfen erlangt, senkt sich allmälig das Korn, welches demselben gehört auf dieselbe Höhe mit dem Korn des Hauptzapfens herab. Wir können dabei verschiedene Uebergänge beobachten, bis zuletzt die beiden Körner auf einer und derselben Höhe zu liegen kommen. Zuerst liegt das Korn des Nebenzapfens ganz über dem Korne des Hauptzapfens, wobei das obere Ende des Hauptzapfenkornes innig mit dem unteren des Nebenzapfen- kornes verbunden ist; dann berühren sich dieselben etwas mit ihren lateralen Seiten und später liegen sie, wie gesagt, auf einer und derselben Höhe, wobei sie sehr häufig innig unter- einander verbunden sind. (s. Fig. 11, 16, 19, 18, 13, 24.) d) In einigen Fällen beobachten wir, dass das Korn des Nebenzapfens kleiner ist, als das des Hauptzapfens und dabei liest es, wie eine kleine Zugabe, an der lateralen Seite des letzteren. (s. Fig. 11, 23.) e) Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen jene beim ersten Anblicke einfach erscheinenden Zapfen, die in der äusseren Körnerschicht zwei Körner besitzen, weil dieselben am besten beweisen, dass die Doppelzapfen bloss ein Produkt der Theilung der gewöhnlichen Zapfen sind. Die in Rede stehenden Zapfen haben gelbe Fetttropfen, eine bedeutende und ziemlich gleichmässige Breite von innen nach aussen und sind nicht selten bei dem äusseren Ende, wo der Fetttropfen liegt, etwas schmäler. Solche Zapfen haben nicht selten zwei Körner. Diese Körner sind bald ziemlich scharf von einander abgegrenzt, Die Doppelzapfen. 213 bald sind sie innig verbunden; meistentheils liegen sie auf ver- schiedenen Höhen. Ihre gegenseitige Lage ist sehr verschieden; bald liegen dieselben das eine unter dem anderen, bald berüh- ren sie sich mit ihren lateralen Seiten, bald liegen sie fast auf einer und derselben Höhe und zwar meistentheils sehr innig untereinander verbunden. Wenn wir den Inhalt des Zapfens untersuchen und dabei unsere Aufmerksamkeit beson- ders auf den Ellipsoidkörper lenken, so bemerken wir in dem- selben die Merkmale einer Theilung: der Ellipsoidkörper wird in einer Diagonal- oder Längsrichtung in zwei Theile in seiner ganzen Ausdehnung getheilt. Diese beiden Theile haben meisten- theils die Form zweier unregelmässiger Dreiecke oder Vier- ecke. Seltener beobachten wir diese Theilung vermittelst bei- nahe transversaler Linien oder Furchen in zwei Theile — den oberen und den unteren. Der unterste Theil des Ellipsoidkör- pers entwickelt sich später in den Ellipsoidkörpern des Neben- zapfens, der oberste Theil, der dem Fetttropfen anliegt, bleibt als Ellipsoidkörper des Hauptzapfens.. Dem entsprechend be- obachten wir häufig in dem untersten Theile des getheilten Ellipsoidkörpers eine gelbliche Masse, welche sehr oft auch in Nebenzapfen sich befindet. Der grösste Theil des übrigen nach innen vom Ellipsoidkörper gelegenen Zapfeninhalts wird später zum Inhalt des Nebenzapfens; nur ein kleiner und schmaler Theil spaltet sich von demselben für den Hauptzapfen. So theilt sich der einfache Zapfen in zwei Theile, d. h., es wird aus ihm ein Doppelzapfen: der Hauptzapfen ist meistentheils länger und schmäler als der Nebenzapfen, aber gegen sein äusseres Ende, wo der Fetttropfen und der Ellipsoidkörper sich befinden, wird er viel breiter. Der Nebenzapfen zeichnet sich da- gegen durch seine bedeutendere Breite aus; es wird der- selbe am äusseren Ende etwas schmäler, verengt sich also von innen nach aussen; er ist aber meistentheils kürzer als der Hauptzapfen und steht im Zusammenhange mit dem Korne, welches höher liegt als das des Hauptzapfens. (s. Fig. 11—16.) Die Untersuchung der Fasern, die von den äusseren Kör- nern der Doppelzapfen zur äusseren Zwischenkörnerschicht gehen, ist keine leichte und wir sind nicht im Stande, diesel- 214 W. Dobrowolsky: ben in jedem Doppelzapfen zu verfolgen. In einigen Fällen sehen wir, dass von beiden Körnern, die einem Doppelzapfen gehören, zwei besondere Fasern in je einem kegelförmigen Kör- per endigen, in anderen Fällen aber sehen wir, dass von bei- den Körnern nur eine Faser ausläuft. Dieser Umstand scheint mit einer mehr oder minder völligen Trennung der Körner von einander im Zusammenhange zu stehen. Wenn wir unseren Schluss auf die Mehrheit der gesehenen Fälle begründen wollen, obgleich diese Mehrheit ganz zufällig sein kann, so müssen wir sagen, dass in den Fällen, wo beide Körner noch nicht gänz- lich von einander abgetrennt sind, wo ein Korn unter einem anderen liegt, meistentheils nur eine einzige Faser ausläuft. Von mehr oder minder vollständig abgetrennten Körnern, von " Körnern, welche schon auf einer und derselben Höhe liegen, gehen meistentheils zwei Fasern ab. 6) Beide Zapfen sind gewöhnlich sehr innig untereinander verbunden, entweder auf der ganzen Ausdehnung ihrer Innen- glieder, oder auf einer ganz beschränkten Strecke in der Nähe der Limitans externa; in ihrem weiteren Verlaufe sind sie voll- ständig von einander abgetrennt und scharf abgegrenzt. Ihre mehr oder minder völlige Abgrenzung steht meistentheils im Zusammenhang mit der mehr oder minder völligen Abtrennung ihrer Körner, so dass die Doppelzapfen, bei welchen Neben- und Hauptzapfen schon fast abgetrennt sind, mehr oder minder abgetrennte Körner haben; obgleich ich dabei erwähnen muss, dass ich im ganzen Verlaufe abgetrennte Zapfen gesehen habe, welche ein einziges Korn besassen. (s. Fig. 11, 12, 13, 20, 22, 24.) 7) Alle beschriebenen verschiedenen Erscheinungen, die wir in Doppelzapfen sehen, beobachten wir meistentheils in den Zapfen mit gelben Fettitropfen. Wir können aber Doppel- zapfen auch in Zapfen mit anderen Fetttropfen vorfinden. Wenigstens dreimal habe ich dieselben in Zapfen mit blauen Fetttropfen beobachtet, zweimal beim Huhn und einmal beim Falco. Diese Doppelzapfen mit blauen Fetttropfen haben einige Eigenthümlichkeiten, welche wir übrigens, obgleich sehr selten, ebenfalls in den Doppelzapfen mit gelben Fetttropfen finden: Die Doppelzapfen. 215 in den erwähnten drei Fällen konnte zwischen Haupt- und Nebenzapfen kein Unterschied gefunden werden; es war viel- mehr kein Hauptzapfen vorhanden; beide Zapfen sahen aber wie Nebenzapfen aus, dabei hatten sie je einen besonderen und kleinen Fetttropfen; beide Zapfen waren ganz gleich entwickelt, ihre Innen- und Aussenglieder waren gleich gross und die Zapfen waren sehr innig untereinander in dem ganzen Verlaufe ihrer Innenglieder verbunden. Alle mannigfaltigen Veränderungen und Abweichungen, welche wir in Doppelzapfen beobachten, können nur dann ge- nügend erklärt werden, wenn wir annehmen wollen, dass die Doppelzapfen ein Produkt der Theilung der gewöhnlichen Zap- fen sind. Diese Voraussetzung wurde schon früher von Stein- lin!) ausgesprochen. In den oben beschriebenen Beobachtun- gen giebt es eine genügende Anzahl Beweise und Bestäti- gungen für eine solche Voraussetzung. Meistentheils habe ich meine Beobachtungen über Doppel- zapfen in der Retina von Huhn gemacht, weniger in der Re- tina von Taube und Falco. Meine Beschreibung bezieht sich hauptsächlich auf die Retina vom Huhn. Ausserdem beobachtete ich die Doppelzapfen bei der Lacerta agilis, Salamandra macu- lata, beim Frosche. Es ist mir gelungen, bei denselben meh- rere der oben beschriebenen Veränderungen ebenfalls nachzu- weisen. Nur konnte ich bei denselben nicht bemerken, dass die Körner, welche zu Doppelzapfen gehören, auf verschiedenen Höhen liegen. Ich konnte auch die Theilung des Kornes in zwei Theile ganz deutlich sehen; von denselben merkte ich in einigen Fällen nur eine Faser zur Zwischenkörnerschicht gehend; in mehr entwickelten Formen beobachtete ich, dass zwei Fasern ausgehen, obgleich die Doppelzapfen in einigen Fällen in grösster Ausdehnung ihres Innengliedes noch sehr untereinander verbunden waren. Bei Salamandra maculata ist es besonders bequem, die Trennung beider Zapfen in zwei selbst- ständige und von einander unabhängige Zapfen zu beobachten. Im Anfange bemerken wir, dass die beiden Zapfen, welche 1) Archiv für mikroskop. Anatomie B. IV, S. 15, 216 W. Dobrowolsky: eine und dieselbe Länge haben, sehr innig unter einander im ganzen Verlaufe ihrer Innenglieder verbunden sind; obgleich die Aussenglieder ganz fest an einander anliegen, sind sie doch von einander durch eine Pigmentscheide gesondert. Ferner treffen wir Doppelzapfen, bei welchen die Innenglieder ebenfalls in bedeutender Ausdehnung abgetrennt sind, und die Aussenglieder noch mehr von einander abstehen, so dass zwischen den letzten ein freier Raum vorhanden ist. Schliess- lich beobachten wir Doppelzapfen, die nach aussen von der Limi- tans externa schon’ vollkommen getrennt sind, die aber ein ein- ziges Korn haben, welches schon einige Merkmale der Theilung zeigt. — Ich untersuchte die Doppelzapfen bei jungen und alten Hühnern, weil man a priori voraussetzen konnte, dass, wenn die Doppelzapfen ein Produkt der Theilung der gewöhnlichen Zapfen sind, dieselben in der Retina der jungen Individuen in grösserer Anzahl als bei alten Hühnern vorkommen sollten. Ich konnte aber keinen wesentlichen Unterschied in dieser Be- ziehung zwischen der Retina alter und junger Hühner bemer- ken. Dasselbe suchte ich auf einem, anderen künstlichen Wege oder vermittelst einer neuen Methode zu erreichen, indem ich durch die mechanische Reizung der Retina die Theilung der Zapfen hervorzurufen suchte. Zu diesem Ende führte ich ein sehr schmales Messer von vorn nach hinten durch den ganzen Augapfel ein. Auf diese Weise durchschnitt ich die Retina in der Nähe der Papilla n. optiei oder an irgend einer anderen beliebigen Stelle und nach einigen Tagen untersuchte ich die verwundete Netzhaut. Hühner und Tauben ertragen ganz gut diese Operation, man muss nur dabei Beschädigungen des Ge- hirns vermeiden. Die Wunde heilt gewöhnlich sehr rasch zu, so dass nach 2—5 Tagen selbst beim starken Drucke auf den exstirpirten Augapfel die Wunde sich nicht mehr öffnet. Den Schnitt in der Retina und in dem ganzen hinteren Theile des Auges muss man etwas grösser machen; anders ist es sehr schwer, zuweilen unmöglich, besonders nach 10 Tagen, die durchschnittene Stelle aufzufinden. In den ersten 2—3 Tagen ist es unmöglich, die verwundete Stelle der Retina zu unter- BERN. Die Doppelzapfen. 217 spnchen, weil in Folge der Operation an dieser Stelle die Retina von Blutkörperchen durchtränkt ist, so dass wir fast kein einzelnes Element der Retina unterscheiden können. In diesem Falle können wir nur die Stellen der Retina benutzen, die ziemlich weit von der Wunde entfernt sind. Es ist deshalb besser, erst nach 7—10 Tagen die Retina zu untersuchen. Als- dann finden wir, dass die Doppelzapfen in der verwundeten Re- tina in ausserordentlicher Anzahl sich befinden, in einer viel grösseren Menge als in der normalen Retina. Dabei können wir in der operirten Retina sehr leicht die verschiedenen Ab- stufungen der Entwickelung der Doppelzapfen verfolgen. Noch besser können wir die erwähnten Abstufungen beobachten, wenn wir die operirten Augen in, verschiedener Zeit nach der Ope- ration untersuchen, z. B. ein Auge nach 4—5 Tagen, ein an- deres nach 10 Tagen. Wenn wir in dem ersten Auge finden, dass die Nebenzapfen meistentheils noch kürzer sind, als die Hauptzapfen und keine Fetttropfen, sondern eine gelbliche Masse führen, so finden wir im zweiten Auge schon mehrere Nebenzapfen, welche bereits bedeutend entwickelt sind, sehr kleine Fetttropfen enthalten, mehr oder minder von den Haupt- zapfen abgetrennt sind und fast dieslbe Länge haben, wie die letzteren. In der äusseren Körnerschicht treffen wir auch ent- sprechende Veränderungen. Es ist viel besser, die Doppelzap- fen an künstlich verwundeten Augen zu untersuchen, weil hier dieselben sich durch besondere Mannigfaltigkeit ihrer Formen auszeichnen. Sollte es richtig sein, dass die Doppelzapfen ein Produkt der Theilung der gewöhnlichen Zapfen sind, so bleibt jedenfalls unbegreiflich, dass ich in der grossen Menge der Doppelzapfen niemals solche mit rothen Fetttropfen im Hauptzapfen finden konnte, obgleich ich auf diesen Gegenstand lange Zeit hindurch meine besondere Aufmerksamkeit lenkte. Ich habe nur in der Menge der Zapfen mit rothen Fetttropfen Zapfen mit zwei Aussengliedern gesehen. (s. Fig. 9.) Solche Zapfen, obwohl schmal wie alle mit rothen Fetttropfen, unterscheiden sich von den übrigen durch ihre bedeutende Erweiterung am äusseren Ende ihres Innengliedes, entsprechend der Lage der Fetttropfen 218 W, Dobrowolsky: und Ellipsoidkörper. Ich konnte mich ganz positiv überzeugen, dass es wirklich zwei Aussenglieder bei einem Zapfen waren» also keine Zufälligkeit, kein Kunstprodukt. Ich liess solche Zapfen im Gesichtsfelde schwimmen, dabei machten die beiden Aussenglieder verschiedene Bewegungen, gingen auseinander, aber ihr Zusammenhang mit dem Innengliede blieb ungestört. Beide Aussenglieder waren meistentheils sehr lang und sie wa- ren dabei beide gleich lang. Ich fand solche Zapfen in bedeu- tender Quantität, aber kann nicht sagen, ob dieselben in grösse- rer Menge in der operirten Retina, als im unverletzten Auge waren, obgleich ich dieselben in beiden traf. In einigen dieser Zapfen habe ich gesehen, dass der Ellipsoidkörper durch eine .längliche Linie von aussen nach innen in zwei Hälften getheilt war. Eine solche Theilung des Ellipsoidkörpers durch die läng- liche Linie in zwei Hälften konnte ich in den Zapfen mit ro- then Fetttropfen sehen, in welchen die Färbung der Fetttropfen auf den Zapfen oder bloss auf den Ellipsoidkörper sich ver- breitete. Hierbei bemerkte ich, dass die Aussenglieder in solchen Zapfen nicht nur ausserordentlich lang waren, sondern auch eine ausserordentliche Breite besassen; in den Aussengliedern konnte ich keine Spuren der Theilung bemerken. In einigen Zapfen mit zwei Aussengliedern glaube ich die Theilung des Kornes in zwei Theile beobachtet zu haben; aber ich muss ge- stehen, dass ich die Theilung des Ellipsoidkörpers in zwei Hälften in den Zapfen mit zwei Aussengliedern, ebenso die Theilung des Kornes genügend zu verfolgen, um ganz feste Ueberzeugung zu gewinnen, nicht im Stande war, weil nicht jeder Zapfen mit zwei Aussengliedern die erwähnten Zeichen der Theilung zeigt. ® Diese Beobachtungen scheinen uns einen Wink zu geben, dass die Zapfen mit rothen Fetttropfen sich ebenfalls theilen, obgleich auf eine besondere Weise, indem die Theilung bei ihnen von den Aussengliedern beginnt (eine solche Theilung der Aussen- glieder in den beschriebenen Doppelzapfen mit gelben Fett- tropfen (s. Fig. 10) konnte ich nur in seltenen Fällen beobach- ten und deshalb bleibt mir die Entstehung des Aussengliedes in den Nebenzapfen in den meisten Fällen unbegreiflich), und Die Doppelzapfen. 219 später theilen sich der Ellipsoidkörper und das Korn ebenfalls. Nichts desto weniger scheint die Thatsache festzustehen, dass es keine Doppelzapfen unter den Zapfen mit rothen Fetttropfen giebt. Dies ist um so mehr räthselhaft, als die Zahl der Zap- fen mit rothen Fetttropfen verhältnissmässig gross ist, und wenn ich zwischen den Zapfen mit blauen Fetttropfen blos drei Dop- pelzapfen gesehen habe, so ist das leicht begreiflich, weil die Zahl dieser Zapfen sehr beschränkt ist. Für die Erklärung der erwähnten Thatsachen bleibt uns noch eine Möglichkeit übrig, nämlich, dass die Zapfen mit ro- then Fetttropfen sich auch theilen, aber in den Doppelzapfen, welche von dieser Theilung entstanden sind, die Fetttropfen ihre rothe Farbe verlieren. Wie sonderbar diese Voraussetzung uns auch vorkommen mag, so scheinen doch einige Beobachtun- gen dieselbe zu rechtfertigen: 1) die Anzahl der Zapfen mit rothen Fetttropfem in der operirten Retina verringert sich be- deutend; davon konnte ich mich überzeugen, indem ich zwei Netzhäute von einem und demselben Huhn, von der die eine operirt wurde, die andere aber unverletzt geblieben, an ent- sprechenden Stellen verglich. Dabei war in der operirten Re- tina die Anzahl der Zapfen mit rothen Fetttropfen viel gerin- ger als in der unverletzten. 2) Die Zapfen mit rothen Fett- tropfen, welche in der operirten Retina noch bleiben, behalten ihre Farbe nicht so lange und verlieren dieselbe in der Mül- ‚ ler’schen Flüssigkeit schneller, als solche Zapfen in der un- verletzten Retina; während die letzteren ihre Farbe zwei, zu- weilen drei Tage lang bewahren, verlieren die ersten dieselbe sehr häufig schon nach 24 Stunden. Ebenso verhalten sich, wie wir schon früher sagten, in der Müller’schen Flüssigkeit die Zapfen mit rothen Fetttropfen vom jungen Huhn. 3) Die Zapfen enthalten in der Retina des Frosches meistentheils gelbe Fetttropfen: doch bei Untersuchung der Retina von sehr jungen Fröschen habe ich gefunden, dass beinahe alle Zapfen nur blaue Fetttropfen hatten. Es geht daraus hervor, dass die Zap- fen in den frühzeitigen Perioden der Entwickelung der Retina eine andere Farbe haben als später. 4) Aus den Beobachtun- NN ER 220 W. Dobrowolsky: gen von M. Schultze') wissen wir, dass auch beim Huhn in der frühzeitigen Periode der Entwicklung alle Zapfen nur farb- lose Fetttropfen enthalten, und gefärbte erst später bekommen. 5) Endlich muss ich erwähnen, dass ich einmal zwei Zapfen, welche sehr innig verbunden und gleich entwickelt waren, ge- sehen habe, deren einer einen rubinrothen Fetttropfen, der an- dere einen orangerothen hatte; aber ich konnte mich nicht über- zeugen, dass es keine Zufälligkeit, kein Kunstprodukt war, weil ich das Verhältniss dieser Zapfen zur Körnerschicht zu beobachten keine Gelegenheit hatte. Was die Untersuchungsmethode betrifft, so gebrauchte ich für diesen Zweck Netzhäute, welche einen oder zwei Tage in Müller’scher Flüssigkeit gelegen hatten. Bei der Zerzupfung einer solchen Retina erhalten wir eine grosse Menge isolirter Doppelzapfen, welche noch im Zusammenhange mit dem Korne und zuweilen mit dem kegelförmigen Körper stehen, was wir in ganz frischen Präparaten, auch in denen, welche eine lange Zeit in Müller’scher Flüssigkeit gelegen hatten, gewöhnlich sehr selten sehen können. Alle beschriebenen Untersuchungen habe ich im Laboratorio des Herrn Professor W. Krause zu Göttingen angefangen. Da ich aber vor der Beendigung meiner Untersuchungen Göttingen verlassen musste, so habe ich dieselben selbständig beendigt Daher bringe ich dem Herrn Prof. Krause für seine liebens- würdige Unterstützung meinen innigsten Dank. 1) Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd.Il., S. 237. Zur Anatomie der Retina. 22] Zur Anatomie der Retina. Von W. DoBROWOLSKY. I. Ellipsoidische oder linsenförmige Körper. Die ellipsoidischen Körper, welche schon seit zehn Jahren nachgewiesen sind (W. Krause, M. Schultze), gehören zu den Elementen, welche zu wenig untersucht sind, so dass wir in Bezug auf ihre Form nur widersprechende Angaben besitzen. W. Krause nennt sie ellipsoidische, M. Schultze linsenförmige Körper. Erstere Benennung scheint aber mehr gerechtfertigt, in- dem die Form dieser Körper meistentheils eine ellipsoidische ist. Es ist in der äussersten Zersetzbarkeit der erwähnten Körper der Grund dieser Widersprüche zu suchen: davon kön- nen wir uns sehr leicht überzeugen, wenn wir die erwähnten Körper in der ganz frischen Retina untersuchen; schon nach einigen Minuten nehmen viele dieser Körper sehr verschiedene Formen an. Diese Zersetzbarkeit erfordert daher eine andere Untersuchungsmethode, bei welcher die natürliche Form der er- wähnten Körper unverändert längere Zeit hindurch bleiben könnte; über diese Methode werden wir später sprechen. Die ellipsoidischen Körper liegen, wie bekannt, am äusse- ren Ende des Innengliedes der Zapfen und nehmen eine ganze Zapfenbreite ein, so dass kein Lichtstrahl aus einem Innengliede 222 W. Dobrowolsky: nach einem Aussengliede hindurchdringen kann, ohne zuvor den ellipsoidischen Körper passirt zu haben. Dieser letzte Umstand und der grössere Brechungsindex der Ellipsoidkörper verglichen mit der nach innen vom Ellipsoidkörper liegenden übrigen Zap- fensubstanz stellen vollständig ausser Zweifel, dass die ellip- soidischen Körper auf den Gang derjenigen Lichtstrahlen, die aus dem Innengliede nach dem Aussengliede passiren, einen nicht unbedeutenden Einfluss ausüben. Indem ihr äusserstes Ende bei Vögeln, Reptilien und Amphibien an Fetttropfen grenzt, endigen sie nach innen mit einer mehr oder weniger starken Krümmung, welche oft von der übrigen Zapfensubstanz sehr scharf abgegrenzt ist. Dieses innere Ende stellt meistentheils eine Convexlinse dar, durch welche sämmtliche Lichtstrahlen passiren müssen. Est ist selbstverständlich, dass dieses innere Ende der Ellipsoidkörper vom optischen Standpunkte aus das grösste Interesse bietet und daher unsere Aufmerksamkeit be- sonders in Anspruch nehmen soll. Es ist nicht schwer, bei aufmerksamer Untersuchung sich zu überzeugen, dass nicht alle erwähnten Körper eine und die- selbe Convexität oder Krümmung haben, dass im Gegentheil letztere bei verschiedenen Körpern eine sehr verschiedene ist. Um in dieser Mannigfaltigkeit ihrer Krümmung sich besser zu orientiren, ist es rathsam, dem Winke der Natur zu folgen und die erwähnten Körper in den Zapfen zu untersuchen, indem wir vorläufig die Zapfen auf Grund der drei verschieden gefärb- ten Fetttropfen — roth, gelb und farblos (M. Schultze) oder blau (W. Krause) — in drei Abtheilungen theilen. Für die- sen Zweck ist es besser, die Retina des Huhns zu benutzen, weil in dieser Retina die ellipsoidischen Körper leichter zu be- merken und zu beobachten sind, als dieses bei anderen Vögeln der Fall ist. Ausserdem habe ich dieselben Körper in der Re- tina von Tauben untersucht und, obgleich ich dieselben Resul- tate erhalten habe, muss ich gestehen, dass bei der Taube die Contouren der erwähnten Körper nicht so scharf’ und deshalb weniger bemerkbar sind, als beim Huhn. In den Zapfen mit rothen Fetttropfen haben die ellip- soidischen Körper die stärkste und grösste Öonvexität, Zur Anatomie der Retina. 223 so dass sie zuweilen in ein zugespitztes Ende auslaufen. In den Zapfen mit gelben Fetttropfen ist diese Convexität schon weniger bedeutend, und in den Zapfen mit blauen Fetttropfen ist sie noch geringer. Zwischen den letzten Zapfen treffen wir nicht selten solche, bei denen die Ellipsoid- körper keine Krümmung haben, und die Grenze des Ellipsoid- körpers von der übrigen Zapfensubstanz eine grade Linie ist. In den Zapfen mit blauen Fetttropfen sehen wir nicht selten Ellipsoidkörper, die eine concave Krümmung haben. (siehe Fig. 1—8). Damit will ich aber nicht sagen, dass in jedem Zapfen mit rothen Fetttropfen der Ellipsoidkörper immer eine grössere Convexität hat, als dies in anderen Zapfen der Fall ist. Im Gegentheil, in den Zapfen mit rothen Fetttropfen kann man sehr leicht und oft Ellipsoidkörper treffen, die eine geringere Convexität haben, als dieselben Körper in den Zapfen mit gel- ben Fetttropfen. Die grösste Convexität der Ellipsoidkörper treffen wir besonders häufig an den Zapfen mit rothen Fett- tropfen, deshalb sind auch meiner Meinung nach gerade die Ellipsoidkörper der Zapfen mit rothen Fetttropfen durch ihre beträchtlichere Convexität unter den Ellipsoidkörpern anderer Zapfen charakterisirt. Es werden ebenfalls die Ellip- soidkörper der Zapfen mit blauen Fetttropfen durch Ab- wesenheit der Krümmung charakterisirt, obgleich in ein- zelnen Fällen wir bedeutende Abweichungen treffen können. Es ist also die erwähnte Theilung der Ellipsoidkörper in drei verschiedene Klassen ihrer Krümmung nach eine Ülassification, ähnlich der Theilung der Zapfen .auf Grund dreier verschiede- ner Farben der Fetttropfen, indem in der That eine so strenge Theilung der Fetttropfen in drei verschiedene Classen nicht existirt, da ausser den genannten drei Farben noch viele Nü- ancen und Uebergänge vom rothen Fetttropfen zum gelben und vom gelben zum blauen oder farblosen vorhanden sind. Es ist aber diese Classification nothwendig, um einen festen Anhalts- punkt bei der Untersuchung der anatomischen Eigenschaften der Ellipsoidkörper zu haben. Dass die erwähnte Theilung der Ellipsoidkörper in drei 224 W. Dobrowolsky: verschiedene Gruppen ihre factische Berechtigung hat, geht schon daraus hervor, dass die grössere oder geringere Convexi- tät derselben mit der Form der Zapfen im Zusammenhang steht. Es ist auffallend, dass die Zapfen mit rothen Fetttropfen eine besonders schmale Form haben; dabei ist die Breite der Zap- fen nicht in ihrer ganzen Ausdehnung gleichmässig, meistentheils aber ist ihr inneres Ende an der Membrana limitans externa schmäler, am äusseren Ende sind aber die Zapfen breiter. Die- ser Form der Zapfen entsprechend sind die Ellipsoidkörper sehr oft an ihrem inneren Ende zugespitzt. (s. Fig. 2.) Die Zap- fen mit gelben Fetttropfen zeichnen sich durch ihre bedeutende Breite aus, welche in einigen Zapfen vom inneren bis zum äusseren Ende unverändert bleibt, in anderen aber ist das äussere Ende etwas verengt. Die dritte Sorte der Elemente mit blauen Fetttropfen hat auch eine bedeutende Breite, sie ist aber un- gleichmässig und verengt sich in der Richtung nach aussen, so dass der Zapfen an seinem äusseren Ende die Form eines Dreieckes hat. Es versteht sich von selbst, dass man in der Form der beschriebenen Zapfen verschiedene Uebergänge von einer Gruppe zur anderen trifft. In dieser Beziehung ist zu bemerken, dass die Zapfen mit gelben Fetttropfen, welche nach der Farbe der Ketttropfen und nach der Krümmung der Ellipsoidkörper die Mitte zwischen rothen und blauen ein- nehmen, ihrer Form nach ebenfalls die Mitte zwischen densel- ben behalten. In einer Menge von Zapfen mit gelben Fetttropfen treffen wir einerseits solche, welche eine ähnliche oder ganz dieselbe Form haben, wie die Zapfen mit rothen Fetttropfen; anderseits finden wir auch solche, welche die Form der Zapfen mit blauen Fetttropfen haben, indem die Zapfen mit rothen und blauen Fetttropfen ihrer Form nach immer scharf von einander zu unterscheiden sind. (s. Fig. 1—2.) In den Zapfen der menschlichen Retina existiren auch Rllip- soidkörper. Die Ellipsoidkörper der menschlichen Retina, welche bis jetzt noch Niemand beobachtet hat, bieten eine Bigenthüm- lichkeit dar, indem sie einen grösseren Umfang im Verhältniss zu den Zapfen besitzen. Während bei Vögeln (Huhn, Taube) die Ellipsoidkörper verhältnissmässig den kleinsten Theil der Zapfen ANY u Zur Anatomie der Retina. 225 einnehmen, so füllen sie beim Menschen dagegen den gröss- ten Theil der Zapfen aus. Hinsichtlich der Krümmung der Ellipsoidkörper werden beim Menschen wie bei Vögeln ganz deutlich drei verschiedene Gruppen unterschieden: eine mit starker, eine mit schwacher Convexität: und endlich trifft man nicht selten Ellipsoidkörper, an denen ein Ausbleiben der Con- vexität wahrzunehmen ist. Bei den unzureichenden Kenntnissen, welche wir über Ellipsoidkörper besitzen, ist selbstverständlich nichts Bestimm- tes über deren Function zu sagen. Jedenfalls aber müssen wir nicht vergessen, dass die rothen Lichtstrahlen eine geringere Brechbarkeit, die blauen eine stärkere haben; die gelben neh- men die Mitte zwischen beiden ein. Von diesem Standpunkte aus kann die grössere Convexität der Ellipsoidkörper in den Zapfen mit rothen Fetttropfen oder die schwächere Convexität, beziehungsweise die Abwesenheit derselben, in Zapfen mit blauen Fetttropfen eine zweifellose physiologische Bedeutung haben. ‘Wenn wir dabei die Theorie berücksichtigen, welcheM.Schultze!) so ausführlich und beweisend entwickelt hat, der zu Folge die Zapfen mit drei verschieden gefärbten Fetttropfen für die Per- ception dreier verschiedenen Grundfarben bestimmt seien, welche Voraussetzung höchst wahrscheinlich ist, weil z. B. das Vorhan- densein des rothen Fetttropfens in Zapfen nur die Bedeutung haben kann, die rothen Lichtstrahlen passiren zu lassen, alle anderen aber zu absorbiren und sie dadurch vor der Per- ception zu beseitigen, so befriedigt in diesem Falle das Vor- handensein der dreierlei Krümmungen der Ellipsoidkörper voll- ständig die Bedingungen für die Perception dreier verschiede- ner Grundfarben. Vom Standpunkte dieser Theorie können die Ellipsoidkörper als ein compensatorischer Apparat betrachtet werden, weil alle Lichtstrahlen des Speetrums vom rothen bis zum violetten eine allmälig steigende Brechbarkeit besitzen und desshalb die rothen Lichtstrahlen eine stärkere Krümmung als die blauen brauchen. 1) Archiv für mikroskop. Anatomie. B. Il., S. 255. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 15 226 W. Dobrowolsky: 1. Obgleich die Bestimmung der Länge der Aussenglieder in verschiedenen Zapfen ein grosses Interesse vom physiologischen Standpunkte bietet, haben wir jedoch bis jetzt keine genauen Untersuchungen über diesen Gegenstand, weil die Aussenglieder selbst sehr zerbrechlich sind und sogar bei vorsichtiger Präparation von dem Innengliede leicht herabfallen. Bis jetzt ist nur eine Beobachtung von M. Schultze!) bekannt, der bei Tauben die längsten Aussenglieder in den Zapfen mit rothen Fetttropfen gesehen hat und zwar in den Zapfen, in denen die Färbung der Fetttropfen keine begrenzte war, dieselbe vielmehr noch weiter nach innen auf die Substanz des Zapfens überging. Um die Länge der Aussenglieder näher zu untersuchen, be- nutzte ich meistentheils die Retina des Huhnes, seltener die der Tauben und kann die Beobachtung von M. Schultze bestäti- gen, dass die längeren Aussenglieder in den Zapfen mit rothen Fetttropfen vorhanden sind. Beim Huhn habe ich viele Zapfen mit rothen Fetttropfen gesehen, wo die Färbung nicht nur am Fetttropfen zu sehen war, sondern weiter nach innen sich ver- breitete, und nicht selten sogar der ganze Zapfen gefärbt er- schien. Bei einigen dieser Zapfen habe ich ebenfalls ausser- ordentlich lange Aussenglieder gefunden. Ich habe aber sehr häufig längere Aussenglieder auch in anderen gewöhnlichen Zapfen mit rothen Fetttropfen beobachtet. Die kürzesten Aussenglieder fand ich in den Zapfen mit blauen Fetttropfen. Die Länge der Aussenglieder in den Zapfen mit gelben Fett- tropfen nimmt die Mitte zwischen den mit rothen und blauen Fetttropfen ein. Hier muss ich aber hervorheben, dass man in den genannten Zapfen verschiedenartige Abweichungen treffen kann. Nichts desto weniger aber sind dieZapfen mit rothen Fetttropfen durch die längsten Aussenglieder; die Zapfen mit blauen Fetttropfen durch die kürzesten Aussenglieder charakterisirt. (s. Fig. 1—8.) Der erwähnte Unterschied in der Länge der Aussenglieder . 1) Archiv für mikroskop. Anatomie. B. III., S. 236. Zur Anatomie der Retina. 927 scheint im umgekehrten Verhältniss zur Länge der Innenglieder zu stehen, d. i je länger. das Innenglied des Zapfens ist, desto kürzer das Aussenglied desselben und umgekehrt. Obwohl ich diese Voraussetzung nicht mit der genügenden Strenge verfolgt habe, scheint mir dieselbe doch berechtigt durch die Beobach- tung an vielen sehr dünnen Querschnitten der Retina, wo deut- lich zu sehen war, dass die Zapfen mit rothen Fetttropfen kür- zere Innenglieder als die übrigen Zapfen haben. Wenn wir bei solchen Querdurchschnitten unsere Aufmerksamkeit auf Fett- tropfen lenken, so beobachten wir sehr oft, dass die gelben Fetttropfen weiter nach aussen von der Membrana limitans ex- terna liegen, die rothen aber meistentheils näher an derselben sich befinden. Ich muss dabei hervorheben. dass der erwähnte Unterschied in der Länge der Aussenglieder bei verschiedenen Zapfen leich- ter bei alten als bei ganz jungen Hühnern zu beobachten ist, bei denen dieser Unterschied nicht so scharf ist, was vielleicht mit dem Grade der Entwickelung der verschiedenen Elemente der Retina im Zusammenhange steht. Ich versuchte den erwähnten Unterschied in der Länge der Aussenglieder bei Eidechsen zu verfolgen, und bei einigen konnte ich zuweilen dasselbe Verhältniss wie beim Huhn beobachten; ich muss aber gestehen, dass, obgleich bei den Eidechsen die ‘ Zapfen mit drei verschiedenen Fetttropfen vorhanden sind diese Zapfen nach ihrer Form, nach der Form ihrer Ellipsoid- körper und nach der Länge der Ellipsoidkörper einen zu gerin- gen Unterschied bieten und mehr gleichförmig sind als beim Huhn. Bei der Untersuchung der Eidechsen aus Veranlassung des Streites zwischen M. Schultze und W. Krause interessirte mich die Frage: ob die Stäbchen in der Retina der Eidechsen existiren oder nicht? Und ich konnte viel- fach und ganz positiv sehen, dass die Stäbchen in der Retina von Lacerta agilis wirklich existiren, dass dieselben einen be- deutenden Umfang haben, dass aber die Zahl der Stäbchen sehr gering ist, vielleicht noch geringer, als die der Zapfen in der Retina der Ente; daher kam es vor, dass ich in einigen Präparaten kein einziges Stäbchen antreffen konnte, Die That- 155 Yu rn DR in en e BRUNU ide NY ‘ . es An: $ 228 W. Dobrowolsky: sache, dass das Verhältniss der Stäbchen zu den Zapfen bei der Eule und Eidechse ein vollkommen entgegengesetztes ist, ver- dient jedenfalls vom physiologischen Standpunkte aus, unsere besondere Aufmerksamkeit. Für unseren Zweck können wir die Eule als Nachtthier und die Eidechse hauptsächlich als Tagesthier ansehen, da letztere meistens im Sonnenlicht spielt. Wenn wir also in der Retina der Eule hauptsächlich Stäbchen und in der Eidechse meistentheils Zapfen vorfinden, so sind wir vollkommen zu dem Schluss berechtigt, dass die Stäbchen hauptsächlich für die Perception des Lichtes, die Zap- fen für die Perception der Farben bestimmt sind. Auch versuchte ich die Breite der Aussenglieder in ver- schiedenen Zapfen zu bestimmen und fand, dass die Zapfen mit blauen Fetttropfen mit breiteren Aussengliedern versehen sind; wenigstens ist die Basis der. Aussenglieder so breit, dass das ganze Aussenglied die Form eines kurzen Drei- eckes hat. Bei einigen Zapfen mit rothen Fetttropfen fand ich ausserordentlich schmale Aussenglieder, bei anderen aber un- gewöhnlich breite, so dass ich in dieser Beziehung keine be- stimmte Angabe besitze, obgleich in der Breite der verschiede- nen Zapfen ein beständiges Verhältniss zu existiren scheint. Ich erwähnte schon früher, dass ich sehr häufig beim Huhn und bei der Taube Zapfen mit rothen Fetttropfen beobach- tet habe, in welchen nicht nur Fetttropfen, sondern auch die Zapfensubstanz selbst mehr oder minder gefärbt war. Diese Erscheinung haben schon früher H. Müller und M. Schultze bei Tauben beobachtet. Dabei habei habe ich zweierlei Zapfen beobachtet (s. Fig. 4): 1) Zapfen, in denen die Färbung sich bis an die Ellipsoidkörper erstreckte und auf der Grenze derselben scharf endigte und 2) (s. Fig. 5) Zapfen, in denen die Färbung noch weiter nach innen ging und die ganze Zapfensubstanz ein- nahm. Die Färbung, die ich in ganz frischen Präparaten be- obachtete, war eine gleichmässige, so dass der ganze Zapfen oder nur der Ellipsoidkörper allein rosa-roth gefärbt war. In frischen Präparaten konnte ich solche Häufchen von Pigment nicht beobachten, wie sie von M. Schultze!) in seinen Zeich- 1) Archiv für Mikroskop. Anatomie. B. III, Taf. XIIL., Fig. 8. BERMER Zur Anatomie der Retina. 229 nungen von der Retina der Tauben abgebildet sind. Die erwähn- ten, gefärbten Zapfen beobachtete ich meistentheils in der Retina ganz junger Hühner (in der Retina der alten Hühner habe ich dieselben sehr selten getroffen), und es scheinen diese Zapfen eine besondere Eigenthümlichkeit der jungen Individuen zu sein. Ueber andere Eigenthümlichkeiten der vollständig gefärbten Zapfen werden wir später sprechen. III. Die Anordnung der Zapfen mit verschieden gefärbten Fetttropfen. Sollte es richtig sein, dass die Zapfen mit verschieden ge- färbten Fetttropfen für Farbenperception bestimmt sind, so er- scheint es von Wichtigkeit. vom physiologischen Standpunkte aus die Anordnung dieser Zapfen in verschiedenen Stellen der Retina zu verfolgen. Als nächster Weg zur Lösung dieser Aufgabe erwies sich die Verfolgung der Zapfen mit rothen Fetttropfen und schon nach kurzer Zeit konnte ich mich überzeugen, dass die Zahl dieser Zapfen an verschiedenen Stellen der Netzhaut eine ver- schiedene ist. Meistentheils trifft es sich, dass in den peripheri- schen Theilen der Retina die erwähnten Zapfen in geringerer, in den centralen aber in grösserer Menge existiren. Die Schwan- kungen in der Anzahl der Zapfen sind aber sehr bedeutend; so ist deren Anzahl in den centralen Theilen der Netzhaut doppelt so gross als an der Peripherie der Retina. An der Peripherie verhielt sich die Anzahl der rothen Fetttropfen zu allen übrigen wie 1:4, im Centrum aber war dieses Verhältniss wie 1:2, in einigen Fällen wie 1:3. Wir können uns dabei sehr leicht überzeugen, dass von der Peripherie zum Centrum die Anzahl der rothen Fetttropfen allmählig zunimmt. Das erwähnte Verhältniss beim Huhn und bei der Taube habe ich in einigen Fällen annähernd dasselbe gefunden, und die Differenz, die wir in jedem einzelnen Falle erhalten, kann sehr leicht erklärt werden einerseits durch Rechnungsfehler, anderseits dadurch, dass entsprechende Stellen der Retina zu ermitteln nicht immer leicht ist. Jedenfalls aber ist auch, A; kai A N us? NN? in 230 W. Dobrowolsky: wie es scheint, ein bedeutender Theil dieser Differenz den in- dividuellen Abweichungen zuzuschreiben. Bei einem sehr jun- gen Falco but. habe ich das Verhältniss der rothen und orangen- rothen Fetttropfen zu anderen in der Peripherie wie 1:8, im Centrum aber wie 1:4 gefunden. In der äussersten Peripherie, wo die rubinrothen Fetttropfen ganz verschwunden waren, wa- ren die orangerothen noch im Verhältniss 1:8 geblieben, so dass in diesem Falle die orangerothen Fetttropfen mit ihrer Anzahl die Abwesenheit der rubinrothen ganz ersetzten. Also bei diesem Falco but. war die Anzahl der rothen Fetttropfen in dem Centrum zweimal grösser als in der Peripherie, aber die Zahlen, die dieses Verhältniss ausdrücken, sind. zweimal ge- ringer, als beim Huhn. Vielleicht hing dieser Umstand vom noch unzureichenden Grade der Entwickelung der Retina ab, weil der Falco ein noch sehr junges Individuum war. Bei dem ziemlich regelmässigen Stufengange, mit dem die rothen Elemente in der Retina meistentheils angeordnet sind, erregen in uns noch ein grösseres Interesse jene seltneren Fälle, in welchen die erwähnten Elemente auf ganz umgekehrte Weise angeordnet sind, so dass die Anzahl der rothen Elemente in der Peripherie zweimal grösser, als in dem Centrum ist. Es bleibt nur anzunehmen, dass die Anordnung der rothgefärb- ten Elemente in der Retina keinem strengen (Gesetze folgt, vielmehr vielen individuellen Abweichungen unterworfen ist, und sogar dieselben Elemente bei einigen Individuen auf ganz umgekehrte Weise angeordnet sein können. Dabei halte ich für nöthig, ein Factum mittzutheilen, welches ich bei Lacerta agilis beobachtet habe. Bei Lacerta existiren die Zap- fen mit drei verschiedenen Fetttropfen ; es giebt bei ihnen keine rubinrothen Fetttropfen, sondern nur orangerothe., Die Zapfen, wie auch Fetttropfen haben eine bedeutende Grösse und können desshalb sehr leicht gefunden und untersucht werden. Bei drei Eidechsen ist es mir trotz meiner sehr fleissigen und langen Nachsuchungen nicht gelungen, irgend einen Zapfen mit orange- rothen Fetttropfen zu finden; alle Zapfen bei diesen Eidech- sen hatten bloss gelbe Fetttropfen. Auf gleiche Weise bei der Eule (Strix aluco); in einigen Fällen konnte ich ganz leich Zr Ara Zur Anatomie der Retina. 231 die Zapfen mit rothen Fetttropfen finden und mich ganz deut- lich überzeugen, dass solche Zapfen bei der Eule wirklich existi- ren, in anderen aber konnte ich bei allen Nachsuchungen keinen "einzigen Zapfen mit rothen Fetttropfen finden. Es ist wahr- scheinlich, dass dieser Unterschied vom Grade der Entwicklung der Retina abhängig ist; es erklärt uns aber, warum einige vor- zügliche Beobachter keine rothen Fetttropfen bei der Eule gesehen haben (M. Schultze) und desshalb ihre Existenz bei Eulen leugnen, indem andere dieselben in grosser Menge gesehen ha- ben (W. Krause). Die grössere Anzahl der Zapfen bei Vögeln enthält gelbe Fetttropfen, zwischen welchen sehr leicht zwei Nüancen unter- schieden werden: die eigentlich gelben und die grünlichen Fett- tropfen und ausserdem noch einige Uebergänge. Die ungleich- mässige Anordnung der grünlichen Fetttropfen ist mir beson- ders aufgefallen. In einigen Stellen der Retina sind die grün- lichen Fetttropfen in doppelt so grosser Anzahl vorhanden als die gelben, in anderen aber finden wir nur gelbe Fetttropfen und keine grünlichen. Bei genauer Untersuchung dieser An- ordnung habe ich bei zwei Hühnern gefunden, dass in der Pe- ripherie die grünlichen Fetttropfen in doppelt grösserer Anzahl als die gelben vorhanden waren. Von der Peripherie nach dem Centrum nahm die Anzahl der grünen allmälig ab, und in dem- selben Grade nahm auch die Anzahl der gelben Fetttropfen zu, so dass nach Aussen in der Nähe der Papilla n. optiei die grünlichen gänzlich verschwunden und die gelben allein geblieben waren. Die Anzahl der gelben auf dieser Stelle entsprach an- nähernd der Anzahl der gelben und grünlichen in der Peri- pherie zusammen; die gelben Fetttropfen ersetzten also auf die- ser Stelle die grünlichen. Was die Zapfen mit blauen Fetttropfen anbelangt, so konnte ich mich vielmal ganz deutlich von ihrer Existenz überzeugen, ungeachtet des Widerspruchs von einer Autorität wieM.Schultze. Diese blauen Fetttropfen sind durch ihre Grösse charakterisirt; ihre blaue Nüance ist sehr zart und kann bei weniger starker Vergrösserung (gegen 500 mal) am besten beobachtet werden. Ich beobachtete dieselbe beim Huhn, bei der Taube, beim Falco, 232 W. Dobrowolsky: bei Lacerta agilis. Was die farblosen Fetttropfen betrifft, die von M. Schultze beschrieben sind, so kann ihre Existenz auch keinem Zweifel unterliegen. Auf diese Weise hat sowohl M. Schultze Recht, der die Existenz der farblosen Fetttropfen an- nimmt, als auch W. Krause, der die Existenz der blauen ver- tritt. Beide aber haben Unrecht insofern, dass der erste die Existenz der blauen Fetttropfen, der zweite die Existenz der farblosen leugnet. Wenn wir die Theilung der Fetttropfen nach drei ver- schiedenen Farben einer strengen Kritik unterwerfen wollen, so müssen wir sagen, dass eine solche Theilung eine willkür- liche ist, weil in der That keine strenge Theilung in rothe, gelbe und blaue oder farblose vorhanden ist; es existiren dagegen sowohl verschiedene Nüancen einer und derselben Farbe, als auch Uebergänge derselben zu einer anderen. Nichts desto we- niger ist die besprochene Theilung der Zapfen unentbehrlich, um die physiologische Bedeutung der erwähnten zu ergründen. Von diesem Standpunkte aus ist es zweckmässiger, wenn wir die Fetttropfen in rothe, gelbe und blaue, als in rothe, gelbe und farblose theilen. Von dem in dieser Richtung so gründ- lich durch M. Schultze entwickelten Standpunkte der Joung- Helmoltz’schen Theorie müssen wir daher bei der Theilung der Zapfen als dritte Gruppe die Zapfen mit blauen, aber nicht mit farblosen Fettropfen annehmen. Wenn wir die Zapfen mit blauen Fetttropfen annehmen, so stellen wir dadurch den Bau der Zapfen in directen Zusammenhang mit der Theorie von Joung-Helmholtz, nehmen wir aber farblose Fetttropfen an, so führen wir nur eine Spaltung und Uneinigkeit zwischen die Anatomie und Physiologie des Sehens ein, weil wir in dem Falle kein Organ für die Perception der blauen Lichtstrahlen haben würden. Sobald wir die Zapfen mit gefärbten Fetttrop- fen als Organe für die Perception der drei verschiedenen Far- ben (Grundfarben) annehmen, so brauchen wir noch kein be- sonderes Organ für die Perception aller Farben anzunehmen, eine Function, welche M. Schultze!) den Zapfen mit farb- 1) Archiv für mikroskop. Anatomie. B. II, S. 255. Zur Anatomie der Retina. 233 losen Fetttropfen zuzuschreiben wünscht, da bei solcher Vor- aussetzung weder für die Anatomie, noch für die Physiologie etwas zu gewinnen ist. Von den Zapfen mit blauen Fetttropfen ist es vielleicht eher als von allen anderen zu sagen, dass dieselben eine un- regelmässige Anordnung bieten. Es ist eine Thatsache, dass wir in vielen Präparaten, welche aus verschiedenen Stellen der Retina entnommen werden, keine Zapfen mit blauen Fett- tropfen auffinden können. Bei zwei Hühnern konnte ich mich überzeugen, dass die erwähnten Zapfen blos in peripherischen Theilen der Retina vorhanden waren, im Centrum aber fehlten sie vollkommen. In anderen Fällen habe ich dieselben auch im Centrum der Retina angetroffen. Jedenfalls ist es richtig, dass die Anordnung dieser Zapfen unregelmässig ist, und die- ser Umstand kann uns vielleicht erklären, warum ein Beobachter, wie M. Schultze, trotz seiner vielen Untersuchungen an der Retina, bis jetzt keine Zapfen mit blauen Fetttropfen ge- sehen hat. IV: Die Untersuchungsmethode. Vom theoretischen Standpunkte aus ist es besser, eine ganz frische Retina ohne jedwedes Reagens zu untersuchen, dieses ist aber nicht immer bequem, weil die Elemente der Retina, welche im Glaskörper untersucht werden, besonders die Stäbchen und Zapfen, schon nach einer ganz kurzen Zeit bedeutende Verän- derungen erleiden, und in denselben verschiedene Kunstprodukte erscheinen. Dieser Umstand hat mich veranlasst, nach einer anderen Methode und zwar nach einer solchen zu suchen, welche, ohne die Stäbchen und Zapfen zu verändern, ziemlich lange Zeit die Zapfen unentfärbt liesse. Die Müller’sche Flüssigkeit entfärbt wie bekannt, die gefärbten Fetttropfen nach einiger Zeit voll- ständig. Deshalb versuchte ich die Retina in den ersten Ta- gen nach Einlegung in die Müller’sche Flüssigkeit zu unter- suchen und dabei bemerkte ich, dass in sehr seltenen Fällen die Fetttropfen ihre Farbe beibehalten, nachdem sie in der 234 W. Dobrowolsky: Flüssigkeit drei Tage gelegen haben; in den meisten Fällen be- hielten die Fetttropfen ihre Farbe während ihres zweitägigen Liegens in der Flüssigkeit, obwohl dieses nicht ausnahmslos war und Fälle vorkommen, wo die Fetttropfen schon nach eintägigem Liegen in der Flüssigkeit ihre Farbe eingebüsst hatten. Dabei scheinen die Elemente der Retina junger Sub- jeete (Huhn, Taube, Falco) schneller ihre Farbe einzubüssen, als die der alten. Beijungen Vögeln entfärben sich die Fetttrop- fen sehr oft schon nach 24 Stunden vollständig. Zuweilen kön- nen wir die Entfärbung der Fetttropfen dadurch verzögern, dass wir die Retina nach 24 Stunden aus der Müller’schen F lüssig- keit in destillirtes Wasser legen, dabei werden auch die Zap- fen ziemlich gut aufbewahrt, aber der Gewinn der Zeit — viel- leicht 24 Stunden oder noch weniger — ist nicht gross, weil die Entfärbung, die in der Müller’schen Flüssigkeit begann, im Wasser weiter fort geht. Jedenfalls aber erweist die Müller’sche Flüssigkeit schon den grossen Dienst, dass die Retina und besonders die Zapfen und Stäbchen vor Verderben und Veränderungen in derselben geschützt werden. Zugleich sind wir im Stande, sowohl die ellip- soidischen Körper, als die Aussenglieder und Körner mit den gefärbten Fetttropfen zu untersuchen und also die Eigen- thümlichkeiteu, welche die erwähnten Elemente in verschieden gefärbten Zapfen besitzen, zu verfolgen. Die Retina, welche einen oder zwei Tage in der Müller’schen Flüssigkeit liegen bleibt, giebt uns bei der Untersuchung einige wesentliche Vor- züge, die in ganz frischer Retina vollständig fehlen. Es ist besser, die Aussenglieder in Müller’scher Flüssig- keit zu untersuchen, weil dieselben nicht so zerbrechlich wer- den und nicht so leicht von den Innengliedern herabfallen, wie dies in ganz frischer Retina der Fall ist. Es ist wahr, dass die Aussenglieder in Müller’scher Flüssigkeit einige Verän- derungen, z. B Anschwellungen bekommen, welche die richtige Beurtheilung von ihrer Form und Länge erschweren können. Aber alle diese Erscheinungen existiren ebenfalls oder viel- leicht in noch höherem Grade in ganz frischer Retina. Wir kön- nen uns aber dabei vor Fehlern dadurch bewahren, dass wir Zur Anatomie der Retina. 235 verdorbene und veränderte Aussenglieder vollkommen ausser Acht lassen und für die Untersuchung nur solche wählen, welche ganz bewahrt und unverändert geblieben. Die Untersuchung der ERllipsoidkörper in Müller’scher Flüssigkeit giebt uns besondere Vorzüge, weil dieselben dabei lange Zeit ihre normale Form behalten. Indem in frischer Re- tina, welche im Glaskörper untersucht wird, die erwähnten Körper vor den Augen des Beobachters viele Verzerrungen er- leiden, werden dieselben in Müller’scher Flüssigkeit viel besser bewahrt, ohne irgend welche künstliche Produkte hervor- zurufen. Eine aufmerksame Untersuchung und der Vergleich solcher Ellipsoidkörper mit denen in frischer Retina kann zwischen beiden keinen wesentlichen Unterschied nachweisen. Es ist sogar besser, die ganz frische Retina nicht mit Glaskör- per, sondern mit Müller’scher Flüssigkeit zu untersuchen, weil wir mit letzterer keine Verzerrungen in der Form der Ellip- soidkörper beobachten, was unter Einwirkung des Glaskörpers der Fall ist. Werden jedoch die ellipsoidischen Körper im Glaskörper oder in Müller’scher Flüssigkeit untersucht, so müssen wir jedenfalls für die Beobachtung nur solche aus- wählen, welche die Zapfen enthalten, weil diese am we- nigsten Veränderungen unterworfen sind. Es sind die Ellip- soidkörper, deren Zusammenhang mit den Zapfen zerstört ist, und die nur allein oder häufig im Zusammenhange mit den Fetttropfen und noch mit Aussengliedern in grösserer Menge im Gesichtsfelde des Mikroskops schwimmen, für die Unter- suchung durchaus nicht geeignet, weil dieselben, indem sie in unmittelbarer Berührung mit der Flüssigkeit sich befinden, leichter ihre Form verändern und zwar wieder im Glaskörper schneller als in Müller’scher Flüssigkeit. Das Obenerwähnte bezieht sich im ganzen auf eine Retina, die nur einen oder zwei Tage in Müller’scher Flüssigkeit gelegen hat, aber in Präpa- raten, welche lange Zeit in Flüssigkeit lagen, treten Verände- rungen wie Schrumpfung, Körnigkeit etc. erst später auf; dabei werden die Aussenglieder wieder mehr zerbrechlich. Der zweite Vortheil der Müller’schen Flüssigkeit besteht darın, dass die Contouren der Ellipsoidkörper in derselben viel N EN mag 2 NINE NY RT SER ARTE 236 W. Dobrowolsky: schärfer und deutlicher werden, als z.B. im Glaskörper. Wenn wir eine ganz frische Retina unter dem Mikroskop untersuchen, ‘so können wir gewöhnlich nicht in allen Zapfen die Ellipsoid- körper finden, und wenn wir dieselben auch finden, so können wir nicht immer ganz deutlich ihre Contouren an ihrem inne- ren Ende unterscheiden. Im Gegentheil sehen wir dabei viele Zapfen, die mit gleichartigem Inhalte ausgefüllt zu sein schei- nen, und in denen wir keine einzelnen Theile nach innen vom Fetttropfen wahrnehmen können. Ganz anders verhalten sich die Ellipsoidkörper in der Müller’scher Flüssigkeit; hier sind dieselben fast immer sehr scharf und deutlich von dem übrigen Inhalte abgegrenzt, desshalb ist ihre Krümmung sehr leicht zu beobachten. Ich kann für diese Erscheinung keine genügende Erklärung geben, aber man muss dabei bemerken, dass wir bei aufmerksamer Untersuchung und Vergleichung der Ellipsoidkör- per in Müller’scher Flüssigkeit mit denen in ganz frischer Retina keinen wesentlichen Unterschied in ihrem Bau und Form finden können. Was die menschliche Retina betrifft, so bekam ich durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Prof. W. Krause zu meiner Verfügung Augen, die % Stunde nach dem Tode exstirpirt waren. Ein Theil der Retina eines Auges und dabei die Ma- cula lutea wurde gebraucht, um die Mosaik der Stäbchen und Zapfen von der äusseren Oberfläche in der Gegend der Macula lutea im frischen Zustande zu untersuchen. Die übrigen Theile einer Retina wurden in verschiedene Reagenzien und ein Auge in Müller’sche Flüssigkeit gebracht. Das letzte gebrauchte ich für die Untersuchung der Form der Ellipsoidkörper aus der menschlichen Retina. Dabei waren dieselben meistentheils so gut aufbewahrt und unverändert geblieben, dass in dieser Be- ziehung nichts Besseres zu wünschen übrig blieb. Holmgren: Ueber die wirkliche Natur der u. s. w. 237 Ueber die wirkliche Natur der „positiven Strom- schwankung“ bei der einzelnen Muskel- zuckung. Von HOLMSGREN. (Upsala läkareförenings förhandlingar, Bd. II, Heft 3, S. 160, 1867.) Uebersetzt von Dr. Rabl-Rückhard.') Wenn man auf den Muskel eines Nervmuskelpräparates den Nerven eines anderen Muskels legt, und durch Reizung des ersteren Nerven eine Zuckung im zugehörigen Muskel ein- tritt, so erfolgt gleichzeitig eine Zuckung des anderen. Man nannte dies: secundäre Muskelzuckung. Der Grund dieser Zuckung musste in einer, gleichzeitig mit der Zuckung des ersten Muskels schnell entstehenden Strom- schwankung gesucht werden, welche als Reiz auf den Nerven des zweiten Muskels wirkt. Nach der durch die klassischen Unter- suchungen du Bois-Reymond’s gewonnenen Kenntniss von der Stromveränderung beim Tetanus bezeichnete man diese Veränderung des Stromes bei einer einzelnen Muskelzuckung ohne Weiteres als eine schnelle negative Stromschwankung. 1) Obschon der vorliegende Aufsatz bereits mehrere Jahre alt ist, und seit seinem Erscheinen die Bernstein’schen Untersuchungen mit dem Differential-Rheotom für die Entscheidung der darin behan- delten Fragen neue Wege eröffnet haben, dürfte eine Uebersetzung desselben noch immer vielen unserer Leser willkommen sein. (Anm. der Red.) RE a RE] ne RER ii i | % Helmholtz suchte den Zeitpunkt während der Zuckung, in welchem diese Schwankung eintritt, in der Weise zu er- forschen, dass er mittelst der graphischen Methode die Zeit be- stimmte, welche zwischen dem Augenblick des Eintritts der Reizung in dem zuerst gereizten Muskel und dem Zeitpunkt verfliesst, wo dieser den auf ihm liegenden Nerven des physio- logischen Rheoskops in Reizungszustand versetzt. Auf diese Weise kam Helmholtz zu dem Schlusse, dass „der Muskelstrom seine Stärke sehr schnell etwa in der Mitte des Stadiums der latenten Reizung zu ändern scheine, dass man in- 238 Holmgren: dess über Anfang und Ende der negativen Stromschwankung aus seinem Versuche nichts schliessen könne.“ Später hat v. Bezold mit Hilfe der seitdem gewonnenen klareren Einsicht in den zeitlichen Verlauf gewisser Vorgänge im Muskel und Nerven diesen Versuch einer genaueren Prüfung unterworfen, durch die er zu dem Schlusse kam, dass die ne- gative Schwankung des Muskelstromes unmittelbar mit oder eine unmerkbare kurze Zeit nach der Muskelreizung anfängt. Beide Forscher kamen somit zu dem übereinstimmenden Er- gebniss, dass das Maximum der Stromänderung bei einem zur Thätigkeit gereizten Muskel, oder der Höhepunkt der physio- logischen Wirkung der Muskelstromänderung während des Sta- diums der latenten Reizung, oder während der Zeit eintritt, welche zwischen dem Angriff des Reizes auf den Muskel und dessen beginnender Zusammenziehung verfliesst. Dagegen haben sie ihren Schlusssätzen formell eine grössere Tragweite bemessen als die, wozu die Versuche selbst berech- tigen, indem sie die gefundene Stromänderung als „negative Schwankung“ bezeichneten. Das physiologische Rheoskop kann nämlich im Allgemeinen nur anzeigen, dass eine Veränderung der Stromstärke stattfindet, ohne einen Aufschluss über die Richtung zu geben. Letztere kann ja ebenso gut positiv sein. Eine solche Bestimmung des Sinnes der Stromschwankung kann natürlich nur mit einem empfindlichen Galvanometer aus- geführt werden. Mit dem sogenannten Meissner-Meyer- stein’schen Elektrogalvanometer haben in der That Meiss- ner und Cohn eine positive Stromschwankung gefunden, die Ueber die wirkliche Natur der „positiven u. s. w. 239 sie als Ursache der secundären Zuckung und somit als gleich- bedeutend mit der „negativen Schwankung“ von Helmholtz und v. Bezold auffassen. Sie verlegen somit die positive Schwankung in das Stadium der latenten Reizung. Dadurch be- gingen sie thatsächlich einen grösseren Fehler als Helmholtz und v. Bezold, indem sie sich damit begnügten, den Sinn der Schwankung festzustellen, und in Betreff der Zeit ihres Eintritts einfach eine Annahme machten, die erst bewiesen werden musste. Ich habe an anderer Stelle einen kurzen Bericht über eine von mir zur Lösung dieser Fragen angestellte Arbeit mitge- theilt.!) Leider haben mich allerlei Umstände bisher verhin- dert, diese Arbeit ausführlicher mitzutheilen; ich will es auch jetzt nicht thun, da dies für unsere Verhandlungen zu weit- läufig sein würde. Ich muss indess erklären, dass ich seitdem keinen Grund fand, meine damals ausgesprochene Ansicht in irgend einem Punkte zu ändern, im Gegentheil hatte ich Ge- legenheit, sie in mancher Hinsicht zu vervollständigen. Es gelang mir, zu beweisen, dassHelmholtzund v.Bezold in soweit Recht haben, als die auf das Stadium der latenten Reizung fallende Stromschwankung in der That negativ ist. Dagegen gehört die von Meissner und Öohn entdeckte positive Strom- schwankung ausschliesslich dem Contractionsstadium an. Somit beruht die secundäre Zuckung nicht auf dieser Schwankung. Was weiterhin die Natur der vollständigen Erklärung die- ser positiven Schwankung betrifft, so meint Meissner, die- selbe habe nichts zu schaffen mit dem gewöhnlichen Muskel- strom, sei also keine Schwankung des letzteren, sondern eine besondere Elektricitätsentwickelung für sich, eine elektrische Entladung, der vergleichbar, welche in den elektrischen Or- ganen der elektrischen Fische vorgehe. — Gewiss ein sehr lockender Vergleich, der indess kaum für eine Hypothese, ge- schweige für einen Beweis reif sein dürfte. — Die positive 1) Ueber die elektrische Stromschwankung am thätigen Muskel. Centralbl. für d. medie. Wissensch. 1864, Nr. 19 (S. 291). 240 Holmgren: Schwankung tritt nicht beständig auf, sondern wird bisweilen von einer negativen ersetzt, ja es kann jede Stromveränderung im Contractionsstadium ganz ausbleiben. Dieses Verhalten, gleichwie die positive Schwankung überhaupt, vermochte ich in meiner oben angeführten Mittheilung nicht zu erklären und gerade diesen Punkt gedenke ich im vorliegenden Aufsatz zu vervollständigen. Ich muss mich indess dabei auf die wichtigeren That- sachen beschränken, da die Frage im Ganzen und Einzelnen nur im Zusammenhang mit den Untersuchungen behandelt wer- den dürfte, welche zur Frage der positiven Schwankung ge- hören, und deren ausführlichere Darstellung ich verschieben musste. Daher kommt es, dass ich im Folgenden nicht über- all meine Behauptung durch Versuche beweisen kann. Ich habe schon oben zwei aus meinen Versuchen gewonnene Ausgangspunkte zur Erklärung der positiven Schwankung ange- deutet: der eine ist der, dass letztere immer auf das Contractions- stadium fällt, der andere liegt in der unregelmässigen Art, in der die Schwankung auftritt, eine Unregelmässigkeit, die fast als Regel anzusehen ist. Somit musste der Grund der positiven Schwankung im Contractionsvorgang, beziehungsweise in einer Veränderung des durch die Bussole (ich bediente mich als Strommessers der Wiedemann’schen Bussole) geleiteten Stromes als Folge der Muskelzusammenziehung gesucht werden. Sogleich fallen Einem zwei Möglichkeiten ein: entweder 1) diese Veränderung der Stromstärke kommt einfach von der veränderten Lage, die die einzelnen Muskelfasern während und in Folge der Zusammenziehung zu einander und zu den Berührungspunkten des Schliessungsbogens einnehmen — oder 2) es geht eine wirkliche Veränderung der Lage der elektro- motorischen Molekeln in den einzelnen Muskelfasern selbst vor sich — eine allgemeine oder theilweise, in welchem Falle es sich hier um eine wirkliche Schwankung des Muskelstromes selbst handeln würde. Wäre erstere Möglichkeit die richtige, so wäre eine Un- tersuchung des Stromes während des Contractionsstadiums im Ueber die wirkliche Natur der „positiven u. 3. w. 94] Grossen und Ganzen nichts weiter, als die des Muskelstromes in den besonderen Lagen, die die Muskelfasern zu einander während der Zusammenziehung und ihrer einzelnen Momente einnehmen. Eine derartige Untersuchung könnte möglicher- weise sehr weitläufig und mühsam werden, zumal wenn sie sich auf alle anderen Muskeln (ausser dem von mir ausschliesslich benutzten Gastrocnemius des Frosches) mit ihrem jedesmaligen besonderen Faserverlauf erstreckte. Der Werth einer derarti- gen Arbeit würde immerhin ganz zweideutig sein. Um indess zu prüfen, wie es damit steht, müsste man erst in Betracht ziehen, in wieweit es eine positive Schwankung auch bei anderen Muskeln als dem Gastrocnemius giebt. Na- mentlich müsste erst ein Muskel mit parallelem Faserverlauf in dieser Hinsicht ‚untersucht werden. Weiterhin sollte man untersuchen, ob eine positive Schwan- kung stattfindet, wenn der Gastrocnemius gereizt wird, wäh- rend seine beiden Enden so befestigt sind, dass eine wirkliche Zusammenziehung unmöglich ist, kurzum, dass die Fasern auch nicht im Geringsten ihre Lage verändern können. Eine solche Untersuchung, falls sie ausführbar wäre, müsste für die erstere Hypothese entscheidend ausfallen: denn, ver- schwände die positive Schwankung mit dem Ausbleiben der Lageveränderung der Muskelfasern im Zusammenziehungsstadium, so wäre damit die Ursache jener gefunden und einer näheren Prüfung zugänglich. Bestände dagegen die positive Schwankung fort, so könnte sie in keiner Lageveränderung der Muskelfasern oder einer anderen Folge der letzteren liegen, sondern man müsste dann ihren Grund in einer inneren Bewegung suchen, in einem Lagerungswechsel der elektromotorischen Molekeln selber. Wollte man sich im Voraus, auf Grund der Meissner- schen Ergebnisse, eine Vorstellung von dem fraglichen Verhal- ten bilden, so müsste diese die zweite der aufgestellten beiden Möglichkeiten in’s Auge fassen. — Nach Meissner sollte näm- lich die Lageveränderung der Muskelfasern, ihre Verkürzung und Compression in der Längsrichtung, weit entfernt, Anlass zu einer positiven Schwankung zu sein, im Gegentheil eine Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 16 242 Holmgren: s Schwächung der Stromstärke bewirken, welche die Erklärung für den negativen Galvanometerausschlag beim Tetanus gebe. Weiterhin giebt er als Regel an, dass, je unbeweglicher der Muskel bei Reizung des Nerven gespannt werde, die negative Schwankung beim Tetanisiren um so schwächer und die posi- tive bei einmaliger Reizung um so deutlicher werde. Um das Verhalten des Stromes bei Reizung eines Präpa- rates zu untersuchen, dessen Muskel behufs Verhinderung, sei- ner Zusammenziehung ausgespannt ist, bin ich folgendermassen verfahren: ich bediente mich zur Spannung des Muskels des du Bois’schen Apparates, der in zwei an einem Glasstab be- findlichen Elfenbeinspalten besteht, deren eine fest, die andere beweglich ist. Der Nerv wird in eine feuchte Reizungsröhre gelegt, der Schenkelknochen auf einem Gestell festgeklemmt. Die unpolarisirbaren, zur Bussole leitenden Thonspitzen wer- den entweder beide in den Elfenbeinspalten angebracht, wobei die eine des Muskels oberen Ansatz am Schenkelknochen, die andere die Achillessehne berührt, oder man kann auch erstere ausserhalb der Spalte am Schenkelknochen ansetzen, wie ich gewöhnlich bei diesen Versuchen zu verfahren pflege. Reizt man nun bei diesem Verfahren den Nerven, so er- hält man für gewöhnlich die positive Schwankung oder über- haupt, so. weit ich es finden konnte, dieselben Erscheinungen am. Magnet, wie ohne Spannung des Muskels. Andererseits will ich, übereinstimmend mit du Bois-Rey- mond, bemerken, dass es schwerlich gelingt, einen Gastro- cnemius. so zu spannen und zu befestigen, dass derselbe bei Reizung des Nerven ganz unbeweglich bleibt. Bei der Anord- nung der Fasern in diesem Muskel kann man es kaum ver- meiden, dass sich nicht eine Faser etwas zusammenzieht, In den meisten Fällen ist es sogar schwer, den Muskel nur so zu _ befestigen, dass man nicht schon mit blossem Auge eine ge- ringe Bewegung in einem oder dem anderen Faserbündel sehen kann. Ich leugne nicht, dass ich in mehreren Fällen keine derartige Bewegung beobachten konnte, trotzdem ein gleich- zeitiger Ausschlag des Magnetes in positiver Richtung statt- fand; allein ich bin keineswegs überzeugt, dass dabei jede Be- Ueber die wirkliche Natur der „positiven u. s. w. 243 ‘ wegung der Muskelfasern völlig aufgehoben war. Zur voll- kommenen Sicherheit und Beweiskräftigkeit eines derartigen Versuchs ist eine gänzliche Unbeweglichkeit, wie sich sofort zeigen wird, unumgänglich nothwendig. Da nämlich die positive Schwankung, wie ich oben an- gab, jedesmal dem Contractionsstadium oder, falls der Eintritt einer wirklichen Oontraction verhindert wird, wenigstens dem Zeitmoment angehört, der jenem Stadium entspricht, so kann man unter anderen Möglichkeiten sich in der Reibung zwischen den Muskelfasern die Ursache der positiven Schwankung vor- stellen. Um diese Hypothese zu prüfen, habe ich an einem, wie oben beschrieben, vorbereitetem Muskel durch einen anderen Körper die Reibung auszuüben versucht und gleichzeitig den Muskelstrom beobachtet. Zuerst nahm ich dazu einen anderen Muskel, mit dem ich in einem Zug von der Achillessehne auf- wärts den ausgestreckten Gastrocnemius rieb. — Dieser Hand- griff gab sofort einen Ausschlag in, wie gewöhnlich, positiver Richtung, nur viel stärker als gewöhnlich. Bei wiederholten Versuchen fand ich dasselbe, so oft die Reibung ausgeführt wurde, nur dass der Ausschlag bald in positiver, bald in ne- gativer Richtung erfolgte, je nachdem die Reibung an ungleichen Stellen oder in ungleicher Richtung stattfand, ohne dass ich indess in diesen wechselnden Erscheinungen eine bestimmte Gesetzmässiskeit auffinden konnte. Da man nun möglicherweise diese Erscheiuungen von dem bei der Reibung benutzten anderen Muskel als Elektromotor herleiten könnte, so wiederholte ich denselben Versuch mit an- deren, in dieser Beziehung indifferenten Körpern, wie Elfen- bein, Siegellack, Glas, Kautschuk und anderen Nichtleitern der Elektrieität — stets mit demselben Ergebniss. — Ich musste so- mit annehmen, dass die elektrische Erscheinung von der Reibung gegen die Faserbündel des untersuchten Muskels, oder von der Lageveränderung der Fasern gegeneinander, in Folge der Ein- wirkung des fremden Körpers herrührte. Nachdem diese Kenntniss gewonnen, wäre es wunderbar, wenn nicht ein Gleiches stattfände bei der gewöhnlichen Con- 16* 244 Holmgren: traction des Muskels, da ja immerhin die einzelnen Faserbün- del gegen einander sich reiben müssten. So komme ich ganz einfach und natürlich zu der Annahme, dass die ganze so- genannte positive Schwankung ihren Grund in einer solchen von der gegenseitigen Reibung der Muskel- fasern herrührenden Blektricitätsentwicklung hat. Wäre diese Erklärung richtig, so würde sie in gewisser ' Weise wohl mit Meissner’s Auffassung übereinstimmen, wenn er die positive Schwankung als eine von dem eigentlichen Mus- kelstrom unabhängige Erscheinung betrachtet, eine Annahme, zu der sich übrigens in seinen Experimenten kein zwingender Grund findet. „Die kleine positive Schwankung“, sagt Meiss- ner, „ist am besten zu vergleichen, auch was die Grösse der- selben betrifft, mit der Wirkung, welche es hatte, wenn man eine geriebene Glas- oder Siegellackstange sich durch die Rolle des Galvanometers entladen liess“. — Hierin hat er ganz Recht und der Vergleich ist, wie es nun erscheint, noch treffender, als man sich nach Meissner’s Erklärung vorstellen konnte. — Indess hat die Erscheinung eine ganz andere Be- deutung, als er angab. i Mit der nun gewonnenen Erklärung, nach welcher die Ur- sache der positiven Schwankung in der Bewegung der Muskel- fasern gegen einander bei der Zusammenziehung zu suchen ist, stimmt die oben angedeutete Unregelmässigkeit im Verhal- ten des Stromes während des Contractionsstadiums wohl über- ein. — Man kann sich nämlich im voraus keinen bestimmten Grund denken, warum bei jedem Gastroknemius und unter allen Umständen die gegenseitigen Bewegungen zwischen den Muskelfasern immer genau auf dieselbe Weise, in derselben Reihenfolge und relativen Stärke erfolgen sollten. — Eben so wenig findet sich ein Grund, weshalb die Elektricitätsentwick- lung, welche bei der Reibung der Muskelfasern gegeneinander stattfindet, nothwendigerweise durch das Galvanometer immer in derselben Richtung wie der Muskelstrom verlaufen soll. In der That ist es nicht schwer zu beobachten, wie in ersterer Hinsicht eine für das blosse Auge merkbare Variation statt- findet, namentlich wenn der Muskel mehr und mehr zu ermü- Ueber die wirkliche Natur der „positiven u. s. w. 245 den beginnt und die Bewegungen demgemäss langsamer werden. — Man sieht dann, dass die Contraction offenbar in der einen Muskelpartie kräftiger vor sich geht als in der anderen. Bald hat der obere, bald der untere Theil des Gastrocnemius das Uebergewicht. Unerachtet dieser leicht erklärlichen Möglich- keit der Veränderlichkeit findet sich nichts gegen die Annahme, dass ein gewisses Verhalten doch in der Hauptsache das Ge- wöhnlichste ist. In der That lässt sich keine Regel für die Richtung und Stärke der Stromschwankung während des Contractionsstadiums aufstellen, wie ich in meiner ausführlicheren Arbeit über die- sen Gegenstand zu zeigen gedenke, wenngleich gewöhnlich die positive Richtung obwaltet. Worauf beruht nun diese? — oder richtiger, unter welchen Umständen hat die Schwankung die eine oder die andere Richtung? — Natürlich ist dies eine Frage, deren Beantwortung nunmehr keinen anderen Antheil erregen kann, als den, eine weitere Stütze für meine Auffassung der Ursache der positiven Schwankung, die zunächst streitig ist, zu gewinnen, Bei dem angedeuteten Versuch, wo man mittels Nichtleiter der Elektrieität eine Reibung zwischen den Muskelfasern gleich der, bei der natürlichen Contraction vorkommenden, hervorruft, findet man stets wieder dieselbe Unregelmässigkeit der elektri- schen Erscheinungen, welche das Contractionsstadium kenn- zeichnet. Reibt man z. B. von der Achillessehne aufwärts, so erhält man eine positive, reibt man an der Tibialfläche, eine negative Schwankung — bisweilen auch umgekehrt. Hin und wieder erhält man bei Reibung in einer Richtung einen ent- gegengesetzten Ausschlag, als bei umgekehrter Richtung u.s. w. — Oft giebt Reibung des obern Theils des Muskels entgegenge- setzten Ausschlag gegenüber der des untern. Zu einem Aus- schlag in einer oder der andern Richtung bedarf es nicht ein- mal der Reibung gegen die Oberfläche — schon blosse Berüh- rung eines Punktes reicht hin, wenn man nämlich stark da- gegen drückt, so dass der Muskel sich an der gegenüberlie- genden Seite ausbeugt. Man könnte einwenden, dass die Reibung des fremden Kör- 946 Holmgren. pers gegen die äussere Bindegewebshülle des Muskels Ursache der Erscheinung sei; allein dies ist nicht der Fall, denn so oft man das Instrument in das Innere des Muskels einführt, auf dem Quer- oder Längsschnitt, überall gelingt es, die Strom- veränderung hervorzurufen. Auch der Einwurf könnte gemacht werden, dass der bei der Reibung benutzte fremde Körper elektrisch wird und somit die beobachtete Erscheinung hervorruft. Gleichwohl dürfte diese Vorstellung durch das soeben angeführte Verhalten widerlegt werden, wonach es einer wirklichen Reibung nicht bedarf, son- dern einer blossen Verschiebung des Muskelbauchs an einer Stelle zwischen seinen befestigten Enden, wobei nothwendiger- weise auch eine Verschiebung der Faserbündel im Innern des Muskels gegeneinander stattfinden muss. — Dieser Versuch ent- hält auch die Widerlegung eines andern Einwurfs, der jetzt möglicherweise gemacht werden könnte, nämlich desjenigen, dass alle gefundenen Schwankungen überhaupt auf der Reibung des Muskels gegen die Thonspitzen beruhen könnten. Gegen diesen Einwand kann weiterhin aufgestellt werden, dass die Ausschläge sich fast gleich bleiben, wenn man oben vom reingeschabten Schenkelknochen oder vom oberen Muskelansatz ableitet, sowie dass die positive Schwankung Thatsache bleibt, auch ohne dass man die Thonspitzen zu ihrer Demonstration anwendet. Zudem dürfte die Reibung zwischen dem einzigen beweglichen Berüh- rungspunkt, der Achillessehne, und der Thonsitze so gut wie keine sein, wenn letztere hinreichend dicht angelegt und, wie gewöhnlich der Fall, leicht beweglich ist. Da es somit thatsächlich erwiesen ist, dass Reibung zwi- schen Muskel und fremdem Körper an verschiedenen Stellen des erstern Stromerscheinungen in verschiedener Richtung er- zeugt, so lässt sich folgerichtig ein Gleiches annehmen, wenn die Reibung zwischen einzelnen Faserbündeln im Innern des Muskels stattfindet. Weiterhin ist die Annahme gestattet, dass die Stärke, mit der die einzelnen Gruppen, sowohl bei ver- schiedenen Muskeln, wie bei ein und demselben, unter verschie- denen Umständen sich zusammenziehen, wechselt, so dass bald die eine, bald die andere Gruppe in dieser Hinsicht überwiegt. Ueber die wirkliche Natur der „positiven u. s. w. 247 Durch eine solche Annahme, die keineswegs gewagt erscheinen dürfte, erklärt sich einfach und natürlich, warum das Contrac- tionsstadium bald eine positive, bald eine negative Schwankung — meistens erstere — zeigt. In einem Muskel mit verwickeltem Faserverlauf, wie ihn der Gastrocnemius des Frosches hat, findet die Zusammenzie- zung in ihrer Gesammtheit nicht mit einer während ihres gan- zen Verlaufes gleichförmig wachsenden oder abnehmenden Ener- gie statt — eine Thatsache, die am besten durch die Form der Contractionscurve bewiesen wird. Man hat die Ursache davon in die Muskelfaser selbst verlegen wollen, in das motorische Element, und die Erscheinung auf die besondere Natur des letztern zurückgeführt. Nach dem bisher Gesagten bin ich eher geneigt, diese Ungleichheiten der Contractionscurve, mindestens zum Theil, aus dem sehr zusammengesetzten Bau des Gastrocnemius zu erklären, und anzunehmen, dass diesel- ben in einer gewissermassen ungleichzeitigen Thätigkeit der verschiedenen Faserbündel beruhen, bedingt theils durch die un- gleichzeitige Ankunft des Innervationsreizes auf ungleich lan- gen Nervenbahnen in den einzelnen Muskelfasern, theils durch die ungleiche Empfänglichkeit für den Reiz, in welcher letzterer die Fasern antrifft. — Bringt man nun dies mit der Annahme einer verschiedenen Stromrichtung bei Reibung verschiedener Bündel in Verbindung, so gewinnt man daraus die Erklärung einer Thatsache, (auf die ich andernorts ausführlicher zurück- kommen werde) dass man in der Zeit des Contractionsstadiums auf der Stromeurve Punkte von abwechselnd positivem und negativem Werthe finden kann, während die Gesammtwirkung nach dem Gesetz der algebraischen Summation elektromagneti- scher Wirkungen (worüber Näheres an andrer Stelle) positiv ist. Man muss somit annehmen, dass bei jeder Contraetion ein Kampf zwischen den beiden Richtungen stattfindet, indem die positive meist die Oberhand gewinnt. Dies würde ganz einfach seinen Grund in der besondern Bauart des Muskels und der gewöhnlichen Form seiner Zusammenziehung haben. Im abweichenden Falle muss auch eine Abweichung in dem einen oder andern Verhalten oder in beiden stattfinden. 248 Holmgren: Will man nun sich Rechenschaft geben, in wie weit diese Annahmen einen thatsächlichen Boden besitzen, so muss man bei der Untersuchung darauf ausgehn, bei der Contraction die Wirksamkeit einer Fasergruppe zu unterdrücken und die Fol- gen davon zu prüfen, um auf diese Weise den Effect der Rei- bung der noch thätigen Bündel beurtheilen zu können. Da indess oben angedeutet ist, wie man schwerlich ein Verfahren finden kann, den Muskel in seiner Gesammtheit bei der Nerven- reizung unbeweglich zu erhalten, so scheint es, als ob es noch schwieriger weden dürfte, absichtlich eine bestimmte theilweise Wirkungslosigkeit zu Stande zu bringen. Gleichwohl ist die Frage hier eine wesentlich andre. Es ist hier nämlich nicht nöthig, wie es bei der Frage um den gesammten Muskel war, dass die Partien, die man unwirk- sam zu machen sucht, doch noch den Reiz vom Nerven empfan- gen. So findet sich hier eine Möglichkeit, die, wenn sie durch- führbar ist, offenbar zum Ziele führen müsste, nämlich die, ge- wisse Partien von der Reizung auszuschliessen. So kann man daran denken, einen Theil des Nerven vom Reiz abzuschliessen. Liesse sich dies überhaupt thun, so muss es am bequemsten geschehn, indem man im peripherischen Theile, unterhalb der Elektroden, den Theil des Nerven ab- schneidet, der die unwirksam zu machende Muskelpartie ver- sorgt. Um sich eine Vorstellung von der Ausführbarkeit dieses Planes zu machen, muss der Eintritt und die Vertheilung des Nerven im Muskel näher erforscht werden. Nachdem der Nervus ischiadieus sich in seine beiden Zweige, peronaeus und tihialis, getheilt hat, nimmt letzterer seine Richtung nach innen und giebt von der Innenseite des Kniegelenks den motorischen Nerven für den Gastrocnemius ab. — Die Hauptmasse dieses Nerven verläuft an der Innenseite der Muskeloberfläche, um längs der Achillessehne weiter zum Fusse zu gehn. Während dieses Verlaufs giebt er an den obern Theil des Gastrocnemius eine ganze Reihe getrennter Fasern ab, deren jede für sich ins Innere des Muskels dringt. Durch allmäliges Abschneiden dieser Fasern suchte ich meinen Zweck zu erreichen. Es gelang mir auf diesem Wege noch nicht, Ueber die wirkliche Natur der „positiven u. s. w. 249 ein bestimmtes Ergebniss zu finden, ein bestimmtes Gesetz für die Folgen der Elimination der einen oder andern dieser Fasern. Doch bemerkte ich in mehreren Fällen, dass, während der Muskelstrom vor der Nervendurchschneidung, bei Reizung des Nerven, in einer bestimmten, sei es positiven oder negativen, Richtung eine Ausschlag zeigte, derselbe nach der Durchschnei- dung plötzlich in die entgegengesetzte Riehtung umschlug. Diese Fälle waren indess vereinzelt. In andern trat auf der Höhe eine Verkleinerung in der Grösse des Ausschla- ges ein, Da nach meiner Ansicht nur ein mit Erfolg ausge- führter Versuch dieser Art für meine und gegen Meissner’s Auffassung beweisend ist, so unterliess ich es nicht, die Sache auf noch andere Weise zu prüfen. Reichert wies nämlich nach, dass die Ausbreitung der motorischen Nerven in einem Muskel derart stattfindet, dass jede Primitivfaser nicht nur einen einzelnen Punkt des Muskels versieht, sondern sich durch ihre Verzweigungen möglichst über alle seine Hauptpartien aus- streckt. Geht man nun von der Vorstellung aus, dass z. B. Muskelfasergruppen im obern Theil des Gastroenemius bei ihrer Contraction eine Stromschwankung in der einen Richtung be- wirken, dagegen die entsprechenden im untern Theil eine ent- gegengesetze, so scheint es, als sei das Nervendurchschneidungs- verfahren nicht geeignet, einen Beweis dafür zu liefern. Ich suchte daher, mein Ziel dadurch zu erreichen, dass ich an ver- schiedenen Stellen des Muskelbauches fest angezogene Liga- turen anlegte, wodurch jede Contraction in den unterhalb der Ligatur belegenen Theilen verhindert werden musste, wie sich auch immer die Nervenausbreitung verhieltee Nach dem An- ziehn der Ligaturen trat eine Stromänderung ein, meist blos in der Stärke, bisweilen selbst in der Richtung. Trotz der durchgehenden Regellosigkeit der Stromerschei- nungen im Contractionsstadium muss es doch Jedem, der .mei- ner bisherigen Darstellung mit Aufmerksamkeit folgte, klar sein, dass die positive Schwankung ihren Grund nicht in einer be- sonderen elektrischen Entladung, entsprechend der in den 250 Holmgren: elektrischen Organen gewisser Fische, wie es sich Meissner vorstellt, haben kann, sondern ganz einfach in der Lagever- änderung der Muskelfasern, die durch die Contraction entsteht. Ich könnte mich mit der Mittheilung dieses Ergebnisses begnügen, indem ich dahingestellt liesse, in welchem innern Zusammenhang von Ursache und Wirkung die Lageveränderung und die Stromschwankung zu einander stehn. — Da ich aber in Obigen die Reibung zwischen den Muskelfasern als Quelle der Schwankung anführte, so müss ich noch auf eine andere mögliche Erklärung hinweisen, welche auch die richtige sein dürfte. Hierzu veranlasst mich ein kleiner Aufsatz du Bois-Rey- mond'’s,!) den ich erst vor einigen Tagen, als meine oben be- sprochenen Versuche bereits ausgeführt und die Schlussfolge- rungen niedergeschrieben waren, vom Verfasser erhielt. In je- nem Aufsatz erinnert der Verfasser an seine früher andernorts (in einer Streitschrift gegen Budge über den Muskelstrom beim Gastrocnemius) besprochenen „Neigungsströme“, deren Gesetz kurz Folgendes ist: Legt man an einem parallelfasrigen Mus- kel zwei einander parallele, aber die Längsaxe des Muskels in schiefem Winkel schneidende künstliche Querschnitte an, so dass das abgeschnittene Muskelstück eine rhombische Form er- hält, so verhält sich jeder den stumpfen Winkeln nähere Punkt in elektromotorischer Hinsicht stark positiv gegen jeden den spitzen Winkeln näheren Punkt, gleichgültig, ob der eine oder andere Punkt auf dem Längs- oder Querschnitt gewählt ist. Gerade eine solche Anordnung nun besitzen die Muskel- fasern des Gastroenemius und du Bois-Reymond hat ge- zeigt, dass die natürlichen Neigungsströme, die daraus entstehn, den starken Totalstrom vollständig erklären, der zwischen dem obern und untern Theile dieses Muskels herrscht. In dem soeben angeführten Aufsatz hat nun du Bois- Reymond diese Thatsachen vervollständigt durch eine weitere neue, die für unsre Frage von grosser Wichtigkeit ist, Er hat nämlich gezeigt, dass, wenn man an einem parallelfasrigen Muskel zwei unter sich parallele und gegen die Längsaxe des 1) Monatsbericht der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, vom 25. Juni 1566. Ueber die wirkliche Natur der „positiven u. s. w. 251 Muskels rechtwinklige Schnitte anlegt, so dass das abgeschnit- tene Stück ein Rechteck darstellt, aber dann zwei diagonal ' gegenüberstehende Ecken fasst und durch Ausziehn des Muskel- stücks in dieser Richtung das Rechteck in einen Rhombus ver- wandelt, dass dann für dieses, hinsichlich der Vertheilung der elektromotorischen Kräfte, dieselben Gesetze gelten, die soeben als für ein ursprünglich in rhombischer Form ausgeschnittenes Muskelstück geltend angeführt wurden. Es liegt auf der Hand, dass diese neuen Prineipien ihre volle Anwendung auf einen sich zusammenziehenden Gastrocne- mius finden müssen. Es ist völlig klar, dass bei jeder Con- traction dieses Muskels sich die Winkel verändern müssen, unter denen die Muskelfasern sich sowohl an die Achillessehne, wie an das innere sehnige Septum des Muskels ansetzen. Ich beabsichtige nicht, aus diesen Principien im Einzelnen alle die Veränderungen herzuleiten, die der Muskelstrom im Contractionsstadium zeigt. Der Gewinn eines solchen Unter- nehmens würde keineswegs der darauf verwendeten Zeit und Mühe entsprechen. — Ich glaube, dass das bereits Angeführte einen genügenden Beweis für die im Voraus gemachte Behaup- tung enthält, das die positive Schwankungihren Grund ganz einfach in der Lageveränderung der Muskel- fasern und der daraus folgenden Veränderung in der Anordnung der elektromotorischen Kräfte im Raum besitzt. Hiermit sehe ich Meissner’s Auffassung für widerlegt und die Natur der positiven Schwankung als erklärt an. E NE . 2% a 252 Dr. A. Weil: Die physiologische Wirkung der Digitalıs auf die Reflexhemmungscentra des Frosches nebst Ver- suchen über den Einfluss der Blutcirculation auf diese Organe. Experimentelle Untersuchungen. Von Dr. A. Weir. In der vorliegenden Arbeit stellte ich mir zunächst die Aufgabe, den Einfluss der Digitalis auf die Reflexhemmungs- centra des Frosches zu studiren. Bei Lösung dieser Frage drängten sich mir von selbst einige weit“re auf, welche die Abhängigkeit dieser Apparate vom Blutkreislauf im Gehirn be- trafen. Damit die nachfolgenden Blätter auch für diejenigen Leser verständlich sein möchten, welche sich nicht specieller mit dem betreffenden Capitel der Physiologie beschäftigt haben, will ich eine kurze Darstellung dessen, was uns über Sitz und Wir- kungsweise der Reflexhemmungscentra bekannt ist, wenigstens soweit es zum Verständniss des Nachfolgenden unumgänglich nöthig ist, voranschicken. In Betreff der genauern Details muss ich auf die Originalabhandlungen verweisen. Schon lange, bevor der Versuch eines experimentellen Nach- weises gemacht worden war, sprachen manche Thatsachen dafür, dass im Gehirn ein Apparat existiren möchte, der, wenn er Die physiologische Wirkung der Digitalis u. s. w. 253 in Thätigkeit gesetzt wird, hemmend auf die Entstehung der Reflexe im Rückenmark und der Med. oblong. wirkt. Es sprach dafür die Zunahme der Reflexe bei geköpften Thieren, ferner der Umstand, dass der Wille im Stande ist, dem Eintreten ge- wisser Reflexbewegungen, z. B. dem Niesen, Husten, dem Lachen bei einwirkendem Kitzel bis zu einem gewissen Grad entgegenzuarbeiten. Setschenow'), Professor der Physiologie in Petersburg, gebührt das Verdienst, zuerst das Vorhandensein solcher Reflex- hemmungscentra und ihren Sitz beim Frosch experimentell nachgewiesen zu haben. — Betrachtet man das Gehirn eines Frosches von oben, so unterscheidet man fol- gende Theile an ihm: Vorne die Hemisphären a, dahinter einen rhomboidalen Raum b, in dem die Thalami optici (Sehhügel) und Glandula pinealis zusammengedrängtliegen, dahinterdie zweihalb- kugligen Lobi optici ce (Vierhügel), an ihrem hintern Umfang deutlich von der Medulla ob- longata (d) abgegrenzt. Letztere wird von dem Rückenmarke äusserlich durch das untere Ende der Rautengrube (e) geschieden. — Setschenow zeigte nun, dass mechanische, chemische und elektrische Reizung der Seh- u. Vierhügel eine starke Abnahme der Reflexerregbarkeit des Rückenmarks zur Folge hat. Als Mass der letzteren diente ihm nach der Methode von Türck die Zeit, welche vom Ein- tauchen der Hinterpfote eines vertikal aufgehängten Frosches in eine sehr verdünnte Lösung von Schwefelsäure bis zum Heraus- ziehen derselben vergeht. Die Zeit wird durch die Zahl der Schläge eines Metronoms gemessen, das in der Minute 100 Schläge macht. Als normales Reflexvermögen betrachtete Set- schenow das eines Frosches, dem er nach Abtragung der Schädeldecke und Blosslegung des ganzen Gehirns einen Schnitt etwa quer durch die Mitte der Hemisphären gemacht hatte 1) Physiologische Studien über die Hemmungsmechanismen für die Reflexthätigkeit des Rückenmarks im Gehirn des Frosches. Ber- lin 1863. Verlag von Hirschyald. 254 Dr. A. Weil: (bei a). Er musste das Gehirn offen vor sich haben, um an beliebigen Stellen reizen zu können; der Schnitt durch die Hemisphären diente dazu, den Willen des sonst schwer zu hand- habenden Thieres auszuschalten. Das Reflexvermögen eines solchen Thieres mit durchschnittenen Hemisphären weicht von dem eines unversehrten fast gar nicht ab. Reizte nun Set- schenow die Seh- und Vierhügel mechanisch durch einen Schnitt, oder chemisch durch Application von Kochsalzlösung oder Kochsalzkrystallen, oder elektrisch mit Inductionsströmen, so trat eine 5—10 Minuten dauernde Reflexdepression ein. Waren vorher z. B. die Pfoten nach 6—7 Schlägen ausgezogen worden, so geschah diess nach Reizung der Seh- oder Vierhügel noch nicht einmal nach 60 Schlägen. Die dafür gebräuchliche Schreibweise ist folgende: L (linkes Bein.) R (rechtes Bein.) Schnitt in die Halbkugeln. 10 (d.h. nach 10 Schlägen 10 Ausziehen der Pfote.) Schnitt in die thal. optici. SOka.h. nach 80 Schlä- 80k gen keine Bewegung.) _ (d.h. nach 5Mi- 60 58 nuten.) 5 23 10 Reizung des obern Abschnitts des verlängerten Markes brachte ebenfalls eine, aber nur sehr geringe Verlangsamung der Reflexbewegungen hervor; Reizung eines Rückenmarksquer- schnittes hatte diesen Erfolg nicht. Man kann sich die Wirkung der Reflexhemmungscentra auf das Rückenmark ebenso vorstellen, wie die des Vagus auf die Herzbewegungen; man kann annehmen, dass von den in den Hemmungscentren gelegenen Ganglienzellen des Gehirns Fasern zu den die Reflexe vermittelnden Ganglienzellen des Rücken- marks verlaufen, Fasern, deren Erregungszustand die Thätig- keitsäusserungen der letzteren erschwert. Es war vorauszusehen, dass gegen diese Lehre von Seite derer Einsprache erhoben würde, die überhaupt keine Hemmungs- nerven gelten lassen. Wirklich erschien eine in Schiff’s Labora- Die physiologische Wirkung der Digitalis u. s. w. 255 torium von Herzen!) ausgeführte Arbeit, welche theils die von Setschenow gefundenen Thatsachen, theils deren Deutung angriff, und mit dem „resultat general“ schliesst: „Les centres moderateurs n’existent pas“. Ohne mich auf eine nähere Darstellung der im Original nachzulesenden Controversen einzulassen, begnüge ich mich mit der Bemerkung, dass in einer im Jahre darauf erschienenen Entgegnung von Setschenow und Paschutin?) jene Lehre durch noch sorgfältiger angestellte Versuche fester begründet und erweitert wurde. — Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass der Inhalt der folgenden Blätter dazu dienen werde, . die Zweifler von der Existenz der Hemmungscentra zu über- zeugen. Meine Absicht war, Mittel zu suchen, welche die Reflex- hemmungscentra reizen und dadurch die Reflexerregbarkeit herabsetzen. Ausser dem unmittelbaren physiologischen Inter- esse bestimmte mich dazu die von vorn herein nicht in Abrede zu stellende Möglichkeit, dass derartige Stoffe beim Menschen therapeutische Verwendung finden könnten in Zuständen er- höhter Reflexerregbarkeit. Dass auch beim Menschen ein Reflex- hemmungsorgan existirt, ist nicht nur wegen des oben besproche- nen Einflusses des Willens auf die Reflexbewegungen, sondern mehr noch darum wahrscheinlich, weil dessen Vorhandensein bei Säugethieren von Simonoff°) nachgewiesen. Durch die Analogie des Setschenow’schen Centrums mit dem Centrum des regulatorischen Herznervensystems, durch dessen Reizung die Digitalis den Puls verlangsamt, verfiel ich auf dieses Mittel, Nach dieser Richtung hin war die Digitalis noch nicht unter- sucht; man hatte bei ihr meist nur die Wirkung auf den Cir- “ eulationsapparat ins Auge gefasst. Die von mir anzustellenden Versuche gestalteten sich in folgender Weise Bei einem Frosch wird die relativ-normale 1) Experiences sur les centres moderateurs de l’action reflexe. Turin 1864. 2) Neue Versuche am Hirn und Rückenmark des Frosches Ber- lin 1865. Verlag von Hirschwald. 3) Dieses Archiv 1866. 545—564. 956 Dr. A. Weil: Reflexerregbarkeit nach der, Türck’schen Methode bestimmt, dann das zu untersuchende Mittel in einen subeutanen Lymphsack oder in die Peritonealhöhle injieirt; hierauf die Reflexerreg- barkeit in verschiedenen Momenten, gewöhnlich von 5 zu 5 Minuten, wieder gemessen; ist sie herabgesetzt, so kann der Nachweis, dass die Depression nicht Folge einer Lähmung des Rückenmarks, sondern einer Reizung der im Gehirne gelege- nen Reflexhemmungscentra ist, in doppelter Weise geliefert werden. Erstens muss die Reflexerregbarkeit zur Norm zurück- kehren, wenn die Med. oblong. an ihrem untern Ende durch- schnitten wird; zweitens darf die Reflexdepression gar nicht eintreten, wenn vor der Application des Mittels das Rücken- mark durch denselben Schnitt dem Einflusse der Hemmungs- centra entzogen wird. Ehe ich zur Anführung der einzelnen Versuche übergehe, erlaube ich mir einige Bemerkungen für diejenigen, welche die- selben nachmachen wollen, voranzuschicken, Um überhaupt Aenderungen in der Reflexerregbarkeit nach- zuweisen, muss man von einem bestimmten, in Zahlen aus- drückbaren, bei jedem Thier besonders zu bestimmenden Werthe derselben ausgehen können. Selbstverständlich wäre es am na- türlichsten, als Mass der normalen Reflexerregbarkeit die Zeit zu Grunde zu legen, nach welcher der unversehrte Frosch die Pfoten aus der Säure zieht. Leider ist dies nicht möglich, oder wenigstens mit sehr grossen Schwierigkeiten und Unan- nehmlichkeiten verknüpft. Wenn Herzen seine Versuche grösstentheils in dieser Weise anstellen konnte, so kann ich dabei die Vermuthung nicht unterdrücken, dass seine Frösche unter den Strahlen der florentinischen Augustsonne in einen Sopor versetzt wurden, in dem sie sich ruhig aufhängen liessen.") 1) Er selbst scheint sich dieser Fehlerquelle wohl bewusst gewe- sen zu sein. Wenigstens sagt er a.a.0.8.12: „Et enfin remarquons encore, que nos experiences ont ete faites pendant les chaleurs du mois d’Aoüt (ce qui n’est pas peu de chose a Florence); or on sait, que l’ete est la saison la moins avantageuse pour les experiences sur le systeme nerveux des grenouilles; elles supportent diffieilement les operations n&cessaires, sont peu irritables, abattues, disposces a la Sa Lan Die physiologische Wirkung der Digitalis a. s. w. 257 Mir ist diess bei den Versuchen, die ich in Berlin im winter- lichen Sommer 7] anstellte, bei unversehrten lebhaften Fröschen nur sehr schwer gelungen. Die Thiere waren bei dem Ver- such, sie aufzuhängen, so unruhig, rissen sich mit solcher Hart- näckigkeit wieder und wieder los, dass bei ihnen die Türck- sche Methode kaum anwendbar gewesen wäre. Gelang es end- lich, den Frosch in Ruhe zu bringen, so war er durch die Fluchtversuche so abgemattet, dass die Reflexerregbarkeit die grössten Schwankungen zeigte. Ich war daher genöthigt, an Stelle des unversehrten Thieres das mit durchschnittenen Hemi- sphären zu setzen. Setschenow hatte am blosgelegten Ge- hirn, sofort nach Durchschneidung der Hemisphären, experimen- tirt. Ich kam zur Ueberzeugung, dass bei Thieren, denen man das Schädeldach aufgebrochen und die Hemisphären durch- schnitten hat, in der nächsten Zeit nach der Operation die Reflexerregbarkeit oft scheinbar ganz unmotivirte Schwankungen, meist Depressionen erleidet, eine Beobachtung, die auch Her- zen gemacht, aber irriger Weise von der Einwirkung der Säure auf die Haut der Pfote abgeleitet hat. Bedenkt man, dass diese Operation sehr eingreifend und blutig ist, überlegt man ferner, dass, wie von mir unten ausführlich bewiesen wer- den wird, Veränderungen im Blutgehalt des Gehirnes von be- deutendem Einfluss auf die Grösse der Reflexerregbarkeit sind, so wird diess leicht verständlich, ohne dass man nöthig hat, die Einwirkung der Säure zur Erklärung herbeizuziehen. Dass die Säure, in richtiger Weise angewandt, nicht die Sensibilität ab- stumpft, geht am klarsten daraus hervor, dass bei decapitirten Thieren und bei „Reflexfröschen* (s. unten) die Reflexerregbar- keit Stunden lang constant bleibt. Ausser einer nur geringen Schwankungen unterworfenen Normalgrösse der Reflexerregbarkeit war aber zum Gelingen meiner Versuche noch nöthig, dass in den Circulationsverhält- nissen des Gehirns möglichst wenig Alterationen geschaffen prostration et meurent souvent en collapsus ou bien en tetanos, sans eause appreciable“ Zum Beweis dafür heisst es gleich vom ersten Versuchsthier höchstens 10 Minuten nach Beginn der Experimente: „elle meurt peu a peu en prostration.“ Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 17 298 Dr, A. Weil: würden, damit die zu prüfenden Substanzen durch das in nor- maler Weise kreisende Blut in Wechselwirkung mit der Nerven- masse treten könnten. Beiden Forderungen entsprach ich durch ein sehr einfaches Verfahren, welches ich nichtsdestoweniger für genaue Untersuchungen über die Reflexerregbarkeit drin- gend empfehlen möchte. Ich durchschnitt nämlich in der von Goltz gelegentlich des Quakversuchs angegebenen Weise die Hemisphären durch den Schädel hindurch mit einem starken spitzen Messer etwa in ihrer Mitte, indem ich in einer die hinteren Enden der Augen verbindenden Linie einging. Die Operation ist bei einiger Uebung leicht, sicher und unblu- tig. Dass die Durchschneidung der Hemisphären gelungen ist, davon kann man sich ausser durch die später vorzunehmende Section leicht durch das gleich näher zu schildernde Verhalten des Thieres überzeugen. Der zweite Hauptpunkt ist aber der, dass ich die Thiere erst einige Stunden, oder am folgenden Tage nach der Durchschneidung der Hemisphären zu meinen Versuchen verwandte. Nach Verfluss dieser Zeit haben sich die Thiere von dem Eingriff vollständig erholt und stellen jetzt willenlose, sehr exacte Reflexmaschinen dar. Sie können Wochen lang erhalten werden, und zeigen ein Verhalten, das Goltz näher beschrieben hat und von dem uns folgende Punkte inter- essiren: Sie machen keine spontane Bewegungen; kneipt man sie, so machen sie einen Sprung, um dann wieder ruhig sitzen zu bleiben; reibt man ihnen die Haut des Rückens, so quaken sie. Von solchen Thieren nun habe ich mich durch zahlreiche Versuche überzeugt, dass bei ihnen die Reflexerregbarkeit nur sehr geringen Schwankungen unterworfen ist. Im Verlaufe einiger Stunden, ja selbst an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, schwankt die Zeit, nach welcher die Pfoten aus der Säure ge- zogen werden, um höchstens 4—6 Metronomschläge, mag man nun die Prüfungen sehr oft und rasch hintereinander, oder in grösseren Zwischenpausen vornehmen. Die Reflexerregbarkeit dieser Thiere kann uns in ausgezeichneter Weise als relativ normale dienen; sie bietet uns eine constante, mit der des un- verletzten Thiers ziemlich übereinstimmende Grösse, mit der ınan etwaige Veränderungen der Reflexerregbarkeit vergleichen „5 5 ER TE k % H » SM Die physiologische Wirkung der Digitalis u. s. w. 259 kann, Ich werde in Zukunft der Kürze halber solche Thiere, denen einige Stunden oder den Tag zuvor die Hemisphären durch den Knochen hindurch quer durchschnitten wurden, als „Reflexfrösche* bezeichnen. — Ausdrücklich betone ich noch, dass zu den Versuchen mit Digitalis nur Thiere angewandt wurden, die eine mindestens halbstündige Vorprüfung, inner- halb welcher ihre Reflexerregbarkeit höchstens um 4—6 Schläge schwanken durfte, mit Erfolg bestanden hatten. Hie und da war bei einem Thiere, das am Tage der Operation diess Examen nicht bestehen konnte, am darauffolgenden die Reflexaction so constant geworden, als man es nur wünschen konnte. Fast von derselben Wichtigkeit für das Gelingen der Ver- suche ist eine richtige Concentration der zur Prüfung verwand- ten Säure. Von Titrirung derselben kann man absehen; sie soll schwach sauer schmecken und von solcher Verdünnung sein, dass der Reflexfrosch die Pfote nicht vor 5 u. nicht nach 15 Metronomschlägen auszieht. Die hierzu erforderliche Stärke der Lösung ist bei verschiedenen Thieren sehr variabel, und muss bei jedem Individuum durch einen Vorversuch ausprobirt werden. Die Pfote muss natürlich, während man die andere, ‚ohne sie zu drücken, leicht in die Hand nimmt, jedesmal gleich weit und gleich rasch eingetaucht, und dann sofort mit reinem Wasser abgespült werden. Man thut gut daran, zwischen dem Eintauchen der linken und rechten Pfote dem Thiere 30—40 Secunden Ruhe zu gönnen. Wird eine Pfote nach 60 Metro- nomschlägen nicht ausgezogen, so unterbricht man den Ver- such, weil die allzu lang dauernde Einwirkung der Säure die Erregbarkeit der sensiblen Nerven modificiren könnte. Nach diesen vielleicht manchem überflüssig scheinenden Vorbemerkungen, die indess dazu dienen werden, dem Leser Vertrauen in die mit meiner Methode gewonnenen Resultate einzuflössen, weil sie den Einwand, dass derartige Versuche wegen der schwankenden Grösse der Reflexerregbarkeit wenig Werth haben, vollkommen entkräften, wende ich mich zur Auf- führung der einzelnen Experimente. Ich benutzte Anfangs ein Infus. herb. digit. v. 10,0 auf 100,0; später nur noch Digitalin, 0,ı auf 50,0 aq. dest.: ein, wie 17* 260 Dr. A. Weil: mir scheint, sehr reines Präparat von Simon. Beide Mittel wurden subeutan injieirt, dann von Zeit zu Zeit die Reflexerreg- barkeit gemessen. Erster Versuch. Man sieht, wie constant die Reflexfrosch. | Reflexerregbarkeit während 45 Mi- L | nuten bleibt. (linkes Bein.) a "Bein. ) 7 (d.h.nach7Sehlä- 13!) Fa Kor Ben sen Ausziehen des linken Beines.) EN 8 11 Injection v. 1,5 Infus. 5 12 60 k FA 9 17 5 60k 60k 5 12 24 0) 60 k 60 k 5 24 40 Decapitation. 5 48 60kca.n. 9 12 nach 60 Sehlägen wird die 5 10 11 Pfote nicht ausgezogen.) Decapitation.?) 2 i ; . sofort 8 11 NR B : 10 3, Versuch. 20 > Ba Reflexfrosch. 2. Versuch. L. R. Reflexfrosch. 5 8 L. R. 5 6) 5 b) 6 5 10 8 b) 6) 8 5 10 8 10 6 8 Injeet. v. 2,0 Infus. 5 5 9 5 60k 12 5 6 10 Pb} 60 k 60 k 10 6 9 5 37 39 10 5 6 5 60k 60k 1) Ich habe der Raumersparniss halber nur in einigen Beispielen die Resultate der Vorprüfung ausführlich angegeben ; meist beschränkte ich mich darauf, nur das Mittel aus den 4#—1 Stunde umfassenden Beobachtungen, oder die den letzten 10 Minuten entsprechenden Zah- len anzuführen. 2) Diese Zahlen bedeuten ein für allemal die Zahl der Minuten, welche zwischen der betreffenden und der vorhergehenden Prüfung liegt. 3) Ich brauche den Ausdruck der Kürze halber und meine damit immer Durchschneidung der Med. oblong. am untern Ende der Rauten- grube mittelst eines ziemlich kleinen durch Haut, Nackenmuseulatur und Membrana oecipito-atlantica geführten Schnitts. Ebenso ist der Ausdruck: „Decapitirtes Thier“ aufzufassen. Die physiologische Wirkung der Digitalis u. s. w. Decapitation. L. R. 17 17 5 14 1 UL 4. Versuch. Reflexfrosch. L R. 6 10 h) 10 9 b) 7 9 6) 7 7 Injeet. v. 1,0 Infus. 5 60 k 60 k 5 60 k 60 k b) 60 k 60 k 10 60 k 60 k 5 60 k 60 k 10 60 k 60 k 10 60k 60k b) 60 k 60 k 15 60 k 60 k Decapitation. 60 k 31 6) 17 17 Dieser Versuch zeigt, dass der Zustand erschwerter Thätigkeits- äusserung, den Reizung der Hem- mungscentra inden Ganglienzellen des Rückenmarkes hervorruft, noch eine kurze Zeit fortdauert, nach- dem dieselben bereits dem Einfluss des Gehirns entzogen. 5. Versuch. Reflexfrosch, L. R. 7 7/ 6) 8 10 Inject. v. 0,001 Digitalin. hi) 14 14 b) 15 17 10 60 k 60 k Decapitation. 19 22 b) 10 12 | | 261 L. R. b) 12 12 30 12 10 6. Versuch. Reflexfrosch. L. R. b) 7 5 5 6) Inject. v. 0,001 Digitalin. bi) 5 6 6) bi) 60 k b) 60 k 60 k 5) 60 k 60 k 10 60 k 60 k b) 60 k 60 k Decapitation. 60 27 d 11 10 5 10 ‚10 Während die Versuche 1—6 den Beweis, dass die Digitalis die Reflexdepression durch Reizung der Hemmungscentra bewirkt, da- durch liefern, dass die Decapita- tion dieselbe zum Verschwinden bringt, und die Reflexerregbarkeit zur Norm zurückführt, so führen die folgenden Versuche zu dem- selben Schluss, indem sie zeigen, dass die Reflexerregbarkeit des decapitirten Thieres durch jene Dosen gar nicht alterirt wird. 7. Versuch. Deeapitirtes Thier L. R. 7 8 7 8 Inject. v. 1,0 Infus. b) 8 8 6) 11 b) 10 10 10 b) 9 8 ah iM} 362 Di. A weil: | Es 83. Versuch. I: R. Decapit. Thier. 5 11 12 L. R. 6) 11 12 6 7 5 11 8 6) 8 i) 8 12 10 u n 2 10. Versuch. 3 3 S Decapitirtes Thier. > . © L. R. ö 9 8 5 6 DDR RS ß 5 5 5 2 s £ 5 7 6 Ei x ? Inject. v. 0,001 Digitalin. 2 . 2 10 13 1 2 . n 5 10 10 Man sieht, wie gering die 5 10° 10 Schwankungen im Lauf einer 5 10 10 Stunde sind. 5 g 6 Inject. v 1,0 Infus. 15 9 7 6) 10 10 10 9 9 6) 12 13 b) 13 13 25 ) b) 6) 11 9 9. Versuch. Decapitirtes Thier. L. R. 5 5 h) 7 8 b) 7 10 Inject. v. 1,0 Infus. D) 10 9 5 10 7 5 8 9 5 11 11 Bei Vergleichung der Dosen, die nöthig waren, um die reflexdepri- mirende Wirkung zu erzielen, er- giebt sich, dass das Digitalin etwa 100 mal so stark wirkte, als das Infus. Von ersterem genügte 0.101; vom Infus 1.0, welches die lös- lichen Bestandtheile v. 0,ı ent- hält. Ich brauche wohl kaum zu er- wähnen, dass Controlversuche mit Injection von Wasser in viel grösseren Quantitäten, als bei den Digitalisversuchen eingeführt wer- den mussten, ergaben, dass da- durch die Reflexerregbarkeit nicht im mindesten geändert wurde. Nachdem durch diese ersten Versuche klar geworden, dass die Digitalis in den dabei angewandten Dosen in der That rei- zend auf das Reflexhemmungscentrum wirkt, während sie das Rückenmark intact lässt, galt es folgende Fragen zu entscheiden: I. Wie gestaltet sich die Wirkung verschieden grosser Dosen Digitalin auf das Reflexhemmungscentrum, wie lange NEE ONE 4 I Ah RER ss h » Die physiologische Wirkung der Digitalis u. s. w. 263 nach der Application des Mittels tritt die Depression ein, wie lange dauert sie, wie lange nach ihrem Eintritt lässt sie sich durch die Decapitation aufheben? Tritt ein Zeitpunkt ein, in dem diess nicht mehr möglich ist, mit andern Worten, kommt ein Moment, in welchem die Digitalis auch lähmend auf die Medulla spinalis wirkt? II. Kommt die Abnahme der Reflexbewegungen durch einen direct reizenden Einfluss der Digitalis auf die Substanz der Hemmungscentra zu Stande, oder ist sie indirect ein Effect der durch die Digitalis bedingten Veränderungen der Bluteireula- tion, oder findet beides statt? Eine Vorfrage hierzu ist III. Wie wirken die verschiedenen bei I. zur Verwendung kommenden Dosen auf's Herz? (Von der Respiration können wir absehen, da nur grössere Dosen Digitalin dieselbe erst ver- langsamen, dann zum Stillstand bringen, und diese Wirkung viel später, als die Reflexdepression eintritt ) Die Versuche I. und III. können an ein und demselben Thiere gemacht werden, indem man dem Reflex- oder decapi- tirten Frosch mit möglichster Schonung das Herz bloss legt. Auch solche 'Thiere zeigen, nachdem man ihnen 10 Minuten Erholung von dieser Operation gegönnt, nur äusserst geringe Schwankungen in der Reflexerre:barkeit, höchstens im Betrag von 3—D Schlägen, vorausgesetzt, dass die Blosslegung des Herzens ohne erheblichen Blutverlust geschieht, was sehr leicht gelingt. Auch diese „Reflex- und decap. Frösche mit blossge- legtem Herzen“ mussten erst eine halbstündige Vorprüfung be- stehen, ehe sie zu Digitalisversuchen zugelassen wurden. | 11. Versuch. F.(zahl dee L. R. Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. Hecone) F.(Zahl der L. R. B) 44 60 k 54 Herzcontr.) | 5 40 60 k 60 k 64 6 ö 5 40 6ok 50 Ö) 64 ö 5 5 40 60k 4 ö 86 8 7 10 20 ok 4 ö 36 9 7 Decapitation. Injeet. v. 0,001 Digitalin. 90 11 10 b) 52 10 11 5 20 11 9 5 44 20 11 5 20 13 10 b) 44 60 k 18 264 Dr. A. Weil: 12. Versuch, Decapitation. Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 2 2 2 ur F. L R 5 28 ale 7 76 9 9 5 26 14 5 5 72 6 8 Eine Stunde später. 5 72 11 u 24 60 k 60 k Inject. v. 0,001 Digitalin. 14. Versuch. 5 64 14 16 Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 10 30 10 13 F. L. a BD 28. 60%. 37 2» 2 : 5) 00 60% eoik De - s 5 29 ok 60k Inject. v. 0,001 Digitalin. 5 90 60k 60ok a ß g 100 1a 1 6OMk N Eo,k a) DEE DS 10. 716..% 60. ul 60& 5,0 0 a 3012. 60, 60 5.0 EUR Decapitation. : F Eu: I 60 k 60 k 6) 38 60 k 60 k 5 40 60 k 60 k 13. Versuch. 10 49 60 k 60 k Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. Ti, 39 60 k 60 k F. L. R. | 5 36 60k 60k 60 6 9 50 40 60k 60k ö 60 ö Be Decapitation. 5 50 5 Re 5 40 60k 60k Inject. v. 1,0 aqua. | 15. Versuch. 10 52 5 5 | Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 10 52 5 5 | F. L. R. ‚ Inject. v. 0,001 Digitalin. 80 5 10 5 .u4D 9 9 b) 72 10 6 5 40 19 7 5 64 8 10 5 24 13 10 Inject. v. 0,002 Digitalin. 5 20 21 60 k 5 40 60 k 60 k 5 18 27 60 k 5 38 60 k 60 k 5 24 60 k 60 k 5 30 60 k 60 k 5 24 60 k 60 k Decapitation. 5 96 60 k 60 k sofort 30 60 k 60 k 5 24 600k 60k ö 30 16 7 5 28 60k 60k ö 30 7 7 5 24 60 k 60 k 5 nur noch 7 8 5 96 60 k 60 k die Atrien contrahiren sich, 5 24 60k 60k 5 0 8 8 5 24 60k 60k 10 0 7 7 5 26 60k 60k ö 0 11 11 5 24 60 k 60 k b) 0 60 k 60 k 265 Die physiologische Wirkung der Digitalis u. s. w. 16. Versuch. Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 18. Versuch, Decapit. Thier mit blossgel. Herzen. il L. R. F. L. R. 72 8 8 70 5 5 b) 64 7 7 b) 64 d 5 5 56 11 8 5 60 6) 5 Inject. v. 0,002 Digitalin. Injeet. von 0,001 Digitalin. 5 54 60 k 60 k 10 48 4 b) 5 48 60 k 60 k 5 22 4 b) 6) 22 60 k 60 k 10 22 5 6) 5 14 60 k 60 k 10 14 5 6) Auf eine Kammersystole kommen 10 18 ö ö mehrere Contractionen der Atrien. 10 16 6 6 5 14 60k 60k 2 8 { 2 Decapitation. a Y g z 14 60 k 60 k b) 0 60k 60k 5 0 60 k 60 k 19. Versuch. 5 0 60k 60k Decapit. Thier m. blossgel. Herzen. 5 AN. F. L. R. 17. Versuch. 62 5) 5 Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 5 52 5 5 F. L. R. Inject. von 0,002 Digitalin. 72 0) 5 5 52 6) 6) b) 64 5 6) 6) 40 b) 5 6) 64 6) 6) 6) 0 7 7 b) 64 5 6) B) 0 13 10 Inject. v. 0,002 Digitalin. "in 5 0 60k 60 k 3 6 8, ,60k 20. Versuch. 5 52 60k 60k | Decapit. Thier mit blossgel. Herzen. 5 28 60k 60k | F. 1 R. 5 22 59 GORkı 0.) 64 10 5 6) 12 60k 60K& | 5 60 8 5 5 10 60k 60Kk Inject. von 0,002 Digitalin. Decapitation. 5 46 11 6 5 0 6 11 0) 42 12 6 b) 0 7 9 10 0 12 6 5 0 50 44 b) 0 60 k 8 5 0 60k 60k 6) 0 60 k 60 k Aus den Versuchen 11 —20 und Versuch 6 ergeben sich folgende Antworten auf die unter I. und III. gestellten Fragen: 1) Kleine Dosen Digitalin (0,001) verlangsamen die Herz- action des Reflex- und decapitirten Frosches sehr beträchtlich. BE REN as EASÜEEE SER or von Re) T 266 Dr. A. Weil: Während sie Stillstand des Herzens beim Reflexfrosch selbst nach 1 Stunde (Versuch 12), 2 Stunden (Versuch 14), 3 Stun- den (Versuch 13) nicht bewirken, geschah diess bei einem de- capitirten Thiere nach einer Stunde 15 Minuten (18). — Grössere Dosen (0,002) führen bei beiden Arten erst Verlangsamung, dann Stillstand der Herzaction herbei, letzteres bei Reflex- fröschen nach 30 Minuten (15, 16, 17), bei decapitirten Thieren nach 15 Minuten (19) bis 20 Minuten (20). 2) Sowohl kleine als grosse Dosen wirken reizend auf das Reflexhemmungscentrum ein; nach kleinen Dosen tritt die Wir- kung nach 10 (11) 15 (14, 6) oder 20 Min. (12) ein, dauert fort ‚bis zum Tode des Thieres und lässt sich noch 25 Minuten (6), 40 Min. (11), 1 Stunde (13) nach ihrem Eintritt durch die De- capitation aufheben. Bei grossen Dosen tritt sie constant schon nach 5 Minuten ein (15, 16, 17), dauert ebenfalls bis zum Tode und lässt sich 10 Minuten (15) 20 Minuten (17) nach ihrem Ein- tritt durch Decapitation aufheben. 3) Sowohl bei kleinen als grossen Dosen tritt ein Zeit- punkt ein, in welchem Durchschneidung der Medulla oblongata die Reflexerregbarkeit nicht wiederherstellt, in welchem also zur Reizung der Hemmungscentra Lähmung des Rückenmarks getreten ist. Dieser Moment kommt erst sehr spät, bei kleinen Dosen nach 1 Stunde 20 Minuten (13), 2'/, Stunden (13); bei grossen nach 25 Minuten (19) 30 Minuten (20) 40 Minuten (17) 55 Minuten (15). Vor Ablauf dieser Zeit ist die Wirkung der Digitalis, soweit sie die Reflexerregbarkeit betrifft, auf das Ge- hirn beschränkt. Nach Entscheidung dieser Punkte wenden wir uns zur Be- antwortung von II., ob nämlich die Reizung der Hemmungscentra, sowie die schliesslich eintretende Lähmung des Rückenmarkes durch die directe Einwirkung der Digitalis auf diese Nerven- centra bedingt sei, oder erst mittelbar von der durch die Digi- talis bewirkten Verlangsamung der Herzaction herrühre. Es könnte für den ersten Augenblick unnütz erscheinen, diese Frage zu discutiren. Ich glaube diess nicht, und zwar aus folgenden Gründen: Liesse sich zeigen, dass Verlangsa- mung der Herzaction die Reflexerregbarkeit durch Reizung der Die physiologische Wirkung der Digitalis u. s. w. 267 Setschenow’schen Centren herabsetzt, so wäre damit dieselbe Wirkungsweise für alle diejenigen Stoffe nachgewiesen, welche die Zahl der Herzschläge verringern. Ferner, und diess scheint mir der wichtigere Punkt zu sein, musste zur Lösung dieser Frage der Einfluss studirt werden, welchen die Bluteirculation auf die Hemmungscentra ausübt. Dabei aber ergaben sich viel- leicht Gesichtspuncte, die zur Vergleichung mit dem Verhalten dienen konnten, welches bei Säugethieren andere „automatische Centren“, namentlich das des regulatorischen Herznervensystems und der Respiration zeigen. Die Wege, auf denen sich diese Vorfrage über den Einfluss der Circulation auf die Reflexhem- mungscentra beantworten liess, waren folgende: A. Beobachtung der Reflexe bei Reflex- und decapitirten _ Fröschen, die durch Abschneiden des Herzens blutleer gemacht werden. B. Dieselbe Beobachtung bei Thieren, deren Herz durch locale Application eines Tropfens einer concentrirten Lösung von Kalı nitricum zum Stillstand gebracht wird. C. Dieselbe Beobachtung bei Thieren, deren Herzaction verlangsamt wird. Man kann diess, wie ich gefunden, durch örtliche Application eines Tropfens einer zehnprocentigen Sal- peterlösung erreichen. A. Einfluss der Entblutung auf die Reflex- erregbarkeit. Die Versuche gestalten sich in der Weise, dass einem Re- flex- oder decapitirten Frosch mit Vermeidung jeder Blutung das Herz blossgelegt wird. Nachdem er in halbstündiger Vor- prüfung die Constanz seiner Reflexerregbarkeit bewiesen, wird das Herz am Ursprung der grossen Gefässe abgeschnitten. 21. Versuch. T.. R. Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. | 5 60 k 60 k L BR. 7 9 | Decapitation. 5 11 14 | 14 14 Durchschneidung des Herzens. | 5 2 10 sofort 60k 60k | 10 7 5 268 Dr. A. Weil: 22. Versuch. | L. R. Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. _ 5 10 8 L. R. 45 9 8 8 7 | Entblutung. 5 10 9 | 5 ei Entblutung. | 2 36 0 60k 60k | ? SE DEU | 60/8 | 2 N Decapitation. | : ee 9 8 | 5 31 3 5 9 8 | 6) 29 25 5 9 7 SORT 5 60 k 60 k 5 g g | 26. Versuch. ———————— Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 23. Versuch. | L. R. Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 5 7 L. R. | 5 7 5 7 10 Enntblutung. 5 7 10 60 k 60 k 5 8 11 | 5 60 k 60 k Entblutung. 5 37 15 sofort 27 25 5 21 24 2 31 33 5 22 22 3 40 36 5 60 k 60 k 5 21 16 | 27. Versuch, 5 21 16 ' Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 5 24 16 | DL: R. 5 600k 60k | 7 9 Be | 5 7 10 24. Versuch. | 5 7 11 Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. | Entblutung. yBy R. | 60 k 60 k 12 8 5 21 60 k 5 6 8 2 29 60 k Entblutung. | Decapitation. sofort 9 60 k | ’ == er 5 60k 6ok | 3 “ it 5 24 60k 3 h “ lan... na. ul De ——- — | 28. Versuch. 25. Versuch. ' Decapit. Thier m. blossgel. Herzen. Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. L. R. L. R. | 6 8 7 7 | 5 5 6 Die physiologische Wirkung der Digitalis u. s. w. 269 Entblutung. L. R. L. R. 5 10 8 b) 6 16 13 b) 6 6 B) 60 k 60 k 2 r 3 30. Versuch. ii SAN Be Decapit, Thier E Da ge 29. Versuch. 5 B) Decapit. T'hier m. blossgel. Herzen. Sr, 5 5 L. R. Entblutung. 6 8 D) 6) 10 7 7 3 D) P) Entblutung. 4 5 5 8 7 3 6) 6) 5 7 7 | 5 7 7 5 10 8 5 ..00k 60k Aus den Versuchen über die Entblutung lassen sich fol- gende Sätze abstrahiren: 1) Bei entbluteten Thieren, mögen ihnen die Hemisphären, oder die Medulla oblongata quer durchschnitten sein, erlischt die Reflexerregbarkeit sehr rasch, im Verlauf von 20 bis 30 Mi- nuten. 2) Auf das Rückenmark selbst äussert die Entblutung keinen directen Einfluss. Bei decapitirten Thieren ändert sich die Re- flexerregbarkeit in den nächsten 20 Minuten nach der Operation nicht (28, 29, 30). 3) Die Entblutung wirkt direct reizend auf die Reflex- hemmungscentra. Die Wirkung tritt sofort ein (21, 22, 26, 27), oder erst nach einigen Minuten (24, 25), dauert in ihrem Maxi- mum 5— 10 Minuten (23, 24, 25, 26), verschwindet dann zum Theil, um schliesslich dem absoluten Verlust der Erregbarkeit (in Folge von 1)) Platz zu machen. Die reflexdeprimirende Wirkung der Entblutung lässt sich sofort durch die Decapitation aufheben (21, 22, 27). . Dass die Reflexdepression wirklich eine Folge der gestör- ten Circulation, und nicht etwa des durch Abschneiden des Herzens verursachten Schmerzes ist, geht am klarsten daraus hervor, dass sie mitunter erst nach einigen Minuten eintritt. 270 Dr. A. Weil: B. Einfluss des Herzstillstandes auf die Reflex- erregbarkeit. N Die Versuche gestalten sich, wie bei A., nur dass man das Herz, statt es abzuschneiden, durch Application eines Tropfens einer concentrirten Salpeterlösung lähmt. — (Was etwa von diesem einen Tropfen resorbirt würde und in den Kreislauf käme, ist zu wenig, um einen direeten Einfluss auf das Nerven- system äussern zu können ) 31. Versuch. Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 33. Versuch. Reflexfrosch mit blossgel. Herzen | | | 9 5 L. R. L. R. 7 8 10 10 8 6) 9 7 h) 12 10 Herzlähmung. Kali nitr. aufs Herz. sofort 9 60 k Sofort diastol. R 5 25 60 k Stillstand. 45 5l | D) 60 k 40 5 60 k 60 k | Decapitation. 6) 60 k 60 k 14 14 Decapitation. 5 15 12 sofort 11 10 5 17 15 5 9 14 B) 9 11 9 Ü I B) 60 k 60 k 6) 10 ) a ” a a 34. Versuch. Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 32. Versuch. | L. R. Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 5 7 L. R. 9 8 7 7 9 Herzlähmung. 6) 9 11 00 k 60 k 5) Ü 13 5 60 k 60 k Herzlähmung durch Kali nitr. 5 20 20 sofort 60 k 60 k b) 20 20 6) 60 k 60 k 5 12 11 b) 60 k 60 k 5 16 18 B) 60 k 60 k B) 9 14 15 60 k 60 k 5 60 k 15 D) 60 k 60 k ) 60 k 60 k ir ae a R Die physiologische Wirkung der Digitalis u. s. w. 271 35. Versuch. selben Thier zweimal die Reflex- Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. depression durch Herzstillstand be Frequenz der L. R. wirkt wurde; und weil es noch nach Herzschläge.) 50 Minuten gelang, das gelähmte on 6 2 ; Herz wieder in Gang zu bringen. 5 76 b) 6 | nn - Herzlähmung. | 36. Versuch. sofort 0 6 60 k | Deeapit. Thier m. blossgel. Herzen, 5 60 k ok ı NAT, R. D) 60 k 60 k 6 8 5 13 13 5 5 8 ö 13 11 ' Stillstand d. Herzens durch R. nitr. 10 16 13 | sofort D) 10 10 9 10 | 5 7 13 ) 10 SB] 20 9 9 5 ok Cook | 5 60k 60k Es gelang, dürch mechanische Dease Reizung das Herz, nachdem es 37. Versuch. 50 Minuten stillgestanden, wieder | Decapit. Frosch m. blossgel. Herzen. in Gang zu bringen. Sofort steigt br R. die Reflexerregbarkeit wieder B) 5 60 15 19 B) 6) 5 6) 60 17 17 B) d 5 5 69 17 12 Herzstillstand durch Kali nitr. Herzlähmung durch Kali nitr. sofort 5 A sofort 0 16 1 A B) 6 7 3 60 k 60 k 7 7 6 4 60 k 60 k 7 7 6) 8 60 k 60 k 7 16 6) Dieser Versuch ist besonders 9.0.2. 605k 16 lehrreich. weil an ein und dem- 5 60 k 60 k Aus den Versuchen 31—37 folgt: 1) Bei Thieren, deren Herz durch Kalı nitricum zum Still- stand gebracht wurde, erlischt die Reflexerregbarkeit rasch, innerhalb 30 Minuten bis 1 Stunde. 2) Auf das Rückenmark selbst äussert die Herzlähmung keinen directen Einfluss; bei decapitirten Thieren ändert sich die Reflexerregbarkeit in der ersten halben Stunde nach Still- stand des Herzens nicht (36, 37). 3) Herzlähmung wirkt reizend auf die Setschenow’schen Centren. Die Wirkung tritt sofort ein, oder erst nach einiger Zeit (33, 35), dauert bis zum Tode (32) oder 10—15 Minuten 212 ‚Dr. A. Weil: (34, 35) und lässt sich mittelst Decapitation aufheben (31, 33). — Dass auch hier die Reflexdepression Folge der gestörten Cireulation und nicht etwa des Schmerzes sei, geht ausser aus dem mitunter zu beobachtenden allmäligen Eintritt derselben aus Versuch 35 hervor, in welchem mechanische Reizung des Herzens, ein gewiss ebenso heftiger Eingriff, als Application eines Tropfens Salpeterlösung, die Reflexe nicht deprimirt, son- dern steigert, weil sie eben die Circulation wieder in Gang bringst. Vergleicht man die Resultate von A. und B., so springt ihre vollkommene Uebereinstimmung sofort in die Augen. Wie so kommt es, dass Entblutung auf die Setschenow’schen Centren ganz denselben Effect hat, als Herzlähmung, wobei doch die Gehirnsubstanz mit dem Blute noch in Berührung bleibt? Ich glaube, dass die neugeschaffenen Circulationsverhätnisse des Gehirns in beiden Fällen ganz dieselben sind. Bei Lähmung des Herzens wird das Blut in den Oapillaren, sowie kleinen Arterien und Venen des Gehirns stagniren; es wird durch den Wechselverkehr mit der Nervensubstanz sehr bald arm an Sauerstoff, reich an Kohlensäure werden. Ganz dasselbe findet aber auch bei der Entblutung statt; es wird durchaus nicht alles Blut ausfliessen, sondern in den Capil- laren und feineren Gefässen ein Rückstand bleiben, der ebenso, wie das in Folge von Herzlähmung stagnirende Blut, rasch an Sauerstoff verarmen, mit Kohlensäure überladen wird. Beide Momente, Herzlähmung und Entblutung kommen also auf dasselbe hinaus, sie vermindern den Sauerstoff-, vermehren ‚den Kohlensäuregebalt des Blutes. Nun wissen wir aber durch zahlreiche bei Säugethieren angestellte Versuche, dass es bei diesen eine allgemeine Eigen- schaft nervöser Centralapparate ist, ausser Wirksamkeit zu tre- ten, wenn das Blut mit Sauerstoff gesättigt ist, dagegen, wenn dasselbe an O verarmt, in Thätigkeit zu gerathen. Das im verlängerten Mark gelegene Centrum der rhythmischen Athem- bewegungen z. B. stellt seine Thätigkeit ein, wenn das Blut vollständig mit 0 gesättigt ist, die Athembewegungen werden seltener und hören endlich ganz auf, es tritt Apno& ein; erst wenn sich ein gewisser Mangel an O geltend macht, beginnen BRUN 5 If ” Die physiologische Wirkung der Digitalis u. s. w. 273 wieder Respirationen; überschreitet er eine gewisse Grenze, so wird das Athmungscentrum stärker erregt, es entwickelt sich der unter dem Namen Dyspno& bekannte Symptomencomplex; wird dem Blute aller O entzogen, so hört trotz dem starken Reiz die Athmung bald auf, weil das verlängerte Mark dann rasch seine Erregbarkeit einbüsst, es tritt Asphyxie ein. Zuvor aber kommt es noch zu allgemeinen Convulsionen mit epilepti- formem Charakter. Diese verdanken ihre Entstehung ebenfalls dem Reize, welchen das sauerstoffarme Blut auf motorische Centralapparate ausübt; nur gerathen diese erst bei einem höhe- ren Grade von Sauerstoffmangel in Thätigkeit, als das Ath- mungscentrum. Auf dieselbe Weise, wie bei der Erstickung, entstehen die Convulsionen bei den bekannten Versuchen von Tenner und Kussmaul; nur dass hier nicht die gesammte Blutmasse an O verarmt, sondern nur dasjenige Blut, welches in den kleineren Gehirngefässen in Folge der Unterbindung der zuführenden Arterien stagnirt. — Genau so, wie das Centrum der Athembewegungen, verhalten sich das des regulatorischen Herznervensystems und der vasomotorischen Nerven; auch sie treten, wenn das Blut mit O gesättigt ist, ausser Wirkung, ge- rathen in Thätigkeit, wenn dasselbe ärmer an O wird. Dieses durchgreifende Gesetz brachte mich auf den Ge- danken, das Verhalten der Reflexhemmungscentren bei Entblu- tung oder Herzlähmung in derselben Weise zu erklären, die dabei zweifellos auftretende Thätigkeit jener Apparate als eine Folge des O-Mangels aufzufassen. Dieser wird sich in manchen Fällen erst nach einiger Zeit geltend machen, daher der mitunter erst einige Minuten nach der Herzlähmung zu beobachtende Eintritt der Reflexdepression. Letztere verschwin- det meist nach etwa 10 Minuten, weil die Reflexhemmungs- centra dann ihre Erregbarkeit verlieren, ebenso wie bei Säuge- thieren trotz fortdauerndem Sauerstoffmangel aus demselben Grunde Asphyxie eintritt. Ist diese Anschauungsweise richtig, so wird ein geringerer Grad von Reflexdepression eintreten, als bei Herzlähmung, wenn es uns gelingt, durch Verlangsamung der Herzaction einen ge- ringeren Grad von Sauerstoffmangel (und Kohlensäureüberladung) Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 18 274 Dr. A. Weil: in dem das Gehirn umspülenden Blute herzustellen, als diess bei vollständiger Aufhebung der Circulation der Fall ist. Diess verhält sich in der That so nach C. Beobachtung der Reflexe bei Thieren, deren Herzaction durch einen Tropfen lOprocentiger Lö- sung von Kali nitr. verlangsamt ist. 38. Versuch. F. L. R. Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. | 5 60 6 6 F. L. R. 10 56 6 6 64 6 BR Kali nitr. aufs Herz. 5 60 7 Ze 5 36 12 18 5 60 6 9 B) 36 16 16 ı Tropfen Lösung aufs Herz. 5 32, 7922 24 Sa 7 9 a: 18 10 44 16 15 15 40 26 26 5 44 12 13 Decapitation. b) 50 9 9 40 10 10 5 48 8 10 5 4 10 10 5 40 15 18 41. Versuch. 5 50 11 11 Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 39. Versuch. > e 2 Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 5 60 5 6 F. L. R. Kali nitn : e E h ali nitr. aufs Herz, 6) 92 7 8 n nr x i 10 36 13 18 SE 10 40 19 16 Kali nitr. aufs Herz. RE Decapitation. 6) 50 15 16 | 5 40 6 5 5 ++ 13 17 | 5 40 6 6 5 42 17 19 ji et I = 15 52 15 15 42. Versuch. Decapitation. | Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. 5 48 9 9 | Br L. R. 10 48 7 10 64 6 D) TEEN 9 56 9 6 40. Versuch. | Kali nitr aufs Herz. Reflexfrosch mit blossgel. Herzen. | 5 36 15 14 F. L; R. | 5 32 23 24 68 6 6 ed 32 19 18 Der Verlangsamung der Herzaction entspricht also eine Herabsetzung der Reflexerregbarkeit. Sie ist geringer, als bei s r « % Die physiologische Wirkung der Digitalis u. s. w. 275 Herzlähmung und wird mit Recht auf Reizung der Reflexhem- mungscentra bezogen, weil sie sich durch Decapitation beseiti- gen lässt (39, 40, 41), und bei decapitirten Thieren nicht ein- tritt (18, 19). Wenn schon hiernach die oben von mir ausgesprochene Ansicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit gewinnt, so schien es mir doch wünschenswerth, den directen Beweis dafür zu liefern, dass es wirklich der Sauerstoffmangel ist, der die Thätigkeit der Reflexhemmungscentra auslöst. Ich musste zu diesem Ende nachweisen, dass, so lange das Rückenmark mit dem Gehirn in Zusammenhang steht, jedesmal Reflexdepression eintritt, wenn dem Blute auf irgend eine Weise O entzogen wird, dass diess dagegen beim decapitirten Thiere nicht der Fall ist. Die Wege, die ich einschlug, um das Blut ärmer an O zu machen, waren folgende: D. Ausschneidung der Lungen. E. Längeres Verweilenlassen des Frosches in einer Wasser- stoffatmosphäre. F. Vergiftung mit Schwefelwasserstoff. Was zunächst die Ausschneidung der Lungen betrifft, so musste ich mir zum Voraus sagen, dass diese Versuche in so- fern zweideutig seien, als ein negatives Resultat bei der grossen Unabhängigkeit des Frosches von der Lungenathmung, die er durch die Hautrespiration zu ersetzen vermag, nichts gegen meine Ansicht beweisen würde; um so mehr würden positive Erfolge, d.h. Sinken der Reflexe nach Ausschneidung der Lungen zu Gunsten derselben sprechen. Die Operation kann ohne jeden Blutverlust in der Weise ausgeführt werden, dass man beider- seits in der Seitenwand des Rumpfes bis auf die Lungen kleine Einschnitte macht; durch diese stülpt das Thier die Lungen aus, welche nun möglichst nahe der Wurzel unterbunden und vor der Ligatur abgeschnitten werden. Unter zehn Versuchen, die ich anstellte, blieb beim Reflexfrosch nur einmal die Re- flexerregbarkeit ungeändert; in allen übrigen Fällen trat 10 bis 15 Minuten nach Ausschneidung der Lungen erhebliches Sinken derselben ein; die Depression verlor sich nach 10 bis 15 Mi- nuten wieder, liess sich durch Decapitation sofort beseitigen. 18* BEER TTERTEN DE RT I) IE re 7 FR 276 Dr. A. Weil: Bei decapitirten Thieren hatte Ausschneidung der Lungen nie ein Sinken der Reflexe zur Folge. ' Ich lasse einige Beispiele folgen: 43. Versuch. ] L. R. Decapitirtes Thier. 5 7 6 L. R. Ausschn. d. Lungen. ® 2 5 7 6 Dre © 5 60 k 40 Ausschneidung der Lungen. 5 ok 3 5 2 5 33 19 10 5 5 5 27 13 10 5 5 5 20 11 10 5 2 Decapitation. 10 5 5 5 9 44. Versuch. Reflexfrosch. iD R. 46. Versuch, 5 5 Reflexfrosch. 5 5 5 L. R. Ausschn. d. Lungen. 14 18 11 10 Or 12 17 5 15 10 Ausschn. d. Lungen. {) 17 11 6) 17 17 5 60 k 60 k 6) 20 27 D) 60 k 60 k 5 49 30 Decapitation. 5 60 k 39 13 13 5 60 k 35 5 e) 9 Decapitation, LEER 15 12 Da erneeeh. 5 5 12 14 8 5 0) 13 12 Noch sicherer, als durch Ausschneidung der Lungen, kann man dem Blute dadurch Sauerstoff entziehen, dass man die Thiere längere Zeit in einer Wasserstoffatmosphäre verweilen lässt. Nachdem ihre Reflexerregbarkeit genau bestimmt ist, setzt man sie in einen Glascylinder, durch den ein zjemlich starker Strom von Wasserstoff geleitet wird. Nach etwa 15—20 Minuten athmen die Thiere sehr frequent und mühsam, werden äusserst unruhig; ihre Bulbi treten stark hervor; jetzt Die physiologische Wirkung der Digitalis u. s. w. 277 werden sie herausgenommen und die Reflexe sofort geprüft. Constant war bei Reflexfröschen die Erregbarkeit gesunken; auch hier glich sich die Reflexdepression nach einiger Zeit von selbst aus, liess sich sofort durch Decapitation beseitigen. Bei decapitirtenThieren trat selbst nach halbstündiger Einwirkung des Wasserstoffgases nicht die geringste Aenderung der Reflexe ein. Von vielen Versuchen will ich nur zwei anführen: 47. Versuch. 48. Versuch. Reflexfrosch. Reflexfrosch. L:. R. Pr R. 8 7 ß 2 } 5 11 12 Das Thier verweilt 20 Min. in ö 9 9 H. Sofort nach der Herausnahme 15 Minuten lang Einwirkung v.H. 60 k 60 k Dann sofort 60 k 60k d 600k 60k 5 60k 60k 5 60 k 60 k 5 60 k 60 k Decapitation. 5 11 1l Ebenso positive Resultate ergab die Vergiftung der Thiere mit Schwefelwasserstoff. Alle Wirkungen des HS lassen sich bekanntlich nach den Untersuchungen von Rosenthal und Kaufmann darauf zurückführen, dass er den Blutkörperchen Sauerstoff raubt. Die Erscheinungen, unter denen mit HS ver- giftete Säugethiere zu Grunde gehen, Dyspno&, Pupillendilata- tion, Convulsionen, sind einfach die der Erstickung. — Ich spritzte den Fröschen kleine Gaben von mit HS gesättigtem Wasser unter die Rückenhaut ein, Dosen, die die Herzaction nur mässig verlangsamen, und dem Thiere weiter keinen Scha- den zufügen; gleichzeitig beobachtete ich die Zahl der Herzcon- tractionen. Die Resultate sind denen bei der Einwirkung von Wasserstoff ganz analog; die Herzverlangsamung ist nicht im Stande, die Reflexdepression zu erklären, da letztere nach Ver- such 49 auch dann eintritt, wenn die Zahl der Herzschläge gar nicht vermindert wird. 378 Dr. A. Weil: 49. Versuch. ae L. R. Reflexfrosch. 5 38 17 31 F. L. R. 5 42 16 18 60 10 10 b) 58 20 20 i) 98 e) 9 Decapitation. 10 52 11 2) 58 1l 16 10 52 7 10 5 54 10 10 Inject. v. 0,25 HSwasser. h) 56 8 10 2 = u: Sun 51. Versuch. ” = u > Reflexfrosch. 6) 50 13 10 F. TE R. 50. Versuch. | 64 6 5 Reflexfrosch. | 5 64 5 8 F. L. R. | Injeet. v. 0,5; HSwasser. 54 6 6 | sofort 6) 8 6) 52 6 6 | D) 36 15 17. D) 50 2 6) 6) 94 30 19 Inject. v. 0,5 HSwasser.. 5 92 60 k 60 k 5 30 ok. 60k 5 52 600k 60k 5 30 60 k 60 k | Decapitation. 6) 40 60 k ck ı 54 8 8 5 36 60k 60k 5 54 8 8 Vergleicht man die Ergebnisse von D, E und F, so wird man nicht umhin können, dem Satze, dass „der Sauerstoffmangel (oder die Kohlensäureüberladung) die Reflexhemmungscentren reizt,* mehr als den Werth einer Hypothese zuzuerkennen. Sehen wir nun zu, wie weit uns die bei der Untersuchung des Einflusses der Circulation auf die Reflexhemmungscentra unter A, B, C gewonnenen Resultate in Stand setzen, unsere Frage II., die den Ausgangspunkt für jene Untersuchungen bildete, zu entscheiden, die Frage nämlich, ob der reizende Einfluss der Digitalis auf die Reflexhemmungscentra ein directer, oder indi- recter, durch ihre Wirkung auf’s Herz vermittelter sei. Ich komme zu folgenden Schlüssen: Da Verlangsamung der Herzaction die Setschenow’schen Öentren reizt, die Digitalis aber die Herzaction verlangsamt, so ist ihre reflexdeprimirende Wirkung zum Theil auf die ver- langsamte Circulation zurückzuführen. Da ferner die herab- gesetzte Herzaction allein nicht im Stande ist, so bedeutende Reflexdepressionen hervorzurufen, wie sie schon bei kleinen 1 A Ä “ n“ R ’ Die physiologische Wirkung der Digitalis u. s. w. 279 Dosen Digitalin (0,001), die die Zahl der Herzschläge nur wenig vermindern, eintreten, (vgl. Versuch 14 und 40), so sind wir zur Annahme genöthigt, dass die Digitalis ausserdem direct reizend auf die Reflexhemmungscentra wirkt. Diess geht mit Sicherheit aus den Versuchen hervor, bei welchen die Reflex- depression vor der Verlangsamung der Herzaction eintritt (16, 17). — Die schliesslich eintretende Lähmung des Rücken- markes ist zum allergrössten Theile von der directen Einwir- kung der Digitalis abhängig; es folgt diess daraus, dass, wie wir gesehen haben, die Circulation überhaupt keinen unmittel- baren Einfluss auf die Medulla spinalis ausübt, sowie aus dem Umstande, dass letztere auch in den Fällen gelähmt wird, in denen keine Herzlähmung statt hat (13, 14). Nur zum klein- sten Theile, und auch diess nur bei grossen Dosen, welche Herzstillstand zur Folge haben, ist die Lähmung des Rücken- marks von diesem bedingt, insofern nach Herzstillstand die Erregbarkeit überhaupt bald erlischt. Der Umstand, dass in diesen Fällen die Lähmung der med. spinalis viel rascher auf den Herzstillstand folgt, als wenn dieser durch Kali nitricum bewirkt ist, spricht ebenfalls für eine directe Einwirkung der Digitalis auf das Rückenmark. Eine kurze Zusammenstellung der von mir gefundenen Thatsachen glaube ich um so eher unterlassen zu können, als die aus den einzelnen Versuchsreihen sich ergebenden Folge- rungen am Schlusse derselben immer in wenige Sätze zusam- mengefasst wurden. Eines aber kann ich nicht umhin, auszu- sprechen, die Hoffnung nämlich, dass diese Blätter ihr Scherf- lein dazu beitragen möchten, den Reflexhemmungscentren ein dauerndes Bürgerrecht in der Physiologie zu sichern. Diese Organe selbst wurden bei meinen Versuchen intact gelassen, ihr Vorhandensein nur aus ihrer Wirkungsweise erschlossen. - Wenn wir sehen, dass gewisse Veränderungen der Reflexerreg- barkeit (Herabsetzung) nur eintreten, so lange gewisse Theile des Gehirns (Seh- und Vierhügel) mit dem Rückenmark zu- sammenhängen, wenn wir sie sofort verschwinden sehen, sobald 280 Dr. A. Weil: Die physiologische Wirkung u. s. w. letzteres dem Einfluss jener Gehirntheile entzogen wird, so können wir nicht umhin, die erwähnten Veränderungen der Reflexerregbarkeit als solche aufzufassen, die durch diese Par- tien des Gehirns in irgend welcher Weise bedingt sein müssen. Nun wissen wir aber, dass Lähmung im Gehirn gelegener Appa- rate nicht Depression, sondern Steigen der Reflexe zur Folge hat. "Folglich kann der Zustand, in welchem sich Seh- und Vierhügel befinden, wenn sie ein erschwertes Eintreten der Reflexe hervorrufen, nur ihrer Thätigkeit, ihrem Reizungszu- stande entsprechen. Apparate aber, deren Reizung Herab- setzung der Reflexe hervorruft, sind „Reflexhemmungsmecha- nismen.“ Zum Schlusse drängt es mich, Hrn. Prof. du Bois-Rey- mond, der mir die Ausführung dieser Arbeit im physiologi- schen Laboratorium der Universität Berlin freundlichst ge- stattete, für diese Erlaubniss meinen herzlichsten Dank zu sa- gen. — Desgleichen fühle ich mich Hrn. Prof. Rosenthal zu Dank verpflichtet, der mich, als ich ihm den Plan meiner Arbeit mittheilte, zur Ausführung derselben ermunterte, der mir durch manchen Wink aus dem reichen Schatz seiner Er- fahrung über die ersten Schwierigkeiten, welche die Technik des Experimentirens dem darin minder Geübten bereitet, glück- lich hinweghalf, und durch das stete Interesse, welches er den von mir gewonnenen Resultaten schenkte, meinen Fleiss und Muth bis zur Vollendung der Arbeit aufrecht erhielt. Dr W, Gruber: Ueber den Fortsatz des Höckers u.s. w. 928] Ueber den Fortsatz des Höckers des Kahnbeines der Fusswurzel — Processus tuberositatis navicu- larıs — und dessen Auftreten als Epiphyse oder als besonderes artieulirendes Knöchelchen. (Ein Beitrag zu den secundären Fusswurzelknochen.) Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Tafel VIII A.) Am Naviculare tarsı kommen zwei bemerkenswerthe Varietäten vor: Die eine Varietät besteht ım Auftreten als vierecki- ger Knochen (Fig. 1), der sechs Flächen aufweiset und seinen Höcker am medialen unteren Winkel sitzen hat. Diese Form des Knochens ist durch die Beschaffenheit seiner lateralen Seite bedingt, welche, statt convex zu sein, abgestutzt oder sogar concav ist. Unter 200 Navicularia von 100 Skeleten hatten 38 (6 rechte und 2 linke) eine Gelenkfläche zur Articu- lation mit dem Cuboideum, die übrigen 4 (rechte) keine solche Gelenkfläche. Der Knochen kommt somit bei dieser Varietät in !/s,; d.F. vor und artieulirt mit dem Cuboideum in !/, d. F,, wie es in der Regel ist.!) 1) Unter 200 Navicularia von 100 Skeleten artieulirten mit dem Cuboideum: 48 rechte und 51 linke; articulirten nicht 282 Dr. Wenzel Gruber: Die andere Varietät besteht in einem Fortsatze, in welchen das hintere Ende des Höckers ausgezogen ist (Fig. 2). Der Fortsatz — Processus tuberositatis navieularis — («) steht unter und hinter dem medialen hinteren Theile des Sulcus navicularis (8) 2—8 Mill. gerade nach rückwärts hervor. Er ist von oben nach unten etwas comprimirt, stumpf, rück- und abwärts abgerundet, aufwärts plan Öder convex oder concav, glatt oder rauh. Er ist etwa in '/,, d. F. überhaupt, und in '!/,, d. F. beim Maximum seiner Ausbildung zugegen. Dieser Fortsatz kann als besonderes Ossiculum persistiren, ‚wie zwei von mir aufbewahrte Navicularia (ein rechtes und ein linkes) von Skeleten Erwachsener beweisen: Das Ossiculum des rechten übrigens normalen Navicu- lare von einem jüngeren Individuum (Fig. 3) ist als eine Epiphyse (x) zu nehmen. Es sitzt unter dem Sulcus navi- cularis (ß) in einer queren tiefen Grube des hinteren Umfan- ges der Tuberositas navicularis (b) an der Stelle des Processus der letzteren. Es hat die Gestalt eines nach der Längsaxe halbirten ovalen Körpers, der den breiteren Pol einwärts und den schmäleren lateralwärts, die eine Fläche vor- und die andere rückwärts kehrt. Die vordere Fläche ist ziemlich an ihrem unteren Abschnitte mit Zacken versehen, die in Lücken der Grube an der Tuberositas navicularis eingreifen ; die hintere Fläche ist glatt, convex, durch -einen queren stumpfen Kiel in ein oberes und unteres Feld geschieden. Seine Länge in transversaler Richtung misst 1 Cent., seine Dicke in verticaler und in sagittaler Richtung: bis 0,s Cent. Dem linken Naviculare fehlte die Epiphyse. Das Ossiculum des linken übrigens normalen Navi- mit dem Ouboideum: 52 rechte und 49 linke. Die Gelenkfläche zur Artieulation mit dem Cuboideum war an 197 einfach, an 2 in zwei Felder geschieden und an 1 doppelt. — Das Navieulare tarsi artienlirt daher ebenso häufig mit dem Ouboideum (% d. F.), wie häufig es damit nicht artiewlirt (4 d. F.). Die Angabe mancher Anatomen, dass, es zur Artieulation mit dem Cuboidenm in der Regel eine Ge- lenkfäche aufweise, ist unrichtig. Br Ueber den Fortsatz des Höckers u. s. w. 283 culare von einem älteren Individuum (Fig. 4 A) ist als ein an der Tuberositas navieularis (b) articulirendes Knöchel- chen (B) zu nehmen. Es sitzt ebenfalls an der Stelle des Processus der Tuberositas unter dem Sulcus navicularis (8) auf einer ovalen, concaven, schräg ab- und rückwärts gerichteten Fläche («) des hintern und untern Umfanges der Tuberositas navicularis (b). Es hat ebenfalls die Gestalt eines nach der Längsaxe halbirten ovalen Körpers, welcher einen Pol ein-, den anderen lateralwärts, diesmal die eine Fläche schräg rück- und abwärts und die andere schräg auf- und vorwärts kehrt. Die vordere obere Fläche, welche auf die Fläche an der Tuberositas navicularis passt, ist eben, an der medialen Abtheilung schwach convex und an der lateralen schwach concav; die hintere untere Fläche ist convex und rauh. Seine Länge in transversaler Richtung be- trägt: 1,2 Cent.; seine Breite: 0,» Cent. und seine Dicke 0,4 Cent. Die Beschaffenheit der Flächen, womit die Tuberositas navicularis und das Ossiculum sich berühren, lassen vermuthen, dass sie überknorpelt, also Gelenkflächen, gewesen waren. Am rechten Naviculare sitzt kein Ossiculum. Das Naviculare tarsi ossifieirt nach übereinstimmenden An- gaben der Anatomen von einem Kerne, der im Körper liegt. Nach A. Rambaud et Chr. Renault!) geht die Ossi- fication zwar von zwei zur Seite der Axe des Naviculare lie- genden zu derselben Zeit erscheinenden Kernen aus, aber diese verschmelzen schon einige Tage nach der Ossification mitein- ander. Nach J. Fr. Meckel?) u. A. fängt die Ossification nach Ablauf des ersten Lebensjahres, nach den Herausgebern von Quain’s Anatomie?) zwischen dem 3. u. 4. Lebensjahre, nach Beclard*) im 5. Lebensjahre und nach Rambaud et Re- 1) Origine et developpement des os. Paris 1864. 8° pag. 237. Atlas Fol. pl. XXV. Fig. 8 e £. 2) Handb. d. menschl. Anatomie. Bd. 2. Halle u. Berlin 1816 p. 271. & 778. 3) J. Quain. Elements of anatomy. 7 edit. Vol, 1. London 1867 p. 114. 4) „Ueber die Osteose.* A. d. Nouv, Jour. de med. Tom. V. et I8A Dr. Wenzel Gruber: nault‘) im Alter von 4'/,—5'/, Jahren an. Das Auftreten des Processus tuberositatis navicularis ausnahmsweise als Epiphyse oder später als articulirendes Ossiculum kann daher nach dem gewönlichen Entwickelungsgange nicht erklärt werden. Wohl aber kann vermuthet werden, dass, wie normaler Weise das knorplige Tuber des Cal- caneus vom 8.—10. Lebensjahre angefangen, oder anomaler Weise das knorplige laterale Tuberculum der hinteren Fläche des Talus?) für sich ossificiren, auch in der knorpligen Tuberositas navicularis ein besonderer Knochenkern durch Bildungsanomalie auftreten könne, von dem aus bald die ganze Tuberositas, bald nur der hintere Theil der- selben ossifieire. Im ersteren Falle und bei Auftreten eines Gelenkes in der Synchondrose zwischen dem Körper und der Tuberositas des Naviculare durch Bildungshemmung, er- giebt sich dann ein die ganze Tuberositas navicularis substituirendes, am Naviculare articulirendes Ossieu- lum, wie H. Luschka°), beiderseits bei einem 17jährigen Jünglinge gesehen zu haben angiebt; im letzeren Falle aber _ ergeben sich unsere den Processus tuberositatis navi- ceularis substituirenden Ossicula, wovon das des jünge- ren Individuums noch wie eine Epiphyse sich verhielt, das des älteren Individuums durch Auftreten eines Gelen- kes in der Synchondrose zwischen ihm und dem vorderen grössten Theile der Tuberositas durch Bildungshemmung sich völlig isolirte und an der Tuberositas navicularis articulirte. VII. in: Meckel’s Arch. f. d. Physiologie. Bd.6. Halle 1820. p. 440. 8. 124. Delle! 2) W. Gruber. „Vorläuflge Mittheil ü. d. secundären Fusswurzel- knochen d. M“ — Dieses Archiv 1864. 'S. 286. 3) Die Halbgelenke d. menschl. Körpers. Berlin 1858. 4° S. 12. Ueber den Fortsatz des Höckers u. s. w 385 Erklärungen der Abbildungen. Fig. 1. Rechtes an der lateralen Fläche abgestutztes Os naviculare tarsi. (Ansicht von Hinten.) Fig. 2. Linkes Os naviculare tarsi mit sehr entwickel- tem Fortsatze am Höcker. (Ansicht von hinten bei aufwärts gerichteter medialer Fläche.) a. Körper; b. Höcker; «. Fortsatz des Höckers — Processus tuberositatis navi- eularis. #. Furche zwischen Körper und Höcker — Suleus navieularis —., Fig. 3. Rechtes Os naviculare tarsi mit einer Epiphyse am Höcker statt seines Fortsatzes. (Ansicht von hinten.) a. Körper; b. Höcker; «. Epiphyse am Höcker; 3. Furche zwischen Körper und Höcker, Fig. 4. Linkes Os naviculare tarsi mit einem articuli- renden Knöchelchen am Höcker statt seines Fortsatzes. A. Os naviculare (Ansicht von der äusseren Fläche bei aufwärts gerichteter hinterer Fläche. a. Körper; b. Höcker; «. Gelenkfläche am hinteren Ende und am hinteren Theile des unteren Umfanges des Höckers. 8. Furche zwischen Körper und Höcker. B. Ossieulum tuberositatis navicularis. (Ansicht von der Gelenkfläche bei verticaler Stellung mit aufwärts gekehr- tem medialen Pole.) 286 Dr. Wenzel Gruber: Duplicität der Arteria ulnarıs — neuer Fall —, (nebst Berichtigungen in gelegentlichen Bemerkungen). Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. Hierzu Tafel VIII. B. Vom Vorkommen einer hoch liegenden Arteria ul- narıs mit einer tief liegenden, also Duplicität der Ar- teria ulnaris in diesem Sinne, hatte ich einen Eall 1848 beobachtet und 1849 beschrieben '), einen anderen Fall 1349 beobachtet und seiner 1852 und 1867 in Kürze erwähnt.?) 1) „Vorkommen von zwei Arteriae ulnares an einer Extremität.“ — Neue Anomalien. Berlin, 1849. 4%, 8. 38. 2) Abhandlungen a. d. menschl. u. vergleich. Anatomie. St. Pe- tersburg 1852. 4°. Abhand. VIII. S. 147. —. „Ueber die neue und constante oberflächliche Ellenbogenbugschlagader (Art. plieae eubiti superficialis) nebst deren beiden Anomalien, der Arteria mediana an- tibrachii superficialis und ulnaris superfieialis.“ — Zeitschr. der k. k. Gesellschaft der Aerzte z. Wien. Jahrg. VII. Bd. 2. 1852. $. 500. — „Ueber die Arteria mediana antibrachii superfieialis, Arteria ulnaris antibrachii superficialis u. Duplieität der Arteria ulnaris.* — Dieses Archiv 1867 8. 686. Duplieität der Arteria ulnaris. 287 J. Hyrtl!) hatte 1860 auch einen Fall beschrieben. W. Theile?) endlich hatte eine seiner Beobachtungen, welche er 1841 als Fall eines dünnen Vas aberrans, das aus der Axillaris entsprang und in der Nähe der Handwurzel in die Ulnaris mündete, 1860 als Fall-von Duplicität der Ulnaris erklärt.) Diesen meines Wissens bis jetzt bekannten Fällen kann ich einen. neuen Fall (3. eigener Beobachtung) beigesel- len. Derselbe kam 1869 an der rechten Extremität einer männlichen Leiche vor, welche nach vorausgeschickter arteriel- ler Injection anfänglich zu den Praeparirübungen abgelassen, später, nach zeitig genug bemerkter Anomalie, zurückgenommen, präparirt, abgebildet und in meiner Sammlung aufbewahrt wor- 1) „Eine doppelte Arteria ulnaris..“ — A. d. Mittheilungen a. d. Wiener Secirsaale u. a. d. unbeschriebenen (?!) Gefässvarietäten. Oesterr Zeitschr. f. pract. Heilkunde. Jahrg. VI. 1860. 4°. No. 20. $. 324. 2) S. Th. v. Sömmerring. Lehre v. d. Gefässen d. menschl. Körpers. Leipzig, 1841. S. 139. — Schmidt’s Jahrb. d. Mediein. Bd. 108. Leipzig, 1860. S. 24. (Dieser Fall ist wohl ein und der- selbe des Berner Museums, welchen A. Baader — „Ueber die Varietäten der Armarterien und ihre morphologische Bedeutung. Diss. inaug. Bern, 1866. 8°. Fig. 5. — abgebildet hat) 3) H. Oeffinger’s seltener, am linken Arme eines Kindes vorgekommener Fall („Eine bemerkenswerthe Varietät der Vorderarm- Arterien“ — Arch. f. patholog. Anat. u.s. w. Bd. 39. Berlin, 1867. S. 424. Taf. VIII. —) gehört nicht hierher. Der Fall ist ein Beispiel einer hoch am Unterarm hinauf gerückten Theilung des Ramus volaris einer Ulnaris, welche bei vergrösserter Ausbrei- tungssphäre keinen oberflächlichen Hohlhandbogen bildete, bei Vor- kommen der Radialis mit hohem Ursprunge aus der Brachialis. Er ist somit ein Beispiel einer Andeutung zur Duplicität, wie als solche Beispiele auch die öfterer zur Beobachtung gekommenen Fälle hoher Theilung der Radialis zu nehmen sind, nicht aber ein Bei- spiel wirklicher Duplieität, als welches er hingestellt wurde. Der Verlauf des einen durch Theilung entstandenen Astes unter dem Ligamentum carpi volare proprium in die Hohlhand, kann auch bei der Radialis vorkommen (W. Gruber. Abhandlungen. 8. 132.). Würde Theilung bis zum Ursprunge hinauf, also wirkliche Dupli- eität (zwei ulnares profundae) existirt haben, so wäre diese eine von der in Rede stehendeu verschiedene Art. 288 Dr. Wenzel Gruber: den war. Aus der Untersuchung des Präparates ergaben sich folgende Resultate: Die Arteria brachialis schickt von ihrem Anfange und 12. 2 L. unter der Circumflexa humeri posterior, über welcher anomal hoch (1Z. 4.L.) die Scapularis communis aus der Axillaris ent- springt, die Profunda brachiüi, 9 L. unter dieser die Ulnaris superficialis(a), weiter abwärts die Collateralis ulnaris su- perior, und 10—14L. über der oberflächlichen Sehne des M. biceps die Collateralis ulnaris inferior ab. Sie theilt sich in der Fossa cubiti in die Radialis und in die der Ulnaris com- munis der Norm analoge Interosseo -ulnaris. Die Ulnaris superficialis(a) kreuzt gleich nach ihrem Ursprunge den N. medianus, um an dessen laterale Seite zu gelangen und von ihm begleitet im Suleus bicipitalis internus herabzusteigen. Sie läuft am Rande des M. biceps, zwischen diesem und dem N. medianus abwärts, indem sie mit letzterem bis 9 L. über dem M, pronator teres lateralwärts von der Brachialis-gelagert bleibt. Erst bevor die Brachialis unter der oberflächlichen Sehne des M. biceps sich versteckt, geht sie mit dem N. medianus über letztere Arterie vorn schräg ulnarwärts hinüber. Während aber der N. medianus in der Ellenbogenregion in die Tiefe dringt und den M. pronator teres durchbohrt, setzt die Ulnaris super- ficialis am Unterarme ihren Verlauf oberflächlich fort, in- dem sie hier, wie am Oberarm, ihre Lage gleich unterhalb der Aponeurose behält oder noch besser am Unterarm zwischen zwei Blättern der Aponeurose liegt. Sie’ steigt am Unterarm schräg ulnarwärts herab, wobei sie zuerst den M. pronator teres, auf ihm zwischen zwei Blättern der oberflächlichen Sehne des M. biceps durchtretend und den M. radialis internus von vorn, dann die Sehne des M. palmaris longus 5 Z. unter dem Epi- trochleus von hinten und zuletzt den M. flexor digitorum subli- mis von vorn kreuzt, endlich 1Z. 5L. über dem Os pisiforme in den Sulcus ulnaris gelangt, wo sie an der radialen Seite des N. ulnaris ihren Verlauf zur Hand fortsetzt. Am Ober- arme giebt sie dem M. coracobrachialis und M. biceps, am Unter- arın bis zum Sulcus ulnaris den Muskeln, mit welchen sie sich Duplieität der Arteria ulnaris. 289 kreuzt, Aeste ab. Sobald sie in den Suleus ulnaris angekommen ist, nimmt sie den stärkeren Endast der Ulnaris profunda auf und giebt 6 L. tiefer einen schwachen Ast(«) ab, welcher mit dem anderen Endaste der Ulnaris profunda den Ramus dorsalis der Ulnaris propria der Norm substituirt. Sie tritt an der Ra- dialseite des Os pisiforme mit dem N. Ulnaris zwischen zwei Blättern des Ligamentum carpi volare proprium durch das be- kannte Spatium interaponeuroticum in die Hohlhand, um mit dem Ramus volaris superficialis den oberflächlichen Hohlhand- bogen zu bilden und mit dem Ramus volaris profundus den tiefen Hohlhandbogen bilden zu helfen. Der Ramus volaris superficialis endiget in zwei schwache Aeste, welche in beide Digitales volares pollieis münden. Aus dem von diesem Ramus allein gebildeten oberflächlichen Hohlhandbogen gehen ab: zuerst ein starker Ast, welcher sich in eine Digitalis communis volaris, die die Radialis dig. V. und die Ulnaris dig. IV. abgiebt, und den Ramus volaris profundus theilt, welcher die Ulnaris volaris dig. V. absendet und mit dem Ramus communicans der Radialis zum tiefen Hohlhandbogen sich vereiniget; dann eine zweite Digitalis communis volaris, welche die Radialis dig. IV. und die Ulnaris dig. III. abgiebt; endlich ein Ast, welcher in die Digi- talıs communis volaris aus der Radialis, die die Radialis dig. II. und die Ulnaris dig. II. abgiebt, inoseulirt. Die Ulnaris super- fieialis ist am Oberarm 1?/,L., am Unterarm über dem Os pisi- forme 1—1!/,L. dick. Die am Anfange 1?/,L. dicke Radialis hat den gewöhnlichen Verlauf. Gleich nach ihrem Ursprunge entsteht von ihr eine Arterie, welche dem aufsteigenden Aste der Recurrens radialis der Norm analog ist und ihren Weg hinter der tiefen Sehne des M. biceps nimmt, weiter abwärts eine andere Arterie, welche den Ramus descendens der Recurrens radialis der Norm vertritt. Bevor sie sich auf den Rücken der Handwurzel wendet, giebt sie die schwache Palmaris ab, die den oberflächlichen Hohlhandbogen nicht erreicht. Während sie sich in ihrem Verlaufe mit der Sehne des M. extensor longus pollieis kreuzt, lässt sie die starke Carpea Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 19 MEBU OR PAD FE 1 Be ER 290 Dr. Wenzel Gruber: dorsalis abgeheh, welche die Metacarpea dorsalis II., II. und IV. absendet und durch Anastomosen mit beiden Interosseae antibrachii, und mit Zweigen der schwachen Aeste beider Ulnares, welche den Ramus dorsalis der Ulnaris der Norm vertreten, das Rete carpeum dorsale bildet. Bevor sie zwischen den Köpfen des M. interosseus externus I. in die Hohlhand dringt, giebt sie die Dorsalis ulnaris pollicis und die Dorsalis radialis indicis und, nachdem sie diesen Muskel durchbohrt hat, die starke Princeps pollicis ab, welche am Metacarpophalangeal- Gelenke des Daumens in die Digitalis volaris radialis et ulnaris pollicis sich theilt. Noch 2 L. weiter theilt sie sich in den Ramus communicans, welcher zwischen dem M. flexor pollieis brevis und dem M. adductor pollicis in die Hohlhand tritt und durch Anastomose mit dem Ramus volaris profundus der Ulnaris superficialis den tiefen Hohlhandbogen bildet, und in einen die Metacarpea volaris I, vertretenden, sehr starken Ramus, welcher, nach einem Verlaufe in der Strecke von 1 Z. unter dem M. adductor pollicis, die Digitalis volaris radialis indicis abgiebt, dann als Digitalis communis volaris sich fortsetzt, welche zuerst quer über das Metacarpale II. verläuft, dann im Spatium intermetacarpeum IL abwärts steigt, wo in sieein Ast des Ramus volaris superficialis der Ulnaris superficialis inosculirt, und in die Ulnaris dig. II. und die Radialis dig. II. sich theilt. Die 2 L. dicke Interosseo-Ulnaris giebt zuerst von ihrer me- dialen Seite die | L, starke Recurrens ulnaris posterior, !/,L. tiefer von der medialen und vorderen Seite einen sehr kurzen und dicke- ren Ast ab, welcher sich in die Mediana profunda und Ulnaris profunda (b) theilt, und endiget in die 2 L. lange Interossea communis, die sich in die I. anterior und posterior spaltet. Die Mediana verläuft nur eine kurze Strecke am N. medianus und endet bald mit Verästelungen im M. flexor digitorum sublimis, Die Recurrens ulnaris und die Interosseae zeigen nichts Abwei- chendes. Die Ulnaris profunda(b) verläuft wie die Ulnaris propria der Norm. 3Z unter dem Epitrochleus betritt sie den Sul- cus ulnaris und erreicht den N. ulnaris, um neben ihm an dessen radialer Seite herabzusteigen. Sie giebt diesem Nerven und Schg a Re Duplieität der Arteria ulnaris. 291 den den Suleus ulnaris begrenzenden Muskeln Zweige und theilt sich 1 Z. 4L. über der Handwurzel in zwei Endäste, Der stärkere ('/,L.) und kurze (2L.) Endast (ß) inosculirt in die Ulnaris superfieialis, der schwächere und lange End- ast(y) aber tritt unter der Sehne des M. Ulnaris internus ulnar- und rückwärts und anastomosirt mit dem schwachen Ramus dorsalis aus der Ulnaris superficialis. Aus beiden anastomosi- renden Aesten, welche den Ramus dorsalis der Ulnaris der Norm vertreten, entstehen 4—5 Zweige, die sich an der volaren, ulna- ren und dorsalen Seite des unteren Endes des Unterarmes und der Handwurzel verästeln und auch das Rete carpeum dorsale bilden helfen. Die Ulnaris profunda ist bis zur Theilung in ihre Endäste 4Z. 9 L. lang, am Ursprunge °/,L., am Ende '/s L. dick. Die starke Ulnaris superficialis verhielt sich im neuen Falle von Duplicität der Ulnaris in der Hohlhand auf eine Weise, wie sich auch die Ulnaris der Norm und die Ulnaris superficialis, ohne Vorkommen einer die Hand erreichen- den Ulnaris profunda, verhalten kann. Auch gab sie, wie die Ul- naris superficialis letzterer Fälle in der Regel einen starken Ramus dorsalis abgiebt, wenigstens einen schwachen Ramus dorsalis ab. Die rudimentäre Ulnaris profunda entsprang und verlief im Sulcus ulnaris am radialen Rande des N. ulnaris wie die Ulnaris propria der Norm. Sie endete mit einem schwachen (zweiten) Ramus dorsalis und inosculirte mit einem anderen Aste in die Ulnaris superficialis. Die Ulnaris superfieialis ist eine accessorische Arterie, die Ulnaris profunda, wie in allen anderen Fällen der Duplicität, die der Ulnaris propria der Norm analoge Arterie. Erstere substituirt vorzugsweise den Ramus volaris der Ulnaris propria der Norm, letztere vorzugsweise den Ramus dorsalis derselben. Die Ulnaris superficialis entsprang im neuen Falle von der Brachialis, während dieselbe inmeinem 1. und 2, Falle, in Hyrtl’s und Theile’s Falle von der Axillaris kam. Die Ulnaris profunda communicirte im neuen Falle zwar mit der Ulnaris superficialis, verlängerte sich aber doch mit einem Ramus dorsalis auf den Rücken der Handwurzel, um 19* 2923 . Dr. Wenzel Gruber: das Rete carpeum dorsale bilden zu helfen, während dieselbe in meinem 1. Falle in den Ramus dorsalis der Ulnaris super- ficialis inosculirte, in meinem 2. Falle und in Hyrtl’s Falle an der Bildung des gemeinschaftlichen Stammes der Ulnaris unten am Unterarme in gleichem Maasse mit der Ulnaris super- fieialis Theil nahm, in Theile’s Falle aber die Ulnaris super- ficialis aufnahm. Die Ulnaris profunda war in meinem 2. Falle und wohl auch in Hyrtl’s und Theile’s Falle wirk- lich oder fast normal dick; in meinem 1. und 3. (neuen) Falle nur schwach. Sowohl die Ulnaris superficialis als auch die Ulnaris profunda gab im neuen Falle einen Ramus dorsalis ab, während dieser in meinem 1. Falle von der Ul- naris superficialis allein, in Hyrtl’s Falle aber von dem Stamme, in den sich beide Ulnares vereinigt hatten, kam. Der neue Fall von Duplicität der Ulnaris unterschied sich von den bekannten Fällen. Meine 3 Fälle und Hyrtl’s Fall kamen an männlichen Leichen; meine Fälle und wohl auch Theile’s Fall an rechten Extremitäten, Hyrtl’s Fall aber an einer linken Extremität vor. Die Ulnaris superficialis, welche nebst anderen supernumerären Arterien nach der Hypothese von Baader (Aeby)'), zu der sich auch W. Krause?) bekennt, die Bedeutung eines Gefässes hat, das in Folge anomaler Persistenz einzelner Theile des oberflächlichen Systems des Arteriennetzes des Embryo auftritt, und, wie ich°) auseinandergesetzt habe, sicher in gewissen Fällen ihres Vor- kommens als eine anomal verlängerte Arteria plicae cubiti super- ficialis zu nehmen ist, kann in meinem 1. und oben beschrie- benen 3. (neuen) Falle wirklicher Duplicität der Ul- naris, in den Fällen ihres Vorkommens ohne das einer bis zur Hand reichenden Ulnaris profunda (propria), und in den Fäl- 1) Op. eit. 8. 33. 2) Varietäten d. Aortensystems — J. Henle. Handb, d. system, Anatomie d. Menschen. Bd. 3. Abth. 1. (Gefässlehre). Braunschweig, 1868. S. 204, 267. 3) Ueber die neue und constante oberflächliche Ellenbogenbug- schlagader. 1852, S. 498 — Ueber die Arteria mediana antibrachii su- perficialis, Arteria ulnaris antibrachii superfieialis und Duplieität der Ulnaris. 1867. S. 678. Duplieität der Arteria ulnaris. 293 len ihres Vorkommens bei hohem Ursprunge der Interossa nicht als Vas aberrans zugleich bezeichnet werden, wenn man auch darunter mit Baader „jedes Gefäss, welches durch Anastomosen getrennte Blutbahnen mit einander verbindet, ver- stehen würde.“ Wenn nämlich die Ulnaris superficialis, mag sie wie immer entspringen, in der Hohlhand und an den Fingern auf eine ähnliche Weise sich vertheilt, wie die Ulnaris propria der Norm; wenn dann dieselbe in den Fällen, wo die Ulnaris profunda nur durch eine im Suleus ulnaris hoch oben in der Musculatur des Unterarmes sich verästelnde und, wie ich 1852 und 1867 angegeben habe, wenigstens in der Regel vorkommende kleine Arterie vertreten ist, über der Handwurzel und gewöhnlich einen dem Ramus dorsalis der Ulnaris der Norm analogen Ast abgiebt (®/, d. F.), oder daselbst einen langen und verschieden dicken Ramus anastomoticus von der Interossea ante- rior aufnimmt, der einen oder mehrere den Ramus dorsalis er- setzende Zweige abschickt, und in der Regel (°/, d. F.) schwächer ist, als die Ulnaris superficialis, bevor diese ihn aufnahm; wenn ferner dieselbe unter den genannten Fällen wirklicher Dupli- eität der Ulnaris das überwiegend stärkere Gefäss war; wenn endlich dieselbe bei Phoca vitulina, während die Ulnaris profunda mangelt, obendrein constant vorkommt!): so würde man gegen den Begriff eines Vas aberrans verstossen, wenn man die Ulnaris superficialis als solches bezeich- nen wollte, weil sie die aus dem tiefen Arteriennetze entwickelte Ulnaris propria der Norm zwar ganz oder theilweise ersetzt, nicht aber ein Gefäss ist, das getrennte Blutbahnen durch Anastomosen mit einander verbindet, welche auch „an ihrer an- geblichen Einsenkung in kleine Aeste der Hand“ nicht existi- ren können. Die seltenen Fälle, in welchen die Ulnaris superficialis schwächer ist als der anomale Ramus anasto- moticus zwischen ihr und der Interossea anterior beweisen nicht dagegen, weil z.B. die Radialis, wenn diese unter der nor- malen Anastomose mit der Interossea anterior durch einen Ra- 1) Ueber die neue und constante oberflächliche Ellenbogenbug- schlagader des Menschen. 8. 503. 294 Dr. Wenzel Gruber: mus anastomotieus stärker ist als darüber, desshalb noch nicht als Vas aberrans zu bezeichnen ist'), abgesehen davon, dass sie, wie auch in den Fällen hohen Ursprungs der Interossea, als ein aus dem oberflächlichen Arteriennetze entwickeltes Ge- fäss nicht zu nehmen ist?). 1) Ueber die Arteria mediana antibrachii superficialis u. s. w. S. 679. Tai. XIX. A. Fig. 2. 2) Gelegentliche Bemerkungen: Zur Bestimmung der Häufigkeit des Vorkommens der Ano- malien der Arteria radialis, ulnaris, interossea, mediana antibrachii superficialis und Vasa aberrantia hatte ich 600 Cadaver (1200 Extremitäten) untersucht. Das Resultat aus den Untersuchungen der ersten 380 Cadaver veröffentlichte ich 1849, das Resultat aus den Untersuchungen der übrigen 220 Cadaver 1852. Von den Extremitäten der 380 Cadaver hatte ich den grösseren (nicht grössten) Theil zu injiciren unterlassen, wie ich angeführt habe (Neue Anomalien S. 34); die Extremitäten der übrigen 220 Cadaver aber hatte ich alle injieirt. War ich im Verlaufe der Untersuchung einer nicht injieirten Extremität auf eine Anomalie gestossen, so wurde auch an einer solchen die Injection nachträglich ausgeführt. Rechne ich die Partie injieirter Extremitäten aus der Cadaver-Zahl: 380 zu allen injieirten Extremitäten aus der Cadaver-Zahl 220; so ergiebt sich, dass von den zur Untersuchung verwendeten 1200 Extremitäten von 600 Cadavern immer noch der grössere Theil injicirt war. — An den 220 Cadavern mit Injection aller Extremitäten wurden an: 2 (einseitig) Vasa aberrantia, an den 380 Cadavern, an welchen nur der kleinere Theil ihrer Extremitäten injieirt worden war, wur- den an: 3 (einseitig) Vasa aberrantia angetroffen. Ich gestand bei der letzteren Anzahl wegen Nichtinjection des grösseren Theiles der Extremitäten die Möglichkeit des Uebersehens von Vasa aber- rantia zu. Nachdem ich aber später (1854— 1856) an einer neuen Summe von 350 Cadavern, deren Extremitäten zur Ausmittelung verschiedener Verhältnisse geflissentlich untersucht worden waren, wiederum an 3} (einseitig) Vasa aberrantia vorkommen gesehen hatte (Ueber die Arteria mediana antibrachii superfieialis u. s. w. 1867 S. 668), und ich mich auch durch gelegentlich gemachte Beobach- tungen an alljährlich in Massen zur Präparation abgelassenen injieir- ten und nicht injieirten Extremitäten von der Seltenheit des Vor- kommens der Vasa aberrantia überzeugt hatte, so kann ich mir wohl erlau- ben, mit grösster Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass auch bei der Untersuchung der Cadaver-Zahl von 380 kein Vas aberrans über- sehen worden, somit die Bestimmung der Häufigkeit des Vor- Duplieität der Arteria ulnaris. 295 kommens der Vasa aberrantia an obigen 600 Cadavern eine zu- verlässige war. — Die Annahme W.Krause’s (Op. eit. S, 264), dass von den von mir zur Untersuchung verwendeten 1200 Extremi- täten von 600 Cadavern der „grösste Theil“ nicht injieirt war, ist somit eine irrige; und meine Augaben über die Häufigkeit des Vorkomniens der Vasa aberrantia auct. (d. i. verschieden starker oder schwacher, von der Axillaris oder Brachialis oder ihren Aesten entsprungener und in die Brachialis oder in eine der Unter- armarterien oder in einen der Aeste der letzteren nosculirender Vasa, also Vasa mit Ausschluss gewisser anomaler Rami anastomotiei und anomaler Arterienstämme, welche alle nach W. Krause die Bedeu- tung von Vasa aberrantia haben sollen, aber diese in der That nur manche ausnahmsweise haben können, und mit Ausschluss der von W. Krause vermutheten, bis jetzt jedoch noch nicht beobachte- ten, angeblich „feinen“ Vasa aberrantia ist und bleibt, trotz W. Krause’s Zweifel ihrer Zuverlässigkeit, richtig. In dem Aufsatze (Ueber die neue und constante oberflächliche Ellenbogenbugschlagader des Menschen. 1852. S. 495.) bemerkte ich bei der Abhandlung der Arteria mediana antibrachii superficialis® „Tiedemann’s auf Tab. 46 Fig 3 abgebildeter Fall (den ich wegen augenblicklichen Mangels des Werkes desselben — Supplementa ad tab. art. corp. hum. — nicht prüfen konnte, wie ich dort angab), gehört wohl hierher.“ Diese von mir damals nicht mit völliger Gewissheit ausgesprochene irrige Vermuthung nahm ich in dem Aufsatze (Ueber die Arteria mediana antibrachii superficialis u. s. w. 1867. S. 673.) zurück. — W. Krause, welcher in seiner Zusam- menstellung der Varietäten des Aortensystems zu den Massen der Beobachtungen Anderer nur 1 (sage eine) aus eigener Beobachtung beifügen konnte, kam daher mit seiner Rüge (Op. cit. 1868. S. 265.): „dass ich Tiedemann’s angege- benen Fall mitder Arteria mediana antibrachii superficia- lis confundirt habe, zu spät. Durch lange und grosse Erfahrung, welche jedenfalls in St. Petersburg in einem halben Decennium grösser sein kann alsin Hannover ineinem halben Saeculum, überzeugte ich mich, dass-die Annahme häufigeren Vorkommens der Arterien- Anomalien der oberen Extremitäten bei kleinen Menschen als bei grossen „zu den Fabeln gehören, an welchen die an Cadavern armen anatomischen Anstalten so reich sind. Ich erlaubte wir darüber meine Ansicht in dem Werke (Abhandluugen a. d. menschl. u. vergl. Anatomie S. 142.) in folgender Bemerkung auszudrücken: „Die sonderbare Angabe von Krause (Handb. d. menschl. Anatomie. Hannover 1842. S. 895.), dass die Abweichung bei kleinen Menschen häufiger vorkomme als bei grossen, 295 Dr. Wenzel Gruber: kann ich nicht bestätigen. — W. Krause (Op. eit. S. 265.) entdeckte in dieser Stelle etwas, das darin nicht existirt, näm- lich: „dass ich versäumt hätte, jene Angabe nachzuprüfen.“ Er ruft seinen Vater, Tiedemann und Hyrtl zur Hilfe, und scheint zur Bewahrheitung meines Ausspruches statistische Nachweise zu fordern, diese aber für die Anderen erlässlich zu finden, Bei Hyrtl muss W.Krause auf 27 Jahre (sage sieben und zwanzig Jahre zurückgreifen, ist aber trotz des weiten Her- holens nicht glücklich. Hyrtl, bei dem es in einem Aufsatze („Einige in chirurgischer Hinsicht wichtige Gefässvarietäten.“ Oesterr. medic. Jahrb. Bd. 24. Wien, 1841: S. 30.) heisst: „Wir (d.i. Hyrtl und ich) sahen die Radialarterie mehrere Male aus der Axil- lar- und Brachialarterie entstehen. Die Individuen, an denen wir diese Abweichung trafen, waren durchgehends von kleiner Sta- tur, nieht über 4' 8“ hoch“, hat damit gesagt, dass hoher Ursprung der Radialarterie (auch) bei kleinen Menschen vorkomme, nicht aber damit beweisen können, dass diese Abweichung nur bei kleinen Menschen, oder bei kleinen Menschen häufiger als bei grossen auftrete.e. Würde Hyrtl dieses „mehrere Male“ beobachtete Vorkommen für alle Fälle auf kleine Menschen be- schränkt wissen wollen, was er aber weder hier, noch, meines Wissens, irgendwo sagt, so müsste sich ja irgend ein Gesetz ergeben, das von dem von Krause aufgestellten verschieden und noch irriger als dieses wäre. Uebrigens imponirt man selbst mit berühmten Namen nicht, falls die Träger derselben, wie jene, von welchen sie zur Hülfe gerufen werden, aus ihrer Erfahrung nur „mehrere Male“ einzusetzen haben. Ich bleibe daher bei meinem Aus- spruche und fahre fort, die Angaben von C, Fr. Th. Krause „sonderbar“ zu finden. Erklärung der Abbildung, Rechter Arm einer männlichen Leiche. a. Arteria ulnaris superficialis. a. Deren schwacher Ramus dorsalis. (I.) b. Arteria ulnaris profunda. ß. Deren stärkerer Ramus anastomoticus. y. Deren schwächerer Ramus dorsalis. (Il.) St. Petersburg, den 1. (13.) August 1869. " LriE, 2 Ueber das Tuberculum deltoideum u. s. w 297 Ueber das Tubereulum deltoideum und den Pro- sessus deltoideus des Schlüsselbeines. Von Dr. WENZEL GRUBFR, Professor der Anatomie in St. Petersburg (Hierzu Tafel VIII. C.) Die Stelle am concaven Rande und daneben an der obe- ren Fläche des Bogens der acromialen Hälfte des Schlüsselbeines zum Ursprunge des M. deltoideus ist verschieden beschaffen: theilweise oder nach ihrer ganzen Länge rauh; mit keiner, oder theilweise, oder nach ihrer gan- zen Länge, mit einer nach Breite und Tiefe variirenden Rinne versehen u.s.w. Gewöhnlich ist sie erst gegen ihr mediales vorderes Ende, und zwar 1,8—3,8 Cent. von dem Acromial- ende des Schlüsselbeines entfernt, an einem verschieden grossen, und gestalteten, planen, oder erhöhten oder vertieften Ab- schnitte rauh. An diesem dem vorderen Ende des Ur- sprunges des M. deltoideus entsprechenden Abschnitte hat John Struthers!) zuweilen einen Höcker: Tuberculum deltoideum beobachtet. 1) Osteological Memoirs. No. 1. The clavicle, Edinburgh 1855. 8°. (Steht mir nicht zur Verfügung, aber bei Henle: Canstatt’s Jahres- bericht ü. d. Fortschr. d. gesammt. Medicin i. J. 1855. Bd. 1. S. 59; Handb. d. system. Anat. d, Md. Bd. ı. Abth. 1. (Knochenlehre). 2. Aufl, Braunschweig 1867. S. 237. a ale 298 Dr. Wenzel Gruber: Unter 300 Schlüsselbeinen, an welchen ich nach dem Höcker geforscht hatte, sah ich denselben an 11 d.i. in Naz—!/ss d. F. vorkommen, darunter aber doch nur an 6 d. i. in !/so d. F., also selten, gut entwickelt. An der Leiche konnte ich ihn in einem Falle (bei einem Weibe) beiderseiti- gen Vorkommens und ausgezeichneter Entwickelung durch die Haut und Muskulatur fühlen. Einseitig sah ich ihn häufiger als beiderseitig und rechtseitig häufiger als linkseitig. Der Höcker (Fig. 1 a.) sitzt am concaven Rande und darüber an der oberen Fläche des acromialen Bogens des Schlüsselbeines, 2,7 bis 4 Cent. von dessen Acromialende entfernt. Derselbe hat gewöhnlich die Gestalt eines in verticaler Richtung compri- mirten abgerundet dreieckigen oder elliptischen, warzenförmi- gen, nach vorn gerichteten Vorsprunges. Seine obere Fläche ist convex und rauh, seine untere Fläche häufig glatt und plan. Von dem Schlüsselbeinkörper ist er an der oberen Seite gern durch eine gekrümmte seichte Furche («) abgesetzt. Er ist bis 0,5 Cent. dick, in transversaler Richtung bis 1,5 Cent. und in sagittaler Richtung bis 0,6 Cent. breit. Von ihm entspringt das vorderste Bündel des M. deltoideus. Dieser Höcker kann sich zu einem mächtigen Fort- satz — Processus deltoideus —- (Fig. 2a) entwickeln der nicht für eine Exostose genommen werden darf. Ich sah ihn bis jetzt 2 Mal (1865, 15868) an den Leichen zweier robusten Männer (bei einem an dem rechten, bei dem anderen am linken Schlüsselbeine) bei übrigens normal gebildeten Ske- leten. An beiden Schlüsselbeinen sitzt er am concaven Rande des acromialen Bogens, in einem Falle 1,8 Cent, in dem anderen Falle 3,1 Cent. von dem Acromialende entfernt, ist schräg ab- und vorwärts gerichtet. In einem Falle ist der Fortsatz dreieckig, etwas hakenförmig gekrümmt, (Fig. 2 a). Seine obere Fläche ist lateralwärts schwach ge- furcht, seine untere Fläche ist in transversaler Richtung schwach convex. Der längere laterale Rand ist convex und durch eine schmale aber tiefe Rinne (a), in welcher eine starke Arteria nutritia lag, doppelkantig, die durch ein grosses Ernährungsloch (ß) an der Basis des Fortsatzes in einen Man Rn Nam Ueber das Tubereculum deltoideum u- s. w. 299 schräg rück- und medianwärts verlaufenden Kanal des Schlüssel- beines drang. Der mediale Rand ist concav. Die Spitze ist quer abgestutzt, quer tief ausgeschnitten. Die Flächen und der mediale Rand sind glatt, die Kanten des lateralen Randes aber und die der Spitze waren rauh und etwas gezähnelt. Im anderen Falle ist der Fortsatz viereckig. Die obere Fläche hat an ihrer Mitte eine tiefe in sagittaler Richtung verlaufende Furche. Die untere Fläche ist plan. Die drei Ränder sind ausgebuchtet, wovon der dickere laterale eine tiefe Längsimpression aufweiset. Die Ecken am Ende sind abge- rundet. Der dreieckige Fortsatz ist 1,8 Cent. lang, an der Basis 1,5 Cent. und am Ende 0,3 Cent. breit und bis 0,5 Cent: diek. Der viereckige Fortsatz steht 1,2 Cent. lang hervor, ist an der Basis etwa 1,8 Cent. und am Ende 0,9 Cent. breit und bis 0,9 Cent. dick. Keiner der Fortsätze war an den Enden überknorpelt. Deren spongiöse Substanz setzt sich ohne Grenze in die des Körpers des Schlüsselbeines fort. Von denselben entsprang, wie von dem Höcker anderer Fälle, die vorderste Portion des M. deltoideus. Sie bildeten an der Leiche keinen sichtbaren Vorsprung, konnten aber leicht durch- gefühlt werden. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Linkes Schlüsselbein eines Weibes. a. Tuberculum deltoideum. ««. Seichte Furche, die dasselbe von: Schlüsselbeinkörper abgrenzt. Fig. 2. Linkes Schlüsselbein eines robusten Mannes. a. Processus deltoideus. «. Schmale und tiefe Rinne an dessen lateralem Rande. ß. Grosses Ernährungsloch des Schlüsselbeines. a un an, Se AN ULTENRE t 300 Dr. Wenzel Gruber: Ueber ein congenitales Loch im unteren Sehulter- blattwınkel über dessen Epiphyse. Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in Petersburg. Unter den Skeleten männlicher Individuen aus der Mace- ration vom Jahre 1868/69 befand sich eines, welches nach dem noch getrennten Vorkommen des oberen Stückes des Kör- pers des Brustbeines, nach der unvollständigen Verwachsung der Kreuzwirbel, nach dem Vorkommen der Köpfchen der Rippen als Epiphysen, nach dem Vorkommen gewisser Epiphysen an den Schulterblättern und Hüftbeinen, nach den Epiphysen an den Enden der langen Röhrenknochen, theils im völlig isolirten, theils weniger oder mehr verwachsenen Zustande, und nach der Abwesenheit einer Epiphyse am Sternalende der Schlüsselbeine, an den Knochen der Mittelhand, des Mittelfusses, der Finger- und Zehenglieder zu schliessen, einem Individuum im An- fange der 20ger Jahre angehört haben mochte. Die Synchondrosis spheno-oceipitalis ist verknöchert. Am rechten Oberkiefer und am Unterkiefer sind alle Zähne vor- handen. Am linken Öberkiefer aber ist der permanente Eckzahn erst im Durchbruche begriffen und abnorm hinter dem seitlichen Schneidezahn gelagert. Zwischen dem seitlichen Schneidezahn und dem ersten Backzahu befindet sich eine kleine Alveole, in welcher der bei der Maceration ver- loren gegangene Milchzahn über die Zeit seines gewöhnlichen Ausfalles gesessen, den Durchbruch des permanenten Eckzahnes 0 el Ueber ein congenitales Loch im unteren u. s. w. 301 verhindert und diesen gezwungen haben mochte, den Durch- bruch an einer ungewöhnlichen Stelle zu suchen. Die Wirbelformel ist abnorm: C.7, D. 12, L.5, S. 6, Cx.4 Von den sechs Kreuzwirbeln sind: der 1. völlig, der 2. am Körper und grösstentheils an den Seitentheilen, der 3. am Körper und theilweise an den Seitentheilen und der 4., 5. und 6 nur noch an den Körpern von einander getrennt. Der 1. Steisswirbel ist isolirt, die übrigen und verkümmer- ten sind untereinander verwachsen. Das linke Schulterblatt weiset eine aus zwei Stücken bestehende Acromialepiphyse auf. Das an der Spitze sitzende grössere dreieckige Stück derselben muss sich aus dem terminalen Ossificationspunkte, das rückwärts davon und am lateralen Rande des Acromion sitzende kleinere schmale längliche Stück aber mochte sich aus dem basalen Össifications- punkte entwickelt haben. Am rechten Schulterblatte haftet nur noch das basale Stück uud ist das terminale Stück verloren gegangen. Am unteren Winkel und am media- len Rande bis hinauf zum medialen Winkel beider Schul- terblätter sind die bekannten untrüglichen Kennzeichen für das Vorhandengewesen einer aus einem Stücke oder ein Paar Stücken bestandenen Epiphyse zugegen. Die Epiphyse mochte bei der Maceration oder beim Reinigen abgefallen sein und ist schon dann oder später beim Bleichen der Knochen abhan- den gekommen. Dasrechte Schulterblatt ist etwas breiter und kürzer als das linke. Ueber der Epiphyse amunteren Winkel im letzte- ren, des rechten Schulterblattes, istein grosses Loch zu sehen. Dieses liegt, von der Vorderfläche des Schulter- blattes betrachtet, in einer Vertiefung unterhalb der Fossa subscapularis und mit dem langen Durchmesser in der Rich- tung des Kammes der hinteren Fläche des Schulterblattes, durch den die Fossa infraspinata von dem Ursprungsfelde des Musculus teres minor geschieden wird. Es hat eine ovale Gestalt und eine beträchtliche Grösse. Der Durchmesser in schräg-verticaler Richtung beträgt: 1,7 Cent. und der in 302 Dr. Wenzel Gruber: transversaler Richtung: bis 1 Cent. Sein oberer weiterer Pol reicht bis zur Höhe des winkligen Vorsprunges am lateralen Rande des Schulterblattes an der Grenze des unteren Winkels desselben; sein unterer engerer Pol war von der Epiphye am unteren Winkel des Schulterblattes geschlossen. Sein lateraler Rand ist vom lateralen Rande des unteren Winkels des Schulterblattes oben 2,6 Cent., unten 1,6 Cent. entfernt. Dieser Rand ist stumpf. Der mediale Rand und der Rand am oberen Pole sind scharf. Die obere kleinere Hälfte des lateralen Randes ist etwas rauh, die untere Hälfte desselben aber, der ‚mediale Rand und der Rand am oberen Pole sind ganz glatt. Das Loch im rechten Schulterblatte ist höchstwahr- scheinlich durch eine Fortsetzung der Beinhaut, also wie von einer Membrana obturatoria, verschlossen gewesen. Gegen die etwaige Annahme eines knorpligen Verschlusses spricht die Beschaffenheit seiner Ränder. Entstandensein etwa durch Atrophie in Folge von Druck einer Geschwulst, oder durch partielle Erkrankung des Knochens, oder durch Einwirkung irgend einer Gewalt ist wegen der normalen Be- schaffenheit seiner Umgebung und des Schulterblattes überhaupt nicht zulässig. Es bleibt daher nur übrig, das Loch als ein durch Bildungsanomalie, in Folge Ossifi- cationsmangels aus unbekannter Ursache, entstandenes, also congenitales zu erklären. Löcher congenitalen Ursprunges in der Fossa in- fraspinata oder sogar im unteren Winkel des Schulter- blattes, wie in unserem Falle, sind Seltenheiten. J. Chr. Rosenmüller') hatte in der Fossa infrapinata zweier 1) De singularibus et nativis ossium corporis humani varietatibus. Diss, Lipsiae. 1804. 4° p. 60. „In duabus scapulis vidi in fossa infraspinata locum, ubi sub- stantia ossea quasi interrupta fuit, ita ut spatium dimidii pollieis ex mera membrana constaret. Ex acutis huius foraminis marginibus vero in altera scapula processus oblongus et tenuis profeetus erat, quo interstitiaum illud in «luas partes dividebatur.*“ Ueber ein congenitales Loch im unteren u. s. w. 303 Sehulterblätter eine unverknöcherte Stelle beobach- tet, welche scharfe Ränder hatte, mit einer Membran ver- schlossen und 6 Lin. gross war. Durch einen länglichen und dünnen Fortsatz war in einem Falle das Loch in zwei se- eundare Löcher geschieden. J. Fr. Meckel!) gab au, dass beim Menschen durch Bildungsabweichung ein grösserer oder kleinerer Theil der Fossa infraspinata knorplig bleiben kann, wie bei mehreren Säugethieren, namentlich bei den Pachy- dermen. Er meinte wohl den Knorpel am oberen Ende (Rande — Basis —) des Schulterblattes bei den Pachydermata, Solidungula und Ruminantia, die beim Abfallen kein Loch im Schulterblatte bedingen —. Nach J. Hyrtl?) kommt in der Mitte der Fossa infraspinata als merkwürdige Thier- bildung (!) zuweilen (?) eine grosse Oeffnung vor. In seiner Sammlung ist ein Schulterblatt mit einer solchen Oeffnung nicht vorhanden’). Ducrot de Blainville®), J. F. Blumenbach°), G. Cu- vier), ©. @. Giebel”), J. F, Meckel®, Rich. Owen’), W. 1) Handb. d. menschl. Anatomie. Bd. 2. Halle u. Berlin, 1816. S. 197. $. 669. 2) Lehrb. d. Anatomie d. Menschen. Wien, 1868. S. 325 (und frühere Auflagen). 3) Siehe Vergangenheit u. Gegenwart d. Museum’s für menschl. Anatomie an der Wiener Universität. 1869. 4, Osteographie des Mammiferes. Fasc. 26. Paris, 1839—1864. 4°. Atlas Fol. 5) Geschichte und Beschreibung der Knochen des menschl. Kör- pers. 2. Aufl. Göttingen, 1807. 3°. 8. 383. Note d. Handb. d. vgl. Anatomie. 3. Aufl. Göttingen, 1824. S. 75, 95, 102. 6) Lec. d’anat. comp. 2. edit. Tom. I. Paris, 1835. p. 346, 356, - 8378. Pl.in: Recherches sur les ossemens fossiles. 3. edit. Tom. I.—V. » Paris, 1825. 4°. 7) Die Säugethiere in zool., anat. u. palaeontel. Beziehung. Leipzig, 1859. 8°. 8) System d. vergl. Anatomie II. Th. 1. Abth. Halle 1824. S. 436 II. Th. 2. Abth. Halle 1825. S. 66, 68, 334, 337, 345. 9) On the anatomy of vertebrates. London, 1866. Vol.I. p. 169. $. 40; Vol. Il. p. 65. $. 129, p. 323, 350, 373—383, 390, 407, 409-411, 426, 435, 441, 454, 455, 479—482, 507—510, 539, 542 —544, 546. ne = win, 304 Dr. Wenzel Gruber: Ueber ein congenitales Loch u.s.w. Rapp'), H. Stannius?) u. A. haben über ein bei Säuge- thieren, Vögeln und Reptilien in der Fossa infraspi- nata des Schulterblattes oder in dem der Infraspinal- portion der Säugethiere desselben entsprechenden Portion vorkommendes Loch weder berichtet, noch ein solches ab- sebildet. Auch haben J. Bell, J. Spene, Cobbold, F.Cu- vier, J. Rym. Jones, Jos. Maclise, Rich. Owen und W. Vrolik in vielen Artikeln über diese Thiere über das Vor- kommen jenes Loches nichts mitgetheilt.) — Ein dem anomalen Loche im Schulterblatte des Menschen ana- loges anomales Loch mag bei den Thieren auftreten kön- nen; ein dem anomalen Loche im Schulterblatte des Menschen analoges constantes Loch aber scheint bei den Thieren nicht vorzukommen. So lange ein Thier nicht nachgewiesen ist, welches an dem Infraspinal- theile seiner Schulterblätter ein Loch besitzt, so lange kann von der Deutung des anomalen Loches im Schul- terblatte des Menschen „als Thierbildung“ keine Rede sein. 1) Anatomische Untersuchungen ü. d. Edentaten. Tübingen, 1843. 4°. 8. 27. 2) Lehrb. d. Anat. d. Wirbelthiere. Berlin, 1846. S. 44, 137, 256, 350. 3) The Cyclop. of anat. a. physiol. London, 1835--1859. 8°, Vol. I. p. 265, 470, 562, 594; Vol. II. p. 46, 994; Vol. III. p. 257, 366, 820, 858; Vol. IV. P. 1, p. 194, 264, 368, 622, 713; Vol. V. p- 506. ns 4 Da Dr. Vietor Paschutin: Einige Versuche mit Fermenten u. s. w. 305 Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke und Rohrzucker in Traubenzucker verwandeln. Von Dr. VICTOR PAscHurin. (Hierzu Taf. IX. u. X.) Der Ausgangspunkt vorliegender Untersuchungen war der Darmsaft. Nachdem wir uns von seiner diastatischen Wirkung überzeugt, suchten wir solche Eigenschaften desselben zu fin- ‘den, welche ihn von den übrigen, stärker diastatisch wirkenden thierischen Flüssigkeiten unterscheiden; dies führte uns zur Un- tersuchung derjenigen Bedingungen, die auf die Wirkung der . Fermente einen hemmenden Einfluss ausüben. Vergleichende Versuche mit verschiedenen Schleimhäuten erzeugten in uns grossen Zweifel an der specifischen Wirkung der Dünndarm- schleimhaut im diastatischen Sinne, und es stellte sich daher die Nothwendigkeit heraus, auch andere Gewebe des Körpers in dieser Richtung zu untersuchen; die Wirkung der eben er- wähnten Schleimhaut auf Rohrzucker muss dagegen als eine nur dieser Schleimhaut eigenthümliche Eigenschaft betrachtet werden, welche dieselbe ebenso charakterisirt, wie die Pepsin- eigenschaften die Schleimhaut des Magens; es gelang uns das Ferment, welches Rohrzucker in Traubenzucker verwandelt, von dem neben ihm vorhandenen diastatischen Fermente zu scheiden. Wir haben auch viele Parallel-Versuche sowohl mit thierischen (Fermente aus dem Körper höherer Thiere) als Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 20 306 Dr. Vietor Pasehutin: auch mit vegetabilischen Fermenten (Diastase, das auf Rohr- zucker wirkende Ferment der Hefe) ausgeführt. Um den Darmsaft zu erhalten, machten wir Hunden Fisteln nach der Methode Thiry’s!); dieses geschah jedoch nicht ohne einige Modificationen. Der Grund dieser Modificationen war das häufige Misslingen der Operation, verursacht durch den Vorfall der für die Fistel isolirten Darmschlinge und durch die Man- gelhaftigkeit der von Thiry vorgeschlagenen Verengung des äusseren Theiles der Fistelschlinge. Unsere Beobachtungen zeigten uns, dass der Vorfall der Darmschlinge auf zweifache Weise geschehen kann: 1) das innere Ende der Fistelschlinge schiebt sich allmählig in das Lumen dieser Schlinge ein, stülpt sich in der Richtung vom inneren blinden Ende der Schlinge nach ihrer äusseren Oeff- nung ein, tritt bei dieser Oeffnung hervor und fällt mehr oder weniger heraus. Diese Art des Prolapsus ist die häufigste; es ist dies auch begreiflich, wenn wir uns erinnern, dass bei der Anlegung der Naht am inneren Ende der Fistelschlinge die Ränder derselben, zum Erzielen der nöthigen Berührung der Darmwände mit ihren peritonealen Flächen, nach Innen umge- stülpt werden; da ferner dieser umgestülpte Theil nur in sel- tenen Fällen gangränescirt und sich lostrennt, so ist es evident, dass das erste Moment der Intussusception durch die Operation der Nahtanlegung selbst gegeben wird. Dieses Moment an sich allein kann jedoch nicht den Vorfall der Darmschlinge bewir- ken, wenn nur die Darmschlinge so angenäht ist, dass die pe- ristaltische Bewegung in der Richtung vom äusseren Ende der- selben nach dem blinden inneren verläuft. Offenbar irrt sich Thiry, wenn er meint, dass es für den günstigen Erfolg der Operation ganz und gar indifferent sei, mit welchem Ende die Schlinge an die Bauchwunde angenäht ist. Der einmal stattge- fundene Vorfall ist, wie Thiry ganz richtig bemerkt, irrepa- rabel. Das von Thiry vorgeschlagene Ausschneiden eines dreieckigen Stückes aus dem äusseren Ende der Schlinge, um 1) Ueber eine neue Methode, den Dünndarm zn isoliren. Wiener Sitzungsberichte. 1864. Bd. L. 8. 77. Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 307 nach Anlegung der Naht die Verengerung zu bewirken, kann den Vorfall nicht verhindern, da das innere Ende, welches schon bis zur äusseren Oeffnung vorgedrungen ist, durch die peristal- tischen Bewegungen fortwährend gedrängt, die verengte Stelle mehr und mehr erweitert. Wenn es auch der äusseren Oeff- nung gelingt, diesen Druck auszuhalten, so muss die Operation doch als eine misslungene angesehen werden, da in Folge der Intussusception einerseits die Bluteirculation in der Schlinge gestört, andererseits die Einführung verschiedener Körper in die Schlinge, um sowohl die Saftsecretion zu befördern (Katheter, Feder u. d. m.), als auch um die Verdauungs- und Resorptions- effecte in der Schlinge zu beobachten, gehindert wird. 2) Die andere Art des Prolapsus geschieht in der entgegengesetzten Richtung — von dem äusseren nach dem inneren Ende der Schlinge, d. h. es fallen zuerst die der Bauchwunde näheren Theile des Darmes heraus, es bildet sich hierbei eine mit einer Oeffnung in der Mitte versehene Wulst, die allmählig an Grösse zunimmt und das blinde Ende des Darmes fällt zuletzt aus. — Diese Art des Prolapsus beobachtete ich bei meinen Versuchen sehr selten und zwar ausschliesslich bei Hunden, welche ihre Bauchpresse — gewöhnlich in Folge Herumbeissens mit den Genossen ihrer Gefangenschaft — zu sehr anstrengten. — Die Verengung des äusseren Endes der Fistel kann bei dieser Art des Prolapsus von einigem Nutzen sein, ist jedoch selbst dann nicht im Stande den Vorfall sicher zu verhindern, wenn auch die Verengerung einen beträchtlichen Grad erreicht hatte; so war bei einem unserer Hunde die Verengung der Eingangs- öffnung der Schlinge so bedeutend, dass sie sogar der Einfüh- rung des Katheters einigen Widerstand entgegensetzte; wir beabsichtigten die Oeffnung am folgenden Tage zu erweitern, während der Nacht fiel aber fast die ganze Fistel-Darmschlinge vor. Der Vorfall der Schlinge kann viel mehr dadurch verhin- dert werden, dass man zu dieser Operation ruhige Hunde wählt und sie für sich einsperrt, als durch Verengung der äusseren Oeffnung des Darmes; umsomehr müssen wir dieses hervorheben, als die Verengung häufig die Heilung der Bauch- wunde verzögert und sowohl die Einführung verschiedener 20* 308 Dr. Vietor Paschutin: Stoffe in den Darm, als auch das Ausfliessen des Secretes aus demselben so sehr beeinträchtigt, dass die Erweiterung der Oeffnung nothwendig wird. Der Darmsaft, der keinen beque- men Ausgang zum Ausfliessen findet, kann wieder resorbirt werden und nur durch einen mit seitlichen Oeffnungen ver- sehenen Katheter gewonnen werden. Diese Art der Gewinnung kann aber schwerlich vollständig gegen Resorption desselben sichern, da einerseits der Druck, unter welchem das Ausfliessen erfolgt, nicht beträchtlich sein kann — im Verlauf einer Stunde werden nur einige Grammen, ja sogar nur Theile eines Gram- mes Saft secernirt — andererseits die in dem Secrete befind- lichen Schleimklumpen dem Ausflusse des Saftes ein nicht un- beträchtliches Hinderniss entgegensetzen; die Oeffnungen des Katheters werden durch dieselben verstopft, und ihre Entfer- nung erfordert häufiges Herausnehmen des Katheters, was sei- nerseits eine Beimischung von Blut zum Secrete zur Folge hat. Ist dagegen die äussere Oeffnung nicht verengt, so wird dadurch nicht nur das Ausfliessen des Secretes erleichtert, sondern die grössere Oeffnung gestattet auch noch eine Vermehrung der Secretion in ziemlich hohem Grade, indem man im Stande ist, viel wirksamere Reizungsmittel als den Katheter anzuwenden, wie z. B. eine Gänsefeder, Katheter, die mit einer Federfahne versehen ist u. d. m.; leichte rotatorische Bewegungen sol- cher reizenden Körper vermehren bedeutend die Secretion, ohne eine Beimischung von Blut nach sich zu ziehen. Der um ein Bedeutendes bequemere Ausfluss des Saftes und die Anwendung energischer Reizmittel sind der Grund, warum ich viel grössere Mengen Saftes als andere Forscher erhielt, davon sogar abge- sehen, dass, meine Fistel- Darmschlingen an Länge die der an- deren Forscher 2—4mal übertrafen. Um während der Operation den Magen- und den Rectal- theil der hervorgezogenen Darmschlinge möglichst rasch zu er- kennen, spritzte ich mittelst einer Spritze mit einem feinen konischen Ende, nachdem ich vorläufig das hervorgezogene Darmstück zwischen den Fingern zusammengedrückt hatte, in das Duodenum, das wie bekannt, sehr leicht zu erkennen ist, irgend welche indifferente Lösung, z. B. 1Oproc. Kochsalzlösung, Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u, s. w. 309 ein; der Magentheil der Dünndarm-Schlinge wird dabei mit Flüssigkeit gefüllt, sein Volum grösser und auf diese Weise ohne Schwierigkeit erkannt. Nachdem man das Duodenum in die Bauchhöhle wieder hineingelegt hat, verfährt man weiter nach Thiry’s Methode. Da nach Schiff’s Beobachtung die Fisteln des Duodenums (oder die in seiner Nähe gelegenen) einen für die Verdauung sehr wirksamen Saft!) liefern, so wählte auch ich diesen Ab- schnitt des Darmcanals zur Anlegung der Fisteln. Anfangs stellte mir die anatomische Lage der einzelnen Theile dieser Gegend grosse Schwierigkeiten entgegen; jedoch bei der An- wendung einer etwas complicirteren operativen Methode be- währte sich diese Gegend sogar als die am meisten geeignete. Das Duodenum der Hunde hängt bekanntlich an einem ziem- lich langen Mesenterium (Fig. 1), das nach dem Uebergange des Duodenums in das Jejunum sich so bedeutend verkürzt, dass es unmöglich wird — wenn die Bauchwunde nicht gross genug gemacht ist — das Darmrohr bis zu dem Abschnitte des Dünndarmes, wo das Mesenterium wieder an Länge zunimmt, zu verfolgen; dieses ist aber unumgänglich nothwendig, da das Duodenum unterhalb der Einmündung der Ductus pancreatici zu wenig Raum für die Anlegung der Fistel gewährt. Ich führte deshalb die Operation auf folgende Weise aus: Nachdem ich in der Gegend des Magens längs der Linea alba eine Wunde in den Bauchdecken gemacht hatte, zog ich das Duo- denum aus der Wunde heraus, und führte unter den Darm zwei Ligaturfäden ein in einer Entfernung von ungefähr einem Zoll unter der Stelle, wo sich die Bauchspeicheldrüse vom Darm- kanale zu entfernen beginnt; nachdem ich darauf die beiden Ligaturfäden um einige Millimeter auseinander geschoben hatte, unterband ich mit denselben den Darm und schnitt diesen letzteren zwischen den unterbundenen Stellen durch. Darauf 1) Nuove ricerche sul potere digerente del succo enterico. 11. Morgagni 1867. Nr. 9. Leider ist mir diese Arbeit nur nach dem Referate im Centralblatt bekannt. Centralbl. d. med. Wiss. 1868. S. 357. 310 Dr. Vietor Paschutin: legte ich den oberen Abschnitt des Duodenums wieder in die Bauchhöhle hinein, zog irgend eine Schlinge des Jejunums oder des Ileums heraus und bestimmte (mit Hülfe der Injection in den unteren Abschnitt des Duodenums) an der eben hervorge- zogenen Schlinge ihren Magen- und Rectaltheil; dieses that ich in der Absicht, um längs des Darmes an den Anfang des Je- junums zu gelangen (d. h. bis zu dem Orte, von welchem ab das Mesenterium wieder kürzer wird), wo ich den Darm zwi- schen zwei Ligaturen wiederum durchschnitt, den unteren Ab- schnitt in die Bauchhöhle hineinlegte und an den oberen (a) eine Naht anlegte (nachdem ich vorläufig die durch die Liga- tur verletzten Stellen mit der Scheere abgetragen hatte), um auf diese Weise das blinde Ende der Schlinge, welche, wie man sieht, aus dem unteren Abschnitte des Duodenums und dem Anfangstheile des Ileums besteht, zu bilden. Darauf wird die Continuität des Darmcanals hergestellt, d. h. der obere Abschnitt des Duodenums mit dem Ileum zusammengenäht'!), 1) Die beiden Darmabschnitte vereinigte ich auf folgende Weise: nach der Entfernung der Ligaturfäden (ligature en masse), welche beim Durchschneiden des Darmes angelegt waren, unterbinde ich die in Form eines Stranges am mesenterialen Rande des Darmes liegen- den Gefässe beider Abschnitte, und ziehe auch einen Theil der in der nächsten Umgehung der Gefässe befindlichen Darmwand (den Rand des Durchschnittes) um den Gefässstrang zu fixiren, in diese Ligatur mit hinein. Darauf lege ich die beiden Abschnitte so aneinander, dass sie mit ihren mesenterialen Rändern neben einander zu liegen kommen und lege die Naht an. Vorher muss man die Ligaturfäden zusammenbinden und ihre Enden einem Gehülfen übergeben, um beide Abschnitte in gewünschter Lage zu fixiren (bh); die Hand des Gehül- fen hindert nicht das Anlegen der Naht. Die erste Nahtschlinge (e) muss man so anlegen, dass die beiden erwähnten Gefässstränge in derselben zu liegen kommen, und bei der Zusammenbindung der Fä- den muss man sie sehr stark zusammenziehen, so dass die erste Nahtschlinge, indem sie die Darmwände vereinigt, zugleich als Liga- tur für die zwischen diesen Wänden befindlichen Gefässe dient (um das Durchschneiden der Darmwände mit der Ligatur zu vermeiden, gebraucht man zu dieser Naht zwei- oder dreimal zusammengelegte Seidenfäden); 5—6 solcher Nähte, in einer gewissen Entfernung von einander zu beiden Seiten der ersten Naht angelegt, vervollständige Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 311 die Bauchwunde zugenäht, und in der Ecke derselben das offene Ende (c) der Fistelschlinge nach der Entfernung der Ligatur (d) befestigt. Der Vortheil dieser Methode besteht darin, dass die Fistelschlinge in ihrem mittleren Theile durch ein kurzes Mesenterium fixirt wird, was einerseits die Schlinge am Vor- fallen verhindert, andererseits der Fistelschlinge selbst bei einer beträchtlichen Länge derselben eine constante Lage giebt, die- selbe verhindert, sich verschiedenartig zu krümmen und dadurch die Einführung verschiedener Körper erleichtert. Da das Gewinnen grösserer Mengen Darmsaftes mit Schwie- rigkeiten verbunden ist, suchte ich den natürlichen Darmsaft die Vereinigung des mesenterialen Theiles beider Darmabschnitte. Um nun die Vereinigung der beiden anderen Seiten, d. h. der den mesenterialen gegenüberliegenden, zu bewerkstelligen, muss man augenscheinlich die Lage der Darmabschnitte verändern, um die Be- rührung der noch nicht zugenähten Theile zu ermöglichen; zu diesem Behufe muss man die beiden Abschnitte, so zu sagen, in eine gerade Linie ausziehen, und die Ränder dieser Abschnitte, um die Berührung derselben mit ihren peritonealen Flächen zu erzielen, nach Innen einstülpen; (f) darauf beendigt man die Vereinigung der Darmabschnitte mit einigen Darmnahtschlingen (eine Naht mit Nadeln an beiden En- den des Fadens); nach der Zusammenbindung der ersten Schlinge (h) wird zur Bildung der weiteren derart geschritten, dass die Nadeln in dieselben Oefinungen eingeführt werden, von welchen sie herausge- kommen sind Diese Art der Anlegung der Darmnaht ist sehr leicht und rasch ausführbar; während der ganzen Zeit des Nähensragen aus der Bauchwunde nur die Ränder des durchgeschnittenen Darmes her- vor; auf diese Weise also vermeidet man die Abkühlung, das Aus- troeknen und andere Beschädigungen des Darmes; übrigens stellen die Kürze des Mesenteriums und die geringe Entfernung des Pankreas von den Darmwänden keine bemerkbaren Hindernisse dar. Diese Methode erlaubt weiter, die Naht in grösster Nähe der Ränder des Darmsehnittes anzulegen, so dass, wenn auch das Abfallen der in das Lumen des Darmes hineinragenden Ränder nicht zu Stande kommt, dennoch keine Klappe, welche das Lumen des Darmes versperren könnte, sich zu bilden vermag. Endlich erfordert die Umstülpung der Darmränder nach Innen, wenn der grösste Theil der Peripherie schon zugenäht ist, nicht die geringste Mühe; diese Umstülpung aber bietet, wie bekannt, wenn der Rand des Abschnittes frei ist, bedeu- tende Schwierigkeiten. 312 Dr. Vietor Paschutin: bei meinen Versuchen durch einen künstlichen zu ersetzen, kurz, ich bereitete Wasserinfusa aus der Darmschleimhaut. Diese Methode, die sehr leicht die Herstellung beträchtlicher Mengen der sog. Verdauungslösungen möglich macht, erleich- tert bedeutend die Ausführung von Parallel-Versuchen mit der Darmverdauung bei verschiedenen Thiergattungen, namentlich bei solchen, bei denen die Anlegung der Fistel und die Samm- lung des Saftes fast unüberwindliche Hindernisse darbietet (kleine Thiere). Die Bereitung der Wasserinfusa erlaubt mit grösserer Bequemlichkeit die vergleichende Erforschung des Fermentgehaltes sogar auf solche Gewebe des Körpers auszu- dehnen, welche entweder gar kein oder nur ein spärliches Secret liefern. Die Infusa aus der Dünndarmschleimhaut stellte ich auf folgende Weise dar; nach der Entblutung des Thieres und Entfernung des noch zurückgebliebenen Blutes aus seinen Ge- fässen durch Injection von 10procentiger Kochsalzlösung, schnitt ich den Darmcanal aus (den Dünn- und den Dickdarm abge- sondert) und um die cadaveröse Imbibition zu vermeiden, wusch ich denselben sogleich aus. Zu diesem Zwecke befreite ich, durch Einspritzen von Wasser (unter beträchtlichem Drucke) in den Rectaltheil des Darmcanals, diesen letzteren von den in ihm enthaltenen Nahrungsstoffen, und sobald das ausfliessende Wasser keine Nahrungsreste mehr enthielt, verschloss ich durch Zusammendrücken die beiden Darmenden, und durch das regel- mässige Aufheben bald des einen, bald des anderen Endes zwang ich die im Darme enthaltene Flüssigkeit, sich nach ver- schiedenen Richtungen zu bewegen, wodurch natürlich die an den Wänden kleben gebliebenen Speisereste sich ablösten. Ein solches Auswaschen wurde unter wiederholter (2—4mali- ger) Erneuerung des Wassers so lange fortgesetzt, bis die aus- fiessende Flüssigkeit nicht die geringste Spur von Gallenfär- bung zeigte, sondern entweder ganz durchsichtig war, oder nur ein wenig opalesceirte. Im Allgemeinen kann man sagen, dass zur Ausführung dieser Operation 5 Minuten vollständig genü- gend sind. Es ist dabei aber nicht zu vergessen, dass durch ein zu sorgfältiges Auswaschen auch die bei der Verdauung Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 313 thätigen Bestandtheile extrahirt und somit 'irrthümlich ent- weder negative oder doch nur höchst undeutliche Resultate erhalten werden können; so erging es Wittich,') als er nach seiner neuen Methode das Ferment in der Darmschleim- haut des Kaninchens suchte, welche er vorher während einer halben Stunde durch einen constanten Strom von destillir- tem Wasser ausgewaschen hatte. Leicht kann man aber auch den entgegengesetzten Fehler begehen, wenn man aus dem Darmeanal andere Verdauungsflüssigkeiten, besonders den Pan- kreassaft nicht vorher entfernt, Was meine Untersuchungen anbetrifft, so glaube ich, dass sie von diesen Fehlern frei sind, da ich sie einerseits durch Versuche mit künstlichem Safte der Mucosa eines Darmcanals, dessen Ductus pancreatici vorher abgetrennt waren, andererseits durch Versuche mit dem künst- lichen Safte aus der Mucosa der Fistelschlingen Thiry’s, welche selbstverständlich von allen anderen Verdauungssecreten frei waren (ich pflegte die Fistelschlingen bei Lebzeiten des Hundes viele Male auszuwaschen), controllirte.?) Die völlige Uebereinstimmung der Resultate bei den Versuchen mit künst- lichem und natürlichem (nach Thiry’s Methode erhaltenem) Safte lässt keinen Zweifel übrig, dass ich beide Fehler ver- mieden habe. Nachdem der Darmcanal ausgewaschen ist, schnei- det man ihn auf, und schreitet ohne Zögern zur Ablösung der Mucosa, da man die Diffusion von den Muskelschichten, welche auch ein diastatisches Ferment enthalten, befürchten muss. Das Ablösen der Mucosa ist sehr leicht und rasch ausführ- bar. Zu diesem Zwecke fixirt man den Darm zwischen der Radialseite des Zeigefingers auf Seiten der Serosa und der 1) Ueber eine neue Methode zur Darstellung künstlicher Ver- dauungsflüssigkeiten. Pflüger’s Archiv 1869. 8. 193. 2) Ein Hund wurde nach Verlauf von zwei Jahren nach Anle- gung der Thiry’schen Fistel getödtet. Der Durchmesser seiner Fistel- schlingen war beträchtlich enger als. der Durchmesser anderer Schlin- gen des Dünndarmes; ihre Schleimhaut ziemlich blass und trocken; das aus dieser Schleimhaut bereitete Infusum unterscheidet sich in seiner Wirkung auf Amylum und Rohrzucker durch nichts Wesent- liches von den Infusa der Dünndarmschleimhaut. 314 Dr. Vietor Paschutin: scharfen Kante einer Glasplatte auf Seiten der Mucosa, lässt den Gehülfen an dem anderen Ende des Darmes ziehen und trennt dann auf einmal die ganze Schleimhaut bis zur elasti- schen Schichte, die zwischen Mucosa und Muskelschichte liegt. Es muss hier bemerkt werden, dass mit der Mucosa zugleich auch die Muscularis Mucosae sich lostrennt, und nur eine völ- lige Analogie zwischen dem künstlichen und natürlichen Safte spricht dafür, ‘dass die Darminfusa ihre diastatische Fähigkeit nicht dieser Schicht verdanken. Nach Abziehen der Schleim- haut zerstückelt man sie mit der Scheere oder verreibt die- selbe sogar mit Sand oder mit zerstampftem Glase, mischt sie mit 3—6 Theilen Wasser und lässt sie bei gewöhnlicher Tem- peratur „—2 Stunden stehen, filtrirt darauf das Infusum erst durch Leinwand oder durch einen mit Glasstücken gefüllten Trichter und hierauf durch Papier; das Filtrat ist eine schwarz- gelbliche, in dieken Schichten etwas trübe, alkalische Flüssig- keit mit dem Geruche des Darmcanals. Ik Ueber die diastatische Wirkung des Darmsaftes bestehen in der Wissenschaft, selbst nach den neuesten Untersuchungen, höchst widersprechende Ansichten; so sprechen Thiry'!) und Leube?) demselben diese Fähigkeit vollständig ab; nach H. Quincke’s’) Beobachtung übt der Darmsaft nur in einigen Fällen eine geringe Wirkung auf Stärke aus; nach Dobros- lawin®) ist diese Wirkung beständig, jedoch schwach; M. Schiff’) fand, dass der Saft aus gelungenen Fisteln ebenso energisch wie der Pankreassaft wirkt; bei weniger gelungenen Fisteln soll auch seine Wirkung geringer sein und bei miss- lungenen endlich ist dieselbe gleich Null. 1). 1..e.. pag. 91. 2) Centralbl. 1868. Nr. 19 3) Ueber die Ausscheidung von Arzneimitteln durch die Darm- schleimhaut. Dieses Archiv, 1868. S. 156 4) Rollet’s Untersuchungen 1870. DYWI.ICH Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 315 Die Mehrzahl meiner Versuche zur Entscheidung der Frage über die diastatische Wirkung des Darmes sind mit Infusa der Darmmucosa ausgeführt worden. Die Versuche mit natürlichem Darmsaft wurden der Öontrolle halber gemacht. Die Bestim- mung des diastatischen Effectes wird bei Anwendung der In- fusa erschwert: 1) durch grossen Eiweissgehalt der Infusa (ein für die Ausführung verschiedener Reactionen auf Zucker ungün- stiges Moment), 2) durch ihren Gehalt an einem Stoff, welcher Kupferoxyd reducirt und die charakteristischen Farbenverände- rungen bei der Erwärmung mit den Lösungen von kaustischen Alkalien (Moore’s Reaction) giebt. Man trachte somit bei den Versuchen diese der Präcision der Resultate ungünstigen Mo- mente so viel als möglich zu beseitigen. Schon der Umstand allein, dass diese Forscher bei Untersuchung der diastatischen Fähigkeit des Darmes negative Resultate erhielten, macht un- wahrscheinlich, dass die zu untersuchende diastatische Fähigkeit eine grosse sein könne, und daher sind für Vorgänge schwacher diastatischer Wirkung, d. h. für solche, die einer langen Zeit zur Bildung von nachweisbaren Quantitäten Zuckers bedürfen, solehe Controlversuche nothwendig, welche zeigen, dass die Verwandlung der Stärke in Zucker durch das in der zu unter- suchenden Verdauungsflüssigkeit enthaltene Ferment und nicht durch die in der Luft befindlichen mikroskopischen Organismen hervorgerufen wird (s. unten). Endlich müssen wir uns ver- gewissern, dass der das Kupferoxyd reducirende Stoff sich auf Kosten des der Wirkung von Verdauungsflüssigkeit ausgesetz- ten Amylums bildet, und nicht das Resultat irgend welcher Veränderungen in der Verdauungsflüssigkeit selbst, welche lange Zeit hindurch der Wirkung einer hohen Temperatur (von 40° C.) ausgesetzt blieb, ist. Um allen diesen Bedingungen Genüge zu | leisten, nimmt der Versuch folgende etwas complieirte Form an: in drei grosse Probirgläser werden gleiche Quantitäten des Infuses der Darmschleimhaut, z. B. 50 Ccm. gegossen, und eine dieser Portionen (um die diastatische Fähigkeit derselben auf- zuheben) durch einige Zeit auf 80—90°C. erhitzt; die vorläufig erhitzte Portion (I) und eine der nicht erhitzten Portionen (III) werden mit gleichen Mengen eines frischbereiteten Stärke- 316 » SDr. Wietor Paschutim: kleisters (25 Ccm.), die andere nicht erhitzte Portion (IT) mit einem ebenso grossen Volum Wassers vermischt; ein viertes Probirglas (IV) endlich wird nur mit einer gewissen Menge Stärkekleisters angefüllt'), Alle diese Probirgläser werden darauf in ein auf 35—40° C. erwärmtes Wasserbad gestellt. Die Construction des Wasserbades ist der Bequemlichkeit hal- ber folgende: in einem auf die Heerdplatte gestellten, auf °/, seiner Höhe mit Wasser gefüllten kupfernen Kessel schwimmt eine mit zahlreichen runden Oeffnungen versehene hölzerne Scheibe, welche zur Aufnahme der Probirgläser dient; damit die Gläser aus den Oeffnungen nicht herausfallen, wird jedes Probirglas in seinem oberen Theile mit einem Streifen Filtrir- papier umwickelt (siehe a Fig. 9). — Nachdem die Probirgläser durch die Oeffnungen der Scheibe gebracht sind, bedeckt man den Kessel (um die zu untersuchenden Flüssigkeiten vor der Verdunstung zu schützen) mit einem Deckel. Darauf untersucht man bei allen diesen Portionen den Zuckergehalt, zu welchem Zwecke ich folgende Reactionen ausgeführt habe: A. Die Moore’sche Reaction. Diese Reaction besteht bekanntlich darin, dass die farblose Flüssigkeit, welche Zucker in Lösung enthält, bei der Erwärmung mit einem kaustischen Alkali sich zuerst gelb färbt, und dass nach und nach diese Farbe in eine rothe, braune und endlich in eine schwarze sich verwandelt. a) Diese F ärbung und das Farbenspiel treten um so rascher ein, je höher die Temperatur war, der man die alkalischen Zuckerlösungen aussetzte. .b) Nimmt man einige dem Volum und der Concentration nach (1°/,) gleiche Portionen einer Zuckerlösung, vermischt 1) Bei meinen ersten Versuchen war noch ein fünftes Probirglas mit normalem (d. h. nicht vorläufig erwärmtem) Infusum, welches man mit einer besonderen Portion Kleister unmittelbar vor der Aus- führung der Reaction auf Zucker vermischte und welches man erst nach dieser Vermischung womöglich rasch auf 90°C, erwärmte, vor- handen. Dies erwies sich aber als überflüssig, da die Erscheinungen in dieser Portion sich durch nichts Wesentliches von den Erscheinun- gen in der Portion I. unterschieden. Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 317 dieselben mit gleichen Mengen alkalischer Lösungen von ver- schiedener Öoncentration und setzt dann gleichzeitig alle diese Portionen in heisses Wasser, so ergiebt sich, dass die Färbung und die Farbenveränderung desto rascher eintreten, je concen- trirter die Lösung von Alkali war. c) Nimmt man umgekehrt, gleiche Volumina Zuckerlösung von verschiedener (!/,%/o, ®//o, 1%/o u. Ss. w.) Üoncentration, vermischt dieselben mit gleichen Mengen einer und derselben Alkalilösung (8°/,) und setzt sie in heisses Wasser, so geht die Reaction desto energischer vor sich, je höher der Procent- gehalt der Zuckerlösung ist. | d) Vermischt man gleiche Volumina einer Zuckerlösung mit verschiedenen Mengen einer und derselben Alkalilösung, so nimmt bei concentrirten Alkalilösungen die Intensität der Re- action mit der Vermehrung der Volumina der Alkalilösung ab, bei schwachen Alkalilösungen tritt das Entgegengesetzte ein, (Dies ist aber nur bis zu einer gewissen Grenze richtig). Aus dem Angeführten folgt nun, dass, wenn man gleiche Mengen irgend welcher gleichartigen Flüssigkeit, welche ver- schiedene Quantitäten Zucker in Lösung enthält, mit gleichen Mengen einer Alkalilösung von einer und derselben Concen- tration vermischt und dieselben gleichzeitig bei einer und der- selben. Temperatur erwärmt, man nach der Schnelligkeit, mit welcher die Flüssigkeit gefärbt wird und ihre Farben verän- dert, über die relativen Mengen des Zuckers in jeder der ge- nommenen Flüssigkeiten urtheilen kann. Die Empfindlichkeit dieser Methode bei der Bestimmung der relativen au ist (wie unten ersichtlich) sehr gross. Die Probirgläser, in denen man solche vergleichende Re actionen vornimmt, müssen gänzlich farblos sein, die untersuch- ten farbigen Schichten müssen alle eine und dieselbe Dicke haben, und das Wärmeleitungsvermögen der Wände der Pro- birgläser muss keine bemerkbare Verschiedenheit darbieten. Man muss also dazu nur solche Probirgläser wählen, die allen diesen Forderungen Genüge leisten können. Zu diesem Zwecke nimmt man einige Dutzend dem Augenmasse nach gleich grosser und nicht zu enger Probirgläser, und giesst in jedes ganz gleiche 318 Dr. Vietor Paschutin: Volumina (3—10 Ccm.) einer Mischung von Zuckerlösung von beliebiger Concentration (etwa !/,°/,) und von NaHO ein, und. wählt von diesen Probirgläsern nur diejenigen aus, in welchen das Niveau der Flüssigkeit gleich hoch steht; nachdem man die ausgewählten Probirgläser verkorkt (um die Flüssigkeiten vor der Annahme der Kohlensäure aus der Luft zu schützen) und den oberen Theil derselben mit Papierstreifen umwickelt hat, steckt man sie alle in die Oeffnungen einer hölzernen Scheibe und setzt diese letztere in ein geräumiges Gefäss mit heissem Wasser (80—--90° Ö.), welches man sorgfältig umrühren muss (dieses wird sehr leicht dadurch erreicht, dass man die schwimmende Scheibe dreht); nur diejenigen Probirgläser wer- den als tauglich anerkannt, in denen das Erscheinen der Fär- bung und die Veränderung der Farben ganz gleich vor sich geht. Sehr bequem ist es, wenn das Gefäss, in welchem man die Probirgläser erwärmt, durchsichtig ist, denn dieses erlaubt den Moment des Erscheinens der Färbung in verschiedenen Probirgläsern zu beobachten, ohne dass man genöthigt ist, die- selben aus dem Wasser herauszunehmen; im entgegengesetzten Falle nimmt man jede !/),—2 Minuten die Scheibe mit den Probirgläsern aus dem Gefässe heraus und betrachtet die Gläser so rasch wie möglich, um eine grosse Abkühlung zu ver- meiden. Um die unbedeutenden Unterschiede in der Intensität der Färbung verschiedener Portionen genauer zu bestimmen, lest man in die Nähe eines Fensters einen Bogen weisses oder graues Papier und stellt darauf die zu untersuchenden Probir- gläser (am besten je zwei zusammen) in einer auf das Papier senkrechten Ebene dergestalt unter einem spitzen Winkel auf, dass die Spitzen der Oeffnung dem Beobachter, das untere Ende der Gläschen dem Fenster zugekehrt ist, und betrachtet sie von oben. Diese Methode ist besonders dann bequem, wenn der Inhalt der Probirgläser in verschiedenen gelben oder rothen Nüancen gefärbt ist, mit denen man auch am meisten zu thun hat; ist diese Farbe dagegen braun oder schwarz, so ist der Unterschied in der Intensität der Färbung überhaupt Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 319 schwieriger zu bestimmen und die Betrachtung derselben im durchgehenden Lichte ist in diesem Falle angezeigt. Um die Grade der Empfindlichkeit der Moore’schen Re- action bei ihrer Anwendung zur Bestimmung der Unterschiede im Zuckergehalte der verglichenen Flüssigkeiten festzustellen, verfuhr ich wie folgt: ich bereitete eine Mischung, bestehend aus einer 4°, Stärkelösung (1 Theil), einer 10°/, Lösung von NaHO ('/, Theil) und einem lOfach verdünnten und Äiltrirten menschlichen Speichel!) (1 Theil). Es kann sich in dieser Mischung kein Zucker bilden, da sie viel Alkali enthält. Von dieser Mischung messe ich gleiche Mengen in Probirgläser ab, füge eine verschiedene Anzahl Tropfen Zuckerlösung von einer gewissen Concentration hinzu, erwärme, um die Moore’sche Reaction zu erhalten, die Probirgläser im Wasserbade und beob- achte den Effect. Um ganz gleichmässige Tropfen zu erhalten, ergreift man eine Glasröhre mit einer engen Oeffnung bei einem Ende und fixirt sie in schiefer Lage mit dem konischen Ende nach unten; auf ihr breites oberes Ende setzt man ein Kautschukrohr. Nachdem man in die Glasröhre die Zuckerlösung gesaugt, treibt man durch Zusammendrücken der Kautschukröhre aus dem un- teren engen Ende der Glasröhre Tropfen heraus und überzeugt sich bei wiederholten Versuchen, dass die Anzahl der zur Bil- dung eines gewissen Volums Flüssigkeit nöthigen Tropfen be- ständig eine und dieselbe ist; was so viel heisst, als dass alle Tropfen gleich sind. Da die Concentration der Zuckerlösung und die Anzahl der Tropfen in einem Cem. bekannt sind, so ist es leicht, den Zuckergehalt in einem Tropfen Lösung zu bestimmen. Versuch: in 10 Probirgläser giesst man gleiche Mengen (10 Cem.) der oben erwähnten Flüssigkeit und fügt zu ihnen 0, 1, 2, 3 u. s. w. Tropfen Zuckerlösung (0,25 Gr. trockenen Zuckers auf 100 Cem. Wasser; ein Tropfen ='/,, Cem.) hinzu. Nachdem man die Probirgläser geschüttelt und ver- korkt, setzt man sie 3—5 Minuten in heisses Wasser (85° C.) 1) Den Speichel nahm ich deshalb in diesem Falle, weil ich überhaupt mit dieser Flüssigkeit viele Experimente gemacht habe. EEE NNORT ERS N N N FR 320 | Dr. Vietor Pascehutin: und untersucht darauf die Intensität der Färbung: die bläuliche Farbe der Flüssigkeiten geht mit der Zunahme der Anzahl der Tropfen allmählig in die gelbliche über. Hat sich der Unter- schied der Färbung in den verschiedenen Portionen noch nicht kenntlich gemacht, so muss man die Erwärmung noch einige Zeit fortsetzen. Mit einiger Sorgfalt bei der Beobachtung kann der Unterschied durch einen Tropfen Zuckerlösung schon an der Intensität der Färbung bemerkt werden, den Unterschied durch zwei Tropfen bemerkt man sehr leicht und den Unter- schied durch 3 Tropfen bemerkt man schon bei der oberfläch- lichsten Beobachtung; ein Tropfen Zuckerlösung enthält jedoch nur 0,0001 Grm. Zucker, welche Grösse in Bezug auf die ge- nommene Flüssigkeit (10 Ccm.) 0.001 °/, bildet. Mit Zunahme des Zuckergehaltes der Mischung ist der Un- terschied schwieriger zu bemerken; so z. B. fügt man zur Mischung aus Kleister, Alkali und Speichel so viel Zucker hinzu, dass sein Gehalt 0,1%, wird (d.h. 10 Cem. der Mischung enthalten 1 Gr. Zucker) und verfährt man weiter wie vorher, indem man die erwähnte Lösung tropfenweise hinzufügt u. s. w., so ist der Unterschied auf 0,0001 Grm. nicht mehr bestimm- bar; erst wenn 1°/, Zuckerlösung statt 0,25°/, genommen wird, wird der Unterschied bei einem Tropfen Zuckerlösung (welcher gleich ist !/;; Cem.) eine kaum bemerkbare Differenz in der Intensität der Färbung geben; es folgt hieraus, dass, wenn 10 Cem. Mischung 0,01 Gr. Zucker enthalten, die kleinste Differenz in dem Zuckergehalte, die mit Hülfe der Moore ’schen Reaction noch bestimmbar ist, ungefähr 0,0004 Grm. (0,004°/,) gleich. ist. Ueberhaupt muss man bemerken, dass, so lange der Zucker- gehalt der Flüssigkeit 0,5%/, nicht übersteigt, die Farbenver- änderungen (sogar bei langdauernder Erwärmung) sich fast ausschliesslich auf gelbliche Nüancen beschränken. Bei Versuchen mit den Infusa der Dünndarmschleimhaut wird die Moore’sche Probe folgendermassen angewandt: Man giesst in einzelne Probirgläser ungefähr gleiche Mengen Flüs- sigkeit aus den drei ersten oben beschriebenen Gefässen und stellt nach gleichmässiger Ansäuerung oder Neutralisation aller Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 39] Flüssigkeiten die Probirgläser in heisses Wasser (30—90 ° C.); die Eiweissstoffe coaguliren in den Portionen II und Ill; — in der Portion I ist das Eiweiss schon früher coagulirt —; hier- auf filtrirt man zur Entfernung der Eiweisscoagula alle drei Portionen durch ein Handtuch (oder auch durch Papier). Nun bringt man in die einzelnen Probirgläser gleiche Mengen (5 Cem.) jener Filtrate, und fügt zu diesen gleiche Mengen (2 Cem.) 6°%/,—10°/, Lösung von NaHO hinzu. —- Aus der vierten Por- tion nimmt man auch dieselbe Quantität Kleister und vermischt ihn auch mit NaHO Lösung. Darauf stellt man alle vier Pro- birgläser in heisses Wasser und beobachtet den Effect. Uebri- gens erleidet die Reaction keine wesentliche Modification, wenn man die Eiweissstoffe nicht entfernt, sondern nach Abmessung gleicher Mengen die Reaction sofort ausführt; hierdurch aber wird viel Zeit gewonnen. B. Die Trommer’sche Probe. Zu den drei ersten ei- weissfreien Portionen ebenso wie zum Kleister (IV. Portion) fügt man gleiche Mengen Fehling’scher Flüssigkeit hinzu, setzt darauf die Probirgläser in ein auf 60—70 °C. erwärmtes Wasserbad und richtet die Aufmerksamkeit nicht nur auf das Erscheinen eines Niederschlages, sondern auch auf die Verän- derung der blauen Farbe. 0. Die Probe auf Gährung. Man giesst in enge und hohe Probirgläser gleiche Volumina (10— 20 Cem.) aller 4 Flüs- sigkeiten (das Eiweiss wird aus denselben entfernt) und fügt ihnen gleiche Mengen sorgfältig ausgewaschener und mit Was- ser in eine breiige Mässe vermischter Hefe (2—4 Ccm.) bei. Darauf nimmt man eines dieser Probirgläser und kehrt das- selbe, nachdem man es vorher zur Verdrängung der Luft mit Quecksilber angefüllt hat, über dem Quecksilber um; hiernach nimmt man ein weites Probirglas, welches das vorige in sich aufzunehmen vermag, versenkt es in das Quecksilberbad, ver- drängt aus demselben die Luft und führt nun in dasselbe unter dem Quecksilber das vorige Probirglas bis zum Boden ein, so dass das weite Probirglas dem über dem Quecksilber umge- kehrten engen Probirglase ein Quecksilberbad bildet. Nun giesst man das überschüssige Quecksilber aus, und lässt von Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871, 21 322 Dr. Victor Paschutin: demselben nur so viel übrig, dass das enge Probirglas in dem weiten schwimmen kann, ohne seinen Boden zu berühren, und entfernt hierauf das weite Probirglas aus dem Bade (natürlich zusammen mit dem in dasselbe eingeschobenen engen Probir- glase). Ebenso verfährt man mit den übrigen Probirgläsern, welche die auf Gährung zu untersuchenden Flüssigkeiten ent- halten. Mittelst dieser Methode kann man mit einer geringen Quantität Quecksilber viele Portionen für die Gährungsprobe vorbereiten, und die Gährung bei jeder beliebigen Temperatur mit grosser Bequemlichkeit vor sich gehen lassen; zu diesem Behufe braucht man nur das äussere Probirglas bis zu den Rändern in Wasser von einer gegebenen Temperatur zu ver- senken (Fig. 2). Das äussere Probirglas muss eine entspre- chende Höhe besitzen, damit das enge innere, indem es sich mit Gasen anfüllt, aus demselben nicht herausfalle. Das innere Probirglas muss graduirt sein, um die Volumina der entwickel- ten Gase leichter bestimmen zu können. Zur chemischen Un- tersuchung dieser Gase versenkt man den ganzen Apparat wieder in das Quecksilberbad und nimmt nun unter dem Quecksilber das innere Probirglas aus dem äusseren heraus, worauf der Zutritt zu den Gasen leicht wird. Um die Bildung des Zuckers in den vier untersuchten (I, II, III, IV) Portionen während einer mehr oder weniger langen Zeit bequemer zu verfolgen, nimmt man eine grosse Anzahl passender Probirgläser, stellt dieselben in vier Reihen in eine hölzerne durchlöcherte Scheibe, welche in eiskaltem Wasser schwimmt, auf, und giesst in alle Probirgläser gleiche Mengen einer Lösung von NaHO (oder Fehling’scher Flüssigkeit), und verkorkt sie sorgfältig (um die Anziehung der Kohlensäure aus der Luft zu verhindern). Jede Reihe von Probirgläsern ist für eine der zu untersuchenden Flüssigkeiten bestimmt. Aus diesen Flüssigkeiten nimmt man in gewissen Zeitintervallen gleiche Mengen, giesst sie in Probirgläser, oder scheidet vor- läufig die Eiweissstoffe (nach Neutralisation derselben) aus, und misst sie erst dann in Probirgläser ab. Wenn nun alle für die Versuche bestimmten Probirgläser mit zu untersuchenden Flüs- sigkeiten angefüllt sind, bringt man die hölzerne Scheibe mit 323 gleicht. ıonen ver Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. den Probirgläsern aus dem eiskalten in heisses Wasser, und inige E Nach dem Charakter der beobachteten Erscheinungen bei den verschiedenen Port beobachtet den Effect, indem man die Intensität der Reaction längerer Behandlung der erwähnten vier Flüssigkeiten unter dem Einflusse einer Temperatur von 35—40 °C, kann man ın Die Flüssigkeiten bleiben bei 37—40°, Flüssigkeit Nr. 1. (Normales I. Periode; sie dauert un- sefähr 5 Stunden. 2. Periode; sie dauert unge- fähr 3 Stunden vom Ende der ersten an gerechnet, 3. Periode; sie beginnt nach Verlauf v.13 Stunden vom Anfange des Versuchs, Die Intensität der Reaetion|Die Intensität der Reaction)Eine Abnahme in der In- Infusumlauf Zucker wächst währendlauf Zucker bleibt in statultensität der Reaction mit Kleister.) auf der ganzen Dauer dieseriquo oder nimmt sogar am|Zucker und eine Zunahme Periode oder bleibt Ende derselben in quo stehen. statu (Normales mit Wasser.) Ein Kleister. Flüssigkeit Nr. III. | Dasselbe was in Nr. II. Infusum (wel- ches seine diasta- tische Fähigkeit ein- gebüsst hat) mit Flüssigkeit Nr. II. |Die Reaction auf Zucker ist|Die Reaction Infusumfsehr schwach und bleibt innerhalb der ganzen Zeit in statu quo oder nimmt am Einde der Periode etwas an Intensität ab. tensität ab. Es bildet sich in der Flüssigkeit ein vo- luminöser Eiweissnieder- schlag. Die alkalische Re- action der Flüssigkeit geht in neutrale oder sogar in schwach saure über. auf Zucker giebt negative Resultate; die Reaction der Flüssigkeit wird weniger alkalisch oder selbst neutral; Eiweissnie- derschlag. diese Erscheinungen in folgende drei Perioden theilen ner Stärke.) (Kleister aus sorg- fältig ausgewasche- Statt des Niederschlages eine Färbung; das Uebrige wie in Nr. II. Füsigkeit Nr. IV. |Die Bildung von Zucker wird in dem Kleister nicht bemerkt. am|Einde der Periode an In-Ider sauren Reaction in der Flüssigkeit. Die Reaction auf Zucker giebt negative Resultate; die Reaction der Flüssig- keit istneutral oderschwach sauer. Die Reaction auf Zucker kommt zuweilen zu Stande; das Uebrige wie in Nr. II. a nn Die Reaction auf Zucker er- scheint immer, jedoch nicht selten erst nach Verlauf von einigen Tagen. 21* 324 Dr. Victor Paschutin: Die Probe auf Gährung wurde einmal mit Flüssigkeiten, welche in der zweiten Hälfte der ersten Periode, und zweimal mit solchen, welche in der zweiten Periode sich befanden, aus- geführt. In allen diesen Fällen kam die alkoholische Gährung nur in den Flüssigkeiten Nr. I zu Stande, in den drei übrigen Flüssigkeiten konnte man nicht die geringste Spur dieser Gäh- rung bemerken, trotzdem, dass diese Zuckerproben bei Tempe- raturen zwischen 18 °C. und 35 °C. stattgefunden hatten und nie weniger als 10 Stunden dauerten. Resumiren wir die erhaltenen Resultate, so sehen wir, dass in der Mischung aus nicht erhitztem Infusum und Kleister (I) während einiger Stunden Zucker gebildet wird, dass darauf die Säuregährung eintritt und der Zuckergehalt sich vermindert; der Uebergang der alkalischen Reaction in die saure wird von einem voluminösen Niederschlage von Alkalialbuminat begleitet. In der Mischung aus dem Infusum und Wasser (II) bleiben Spuren des Stoffes, welcher die Reactionen auf Zucker giebt, anfangs in statu quo, verschwinden jedoch darauf gänzlich. Die Abnahme der alkalischen Reaction, die auch zuweilen in eine saure übergeht, und das Erscheinen eines Niederschlages be- gleiten ihr Verschwinden. In der Mischung aus gekochtem (da- durch unwirksam gewordenen) Infusum und Stärkekleister (III) sind die Erscheinungen im Wesentlichen dieselben, wie sub Nr. II, mit dem Unterschiede nur, dass nach dem Verschwin- den des die Reactionen auf Zucker gebenden Stoffes, derselbe beim längeren Stehen wieder erscheinen kann. In unvermisch- ter Stärke merkt man längere Zeit hindurch keine Verände- rungen, und nur später (zuweilen schon nach Verlauf von 12 Stunden) erscheinen Spuren von Zucker. Aus dem hier Ge- sagten folgt nun, dass der Zucker im Versuche sub Nr. I auf Kosten der Stärke des Kleisters und zwar unter dem Einflusse des Infusums sich bildet, da in dem Kleister ohne Infusum der Zucker sich bedeutend später entwickelt, und in dem Infusum mit Wasser sich nicht nur kein Stoff, der die Reactionen auf Zucker giebt, bildet, sondern aus demselben auch die Spuren dieses Stoffes verschwinden, welche früher in ihm vorhanden waren. Man sieht weiter, dass in der Mischung von Infusum SHOT Fu er ” AERE Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u.s.w. 3925 und Kleister die Verwandlung nur dann stattfindet, wenn das Infusum nicht vorläufig auf eine hohe Temperatur erwärmt wurde; im entgegengesetzten Falle tritt die Verwandlung, wie es scheint, eben so spät ein, wie in der Stärke allein; dieses weist darauf hin, dass die Verwandlung von Stärke unter dem Einflusse des normalen Infusums, durch das in dem Infusum enthaltene Ferment hervorgerufen wird, da die diastatische Wir- kung des Fermentes namentlich durch die Erwärmung auf eine hohe Temperatur vernichtet wird. Man könnte einwenden, dass die Verwandlung nicht von einem aus der Mucosa stam- menden Fermente, sondern von einem während der Bereitung des Infusums in dasselbe aus der Luft gelangten herrühren könne; diese Ansicht wäre jedoch irrthümlich, da Versuch sub Nr. III zeigt, dass das Ferment in den eiweisshaltigen an der Luft stehenden Flüssigkeiten sich sehr langsam entwickelt, wir aber in vielen Fällen die diastatische Wirkung sehr bald — schon nach einer halben Stunde nach dem Tode des Thieres — beobachteten; wozu noch kommt, dass man die diastatische Wirkung eines frischbereiteten Infusums durch längeres Er- wärmen in einer Temperatur unter 60 °C. vernichten kann, wogegen die aus der Luft gelangenden Fermente, welche aus Keimen bestehen, nach der allgemein angenommenen Meinung ihre Wirksamkeit erst bei längerer Einwirkung einer Tempe- ratur von 100 °C. einbüssen.') Nehmen wir zu den Versuchen statt des Infusums den na- türlichen Darmsaft, so bleiben, mit Ausnahme kleiner Abwei- chungen, die im geringen Gehalte des Darmsaftes an alkali- schem Eiweiss und in der Abwesenheit des Stoffes, welcher die erwähnten Reactionen auf Zucker giebt, bestehen, die Erschei- nungen im Wesentlichen dieselben. So bildet sich bei der Behandlung des Saftes mit Kleister bei 35—40 °C. zuerst Zucker in demselben, darauf vermindert sich dessen Menge und die Reaction wird eine saure; der Eiweissniederschlag, der sich in diesem Falle bildet, ist nicht so voluminös wie in dem In- fusum. In der Mischung des Saftes mit Wasser bemerkt man 1) Gähru ngserscheinungen, von Ernst Hallier. Leipzig, 1867, 326 Dr. Vietor Paschutin: keine Schwächung der alkalischen Reaction und es bildet sich kein Niederschlag von alkalischem Eiweiss, wahrscheinlich des- halb, weil in dem Safte der oben erwähnte Stoff nicht existirt. In der Mischung vom gekochten Safte und Kleister bemerkt man in der ersten Zeit keinen Zucker, vorausgesetzt dass der Kleister ihn nicht schon vorher enthielt; der Zucker kann aber in demselben beim längeren Stehen erscheinen. Bemerken muss ich, dass nicht die Magenschleimhaut al- lein (im wässerigen Infusum) einen Stoff enthält, der die Re- actionen auf Zucker giebt, und beim Stehen Milchsäure ent- wickelt, sondern dass sich dasselbe auch von der Schleimhaut des ganzen Darmcanals sagen lässt; es stellen also diese Er- scheinungen bei der Magenschleimhaut nichts Specifisches dar, was die saure Reaction des Magensaftes erklären könnte. Bei niedrigen Temperaturen von ungefähr 0° findet die Entwicke- lung der sauren Reaction in den Darminfusa nicht Statt. Das auf oben beschriebene Weise verfertigte Infusum der Darmschleimhaut wirkt etwas 'energischer als der Darmsaft; hieraus aber kann man nicht auf eine Beimischung von Pan- kreassaft!) schliessen, da die Infusa der Organe, welche Fer- mente bereiten, nicht selten eine grössere Menge des Fermentes enthalten, als das Secret des letzteren; so wirkt z. B. das In- fusum der Submaxillaris nicht weniger energisch als die Infusa der Darmschleimhaut, der Speichel der Submaxillaris aber so- gar viel schwächer als der Darmsaft. Auf Grund solcher Analogien kann man eher zu einem ganz entgegengesetzten Schlusse gelangen, nämlich, dass bei meinen Versuchen durch Auswaschen des Darmes sogar ein bedeutender Theil jenes Fer- mentes verloren ging, das in dem Schleimhautgewebe selbst enthalten war. Von dem Darmsafte muss man jedoch erwäh- 1) Das Bidder-Schmidt’sche Verfahren, die Abwesenheit des Pankreassaftes in der Darmflüssigkeit aus dem negativen Resultate bei der Wirkung der Darmflüssigkeit auf Fette zu erkennen, bietet kein genügend empfindliches Reagens, da eine kleine Menge eines Infusums aus Pankreas zum Darminfusum hinzugefügt, die diasta- tische Wirkung desselben zwar verstärkt, auf die Fette aber von kei- nem besonderen Einflusse ist, 1 A 1 793% B Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 327 nen, dass nur in seltenen Fällen nach Verlauf von 10 Minuten bei 40 °C. die Spuren des entwickelten Zuckers in demselben nicht zu bemerken sind !), nur muss man, um dieselben nach- zuweisen, des Contrastes wegen einen vergleichenden Versuch mit gekochtem Safte machen. Man kann das Infusum der Darmschleimhaut so bearbeiten, dass alle Verschiedenheiten, welche wir bei den vergleichenden Versuchen zwischen ihm und dem Darmsafte bemerken, verschwinden; man braucht nur das Infusum während 4—8 Stunden der Wirkung einer Tem- peratur von 37—40 ° C. auszusetzen; es verschwindet alsdann aus demselben der Stoff, welcher die Reaction auf Zucker giebt; das überschüssige alkalische Eiweiss wird gefällt (die Menge des in der Hitze coagulirenden Eiweisses bleibt aber dieselbe) und die diastatische Fähigkeit des Infusums vermindert sich ein wenig; dieser letzte Umstand hängt vielleicht ausschliesslich davon ab, dass der Eiweissniederschlag eine gewisse Menge des Fermentes mit sich reisst. Auch nicht gekochtes (rohes) Amylum wird durch die Darminfusa und durch den Darmsaft verdaut, natürlich aber viel schwieriger, da im Allgemeinen die nicht gekochte Stärke viel langsamer als die gekochte unter dem Einflusse der Fer- mente in Zucker verwandelt wird. Aus dem oben Gesagten folgt nun, dass die Resultate mei- ner Untersuchungen über die diastatische Wirkung des Darm- saftes am meisten mit denen des Dr." Dobroslawin überein- stimmen. Thiry’s und Leube’s negative Resultate sind irrig; Schiff’s Ansicht, dass der Saft aus gelungenen Fisteln die Stärke ebenso energisch wie der pankreatische Saft verwandelt, aus misslungenen aber keine diastatische Wirkung besitzt, er- wies sich ebenfalls als irrig. In allen meinen Versuchen mit Fistelschlingen (an mehr als zehn Hunden) beobachtete ich stets eine diastatische Wirkung von ungefär gleicher Intensität, obschon ich die Fisteln an verschiedenen Abschnitten des Darmcanals angelegt hatte. Es weichen meine Resultate schon 1) Zu diesem Zwecke nimmt man eine Mischung von gleichen Theilen Darmsaft und 4 Procent Kleister. 328 Dr. Vietor Paschutin: weniger von denen Quincke’s ab, welcher zuweilen eine dia- statische Wirkung beobachtete, obschon eine so schwache, dass dieselbe bei ihm in der Mehrzahl der Fälle erst nach Verlauf von 12 Stunden bei 40 ° C. auftrat; diese letztere Thatsache erscheint aber etwas sonderbar, da, wie meine Versuche zeigen, der Zucker schon viel früher als nach 12 Stunden aus der Mischung zu verschwinden beginnt, indem er sich in Milch- säure verwandelt, bei Quincke aber trat die Zersetzung des Zuckers aller Wahrscheinlichkeit nach noch viel früher ein, da der Saft, mit welchem er arbeitete, nach seiner Angabe schon nach Verlauf von 1—5 Stunden bei 40 °C, die saure Reaction mit Trauben- und Rohrzucker gab; in meinen Versuchen trat die Oxydation selten früher als nach Verlauf von 4 Stunden und niemals früher als nach 3 Stunden ein. Zu bemerken ist, dass der Eilect der Wirkung einer und derselben diastatischen Flüssigkeit je nach dem Verhältnisse zwischen der Menge des Kleisters und des hinzugegossenen Saftes verschieden sein kann. Ich nahm gleiche Mengen (2 cm.) menschlichen, 10mal mit Wasser verdünnten Speichels, und setzte seiner Wirkung verschiedene Quantitäten (2, 3, 4, 5, 6 Cem.) ein und desselben Kleisters während 20 Sec. bei 15 °C. aus'); nachdem die diastatische Wirkung durch Hinzu- giessen einer und derselben Menge des Reagens (NaHO Lösung) aufgehoben wurde, fügte ich zu jeder der vier ersten Portionen solche Mengen Kleisters (4, 3, 2, 1 Ccm.) hinzu, dass in allen die Menge des Kleisters gleich 6 Cem. wurde; auf diese Weise erhielt ich Mischungen aus gleichen Mengen Speichels, Reagens und Kleisters; die Verwandlung ging also bei einer und der- selben Temperatur und während einer und derselben Zeit vor sich und nur die Quanta des der Wirkung des Speichels aus- gesetzten Kleisters waren verschieden. Es erwies sich nun bei der Erwärmung aller Portionen im heissen Wasser, dass die Reaction desto prägnanter ausfiel, je geringer die Menge des Kleisters war, auf die der Speichel zu wirken hatte?), Man 1) Zur Ausführung dieses und des folgenden Versuches diente der Apparat, welcher weiter unten beschrieben wird, 2) Dies wird natürlich nur zwischen bestimmten Grenzen der Einige Versuche mit Fermenten, welche die Stärke u.s. w. 329 kann nun weiter folgenden Versuch austellen: gleiche Men- gen Kleisters (3 Ccm.), aber von verschiedener Concen- tration (1, 2, 3, 4, 5 Theile Stärke auf 100 Theile Wasser), werden unter gleichen Bedingungen der Verwandlung ausge- setzt (2 Gem. 10mal verdünnten Speichels, die Einwirkungs- dauer = 20 Sec. bei 15 °C.; 2 Ccm. Reagens); es stellt sich dabei heraus, dass die Verwandlung desto prägnanter ist, je höher der Procentgehalt des Kleisters war. Wir sehen also, dass bei einer und derselben Concentration des Kleisters der Effect ein desto kleinerer ist, je grösser sein Volum, und dass er bei einem und demselben Volum desto geringer ist, je ge- ringer seine Concentration. Beide Momente beziehen sich auch auf andere diastatische Flüssigkeiten, wie z. B. auf Darmsaft, Pankreasinfusum u. d.m.') Hieraus ersieht man, dass sehr leicht falsche Resultate erhalten werden können, wenn man mit schwachen diastatischen Flüssigkeiten zu thun hat; wenn man nämlich den Kleister zu sehr verdünnt oder in zu grossen Quantitäten nimmt, kann der Effect der Verwandlung so schwach werden, dass er leicht der Beobachtung entgeht; ferner wenn man die Probe auf Zucker zu früh nach dem Anfange der dia- statischen Wirkung, oder zu spät, wenn schon die saure Gäh- rung begonnen hatte, unternimmt, kann man auch sehr leicht irren. Alle erwähnten Momente sind auch wahrscheinlich der Grund, warum Thiry und Leube die diastatische Wirkung niemals, und Quincke dieselbe nur zuweilen gefunden haben, Bedauernswerth ist es, dass Thiry, Leube und Quincke weder das Verhältniss zwischen dem Safte und dem Kleister ihrer Mischungen, noch die Concentration des Kleisters angeben, und dass Dobroslawin sich nur sehr unbestimmt darüber ausdrückt. Erinnern wir uns, mit welchen Schwierigkeiten die Fall sein; nimmt man eine zu geringe Menge Rleisters, so dass der Speichel ein ungenügendes Material erhält, so kann man ganz ent- gegengesetzte Resultate erhalten. 2) Dasselbe wiederholt sich auch bei anderen fermentativen Pro- cessen, z. B. bei der Verwandlung des Rohrzuckers in Traubenzucker unter dem Einflusse des entsprechenden Fermentes (des Fermentes B s. unten). 330 Dr. Victor Paschutin: Gewinnung des Darmsaftes verbunden ist (im Verlaufe vieler Stunden erhält man nur einige Gramme) und dass diese so schwierig erhaltene Menge des Saftes gewöhnlich zur Unter- suchung seiner Wirkung auf Eiweiss, Fette, Rohrzucker und endlich Stärke angewendet wird, wobei natürlich die grösste Menge des Saftes auf das Eiweiss verbraucht wird, so kann man mit Wahrscheinlichkeit vermuthen, dass bei jenen Beob- achtern nur einige Tropfen Saftes für die Stärke übrig blieben. Die Intensität der Verwandlung unter dem Einfluss einer und derselben diastatischen Flüssigkeit hängt ausser von der Concentration des Kleisters und seiner relativen Menge, be- kanntlich noch von der Temperatur, bei welcher die Zucker- bildung vor sich geht, ab. Um den Einfluss dieses dritten Factors näher kennen zu lernen, stellte ich mir die Aufgabe, die Zeit zu bestimmen, welche erforderlich ist, um bei ver- schiedenen Temperaturen (innerhalb der Grenzen der Wirksam- keit des Fermentes) unter übrigens gleichen Bedingungen einen und denselben Effect zu erhalten. Die Zahlen, welche ich er- hielt, können als Ausdruck der Abhängigkeit der diastatischen Wirkung des Fermentes von den Temperaturen, bei welchen dasselbe eingewirkt, gelten. Man muss natürlich zuerst die Temperatur, bei welcher die diastatische Wirkung am intensiv- sten ist, bestimmen, um eine Einheit als Basis für die Ver- gleichung festzustellen. Zu diesem Zwecke ist es nothwendig, ein Mittel zu be- sitzen, um die diastatische Wirkung des Fermentes auf Amylum momentan aufzuheben; ein solches Mittel ist die Lösung von NaHO, welche zu gleicher Zeit auch als Reagens zur Bestim- mung der Effecte der diastatischen Wirkung dienen kann. Um sich davon zu überzeugen, wird folgende Reihe von Versuchen angestellt. Man giesst in ein Probirglas (Fig. 3) 3—4 Cem. Stärkekleister, in die eine der. Pipetten (z. B. a) eine abge- messene Quantität menschlichen Speichels (2 Cem.), in die an- dere (b), ungefähr dieselbe Menge Lösung kaustischen Alkali (10°°/,). Nach dem Oeffnen des Hahnes der (das Reagens ent- haltenden) Pipette b stösst man kräftig ihren Inhalt heraus '), 1) Dieses wird durch Ausblasen mit dem Munde oder viel besser Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u.s.w. 331 so dass sich dieser beim Eingiessen in den Kleister mit dem- selben vermischt; gleich darauf giesst man in diese Mischung den Speichel aus der anderen Pipette (a). In einem anderen Versuche giesst man den Speichel und das Reagens gleich- zeitig in den Kleister. In der dritten Versuchsreihe giesst man zuerst den Speichel und dann das Reagens in den Kleister, und zwar in verschiedenen kleinen Zeitintervallen (!/,‘, 1’, 2'', 3). — Schliesslich richtet man den Versuch so ein, dass zuerst der gekochte Speichel (also ein solcher, der seine diastatische Wir- kung schon verloren) und hierauf das Reagens in den Kleister gebracht wird. Darauf setzt man alle Probirgläser mit diesen Mischungen auf einige Minuten in heisses Wasser (ca. 80—100° C.), um die Färbung der Flüssigkeit, falls sich in irgend einer derselben Zucker gebildet hätte, hervorzurufen, und vergleicht nun die Effecte: es stellt sich heraus, dass in den Portionen, in welchen der Speichel nach dem Reagens oder auch gleich- zeitig mit demselben eingegossen wurde, keine Spuren der Reaction zu bemerken sind; der Effect ist derselbe wie in der Portion mit gekochtem Speichel, d.h. die Flüssigkeit behält ihre blaue Farbe; in den Portionen aber, in welchen der Spei- chel vor dem Reagens hineingegossen wurde, wenn auch die Zeit einen Bruchtheil der Secunde nicht übersteist'), sind schon Spuren gelblicher Färbung der Flüssigkeit bemerkbar, und zwar zeigte sich in-den verschiedenen Portionen diese Färbung desto intensiver, je länger der Zeitraum zwischen dem Hinzugiessen des Speichels und des Reagens war, wenn auch dieser Zeitraum 1a —1 Secunde nicht überstieg?). Selbstverständlich ist, dass um die durch die Verlängerung der diastatischen Wirkung bedingte Steigerung des Effects be- obachten zu können, besonders wenn die Differenz der Dauer mit Hülfe des auf Fig. 8 abgebildeten Blasebalges ausgeführt, Zu diesem Zwecke vereinigt man die Kautschukröhren (ee) der Pipette a und b mit den Röhren ff. 1) So dass das Reagens schon in die Mischung gelangte, bevor noch der ganze zum Versuche bestimmte Speichel ausgegossen war. 2) Bei diesen Versuchen dauerte der Einfluss des Speichels auf Amylum höchstens 20 Secunden, 332 Dr. Vietor Paschutin: zwischen zwei aufeinanderfolgenden Portionen zu gering ist, bei Ausführung dieser Versuche die grösste Sorgfalt erforderlich ist, d. h. es müssen in jedem einzelnen Falle die Mengen des ge- nommenen Kleisters und des Speichels, ihre Concentration und die Temperatur, bei welcher die Mischung erfolgt, vollkommen identisch sein. Will man andererseits den Effect der Wirkung verschiedener Temperaturen während einer und derselben Zeit beobachten, so muss der Versuch so angeordnet werden, dass der Fehler in der Zeit einen Bruchtheil der Secunde nicht übersteigt. Um allen diesen Forderungen Genüge zu leisten, war es nothwendig, einen entsprechenden Apparat zu con- struiren. Zur Abmessung des Kleisters gebraucht man eine Pipette mit 2 Korken, wie sie Fig. 4 veranschaulicht!). — Die Ab- messung des Kleisters wird durch dessen colloide Beschaffen- heit erschwert, da noch lange Zeit, nachdem der Kleister schon aus der Pipette ausgegossen ist, Tropfen desselben von den Wänden herabfliessen; um sich auch in dieser Hinsicht vor be- merkbaren Fehlern zu schützen, macht man die Abmessung auf folgende Weise: nachdem man die Pipette bis zu einem gewissen Striche mit Kleister gefüllt hat, bringt man dieselbe in das Probirgläschen, und mit dem Schlage eines Metronoms oder eines Uhrpendels hört man auf, die Kautschukröhre zu- sammenzudrücken; der Kleister fliesst in Folge seiner Schwere aus, und während einer bestimmten Zahl der Schläge (von dem Anfang des Ausfliessens an) bläst man die an den Wänden an- gesammelten Tropfen aus. Auf diese Weise kann man den Kleister sehr rasch und mit genügender Schärfe abmessen?). Der von mir gebrauchte Kleister war aus 4 Theilen Stärke auf 1) Der grössere Kork erlaubt der Pipette nur bis zu einer ge- wissen Tiefe in das Probirglas einzudringen, der zweite richtet den Kleisterstrahl gerade auf den Boden des Gläschens, da der Theil des Kleisters, welcher an den Wänden kleben bleibt, der Wirkung des Fermentes entgeht. 2) Die Abwägungsmethode ist hier ihrer Langsamkeit wegen nicht anwendbar, da der Versuch schon an und für sich sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 333 100 Theile Wasser bereitet. Einen Kleister von grösserem Amylumgehalt ist es schwer abzumessen. Der zum Versuche bestimmte menschliche Speichel!) muss vorläufig durch Papier filtrirt werden. Dies ist nothwendig, damit derselbe in seiner ganzen Masse eine gleichmässige diastatische Fähigkeit habe?). Zum Abmessen der diastatischen Flüssigkeit bediente ich mich einer auf Fig. 5 abgebildeten gekrümmten Pipette. Man setzt auf das Ende b ein Kautschukrohr auf, senkt das Ende a in ein Gefäss mit Speichel, saugt die Pipette bis zum Striche e voll und kehrt sie dann mit dem Ende « nach oben. — Der Speichel nimmt dann in beiden Schenkeln die Stellung d an; darauf überträgt man die Kautschukröhre vom Ende 5b auf das Ende a. Eine ähnlich gekrümmte Pipette, welche auf Fig. 6 abgebildet ist, dient zur Abmessung des kaustischen Alkali; der absteigende Schenkel % dieser Pipette, nachdem die Pipette vorher mit einer genügenden Quantität des Reagens gefüllt wurde, wird bis zu dem Kork m der Röhre o des vorigen Ap- parates, der, wie es Fig. 7 veranschaulicht, in das Probirgläs- chen b mit Kleister gesenkt wird, gesetzt. Das Probirglas b wird in Wasser gesenkt, das bis zu der Temperatur, in welcher man die diastatische Wirkung beobachten will, erwärmt ist. Dies erreicht man auf folgende Weise (Fig. 8 und 7): in einem kupfernen mit Wasser gefüllten Gefässe A schwimmt eine Platte z aus weichem Holz mit einem Handgriff « und mit einigen Oeffnungen, von welchen eine für das Probirgläschen D, eine andere für die Pipette mit Speichel ce bestimmt ist; der Kork d dieser Pipette (s. Fig. 7 und 5) dient zum Fixiren derselben in dem Probirgläschen; der Kork e, um den Enden der Pipette eine bestimmte Richtung in dem Probirgläschen zu geben, und der Kork f hält den ganzen Apparat (das Probir- 1) Den menschlichen Speichel erhielt ich bei allen meinen Ver- suchen durch Reizung meiner Mundschleimhaut mit Aether. 2) Selbst dann, wenn man den filtrirten Speichel mit Wasser ver- dünnt, ist es zur Erzielung seiner gleichmässigen diastatischen Wir- kung nothwendig, den Speichel noch einmal zu filtriren, und man kann sich nicht mit einem wenn auch sorgfältigen Umrühren dessel- ben begnügen. RS ri ER En 1 SE ATI R ER a RA her a 334 - Dr, Vietor Paschutin: gläschen nebst der Pipette) in einer bestimmten Entfernung von der Oberfläche der schwimmenden Platte x, um das Probirglas vor dem Eindringen des Wassers zu schützen; der letztere Kork ist mit zwei kurzen und spitzen Stiften y versehen (Fig. 5), mit welchen man den ganzen Apparat an die Platte be- festigt; der Handgriff « dient zum Fixiren der Scheibe x wäh- rend dieser Befestigung. Auf diese Weise erhalten der Kleister und der Speichel, ehe sie mit einander vermischt werden, eine und dieselbe Temperatur, die man mittelst des ins Wasser ein- getauchten Thermometers (Fig. 8) bestimmt; die Pipette mit dem Reagens (h, Fig. 7 und 8), die nicht ins Wasser gesenkt wurde, wird somit auch nicht erwärmt. Es bleibt nur die Be- schreibung derjenigen Theile des Apparates übrig, mit deren Hülfe der Speichel und das Reagens in den Kleister ausgegos- sen werden; Fig. 8 BD stellt diesen Theil des Apparates vor. Auf dem Tische B sind zwei Apparate befestigt, in denen die Kautschukblasen aa mit Hülfe von Gewichten z2 zusammenge- drückt werden; von diesen Blasen gehen zwei (in ihrem Laufe durch kupferne Hähne rr (Tisch D) unterbrochene) Kautschuk- röhren!), zu den gebogenen metallenen Röhren (pp, Fig. 7, 8), welche in einer Einfassung g solid fixirt und in den kupfernen Kessel A so versenkt sind, dass ihre Enden «« durch die höl- zerne Scheibe x hindurchgehen und über das Niveau des Was- sers hervorragen; diese Enden sind durch Kautschukröhren ü mit den oberen Enden der Pipetten ce, h verbunden. Der ganze Apparat wird auf folgende Weise in Thätigkeit gesetzt: Nachdem man das Probirgläschen 5 mit den Pipetten die mit den Kautschukröhrchen “ versehen sind) ins Wasser gesenkt und an die Scheibe x befestigt hat, wartet man unge- fähr 3 Minuten, damit der Kleister und der Speichel Zeit ha- ben, die Temperatur des Wassers anzunehmen; während dieser Zeit verbindet man die Kautschukröhrchen “ mit den Enden der Röhrchen ww (der Kessel wird mit einer Glasglocke s be- deckt), schliesst die Hähne rr zu und lässt die Gewichte z2 1) Die Enden der Röhren xx werden während des Versuches mit den Enden ff vereinigt. Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 335 auf die Blasen aa wirken. Nach Verlauf von 3 Minuten öffnet man mit dem Schlage einer Taschenuhr') den Hahn r desjeni- gen Rohres, welches den Zutritt zur Pipette mit dem Speichel gewährt, der Speichel wird mit Kraft in den Kleister gestossen, und damit ist auch der Anfang der diastatischen Wirkung ge- geben; durch Drehung des anderen Hahnes wird das Reagens ausgestossen und somit die diastatische Wirkung aufgehoben; die zwischen dem Oeffnen der beiden Hähne verflossene Zeit ist gleich der Dauer der diastatischen Wirkung. Nun nimmt man das Probirgläschen mit den Pipetten aus dem Kessel her- aus (die Kautschukröhren ii werden von den Metallröhrchen pp entfernt) und verstopft es (nach der Entfernung der Pipetten ?) sorgfältig, darauf hebt man die Gewichte 22 auf, und der Ap- parat ist für neue Versuche bereit. Der Luftdruck in den: zu- sammengedrückten Blasen war bei meinen Versuchen = 150 bis 180 mm. Quecksilber. Bei einem höheren Drucke warf der aus der Oeffnung der Pipette ausfliessende Flüssigkeitsstrahl den Kleister nach allen Seiten auseinander; die Ausflussöffnun- gen sind sehr eng und so gerichtet, dass der ausfliessende Strahl gerade in die Stärke gelangt, ohne die Wände des Ge- fässes zu berühren; das Auswerfen des Inhaltes einer jeden Pipette (ca. 2'1/, Cem.) dauerte ungefähr 2'/, Secunden.?) Das Gefäss A steht entweder auf einem Tische oder auf einer Heerdplatte, je nach der Temperatur, bei der man das Amylum verwandeln will. Das Ableitungsrohr m (mit dem 1) Man legt die Uhr an das Ohr und bindet die Ohren (sammt der auf ein Ohr aufgelegten Uhr) mit einem Schnupftuche zu, — dieses giebt die Möglichkeit, den Versuch in einem Laboratorium an- zustellen, in dem noch Andere arbeiten. 2) Die Pipette mit dem Speichel wird jedesmal ausgewaschen; zu diesem Zwecke verbindet man die Kautschukröhre i der Pipette mit einem Zuleitungsrohre eines in einiger Höhe aufgestellten mit Was- ser gefüllten Gefässes. Das Auswaschen geschieht dann sehr rasch. 3) Streng genommen, wird nicht die ganze Flüssigkeit aus den Pipetten ausgestossen, dieses kann aber keinen Einfluss ausüben, da die Menge der zurückgebliebenen Flüssigkeit eine und dieselbe ist oder so unbedeutend schwankt, dass die Unterschiede von keinem Einfluss auf die Resultate sein können. 336 Dr. Vietor Paschutin: Hahne) dient zur Ableitung des warmen Wassers aus dem Kessel; durch das Rohr rn (mit dem Hahne) lässt man kaltes Wasser aus dem Gefässe / hineinfliessen. Will man den Versuch bei 0° unternehmen, so legt man in den Kessel A Eis- stücke. Das um seine Längsaxe drehbare (mit einem Kaut- schukrohre versehene) Rohr vo dient zum Umrühren des Was- sers, was durch Einblasen der Luft und durch gleichzeitige Be- wegung des Rohres o erreicht wird. Das Thermometer ! zeist die Temperatur des Wassers und folglich auch der der diasta- tischen Wirkung ausgesetzten Mischung an. Versuch. Menschlicher Speichel wird mit 30 Theilen Wasser ver- dünnt; der Speichel, der Kleister und die Lösung des Alkali (5—8°/,) werden jedesmal in gleicher Quantität genommen, d.h. 2,5 Cem. Man lässt nun den Speichel auf den Kleister bei verschiedenen Temperaturen innerhalb 10 Secunden wirken und beobachtet einen merklichen diastatischen Effect bei der auf 40 °C, erwärmten Portion, in Portionen aber, deren Tem- peratur niedriger oder höher als 40 °C. ist, wird dieser Effect immer schwächer, so dass bei Temperaturen, welche bedeutend von 40 °C. entfernt sind, der Effect der Umwandlung gleich O ist. Nun wiederholt man den Versuch, nur mit dem Unter- schiede, dass die diastatische Wirkung 10mal länger dauert: der Effect ist schon bei Temperaturen, welche weit von 40 °C. ab- stehen, sehr deutlich, z.B. bei 0 °C.; die Erscheinungen. blei- ben jedoch im Wesentlichen dieselben. Man beobachtet die Verstärkung des Effectes mit der Annäherung an 40 ° C., doch ist der Unterschied zwischen den 40 ° ©. nahen Portionen nicht so deutlich wahrnehmbar, wie beim vorigen Versuche. Es lässt sich jedoch nicht behaupten, dass die Temperatur der intensiv- sten diastatischen Wirkung für alle Fälle vollkommen eine und dieselbe ist; sie schwankt in den Grenzen von einigen Graden; diese Temperatur ist im Allgemeinen nicht niedriger als 39°C, und nicht höher als 42 ° C.; höhere Temperaturgrade als Tem- peraturen der intensivsten Wirkung, fallen dem Anscheine nach mit dem grösseren Wirkungsvermögen des untersuchten Spei- chels zusammen. Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u.s.w. 337 Nachdem man die Temperatur der intensivsten Wirkung bestimmt hat, stellt man für die folgenden Untersuchungen (in Bezug auf den Einfluss der Temperatur auf die Intensität der diastatischen Wirkung) eine Einheit zur Vergleichung fest; zu diesem Zwecke bestimmt man die minimale Dauer der fermen- tativen Wirkung, welche einen deutlichen, aber sehr schwachen Effect bei 40 °C. hervorrufen kann '); diese Dauer wurde nach dem Schlage einer Taschenuhr gemessen; je zwei Schläge nahm man für eine Einheit; 53 solcher Einheiten (21 Sec.) genügen, damit der diastatische Effect bei 40 °C. die gewünschte Inten- sität erlange. Es ist nicht schwer zu errathen, warum man bei diesen Versuchen einen möglichst schwachen diastatischen Effect als Einheit zur Vergleichung nimmt: je weniger concen- trirt die zu untersuchenden Zuckerlösungen sind, desto leichter wird der Unterschied im Zuckergehalte mit Hülfe der Moore’- schen Reaction bestimmt. Um diesen diastatischen Effect (welcher als Einheit zur Anstellung von Vergleichungen dient) mit grösserer Genauig- keit zu bestimmen, muss man natürlich die Menge des Zuckers, welche sich unter solchen Umständen bildet, kennen. Zu die- sem Zwecke that ich Folgendes: ich bereitete vier Normalpor- tionen auf die oben beschriebene Weise, d. h. indem ich den Kleister und den Speichel bei 40° C. vermischte und zu ihnen nach Verlanf von 53 der erwähnten Zeiteinheiten die Lösung eines kaustischen Alkali’s hinzufügte; darauf bereitete ich zwölf andere Portionen, indem ich die vorigen Flüssigkeiten in „dem- selben Verhältnisse (d. h. 2!/,; Cem.), jedoch in verschiedener Nacheinanderfolge, so dass die diastatische Wirkung nicht ent- stehen konnte, vermischte; ich fügte nämlich zum Kleister zu- erst das Alkali und dann den Speichel hinzu. Hierauf fügt man zu sechs von diesen zuletzt erwähnten Portionen eine ver- schiedene Anzahl Tropfen einer Zuckerlösung von bestimmter Concentration (1 °/,) hinzu. Darauf erwärmt man diese sechs Portionen und zwei von den Normalportionen, und nach der 1) Die Menge und die Concentration des Speichels, der Stärke und des Reagens sind dieselben wie in den vorigen Versuchen. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 92 338 Dr. Vietor Paschutin: Intensität der Reaction bestimmt man, welche von den sechs Portionen am meisten den Normalportionen entspricht. Bei Wiederholung dieses Versuches, nachdem also die Zahl der Tropfen, welche den diastatischen Effect compensiren, schon ungefähr bestimmt wurde, fügt man zu den anderen Normal- portionen eine entsprechende Anzahl Tropfen Wasser hinzu; da durch Hinzufügen von Tropfen Zuckerlösung auch das Vo- lum der zu untersuchenden Flüssigkeiten sich vergrössert hatte. Es ergab sich aus diesen Versuchen, dass bei diastatischer Wir- kung im vorliegenden Falle sich 0,0039 grm. Zucker aus 2,5 Cem. 4°/, Kleister (0,ı grm. Stärke) unter dem Einflusse von 2,5 Cem. 30fach verdünnten menschlichen Speichels während 20 Sec. bei 40 °C. bildeten, d. h. es verwandelte sich in Zucker unter den gegebenen Bedingungen !/,; Theil der genommenen Stärke. Jetzt habe ich nur noch die Art der Ausführung desjeni- gen Versuches zu beschreiben, den ich unternahm, um die Dauer der fermentativen Wirkung, welche zur Erhaltung eines und desselben Effectes bei verschiedenen Temperaturen noth- wendig ist, in Zahlen auszudrücken: Versuch |. Man bereitet einige (15) Normalportionen bei 39 ° C. bei einer Dauer von 53 und bringt die Probirgläser, nachdem man sie sorgfältig verkorkt hat, in eiskaltes Wasser. Hierauf kühlt man das Wasser im Apparate A Fig. 8 auf 35 °C. ab, . und, bereitet bei dieser Temperatur einige Portionen mit ver- schiedener diastatischer Wirkungsdauer, nämlich 53, 54, 55, 56, ete., steckt alle die zuletzt angeführten Probirgläser und zwei von den Musterportionen (d. h. den bei 39 °C. bereiteten) in eine hölzerne Platte, bringt dieselbe erst in ein auf 20—30 ° C. erwärmtes Wasser, damit alle eine und dieselbe Temperatur annehmen, darauf in heisses (80—90 ® Ö.), und beobachtet die Intensität der Reaction '): beide Normalportionen sind in dieser 1) Anfänglich untersucht man die Probirgläser alle 24—3 Minu- ten nach ihrem Eintauchen in heisses Wasser, um «die Unterschiede in der Reaction gleich anfangs zu bemerken; dann lässt man die Probirgläser 5 Minuten und länger im Wasser stehen. Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 339 Hinsicht identisch, vorausgesetzt, dass kein Fehler begangen wurde (deshalb nimmt man auch zwei Portionen), und die bei 3500. bereiteten zeigen eine Verstärkung der Färbung mit dem Wachsen der Dauer der diastatischen Wirkung, Man vergleicht die ersten Portionen mit den zweiten und bestimmt, welche von diesen letzteren mit Bezug anf die Intensität der Reaction den Normalportionen entspricht. Nachdem man eine solehe Portion gefunden hat, kühlt man das Wasser im Appa- rate C bis zu 30 °C. ab und bereitet wiederum einige Portio- nen, wobei man als Minimum der Dauer die für die vorherge- gangene Temperatur gefundene Zeit nimmt, und vergleicht wie früher mit anderen Normalportionen. Darauf kühlt man das Wasser im Apparate bis 25 °C. ab, u.s. w. Bei niedrigeren Temperaturen fängt man nicht mit der für die nächst vorher- gegangene Temperatur gefundenen Zeit an, sondern mit einer grösseren und zwar desto grösseren, je niedriger die Tempera- tur ist. Die bei niedrigen Temperaturen bereiteten Portionen müssen sich auch nicht durch die Dauer von 1, sondern 2, 3 u.s. w., bei 0°C. durch 6—12 von einander unterscheiden. Auf diese Weise habe ich folgende Zahlen erhalten: 3900.— 53 — 50 — 0 39°C. — Sl) 2 — 2 — 0, 30°0.— 57 — 54 — 4 — 0, 235°0.— 92 — 59 — 9 — Oıs 20°C. — 0 —- 697 -—- 11 — 0; 15°0.— 3837 — .34 — 34 — 0, 10°C. — 10 — 17 — 607 — 1a 5°0C.— 1855 — 12 — 132 — 2 0°0.— 325 — 32 — 272 — 5, Die Zahlen der ersten Columne zeigen die Temperaturen, bei welchen die vergleichenden Untersuchungen vorgenommen wurden; die der zweiten die Dauer der diastatischen Wirkung, welche erforderlich ist, um in allen einen und denselben Effect zu bedingen; in der 3. Columne sind die Zahlen der 2. Co- lumne, welche um 3 Einheiten verkleinert sind, um die Dauer der diastatischen Wirkung präciser zu bestimmen, angeführt, 22” 340 Dr. Vietor Paschutin: In der That vermischt sich der Speichel nicht momentan mit dem Kleister, sondern während der ganzen Zeit, welche nöthig ist, um den Speichel in den Kleister auszugiessen. Diese Zeit war bei meinen Untersuchungen gleich 6 Einheiten, d. h. 2, Secunden. Folglich kann die ganze Masse des Speichels nur nach Verlauf von 6 Zeiteinheiten auf den Kleister wirken, bis dahin aber wächst die diastatische Wirkung desselben (im Ver- hältnisse zu dem Zuflusse des Speichels). Diese Periode des Ausgiessens der Mischung verhält sich augenscheinlich ver- schieden zur ganzen Dauer der diastatischen Wirkung bei jeder der untersuchten Temperaturen, weil diese Dauer sehr verschie- den ist; es wäre deshalb irrthümlich, diese Periode vollständig aus der Rechnung auszuschliessen (d. h. von der ganzen Dauer des diastatischen Processes 6 Einheiten zu subtrahiren); ebenso wäre es nicht richtig, diese 6 Einheiten gleich den nachfolgen- den, wenn schon die ganze diastatische Flüssigkeit in ihrer gan- zen Masse wirkt, in die Rechnung mitzuziehen: desshalb ziehe ich nur die Hälfte dieser Periode in Rechnnng, d.h. nehme die ersten 6 Einheiten für 3 Einheiten; hierdurch ist auch die vorher erwähnte Subtraction von 3 Einheiten motivirt. In der vierten Columne sind die Differenzen zwischen der Dauer der Verwandlung bei 39° 0. und bei anderen Temperaturen ange- führt. Diese Zahlen bilden, wie man sieht, eine geometrische Progression. Die Zahlen der fünften Columne zeigen das Ver- hältniss der Zahlen der vorhergegangenen Oolumne zu 50; aus denselben kann man das Verhältniss der Verzögerung des dia- statischen Processes bei verschiedenen Temperaturen zur Dauer der diastatischen Wirkung bei der Temperatur der höchsten Wirkung ersehen: bei 0 ° C. übertrifft die Verzögerung 5'/,mal diese Dauer, der ganze Process also dauert bei 0 °C. 6'/,mal länger. * Wiederholt sich die beschriebene Gesetzmässigkeit in den Erscheinungen auch bei anderen Combinationen von diastati- schen Flüssigkeiten, und dem ihrer Wirkung ausgesetzten Stoffe? Die Versuche, welche zur Entscheidung dieser Frage ausgeführt worden sind, sind ungenügend, da man nur das Verhältniss zwischen der Schnelligkeit der diastatischen Wir- ne ch Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 341 kung bei der Temperatur der intensivsten (39—40 ° C.) und der schwächsten (0 °C.) Wirkung untersuchte !). Versuch II. Die Concentration und das Volum des Kleisters ebenso wie das Volum des Speichels bleiben dieselben wie im vorher- gegangenen Versuche, nur ist die Concentration des Speichels eine andere. Dieser ist nämlich statt mit 30 Theilen nur mit 10 Theilen Wasser versetzt?), 50 (53) bei 39 °C. = 527 (930) bei 0°C., d. h. nicht 6mal langsamer bei 0°C. als bei 39° C., wie im vorigen Versuche, sondern 11!/,mal. Versuch III. Das Volum und die Concentration des Speichels sind die- selben wie in dem Versuche sub Nr. 2 (d.h. der Speichel ist mit 10 Theilen Wasser verdünnt).. Dasselbe gilt von der Con- centration des Kleisters, nur nimmt man eine doppelt so grosse Menge desselben, d.h. nicht 2'/,;, Cem., sondern 5 Cem. 50 (53) bei 39°C. = 477 (480) bei 0 °C., d. h. bei 0°C. lang- samer als bei 39 °C. nicht 11'/,mal, sondern 9'/,mal. Versuch IV. Die Concentration und die. Menge des Speichels wie sub Nr. 3 (d. h. man nimmt 2,5 Cem. 10fach verdünnten Speichels) die Menge des Kleisters ebenso wie sub Nr. 3 (d.h. 5 Cem.), 1) Die Ausführung so genauer Versuche wie der oben beschrie- benen ist wegen der sehr langen Dauer des Versuches sehr ermüdend. Die Ausführung in verschiedenen Zeiträumen zu unternehmen, ist aus dem Grunde unmöglich, dass bei solcher Ausdehnung des Ver- suches sowohl in dem Speichel als auch in dem Kleister wesentliche Veränderungen eintreten können. 2) Den Speichel sammelte ich auf dieselbe Weise wie für den vorhergegangenen Versuch; am Morgen reizte ich nüchtern meine Mundhöhle mit Aether und sammelte auf diese Weise ca 30 Cem. Speichel. Trotzdem dass der zu meinen Versuchen verwendete Spei- chel zu verschiedenen Zeiten gesammelt wurde, ist in der That der dm Versuche I) mit 30 Theilen Wasser verdünnte Speichel diasta- tisch schwächer, als der (im Versuche II) mit 10 Theilen versetzte. 342 Dr Victor Paschutin: seine Concentration ist aber eine andere: man bereitet den Kleister nicht aus 4 grm. Stärke auf 100 Cem. Wasser, sondern aus 2 grm. Stärke auf 100 Ccm. Wasser. 50 (53) bei 39 °C. = 467 (470) bei 0°C. Der Unterschied zwischen diesem und dem vorigen Falle übertrifft kaum die Grenzen des möglichen Fehlers. Aus diesen Versuchen folgt, dass die Grösse der Verzöge- rung des diastatischen Processes mit der Verminderung der Temperatur von der Concentration der Fermentlösung abhängig ist; dieses beweisen die ersten Versuche sehr überzeugend. Dasselbe wird auch eigentlich durch die zwei letzteren Ver- suche bewiesen. In der That hat die Veränderung in der Quan- tität des Kleisters (der 3. Versuch im Vergleiche mit dem zwei- ten) einen sehr grossen Einfluss auf die Zeit, welche zur Er- haltung gleicher diastatischer Effecte bei zwei verglichenen Tem- peraturen nothwendig ist, der Einfluss der Veränderuug in der Concentration des Kleisters dagegen (der 4. Versuch im Ver- gleiche mit dem dritten) ist sehr unbedeutend (sogar zweifel- haft). Dieses weist darauf hin, dass die Veränderung des Quantums der der Wirkung des Speichels ausgesetzten Stärke keine wesentliche Bedingung für die Grösse der erhaltenen Zahlen bildet, und es folgt hieraus, dass die Veränderung in dem Volum des Kleisters deshalb einen Einfluss ausübt, weil auf diese Weise die Concentration der diastatischen Flüssigkeit, welche mit ihm vermischt wird, verändert wird; in der That vertheilt sich in dem Versuche sub Nr. 2 eine und dieselbe Quantität des Fermentes unter zwei Volumina Flüssigkeit (ein Volum verdünnten Speichels, in welchem dieses Ferment ge- löst ist = 2,, Cem., und ein Volum Kleister = 2,5 Cem.) und in dem Versuche sub Nr. 3 unter 3 eben so grosse Volumina (ein Volum Speichels = 2,5 Ocm. und 2 Volumina Kleisters = d Cem.). Die Versuche sub 2 und 3 zeigen, dass mit Ver- mehrung der Stärkevolumina (folglich auch mit der Verminde- rung der Öoncentration des Fermentes) die Zahlen, welche die Dauer der diastatischen Wirkung bei 0 °C. angeben, sich ver- mindern (527 — 477 — Versuche sub 2 und 3) und aus den Versuchen sub 1 und 2 folgt, dass die Verminderung der Con- Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 343 centration des Speichels (bei gleichen Quantitäten Kleisters) ebenso die Verminderung dieser Zahlen nach sich zieht (Ver- suche sub 2 und I — 527 — 322'). Man muss also den Schluss ziehen, dass in der Concentration der Fermentlösung das wichtigste (vielleicht das einzige) Moment liegt, das die Schnelligkeit des Anwachsens der angeführten Zahlen mit der Abnahme der Temperatur bestimmt. Nimmt man als Aus- gangspunkt der diastatischen Wirkung 0 °C, an, so ergiebt es sich, dass mit der Erhöhung der Temperatur von (0—40 °C.) die Intensität des diastatischen Processes mit um so grösserer Energie wächst, je concentrirter die Fermentlösung zur Zeit der diastatischen Wirkung war. Den Einfluss der Temperaturen über 40 °C. auf den dia- statischen Process begleiten besondere Momente, die, in Fäl- len der fermentativen Wirkung bei Temperaturen unter 40 ° C. nicht vorkommen. Daher schicke ich die Erforschung dieser Momente voraus. Das Verhalten der Fermente zu den verschiedenen Temperaturgraden. Die Wissenschaft hat noch nicht mit Bestimmtheit die Temperatur angegeben, bei welcher die diastatischen Fermente des thierischen Körpers ihre fermentativen Eigenschaften ver- lieren. Nach Kühne?) büsst das Ferment des Speichels bei 40 °C. seine Wirksamkeit ein; nach Gautier?) bedeutend (bien) unter 100 °C.; nach Liebig‘) werden die Fermente im ww 1) Der Unterschied zwischen diesen Zahlen ist grösser als zwi- schen den vorigen, da auch die Concentration des Fermentes in die- sem Falle mehr vermindert war; von einiger Bedeutung kann auch vielleicht der Umstand sein, dass der normale Speichel, aus welchem man diese Lösungen bereitete, zu verschiedenen Zeiten gesammelt wurde. 2) Lehrbuch der physiologischen Chemie. 1868. S. 21. 3) Etudes sur les fermentations proprement dites, et les fermen- tations physiologiques et pathologigues. 1869. p. 20. 4) Ueber Gährung, über Quellen der Muskelkraft und Ernährung. 1870. 8. 8—10. 344 Dr. Vietor Paschutin: Allgemeinen bei der Temperatur des siedenden Wassers zer- stört; nach Schiff!) kann das Ferment des Speichels selbst ein kurzdauerndes Sieden aushalten; wenn aber das Sieden mehr als '!/, Minute dauert, 'so verliert das Ferment seine Wir- kung. Meine Versuche zeigen, dass die Erwärmung auf 60°C. ja sogar auf eine niedrigere Temperatur, manchmal die Wir- kung des Speichelfermentes vernichtet, diese Temperatur aber im Allgemeinen zu niedrig ist; andererseits ist aber die Tem- peratur von 100 °C. zu hoch und das Speichelferment (im ge- lösten Zustande) verliert seine Wirksamkeit bedeutend unter 100°C. Wir wollen versuchen, die Momente, welche dies un- gleichartige Verhalten der Fermente zur Wärme herbeiführen, zu bestimmen. Schiff’s Ansicht ist jedenfalls irrig und es ist nich schwer, den Grund seines Irrthums anzugeben, wenn man den Versuch, auf welchen dieser Forscher seinen Schluss basirt hat, näher untersucht. „Je prends un peu de salive fraiche et je la porte rapidement a l’ebullition. J’ajoute de l’empois d’ami- don, je remue le melange pendant quelques instants, et je le soumets & la reaction de Trommer. Precipite abondant d’oxy- dule de cuivre... A en juger d’apres cette epreuve, la dia- stase salivajre ne serait pas affaiblie dans son activite par une _ ebullition momentanee... Mais ne perdons pas de vue que, dans ce cas, l’ebullition n’a ete que de tres-courte duree, que le liquide a ete continuellement souleve per des bulles de va- peur, et que chaque particule de salive, entrainee dans un mouvement de remou, n’a pu atteindre que momentanement la temperature de l’ebullition... Je prends un@®nouvelle portion, plus grande, de salive fraiche, et je la maintiens en ebullition pendant environ une demi-minute. Apres lTadjonction d’un d’empois d’amidon j’attends encore une demi-minute avant de proceder a la reaction de Trommer. La solution cupropo- tassigue passe au violet-clair, qui devient encore un peu plus päle par l’ebullition, mais sans donner de preeipite d’oxydule de cuivre. Ainsi, une &bullition prolongee de la salive en di- 1) Lecons sur la physiologie de la digestion. 1867. p. 166. Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 345 minue les proprietes diastatiques au point de rendre a peu pres nulle la transformation en sucre de l’amidon.“ Augenscheinlich hat Schiff bei seinen Versuchen das Thermometer nicht gebraucht; die Bildung von Blasen diente ihm als Zeichen, dass der Speichel 100 ° C. erreicht hatte; es ist aber bekannt, dass zur Zeit, wo die Blasen zu steigen be- ginnen, besonders wenn man mit einer so schwer beweglichen Flüssigkeit wie dem Speichel zu thun hat, lange nicht alle Flüs- sigkeitstheilchen die Temperatur des Siedens angenommen ha- ben; nur nach Verlauf von einiger Zeit erreicht wirklich die ganze Flüssigkeit die Temperatur von 100°C. In Schiff’s Versuchen aber, selbst in dem Falle, wo er den Effect einer langdauernden Einwirkung der Siedetemperatur beobachten will, dauert die Bildung von Blasen eine halbe Minute; — man muss also annehmen, dass er sich bei seiner „ebullition momentanee“ mit den ersten Dampfbläschen begnügte, wobei natürlich ein grosser Theil des erwärmten Speichels die Temperatur von 100 °C. lange nicht erreicht hatte. Ich eontrolirte den Ver- such Schiff’s, indem ich den in einem Probirgläschen ent- haltenen Speichel über einer Spirituslampe erwärmte und die Temperatur der Flüssigkeit während des Versuches mit einem Thermometer bestimmte (die Kugel des Thermometers war in die oberen Schichten des Speichels getaucht); es erwies sich, dass zur Zeit, als die ersten Blasen aufstiegen, das Thermo- meter etwas mehr als 50 ° C, zeigte; wenn die Aufwallung eine halbe Minute dauerte, zeigte das Thermometer 70 °C. Nach- dem ich den (auf diese Weise !/, Minute aufgewallten) Spei- chel mit dem Kleister vermischt hatte, theilte ich ihn in zwei Theile; den einen untersuchte ich sogleich mit Hülfe der Feh- ling’schen Flüssigkeit auf Zucker und erhielt negative Re- sultate, den anderen nach einer halben Stunde und beobachtete eine sehr exquisite Reduction von Kupferoxyd. Die Resultate Schiff’s waren im Wesentlichen dieselben, ungeachtet er sei- nen lange aufgewallten Speichel nur während einer halben Mi- nute auf Kleister wirken liess, erblasste die Fehling’sche Flüssigkeit dennoch; hieraus folgt, dass die Flüssigkeit gewiss einen voluminösen Niederschlag von Kupferoxyd gegeben 346 “Dr. Vietor Paschutin: hätte, wenn Schiff den aufgewallten Speichel mehr als eine. halbe Minute auf den Kleister hätte wirken lassen. Daraus er- sieht man, dass in den Versuchen Schiff’s der gekochte Spei- chel bei Weitem die Temperatur nicht erreicht hatte, welche man voraussetzt, wenn man vom Sieden spricht. Die Ursache der Fehler bei derartigen Versuchen kann auch in der Art und Weise, wie man den Speichel in das Ge- fäss (Probirglas) eingiesst, liegen; es ist unumgänglich noth- wendig, dass der Speichel beim Eingiessen die oberen Theile - der Wände des Gefässes nicht berührt, da in diesem Falle diese Speicheltheile unerwärmt bleiben können, und dem erhitzten Speichel, wenn sie mit ihm zufällig gemischt werden, diasta- tische Eigenschaften ertheilen. Die Versuche mit dem Einflusse der Wärme auf die Ver- änderung der diastatischen Fähigkeit des menschlichen Spei- chels führte ich auf folgende Weise aus: Mit Hülfe der Pi- pette (Fig. 4, a) giesst man in gleich grosse Probirgläser an- nähernd gleiche Mengen filtrirten Speichels, z. B. $—10 Cem. ein, so dass die Flüssigkeit gerade auf den Boden des Gläs- chens fällt. Darauf steckt man in das eine Probirglas ein Thermometer t nebst (Fig. 9) einem Rohre 5b, welches zur Ver- mischung der Flüssigkeit (durch Einblasen der Luft mit Hülfe eines Kautschukballons) während der Erwärmung bestimmt ist. Die ganze Vorrichtung wird in eine hölzerne, im Wasser schwimmende Scheibe gebracht; das Wasser, auf welchem diese Scheibe schwimmt, ist um 2—3 °C. stärker erwärmt als die Temperatur, auf welche man den Speichel erwärmen will; man nimmt den Apparat aus dem Wasser heraus, sobald das Ther- mometer eine Temperatur '/;, °C. unter der gewünschten an- zeigt, weil das Thermometer nach Herausnahme des Probir- glases aus dem Wasser noch eine gewisse Zeit zu singen fort- fährt (ungefähr !/, ° C.) Dem Anscheine nach wäre es besser, das Probirgläschen in Wasser, welches bis zur entsprechenden Temperatur er- wärmt ist, zu setzen; in diesem Falle aber dauert die Erwär- mung des Speichels auf die letzten I—2 °C. zu lange, und der Speichel muss lange unter dem Einflusse der Wärme blei- P"" ’ | Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u.s.w. 347 ben; dies hat aber seine Unbequemlichkeiten.') Nur in dem Falle, wenn man den Speichel sehr lange warm erhalten will, nimmt man Wasser von genau der Temperatur, auf welche man den Speichel erwärmen will. Nach der Erwärmung lässt man das Gläschen entweder abkühlen, oder noch besser man taucht dasselbe in kaltes Wasser. Man erwärmt auf die oben beschriebene Weise abgemes- sene Portionen Speichels auf verschiedene Temperaturen von 40° C. an bis 100° C.; nimmt darauf (nach der Abkühlung) aus jeder der erwärmten Portionen bestimmte Mengen (2!/, Cem.) und lässt dieselben auf Kleister (4—5 Cem.) bei niedriger Temperatur (0° C.) während einer sehr kurzen Zeit (5 Secun- den) einwirken, um einen so viel als möglich schwachen Effect zu erhalten; den Effect bestimmt man nach der Intensität der Moore’schen Reaction. Es zeigt sich, dass in allen Portionen, in welchen der Speichel nicht über 55° C. erwärmt ist, ebenso wie in der Portion mit einem nicht erwärmten Speichel, die Effecte offenbar identisch sind; in den auf 55°—61° C. erwärm- ten Portionen ist die Intensität der Reaction etwas schwächer und hält gleichen Schritt mit der Erhöhung der Temperatur; im Allgemeinen aber ist diese Abschwächung (mit der Tempe- raturerhöhung) nicht sehr ausgesprochen; von 61°C. an sinkt der Effect der Verwandlung sehr rasch und eine auf 65° ©. er- wärmte Portion zeigt schon nicht die geringsten Spuren von Zucker. Man wiederholt den Versuch mit denselben Portionen des erwärmten Speichels und unter denselben Bedingungen, mit dem Unterschiede, dass die Dauer der Einwirkung des Spei- chels auf die Stärke eine grössere ist, z. B. !/; Minute; — die Färbung der Portionen (bei der Zuckerprobe), welche nicht über 60°C. erwärmt waren, ist eine so intensive, dass man nur mit grosser Mühe die Differenz zwischen den einzelnen Portionen bemerken kann; in Portionen, welche über diese 1) Wenn man die Erwärmung sehr rasch erzielen will, gebraucht man statt des Wassers Quecksilber. 348 Dr. Victor Paschutin: Temperatur erwärmt waren, sinkt der Effect merklich und ist bei der Erwärmung auf 68° C. gleich Null. i Den dritten Versuch macht man auch mit demselben er- wärmten Speichel, lässt ihn aber eine noch längere Zeit ein- wirken, nämlich 3 Minuten: in allen nicht höher als auf 64° C. erwärmten Portionen ist die Färbung (von NaHO) prägnan- ter als vorher und wie es scheint in allen ziemlich gleich- mässig; über 64°C. nimmt die Intensität des Effectes deutlich ab und ist bei Erwärmung auf 70°C. gleich Null. Man vermischt endlich den Speichel der über 70°C. er- wärmt ist, mit gleichen Mengen Kleister und lässt dieselben während einiger Stunden bei 40° C. stehen, darauf macht man die Reaction auf Zucker (die Trommer’sche und die Moore’- sche); es stellt sich heraus, dass in den nicht über 73° 0. er- wärmten Pörtionen eine unbedeutende zuckerbildende Wirkung stattgefunden hatte, welche desto schwächer ausfällt, je höher die Temperatur des erwärmten Speichels war; in den übrigen über 73°C. erwärmten Portionen ist nicht die mindeste Spur von Zuckerbildung zu bemerken Man sieht also, dass bei kurzdauernder Erwärmung!) des menschlichen Speichels die Temperatur von ca. 55°C. schon eine deutlicke Verminderung der diastatischen Wirkung des Speichelfermentes verursacht, dass die zerstörende Wirkung der Wärme mit der Zunahme der Temperatur allmälig wächst, und dass endlich die Temperatur von 73°C. die specifische Eigenschaft des Speichels vollständig vernichtet. Machen wir jetzt einen anderen Versuch mit menschlichem Speichel, welcher sich von den vorhergegangenen nur dadurch unterscheidet, dass der bis zu einer gewissen Temperatur er- wärmte Speichel eine längere Zeit, z. B. 30 Minuten, unter I) Unter einer kurzdauernden Erwärmung verstehe ich immer eine solche, bei welcher der im Wasser oder Quecksilberbade im Pro- birgläschen enthaltene bis zu einer gewissen Temperatur erwärmte Speichel nur einige Augenblicke bei dieser Temperatur bleibt. Wenn andererseits von der Erwärmungsdauer die Rede ist, bedeutet dies, dass der Speichel, nachdem er eine gewisse Temperatur erreicht hat, auch einige Zeit auf dieser Temperatur bleibt. Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u.s. w. 349 dem Einflusse dieser Temperaturen (langdauernde Erwärmung) bleibt. Der Effeet einer solchen Erwärmung ist schon bei Temperaturen unter 70° C. (48° C.) wahrnehmbar; was höhere Temperaturgrade betrifft, ist der Erfolg im Wesentlichen der- selbe wie beim ersteren Versuche, nur ist die Verminderung der Wirkung der diastatischen Eigenschaften mit der Erhöhung der Temperatur prägnanter als dort, so dass die Portionen, welche über 69’”—70° C. erwärmt sind, die diastatischen Eigen- schaften gar nicht mehr besitzen. Dieses deutet darauf hin, dass bei der Zerstörung des Fer- mentes nicht nur die Höhe der Temperatur allein, sondern auch ihre Dauer eine Rolle spielt. Man kann sich davon sehr leicht durch folgenden Versuch überzeugen: man nimmt einige Portionen filtrirten Speichels und senkt dieselben (in den Pro- birgläse.n) in Wasser, welches z. B. auf 64°C. erwärmt ist; nach Verlauf von je 3 Minuten nimmt man eines von den Pro- birgläsern heraus, nach einigen Minuten noch eines u. s. w., wiederholt dieses so lange bis kein einziges Probirgläschen im Wasserbade bleibt, und macht darauf den Versuch auf die oben beschriebene Weise, d. h. man lässt dieselben auf Stärke unter stets denselben Bedingungen einwirken. Es stellt sich heraus, dass der diastatische Effect desto schwächer ist, je länger die vorhergegangene Erwärmung des Speichels dauerte. Dieses neue Moment — die Erwärmungsdauer — ruft einen ‘desto intensiveren Effect hervor, je- höher die Tempera- tur war; man kann sich leicht davon überzeugen: man erwärmt zwei Portionen Speichel auf irgend eine Temperatur z. B. auf 62° C., erhält sie aber auf dieser Temperatur während verschie- den langer Zeit, z.B. | und 20 Minuten; zwei andere Portio- nen desselben Speichels erwärmt man auf dieselbe Weise, aber bei irgend einer anderen Temperatur, z.B. bei 67° C., auch während 1 und 20 Minuten. Nun untersucht man die beiden bei der niedrigeren Temperatur (also bei 62°C.) erwärmten Portionen, um zu bestimmen, welcher Unterschied sich in der Wirkungsdauer (auf Amylum) ergeben wird, wenn man beiden Portionen caeteris paribus einen und dens:lben Effect geben lässt. 350 Dr. Vietor Paschutin: Es stellte sich heraus, dass die während 20 Minuten er- wärmte Portion unter gewissen Bedingungen 200 Secunden braucht, um denselben diastatischen Effect hervorzubringen, welchen die während 1 Minute erwärmte Portion im Verlaufe von 50 Secunden bewirkt. Man nimmt jetzt den auf 67°C, erwärmten Speichel und lässt denselben unter denselben Bedingungen, wie im vorigen Falle, auf Stärke wirken, und zwar so, dass die während 1 Minute erwärmte Portion 50 Secunden lang und die während 20 Minuten erwärmte 200 Secunden lang einwirke. Beide Portionen müssen natürlich einen viel schwächeren Effect ge- ben, da sie der Wirkung einer höheren Temperatur ausgesetzt waren, unter einander müssen sie aber ein vollkommen identi- sches Verhalten darbieten, vorausgesetzt, dass die dauernde Erwärmung auf 67° C. das Ferment ebenso stark zerstört, wie eben so lange Erwärmung auf 62°C. Der Versuch zeigt das Entgegengesetzte: die auf 67°C. erwärmten Portionen sind nicht nur unter einander ungleich, sondern unterscheiden sich sehr bedeutend von einander; nämlich: die diastatische Wir- kung des während 20 Minuten erwärmten Speichels war gleich Null, und die des anderen (während 1 Minute erwärmten) Speichels ziemlich deutlich. Es ergiebt sich also, dass bei einer und derselben Dauer der Erwärmung ihre zerstörende Wirkung auf das Ferment mit der Höhe der Temperatur wächst und bei einer und der- selben Temperatur desto intensiver ist, je länger die Erwärmung dauert. Der zerstörende Einfluss der Höhe der Temperatur und der Dauer ihrer Einwirkung hängen der Intensität des Effectes nach von der Öoncentration der Fermentlösung ab. 1. a) Man nimmt filtrirten nicht verdünnten menschlichen Speichel und giesst denselben in Probirgläser ein; b) eine an- dere Portion versetzt man mit 100 Theilen Wasser und giesst sie ebenfalls in Probirgläser; c) dasselbe macht man mit einer dritten Portion, welche man vorher mit 400 Theilen Wasser verdünnt. Darauf erwärmt man alle diese Portionen (kurz- dauernde Erwärmung) auf verschiedene Temperaturen zwischen 20 A N Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u.s.w. 351 40°—75° C., versetzt nach der Erwärmung die Portionen a und b mit so viel Wasser, dass der Procentgehalt derselben dem der Portion e gleich wird, d.h. dass der Speichel !/,.. Theil der Lösung bildet. Auf diese Weise ist der Grad der Verdünnung des Spei- chels in allen Probirgläsern derselbe. Wenn die Concentration der Fermentlösung während der Erwärmung keinen Einfluss auf die Zerstörung des Ferments durch Wärme hätte, so müssten die diastatischen Effecte in allen drei erwähnten Flüssigkeits- reihen unter übrigens gleichen Bedingungen einander gleich sein. Es bestätigt aber der Versuch diese Voraussetzung nicht: in der Portion a wird die diastatische Fähigkeit bei einer T’em- peratur von ungefähr 72° C. vernichtet, in der Portion b bei ungefähr 70°C. und in der Portion c bei ungefähr 67°—68° C. Die Verminderung des Effectes durch Erwärmung ist in der Portion a nur bei ungefähr 55° GC. nachweisbar, in der Portion b bei ungefähr 80°C. und in der Portion ce bei ungefähr 45° C. Der Schluss hieraus ergiebt sich von selbst. 2. Man erwärmt den unverdünnten Speichel und den mit 400 Theilen Wasser versetzten auf eine Temperatur von un- gefähr 62°C. und erhält ihn '/, Stunde auf dieser Temperatur (langdauernde Erwärmung); versetzt darauf die erste Portion so lange mit Wasser, bis sie den Concentrationsgrad der zwei- ten erreicht, und vergleicht beide Portionen in Bezug auf die diastatische Fähigkeit unter einander. Es ergiebt sich, dass die erste Portion (welche in nicht verdünntem Zustande er- wärmt wurde) sehr energisch auf Amylum wirkt, und dass die zweite (welche vor der Erwärmung mit 400 Theilen Wasser verdünnt wurde), diese Fähigkeit gänzlich eingebüsst hat. Um die geringste Temperatur, welche auf das Speichelfer- ment schon zerstörend wirken kann, zu bestimmen, versetzen wir den Speichel mit einer ansehnlichen Menge (1000 Theilen) Wasser und setzen denselben einer langdauernden (zweistün- digen) Wirkung der Wärme aus. Es erwies sich, dass unter solchen Bedingungen schon eine Temperatur von 40°C. eine bemerkbare, wenn auch unbedeutende Verminderung der dia- statischen Eigenschaft der Fermentlösung herbeiführt; als Ein- 352 Dr. Vietor Paschutin: heit bei der Vergleichung dient eine andere Portion desselben verdünnten Speichels, welche während des Versuches bei ge- wöhnlicher Temperatur oder im Eise stehen bleibt. Zu erwähnen ist, dass sowohl eine anhaltende als eine kurzdauernde Wirkung niedriger (— 20° C.) Temperaturen, die diastatische Kraft weder des concentrirten noch des verdünnten Speichels beeinträchtigt. Die Fermentlösung kann eine lange Zeit gefroren bleiben, ohne, wie es scheint, von ihrer Wirkung etwas einzubüssen. Es lässt sich aber nicht behaupten, dass das Ferment ebenso gut bei Temperaturen zwischen 0° C. und 40°C. aufbewahrt werden kann, obgleich dies, dem Anscheine nach, dem oben Gesagten widerspricht. Streng genommen findet man im normalen Speichel und dessen Lösungen auch bei diesen Temperaturen (zwischen 0° Ö. und 40' C.) eine allmählige Abschwächung der diastatischen Eigenschaften, und zwar eine desto grössere, je höher die Tem- peratur war; diese Abschwächung kann man aber erst nach einer längeren Zeit wahrnehmen (einige Tage oder wenigstens viele Stunden); zudem aber wird sie in der Regel von Fäul- nisserscheinungen begleitet. Folgende Versuche zeigen, dass diese Fäulnisserscheinungen wahrscheinlich die einzige Ursache der genannten Abschwächung sind: zwei Portionen ein und desselben menschlichen Speichels liess man nach einer sorgfäl- tigen (mehrmaligen) Filtration durch Papier sechs Monate lang bei gewöhnlicher Temperatur stehen, nur mit dem Unterschiede, dass der Luftzutritt zur einen nicht gehindert war, während die andere unter Quecksilber verwahrt wurde. Nach Ablauf dieser Zeit untersuchte man die beiden Portionen; der unter Quecksilber verwahrte Speichel war vollständig durchsichtig, geruchlos, wirkte sehr energisch auf die Stärke und unterschied sich, wie es schien, durchaus nicht von frischem Speichel; die andere Portion, zu welcher man den Luftzutritt nicht verhin- dert hatte, war sehr trübe in Folge der Anwesenheit verschie- denartiger Organismen und schien im diastatischen Sinne völ- lig wirkungslos zu sein. Sie wurde mit der gleichen Menge eines dieken Kleisters vermischt, 4 Stunden bei 40° ©. stehen gelassen, die Trommer’sche und die Moore’sche Reaction aa Die Ma a u” = ala Darin ul Dan ze IE, De Fl en ie i% 2 & 2 Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u.s.w. 353 zeigten jedoch nicht die mindeste Spur von Zucker in dieser Mischung. !) Um das Maximum der Temperatur, welche das Speichel- ferment im gelösten Zustande noch vertragen kann, zu bestim- men, bemühte ich mich einerseits seine Lösungen so rasch als möglich zu erwärmen; zu diesem Zwecke ersetzte ich das Was- serbad durch das Quecksilberbad, andererseits suchte ich eine noch mehr concentrirte Ptyalinlösung als den Speichel zu er- halten. Deshalb suchte ich den Speichel zu concentriren, und führte dies folgendermassen aus: Man zerreibt gefrornen Spei- chel in einem unter 0°C. abgekühlten Mörser, schüttet ihn darauf in einen abgekühlten Trichter und lässt denselben lang- sam bei einer 5° C. nicht übersteigenden Temperatur aufthauen. Die ersten bei diesem langsamen Aufthauen abfliessenden Portionen sind dickflüssig und besitzen eine grössere diastati- sche Fähigkeit als die späteren. Die gesammelte dicke Flüs- -sigkeit lässt man nochmals gefrieren uud bearbeitet sie auf die eben beschriebene Weise, um eine im diastatischen Sinne noch wirksamere Flüssigkeit zu erhalten. Es stellt sich heraus, dass der auf diese Weise concen- trirte Speichel der Wirkung der Wärme mehr Widerstand lei- stet als der gewöhnliche; er kann eine 80° C. etwas überstei- gende Temperatur vertragen, doch habe. ich nie in dem über 85° C. erwärmten Speichel auch nur die geringste Spur diasta- tischer Wirkung gefunden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass 1) Einen eben solchen Versuch machte man mit einem anderen Fermente: ich nahm ein sorgfältig filtrirtes concentrirtes Hefe - Infu- sum, welches sehr energisch auf Rohrzucker und sehr schwach auf Stärke wirkte (letzteres rührte wahrscheinlich von einer zufäl- ligen Beimischung von Diastase her). Von diesem Infusum wurden zwei Portionen, wie oben, genommen, und die eine bei Luftzutritt, die andere unter Quecksilber (6 Monate lang) stehen gelassen. Die unter Quecksilber verwahrte Portion (deren untere Schichten ein wenig trübe waren), übte eine Wirkung nicht nur auf den Rohrzucker, sondern auch auf die Stärke aus, die andere in der Luft gelassene (sehr trübe) Portion hatte nicht nur auf die Stärke, sondern auch auf den Rohr- zucker keine Wirkung, wenigstens während einer 4stündigen Erwär- mung bei 40° C, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 23 354 Dr. Victor Paschutin: 85°C. die Grenze in dieser Richtung bilden; viel natürlicher ist die Voraussetzung, dass gesättigte Wasserlösungen chemisch reinen Ptyalins noch höhere Temperaturen vertragen können, da der nach unserer Methode concentrirte Speichel noch nicht die maximale Concentration des Fermentes darstellt. Endlich habe ich einige Versuche zur Bestimmung des Einflusses, den die Temperaturschwankungen auf die diastati- sche Kraft des Fermentes haben, ausgeführt. Zu diesem Zwecke that ich Folgendes: einen Theil des Speichels erwärmte ich ohne Unterbrechung bei 65°C. während 10 Minuten, den an- deren setzte ich abwechselnd bald in heisses Wasser, bis der- selbe 65° C. erreichte, bald in eiskaltes. Es erwies sich, dass der bei 65°C, ununterbrochen erwärmte Theil des Speichels schwächer diastatisch wirkte als der andere. Hieraus folgt, dass die Temperaturschwankungen an sich allein wahrscheinlich von keinem Einflusse auf die diastatische Fähigkeit des Fer- mentes sind. In kurzen Worten kann man über die Wirkung der Wärme auf den Speichel Folgendes sagen: Die zerstörende Wirkung der Wärme auf das Speichelferment beginnt schon bei Tempe- raturen, welche der Temperatur des Blutes nahe stehen, sie wächst mit der Steigerung der Temperatur, mit der Dauer ihrer Wirkung und mit der Verdünnung der Fermentlösung; die Maximal- Temperatur, welche die Fähigkeit des Fermentes unter den sonst dafür günstigsten Bedingungen (kürzeste Dauer der Erwärmung und grösste Concentration der Ferment- lösung) vollständig vernichtet, übersteigt aller Wahrscheinlich- keit nach nicht 85°C.; die Minimal-Temperatur, welche den- selben Effect hervorrufen kann (nämlich unter ganz entgegen- gesetzten Bedingungen) liegt a priori bei 40° C.; um jedoch diese letztere Voraussetzung de facto zu bestätigen, würde eine so anhaltende Wirkung der Wärme nothwendig sein (selbst bei der höchsten Verdünnung des Speichels), dass sich in die Erscheinung noch andere Bedingungen (die Fäulniss) einmi- schen könnten, die nicht erlauben würden aus den Versuchen einen Schluss zu ziehen. Jedenfalls kann man de facto die Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s.w. 355 Fähigkeit des Fermentes durch Wirkung von Temperaturen, die niedriger sind als 60° ©., vernichten. Aus dem Gesagten ist es ersichtlich, warum verschiedene Autoren die Temperatur, bei welcher das Ferment zerstört wird, verschieden angeben. Bei meinen ursprünglichen Versu- chen fand ich auch, gegen alle Erwartung, dass nicht nur der Speichel verschiedener Leute, sondern sogar ein und derselbe Speichel, je nach dem Gefässe, in welchem man denselben im Wasserbade erwärmte, verschiedenen Temperaturen ausgesetzt werden musste, um zerstört zu werden. Diese Temperaturen waren z. B. verschieden bei einem Kolben und bei einem Pro- birgläschen, für welche das Verhältniss der Erwärmungsfläche zur Masse der Flüssigkeit verschieden ist. ') Man könnte die erhaltenen Resultate über die zerstörende Wirkung verschiedener Bedingungen auf das Ferment zu einem rein praktischen Zwecke verwerthen. Da die Zerstörung des Fermentes von der Temperaturhöhe, von der Dauer ihrer Wir- kung und dem Concentrationsgrade der Lösung abhängt, so ist es ersichtlich, dass man auf diese Weise, wenn die Tempera- turhöhe und die Dauer ihrer Wirkung, die nothwendig sind um die diastatische Fähigkeit irgend eines Speichels zu zer- stören, bekannt sind, den Concentrationsgrad, oder was dasselbe ist, den Procentgehalt des Fermentes im Speichel bestimmen 1) Es wäre natürlich von Interesse den Einfluss aller dieser Mo- mente zu bemessen. Die Messungen können nach den folgenden Schemata ausgeführt werden: man könnte a) den normalen nicht ver- dünnten Speichel auf verschiedene Temperaturen erwärmen und die Zeit, welche caeteris paribus nothwendig ist, um mit dem Speichel der verschiedenen Portionen einen und denselben diastatischen Effect zu erhalten, in Zahlen ausdrücken oder b) bestimmen, wie gross je- desmal die Verdünnung des nicht erwärmten Speichels sein muss, um dieselben diastatischen Effeete, welche die verschiedenen Portio- nen des erwärmten Speichels geben, zu erhalten. Diese beiden Methoden sind auf die Bemessung anderer von uns beschriebener Momente anwendbar. Bis jetzt habe ich nur eine solche Messung unternommen, sie kann aber nur als eine Probe an- gesehen werden, wesshalb ich die Resultate derselben hier nicht an- führe. 23* 356 Dr. Vietor Pascehutin: kann. Bereitet man z. B. sehr schwache Wasserlösungen des reinen Ptyalins von genau bestimmten Concentrationen und fin- det dann durch directe Versuche die Zeit, die nothwendig ist, um durch die Erwärmung einer jeden Lösung!) bei irgend einer Temperatur, z. B. bei 60°C., die diastatische Wirkung des Fermentes. gänzlich zu vernichten, so kann man eine Ta- belle zusammenstellen, mit deren Hülfe unsere Aufgabe mit grosser Leichtigkeit gelöst werden kann. Gesetzt man will den Procentgehalt des Fermentes in einem Speichel, von dem man nur ein bestimmtes Quantum z. B. 5 Cem. hat, bestimmen. Man versetzt den gegebenen Speichel mit einer bestimmten Quantität Wasser, etwa bis zu 100 Cem. und setzt ihn in einem Probirglase in ein auf 60° 0. erwärmtes Wasser; nach Ablauf von je 30 oder 60 Secunden nimmt man !,—2 Cem. von die- sem Speichel, giesst ihn in Probirgläser mit Kleister, lässt ihn 1/,—2 Stunden bei 40°C. stehen und macht darauf die Reac- tion auf Zucker; z. B. die Moore’sche; man findet z. B. dass schon eine 10 Minuten dauernde: Erwärmung bei 60°C. die diastatische Fähigkeit der Flüssigkeit vernichten kann: die Ta- belle giebt direct den Procentgehalt des Fermentes in unserer Lösung an (d.h. zeigt, bei welcher Concentration der Ferment- lösung seine diastatische Wirkung durch eine 10 Minuten dauernde Erwärmung bei 60°C. vernichtet wird). Es lässt sich aber der Einwurf machen, dass das Ptyalin des Speichels keine reine Wasserlösung darstellt: verschiedene Stoffe, welche im Speichel neben dem Ptyalin vorhanden sind, können auch ihrerseits bei der Erwärmung einen Einfluss auf die Resultate haben; dieser Einfluss ist aber wahrscheinlich sehr gering; so z. B. gebrauchte ich zuweilen zur Verdünnung des Speichels (bei Versuchen, welchen eine ganz andere Ab- sicht zu Grunde lag) statt Wasser gekochten Speichel und bemerkte dabei keine besonderen Abweichungen; ausserdem kann man (um obigen Einwand desto sicherer zu beseitigen), bei der Zusammenstellung der Tabellen gekochten mensch- “ I) Die Art der Erwärmung muss mit grösster Bestimmtheit angegeben werden. 223 a An , ) \ Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u.s.w. 357 lichen Speichel statt Wasser gebrauchen. Schwieriger ist es, den Fehler zu vermeiden, welcher von verschiedenen anoma- len Bestandtheilen des zu untersuchenden Speichels herrühren könnte; diese Bestandtheile können in jedem einzelnen Falle verschieden sein. Die Controlle ist jedoch auch hier nicht unmöglich, nämlich durch vergleichende Versuche: Man erwärmt einen Theil des zu untersuchenden Speichels auf eine hohe Temperatur um seine diastatische Fähigkeit zu vernichten und gebraucht ihn als Verdünnungsmittel für einen anderen (nor- malen) Speichel; die zweite Portion desselben normalen Spei- chels verdünnt man (im gleichen Grade) mit Wasser oder mit gekochtem normalen Speichel. Wenn man nun die beiden Por- tionen des normalen Speichels unter ganz gleichen Bedingun- gen erwärmt, so ist es leicht den Effect der anomalen Beimi- schungen zu bemerken. Man könnte noch einen anderen Einwand machen, nämlich _ dass das Speichelferment verschiedene Qualitäten hat und des- wegen sich verschieden zur Wärme verhalten kann. Nehmen wir z.B. zwei Portionen eines und desselben Speichels und erwärmen eine derselben auf eine solche Temperatur, welche zum Theil die diastatische Wirkung des Speichels vermindert. Da wir keinen Grund haben zu vermuthen, dass während die- ser Erwärmung nur ein Theil des Fermentes zerstört wird, ein anderer Theil aber intact bleibt, in so fern alle Fermenttheil- chen der Wirkung einer und derselben Temperatur ausgesetzt sind, so muss man hier die Voraussetzung machen, dass in diesem Falle nicht eine quantitative, sondern eine quali- tative Veränderung des Speichels zu Stande kommt. Indem man jetzt diese durch Wärme veränderte Portion zugleich mit der anderen (frischen) Portion desselben Speichels erwärmt, so erhält man natürlich eine grössere Abschwächung der diastati- schen Wirkung in der ersten als in der letzteren: beide Por- tionen unterscheiden sich so von einander, als ob eine von ihnen (die vorher erwärmte) mit einigen Theilen Wasser ver- dünnt‘ wäre. Hieraus folgt, dass, wenn man den Fermentgehalt dieser beiden Portionen nach unserer Methode bestimmen wollte, derselbe in der einen Portion viel geringer gefunden würde, 358 Dr. Victor Paschutin: als in der anderen, obgleich in Wirklichkeit die Mengen des Fermentes in beiden sehr wahrscheinlich einander gleich sind; nur ist das Ferment der einen Portion ein viel schwächeres als das der anderen. Wenn das in dem Speichel enthaltene Ferment wirklich analoge qualitative Veränderungen darbieten kann, ohne der Wirkung hoher Temperaturen ausgesetzt zu werden, kann die Bestimmung desselben nach der erwähnten Methode keinen Schluss mehr auf sein Gewicht gestatten, son- dern würde jenen chemischen Operationen, welche man zur Bestimmung des Grades der Reaction (z. B. der sauren), nicht aber des Gewichtes der Säure unternimmt (wenn dasselbe vor-' her nicht bekannt war), analog sein. Sollten Qualitätverschiedenheiten des Speichelfermentes vorhanden sein, so erscheint unsere Methode einseitig; man muss aber bemerken, dass sich alsdann auch die Methode, welche auf der Ausscheidung des Fermentes in reinem Zustande beruht, als eine einseitige erweisen wird, da die Quantität des Fermentes schon nicht mehr als der Repräsentant seiner dia- statischen Kraft angesehen werden dürfte (bis jetzt ist es, wie bekannt, unmöglich, das Ferment ohne Verlust auszuscheiden). Die Abwesenheit prägnanter chemischer Reactionen für Fermente, deren man sich bedienen könnte, um in Fermentlö- sungen die Quantität derselben zu bestimmen, hatte schon längst die Physiologie bewogen andere Mittel zur Erreichung dieses Zieles zu suchen. Brücke’s!) bekannte Methode die Quanti- tät der Fermente (des Pepsins) irgend einer Lösung durch die*Intensität der Wirkung dieser Lösung zu bestimmen (phy- siologische Reaction) war die erste, welche zu diesem Zwecke vorgeschlagen wurde: Brücke hatte die Absicht die relative Menge des Pepsins in den verschiedenen zu untersuchenden Lösungen zu bestimmen. Um das Abhängigkeitsverhältniss, welches zwischen der Concentration der Fermentlösung und der Schnelligkeit des 1) Beiträge zur Lehre von der Verdauung von Ernst Brücke. 1859. Erste Abtheil. S. 137. diastatischen Processes besteht, zu bestimmen, führte ich fol- gende zwei Experimente aus: I. Man bereitet aus dem menschlichen Speichel einige Lösungen, indem man ihn mit 2, 4, 8, 16 und 32 Volumina Wasser versetzt; zu diesem Behufe vermischt man den Spei- chel zur Hälfte mit Wasser, einen Theil der erhaltenen Flüs- sigkeit vermischt man wieder zur Hälfte mit Wasser u. s. w. Darauf nimmt man von allen diesen Lösungen gleiche Mengen (3 Cem.) und vermischt eine jede von diesen letzteren Portio- nen bei 17°C. mit gleichen Quantitäten (4 Cem.) Kleisters (4 Grm. Amylum auf 100 Theile Wasser) und unterbricht dar- auf den diastatischen Process durch Hinzufügen einer und der- selben Menge (3 Cem.) 10°/, Lösung von NaHO.!) Die Zeit, während welcher der diastatische Process dauert, ist für jede Portion eine verschiedene, sie ist nämlich der Verdünnung des genommenen Speichels proportional: so war diese Zeit in der Portion, welche zweifach verdünnt war gleich 32 Zeiteinheiten (150 = 1 Min.), oder richtiger gleich 30, da das Ausstossen des Speichels in den Kleister 4 Einheiten dauerte; in der Por- tion, welche vierfach verdünnt war, = 62 (60), bei achtfacher Verdünnung - 122 (120), bei l16facher = 242 (240) und end- lich bei 32facher = 482 (480). Darauf senkt man die Probir- gläser in heisses Wasser und beobachtet die Intensität der Reaction (der Moore’schen); die Intensität ist in allen Por- tionen eine und dieselbe, oder streng genommen, sie nimmt mit der Erhöhung der Concentration der Fermentlösung ein wenig zu; diese Zunahme ist aber so unbedeutend, dass sie ohne grossen Fehler vernachlässigt werden kann; die Schnellig- keit des diastatischen Processes wächst also proportional mit der Vermehrung der Concentration; die erste Grösse (die Schnelligkeit) wächst, wie schon gesagt wurde, etwas (jedoch sehr wenig) rascher, als die zweite (die Vermehrung der Con- Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u.s.w. 359 centration). 1) Der Versuch wurde im Apparate Fig. 4 ausgeführt; das Aus- stossen der Flüssigkeiten, des Speichels und des Alkali, geschah mit Hülfe des auf Fig. 8 abgebildeten Blasebalges. 360 Dr. Viectör Paschutin: Il. In dem zweiten Versuche fand die Verdünnung des Speichels auf etwas andere Weise statt; man nahm nämlich 9 Portionen Speichels, jede zu 8 Cem., und setzte zu ihnen in arithmetischer Progression wachsende Volumina Wasser hinzu, nämlich 0, 4, 8, 12, 16, 20, 24, 28 und 32 Ccem.; darauf nahm man von allen diesen Lösungen gleiche Mengen (3 Cem.) und vermischte jede von ihnen bei 13°C. mit 3 Cem. Kleister, kurz man that dasselbe wie im vorigen Versuche; die Dauer der diastatischen Wirkung war der Verdünnung proportional, nämlich (150 Zeiteinh. = 1 Min.) 20, 30, 40, 50, 60, 70, 80, 90, 100, Die Moore’sche Reaction gab auch hier dieselben Re- sultate, d.h. wenn die diastatische Wirkung proportional (im geraden Verhältnisse) zur Verminderung der Concentration der Fermentlösung dauert, so bildet sich (ungefähr) eine und die- selbe Menge Zuckers. Es stellt sich auf diese Weise heraus, dass man den Fer- mentgehalt einer Lösung mit genügender Präeision nach der Zeit, welche erforderlich ist um unter übrigen gleichen Bedin- gungen einen gleichen diastatischen Effect zu veranlassen, be- stimmen kann. Nachdem wir das Verhalten des Speichelfermentes zu den Temperaturen, welche höher als 40° C.- sind, bestimmt, kehren wir zur Erforschung der Intensität der diastatischen Wirkung bei solchen Temperaturen, die noch nicht untersucht worden sind, zurück. Die Untersuchungsmethode bleibt im Allgemei- nen dieselbe wie bei Temperaturen unter 40° C.; dort war es aber ganz ohne Bedeutung, wie lange der Speichel vor seiner Vermischung mit dem Kleister im Wasser (im Apparate A Fig. 8) blieb, bei den Versuchen mit Temperaturen, welche hö- her als 40° C. sind, muss diese Zeit während der ganzen Dauer des Versuches gleich bleiben, um Regelmässigkeit in den Zah- len zu erhalten. (Es ist selbstverständlich, dass die Dauer die- ser Periode der vorausgehenden Erwärmung von grossem Ein- flusse auf den allgemeinen Character der erhaltenen Zahlen sein soll.) Nachstehende Tabelle stellt so zu sagen die Fort- setzung der Tabelle auf Seite 339 vor; alle Bedingungen des Versuches sind dieselben, nur ist der Speichel 10fach und Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u.s. w. 361 nicht 30fach verdünnt und die Temperatur eine höhere als 40° C.; die Zeit während welcher der Speichel vor seiner Ver- mischung mit dem Kleister im warmen Wasser gelassen wurde, beträgt 5 Minuten. au ne 430 se 1 As ne ig Bine a EN te Berne; 20 MB A gB Na 65° — 155 — 150 — 100 67° — 456 — 450 — 400 680 35 ano 290.2. Ok go Bei 68° C. dauerte die Verwandlung des Kleisters nur un- gefähr 350 Zeiteinheiten und stand darauf still, so dass der diastatische Effect, welchen man als Einheit für die Vergleichung angenommen hatte, nicht erreicht wurde. Wenn man nach Ablauf dieser Frist (350) die zu untersuchende Mischung ab- kühlt und auf lange Zeit bei einer anderen Temperatur z. B. bei 30°—40° C. stehen lässt, so kommt die Verwandlung nicht zu Stande; dieses weist auf die Ursache des Stillstandes bei 68°C. hin, nämlich dass der Speichel, welcher in einem auf 68°C. erwärmten Wasser, 5 Minuten + 21/, Minute (= 350) = 7!/s; Minute geblieben ist, seine diastatische Eigenschaft ver- loren hat. Bei 70°C. verlor der Speichel seine diastatischen Eigenschaften noch vor seiner Vermischung mit dem Kleister. Dass die Verminderung der Intensität des diastatischen Processes im Zusammenhange mit der zerstörenden Wirkung der Wärme auf das Ferment steht, ist selbstverständlich; es bleibt nur übrig zu entscheiden ob nicht noch andere Momente hierbei betheiligt sind. Zu diesem Zwecke habe ich folgenden Versuch ausgeführt. Den einen Theil des zu untersuchenden Speichels lässt man eine bestimmte Zeit (1 Minute) bei irgend einer Temperatur etwa bei 65° C. auf den Kleister wirken, einen anderen Theil, nachdem man denselben durch eine entsprechende 362 Dr. Victor Paschutin: Zeit!) der Wirkung einer Temperatur von 65° C. ausgesetzt hat, vermischt man mit dem Kleister bei 40°C. (die übrigen Bedingungen des Versuches sind für beide Portionen dieselben); wäre die Verschiedenheit in der Intensität des diastatischen Processes bei 40° ©. und bei höheren Temperaturen nur von der zerstörenden Wirkung der Wärme abhängig, so müsste man in beiden Fällen dieselben Resultate erhalten; es ergiebt sich aber, dass die Reaction auf Zucker in der Portion, in welcher die Verwandlung bei 65° C. vor sich ging, eine präg- nantere ist; somit existirt also irgend ein Moment, welches den Effect der zerstörenden Wirkung der Wärme auf das Ferment vermindert. Die ungekochte Stärke wird, wie bekannt, viel langsamer als die gekochte in Zucker verwandelt. Um diese Differenz zu bestimmen, that ich Folgendes: ich schüttelte sorgfältig verriebene Stärke mit Wasser im Verhältnisse von 5 Grm. auf 100 Cem. Wasser; liess darauf die Mischung einige Zeit ruhig stehen und nachdem die groben Stärkekörner zu Boden gesun- 1) Eine präcise Bestimmung dieser Zeit ist ziemlich schwer: in der That hält man eine Portion des im Wasser erwärmten Speichels zuerst 5 Minuten auf 65°C. und darauf noch eine Minute, während welcher Zeit er auf die Stärke einwirkt. Wenn man also die andere Portion (des Speichels, welche für die Einwirkung auf Amylum bei einer niedrigen Temperatur bestimmt ist) bei 65°C. nur 5 Minuten stehen lässt, so ist das zu wenig, da die erste Portion des Speichels, welche hei 65° wirkte, auch während dieser Wirkung selbst dem zer- störenden Einflusse der Wärme ausgesetzt war; wenn man aber die zweite Portion während 5 Minuten + 1 Minute bei 65°C. lässt, so wird das zu viel sein, da diese Zeit der maximalen Zerstörung, welche der auf den Kleister bei 65°C, wirkende Speichel (am Ende seiner Wirkung) erleidet, entspricht. Deshalb verfuhr ich folgendermassen: eine Portion Speichels liess ich bei 65° C. 5 Minuten stehen und goss sie dann in ein abgekühltes Probirglas, eine andere 5 Minuten + 25 Zeiteinheiten (150 = 1 Minute), eine dritte 5 Minuten + 50 u. s. w., die siebente 5 Minuten + 150. Eine Mischung aller dieser Portionen stellt auch eine Flüssigkeit dar, welche so zu sagen eine entspre- chende Zeit einer Temperatur von 65°C. ausgesetzt war. Sowohl alle diese Portionen, als auch die, welche bei 65° C. auf Stärke wirkte, wurden in einer und derselben Pipette (Fig. 5) erwärmt. er Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 363 ken waren, goss ich die obere Schicht ab und verwandelte durch Erwärmung auf 100 °C. einen Theil derselben in Klei- ster; der Gehalt an Stärke in dem anderen (nicht erhitzten) Theil ist derselbe (das verdunstete Wasser der gekochten Por- tion wird ersetzt), nur ist hier die Stärke nicht angequollen. Nun misst man in die Probirgläser gleiche Mengen beider Flüs- sigkeiten ab (die nicht gekochte Stärke muss vor und während der Abmessung sorgfältig geschüttelt werden) und unternimmt die Verwandlung mit gleichen Mengen Speichels bei 40°C, — der gekochten Stärke während '/, Minute, der ungekochten während 10, 12, 15 u. s. w. Min.!) Es ergiebt sich nun, dass ungefähr 10 Minuten nothwendig sind, damit die ungekochte Stärke unter dem Eiuflusse des Speichels so viel Zucker gebe wie die gekochte nach Verlauf von '/; Min.; mit anderen Wor- ten, es wird die ungekochte Stärke wenigstens 30mal langsa- mer in Zucker verwandelt als die gekochte.?) Wenn man gleiche Mengen einer sorgfältig umgeschüttel- ten Mischung von nicht gekochter Stärke mit Wasser auf ver- schiedene Temperaturen erwärmt, so z. B. auf 40 ° C., 50 °C., 89 0C., 60 °C. u.s. w., andere Portionen auf einer und der- 2) Nach dem Zusatze der Lösung eines kaustischen Alkali (die als Reagens und zur Unterbrechung des Verwandlungsprocesses dient) quellen die Körner der ungekochten Stärke auf, und die Mischung wird eben so gleichmässig wie in der Portion mit dem Kleister. 2) Der Unterschied in der Verwandlung der gekochten und un- gekochten Stärke besteht vielleicht nicht allein in der verschiedenen Schnelligkeit dieses Processes. So kann nach einer von Sch ff an- geführten Beobachtung Mohl’s (Lecons sur la physiologie de la di- gestion, p. 178) die gekochte Stärke unter dem Einflusse des Fer- mentes vollständig in Zucker verwandelt werden, die ungekochte lässt aber einen aus Cellulose bestehenden Rückstand zurück, welcher, wenn man ihn ‘auch darauf kocht, durch den Speichel bei keiner Temperatur in Zucker verwandelt werden kann. Ich habe jedoch niemals beobachtet, dass die gekochte Stärke selbst unter dem Ein- flusse des wirksamsten Speichels total in Zucker verwandelt würde; es. bleibt immer ein Rückstand in Form eines Wölkchens zurück, welcher beim Umschütteln eine opalescirende Trübung giebt, die nicht verschwindet, sondern beim längeren Stehen einen Niederschlag bildet. 364 Dr. Victor Paschutin: selben Temperatur, z. B. bei 55 °C. verschieden lange Zeit er- hält — 5, 10, 25, 40, 60 Min. —, und alle diese Portionen ruhig stehen lässt, findet man, dass der Niederschlag von Amy- lum um so voluminöser ist, je höher die Temperatur war, wel- cher man die Mischung ausgesetzt hat, und je länger die Er- wärmung dauerte!). Wenn man nun gleiche Mengen Speichels auf alle diese Portionen unter gleichen Bedingungen, z. B. bei 40 °C. während 10 Min. einwirken lässt, so findet man, dass die Intensität‘ der Verwandlung mit der Temperaturhöhe, die auf die Stärke vorher eingewirkt hat, in den Portionen, welche (vorher) bei einer und derselben Temperatur gelassen wurden, mit der Dauer ihrer Wirkung wächst (beide Momente haben aber auch ihre Grenzen). Es ergiebt sich, dass die Tempera- turhöhe und die Dauer ihrer Wirkung in Bezug auf die Ver- wandlung ungekochter Stärke durch den Speichel auf die Stärke und auf das Ferment einen ganz entgegengesetzten Einfluss ha- ben: beide Momente sind der Stärke günstig, dem Fermente schädlich. Aus dem Angeführten ist es leicht zu begreifen, dass die Temperatur der stärksten Wirkung des Speichels auf die ungekochte Stärke nicht in allen Fällen eine und dieselbe bleiben kann. Bedienen wir uns zu solchen Bestimmungen eines sehr concentrirten Speichels, welcher also, ohne eine grössere Beschädigung zu erleiden, ziemlich bedeutende Tem- peraturgrade vertragen kann, so wird sich die Temperatur der intensivsten Wirkung als eine ziemlich hohe (62—70 °C.) er- geben, da die durch die Erwärmung bedingte Abschwächung der Fermentkraft reichlich durch die Wirkung der Wärme auf Stärke, welche dieselbe dem Zustande nähert, in dem sie sich im Kleister befindet, compensirt. Ist aber die genommene dia- statische Flüssigkeit zu schwach, so bewirkt die Wärme eine so grosse Verminderung ihrer Kraft, dass sie nicht mehr durch 1; Man muss jedoch bemerken, dass das Verhältniss zwischen der Grösse der Aufquellung des Kleisters und der angeführten Momente nicht streng regelmässig ist. Die oben beschriebene Erscheinung ist auch bei nicht besonders hohen Temperaturen (40—55 ° C.) nicht so prägnant, dass dieselbe bei oberflächlicher Beobachtung nicht über- sehen werden könnte. 2 Fey. AUTIRT, Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 365 die Veränderungen in der Stärke compensirt werden können (die Temperatur der intensivsten Wirkung übersteigt nicht 62°C.). Die Zeit, während welcher die diastatische Wirkung vor sich geht, spielt bei derartigen Bestimmungen ‚eine grosse Rolle; ist dieselbe kurz (einige Secunden resp. Minuten), so findet man für einen und denselben Speichel die Temperatur der intensivsten Wirkung höher als in den Fällen, wo die Ver- wandlung mehrere Minuten resp. Stunden dauert, da bei länge- rer. Wirkung der Wärme die diastatische Kraft des Speichels viel rascher abnimmt, als die Fähigkeit der Stärke zur Ver- wandlung zunimmt. Nach allem bisher Angeführten ist es selbstverständlich, warum die Temperatur der intensivsten Wir- kung des Speichels auf ungekochte Stärke eine höhere sein muss, als bei seiner Wirkung auf gekochte Stärke. Um einen Unterschied zwischen dem thierischen diastati- schen Fermente (dem Speichel) und dem pflanzlichen (der Dia- stase) von den erwähnten Gesichtspunkten aus zu finden, habe ich mit diesem letzteren einige der Form nach denen mit dem Speichel vollständig entsprechende Versuche angestellt. Diese Versuche haben mich überzeugt, dass die Diastase sich im We- sentlichen ebenso zur Wärme verhält, wie das Ptyalin, und von diesem sich nur darin unterscheidet, dass sie der Wirkung der Wärme einen grösseren Widerstand leistet, desshalb höhere Temperaturen erfordert. So beginnt die zerstörende Wirkung der Wärme auf die Diastase nicht mit 40 °C. wie beim Ptya- lin, sondern mit einer höheren Temperatur als 50°C. (52°C.); der höchste Temperaturgrad, dem die Diastase bei kurzdauern- der Erwärmung unter allen günstigen Bedingungen (bezüglich der Concentration der Lösung) noch widerstehen kann, liegt nicht bei ca. 85 °C. wie beim Ptyalin, sondern bei ca. 100 °C. Die Temperatur der stärksten Wirkung der Diastase auf ge- kochtes Amylum liegt bei ca. 70 °C.!) Merkwürdig ist, dass 1) Die zu diesem Versuche gebrauchte Lösung der Diastase glich, dem diastatischen Effecte nach, einem 8fach verdünnten menschlichen Speichel; die Dauer der Wirkung der Diastase auf Stärke überstieg nicht 5 Minuten; vor der Vermischung mit dem Kleister blieb die Diastaselösung 3 Min. im warmen Wasser. 2366 Dr. Vietor Paschutm. die Temperatur der intensivsten Wirkung der Diastase auf den Kleister bedeutend höher ist als die Temperatur, bei welcher die zerstörende Wirkung der Wärme auf dieses Ferment be- ginnt. Etwas Aehnliches bemerkt man jedoch auch bei Ver- suchen mit dem Speichel, wenn man ihn auf gekochte Stärke bei hoher Temperatur wirken lässt; dort (beim Speichel) wird aber nur eine Verminderung jenes Effectes, welcher durch den Einfluss der Wärme auf das Ferment bedingt wird, beobachtet; bei der Diastase aber verhält sich die Sache anders, denn un- geachtet gewisse Temperaturen auf dieselbe zerstörend wirken, geht die Verwandlung bei diesen Temperaturen 'energischer vor sich, als bei Temperaturen, welche für dieselbe ganz unschäd- lich sind. Die geringere Zerstörbarkeit der Diastase bei Tem- peraturen, welche auf den Speichel schon zerstörend wirken, spielt dabei vermuthlich die wichtigste Rolle. Bei der Ein- wirkung der Diastase auf ungekochte Stärke geht im Wesent- lichen dasselbe vor sich, wovon bei den entsprechenden Ver- suchen mit dem Speichel die Rede war; es giebt dabei nur einige Unterschiede, deren Ursache leicht zu begreifen ist, nämlich: die Temperaturgrade der intensivsten diastatischen Wirkung sind bei der Diastase caeteris paribus höher, als bei dem Speichel. Die Concentration der Fermentlösung ist nicht allein. bei der Wirkung der Wärme von einem sehr grossen Einfluss auf die mehr oder weniger grosse Verminderung der Fermentkraft; sondern das erwähnte Moment spielt auch eine ähnliche Rolle bei der Wirkung der Säuren und Alkalien auf die Ferment- lösungen. a) Man bereitet aus einem sorgfältig neutralisirten und fil- trirten Speichel mehrere mit verschiedenen Volumina Wasser verdünnte Portionen, z. B. mit 10, 50, 100, 400 Theilen Was- ser, und fügt zu allen diesen (den Volumina nach gleichen) Portionen, sowie zum nicht verdünnten Speichel eine solche Quantität verdünnter Schwefelsäure, welche die diastatische Wirkung des nicht verdünnten Speichels nur in einem gewis- sen Grade zu vermindern im Stande ist, hinzu (diese Quanti- tät bestimmt man am nicht verdünnten Speichel durch einen Re ug Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 367 Probeversuch), mischt darauf alle Portionen mit gleich grossen Mengen Kleisters und lässt dieselben eine sehr lange Zeit (12—20 Stunden) bei 30—40 °C. stehen. Es ergiebt sich, dass eine Säuremenge, welche in dem unverdünnten oder sehr wenig verdünnten Speichel eine mehr oder minder grosse Ver- minderung der diastatischen Wirkung verursacht, in stärker verdünnten Portionen den diastatischen Process vollständig auf- hebt. Es muss hierbei bemerkt werden, dass das Ferment in solchen Fällen seine Kraft nicht unwiederbringlich verliert, da man nur die Säure zu neutralisiren braucht und die Ver- wandlung fängt von Neuem an. Hieraus folgt, dass der Spei- chel die Stärke im Magen bald verwandelt, bald nicht, je nach dem Verhältnisse der Concentration der Säure zur Öoncentra- tion des Fermentes in der Magenflüssigkeit. b) Man erhält dieselben Resultate, wenn man anstatt der Säure eine schwache Lösung von NaHO nimmt. Schiff’s Be- obachtung'), dass das geringste Hinzufügen von Alkali den diastatischen Process zu einem vollständigen Stillstand bringt, ist irrig, und der Grund dieses Irrthumes liegt darin, dass er den Speichel eine zu kurze Zeit auf die Stärke einwirken liess, (obgleich auch bei diesem Umstande „une legere decoloration* der Trommer’schen Flüssigkeit zuweilen von ihm beobachtet wurde). Nimmt man statt des Speichels gänzlich neutrale Lösungen der Diastase, so erhält man durch Zusatz von Säuren und von Alkalien ganz dieselben Resultate wie bei den Versuchen’ mit dem Speichel. Aus dem Gesagten folgt nun, dass ein bestimmtes Ver- hältniss zwischen der Menge des Fermentes und der Menge der Säure resp. des Alkali, welche nöthig sind, um die Wir- kung des Fermentes zu binden, besteht). 1) Lecons sur la physiologie de la digestion. 1867. p. 162—166. 2) Dieses deutet darauf hin, dass man nach der Menge der Säure oder des Alkali, welche nothwendig sind, um den diastatischen Pro- cess zu vernichten, allem Anscheine nach die Concentration der Fermentlösung (d. h. den Procentgehalt des Fermentes) bestimmen kann. 368 Dr. Vietor Paschutin: Jetzt wollen wir bestimmen, wie sich das Ferment (das diastatische) der Dünndarmschleimhaut zu den von uns unter- suchten, die Fermentkraft vermindernden Bedingungen verhält. Diese Versuche sind sowohl mit dem nach Thiry’s Methode erhaltenen natürlichen Darmsaft, als auch mit dem durch In- fusion der Mucosa künstlich dargestellten ausgeführt worden. Die in dieser Richtung angestellten Versucie haben uns ge- zeigt, dass beide Flüssigkeiten in ihrem Verhalten zur Tempe- ratur an schwache Speichellösungen erinnern: so vermindern die 40 °C. nahen Temperaturen schon bedeutend die diasta- tische Wirkung dieser Flüssigkeiten, besonders wenn diese - Wirkung längere Zeit dauert, und die Erwärmung auf 65—66°C. selbst eine sehr kurze Zeit hindurch, vernichtet diese Wirkung vollständig. Concentrirt man aber diese Lösungen (nach der oben erwähnten Methode) so bewahren sie ihre diastatischen Eigenschaften selbst bei bedeutend höheren Temperaturen, so z. B. konnte ein Mucosainfusum, welches kaum die Temperatur von 64 °C, zu vertragen im Stande war, nach einer nicht ein- mal sehr hochgradigen Concentration die Temperatur von 70 ° ©. vertragen; es ist kein Grund vorhanden, daran zu zwei- feln, dass bei weiterer Concentration dasselbe nicht noch höhe- ren Wärmegraden widerstehen könnte. Im Verhalten zu den Säuren und Alkalien wiederholen sich bei diesen Flüssigkeiten im Wesentlichen dieselben Erscheinungen, wie beim Speichel. Die Infusa aus Pankreas!) (1 Theil Pankreas auf 4 Theile Wasser) unterscheiden sich fast gar nicht von dem unverdünn- ten menschlichen Speichel. Sie verlieren ihre Wirkung durch die (kurzdauernde) Erwärmung auf 72—73 ° C.; genügend ver- dünnt, erinnern sie an schwache Speichellösungen oder an ge- wöhnliche Infusa der Dünndarmschleimhaut. Versuche mit den Wasserinfusa (1 Th. auf 4 1) Schiff meint (l. ec. p. 166), dass der pankreatische Saft seine diastatische Wirkung bei 50—60 ° C. verliert; hierin sieht Schiff ei- nen Unterschied zwischen dem Fermente des pankreatischen Saftes und dem des Speichels, welches, seiner Meinung nach, selbst einem kurzdauernden Sieden zu widerstehen vermag. Rinige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 369 Th Wasser) der Mucosa der Trachea, der Harn- blase, der Gallenblase, des Magens, des Dickdar- mes, des Rectums und des Oesophagus. Diese Infusa erhält man auf folgende Weise: nachdem man den Hund durch Entblutung getödtet und das noch zurückgebliebene Blut durch Einspritzen von schwachen Kochsalzlösungen aus den Gefässen entfernt hat, löst man so rasch wie möglich die für den Ver- such bestimmten Schleimhäute ab, zerstückelt eine jede für sich allein mit Scheeren, oder zerreibt sie sogar mit Sand, ver- mischt sie mit Wasser und nach Verlauf von !/,—1 Stunde filtrirt man die erhaltenen Massen einzeln; vermischt darauf das Filtrat mit dem Kleister und lässt es '/,—3 Stunden bei 38 °C, stehen; jedes Infusum wird von einem Üontrolversuche (gekochtes Infusum mit Kleister) begleitet. Der Zucker wird mittelst der Trommer’schen, der Moore’schen und der Gährungsprobe bestimmt. Gewöhnlich wird der Versuch 3 bis 6 Stunden nach dem Tode des Thieres beendigt. Diese Versuche zeigten, dass alle soeben erwähnten Infusa, vielleicht mit Ausnahme des Infusums der Mucosa des Oesophagus, auf Stärke diastatisch wirken. Die wirksamste von allen ist die Mucosa der Trachea und der Harnblase (fast gleich der Mucosa des Dünndarms), auf diese folgt die Mucosa vesicae felleae'), die Schleimhaut des Blind- und des Diekdarmes, endlich die Mucosa recti und des Magens. Alle diese Infusa erinnern in ihrem Verhalten zur Wärme an schwache Speichellösungen. Es stellt sich auf diese Weise heraus, dass die Darm- schleimhaut (des Dünn- und des Dickdarmes) in Bezug auf die diastatische Fähigkeit sich durch nichts von jenen Schleim- häuten, die nie mit den Nahrungsstoffen in Berührung kommen, ‚ unterscheidet. Aus diesem Grunde beschlossen wir, auch an- 1) Die Anwesenheit des Fermentes in der Mucosa vesicae felleae kann die widersprechenden Angaben, welche in der Wissenschaft in Bezug auf die diastatische Wirkung der Galle existiren, erklären. Obgleich von diesem Gesichtspunkte aus noch keine direeten Versuche ausgeführt wurden, kann man doch kaum daran zweifeln, dass die in . der Blase befindliche Galle nach dem Tode des Thieres aus der Schleimhaut eine gewisse Menge des Fermentes extrahirt. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 24 370 Dr. Victor Paschutin: dere Gewebe des Körpers in dieser Richtung zu untersuchen. Es ergiebt sich, dass das Infusum aus Hirngewebe fast gar nicht die Stärke in Zucker verwandelt; etwas wirksamer sind Leberinfusa!) und Milzinfusa, darauf folgen Muskelinfusa, die Infusa der Haut, der Lungen, der Nieren und der Hoden. Neuerdings versuchte v. Wittich?), die Fermente aus verschiedenen Körpertheilen durch Glycerin zu extrahiren, und es gelang ihm auch wirklich, dieselben aus dem Gewebe des Hirnes, des Magens und der Nieren herzustellen, von den Spei- cheldrüsen natürlich nicht zu reden. Cl. Bernard, welcher verschiedene Organe in Bezug auf den Gehalt an diastatischem Ferment untersuchte, ist zu dem Schlusse gekommen, dass keines von den Secreten und keines von den Geweben des Körpers im frischen Zustande das Fer- ment enthält, und dass im Gegentheil alle eiweisshaltigen Flüs- sigkeiten auf einer bestimmten Zersetzungsstufe diastatisch wir- ken können; mit einem Worte, das Speichel- resp. das thie- rische Ferment ist nach Bernard für kein Gewebe charakte- ristisch*),. Wenn ferner der menschliche Speichel energischer als der Speichel des Hundes und des Pferdes wirkt, so stammt dieses wahrscheinlich daher, dass die menschlichen Gewebe leichter zersetzbar sind ®). Aus diesem Grunde ist die Wirkung des Speichels eines kranken Menschen (bei saliva mercurialis) 1) Beim Versuche mit der Leber verfuhr ich wie folgt: Ein Stück der Leber zerstückelte ich rasch, mischte es mit Wasser und habe einen Theil dieser Masse gekocht; den anderen Theil liess ich einige Zeit bei gewöhnlicher Temperatur stehen, und setzte dann nach der Filtration beide (Glykogen enthaltende) Portionen einer Temperatur von 40 °C. aus (zuweilen fügte ich zu beiden gleiche Quantitäten Kleisters hinzu) und verglich nachher den Zuckergehalt beider Por- tionen. Gewöhnlich findet man in der ersten (der gesottenen) Portion nur Spuren von Zucker, (wenn das Blut aus dem Körper sorgfältig entfernt war und wenn das Auswaschen der Gefässe mit Wasser noch am lebenden Thiere vorgenommen wurde), in der zweiten ein wenig mehr davon, jedoch auch sehr unbedeutendende Mengen. 2) Pflüger’s Archiv u. s. w. 1870. $. 339. 3) Legons de physiologie experimentale. 1856. t. Il. p. 376, 4) Ibidem. p. 165. Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 371 eine energischere, als die des Speichels eines gesunden Men- schen'). Die Infusa aus den Speicheldrüsen des Hundes be- kommen nach Bernard die diastatische Fähigkeit erst nach einem 1—2tägigen Stehen an der Luft?); werden dieselben einige Tage in Weingeist gelassen, so steht die diastatische Wirkung dieser Drüsen sogar der des Pankreas nicht nach; dieselbe diastatische Kraft erhalten auch alle Schleimhäute, wenn man sie in Alkohol liegen lässt?). Meine Versuche an den aufgezählten Geweben zeigen, dass sie alle im frischen Zustande auf die Stärke diastatisch wirken können. Was die von Bernard vertretene Ansicht, dass je- der Eiweisskörper in einem gewissen Stadium der Zersetzung als Ferment wirken kann, betrifft, so lässt sich kaum daran zweifeln. Ich kann Bernard’s Beobachtung, dass der ge- kochte menschliche Speichel nach dem Stehen an der Luft die diastatische Wirkung wieder bekommt, bestätigen *). Diese Wir- kung ist jedoch im Vergleiche mit der physiologischen äusserst gering, und die Wiederherstellung wird immer von der Entwickelung mikroskopischer Organismen begleitet (ferment figure). Jedoch ist die Anwesenheit von Eiweissstoffen nicht eine unumgänglich nothwendige Bedingung für die Entwicke- lung dieses Fermentes; aus den oben S. 323 angeführten Ver- suchen sieht man, dass auch in der Stärke allein Zucker sich entwickeln kann, nur muss man dieselbe längere Zeit stehen 1) Ib. p. 161. 2) Ib. p. 165. 3) Ib. p. 375—376. 4) Ib. p. 162. Man muss jedoch bemerken, dass die Wiederher- stellung der fermentativen Eigenschaften in dem gekochten Speichel beim Stehen desselben an der Luft keine constante Erscheinung ist; diese Erscheinung ist, wie es scheint, hauptsächlich davon abhängig, wie anhaltend dieses Stehen vor der Untersuchung der diastatischen Eigenschaften des Speichels war; die negativen Resultate bei derarti- gen Untersuchungen erhält man in den Fällen, wo der Speichel eine zu lange (viele Monate) oder eine zu kurze Zeit (einige Tage) an der Luft stehen bleibt. Ohne Luftzutritt aber (unter Quecksilber) ge- winnt,.wie es scheint, der gekochte Speichel niemals die Fähigkeit, auf die Stärke zu wirken. 24* Sa: Dr. Vietor Paschutin: stehen lassen. Um diese Erscheinung zu studiren!), stellte ich in einem sorgfältig mit Säure und siedendem Wasser ausge- waschenen Probirglase frisch bereiteten Kleister unter Queck- silber. Unter solchen Umständen bildete sich der Zucker selbst nach anderthalbmonatlichem Stehen bei gewöhnlicher Tempe- ratur nicht. Fügt man aber zur frischbereiteten gekochten Stärke ein wenig Kleister, in welchem man schon die Ent- wickelung von Zucker bemerkt, hinzu, und lässt diese Mischung unter Quecksilber stehen, so ergiebt es sich, dass ungeachtet der Unmöglichkeit des Luftzutrittes, Zucker in einer solchen Mischung sich bildet. Hieraus sieht man, dass bei der Ver- änderung der Stärke beim Stehen derselben an der Luft nicht die Gase der Luft, sondern etwas ganz Anderes eine Rolle spielt; der Gedanke an die in der Luft schwebenden mikro- skopischen Organismen ist hier der natürlichste. Diese Orga- nismen können auch in der That schon beim ersten Auftreten der Spuren von Zucker mit dem Mikroskope entdeckt werden. Bei sehr langem Stehen des Kleisters an der Luft bedeckt er sich mit einer rosenrothen Schicht, welche mit der Zeit die graue Farbe des Schimmels bekommt. Hallier?) schreibt den kleinen Organismen grosse Fähigkeit, Stärke in Zucker zu ver- wandeln, zu; seiner Ansicht nach verdankt sogar der mensch- liche Speichel selbst seine diastatische Wirkung diesen Orga- nismen. Bei seinen Untersuchungen über die zuckerbildende Fähigkeit der niedrigsten Organismen gebrauchte Hallier keine Probe auf Zucker und zog seine Schlüsse einerseits aus der Bildung einer hellen Schicht in dem Kleister, andererseits aus der Vermehrung von Pilzen. Eine der Hallier’schen ganz entgegengesetzte Meinung darüber spricht Lösch’) aus. 5) Parallel mit den Versuchen mit Stärke sind Versuche mit Rohrzuckerlösungen gemacht worden; die Resultate waren im Wesent- lichen dieselben. 2) Gährungserscheinungen. Leipzig, 1867. 8) Beiträge zur Speichelverdauung, von Ferd. Lösch. (Unters. aus dem physiologischen Laboratorium in Würzburg. 3. Heft. 1868, p. 67—80,.) Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 373 Nachdem er die Ansicht Hallier’s über die Abhängigkeit der Speichelwirkung von den Pilzen widerlegt hat, überzeugt sich Lösch, dass die in der Luft befindlichen Organismen die Stärke in Zucker nicht verwandeln; so gab der Kleister, durch welchen man längere Zeit hindurch einen Luftstrom streichen liess, nach 24stündiger Erwärmung bei 40—50 °C. keinen Zucker. Mit Lösch’s letzteren Resultaten stehen meine Ver- suche nicht im Einklange. Der Grund dieser Wiedersprüche wird, wie mir scheint, durch die Untersuchungen Lemaire’s') aufgeklärt. Dieser Autor fand, indem er den Wasserdampf be- wohnter Locale und der freien Luft verdichtete, in dem erhal- tenen Wasser in beiden Fällen sehr verschiedene Mengen von Keimen; selbst der Grad der Ventilation des Zimmers war bei seinen Versuchen von einem sehr bemerkbaren Einfluss auf die Resultate. Daher ist es sehr möglich, dass der Ort, wo man ‚die Versuche mit der Verwandlung von Stärke in Zucker an der Luft ausführt, einen grossen Einfluss auf die Resultate hat. Das Laboratorium, in dem ich arbeitete, enthielt in Folge des Aufenthaltes vieler Menschen, einer noch grösseren Anzahl von operirten Thieren, bei schlechter Ventilation, wahrscheinlich eine grosse Menge kleiner Organismen. Im Sommer ging bei meinen Versuchen die Verwandlung von Stärke rascher als im Winter vor sich, und dieser Unterschied konnte nicht von der Verschiedenheit der Temperatur abhängen. Auf die Schnellig- keit der Zuckerbildung im Kleister beim Stehen .desselben an der Luft ist die Concentration des Kleisters von grossem Einflusse; je dicker der Kleister ist, desto früher erscheinen die ersten Spuren von Zucker; so erschienen bei einem Versuche die ersten Spuren von Zucker im 4°/,igen Kleister nach 1!/, Tagen, im 3°/sigen nach 2'/, Tagen, im 2°/,igen nach 5'/, Tagen. Die Form des Gefässes, insofern dieselbe den Luftzutritt zum Kleister erleichtert, hat auch einen Einfluss auf die Schnelligkeit, nach der die Spuren von Zucker im Kleister erscheinen. Um das Verhalten des im Kleister gebildeten Gährungsstoffes zur Wärme 4) Recherches sur la nature des miasmes fournis par le corps de homme en sante. Gazette medicale de Paris, 1866. p. 592. 374 Dr. Vietor Paschutin: zu ermitteln, habe ich mit demselben einige Versuche aus- geführt; die erhaltenen Resultate zeichneten sich aber durch keine besondere Bestimmtheit aus. Da wir jedoch hier wahr- scheinlich das „ferment figur&“ und „non figure“ der französi- schen Autoren neben einander haben, so kann diese Unbe- stimmtheit der Resultate auch anders gedeutet werden. Jedenfalls erinnerte im Allgemeinen das Verhalten dieses Fermentes zur Wärme in sehr vielen Beziehungen an den Speichel resp. die Diastase und zeigte zugleich auch eine grosse Widerstandsfähigkeit gegen die Wärme. Il. In Bezug auf die Wirkung des Darmsaftes auf den Rohr- zucker herrschen in der Wissenschaft keine so grosse Wider- sprüche wie in Bezug auf die Stärke. Die Erforscher der Darmverdauung schweigen entweder über diese Eigenschaft des Darmsecretes oder sprechen sich positiv aus (Kühne, ') Leube?) u.s. w.). Der Rohrzucker, als ein Bestandtheil der Haas hat bei Weitem keine so grosse Verbreitung wie die stärke- haltigen Stoffe, das Eiweiss und die Fette; es ist deshalb auch leicht verständlich, warum derselbe bei der Untersuchung der Darmverdauung im Hintergrunde bleibt. Die Versuche zur Bestimmung des Einflusses, welchen der Darmsaft auf den Rohrzucker hat, hatten dieselbe Form, wie die entsprechenden Versuche für die Stärke; aus diesem Grunde werde ich, um Wiederholungen zu vermeiden, mich nur kurz fassen. Die ganze Dünndarmschleimhaut vom Pylorus bis zur Val- vula Bauhini enthält, meinen Untersuchungen nach, ein Fer- ment, welches Rohrzucker in Traubenzucker verwandelt; diese Eigenschaft besitzt die Dünndarmschleimhaut des Hundes, des Schweines, des Kaninchens, der Ratten und andere. Wichtig ist zu bemerken, dass die Schleimhaut der Schaafe und der Kälber (der Wiederkäuer) das Ferment, welches auf den Rohr- 1) Lehrbuch der physiologischen Chemie $. 139. 2A, 9.0. Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 375 zucker wirkt, nicht enthält, sondern nur allein das auf Stärke wirkende. Das Verhalten des Fermentes B') zur Wärme, zu den Säuren und zu den Alkalien unterscheidet sich, wie es scheint, nicht von dem Fermente, welches auf Stärke wirkt. Die übrigen Schleimhäute (ausser der des Dünndarmes) und andere Gewebe auf den Gehalt des Fermentes, welches Rohrzucker in Traubenzucker verwandelt, untersucht, haben gezeigt (die Versuche sind an einem Hunde ausgeführt wor- den), dass, ausser den Nieren, kein Gewebe Rohrzucker in Traubenzucker verwandelt. In den Nieren kommt diese Eigen- schaft fast ausschliesslich der Marksubstanz zu. Die Infusa aus der Substantia corticalis der Nieren verwandeln den Rohr- zucker in Traubenzucker weniger energisch als die Infusa aus der Dünndarmschleimhaut. Bernard’s Beobachtung, dass der in’s Blut eingespritzte Rohrzucker zum Theil als Trauben- zucker mit dem Harne ausgeschieden wird, kann durch die er- wähnte Eigenschaft der Nieren erklärt werden. Ist die Verwandlung des Rohrzuckers in Traubenzucker durch die Infusa der Dünndarmschleimhaut und der Nieren, durch die Existenz eines besonderen Fermentes oder durch dasselbe Ferment, welches Stärke in Zucker verwandelt und welches in diesem Falle wesentliche Verschiedenheiten von den in anderen Körpertheilen befindlichen Fermenten darbietet, bedingt? Ehe ich versuchte die Fermente A und B von ein- ander zu trennen, lagen schon einige Thatsachen vor, auf deren Grund man die Verschiedenheit beider Fermente vermuthen konnte, nämlich dass bei gewissen Bedingungen der Erwärmung der Darminfusa dieselben die eine Eigenschaft verloren (Rohr- zucker zn verwandeln), während sie die andere im gewissen Grade noch bewahrten (auf Stärke zu wirken); weiter bemerkt man, dass nach der Filtration durch Thierkohle?) die Intensi- 1) Mit diesem Buchstaben werden wir, der Kürze halber, das Ferment der Dünndarmschleimhaut, welches auf Rohrzucker wirkt, und mit dem Buchstaben A dasjenige, welches auf die Stärke wirkt, be- zeichnen. 2) Damit die Infusa ihre fermentativen Eigenschaften vollständig 376 Dr. Victor Paschutin: tät der Wirkung der Infusa auf die Stärke und auf den Zucker sich ganz entgegengesetzt als vor der Filtration verhält; so war z. B. vor der Filtration der Effect intensiver in Bezug auf den Rohrzucker als auf die Stärke, nach der Filtration durch die Kohle aber minder intensiv. Endlich sprach der Um- stand, dass die Dünndarmschleimhaut nicht bei allen Thieren auf den Rohrzucker wirkt, während sie bei allen die Stärke verwandelt, auch zu Gunsten der Verschiedenheit der Fermente A und B. Ich suchte beide Fermente von einander zu schei- den, indem ich von dem verschiedenen Verhalten derselben zur mechanischen Niederreissung ausging, welches man nach dem Versuche mit der Filtration durch Thierkohle vermuthen konnte. Um die mechanische Niederreissung zu bewirken, gebrauchte ich nach der Methode von Danilewsky!) das Collodium. Indem man das Infusum vor und nach der Niederreissung un- tersuchte, konnte man sehr leicht bemerken, dass seine Wir- kung auf Rohrzucker sich in Folge von Niederreissung sehr beträchtlich, die diastatische dagegen nur in einem geringen Grade verminderte. Wäscht man den Collodiumniederschlag mit Wasser aus und untersucht darauf dieses Wasser, so sieht man, dass das- selbe auf Rohrzucker nur sehr schwach, auf die Stärke dagegen sehr intensiv wirkt; noch deutlichere Erscheinungen erhielt man, wenn man statt Wassers Glycerin, welches noch weniger als Wasser das Ferment B in sich aufnimmt, gebrauchte. Ich nahm darauf zwei gleiche Portionen des ausgewaschenen Nie- derschlages, vermischte die eine mit dem Kleister, die andere mit Rohrzuckerlösung und liess sie 2— 4 Stunden bei 40 ® C. stehen; entfernte darauf den Niederschlag und machte die Moore’sche Reaction. Es ergab sich, dass in dem Kleister keine Reaction, in der Zuckerlösung dagegen eine sehr starke verlieren, muss man die Flüssigkeit mehrere Male durch Thierkohle filtriren. 1) Ueber specifisch wirkende Körper des natürlichen und des künstlichen pancreatischen Saftes. Virchow’s Archiv Bd. XXV S. 279. Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 377 stattfand.!) Diese Erscheinung besteht also darin, dass das Collodium aus dem Infusum mehr das Ferment B als das Fer- ment A in sich aufnimmt, da die Neigung des Fermentes B zur mechanischen Niederreissung eine grössere ist, als die des Fermentes A; in Folge dieser Neigung wird auch das Ferment B viel schwieriger von dem Niederschlage ausgewaschen als das Ferment A; das Ferment B, welches im Niederschlage bleibt, offenbart seine Wirkung bei der Vermischung dieses Niederschlages mit der Rohrzuckerlösung.?) Sonderbar ist die Erscheinung, dass das Ferment B aut den Rohrzucker wirkt, während es so innig mit dem Collodium- niederschlage verbunden ist, dass es in die Lösung nicht über- gehen kann. In Bezug auf die Neigung zur mechanischen Niederreissung verhalten sich also beide Fermente B und A ebenso wie das auf das Eiweiss wirkende und das diastatische Fermeut des Pancreas. | Eine andere von mir zur Scheidung der Fermente A und B angewandte Methode beruht auf der verschiedenen Leichtig- keit, mit welcher dieselben durch thierische Membranen hin- durchgehen; um nach dieser Methode beide Fermente von ein- ander zu scheiden und rein zu erhalten, sind ziemlich compli-. eirte Manipulationen nöthig, will man sich aber nur davon überzeugen, dass die Wirkung der Darminfusa auf die Stärke und auf den Rohrzucker von zwei verschiedenen Fermenten abhängt, so erreicht man dieses sehr leicht. Den Versuch führt man auf folgende Weise aus: nachdem das Thier getödtet und seine Bauchhöhle geöffnet ist, macht man am unteren Ende des Dünndarmes einen ringförmigen Schnitt, welcher durch das Peritoneum und die äusseren Muskelschichten des Darmes bis zur mittleren elastischen Schicht dringt. Nun zieht man mit 1) Der Collodiumniederschlag, welcben man durch Umschütteln des Collodiums mit irgend einer Flüssiekeit z B. mit Wasser erhalten hatte, bewirkt die Verwandlung des Rohrzuckers nicht. 2) Ich versuchte das Pyroilin des Collodiumniederschlages zu lösen, es war aber dazu ungeachtet der Geringfügigkeit des Nieder- schlages eine so grosse Menge Aether erforderlich, dass ich den Ver- such unterbrechen musste. 378 Dr. Vietor Paschutin: der einen Hand am unteren Ende des Darmes und mit der an- deren bemüht man sich mit Hülfe der Nägel oder eines stum- pfen Scalpels die äusseren Schichten in der Richtung zum Magen zu verschieben; dabei stülpen sich diese Schichten auf sich um und müssen von Zeit zu Zeit mit der Scheere durch- schnitten werden, um das Einklemmen der oberen Theile des Darmes zu vermeiden; die inneren Schichten lösen sich dabei vollständig von den äusseren ab und lassen sich (wie aus einem Futteral) herausziehen. Bei dieser Trennung der Schichten ist der Umstand sehr günstig, dass das Mesenterium mit den äusseren Schichten verbunden ist und dieselben fixirt. Bei dem Duodenum angelangt, schneidet man den Darm durch, wobei der Darminhalt, welcher durch die beschriebene Mani- pulation von den unteren Abschnitten des Darmes in die obe- ren verdrängt wird, sich nach Aussen ergiesst. Wäscht man darauf den Darm mit Wasser aus, so ist er für den Versuch vollständig fertig. Während der ganzen Operation muss man so viel wie möglich den Druck auf die isolirten inneren Schich- ten des Darmes zu vermeiden suchen, da im entgegengesetzten Falle sehr leicht die Integrität der Schleimhaut, welche sich auf grossen Strecken von den unterliegenden Schichten, un- geachtet der Unversehrheit der elastischen Schicht, trennt, ver- letzt wird.!) Damit der Versuch gelinge, müssen die inneren Schichten des Darmes so wenig wie möglich geknetet werden. Wenn es nicht gelungen ist auf die beschriebene Weise die äusseren Schichten abzuziehen, so trennt man dieselben von einem ansgeschnittenen Darme auf die übliche Weise, was aber viel mehr Zeit in Anspruch nimmt. Die Entfernung der Mus- kelschicht ist zur Genauigkeit des Versuches nothwendig, zur 1) Von der Resistenz der elastischen Schicht kann man sich aus folgendem Versuche einen Begriff bilden: wenn man an einem auf die gewöhnliche Weise ausgeschnittenen Darme mit dem Nagel des grossen Fingers die Muskelschichten abkratzt, nachdem man zu die- sem Zwecke den Darm zwischen der Mitte des Zeigefingers und dem Daumen eingeklemmt hat, kann man die elastische Schicht ganz unversehrt, innen frei von der Mucosa, aussen von der Muskelschicht, erhalten. Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 379 Verhütung der Beimengung des Muskelfermentes zu den Fer- menten der Mucosa. Will man diese Beimengung vernach- lässigen, so braucht man auch die Muskelschichten nicht abzu- tragen: das Resultat wird sogar noch prägnanter ausfallen. An beide Enden des für den Versuch bestimmten Darmes bindet man Korke, in deren Mitte kurze gläserne Röhren (Fig. 10, a, 5) mit Hähnen (e, f) sich befinden, an; um den Darm mit der Ligatur nicht durchzuschneiden, bedeckt man diese Stellen vorher mit 2—-3 Streifen Fliesspapier (pp). Auf die Röhre 5 (die Ausgangsröhre) setzt man eine kurze Kautschuk- röhre ce auf, auf die andere Glasröhre a (die Eingangsröhre) eine lange Kautschukröhre d, welche mit einem ziemlich ge- räumigen, mit Wasser gefüllten Gefässe A in Verbindung steht; mittelst einer Rolle kann dieses Gefäss auf beliebige Höhe ge- hoben werden. Den Darm legt man in einen grossen Trichter B, unter welchen ein Gefäss C zur Aufnahme der Flüssigkeit gestellt und welcher mit der Platte U (um Verdünstung des Filtrates zu vermeiden) bedeckt wird, Der Versuch findet bei einer 0 ° ©. nahen Temperatur Statt, um so viel wie mög- lich den Darm vor Fäulniss zu bewahren. Nachdem das Gefäss mit Wasser (A) auf entsprechende Höhe gehoben wurde, öffnet man den Hahn e und füllt auf diese Weise den Darmcanal unter einem bestimmten Drucke mit Wasser; es kommt natürlich zur Filtration durch die Darmwand. Während der ersten Stunden geht die Filtration sehr langsam vor sich; die Tropfen an der Ausgangsöffnung des Trichters laufen sehr langsam ab; darauf geschieht die Filtration immer rascher und rascher: im Verlaufe der ersten 10 Stunden sammelt sich vom Filtrate nicht mehr als !/, Pfund, nachher aber ein Pfund und darüber während derselben Zeit. Die Menge des Filtrates hängt natürlich von der Höhe der drückenden Säule, von der Dicke der Darmwand und von der Grösse der Filtrationsfläche ab. Die Höhe der Drucksäule musste bei diesen Versuchen je nach der Dicke der Darmwand verschieden sein. Wurden die äusseren Muskelschichten nicht entfernt, so betrug diese Höhe bei meinen Versuchen 10 Fuss und darüber; wurden sie dagegen entfernt, so war dieselbe 380 ; Dr. Vietor Paschutin: wenigstens um das Doppelte geringer; diese Höhe ist auch grösser, wenn man den Darm eines alten Thieres gebraucht, als wenn derselbe von einem jungen genommen ist. Damit dieser Versuch gelinge, ist langsame Filtration eine unumgänglich nothwendige Bedingung; daher muss man eine zu grosse Höhe der Wassersäule vermeiden. Um sich vor den verschieden- artigen störenden Zufällen zu schützen, führt man gleichzeitig die Filtration an einigen Darmpräparaten aus, nachdem man sie auf verschiedene Höhen (die Fächer B‘, C', D’) aufgestellt hat, um mittelst eines aufgehängten Gefässes (A) mit Wasser verschieden drückende Kräfte zu erhalten. Untersucht man zu verschiedenen Zeiten während des Ver- suches das Filtrat und die Flüssigkeit, welche im Inneren des Darmes bleibt, in Bezug auf die fermentativen Eigenschaften derselben, so findet man, dass das Filtrat sehr energisch die Stärke verwandelt, und dass seine Wirkung desto energischer ist, je früher vom Anfange des Versuches an die untersuchte 'Por- tion gesammelt wurde; in Bezug auf den Rohrzucker bleibt das Filtrat entweder ganz ohne Wirkung, oder erzeugt in den Rohrzuckerlösungen nur Spuren von Traubenzucker (nach ei- nem sehr langen Stehen bei 40 °C.). Gewöhnlich trifft man Spuren des Fermentes B in den ersten und in den letzten Portionen des Filtrates (wenn der Darmcanal sich schon zu lockern anfängt). Bedeutende Mengen des Fermentes B im Filtrate weisen auf eine Ruptur des Darmes hin. Die Flüssig- keit, welche im Inneren des Darmes bleibt und die man zum Zwecke der Untersuchung durch die Röhre b ausfliessen lässt, wandelt viel energischer den Rohrzucker als die Stärke um; die Wirkung derselben auf die Stärke nimmt mit der Dauer der Filtration rasch ab, daher wächst auch allmälig der Unterschied in der Wirkung dieser Flüssigkeit auf den Rohr- zucker und auf die Stärke; so dass diese Flüssigkeit vom Fer- ‘ment A nicht grössere Spuren aufweist, als das Filtrat vom Ferment B. Macht man aus der Schleimhaut des Darmes, durch welche während einer gewissen Zeit die Filtration verursacht wurde, ein Wasserinfusum, und vergleicht dieses Infusum (in Bezug er EIER, 78 a ie ah Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 381 auf fermentative Eigenschaften) mit einem anderen, welches man aus einem einer solchen Auswaschung (Filtration) nicht ausgesetzten Theile desselben Darmes bereitet hat, so ergiebt es sich, dass das erste Infusum im Vergleiche mit dem zweiten viel ärmer am F'ermente A als am Fermente B ist. Es scheint auf den ersten Blick sonderbar, dass das Ferment B, welches so schwer durch die Darmwand nach Aus- sen dringt, dennoch leicht in die im Inneren befindliche Flüs- sigkeit übergeht; dies findet leicht darin seine Erklärung, dass es im ersten Falle durch eine thierische Membran transsudiren muss, im zweiten dagegen kann es direct in das Wasser durch die Oeffnungen der dasselbe bereitenden Drüse gelangen. Aus allem hier Gesagten folgt, dass das Wasser die Fermente, die es bei der Filtration durch die Darmwand in derselben trifft, löst, jedoch nur dasjenige derselben in grosser Menge mit sich fortführt, welches durch die thierische Membran zu diffun- diren im Stande ist (Ferment A); das andere Ferment (B) bleibt theils in der Dicke der Wand zurück, theils geht es aus derselben durch Ausführungsgänge der Drüsen heraus und nur eine kleine Menge desselben wird mit dem Wasser nach Aus- sen fortgeführt. Die Rolle, welche bei dieser Filtration dem Drucke zu- kommt, scheint hier nur in der Beschleunigung des Wasser- durchsickerns durch die Wand zu bestehen; wenn man den Druck vollständig eliminirt, indem man den Darm (mit zuge- bundenen Enden) ins Wasser legt, so geht aus dem Darme in das Wasser fast ausschliesslich das Ferment A über'). Man muss annehmen, dass das thierische diastatische Fer- ment gar nicht so vollständig die Diffusionsfähigkeit entbehrt, wie Gautier?), welcher sich mit dem Gedanken von der Lös- lichkeit der Fermente nicht versöhnen kann und geneigt ist, derselben die „extr&me limite de l’organisation“ zuzuschreiben, meint. 1) Nach Verlauf einer ziemlich langen Zeit wird der Darm iu Folge des Einfüllens mit Wasser auf dem Wege der Diffusion aufge- blasen. 2) 1. c. p. 19-20. 382 Dr. Vietor Paschutin: Durch die beschriebene Methode gelingt es, jedes Ferment mehr oder weniger frei von den andern in der Lösung zu er- halten; zur vollständigen Befreiung jeder Lösung von dem Fer- mente, welches man entfernen will, muss die Lösung noch ei- ner weiteren Bearbeitung unterzogen werden. Die Reinigung des Filtrates (I) von den Spuren des Fermentes B. Zu erwähnen ist, dass die ersten Portionen des Filtrates- mit Blut tingirt sind, eine reichliche Menge Eiweiss und den Körper, welcher die Reactionen (Trommer’s und Moore’s) auf Zucker giebt, enthalten; in späteren Portionen ist der Ei- weissgehalt geringer, der die Zuckerreactionen gebende Körper und die Blutfärbung verschwinden vollständig. Die Entfernung der Spuren des Fermentes B aus den ersten Portionen des Fil- trates beruht auf einer grösseren Neigung des Fermentes B zur mechanischen Niederreissung; man lässt nämlieh die ersten Portionen des Filtrates eine längere Zeit (4—8 St.) bei 37 bis 40 °C. stehen; in Folge dessen verschwindet der die Zucker- reaction gebende Stoff, und der HEiweissniederschlag, welcher sich dabei bildet, reisst die Spuren des Fermentes B mit sich. In späteren Portionen des Filtrates kann diese Methode nicht ohne Weiteres gelingen, da der erwähnte Eiweissniederschlag sich wegen der Abwesenheit des die Zuckerreactionen gebenden Körpers nicht bilden kann; diesem letzteren Mangel lässt sich leicht abhelfen, wenn man eine entsprechende Menge Säure bis zur Neutralisation der alkalischen Reaction hinzufügt. In den Fällen endlich, wo ungeachtet dieser Niederschläge dennoch einige Spuren des Fermentes B bleiben, erwärmt man, um dasselbe zu entfernen, die Flüssigkeit rasch, bis in derselben die ersten Spuren der Fiweisscoagulation erscheinen (unter 60° 0.); auf diese Weise wird die Flüssigkeit von dem Fer- mente B vollständig befreit. Diese letztere Methode ist natür- lich nicht unfehlbar, und dennoch giebt sie die Möglichkeit, eine Flüssigkeit, welche ausschliesslich auf die Stärke wirkt, selbst aus solchen Filtraten, die eine nicht unbeträchtliche Einige Versuche mit Fermenten, welche Stärke u. s. w. 383 Menge des Fermentes B enthalten, zu erhalten; ausserdem ist diese Methode sehr einfach und kann sehr rasch ausgeführt werden. Zur Entfernung des Fermentes B können auch an- dere Methoden, welche man zur mechanischen Ausscheidung der Fermente gebraucht (Umrühren mit Cholestearinlösung, Collodium u.d. m.) angewandt werden. Endlich kann man diese Spuren durch wiederholte Filtration durch einen sorgfältig aus- gewaschenen Darm entfernen; zu diesem Zwecke verfährt man folgendermassen: nach der Abtragung der äusseren Muskel- schichten stülpt man den Darm um!'), entfernt mechanisch den Schleim und wäscht den Darm so sorgfältig wie möglich in Wasser. Nun stülpt man den Darm von Neuem um und lässt das Wasser (von dem Gefässe A) unter einem bedeutenden Drucke (der Hahn des Ausflussrohres 5 ist nur ein wenig ge- öffnet, Fig. 10) durchfliessen, damit bei solchem Auswaschen auch die Filtration durch die Wände zu Stande komme; wenn das Filtrat keine Spuren des Fermentes B mehr enthält, füllt man den Darm statt mit Wasser mit der Flüssigkeit, welche man von den Spuren des Fermentes B befreien will. Das er- haltene Filtrat stellt gewöhnlich eine von diesen Spuren freie Flüssigkeit dar. Schwieriger ist es, die Spuren des Fermentes A aus der anderen Flüssigkeit (II), welche das Ferment B enthält, zu ent- fernen; erstens deshalb, weil die Methode der mechanischen Ausscheidung hier nicht rationell anwendbar ist, zweitens weil das zu entfernende Ferment gewöhnlich in grösserer Menge als im vorigen Falle vorhanden ist. Die Reinigung wird aus- schliesslich durch wiederholte Filtration erreicht; dabei muss man natürlich nicht das Filtrat, sondern die Flüssigkeit, welche im Innern des Darmes bleibt, sammeln. Diese Flüssigkeit wird in Bezug auf das Ferment B mit der Dauer der Filtration im- mer mehr und mehr concentrirt; in Bezug auf das Ferment A bleibt sie fast unverändert (dem Procente, nicht dem absoluten Gehalte nach), da die Lösung des Fermentes A in fast dersel- ben Coneentration, welche sie im Inneren des Darmes hat, dif- fundirt. Daher verfährt man wie folgt (Fig. 10): während der Filtration fliesst die zu reinigende Flüssigkeit durch das Rohr c (von dem Gefässe A) mit einem sehr dünnen Strahle ab, damit der Darminhalt, der während der Filtration in Bezug auf das Ferment B sich concentrirt, bei der Filtration durch neue Portionen (aus dem Gefässe A) ersetzt werden kann; die ausfliessende Flüssigkeit giesst man wieder in das Gefäss A ein, verdünnt sie aber vorher mit Wasser; der Grund, aus dem man sie zu verdünnen hat, ergiebt sich, wenn man sich daran 1) Dieses erlaubt uns, zu vermuthen, dass die Fähigkeit des Nie- rengewebes, Rohrzucker und Amylum in Traubenzucker zu verwan- deln, von verschiedenen Fermenten abhängig ist. 384 Dr. Vietor Paschutin: Einige Versuche mit Fermenten u.s. w. erinnert, dass das Wasser, indem es durch die Wand filtrirt wird, das Ferment A mit sich fortführt. Auf diese Weise rei- nigt das Wasser mit Hülfe der Darmwand die von den Spuren des Fermentes A zu befreiende Flüssigkeit. Um dasselbe Re- sultat zu erhalten, kann man anstatt der Flüssigkeit II ein Wasserinfusum von Darmschleim gebrauchen. Dieses Infusum wandelt gewöhnlich den Rohrzucker sehr energisch um und ist zu gleicher Zeit nicht sehr reich am Fermente A; es wird auf folgende Weise bereitet: nachdem man den Darm ein wenig vom unteren Ende her ausgewaschen und das obere Drittel des Darmkanals (welcher Pankreassaft in-grösster Menge enthalten kann) entfernt hat, stülpt man den Darm um, und indem man denselben zwischen den Fingern zieht, entfernt man den Schleim von seiner innern Fläche, ohne die Schleimhaut zu berühren. Nach dem oben Gesagten unterliegt es keinem Zweifel, dass die Fähigkeit der Mucosa des Darmes, auf den Rohrzucker zu wirken, von einem besonderen Fermente herstammt, welches ganz unabhängig von dem Fermente ist, welchem diese Schleim- haut ihre diastatischen Eigenschaften verdankt). Wie bekannt, enthalten die Hefe-Infusa ein Ferment, wel- ches den Rohrzucker in Traubenzucker verwandelt. Dieses Ferment erinnnert in seinem Verhalten zur Wärme am meisten an die Diastase des Malzes: die Temperaturen, welche niedri- ger sind als 52 ° C., haben auf dieses Ferment keinen Einfluss; bei einer sehr kurzdauernden Erwärmung wird die Wirkung seiner concentrirten Lösungen nur bei Temperaturen, welche dem Siedepunkte nahe stehen, zerstört. Der ‘Einfluss der Temperaturhöhe , ihrer Wrrkungsdauer und der Concentration der Lösung während der Erwärmung auf die Abschwächung seiner fermentativen Eigenschaften ist derselbe, wie bei ande- ren Fermenten. Die Malzdiastase bildet zum Fermente der Hefe (welches Rohrzucker verwandelt) ein eben solches Ana- logon, wie das Ferment A (thierische Diastase) zum Fer- mente B. Grössere Widerstandsfähigkeit gegen die Wärme charakterisirt die pflanzlichen Fermente im Gegensatze zu den thierischen; das Verhalten beider Gruppen der Fermente zur zerstörenden Wirkung der Wärme ist aber im Allgemeinen ein identisches. Diese Arbeit ist im Laboratorium des Herrn Professors Setschenoff ausgeführt worden. 2) Zu diesem Zwecke. erfasst man den Rand des Darmes mit einer Torsions-Pincette, und schiebt den Darm auf der Pincette her- unter. hr \ Zr ee an EN Wr er Dr. Robinski: Untersuchungen über die Augenlinse. 385 Untersuchungen über die Augenlinse, Insbesondere zur Kritik der bisherigen Untersuchungsmethoden derselben. Von Dr. Ropiınskı, „Die Grundsäule unserer Kenntnisse in der Heilkunst ist eine genaue und durch Beurtheilung fruchtbar gemachte Zergliederung.“ (Jan in, „Ab- handlungenfüber das Auge“, deutsch von Selle, 1788.) Wenn auch Descemet schon sagte: „Il n’y a aucune partie du corps humain, sur laquelle les anatomistes aient au- tant travaille que sur l’oeil,* so sind noch lange nicht, auch heute noch nicht, die Acten der Untersuchungen geschlossen trotzdem nun wiederum ein Jahrhundert seit diesem Ausspruche des berühmten Forschers verflossen. Noch viel mehr gilt dies von der Linse, mit der wir uns hier beschäftigen wollen '). Wenn auch nicht gerade viele gründliche Untersuchungen der Linse in der letzten Zeit veröffentlicht worden sind, so darf man doch der drastischen und für die Histologen wenig schmei- chelhaften Aeusserung Ritter’s nicht beistimmen: „Die ge- 1) Ich hoffe in nächster Zeit eine Reihe von Untersuchungen über die Linse veröffentlichen zu können, von denen die vorliegende Ar- beit den Anfang, die Einleitung gewissermassen bilden kann. Auch aus diesen Untersuchungen erhellt schon eine ganze Anzahl für den Bau der Linse wichtiger Folgerungen und Schlüsse, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 35 386 Dr. Robinski: ringe Beachtung, welche die Linse von Seiten der Histologen gefunden hat, könnte den Anschein erregen, als ob der Bau derselben sehr einfach und so leicht verständlich wäre, dass selbst der Histologen streitsüchtige Schaar die Möglichkeit ei- nes Zweifels in ihm nicht habe finden können.“ Genug, die Linse ist noch nicht so untersucht und ge- kannt, wie es wünschenswerth wäre, und doch ist gerade die Linse einer der wichtigsten lichtbrechenden Apparate des Auges; seine genaue Kenntniss ist von der grössten Wichtigkeit sowohl für die Physiologie des Sehens, wie für die pathologischen Zu- stände. Jedoch kein Wunder. Es standen dem grosse, fast unüberwindliche Hindernisse entgegen. Eines der wichtigsten für die Untersuchung war die Schwierigkeit, ja geradezu Un- möglichkeit der mikroskopischen Untersuchung frischer, un- veränderter, normaler Präparate. Die Linse ist im fri- schen Zustande — oder war wenigstens bis vor Kurzem — eines der am schwierigsten zugänglichen Objecte für das Mi- kroskop. Die physikalischen, optischen Verhältnisse, das Licht- brechungsvermögen u. s. w. waren derart, dass man seine feinere Structur, ja wie wir sehen werden, nicht einmal seine gröberen, makroskopischen Verhältnisse erkennen und recht beurtheilen konnte. Ueber die Schwierigkeit der Untersuchung der frischen Linse!) sind alle Forscher, ‘ die sich mit diesem Gegenstande beschäftigt haben, einig. So sagt z. B. Ritter: „Non seulement toutes les parties qui le (cristallin) constituent, se montrent douees d’une transparence parfaite, mais en outre, elles sont reunies d’une maniere si intime, qu’avec les plus forts grossis- sements, on ne reussirait pas a les distinguer les uns des autres, si lon n’avait recours ä des moyens artificiels; encore n’y par- 1) Die Linse besteht, wie bekannt, nach den bisherigen Begriffen aus der Linsenkapsel und dem Inhalt, der wiederum in zwei Theile zerfällt Diesen Inhalt der Linsenkapsel, als die eigentliche Linsen- substanz, habe ich bei meinen Untersuchungen allein im Auge gehabt und im Folgenden der Kürze halber immer unter der Bezeichnung „Linse“ verstanden. Mr, Fe we u ; R Untersuchungen über die Augenlinse, 387 vient-on qu’avec de grandes diffieultes.* Er sagt weiter: „ainsi les eristallins frais sont-ils impropres a ces recherches, pour lesquelles il faut se servir de lentilles prealablement durcies.* Ein anderer Forscher, Zernoff, sagt ausdrücklich: „Es ist un- möglich, eine histologische Untersuchung der Linse anzustellen, so lange diese frisch ist, denn sie ist vollkommen durchsichtig und hat die Consistenz einer nicht ganz erkalteten Gallerte. Eben deswegen ist bei der Untersuchung der Linse die Präpa- rationsmethode von so grosser Wichtigkeit, wie kaum in einem anderen Falle.“ Genug, die Urtheile der Forscher lauten sehr übereinstim- mend über die Schwierigkeiten, die der Untersuchung entge- genstanden. Nahm der Mikroskopiker eine frische Linse zur Hand, so zeigte sich ihm eine dickklebrige Masse, die, unter das Mikroskop in geeigneten Partien gebracht, wenig oder auch gar nichts von ihren Bestandtheilen erkennen liess. Der Un- tersuchende sah, wie schwierig diese so zarten Gebilde zu be- handeln wären, wie man erst mehr oder minder starker, coagu- lirender Mittel und längerer Zeit bedurfte, um sie in einen zur Untersuchung brauchbaren Zustand zu versetzen, — er sah zu- gleich, wie grosse Veränderungen in diesen an und für sich so zarten Gebilden hierbei zu Stande kommen mussten, und schreckte vor diesen Schwierigkeiten der Untersuchung zurück. Wäre es daher nicht in jeder Hinsicht von der grössten Wichtigkeit, diese Schwierigkeiten zu bekämpfen, zu besei- tigen? Von welchem Einfluss die zur Untersuchung angewandten Methoden überall auf die Ergebnisse der Forschungen gewesen, davon wird einstens die Geschichte der bei den makro- und mikroskopischen Untersuchungen angewandten Methoden über- haupt und auch bei denen der Augenlinse berichten. Wie viel bei der Linse von der zur Untersuchung angewandten Methode abhängt, haben auch schon viele früheren Forscher erkannt, sie haben sich auch bemüht, bessere Methoden ausfindig zu ma- chen, mit welchem Erfolg, werden wir sehen. Wie wir oben gesehen, erkannte auch Zernoff, dass we- gen der Schwierigkeit der histologischen Untersuchung der 25” - a en TER 388 Dr. Robinski: „frischen“ Linse, bei der Untersuchung die „Präparationsme- thode* von so grosser Wichtigkeit sei, „wie kaum in einem anderen Falle“. Weiter sagt Z. mit vollständigstem Recht, dass, nachdem er mehrere Methoden geprüft, er zur Ueber- zeugung gekommen, „dass viele in die Anatomie der Linse auf- genommene Irrthümer von der Präparationsart herrühren, deren man sich bediente, um der Linse die zur Untersuchung noth- wendige Consistenz und die sonstigen optischen Eigenschaften beizubringen.“ Wir ersehen also einerseits die Schwierigkeit der Unter- suchung, andererseits die grosse Wichtigkeit der zur Unter- suchung der Linse angewandten Methoden, und wir werden noch mehr im Folgenden Gelegenheit haben, uns davon zu überzeugen. Als ich mich vor mehreren Jahren an die Unter- suchung der Augenlinse begeben, erkannte ich es ebenfalls, habe deshalb die verschiedenen bisherigen Methoden geprüft, Wie zeitraubend und mühevoll solche vergleichende Unter- suchungen sind, weiss Jedermann, der Gelegenheit hatte, der- gleichen anzustellen. Hier gebe ich nur in Kurzem die Resul- tate dieser Untersuchungen wieder, und fühle mich umsomehr dazu verpflichtet, als trotz der grossen Wichtigkeit des Ge- genstandes noch das tiefste Dunkel und Unklarheit hier- über herrscht. Trotz der Wichtigkeit des Gegenstandes finden wir in den Arbeiten, mit geringen Ausnahmen, nur wenig Rücksicht, we- nig Angaben über die Präparationsmethoden. Meist finden wir nur gelegentliche Angaben, die wir zusammensuchen müssen, um uns ein Bild zu machen, auf welche Weise dieser oder jener Forscher zu seinen Resultaten gekommen. Bei den frü- heren Untersuchungen spielen meist Maceration, Mittel zur Coagulation der Eiweisssubstanzen der Linsenröhren u. s. w. die wichtigste Rolle, so von den ersten Versuchen Leeuwenhoek’s angefangen, bis in die neuesten Zeiten, wie wir sehen werden, bis auf Moriggia 1869. Es fragt sich also, ob es auf Mace- ration, auf Gerinnung, Coagulationen und alle diese verschie- denen Veränderungen ankommt, oder darauf, Mittel ausfindig zu machen, die Linse resp. ihre Bestandtheile und ihre Verhält- > Ga Dee a IE EDEN, ı 26) RR, mr an T m Untersuchungen über die Augenlinse. 389 nisse möglichst frisch und normal der Untersuchung zugänglich zu machen, wie etwa durch Färbung, Tingirung der Contouren, durch Aenderung der physikalisch - optischen Zu- stände, ohne dass ein anderer physikalischer Ein- griff stattfände. Ob ein solches Ideal der Untersuchung der Augenlinse möglich ist, werden wir sehen; ist es aber mög- lich, so wird man wohl einsehen, welcher Untersuchungsweise der Vorzug eingeräumt werden muss. Ob daher Kölliker, indem er sagt, dass Reagentien, „die Eiweiss gerinnen machen“, namentlich Salpetersäure, Alkohol, Kreosot und Chromsäure, zur Untersuchung der Linse „vortrefflich sich eignen“, dieses Epitheton ornans „vortrefflich* mit Recht angewendet hat, ist jetzt schon leicht zu entscheiden. Wir können hier nicht alle Meinungen, die über die Un- tersuchungs - Methoden laut geworden, einzeln wiedergeben, durchgehen und sie kritisiren, wir müssen ‘uns in möglichster Kürze fassen und können nur ein Gesammtbild geben, indem wir die wichtigeren Data hervorheben. Wir müssen hier sa- gen, dass man in den früheren Zeiten die Wichtigkeit der an- gewandten Untersuchungsmethoden beinahe mehr erkannt hatte als in späterer Zeit, und dass man deshalb dieselben ausführ- licher berücksichtigt hat, als es meist in den neueren Schriften geschehen. Namentlich haben von den früheren Forschern Morgagni'), Petit?) und Andere ausführlicher über die von ihnen angewandten Präparationsweisen berichtet. Wir finden ein gutes Bild des Zustandes der damaligen Untersuchungs- methoden bei einem der früheren Mikroskopiker, bei Camper’), und lassen es hier mit seinen eigenen Worten folgen: „Lens erystallina non modo varie mensurata et ponderata, sed et aliis experimentis subjecta fuit, ut intima structura magis magisque 1) Epistolae anatomicae XVII, Tom. 2, $ 30 ete. 2) Memoires de l’Academie royale des Sciences de Paris de l’an 1730, sur le eristallin de l’oeil de ’homme, etc. 3) Dissertatio de quibusdam oculi partibus, 1746. — Auch abge- druckt in Haller’s Disputationum anatomicarum selectarum volumen IV, pag. 277. 390 Dr. Robinski: cognita foret. Ideirco exsiccatae, coctae, congelatae, spiritibus acidis omnis generis maceratae fuerunt plurimae... Exsicca- tione vero non magnos fecerunt progressus, neque congelatione aut coctione: maceratione e contra pulcherrimas lentis detexe- runt proprietates. Scilicet lentem, quae pro homogeneo corpore habebatur, ex fibris, segmentis et lamellis constare, quae densi- tate, decursu et magnitudine differunt, prout a centro rece- dunt.* Wir sehen hier in kurzen, bündigen Worten alle die Me- thoden angegeben, die damals bei den Untersuchungen der Linse in Anwendung gekommen. Wir werden sehen, und es ist interessant zu verfolgen, ob und inwiefern sie sich mit der Zeit gebessert haben. Aus dem Mitgetheilten ersehen wir lei- der schon, wenn wir dies von Üamper entworfene Bild mit dem, welches wir oben bei Kölliker gesehen haben, verglei- chen, dass, so grosse Fortschritte man auch sonst in den Un- tersuchungen und Untersuchungsmethoden im Allgemeinen ge- macht hat, man doch hinsichtlich der Linse weit zurückgeblie- ben ist. Schon Camper stellte vergleichende Versuche zwischen den verschiedenen eben angegebenen Methoden an, denn er sah leider schon damals, dass Maceriren, Kochen, Sieden u. s.w. zur Untersuchung der Linse nicht ausreichte, nicht in Allem ganz richtige, naturgetreue Resultate liefern konnte. Er lässt sich wörtlich folgendermassen !) darüber aus: „Repetii plus se- mel experimenta praedicta, sed methodum aliam secutus tan- tummodo simplici aqua communi maceravi; observavique non modo eadem apparere, sed distincta magis et naturalia,“ aber ausserdem hatte er noch eine andere Ursache, nämlich: „spi- ritus enim illi fortes sive sint acida naturalia, sive fermentata, sive fossilia, ut suceus eitri, acetum, oleum vitreoli, sp. Nitri etc. semper suspicionem aliguam rei mutatae movent.* Wir sehen also, dass schon Camper bemüht gewesen, eine gute Untersuchungsmethode der Linse ausfindig zu ma- 1) 1. ce. pag. 278. u. U BIETER, nr Untersuchungen über die Augenlinse,. 391 chen. Camper meinte. wie wir gesehen, seine Art und Weise der „Maceration“ in einfachem, unangesäuertem Wasser sei bes- ser als andere, aber eine Maceration der Linse, wenn auch nur in Wasser, ist nicht im Stande, wie mir meine Untersu- chungen zeigen, den den Anderen von ihm gemachten Vorwurf (suspieionem aliquam rei mutatae) zu beseitigen. Er selbst sagt: „Bovinis lentibus, ovinis et aliorum animalium pro scopo usus sum“, und wie natürlich, „post macerationem duodecim horarum“ mussten sich die gewöhnlichen Veränderungen zei- gen: „jam fissuram triplicem ex centro superficiei superioris ad peripheriam superiorem observavi.“ Um diese Veränderungen anschaulicher zu machen, giebt er eine Figur: „Distinetior erit idea horum omnium, si adnexa figura septima inspicitur, quae repraesentat Lentem Crystallinam bovinam per 96 horas mace- ratam.“ Es wird dort also das Bild einer 96 Stunden mace- rirten Ochsenlinse, wie mich meine Untersuchungen überzeug- ten, naturgetreu wiedergegeben. Wenn ich es vergleichen sollte, so würde ich sagen, die frische Linse sieht aus wie eine frische, fest geschlossene Rosenknospe, hingegen die mehr oder minder lange macerirte Linse, sei es nun in saurem oder ge- wöhnlichem Wasser u. s. w., sieht aus wie eine aufgeblühte, zerplatzte Rose; eine Knospe, die immer mehr platzt und sich spaltet, je länger sie in der macerirenden Flüssigkeit gelegen. Sehen wir uns die von Camper gegebene Figur an, so haben wir ganz das Bild einer stark aufgeblühten Rose, deren Blätter stark auseinandergefaltet sind. Die Linse ist gespalten u.s. w.; ist dieses ein natürlicher Vorgang? war die Linse so in ihrem ursprünglichen Verhalten, waren das die natürlichen Verhält- nisse, die uns erst durch die Maceration in Wasser oder Säuren verdeutlicht zur Anschauung gebracht worden? — Ich glaube, es kann Niemand wegen der Antwort schon jetzt auch nur ei- nen Augenblick im Zweifel sein. Wenn irgend ein Forscher irgend ein beliebiges Organ in angesäuertes oder nicht ange- säuertes Wasser legen, es dort Tage, Wochen, ja Monate lang liegen lassen würde, und sodann seine Structur verfolgen und alle Veränderungen, die er dann findet, als normal be- trachten wollte, was würden wir dazu wohl sagen?! Es sind 392 Dr. Robinski: dieses so urwüchsige, so rohe Methoden, dass man sich wun- dern muss, dass bei einem Gebilde wie die Linse sie sich so lange Zeit halten konnten. Auch bei Lobe') finden wir schon dasselbe Urtheil: „ejus- modi praeparatione (postquam in alkohole fortissimo, vel aqua ebulliente lentes induratae sunt) insignis partibus indueitur mutatio, ex his ad statum naturalem ratiocinari non licet!!“ Hätten doch an das alles auch neuere Forscher manch- mal gedacht und nicht siegestrunken alle Veränderungen für neue Entdeckungen ausgegeben! Es würde uns zu weit führen, alle laut gewordenen Mei- nungen hier zu verzeichnen, wir können sagen, im Allgemeinen stimmen Alle darin überein, Alle sehen, dass die macerirende Linse Risse bekommt, sowohl an ihrer vorderen, als an der hin- teren’ Fläche; diese Risse klaffen immer mehr auseinander zu grossen Spalten, die mehr oder minder grosse dreihörnige Fi- guren bilden u.s. w. Also, wie schon gesagt, die Linsen spal- ten sich und platzen immer mehr, je länger sie in der mace- rirenden Flüssigkeit gelegen, und gleichen vollkommen, je nach dem Stadium, einer mehr oder minder aufgeplatzten, aufge- blühten Rose. Diese Risse, Spalten, Dreiecke, mehr oder min- der grosse, drei- u. s. w.-hörnige Figuren sind, wie mir meine Untersuchungen zeigen und wie alle einstimmig berichten, mit einer krümlichen Masse ausgefüllt. Die Forscher streiten sich eifrig darum, was denn das für Gebilde seien, diese in den Spalten an der vorderen und hinteren Fläche auftretenden krümlichen Massen, und so sehen wir die wunderlichsten Ver- muthungen und Behauptungen aufgestellt, je nachdem die vor- gefasste Meinung und Phantasie Jemanden leitete. So meinte Younk?) z. B. und Andere, dass es Sehnengebilde seien, ähn- lich den Sehnen der Muskeln, an die sich die Linsenfasern an- setzen (!) u. s. w., so wie die Muskelfasern an die Sehnen. Zu 1) Dissertatio de oculo humano, 1742. — Auch bei Haller abge- druckt, Disputationum anatomicarum Volumen VII, pars II, pag. 105. 2) Philos. transact. 1793. p. 172. ee Untersuchungen über die Augenlinse. 393 einem endgiltigen Resultate zu kommen, war bei diesen so ro- hen Behandlungsweisen gar nicht einmal möglich. — Die meisten Forscher fühlten denn auch die Unzuläng- lichkeit der bisherigen Methoden, wir sehen immer wie sie ihre ganze Kunst daran setzen bessere Mittel und Unter- suchungsmethoden ausfindig zu machen. Das Ganze bleibt jedoch lediglich beim guten Willen und schwachen Versuchen, einen wirklichen Fortschritt finden wir nicht, denn dass die einen ihre „Macerationen“ in diesen, die andern in jenen Säu- ren vorgenommen, die übrigens oft schon längst zur „Macera- tion“ versucht worden waren, können wir unmöglich als einen wahren Fortschritt betrachten. So wird z.B. von Reil und Sattig!) gerühmt und hervorgehoben, dass sie die Salpeter- säure zu den Untersuchungen der Linse in Anwendung ge- bracht; die Prineipe der Untersuchungsweise blieben aber die- selben. — Ist hierdurch irgend Etwas gewonnen; ist übrigens, wie wir gesehen, diese Methode ganz neu?! — Bei allen, so wie bei dieser Art der Untersuchung blieb die Hauptsache die „Maceration“, mochte sie nun durch Wasser, Säuren oder sonst wie zu Stande gebracht werden. Daher werden wir auch späterhin sehen, dass die Concentration der Säuremischungen mit weitgehenden Schwankungen [Moriggia] Jedermann über- lassen bleibt. — Es müssen so bei anderen, wie bei dieser zuletzt gerühm- ten Untersuchungsweise mit Salpetersäure bei einem so zarten, leicht veränderlichen Organe wie die Linse, postmortale Verän- derungen auftreten; das fühlten auch die tüchtigsten Forscher, kein Wunder daher wenn eine Reaction gegen diese Art und Weise der Untersuchung sich erhob. Männer wie Soemme- ring, Berzelius und andere haben sich sogar dafür aus- gesprochen, dass die Linsenfasern überhaupt durch künstliche Behandlung, Coagulation, entstünden. Dieser Streit, der dar- über entstand, bietet kein weiteres Interesse, namentlich heute für uns dar, wo wir Mittel und Wege gefunden haben, mög- 1) Sattig, lentis cristallinae structura fibrosa, Hall. 1794. 394 Dr. Robinski: lichst frische, unveränderte, normale Gebilde zu untersuchen, als dass wir sehen, dass man zu allen Zeiten das Ungenügende dieser an und für sich rohen Untersuchungsweisen der Linse fühlte; aber man fand leider noch keine Mittel Etwas besseres an die Stelle zu setzen und so blieb es bis in die allerneuesten Zeiten. — Die neueren Forscher oder wenigstens die meisten erwäh- nen oft kaum auf welche Weise, vermittelst welcher Methode sie zu ihren Resultaten gelangt, was doch zu deren Beurthei- lung von der grössten Wichtigkeit. So berücksichtigt es wenig oder gar nicht Werneck in seinen Arbeiten, namentlich in der ersteren.!) Nur ganz beiläufig erfahren wir, welcher Me- thoden er sich bedient. So viel man aus den einzelnen An- deutungen ersieht, scheinen auch hier der „stärkste Weingeist“, auch „Monate langes Stehenlassen“, die Hauptuntersuchungs- mittel gewesen zu sein. Er sagt z.B., dass die Fasern der Linse, ihr blättriger Bau nicht erst durch „heisses Wasser“, durch „Mineralsäuren“ oder „Mineralsalzauflösungen * hervor- gebracht werden. Er hat Recht hierin und wir besitzen heute andere, bessere Mittel, die uns die Präexistenz der Fasern un- trüglich beweisen, so wenig aber als wir heute mit Werneck an ihrer Praeexistenz zweifeln, ebensowenig können wir den Beweis Werneck’s gelten lassen, dass ein so zartes Gebilde wie die Linse durch solche Mittel „ebensowenig verändert“ werde, als man mit diesen verschiedenartigen Mitteln die Struc- tur des Gehirns u s. w. ändere. Welcher Beweis resp. Ver- gleich, welche Logik?! Durch monatelanges Liegen, Maceriren in den verschiedenartigsten Flüssigkeiten muss ein solches Or- gan wie die Linse, wesentliche Veränderungen erleiden, es müssen solche eintreten und treten auch ein, wie wir uns so- gar aus Beschreibungen, aus den eigenen Angaben der Auto- ren, theils schon überzeugt haben, theils noch überzeugen werden. Werneck selbst sagt, dass man sich von gewissen 1) „Mieroscopisch-anatomische Betrachtungen über die Wasser- haut und das Linsensystem des Auges“ in Ammon'’s Zeitschrift für Ophthalmologie (IV. Bd., I. Heft. 1834. Untersuchungen über die Augenlinse, 39 entstehenden Zwischenräumen augenscheinlich überzeugen könne, wenn man die Linse in destillirtem Essig, der mit Carmin ge- färbt wurde, „durch mehrere Tage leget“. Welche Verände- rungen, Kunstproducte, Spalten, Lücken und Zwischenräume in einer Linse zu Stande kommen und zu Stande kommen müssen, „durch mehrere Tage“ in destillirtem Essig oder auch in rei- nem Wasser, weiss Jedermann, der Linsen durch mehrere Tage beobachtet und es ist selbstverständlich. Ja Werneck sieht es selbst (!) ein. Bei Fasanen, Rebhühnern und jungen Hasen sah er mehrere Male die neblige Trübung und er sagt davon: „Dr. Fr. Arnold hat vollkommen Recht (!), wenn er in Be- zug auf diese Trübung meine frühere Angabe: die Linse sei in dieser Periode trübe und undurchsichtig und sehe röthlich aus dadurch entkräftet, indem er entgegnet, dass man diese Be- schaffenheit nur bei Embryonen, die schon einige Tage alt sind (!), oder auch in Weingeist lagen (!) findet; „und ich füge noch hinzu“, sagt Werneck ausdrücklich weiter, „dass auch sowohl die abortirten Kuh- und Menschen-Embryonen immer krank und oft zersetzt (!) sind, ehe sie der Forscher zur Unter- suchung erhalten kann“') u. s. w. Noch öfters spricht Werneck von der künstlichen Präparationsweise, so z. B. „wenn man sie (die Linsensegmente) durch Zergliederung künstlich (!) trennt“ oder „nach sehr behutsamer Trennung während der Maceration* u. 8. w. Bei Corda?) finden wir keine Angaben der Methoden, er scheint deren Wichtigkeit für die Untersuchungen gar nicht geahnt zu haben, wir ersehen nur aus den verschiedenen Aeusse- rungen, dass er wohl in derselben Weise wie seine Vorgänger operirt habe. Wir haben schon gesehen wie Werneck den Einwurf Arnold's zugiebt, dass man bei Linsen, die schon „einige 1) Bei dem Zustande der über die Untersuchungsweise der Lin- sen noch herrschenden Vorstellungen kann man auch heute noch daran erinnern. — 2) „Bau der Krystalllinse des Auges, eine histologische Skizze “ in Weitenweber’s „Beiträge zur gesammten Natur- und Heilwis- senschaft“, I. Heft. 1836. Prag. — 396 Dr. Robinski: Tage alt sind“ oder auch „in Weingeist lagen“, manche Er- scheinungen nicht als im normalen Zustande vorhanden be- trachten, sondern als von der Maceration und den eintretenden Zersetzungen herleiten müsse. In der nächsten Arbeit!) geht Werneck noch weiter, er meint, und mit vollkommenstem Recht, dass „vielleicht die Art und Weise der Präparation des zu untersuchenden Objectes, besonders wenn es solche oder ähnliche Gebilde, wie der klebrige Krystall im Auge ist, be- trifft, die Schuld am deutlichen oder undeutlichen Sehen tragen dürfte.“ Gewiss, wenn bei irgend einem Objecte, so ist bei der Linse „die Art und Weise der Präparation“ und die Un- tersuchungsweise die Ursache des unrichtigen, hier namentlich des „zu deutlichen Sehens“: man sieht Veränderungen, die im normalen Auge gar nicht existiren. Deshalb können wir der Verwunderung Werneck’s auch nicht zustimmen, dass leider die Anatomen seiner Zeit über die Structurverhältnisse der Linse noch immer „sehr getheilter Ansicht“ sind. Im Gegen- theil, zu wundern wäre es, wenn es nicht der. Fall gewesen wäre, bei den damaligen Untersuchungsmethoden, bei den da- maligen „Hülfsmitteln der Zergliederungskunst*. Namentlich wenn Werneck weiter sagt?): „Nur halte man immer bei der Zergliederung die Thatsache fest, dass man mit allen Hülfs- mitteln stets Theile trennt, die in der Natur innig vereinigt sind, und wir oft durch die künstliche Zerlegung die Zusam- mensetzung eines Organs anders deuten, als sie in der Natur besteht“, ist es zu verwundern, dass nach diesem Ausspruch Werneck bei seinen Untersuchungen der Linse das, was sich ihm förmlich aufdrängte, nicht sehen, nicht erkennen konnte. Aber es ist, wie Werneck selbst sagt, sehr leicht, dass bei den gewissenhaftesten und mit vieler Ruhe und Geduld und Umsicht geübten Untersuchungen der Art optische Täuschungen sich heimtückisch einschleichen und das getäuschte Auge auch 1) „Beiträge zur Gewebelehre des Krystallkörpers* in Ammon’s „Zeitschrift für Ophthalmologie“ V. Bd., 4. Heft, 1837, pag. 408. 2) 1. c. pag. 409. Bee Untersuchungen über die Augenlinse, 397 den klarsten Verstand täuscht. Ja noch mehr, meint Wern- eck, oder ich würde vielmehr gerade umgekehrt sagen, „wir haben hier eines der eclatantesten Beispiele, wie eine vorge- fasste Meinung, man könnte sagen, Jahrhunderte lang die aus- gezeichnetsten Forscher so befangen hielt, dass sie das, was sie mit eigenen Augen sahen, nur durch die Brille ihrer vorgefass- ten Meinung beurtheilten. Wir sehen hier, wie stark der Ein- fluss unserer anerzogenen und vorgefassten Vorstellungen, hier sehen wir recht deutlich, wie der sinnlichen, objectiven Beob- achtung unbewusst der Geist seine Vorstellungen unterschiebt. "Wie bei Werneck, so sehen wir das bei vielen anderen Forschern, sie haben alle ein und dieselben Vorgänge gesehen und beschrieben, sie suchten, trotzdem sie oft selbst das Wahre aussprechen, doch nach allen anderen Erklärungen, nur nicht nach der, die sich von selbst aufzudrängen scheint — wenn man es einmal erkannt. Es sind alles immer dieselben Ge- schichten, ewig alt und doch ewig neu, und das Ei des Co- lumbus wird nach Jahrhunderten dieselbe, wenn nicht eine grössere Rolle spielen, als heutzutage; man wird sich fragen: warum haben wir das nicht schon längst gesehen und erkannt, esist ja so klar und einfach, es liegt ja so auf der Hand?! Einer der berühmtesten und tüchtigsten Mikroskopiker, Henle!), empfiehlt die Salzsäure zur Untersuchung der Linse: „Auch die Fasern der Linse werden nach Coagulation durch Salzsäure sehr viel deutlicher und lassen sich alsdann leicht auseinanderziehen und isoliren. Phosphorsäure?) erhärtet sie, ohne sie zugleich undurchsichtig zu machen“ u.s.w. Ich habe es hier angeführt, um eine Uebersicht des Fortschrittes der Untersuchungsmethoden der Linse zu geben, und um auch ein Urtheil über spätere Bestrebungen zu haben, namentlich weil hierauf eine der neuesten Arbeiten (Moriggia) Bezug hat, auf die wir später zu sprechen kommen. Unmöglich können wir hier alle Arbeiten und die darin enthaltenen Angaben über die Untersuchungsweisen genauer 1) Allgemeine Anatomie. 1841- pag. 329. 2) Hünefeld, Phys. Chemie, II, 95. Leipzig, 1826—27. 398 Dr. Robinski: durchgehen, es würde uns zu weit führen, und zum anschaulichen Bilde genügt das, was wir hier angeführt haben. Wir über- gehen also alle die folgenden Arbeiten um so mehr, als sich in ihnen meist nur mehr oder minder kurze Andeutungen fin- den, die von keiner Bedeutung und Einfluss für den Fort- schritt, für die Verbesserung der Untersuchungsweisen gewesen sind. Bärens, Monographia lentis erystallinae. 1819. Berres, Anatomie der mikroskopischen Gebilde des mensch- lichen Körpers. Wien, 1836. n Berzelius, Lehrbuch der Chemie, aus dem Schwedischen von Wöhler. 1855. Arnold, Anatomische und physiologische Untersuchungen über das Auge. 1832. — Sowie Tabulae anatomicae. 1838. Bowmann, Lectures on the parts concerned in the operations on the eye. London, 1849. Brewster, Philos. transact. 1833, p. 523 und 1836. Brücke, Anat. Beschreibung des menschlichen Augapfels. Ber- lin, 1847. ’ Bauer vide Home und Bauer. Czermak, Zeitschrift für wissensch. Zoologie, Bd. VIL, p. 185. Donne.,. Institut 1837. Nr. 220. 6. W. v. Gräfe, Reil’s Archiv, Bd. IX. Gros, Comptes rendus, 1852 Avril. (Es findet sich dort nur ein Versprechen, seine Untersuchungen „Anatomie du cris- tallin“ zu geben.) Hannover, Müller’s Archiv, 1845, — sodann: Das Auge, Beiträge zur Anatomie u. s. w. des Auges. 1852, Harting, Recherches micrometriques, sowie Histol. Anteeke- ningen in van der Hoeven en de Vriese Tigdschrift 1846. XI. Home und Bauer, Philos. transact. 1822. p. 79. Kölliker, Zeitschrift für wissensch. Zoologie, Bd. VI, p. 142. Krause, Handbuch der menschlichen Anatomie. 1342. I. 542. Leiblein, Bem. über d. System der Krystalllinse bei Säuge- thieren und Vögeln. 1821. u ee un REP et Untersuchungen über die Augenlinse. 399 Leydig, Beiträge zur Anatomie d. Rochen und Haie. 1552. Meier-Ahrens, Müller’s Archiv, 1838. p. 259. H. Meyer, Müller’s Archiv, 1851. H. Meyer, Beiträge zur Anatomie des Auges, Arch. für Oph- thalm., Bd. II, 1856. Nunneley, Journ. of mierose. science, 1858, p. 136. Pappenheim, Die specielle Gewebelehre des Auges. 1342. Schwarz, Mikroskopische Untersuchungen. 1839. Szokalski, Memoires de la Societe medicale de Gand. W. Sömmering, Beobachtungen über die organischen Verän- derungen im Auge nach Staaroperationen. 1828. Thomas, Sitzungsbericht d. Wien. Akad. Bd. VI. 1851. p.236. — Deutsche Klinik, 1853. N. 50. p. 558. — Prager Vierte]j. 1854. Bd. 1. Treviranus, Beiträge zur Aufklärung der Erscheinungen und Gesetze des organischen Lebens. 1835—387. Valentin (Purkinje), v. Ammon’s Ztschrift, III. 1833. p. 328. Wir wollen hier nur einiger eigenthümlichen Verfahrungs- weisen kurz erwähnen. So hat Prof. Hermann Meyer!) in Zürich die Linse durch Kochen erhärtet, sodann Schnitte da- von durch Essigsäure durchsichtig gemacht, um die Kernzone zu demonstriren. — Um die Linsen zur Untersuchung geeignet zu machen, trocknet Dr. Thomas?) die Linsen von Säugethie- ren roh, lest sie sodann in Mandelöl und erhitzt sie. Auch Fischlinsen, meint Kölliker°), geben schönere Präparate, wenn man sie, „nachdem sie in Wasser gekocht und getrocknet sind, noch mit heissem Oel behandelt.“ Kölliker sagt weiter: „in mikroskopischer Beziehung zeichnen sich dieselben (Linsen- röhren) dadurch aus, dass sie in allen Substanzen, die Eiweiss gerinnen machen, dunkler und deutlicher werden, daher auch solche Reagentien, namentlich Salpetersäure, Alkohol, Kreosot 1) „Beitrag zu der Streitfrage über die Entstehung der Linsen- fasern“ in Müller’s Archiv, 1851. 2) Sitzungsbericht d. Wien. Akad. Bd. VI. 1851. p. 286. 3) Mikroskopische Anatomie, Bd. II, p. 712. 400 Dr. Robinski: und Chromsäure vortreffich (!) zur Untersuchung der Linse sich eignen“ u. Ss. w. Wir finden in der neuesten Zeit eine ausführlichere Arbeit über die Augenlinse von v. Becker'). Dort wird mehr Ge- wicht gelegt auf die Untersuchungsmethode. Auch v. Becker findet alle die bisherigen Untersuchungsmethoden unzulänglich; er sagt selbst: „da die bei den Linsen-Untersuchungen bis jetzt fast ausschliesslich angewandten Mittel: Chromsäure und zwei- fach chromsaures Kali, beinahe als völlig ausgebeutet angesehen werden konnten, waren neue, schärfere Resultate nur von noch nicht versuchten Präparationsmethoden zu erwarten.“ Er schlägt nun eine andere Methode, eine Säure, und zwar die verdünnte Schwefelsäure vor, 4—5 Tropfen auf eine Unze Wasser. In- wiefern diese Säure eine neue Säure sei, eine „noch nicht ver- suchte Präparationsmethode*, ja sogar das „bei weitem zweck- mässigste Reagens“, ergiebt sich aus alle dem Gesagten von selbst. Wir sehen, v. Becker fühlte es wohl, was für Verän- derungen nach dem Tode in der Linse eintreten müssen; also, damit so wenig wie möglich die Linse davon abweicht, wie es im Leben gewesen, nimmt v. B. Augen von „frisch geschlach- teten“ Thieren. Er sagt selbst?) ausdrücklich: „ältere, nament- lich solche Linsen, die einmal gefroren gewesen sind, sind hierzu - ganz untauglich* u. s. w. Aber was thut v. Becker, trotzdem er von „frisch geschlachteten* Thieren die Linsen entnimmt? Er lässt in der mit Schwefelsäure angesäuerten Flüssigkeit die Linsen tagelang, 5—6 Tage, ja noch längere Zeit maceriren, bis sie durch und durch (!) erhärtet sind. Was für Zer- setzungsvorgänge müssen in den Linsen bei solch einer Maceration in dieser Zeit stattfinden?! Ob dies verhindert wird, wenn v. Becker zu der gewöhnlichen, von ihm an- 'gewandten Macerationsflüssigkeit noch eine Drachme Brenn- spiritus hinzufügt? ! — 1) „Untersuchungen über den Bau der Linse bei dem Menschen und den Wirbelthieren“, Archiv für Ophthalmologie, Bd. XI. 1863. pag. 2. 2) l. c. pag. 30. Anmerkung. NER Untersuchungen über die Augenlinse. 401 Herr v. B. sieht die Unzulänglichkeit der bisherigen Me- thoden selbst, er sagt, dass die bisherigen Mittel erschöpft wä- ren und neue Resultate nur von neuen Präparationsweisen er- wartet werden könnten, es müssen also neue, bessere, „noch nicht versuchte“ Mittel erfunden werden. Er giebt auch eine Schwefelsäuremischung an, ohne aber zu beweisen, ob und in- wiefern diese Mischung besser ist als die früher angewandten, und ohne dieses bewiesen zu haben, giebt er uns die Resultate seiner in dieser Weise angestellten Untersuchungen und Ent- deckungen. Uebrigens, „oleum vitreoli* war schon zu Oam- per’s Zeiten ein beliebtes und ganz gewöhnliches Macerations- mittel. Wir sehen also, inwiefern diese v. Becker’s Unter- suchungsweise neu und brauchbarer ist als die anderen. Ausser der Arbeit von v. Becker haben wir noch die Untersuchungen von Ritter, Zernoff und Moriggia, es sind mit die neuesten Arbeiten, die über dieses Thema er- schienen, und deshalb wollen wir auch diesen noch grössere Aufmerksamkeit schenken. Ritter!) hat zur Erhärtung sehr verdünnte Schwefelsäure, Salzsäure, Salpetersäure (10 Tropfen auf eine Unze), ferner verdünntes Kreosot oder schwache Lö- sung von chromsaurem Kali benützt. Nach Ritter sollen ver- dünnte Säuren, namentlich eine verdünnte Salzsäure oder Sal- petersäure, oder beide gemischt (das selbst Gold auflösende „Königswasser“?!) am besten zur „Isolation“ der Linsenfasern dienen. Ob es auf die von Ritter gewünschte „Isolation“ der Fasern ankommt u. s. w., erhellt auch schon aus dem Gesagten und werde ich noch bei Besprechung der Arbeit von Moriggia darauf zurückkommen müssen. Eine Arbeit, die mit am ausführlichsten diesen Gegenstand behandelt, ist die von Zernoff?) im v. Gräfe’schen Archiv. Zernoff hat die hohe Wichtigkeit der Untersuchungsweise, der Präparationsmethoden erkannt. Deshalb hatte er auch die ver- schiedenen Methoden geprüft und ist dabei zu der höchst wich- 1) Archiv für Ophthalmologie, Bd. XII, 1. Abthl. 2) Zum mikroskopischen Bau der Linsen beim Menschen und bei Wirbeltbieren“, Archiv für Ophthalmologie, Bd. XIIl. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 36 402 Dr. Robinski: tigen Erkenntniss gekommen, dass „viele in die Anatomie der Linse aufgenommenen Irrthümer“ von der „Präparationsart“ herrühren, deren man sich bedient, um der Linse die zur Uuter- suchung nothwendige Consistenz und die „sonstigen optischen Eigenschaften“ beizubringen. Z. hatte viele der bekannten Präparationsweisen versucht und dieselben als höchst unzweckmässig gefunden. Er versuchte auch die von v. Becker so gerühmte Schwefelsäuremischung. Er ist mit dieser Säuremischung nicht sehr zufrieden. Er fand diese Methode nur zur Untersuchung der Faserform tauglich, da die Fasern hierdurch höchst „leicht und gut isolirt* wer- den. Ist jedoch das „leichte und gute Isoliren* der Fasern der Zweck der Untersuchung, wodurch wie natürlich die Erkennt- niss der Lage und des gegenseitigen Verhältnisses der Fasern zu einander gestört werden muss? Wird hierdurch also auch der Zweck, die „Faserform“ zu studiren, erreicht? Sodann hat Z. andere „Säuren“ versucht, wie namentlich Oxalsäure und Salpetersäure, die in ähnlicher Weise wirken wie die Schwefelsäure; weniger 'gut ist nach Z. die Salpeter- säure, besser die Oxalsäure. Meine Untersuchungen haben mir nicht gezeigt, worin die Oxalsäure besser sein soll als die Sal- petersäure; Z. meint, weil sie die besten Dienste leiste „zur Isolirung der Fasern“. Denselben Vorzug (!) vindiciren andere Forscher anderen Säuren. Sodann versuchte auch Z. diejenigen Reagentien, deren Wirkung auf die Linse sich auf die Extraction des Wassers gründet, z. B. Kochsalz, Zuckersyrup und Weingeist. Diese Methoden der Wasserentziehung geben der Linse eine hinrei- chend feste Consistenz, um Schnitte zu machen, aber sie führen eine schon für das blosse Auge stark bemerkliche Veränderung der Linsenform herbei, wobei natürlich auch um so mehr die Veränderung der Form und des Verhältnisses der Linsenele- mente zu einander unter dem Mikroskop hervortritt. Meinen Untersuchungen zufolge würde ich sagen, es ist eine der un- brauchbarsten, rohesten Methoden, die überhaupt zur Unter- suchung der Linse in Anwendung gekommen. Trotzdem ist zu befürchten, bei den heutigen Begriffen von den Unter- Untersuchungen über die Augenlinse. 403 suchungsmethoden der Linse, es könnte Jemand auf den Ge- danken kommen, gerade diese Methode für „neue“ Entdeckun- gen anwenden zu wollen, mit demselben Recht, wie es ander- wärts geschehen, weil es eine noch nicht versuchte, noch nicht hinreichend ausgebeutete Methode sei. Nach vielen Versuchen blieb Z endlich beim „doppelt- chromsauren Kali“ stehen, welches, wie ihm scheint, „allen (!) möglichen (!) Erfordernissen einer genauen (!) Untersuchung der Linse“ entspricht. Ein wohl etwas zu kühner Ausspruch. Wie mir ‚meine Untersuchungen gezeigt ünd wie Jedermann einsieht, ist diese Methode nicht frei und kann nicht frei sein von den Vorwürfen, die die übrigen Macerationsmethoden tref- fen, denn es kommt dabei zu demselben „Macerationsprocess* wie bei den anderen Methoden; an die Untersuchung, frischer Linsen, frischer, unveränderter, normaler Präparate ist auch hier nicht zu denken. Z. meint selbst, dass die Zeit, während welcher die Linse in der von ihm angewandten Macerations- flüssigkeit liegen bleiben muss, verschieden sei. Die Linse von Säugethieren erfordert nach Z., um gut angewandt werden zu können, „nicht weniger (!) als einen Monat“, aber “besser“ (!) noch „zwei — drei — ja mehr“!! Die Linse von Vögeln, meint Z. weiter, erfordert sogar noch eine längere Zeit, und zwar „nicht unter (!) drei Monaten“ u. s. w. Die neueste Arbeit, die ich vorfinde, ist die von Ali- prando Moriggia'), „über die beste Darstellungsweise“ der Linsenröhren. Er sieht ebenfalls die Wichtigkeit einer guten, brauchbaren Untersuchungsweise ein, das wahre Ziel einer guten Untersuchungsmethode der Augenlinse resp. der Augen- linsenfasern verkennt er gänzlich. Namentlich führte ihn auf ganz falsche Fährten der sonst so richtige und beherzigens- werthe Ausspruch Raspail’s, dass man bei der Anstellung mikroskopischer Untersuchungen das chemische Laboratorium auf den Objecttisch des Mikroskopes verlegen müsse. Dieser 1) „Ueber die beste Darstellungsweise und die Entwickelung der Röhren der Kıystalllinse“ in Moleschott’s „Untersuchungen zur Naturlehre“, Bd. X, 1870. 26* e TUNER I AHE 404 Dr. Robinski: Ausspruch hatte für ihn die grösste Ueberzeugungskraft gewon- nen, wie er sagt, seit er Zeuge davon gewesen, wie es seinem hochverehrten Lehrer Moleschott mit Hülfe besonderer Re- agentien gelingt, „die am innigsten verkitteten Gewebselemente von einander zu sondern“. Unter dem Einflusse des chemi- schen Factors löst sich der Bindestoff zwischen den anatomi- schen Elementen auf, so dass diese als „deutlich gesonderte Bestandtheile“ im Sehfelde ein glänzendes Zeugniss ablegen für die Zauberkraft jener unsichtbaren Künstler, die mit mikro- skopischen Scalpellen präpariren. Diese Richtung ist zur Be- urtheilung der Bestrebungen Moriggia’s von Bedeutung. Durch diese Gesichtspunkte hat sich Moriggia leiten und verleiten lassen, und hat natürlich, von dieser Voraussetzung ausgehend, bei der Untersuchung der Augenlinse die grösste Kunst darin gesucht, die „am innigsten verkitteten Gewebselemente (Linsenfasern) von einander zu sondern“, so dass diese als „deutlich gesonderte Bestandtheile im Sehfelde“ erscheinen. Wenn dies das Ziel der Untersuchungen wäre, dann würde ich mit M. und Anderen einverstanden sein, welche die von ihm so gepriesene Untersuchungsweise schon früher angewendet, oder andere Mittel hierzu angewiesen hatten. Mein inzwischen veröffentlichter Aufsatz!) wird dieses schon gezeigt haben. Ich habe ebenfalls die Salzsäure ange- wandt und empfohlen, zwar mehr zur makroskopischen als mi- kroskopischen Technik. Die zwiebelartig ineinandergeschach- telten Linsenlamellen lassen sich durch Maceration in Salzsäure in so schönen, so äusserst feinen Häuten darstellen, wie auf keine andere Weise. Bei diesen Untersuchungen habe ich eben- falls gesehen, was schon Henle und jetzt auch Moriggia angiebt, dass die Augenlinsenfasern durch Maceration in Salz- säure sich leicht „auseinanderziehen“ und „isoliren“ lassen. Ich stimme damit vollständig überein, aber, wie gesagt, das Ziel der Untersuchungen liegt nicht in der „Isolirung“ der Linsen- fasern, und deshalb konnte es auch für mich bei der Auswahl 1) „Zur makroskopischen Technik der Augenlinse“ in diesem Archiv, 1870 Untersuchungen über die Augenlinse. 405 einer guten Methode zur Untersuchung der Linsenfasern gar nicht massgebend sein. | Manche andere Angaben über die Wirkung der Salzsäure kann ich nach meinen Beobachtungen bestätigen, z. B. dass nach Anwendung dieses Hülfsmittels man die Linsenröhren durchsichtig und von einem eigenthümlichen schillernden Kry- stallglanz findet. Hierdurch wird auch, wie ich in meiner eben angegebenen Arbeit gezeigt, der ganzen Linse, den einzelnen sich ablösenden Blättern, Lamellen, ein eigenthümlicher, schö- ner, schillernder Glanz verliehen, der auch nach dem Trocknen bleibt, ja noch sich erhöht. Nach Moriggia muss die Linse in der 1°/, Salzsäureauf- lösung bis vier und zwanzig Stunden verweilen, damit sich die Röhrchen „leicht von einander trennen“. Durch vergleichende Versuche hat sich Moriggia überzeugt, dass die Verdünnung der Salzsäure in sehr weiten Grenzen schwanken kann, ohne dass der hier gewünschte (?) Vortheil (?) eingebüsst wird. Wie mir meine Untersuchungen gezeigt, besteht diese Schwankung der Concentration der Säure in ziemlich weiten Grenzen mehr oder minder bei allen Säuren, nicht allein bei der Salzsäure Es kommt also, wie M. angiebt, nicht viel auf die Concentra- tion an, ja es kann das Verhältniss der Säure zum Wasser 1:25, ja 1:10 angewandt werden. Aber natürlich, möchte ich daran erinnern, wird durch solch eine Concentration der Lö- sung ein stärkerer Eingriff hervorgerufen, also sind auch manche Folgezustände, Veränderungen, dadurch in stärkerem Masse hervorgebracht, die man gern meiden möchte, wenn man über- haupt daran denkt, normale Präparate untersuchen zu wollen. Als die geeignetste Mischung empfiehlt Moriggia die Ver- ‚hältnisse von 1: 200 und 1: 100. Weiter sagt Moriggia in seinen Angaben über die „beste Darstellungsweise“ der Linsenröhren, dass auch Schwefelsäure und Salpetersäure in denselben Mischungsverhältnissen das gleiche Ergebniss liefern, wie die Salzsäure. Auch schwache Lösungen von schwefelsaurem Atropin und noch besser von schwefelsaurem Kupfer und Zink leisten bessere Dienste, als die bisher gebräuchlichen Hülfsmittel, wenn es gilt, die Linsen- 406 Dr. Robinski: röhren zu „isoliren“., Moriggia scheint es, wie wir sehen, als die grösste Kunst, als das Alpha und Omega der Unter- suchung der Augenlinsenfasern zu betrachten, dieselben zu „isoliren®. Auch die für Muskelfasern gebräuchliche Mischung von chlorsaurem Kali und Salpetersäure soll sich hierzu ver- wenden lassen, was er zuerst an Präparaten seines Freundes Dr. Fubini ersah und an eigenen Präparaten bestätigt fand, woran wohl Niemand zweifeln wird. Jedoch, fügt M. hinzu, fand er sie zur unvermeidlichen „Isolirung“ weniger brauchbar als die Salzsäure. | Hierauf geht M. über zur Besprechung der von mir ange- gebenen Methode'!). Er prüft natürlich von dem Standpunkte aus, auf welchem er noch selbst stand, und verlangt „Isolirung“, während mein Ziel auf die Untersuchung möglichst frischer, unveränderter Gebilde und ihres normalen gegenseitigen Verhaltens zu einander hinauslief. Bei so verschiedenen Zielen, die wir uns gesteckt, ist daher auch die vorhandene scheinbare Verschiedenheit nicht zu verwundern. Ich sage, „scheinbare“, denn näher betrachtet, schwinden diese Verschiedenheiten. Mo- riggia findet die Salzsäure „unübertreffllich“ zur „Isolirung“, was auch ich nicht bestreite, wie mein Aufsatz: „Zur makro- skopischen Technik der Augenlinse“ zeigt, und wie ich hiermit’ ausdrücklich gesagt haben will. Die „Darstellung“ der Linsen- fasern fasst eben M. ganz anders auf, als ich es gethan. An- dererseits lässt auch das meiner Methode von M. ertheilte Lob hoffen, dass nach näherer Verständigung diese scheinbare Dif- ferenz sich ausgleichen wird. Ob die von mir angegebene Me- thode überhaupt schon die „beste* ist, das wird die Zukunft lehren; aber jedenfalls ist sie heute die „beste“ Methode zur Untersuchung der frischen Augenlinse, und jedenfalls ist es die einzige Methode, die seit Leeuwenhoek’s, Morgagni’s, Camper’s Zeiten den Namen einer „neuen“ Methode ver- dient. Wie wir aus dieser Darstellung gesehen, und wie Mo- 1) „Neue Methode zur leichten Darstellung der Augenlinsenfasern*“ in diesem Archiv, 1869. Untersuchungen über die Augenlinse. 407 riggia es selbst sagt, ist das von ihm angewandte Mittel übri- gens nicht neu, es ist namentlich auch schon von Henle!') an- gewandt und empfohlen worden. Henle erwähnt auch aus- drücklich, dass sich die Fasern auf diese Weise „leicht ausein- anderziehen und isoliren lassen.“ Worauf beruht diese Methode, wodurch unterscheidet sie sich von den bisher besprochenen Untersuchungsweisen , wel- chen Vorzug hat dieselbe? Wie schon Henle angiebt, werden die Fasern der Linse „nach Coagulation* durch Salzsäure deut- licher. Sowie bei anderen Säuren und Mitteln, so besteht auch hier bei der Salzsäure also das Princip der Coagulation des eiweisshaltigen Inhaltes der Linsenröhren. Es ist derselbe Ma- cerationsvorgang‘, wie wir ihn bei den anderen Methoden ge- sehen. Was wir also zur Beurtheilung derselben gesagt, könn- ten wir anch hier nur wiederholen, was ich, namentlich bei der Masse des zu besprechenden Materials, vermeiden muss. Wir können also zur besseren Aufklärung der Structurverhältnisse der Augenlinse der Salzsäure kein Vorrecht vor den anderen Säuren einräumen. Moriggia giebt an, dass die, natürlich „isolirten“, Präpa- rate der Linsenröhren sich in Salzsäure längere Zeit aufbewah- ren lassen. Zur Untersuchung der frischen, unveränderten Linse eignet sie sich aber ebensowenig, als ihre Colleginnen, und das hat auch Moriggia nicht beansprucht. Er hat sein ganzes Augenmerk auf die „Isolirung“ der Fasern gerichtet und verstand eben unter der „besten Darstellungsweise* die Isoli- rung! Wie wenig übrigens Moriggia darauf bedacht gewesen, frische, unveränderte, normale Gebilde zu untersuchen, zeigt folgende Procedur, die er mit den Linsen vor der Untersuchung vorgenommen, um sie „besser“ zu untersuchen. Vor der Ma- ceration mit Salzsäure legt Moriggia die Linsen auf einige Zeit in eine Kochsalzauflösung von 2 °/, u.s. w. und sodann erst auf einige Zeit in Salzsäure. Bei meinen Untersuchungen überzeugte ich mich schon vor 1) Allgemeine Anatomie. Leipzig. 1841. 408 Dr’ Robinckr mehreren Jahren von der Unzulänglichkeit der bisherigen Me- thoden, und war bemüht gewesen, eine bessere ausfindig zu machen, da ich zur Bestätigung mancher gefundenen wichtigen Resultate in der Anatomie der Linse einer solchen bedurfte. Ich war indessen zu anderen Untersuchungen übergegangen. Bei den Untersuchungen des Epithels vermittelst Argentum nitricum war ich auf die Beantwortung der Frage gekommen: wodurch entsteht diese Verdeutlichung der Epithelien? Meine Untersuchungen zeigten mir, dass es nicht ein Niederschlag zwischen die Furchen des Epithels sei, wie viele Forscher an- nahmen, auch dass es nicht eine Kittsubstanz sei, die sich färbt (Recklinghausen, Kühne), sondern dass es ein ein- facher physikalisch-optischer Vorgang sei, eine mehr oder min- der matte oder starke Färbung der sonst optisch gar nicht oder nicht sehr verschiedenen Medien. Meine Beobachtungen und Beweise kann ich hier nicht wiederholen und muss auf meine früheren Arbeiten hierüber verweisen'). Als ich mich nun an die früheren Untersuchungen der Linse, an die Schwierigkeiten der Untersuchung frischer Präparate erinnerte, eben wegen Mangels jeder Verschiedenheit des Lichtbrechungs- vermögens in diesen Medien, kam ich auf die Idee, eben dieses so vielfach von mir studirte und angewandte, so ausge- zeichnete Färbungsmittel der Epithelien, das Arg. nitr., auch für die Untersuchung der frischen, normalen Linse in Anwen- dung zu ziehen. Der Versuch gelang vollständig; so wie die Epitheleontouren, so färbten sich die Linsenröhren ausgezeich- net und wurden dadurch der Untersuchung zugänglich. Es ist also ein einfacher Tinctionsprocess, und es ist wohl heute schon überflüssig, noch von einer sich bräunenden Kittsubstanz auf 1) „Die Kittsubstanz auf Reaction des Argentum nitrieum, mi- kroskopische und mikrochemische Untersuchungen“ in diesem Ar- chiv, 1871, Heft 2. Recherches mieroscopiques sur l’epithelium et sur les vaisseaux Iymphatiques capillaires, par le Dr. Robinski, im Archives de Phy- siologie publiees par MM. Brown-Sequard, Charecot, Vul- pian. 1869, a N a a el He Untersuchungen über die Augenlinse. 409 Reaction des Arg. nitr. sprechen zu wollen, Es ist wohl Je- dermann ersichtlich, welcher gewaltige Unterschied zwischen meinen Grundanschauungen und denen Anderer, z. B. auch denen Moriggia’s herrscht, welche Postulate M. noch zur „besten Darstellungsweise* der Linsenröhren hatte, und welche Anforderungen ich an eine gute Methode stelle; schon in dem Begriffe des Wortes „Darstellung“ liegt ein himmelweiter Un- terschied. Meine Untersuchungen zeigten mir, dass zur Untersuchung der Augenlinse möglichst schwache Lösungen die besten seien, 2. B. 1: 1000, :so dass von keiner andern Einwirkung die Rede sein kann, als von der bräunenden, färbenden des Arg. nitr., die, trotzdem das Mittel in so kleinen, minimalen Quantitäten gebraucht wird, doch so stark, so schön für mancke Zwecke auftritt. Von der alle Gewebe bräunenden Wirkung des Höl- lensteins wurden, wie natürlich, die Linsenröhren-Membranen nicht ausgenommen, auch diese werden gefärbt, geschwärzt, verdeutlicht, wenn nicht besser, doch ebenso wie die Epithelien. Wir haben hierin einen neuen Beweis, dass diese Färbung, Verdeutlichung der Epitbelien auf keiner aussergewöhnlichen Eigenschaft irgend einer „merkwürdigen“ Substanz beruht, sondern ein ganz gewöhnlicher, natürlicher Färbungsprocess ist. So wie an anderen Stellen, so muss ich auch hier gegen stärkere Lösungen als z.B.1:800 auftreten!), da eben diese Lösung oder noch besser 1: 1000 die Gewebe weniger, oder gar nicht angreifen, als stärkere Lösungen, also nicht so leicht Kunstproducte liefern; andererseits haben wir bei stärke- ren Lösungen, wie sie früher gebraucht wurden, selbst von v. Recklinghausen (1 Theil Silbersalz auf 400 Thle. Wasser) den Uebelstand, dass die Präparate zu stark gefärbt, verdun- kelt, undeutlich. ja unbrauchbar werden, wodurch, wie die Ge- schichte der Silberbehandlung uns zeigt, Veranlassungen zu 1) Soeben lese ich im „Centralblatt für die medicinischen Wis- senschaften“, Nr. 42, 1871, dass Dr. Ernst Fleischl mit einer „halbprocentigen Silberlösung“ auf neue Entdeckungen ausgegangen ist. 410 Dr. Robinski: verschiedenen irrthümlichen Resultaten entstehen. Wozu sollen wir auch überhaupt diese stärkeren Lösungen gebrauchen, uns grösseren Fehlerquellen aussetzen, wenn die angegebenen mög- lichst schwachen Lösungen vollständig zu den besagten Zwecken ausreichen, uns möglichst gute, normale Präparate liefern. Auch in Hinsicht der Conservirung der Präparate sind die in mög- liehst schwachen Lösungen behandelten Objecte viel brauchba- rer, da sie sich mit der Zeit natürlich weniger verdunkeln, als die in stärkeren Lösungen. Zur genügenden Wirkung genügen oft etliche Secunden bis eine halbe Minute. Wir können also wirklich von einem „frisch geschlachteten* Thiere entnommene Linsen sogleich, man könnte sagen augenblicklich, untersuchen. Wir bekommen auf diese Weise ein möglichst frisches, unverändertes, normales Bild, was durch keine andere Methode zu erzielen war und was in gewissen Fällen, namentlich z. B. zur Unter- suchung und Feststellung der Verhältnisse der Linsenstern- gegend von ausserordentlicher Wichtigkeit ist und durch keine andere Methode, auf keine andere Weise zu erzielen ist. Aus alle dem Gesagten erhellt von selbst, welches wohl jetzt die beste Untersuchungsmethode der frischen Augenlinse sei. Die beste Empfehlung ist wohl das Zugeständniss Mo- riggia’s, der selbst sagt, dass das von mir zur Untersuchung der Augenlinse angewandte Arg. nitr. „doch den Vorzug vor den bisher empfohlenen Hülfsmitteln verdient“. Diese Methode beruht also auf einer ganz andern Wir- kungsweise als alle die bisherigen, nämlich auf der in neueren Zeiten in Anwendung gekommenen Tinction. Ich habe auch einige andere Färbemittel versucht, jedoch das Arg. nitr. als das beste gefunden, nur gehört hierzu vielleicht bei den Un- tersuchungen eine grössere Uebung und Vorsicht. Die Behand- lung init salpetersaurem Silber lieferte mir entschieden die besten Resultate, und ich ziehe dasselbe allen übrigen Tinc- tionsmitteln vor wegen der Sicherheit, Präcision und Schnel- ligkeit der Wirkung. Aus alledem ersehen wir, dass die Un- tersuchung der Augenlinse in ein neues Stadium getreten. Schauen wir nun noch einmal zurück auf die Bemühungen, 2 za Untersuchungen über die Augenlinse. 411 eine gute Untersuchungsmethode der Augenlinse ausfindig zu machen'), so könnten wir zwei Perioden unterscheiden. Die erste, wo man meist eiweisscoagulirende Mittel in Anwendung brachte: die Macerationsperiode; die zweite, wo das Be- streben vorherrscht, möglichst frische, normale, unveränderte Gebilde zu untersuchen, ohne weitere physicalische und che- mische Veränderung als der Tinction. Wir sehen, die ganze Zeit hindurch kehren die Bemü- hungen um eine gute Untersuchungsmethode zurück, das Be- dürfniss ist fühlbar, aber wir müssen sagen, der Standpunkt ist seit den ersten Zeiten der mikroskopischen Untersuchungen (Leeuwenhoek, Morgagni, Petit, Camper u.s. w.), wo die Linsen zu ihrer Untersuchung „exsiccatae, coctae, conge- latae, spiritibus acidis omnis generis maceratae fuerunt“, bis auf die letzte Zeit (Moriggia) derselbe geblieben. Was die Anfangsperiode dieser Untersuchungsweisen anbetrifft, so wol- len wir ihnen ihre Wichtigkeit nicht nehmen. Die Zusammen- setzung der Linse aus Fasern, das Studium und die Kenntniss dieser, ihre Anordnung u. s. w. wurde dadurch gefördert. „Ma- ceratione,“* sagt Camper, „e contra pulcherrimas lentis de- texerunt proprietates. Scilicet lentem, quae pro homogeneo corpore habebatur, ex fibris, segmentis et lamellis constare“ u.s.w. So grosse Verdienste aber auch die Macerationsmetho- den zu Morgagni’s, Petit’s Zeiten uns geboten haben, so können wir heute wenig Gebrauch davon machen. Inwiefern die verschiedenen Bestrebungen der Forscher auf Neuheit, auf Verbesserung Anspruch machen konnten, ha- ben wir gesehen. Wir mussten manchem Neuerer seine Ver- dienste schmälern, doch wollen wir heutzutage die früheren Zeiten nicht ganz ihrer Verdienste berauben. Et haec memi- nisse juvabit: an die alten Untersuchungsweisen, die man we- nig oder gar nicht mehr beachtet hat, wo sich dann heraus- stellt, wie manche neue Methode, neue Erfindung nicht nur 1) Da ich alle bisherigen Methoden und Arbeiten berücksichtigt habe, so kann dieser Aufsatz auch als ein Beitrag zur Geschichte der Untersuchungsmethoden gelten. N ET NE N a Ne 412 Dr. Robinski: Untersuchungen über die Augenlinse. keine Vortheile darbietet, sondern auch gar nicht so neu ist, Suum euique! Wie wir endlich gesehen haben, erhellen auch hieraus schon viele wichtige Schlüsse auf den Bau der Linse. Weitere Untersuchungen, die dieselben bestätigen, werde ich wohl bin- nen Kurzem zu veröffentlichen Gelegenheit finden. Dr. Robinski: Ueber das Cutieulum cerebri u. s, w. 413 Ueber das Cuticulum *) cerebri et cerebelli Dr. E. Fleischl’s. Von Dr. RoBiInskı. Wie man sich auch heute noch vielfach überzeugen kann, und wie die Arbeit des Herrn Dr. E. Fleischl: „Zur Anato- mie der Hirnoberfläche* im Centralblatt aufs Neue beweist, herrscht über die Grundprincipien der Arg. nitr.-Wirkung die grösste Unklarheit und Verwirrung. Wir sehen so grosse Fehler, dass es wirklich scheint, das Arg. nitr. könnte hier- durch gänzlich in Misscredit kommen, und dass die warnenden Stimmen, die sich gegen die Einführung dieses Mittels in die mikroskopischen Untersuchungen erhoben hatten, gänzlich ge- rechtfertigt erscheinen. Wollen wir durch unmässigen Gebrauch nicht dasselbe in Verruf bringen! Die Gegner fragen uns heute noch: Ist das Gute oder die Verwirrung, die dasselbe ange- stiftet, grösser?! Ich meinerseits stehe nicht an, trotz allen den gerechten Vorwürfen mich für das Arg. nitr. zu erklären, je- doch wünschte ich wenigstens einige Besonnenheit, einige Klarheit bei Anwendung desselben. Wie mir meine zahlreichen Untersuchungen dargethan, ge- ben schon sehr schwache Lösungen des Höllensteins nur gar zu oft unerwünschte, zu starke Bräunungen, Verdunkelungen und vielfache Niederschläge in Art der bekannten „polygonalen Felder aller Grössen“, überhaupt Präparate, die ganz unbrauch- bar für die Untersuchung sind. Auch hier also, bei den schwa- *) Soll wohl heissen „euticula“! 414 Dr. Robinski: chen Lösungen, kann uns nur die grösste Vorsicht und Uebung vor allen möglichen Fehlern, „Entdeckungen“ schützen. Gegen Anwendung stärkerer Lösungen wie 1 : 800 muss ich mich aufs Entschiedenste aussprechen, und vollends gegen deren Anwen- dung zu „neuen“ Entdeckungen im Namen der Logik prote- stiren, falls man nicht eben gesonnen ist, das Silbersalz durch diese Art von „neuen“ Entdeckungen gänzlich in Misseredit, in Verruf zu bringen. Das ist der beste Weg, um das zu er- reichen, was Anderen nicht gelungen. Es sollte doch wohl heute schon Jedermann die Wirkungs- weise des Höllensteins klar sein, der nur einigermassen in den histologischen Untersuchungen Bescheid weiss, und wie viel mehr Denen, die mit diesem Mittel auf „neue Entdeckungen“ ausgehen. Wäre man sich nur einigermassen darüber klar, so würde man nicht in solche Fehler verfallen, wie wir sie heut- zutage, auch bei Fleischl, leider sehen. Der Höllenstein ist, wie alle Mittel dieser Art, eben nur ein Färbungsmittel. Wir erhalten vermittelst desselben eben nur einen Färbungsprocess, eine Tingirung, die schon makroskopisch so deutliche, jedem Wundarzt bekannte Bräunung der thierischen Gewebe. Nur ist noch ausserdem im Auge zu behalten, dass das Arg. nitr. ein in jeder Beziehung energischeres Färbungsmittel ist, als andere, daher, wenn z. B. schon durch Jod u. s. w. die optischen Ver- hältnisse der Epithelien verdeutlicht werden, die Einwirkung des Höllensteins eine viel präcisere ist: Jedenfalls muss man sich wenigstens bei den Untersuchungen bewusst sein, dass die optischen Verhältnisse dadurch verändert und nur hierdurch die sonst unsichtbaren Gebilde verdeutlicht werden. So werden Epithelien, so werden die durch andere Mittel sonst wenig oder gar nicht darstellbaren frischen Linsenfasern sehr schön ver- deutlicht, weil eben der Höllenstein eine so grosse Tingirungs- kraft entwickelt. Im „Centralblatt!) für die medieinischen Wissenschaften“ lesen wir in dem erwähnten Aufsatze Dr. Ernst Fleischl’s, dass derselbe auf der Gehirnoberfläche neue Entdeckungen ge- 1) N. 42, 1871. Ueber das Cuticulum cerebri und cerebelli u. s. w., 415 macht mit „halbprocentiger“ (!) Höllensteinlösung. Die nähe- ren Umstände dieser Entdeckung beschreibt Dr. Fleischl fol- gendermassen. Man soll von der Oberfläche eines Gehirnes die pia mater so sorgfältig abziehen, dass eine von derselben ent- blösste Stelle des Gehirnes „nicht wieder mit ihr in Berührung kommt“. Sodann soll man eine solche nackte Hirnwindung in die „halbprocentige“ (!) Silberlösung bringen und nach einigen Minuten in destillirtes Wasser. Wir sehen hieraus schon, wie wenig Fleisch] mit Untersuchungen vermittelst Arg. nitr. ver- traut ist. Er will Zellen demonstriren. Was Herr Fleisch] mit 1: 800 Lösung nicht sehen, nicht demonstriren kann, das wird er mit stärkeren oder gar „halbprocentigen“ Lösungen nicht entdecken. Die geringste Färbung genügt ja, um eine Tinetion der sonst nicht sichtbaren Zellen herbeizuführen, das Lichtbreehungsvermögen zu ändern und die wenig oder gar nicht sichtbaren Gebilde zu verdeutlichen. Eines der am schnellsten, am intensivsten wirkenden Färbungsmittel ist ja schon die möglichst schwache Argentum nitricum Lösung von 1:80) oder noch schwächer 1: 1000. Was wir hierdurch nicht erreichen, erreichen wir, meinen zahlreichen Erfahrungen hierüber zufolge, durch halbprocentige Lösungen nicht besser, und ausserdem haben diese letzteren so vielfache ganz uner- wünschte, unangenehme Nebenwirkungen. Nur diese Art und Weise der Höllensteinwirkung kommt hier in Betracht, da es sich in der Arbeit von Fleischl um die „Entdeckung“ neuer Zellen resp. Zellenlagen handelt. Die andere Wirkungsweise, die Demonstration der verschiedenen kleineren und grösseren Canäle, die im Uebrigen in den letz- ten Zeiten verschiedenerseits angefochten worden, wie all- gemein bekannt, kommt hier nicht in Betracht. Wenn nun also Jemand, so wie Dr. Fleischl, gegen die Grundprineipien der so klaren Wirkungsweise dieses fraglichen Mittels so offen- bar zuwiderhandelt, dann können die Resultate unmöglich aus- bleiben. Herr Dr. Fleischl beschreibt denn auch weiter, dass nach kurzer Zeit die Oberfläche braunroth gefärbt wird. Dies ist schon bei ganz schwachen Lösungen der Fall und muss ge- schehen bei Einwirkung des Lichtes, und ist eine ganz ge- N 5 2 RITTER, 416 Dr. Robinski: wöhnliche, jedem Chirurgen bekannte Erscheinung des Arg. nitr. Hier natürlich, bei einer „halbprocentigen“ (!) Höllen- steinlösung, ist die Einwirkung um so stärker, ist so viel Silber- niederschlag, dass die Oberfläche einen „metallischen (!) Schim- mer“ annimmt. In diesen Niederschlägen von „metallischem Schimmer“ noch auf Entdeckungen ausgehen zu wollen, ist wohl etwas zu stark, und doch — ein Factum. „Nun fahre man,“ beschreibt Fleischl weiter, „mit der Schneide einer Staarnadel so zart über die Hirnoberfläche weg als möglich,“ — dann kratzt man Etwas von diesen niederge- schlagenen Massen ab, und wenn man in diesen neue Ent- deckungen vornehmen will, dann können diese unmöglich ausbleiben; man kann sogar auf diese Weise, wie Beispiele lehren, Erstaunliches leisten. Beim Abschaben wird man also „Bruchstücke“ eines „feinsten Schleiers“ loslösen, der wie ein „zarter Schlamm“ die Hirnoberfläche bedeckt hat. — Auf jedem Schritte überzeugen wir uns, wie wenig Fleischl mit der Handhabung und Wirkung der Höllensteinlösungen vertraut ist, . denn sonst müsste er wissen, dass die verschiedenartigsten suc- culenten thierischen Gebilde, so auch die Cornea, namentlich von der inneren Fläche, das Zwerchfell u. s. w. auch schon bei Anwendung schwächerer Solutionen einen eben solchen Ueber- zug bekommen, der wie ein „zarter Schlamm“ dieselben be- deckt. Solche „Bruchstücke“ des „zarten Schlammes“*, seien sie nun von anderen Gebilden oder vom Gehirn entnommen, „in Glycerin bei starker Vergrösserung angesehen, zeigen sich als eine Schicht von eng aneinander liegenden, polygonalen, ebenen Feldern aller (!) Grössen, von der eines Kernkörper- chens (!) bis zu der einer farblosen Blutzelle* u. s. w.!! Ein noch dankbareres Feld für derartige Entdeckungen im „zarten Schlamme“ würde Dr. Fleischl finden, wenn er sieh an die Untersuchung solcher Gebilde wie die Linse, Glaskör- per u. s. w. machen wollte. Welch „zarten Schlamm* — welche Entdeckungen er da erhalten würde!? Man muss 'natür- lich um so schöneren „Schlamm“ zu Stande bringen, je ener- gischer man vorgeht und z. B. „halbprocentige Silberlösungen“ anwendet. Ueber das Cuticulum eerebri und cerebelli u. s. w. 417 Bei diesem Stande der Dinge wird Dr. E. Fleischl an- deren Forschern nicht übel nehmen, wenn auch sie bei der „Deutung“ solcher Gebilde „misstrauisch“ zu Werke gehen. Ich glaube, so wenig wie die Urheber der Silberbehandlung, “so wenig wird ihm der Urheber der Goldchloridmethode Dank wissen, dass er seine Untersuchungsweise mit in diesen „Schlamm“ ziehen wollte. Aber selbst durch Zuhülfenahme dieser letzteren Methode konnte er in diesem „zarten Schlamm“ nicht ein „zu Grunde liegendes anatomisches Substrat“ zur An- schauung bringen! Er ruft denn schliesslich pathologische Zustände zu Hülfe! Individuen, die an „Entzündung der inneren Hirnhaut“ ver- storben, geben ihm Gelegenheit, in diesem „Schlamm“ gelegene kernartige Gebilde, welche alle Uebergangsformen zu Eiter- zellen darstellen sollen, wahrzunehmen. Ich hatte nur bei frischen, normalen Gehirnen (Hund, Katze) die von Fleischl als „Hirnhäutchen“ beschriebenen Kunstpro- ducte untersucht; dass bei manchen Individuen in pathologi- schen Zuständen sich auf dem Gehirne ein schlammiges „cu- tieulum cerebri et cerebelli* bilden kann, möchte ich beinahe glauben! Was wir aber von diesem „wenig präjudicirenden Na- men: Hirnhäutchen, cuticulum cerebri et cerebelli“, der sich dem Herrn Dr. E. Fleisch] zur rechten (oder unrechten) Zeit einstellte, im normalen Zustande zu halten haben, ergiebt sich von selbst. Würde man es für möglich halten, wenn wir es nicht sä- hen, dass Jemand, der mit der Untersuchung vermittelst des Arg. nitr., mit deren Grundprincipien, gar nicht vertraut ist, mit einem so gefährlichen Mittel in seinen Händen, auf „neue Entdeckungen“ ausgeht?! Ich glaube, mit vollständigstem Recht ' sagen zu können, wir haben hier ein Exempel, was alles, viel- leicht in gutem Glauben, an Erfindungen geleistet wird und wie die Welt und Wissenschaft mit Entdeckungen bereichert und beglückt wird. Es wäre endlich Zeit, mit mehr Vorsicht bei Entdeckungen zu verfahren, und die mikroskopische Anatomie nicht damit unsicher zu machen und in Verruf zu bringen, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 27 418 H. Burmeister: Östeologische Notizen zur Kunde der Panzerthiere Süd-Amerika’s. Von H. BURMEISTER. (Hierzu Tafel XI a.) Die Beschäftigung mit dem Studium der fossilen Panzer- thiere Süd-Amerika’s, welcher ich seit nunmehr zehn Jahren, mit theilweisen Unterbrechungen, obgelegen habe, veranlasste mich nothwendiger Weise zu einer vergleichenden Untersuchung der nächstverwandten lebenden Formen, und setzte mich da- durch in den Stand, mancherlei Wahrnehmungen zu machen, die bisher noch nicht zur Sprache gebracht waren. Da die Re- sultate meiner Studien über die fossilen Glyptodonten be- stimmt sind, in den Anales del Museo püblico de Buenos Aires, Tom. Il, nach und nach ans Licht zu treten, wobei ich der verwandten lebenden Gestalten nur beiläufig gedenken kann, so scheint es mir passend, dasjenige, was sich auf diese leben- den Verwandten, die Armadillos, bezieht, an einer anderen Stelle abzuhandeln, und die eigentliche Vergleichung beider Typen, als dem Gegenstande jener Darstellung zu fern liegend, unabhängig von der blossen Formbeschreibung vorzunehmen, mich dabei auf diejenigen Gesichtspunkte beschränkend, welche eine klare Einsicht in die Aehnlichkeiten und Unterschiede beider neben einander her laufender Typen einer theilweise 4 - } ur FE ed anal un an ai ir Du > — er PER Osteologische Notizen zur Kunde der Panzerthiere u.s. w. 419 gleichartigen Grundform ganz besonders möglich machen. Hier- von giebt der gegenwärtige Versuch eine Probe.') A. Das Zungenbein der Edentata loricata. Vom Zungenbein der Armadillos liegen zwei Beschreibun- gen vor, die eine von Rapp (Anatom. Unters. der Edentaten, Tübing. 1852. 4°. S. 61) schildert dasselbe ohne bestimmte An- gabe der Species, auf welche sich die Beschreibung bezieht; die andere giebt Hyrtl von Chlamyphorus truncatus in seiner lateinischen Abhandlung über das Thier (Wien, 1855. 4°. 5.18. $ 12), wobei Verf. auch Dasypus setosus in Betracht zieht und hervorhebt, dass seine Wahrnehmungen an beiden Thieren mit den Angaben Rapp’s nicht in Einklang zu bringen seien. Die Untersuchungen, welche ich an den Arten des hiesigen Landes?) und Brasilianern angestellt habe, lehren, dass Rapp’s Beschreibung, obgleich nur kurz, doch eben so richtig ist wie die Hyrtl’s, und dass, wie in jeder anderen Hinsicht, so auch im Bau des Zungenbeins, die bisher als gleichwerthige Art- Modificationen eines allen gemeinsamen Gattungstypus aufge- fassten Species zuvörderst einen Hauptgegensatz darstellen, wel- chen ich schon früher richtig erkannt und durch die Gruppen- namen Dasypus und Praopus ausgedrückt habe (System. Uebers. d. Thiere Brasil. ete. I. S. 276 und 29). Rapp’s Beschreibung des Zungenbeins ist von einem Praopus, und wahrscheinlich von dem Pr. peba aus Guyana 1) Der Aufsatz wurde bereits im Jahre 1869 verfasst und im No- vember nach Europa abgesandt; aber der ihn enthaltende Brief kam nicht an seine Adresse, wie ich das erst kürzlich erfahren habe. Die jetzige Fassung ist eine Wiederholung aus dem Gedächtniss, mit Zu- sätzen. 2) Die Arten des La Plata-Beckens sind folgende: 1. Dasypus (Euphractus) villosus. — 2. D. (Euphr.) minutus — 3. D. (Tolypeu- tes) conurus. — 4. Praopus hybridus. — 5. Chlamyphorus truncatus, nur bei Mendoza heimisch. — Ausnahmsweise kommt auch D. (Prio- - dontes) gigas vor; ich erhielt im April 1867 ein frisches Exemplar, das beim Bau der Eisenbahn nach Cordova in der Nähe von Villa Maria gefangen wurde. 27° 420 : H. Burmeister: genommen; diese Art in der Beschränkung aufgefasst, wie ich sie in D’Alton’s und meiner Zeit. f. Zool. u. ‚Zoot. S. 199 bestimmt habe. Sie passt indessen auch ganz gut auf Pr. lon- gicaudus aus Brasilien, von welcher Art ich das Zungenbein hier ausführlich schildern werde, und dürfte, allem Vermuthen nach, auch auf die beiden anderen ausserdem noch bekannten Arten der Gruppe Praopus, den Pr. hybridus (mulita, Azara Apunt. Il. 156. 55) und Pr. hirsutus (von mir beschrieben in d. Abh. d. naturf. Ges. z. Halle, Bd. VI. 1861), ihre Anwen- dung finden. Obgleich Pr. hybridus in unserer Provinz Buenos Aires gemein ist, so habe ich mir doch kein Zungenbein des- selben verschaffen können, weil die Gaucho’s, welche das ge- tödtete Thier hierher auf den Markt bringen, ihm sofort die Kehle nebst den Eingeweiden ausschneiden, folglich den Kör- per für anatomische Untersuchungen unbrauchbar machen. Beide Arten (der Pr. hirsutus ist in Eeuador bei Guayaquil zu Hause) gleichen übrigens dem Pr. peba so sehr, dass der innere Bau wohl keine Verschiedenheiten von Belang darbieten wird. Bei Pr. longicaudus verhält sich das Zungenbein wie folgt. Die beigefügte Tafel giebt eine Ansicht desselben in na- türlicher Grösse; A von der Seite gesehen, B von oben. Der Apparat besteht aus einer mittleren Platte, welche so ziemlich das Ansehn einer Hellebardenspitze hat, also in drei Spitzen ausgeht, von denen die mittlere (a) lanzettförmige nach hinten gewendet ist und unter dem Kehlkopf liegt, während die bei- den seitlichen (cc) etwas dicker sind, sich nach oben und etwas nach vorn biegen, und an ihren stumpfen Enden mit den obe- ren Enden des Schildknorpels durch ein kurzes Band (in Fig. 1. A. sichtbar) zusammenhängen. Das Individuum, welches ich untersuchte, war ein noch sehr junges Thier; alle Epiphysen seiner Wirbel und Zehenknochen waren unverwachsen, und so zeigte denn auch das beschriebene Mittelstück des Zungenbeins eine Zusammensetzung aus vier miteinander fest verbundenen Elementen. Es sind das zuvörderst die drei angegebenen Spitzen, und zwischen ihnen liegt eine kleine trapezoidale, nachs vorn schmälere Platte, welche in Fig. 1.B. deutlich sich bemerkbar macht. Ohne auf die Deutung der vier Elemente IB ey.‘ Se Osteologische Notizen zur Kunde der Panzerthiere u.s. w. 49] sofort einzugehen, will ich die Beschreibung des ganzen Appa- rates fortsetzen, um demnächst am Schluss die Deutung der Theile sicherer feststellen zu können. Die beiden seitlichen, bogenförmig nach oben gekrümmten Elemente der Platte, welche sich mit den Ecken des Schildknorpels verbinden, ver- dicken sich an ihrem unteren vorderen Ende noch etwas mehr, als an dem oberen hinteren; sie bilden hier, jedes für sich, einen förmlichen kleinen Knopf, der mit einer schief nach aus- sen an.ihn angesetzten Gelenkfläche endet. An diese Gelenk- , Häche stösst ein kleines, warzenförmiges, in der Mitte leicht ein- geschnürtes Knöchelchen, welches sich in derselben Richtung wie der Knopf wagrecht nach vorn fortsetzt, und wieder mit einer noch kleineren, runden, schief nach aussen gerichteten Gelenk- fläche versehen ist. Daran setzt sich ein langer, zweigliedriger, in der Mitte etwas spindelförmig verdickter Griffel, der sanft gebogen nach oben und hinten sich wendet, die Schlundgegend von beiden Seiten her umfasst, und an das Felsenbein mittelst eines kurzen Ligaments sich anheftet (unter bb in beiden Fi- guren 1. A. und B. dargestellt). Es leidet keinen Zweifel, dass diese beiden Griffel die vor- deren, beim Menschen kleineren Hörner des Zungenbeins vor- stellen, und dass der kleine warzenförmige Knochen am Grunde derselben mit zu ihnen gehört, ihr erstes unterstes Glied ist, jedes Horn also aus drei Gliedern besteht, die unter sich mit- telst leichter Gelenkung verbunden sind, wie das auch Hyrtl mit Recht von D. setosus und Chlamyphorus nachdrücklichst hervorhebt (a. a. OÖ... Wenn nun diese beiden Griffel für die vorderen Hörner des Zungenbeins zu nehmen sind, so muss man die beiden seitlichen Elemente der Mittelplatte für die hinteren, beim Menschen grösseren Hörner des Zungenbeins ansehen, wofür nicht bloss ihre Lage, sondern auch ihre Ver- bindung mit den Ecken des Schildknorpels spricht; dann bleibt für die beiden anderen, unpaaren Elemente der Mittelplatte keine andere Deutung als die des Zungenbeinkörpers übrig, der in diesem Fall aus zwei hinter einander liegenden Stücken be- stehen würde. Das vordere dieser beiden Stücke ist der ei- gentliche Zungenbeinkörper, das hintere ein der Gruppe Prao- 422 H. Burmeister: pus eigenthümlicher Anhang, welcher der Gruppe Dasypus fehlt, wie gleich gezeigt werden soll, dagegen aber bei den fos- silen Glyptodonten in analoger Stellung, doch mit differenter materieller Beschaffenheit, ebenfalls vorhanden gewesen zu sein scheint. Wir schildern, ehe wir diese Analogie besprechen, zunächst das Zungenbein von Dasypus. Es ist von Hyrtl a.a. O. be- reits beschrieben und soll hier von einer anderen, aber höchst ähnlichen Art, dem D. villosus, durch Abbildung (Fig. 2. A, B) erläutert werden. Man erkennt daran, bei der Betrachtung von oben (B), einen bogen- oder fast hufeisenförmig gestalteten, für die Grösse des Thieres ziemlich kräftigen Knochen (a), welcher mit seinen beiden Schenkeln den Anfang des Schildknorpels umfasst und sich mit den etwas verdiekten Enden der Schen- kel ce an die oberen Ecken eben dieses Knorpels anheftet. Darin findet also Uebereinstimmung mit Praopus Statt, aber die Form des Mittelstücks ist eine ganz verschiedene. In der Mitte, da, wo dies Stück am breitesten ist, hat dasselbe am vorderen wie am hinteren Rande zwei kleine Knötchen, von denen sich besonders die vorderen durch ihre Grösse auszeich- nen. In der Seitenansicht A sind diese Knötchen von der dem Beschauer zugewendeten Seite des Mittelstücks deutlich zu er- kennen. An die vorderen grösseren Knötchen, welche den ähn- lichen des Mittelstücks von Praopus entsprechen, stossen, wie bei dieser Form, zwei kleine, runde, ziemlich dicke Knöchel- chen, welche sich mit den Knötchen in deutlicher Gelenkung verbinden, und diese Knöchelchen tragen zwei lange, in der Mitte spindelförmig verdickte, zweigliedrige Griffel (bb), welche sich von den entsprechenden bei Praopus nur durch grössere Stärke und geringere Krümmung unterscheiden, auch, wie ebenda, mittelst eines Ligaments an das Felsenbein mit ihren Enden sich anheften. Die anderen kleineren Knötchen des hinteren Randes des Mittelstücks (bei aA angedeutet) haben keine Gelenkfläche am Ende, sondern einen fibrösen Saum, welcher sie mit dem vorderen Rande des Schildknorpels in Berührung bringt; von der Lanzenspitze, die an der entspre- -— % Osteologische Notizen zur Kunde der Panzerthiere u.s.w. 423 chenden Stelle bei Praopus hervortritt, ist also bei Dasypus keine Spur vorhanden. Was die Deutung der beschriebenen Theile des Zungen- beins betrifft, so finden sich an ihm die vorderen und hinteren Hörner ähnlich wieder, wie sie bei Praopus nachgewiesen wur- den. Es ist mir auch sehr wahrscheinlich, dass das Mittelstück in der Jugend aus verschiedenen Elementen sich bildet, aber ich möchte deren nur drei, nicht vier wie beim Praopus an- nehmen, indem die eigentliche Mitte des Mittelstücks, zwischen den 6 Knötchen, von den beiden Seitenästen, als hinteren Hör- nern, zu sondern sein dürfte. Leider habe ich bis jetzt keine ganz jungen Thiere untersuchen können, um meine Annahme empirisch festzustellen; auf jeden Fall fehlt das vierte Element von Praopus, und wird dasselbe bei Dasypus durch kein ana- loges Gebilde anderweitig vertreten. Es liegt auf der Hand, dass, wenn an einem so einfachen und untergeordneten Körpertheil, wie das Zungenbein, bei zwei übrigens nahe verwandten Thieren sich eine solche Differenz herausstellt, wie die hier geschilderte, zwischen diesen Thieren mehr als ein bloss specifischer Unterschied stattfinden müsse, und dass man das Recht hat, auf eine allseitig verschiedene Configuration ihrer Körpertheile zu schliessen, wenn man eine so grosse Verschiedenheit im Bau des Zungenbeins wahrnimmt. Kommt nun noch hinzu, dass ein übrigens formell so sehr ver- schiedenes Thier, wie der Chlamyphorus, im Bau des Zungen- beins ganz mit Dasypus übereinstimmt, wie das Hyrtl angiebt und ich durch eigene Untersuchung bestätigen kann, so ergiebt sich schon daraus, dass Praopus weiter von Dasypus sich in seiner Organisation entfernt, als letzterer von Chlamyphorus, mithin noch eine höhere als eine generische Differenz in Aus- sicht stellt. Und das möchte ich in der That behaupten. Ich habe in meiner bereits erwähnten systematischen Uebersicht der Thiere Brasiliens die Hauptunterschiede der Form schon ange- geben und mich, was die Panzerbildung betrifft, auch in die- sem Archiv (Jahrg. 1865, S. 321) darauf bezogen. Bei Dasy- pus und Chlamyphorus bedecken Hornschilder von ähnlicher Grösse und Beschaffenheit mit den Knochenschildern des Pan- 424 H. Burmeister; zers die letzteren; aber bei Praopus sind die Hornschilder un- ter sich, wie von den Knochenschildern des Panzers ganz ver- schieden; sie bedecken, die einen nur die Mitte der Knochen- schilder, die anderen kleineren die Nähte zwischen ihnen, und wurzeln Haare im Panzer, so stecken sie bei Dasypus in den Nähten zwischen den Knochenschildern, und bei Praopus in der Fläche der Knochenschilder selbst. Wie verschieden im äusseren Ansehn auch die sehr unähnlichen Arten von Dasypus sein mögen, in dem angegebenen Punkte stimmen sie alle mit einander überein, und nicht bloss darin, sondern noch in vie- len anderen Eigenthümlichkeiten, welche bei Praopus nie in derselben Weise sich finden. Ich werde in einem zweiten Theil dieser Notizen Gelegenheit haben, das im Bau des Vorder- fusses nachzuweisen, und gehe darum auf diese mehr zoologi- sche Betrachtung hier nicht weiter ein, mich für jetzt auf das Zungenbein beschränkend, das ich von dem äusserlich so un- ähnlichen D. conurus (Mataco Azara’s) ebenfalls untersucht und in der Hauptsache wie bei Dasypus, nicht wie bei Praopus ge- funden habe. Es hat indessen statt der beiden kleineren Knöt- chen am hinteren Rande des Mittelstücks einen kurzen Stiel, der am Ende etwas breiter ist und durch diese Endfläche an den Schildknorpel stösst; die Form der Hörner ist wie bei Da- sypus, aber etwas zierlicher, wie ebenfalls das ganze Knochen- gerüst dieser so höchst eigenthümlichen Art, der einzigen von allen Dasypus mit vier Zehen an den Vorderfüssen, statt der fünf der übrigen, während bei Praopus die Zahl vier beständig vorhanden ist. Ich lasse nunmehr die Beschreibung des Zungenbeins der fossilen Glyptodonten folgen. Dasselbe ist mir von drei Ar- ten bekannt, nämlich von Panochthus tuberculatus, von Glypto- don asper und von Gl. elongatus. Das Zungenbein des zuerst genannten Thieres habe ich un- ter Fig. 3 in ?/, der natürlichen Grösse vorgestellt; es besteht, wie das der anderen Arten, aus drei Stücken, zweien gleichen, langen Griffeln und einem symmetrisch gestalteten, Vförmigen Mittelstück. Dasselbe liegt in drei Ansichten vor, A von oben, B von unten und © von der Seite; seine beiden Schenkel sind a) DE EN ee Ti ee z. wre Osteologische Notizen zur Kunde der Panzerthiere u. s. w. 425 jeder 4'/, Zoll lang und ihre Enden klaffen 3'/, Z. weit auseinan- der. Das sind Dimensionen, welche auf die riesenmässige Grösse des 12 Fuss langen Geschöpfes, dessen Skelet ich im 7ten Heft der Anales etc. beschrieben habe, deutlich genug hinweisen. Von oben wie von unten betrachtet, zeigt das Mittelstück eine scharfe konische Spitze, hinter welcher sich die Verbindungs- fläche der beiden Schenkel stark verdickt und bogig nach aus- wärts erweitert. Auf dieser erweiterten Fläche bilden sich auf beiden Seiten eigenthümliche Erhabenheiten; auf der oberen Seite (A) zwei kleine, runde Höcker am hinteren Rande, je einer vor dem Anfange jedes Schenkels, und auf der unteren Seite (B) ein hoher viereckiger Höcker, mehr nach vorn, dicht hinter der konischen Spitze. Die beiden kleinen Höcker der oberen Seite sind glatt, nach vorn scharf abfallend, nach hinten in eine Kante ausgezogen, welche über den ganzen Schenkel am Innenrande fortläuft und erst an der Spitze desselben en- det. Nicht sowohl aus dieser Kante, als vielmehr aus der ge- wölbten, glatten Oberfläche der Höcker, die einige feine Poren hat, geht hervor, dass sie Gelenkhöcker sind, auf denen ein anderer Knochen beweglich befestigt war. Der viel grössere viereckige Höcker der unteren Seite (B) hat diesen Bau nicht, er ist vielmehr von einem scharfen, besonders nach vorn hohen Rande umgeben und zeigt eine vertiefte, schwammig maschige Knochensubstanz im Innern, ohne mit einer soliden Knochen- schicht bedeckt zu sein. Man darf daraus folgern, dass dieser Höcker kein Gelenkhöcker ist, sondern dass er einen Knorpel von eigenthümlicher Form getragen habe, der mit dem schwam- migen Gewebe des Innern innig verbunden war. Hinter dem Höcker der unteren Seite bemerkt man am Anfange zwei flache mandelförmige Gruben, welche nach hinten in eine Spitze aus- laufend sich verflachen, vorn aber ziemlich tief sind. Unmittel- bar darauf beginnen die dünnen Schenkel des Mittelstücks, welche einen dreikantig prismatischen Umriss haben und sich mit ihren Enden sanft nach aussen krümmen, ohne sich bis dahin im Geringsten zu verdünnen; vielmehr enden sie mit einer geraden Abstutzungsfläche, deren Ränder etwas aufgewor- fen erscheinen. Aus der Seitenansicht C erkennt man das 426 H. Burmeister: Verhältniss der beiden oberen und des einen unteren Höckers zum Mittelstück am deutlichsten, während die Figuren A und B die Form der Schenkel besser ausdrücken. Es leidet wohl keinen Zweifel, dass das beschriebene Vför- mige Mittelstück dem hufeisenförmigen Mittelstück von Dasypus analog ist und wie dieses aus dem Zungenbeinkörper nebst den beiden hinteren, beim Menschen grösseren Hörnern des Zungen- beins besteht. Offenbar waren die abgestutzten Enden der bei- den Schenkel durch ein Ligament mit den oberen Ecken des Schildknorpels verbunden, dessen vorderer Rand wahrscheinlich mit einer vortretenden Partie in die beiden Grübchen am An- fange der Schenkel sich hineinlegen mochte. Der von dem unteren, viereckigen Höcker ausgehende Knorpel hätte dann, wie die Lanzenspitze des Mittelstücks von Praopus, vor und z. Th. unter dem Kehlkopf gelegen und war wahrscheinlich zu seiner Stütze durch Gewebe mit ihm verbunden. Welche Form er zu diesem Zwecke haben mochte, lässt sich freilich nicht näher bestimmen; doch dürfte eine allmälige Erweiterung und Verflachung desselben nach hinten sehr wahrscheinlich sein, obgleich die Grösse des Höckers, welcher den Knorpel trug, darauf hinweist, dass derselbe am Anfange dick und vierkantig gestaltet war. Weiter wüsste ich über seine Form nichts mit einiger Wahrscheinlichkeit anzugeben. Er gehört, seiner Lage nach, dem Zungenbeinkörper an, gleichwie die konische Spitze vor ihm, welche in die Basis der fleischigen Zunge eindrang; aber die beiden runden Höckerchen der Oberseite muss man, nach der Analogie von Praopus, für Theile der hinteren Hör- ner, für deren Anfänge nehmen, und ebenfalls die beiden Grüb- chen der unteren Seite. In Bezug auf die Deutung der beiden oberen Höckerchen muss bemerkt werden, dass sie ungezwungen den beiden ähn- lichen des Mittelstücks von Praopus und Dasypus zu verglei- chen sind, mithin die vorderen langen Hörner des Zungenbeins trugen, welche an ihnen gelenkig befestigt waren. Diese Hör- ner (CO. bb) erscheinen bei unserem Thier als zwei 7 Zoll lange eingliedrige Griffel von sanft gebogener Form, mit deutlicher Verdickung an beiden Enden und mässiger Anschwellung in Osteologische Notizen zur Kunde der Panzerthiere u.s.w. 427 der Mitte. Die Verdickung des einen Endes ist eine ovale, scharf vom dünnen Stiel abgesetzte, welche auf der einen Seite eine deutliche ovale Gelenkfläche besitzt, deren Umfang den des Höckerchens am Mittelstück beträchtlich übertrifft. Ich glaube daraus folgern zu dürfen, dass die Gelenkfläche des Griffels nicht mit der des Mittelstücks in unmittelbarem Zu- sammenhange stand, sondern dass zwischen beiden ein beson- deres kleines Knöchelchen lag, welches die Verbindung ver- mittelte und dem ähnlichen Knöchelchen bei Praopus und Da- sypus entspricht. Vorgefunden hat sich aber ein solches Knö- chelchen bisher nicht. Demnach ist die Verdickung mit der Gelenkfläche das untere Ende des Griffels, und die andere, welche sanft und allmälig eintritt, bezeichnet dessen oberes Ende. Hier hat der Griffel eine rauhe, höckerige Endfläche, welche lehrt, dass ein Knorpel oder ein Ligament an ihr be- festigt war. Die Anschwellung in der Mitte des Griffels, welche dem unteren Ende etwas näher liegt, entspricht der ähnlichen Anschwellung des vorderen Horns von Praopus und Dasypus, in ihr hat man also auch die ursprüngliche Trennung des Grif- fels in zwei Glieder anzunehmen, welche obne Zweifel auch bei den Glyptodonten im jugendlichen Alter vorhanden war. Soweit meine Schilderung des Zungenbeins von Panochthus tubereulatus; sie dürfte darthun, dass in der Hauptsache eine grossse Uebereinstimmung mit dem Zungenbein der lebenden Armadillos vorhanden ist, und dass die Aehnlichkeit mit Prao- pus vorwiegt, wegen des Anhanges am Zungenbeinkörper nach hinten, der indessen im Besonderen sich doch als von ganz anderer Form herausstellt. Von den beiden Zungenbeinen der Gattung Glyptodon, welche ich kenne, ist das von Glyptodon elongatus in Fig. 4, ebenfalls in ?/, der natürlichen Grösse, vorgestellt; das von Gl. asper habe ich schon früher in den Anales etc. Tom. I. pl. VII. fig. 6. abbilden lassen, aber fehlerhaft restaurirt, wie ich am Schluss dieser Notiz weiter angeben werde. Dies Zungenbein, obgleich das ganze Thier etwas kleiner ist als das vorige, hat fast gleiche Grösse und eine sehr grosse Aehnlichkeit mit jenem, ‘Auch hier findet sich ein Vförmiges Mittelstück nebst zwei 428 H. Burmeister: seitlichen Griffeln, aber die besondere Gestalt eines jeden ist eine andere. Das Vförmige Mittelstück ist 4°/, Zoll lang und seine beiden Schenkel klaffen hinten 4'!/, Zoll auseinander, aber die beiden Griffel sind nur 6'/, Zoll lang. Das Mittelstück hat eine viel schärfere, wagrecht gestellte lanzettförmige Spitze und seine Schenkel sind relativ etwas dicker, am Ende deutlicher abwärts gekrümmt und mit 'einer ovalen, fast nach unten ge- wendeten Endfläche versehen. Die beiden Höckerchen sind auf der hinteren Fläche des vorderen unpaaren Stücks ebenso vor- handen, weshalb ich keine besondere Abbildung dieser Seite gegeben habe; aber auf der entgegengesetzten unteren Seite (B) findet sich statt des grossen viereckigen Höckers nur ein klei- ner, ovaler, kurzer Höcker, dessen abgestutztes Ende vertieft, aber nicht maschig porös ist. Offenbar trug auch dieser Höcker im Leben des Thieres einen Knorpelzapfen, aber einen viel kleineren, vielleicht nur ganz kurzen Griffel oder Pfriemen. Besonders eigenthümlich sind die langen Griffel, welche den vorderen Hörnern des Zungenbeins entsprechen, bei dieser Art gestaltet; sie haben am unteren Ende einen kleinen, ovalen Knopf, woran sich eine Gelenkfläche bemerklich macht, welche die Höcker am Mittelstück nicht an Grösse übertrifft, also füg- lich mit ihnen direct verbunden sein konnte. Ich habe deshalb meine Figur © so gezeichnet, ohne damit sagen zu wollen, dass die Verbindung wirklich stattgefunden habe: doch lässt sich das auch aus dem Grunde vermuthen, weil der Schädel, mit dem dies Zungenbein ungestört in seiner Lage gefunden ist, keine Spur von Verletzung zeigt und mit solcher Vorsicht gereinigt wurde, dass, wenn zwischen dem Horn und dem Mittelstück jederseits ein kleiner Knochen vorhanden gewesen wäre, er sich gefunden haben müsste, was nicht der Fall gewesen ist. Mög- licherweise hatten also die Glyptodonten kein gesondertes erstes kleinstes Glied an den vorderen Hörnern des Zungenbeins. Von diesem unteren Gelenkkopf steigt dann das Horn (bb) sanft ge- bogen aufwärts, verdickt sich allmälig und zeigt in der Mitte eine Anschwellung, die nach oben und unten, hier vorn, dort hinten, mit einer scharfen Ecke endet; dann wird es wieder dünner und geht zuletzt in eine plötzlich abgesetzte gekrümmte Osteologische Notizen zur Kunde der Panzerthiere u. s.w. 429 konische Spitze über, mit welcher es abschliesst. Da ist also eine beträchtliche Verschiedenheit zwischen Glyptodon und Pa- nochthus bemerkbar. Indessen reichte auch bei Glyptodon die Spitze des Horns bis an das Felsenbein und war mit ihm durch ein Ligament, das von der Spitze des Endkonus ausgehen musste, verbunden. Eine weitere Deutung der beschriebenen Theile ist nicht nothwendig, da sie sich von selbst aus der Vergleichung mit Panochthus ergiebt; es bleibt nur übrig, zu. be- merken, dass auch bei Glyptodon keine Articulation am vorde- ren Horn wahrzunehmen ist, und dass, wenn eine solche vor- handen war in der Jugendzeit, sie in der Mitte der Verdickung, zwischen den beiden Ecken, gelegen haben möchte. Das Zungengerüst von Gl. asper, welches ich a. a. 0. ab- gebildet habe, ähnelt im Mittelstück ganz dem zuvor beschrie- benen, aber die vorderen Hörner sind anders gestaltet; ihr un- terer Gelenkkopf ist minder scharf isolirt, die mittlere Ver- dickung hat keine scharfen Ecken, und das obere Ende ist bloss kolbig angeschwollen, wie bei Panochthus, ohne die ko- nische Spitze des vorigen. Hier zeigt sich vielmehr eine höcke- rige Endfläche, welche auf ein Ligament zur Verbindung mit dem Felsenbein, das ich auch in meiner Zeichnung angedeutet habe (d), hinweist. Mein Irrthum in der Restauration besteht darin, dass ich diese vorderen Hörner an die hinteren Enden der Schenkel des Mittelstücks gesetzt habe, wozu ich durch die fehlerhafte Stellung des daneben gezeichneten Zungengerüstes von Praopus (Fig. 7) verleitet wurde. Die langen, griffelför- migen, vorderen Hörner (bb) hätten auf den beiden Höckern (ec) des Mittelstücks sitzen müssen, vielleicht mit ihnen durch ein besonderes Knöchelchen verbunden, was ich ebenfalls durch die Analogie mit der irrigen Stellung des Zungenbeins von Praopus verführt, an das Ende der Schenkel des Mittelstücks setzte. Fraglich ist es indessen noch sehr, ob ein solches Mit- telglied zwischen den Hörnern und dem Mittelstück wirklich vorhanden war. Buenos Aires, den 12. August 1871. 430 » W. Dönitz: Ueber Cordylophora lacustris. Von W. Dönıtz. (Hierzu Taf. XI. B.) Die Oberfläche der Tentakel der Cordylophora lacus- tris ist mit beweglichen Organen besetzt, welche bisher der Beobachtung entgangen zu sein scheinen. Auch F. E. Schulze, dem Verfasser seine zur Untersuchung verbrauchten Exemplare verdankt, erwähnt ihrer nicht in seiner Monographie'). Am leichtesten kommen diese Organe, welche man Wimperhaken nennen kann, zur Anschauung, wenn man die Polypen in der von Schulze angegebenen Weise im möglichst expandirten Zustande durch Osmiumsäure zur Erstarrung gebracht hat. Dann sieht man über die Ränder der Arme des Polypen kleine hakenförmige Organe hervorragen, welche immer in der Nähe der mit Nesselkapseln besetzten Stellen sich finden. Diese Or- gane bestehen aus zwei Abschnitten, deren einer eiförmig ge- staltet und in die äussere Belegmasse der Stützlamelle einge- bettet ist. Dieser eiförmige Körper, welcher kleiner ist als ein reifes Nesselorgan, trägt einen über die freie Fläche hinaus- 1) F.E. Schulze, Ueber den Bau und die Entwickelung von Cordylophora lacustris Allmann. Leipzig. 1871. min Ueber Cordylophora lacustris. 431 ragenden Fortsatz, welcher spiralig aufgewunden ist und 1'/, bis 11%, Windungen macht. Die Richtung der Krümmung schien überall nach derselben Seite zu gehen. Sobald man einmal die Wimperhaken erkannt hat, fällt es nicht schwer, sie auch an der dem Beobachter zugekehrten Fläche der Tentakel zu sehen. Die Arme der Hydroidpolypen sind bekanntlich stellenweise mit gehäuft stehenden Nesselkapseln besetzt, wel- che in quer oder schräg zur Achse der Tentakel verlaufenden Wülsten liegen. Gewöhnlich ist nur eine einzige Reihe von Nesselorganen in je einem Wulste völlig entwickelt, während kleinere unreife Nesselorgane nebenhergehen. Jeder dieser Züge von Nesselorganen ist nun von zwei Reihen Wimperhaken begleitet. An der Spitze der Arme kommen die Haken seltener zur Beobachtung, was wohl darauf zu beziehen ist, dass die Spitze seltener im völlig ausgestreckten Zustand er- halten wird. Auch das Mundstück der Polypen scheint mit Wimperhaken besetzt zu sein; doch wurde hier eine regel- mässige Anordnung nicht bemerkt, An frischen Präparaten, welche selbst unter einem Deck- glase die Arme in befriedigender Weise ausstrecken, erscheinen die Wimperhaken in anderer Gestalt. Die Spirale ist dort aufgerollt; das Organ hat die Gestalt einer Spindel, welche auf einem äusserst feinen, langen Stiele sitzt. Die Spindel ist meistens ziemlich flach an die Oberfläche des Tentakels ange- legt. Von ihrer Spitze schien mitunter noch ein feines Fäd- chen abzugehen, welches möglicherweise an die Oberfläche des Tentakels angeheftet ist. (Das spärliche Material reichte nicht aus, um diesen Punkt zu entscheiden.) Die Bewegung der Spindel auf ihrem Stiele kann in doppelter Weise erfolgen; entweder bewegt sich das Organ ruckweise und rhythmisch hin und her, oder es bewegt sich nach den verschiedensten Rich- tungen hin, wie umhertastend. Hinsichtlich der von den Nes- selorganen etwas verdeckten Gestalt und der Bewegungen ha- ben die Wimperorgane nicht geringe Aehnlichkeit mit Vibrio- nen, für die sie gewiss schon von manchem Beobachter gehal- ten worden sind; denn sonst wäre es nicht zu verstehen, wie diese auffälligen, wenn auch kleinen Gebilde sich so lange der 432 W. Dönitz: Beobachtung entziehen konnten, da doch die Cordylophora schon Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen ist. In einzelnen Fällen wurde eine dritte Art der Bewegung beobachtet, die aber nicht die normale zu sein schien. Es drehte sich nämlich die Spindel auf ihrem stark verlängerten Stiele im Kreise oder in einer Ellipse, wobei auch ein Rıhyth- mus nicht zu verkennen war. Wenn die oben ausgesprochene Vermuthung richtig ist, dass beide Enden der Spindel durch Fäden befestigt sind, so wird man annehmen können, dass die Kreisbewegung dann zu Stande kommt, wenn der eine Faden durch Zufall abgerissen wurde. Ueber die Function der Wimperhaken lässt sich noch nichts Sicheres aussagen Zunächst wird man an die vom Ver- fasser beschriebenen Wimperhaken in den Saugtentakeln der Siphonophoren erinnert!). Dort stehen die Haken aber mit Cilien in Verbindung, deren Spitzen sie in ihr trichterförmig geöffnetes Ende aufnehmen. Vielleicht liegen hier ähnliche Verhältnisse vor, die nur bei der Kleinheit des Objects bisher nicht beobachtet wurden. Bei den Siphonophoren scheint es, als ob die Function der Wimperhaken darin besteht, Wasser in Vacuolen hineinzupumpen. Auch an der Cordylophora finden sich solche Vacuolen, welche die ganze Dicke der äusse- ren Haut (protozootische Substanz) durchsetzen und bis auf die Stützlamelle reichen. Aber die Vacuolen finden sich nicht an allen Stellen, wo Wimperhaken in lebhafter Bewegung begriffen waren. Deshalb wird man vor der Hand einen Zusammenhang zwischen den Wimperhaken und den Vacuolen anzunehmen nicht berechtigt sein, und die Function der fraglichen Organe erscheint noch räthselhaft. Wimperhaken werden sich wahrscheinlich noch an anderen Hydroidpolypen vorfinden, doch ist Verfasser jetzt nicht in der Lage, seine Untersuchungen nach dieser Richtung hin ausdeh- nen zu können. Präparate von Cordylophora, welche die Wimperhaken 1) W. Dönitz, Ueber eigenthümliche Organe an den Magen- stücken der Siphonophoren,. Dieses Archiv, 1871. Ueber Cordylophora lacustris. 433 zeigten, wurden in der Öctobersitzung der Gesellschaft natur- forschender Freunde zu Berlin vorgezeigt und erläutert. Figuren-Erklärung. Figur 1. Ein Stück eines Armes des in Osmiumsäure gehärte- ten Polypen. Nur die linke Seite der Wand des Tentakels ist im optischen Längsschnitt gezeichnet. Vergr. Gundlach 1/6. a. Wimper- haken. b. Reifes Nesselorgan. c. Vacuole. d. Septum zwischen zwei Abschnitten des Hohlraums des Tentakels. e. Stützlamelle. Fig. 2. Optischer Längsschnitt des Tentakels eines lebenden Po- lypen. Vergr. wie Fig. 1. a. Stützlamelle. b. Vacuolen, eine aus- gedehnte Lage auf der Stützlamelle bildend. ce. Wimperhaken. Fig. 3. Oberflächenansicht eines Stückchens eines Tentakels am lebenden Thiere. Vergr. Gundlach 1/8. a. Stützlamelle. b. Wimper- haken. c. Nesselorgane. Reichert’s u. dn Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 28 434 Dr. W. Dönitz: Beiträge zur Kenntniss der quergestreiften Muskelfasern. Von Dr. W. Dönitz. (Hierzu Tafel XII.) Im Jahre 1869 habe ich in der Julisitzung der Gesellschaft naturforschender Freunde in Berlin Beobachtungen über die Querstreifung der Muskelfasern wirbelloser Thiere mitgetheilt, die ich hier unter Beifügung von Abbildungen eingehender besprechen will. Seitdem hatte ich Gelegenheit, die sogenannten quergestreiften Muskelfasern der Siphono- phoren zu untersuchen, worüber ich in derselben Gesellschaft im Juni 1871 Bericht erstattet habe. Auch diesen Gegenstand will ich hier noch einmal zur Sprache bringen, und meine Be- obachtungen durch Abbildungen erläutern, Ueber die morphologischen Einrichtungen, welche die Querstreifung der Muskelfasern bedingen, gehen die Ansichten der Autoren weit auseinander. W Kühne!) hält noch immer die Behauptung aufrecht, dass bei Arthropoden der Inhalt 1) Striecker’s Handbuch der Lehre von den Geweben. 1. Lief. 1868. S. 149. a a Beiträge zur Kenntniss der quergestreiften Muskelfasern, 435 der Sarcolemschläuche „das Bild etagenartig gelagerter Schei- ben von Fleischprismen bietet, getrennt durch eine in der Querrichtung der Faser mächtigere, in der Längsrichtung spär- liche homogene flüssige Substanz.“ In directem Widerspruch damit’ steht W. Krause’s Ansicht, wonach jede Fibrille aus einer Rehe von membranösen Kästchen sich aufbaut, in welche die Muskelprismen eingeschlossen sind. Zwar nimmt auchKrause (die Anwesenheit einer Flüssigkeit an,aber diese umgiebt in jedem Kästchen das Muskelprisma in der Art, dass es gewissermassen in seinem Kästchen schwimmt. Der Fortschritt, den wir in dieser Arbeit zu begrüssen haben, besteht darin, dass hier die Anwesenheit von Membranen an der Fibrille betont wird. Wäh- rend aber Krause das Muskelkästchen als Formelement der Muskelfaser aufstellt, habe ich Beobachtungen gemacht, die ich nicht anders zu deuten weiss, als wenn die Fibrille als Formelement angenommen wird. Beim Zerzupfen von Krebsmuskeln (Astacus fluv.), die ich aus den Scheeren entnahm, erhielt ich öfter Präparate, an wel- chen die Fibrille sich als eine mit quergestreiftem Inhalt er- füllte Scheide darstellte, innerhalb welcher der Inhalt strecken- weise verschoben war, ohne dass an den verschobenen Partien eine Störung in den gewöhnlichen Erscheinungen der Querstrei- fung aufgetreten wäre. Die Fibrillenscheiden waren also stel- lenweise ihres quergestreiften Inhalts beraubt, waren aber trotz- dem an diesen Stellen nicht zusammengefallen, sondern prall gefüllt mit einer hyalinen Flüssigkeit (Fig. 1). Eine Verletzung der Fibrillenscheiden war an diesen Stellen nicht zu bemerken, eben so wenig wie Spuren von etwanigen Scheidewänden, wel- che nach Krause zwischen den Prismen gelegen sind. Da ich . aun eine ziemlich grosse Anzahl solcher leeren Scheiden gese- hen habe, ohne jemals Reste von abgerissenen Scheidewänden oder Verletzungen der Fibrillenscheiden zu finden, so ist es mir unwahrscheinlich geworden, dass Septa vorhanden waren, wel- che nach Krause’s Darstellung mit der Scheide in der Weise verbunden sind, wie etwa der Boden eines Trinkglases mit dessen Seitenwänden. Ausserdem lässt Krause seine Septa mit der Sarcolemscheide in Verbindung stehen, ja sogar von 28* 436 Dr. W. Dönitz: derselben ausgehend zwischen die Muskelprismen hineinwach- sen, während ich überall gefunden habe, dass die Fibrillen- scheide etwas Selbstständiges ist, was mit dem Bindegewebe des Sarcolems gar nichts zu thun hat. Hiernach bleibt immer noch die Frage offen: Wodurch wird die Querstreifung bedingt? So viel kann man bis jetzt mit Sicherheit angeben, dass in jeder Fibrille eine gewöhnlich matt grau erscheinende Substanz vorhanden ist, welche in re- gelmässige Abschnitte zerfällt und welcher wir die Eigenschaf- der Contraktilität zuschreiben müssen. Zwischen je zwei sol- chen Abschnitten, den Muskelprismen, zeigt sich eine dunkle Linie, die beiderseits von einem hellen Saum eingefasst wird. Ausserdem kann man sehr häufig die Beobachtung machen, dass auch das Muskelprisma noch durch eine mässig dunkle, beiderseits hell begrenzte Linie in zwei gleiche Abschnitte zer- fällt (Fig. 2). Wir wollen die stärker dunkeln Linien die Hauptlinien, die weniger dunkeln die Nebenlinien nennen. — Nicht selten erscheint die Fibrille geknickt, oder ihre seitlichen Contouren sind halbmondförmig ausgeschnitten, wie es die Fi- guren 3 und 4 zeigen, welche Präparate von der Stubenfliege darstellen. Am oberen Ende der in Fig. 5 dargestellten Fi- brille erkennt man deutlich die Haupt- und Nebenlinien mit ihren hellen Säumen. ‘Nach unten hin beginnt eine ziekzack- förmige Knickung der Fibrille, wobei es auffällt, dass die Knickungsstellen nicht allein den Haupt-, sondern auch den Nebenlinien entsprechen, während hier letztere eben so scharf und dunkel hervortreten wie die ersten. An anderen Präpa- raten (Fig. 6) erfolgt die Einknickung nur an den Hauptlinien. Ferner kommen Präparate vor, welche den Eindruck machen, als ob die Fibrille gedehnt wäre, indem die Liniensysteme wei- ter als gewöhnlich von einander abstehen und die dazwischen gelegenen Abschnitte sanduhrförmig eingeschnürt sind, wie es die Figuren 3 und 4 zeigen. Diese beiden Figuren unter- scheiden sich dadurch, dass die Curven, welche die Sanduhr- form bediugen, in Fig. 3 ohne Unterbrechung von einer Haupt- linie zur anderen ziehen, während sie in Fig4 an den Neben- linien eine Unterbrechung. erleiden. Beiträge zur Kenntniss der quergestreiften Muskelfasern. 437 In manchen Fällen, besonders wenn die Fibrillen sehr fein sind, war es mir nicht möglich, die dunkeln Linien zu sehen; die Muskelprismen waren nur durch helle Räume von einander getrennt. Manchmal beobachtete ich beim Krebs, dass die Prismen selber wieder durch zwei helle Linien in drei gleich grosse Abschnitte zerlegt waren (Fig. 1); eine Erscheinung, die man nicht verwechseln darf mit der mehrfachen Streifung, die man häufig bei schiefer Beleuchtung des Objectes zu sehen be- kommt (Fig. 7), und welche auf Lichtreflexe und Interferenzen bezogen werden muss. Nun könnte man daran denken, dass überhaupt die dunkeln und hellen Linien Reflexerscheinungen sind, vielleicht in der Weise, dass die hellen Linien die Re- flexe der einander zugekehrten Seiten der Prismen darstellen, während die dunkeln Linien die Grenze zweier Muskelprismen bezeichnen, oder vielleicht auch als Interferenzlinien aufzufas- sen sind, welche Wellenthälern entsprechen. Die ziekzackför- mig geknickten Fibrillen sprechen durchaus nicht dagegen, denn man kann sich sehr wohl vorstellen, dass eine härtere ‘ oder weichere, respective flüssige Substanz die Muskelprismen trennt und unter Umständen sich noch zwischen einzelne Ab- schnitte derselben einschiebt, so dass das Prisma in zwei oder drei Unterabtheilungen zerfällt. In diesem Falle ist die leichte Möglichkeit des Einknickens gerade an den Querlinien gegeben, und sie wird um so leichter und häufiger erfolgen, je weiter die Zwischenräume sind; daher die grössere Häufigkeit der Einknickungen an den Hauptlinien. Diese Annahme würde auch ohne Weiteres die Erklärung dafür abgeben, dass der Fibrilleninhalt verschiebbar ist. Auch die Erscheinungen, welche man bei Zusatz von Essigsäure zum Präparat erhält, sprechen nicht dagegen. Dieses Reagens macht die Fibrillen in der Art quellen, dass sie ein perlschnurartiges oder rosenkranzförmiges Ansehen gewinnen (Fig. 5). Die Ein- schnürungen zwischen je zwei kugeligen Muskelprismen werden durch die Hauptlinien gebildet, während die Nebenlinien im Aequator liegen. Wenn die Säure nicht zu energisch einge- wirkt hat, so kann man auch jetzt noch die hellen Säume der dunkeln Linien erkennen. Die Rosenkranzform muss hier auf- 438 Dr. W. Dönitz: treten, sobald die Fibrillenscheide nicht stärker quillt als der Inhalt; die Scheide muss sich eng an die Muskelprismen an- legen, mögen sie gequollen sein oder nicht. An solchen Essig- säurepräparaten habe ich die Beobachtung gemacht, dass, wenn die Fibrillen zerbrechen, der Bruch sowohl durch die Neben- wie durch die Hauptlinien gehen kann (Fig. 8). An frischen Präparaten kann man dasselbe sehen, doch ist hier die Beob- achtung unvergleichlich schwieriger. Die eben von den Arthropodenmuskeln beschriebenen Er- scheinungen zeigen sich auch an den Muskeln der Wirbelthiere, nur hat es mir bisher nicht gelingen wollen, leere Fibrillen- scheiden darzustellen. Der Beobachtung setzt hier aber die Kleinheit der Verhältnisse Schwierigkeiten entgegen, die nicht von allen Autoren überwunden worden sind. Ich erinnere an die von Hensen im Juli 1870 versendete Photographie von Muskeln des Branchiostoma. Hensen will mit dieser Pho- tographie seine Mittelscheibe beweisen, welche der Lage nach der von mir oben beschriebenen Nebenlinie entspricht; aber das Präparat war nicht scharf genug eingestellt, und die Be- leuchtung für den grössten Theil des Präparates eine schiefe, so dass man an fast allen sarcous elements auf der einen Seite ein helles Licht, auf der anderen einen breiten Schatten sieht. Durch die vereinigte Wirkung der unscharfen Einstel- lung und der schiefen Beleuchtung gehen die Feinheiten, um die es sich hier handelt, vollständig verloren.!) 1) Hinsichtlich der schiefen Beleuchtung des photographischen Präparates will ich noch bemerken, dass sie wahrscheinlich dadurch bedingt war, dass das Object nicht genau senkrecht zur Richtung des Lichtes orientirt war. Hensen selbst erklärt auch in dem Begleit- schreiben, dass die Muskelplatte nicht eben ausgebreitet war, und die sehr wechselnde Schärfe, welche die einzelnen Abschnitte des Präpa- rates im Bilde zeigen, deutet auf eine wellenförmige Lagerung der Muskelplatte. Nur eine Stelle der Photographie ist hinreichend scharf, um eine Andeutung von den oben beschriebenen Erscheinungen zu geben. Diese Stelle liegt neben dem dreieckigen Spalt, in welchem (in dem Exemplar des Berliner Anatom. Instituts) die Buchstaben q, ın, z stehen. Wenn man die Photographie so stellt, dass dieser Spalt OL Beiträge zur Kenntniss der quergestreiften Muskelfasern. 439 Fassen wir die Resultate der bisherigen Untersuchung kurz zusammen, so ergiebt sich, dass man an den Fibrillen von Ar- thropodenmuskeln structurlose Scheide und Inhalt unterscheiden kann, dass der Inhalt in einzelne gleichwerthige Abschnitte zerfällt, Muskel- oder Fleischprismen, welche durch eine hell umsäumte dunkle Linie (Hauptlinie) von einander getrennt werden und selber noch durch ähnliche, meist weniger scharf gezeichnete Linien in zwei, ja auch in drei Unterabtheilungen zerfallen können. Die hellen Säume scheinen mir in Ueberein- stimmung mit Heppner Lichtreflexe zu sein; die dunkeln Li- nien sind entweder der optische Ausdruck der an einander srenzenden Seiten der Prismen oder einer Zwischensubstanz von unbekannter Natur, die zwar mit ihrem Rande an der Scheide der Fibrille haften kann, aber nicht als Fortsetzung der Scheide in das Lumen derselben betrachtet werden darf. Wir sehen also an der Fibrille einzelne Theile in reihenweiser Aneinanderlagerung sich stets wiederholen und durch eine ge- meinsame Scheide zu einer Einheit zusammengefasst werden, und sonach ist die Fibrille als Formelement der Mus- kelfaser aufzufassen. Ueber die Entwickelung der quergestreiften Muskeln der Arthropoden habe ich keine Beobachtungen angestellt; dagegen kann ich Mittheilungen über dasjenige Gewebe der Siphono- phoren machen, welches von den Autoren allgemein für mus- culös angesprochen worden ist. An der Innenfläche der Schwimmglocken und der Mäntel der Genitalkapseln der Si- phonophoren sind bekanntlich flache, schmale Bänder ausge- breitet, welche quer zur Längsachse der Glocken verlaufen und sowohl Längs- wie Querstreifung zeigen. Diese Bänder bilden eine zusammenhängende Membran, welche noch, mit einer äus- links vom Centrum liegt, so findet sich links davon eine etwas hel- lere Stelle von etwa 1% Cm.T), welche ausser den von Hensen er- wähnten dunkeln Linien auch die oben beschriebenen Reflexe zeigt; aber auch diese Stelle ist nicht scharf genug eingestellt, um das, was man an Arthropodenmuskeln mit so leichter Mühe sehen kann, hier in gewünschter Deutlichkeit zu zeigen. 440 Dr. W. Dönitz: serst dünnen, kaum wahrnehmbaren Epithellage bekleidet, an den Schwimmglocken saumartig über den Rand der Glocke hinausragt und wie ein central durchbohrtes Diaphragma die Glockenmündung verengt. Die Quer- und Längsstreifung erin- nert sofort an quergestreifte Muskelfasern, und alle Autoren, welche diese Bänder gesehen haben, fassen sie als solche auf. Nun sind wir aber gewöhnt, einerseits das Sarcolemm als integrirenden Bestandtheil des Primitivmuskelbündels zu betrachten, andererseits Muskeln nur da anzunehmen, wo sich auch Nerven finden, welche die Muskelthätigkeit regeln; und so fragt es sich, erstens, ob die Anwesenheit von Sarcolemm und Nerv nöthig ist, um den Stempel der quergestreiften Mus- kelfaser einem quergestreiften Gebilde aufzudrücken, welches, soweit die Beobachtungen reichen, ebenso functionirt, wie ein quergestreifter Muskel; und zweitens, ob Sarcolemm und Nerv auch bei Sahonophöreh vorkommen. Hinsichtlich des Sarcolemms ist zu erwägen, dass es zunächst nichts ist als eine Scheide, welche ein Bündel Fibril- len einschliesst. Bei höheren Thieren besteht diese Scheide aus Bindesubstanz und characterisirt sich gerade dadurch als etwas Accessorisches, als etwas, das von aussen zu dem Bün- del Fibrillen hinzutritt und diese zusammenhält wie das Peri- mysium den ganzen Muskel. Wenn wir also das Sarcolemm in dieser Weise als Scheide auffassen, so ist es gleichgültig, ob diese von Bindesubstanz oder einem anderen Gewebe gebildet wird. Sehen wir nun darauf hin die Schwimmpolypen an, so finden wir, dass die fragliche contractile Membran an der In- nenfläche der Schwimmglocken und ihres Randsaumes zunächst in Bänder zerfällt, welche quer um die Glocke herumziehen und ohne Ende in sich selbst zurückkehren. Diese Bänder, welche Längs- und Querstreifung zeigen, lassen sich unter gün- stigen Umständen in quergestreifte Längsfasern zerlegen (Fig. 9 an den Rändern); sie sind durch eine Zwischensubstanz ge- trennt, die sich am leichtesten erkennen lässt, wenn die con- tractile Substanz der Bänder an irgend einer Stelle verletzt ist und sich von der Rissstelle zurückzieht. ‚Diese trennenden Leisten scheinen in directem Zusammenhange mit der Stütz- Beiträge zur Kenntniss der quergestreiften Muskelfasern. 44] lamelle zu stehen, auf welcher die Bänder unmittelbar auflie- gen. Ob diese Zwischensubstanz aber scheidenförmig die Bän- der einschliesst, nach Art eines Sarcolemms, das konnte ich an meinen Präparaten nicht entscheiden, da ich es versäumt habe, Querschnitte anzufertigen. Wenn daher Jemand darauf besteht, dass das Sarcolemm als integrirender Bestandtheil des Primitiv- muskelbündels aufgefasst werde, so muss ich zugeben, dass die sogenannten quergestreiften Muskelfasern der Siphonophoren noch nicht hinreichend untersucht sind, um diesen Punkt er- ledigen zu können, obgleich das notorische Auftreten einer Zwischensubstanz zwischen den einander berührenden Kanten der Bänder allein schon als Analogon des Sarcolemms aufge- fasst werden kann. Was den anderen Punkt betrifft, wonach Muskelfasern nicht ohne Nerv gedacht werden können, so ist es mir al- lerdings nicht möglich gewesen, weder peripherische Nerven noch ein nervöses Centralorgan bei Siphonophoren aufzufinden; wobei ich bemerke, dass ich nur frische, lebendige Thiere un- tersucht und mich der Anwendung von Reagentien enthalten habe. Ich habe aber am Rande der Schwimmglocken einiger Siphonophoren Organe gefunden, welche man nach der ge- wöhnlichen Anschauungsweise für Sinnesorgane, und zwar für Augen halten wird (Fig. 10), Es sind dies bläschenför- mige Gebilde, welche über die Oberfläche hervorragen, auf ih- rem Gipfel einen rothen oder gelben Pigmentfleck tragen, und welche einen kugligen Körper umschliessen. Letzterer würde nach der gebräuchlichen Anschauungsweise als Linse zu be- zeichnen sein. Diese Organe entsprechen durchaus gewissen Randkörpern der Quallen, welche man für Sinnesorgane er- klärte, lange bevor man von den Nerven dieser Thiere sprach, und somit werden wir mit derselben Berechtigung auch die von mir aufgefundenen Randorgane der Siphonophoren für Sinnes- organe, eventuell für Augen halten dürfen. Damit sind wir aber vor die Alternative gestellt, entweder anzunehmen, dass die Siphonophoren Nerven besitzen, die man noch nicht hat entdecken können; oder dass es Thiere giebt, welche zwar Sinnesorgane, aber kein Nervensystem besitzen. Wäre Letzte- A442 Dr. W. Dönitz: res der Fall, so würde man sich eben so wohl Muskeln ohne Nerven denken können, während wir im ersten Falle sofort aus aller Verlegenheit wären. Ich glaube hiermit die Bedenken, welche sich gegen die Auffassung der gestreiften Bänder als Muskelfasern erheben können, hinreichend klar dargelegt zu haben, und will nur noch hinzufügen, dass es schwer hält, sie nicht für museulös zu hal- ten, wenn man den unaufhörlichen und rapiden Wechsel von energischer Contraction und ausgiebiger Erschlaffung beobachtet hat. Ich gehe nun, worum es mir hauptsächlich zu thun ist, auf die Entwickelung dieser Bänder ein, mögen sie für Muskeln gehalten werden oder nicht. An Physophoriden, bei welchen ein fortwährender ‘ Nachwuchs junger Schwimmglocken stattfindet, lässt sich die Entwickelung der quergestreiften Bänder sehr leicht beobach- ten. Fig. 11 zeigt drei verschiedene Entwickelungsstufen von Schwimmstücken von Agalmopsis Sarsıi. Die mittlere Glocke, welche man im Profil sieht, lässt deutlich erkennen, dass die beiden äusseren Schichten a und b sich nach innen umschlagen, und dass innerhalb der Schicht a ein Hohlraum d sich zu bilden beginnt, der sich später nach aussen öffnet und das Lumen der Glocke darstellt. Die Canäle e und ec‘ sind Verlängerungen des allgemeinen Hohlraums des ganzen Indivi- duenstocks. Sie sind, was man in der vorliegenden Zeichnung wegen der angewendeten schwachen Vergrösserung nicht unter- scheiden kann, von einem Epithel ausgekleidet und erscheinen wie Ausgrabungen innerhalb der hyalinen hier nicht unter- scheidbaren Stützlamelle. Aus der Zeichnung wird es klar, dass die Auskleidung der Innenwand der Glocke von den bei- den äusseren Belegschichten der Stützlamelle, a und b, gelie- fert wird, entgegen den Angaben anderer Autoren. Die tiefere Schicht b’ ist es nun, aus welcher sich die contractile querge- streifte Membran herausbildet. Untersucht man diese Schicht in einem etwas späteren Stadium, so findet man sie aus grossen Zellen zusammengesetzt, welche in die Länge wachsen, sich zu quer verlaufenden Bändern anordnen und vermittelst fingerför- miger Fortsätze unter einander verflechten (Fig. 12 und 13). Beiträge zur Kenntniss der quergestreiften Muskelfasern. 443 Während der Inhalt dieser Zellen anfänglich feinkörnig er- scheint, tritt später eine zuerst nicht ganz regelmässig erschei- nende Längs- und Querstreifung in ihnen auf. Der Kern ist in diesem Stadium noch mit grosser Deutlichkeit zu erkennen. Später verschwindet er, die Zellen verschmelzen, aus einer Reihe Zellen geht ein Band hervor, welches die oben beschrie- bene Textur zeigt und in quergestreifte fibrilläre Bestandtheile zerlegt werden kann. Lässt man die oben ausgesprochenen Bedenken gegen die Auffassung dieser Bänder als Muskelfasern fallen, so hat man an den jungen Schwimmglocken der Physophoriden eine aus- gezeichnete Reihe von Entwickelungsstadien der quergestreiften Muskelfaser. Man wird sich aber vorstellen können, dass es noch einen einfacheren Modus der Muskelbildung giebt, dass nämlich aus einer einzigen Zelle ein, wenn auch kurzes Mus- kelprimitivbündel entstehen kann. In unserem Falle verschmel- zen ganze Reihen von Zellen unter einander, weil der Umfang der Glocke zu gross ist, um durch eine einzige Zelle umspannt zu werden. | Die mitgetheilten Beobachtungen können also nur in dem Falle massgebend für die Entwickelung der Muskelfasern sein, wenn man die gestreiften Bänder für Muskelfasern gelten lässt. Unter allen Umständen stellen sie Differenzirungen in der Aus- senschicht des Siphonophorenkörpers dar, in welcher allein das die Bewegung vermittelnde Gewebe gelegen ist; und es scheint, als ob wir an den Siphonophoren alle Uebergänge von con- tractiler Substanz zu wohl differenzirten, quergestreiften Muskel- fasern haben. Am Stamm des Individuenstocks kann man nämlich eine Schicht langer, diekwandiger Röhren isoliren, welche auch unmittelbar auf der Stützlamelle liegen. In ge- wissen Abständen, und zwar bei allen Röhren auf gleicher Höhe, finden sich kuglige Gebilde, von welchen es unentschie- den bleiben muss, ob sie Vacuolen oder solide Körper darstel- len (Fig. 14). Sie haben Aehnlichkeit mit den kugligen und ovalen Gebilden, welche man im Inneren der quergestreiften, von einer Scheide umschlossenen röhrenförmigen Muskeln älte- rer Salpen findet (Fig. 16), während an Embryonen von Sal- A444 ; Dr. W. Dönitz: pen die Muskelröhren, welche zwar schon die Längs-, aber noch nicht die Querstreifung aufweisen, schöne, deutliche Kerne im Lumen der Röhre enthalten (Fig. 15). Ebenso also wie bei Salpen -die Kerne zu Grunde gehen und in den centralen Kör- pern Spuren ihrer Existenz zurücklassen, wird man annehmen können, dass hier die regelmässig vertheilten bläschenförmigen Gebilde die Reste von früher vorhandenen Zellkernen darstel- len. Junge Siphonophoren bekam ich zu selten in die Hände, als dass ich Gelegenheit gehabt hätte zu untersuchen, in wel- cher Weise sich die Schicht der contractilen Röhren entwickelt. Bei der Untersuchung der Tentakel der Schwimmpolypen ist es mir nicht gelungen, eine besonders differenzirte contrac- tile Schicht nachzuweisen. Ich fand dort nur ein Gewebe, welches alle Charactere der protozootischen Substanz besitzt Aber auch an der:Aussenfläche der Schwimmglocken findet sich diese Substanz, und entwickelt sogar in der Nähe der oben be- schriebenen Randkörper grosse, dicke Pseudopodien (Fig. 10 b), welche als Tastorgane betrachtet werden können, da ich nur einen Wechsel der Form, niemals des Ortes an ihnen bemer- ken konnte. An der Wurzel dieser Pseudopodien fanden sich kleine Vacuolen in der contractilen Substanz. Somit sehen wir, dass in ein und derselben Schicht des Siphonophorenkörpers die protozootische Substanz weitere Differenzirungen durchma- chen oder sich in dieser Beziehung indifferent verhalten kann. Tritt Differenzirung ein, so entwickelt sich ein Gewebe, wel- ches das Bewegungsorgan des betrelienden Abschnittes des In- dividuenstocks darstellt; und dieses Gewebe kann einerseits den röhrenförmigen Bau der Musculatur der Salpen oder der Wür- mer annehmen, andererseits die quergestreifte Muskelfaser hö- herer Thiere in so täuschender Weise nachahmen, dass es schwer hält, sie nicht für Muskeln zu halten. Weitere Unter- suchungen müssen entscheiden, ob die oben beigebrachten Be- denken gegen die Auffassung dieses Gewebes als Muskelfasern gerechtfertigt sind. Jedenfalls finden sich Umänderungen der protozootischen Substanz, welche zu weiteren Differenzirungen Veranlassung geben können, wie wir an dem Auftreten der tentakelartigen Pseudopodien erkennen. So lange die proto- I dr N Beiträge zur Kenntniss der quergestreiften Muskelfasern. 445 zootische Substanz keine Umwandlungen eingeht, versieht sie eine ganze Reihe von Functionen zugleich. Sobald aber einmal auch nur eine Differenzirung mit Rücksicht auf eine bestimmte Function, wie die der Ortsbewegung, eingetreten ist, werden leicht andere folgen. Vielleicht führen die beigebrachten Thatsachen dahin, den ‚Begriff der Muskelfaser, der bisher immer nur ein sehr vager und mehr physiologisch als morphologisch gefasster war, eini- germassen zu modifieiren, oder zur Entdeckung neuer Organi- sationsverhältnisse der Schwimmpolypen zu führen, wie sie auch mir schon den Weg gezeigt haben zur Auffindung der Randkörper und der tasterartigen Pseudopodien. Erklärung der Abbildungen. Figur 1. Astacus fluviatilis. Seheerenmuskeln. Die Fi- brillen zeigen sich als Röhren, deren Inhalt zum Theil verschoben ist Die Muskelprismen sind durch helle Querlinien von einander getrennt und zerfallen selber durch das Auftreten zweier weniger hellen Li- nien je in drei Unterabtheilungen. Bei 825facher Vergrösserung ge- zeichnet. Fig. 2. Musca domestica. Zwei Fibrillen, an denen dunkle, hell gesäumte Hauptlinien die Muskelprismen von einander trennen. Aehnliche, nur schwächer angedeutete Linien theilen jedes Muskel- prisma in zwei Abschnitte. Fig. 2—8 sind bei 450facher Vergrösserung gezeichnet. Fig. 3. Idem. Die Fibrille ist am oberen Ende verschmälert und in die Länge gezogen. Die einzelnen Abschnitte haben Sand- uhrform. Fig. 4 Id. Andere Art der sanduhrförmig gedehnten Abschnitte der Fibrille. Fig. 5 Id. Die Fibrille ist am unteren Ende geknickt, woselbst die Nebenlinien die Charaktere der Hauptlinien annehmen. Fig. 6. Id. Die Knickung findet nur in den Hauptlinien Statt. Fig. 7. Id, Schiefe Beleuchtung des Objectes, wodurch Interfe” renzlinien entstehen. Fig. 8. Id. Das Präparat ist mit Essigsäure behandelt, die Fi- brille aufgequollen und in einer Nebenlinie durchgebrochen. Fig. 9. Hippopodius luteus. Abschnitt der contraetilen’ Membran von dem Saum einer Schwimmglocke. Man erkennt die hier ausnahmsweise unregelmässig angeordneten Bänder und deren "Zerfall in quergestreifte Fibrillen. Vergr. Gundlach 1/6, 446 Dr. W. Dönitz: Beiträge zur Kenntniss u.s. w. Fig. 10. Praya diphyes. Rand einer Schwimmglocke. An der Anheftungsstelle des irisförmigen Saumes (c) finden sich bläschen- förmige Randkörper (a), welche ein kugliges Gebilde einschliessen und an ihrer freien Fläche mit einem rothen Pigmentfleck besetzt sind. Zwei tasterartige Pseudopodien in verschiedenen Contractionszuständen (b) sitzen am freien Rande in der Gegend, wo der Randcanal (d) ver- läuft. Vergr. Gundl. 1/5. Fig. 11. Agalmopsis Sarsii. Drei in der Entwickelung be- findliche Schwimmstücke. Die Schichten a und b bilden den äusse- ren Beleg der Stützlamelle und setzen sich continuirlich in das In- nere der Glocke fort, deren sich bildenden Hohlraum (d) sie als Wand auskleiden. Aus der Schicht b‘ entwickelt sich die gestreifte Mem- bran (Muskelhaut). e und c’ radiäre Canäle. Vergr. Gundl. 1/4. Fig. 12. Apolemia contorta. Ein Stück der gestreiften Membran einer jungen Schwimmglocke. Die Zellen haben schon Längs- und Querstreifung und lassen noch den Kern erkennen. Gundl. 1/6. Fig. 13. Forskalia Edwardsii. Wie Fig. 12. Die Zellen sind durch Druck auf das Präparat aus einander gedrängt worden. Vergr. Gundl. 1/6, Fig, 14. Rhizophysa filiformis. Röhrenförmige Längsfasern aus dem Stamm des Individuenstocks, mit stellenweise eingestreuten Aggregaten kugliger Gebilde. Gundl. 1/6. Fig. 15. Salpa maxima, Embryo. Junge, längsgestreifte Mus- kelfaser mit einer Reihe central gelagerter Kerne. Gundl. 1/6. Fig. 16. Salpe. Zwei durchschnittene, quergestreifte, röhren- förmige Muskelfasern, in der Contraction. Der Inhalt der Röhren be- steht aus Körnchen und Kügelchen. Gundl. 1/6. F. Bidder: Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven u. 5.w. 447 Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven und Hemmungscentren. Von F. BIDDER ın DoRPAT. Die vorstehende Aufschrift weist im Voraus darauf hin, dass es sich auf den folgenden Seiten nicht um Mittheilung neuer Erfahrungen, sondern nur um Verständigung über Ergeb- nisse früherer Beobachtungen und die dabei einzuhaltenden Gesichtspunkte handeln wird. Je rascher die empirischen Thatsachen, wie in anderen Theilen der Physiologie, so auch in Bezug auf das genannte Gebiet, an Zahl und Bedeutung zu- genommen haben, um so mehr macht sich das Verlangen gel- 'tend, die gewonnene Einsicht als gesicherten Besitz zu regi- striren, und vielleicht dürfte das, was zunächst nur zur Befrie- digung subjectiven Bedürfnisses versucht wurde, auch für wei- tere Kreise einiges Interesse haben. Das Wesentliche der Lehre von den Hemmungsnerven lässt sich gegenwärtig wohl in den Satz zusammenfassen, dass es Nervenelemente giebt, deren Erregungszustände, bei regelmäs- siger Fortleitung innerhalb des Nervensystems, an den End- punkten solcher Leitung nicht vermehrte Actionen auslösen, namentlich Muskelzusammenziehungen hervorrufen oder steigern, sondern dieselben vielmehr herabsetzen oder gänzlich unter- drücken. In dieser Fassung, nach welcher die Fortleitung der hemmenden Impulse mit Rücksicht auf das cerebrospinale Cen- 448 FE Bidder: trum sowohl in centripetaler wie centrifugaler Richtung ge- schehen kann, und der hemmende Vorgang nicht in den mus- culösen Gebilden selbst, sondern in nervösen Heerden vor sich geht, dürfte diese Lehre gegenwärtig kaum noch auf irgend einer Seite ernstlichen Widerspruch finden. Hat doch von den wenigen Gegnern, welche sie von ihrem ersten Erscheinen an gehabt hat, einer der lebhaftesten neuerdings erklärt (Schiff in-Moleschott’s Untersuch. Bd. X, S. 97 ff.), dass er „die Hemmung durch die Nerven“ durchaus nicht leugne, ja sogar für sich das Verdienst in Anspruch nehme, als allgemein ver- breitete Folge energischer Thätigkeit sensibler Nerven eine „Reflexhemmung“ zuerst dargethan zu haben; dass er nur be- streite, dass „Hemmungsnerven* — wobei Schiff centrifugale Nerven im Sinne hat — bisher nachgewiesen seien. Die weit- aus überwiegende Mehrzahl selbstständiger Beobachter hat da- gegen in den bezüglichen Erfahrungen nicht bloss unzweideu- tige Beweise von Hemmungswirkungen erblickt, sondern auch nicht daran gezweifelt, dass, wo Nerven als Vermittler hem- mender Wirkungen nachgewiesen werden können, sie den Na- men Hemmungsnerven verdienen, gleichviel in welcher Rich- tung sie ihre Erregungszustände fortpflanzen, auf welchen am Ende ihrer Leitungsbahn stattfindenden Einrichtungen und Vor- gängen ihre hemmende Wirkung beruhe, und welche änderwei- tigen Leistungen ihnen ausserdem etwa obliegen, Für die Un- terscheidung von Nervenfasern aber, deren ausschliessliche Auf- gabe es ist, hemmende Wirkungen zu vermitteln, und die da- her im eigentlichsten Sinne Hemmungsnerven genannt werden müssen, dürften die neueren Erfahrungen über den Fortbestand gewisser centrifugaler Hemmungswirkungen bei curarisirten Thieren, deren cerebrospinale motorische Fasern durchaus wir- kungslos geworden sind, und über das zeitige Verschwinden solcher Wirkungen in atropinisirten Geschöpfen, deren übrige Nervenleistungen gar keine Veränderungen erlitten zu haben scheinen (S. Keuch el, das Atropin und die Hemmungsnerven, Diss., Dorpat 1868), die entscheidendsten Gründe liefern. In der That handelt es sich daher gegenwärtig nicht sowohl um fernere und gesichertere Beweise für die Existenz besonderer aa a zu Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven u. s. w. 449 Hemmungsnerven oder von anderen Nerven ausgehender Hem- mungswirkungen, als vielmehr um die nähere Feststellung der Bedingungen dieser eigenthümlichen Erscheinungen, mit deren Erkenntniss eines der fruchtbarsten Gebiete der neueren Ner- venphysiologie erschlossen worden ist. Da gegenwärtig der Satz festgestellt erscheint, dass die in den erregten Nerven stattfindenden Molecularveränderungen überall identisch sind, welches auch die Natur des die Erregung bedingenden Reizes und die schliesslich ausgelöste Endleistung des erregten Nerven sei, so wird man den Grund der eigen- thümlichen Wirkungen der Hemmungsnerven nicht in specifi- schen Qualitäten der sie zusammensetzenden Nervenfasern, auch nicht in Besonderheiten der Impulse, durch die sie zu ihrer Thätigkeit angeregt werden, sondern lediglich in den Einrich- tungen suchen dürfen, mit denen ihr peripherisches Ende aus- gestattet ist. In Betreff dieses Punktes haben bekanntlich schon die Ur- heber der Lehre von den Hemmungswirkungen, die Gebrüder E. H. und Ed. Weber, wahrscheinlich gemacht, dass die fraglichen Nerven nicht unmittelbar zu denjenigen Muskeln sich begeben, deren Contractionen sie zu zügeln vermögen, son- dern dass sie zunächst in Nervencentra eintreten, von denen die bezüglichen Muskeln regiert werden. Eben daher bezieht sich diese Hemmung auch niemals auf einzelne Muskeln, son- dern immer auf grössere oder kleinere Gruppen contractiler Gebilde. Solche Centralorgane für Muskelgruppen, die zu ei- ner Gesammtleistung combinirt werden sollen, liegen in Form von Nervenzellenhaufen theils in dem cerebrospinalen Centrum eingebettet, theils im peripherischen Nervensystem eingelagert. Die Bedeutung dieser Nervencentren für die Hemmungswirkun- gen wird von physiologischer Seite wohl auf's Entschiedenste dargethan durch die Beziehungen des N. laryngeus superior zu den Athembewegungen, da diese Beziehungen ohne Theilnahme des Centrums der Athembewegungen in der Medulla oblongata gar nicht denkbar sind. Ebenso kann der centripetalleitende N. depressor die Herabsetzung des Blutdrucks selbstverständ- lich nicht anders bewirken, als indem er zunächst gewisse Hirn- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 99 450 F. Bidder: theile, und zwar das Centrum für die Gefässmusculatur, afficirt. Aber auch von anatomischer Seite ist wenigstens der Anfang gemacht worden, die Endigungsweise der im gewöhnlichen Sinn centrifugal zu nennenden Hemmungsnervenfasern in den zuge- hörigen Ganglien nachzuweisen. Ich habe von diesem Gesichts- punkte aus die Endigung der Rami glandulares aus dem N. lin- gualis des Hundes, die Herzzweige des Vagus beim Frosch, die NN. splanchnici bei mehreren Säugern zum Gegenstande eingehender experimenteller und mikroskopischer Studien ge- macht (S. dieses Archiv, 1867 und 1868, S. 1, 1869, S. 472). Obgleich dieselben von einem definitiven Abschluss noch weit entfernt geblieben sind, so haben sie doch unzweideutig darge- than, dass die Hemmungsfasern der genannten Nerven nicht über die bezüglichen Ganglien hinausgehen, sondern schon in diesen selbst ihr Ende erreichen müssen. Sie haben ferner, wenigstens für die Ganglien des Froschherzens, in hohem Grade wahrscheinlich gemacht, dass die in neuester Zeit viel besprochene Spiralfaser an gewissen im Bereiche des Sympa- thicus vorkommenden Ganglienzellen Anspruch darauf machen dürfe, als Ende der Hemmungsnervenbahn betrachtet zu wer- den. Endigen aber die Hemmungsnerven in Ganglien, also in Gebilden, die im Gegensatz zu den bloss leitenden Nervenfasern als Centra bezeichnet werden müssen, so dürfen alle Hem- mungsnerven als centripetalleitende angesehen werden, oder als intercentrale, und alle Hemmungswirkungen lassen sich dem- nach als Reflexhemmung betrachten. — Wie die in Bezug auf das cerebrospinale Centrum centripetal zu nennenden Hem- mungsfasern, z. B. des Laryngeus superior, des Depressor, in dem Centrum sich verhalten, in welchen eigenthümlichen ana- tomischen Beziehungen sie etwa zu denjenigen Hirnzellen ste- hen, auf welche sie hemmend einzuwirken bestimmt sind, da- rüber fehlt es bisher noch an jeglicher Angabe, ja selbst an dem Versuche, eine solche zu erlangen. Mit der Ermittelung der Endigungsweise der Hemmungs- fasern an den betreffenden Nervenzellen ist indessen selbstver- ständlich noch keine Einsicht in die Art ihrer Wirkung ge- wonnen. In dieser Beziehung hatte Volkmann (Hämodyna- Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven u.s.w.. 451 mik, Leipzig, 1850, S. 407) bei Erörterung der Wirkung des gereizten Vagus auf die Nervencentra des Herzens, als näch- sten Grund des hierauf folgenden diastolischen Herzstillstandes — des bekannten Ausgangspunktes aller späteren Untersuchun- gen über Hemmungsnerven — eine „veränderte Stimmung“ dieser gangliösen Centra bezeichnet. Dieser Ausdruck war al- lerdings keine Erklärung der Erscheinung, er war nur eine Umschreibung der Thatsache; aber er präjudieirte nichts, er liess allen näheren Definitionen des Herganges freien Raum, ja es lag eben deshalb in ihm eine Aufforderung zur Ausfüllung einer höchst fühlbaren Lücke in dem Verständniss der Hem- mungswirkungen. Dieses Verständniss scheint nun in zwiefacher Richtung gesucht werden zu können: die Hemmungsfasern bringen in den Nervenzellen, zu welchen sie sich begeben, ent- weder physikalische oder chemische Veränderungen hervor. Die in den letztverflossenen Jahren mit eben so grossem Erfolg als Eifer aufgenommenen Studien über die Wirkungen der Nervina und namentlich der sogenannten Herzgifte, lassen es wohl kaum zweifelhaft, dass wir es hierbei mit Erscheinungen zu thun ha- ben, die auf chemischer Grundlage ruhen. Wenn wenige Tropfen einer Atropin- oder Muscarinlösung subeutan injieirt oder direct ins Blut gebracht, schon nach wenigen Minuten die Enden der Hemmungsnerven des Herzens vollkommen zu läh- men, oder gegentheils zu gesteigerter Leistung anzuregen ver- mögen, so muss dieser Erfolg auf einer chemischen Bindung der genannten Mittel zunächst durch die genannten Nervenap- parate, und auf einer eben hierdurch bedingten Veränderung der Leistungsfähigkeit dieser letzteren beruhen. Genauere An- gaben hierüber sind jedoch nicht allein im Augenblicke nicht zu machen, sondern werden auch ein Desiderat bleiben müs- sen, so lange es nicht gelingt, Nervenzellen und die von ihnen ausgehenden oder auf ihnen endenden nackten Axencylinder isolirt von einander und frei von jeglicher Zuthat anderer Ge- websbestandtheile in einer zur chemischen Analyse hinreichen- den Menge sich zu verschaffen. Nur wenn auf solchem Wege sowohl die normale Constitution dieser Theile, als auch die durch verschiedene Nervina bedingten Alterationen derselben 29” 452 F. Bidder: dereinst bekannt werden sollten (S. Buchheim in E. Wag- ner’s Archiv der Heilkunde, Bd. XI, S. 209), wird es gelin- gen, über allgemeine Betrachtungen und Formulirung von De- siderien hinauszukommen. Die Versuche, die Hemmungswirkungen auf physikalischem Wege zu erklären, sind bisher kaum glücklicher gewesen: man hat gesagt, die Erregung der Hemmungsfasern bringe in den betreffenden Ganglienkörpern „Widerstände“ hervor, die die Auslösung der von letzteren ausgehenden Bewegungsimpulse er- schweren ober verhindern. Namentlich v. Bezold hat diese Ausdrucksweise bei der Wirkung des Vagus auf das Herzner- vencentrum einzuführen gesucht, und man ist ihm darin in Be- zug auf andere Hemmungsnerven vielfach gefolgt. Doch auch diese Ausdrucksweise bringt uns dem Verständniss des Hem- mungsvorganges um keinen Schritt näher, denn die Frage, was diesen Widerstand bedinge, worin er bestehe, wie er zur Wir- kung komme, bleibt völlig unbeantwortet, und der Versuch, ein Unbekauntes durch ein anderes Unbekanntes zu erklären, ist trotz des physikalischen Anstrichs nicht höher zu stellen als die alte Weise, durch Annahme von lebendigen Kräften alle Räthsel der Physiologie endgültig zu erledigen. In gewissem Sinne befriedigender scheint es allerdings mit derjenigen physikalischen Hypothese zu stehen, die E. Oyon über den Hemmungsvorgang aufgestellt hat (Bulletins de l’Acad. Imp. des Sciences de St. Petersb. 1871, Tom. XVI, pag. 112). Anknüpfend nämlich an die von Bernstein (Pflüger’s Ar- chiv, I, 1868, S. 173; Centralbl. 1868, Nr. 39, S. 611; dess. Un- tersuchungen über d. Erregungsvorgang im Nerven- und Muskel- system, Heidelberg. 1871) mitgetheilten Untersuchungen über den inneren Vorgang und die Fortpflanzuug der Erregung in den Nerven, und an die Bezeichnung „Reizwelle* für die gleich- zeitig in Erregung befindliche Nervenstrecke, glaubte Cyon, wie bei jeder wellenförmigen Bewegung, so auch in den erreg- ten Nervenfasern Interferenzen von Wellen annehmen zu dür- fen. Die Aufhebung der in einer Ganglienkugel vor sich ge- henden, entweder autonom oder durch eine eintretende exeiti- rende Faser bedingten „Bewegung“ durch die Erregung einer Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven u. S. w. 453 sogenannten hemmenden Faser, wird darnach einer Interferenz dieser beiden an die Ganglienkugel herantretenden wellenför- migen Bewegungen zugeschrieben. Die Vorrichtungen an den Enden der hemmenden Fasern, durch deren Vermittelung solche Interferenzen bedingt werden, glaubt Oyon in der Lage der Eintrittsstellen dieser Fasern im Verhältniss zu der Austritts- stelle der abgehenden oder motorischen Faser suchen zu dür- fen und vermuthet, dass die hemmende Function einer Faser nur durch den Winkel bedingt werde, den diese Faser beim Eintritt in die Ganglienzelle sowohl mit der eintretenden erre- genden wie mit der austretenden motorischen Faser bilde. Cyon bezeichnet seine Ansicht allerdings nur als hypothetisch, will jedoch aus derselben für die Histologie neue Aufgaben herlei- ten, und macht hierfür auch den Umstand geltend, dass nach den bisherigen Erfahrungen der Mikroskopie die Annahme be- sonderer „Apparate“ an der Eintrittsstelle der hemmenden Fa- sern unwahrscheinlich sei. Dagegen dürfte jedoch zu bemer- ken sein, dass die von Cyon vermuthete „Vorrichtung“ doch ebensowohl ein Apparat genannt werden müsste, wie etwa die Endigungsweise der Spiralfaser an der Ganglienzelle, und dass der Verf. überdies nicht im Stande gewesen ist, anzugeben, welches anatomische Lagerungsverhältniss, welcher Winkel zwi- schen den in Rede stehenden Nervenfasern denn wohl als Be- stätigung seiner Hypothese würde angesehen werden dürfen. Der Appell an die Histologie hätte doch wohl von einem sol- chen Hinweise begleitet sein sollen; und beim Mangel dessel- ben wird die Histologie schwerlich Veranlassung finden, der an sie gerichteten Aufforderung Folge zu leisten. — Ich kann da- her nicht umhin, zu wiederholen, dass man auch gegenwärtig noch über die „veränderte Stimmung“ oder „Umstimmung“ der Nervenzellen bei der Hemmungswirkung nicht hinausgekommen ist, und dass die „vermehrten Widerstände“ oder die „Inter- ferenzerscheinungen“ ein befriedigendes Verständniss des Her- ganges weder bisher geliefert haben noch auch für die nächste Zukunft in Aussicht stellen. Ausser den eigentlichen Hemmungsnerven, deren Erregungs- zustände überall und unter allen Umständen aus anderen Ur- 454 F. Bidder: sachen hervorgegangene Bewegungen aufheben, die nur in die- ser Richtung sich wirksam erweisen, und von denen anderwei- tige Leistungen bisher nicht bekannt geworden sind, — giebt es andere Nerven, die nur unter gewissen, gelegentlich ein- tretenden Bedingungen hemmende Wirkungen ausüben, beim Fehlen derselben jedoch ebenfalls nur Bahnen zu unverkürzter Fortpflanzung von Erregungen und zu Auslösung neuer Actionen darstellen. Schon längst kannte man die wechselnde Füllung der Blutgefässe verschiedener Körperbezirke in Gemüthsaffecten, also in Erregungszuständen des Gehirns. Man konnte nicht anstehen, diese Erscheinungen als Beleg für die Abhängigkeit der Gefässmusculatur von dem Gehirn anzusehen. Die experi- mentellen Beweise dafür brachte indessen erst die Neuzeit durch die Arbeiten von Ludwig und Thiry (Berichte der Wiener Akad. d. Wiss. Mathemat.-physikal. Classe, Bd. 44, S. 345), in deren weiterem Verfolg es sich zeigte, dass viele, vielleicht alle sensibeln Nerven bei Fortleitung ihrer Erregung zum Ge- hirn bald eine Erregung der Gefässmusculatur und dadurch Steigerung des Blutdrucks, bald eine Depression der Gefäss- nerven und in Folge dessen Sinken des Blutdrucks herbeiführen können. Analog war die ebenfalls schon längst bekannte, aber auch erst neuerdings in die präcise Form experimenteller Er- fahrungen eingekleidete Thatsache, dass Erregungszustände des Gehirns und dahin zielende Reizung sensibler Nerven die Re- flexfunetionen- des Rückenmarks und die hierdurch bedingten Bewegungen zu hemmen vermögen. Es scheinen demnach alle sensiblen Nerven unter Umständen hemmende Wirkungen ver- mitteln, also zu Hemmungsnerven werden zu können, und E. Cyon hat a. o.a.0. den Beweis zu liefern gesucht, dass der verschiedene E:folg der Reizung sensibler Nerven aufs Gefäss- system davon abhängig sei, ob die Erregung derselben Schmerz- empfindungen hervorrufe, also die Grosshirnlappen erreiche oder nicht. Sind nämlich die Grosshirnlappen abgetragen, oder durch narkotische Mittel, am besten Chloral, ausser Thätigkeit gesetzt, so bringt die Reizung sensibler Nerven immer nur Ge- fässerweiterung, also reflectorische Lähmung, d.h. Hemmung der Vasomotoren hervor, während im Gegentheil eine Erregung Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven u. s. w. 455 der letzteren die regelmässige Folge der in dem unversehrten Versuchsthier bis zum Grosshirn fortgeleiteten Reizung sein soll. Wird also die Erregung der sensiblen Faser unterhalb der Grosshirnlappen durch Vermittelung von Hirnzellen auf die va- somotorische Nervenfaser übertragen, so wird letztere gehemmt; geht die Uebertragung dagegen innerhalb jener Lappen vor sich, so werden die Gefässnerven erregt. Auch diesen wech- selnden Erfolg, und ihn ganz besonders, glaubt Cyon von In- terferenzerscheinungen ableiten zu dürfen, die von der Endi- gung der Nervenfasern in den Zellen bedingt seien. Gewiss ist diese Endigungs- oder Ursprungsweise der Nervenfasern an den Ganglienzellen für die Leistungen beider Gebilde von Be- deutung, und das Schicksal der Hemmungsfasern in den Cen- tren, zu welchen sie sich verfolgen lassen, — seien dieselben im Gehirn oder in peripherischen Ganglien belegen — ein überaus wichtiger Gegenstand der mikroskopischen Forschung. So lange indessen nicht a priori angegeben werden kann, wel- cher Winkel zwischen Anfang oder Ende von Nervenfasern an den Zellen es sei, vou dem die supponirten Interferenzerschei- nungen dedueirt werden dürften, wird von der Histologie der empirische Nachweis dieses Winkels auch nicht zu verlangen oder zu erwarten sein. 5 Während diejenigen hemmenden Nervenfasern, die im ge- wöhnlichen Sinne des Worts centripetalleitende sind — mag die Hemmung ihre beständige und alleinige, z. B. N. depressor, N. laryng. sup., oder nur unter gelegentlichen. Bedingungen hervortretende Leistung sein — die Impulse zu ihrer Action von ihrem peripherischen Ende her empfangen, müssen die centrifugalen Hemmungsnerven den Antrieb zu ihrer Thätigkeit vielmehr von demjenigen Nervencentrum erhalten, von welchem sie — der üblichen anatomischen Darstellung nach — ent- springen. In Berücksichtigung dieses Verhältnisses hat man daher volles Recht, von „Hemmungscentren* zu sprechen, gleichviel ob diese Centren zur Entsendung der von ihnen aus- gehenden Impulse durch in ihnen selbst liegende Bedingungen oder durch Zuleitung von Aussen kommender Erregungen be- stimmt werden. Die von ihnen ausgehenden Hemmungsfasern 456 F. Bidder: liegen aber entweder in der Bahn peripherischer Nerven, z. B. die Hemmungsnervenfasern des Herzens in der Bahn des Va- gus, die Hemmungsfasern der Darmperistaltik in der Bahn des Splanchnicus u. s. w., oder sie gehen, in dem cerebrospinalen Centrum verbleibend, zu anderen, ebendaselbst gelegenen Cen- tren, deren Actionen sie inhibiren sollen, wie die Hemmungs- fasern für die Reflexthätigkeit des Rückenmarks (Setschenow, physiologische Studien etc., Berlin, 1863). Schon oben wurde bemerkt, dass bei der Gleichartigkeit der Erregungsvorgänge in allen Nerven die Vorstellung zurückgewiesen werden müsse, als sei die eigenthümliche Wirkung der Hemmungsnerven ab- zuleiten von einer Besonderheit der Impulse, die sie von ihren centralen Ursprungsstellen empfangen. Dies muss um so ent- schiedener geschehen, wenn man erwägt, dass jeder sensible Nerv, von welchem Reiz er auch getroffen sein mag, wenn die dadurch gesetzte Erregung nur den hinreichenden Grad erreicht, Hemmungswirkungen hervorzurufen vermag. Die Hemmungs- centra haben also nur eine anatomische und keineswegs eine physiologische Bedeutung. Es ist daher auch kaum zu billigen, wenn sie mit dem Namen „Hemmungsmechanismen“ bezeichnet werden, weil daran die Vorstellung geknüpft werden müsste, es sei das Wesen des Hemmungsvorganges als eines rein me- chanischen bereits vollständig erkannt, und es sei an diejenigen Stellen, von denen die hemmenden Fasern entspringen, geknüpft. Nun hat aber das Dunkel, das den Hemmungsvorgang verhüllt, durch irgend welche darauf gerichtete Hypothese, wie bemerkt, noch immer nicht erhellt werden können, und überdies findet die Hemmung nicht da Statt, wo die Hemmungsfasern ent- springen und wo die vermeintlichen Hemmungsmechanismen statuirt werden, sondern an dem entgegengesetzten Ende der fraglichen Fasern. Das sogenannte Hemmungscentrum hat also mit dem Hemmungsvorgange direct nichts zu thun. Allerdings hat man in einem Falle Hemmungscentren an demselben Orte angenommen, wo die Hemmung wirklich erfolgt: dies ist in Bezug auf die Sistirung der rhythmischen Herzbewegungen ge- schehen. Auch hier jedoch haben mancherlei Missverständnisse Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven u. Ss. w 457 obgewaltet, deren Beseitigung wichtig genug erscheint, um ihr eine ausführlichere Auseinandersetzung zu widmen, Es hat lange gewährt, bis die Physiologie zu der Erkennt- niss gelangte, dass der wesentliche Grund der rhythmischen Actionen des Herzens nicht in Einflüssen zu suchen sei, die von Aussen her an das Herz herantreten (Blut — Impulse der Centraltheile des animalen Nervensystems), dass derselbe viel- mehr in der Masse des Herzens selbstäliege, und zwar nicht. in der eigenthümlichen Reizbarkeit seiner Musculatur, sondern in den im Herzfleisch eingebetteten Anhäufungen von Ganglien- zellen. A. W. Volkmann war es vor Allen, der sowohl die Bedeutung nervöser Centralorgane für die combinirte Thätigkeit von Muskelgruppen ins rechte Licht stellte, als auch das Cen- trum der rhythmischen Herzbewegungen mit überzeugender Klarheit nachwies (R. Wagner’s Handwörterbuch, Bd. II, 1844, S. 479; J. Müller’s Arch. 1844, $. 423; Hämodynamik, 1850, S. 369 ff.). Zwar hat es nicht gefehlt an Stimmen — und sie haben sich bis in die jüngste Zeit vernehmen lassen — die von dieser Bedeutung der Herzganglien nichts wissen wollen, die die bezügliche Lehre als unwissenschaftlich, unbegründet, mys- tisch, ja sogar als „dem Hause deutscher Wissenschaft unan- gemessen“ bezeichnen (Schiff in Jenaische Annalen für Phy- siol. u. Med. Bd. II, 1851, S. 315), und keine einzige Thatsache gelten lassen, aus der die selbstständige Thätigkeit irgend eines Ganglions gefolgert werden könnte (Ders. in Moleschott’s Unters. Bd. X, 1867, S. 423). Der Urheber dieser Aussprüche giebt zu (Arch. f. physiol. Heilkunde, Bd. VIII, 1849, S. 488), dass das Centralnervensystem den Grund der eigenthümlichen Form, des Typus und Rhythmus der Herzbewegungen nicht enthalte, dass von ihm auch die Anregung zum Herzschlage nicht ausgehe, dass der Grund des letzteren eben so wenig in der Reizbarkeit des Herzmuskels gesucht werden könne, — und tritt dennoch der Ansicht entgegen, dass dem Herzen ein eigenthümliches, sich selbst erregendes und coordinirendes Ner- vensystem zukomme. Er zieht der Annahme eines solchen Centrums, von dem die ins Herzfleisch sich einsenkenden Ner- venfasern ausgehen, die Meinung vor, der äusserste periphe- 458 F. Bidder: rische Theil der motorischen, vom Vagus hergegebenen Herz- nerven vermöge sich, trotz der Ertödtung der bezüglichen Va- gusfasern durch Ausreissen des Accessorius aus dem Foramen jugulare lebender Thiere, intact und thätig zu erhalten, und weist damit zugleich die bekannte, von ihm selbst einst mit grosser Entschiedenheit betonte Thatsache (ebendas., Bd. XI, 1852, S. 149) zurück, dass nach Vernichtung eines Nerven- stammes die Degeneration seiner Primitivfasern bis auf die letzten Enden derselben sich erstrecke. Eine solche Polemik vermochte denn auch nicht den sieghaften Fortschritt der be- kämpften Ansicht aufzuhalten, und die Ganglien des Herzens haben als Centra seiner rhythmischen Actionen ihren festen und gesicherten Platz im Lehrsystem der Physiologie errungen. Nur untergeordnete Seiten dieser Frage sind gegenwärtig noch Gegenstand der Discussion, die besonders auf das in anatomi- scher wie physiologischer Hinsicht am vollständigsten unter- suchte Froschherz sich bezieht. Ob nämlich die verschiedenen in diesem Herzen nachweisbaren Ganglienanhäufungen in ihrer Gesammtheit die rhythmischen Zusammenziehungen des Organs bedingen, oder ob der hinreichende Grund der letzteren nur einigen dieser Ganglienmassen zuzuschreiben, und den anderen Zellenanhäufungen auch andere Leistungen für das Leben des Herzens anzuweisen seien, das hat wenig Bedeutung gegenüber der Thatsache, dass der wesentliche Grund des Herzrhythmus in den Herzganglien selbst liege und nicht ausserhalb des Or- gans zu suchen sei. Eben so wenig wird der Kern dieser An- gelegenheit von der Frage berührt, ob die Herzganglien wirk- lich automatisch sind, oder ob sie zur Behauptung ihrer eigen- thümlichen Reizbarkeit noch anderer Einwirkungen und na- mentlich des Blutes bedürfen. Denn es kann nimmer davon die Rede sein, dass in dem lebenden Organismus irgend einer seiner Theile von dem Einfluss der anderen völlig losgelöst sei, und ohne erneuerte Blutzufuhr sich dauernd zu behaupten vermöge. Kein Organ aber vermag nach Trennung aller seiner Verbindungen den eigenthümlichen Typus seiner Thätigkeit so lange festzuhalten als das Herz, daher immerhin von einem automatischen Bewegungscentrum desselben geredet werden darf. a a Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven u. s.w. © 459 An dem Herzen wurde auch zuerst die Wirkung der Hem- mungsnerven ermittelt, ihre Endigung in den Herzganglien wahrscheinlich gemacht, und die Med. oblong. als ihr anatomi- sches Centrum nachgewiesen. Die Hemmung fand hier also in den Herzganglien Statt. Die Reizung gewisser in den Stamm des Vagus eingeschlossener Fasern musste in diesen Ganglien Veränderungen hervorrufen, die die von ihnen ausgehenden Im- pulse zu rhythmischen Contractionen des Herzfleisches mässig- ten oder gänzlich aufhoben. Es war a priori gar kein Grund zu der Annahme vorhanden, dass bei diesem Erfolge andere Nervenzellen ins Spiel kommen als diejenigen, die die rhyth- mische Thätigkeit des Herzens bestimmen, dass etwa besondere Zellen, in die die Hemmungsfasern eintreten, ein Hemmungs- centrum des Herzens bilden. Dennoch wurde auch diese Vor- . stellung bald darauf Gegenstand der Erörterung. Stannius nämlich glaubte nach seinen bekannten Ligaturversuchen am Froschherzen (Müll. Arch. 1852, S. 92), obgleich er selbst die Deutung derselben als schwierig bezeichnete, doch die Existenz zweier nervöser Oentralorgane des Herzens annehmen zu müs- sen, die ganz verschiedener Natur seien, indem das eine die Contractionen des Herzens zu fördern, das andere sie zu hem- men scheine. Bei den zahlreichen Wiederholungen dieser Ver- suche, deren Erfolge nicht überall übereinstimmten, und daher auch zu verschiedener Deutung Veranlassung gaben, fehlte es ebenfalls nicht an Erfahrungen, die auf einen von dem Bewe- gungsapparat getrennten Hemmungsapparat im Froschherzen bezogen wurden. So glaubte Heidenhain (Müll. Arch. 1858, S. 479) zwei solche räumlich von einander getrennte Centra annehmen zu müssen, so zwar, dass die hemmenden Kräfte vorwiegend im oberen Theil des Herzens an der Sinusgrenze vertreten seien, die bewegenden dagegen mehr gegen den Ven- trikel hin liegen. Auch Ludwig (Lehrb. d. Physiol. 1861, Bd. II, S. 98) leitet die Ruhe sowohl wie die Zuckung des Herzens von einer im Herzen stattfindenden Erregung ab, und ist eben- falls der Meinung, dass beide Erregungscentra an räumlich ge- trennte Organe geknüpft seien. Ebenso Bezold (Virch. Arch. 1858, Bd. XIV, S. 282), nur dass er im Gegensatz zu Hei- 460 F. Bidder: denhain die bewegenden Kräfte an den Sinus und in die Atrioventrieularganglien, die hemmenden in die Vorhöfe ver- setzt. Auch Ozermak (Centralblatt f. d. med. Wiss. 1863, S. 881) glaubt aus dem Umstande, dass die Haupterscheinungen der Stannius’schen Ligaturversuche an Froschherzen, deren Vagus durch grössere Dosen Curare völlig gelähmt worden, eben so gut hervorgerufen werden können als bei ganz unver- änderter Wirksamkeit dieses Nerven (was übrigens auch schon Bezold bemerkt hatte, a. a. O. S. 293 $ 6), schliessen zu dür- fen, dass ein besonderer Hemmungsapparat im Herzen selbst existirt, der, wenn auch nicht durch die vergifteten Vagi, doch durch directe mechanische Reizung erregt werden könne. In- dessen giebt Czermak selbst zu, dass auch durch seine Er- fahrungen die Existenz eines besonderen Hemmungsapparates im Froschherzen noch nicht unzweideutig bewiesen sei. Und in der That hat gerade die jüngste Zeit, nach Ermittelung der specifischen Beziehungen des Atropins zu den Hemmungsner- ven, in dem ganz ungestörten Erfolge der Stannius’schen Versuche bei atropinisirten Fröschen den Beweis dafür finden dürfen, dass der Herzstillstand in diesen Versuchen nicht durch eine Erregung von Hemmungsvorrichtungen bedingt werde (Schmiedeberg in: Berichte der k. sächs. Gesellsch. d. Wiss. math.-phys. Classe, Juni 1870, S. 139). Schon vorher hatte übrigens Goltz (Virch. Arch. 1861, Bd. 21, 8. 191 u. Bd. 26, S. 1) nach Wiederholung und eingehender Erörterung der Stannius’schen Versuche die Ueberzeugung ausgesprochen, dass die Umschnürung des Herzens mit einer Ligatur, oder die Durchschneidung desselben mit einem quetschenden Schee- renschnitt, nicht durch mechanische Reizung eines Hemmungs- apparates den Herzstillstand erzeuge; dass letzterer vielmehr eintrete, weil durch die genannten Eingriffe eine Abtrennung mehr oder weniger grosser Herzpartien von dem Punkte, der ihre Zusammenziehungen veranlasst, herbeigeführt werde; „eine lebendige Thätigkeit lässt nach oder hört auf, wenn ihre Ur- sache zu wirken aufhört, die Ruhe wird erklärt durch das Aus- bleiben der Thätigkeitsursachen.* Zu demselben Resultat ge- angtel auch Gregory (Beiträge zur Physiol. der Herzbewegung a a 5 Da nen Harn Dr en a ee Ze Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven u. s. w. 461 beim Frosch, Diss. Dorp. 1865), dessen Versuche deshalb be- sonderer Beachtung werth sind, weil sie durchgehends mit nachfolgender anatomischer Untersuchung verbunden wurden, um die durch die Ligatur gesetzte Trennung der bekannten Ganglienmassen des Froschherzens mit den physiologischen Er- folgen dieses Eingriffs zu vergleichen. Nach diesen Erfahrun- ‘ gen durfte daher mit Bestimmtheit ausgesprochen werden (8. dieses Arch. 1866, S. 21), dass der vorübergehende Stillstand gewisser Herzpartien durch eine um die Sinusgrenze gelegte Ligstur nicht Folge von Irritation eines Hemmungsapparates, sondern nur Resultat der unterbrochenen Einwirkung einiger oberhalb der Ligatur gelegenen Ganglienmassen auf die unter- halb derselben befindlichen Muskelbündel sei. Nichtsdestoweniger ist in jüngster Zeit auf Grund höchst interessanter Versuche über die Wirkung verschiedener Gifte auf das Froschherz die frühere Ansicht von der Existenz be- sonderer Hemmungscentra in demselben wiederum, wenngleich in modificirter Form, in die Physiologie eingeführt worden. Der von Schmiedeberg und Koppe (Das Muscarin, das giftige Alcaloid des Fliegenpilzes etc., Leipzig 1869) entdeckte merkwürdige Gegensatz in den Beziehungen des Muscarins und Atropins zu den in der Bahn des Vagus verlaufenden Hem- mungsfasern der Herzactionen gab dem erstgenannten Forscher Veranlassung, auch andere Herzgifte in derselben Richtung zu prüfen. Indem Schmiedeberg sich hierbei zunächst dem Nicotin zuwandte, fand er (Truhart, ein Beitrag zur Nicotin- wirkung, Diss. Dorp. 1869, S. 55, und Schmiedeberg, Be- richte der math.-phys. Cl. d. sächs. Ges. d. Wiss., 1870, S. 130), dass dieses Gift, in kleinen Gaben von !/, bis !/; Mgrm. Frö- schen subeutan injicirt, im ersten Stadium seiner Wirkung ganz wie das Muscarin die Vagusendigung im Herzen erregt, und einen freilich nur I—2 Min. anhaltenden diastolischen Herz- stillstand hervorruft, der nach vorausgehender Lähmung der Hemmungsvorrichtungen durch Atropin ausbleibt. Nach grös- seren Gaben von Nicotin dagegen tritt ohne vorausgehende Er- regung der Hemmungsfasern sofort eine Lähmung derselben ein, so dass alsdann auch nach Anwendung der stärksten elek- 462 F. Bidder: trischen Reizung vom Vagus aus keine hemmende Wirkung aufs Herz mehr hervorgebracht werden kann. Grössere Dosen von Nicotin wirken also scheinbar ganz ebenso wie das Atro- . pin auf das Herz. “Dennoch findet zwischen beiden Giften ein wichtiger Unterschied Statt. Auf das vorher atropinisirte Herz äussert das Muscarin gar keine sichtbare Einwirkung mehr; das nicotinisirte dagegen wird nach Beibringung von Muscarin dennoch zum Stillstande gebracht, der dauernd ist und-durch Atropin sich wieder aufheben lässt; das nicotinisirte Herz ver- hält sich also dem Muscarin gegenüber wie ein normales. Da- raus folgt mit Nothwendigkeit, dass durch das Nieotin andere Theile des Vagus gelähmt sein müssen, als durch das Atropin, und zwar, da am nicotinisirten Herzen nicht durch elektrische Reizung des Vagusstammes, wohl aber durch Muscarin ein dia- stolischer Herzstillstand erzeugt werden kann, so müssen die durch das Nicotin alterirten Nervengebilde dem Stamm des Va- gus näher liegen, als die durch Atropin ausser Thätigkeit ge- setzten. Damit stimmt überein, dass am nicotinisirten Herzen wie durch Muscarin so auch durch elektrische Reizung, wenn dieselbe nicht am Vagusstamm, sondern am Venensinus ange- bracht wird, Herzstillstand hervorgerufen werden kann; im letz- teren Fall nämlich werden wahrscheinlich die äussersten — vom Nicotin unberührt gelassenen — Endigungen des Vagus von dem elektrischen Reiz getroffen. Schmiedeberg schliesst aus diesen Erfahrungen, dass die „eigentlichen Hemmungsvor- richtungen“ im Herzen durch das Nicotin nicht gelähmt wer- den, dass vielmehr nur vor jenen Vorrichtungen liegende Theile unerregbar werden, und dadurch die Zuleitung der Erregungen vom Stamm des Vagus her unterbrechen. Diese vom Nicotin alterirten Theile könnten entweder im Stamm des Vagus ver- laufende Hemmungsfasern selbst, oder sowohl von diesen wie von jenen eigentlichen Hemmungsvorrichtungen, auf welche das Atropin wirkt, verschiedene Gebilde sein. Schmiedeberg erklärt sich für das letztere, da die Hemmungsfasern selbst von dem Gifte nicht alterirt zu werden scheinen. Die im Stamm des Froschvagus neben den Hemmungsfasern verlaufenden Be- schleunigungsfasern nämlich — von denen sogleich noch näher al har N aaa Ara EEE nn ln he einen Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven u. Ss, w, 463 die Rede sein wird, werden auch nach grossen Gaben von Ni- eotin nicht gelähmt. Dasselbe ist bei der gleichen Beschaffen- heit sämmtlicher Nervenfasern um so mehr auch von den Hem- mungsfasern anzunehmen, als directe Application nicotinhaltigen Serums auf den freipräparirten Vagus die hemmende Wirkung dieses Nerven bei elektrischer Reizung desselben durchaus nicht beeinträchtigt. Schmiedeberg meint daher, diese vom Ni- eotin getroffenen Gebilde, die sowohl von den „Nervenfasern“ als von den „Hemmungsvorrichtungen“ verschieden seien, im Gegensatz zu den letzteren, die er als „Endapparate“ bezeich- net, als „Zwischenapparate“ betrachten zu können, die den Zu- | sammenhang der letzteren mit den Hemmungsfasern des Vagus vermitteln. Der „Endapparat“ des Vagus ist es demnach, des- sen Erregung durch Muscarin oder elektrische Einwirkung Stillstand des Herzens bewirkt und demnach den „Hemmungs- apparat“ darstellt, dessen Lähmung durch Atropin dagegen der Hemmungswirkung für immer ein Ende macht. Der „Zwischen- apparat“ oder die „Endausbreitung* der Nerven ist die von dem Nicotin unerregbar gemachte Strecke, durch deren Aus- scheiden wohl die Fortleitung der galvanischen Reizung zum Endapparat gehindert, die Affection des letzteren aber durch unmittelbare Application der Elektroden an den Sinus oder durch Muscarin nicht gestört wird. Bis hierher wird man der angegebenen Deutung der Er- fahrungen Schmiedeberg’s, auch wenn man mit der in An- . wendung gebrachten Terminologie nicht einverstanden sein sollte, unbedenklich sich anschliessen dürfen; den weiteren Fol- gerungen aber muss vom histologischen Standpunkt aus wohl eben so entschieden entgegengetreten werden. Hinsichtlich der Natur des „hemmenden Endapparates“ erklärt sich nämlich Schmiedeberg für die Aunahme gangliöser Elemente, und zwar unter Berufung auf die bereits von Bezold vorgebrach- ten Gründe, dass der Vagus nicht unmittelbar auf die Herz- musculatur wirke, sondern nur „vermittelst gangliöser Ele- mente“ seine hemmende Wirkung ausübe Schmiedeberg meint also, dass der von ihm so genannte Hemmungsapparat oder Endapparat des Vagus gewisse gangliöse Elemente aus- 464 F. Bidder: schliesslich für sich in Anspruch nehme, so dass man neben dem aus Ganglien bestehenden Centrum für die rhythmischen Bewegungen noch ein anderes, ebenfalls gangliöses „Hemmungs- centrum“ annehmen müsse. Dies ist jedoch keineswegs der Sinn der ersten auch heute noch’ festzuhaltenden Angaben und Erklärungen über die Hemmungswirkung des Vagus auf das Herz. Ed. Weber sagt vielmehr (R. Wagner’s Handwörterb. Ba. III, Abthl. II, 1846, S. 47), dass der hemmende Einfluss der N. vagi auf die Herzbewegung nicht unmittelbar auf die Muskelfasern, sondern zunächst „auf diejenigen Nerveneinrich- tungen einwirke, von denen die Herzbewegungen ausgehen.“ Ebenso sieht Volkmann (Hämodynamik, 1850, S. 407), nach- dem er die Wirkung des Vagus aufs Herz als einen ferne- ren Beleg für die Anwesenheit eines Centralorgans im Herzen hervorgehoben, sich zu der Annahme genöthigt, dass der ge- reizte Vagus auf „eben diese Nervencentra des Herzens“ wirke. Auch Bezold (a. o.a. O. S. 308, $ 5) spricht, ohne besondere Ganglien für die Hemmungsfasern in Anspruch zu nehmen, nur von der Endigung der Herzäste des Vagus in Ganglien. In der That ist ja auch ganz unleugbar, dass, wenn die rhythmischen Bewegungen des Herzens von einem nervösen Centralorgan re- giert werden, eine Aendereng des Rhythmus oder ein völliges Aussetzen dieser Bewegungen eine Einwirkung auf jenes Cen- tralorgan zur unabweislichen Voraussetzung hat. Die Hem- mungsfasern im Stamm des Vagus müssen demnach mit dem gangliösen Centrum der Herzbewegungen in Verbindung ste- hen; die oben erwähnte Ausbreitung jener Nervenfasern auf diesen Ganglienzellen ist es also, die den Endapparat für die hemmenden Wirkungen bildet, und es liegt gar kein Grund vor, für letztere ein anderes Oentralorgan zu suchen, andere Nervenzellen als ausschliessliche Träger oder Vermittler der- selben zu betrachten. Die Bezeichnungen „Endapparate“* und „Endausbreitung“ für verschiedene Strecken im Verlauf der Hemmungsfasern scheinen mir daher nicht glücklich gewählt zu sein, um so weniger als von dem letzteren, d.h. dem vom Neiotin betroffenen „Zwischenapparate* auch Schmiedeberg Ba Mn ZN 22 Zu tg sch DE a RE a Ze Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven u. s. w. 465 glaubt annehmen zu dürfen, dass er in seinen Eigenschaften den Nervenfasern nahe stehe. Schmiedeberg hat aber weiter noch ein drittes Nerven- centrum im Froschherzen angenommen. An dem atropinisirten wie nicotinisirten Herzen erhält man nämlich (S. Keuchel und Truhart in ihren oben ceitirten Diss.) bei elektrischer Reizung des Vagus nicht nur keine Verminderung der Zahl der Herzschläge, sondern in allen Fällen eine Steigerung derselben Dies deutet auf die Anwesenheit von Beschleunigungsfasern, die beim Frosch im Stamm des Vagus verlaufen. Bei Reizung des normalen Froschvagus wird keine Beschleunigung der Herz- schläge hervorgebracht, weil die in demselben Stamm liegenden Hemmungsfasern gleichzeitig erregt werden, und ihre Wirkung offenbar überwiegt. Auch von der Endigungsweise dieser be- schleunigenden Fasern hält nun Schmiedeberg für wahr- scheinlich, dass sie mit Ganglienzellen in Verbindung stehen, die jedoch mit den „Hemmungsganglien“ nicht identisch sein können, weil letztere durch das Atropin gelähmt werden. Ich kann hierbei nicht umhin, zu bemerken, dass die vorher doch nur als hypothetisch bezeichneten „Hemmungsganglien“, und die eben daher nicht minder hypothetische Lähmung gerade dieser Elemente durch Atropin, so wie die ebenfalls nur ver- muthungsweise auf sie bezogene Immunität gegen Nicotin wohl nicht als Beweismittel für weitergehende Folgerungen in Betreff der Beschleunigungsfasern gelten dürfte. — Schmiedeberg glaubt ferner auch die Annahme zurückweisen zu müssen, dass die Beschleunigungsfasern mit solchen Ganglien in directe Ver- bindung treten, von welchen die rhythmischen Bewegungen des Herzens „vielleicht“ abhängen, weil bei directer Reizung des . atropinisirten Herzens keine längere Periode der latenten Rei- zung der Beschleunigung der Herzcontractionen vorausgehe. Abgesehen von anderen Schwierigkeiten, die mir in dieser Ar- gumentation zu liegen scheinen, will ich nur daran erinnern, dass, wenn von den gangliösen Oentralorganen für die rhythmi- schen Bewegungen des Herzens hier in zweifelnder Weise ge- sprochen wird, die Sicherheit, mit welcher vorher der „Hem- mungsganglien“* Erwähnung geschah, wohl noch weniger ge- Reichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 30 466 F. Bidder: rechtfertigt erscheinen muss. Aber auch die Bedeutung der latenten Reizung für die Beurtheilung der getroffenen anatomi- schen Gebilde scheint mir noch nicht hinreichend gesichert zu sein. Bei graphischer Darstellung des zeitlichen Verlaufs der Reizung der Beschleunigungsfasern findet sich, dass ihnen eine Periode der latenten Reizung von mehreren Secunden voraus- geht, und andererseits eine Nachwirkung folgt, die bis 1% Min. dauert. Schmiedeberg sagt nun, diese lang dauernde Nach- wirkung und latente Reizung sind bisher im Gebiete der Ner- venphysiologie ohne Analogie. Diess dürfte für jetzt eine doch wohl zu weit gehende Aeusserung sein. Vom sympathischen Nervensystem, zu welchem die von Ganglien ausgehenden oder in Ganglien eintretenden Herznerven doch gezählt werden müssen, ist Analoges vielmehr schon längst bekannt. Schon J. Müller (Handbuch der Physiol. 1834, Bd. I, S. 711 und gleichlautend in der 4. Auflage 1844, Bd. I, S. 632) hebt her- vor, dass die Zusammenziehungen der Organe, die vom Nerv. sympathicus abhängen, auf Reizung ihrer selbst oder ihrer Ner- ven nichtvorübergehend und momentan, sondern länger dauernde Contractionen seien, daher die Reaction gegen den Reiz hier entschieden länger dauere als die Einwirkung des Reizes selbst. Aehnlich äussert sich Ed. Weber in seinem bekannten Arti- kel „Muskelbewegung* in R. Wagner’s Handwörterbuch, Bd. III. Abtheil. II, S. 23. und die gleichen Erfahrungen hatte in jener Zeit wohl jeder experimentirende Physiolog gemacht, obgleich exacte Messungen dieser Latenz sowohl, als der Nach- wirkungen einer Reizung damals noch nicht angestellt wurden. Unzweifelhaft jedoch handelte es sich hierbei nicht blos um wenige Secunden oder gar nur Bruchtheile derselben, sondern um weit längere Zeiträume, Ja auch Schmiedeberg selbst erkennt solche Nachwirkung als allgemeine Eigenthümlichkeit des sympathischen Systems an, wenn er a. a. OÖ. 3. 139 sagt, dass die lange Dauer der Nachwirkung der Beschleunigungs- fasern es wahrscheinlich mache, dass sie mit Ganglienzellen in Verbindung stehen. Nachdem aber Helmholtz in seinen denkwürdigen Ver- suchen zuerst die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nerven- EL MANN Nr 1 Fe re, ur NE N Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven u. s. w. 467 reizung gemessen und den zeitlichen Verlauf der dadurch bewirk- ten Muskelzusammenziehung graphisch darzustellen gelehrt hatte, hatte sich sogleich ergeben, dass auch bei Reizung eines cere- brospinalen Nerven durch einen momentanen elektrischen Schlag eine kurze Zeit vergeht. während welcher die elastische Span- nung des bezüglichen Muskels sich nicht ändert — latente Rei- zung — dann allmälig zu einem Maximum ansteigt, um ebenso allmählig niederzusinken — Nachwirkung (Dieses Archiv, 1850, S. 363, Tab. VII, Fig. 3 und 1852, S. 211, Tab. VII, Fig. 4—7).- Eine Eigenthümlichkeit ohne Analogie ist also diese Nachwirkung der Acceleratiosfasern sicherlich nicht, da sie eine in allen gereizten Nerven, obgleich in verschiedenem Grade zu Tage tretende Erscheinung ist. Wenn aber die in dem Frosch- vagus enthaltenen Beschleunigungsfasern des Herzens in den betreffenden Experimenten eine ausserordentlich lange Periode der latenten Reizung und eine noch längere Dauer der Nach- wirkung darbieten, so macht doch schon Schmiedeberg selbst (a. a. O. S. 138) darauf aufmerksam, dass die Hemmungsfasern vielleicht ähnliche Verhältnisse zeigen würden, wenn man sie reizen könnte, ohne gleichzeitig die beschleunigenden Fasern zu reizen. Diese Vermuthung erscheint um so gerechtfertigter, wenn man sich daran erinnert, dass schon im Jahre 1850 ver- öffentlichte Beobachtungen von Ludwig und Hoffa (Zeitschr. f. rationelle Medicin, Bd. 9, S. 126) eine durch Hemmung sich äussernde Nachwirkung der elektrischen Vagusreizung am Säugethierherzen „selbst bis 3 Minuten“ nach Entfernung der Poldräthe hervorheben. Mir scheint es daher, dass, um Diffe- renzen, die bei Messungsversuchen der oben angedeuteten Art auftreten, in die Form eines durchgreifenden Gesetzes einzu- kleiden, weit zahlreichere Bestimmungen als bisher gewonnen, von denselben Nerven desselben Thieres, unter möglichst glei- chen Bedingungen rücksichtlich der vorausgeschickten operati- ven Eingriffe, der Vergiftung, der Einwirkung höherer Tempe- ratur u. s. w., der Untersuchung müssten zu Grunde gelegt werden können. Wie dem auch sei, so glaubt Schmiedeberg dem Ange- führten gemäss im Froschherzen drei verschiedene mit ganz 30* 468 F. Bidder: differenten Leistungen betraute Gruppen von Ganglienzellen annehmen zn müssen: Ganglienzellen, von denen die rhythmi- schen Bewegungen abhängen, ferner Hemmungsganglien und endlich Ganglien, mit denen die beschleunigenden Fasern in Verbindung stehen, also Beschleunigungsganglien. Dieselbe noch eigenthümlicher geartete Vorstellung kehrt auch in der an Schmiedeberg’s Untersuchungen vielfach sich anschliessenden Arbeit von Böhm (Studien über Herzgifte, Würzburg 1871) wieder. Es heisst $S. 95 ausdrücklich, das Froschherz besitze Hemmungscentra und exeitomotorische Centra; es werden beide automatische Centra vom Gehirn aus durch centrifugale Ner- venfasern erregt, und die Endigungen dieser Vagusfasern seien mit den genannten Centren nicht identisch, vielmehr müssten Verbindungsstücke angenommen werden, durch welche die Va- gusendigungen mit den die automatischen Centra zusammen- setzenden Ganglienzellen in Communication stehen. Hiernach begeben sich also auch die Hemmungsfasern des Froschvagus nicht direct zu den vermeintlichen Hemmungscentren, sondern selbst bier sollen noch besondere Verbindungsmittel eingeschal- tet sein. Böhms Deutung seiner Versuche hat durch diese eben so complieirten als unnöthigen Annahmen in Betreff der Nerven des Froschherzens an Klarheit wohl nicht gewonnen. — Wenn nun aber Schmiedeberg itber Lagerung und ander- weitige anatomische Beziehungen der von ihm unterschiedenen Nervenzellenarten, sowie über das Verhältniss dieser von ihm gemachten Annahmen zu den bisherigen Ergebnissen der Histo- logie der Nerven des Froschherzens, sich jeder Aeusserung ent- hält, so kann ich dagegen die Ueberzeugung nicht zurückhal- ten, dass die interessanten Erfahrungen, aus denen jene An- sichten hervorgegangen sind, eine andere als die vom Verfasser vorgeschlagene Deutung gestatten oder gar erfordern. Sie lassen sich ungezwungen in Einklang bringen mit derjenigen Vor- stellung über die Anordnung der Nerven des Froschherzens, die aus den früher an demselben gemachten Erfahrungen über die Hemmungswirkungen schon von Ed. Weber und A. W. Volkmann dedueirt waren. Ein anschauliches Schema hat $etschenow gelegentlich gegeben (Physiol. Studien über die Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven u, 5. w. 469 Reflexmechanismen, Berlin 1863, S. 45). Hiernach gehen die aus dem Hemmungscentrum in dem oben erörterten anatomi- schen Sinn entspringenden Fasern — und das Gleiche darf auch für die Beschleunigungsfasern statuirt werden — direct in Ner- venzellen über, welche die sogenannten automatischen Herz- bewegungen hervorrufen, und zu solchem Zweck die für das Herzfleisch selbst bestimmten Nervenfasern entsenden. Die von diesen Zellen ausgehenden Bewegungsimpulse können also durch die von aussen unmittelbar an sie herantretenden Nervenfasern alterirt werden. Die äussersten Enden der Hemmungsfasern in oder auf den bezüglichen Ganglienzellen bilden den „End- apparat“, der von dem Atropin und Muscarin in entgegenge- setzter Weise afficirt werden kann, während der von dem Ni- cotin leitungsunfähig gemachte Theil der Hemmungsfasern, Schmiedeberg’s Zwischenapparat oder Endausbreitung, eine oberhalb dieses Endes belegene Strecke derselben sein muss, die durch chemische Eigenthümlichkeiten ausgezeichnet ist. Besondere Hemmungsganglien kommen hiernach ganz in Weg- fall. Die Beschleunigungsganglien sind demselben Schicksal zu überlassen. Denn dass die Beschleunigungsfasern nicht in Hemmungsganglien endigen können, deren Existenz in Abrede gestellt wird, ist allerdings selbstverständlich. Die Unmöglich- keit dagegen, sie in die gangliösen Centra der rhythmischen Be- wegungen direct eintreten zu lassen, ist durch die bisherigen Erfahrungen keineswegs dargethan. Vielmehr erscheint die Annahme als die natürlichste, dass die Beschleunigungsfasern, da sie den Rhythmus der Herzbewegungen zu ändern vermö- gen, auch mit dem Centrum dieser Bewegungen in Zusammen- hang stehen, und dass, so lange keine unwiderleglichen Gründe dagegen geltend gemacht werden können, dieser Zusammen- hang als ein unmittelbarer und directer bezeichnet werde. Ich glaube, daher von der Bedeutung der Herznerven des Frosches die Vorstellung festhalten zu dürfen, dass die zahl- reichen und weithin über Sinus, Vorhöfe, Septum und Kam- mer (?) verbreiteten Ganglienzellenansammlungen, alle ohne Ausnahme, jedoch in graduell verschiedener Weise, als Centra der rhythmischen Bewegungen anzusehen sind (Dieses Archiv 470 F. Bidder: 1866, S. 21), dass von ihnen Fasern in das Herzfleisch entsen- det werden, die durch die Ganglien nicht nur zu einheitlicher Wirkung combinirt, sondern auch in dieser Wirkung gezügelt oder zu ihr angetrieben werden können. Dies geschieht durch die an die Ganglien herantretenden Hemmungs- und Beschleu- nigungsfasern (S. M. und E. Cyon im Centralblatt für die mediein. Wissensch. 1866, Nr. 51, und in diesem Archiv 1867, S. 407; auch E. Cyon a. a. O.), wobei es freilich unent- schieden bleiben muss, ob jede Herzganglienzelle ihre eigene Hemmungs- und Beschleunigungsfaser erhält, oder ob nicht bei den Mitteln, durch welche die Zellen um ihres Zusammenwir- kens willen ihre Zustände einander mittheilen können, es zu genanntem Zwecke schon genügt, wenn unter Beibehaltung ihrer wesentlichen Aufgabe, Centra der rhythmischen Actionen des Herzens zu sein, nur ein Theil derselben die Hemmungsfasern und ein anderer die Beschleunigungsfasern aufnimmt. Der letzterwähnte Zweifel sowohl, wie auch die Frage nach der anatomischen Begründung der angedeuteten Vorstellung über die histologischen Beziehungen der Herznerven und ihrer Gan- glien werden nur von der detaillirtesten Kenntniss der Ver- breitungs- und Endigungsweise der Herzzweige des Vagus ihre Erledigung erwarten können. Je mehr Zeit und Mühe ich meinerseits: auf eine derartige Behandlung des Gegenstandes bereits verwendet habe, um so weniger entgeht es mir, wie viel noch an einer befriedigenden Einsicht in diese Verhältnisse fehlt. Das aber darf doch auch heute schon behauptet werden, dass die bisherigen histologischen Ergebnisse nichts darbieten, was mit der zuletzt erwähnten physiologischen Construction un- vereinbar wäre, dass im Gegentheil mehrfache Verknüpfungs- punkte zwischen histologischen und physiologischen Thatsachen gleichsam von selbst sich darbieten. Die Verschiedenheiten in der Gestalt dieser Nervenzellen, ihre einfachen oder doppelten Kerne, ihre Lagerung am Rande oder im Inneren der Nerven- bündel oder ihre scheinbar regellose Zusammenhäufung, ihre sogenannte opponirte Stellung und die brückenartigen Com- missuren zwischen ihnen, ihre unipolare, bipolare oder multi- polare Beschaffenheit, die einfachen oder mehrfachen mit der i Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven u. Ss. w. 471 Zelle verbundenen Paare grader und spiraler Fasern, die all- mälige oder kurz vor der Zelle auftretende Verwandlung dunkel- randiger und doppelt contourirter Nervenfasern in nackte Axen- cylinder, — das Alles sind Verhältnisse, mit denen die ana- tomischen Eigenthümlichkeiten dieser Nerven sicherlich noch nicht erschöpft sind, da wir ja erst im Anfange der genaueren Studien über diese verwickelten Verhältnisse uns befinden. Zur Verbindung der anatomischen Thatsachen mit physiologi- schen Angaben bedürfte es aber auch experimenteller Erfahrun- gen, denen sich an diesem Orte wohl noch viel grössere Schwie- rigkeiten entgegenstellen als der mikroskopischen Forschung. Jedenfalls ist nur von einer beide Richtungen in’s Auge fassen- den Untersuchung eine genügende Beantwortung der zahlreichen Fragen zu erwarten, die die wechselvolle Thätigkeit des Her- zens noch immer an die Physiologie stellt. Dorpat, November 1871. AD S. Radziejewski: Zur Wirkung des Antimons.') Von Dr. S. RADZIEJEWSKI, Praktischer Arzt und Privatdocent in Berlin. Die enge chemische Verwandtschaft des Antimons mit Ar- sen berechtigt, wie die Erfahrungen der Neuzeit zeigen, an und für sich noch nicht zum Schluss, dass auch die physiolo- gischen, bisher noch unbekannten Eigenschaften des ersteren denen des Arsens nahe stehen werden, die bereits von Sklarek u. A. sorgfätig untersucht sind; indess giebt es gerade hier vereinzelte Thatsachen aus dem Gebiete der Physiologie und Therapie, die wenigstens engere physiologische Beziehungen vermuthen lassen. Koschlakoff und Bogomoloff (Central- blatt f. med. Wissensch. 1868, S. 625) beobachteten identische Wirkung beider Metalle auf das Blut, Saikowsky (Vir- chow’s Archiv, Bd. 34, S. 73 ff.) sowohl nach As-, wie nach Sbpräparaten, fettige Degeneration der Leber; ein theilweiser Ersatz des Arsens durch Antimon und eine Combination beider Mittel hat in Frankreich (Papillaut, Isnard, Joubert) bei der Therapie verschiedener Affectionen des Respirationsappa- rates bedeutende Anerkennung gefunden. Im Uebrigen fehlt es an Daten, die die physiologische Wirkung des Antimons im 1) Ich habe diese Untersuchungen, die im Laboratorium des physiologischen Laboratoriums hier ausgeführt sind, selbstverständ- lich mit Ausnahme derjenigen Sätze, diean Buchheim’s u. A. später erschienene Publicationen anknüpfen, bereits am 22. Januar 1870 im hiesigen physiologischen Verein vorgetragen. ea a Et v v N. Zur Wirkung des Antimons. 475 thierischen Organismus aufklären, während wir vom Arsen durch Sklarek (dieses Archiv 1866, S. 481—495) wissen, dass es, in das Blut aufgenommen, tödtlich wirkt durch Lähmung der motorischen Nerven des Herzens und der (hinteren) grauen Substanz des Rückenmarks. Brechweinstein ist dasjenige Antimonpräparat, das thera- peutisch am häufigsten verwerthet wird, am leichtesten in Wasser löslich und vollkommen frei von allen Verunreinigungen, besonders Arsen, zu erhalten ist; aus diesen Gründen bediente ich mich desselben zu meinen ersten Versuchen. Die Reaction der Frösche auf Antimonsalze ist verhältnissmässig nicht sehr leb- haft, und es bedurfte bei grösseren Thieren subcutaner Dosen von 0,051 Grm. um den Tod nach 3 St. 20 Min. herbeizufüh- ren; Gaben unter 2—3 Centigr. wirkten niemals tödtlich. Das allgemeine Bild einer Brechweinsteinvergiftung ist etwa folgen- des. Der Frosch wird unmittelbar nach der Einspritzung un- ruhig, die Herzthätigkeit nimmt zu, bald aber wird das Thier matt, respirirt mühsam, sonderbare Bewegungen des Mauls und der Athemmuskeln, die vielleicht als Brechbewegungen zu deu- ten sind, folgen, die Zahl und Stärke der Herzcontractionen sinkt, spontane Bewegungen hören auf, die Reflexsensibilität ist abgeschwächt und unter Zunahme der Zeichen des allgemei- nen Collapses tritt der Tod ein. Die Abnahme der Reflexsensibilitätt — das Symptom, das den Parallelismus der Arsen- und Antimonvergiftungen am schärfsten zeigt — erscheint früh und ist bereits völlig ab- gelaufen, wenn Herzcontractionen noch immer ausgeführt wer- den, ist also von den Bluteirculationsveränderungen unabhängig. Was die einzelnen Symptome anbetrifft, so bestätigen meine Beobachtungen über die Herzthätigkeit der Frösche nach Einwirkung von Tart. stib. den übereinstimmenden Bericht der anderen Autoren (Buchheim, Nobiling), nur musste ich höhere Dosen anwenden, um die Vergiftungserscheinungen in ihrer ganzen Vollständigkeit zu beobachten. Die der Ein- spritzung folgende Bewegung und Zunahme der Herzaction hält ungefähr 15 Minuten an, sodann wird sie langsam, schwach, unregelmässig, die Vorhöfe contrahiren sich viel häufiger als 474 S. Radziejewski: die Ventrikel, bis allmäliger Stillstand in der Diastole erfolgt; das ruhende Herz reagirt auf mechanische Reize nicht mehr, während diese Insulte bei den übrigen Muskeln eine starke Contraction hervorrufen. Das Erlöschen der Reflexthätigkeit, die ich nach dem Protokoll beschreiben werde, ist auch von An- deren bemerkt, aber nur nebenbei erwähnt worden. 19. Oct. 1868. Die Untersuchungsmethode der Stärke der Re- flexsensibilität, die ich anwandte, ist von Türck empfohlen. Ein Schenkel eines aufgehängten Frosches taucht mit den Zehen in äusserst verdünnte Schwefelsäure; nach einer gewissen Zeit veran- lasst der chemische Reiz eine reflectorische Bewegung, die den Schen- kel aus der sauren Flüssigkeit entfernt; ein Metronom, auf 100 Schläge in 1 Min. eingestellt, misst diesen Zeitraum, und eine etwaige Differenz vor und nach der Vergiftung giebt den Zahlenausdruck für stattgefundene Veränderung der reflectorischen Thätigkeit. Im vorliegenden Falle zuckt um 12 U. 45 M. der rechte (r) Schenkel nach 15, der linke (l) nach 11 Schlägen, r. nach 20, 1. nach 18, r. nach 15, l. nach 14 Min.; um 12 U. 58 M. werden 5 Cgrm. Tart. stib. in die Flanken gespritzt. Unmittelbar nachher |. 11, r. 15: 1. 13, r. 14; 1 U. 10 M. 1. 29, 1. 33; 1. 22, r. 24. 1. 22, r. 26; 1 U. 25 M./l. 30, r. 32; 1. 32,,r. 36; 1 U. 50!M. 1:68,12. 92: 1.769770572 4 U.21ıM. x &, l.o. Verhältnissmässig empfindlich bleibt der Frosch noch gegen Ortsveränderungen, er bleibt zwar anfangs auch in der Rückenlage, erholt sich aber allmälig und versucht sich auf den Bauch zurückzudrehen. Andere Versuche zeigen ein vollkommen gleiches reflecto- risches Verhalten beider hinteren Extremitäten, auch wenn die Blutgefässe einer Extremität vor der Vergiftung unterbunden sind. In den Centralorganen ist also, da die Muskeln selbst ihre normale Contractilität bewahrt haben, die Ursache dieser Lähmung der Reflexthätigkeit zu suchen. Bei Abtragung des Grosshirns tritt diese Abnahme, unabhängig gemacht von will- kürlichen Bewegungen, regelmässiger hervor; trennt man die Lobi optiei, den Sitz der Setschenow’schen Reflexhemmungs- centra, von der Med. spinal., so bleiben die Vergiftungserschei- nungen unverändert, sind also nicht durch eine Reizung dieser Seelenorgane bedingt, sondern durch die gestörte Leitung in der Substanz des Rückenmarks. Kleine Warmblüter, wie Kaninchen, sind empfindlicher gegen Brechweinstein; 12 Cgrm., subeutan eingeführt, erzeugen Zur Wirkung des Antimons. 475 eine grosse Unruhe und Diarrhoe; die Pulsfrequenz (im An- fange 120) nimmt im Verlauf einer Stunde um 32 in ] Min. ab, dann wird sie unregelmässig, der Puls ist leicht zu com- primiren, auch das nicht befestigte Kaninchen bleibt ruhig in der ihm gegebenen Lage, ist vollkommen unempfindlich gegen glühenden Draht und Zerren der Nasenhaare, kurz vor dem Tode — die Zahl der Herzcontractionen ist auf 62 gesunken — stürzt das Thier um, wobei der Körper sich krampfhaft be- wegt, ganz allmälig erlischt Respiration und Herzthätigkeit. Die Obduction zeigt auf der Schleimhaut des Fundus und des Pylorus des Magens kleine Extravasate, die Mucosa des ganzen Darmtractus rosig gefärbt, die Lungen normal, das Herz weit ausgedehnt. Diese Versuche, wie immer in dieser Untersuchungsreihe aus einer grösseren Anzahl analoger herausgehoben, schienen die Annahme zu bestätigen, dass Antimon dem Arsen gleich, sowohl in Bezug auf das Herz, wie auf die nervösen Oentral- organe einwirke; aber ihre weitere Fortführung nach dieser Richtung wurde durch die Experimente von A. Nobiling (Zeitschrift f. Biol. IV., S. 40—76) scheinbar überflüssig ge- macht. Nach diesem Autor wird die Wirkung des Tart. stib. durch die Eigenschaften seiner Componenten bestimmt, die auf das Herz komme dem Kalium, die auf den Darmkanal dem Antimon zu; der nach grossen Gaben eintretende Tod rühre von einer Paralyse des Herzens durch Kalium her, lang dauernder Gebrauch des Antimons habe einen zwar langsam, aber inten- siv fortschreitenden Entzündungsprocess des ganzen Verdauungs- systems mit Geschwürsbildung und consecutiver Inanition zur Folge. Hier spricht Nobiling allerdings nur von einer Herz- wirkung des Kalium im Brechweinstein, berührt also nicht den speciellen Gesichtspunkt, den ich bei der Untersuchung des Sb im Auge hatte, aber es ist selbstverständlich, dass, falls das resorbirte Kalium eine eingreifende Wirkung hervorbringt, dann auch sämmtliche auftreten müssen, die nach der Aufnahme dieses Mittels in den Organismus beobachtet sind, also neben der Herzlähmung noch die Herabsetzung der Motilität und Sensibi- lität (Guttmann); es sind dann also die gesammten Vergif- 476 S, Radziejewski: tungserscheinungen des Tat. stib., soweit sie nicht den Darm betreffen, durch Kalium, nicht durch Antimon bedingt. A priori ist es dann zwar auffällig, dass ein Präparat von so geringem Kaliumgehalt wie Brechweinstein (12 pCt. K.) schon in den kleinsten Dosen — in der höchsten emetischen Dose von Tart. stib., in 12 Cgr., sind ca. 1% Cgr. Kalium — eine heftige Kalium- wirkung ausübt, während sie nach der nicht selten medicamen- talen Dose von 60 Cgr. Salpeter mit 28 Cgr. Kalium unter gleichen, ja sogar, da in letzterem Fall der Magen gewönlich intact ist, günstigeren Rasorptionsverhältnissen kaum nachzu- weisen ist; aber noch viel grösser wird die Unwahrscheinlich- keit einer Kaliumwirkung in den emetischen Dosen des Tart. stib., die vom Magen aus aufgenommen werden. Sie wird zur Unmöglichkeit, sobald man nachweisen kann, dass im günstig- sten Falle nur ein so minimaler Theil zur Resorption gelangt, dass .selbst bei subeutaner Einführung desselben sich keine Vergiftungserscheinung entwickeln könnte. Diesen Nachweis zu liefern hatte ich zweimal in der Privatpraxis Gelegenheit. Im ersten Falle hatte eine Frau-eine Brechmixtur aus 0,06 Tart. stib., 1,2 rad. Ipec., 60,0 Ag. dest. (alle 10 Min. 1 Essl.) erhalten: nach dem 3. Esslöffel, nach Verbrauch von 45 Milligr. Brechweinstein, trat Erbrechen ein; trotz der angeordneten Vorsicht wurde von der Patientin ein grosser Theil des Erbrochenen verschüttet; im 2. Fall enthielt das Brechmittel 12 Cgr. Brechweinstein, die ganze Mixtur war verbraucht, der Mageninhalt sorgfältig aufgefangen worden. In beiden Fällen wurde er zuerst eingeengt und sodann längere Zeit mit CIH (etwa X von dem Volumen der Flüssigkeit) gekocht, das klare Filtrat sodann unter Zusatz von KC1O® weiter erhitzt, bis es vollkommen farblos wurde; der von neuem filtrirten Lösung wurde Weinsäure zugefügt, in dieses letzte Filtrat unter den bekannten Cautelen H?S eingeleitet und das bei 100° getrocknete Sb?S? gewo- gen (vgl. R. Fresenius Anleitung zur quant. chem. Analyse, 1866, S. 294 ff). Im Erbrochenen des ersten Pat. fand sich 0,014 Sb2S3, entsprechend 0,01 Sb und 0,027 Brechweinstein; in dem des zweiten Pat. war 0,0575 Sb?S®, entsprechend 0,0433 Sb und 0,11 Tart. stib. Im ersteren Fall waren also fast zwei Dritttheile, im zweiten war fast die ganze Menge des eingeführten Brechmittels nicht re- sorbirt worden; selbst der Rest wird wohl kaum in den Orga- nismus übergegangen sein, da bald nach dem Erbrechen auch ee FT ER tee nn 77 Zi bar lan Sn Zn Zune er Zur Wirkung des Antimons, 477 Diarrhoe eintrat. In der privaten Thätigkeit war es mit man- cherlei Schwierigkeiten verbunden, das Material für diese Un- tersuchungen zu vermehren; in den Kliniken, bei denen ich nachfragte, werden selten Brechmittel verabreicht, und selbst dann, um den mannigfachen Nachtheilen des Brechweinsteins zu entgehen, bestehen diese nur aus den Ipecacuanhapräpara- ten. Es genügen aber schon die beiden Fälle, um die brechenerregende Wirkung des Brechweinsteins, sobald er in den Magen eingeführt wird, als eine rein örtlich reizende fest- zustellen, die die an die Oberfläche der Magenwandung, bis zwischen die Cylinderzellen der Epithelialschicht tretenden End- fasern desN. vagus (Trütschel, Centralbl. für med. Wissen- schaft 1870, S. 115) trifft und von hier aus reflectorisch auf das Centrum für den Brechact und auf das Hemmungsnerven- Centrum übergeht (vgl. L. Traube, Krankheiten d. Respirations- und Circulationsapparates, 5.132); diese Reizung des N. vagus be- ‘ wirkt dasErbrechen und die Abnahme der Pulsfrequenz ;dass diese letztere Erscheinung in engstem Zusammenhange mit dem Brech- acte anund für sich, gleichgültig, durch welches Mittel er hervorge- bracht wird, ist, beweist ihr Auftreten auch nach Anwendung von Emetin, Apomorphin u. s. w. Meine Anschauung von der Ent- stehungsweise des Brechens nach Tart. stib. steht nicht im Widerspruch mit der Annahme, von G. Gianuzzi (Centralbl. f. med. Wissensch. 1865, Nr. 1 u.9), dass das Brechmittel central, ausschliesslich auf die Med. oblong. erregend wirke und die Wirkung auf das Herz durch directen Einfluss auf dasselbe zu Stande komme; denn Gianuzzi spricht hier nur von der Wir- kung des in die Venen gespritzten Tart. stib., der nur auf diese Weise wirken kann; aber dass diese Wirkungsweise eine ganz verschiedene von der durch die Einwirkung auf die Magenwan- dung ist, geht schon’aus der grossen Differenz der Dosen her- vor, die bei Hunden für beide Fälle nothwendig ist; bei cen- traler Wirkung des Tart. stib. verbraucht Gianuzzi (a. a. O.) für Hunde 5 Decigr., A. Grimm, der die neuesten Untersu- chungen über den Brechact unter L. Hermann’s Leitung an- gestellt hat, 35 Cgr. (Pflüger’s Archiv, IV, S. 205 ff.); um aber vom Magen aus Erbrechen zu erzeugen, bedarf letzterer Forscher in Versuch 3 nur 10 Cgr.; keinenfalls kann also das 478 S. Radziejewski: Erbrechen in letzterem Fall eine Wirkung des resorbirten Mittels sein; vermochte trotz der nicht centralen Wirkung ein- geleitete Apnoe sie fast zum Verschwinden zu bringen, so er- klärt sich das vielleicht durch die Versuche von Uspensky . (dies. Archiv 1868, 522—528), wonach Apnoe jede Reflexüber- tragung im Rückenmark unmöglich macht. Indess, um die Wirkung des Brechweinsteins als dem An- timon entsprungen zu beweisen, ist es nöthig, aus einem an- deren Antimonpräparat, das frei vom Kaligehalt des Brechwein- steins ist, gleiche Resultate, wie sie von dort mitgetheilt sind, zu erhalten. Das weinsaure Antimonoxyd, das ich zuerst wählte, war, so lange ich es aus Brechweinstein durch Zusatz von Salzsäure darstellte, niemals frei von Kali zu erhalten; als ich dann Antimonoxyd direct in Weinsäure zu lösen suchte, ge- schah die Lösung so ungleichmässig, und das Präparat war in seinem Antimongehalt so schwankend, dass ich von seiner An- wendung abstehen und zu der des fabrikmässig dargestellten Antimonchlorürs übergehen musste; seine stark ätzende Eigen- schaft und seine beschränkte Löslichkeit sind Nachtheile, die weder die experimentelle Handhabung noch die Wirkung be- einträchtigen. Der Antimongehalt des Chlorürs beträgt 53,9 pCt., verhält sich also zu dem des Brechweinsteins (37,5 pCt.) ungefähr wie 3:2; aber niemals kam in den folgenden Ver- suchen die volle Antimonwirkung zur Geltung, weil die Re- sorption dieses Salzes auch bei subeutauer Application nur un- vollständig und sehr langsam ist; das Eiweiss der Umgebung der Einstichsstelle gerinnt ausserordentlich derb. Aus der noch trüben Lösung von 1 Theil Chlorür in 3 Theile concentrirter Weinsäurelösung (1:2) wurden durch Zusatz von Wasser Solutionen im Verhältniss von 1:30, und selbst von 1: 150 noch vollkommen klar hergestellt; auch diese schwächste Ver- dünnung ruft eine starke Vergiftung hervor. Als am 3. November 1868 um ı U. 10 M. einem Frosche 1 Cem, dieser letzteren Lösung in den Lymphsack des Oberschenkels eingespritzt wurde, sprang er Anfangs unruhig hin und her und re- agirte auf geringe mechanische Reize durch tetanische Streckungen, doch liess bald diese gesteigerte Reizbarkeit so vollkommen nach, dass er schon um 1 U. 40 M., sobald er auf den Rücken gelegt wurde, Zur Wirkung des Antimons. 479 keinen Versuch mehr machte, diese ihm unbequeme Lage zu ändern; Quetschungen, glühender Draht, Aetzungen mit Säure riefen keine Reaction hervor, spontan treten tonische Kämpfe auf. Das Herz con- trahirte sich um 2 U. 50 M. sehr unregelmässig, die Systolen waren kurz, aber kräftig genug, um den Ventrikel vollständig zu entleeren, in Pausen von 4— 10 Minuten folgten sie auf einander; das Leben des Frosches dauerte aber noch längere Zeit, erst am darauf folgen- den Morgen wurde er todt gefunden. Das Bild dieser vorläufigen Versuche zeigt eine ausge- sprochene Aehnlichkeit mit dem, das nach Brechweinstein sich entwickelt; aber um es vollständig zu klären, stellte ich noch den Antheil der zur Lösung benutzten Weinsäure an den Ver- giftungssymptomen fest. Concentrirte Weinsäurelösung ist in der That ein heftiges Gift für den Frosch, der nach I Ocm. einer Lösung von | : 2innerhalb 20 St. stirbt in Folge der energisch herabgesetzten Herzthätigkeit, wie schon von Bobrik (Centralbl. f. med. Wissensch. 1864, S. 25) u. A. nachgewiesen ist, Es wäre Raumverschwendung, wollte ich meine diese Thatsache bestätigenden Versuche ausführlich wiedergeben; ich begnüge mich, zu erwähnen, dass die Grenze einer Wirkung der Weinsäure auf den Organismus der Frösche sich bei einer 8 pCt. Lösung findet; imbibirt sich das ausgeschnittene Herz mit einer solchen Verdünnung, so stellt es allerdings auch dann noch seine T'hätigkeit bald ein, und noch viel verdünntere Lösungen sind in dieser Art wirksam, aber für das gesammte Thier sind diese Verdünnungen unter $ pCt. durchaus unschäd- lich; übrigens hatte die Lösung, die ich in den folgenden Ver- suchen zur Lösung des Chlorürs benutzte, nur eiuen 5 pCt. Gehalt an Weinsäure, Antimonchlorür selbst war darin wie 1:50 enthalten. Am 7. Dec. 1868 wurde einem Frosch das Grosshirn. abgetrennt, um die willkürlichen Bewegungen aufzuheben, die Reflexsensibilität (nach Türck gemessen) war r. 5,1.3; 815. Um 3 U.ı0M. wurde 1 Cm SClb? in die Bauchhöhle gespritzt, unmittelbar nachher ls des, 320. 20 Mir 11 Mora, 101857, 12,7 18. 3 U. 40 M. r. 16, 1, 20. Das Thier bleibt auf dem Rücken lie- gen, reagirt gegen keinen sensiblen Reiz. 3 U. 55 M. r. 29, 1. 35. Das blossgelegte Herz zeigt hinreichend kräftige Systole, um die Ven- trikel vollkommen zu entleeren; jedoch sind die Systolen relativ sehr kurz gegenüber den lang ‘anhaltenden Diastolen. 4 U. 30 M. steht 480 S. Radziejewski: das Herz diastolisch still; bei Durschneidung des N. isch. zuckte das Bein. Am 15, April 1869 wird 2 Fröschen A und B die Med. oblong. vom Rückenmark durch einen Querschnitt getrennt; um 11 U. 45 M. er- hält B 1 Cem. SbCl? subeutan; zuerst heftige Bewegungen als Folge des Schmerzes, aber schon nach 10 M. ist die Empfindlichkeit gegen Quetschung mit Pincette sehr gering, während A sich energisch da- gegen sträubt; ebenso verschieden verhalten sich beide Frösche gegen glühenden Draht und chemische Reize; um 12 U. 10 M. hatte jede Reaction von B gegen beliebigen Reiz aufgehört, um 12 U. 15 M,' war die Zahl der Herzcontractionen 28 in 1 Min., ihre Stärke aus- reichend zur normalen Systole. — Um 12 U. 37 M. wurde dem Frosch A, der bis dahin allen Reizen gegenüber eine etwas erhöhte Sensibi- lität gezeigt hatte, 1 Cem. SbCl? in den Oberschenkel eingeführt; auch hier war die Empfindlichkeit unmittelbar nachher sehr bedeutend, erlosch aber schnell, schon nach 6 Min. war sie zur Norm zurück- gekehrt den mechanischen Reizen gegenüber, geringer bereits gegen glühenden Draht und concentrirte Säuren; um 1 U. 20 M. hörte die Reaction gegen jegliche Art von Reiz vollkommen auf mit Aus- nahme des elektrischen, der auch von der Haut eine sofortige Contraction des Beines zur Folge hatte; die Zahl der Herzeontractio- nen war jetzt 26. Noch im Laufe des Nachmittags erfolgte der Tod beider Thiere. Die Reihenfolge im Erlöschen der Reflexsensibilität war in der Regel so, dass zuerst die gegen thermische und che- mische, dann gegen tactile Reize, zuletzt auch die Reaction gegen Ortsveränderung erlosch. Auf die allseitige Ausbildung dieser Symptome hatte es keinen Einfluss, wenn das eine Bein durch Unterbindung der zugehörigen Gefässe vor der Giftzufuhr geschützt wurde; es liess sich nachweisen, dass sie nicht ihren Ursprung in einer Reizung des Setscheno w’schen Hemmungs- centrums, sondern allein im Rückenmark hatten, dessen aesthe- sodische Substanz zu functioniren aufhörte. Den Einfluss des SbCl* auf die Herzthätigkeit, der ersichtlich geringer als der des subcutan eingeführten Brechweinsteins, aber doch nachweisbar ist, zeigt folgendes Experiment: 30. Dee. 1868. Ein Frosch hat um 12 U. 17 M. 40 Contractio- nen: um 12 U. 25 M. wird 1 Cem. in den Oberschenkellymphsack eingespritzt. Um 12 U. 28 M. — 44 Contractionen; 12 U. 35 M. — 44; 12 U, 42 M. — 42; 12? U.52M. — 40; 10.3M.40; ıU. 37M — 34; 1 0.44 M, - 34 Die Lähmung des Rückenmarks ’ a w 7: Zur Wirkung des Antimons. 481 ist bereits so ausgebildet, dass nur noch Ortsveränderungen vom Frosche corrigirt werden; man ersieht hieraus, dass diese erstgeschil- derte Symptomenreihe sich unabhängig von der Bluteirculation ent- wickelt. 1 U. ö6M. sind 26 Contractionen von gleichmässigem Rhyth- mus (auch die Rückenlage findet keinen Widerstand mehr). 2 U. 8M. 265; 2 U. 15.M. — 26; 1 U.27M — 2%; 2U.35M —_%; 3U. 48 M. — 20; kurze, schnellende Systole, die den Ventrikel nicht mehr entleert. Gegen 6 Uhr Abends war der Frosch todt. Das Herz steht still, prall mit Blut gefüllt. i Diese Abnahme der Herzthätigkeit blieb, auch wenn der Einfluss der Med. oblong. ausgeschlossen wurde; das ange- schnittene Herz reagirt auf Reize, wir werden also auch diese Abnahme der Pulsfrequenz hier wie beim Arsen (Sklarek a. a. OÖ. 8.487) auf eine Lähmung der motorischen gangliösen Centra im Herzen zurückführen müssen. Im Blute eines vergifteten Frosches fand ich einmal eine Fülle der schönsten Haemoglobinkrystalle, hin und wieder Blut- körperchen, deren Inhalt geschrumpft und deren Contour fächer- artig eingetheilt war, da aber ein directer Zusatz der gebräuch- lichen SbCl’lösung zum Blut weder eine spectralanalytisch, noch _ eine mikroskopisch nachweisbare Veränderung zur Folge hatte, so halte ich diese vereinzelnten Beobachtungen für zufällige. Vergiftungsversuche an warmblütigen Thieren, Kaninchen, Katzen und Hunden zeigen rücksichtlich der Wirkung des SbCR auf das Herz die merkwürdige Erscheinung, dass durch dieses Salz der Endapparat des Hemmungsnervensystems im Herzen vorübergehend in geringem Grade gelähmt wird; auch scheint der Herzmuskel direct angegriffen zu werden. (7. Jan. 1869.) Das peripherische Ende des Halstheils des durch- schnittenen N. vagus eines Kaninchens wird bei 180 Mm. Rollenab- stand mit 1 D. gereizt (du Bois’scher Schlittenapparat); das Herz steht still; die normale Pulsfrequenz ist 156. Um 12% U. wird 1 Cem. SpCl?lösung mit 1 Cem. Wasser verdünnt in die V. jug. gespritzt; unmittelbar nachher gelingt es nicht mehr, das Herz zum Stillstand zu bringen, selbst bei einer Annäherung der Rollen bis auf 50 Mm., die Reizung des centralen Endes löst nach wie vor bei 180 Mm. Rollenabstaud einen inspiratorischen Stillstand des Zwerchfells aus; Pulsfrequenz 240. Um 1 Uhr gelinst es, von 40 Mm. Distanz ab, diastolischen Stillstand zu erzeugen, Pulsfrequenz 240. Um 1 U.25M. Stillstand bei 60 Mm. Distanz, Pulzfrequenz 216; um 1 U. 40 Min. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 31 482 S. Radziejewski: Wirkung von 100 Mm. ab, Pulsfrequenz 200. 2 U. 45 M. ist von Neuem eine vollkommene Unmöglichkeit da, durch Reizung der Hem- mungsfasern Herzstillstand zu erzeugen; die Pulsfrequenz ist 180; unter allmäliger Abnahme derselben stirbt das Thier 3 U. 30 M. (8. Jan. 1869.) Einer Katze werden um 1 U. 15 M. 2 Cem. der SbCBlösung subeutan eingespritzt; normale Pulsfrequenz 115, die in der Norm genügende Reizstärke 120 Mm. Rollenabstand mit 1 D.; um 2 U. tritt der Herzstillstand aber erst bei 100 Mm. Distanz ein, Pulsfrequenz 148, um 2 U. 15 M. bei 60 Mm., Pulsfrequenz 148; um 2 U. 35 M. bei gleicher Entfernung, Pulsfrequenz 180, die Stärke der Contraetionen nimmt ab; um 2 U.55 M. bei 50 Mm.; die Herzcon- tractionen sind sehr unregelmässig, die Diastolen lang. Um 3 U. 10 M. ist auch die stärkste Reizung des N. vagus ohne Einfluss auf die Herzthätigkeit.,. Die Contractionen sind wegen ihrer Unregel- mässigkeit nicht mit Sicherheit für einen kurzen Zeitraum anzugeben, die Acupuneturnadel zeigt schliesslich wegen der ausserordentlichen Schwäche der Herzleistungen nur noch die Respirationsschwankungen. — Die Obduction der Katze zeigte die Lungen normal, das Herz contrahirt sich auch auf den stärksten elektrischen Reiz nicht mehr, während alle übrigen Muskeln noch vollkommene Reizbarkeit zeigen; die Leber stark hyperämisch. Die Rindensubstanz der Nieren schien mir leicht getrübt zu sein. (13. Jan. 1869.) Ein kymographischer Versuch an einem Hunde war ohne Resultate, trotzdem im Verlauf von % St. 5% Cem. in die V. jug. eingespritzt wurden; nur eine ganz vorübergehende, ca. 4 M. dauernde Herabsetzung des Drucks trat unmittelbar nach der Ein- spritzung ein. Der Herzvagus zeigte sich auch hier in seiner Erreg- barkeit etwas herabgesetzt, er war aber selbst nach den grossen Dosen noch bei 50 Mm. erregbar. 1% St. nach der Einspritzung starb der Hund; Herz und Lunge waren vollkommen normal. In Bezug auf Sensibilität zeigt ein Kaninchen, dem 2Ccm. der gebräuchlichen oder1 Cm. einer 25 pCt. Lösung eingespritzt wurden — in letzterem Falle natürlich weit schneller und vollkommener — dieselben Lähmungserscheinungen, die beim Kaltblüter zu be- obachten waren; ungefähr 1 Stunde nach der Einspritzung sind diese Symptome vollkommen ausgebildet, das Kaninchen nimmt jede ihm gegebene, noch so unbequeme Lage an, lässt sich kneifen und tief brennen, ohne eine Schmerzempfindung zu zeigen u. Ss. w., schliesslich fällt es zur Seite; ein Kaninchen starb nach zwei, ein anderes nach drei Stunden. Eine Antimonverbindung giebt es, die in ihrer physiolo- gischen Wirkung durchaus von der entsprechenden Arsenver- mn Zur Wirkung des Antimons. 483 bindung abweicht, ich meine die Verbindung des Antimons mit den Alkoholradikalen. Wir wissen, dass Arsendimethyl» Kakodyl (die Methyl- und Aethylgruppen verhalten sich in die- sen Verbindungen vollkommen gleichartig) nicht nach der Art des Arsens vergiftet, sondern ätzend wirkt, dass die Kakodylsäure trotz eines Gehaltes von 58 pCt. Arsen sogar vollkommen un- schädlich ist, (Husemann’s Toxikologie S. 821), dass also in diesen Verbindungen das Arsen, wie es durch die gewöhnlichen Reagentien chemisch nicht nachweisbar ist, auch physiologisch zurücktritt; in der-Antimonbase des Aethyls verschwindet zwar auch chemisch das Metall, aber bei ihrer Einwirkung auf den Organismus tritt die uns bekannte Antimonwirkung scharf her- vor, sie zerfällt also im thierischen Körper, wie auch chemisch das Stibaethyl keine so innige Verbindung wie das Kakodyl ist. Ich hatte durch die Güte des Herrn Prof. A. Baeyer hier etwas Stibaethyl erhalten, das an der Luft sich schnell oxydirte und in Alkohol gelöstwurde; Antimongehalt (Sb(C?H3);O) ist 53,8 pCt.; der Gehalt der Lösung war nicht bestimmt, doch war sie ziemlich concentrirt. (3. Aug. 1869.) Um 11 U. 10 M. erhält ein Frosch subeutan 0,5 Cem; sofort traten heftige Krämpfe ein; als um 11 U. 25 M. die Herzschläge gezählt werden konnten, waren sie von 67 vor der Ver- giftung auf 52, um 11 U. 40 M. auf 47, 11 U. 55 M. auf 42 gefallen; der Frosch blieb auf dem Rücken liegen, reagirte weder gegen Glüh- hitze noch Kneipen, nur schwach gegen Säuren; die elektrische Reiz- barkeit hielt noch längere Zeit an, nrchdem jede andere Sensibilität aufgehört hatte; bald wurde der Frosch auch hiergegen stumpf; durch Abtragung des Hemmungscentrum wurde im Verlauf der Erscheinun- gen nichts geändert. Bei einem anderen Frosch, der 2 Cem. erhal- ten, trat diese Anaesthesie viel schneller ein, zu einer Zeit, wo die Zahl der Herzcontractionen noch 62 betrug. (5. Aug. 1869.) Einem Frosch war das Grosshirn durchschnitten. Die Prüfung der Reflexsensibilität ergab Zuckung rechts nach 6, links nach 6; r.4,1.5; r. 4, 1.5 Metronomschlägen; 11 U. 50 M. die Med. oblong. abgetragen r. 3, 1.4; r. 4, 1.4. 12 U.3 M. 0,5 Cem. concentr. Stibaethyloxydlösung in den Bauch gespritzt. 12 U. 10M. r. 111.11. 1 U.20M.r o, |. ©; vollkommene Unempfindlich- keit gegen Kneipen, Brennen, concentrirte Säuren. 44 Contractionen in 1 Min. Die Muskeln zucken, vermittelst des du Bois’schen 31* 484 S. Radziejewski: Schlittenapparats gereizt mit 1 D., bei 80 Mm., der N. isch. bei 300 Mm. Distanz. i (6. Aug. 1869.) Ein Kaninchen erhielt 3 Spritzen subeutan, nach 15 Min. blieb es, während es bis dahin unruhig herumgelaufen war, plötzlich stehen, verharrte in jeder beliebigen, ihm gegebenen Lage; nach 40 Min. ist es gegen das stärkste Kneifen unempfindlich, lässt ohne jeden Widerstand seine Pfoten in die Flamme stecken, fällt oft auf die Seite und schleppt beim Gehen die hinteren Extremitäten nach, so dass hier auch die kinesodische Substanz des Rückenmarks sich an der Lähmung zu betbeiligen scheint; die Lähmungserschei- nungen bilden sich immer vollkommener aus, 1 St. nach stattgefun- dener Vergiftung stirbt das Thier; kurz vor dem Tode war noch Diarrhoe eingetreten. Bei der sofortigen Obduction wurde das Herz noch in Thätigkeit gefunden. Der Magen war am Pylorus stark in- jieirt, der Dünndarm nur sehr schwach. Die Wirkung von 3 Cem, Alkohol ist hiervon durchaus verschieden. ' Die Abnahme der Herzthätigkeit als Folge der Vergiftung war äusserst gering, dagegen war das Rückenmark weit weni- ger resistent gegen das Gift, es erlahmte, wahrscheinlich in Folge der hier viel höheren Antimondose, weit schneller als nach den früher erwähnten Präparaten. Die Resultate meiner Versuche lassen sich wie folgt zu- sammenfassen: 1) Die Brechwirkung des Tart. stib., der in den Magen eingeführt wird, ist die Folge einer directen Einwirkung auf die Magenschleimhaut, nicht Resorptionswirkung, 2) Die verlangsamte Herzthätigkeit bei auf diese Weise herbeigeführtem Brechen ist keine Kali-, sondern ebenfalls Re- flexwirkung; man kann die hypothetische Kaliwirkung des Brechweinstein auch in den anderen therapeutischen Verwer- thungen desselben ausschliessen. 3) Das Antimon hat ausser der Wirkung auf dem Darm noch Allgemeinwirkungen, die denen des Arsen entsprechen; es lähmt die aesthesodischen Theile des Rückenmarks und setzt — in geringerem Grade als Arsen — die Herzthätigkeit herab. Therapeutisch steht Antimon dem Arsen wegen seines verderb- lichen Einflusses auf den Darmkanal nach; bei Katarrhen der Respirationsorgane wirkt es therapeutisch nach Art der Nar- kotica. Diese heben den continuirlichen Hustenreiz, der den Re Zur Wirkung des Antimons. 485 Katarrh beständig exacerbirt, dadurch, dass sie die Hyperästhesie der peripherischen, sensiblen Nerven herabsetzen; Antimon lässt diesen Hustenreiz dadurch unwirksam werden, dass es eine Fortleitung durch das Rückenmark unmöglich macht. Ich bemerke nachträglich, dass ich im Anfange meiner Ar- beit, um Nobiling’s Anschauungen zu widerlegen, dessen Ver- suche sämmtlich wiederholen wollte; ich hatte mir desshalb aus der Fabrik von Karl Buchner in München das für No- biling ebendort hergestellte Präparat des weinsauren Antimon- oxydnatron kommen lassen; es ist ein vollkommen trockenes, nicht hygroskopisches, schwach gelb gefärbtes, auf dem Bruch splittriges Pulver, das mikroskopisch aus gefärbten amorphen Schollen und farblosen Säulen zusammengesetzt erscheint. Ver- suche, die ich hiermit in, meinen Brechweinsteinlösungen ent- sprechenden, Verdünnungen machte, zeigten in vollkommener Uerereinstimmung mit den Angaben von Nobiling dasselbe als gänzlich unwirksam im Vergleich zum Tart. stib. Buch- heim, der ausführlich und gründlich die Theorie von Nobi- ling widerlegt (Buchheim und Eisenmenger: Ueber den Einfluss einiger Gifte auf die Zuckungscurve des Froschmus- kels. Giessen, Sep.-Abdr. S. 5—26) und in seinen Endresulta- ten mit mir übereinstimmt, hat durch Präparate von Na-Brech- weinstein, die er selbst sich herstellte, die volle Antimonwir- kung erzielt und glaubt deshalb annehmen zu können, dass das Präparat, womit Nobiling arbeitete, einen zu geringen Antimongehalt gehabt hätte; diese Annahme ist begründet; denn das Präparat von Buchner enthält, anstatt 39,08 pCt. Sp, wie die Formel verlangt, nur 15,7 pCt., wie die Analyse zeigt: 1. 5,8205 Sbstz. geben Sb?S? 1,4425-1,0352Sp, also =17,7 pCt.; da das Sulfür nur bei 100° getrocknet war, sind 2 pCt, abzuziehen. II. 0,655 Grm. Sbstz. geben (bei 100° getrocknet) 0,162 Sb2S?=0,116 Sb=(17,7 pCt.) (15,7 pCt.) 486 C. Mettenheimer: Ueber Zottenbildung in der Gallenblase. Von ©. METTENHEIMER. Die in dem Folgenden zu beschreibende Neubildung er- innere ich mich früher nie gesehen zu haben. Auch habe ich sie in den Schriften über pathologische Anatomie nirgends er- wähnt gefunden. Daher mag die Veröffentlichung der Beob- achtung gerechtfertigt erscheinen. Der 22 Jahr alte französische Soldat Vaugon war an den Folgen der Dysenterie gestorben. Die Leichenöffnung ergab: Dysenterische Geschwüre im Mastdarm, linksseitiges pleuriti- sches Exsudat mit Compression der Lunge, Oedem der rech- ten Lunge, Ascites. Die Gallenblase enthielt eine kleine Menge orangefarbener, dicker Galle. Bei Untersuchung der Schleim- haut, die, wie gewöhnlich, von Gallenfarbstoff lebhaft braun- gelb gefärbt war, bemerkte ich auf derselben eine Anzahl klei- ner weisslicher Punkte, die sich weder mit Wasser abspülen, noch mit dem Schwamm wegwischen liessen. Ich hielt diese Punkte im ersten Augenblick für kleine Concretionen. Bei der Anwendung von vergrössernden Gläsern wurde es aber klar, dass es Zotten waren, die in ihrer ganzen Erscheinung eine gewisse Aehnlichkeit mit den Pacchionischen Granulationen zeigten. Jeder weisse Punkt bildete einen kleinen Strauss von Zotten, der mit einem sehr kurzen dünnen Stiel beweglich auf Ueber Zottenbildung in der Gallenblase. 487 der Schleimhaut befestigt war, in ähnlicher Weise wie das Mol- luscum simplex häufig an der äusseren Haut befestigt ist. Die Zotten waren rundlich, keulenförmig, In einem Was- sertropfen flottirend waren sie schon für das blosse Auge er- kennbar. Beim Druck liessen sie eine weisse, staubförmige Materie fahren. Diese bestand aus rundlichen, farblosen, stark lichtbrechenden Körnchen von gleicher Grösse und etwa 1/1000“ Diameter. Die Körnchen waren nebst grösseren Fetttropfen in das Gewebe der Zotten eingebettet. Im Wasser zeigten sie die lebhafteste Molecularbewegung. Die Zotten erschienen bei durch- fallendem Licht gelb. Bei Zusatz von Salzsäure wurden sie roth, zogen sich stark zusammen und liessen einen Theil jener Körnchen in Gestalt eines Staubes fahren, lösten sich aber nicht auf. Der Zusatz der Säure brachte zugleich auch eine ziem- lich lebhafte Gasentwicklung hervor, die jedoch bald aufhörte. Die Farbenveränderung der Zotten beim Zusatz der Säure kommt wohl auf Rechnung des Gallenfarbstoffs, mit dem sie sich imprägnirt hatten. Ueber die Natur der Körnchen wage ich nicht, mich bestimmt auszusprechen. Dass die Zotten ausser ihnen Fett enthielten, ergab der Augenschein, sowie die Gas- entwicklung für die Gegenwart von kohlensaurem Kalk zu sprechen scheint. Es lässt sich sehr wohl denken, dass diese Zottengruppen bei der Dünnheit des sie befestigenden Stieles, sich gelegent- lich ablösen und die Veranlassung zur Bildung von Concretio- nen in der Gallenblase werden können. Anlass zur Abstossung der Zotten würden einestheils die Contractionen der Wände der ‚Gallenblase, anderntheils die kalkigen und fettigen Stoffe ge- ben können, die in den Zotten abgelagert werden und Volum und Gewicht derselben mit der Zeit in.einem für den schwachen Stiel zu starkem Verhältniss vermehren müssen. Die Zotten bestanden aus Bindegewebe; nichts berechtigte, sie für heteroplastischer Natur zu halten. Ob sie eines star- ken Wachsthums fähig sein, und in Folge davon den Abfluss der Galle und die Contractionen der Gallenblase behindern können, lässt sich aus dem mir vorliegenden Präparate nicht 488 6. Mettenheimer: Ueber Zottenbildung u. s. w. entscheiden. Die Zottensträusschen standen alle isolirt, durch grosse Zwischenräume getrennt auf der übrigens gesunden Schleimhaut umher und waren etwa von gleicher Grösse, näm- lich X—% Millimeter lang und breit. Vielleicht waren es die Anfänge von polypösen Wucherungen, wie sie auf anderen Schleimhäuten, z. B. der des Magens und Mastdarms weniger selten sind. Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 489 Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. Von ROBERT HARTMANN. (Hierzu Taf. XII. u. XIV.) Dieses Bryozoon findet sich ziemlich häufig am Strande der Insel Borkum. Es wurde von mir daselbst in den letzten Augusttagen des Jahres 1868 untersucht. Nachstehende Bemer- kungen mögen als ein kleiner Beitrag zur Kenntniss dieses Thieres hier Aufnahme finden. In den hier nachfolgenden Auseinandersetzungen werde ich an die bekannten Untersuchungen von Farre und van Beneden über Halodaetylus diaphanus anknüpfen.) Unser Moosthier bildet bald ceylindrische, bald unregelmäs- sig verästelte, schmutzig weissliche, nur wenig durchscheinende platte Bryozoönstämme?), von der Consistenz weicherer Kraut- 1) Farre in den Philosophical Transactions 1837, p. 405, pl. 25, 26. Van Beneden: Recherches sur l’anatomie, la physiologie et le d&veloppement des Bryozoaires qui habitent la cöte d’Ostende. Nouv. Mem. de l’Academie de Bruxelles. Taf. XVII, p. 36, pl. V, Fig. 12. Van Beneden giebt hier $. 37 eine genaue Synonymie des Thieres, welche zu wiederholen mir überflüssig erscheint. 2) Bryozoönstamm, Bryozoenträger, vergl. Reichert in den Ab- handlungen der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1869, Berlin 1870, in seinen „vergleichenden anatomischen Untersuchungen über Zoobotryon pellucidus (Ehrenberg)*. 490 Robert Hartmann: stengel. Van Beneden bemerkt, der „Polypier“ dieses Thie- res sei „attache par la base“. In der That findet man die Bryozoönstämme dieser Art entweder an Fucusgeäst, Holz- stückchen, Austerschalen, Schalen von Buceinum undatum, Steinchen u. s. w. noch angeheftet, oder man erkennt an ihnen, ein Spiel der Wellen, wenigstens die Spuren stattgehabter Losreissung von anderen Körpern. Niemals aber habe ich völ- lig freie (nicht angeheftet gewesene) Exemplare umhertrei- ben sehen. Der Bryozoönstamm besitzt, wie man sich auf nach jeder Richtung durch denselben geführten Schnitten, am Besten frei- lich auf Querschnitten, zu überzeugen vermag, eine derbere opakere Rinden- und eine weichere weit durchsichtigere Bin- nenschicht. Dies fällt namentlich bei Betrachtung mit unbe- waffnetem Auge oder bei Zuhülfenahme schwächerer Vergrösse- rungen in die Augen!). Stärkere Vergrösserungen, welche auch die opakeren Theile dem prüfenden Blicke zugänglicher ma- chen, lassen den Unterschied nicht mehr so hervorstechend er- scheinen. Das Ganze sieht im Querschnitt zeliig aus, wie Pflanzengewebe. Die zelligen Räume der Binnensubstanz er- scheinen weiter, als diejenigen der Rindensubstanz?). Die Rindenschicht wird nur von äusseren Brutkapseln’) gebildet, welche in derselben. Richtung, d. h. senkrecht zur Längsaxe des Bryozoönträgers, Wand an Wand nebeneinander- stehen. Eine jede Kapsel ist länglich-eiförmig. Die einzelnen platten sich an den Berührungsflächen etwas gegeneinander ab. Ihre Oeffnungspole sind ohne Ausnahme nach auswärts, der Oberfläche des Bryozoönstammes zugekehrt. Ein Descendent des Kictocysten, welcher sich über die Kapseln als gemeinsamer Ueberzug hinwegschlägt, aber über jedem Oeffnungspole eine niedrige warzige Erhöhung bildet, schliesst und öffnet sich mit Leichtigkeit. Ist die Polöffnung nun geschlossen, und ist der Insasse der Brutkapseln invaginirt, so zeigt sich an jedem 1) Vergl. Farre Fig. 3 der Taf. XXV, bei 4%. 2) Farre in oben eitirter Abbildung. 3) Reichert über Zoobotryon a. o. a. O. S. 238. ” un Einiges über Halodactylus diaphanus Farre, 491 Ectocysten eine zur Längsachse des Bryozoenträgers querste- hende, längliche Spalte, nach welcher hin im weicheren Umhül- lungstheile viele unregelmässige Runzeln (Fig. 4a) verlaufen. Da wo diese Runzeln aufhören, wird allmählich die Hülle fester, zäher. Sie zeigt sich sammetähnlich, verändert sich nicht in Essigsäure und in alkalischen Flüssigkeiten, enthält keine Kalkbestandtheile und verhält sich in der Consistenz wie die weichere Chitinmasse an den Articulationen der Decapoden. Sie lässt sichohne jede Mühe mit dem Messer spalten. Der Endocyst ist mit farbloser Flüssigkeit angefüllt, welche denselben prall erhält. Sobald dieselbe ausfliesst, collabirt auch der Endocyst sehr merklich und das Bryozoid fällt alsdann manchmal nach Aussen vor. In der Flüssigkeitsmasse des Endocysten nahm ich keine Körperchen wahr, auch konnte ich durch Säuren keine Niederschläge in derselben bewirken. Bei Zusatz von Jodwasser dagegen bildeten sich darin einzelne sehr feine bräunliche Wölkchen. Das Bryozoid zeigt nun folgenden Bau. Ein Fühlerkranz mit nur kurzer kreisförmiger Basis lässt eine Anzahl (ich zählte stets 16)!) Fühler erkennen, welche sich theils alle auf ein- mal, theils nur einzeln oder gruppenweise sehr lang ausdehnen, sich auch kurz und dick einziehen und nach allen Richtungen mit Leichtigkeit krümmen können (Fig. 1, 2, 3). Diese Füh- ler zeigen bei ihren Contractionen Querrunzeln, welche sich nur bei der vollständigsten Extension wieder ausgleichen. Die Ten- takeln sind aussen mit kurzen, fast halbkuglig erscheinenden Wimperzellen besetzt (Fig. 2 und Fig. 5), In diesen Zellen vermochte ich zwar wohl körnige Inhaltsmassen, aber keine deutlichen Kerne wahrzunehmen. Die langen und sehr beweg- lichen Cilien der einzelnen Zellen sah ich im extendirten Zu- stande der Tentakeln an einer Seite derselben von ihrer Basis aus gegen ihre eigene Spitze, auf der anderen Seite von ihrer Spitze aus gegen ihre Basis hinschlagen. Am contrahirten Tentakel dagegen sah ich die Cilien gruppenweise ganz unregel- mässig nach den verschiedensten Richtungen hinschlagen. Das 1) Vergl. Farre 1. c. 4095. 492 Robert Hartmann: Spiel dieser Cilien versetzt das umgebende Wasser in sehr leb- hafte Strömung. F Hinter der Tentakelbasis setzt sich das Bryozoid fort. Die- ses stellt einen schlingenförmig gebogenen Hohlkörper dar (Fig. 1, 2, 3). Dieser Hohlkörper besitzt in seiner ganzen Aus- dehnung eine contractile Wand, welche sich auch in die Ten- takel fortsetzt. Ob nun die Tentakeln, welche innen hohl sind (Fig. 2b), in dieser ihrer Höhle mit der Höhle des Schlund- kopfes communieiren, wie es Reichert bei Zoobotryon pellu- ceidus für sehr wahrscheinlich hält, konnte ich nicht deutlich erkennen. Bei der Stellung der Tentakeln am Schlundkopfe, als dessen terminaler Theil die kurze Tentakelbasis ja nur zu betrachten ist, liesse sich das Vorhandensein einer solchen Com- munication wohl als möglich annehmen. Hinter dem Schlundkopfe folgt eine Speiseröhre (Fig. 2, 3), auf diese der erste oder Vormagen (das. g), darauf der zweite oder Hintermagen (Fig. 2, 3i), auf diesen der Mastdarm (Fig. 2, 3k). Die Umbiegung des schlingenförmigen Körpers findet etwa in der Mitte des Vordermagens statt. So auffällig wie Rei- chert es bei den Vesiculariaden und bei Zoobotryon beschreibt!), erschienen mir freilich die einzelnen Körperabtheilungen der Halodactylus nicht gesondert. Nicht selten sah ich die Speise- röhre beträchtlich erweitert, den Vormagen dagegen stark ver- engert, den Hintermagen ebenfalls nur durch Einschnürungen in einzelne Abschnitte von verschiedener Länge und Weite ab- getheilt, den Mastdarm sah ich manchmal lang ausgezogen, von gleichmässiger Weite seines Hohlraumes, manchmal aber eben- falls durch Einschnürungen in zwei, selbst drei Abtheilungen von verschiedener Länge und Weite gesondert. Oftmals ver- änderten sich diese Zustände unter den Augen des Beobachters. Am constantesten fand ich immer noch die Abgrenzung des Vormagens sowohl gegen die Speiseröhre als auch gegen den Hintermagen hin. In der contractilen den Hohlkörper bildenden, durchaus farblosen und pelluciden Substanz fand ich niemals Körnchen, 1) A. o. a. 0. 8. 249. Abbildungen Taf. I. u NEE EEE nein 4 PR STEEL EEE Fat} Einiges über Halodaetylus diaphanus Farre, 493 Kerne u. dgl. m., sondern ich beobachtete an ihr nur die schon genannten Einschnürungen. Fasst man aber letztere, die ausser- dem noch gelegentlich sich bildenden feinen Runzelchen nebst den Elementen des den gesammten Nahrungskanal auskleiden- den Epithels auf einmal in’s Auge, so könnte man sich aller- dings wohl veranlasst fühlen, in der contractilen Leibeswand noch besondere geformte Elemente zu erkennen, wovor man sich also gründlich zu hüten hat. Das Epithel des Nahrungskanales, von welchem ich eben gesprochen, zeigt sich zunächst im Schlundkopfe, in der Speise- röhre und im Vormagen als ein Cylinderepithel. Die einzelnen Zellen, welche man bei der mikroskopischen Untersuchung des Bryozoides theils im optischen Längsschnitt, theils im optischen Querschnitt wahrnimmt, sind länglich, haben eine ziemlich stumpfe Basis, bilden mit ihren freien Enden ein zierliches polyedrisches Feld, zeigen einen farblosen, sehr zartgekörnten Inhalt und längliche Kerne (Fig. 2, g). Die Cylinderzellen des Schlundkopfes, welcher sich durch die (allerdings nicht beträcht- liche) Länge der Tentakelbasis erstreckt (Fig. 2), sind länger als diejenigen der benachbarten Tentakeln, sind aber, sowie diese letzteren bewimpert. Die Wimperung des Schlundkop- fes reicht übrigens nicht weit nach innen. Ich bemerkte die- selbe schon nicht mehr im oberen Abschnitte der Speiseröhre. Der Hintermagen ist mit einem saftigen Plattenepithel ausge- kleidet. Die einzelnen Zellen, deren Contouren man bei Essig- säurezusatz recht schön hervortreten sieht, enthalten einen mat- ten sphärischen Kern und grössere wie kleinere rundliche, fer- ner kleinere eckige, auch biscuitförmige Körner. Diese sind tiefbraun, sie färben das Epithel des Hintermagens bräunlich (Fig. 2 und Fig. 9). Manche der grösseren farbigen Körner scheinen noch aus kleineren zusammengesetzt zu sein. An den grösseren rundlichen sieht man zuweilen eine centrale Depres- sion, eine Delle (2°°). Vielleicht Leberzellen? Der End- oder Mastdarm ist wieder mit einem Cylinder- epithel ausgekleidet. Während letzteres im Vormagen die läng- sten Zellen aufweist, zeigen sich diese im Enddarm etwas kür- zer, als in der Speiseröhre (Fig. 2.). DENN. 7 494 Robert Hartmann: Die den Zugang zum Schlundkopfe bildende Mundöffnung ist kreisförmig und erscheint im ausgestülpten Zustande auf einer kleinen zwischen den Tentakelbasen vorspringenden Er- habenheit befindlich. Sie hat einen tief strahlenförmig gefalte- ten Rand (Fig. 6, 7). Der Rand zeigt Einschnürungen, welche sich in die nach der Peripherie hin verlaufenden Falten fort- setzen. Man findet die Mundhöhle bald geschlossen und ein- gezogen, bald geöffnet und ausgestülpt. Einmal sah ich die Mundölfnung sich um ein schon halb. zerfetztes, aber noch sich windendes Wesen schliessen, allem Anscheine nach eine Wurm- larve, gegen welche hin zugleich einige Tentakeln sich krümm- ten. Dies geschah ohne Zweifel zu dem Zwecke, die Ergrei- fung und nachherige Verschlingung der Beute zu sichern. Im Hintermagen vieler Individuen fand ich eine Menge von kugligen, lebhaft grüne Einschlüsse enthaltenden Körpern mit dicker pellueider Hülle, ferner hyaline, spitzkeilförmige, an- scheinend aus festweicher Substanz gebildete Körper (Psoro- spermien?), ferner viele gewissen Formen der Pseudonavicel- lenbehälter täuschend ähnliche, dann Olosterien, Naviculae, end- lich bräunliche, gelbliche und grüne Körnchenballen (Fig. 2]). Im Mastdarme vieler sah ich auch je einen losen in ihm liegenden, bald dichter, bald weniger dicht von den Wänden des Nahrungskanals umschlossenen Körper, welcher im Allge- meinen so gestaltet war, dass an ihm sich bei rundem Quer- schnitt das eine Ende dicker und abgestumpfter, das andere dagegen dünner und spitziger zeigte. Gewöhnlich verjüngte sich ein solcher Körper von seinem diekeren Ende aus alsbald stark gegen sein dünneres Ende hin (Fig. 10.C). Indessen fand ich auch etliche Male solche Körper, deren eines Ende nur we- nig spitzer als das andere war (Fig. 10B). Gewöhnlich zeig- ten sich diese Körper nach der Spitze hin gekrümmt (Fig. 10 A, B), selten verliefen sie gerade, mehr oder minder spitzke- gelförmig endigend (Fig. 10 0). Diese Körper waren sehr stark lichtbrechend, hatten sehr dunkle Contouren, waren pellucid, recht hart, wenig spröde. Sie zeigten auf ihrer Oberfläche meist ein schuppiges Aussehen, fast wie Epithel von Menschenhaar, auch wohl unregelmässig-maulbeerähnlich aufsitzende, manchmal Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 495 ganz frei an ihrer Oberfläche hervorstarrende Halbkugeln und Kugeln, deren Lichtbrechungsvermögen dasselbe war, wie das- jenige der übrigen Theile der Körper. Alle diese Gebilde wa- ren resistent gegen Essigsäure. In ihrer Form erinnerten dieselben, deren ähnliche übrigens auch schon von Farre und van Beneden bei Halodactylus u. a.!), von Allman bei Pa- ludicella Ehrenbergi abgebildet worden sind?), an gewisse aus kohlensaurem Kalke bestehende Harnsedimente von Säugethie- ren, z.B. Nagern. Es sind diese Körper der Bryozoen wahr- scheinlich Excrete des Darmes. Ich fand die meisten damit versehenen Bryozoiden eines Bryozoönträgers matt, wie abge- storben, nicht jener energischen Bewegungen fähig, welche die Insassen anderer Kapseln sonst zu vollführen pflegen. In der Tiefe der Tentakelbasis zeigen sich um den Schlund- kopf herumziehende ringförmige Streifen (Fig. 2d), welche bis gegen die Mundöffnung sich erstreckend, Zusammenzieher des Schlundes zu sein scheinen. Wie beweglich das letztgenannte Organ sei, lässt sich sehr wohl beobachten, wenn es sich bei der Aufnahme von Nahrungstheilchen verengt und erweitert. Diese erwähnten Streifen zeigen sich vom Hohlkörper des Bryozoides nicht gesondert. Von einer Selbstständigkeit ringförmiger Muskelfasern darf hier keine Rede sein. Es ver- hält sich dieser Theil genau so, wie er durch Reichert bei Zoobotryon angegeben worden, woselbst sich an dem von diesem Forscher sogenannten ringförmigen Sphincter der Kap- sel bei der Contraction circuläre Runzeln bilden, die das Bild von Muskelfasern wiedergeben können.. Nun hat neuerdings Dr. H. Nitsche über einen aus wirklichen Quermuskelfasern bestehenden Sphincter der Bryozoide von Flustra membra- nacea Linn. Sol. berichtet‘), indessen kann ich bestätigen, 1) Vergl. Farre a. a.0. Taf. XXVI, Fig. 7 und van Beneden Taf. V, Fig. 4 (H. hirsutus),. _ 2) A Monograph of the Freshwater Polyzoa, including all the known species, London 1856, fol. 3) Beiträge zur Kenntniss der Bryozoen. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie 1871, S.417 ff. Ein Theil meiner kleinen Arbeit war bereits abgesetzt, als ich die eben citirte Abhandlung zu Gesicht bekam, von 496 f Robert Hartmann: dass fraglicher Theil sich bei den auf Borkum von mir gleich- zeitig untersuchten Bryozoön Flustra foliacea Lam., Fl. membranacea und Laguncula elongata v. Beneden ge- rade so verhält, als ich es oben hinsichtlich des Halodaety- lus beschrieben habe. Fine morphotische Sonderung angeb- licher Sphincterfasern habe ich weder an frischen noch an in Weingeist oder in Chromsäure'!) aufbewahrten Individuen be- obachten können, auch nicht auf dem optischen Querschnitte der Peripherie des entsprechenden Theiles. Selbst bei Zusetzung schwachen Jodwassers färbten sich die angeblichen Fasern nicht anders als die umgebenden Theile. Man beobachtete gerade dann sehr deutlich, wie die ringförmigen Züge ohne sich als besondere Gebilde abzuheben, ohne scharfe Randeontouren dar- zubieten, mit den umgebenden Gewebetheilen continuirlich zu- sammengingen, mit ihnen ein Ganzes bildeten. Dass jene Run- zelungen eine gewisse Beständigkeit zeigen, ist nicht zu ver- wundern, denn an der in dieser Gegend eingeschnürten Stelle des Bryozoides finden immer behufs der Nahrungsaufnahme und des Kapselverschlusses beträchtliche Erweiterungen und Ver- engerungen des bryozoiden Hohlkörpers statt. Von einer so sehr scharfen Begränzung dieser ringförmig verlaufenden Züge, wie Nitsche eine solche betont, habe ich nirgend etwas gese- hen, vielmehr scheinen dieselben nach den Tentakelspitzen und nach dem Darme hin allmählich zu verstreichen (Fig. 2, 3b). Auch Halodactylus besitzt zwei lange und vier kurze Musculi retractores. Eıstere entspringen in der Kapsel an den keine Structur darbietenden, die Kapsel auskleidenden sehr dünnen Endocysten und setzen sich an die Verbindungsstelle dieses selbigen mit der den Schlund umgebenden Tentakelbasis. Ein solches Verhalten der langen Retractoren ist von Reichert auch an Zoobotryon pellucidus zuerst richtig abgebildet und erklärt, von Farre bei seiner Bowerbankia densa, von van Beneden bei seiner Laguncula repens u. s. w. zwar rich- tig abgebildet, aber weniger treffend beschrieben worden. welcher ich noch soviel wie möglich hier Gebrauch zu machen gesucht habe, 1) 1 Ac, chrom. : 16 Ag. dest. a Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 497 Die kurzen Retractoren entspringen in Mitte der Kapsel am Endocysten und inseriren sich dicht unterhalb der Tentakel- basis ebenfalls an den einziehbaren Theil des Endocysten (Fig. 1, Fig. 2; in Resten Fig 3 c). Alle diese Muskeln stellen Bündel sehr feiner, drehrunder Fasern dar, welche wie bei Zoobotryon pellucidus bei La- guncula elongata, Flustra foliacea, Fl.membranacea, Cellularia avicularia, ©. flustracea und Lophopus ccry- stallinus durchaus direct in das Endocystengewebe übergehen. Diese Muskelfasern sind nicht nur allein bei Halodactylus diaphanus, sondern auch bei den anderen von mir beobach- teten und namhaft gemachten Bryozoön im ausgedehnten Zu- stande von einer sich gleichbleibenden Dicke, pellucid, homogen. Sie zeigen nichts einem Sarcolemma Vergleichbares, auch nichts was man für einen Muskelkern halten könnte, wiewohl Nitsche Gebilde letzterer Art zur Zeit an den Fasern seines grossen Polypid-Retractors bei Flustra membranacea beschreibt und abbildet (Taf. XXXVII Fig. 11):). Kernartige Gebilde lassen sich freilich an geschwollenen Stellen der contrahirten Fäden, namentlich bei einer so starken Vergrösserung wie der von Nitsche angewendeten (22°) leicht herausconstruiren. Niemals habe ich an den Bryozoönmuskeln jene echte Querstreifung gesehen, wie sie für die „quergestreiften“ Primi- tivbündel und Primitivfibrillen der Wirbelthiere und Glieder- thiere so characteristisch ist. Ich suchte diese bereits im Jahre 1858 vergeblich an den Retractoren von Lophopus crystallin., im Jahre 1860 vergeblich an den Retractoren und Avicularien von Gellularia avicularia, C. flustracea, später ebenso vergeblich an den Retractoren der genannten Halodactylus, Laguncula und Flustren. Reichert hat sie auch an den Muskelfäden des Zoobotryon vermisst. Er sagt von den Re- tractoren des letzteren Moosthieres, dieselben verkürzten sich durch die Contraction bis auf ein Dritttheil der ursprünglichen Länge, würden im gleichen Maasse dicker, erhielten eine schwach gelbliche Tinction und zeigten an ihrer Oberfläche feine parallele 1) Früher bei Aleyonella fungosa. $. w. unten. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 33 498 Robert Hartmann: Querrunzeln, welche ihnen die mikroskopische Zeichnung eines quergestreiften Mus'zelfadens gäben. Die allgemeine Form bleibe dabei cylindrisch; die Contourlivien erhielten sich einfach, die Substanz des quergeru : elten Cylinders zeige sich homogen, ohne irgend ein Abzeichen; namentlich fehle auch jede Erschei_ nung, welche auf einen Hohlkörperbau schliessen liesse (S. 294). Ich selbst habe ein ganz ähnliches Verhalten an den Re- tractorenfasern aller von mir beobachteten Bryozo&n gesehen. Diese homogenen Fasern erhalten, sobald sie sich unter Ver- kürzung zusammenziehen, in der That Querrunzeln, welche sich mit gewisser Regelmässigkeit neben einander bilden können, und welche nicht in dem Bau dieser Theile begründet sind. Aus dem Ectocysten herausgelöste stark contrahirte Retracto- renfasern zeigten diese Runzeln, stellenweise auch beträchtliche, durchaus unregelmässige Anschwellungen und kleine Sinuositä- ten an den Rändern der contractilen Muskelsubstanz selbst!) (Vergl. Fig. 11). Aber alle solchergestalt sich darbietenden Bilder hatten Nichts, gar Nichts mit denjenigen gemein, die uns ächte quer- gestreifte Muskelfasern zeigen, trotzdem mehrere Beobach- ter solche Querstreifen bei verschiedenen Bryozo&n gesehen ha- ben wollten. Nitsche war es seiner eigenen Angabe nach niemals möglich gewesen, weder an lebenden noch an frisch getödteten, noch an erhärteten Exemplaren, (nämlich an den grossen Bewegungsmuskeln des Polypid der Aleyonella fun- gosa) eine Erscheinung zu entdecken, welche ihm als wirk- liche Querstreifung erschienen wäre. Mitunter sei allerdings das Sarcolemma ein wenig quer gerunzelt, dies komme aber daher, dass nur die eigentliche Muskelsubstanz contractil sei, das Sarcolemma aber nicht?). Nun bemerkte Nitsche an den von ihm beschriebenen Muskeln des Darmcanals desselben Thie- 1) Nicht etwa Aufblähungen eines supponirten Sarcolemma! wie Nitsche ein solches bei Aleyonella fungosa (Beiträge zur Ana- tomie der phylactolaemen Bryozo@en, Inauguraldissert. Berlin 1868, Taf. II, Fig. 20) und Flustra (a. a. O. Taf. XXXVII, Fig. 11) abbil- det und beschreibt. 2)7A2.2..0.'8..36, Einiges über Halodactylus diaphanus Farre, 499 res mitunter eine Art Querstreifung (seine Taf. II, Fig. 15), welche schräg gegen die Längsachse steht und entweder gleich- mässig über die ganze Breite der Faser sich erstreckt, oder in entgegengesetzter Richtung an beiden Rändern beginnend in der Mitte unter einem Winkel zusammenstösst, wodurch die Faser eine Art gefiederter Zeichnung erhält. Diese Erschei- nung könne man besonders am Oesophagus und am blinden Ende des Magens beobachten. An letzterem habe er sie an frischen Exemplaren nach Zusatz von verdünnter Chromsäure schön ge- sehen, ob sie aber wirklich auf einer inneren Structur des Mus- kels beruhe, oder nur durch eine wellige Krümmung der Fa- sern, oder eine Faltung der homogenen Membran hervorgerufen sei, werde für den Augenblick kaum zu entscheiden sein.!) Am „grossen Retractor des Polypid von Flustra mem- branacea“ erkennt nun Verfasser mitunter, aber nicht immer, und unabhängig davon, ob jener gerade contrahirt oder erschlafft ist, eine deutliche Querstreifung, welche ihren Grund nicht in einer Querrunzelung des Sarcolemma, sondern in in- neren Structurverhältnissen der Fasersubstanz hat?). Ich kann hier nur wiederholen, dass ich die auch an den Mus- keln der Flustra auftretenden angeblichen Querstreifen auf die vorhin erwähnten Contractionserscheinungen einer an sich ho- mogenen Fasersubstanz zurückzuführen mich genöthigt sehe. Bereits früher und wiederum im verwichenen Herbst habe ich die Avicularien der oben erwähnten Cellulariaarten auf ihre Muskelstructur untersucht. Bei schwachen Vergrösserungen guter und bei stärkeren Vergrösserungen schlechter Instru- mente sieht man an den im Innern der Avicularien befindlichen den Unterschnabel derselben bewegenden Muskelsträngen wohl etwas einer undeutlichen Querstreifung entfernt Aehnliches. Bei starken Vergrösserungen bemerkt man nun, an Cellularia avicularia, wie das Parenchym des gesammten Bryozoönstockes, dasjenige der Avicularien und der Vibracularien desselben in seiner mittleren verkalkten Schicht von zahlreichen zur Ober- 1) Ebendas. S. 17. 2) A. a. 0. S. 434. Taf. XXXVII, Fig. 11. 500 Robert Hartmann: 3 fläche senkrecht verlaufenden sehr feinen, einander parallelen und cylindrischen Kanälchen durchbohrt wird. Da diese Ka- nälchen ziemlich regelmässige Längs- und Querreihen bilden, so könnte man dieselben bei tieferer Einstellung und bei Man- gel an Vorsicht an den Randparthien des stark convexen Or- sanes, wo sie allmählig schrägen -Verlaufes erscheinen, als den in der Tiefe liegenden Muskeln angehörende Querzeichnungen ansehen. Bei Cellul. flustracea ist die Oberfläche des Pa- renchym mit zahlreichen feinen Leisten versehen, welche in ihrer Hauptrichtung der Längsaxe des Bryozoönstockes parallel, vielfach mit einander anastomosiren. Zwischen ihnen sieht man eine unendliche Menge kleiner starklichtbrechender Punkte, wahrscheinlich Oeffnungen von unendlich feinen Kanälen der Kalkschicht. Construirt man sich nun Reihen aus diesen Punc- ten und stellt man diese (unter ungenügender Vergrösserung) auf die Muskeln des Organs ein, so erhält man auch hier eine Täuschung wie die eben erörterte. Zerstört man aber die Avi- eularien vorsichtig und veranlasst man ein Heraustreten von Muskelfäden aus denselben, so bemerkt man an diesen eben jene Contractionserscheinungen, welche wiederum zur Deutung wirklicher Querstreifen verführen könnten. Indessen sieht man an Strecken derselben nichts von Querrunzeln und sieht auch vorher, im unversehrten Avicularium, bei gehöriger Ver- grösserung (2007600) und gehöriger Einstellung nur die homo- genen, glashellen Fasern der extendirten, die Querrunzeln der contrahirten Muskeln. Nitsche redet im -Allgemeinen der Anwendung erhärten- der Substanzen bei zootomischen Untersuchungen das Wort. Auch ich habe dergleichen und zwar sowohl Chromsäure, dop- | peltchromsaures Kali als auch Liquor conservativus und Wein- geist bei meinen Arbeiten über Bryozo@ön in Anwendung ge- nommen. Nun sind es aber gerade solche erhärtenden Sub- stanzen, welche gehörig angewendet, an ächten quergestreiften Muskeln diese characteristische Querstreifung in deutlichster Weise erhalten und selbst noch nach Verlauf von Jahren sehr wohl erkennen lassen. Nur in verdorbenen Erhärtungsflüssig- keiten, in weichen die eingelegten Gewebe eher maceriren, als a u 2 0. Einiges über Malodaetylus diaphanus Farre. 501 hart werden, kann die Querstreifung aufhören sichtbar zu sein! An gut conservirten Präparaten dagegen erkennt man diesen Zustand an den allerfeinsten Primitivfibrillen der kleinsten Krebsthierchen, Insectenlarven u. s. w. noch nach langer, langer Zeit. Dagegen habe ich ein Bild, wie es diese Querstreifung (solcher Wesen) giebt, niemals an den auch mit ihrer Muskelatur oft sehr gut erhaltenen Erhärtungsprä- paraten von Bryozoön beobachtet. Ich bestreite daher die Exi- stenz jener Querstreifung an den Bryozoönmuskeln, mich stützend auf die Untersuchung lebender und in erhärtenden Flüssigkei- ten aufbewahrter Individuen. DieEntwickelungsgeschichte der Bryozo@n lehrt uns gar nichts über die etwaige Entste- hung einer Querstreifung. Nitsche’s Erklärung, „als Muskel- faser müsse jedes contractile Element angesehen werden, bei welchem eine äussere elastische Hülle als Antagonist gegen die contractile innere Substanz des Gebildes wirke und bei welchem die Elasticität desselben nach Aufhören der Contraction die einzelnen Elemente der contractilen Substanz in ihre ursprüng- liche Gleichgewichtslage zurückführt!)* — diese Erklärung lässt sich freilich für die Bryozo@n nicht in Anwendung ziehen, weil ihren Muskeln eine. elastische Hülle fehlt. Wie ich übrigens das Verhältniss der von mir untersuchten Bryozoönmuskeln zu Reichert’s protozootischer Substanz auffasse, das werde _ ich später erörtern. Was nun die Wirkung der Muskeln des Bryozoides von Halodactylus anbetrifft, so zeigt sich dieselbe ganz ähnlich, wie Reichert dieselbe bei Zoobotryon pellueidus beschrieben hat. Der lange Zurückzieher der Kapsel zieht auch den Schlundkopf sammt der Tentakelkrone ein. Der kurze Zurückzieher wirkt bei der völligen Invagination, welche Rei- chert als zweiten Act dieses in der That hinter einander er- folgenden Vorganges bezeichnet. In diesem Acte werden Nah- rungskanal und Tentakelkrone nebst der Hülle der letzteren tief in den Kapselgrund hineingezogen.?) Nun besitzt jedes Bryozoid des Halodactylus einen vom 1) A. a. 0. 8.498. 2) A. a. 0. 8. 246. 502 Robert Hartmann: Kapselgrunde ausgehenden und am Magentheile sich inseriren- den Strang, einen Funiculus posterior (Fig. 1, Fig. 8). Ein solcher Strang ist aus einer Anzahl einzelner paralleler Fasern zusammengesetzt, welche rund, glashell, homogen, ohne Kerne erscheinen, in gewissen Zuständen aber verkürzt sind» knotige Anschwellungen und verdünntere Stellen, sowie auch Querrunzeln zeigen. Ich vermuthe, dass diesem Funiculus eine contractile Eigenschaft innewohnt, denn ich sah die Ver- kürzung, die Anschwellung und Runzelung der Funiculus- fasern gleichzeitig mit der Invagination des Bryozoides entste- hen und mit der Evagination desselben wieder sich ausgleichen. Auch Reichert sprach sich dahin aus, dass der Funiculus po- sterior des Zoobotryon') vielleicht contractile Eigenschaft besitze, welche ihn befähigen möchte, während der Invagination die Zurückziehung des Nahrungskanales activ zu bewirken. Reichert schildert die Evagination und das Hervortreten des Schlundkopfes mit der Tentakelkrone bei Zoobotryon als hauptsächlich durch den elastischen Druck des Grundstückes der Kapsel erfolgend, bei gleichzeitigem continuirlichen oder auch durch einzelne Pausen unterbrochenen Nachlassen der Con- traction in den bei der Invagination thätigen contractilen Ele- menten, sowohl der Retractoren wie auch des Sphincter. Bei Halodactylus haben wir es zwar. nicht mit frei am Stocke sich entwickelnden Brutkapseln zu thun, sondern die Brutkap- seln sind hier vielmehr noch von einer die Ectocysten der- selben einschliessenden dünnen homogenen mantelartigen Hüll- substanz?) bekleidet. Indessen ist diese Hüllsubstanz so we- nig starr als die von ihr eingeschlossenen Brutkapseln es sind. Es können daher auch bei der Evagination der einzelnen Bryo- zoide von Halodactylus alle jene Factoren wirken, welche nach meiner eben gegebenen Darstellung Reichert für die Evagination des Bryozoides von Zoobotryon in Anspruch nimmt. Das Nachlassen der Contraction des Funieulus posterior, falls dieser wirklich contractil ist, dürfte dann bei diesen Vorgängen 1) S. dessen Taf. II, Fig. 3A, S. 246. 2) Dieselbe könnte an das Coenenchym der Anthozoen erinnern. Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 503 freilich ebenfalls von einiger Bedeutung sein. Nun schliesst sich übrigens bei der Invagination jedes Bryozoides über die- sem auch die Hüllsubstanz an derjenigen Stelle, an welcher bei der Evagination jedes Einzelthieres dieses seinen Tentakelkranz frei über der Aussenfläche des Bryozoenstockes bewegt und zwar in der schon oben S. 490 beschriebenen Weise (Vergl. Fig. 1). Dieser Verschluss scheint nun durch einen äusseren Sphincter hervorgebracht zu werden, welcher der Hüllsubstanz angehören würde. Es erschien mir nämlich mehrmals ganz so, als zögen um die äussere Verschlussöffnung concentrische Kreise herum, welche beim allmählichen Nachlassen des Verschlusses undeutlicher wurden, und sich weiter von einander entfernten, bei wieder eintretendem Verschluss (nach stattfindenden äussern Reizen, z B. Druck mit dem Deckgläschen, Erschütterung des Deckgläschen u. s. w.) aber deutlicher wurden, und scheinbar wieder näher aneinanderrückten. Diese concentrischen Kreise gehören sehr wahrscheinlich dem äusseren Sphincter an. Man kann natürlich einzelne Fasern desselben so wenig präpariren, als dergleichen am innern Sphincter möglich ist. Der Ver- schluss der äusseren Oeffnung (Wirkung des äusseren Sphinc- ter?) war synchronisch mit demjenigen Vorgange, welcher von Reichert als erster Act der Invagination bezeichnet wurde (S. 243). Mit dem inneren Sphincter fällt jener äussere nicht zusammen. Wie wollte man aber ohne Annahme eines letzte- ren, auf dessen Vorhandensein die eben beschriebenen concen- trischen Züge in der That hindenten, die Verschliessbarkeit und Oeffnungsfähigkeit des der Hüllsubstanz angehörenden äusseren Porus (Orificiums) erklären? Auch Halodactylus besitzt sein schon von Farre (nur etwas zu spitzzackig) abgebildetes Collare setosum (Fig. 1)'). Dieses stellt auch hier den gezähnten ringförmigen Endabschnitt des Ectocysten dar. Selbiges ist in der Richtung der Saum- zacken, d. h. zugleich in der Längsrichtung der Brutkapsel, mit sehr zarten Längsfältchen versehen. Das Collare ragt nebst 1) Von van Beneden bei H. hirsutus dargestellt, Pl. V, Fig. 4. 504 Robert Hartmann: den ringförmig sich einschnürenden Stellen des Ectoeysten, bei den völlig evaginirten Bryozoiden weit über den Aussenporus (der Hüllsubstanz) hinaus, wie dies übrigens schon von Farre recht gut dargestellt worden ist. (Vergl. seine Fig. 2 und 7, ferner meine Fig. 1). Es gewährt den reizendsten Anblick, wenn aus einem unter das Mikroskop gebrachten Abschnitte des Bryozo@nstockes sich eine Anzahl unserer Bryozeide ent- falten, ihr Collare sich herverstülpt, die Tentakel sich strecken und an ihnen das Spiel der Wimpern beginnt! Den von Farre beschriebenen und in seiner Fig. 10 abge- bildeten angeblich mit den Höhlen der Tentakeln communiei- renden Ringkanal!) habe ich nicht deutlich gesehen. Nur ein- mal schien es mir, als sei ein solcher wirklich vorhanden. Indessen könnten hier doch auch die obersten Kreiszüge des Sphincter getäuscht haben. Nitsche giebt an, er habe an Flustra membranacea einen die Mundöffnung umgebenden Ringkanal beobachtet, in welchen die Höhlungen der einzelnen Tentakeln mündeten (8. 430). Existirt nun ein solcher Ka- nal bei Halodactylus, so würde noch zu untersuchen bleiben, ob dieser, wie dies bei anderen Bryozoön vermuthet wird, mit der Höhlung des Nahrungscanales communieire oder nicht. Nach Reichert darf kaum bezweifelt werden, dass bei Zoobotryon eine offene Communication zwischen der Tenta- kelröhre und der Höhle des Schlundkopfes in der Region des Mundstückes bestehe.) 1) „The arms when viewed with an amplifying power of 200 li- near are seen to be tubercular throughout (Fig. 19.a) and to have an aperture at each extremity. The aperture at the apex is extremely small, and in a lateral view sometimes appears like a slight notch at the extremity of the arm. The apertures at the base are seen more plainly, and are situated in the centre of the tentacular ring, one corresponding with the base of each arm (Fig. 8). I have also some- times observed what would seem to be a fine canal, running round in the substance of the ring, and appearently uniting the tentacular eanals.“ p. 406. Die von unserem Gewährsmanne angegebenen ter- minalen Tentakelöffnungen existiren übrigens nicht. 2) S. 248. In dem bekannten Bronn’schen Sammelwerke heisst es: „Alle Höhlungen dieser Fäden (Tentakeln) münden unten in einen a SEHRHE a ee Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 505 Wie ich bereits oben S. 491 erwähnt habe, findet sich eine farblose Flüssigkeit in den Endocysten der äusseren Brutkap- sel. Wir werden später schen, dass auch die von mir soge- nannten inneren Brutkapseln mit einer solchen -gefüllt sind. Diese Flüssigkeit umspült als „perigastrische* den Nahrungs- kanal. Die aus angeschnittenen Bryozoönstöcken gewonnene schmeckt salzig, und hinterlässt nach ihrer Verdunstung einzelne ‚sowie aggregirte, tesserale Krystalle, welche denen das Seesalzes vollkommen identisch erscheinen. Geformte Elemente habe ich in dieser Inhaltsfüüssigkeit nicht beobachtet. Dieselbe ist jeden- falls reines Meerwasser, wie denn Reichert dasselbe auch im Zoobotryon gefunden hat. Auf welchen Wegen nun dasselbe in den perigastrischen oder Innenraum der Brutkapsel, (van Beneden’s cavite periintestinale (p. 10) ') gelangt, ist noch ungewiss. Denn an unserem Thiere habe ich keinen Porus se- hen können, keine Communicationsöffnung, wie deren Vorhan- densein von mehreren Beobachtern an diesem und an anderen Bryozo@n aus directer Untersuchung geschlossen worden ist. Ich habe ferner bei den von mir bearbeiteten frischen und con- servirten Bryozo@n niemals jenes sonderbare Organ wahrgenom- men, welches Farre bei unserem Halodactylus beschreibt Kanal des Lophophors (Tentakelträgers, von mir bei Halodactylus, welchem ein hufeisenförmiges Gebilde dieser Art mangelt, als Tenta- kelbasis bezeichnet) ein, welcher seinerseits mit der Leibeshöhle zu- sammenhängt“. Bronn: Die Klassen und Ordnungen des Thierrei- ches. III Bd. 1. Abtheilung, 8.38. Es wird hierzu eine Abbildung Taf. IV, Fig. 2B eitirt und wird in der betreffenden Figurenerklärung bemerkt, es sei hier ein von Muskeln (?) umgebener Kanal (Faden- höhle) vorhanden. Die Abbildung ist eine Copie nach van Bene- den’s Abhandlung über Laguncula repensl. ce. T. XVII, T. 1, Fig. 2. In der durch van Beneden gegebenen Figurenerklärung ist zwar beib die Tentakelhöhle verzeichnet, indessen ist hier von einem Ringkanale gar nicht die Rede. Im Texte van Beneden’s S. 9 heisst es nur, die Höhle eines jeden Tentakels communieire mit dem grossen mit Flüssigkeit erfüllten Raume, in welchem der Nah- rungskanal sich befinde (Endocystenhöhle der Brutkapsel). Es findet sich also ein Widerspruch zwischen der Bronn’schen Textangabe und der dazu citirten Abbildung! 1) L. e. vol. X. 506 Robert Hartmann: und auch bildlich darstellt, jenes Organ, von welehem Einige glauben, dass es die Communication zwischen der Brutkapsel- höhle und der Aussenwelt unterhalte. Obgleich mir bei mei- nen Untersuchungen am Meere Farre’s Originalarbeit nicht zur Hand gelegen, so kannte ich doch die Copie seiner Abbil- dungen in Bronn’s Sammelwerk hinreichend, hielt meine ganze Aufmerksamkeit auf erwähntes Organ des Thieres gerichtet, suchte dasselbe jedoch vergebens. Dieser Theil konnte daher unmöglich gänzlich übersehen worden sein, wenn er überhaupt vorhanden war. Dieses Organ bildet nach Farre einen klei- nen flaschenähnlich gestalteten, zwischen der Basis zweier Ten- takeln befindlichen und dem Tentakelkranz durch einen kurzen Stiel verbundenen Körper. Derselbe ist innen bewimpert und hat auch eine mit einem Wimperkranze besetzte Endöffnung. Farre hält dieses Gebilde, welches seiner eigenen Darstellung zufolge „more frequently absent than present“ nicht für ein sehr wichtiges für die Lebensverrichtungen des Thieres, meint aber, es sei zu fest mit den Tentakeln vereinigt und zu con- stant in seiner Stellung, um als Parasit betrachtet werden zu dürfen'.,. Van Beneden erwähnt dieses Gebildes nicht. Farre beschreibt dann ein ähnliches auch bei Membrani- pora pilosa Blainv:). Ich komme später auf dieses angeb- liche Organ wieder zurück. Bekannt sind die Versuche von van Benedenund Allman, welche Bryozo&n in Farbenlösungen legten, ohne dass die peri- gastrische Flüssigkeit der Brutkapsel sich färbte. Ich erhielt ein gleiches Resultat an kleinen Halodactylusstöcken. Hüllsub- stanz und Ectocysten derselben färbten sich, die perigastrische Flüssigkeit dagegen nicht, sie blieb vielmehr farblos. Vom Vor- handensein der durch Andere vermutheten Communications- öffnungen zwischen Tentakelhöhlen und perigastrischem Raum 1) L. ce. p. 408, Fig. 16, 17 und 18b. 2) „The flask-shaped body was here also occasionally observed, but without affording any additional information. It was much larger in proportion to the length of the arms, and was sometimes seen to be much distended and to alter its form occasionally“. p. 412, Taf. XXVIIJ, Fig. 3, 4. Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 507 habe ich bei Halodactylus nichts bemerkt. Durch den pe- rigastrischen Raum der Brutkapsel auch des Halodactylus ziehen ungemein zarte Fäden von Wand zu Wand in einer zur Queraxe der Kapsel parallelen Richtung, welche schon von Farre bildlich dargestellt (Fig. 4, 5), von ihm und von ver- schiedenen anderen Bryozoologen Parietalmuskeln, von Reichert, nach seiner Entdeckung der elastischen Axensubstanz, Spannbänder oder Spannbalken der Brutkapsel genannt worden sind (s. meine Fig. 1). Leider habe ich eine genauere histologische Untersuchung dieser sehr leicht zerreisslichen Theile aus verschiedenen Gründen nicht vornehmen können. Nitsche nimmt für diese Gebilde neuerdings wieder die Beschaffenheit und die Action von wirklichen das Zooeceium, die Brutkapsel, deprimirenden Muskelbündeln in Anspruch, ohne indessen überzeugende Beweise für seine Ansicht vorzubrin- gen.') Van Beneden hatte an der Tentakelbasis von Halodac- tylus hirsutus ein „Ganglion nerveux“ abgebildet (l. c. T. V, Fig. 4, 1). Ich habe nun weder bei Halodactylus dia- phanus (welchen ich übrigens, beiläufig gesagt, keineswegs ‚specifisch von H. hirsutus trennen möchte?), noch bei sonst einem von mir beobachteten Bryozoon irgend etwas gesehen, was man als ein Nervenorgan mit den für ein solches charak- teristischen Attributen hätte halten können. Nirgend war hier 1) S. 426. Taf. XXXV, Fig. 1 und 2, Taf. XXXVI, Fig. 4, pm und x. 2) Halodactylus diaphanus varirt hinsichtlich der Gestal- tung und Befestigungsweise seines Bryozoenstockes ganz ungemein. Man kann alle möglichen Uebergänge zwischen den anscheinend noch so extremen Formen desselben aufweisen. Auf ein Bischen mehr oder weniger dunkle Färbung kommt es ja auch nicht an und gewichtige innere Unterschiede fehlen. Sogar Halodactylus parasitieus (s. van Beneden p. 38) würde ich als vermeintliche Art unbe- denklich einziehen und mit H. diaphanus vereinigen. Welchen Namen für das System man dem letzteren nun endgültig verleihen möchte, das zu entscheiden überlasse ich dem Geschmacke der Fach- genossen. Farre’s Benennung dürfte indessen wohl Anspruch auf allgemeine Adoptirung haben. 508 Robert Hartmann: Das zu sehen, was den Ganglienknoten selbst eines wirbellosen Thieres doch immer kennzeichnet, nämlich ein aus Bindesub- stanz bestehendes Stroma, in welches eingebettet sind: Gan- glienkörper und von diesen ausgehende, in die Organe sich ver- zweigende peripherische, von Bindesubstanz umhüllte Nerven- fasern. Ein scheinbarer, angeblich an irgend einer Körperstelle gesehener Haufen von grob- oder feinkörniger Materie genügt hier noch nicht und zwar selbst dann noch nicht, wenn man glaubt, an ihm sogar an Kerne erinnernde Körper und von dem- selben ausgehende Fasergebilde wahrgenommen zu haben, Der- artige Formen lassen sich in jener bei den niedrigsten Thieren so verbreiteten contractilen Substanz, welche Reichert neuerdings die protozootische genannt hat, sowohl aus den Contractionsgestaltungen, als auch nach Anwendung von Rea- gentien und aus den dadurch erzeugten Kunstgebilden bald ein- mal zusammenconstruiren. Aehnliche Kunstgebilde entstehen aus der protozootischen Substanz des Zoobotryon selbst an Stel- len, an welchen niemals Contraetionen wahrgenommen werden, wie dies Reichert durch seine Abbildung (Taf. IV, Fig. 12) dargestellt hat. Angesichts solcher Wahrnehmungen sind wir, wollen wir mit der nöthigen Sorgfalt und Ehrlichkeit verfahren, gezwungen, von Ganglienkörpern und Nervenfasern, überhaupt nur bei Anwesenheit unzweifelhafter At- tribute derselben zu sprechen. Wir sollten freilich auch nicht anstehen, uns die Frage vorzulegen, ob nicht etwa in der aufsteigenden Reihe der Thier- welt Uebergänge vorkommen dürften von niederen Thieren (bei denen protozootische Substanz eine Hauptrolle spielt) zu solchen höheren Wirbellosen, bei welchen Muskelfasern und die histo- logischen Elemente des Nervensystems bestimmt und scharf gesondert hervortreten? Wollen wir uns aber auf Untersuchun- gen der eben erwähnten Art einlassen, dann müssen wir zu- nächst für die Erhaltung einer reinen und unverfälschten Unter- lage derselben sorgen, um die Untersuchung vor schädlicher Einseitigkeit bewahren zu können. Nitsche macht auf die bekannte Erscheinung aufmerksam, dass, sobald man ein Bryozoid eines Bryozoönstockes reize, Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 509 sämmtliche Bryozoide eines solchen sich zugleich zurückzögen. Er glaubt sich dies auch ohne Annahme eines sogenannten Co- lonialnervensystems bei Flustra membranacea') erklären zu kön- nen. „Ein Bryozo&enstock, z. B. Flustra membranacea, könne aufgefasst werden als ein Aggregat von ringsgeschlossenen Säcken, welche mit Flüssigkeit prall erfüllt sind; durch Weich- theile verschlossene Poren verbänden die einzelnen Säcke. In jedem Sacke, dem Zooecium, liege eingeschaltet ein Polypid. Die Bewegung eines jeden Polypides müsse nothwendig eine Erschütterung der das Zoovecium erfüllenden Flüssigkeit hervor- bringen, und diese Erschütterung könne sich sicherlich durch die Poren oder vielleicht auch durch Schwingungen der dün- nen Rosettenplatten auf den flüssigen Inhalt der benachbarten Zooecien in weitem Umkreise fortpflanzen. Die Erschütterun- gen der Flüssigkeit würden sich direct auf die in der Flüssig- keit schwimmenden Polipide fortpflanzen und diese würden so- mit benachrichtigt werden, dass in einem Zooecium des Stockes eine Bewegung des Polypides stattgefunden habe (S. 436). Diese Darstellung Nitsche’s, deren Richtigkeit ich für Flustra von vornherein anerkenne, lässt sich meiner Meinung nzch auch sehr wohl auf Halodactylus anwenden. Auch bei diesem Thiere, bei welchem von einem Colonialnervensy- stem erst recht keine Rede sein kann, ist es jedenfalls die von Brutkapsel zu Brutkapsel sich fortpflanzende Erschütterung der dieselben prall erhaltenden, perigastrischen Flüssigkeit, welche den Effect des gemeinsamen Zurückziehens aller Bryozoide, nach stattgehabter Reizung eines einzelnen derselben, hervor- bringt. E Bei dieser Gelegenheit sei übrigens bemerkt, dass nach Nitsche’s Ansicht kein Grund vorliegt, die älteren Ausdrücke Polypid und Zooecium durch Reichert’s Ausdrücke Bryo- zoid und Brutkapsel zu ersetzen (S. 485). Dieser Anspruch liesse sich schon rechtfertigen, wenn Reichert sich bei Aufstel- - lung jener Bezeichnungen durchaus nur von dem Wunsche, neue 1) Nachdem Smitt ein solches beschrieben Vergl. Nitsche a. a. 0. 8. 434. 510 Robert Hartmann: Namen in Jie Welt setzen zu wollen, hätte beherrschen lassen. Allein er hat sich in seiner Abhandlung genauer über die Gründe erklärt, denen zufolge er z. B. die Bezeichnung „Brutkapsel* aufgenommen sehen möchte. Sagt er doch, „dass, möge nun der Bryozoönkopf, d. h. das Einzelindividuum des Bryozoen- stammes!) aus dem befruchteten Ei oder aus einer Spore, All- man’s Statoblasten, oder aus einer Knospe hervorgehen, nach den übereinstimmenden Angaben Dumortier’s, van Bene- den’s, Allman’s und seinen eigenen, an den Knospen zu- erst die Kapsel gebildet werde (Taf. I, Fig 2). Erst später wachse vom Grunde der Kapsel der sogenannte Nah- rungskanal, mit der Tentakelkrone voran, frei hervor, erreiche nach und nach die künftige Oeffnungsstelle der Kapsel und ver- einige sich mit ihr durch Vermittlung der Tentakelkrone oder (richtiger) des Schlundkopfes an der Insertion der letzteren.“ (S. 238). Ich wüsste nicht, was an dieser Stelle irgend Un- klares zu finden sein sollte. Reichert fährt alsdann fort. „der Bildungsvorgang lässt sich meines Erachtens nur mit einem Knospenzeugungsprocess, wie wir ihn z. B. bei der Brutkapsel der Campanularien kennen gelernt haben, vergleichen, mit dem er aber auch in den wesentlichen Stücken übereinstimmt. Will man den Forderungen der Bildungsgeschichte gerecht werden, so muss der sogenannte Darmkanal m‘t der Tentakelkrone als Descendent der Kapsel, die Kapsel selbst als voraufgehende embryonale Bildungsform der Bryozo@n, der Darmkanal als ein durch den Knospenzeugungsprocess erzeugter und mehr ent- wickelter Zustand der Brutkapsel angesehen werden. Die Hauptbestandtheile des Bryozo@nkopfes lassen sich dann nicht mit dem Leibeswandorgane und dem Darmkanal eines höheren wirbellosen Thieres, z. B. einer Molluske, vergleichen. Der Bryozoönkopf müsste im Sinne eines Individuenstockes gedeu- tet werden, in welchem die Kapsel den ursprünglichen Stamm darstellt, der als schützende Bruthülle den Darmkanal mit der Tentakelkrone, seinen Descendenten, eingeschachtelt enthielte. Die Kapsel oder Zelle verdient daher mit Recht den Namen 1) Kapsel + Bryozoid. Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 511 „Brutkapsel“, den Insassen werde ich das „Bryozoid“ nennen“. Verfasser fährt dann mit der Bemerkung fort, er sei bei dieser seiner Auffassungsweise auf lebhaften Widerspruch gefasst. „Denn hier tritt noch auffallender als bei anderen Individuen- stöcken die innige, gleichsam organologische Wechselbeziehung zwischen Stamm und Descendent in den Lebensäusserungen zu Tage. Aber ich weiss nicht, wie man das durch die Bil- dungsgeschichte gestellte Problem nach dem heutigen Stande der Wissenschaft anders lösen sollte, und meine auch, dass die lockere Verbindung des Nahrungskanals mit der Kapsel, ferner seine so oft auffällige freie Beweglichkeit in letzterer, endlich die innige Verbindung der die Mundöffnung umgebenden und bildenden Tentakelkrone mit dem Nahrungskanale sogar zu Gunsten dieser Auffassung sprechen; wenigstens ist ein solches Verhalten bei wirbellosen Thieren, an deren Körper ein Leibes- wandorgan und ein wirklicher Darmkanal unterschieden werden kann, nicht beobachtet“ (S. 233 ff). Es handelt sich hier also nicht um eine wesenlose Spielerei mit Namen, sondern um be- stimmt fundirte und deutlich formulirte Begriffe, Die von mir innere genannten Gebilde stellen rundlich- - ovale, das Centrum des Bryozoönstockes, dessen Binnensubstanz (S. 490, Fig. 1 und Fig. 12) einnehmende blasenähnliche Kör- per dar. Sie werden von derselben Flüssigkeit, welche den Endoeysten der äusseren Brutkapsel als perigastrische aus- füllt, prall-ausgedehnt erhalten. Sie haben dünne structurlose Wände und platten sich gegen einander ab, so dass Gruppen dieser Brutkapseln auf Querschnitten des Bryozoänstockes den Eindruck eines zelligen Pflanzengewebes hervorrufen. Es ist mir nicht verständlich, weshalb in der Bronn’schen Copie von Farre’s Fig. 3 in der Figurenerklärung (T. IV, Fig. 3 B* am angegebenen Orte) die Möglichkeit ausgesprochen wird, dass das grosszellige Binnengewebe des Halodactylus wohl von einem fremden Körper herrühren könnte, an welchem die Colonie festsässe. Farre selbst, welcher den Querschnitt eines Halo- dactylusstockes im Allgemeinen richtig abbildet, sagt: „the centre of the cylinder (i. e. Bryozoenstock), of which this (Fig. 3) is a section, is occupied by a light cellular tissue and 12 Robert Hartmann: a clear fluid, probably water“ (p. 409). Allerdings können sich Halodactyluscolonien an Pflanzenstengel u. s. w ansetzen, in NN ee EN HE OR RE re rg solchen Fällen würden aber auf etwaigen durch den Bryozoen-. stock und durch deu Pflanzenstengel zugleich geführten Quer- schnitten ausser den Parenchymzellen des vegetabilischen Ge- webes auch noch innere Brutkapseln sichtbar werden. Van Beneden spricht bei Halodactylus von Logen, deren mehrere bewegliche Eier enthielten. Er bildet eine solche Loge in Fig. 4, Taf. V ab. Es sind nun unter diesen Eier enthal- tenden Logen unsere inneren Brutkapseln gemeint. Diese sind mit einem feinen der äusseren Hülle sich dicht anschmiegenden häutigen Gebilde ausgekleidet, welches mit starklichtbrechenden grösseren und kleineren sphärischen Kör- perchen besetzt ist, die in grösseren und kleineren vieleckigen, mehr oder minder nahe aneinander grenzenden Feldern ange- ordnet erscheinen (Fig. 12c). Diese Körperchen erinnern an das mikroscopische Bild von Fettröpfchen. Essigsäure zerstört dieselben. Ich habe an diesen an ihren Rändern scharf begrenz- ten Feldern nichts beobachtet, welches ihnen den Character von Zellen, etwa Epithelzellen, verleihen könnte. Verfertigt man sich Querschnitte eines Halodactylusstockes, so kann! man selbst bei sehr sorgfältiger Präparation derselben es nicht vermeiden, mit dem Messer einzelne der inneren sehr zarten Brutkapseln zu verletzen. Diese leiden auch schon bei der stattfindenden Zerrung nicht selten. Dann lösst sich das die Innenwand dieser Brutkapseln auskleidende Hautgebilde stellenweise von den Wänden los und liegt nun, geschrumpft, gefaltet, mit noch einzelnen Zipfeln und Fädchen an den Wän- den haftend, frei im Innern der Kapsel (Fig. 12 ec). In vielen inneren Brutkapseln bemerkte ich je einen brau- nen Körper, welcher unter Vermittlung einer grösseren oder geringeren (vielgestaltigen) Anhäufung grosskörniger Substanz (Fig. 12d, d‘, d) an das die innere Brutkapselwand ausklei- dende gefelderte Hauptgebilde befestigt ist. Ich beobachtete an diesen interessanten Körpern folgende, meistens dureh meine Figuren wiedergegebene Abänderungen: Die braunen Körper waren bald kleiner, bald grösser, hier vollkommen sphä- i i . f ' \ Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 513 risch, da flaschenförmig ausgezogen (Fig. 12d‘“) und dann mit dem engeren Theile an die Kapselwand befestigt. Ein ander- mal war der Körper länglich, und an einem Pole ganz unregel- mässig zugespitzt (Fig. 15). Noch andere der Körper waren rundlich oval (Fig. 13, 14). Jeder derselben hatte nun eine anscheinend derbe, pellucide mit zwei deutlichen Contouren versehene Hülle (Fig. 13 a), welche den eigentlich braunen In- halt einschloss (Fig. 13 b). Letzterer bestand aber aus vielen intensiv gelblichbraun gefärbten Kügelchen, von meist gleicher Grösse, welche eine jede noch kleinere Kugeln einschlossen (Fig. 13, 14, 15). War ein solcher brauner Körper zufällig an seiner Hülle verletzt, dann faltete sich diese, unter gleichzei- tigem Austreten von braunen Inhaltskugeln und selbst von Tro- pfen einer das Licht nur schwach brechenden Materie (Fig. 14 c, d). Die ausgetretenen Kugeln verriethen keinerlei active Be- wegungen und waren sehr resistent gegen Essigsäure. Einmal sah ich das Folgende mir damals höchst räthsel- haft erscheinende Verhalten: Es schien nämlich genau so, als sei ein solcher brauner Körper, wie ich oben beschrieben habe, in einer inneren Brutkapsel frei schwimmend mit einem noch zwei und einhalbmal längeren von derselben Hülle (wie er) umgebenen Schlauche in offener, durch keine Einschnürung, durch kein Septum beschränkter Verbindung. Der grössere Theil des Schlauches war angefüllt mit den S. 494 erwähnten Inhaltsmassen der gewöhnlich zu beobachtenden hinteren Darm- abschnitte eines Bryozoid, auch mit vielen olivengrünen, von noch kleineren erfüllten Kügelchen. Letztere waren theils grös- ser, theils kleiner als die den übrigen Theil des Gebildes aus- füllenden braunen Kügelchen, welche scharf abgesondert in einem besonderen Ende desselben angehäuft lagen. Die vorhin genannte grosskörnige, die braunen Körper ge- wöhnlich gewissermassen an die Brutkapselwand ankittende Masse, haftet öfters auch seitwärts an ihnen in Scheiben-, Kugel-, Oval- und Flaschenform. Dieselbe besteht durchgängig aus vie- len von einer pelluciden, ungemein zarten (nicht doppelt con- tourirten) Hülle umgebenen farblosen, blassen Kügelchen, welche Reichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 33 514 Robert Hartmann: theils kleiner, theils ebenso gross wie die braunen Kügelchen sind (Fig. 1, 12d, d'', d’'). Das Schicksal dieser eben erwähnten merkwürdigen Ge- bilde habe ich leider nicht weit verfolgen können. Mehrmals ist es mir allerdings begegnet, dass von der Wand einer inneren Brutkapsel aus ein mit dieser continuirlich zusammenhängender Auswuchs nach Innen sichtbar wurde (Fig. 16a). Dieser von einer dünnen, doppelt contourirten Hülle (b) gebildete Aus- wuchs zeigte eine untere grössere und eine obere kleinere Ab- theilung. Er war in seinen Wandungen farblos, durchsichtig. Im Inneren der unteren, grösseren Abtheilung desselben machte sich ein länglicher Körper bemerkbar, dessen Hülle zart, durch- sichtig war (Fig. 16, d‘) und dessen dunkelbraune Masse aus vielen kleinen bald sphärisch, bald ganz unregelmässig begrenz- ten Theilchen bestand (das. d). In die kleinere, obere Abthei- lung (a) des Auswuchses ragte eine denselben nicht ausfüllende, bogenförmig quergestreifte Fortsetzung (f‘) des braunen Körpers mit dieker Hülle (e) hinein. Diese quergestreifte Parthie durch- brach dann scheinbar die Spitze des Auswuchses und entfaltete sich oberhalb derselben fächerförmig (f) in einer besonderen Abtheilung. Mir machte es immer den Eindruck, als entwickle sich hier ein junges Bryozoid, als sei f, f’ die noch nicht voll- ständig ausgebildete, aus dem Oeffnungspol einer jungen (äus- seren) Brutkapsel hervorbrechende Tentakelkrone! Ein andermal beobachtete ich wie ein längliches, mit dun kelbrauner körniger Masse erfülltes Wesen, bestehend aus vor- derer und hinterer Abtheilung, in seiner hinteren Abtheilung einen hellen blasenähnlichen Raum (d) zeigend (c), in einem von collabirenden inneren Brutkapseln gebildeten Winkel steckte (Fig. 17). War das etwa die Anlage zu einem Bryozoid oder war es eine zufällig in das Präparat gerathene Gregarine, au welche letztere die Form jenes Wesens schon erinnern’ konnte, Freilich bliebe es dunkel, woher letztere gekommen sein sollte, da das Stück unversehrt war. Farre sagt über die Entwick- lung unseres Bryozoon Folgendes: „The process of reproduction by gemmation (in this case by the growth of young animals and cells amongst the mature ones) may be seen in every spe- fi f . x Ir . ER ia nl 7 aan 2 ya an Ban N nn 23, 2 url nern. ta a en ei u an a Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 515 cimen (Pl. XXV, Fig. 4). The smaller cells are triangular, and the animal forms a mere spot in its centre. As they grow they thrust aside the surrounding cells, and the number of their sides increases until they acquire the irregular hexagonal form of a adult. In the oblique position of the cells (in which they look like a new growth encrusting the old mass like a Flustra) the young cells are less angular, and arranged more regularly at the spreading edge (Fig. 5). This species afforded an opportunity of examining also the reproduetive gemmules. These are readily seen in spring as minute whitish points just below the surface of the mass (Fig. 3aa). Sometimes they are of a darker colour, and exceedingly numerous, appearing to occupy almost the whole substance. If one of these points be carefully turned out with a needle it is found to consist of a transparent sac (Fig. 20a), in which are contained generally from four to six of the gemmules, which, as.soon as the sac is torn, escape and swim about with the greatest activity, affording a most interesting subject for mi- croscopie investigation. | When viewed with a power of forty, linear measure, they ‚are seen to be of an oval or rounded form (Fig. 20 b and c), convex above, and nearly plane below, and fringed at the margin with a single row of cilia, which appear to vibrate in succes- sion round the whole circumference. Under an amplification of 120 they assume a different aspect (Fig. 21 and 22), and their minute structure is clearly discerned. Viewed as opake objects, both the body and cilia have a silvery whiteness, but by transmitted light the former appears of a dark brown, and the cilia of a golden yellow colour. Upon the most convex part of the body, which is not generally in the centre, but leaning to one side, are set from three to five prominent trans- parent bosses surrounded by a circle; and other circles are seen extending to the base of the body, the extreme margin of which is bounded by a row of prominent tubereles. These marginal tubereles are from thirty to forty in number, and from the eircumstance of the cilia arising from them, it is probable that they are for the purpose of governing their motions, and 33* 516 Robert Hartmann: therefore analogous to the muscular lobes of Hydatina senta, No structure, however, could be detected in these, nor in any other part of the body beyond a mere granular parenchyma. Fig. 22. Under this power the whole character of the eiliary motion is changed, and it is seen that what before ap- peared to be a single cilium is in fact a wave of cilia, and that their motion instead of being in the direction of the eir- cumference of the disc, is at right angles to this. The ciliary phenomena are the most readily observed when the gemmule is nearly at rest, or has become languid; it then lies either with the convex or the plane side uppermost, and with the cilia, which are of great length, doubles in the middle them- selves (Fig. 21), so that their extremities are brought back nearly to touch the margin of the disc from which they arise. The whole fringe of cilia is then suddenly unfolded, and after waving up and down with a fanning motion they are either again folded up towards the under surface ofthe body, or they commence their peculiar action. As the cilia have the ap- pearence of moving in waves round the disc (Fig. 22), each wave may be thus analysed. From a dozen to twenty eilia are concerned in the production ef each apparent wave, the highest point of which is formed by a cilium extended to its full length, and the lowest point between every two waves by one folded down completely upon itself, the intervening space being completed by others in every degree of extension, so as to present something of the outline of acone. (And it is remar- kable that one of these corresponds very nearly in breadth with one of the supposed muscular lobes). As, however, the per- sistence of each eilium in any one of these positions is only of the shortest possible duration, a. each takes up in regular suc- cession the action of the adjoining one, so that cilium, which by being completely folded up formed the lowest point between any two waves, now in its turn by its complete extension forms the highest point of a wave, and thus while the cilia are alter- nately bending and unbending themselves, each in regular suc- cession after the other, the waves only travel onward, whilst the eilia never change their position in this direction, having in EI ni Le A Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 517 fact no lateral motion. When the waves travel very rapidly their appear smooth on one side and fringed on the other (Fig. 23). The whole of the ciliary motions are so evidently under the entire control of the animal as to leave not the sligh- test doubt in the mind of the observer at to this point“ (p. 411). Ich hielt diese ausführliche Copie der Farre’schen Darstellung für die Erörterung der Entwicklungsfrage von Halodactylus für wichtig. Was der englische Beobachter weiterhin über die Ciliarbewegung u. s. w. seiner gemmules sagt, kann hier über- gangen werden. Van Beneden beschreibt die von ihm in „mehreren Lo- gen“ der Halodactylus (S. 512) beobachteten „Oeufs mobiles“ als scheibenförmig; in der Mitte eines jeden erhebt sich ein Buckel. Lange Wimpern umgeben die Basis. Diese Eier sind jedes ein Viertheil so gross, wie eine Loge und haben das dop- pelte, ja das dreifache Volumen der mit ihnen zugleich sich vor- findenden „corpuscules colories*. Im Innern der letzteren hat unser Gewährsmann mehrmals runde Körper in continuirlicher Bewegung gesehen (Pl. V, Fig. 5). Van Beneden möchte diese Körper als Anfangsstadien von Eiern betrachten, obwohl er selber eingesteht, keine Uebergänge der einen Form in die andere wahrgenommen zu haben. Ich habe im perigastrischen Raume des Halodactylus dia- phanus nichts aufzufinden vermocht, was man etwa hätte als Zoospermien 'ansehen können. Dagegen habe ich ein einziges Mal in Nähe des Funiculus posterior eine Anhäufung von zel- lenähnlichen, anscheinend mit Kernen und Kernkörperchen, auch blasskörnigem Inhalt versehenen Gebilden wahrgenommen, wel- che Aehnlichkeit mit sogenannten Hoden besass.. Es gehörte dies Gebilde zum Inhalt einer einzelnen Brutkapsel, zu einem einzelnen Bryozoide. In siebenzehn anderen demselben Präpa- rate angehörenden Brutkapseln war nichts davon zu sehen. Sogenannte Eierstöcke, wie sie von verschiedenen Autoren be- schrieben und abgebildet worden, sind mir nirgend zu Gesicht gekommen. Farre hatte bei unserem Thiere Cercarien wahr- zunehmen geglaubt. Er sagt: „Cercariae were seen in the bodies of these animals“ und ferner: „On one occasion these 518 Robert Hartmann: were observed drifting rapidly to the upper part of the visceral cavity, and shortly after issued from the centre of the tentacula; but as the animal had in the mean time half withdrawn itself, I lost the opportunity of tracing their course. It would appear from this that there is some external communication with the cavity of the body“ (p. 409). Man hat diese Cercarien für Zoospermien erklärt und an- gegeben, dass das von Farre (S. 506) (bei Membranipora Taf. XXVIl, Fig. 4) beschriebene Organ dieselben nach Aussen leite (Hincks). Indessen bleibt es doch noch sehr fraglich, ob das mysteriöse Organ Farre’s ein dem betreffenden Bryozoon wirk- lich angehörendes Organ, oder ob es nicht etwa doch ein dem Thiere nur zufällig anhaftender Schmarotzer sei, für welche letztere Annahme ja selbst Farre noch eine kleine Hinterthür offen lässt (S. 506). Ich selbst fühle mich nicht in der Lage, die Möglichkeit des Vorkommens eines solchen Organes durch- aus „zu bestreiten“, müsste aber doch glauben, dass dasselbe, bestehe es in der Wirklichkeit, nur eine zeitweilig, etwa zur Zeit stattfindender Befruchtung, auftretende Bildung sein könne. Giebt doch selbst Farre zu, dass selbiges „more frequently absent than present“ sei, haben doch weder van Beneden noch ich dasselbe wahrgenommen! Sollte bei Halodaetylus nicht irgend ein niederes Thier, vielleicht ein Conochilus (?) einen optischen Betrug veranlasst haben, sollte bei Membranipora der flaskshaped body nicht doch nur der stark hervorgestülpte, am Rande bewimperte Mundtheil des Bryozoides eine Täuschung verursacht haben? Nitsche fasst in seiner Arbeit die über die sogenannten „braunen Körper“ in neuerer Zeit verbreiteten Ansichten zusammen und unterwirft dieselben von seinem eigenen Stand- punkte aus einer kritischen Beleuchtung. Die braunen Kör- per gelten unserem Verfasser als Produkte des Zerfalles der Bryozoide (Polypide N.). Bei Flustra membranacea enthielten die meisten dunklen Körper Reste der von den Bryozoiden zu- letzt aufgenommenen Nahrung. Man finde nicht nur Diatomeen- schalen, sondern auch Radiolariengerüste, Nesselkapseln, Spon- giennadeln u. s. w. in ihnen. Smitt’s Ansicht, die braunen Einiges über Halodaotylus diaphanus Farre. 519 Körper seien Keimkapseln, aus denen bei manchen Species die jungen Bryozoidknospen entständen, welche man häufig zugleich mit den braunen Körpern in den völlig ausgebildeten Brutkap- seln (Zooecien N.) antreffe, bei anderen seien jene sogar Eier, diese Ansicht hält Nitsche durch Claparede’s neuere Dar- stellung!) für widerlegt. Die Keimkapseln oder braunen Kör- per entständen bei Flustra membranacea durch den Zerfall der Bryozoide und durch eine Art Encystirung des grösseren Thei- les der Zerfallsproducte. Die Brutkapseln verlören also zu Zei- ten die anfänglich von ihnen durch Knospung erzeugten Bryo- zoide und es träten alsdann in ihnen Gebilde auf, die man bis vor Kurzem allgemein als Polypidknospen (Bryozoidknospen) angesehen habe, als die Anlage eines neuen Bryozoides, wel- ches in der leergewordenen Brutkapsel die Stelle des ursprüng- lichen Bryozoides einnehmen sollte. Nitsche theilt nicht die Ansicht Claparede’s, dass die von Grant, Farre und Smitt für junge Bryozoidknospen gehaltenen Gebilde die Produkte regressiver Metamorphose der ursprünglich in den Brutkapseln enthalten gewesenen Bryozoide sejen. Nach Claparede’s Meinung durchliefe der sich zurückbildende Nahrungsschlauch die gleichen Stadien wie eine neu sich bildende Endknospe (resp. deren Bryozoid), nur in entgegengesetzter Reihenfolge. Diese Ansicht scheine schon aus theoretischen Gründen wenig für sich zu haben. Denn ein Beispiel, dass ein Orga- nismus, sei er ganzes Individuum oder Organ, da- durch untergehe, dass er, nachdem er den Höhepunkt seiner Ausbildung nach Durchlaufung einer Reihe von Entwicklungsstadien erlangt habe, nun wieder umkehre und diese Entwicklungsstadien in umge- kehrter Ordnung durchlaufe, sei seines Wissens im ganzen Bereiche der organischen Welt nicht vorhan- den. Es sei wahr, dass man bei manchen Bryozoen das Bryo- zoid nur sehr selten im Zerfall begriffen finde, während man sehr häufig junge Knospen und braune Körper wahrnehme, dies könne jedoch nur beweisen, dass der Vorgang des Zerfal- 1) Zeitschr. f. wissensch. Zoologie XXI. Band, S. 147. N 520 Robert Hartmann: les der Bryozoide bei diesen Species sehr schnell vor sich gehe, nicht, dass er nicht stattfinde. Für Fl. membranacea habe er, Verfasser, alle möglichen Stadien des wirklichen Zerfalles der Bryozoiden und ihre Verwandlung in braune Körper beobachtet. Bei Aleyonidium hispidum endlich sei das wirkliche Verhalten noch viel klarer. Hier verlören die einzelnen Brutkapseln ihre Bryozoide sehr häufig durch Zerfall; lange aber ehe die Bryo- zoide ihre characteristische Form verloren hätten, beginne die’ Endocyste der Oberseite der Brutkapseln durch Knospung nach innen ein neues Bryozoid zu erzeugen. In einer und derselben Brutkapsel fände man sehr häufig ein im Zerfall begriffenes Bryozoid, das aber noch seine ursprüngliche Natur deutlich erkennen lasse, zusammen mit einer jungen neuen Knospe, wel- che sich durch nichts unterscheide von den Bryozoidknospen in den Brutkapselknospen am Rande des Stockes. Hier werde also das neue Bryozoid genau so wie das alte durch eine Knos- pung der Endocyste der Brutkapsel nach innen erzeugt und ganz dasselbe Verhältniss finde man auch bei Fl. membranacea. Nur in einem Punkte, sagt Nitsche ferner, sei das Auf- treten der zweiten Bryozoidknospe bei dieser Species verschie- den von dem Auftreten der ersten in der Brutkapselknospe. Während nämlich die erste Bryozoidknospe auftrete in dem Winkel, welchen die Hinterwand der Knospe mit ihrer Ober- wand bilde, entstehe die zweite mit der fertigen Brutkapsel in . der Mitte der Oberwand. Nun liege in vielen Fällen auch der durch den Zerfall des Darmkanales entstandene braune Körper in der Mitte der Brutkapsel, dadurch kämen junge Knospen und braune Körper oft in nahe Berührung. Diese nahe Be- rührung sei aber eine durchaus accidentelle und weise durchaus nicht auf eine Beziehung zwischen den bei- den Gebilden hin u. s. w. (S. 466). Die durch Van Beneden erwähnten Corps arrondis et colories, welche er für Eier zu halten geneigt ist, stimmen mit den von mir beschriebenen und abgebildeten braunen Körpern (S. 512, Fig. 1, 12—15) überein. Eine von unserem Forscher angeführte Bewegung in mit mehreren Dottern versehenen Eiern (van Beneden p. 44) habe ich aller- eh U Pr eg an Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 521 dings nieht wahrgenommen. Der Inhalt meiner braunen Körper zeigte sich starr, bewegungslos (S. 517). Diese braunen Körper des Halodactylus diaphanus, welche ich Keimkörper!) (Keimkapseln Smitt) nennen möchte, sind meiner Ansicht nach nicht etwa Produkte einer regressiven Metamorphose, nicht Anlagen zu wieder neuerstehenden Bryo- zoiden aus oder neben abgestorbenen, sondern es sind die Keime zu ganz neu sich bildenden, jungen Einzelthieren. Wie sie in den inneren Brutkapseln entstehen, bleibt vor der Hand dunkel. Mir traten sie stets fertig gebildet entgegen, fertig mit Hülle und dunklem Inhalte, ganz so wie ich sie abgebildet habe. Ich sah sie stets einer der Wände der inne- ren Brutkapsel genähert und hier in inniger Berührung mit den S. 512 beschriebenen farblosen, grosskörnigen Ansammlun- gen, unter deren Vermittelung sie gewissermassen an die gefel- derte, scheinbar mit Fetttröpfchen besetzte häutige Auskleidung der inneren Brutkapseln fast wie angekittet erschienen. Ich kann unmöglich glauben, dass es sich hier um ein blos zufäl- liges Aneinandertreffen der braunen Körper und der farblosen srosskörnigen Anhäufungen handeln könnte. Denn einmal sah ich gar nicht selten die letzterwähnten Gebilde und die dicht an ihnen haftenden, sich in sie hineindrückenden braunen Körper deutlich in der Seitenansicht (Fig. 1), ferner konnte ich beiderlei Bildungen auch auf Flächenansichten als innig an- einanderhaftend verfolgen, endlich vermochte ich sie nur mit Anwendung einer gewissen Gewalt von einander zu trennen. Eine innige Zusammengehörigkeit dieser Bildungen, welche ich niemals isolirt gesehen habe, scheint mir daher ganz sicher ob- zuwalten. Einzelne braune Körper rückten schliesslich selbst dicht an die häutige Auskleidung der inneren Brutkapseln heran (Fig 12d‘). Es scheinen beiderlei Gebilde an der unmittel- baren Produktion neuer Bryozoide theilzunehmen. Ein brau- ner Körper scheint zur Bildung der Hintertheile, eine farb- lose grosskörnige Anhäufung zur Bildung der vorderen Theile 1) Nicht Eier, denn es fehlen die Attribute, welche wir sun an jenen zu erkennen gewohnt sind. 322 Robert Hartmann; junger Bryozoide verwandt zu werden. Letztere erhalten, noch ehe die Sonderung ihrer Körperabschnitte vor sich geht, eine (äussere) Brutkapsel als anfängliche Verlängerung, Ausstülpung, und hinterher erfolgende Abschnürung der inneren. Zu dieser neu entstandenen Brutkapsel rücken die jungen Thiere zwischen die schon fertigen nach Aussen, gegen die Peripherie des Stockes hin (S. 490, Fig. 16). Ich habe mehrmals beobachtet, wie dünne flaschenhalsförmige Auswüchse einer inneren Brutkap- sel, deren Hohlraum im continuirlichen Zusammenhange mit der Höhle der letzteren stand, sich von der Binnensubstanz des Stockes aus (S. 490) gegen die Peripherie des letzteren zwischen schon vorhandene Brutkapseln hineinschoben und wie der braune Körper sammt der mattkörnigen Anhäufung ganz in den Grund des flaschenförmigen Auswuchses gerückt war. Neue innere Brutkapseln drängten vom Centrum des Stockes her gegen diese allmählich nach der Peripherie rückende zu einer äusseren sich abschnürende Kapsel vor. Der braune Körper schien im weiter sich entwickelnden Bryozoide seinen grosskörnigen Inhalt (8. 513, Fig. 15, 14) zu verlieren, es schien als ob des letzteren Inhalt kleinkörniger und verschwommener würde (Fig. 16d). Vorn bildeten sich die Tentakeln hervor, welche dann mit dem allmählich gleichsam etagenförmig sich ausbildenden invaginirbaren Theile des Endocysten (Fig. 16 e, f‘) weiter vorwuchsen, immer eingeschlossen vom weiter und wei- ter werdenden Ectocysten. Die entwickelteren Bryozoide zeig- ten die noch kurzen, fast kegelförmigen, anfänglich unbewim- perten, innen hohlen Tentakeln und den allmählich in seine Abschnitte sich abgrenzenden Nahrungskanal, ganz so wie Farre dies Taf. XXV, Fig. 6 abgebildet hat. Die Muskeln wuchsen zugleich mit der ersten Tentakelanlage von der Gegend des einziehbaren Theiles des Endocysten gegen die Wand desselben hin vor. Ich habe oben eines braunen Körpers erwähnt, welcher mit einem von Diatomeen u. s. w. erfüllten schlauchförmigen Gebilde im unmittelbaren Zusammenhange zu stehen schien. Letzterer hätte nun schon an jene braunen Körper von Flustra membranacea erinnern können, welche nach Nitsche’s Dar- Einiges über Halodaetylus diaphanus Farre. 593 stellung bei dieser (!) Species Reste der von den „Polypiden“ aufgenommenen Nahrung enthalten und Produkte des Zer- falles der Polypide sein sollen. Man könnte hierbei frei- lich die Möglichkeit im Auge behalten, dass irgend ein frem- des prootozootisches Geschöpf, ein Infusorium oder eine Amoebe? sich eingenistet habe, welches einen Theil des braunen Körpers, nebenher auch noch andere Nahrung bewältigt und in sich auf- genommen oder auch, dass es sich um ein nicht völlig ausge- bildetes Bryozoid handeln möchte, an welchem der braune Kör- per noch nicht resorbirt worden und dessen sonstige Körper- theile durch die Manipulation des Präparirens zerstört worden. Die Diatomeen u. s. w. könnten dann immer durch Zufall in die Körpersubstanz gelangt sein. Nitsche’s oben (8. 519) bereits citirte Warnung, an- gesichts der Annahme einer regressiven Metamorphose der Bryozoide, resp. der braunen Körper kritisch und mit nöthiger Vorsicht zu verfahren, erscheint auch mir höchst beherzigens- werth. Es handelt sich meiner Ansicht nach bei Halodactylus nur um die organologische Weiterbildung eines Keimes (Keim- körpers, Keimkapsel, braunen Körpers) zum fertigen Bryozoid. Ob nun die Erzeugung des Keimes auf geschlechtlichem oder auf ungeschlechtlichem Wege erfolgt, ist vorläufig noch nicht abzusehen. Es sind uns bei diesem Thiere alle diejenigen Produkte nicht mit Sicherheit bekannt geworden, als Zoo- spermien, Eier, deren Zusammentreten die geschlechtliche Er- zeugung eines Embryo zur Folge haben könnte. Wir haben bei unserem Moosthiere weder bewimperte Em- bryonen noch jene weisslichen Embryonalsäcke (vergl. S. 515, bei Farre Taf. XXVI, Fig. 20a) und die angeblich aus ihnen hervorschlüpfenden Embryonen (das. Taf. 20 b, c) beobachtet. Auch van Beneden bildet ähnliche bewimperte Embryonen wie Farre ab (Taf. V, Fig. 8); unter diesen Gebilden befinden sich solche, an denen getheilte Fortsätze hervorbrechen, auch ein Wesen, welches dem künstlich losgetrennten Tentakelkranze eines jungen Bryozoid (S. 922) ähnelt. Unser Verfasser be- zeichnet dies Specimen als (un des) „Embryon (s) un peu, plus 5234 Robert Hartmann: avance et isole. On appercoit en avant les tentacules. Il est elargi a sa base pour se fixer“, Ich möchte nun in dem aufrichtigen Wunsche, die Wahr- heit ergründen zu helfen, die ferne Möglichkeit nicht ausser Acht setzen, dass hier bei diesem Thiere in Betracht bewim- perter Embryonen Täuschungen mit unterlaufen könnten, ver- ursacht durch fremde, zufällig eingedrungene Protozoen. Wer jemals niedere Wasserthiere oder Wasserpflanzen, als Bryozoen, Anthozoen, Diatomeenstöcke u. s. w. u. s. w. untersucht hat, wird sich über -die häufig ausserordentliche Mannigfaltigkeit von fremden Wesen, Infusorien, Rhizopoden, scheinbaren Lar- ven noch unbekannter Herstammung, Diatomeen u. dgl. ver- wundert haben, welche in den und um die beobachteten Ob- jecte herumkriechen, schwimmen, schwärmen, wuchern. Selbstverständlich kann hier nicht die Rede davon sein, das Vorkommen bewimperter, übrigens aber verschiedenartig organisirter, Bryozo@nlarven überhaupt leugnen zu wollen. Diese Larven sind von zu vielen bewährten Forschern beobachtet, - genau genug beschrieben und in ihrer Weiterentwicklung aus- reichend verfolgt worden, so dass ein Zweifel an ihrer Existenz nicht zulässig erscheint. Meine eigenen Beobachtungen an Ha- lodactylus sind nicht ausgedehnt genug, um das Auftreten be- wimperter Embryonen auch an diesem Thiere etwa durchaus negiren zu können, nachdem ich sie selbst nicht gesehen hatte. Ich wollte in dem Vorhergehenden nur Diejenigen, welche sich später mit der Entwicklung dieses Wesens und mit derjenigen von anderen Bryozo@n beschäftigen wollen, in bester Absicht auf die Möglichkeit eintretender Täuschungen aufmerksam ma- chen, sie bei Beobachtung dieser schwierig zu ergründenden Gegenstände zu recht grosser Vorsicht auffordern, zu bestmög- licher Uebung der Kritik anspornen. Nur dann könnte vermie- den werden, ein wirklich inden Entwicklungskreis dieser Geschöpfe Gehörendes von zufällig daneben Auftre- tendem nach Gebühr zu sondern. Schliesslich Einiges über die sogenannte protozootische Substanz Reichert’s. Letzterer Forscher nennt also eine bei Polythalamien, Amoeben, Gregarinen, Hydriden, Campanu- Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 525 larien, Sertularien und Bryozoön, vielleicht auch bei Polyeysti- nen und Infusorien, allgemein verbreitete Gewebebildung, welche zunächst Contractilität und Sensibilität besitzt. Diese Substanz kann die Respiration, Verdauung, Resorption unterhalten, kann durch mehr oder weniger festwerdende, häufig unter Aufnahme von Kalksalzen erhärtete Exerete mit conchiolin- und spongin- artiger organischer Grundlage liefern (äussere und innere Ske- lete, Kerngerüste, elastische Stützlamellen und Stützapparate). Reichert hat sich in seiner Arbeit ausführlich über die Gründe geäussert, welche ihn bestimmt haben, die Benennung proto- zootische Substanz einzuführen (a. a. O. 8.303). Hinsichtlich der Bryozo@n hat er dieselbe zunächst an einem: Beobachtungsob- jeete studirt, welches an Durchsichtigkeit, an Uebersichtlichkeit in der niederen Thierwelt kaum seines Gleichen finden dürfte, näm- lich am Zoobotryon pellueidus. An diesem Thiere bot sich über- dies das so höchst merkwürdige, von ihm als communales Bewegungsorgan bezeichnete Gebilde dar, Reichert konnte bei Zoobotryon an Zahl, Grösse und Ausbreitung sehr variable Vacuolen beobachten, welche er mit Rücksicht auf ihr eben so varıables Vorkommen nur als an der protozootischen Sub- stanz zeitweilig auftretende Lebenserscheinungen ansah. Uebri- gens hat sich unser Verfasser auch an anderen Bryozo@n vom Verhalten der protozootischen Substanz überzeugt. Ich selbst kann in Bezug auf Halodactylus die wichtige Rolle, welche jene Substanz in dem Organismus der Bryozoide auch dieses Geschöpfes spielt, nur anerkennend hervorheben. Schwerlich wird hier Jemand eine ächte quergestreifte Muskel- substanz, Gefässe und Nerven nachzuweisen im Stande sein. Die protozootische Substanz vermittelt auch bei diesem Thiere die Bewegung und Empfindung, sie bildet die gleichförmige Gewebebestandtheile zeigenden Wandungen des Nahrungsrohres, die Rindensubstanz der Tentakeln, sie bildet gesonderte muskel- ähnliche Stränge, die Retractoren, sie fungirt in Form von Zu- schnürern vermöge ihrer an gewissen Stellen in nur bestimm- ter Richtung wirkenden Contractilität. Als eine die Bewegung vermittelnde Substanz zeigt sie bald schnell sich vollführende, ruckweise, fast rhythmische, plötzlich zuekende und wieder sehr 526 Robert Hartmann: langsam, sehr allmählich sich manifestirende Effecte. Da sehen wir die manchmal ruckweise, gleichsam zuckend, erfolgende Ausstreckung und Einziehung der Tentakeln, die in ähnlicher Weise vor sich gehende In- und Evagination der Bryozoide, die energischen Zusammenziehungen und Ausdehnungen der einzelnen Bezirke des Nahrungsrohres, dann wieder langsamere Gestaltveränderungen, die nur allmählich sich geltendmachen- den Wirkungen der Sphincteren, gemächliches Spiel der Ten- takeln, allmählich sich vollziehende In- und Evagination. Alle diese Erscheinungen deuten auf die vielseitigsten Lebensäusse- rungen in den Bewegungsmomenten der protozootischen Sub- stanz genugsam hin. Nitsche erhebt den Einwurf, dass bei den phylactolaemen Bryozoön überhaupt ein Gewebe, welches sich unter den Be- griff der protozootischen Substanz von Reichert subsummiren lasse, durchaus nicht vorkomme. Ueberall hätten wir es bei diesen Thieren mit aus deutlichen Zellen und Zellenderivaten bestehenden Geweben zu thun. Die Kerne der ursprünglichen Zellelemente blieben wenigstens auch dann bestehen, wenn, wie z. B. bei dem inneren Wimperepithel der Endocyste, die Gren- zen der einzelnen Zellen verschwänden. Die Muskeln der phy- lactolaemen Bryozoön könnten nicht als blosse Stränge einer contractilen Substanz angesehen werden, sondern als wirkliche Muskelfasern, da man bei ihnen, wenigstens ganz sicher bei den grossen Retractoren, in jeder Muskelfaser eine innere contractile Substanz, eine äussere elastische Hülle und einen deutlichen Kern unterscheiden könne. Nun ist es übrigens ‚bisher Niemandem eingefallen, am Wenigsten Reichert selbst, eine Entstehungsweise der in Rede stehenden Substanz aus Zellen zu läugnen. Sagt Reichert doch in seinem Schlussartikel über die protozootische Substanz ganz ausdrücklich: es könnte aus der Bildungsgeschichte mit Sicherheit angegeben werden, dass die Substanz in der Anlage des Endocysten aus einem Multiplum von Zellen in flächenhaf- ter Ausbreitung hervorgehe, und dass die Umwandlung in die fertig gebildete homogene Masse ohne das Auftreten einer sichtbaren Intercellularsubstanz erfolge; die einzelnen Vorgänge Br i fr Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 527 bei der scheinbaren Vereinigung der Zellen untereinander seien nicht zu beobachten gewesen (S. 302). Und weiterhin sagt Der- selbe: die protozootische Substanz besitze endlich die merkwür- dige Eigenschaft sich wieder in Zellenmaterial umzuwan- deln u. s. w. Auch meine Wahrnehmungen an Bryozoön deuten darauf hin, dass jene Substanz aus Zellen hervorgehe. Freilich ist später, in den fertig gebildeten Bryozoiden, von einer per- sistent gebliebenen Zellenstruetur oder von übrigge- bliebenen Resten einer solchen, nichts weiter zu bemerken. Mit Annahme von Kernen sollte man hier möglichst vorsichtig verfahren. Wenn bei dem so ausgezeichnet durchsichtigen und daher der Erforschung so leicht zugänglichen Zoobotryon nichts, sar nichts von Zellen und Zellenresten, von Kernen u. s. w. beobachtet werden konnte, wie schwierig muss es erst sein, dergleichen in den meist opackeren anderen Formen dieser Thierfamilie mit Evidenz nachzuweisen. Welche mannigfaltigen Täuschungen aber hier obwalten können, lehrte mir die Unter- suchung des Halodactylus und anderer Gattungen. Selbst wenn man die von mir (S. 512) beschriebene und (Fig. 12c) abge- bildete innere Auskleidung der inneren Brutkapseln des Halo- dactylusstockes als eine aus Zellen gebildete ansehen wollte (wofür jedoch der Beweis fehlt), so hätte man es hier doch nur mit den Endocysten der Embryonalanlagen zu thun. In den Endocysten der äusseren Brutkapseln, die ihre Entwick- lung vollendet hatten, in welchen der ausgebildete Insasse sei- nen regelmässigen Lebensverrichtungen obliegen konnte, fehlte es an jeder Spur von Zellen und von Zellenresten. Nicht unerwähnt will ich noch lassen, dass in den im Ab- sterben begriffenen Insassen äusserer Brutkapseln eines Halo- dactylusstockes, die bräunlichen Inhalt zeigenden poly&drischen Zellen des Hintermagens ausblassen. Hiermit schliesse ich vorläufig meine Mittheilungen über den Bau des Halodactylus, in dem vollen Bewusstsein, dass noch viele und grosse Lücken in der Kenntniss dieses Thieres (sowie freilich auch der übrigen Bryozoön) zurückbleiben. Es würde mir lieb sein, wenn es mir durch Obiges gelingen sollte, 528 Robert Hartmann: die Aufmerksamkeit der Fachgenossen auf diesen interessanten Bewohner unserer Meere von Neuem hinzulenken. Figurenerklärung. Ein Theil der-Originalfiguren ist vom Kupferstecher der Raumer- sparniss wegen redueirt worden. Fig. 1. Schnitt von einem Halodactylusstock mit inneren und äusseren Brutkapseln. Keimkörper in den ersteren. Bryozoide theils invaginirt, theils evaginirt. Letztere zeigen ihr Collare setosum. Bei 150 maliger Vergrösserung gezeichnet. Fig. 2. Ein aus seiner Brutkapsel genommenes Bryozoid. a Tentakeln.. b Höhlen. ce Wimperepithelien derselben. d Sphincter. e, f Retractorfasern, z. T. abgerissen, z. T. noch ausgedehnt. g Ma- gen. g’ Cylinderepithel desselben. h, i, k Hintere Abschnitte des Nahrungskanales mit ihren Epithelien h‘, i‘, k‘. 1 Darminhalt. m Concrementähnlicher Körper (S. 494). n Afteröffnung. Bei 400 mali- ger Vergrösserung aufgenommen. Fig. 3. Bryozoid, an welchem die einzelnen Körperabschnitte des- selben deutlich gemacht werden sollen. a Tentakeln. b Sphincter. c Retractoren. gh Vormagen, ik Hintermagen, k' Mastdarm, n After (vgl. S. 492). Bei 50maliger Vergr. gez. Fig. 4. Orificium externum a, darum her concentrische Züge b, wohl dem äusseren Sphincter angehörend (vgl. S. 503). Vergr. Bu Fig. 5. Wimperzellen der Tentakeln 20°, Fig. 6, 7. Mundöffnungen in verschiedenen Zuständen des Ge- öffnetseins. Fig. 8. Funiculus posterior. a Ectocyst. b Verschiedene Zu- stände der Funiculusfasern (S. 502) n Fig. 9. Epithelzellen des Hintermagens mit braunen Körperchen (Leberzellen?) 45°, Fig. 10. Concrementähnliche Körper, A gekrümmt und spitz, B gekrümmt und stumpf, © gerade und spitz am einen Ende #5°, Fig. 11. Retractorenfasern. Bei a scheinbare Querstreifen. Bei b Anschwellungen 45°, Fig. 12. Innere Brutkapseln. a Deren äussere Hülle. b Innere Auskleidung. c Deren Felder. c Innere Auskleidung der letzteren, 2. Th. abgehoben und zusammengeschrumpft. d, d® Anhäufungen gross- körniger Masse (S. 513). d‘ d“ Keimkörper as, Fig. 13. Keimkörper, a Hülle, b Inhaltskörperchen. u Fe ) x vo BEN, vo v N: Hr" Fey Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. 529 Fig. 14. Desgl. Bei ce austretender Inhalt. d Austretender Tro- pfen (von Eiweiss?) +30, Fig. 15. Ein solcher in der Weiterentwicklung begriffen. Fig. 16. Entwicklung eines Bryozoid. a Brutkapsel. b Eetocyst. c Stelle der Abschnürung. d, d’ Bryozoid. e, f, f' Sich entfalten- der Tentakelkranz desselben 200, Fig. 17. a Innere Brutkapseln. b Innere geschrumpfte Ausklei- dung derselben. e In der Entwicklung begriffenes Bryozoid? Bei d ein blasenähnlicher Körper in dessen Innerem (S. 514), S. 495, 4te Zeile von oben, lies: waren wenig resistent u. s. w, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1871 34 530 Dr. Franz Boll: Beiträge zur physiologischen Optik. Von Dr. Franz BoLt, Assistenten am physiologischen Laboratorium der Universität Berlin. I. Das Sehen mit zusammengesetzten Augen und der Leeuwenhoek’sche Versuch. Die Frage, in welcher Weise das Sehen bei den Thieren mit zusammengesetzten Augen zu Stande kommt, hat ihre ei- genthümliche und wechselvolle Geschichte gehabt. Nachdem die berühmte Theorie des sogenannten musivischen Sehens, die Johannes Müller in seiner vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes (1826) aufgestellt hat, eine Zeit lang einer all- gemeinen Geltung sich erfreut hatte, ist sie jetzt eben so all- gemein verlassen worden. Obwohl sie allgemein als unrichtig gilt, ist es doch keinem ihrer Kritiker gelungen, etwas Besse- res an ihre Stelle zu setzen: bis auf den heutigen Tag ist das Sehen mit zusammengesetzten Augen ein ungelöstes Problem geblieben. Als Johannes Müller seine Theorie aufstellte, die darin gipfelte, dass „die Insecten weder nach dioptrischen, noch nach katoptrischen Gesetzen, sondern bloss durch eine nähere Be- ‚stimmung der Beleuchtung sehen“!), hatte er sich in der That die Frage vorgelegt, ob nicht die einzelnen convexen Facetten 1) Zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes des Men- schen und der Thiere. 1826. S. 363. BL EEE DE OLE ER ERENR Beiträge zur physiologischen Optik. 531 der Cornea als bilderzeugend wirken könnten. Er wirft diese Frage aber nur auf, um sie zu verneinen, wie es scheint, ohne versucht zu haben sie experimentell zu lösen. „Die von der äusseren convexen Fläche der Cornea bedingte Brechung ist aber nicht so.gross, dass es zur Entstehung besonderer kleiner Bilder von jeder Facette aus kommen könnte.“ !) Wie Jedermann weiss, beruht diese Ansicht des grossen Physiologen auf einem entschiedenen Irrthum. Die convexe Krümmung der vorderen Facetten der Cornea wirkt in der That als Linse und erzeugt Bilder. Ja, diese Thatsache, die nach Johannes Müller das Glück gehabt hat, zu wiederholten Malen entdeckt und stets wieder als neu veröffentlicht zu wer- den, war schon lange vor Johannes Müller gefunden wor- den. Anton van Leeuwenhoek ist ihr erster Entdecker. Es ist wohl nur ein Act gerechter Pietät gegen das Andenken des Vaters der Mikroskopie, wenn ich hier die Stelle, in der dieser Thatsache zum ersten Male Erwähnung geschieht, aus- führlich mittheile. In einem Briefe an die Regia Societas Londinensis, datirt Delft, 1. Mai 1694), schreibt Leeuwenhoek folgendermaassen: „braeterita ergo aestate cepi animalculum volatile, quod mordellum vocamus et nostrates vulgo vernacula nominant een Rombout, et alii een Puystebyter, seu Korenbout. Cum autem tunicam hanc corneam paulo longiore a micro- scopio distantia locarem, quam fieri solet, cum objectum ali- quod recte inspicitur; et interea candelam ardentem aliquantu- lum a me removerem, adeo ut ejus lumen per tunicam corneam transire deberet, tunica cornea mihi repraesentabat fammam candelae inversam, idque ita ut non una, sed aliquot centenae flammae mihi apparerent, imo adeo aperte (quantumvis exiguae essent) ut singularum motum diagnoscere possem. Ubi aspieiebam turrim templi urbis nostrae novi, quam ex 1) 8. 367. 3) Arcana Naturae detecta ab Antonio van Leeuwenhoek. Delphis Batavor. 1695. P. 476. Epistola 83. data ad Regiam So- cietatem Londinensem. 34* 532 Dr. Franz Boll: dimensione mea multos ante annos per quadrantem facta 299 pedes altam conspexi, et a qua musaeum meum 750 ceireiter, ut opinor, pedes distat; tunica cornea repraesentabat magnum numerum exiguarum turrium etiam inversarum, quae non ma- jores videbantur cuspide aciculae, nudo oculo apparente. Si vicinam aspectabam domum, multis in locis per unam- quamque tunicae corneae partem eminentem diagnoscere pote- ram non solum frontispicii partes sed et januas et fenestras, et etiam distinete judicare, num fenestrae essent clausae, num apertae. Porro muscae oculum excidi et tunicam etiam corneam purgavi et similiter vidi perfectionem partium illarum rotunda- rum et eminentium in tunica cornea muscae non esse minorem quam in tunica cornea mordellae. Omnia enim objecta mihi etiam nitidissime ad oculos veniebant. Quiequid vero de muscae oculo dixi, idem de culieis oculo dicere debeo, seposita tantum parvitate oculi eulieis.* Darauf folgt der Nachweis der zusammengesetzten Augen bei den Ameisen, Noch an einer anderen Stelle, in einem Briefe an Petrus Rabe, datirt Delft, 1. December 1694'), kommt er auf die zu- sammengesetzten Augen zurück. Es heisst dort: „Postquam ad Regiam Societatem Londinensem misissem detectiones meas circa miram formationem oculorum animaleuli volatilis, quod mordellam vocant, ineunte aestate denuo aliquot in horto meo volitantes vidi mordellas, ex quibus quarundam subinde captarum oculos iterum inspexi et adhuc apertius quam antea jucundissimo spectaculo videre aliisgue exhibere potui multiplieia objecta sive hominum sive animalium domum meam praetereuntium, quae per eas apparebant.* Darauf erklärt er die Vielheit des Sehorgane der Insecten aus den vielen Nachstellungen, denen diese Thiere ausgesetzt sind, und beschreibt dann die zusammengesetzten Augen bei den Krebsen und Krabben. Diese Beobachtungen Leeuwenhoek’s scheinen nicht 1) Ebenda, S. 486. Epistola 85. data ad Petrum Rabum. u ’ sg ae be ee I Beiträge zur physiologischen Optik. 533 bloss Johannes Müller, sondern auch überhaupt den meisten Nachfolgern des letzteren unbekannt geblieben zu sein. Wo in den nächsten Jahren nach Joh. Müller’s berühmtem Buche des Sehens mit zusammengesetzten Augen Erwähnung geschieht, wird dasselbe durchweg im Sinne der Müller’schen Theorie erklärt. Nirgends ist von den Leeuwenhoek’schen Bildern und ihren Beziehungen zu der musivischen Theorie die Rede. A. Brants!) gebührt das Verdienst, zuerst die Leeuwen- hoek’sche Beobachtung der Vergessenheit entrissen und auf deren Grund Zweifel gegen die Richtigkeit der musivischen Theorie geäussert zu haben. Nach ihm und ohne weder von ihm noch von Leeuwenhoek zu wissen, haben unabhängig von einander Grüel?) und Gottsche?) die Leeuwenhoek- schen Bildchen gesehen und auf ihre Unverträglichkeit mit der Müller’schen Theorie aufmerksam gemacht. Gelegentlich der in seinem Archiv veröffentlichten Arbeit von Gottsche hat Johannes Müller noch einmal Gelegenheit genommen, auf seine Theorie des musivischen Sehens zurückzukommen®). Er hat sich von dem Gelingen des Leeuwenhoek’schen Ver- suches überzeugt und macht einige aphoristische Andeutungen darüber, wie trotz der Leeuwenhoek’schen Bildchen das Sehen der Insecten doch nur ein musivisches sein könne. Nach diesen Beobachtungen ist die Frage nach dem Sehen mit zusammengesetzten Augen oft und nach den verschieden- sten Richtungen hin discutirt worden. Nachdem bereits Brants die ersten Versuche angestellt hat, die optischen Constanten des Insectenauges zu berechnen, haben Zenker’), Ruete®°) 1) Over het gezigtswerktuig der gelede Dieren. Van der Hoe- ven en de Vriese, Tijdschrift voor natuurlijke Geschiedenis en Physiologie. X. S. 12. 1843. 2) Mikroskopische Beobachtung. Poggendorff’s Annalen, Bd. LXI, S. 220. 1844. 3) Beitrag zur Anatomie und Physiologie des Auges der Krebse und Fliegen. Dies Archiv, 1852, S. 483. 4) Anmerkung des Herausgebers. Dies Archiv, 1852, S. 492. 5) Anatomisch-systematische Studien über die Krebsthiere. Ber- lin, 1854. 8. 31, 9. 6) Ueber die Einheit des Princips im Bau der Augen bei den 534 Dr. Franz Boll: und Dor!) um Vieles vollständigere physikalische Untersuchun- gen über die Entstehung der Leeuwenhoek’schen Bildchen angestellt. Obschon von den genannten Forschern die Brenn- weite der einzelnen als Linsen wirkenden Facetten, und der Ort, wo die Bildchen entstehen, mit grosser Schärfe festgestellt ist, so ist eine befriedigende Vorstellung, wie das Sehen mit zusammengesetzten Augen physiologisch zu Stande kommt, im- mer noch nicht erzielt worden. Wenn man annimmt, wie mit Zenker und Dor die Mehrzahl der Autoren [z. B. Leuckart?), Leydig°), Gegenbaur*), Claparede)], als stillschweigende Voraussetzung anzunehmen scheint, dass die von jeder einzelnen Hornhautfacette entworfenen einzelnen Bilder als solche wirklich gesehen werden, so muss hinter jeder einzelnen Hornhautfa- cette nicht eine einfache Nervenfaser, die nur einen einzigen Eindruck zu leiten im Stande ist, sondern eine Mehrheit von Nervenfasern, von gesondert empfindenden Punkten, d, h. eine Retina liegen. Eine solche aber ist von keinem der oben ge- nannten Forscher nachgewiesen worden. Wenn man anderer- seits die von Ruete gegebene vermittelnde Auffassung, welche die Bildchen nur theilweise als solche zur Perception kommen und im Grunde das Gesichtsfeld doch musivisch zusammenge- setzt sein lässt, sich etwas genauer ansieht, wird man sich von derselben ebensowenig befriedigt erklären können. Die von Ruete gegebene Zeichnung mag ausreichen, zu erklären, wie von acht nebeneinander liegenden Einzelaugen das Bild eines Pfeiles zusammengesetzt werden kann. Sobald man jedoch ver- verschiedenen Thierelassen, und besonders über das Sehen der In- secten mit polyedrischen Augen. Festschrift der Leipziger medieini- schen Faeultät zum 50jährigen Doctorjubiläum von (C. G. Carus (20. December 1861.) 1) De la vision chez les Arthropodes. Bibliotheque universelle. Revue suisse et etrangere. Archives des Sciences physiques et natu- relles. Nouvelle periode. XII. 1861. S. 328 2) Wiegmann's Archiv, 1859. 3) Dies Archiv, 1855.% 4) Dies Archiv, 1858. 5) Zeitschr. f, wiss. Zool. 1859. Je re Le Beiträge zur physiologischen Optik. 535 sucht, entweder das Bild eines etwas complieirteren Gegen- standes nach der Ruete’schen Theorie zu construiren, oder gar die von Ruete nur als Linearprojection gegebene Con- struction in eine Flächenprojection umwandeln will, wird man sich von der völligen Unzulänglichkeit auch dieser Vorstel- lungsweise überzeugen. Bei diesem Missverhältniss zwischen dem physiologischen Postulat und der anatomischen Grundlage war der Stand der Frage bis in die neueste Zeit ein äusserst unerquicklicher. Es war hier ein Dilemma geschaffen, aus dem der Ausweg schwer schien. So wissen z. B. weder Helmholtz!) noch E. du Bois- Reymond?) eine bestimmte Entscheidung zu geben. Erst ganz in der neuesten Zeit ist der erste Versuch ge- macht worden, der Theorie vom dioptrischen Sehen der Arthro- poden die ihr bisher noch mangelnde anatomische Basis zu ge- ben. In seinen Untersuchungen über die zusammengesetzten Augen der Krebse und Insecten (Bonn, 1868) weist M ax Schultze nach, dass bei einer Anzahl von Insecten eine Mehrzahl feiner nervöser Fibrillen an das hintere Ende des Kıystallkegels herantritt. Diese Mehrzahl nervöser Fasern be- trachtet er als die Retina eines jeden Einzelauges, und glaubt so das anatomische Substrat gefunden zu haben, welches die Empfindung der von den einzelnen Hornhautfacetten entworfe- nen Bilder vermittelt. Ich werde später noch ausführlich auf diese Auffassung zurückzukommen haben. Im verflossenen Sommer machte ich gelegentlich der unter meiner Leitung von F. Morano?°) angestellten Untersuchungen folgendes Experiment: Ich breitete die ganz frische Retina eines Triton cristatus mit der inneren Fläche nach unten in einem Tropfen Humor 1) Physiologische Optik, S. 3. 2) Gedächtnissrede auf Johannes Müller, S. 41. 3) Die Pigmentschicht der Retina. M. Schultze’s Arch. für mikr, Anat. VIII. TEEN 536 Dr. Franz Boll: aqueus auf dem ÖObjectträger aus, entfernte vorsichtig das Pig- mentstratum, umgab das Präparat mit drei Deckglassplitterchen, um es vor Druck zu bewahren, und bedeckte es dann mit dem Deckglase. Mit einer starken Vergrösserung (Hartnack’s IX, 2) stellte ich dann auf die obere Fläche der Mosaik der Stäbchen, d. h. auf die hinteren Enden der Stäbchen ein. Brachte ich nun eine Staarnadel zwischen Spiegel des Mikro- skops und Object, und bewegte dieselbe hin und her, so sah ich deutlich in jedem einzelnen Stäbchen ein aufrechtes, ver- kleinertes Bild der Nadel entstehen'). Es gelingt also der Leeuwenhoek’sche Versuch auch an der Stäbchenschicht der Wirbelthiere. Gleichzeitig mit mir hat, wie aus unserer Correspondenz erhellt, Max Schultze diese Beobachtung an der Retina einer Schlange gemacht, welche der Mittheilung dieses Forschers zu- folge nur Zapfen enthält. | Ich habe darauf den Versuch oft und stets mit dem gleichen Erfolge wiederholt. Er gelang ausserdem an der Retina des Frosches und der Salamandra maculata. Am Säugethierauge ist er mir nicht gelungen: mir standen immer nur Species mit den feinsten Stäbchen zu Gebote. Dass auch die Zapfen Bilder entwerfen, beweist Max Schultze’s Versuch. Ich habe nicht ermitteln können, ob auch die kleinen Zapfen der Amphibienretina Bilder entwerfen oder nicht. Der Ort der Bilder in den Stäbchen ist unmittelbar vor dem hinteren freien Ende der Aussenglieder?), wie eine sorg- fältige Einstellung ergiebt. Es ist bemerkenswerth, dass der Stäbchenschicht aller Am- 1) Es ist wohl kaum nöthig, darauf aufmerksam zu machen, dass dieses durch das Mikroskop betrachtete aufrecht erscheinende Bild in Wirklichkeit ein verkehrtes »verkleinertes Bild der Nadel dar- stellt. 2) Ich finde das in der Substanz der Pigmentzellen steckende freie Ende des Aussengliedes niemals gerade abgeschnitten, sondern stets kuppelförmig abgerundet. Beiträge zur physiologischen Optik. 537 phibien, mit denen mir der Leeuwenhock’sche Versuch bis etzt gelungen ist, ganz allge mein ein Körper zukommt, den der Entdecker desselben, Max Schultze'), den linsenförmi- gen Körper nennt. Derselbe liegt im Innern der Stäbchen an der Grenze zwischen Innenglied und Aussenglied , so zwar, dass er nach hinten (d.h. dem Aussengliede zu) abge- plattet, nach vorne (d.h. dem Innengliede zu) sphärisch oder ellipsoidisch gekrümmt ist. M. Schultze beschreibt ihn als einen Körper von der Gestalt einer halbkugeligen oder plan- parabolisch gekrümmten Brennlinse. Ganz ähnlich wie M. Schultze?) und nach ihm Dobrowolsky°) für die Krüm- mung der linsenförmigen Körper in den Zapfen des Huhnes verschiedene Grade der Convexität beschrieben haben, habe auch ich die vordere Convexität des linsenförmigen Körpers in den Stäbchen der Amphibien keineswegs constant gefunden, ohne dass es mir jedoch gelungen wäre, eine in diesen Bezie- hungen waltende bestimmte Gesetzmässigkeit nachzuweisen. Stets ist die vordere Fläche des linsenförmigen Körpers jedoch convex, niemals plan, geschweige concav. Schon M. Schultze hat darauf hingewiesen*), dass, da das Lichtbrechungsvermögen der Substanz des linsenförmigen Körpers das der Substanz des Innengliedes bedeutend über- trifft, die Strahlen, die aus dem Innengliede durch den lin- senförmigen Körper in das Aussenglied übertreten, eine ziem- lich starke Brechung erleiden müssen. Es dienen mithin die linsenförmigen Körper als Sammellinsen, die sämmtliche auf je ein Stäbchen fallende Lichtstrahlen in einem Punkte (oder ge- nauer in einer kaustischen Linie), der in der Axe des Aussen- gliedes oder in deren Verlängerung liegt, vereinigen. Dieses gilt sowohl für parallel wie für divergent und bereits conver- gent auf die vordere Stäbchenfläche fallende Strahlenbündel. 1) M. Schultze’s Arch. f. mikr. Anat. III, S. 221. 2) M. Schultze’s Arch. f. mikr. Anat. V, S. 403. Taf. XXII, Figg. 17, 19. 3) S. oben Hft. II. S. 210. 222. 4) M. Schultze’s Arch. f. mikr. Anat. III, S. 242. 538 Dr. Franz.Boll: Dass die von M. Schultze vorgetragene Ansicht über die Function des linsenförmigen Körpers eine richtige ist, dass der linsenförmige Körper wirklich als Linse wirkt, wird, wie M. Schultze bereits in einem Brief an mich hervorhob, durch das Gelingen des Leeuwenhoek’schen Experimentes an der Stäbchenschicht auf das Unzweideutigste bewiesen. Denn es ist klar, dass, sobald einmal in den Stäbchen selbst eine Linse vorhanden ist, welche die einfallenden Strahlen auf einen bestimm- ten Punkt concentrirt, diese Linse auch Bilder entwerfen muss, sobald man auf- sie nicht bloss ein einzelnes Strahlenbündel, sendern die Summe aller von einem Object ausgehenden Strah- len fallen lässt. Dass die linsenförmigen Körper dann ein Bild dieses Gegenstandes entwerfen werden, folgt aber aus ihrer Na- tur als Linsen. Doch wird Niemand diesen von den Stäbchen entworfenen Bildern irgend eine physiologische Bedeutung für den Sehact zuschreiben oder etwas mehr in ihnen sehen wol- len, als eine -mit der Linsennatur unabänderlich verbundene 2 physikalische Curiosität. Denn im Leben werden die einzel- ne.; linsenförmigen Körper, vor denen der ganze brechende Ap- parat des Wirbelthierauges liegt, niemals etwas Anderes zu thun haben, als die einzelnen, von den einzelnen Objectpunk- ten ausgehenden und bereits durch Cornea und Linse gebro- chenen, convergirenden Strahlenbündel noch convergenter zu machen. Nehmen wir jedoch die Stäbchenschicht aus dem Auge heraus, wie es in dem oben beschriebenen Versuche ge- schah, entfernen wir den ganzen brechenden Apparat des Auges vor ihr und lassen wir die einzelnen Stäbchen nicht bloss wie im Leben auf das von einem einzelnen Punkte des Objectes ausgehende und bereits convergent gemachte Strahlenbündel, sondern unmittelbar auf die ganze Summe aller von einem Ob- ject ausgehenden Strahlen wirken, so werden wir natürlich ein Bild des Objectes erhalten, wie überall da, wo wir die Summe der von einem Öbjecte ausserhalb der Brennweite aus- gehenden Strahlen auf eine Linse fallen. lassen, Ich glaube, es ist ein Leichtes, eine ähnliche Ueberlegung wie für die Stäbchenschicht der Wirbelthiere, auch für die zu- SE Beiträge zur physiologischen Optik, 539 sammengesetzten Augen der Arthropoden durchzuführen. Nach- dem an einem so klaren Beispiel, wie die Stäbchenschicht der Wirbelthiere, nachgewiesen werden konnte, dass die ent- stehenden Bilder keineswegs physiologisch, sondern nur eine optische, von der Natur der Linsen unzertrennliche Nebenwir- kung, eine physikalische Curiosität sind — ähnlich wie das durch Spiegelung auf der Fläche der menschlichen Hornhaut entstehende Bildchen —, wird das Gleiche auch für die musi- vischen Augen wohl kaum eine Schwierigkeit haben. Wenn man sich einmal von der Vorstellung losgemacht hat, dass die von dem optischen Apparat des Auges nach physikalischen Ge- setzen entworfenen Bilder stets auch physiologisch sein, d. h. stets auch als solche gesehen werden müssen, und das Problem des musivischen Sehens nunmehr so vorurtheilsfrei erwägt, so wird man finden, dass die Summe der anatomischen, physio- logischen und psychologischen Schwierigkeiten, die sich einer physiologischen Verwerthung der Leeuwenhoek’schen Bild- chen entgegensetzen, für die zusammengesetzten Augen der Arthropoden kaum geringer ist, als für die Stäbchenschicht der Wirbelthiere. I. Es ist oben bereits gesagt worden, dass M. Schultze nachgewiesen hat, dass bei einzelnen Insecten eine Mehrzahl feinster Nervenfibrillen an das centrale Ende des Krystallkegels herantritt. Dennoch glaube ich behaupten zu dürfen, dass die- ser Mehrheit von Nervenfasern weder die anatomische noch die physiologische Bedeutung einer Retina zugesprochen werden darf, und zwar aus folgenden Gründen: 1. Den Einwand, dem ich die geringste Bedeutung bei- messe, will ich vorausstellen, und gleichzeitig den Grund an- geben, weshalb ich ihn nicht für streng beweisend halte, Die einzelnen Fibrillen der an das centrale Ende des Krystallkegels herantretenden Nervenfaser sind nicht durch Pigment getrennt (wie sonst stets die einzelnen empfindenden Punkte einer Re- tina), und es wird daher keine Localisirung und Sonderung der Eindrücke stattfinden können. Um diesen Einwand zu ent- kräften, braucht man nur anzunehmen, dass an der Wand einer jeden feinsten nervösen Fibrille eine totale Reflexion stattfindet. 540 Dr. Franz Boll: In diesem Falle muss allerdings auch ohne Pigment eine Son- derung der Eindrücke zu Stande kommen können, 2. Aber selbst angenommen, es finde in irgend einer Weise eine Sonderung der Eindrücke in den verschiedenen feinsten Nervenfibrillen Statt, so ist deshalb das hinter jedem Einzel- auge gelegene Nervenende doch noch keine Retina. Denn der Begriff einer Retina implieirt nicht bloss eine Mehrheit, son- dern eine grosse Vielheit von Nervenenden. Man berechne einmal — am besten mit Hilfe einer Zeichnung —, eine wie beträchtliche Anzahl gesondert empfindender Punkte man braucht, um das Bild einer ganz einfachen Figur, z. B. eines Pfeiles, zu construiren, man überlege ferner, wie bei der Con- struction des Bildes von auch nur einigermassen complieicteren Figuren die nothwendige Anzahl von gesondert empfindenden Punkten in sehr schnell zunehmendem Verhältniss wächst — und man wird einsehen, dass die Summe der in einer einzel- nen fibrillären Nervenfaser gesondert verlaufenden nervösen Primitivfibrillen unmöglich ausreicht, eine Retina in physiolo- gischem Sinne zu versorgen. 3. Es ist ein ganz allgemeines Verhältniss!), dass das- jenige Ende des Krystallkegels, hinter welchem die Sehstäbe oder die Nervenfibrillen unmittelbar liegen, in sehr hohem Maasse verschmächtigt ist: von den von der vorderen Hornhautfläche resp. der vorderen brechenden Fläche des Krystallkegels ent- worfenen Bildchen wird daher stets nur eine ganz kleine cen- trale Partie am Ende des Kıystallkegels von einer etwa dort vorhandenen Retina pereipirt werden können. 4. Wenn auch der Nachweis einer Mehrheit der an das Ende des Krystallkegels herantretenden Nervenprimitivfibrillen in einer Reihe von Fällen in höchst befriedigender Weise zu führen ist (so bei der Fliege, bei Scarabaeus und bei den Nachtschmetterlingen), so ist doch wiederum in anderen Ar- thropodenclassen die Structur der zusammengesetzten Augen 1) M. Schultze a. a. O. Taf. I auf sämmtlichen Figuren in der ausgesprochensten Weise! Taf. II, Figg. 1! 2! 5. 7! 8. 10.11. 12. 14, 15. 17. 18. 19, 20! 211 221 25, g. v E. rn 1 R.' Beiträge zur physiologischen Optik. 541 eine derartige, dass mit ziemlicher Sicherheit die Existenz ei- nes anatomischen Substrats für eine gesonderte Lichtempfindung hinter einem jeden Einzelauge ausgeschlossen werden kann, Bei den Tagschmetterlingen fand Max Schultze den dünnen Nervenfaden, der an das hintere Ende des Krystallkegels grenzt, durchaus homogen. Aber selbst wenn man mit M. Schultze annimmt, dass diese Homogeneität nur eine scheinbare ist, kommen ausser den Tagschmetterlingen noch andere Arthropo- denclassen vor, in denen der Nachweis einer Mehrzahl geson- dert lichtempfindender Punkte hinter jedem Einzelauge auf noch grössere Schwierigkeiten stösst. Bei den Libellen') und noch evidenter in den mächtigen Augen der Krebse grenzt un- mittelbar an das hintere Ende des Krystallkegels nicht eine mehr oder minder deutlich fibrilläre Nervenfaser, sondern der feine, plättchenstructurirte Sehstab, an dem eine andere innere Differenzirung ausser der Plättchenstructur (etwaige innere Längsfasern) niemals nachzuweisen war?), der vielmehr in sei- nem ganzen anatomischen Verhalten die äusserste Ueberein- stimmung mit den Aussengliedern der Wirbelthier-Retina zeigt, bei welchen der Gedanke an eine irgend weitergehende innere Differenzirung der Lichteindrücke doch wohl völlig auszu- schliessen ist. Sollte es unter diesen Verhältnissen nicht viel- leicht correcter sein, diese an den grossen Augen der Krebse und Libellen auf das Unzweideutigste erkannte Structur als Norm anzusehen und in der fibrillären Differenzirung, welche die Endfasern des Opticus in anderen Insectenclassen zeigen, eben so wenig eine weitergehende physiologische Differenzirung zu suchen, wie man sie in der fibrillären Structur der Zapfenfasern der menschlichen Fovea centralis sucht°)? 1) M. Schultze, a. a. O. Taf. II, Fig. 22. 2) M. Schultze, a. a. O0. 8. 14. 3) Volkmann (Physiol. Untersuchungen im Gebiete der Optik, S. 65) hat Versuche veröffentlicht, aus denen hervorzugehen scheint, dass die Zapfen der Fovea centralis des menschlichen Auges nicht fein genug sind, um die wirklich hier stattfindende Sehschärfe zu er- klären. Es würde sich hieraus unmittelbar der Schluss ergeben, dass ein einziger Zapfen gleichzeitig mehrere Eindrücke empfinden könnte, = KIN Da E03 Fa ER A nb a SER RE Ka) ah OR 542 Dr. Franz Boll: Il. Eine zweite Schwierigkeit, die sich der physiologischen Verwerthung der Leeuwenhoek’schen Bildchen für den Seh- act der zusammengesetzten Augen entgegenstellt, liegt nicht auf anatomischem, sondern rein auf physiologischem Gebiete: der Mangel einer Accommodation. Je tiefer die Anatomie in den Bau der zusammengesetzten Augen eingedrungen ist, desto evidenter hat sich herausgestellt, dass das anatomische Verhält- niss der optischen Constanten, die Differenz zwischen den brechen- den Flächen und den Nervenenden stets constant bleibt und keiner Veränderung fähig ist. Da nun die Brennweite der wesentlich als Linsen wirkenden Hornhautfacetten bei den mei- sten in der Luft lebenden Thieren — bei den Wasser bewoh- - nenden und unter Wasser sehenden Thieren, z.B. bei den Krebsen, ist das Verhältniss anders — eine verschwindend kleine ist"), so wird der optische Apparat des Einzelauges so- wohl von den in grosser Nähe wie in grosser Ferne befindli- chen Objecten Bilder entwerfen müssen. Wie eine physiolo- gische Sonderung dieser Bilder ohne Accommodation möglich sein soll, vermag ich nicht mir zu denken. III. Die dritte und nach meinem Dafürhalten nicht die geringste Schwierigkeit ist psychologischer Natur. Welche Einrichtungen haben wir uns in dem ÜCentralorgan eines In- sects vorzustellen, welches sich seine Wahrnehmung eines Gegenstandes construiren soll aus einer enormen Anzahl — in den meisten Fällen über 100 — einzelner Bilder, von denen 2 keines genau mit dem anderen übereinstimmt, und welche in fast allen Fällen aus dem unter I, 3 entwickelten Grunde alle verstümmelt, unvollständig und ungenügend sein werden. Die Vorstellung, welche in dem zusammengesetzten Sehorgan der Ich werde auf diese Frage in einem späteren Abschnitt dieser Bei- träge noch einmal zurückkommen, 1) Die Berechnungen der Autoren (Brants, Dor) ergeben über- einstimmend für die Brennweite der Hornhautfacetten nur ausseror- dentlich kleine Werthe (Bruchthejle von Millimetern). Offenbar feh- lerhaft ist der von Ruete erhaltene Werth für die Brennweite der Hornhautfacette der Stubenfliege: 0,0139» mm. Es wäre dies kleiner ü als die Wellenlänge im äussersten Violet, 7 ® n, Beiträge zur physiologischen Optik. 543 Arthropoden eine Aggregation einfacher Augen sieht, setzt eine so unendliche Complieirtheit nicht bloss der peripherischen sondern noch viel mehr der centralen Structur des Sehorganes voraus, wie wir sie vorauszusetzen den bekannten anatomischen Strueturverhältnissen nach nicht berechtigt sind, falls wir nicht unsere Vorstellungen über die mikroskopische Anatomie des Nervensystems völlig modifieiren wollen. Ich schliesse hiermit die Reihe von Betrachtungen, die es mir als völlig unzulässig erscheinen lassen, für die Erklärung des Sehens bei den Arthropoden an die Leeuwenhoek’schen Bildchen anzuknüpfen. Für mich besteht die alte Theorie Jo- hannes Müller’s vom musivischen Sehen noch zu vollem Rechte und in alter Ehre’) Eine ganz besondere Genugthunng soll es mir sein, wenn diese Betrachtungen dazu beigetragen haben sollten, dass die Theorie vom musivischen Sehen in der Wissenschaft wieder als das gelten wird, als was sie einstmals gegolten hat: als das frischeste Blatt in dem Lorbeerkranz ih- res grossen Urhebers. Ehe ich diesen Gegenstand gänzlich verlasse, kann ich nicht umhin, zwei Punkte wenigstens noch ganz kurz zu be- 1) Die physiologische Rolle, welche die Convexität der einzelnen Corneafacetten spielt, findet sich auch von Joh. Müller bereits er- schöpfend auseinandergesetzt: „Die Convexität der einzelnen Facetten der Cornea wird das in der Richtung der Axe einfallende Licht als brechendes Medium der Axe selbst zulenken und in der Tiefe des Auges zu grösserer Einigung bringen. So mag es kommen, dass das den ganzen Kegel durchleuchtende Licht in der Spitze desselben, wo es die Sehfaser affıeirt, punktförmig vereinigt wird, wodurch die Be- stimmtheit des Bildes sehr gehoben werden muss.“ (Beiträge zur vergl. Physiol. des Gesichtssinnes. $. 367.) Ganz hiermit überein- stimmend ist die Auffassung von Helmholtz: „Sollte in jedem Ke- gel nur ein Nervenelement vorhanden sein, so wird die Brechung des Lichts doch dadurch noch nützlich sein, dass das der Axe des Kegels parallel einfallende Licht auf das Ende der Nervenfaser concentrirt, und das von anderen benachbarten Punkten des Gesichtsfeldes kom- mende besser davon abgehalten wird, als es die Scheidewände allein thun würden.“ (Physiol. Optik. S. 3.) 544 Dr. Franz Boll: rühren. Der erste betrifft die Frage nach dem Orte, wo in der Retina der Wirbelthiere die Lichtempfindung zu Stande kommt. Der zweite ist eine vergleichend anatomische Nutzanwendung allgemeinerer Art. I. Ich hatte gehofft, durch.den Leeuwenhoek’schen Versuch zu ganz bestimmten Vorstellungen zu gelangen über den Ort, wo in der Retina der Wirbelthiere die Perception des Lichtes stattfindet. Es zeigte sich jedoch bald, dass dieses, wenn auch nicht unmöglich, so doch jedenfalls sehr schwer sei. Sogar an der Lösung der verhältnissmässig sehr einfachen Auf- gabe, nach der Formel 1 1 1 are die Brennweite / der linsenförmigen Körper in den Amphibien- augen zu berechnen, bin ich gescheitert, da die Bestimmung der einzelnen Constanten nicht mit der wünschenswerthen Ge- nauigkeit durchzuführen war. Wenn auch 5 (die Entfernung des Objects von der vorderen Fläche des linsenförmigen Kör- pers) zu bestimmen keinerlei Schwierigkeiten bot!), bin ich doch nie zu einer unzweideutigen Bestimmung von a (der Ent- fernung des Bildes von der vorderen Fläche des linsenförmigen Körpers) gelangt. Die Schwierigkeit, die sich derselben ent- gegenstellt, ist eine doppelte: einmal: ist es sehr schwer, zu bestimmen, wann dieses Bild genau in der Spitze des Aussen- gliedes liegt; zweitens giebt es in der Amphibienretina keine constante absolute Länge der Stäbchen, die man messen und der Berechnung zu Grunde legen könnte: die Aussenglieder sind im Centrum der Retina stets beträchtlich länger, als in der Peripherie. An der flächenhaft ausgebreiteten Retina ist es aber unmöglich, gleichzeitig die Länge der betreffenden 1) Es setzt sich diese Grösse zusammen aus: 1. der senkrechten Entfernung des Objectes vom Tische des Mikroskops, 2. der Dicke des Objeetträgers, und 3, der Dicke sämmtlicher Retinaschichten von der Membrana limitans interna bis zur vorderen Fläche des linsen- förmigen Körpers, die an in Müller’scher Flüssigkeit erhärteten Amphibienaugen sehr leicht zu messen ist. Beiträge zur physiologischen Optik. 545 Stäbchen festzustellen, mit denen man das Experiment ge- macht hat. Bis es gelingt, exactere Methoden zur Lösung der vielen hier sich aufdrängenden Fragen zu finden, ist man auf Muth- massungen, auf reine Discussion der verschiedenen hier stattfin- denden Möglichkeiten angewiesen. Es kann der Nutzeffect der linsenförmigen Körper für die Concentration der auf ein Stäbchen fallenden Lichtstrahlen of- fenbar in vierfach verschiedener Weise gedacht werden. Wenn wir für einen Gegenstand scharf accommodiren, so schneiden sich die von einem Punkte desselben ausgehenden Strahlen in einem in der Netzhaut gelegenen Punkte. Wo, in welcher Ebene der Netzhaut dieser Punkt liegen mag, dies zu entschei- den, haben wir keine Anhaltspunkte: wir haben nur Wahr- scheinlichkeitsgründe dafür, dass dieser Punkt in der Ebene der Stäbchen- und Zapfenschicht liege. Es sind nun offenbar folgende vier Fälle möglich: 1. Der Durchschneidungspunkt liegt vor der vorderen Fläche und zwar vor dem Brennpunkt des linsenförmigen Körpers. In diesem Falle werden die Strahlen nach der Vereinigung wieder divergiren, und es wird ein Zerstreuungskreis divergirender Strahlen auf die vordere Convexität des linsenförmigen Körpers auffallen und dann in einem bestimmten Punkte, der in der Axe des Aussengliedes oder in deren Verlängerung liegt, wieder vereinigt werden. 2. Der Durchschneidungspunkt liegt vor der vorderen Fläche, und zwar im Brennpunkt des lin- senförmigen Körpers. In diesem Falle werden die nach der Durchschneidung wieder divergirenden Strahlen, nachdem sie. den linsenförmigen Körper überschritten haben, parallel werden, und ein homogener Lichtceylinder paralleler Strahlen wird das Aussenglied durchleuchten. 3. Der Durchschneidungspunkt liegt vor der vorderen Fläche und zwar hinter dem Brennpunkt, also zwischen Vorderfläche und Brennpunkt des lin- senförmigen Körpers. In diesem Falle werden die nach der Durchschneidung wieder divergirenden Strablen, nachdem Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 35 546 Dr. Franz Boll: sie den linsenförmigen Körper überschritten haben, schwächer divergent, und es wird durch sie, indem sie auf der Seiten- fläche des Aussengliedes auffallen und dort entweder von den Pigmentscheiden absorbirt oder durch die dort vorhandene to- tale Reflexion (Bruecke) wieder reflectirt werden, eine un- regelmässige Durchleuchtung der Aussenglieder stattfinden. 4) Der Durchschneidungspunkt liegt hinter der vorderen Fläche des linsenförmigen Körpers. In die- sem Falle wird die Vorderfläche desselben nicht, wie in den ersten drei Fällen, von divergirenden, sondern von bereits con- vergirenden Strahlen getroffen, die durch den linsenförmigen Körper nur noch convergenter gemacht werden. In allen diesen Fällen ist das Endresultat ein überein- stimmendes: die Durchleuchtung der plättchenstructurirten Sub- stanz des Aussengliedes, und man wird wohl nicht irren, wenn man dieselbe als nothwendig für das Zustandekommen einer jeden Lichtempfindung ansieht. Der physiologische Nutzen des linsenförmigen Körpers würde z. Th. wohl darin zu suchen sein, dass derselbe geeignet ist, kleine Schwankungen in der Lage der Durchschneidungspunkte, wie sie bei der durch Mus- kelkraft bewirkten Accommodation wohl unvermeidlich sind, ohne Schädigung der Deutlichkeit des Sehens sich vollziehen zu lassen, indem, selbst wenn man sich den Durchschneidungs- punkt innerhalb gewisser Grenzen verschoben denkt, doch stets noch eine Durchleuchtung des Aussengliedes, eine gesonderte Lichtempfindung stattfinden wird. Welches als die normale Lage des Durchschneidungspunk- tes anzusehen ist, darüber ist eine bestimmte Entscheidung nach dem vorliegenden thatsächlichen Material wohl noch nicht zu treffen Die vollständigste Durchleuchtung des Aussengliedes würde jedenfalls bei der unter 2 angeführten Möglichkeit statt- finden, wenn Durchschneidungspunkt der Strahlen und Brenn- punkt des linsenförmigen Körpers zusammenfallen. Vielleicht, dass dieses die physiologische Norm ist. Doch muss hervor- gehoben werden, dass auch die unter I aufgestellte Möglichkeit gewisse Vorzüge bieten würde. In diesem Falle nämlich, wo der Durchschneidungspunkt vor dem Brennpunkte liegen würde, Beiträge zur physiologischen Optik. 547 würden die Strahlen sich wieder in einem einzigen, in der Axe des Aussengliedes gelegeneı Punkte vereinigen. Nach einer von Max Schultze!) adoptirten Auseinandersetzung von Zen- ker?) würde das aus starklichtbrechender Substanz bestehende Aussenglied die Convergenz der Strahlen bis zum kuppelförmig gewölbten Ende des Aussengliedes verzögern. Es spricht für diese Ansicht die Thatsache, dass, wenn man den Leeuwen- hoek’schen Versuch in der oben beschriebenen Weise an der Stäbchenschicht eines Amphibienauges anstellt, die Bildchen — soweit man durch vorsichtiges Einstellen der Mikrometerschraube beurtheilen kann — stets in der Spitze oder doch sehr nahe der Spitze des Aussengliedes zu liegen scheinen, niemals aber in der Mitte derselben. II. Nur ganz kurz und andeutungsweise will ich einen zweiten Punkt berühren, dessen eingehendere Behandlung weit über die Grenzen dieses Aufsatzes hinausgehen würde: ich meine die Schlussfolgerungen, die sich aus dem oben Erörter- ten für die vergleichend anatomische Betrachtung der zusam- mengesetzten Augen ergeben werden. Wenn man die zusammengesetzten Augen physiologisch nicht mehr als eine Aggregation einfacher Augen betrachten kann, so ergiebt sich daraus die Nothwendigkeit, auch die ver- gleichend anatomische Auffassung derselben, wie sie bisher in der Wissenschaft üblich war, einer Revision zu unterziehen. Wer, wie Schreiber dieses, der festen Ueberzeugung ist, dass der Wissenschaft der vergleichenden Anatomie nur das Heil kommen kann aus der strengsten und consequentesten Anwendung der grossen Principien, die durch Darwin in das Bewusstsein der morphologischen Wissenschaften eingeführt sind, für den zerfällt die anatomische Vergleichung des zusam- mengesetzten Auges mit dem Auge der Wirbelthiere in die bei- den grossen Fragen: Welche Homologien existiren zwischen ‚dem zusammengesetzten Auge der Insecten und dem Wirbel- 35* 548 Dr. Franz Boll: thierauge? Zweitens: welche Analogien finden zwischen bei- den Statt?!) Nach den Grundsätzen, die ich an einem anderen Orte?) ausführlicher entwickelt habe, ist die Reihe der Homologien zwischen zwei verschiedenen Typen des Thierreichs (in diesem Falle zwischen dem Typus der Wirbelthiere und dem der Ar- thropoden) stets möglichst eng, die der Analogien hingegen stets möglichst weit abzustecken. Die Homologien, die zwischen dem Sehorgan der Wirbel- thiere und dem des Arthropodentypus stattfinden, dürften sich auf den Sehnerven, das Pigment, die mosaikartige Anordnung der empfindenden Punkte, und allenfalls noch auf die von Max Schultze innerhalb beider Typen nachgewiesene plättchen- artige Structur der letzten Sehnervenenden beschränken. Die Analogien oder, wie man auch sagen kann, die func- tionellen Uebereinstimmungen, die zwischen dem Auge der Wirbelthiere und dem zusammengesetzten Auge der Krebse und Insecten sich vorfinden, müssen nunmehr, nachdem das zusam- mengesetzte Auge physiologisch nicht mehr als eine Aggrega- tion einfacher Augen angesehen werden kann, in anderer Weise gefasst werden, als es bisher von den meisten Anatomen ge- schehen ist. Es erscheint nunmehr unstatthaft, die sogenannte Cornea und den Krystallkegel des sogenannten Einzelauges, funetionell mit der Oornea und dem Glaskörper des Wirbel- thierauges zu vergleichen, da hinter den ersteren stets nur das 1) Ich fasse die beiden Begriffe der Homologie und Analogie nach der von E. Haeckel gegebenen Definition: „Alle Eigenschaften oder Charactere der Organismen sind das Product der Wechselwir- kung von zwei gestaltenden physiologischen Functionen, dem inne- ren Bildungstriebe der Vererbung, und dem äusseren der Anpas- sung; alle Charactere der Organismen sind in erster Instanz entweder ererbt (homolog) oder durch Anpassung erworben (analog).“ Generelle Morphologie der Organismen, Bd. II, S. 224. Vergl. ebenda $. 298, 401. 2) Beiträge zur vergleichenden Histiologie des Molluskentypus. Bonn, 1869. S. 98. nn Beiträge zur physiologischen Optik. 549 physiologische und morphologische Aequivalent eines einzigen Stäbchens, niemals aber eine Stäbchenschicht liegt. Den ersten Keim einer richtigen Würdigung der zwischen den zusammengesetzten Augen der Arthropoden und dem Wir- belthierauge stattfindenden Analogien finde ich in einer Ab- handlung Bruecke’s aus dem Jahre 15844), wo die Stäbchen- schicht der Wirbelthiere als „ein hinter dem einfachen auf Brechung beruhenden Auge der Wirbelthiere gelegenes, musi- visch zusammengesetztes, auf Isolation beruhendes Auge“ defi- nirt wird. Später hat Leydig?) diesen Gedanken weiter durchzuführen gesucht, ist jedoch meines Erachtens in den ein- zelnen Details nicht sehr glücklich gewesen. Wenn es gilt, die _ functionellen Uebereinstimmungen zu definiren, die zwei zwar ursprünglich gleiche, aber in der Entwickelungsreihe der bei- den Typen unter grundverschiedenen Verhältnissen zur Aus- bildung gelangte Organisationen, die Stäbchenschicht der Wir- belthiere und das musivische Auge der Arthropoden zeigen, so wird man eben in dem Eingehen auf die einzelnen Details nicht vorsichtig genug sein können. Hier sind von der Natur selbst die Schranken gezogen, die ein allzu minutiöses Einge- hen auf das Detail der vergleichend anatomischen Ueberein- stimmung verbieten; ein solches widerstrebt vielmehr dem Sinn der Aufgabe, um deren Lösung es sich hier handelt. Berlin, 10. December 1871. B) Ueber die physiologische Bedeutung der stabförmigen Körper und der Zwillingszapfen in den Augen der Wirbelthiere. Dies Ar- chiv, 1844. 8. 444, 2) Dies Archiv 1855. 8. 427. 550 C. Bock u. FE. A. Hoffmann: Ueber eine neue Entstehungsweise von Melliturie. Von Dr. C. Bock und Dr. F. A. Horrmann, Assistenten an der medicinischen Universitäts-Klinik zu Berlin. Die Theorie des Diabetes mellitus ist eins von jenen we- nigen Gebieten, auf welchen die experimentelle Pathologie bis- her Bedeutenderes hat leisten können, sei es, weil man hier verhältnissmässig leicht Angriffspunkte für Experimentalunter- suchungen findet, sei es, weil dieses Feld den Physiologen und Chemiker eben so sehr wie den Kliniker interessirt. Namentlich ist es überraschend, zu sehen, wie fruchtbar die letzten Jahr- zehnte gewesen sind, Methoden aufzufinden, durch welche bei ‚ Thieren eine Zuckerausscheidung im Urin hervorgebracht wird. Es ist schon eine erhebliche Aufgabe, vollständig alle die.Ein- griffe aufzuzählen, durch welche man künstlich Diabetes erzeugt hat, und eine Anzahl derselben ist von verschiedenen Autoren zu völlig exacten Methoden erhoben worden, auf Grund deren Theorien über das Wesen des Diabetes vielfach aufgestellt wer- den konnten. Dennoch bestehen noch sehr erhebliche Meinungs- differenzen über zum Theil sehr wesentliche Punkte, so dass neuen Untersuchungen ein weites und fruchtbares Feld zu be- arbeiten bleibt. Wir haben es unter solchen Verhältnissen nicht für über- flüssig gehalten, eine neue Methode zur Erzeugung von Melliturie, welche wir gelegentlich unserer Experimente über Ueber eine neue Enstehungsweise von Melliturie, 551 Diabetes aufgefunden haben, so weit zu vervollkommnen, dass sie neben den anderen schon bekannten ein brauchbares Hülfs- mittel für das Studium dieser Erscheinung abgeben kann. Die folgende Mittheilung ist wesentlich nur der Beschreibung dieser Methode und deren nächsten Ergebnissen gewidmet; wir halten uns noch absichtlich von allen weiteren Fragen fern, welche sich so leicht anknüpfen lassen und welche wir bei Gelegenheit ei- ner späteren Arbeit erörtern werden. Fs 'cam uns darauf an, bei unseren Versuchsthieren eine recht reichliche Flüssigkeitsausscheidung durch die Nieren her- vorzurufen; wir sahen daher von medicamentösen und nervösen Einwirkungen ab und spritzten ihnen eine 1°/, Kochsalzlösung in das Gefässsystem. Bisher haben wir keine Veranlassung ge- funden, eine andere Flüssigkeit anzuwenden; die Thiere ver- tragen sehr bedeutende Quantitäten verhältnissmässig leicht, und bald findet eine schnelle und reichliche Urinsecretion Statt. Wir beschränken uns im Folgenden darauf, die Erfahrun- gen darzulegen, welche wir an Kaninchen gesammelt haben. Die angeschafften möglichst kräftigen Thiere wurden meist bald zu den Experimenten verbraucht; während der wenigen Tage, wo sie sich in unserem Stalle befanden, erhielten sie Kohl, Mohrrüben, Hafer und Brod. — Die Methode, nach welcher wir den Thieren das Salzwasser in die Gefässe injieirten, ha- ben wir von ganz primitiven Anfängen allmälig zu einer mög- Jichst bequemen und sicheren ausgebildet. Wir fingen damit an, eine Pravaz’sche Canüle in eine Ohrvene einzuführen und mit einer 30 cc. haltenden Spritze zu injieiren; — es ist begreiflich, dass dies Verfahren nicht mehr genügen konnte, als es sich darum handelte, viele hundert Cubiccentimeter Wasser im Verlaufe von Stunden allmälig einzubringen. Wir bedienen uns jetzt des folgenden Apparates: Ein Hahn der Wasserleitung ist durch einen Gummischlauch mit einer doppelt tubulirten Flasche von ca. 5000 Ce. Inhalt verbunden, und diese auf dieselbe Weise mit einem Maasscylin- der, welcher 1200.Cc. fassen kann. Der letztere ist mit Salz- wasser gefüllt, und sobald man die Luft in der tubulirten Fla- sche durch Einlassen von Wasser comprimirt, drückt diese auf 552 ©. Bock u. FE. A. Hoffmann: das Salzwasser im Maascylinder. Durch eine Glasröhre, welche vom Boden des Cylinders durch dessen luftdicht eingelassenen Verschluss aufsteigt, gelangt nun das Salzwasser ‚unter Vermitt- lung eines dritten Gummischlauches in die feine Glascanüle, welche in die Arterie des Versuchsthieres eingebunden ist. Bei luftdichtem Verschlusse aller Verbindungen kann man durch den Hahn der Wasserleitung den Druck so reguliren, dass in einer bestimmten Zeit annähernd ein bestimmtes Quan- tum Salzwasser in das Gefässsystem des Thieres hineingepresst wird. An dem zwischen Maasscylinder und Canüle eingeschal- teten Gummischlauch muss indessen noch ein Bunsen’scher Quetschhahn befestigt werden. Derselbe ist theils nöthig, wenn der Maasscylinder ausgeschaltet werden soll, um neu gefüllt zu werden, theils eine werthvolle Beihülfe bei der Regulirung der Einströmungsgeschwindigkeit. Für die Einführung der Glascanüle erwiesen sich Venen als nicht brauchbar, da sie unter den unvermeidlichen Insulten zu leicht beschädigt wurden. Viel grössere Sicherheit gewährte das Einbinden der Canüle in Arterien, und zwar wandten wir sowohl die Carotis als auch die Femoralis an. Wir banden die Canüle in das periphere Ende der Arterien, weil im centralen wegen des zu hohen Blutdrucks das Blut leicht in die Canüle gelangt und sie durch Gerinnung verstopft. Beim Einbinden in das periphere Ende ist das Eintreten solcher übeln Zufälle nur im Beginn des Experiments zu befürchten, bei genügender Auf- merksamkeit aber meist zu vermeiden. Um eine zu starke Abkühlung der Thiere bei der langen Versuchsdauer zu verhindern, wurden dieselben in Watte ein- gewickelt, auch wurde das Salzwasser stets erwärmt in den Maasscylinder gefüllt, und dieser selbst in ein grösseres Gefäss mit warmem Wasser gestellt. Behufs Untersuchung des Urins wurde derselbe von Vier- telstunde zu Viertelstunde durch Druck aus der Blase entfernt, Bei solcher Versuchsanordnung und unter Beobachtung der angegebenen Cautelen, wird es nie Schwierigkeit haben, das Resultat zu erzielen, welches wir constant erhielten: Die Thiere beginnen bald reichlich hellen Urin Ueber eine neue Entstehungsweise von Melliturie. 553 zu lassen, und nicht lange darauf ist Zucker in dem- selben nachweisbar. Die Menge ist stets im Beginn der Ausscheidung eine sehr geringe, um dann schnell bis zu einem gew'ssen Maximum zuzunehmen. Auch müssen wir hervorhe- ben, dass die Zeit, innerhalb welcher nach Beginn des Ver- suchs Polyurie und Zucker im Urin auftreten, eine sehr wech- selnde ist. Immer tritt die Polyurie eher auf als die Zucker- ausscheiduug; wenn man aber sehr schnell bedeutende Mengen Salzwasser einströmen lässt (100 cc. und mehr in den ersten fünf Minuten), so können beide Erscheinungen so schnell nach einander auftreten, dass, wenn man allen Urin der ersten Vier- telstunde zusammen nimmt, man glauben kann, das Thier habe von vornherein Zucker ausgeschieden. Bei vorsichtigem Ein- strömen dagegen (25—30 Ce. in fünf Minuten) beginnt meist erst nach 20 Minuten und später der Harn reichlich zu wer- den, und es kann länger als eine Stunde dauern, ehe sich Zucker zeigt. So begann z. B. bei einem kleinen Kaninchen das Experiment um 1 Uhr; um 1. .35 waren 180 Ce. injicirt, das Thier hatte 35 Ce. zuckerfreien Urin gelassen, jetzt erst begann der Zucker aufzutreten (Exp. V). Bei einem grossen Kaninchen begann das Einströmen um 1 Uhr 30 m.; bis 3 Uhr waren 600 Ce. eingelaufen, ehe sich die erste Spur Zucker zeigte (Exp. VI). Um den Zucker qualitativ nachzuweisen, benutzten wir hauptsächlich die Trommer’sche Probe. Nach den vielfach so unsicheren Angaben über die Art der Reductionen der Kupferlösung, welche als characteristisch für das Vorhandensein von Zucker gelten sollten, müssen wir darauf aufmerksam ma- chen, dass wir nur solche Reductionen als beweisend anerkannt haben, bei denen eine deutliche Ausscheidung von rothem Oxy- dul stattfand. Da wir stets die gleiche Lösung, welche ca. 2°/, schwefelsaures Kupferoxyd enthielt, benutzten, so war aus der Menge der angewandten Lösung, welche noch redueirt wurde, ein annähernder Schluss auf ein Mehr oder Weniger von Zucker, auf die Zu- oder Abnahme der Ausscheidung gestattet. Be- sondere Vorsicht muss angewendet werden, wenn nur minimale Spuren von Zucker im Urin enthalten sind; es genügen dann 554 ©. Bock u. F. A. Hoffmann: 3—5 Tropfen der Kupferlösung, um die Reaction deutlich her- vortreten zu lassen, während bei Anwendung von zu viel Lö- sung die Reaction nicht beweisend ausfällt. Häufig ist aber die Zuckermenge so erheblich, dass derartige Vorsichtsmassregeln nicht nothwendig sind. Gleichzeitig haben wir öfter die Böttger’sche Wismuth- probe benutzt und bei Anwesenheit von Zucker eine deutliche Reaction erhalten. Dass auf etwa vorhandenes Eiweiss!) sorgfältig untersucht wurde, und dass dieses, wenn vorhanden, erst sorgfältig aus- gefällt wurde, sei nur beiläufig erwähnt. Um noch grössere Sicherheit zu gewinnen, dass es sich um Zucker handelte, haben wir übrigens grössere Urinmengen abgedampft, mit heissem absolutem Alkohol extrahirt, und mit alkoholischer Kalilösung in dem Extract einen reichlichen Nie- derschlag erhalten: Zuckerkali, welches sehr reichlich Kupfer- oxyd reducirte.. Um den Zucker rein aus dem Urin darzustel- len, haben die Mengen bisher noch nicht ausgereicht. Quantitative Bestimmungen wurden mit einer titrirten Kupferlösung gemacht, wenn hinlängliche Urinmengen zu Ge- bote standen. Bei Exp. XXX wurden, abgesehen von den zu qualitativen Proben verbrauchten Mengen, 1200 Cc. zuckerhal- tigen Urins gesammelt; derselbe enthielt 0,136 °/,, also im Ganzen 1,632 Grm. Zucker. Bei Exp. XXXIl wurden möglichst wenige qualitative Reactionen angestellt; wir erhielten 760 Ce. Urin mit 0,219 °/, = 2,04 Grm. Zucker. In allen Fällen wurde vor Beginn der Operation der in der Blase des Thieres enthaltene Urin ausgedrückt und auf Zucker untersucht. Derselbe wurde entsprechend mit lprocen- tiger Kochsalzlösung verdünnt, um dem weiterhin entleerten möglichst gleich gemacht zu werden, — es gelang uns nie, Zucker nachzuweisen, auch wenn wir mit frisch geglühter Kno- chenkohle gekocht hatten und das Filtrat untersuchten. Nachdem wir uns also überzeugt hatten, dass bei unse- rer Methode constant und sicher Zucker im Urin 1) Zuweilen wurde, besonders gegen Eude des Versuches, eine ganz geringe blutige Beimengung im Urin beobachtet. Ueber eine neue Entstehungsweise von Melliturie 555 auftrat, versuchten wir, wie weit sich diese Ausscheidung treiben liess, und gelangten zu positiven Resultaten, als wir durch Verbesserung der experimentellen Technik mit dem oben beschriebenen Apparate die Schwierigkeiten hatten überwinden lernen, welche sich vielfach im Laufe des Experimentirens ein- stellen können. Dass Venen zum Einführen der Canülen nicht geeignet seien, haben wir schon erwähnt. Ferner entwickelte sich allmälig am betreffenden Beine ein so beträchtliches Oedem welches der Circulation erhebliche Widerstände entgegensetzte, dass letztere nur durch Verstärkung des Injectionsdruckes über- wunden werden konnten, ja in einzelnen Fällen dazu nöthigten, die Canüle in die Art. Femoralis der anderen Seite einzufüh- ren. Eine weitere Schwierigkeit, eine annähernd gleichmässige Einströmungsgeschwindigkeit zu erzielen, entstand, wenn die Glascanüle durch zurücktretendes Blut, das dann schnell ge- rann, sich verstopfte; das Herausnehmen der eingebundenen Canüle, Reinigen und Wiedereinführen war eine umständliche Operation, welche meist 20 Minuten in Anspruch nahm. Auf diese Unterbrechungen machen wir besonders aufmerksam, weil bei dem damit verbundenen Aufhören des Wassereinfliessens die Urinmenge und gleichzeitig die Zuckerausscheidung sanken, ja die letztere auch wohl gänzlich verschwand. Erst bei erneu- tem Einströmen trat wieder Zucker auf. Ein Beispiel hiervon findet sich in dem unten ausführlich abgedruckten Experiment. Ein sehr unangenehmes und bisher nicht erklärliches Versuchs- hinderniss war es endlich, dass mehrere Thiere, selbst bei gleichbleibender Einflussgeschwindigkeit, wenig oder keinen Urin mehr liessen, so dass die stets gleichzeitig eintretende Abnahme der Zuckermenge auf diese Verminderung des Urins geschoben werden konnte. Völlig gelungene Experimente haben indess bewiesen, dass bei gleichbleibender Stromgeschwindigkeit und an- haltender Polyurie der Zucker schliesslich im Urin verschwand, nachdem schon einige Zeit vor diesem völligen Verschwinden die Menge eine so minimale geworden war, dass nur bei möglichster Vorsicht in der oben angegebenen Weise sichere Reactionen erhalten wurden. 556 ChBRocku BR Hear Zur Erläuterung dieser Auseinandersetzungen lassen wir aus der Zahl unserer gelungenen Experimente eines als Beleg folgen: Experiment XXX, d. 22. XI. 1871. Sehr grosses männliches Kaninchen, aufgebunden; aus der Blase werden 37 Ce. gelbrothen sauren Urins abgedrückt; der- selbe ist frei von Eiweiss, Zucker kann durch die gewöhnlichen Reactionen nicht nachgewiesen werden. Canüle peripher in die Arter. femor. dextr. Beginn der Injection der Iprocentigen Kochsalzlösung 12h. 40 m. men Einge- Zeit. | strömte | Urin. | Bemerkungen. Menge. Be h. m. Ce. Ce. 12. 45 40 a 30 65 59 7100 je 130 | 6) 160 10 190 15 230 | 20 265 33 Schwach sauer. Spec. Gew. 101?; kein 25 345 Zucker, kein Albumin. 30 390 | 35 425 | 63 |Neutral, 1008, blässer als der vorige, 40 490 enthält eine Spur Zucker. 45 510 \ 50 525 42 1007. Sehr deutliche Reduction von 55 | 585 | schwefels. Kupfer. Blass, wasserklar. 2 615 | } 5 655 70 \Schw. s. 1006. viel Zucker Unterbrechung durch Versto- pfung der Canüle. 20 655 82 1008. enthält Zucker. 35 125 45 1007. schw. s. Zucker, kein Eiweiss. 40 755 | 45 785 50 835 35 Wo Zucker. 55 875 3, 910 Bl 940 63 [1006. Zucker. a ar Ueber eine neue Entstehungsweise von Melliturie. 557 Einge- | SS Zeit. strömte Urin. Bemerkungen. Menge. | h. m. Ce. | Ce. | 3. 10 960 15 980 20 1010 54 |Schw. s. 1006. Zucker. Kein Eiweiss. 25 1040 30 1070 35 1100 91 1006. Zucker. 40 1120 45 1145 50 1175 56 1007. viel Zucker. 55 1200 4. 1240 5 1270 67 1006. viel Zucker, 10 1300 15 1325 20 1360 80 1006. Zucker. 25 1390 30 1420 35 1470 70 1005. Zuckergehalt nimmt deutl. ab. 40 1510 45 1550 50 1570 80 |1005. Zucker vorhanden. 55 1590 5. 1615 5 1655 66 1/1005. Zucker noch deutlich vorhanden. Unterbrechung. Die Canüle muss we- gen zu starken Oedems in die linke | Arteria femoralis eingeführt werden. 5. 30 as |Operation beendet. um: 5. 30 a5 45 11006. Enthält sehr wenig Zucker. 39 1705 40 1745 45 1775 33 11007. Enthält keine Spur Zucker. 50 1805 Kein Eiweiss. 55 1835 | 6. 1895 | 65 1006. Deutliche Spur Zucker. 5 aa 10 1945 | 15 1975 . 100 11006. Wenig Zucker. A Fe a EAN: y RN 558 C. Bock u. F. A. Hoffmann: Einge- ZERNE: Zeit. strömte Urin. Bemerkungen. _ı_s | h. m. 6. 20 2005 25 2035 30 2065 80 [1005. schw. s. sehr blass. Spur Zucker. 35 2085 40 2110 45 2135 70 1,1005. Enthält Zucker. 2160 2205 2225 2250 2270 2295 2395 2365 2385 2400 2440 2480 2505 2525 2560 2590 2630 2700 2710 2740 2790 2810 2845 2890 2910 2930 2970 2390 5010 3030 3040 3070 3095 3140 76 1005. schw. s. enthält eine eben nach- weisbare Spur Zucker. 55 11005. Spur Zucker. Kein Eiweiss. 95 [Spur Zucker. Sichere Reaction. 64 1006. schw. s. Zuckerreaction mit schwefels. Kupfer nicht mehr un- zweifelhaft sicher. 97 1005. schwach sauer. Zucker wurde nachgewiesen durch 3 Tropfen der Kupferlösung. Wismuth wird grau. 96 11006. schw. s. Noch minimale Spur Zucker. 80 Keine sichere Zuckerreaction. Kein Eiweiss. 82 Keine sichere Zuckerreaction. 72 Absolut kein Zucker mehr nach- weisbar. 1005 spec. Gew. 64 1006. schw. s. ohne Eiweiss. Kein Zucker. 56 11006. schw. s.enth eine Spur Eiweiss d. beigemischtes Blut. Kein Zucker. Ueber eine neue Entstehungsweise von Melliturie. 559 — Einge- | | Zeit. | strömte Urin. | Bemerkungen. | Menge. | b. m. | Ce. Ce. 9. 40 3170 45 |: 3200 97 1007, sonst wie der letzte. 50 3230 55 | 320 | 10. 3280 47 |wie der letzte. 5 3330 Thier noch völlig munter, wird getödtet. In der Blase 55 Ce. Urin, 1007, absolut frei von Zucker. Leber gänzlich frei von Zucker und Glyco;en. Qualitative Zuckerbestimmung des Urins cf. pag. 553. Von vorn herein, sobald wir die Methode als sichere er- kannt, hatten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Leber ge- richtet. Wenn wir einem Verständniss der gefundenen That- sachen näher treten wollten, so mussten wir vor Allem den Zucker- resp. Glycogengehalt der Leber nach dem Tode der Versuchsthiere untersuchen. Wir verglichen die Leber der in ‘ den verschiedensten Stadien der Zuckerausscheidung gestorbe- nen Thiere, und heben als Hauptresultat hervor, dass wir in allen den Fällen, in welchen nach völlig gelunge- ner Ausströmung der Urin mehr oder weniger lange keinen Zucker enthielt, die Leber völlig frei von Zucker und Glycogen gefunden wurde. Diejenigen Ex- perimente, bei denen die Thiere auf der Höhe der Zuckeraus- sheidung starben, ergaben nie auch nur ein annähernd ähnliches Resultat, Zucker war aus der Leber stets leicht in gewisser Menge zu erhalten, das Glycogen verhielt sich verschieden. Nach sehr langer Dauer des Experimentes bei schon auffallen- der Verminderung des Zuckers im Urin, wurden auch in der Leber nur sehr geringe Zuckermengen gefunden. Des Vergleichs wegen haben wir zwei Thiere einfach meh- rere Stunden aufgebunden und Urin und Leber untersucht. So wurde Exp. XXXIV ein grosses Kaninchen um 12 Uhr auf das Operationsbrett gespannt und nach 5 Stunden die Leber schnell untersucht. 40,5 Grm. bluthaltiger Substanz wurden in der 560 €. Bock u. FE. A. Hoffmann: Ueber eine neue u. s. w. | bekannten Weise zerrieben, mit kochendem Wasser extrahirt, das stark milchige Extract eingeengt und mit Alkohol gefällt. Das Filtrat abgedampft und mit Wasser aufgenommen, enthielt 0,144 Grm. Zucker, der Glycogenniederschlag, durch Speichel übergeführt, ergab 1,86 Grm. Zucker. Das zweite Thier, Exp. XLI, in gleicher Weise 8 Stunden aufgebunden, hatte sehr reichlich Zucker in der Leber, während hier Glycogen nur in sehr geringer Menge nachgewiesen werden konnte. Bei beiden Thieren wurde im Urin kein Zucker gefunden. Noch kurz führen wir an, dass wir auch den Darmin- halt untersucht haben in Fällen, bei denen schliesslich der Urin und die Leber frei von Zucker gefunden wurden; wir konnten in demselben reichlich Zucker nachweisen, so dass durch unsere Methode eine einfache Ueberführung des Zuckers aus dem Darmrohre in die Gefässbahn nicht anzunehmen ist. Mag auch diese einfache Darstellung von experimentellen Thatsachen etwas nüchtern erscheinen, so glauben wir doch einen Weg gefunden zu haben, welcher, um einen weiteren Ausbau der Theorien über Diabetes mellitus zu versuchen, nicht unbenutzt bleiben darf. Es erscheint a priori annehmbar, dass unser Verfahren nichts Anderes ist als eine einfache Ausspü- lung der Leber, aber wir können uns an einer solchen Er- klärung nicht genügen lassen. Ganz abgesehen davon, dass wir durch die Injection der Flüssigkeiten nervöse Öentra gereizt haben können, so haben wir ebensowohl eine Erhöhung des Blutdruckes als eine Verdünnung des Blutserums bewirkt, und es wird von Interesse sein, festzustellen, ob beide, oder welche von beiden Bedingungen die wesentliche sei, um Glycosurie hervorzurufen. Wie weit die Methode sich endlich eignen wird, zu einer Prüfung der bestehenden Theorien über Diabetes mel- litus verwandt zu werden, müssen wir natürlich für jetzt noch ganz dahingestellt sein lassen. — Sämmtliche Experimente stellten wir im Laboratorium der Königlichen Anatomie hier- selbst an, dessen Hülfsmittel uns von Herrn Geheimrath Rei- chert in der liberalsten Weise zur Verfügung gestellt wurden Wir sprechen demselben dafür unseren tiefgefühlten Dank aus. Berlin, 28. Januar 1872. Y + eur Ar E. du Bois-Reymond: Ueber den Einfluss u. s. w. 561 Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen auf den Strom des M. gastroknemius des Frosches. Von E. pu Boıs-ReyYMonD. $. I. Einleitung. In der Abhandlung „Ueber das Gesetz des Muskel- stromes, mit besonderer Berücksichtigung desM. gas- troknemius des Frosches* in diesem Archiv, 1863, ver- glich ich den Gastroknemius einem natürlichen Muskelrhombus. Der untere schräge Querschnitt des Rhombus ist der Achilles- spiegel. Der obere schräge Querschnitt, den ich Kniespiegel nenne, ist in seiner Längsmittellinie zusammengeknickt, so dass symmetrische Punkte seiner beiden Hälften aufeinandertreffen; die beiden Hälften sind mit einander verwachsen, und der Kniespiegel ist so gleichsam in der Muskelmasse vergraben. Wie ich gleichfalls damals zeigte, entspricht jedoch die Vertheilung der elektrischen Spannung an der Oberfläche des Gastroknemius nicht der, die man nach dem anatomischen Befund auf den ersten Blick erwarten sollte. Vielmehr lässt sich diese Vertheilung bereits ganz befriedigend ableiten aus dem Gegensatz zwischen Längsschnitt und schrägem na- türlichen Querschnitt, verbunden mit der aufsteigenden säulen- artigen Thätigkeit einer unter dem Achillesspiegel vorhandenen elektromotorischen Grenzschicht. In der Abhandlung „Neue Versuche über den Einfluss gewaltsamer Formver- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 36 562 E. du Bois-Reymond: änderungen der Muskelnaufderen elektromotorische Kraft“!) lehrte ich übrigens den Achillesspiegel mit den daran haftenden elektromotorischen Grenzschichten in Gestalt eines nach Art einer Säule absteigend wirksamen Bandes präpariren. Es blieb also die Frage zu beantworten, was die elektro- motorische Thätigkeit des Kniespiegels hervorzutreten verhin- dere. In Folge dieser Thätigkeit müsste, bei gleicher Wirksam- keit und Länge beider Spiegel, die Hauptsehne des Mus- kels, als obere spitze Rhombusecke, eben so negativ sich ver- halten wie die Achillessehne; der obere Rand des Achillesspie- gels, das untere Ende des Sehnenstreifes an der Tibialfläche, müssten als stumpfe Rhombusecken die positivsten Punkte der Muskeloberfläche sein. Ueberträfe der Kniespiegel den Achillesspiegel an Wirksamkeit, so müsste zwischen Haupt- und Achillessehne der Strom absteigen u. s. w. Die Richtigkeit letzteren Schlusses bewies ich, indem ich den Kniespiegel mehr oder minder vollständig in künstlichen Querschnitt ver- wandelte, wozu ich zwei Methoden angab. Die eine bestand darin, den Muskel von der Tibialfläche her längs der sehnigen Scheidewand aufzuschlitzen. So gelingt es, den Gastroknemius etwa halb so stark absteigend wirksam zu machen, wie er durch Aetzen des Achillesspiegels mit Kreo- sot aufsteigend wirksam wird. Die absteigende Kraft wächst eine Zeit lang, unstreitig weil die auf der Scheidewand stehen gebliebenen Stoppeln der durchschnittenen Bündel, die einen aufsteigenden Neigungstrom erzeugen, allmählich absterben?). Die zweite Methode, welche zuweilen fehlschlägt, bestand darin, den Muskel der Länge nach so weit zu dehnen, dass seine Bündel ° zu reissen anfangen. Aus unbekanntem Grunde geschieht dies an der Ansatzstelle der Bündel an die sehnige Scheidewand. Die Bündel erleiden hier eine tödtliche Zerrung, und so wird gleichsam subcutan ein mechanischer künstlicher Querschnitt längs der Scheidewand hergestellt’). Eine so starke Dehnung 1) Monatsberichte der Berliner Akademie, 1867. S. 572. 2) Dieses Archiv, 1863, 8. 611. 612. 3) Monatsberichte a. a. 0. S. 592. 593. Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 563 des Muskels nenne ich beiläufig Ueberdehnung, den so be- handelten Muskel einen überdehnten. Auch chemisch lässt sich drittens, wie ich seitdem fand, der Kniespiegel theilweise in künstlichen Querschnitt verwan- deln. Es genügt, mit der Spitze eines in Kreosot oder ver- dünnte Milchsäure getauchten Pinsels längs dem Sehnenstreif an-der.Tibialläche!) einen Strich zu führen, um sogleich die positive Wirksamkeit des Muskels zwischen Haupt- und Achilles- sehne sinken, bei höherer Parelektronomie des Achillesspiegels häufig den Muskel negativ wirksam werden zu sehen. Wird der Strich in der Mitte zwischen Sehnenstreif und Rand des Achil- lesspiegels geführt, so erhält man nur schwache, bald negative, bald positive Wirkung, welche auf dem Unterschied der Nei- gungsströme vom inneren und vom äusseren Rande des Stri- ches aus beruhen mag. Trifft der Strich den Rand des Achil- lesspiegels selber, so ist die Wirkung wieder stärker, und zwar positiv. Wie kaum gesagt zu werden braucht, erstreckt sich die Wirkung des Pinselstriches nur in geringe Tiefe. Bei weitem nicht die ganze Fläche der sehnigen Scheidewand wird davon erreicht, sondern die absteigende Kraft geht von den Enden der oberflächlichen Bündel in und zunächst unter der Tibial- fläche aus. Nebenher lehren diese Versuche, dass, wenn man die volle Wirkung des Achillesspiegels nach aufgehobener Par- elektronomie zu erhalten wünscht, man nicht den Muskel in die ätzende Flüssigkeit tauchen muss, da das Bad auch auf den Kniespiegelstrom entwickelnd wirkt. Je schlagender diese Erfolge sind, und je sicherer sie, den des Ueberdehnens ausgenommen, von der Theorie vor- hergesagt waren, um so mehr fordern sie zur Erklärung des u 2a En 7 a a a he nn Zt ur Dr np Umstandes heraus, dass für gewöhnlich die Wirkung des Knie- spiegels sich nicht geltend macht. Elektromotorische Unwirk- samkeit, ja negative Wirkung des Gastroknemius kommt zwar häufig vor. Wir haben aber bisher diese Erscheinung stets al- lein auf höhere Parelektronomie des Achillesspiegels gedeutet. In der Abhandlung „Ueber das Gesetz des Muskel- 1) Dieses Archiv, 1863, S. 530. Taf. XIV, Fig. 4. /'oT'. 36 * 564 E. du Bois-Reymond: stromes u. s. w.“ wurden für die geringe Wirksamkeit des Kniespiegels zwei Gründe angeführt. Ein Blick auf die Tibial- fläche des Gastroknemius lehrt, dass die Bündel, je mehr nach oben, unter um so weniger spitzen Winkeln an die sehnige Scheidewand stossen, so dass sie schliesslich einander fast ge- rade begegnen!). Dadurch muss bei gleicher Negativität die Neigungsstromspannung des Kniespiegels erheblich kleiner als die des Achillesspiegels ausfallen. Da aber dieser Grund mir nicht ausreichend schien, nahm ich zweitens an, dass der Knie- spiegel stets auf verhältnissmässig hoher Stufe der Parelektro- nomie verharre?). Indem ich den Gastroknemius der Länge nach zerriss, gelang es mir wirklich in mehreren Fällen hohe Parelektronomie des Kniespiegels nachzuweisen. Inzwischen war theoretisch nicht abzusehen, weshalb der Kniespiegel mehr als der Achillesspiegel parelektronomisch sein sollte, so lange nicht der Muskel schädlichen Einflüssen unterliegt, denen frei- lich der Kniespiegel mehr als der Achillesspiegel entzogen ist. Jetzt bin ich zu Thatsachen gelangt, welche das hier noch vorhandene Dunkel lichten, und im Grunde erst eine ganz klare Einsicht in die Art gewähren, wie die elektromotorischen Wirkungen des Gastroknemius nach aussen zu Stande kommen. Bei einer anderen Gelegenheit wird die Ausführlichkeit, mit der ich diese Thatsachen darzulegen gedenke, durch die Wich- tigkeit sich rechtfertigen, die sie dann erlangen werden. $. II. Die verschiedenen Punkte des Achillesspiegels wirken um so stärker aufsteigend nach Art einer Säule, je tiefer sie liegen. In der Absicht, zu einem hier gleichgültigen Zwecke für die Parelektronomie des Achillesspiegels ein besseres Maass als bisher zu gewinnen, verfuhr ich wie folgt. Aus schwedischem Fliesspapier stanzte ich mit einem Locheisen kreisrunde Scheib- chen von 3°5 mm. Durchmesser. Der Gastroknemius lag auf 1) Dieses Archiv, 1863, Taf. XIV, Fig. 4. 2) Dieses Archiv, 1863, S. 605. Dia £ Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s.w. 565 der bekannten dreieckigen Glasplatte mit dem Achillesspiegel nach oben, oder er war in der kleinen Streckvorrichtung mässig ausgespannt; im letzteren Falle war ihm das obere „Knochenstück“ gelassen '),. Der Hauptsehne, beziehlich dem oberen Knochenstück, und der Achillessehne angelegt waren entweder die Thonspitzen der unpolarisirbaren Zuleitungsröh- ren, oder die Thonschilder der Zuleitungsgefässe. Der Strom war compensirt, die elektromotorische Kraft am runden Com- pensator abgelesen. Brachte ich nun auf den Achillesspiegel ei- nes jener Scheibchen mit verdünnter Milchsäure (L:HO::1:1) getränkt, so entstand eine positive Ablenkung, weil in dem vom Scheibchen berührten Bezirke die parelektronomische Schicht zerstört wurde. Das Wachsen der Ablenkung war in höchstens 1?/, Minuten beendet. Wurde der Strom wieder com- pensirt, so gab der Unterschied der elektromotorischen Kräfte vor und nach Einwirkung des Scheibchens ein Maass für die Parelektronomie des Achillesspiegels; und indem ich, nach gewissen experimentellen Maassnahmen, den Versuch an einer anderen Stelle des Spiegels wiederholte, dachte ich durch den vergrösserten oder verkleinerten Erfolg zu erfahren, ob durch diese Maassnahmen die Parelektronomie beziehlich zu- oder abgenommen habe. Zuvor jedoch musste ermittelt werden, ob ohne jene Maass- nahmen die entwickelnden Scheibchen an allen Stellen einerlei Wirkung üben. Es zeigte sich, dass dies nicht der Fall war, und zwar gab sich in der Wirkung der Scheibchen an ver- schiedenen Stellen eine sehr auffallende Gesetzmässigkeit kund. Legte ich das erste Scheibchen dem Spiegel in solcher Höhe an, dass noch ein oder zwei andere Scheibchen daneben in gleicher Höhe Platz hatten, so wirkte ein zweites in glei- cher Höhe angebrachtes Scheibchen schwächer als das erste ein drittes schwächer als das zweite. Doch war der Unterschied zwischen den Wirkungen des ersten und zweiten Scheibchens 1) Untersuchungen über thierische Elektrieität. 2. Bd. 1. Abth. Berlin, 1849. S. 67. Taf. I, Fig. 86. — Vergl. Monatsberichte u. s. w. 1867. S. 580. 566 E. du Bois-Reymond: nur klein, so dass er im einzelnen Falle leicht durch Zufällig- keiten verdeckt wurde, und sicher nur im Mittel aus mehreren Versuchen hervortrat, z. B.: Ursprüngliche Zuwachs durch das Gastro- Wirkung in Ten knemius. Compensator- |1- Scheibchen 2. Scheibchen 3. Scheibehen in der nach Innen | nach Aussen 28E | graden. Medianlinie. von 1. | von |. Ti Te + IL, — 3) + 8 + 106 . + 87 II. + sr 5 Dar + 74 + 71 IV. + 300 ı + 209 + 108 + 44 Mittel | + 95 | + 1380| + sol + Das Auflegen eines neuen Scheibchens geschah stets nach je 120 Secunden, von denen etwa 110 auf Entwickelung und Compensiren des Zuwachses, die übrigen 10 auf Ergreifen, Tränken und Auflegen des zweiten Scheibchens kamen. Innerhalb der möglichen Grenzen der Genauigkeit ist es gleichgültig, ob man das erste Scheibchen wie im obigen Falle in der Medianlinie, oder seitlich davon auflegt. Nun aber denke man sich die Scheibchen nach einander in verschiedener Höhe aufgelegt. Gleichviel alsdann, ob man von oben oder von unten beginne, ob man bald höher, bald tiefer, bald in der Mitte, bald mehr nach Innen oder mehr nach Aussen ein Scheibchen anbringe, das beständige Ergebniss ist, dass die Scheibchen einen um so grösseren Zuwachs an auf- steigender Kraft bewirken, je tiefer sie aufgelegt werden. Un- sicherheit in dieser Beziehung beginnt erst in der Nähe des oberen Randes des Spiegels; auf dem Längsschnitt an der Rückenfläche des Muskels aber wird der durch das Scheibchen scheinbar hervorgebrachte Zuwachs negativ. Folgende Beispiele genügen, um einen Begriff von der Deutlichkeit dieses Verhal- tens zu geben. WE eo e ..r E Mn Br & u yi N Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 567 Ursprüngliche | AReekpemins; Mittel aus Zweite Wirkung in | 10 Ver- | Differen- Compensator- Y: II. | III. IV. | suchen. zen. graden.. . I..— 29 +26 +53 +9 +730 Von unten Von oben herauf herab | 1 |t266 +363 5 4213 -+231' 42382 | Fowache 12.205 ° ‚20114 | 131 105| 1567 | +815 durch 3 | 140 9073 73 77 839 62°8 T-Scheihehen]# | 91 120]2 86 50.721779 0.120 5 | 68 43\1 | 70 33l 643 | 7°6 Die in der letzten Spalte angegebenen zweiten Differenzen oder Differenzen der Zuwachse, nach den Mittelzahlen aus 10 (den obigen 4 und noch 6 anderen) Versuchen berechnet, zei- gen, dass die Wirkung der Scheibehen um so langsamer ab- nimmt, je mehr man dem oberen Rande des Spiegels sich. nä- hert. Werden die Scheibchen statt mit leitender Milchsäure mit nichtleitendem Kreosot getränkt, so ist beim Auflegen sowohl in gleicher wie in verschiedener Höhe der Erfolg im Allge- meinen der nämliche. $. III. Die stärkere elektromotorische Wirkung tieferer Stel- len des Achillesspiegels rührt vorzüglich daher, dass die hier geringere Muskelmasse schlechtere Nebenschliessung für den Bussolkreis abgiebt. Beim Nachdenken über die Ursache dieser Erscheinungen suchte ich sie zuerst in der mit wachsender Höhe etwas ab- nehmenden Neigung der Bündel gegen den Achillesspiegel, und es ist möglich, dass dieser Umstand dabei im Spiel ist. Der weitaus grösste Theil des Unterschiedes zwischen der Wirkung höher und tiefer gelegener Punkte des Achillesspiegels ist aber sicher anderen Ursprungs. Schon früher habe ich einsichtlich gemacht, „dass in dem „Gastroknemius, auch ohne daran gelegten Bogen, die von dem „Achillesspiegel, gleichsam als plattgedrückter, nicht isolirter 568 E. du Bois-Reymond: „Säule ausgehende Strömung kreist.* Die Strömung im Achil- lesspiegel ist aufsteigend, die durch die Muskelmasse also ab- steigend. „Eine nothwendige Folge davon ist, dass die Masse „des Muskels für den von jener Strömung in einen angelegten „Bogen übertretenden Zweig eine Nebenschliessung bildet.“ Wegen Wegfalls dieser Nebenschliessung zeigt ein der Länge nach aus dem Achillesspiegel geschnittenes Band einen grösse- ren Spannungsunterschied seiner Enden, als der unversehrte Muskel selber zwischen Haupt- ‚und Achillessehne'). Die Muskelmasse nimmt nun aber von unten nach oben bis in die Gegend zu, wo der Achillesspiegel in den Längs- schnitt der Rückenfläche übergeht. Fasst man, um in der Sprache meiner Hypothese zu reden, in der elektromotorischen Grenzschicht des Achillesspiegels eine quere Molekelreihe in’s Auge, die der Muskeloberfläche entlang eine aufsteigende Stromeomponente sendet, so wird von deren Strömung ein um so kleinerer Theil in den Bussolkreis gelangen, -je höher sie liegt, weil um so besser die. Nebenschliessung ist, welche in Bezug auf jenen Kreis die Muskelmasse für die Strömung bil- det. Dies lässt sich bequem mit Hülfe des von Hrn. Helm- holtz bewiesenen fruchtbaren Satzes darthun, welcher lautet: „Wählt man im Inneren eines zusammengesetzten, „aber nicht elektromotorisch wirksamen Leitersys- „tems zwei beliebig gelegene Flächenelemente a „und 5, und ertheilt erst dema, dann demb eine „gleiche elektromotorische Kraft, so fliesst im er- „sten Falle durch 5b so viel Elektricität, wie im „zweiten Falle durch a.*?) Wir ersetzen zwei in verschie- dener Höhe gelegene dipolare Molekeln der Grenzschicht des Achillesspiegels durch elektromotorische Flächenelemente von gleicher Ausdehnung und Wirkung. Die Kraft dieser Elemente verlegen wir nacheinander in einen der Einfachheit halber 1) Monatsberichte u. s. w. A. a. 0. 1867, S. 587, 2) Poggendorff’s Annalen u.s. w. 1853. Bd. LXXXIX. S. 353. BE a na Yan Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 569 gleich gross gedachten Querschnitt des linearen Bussolkreises. Dass die Dichtigkeit des dadurch im Gastroknemius erzeugten Stromes im dünneren Theile des Muskels grösser sein werde, als im diekeren, bedarf nicht des Beweises. Das tiefer gelegene Element wird also von der grösseren, das höher gelegene von der kleineren Elektrieitätsmenge durchflossen. Umgekehrt jenes sendet die grössere, dieses die kleinere Elektrieitätsmenge durch einen Querschnitt des Bussolkreises. So begreift man, auch unter der Annahme gleicher elek- tromotorischer Kraft in verschiedenen Gegenden des Spiegels, dass von dessen unteren Theilen stärkere Ströme in den Bussolkreis übergehen, als von den oberen. Da der Muskel von den Enden nach der Mitte mit nach aussen convexer Krümmung anschwillt, müssen nach oben zu die Unterschiede der Zuwachse abnehmen. Wendet man den Helmholtz’schen Satz auf den Fall an, wo mehrere Scheibchen in gleicher Höhe angebracht wer- den, so stimmt die Theorie nicht ohne Weiteres mit der Be- obachtung. Ein elektromotorisch wirksamer Querschnitt des li- nearen Bussolkreises würde durch jedes im Achillesspiegel gleich hoch liegende und sgleichgerichtete Flächenelement einen merklich gleich starken Strom schicken. Ein jedes Ele- ment sendet also auch umgekehrt durch den Bussolkreis merk- lich gleich viel Elektrieität, wie darin sich zeigt, dass das erste Scheibchen, gleichviel ob in der Mitte oder seitlich angebracht, ungefähr gleich stark wirkt. Die Ströme der einzelnen Ele- mente aber summiren sich einfach nach dem Grundsatz der Su- perposition!), und somit müsste jedes neue Scheibehen zum Gesammtstrome gleich viel beitragen. Dass dies nicht geschieht, erklärt sich daraus, dass jedes aufgelegte Milchsäurescheibchen eine besserleitende Nebenschliessung bildet, welche die Strom- curven in sich verdichtet. Da die Leitungsgüte der Muskelsub- stanz durch Absterben wächst?), wirkt auch der angeätzte Be- 1) Poggendorff’s Annalen u. s. w. A.a. 0, S. 212. 2) Ranke, Tetanus. Eine physiologische Studie. Leipzig, 1865. S. 36. 37. 570 E. du Bois-Reymond: zirk unter dem Scheibehen als schwächende Nebenschliessung. So wird verständlich, dass auch mit Kreosot getränkte Scheib- chen nach einander in gleicher Höhe aufgelegt abnehmende Zuwachse erzeugen. Doch müsste die Abnahme bei Kreo- sot langsamer erfolgen als bei Milchsäure, wo auch das Scheib- chen selber als Nebenschliessung wirkt. Dass dies der Fall sei, habe ich noch nicht festzustellen versucht. | Die Wirkung eines am natürlichen Längsschnitt über dem Rande des Achillesspiegels aufgelegten Scheibkchens ist gleich- falls noch nicht ganz aufgeklärt. Legt man das Scheibchen zu- letzt auf und lässt es so lange liegen wie die Scheibchen auf dem Achillesspiegel, so kann bei völliger Unwirksamkeit des Scheibchens ein negativer Zuwachs dadurch vorgespiegelt werden, dass die Wirksamkeit der früher geätzten Stellen sinkt, Man erhält aber auch im Augenblick des Auflegens bald posi- tive, bald negative Ausschläge, die also keinen solchen Ursprung haben können. Für diese lassen verschiedene Gründe sich an- führen. Erstens bewirkt das Scheibchen theils an sich, theils durch Anätzen des Muskels eine Verbesserung der Leitung an der Muskeloberfläche zwischen Achillesspiegel und Haupt- sehne. Dadurch kann es sichtlich nur den vom Achillesspiegel in den Bussolkreis tretenden Stromzweig vergrössern. Ein an- derer Grund dafür, dass das Scheibchen allein durch Aenderung der Leitungsverhältnisse einen positiven Zuwachs erzeuge, wird uns unten klar werden. Endlich kann das Scheibehen am Längs- schnitt noch wirken durch Erzeugung chemischen Querschnit- tes an seinem oberen und unteren Rande. Unter sonst gleichen Umständen müsste wegen der nach der Hauptsehne zu wieder abnehmenden Dicke des Muskels der obere, aufsteigend wirk- same Querschnitt die Oberhand haben. Ich habe noch keine nachhaltigen Bestrebungen darauf gerichtet, den Thatbestand mit diesen theoretischen Forderungen in Einklang zu bringen, was kaum der Mühe lohnen möchte. Ele + Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u.s.w. 571 8. IV. Durch eine dem Gastroknemius angelegte, körperliche Nebenleitung, welche dessen 6estalt zum Cylinder ergänzt, lässt der Unterschied in der elektromotorischen Wirkung ver- schieden hoher Punkte des Achillesspiegels sich ausgleichen. Obschon die Ursache der verschieden starken Wirkung ver- schieden hoch dem Achillesspiegel angelegter ätzender Scheib- chen nach dem Obigen genugsam einleuchtete, war ich doch bemüht, einen unmittelbaren experimentellen Beweis für die Riehtigkeit meiner Schlüsse mir zu verschaffen. Dazu versuchte ich, den Unterschied in der Nebenschliessung, welche die Mus- kelmasse in verschiedenen Höhen dem Achillesspiegelstrom in Bezug auf den Bussolkreis bietet, künstlich auszugleichen. Ich bettete nämlich den Muskel mit seiner Tibialfläche auf ein La- ger aus Thon, der mit dreiviertelprocentiger Steinsalzlösung angeknetet war. Der Thon ergänzte die nach unten verjüngte Gestalt des Muskels etwa zu der eines Cylinders von nur we- nig grösserem Durchmesser als der des dieksten Theiles des Muskels. An der Rückenfläche des Muskels liess er einen Streif von hinlänglicher Breite frei, um die Scheibchen aufzulegen. Die Berührung des Thones mit dem Achillesspiegel übt auf die parelektronomische Schicht bekanntlich keinen Einfluss!). Diese Versuchsweise lieferte ein sehr schlagendes Ergebniss, wie fol- gende Zahlen lehren. Gastroknemius 1. 1. Ursprüngliche Wirkung in fohne + 25 + 157 ., +»Thon Compensatorgraden mit — 12 + 57 Von unten ee | Ir + 45 + 25 Zuwachs durch L-Scheib- = z = chen ; = = 4. 39 30 ds 48 59 ; ; ; it 195 295 Schliessliche Wirk dr \ kung ohne Thon 597 706 1) Beschreibung einiger Vorrichtungen und Versuchsweisen u. s.w. Ben der Akademie aus dem Jahre 1862, Berlin. 1863. 4°, . 94. 95. « 572 E. du Bois-Reymond: Während in den früheren Versuchen die Zuwachse bei Auflegen der Scheibchen bis zum fünften Scheibehen rasch ab- nehmen, sinken sie jetzt von absolut geringerer Höhe zwar, jedoch ohne Vergleich langsamer und nur bis zum dritten Scheibehen herab, wachsen von hier an wieder, und werden am oberen Rande des Spiegels sogar grösser als an der Achil- lessehne. Da der Thon nur als Leiter wirkt, kann sonach kein Zweifel an der Richtigkeit der Deutung mehr sein, die wir von jenen früheren Ergebnissen gaben. Die stärkere Wirkung der unteren Scheibchen am nicht auf Thon gebetteten Muskel rührt her von der geringeren Nebenschliessung, welche die nach der Sehne‘hin sich verjüngende Muskelmasse dem Achiliesspiegel- strom bietet. $. V. Der eigenthümliche Widerstand des Muskels, des Thones und der verdünnten Steinsalzlösung wird bestimmt. Vor Allem wird nun nöthig, den Widerstand des Thones im Vergleich zu dem des Muskels zu kennen, und auch der Widerstand der Steinsalzlösung, mit welcher der Thon ange- knetet ist, wird uns bald von Interesse werden. Erste Bedingung für diese Bestimmungen ist, den feuchten Leitern prismatische Gestalt, wo möglich auch gleiche Dimen- sionen zu ertheilen. Dies gelingt auf dem von Hrn. Ranke angegebenen Wege, indem man sie in Glasröhren von gleichen Dimensionen bringt, die sie genau ausfüllen’). Aus einem 46 mm. weiten, gut cylindrischen Rohre wurden drei 25 mm. lange Stücke geschliffen. Um die untere Sehne des Gracilis oder Se- mimembranosus eines mittelgrossen Frosches knüpfte ich einen starken Faden, zog daran den Muskel in eines der Rohre, so dass beiderseits gleichviel hervorsah, und schnitt das Ueberste- hende in einer Flucht mit den Mündungen des Rohres ab. Die Muskeln füllten den Querschnitt des Rohres strotzend aus. In ein anderes Rohr wurde Thon gepresst und an jedem Ende in einer Flucht mit der Mündung abgeschnitten. Endlich das 1) Tetanus u.s. w. 8. 44. Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 573 dritte Rohr füllte ich mit der verdünnten Steinsalzlösung, in- dem ich das eine Ende mit einer aufgeklebten Scheibe schwe- dischen Fliesspapieres verschloss, das Rohr mittels eines ca- pillaren Hebers vollgoss, und auf das andere Ende eine gleiche Scheibe legte, die durch Luftdruck hinreichend haftete, um dem Rohr jede Stellung geben zu können. Nun handelte es sich darum, die Rohre in einen Kreis so aufzunehmen, dass 1. der Widerstand des Kreises auch ohne die Rohre bestimmt werden konnte, 2. der Widerstand der Rohre vom Widerstand des Kreises einen hinlänglichen Bruch- theil ausmachte, 3. die Strömung senkrecht auf die Grundfläche der Rohre stattfand. Zu dem Ende verfertigte ich aus Guttapercha zwei Trich- ter von 90° Oeffnung und 25 mm. Seitenlänge ihres Kegels Das nur 2 mm. lange Trichterrohr hatte wie die Maassrohre 4:6 mm. Lichtung. Nachdem ich die Trichter mit Thon gefüllt hatte, drückte ich von der Basis aus auf den Thon, bis er aus dem Trichterrohre quoll, und schnitt das Hervorgequollene in einer Flucht mit der Mündung ab. Die Trichter wurden mit ihrer Axe in derselben Wagerechten, mit den Mündungen ein- ander gegenüber aufgestellt, und der Basis der sie erfüllenden Thonmasse wurden die Bäusche der Zuleitungsgefässe möglichst unverrückbar angelegt. Zwischen die innerhalb der Trichterrohre befindlichen, in deren Mündung ihren Querschnitt zur Berüh- rung bietenden cylindrischen Thonzapfen von gleichem Durch- messer mit den feuchten Leitern in den Rohren konnten nun- mehr diese behufs der Widerstandsmessung angebracht werden, wobei die obigen Bedingungen 2. und 3. erfüllt waren. Sollte der Widerstand des Kreises ohne die Rohre bestimmt werden, so wurden die Zapfen unmittelbar zur Berührung gebracht. Die Temperatur aller Theile der Vorrichtung war merklich dieselbe. Der Widerstand des Kreises wurde gemessen durch die reciproke Grösse des Ausschlages des Bussolspiegels, den der Oeffnungsstrom eines Schlitteninductoriums erzeugte, in dessen primärem Kreise ein Quecksilberschlüssel den Strom einer be- ständigen Kette unterbrach. Dies Verfahren hatte den Vorzug, 574 E. du Bois-Reymond: dass die innere Polarisirbarkeit der Muskelsubstanz dabei mög- lichst unschädlich wurde, und dass von elektromotorischen Kräften im Kreise und Erwärmung der feuchten Leiter durch den Strom keine Störung zu befürchten war. Nennt man die der Stromstärke proportionalen Ausschläge ohne Rohr i , die mit dem Thonrohre, dem Muskelrohre, dem Lösungsrohre beziehlich ö,, &, ö,, die zugehörigen eigenthümli- chen Widerstände der drei Rohre aber w,, w» %,, So hat man wegen der gleichen Dimensionen der Rohre 1.0 1. 210 a ERTNEN Et i Te i ; % 0 Es wurden zwei von einander unabhängige Messungsreihen angestellt, bei deren zweiter die Füllung der Trichter und Rohre erneuert und andere Abstände der Rollen gewählt wur- den. In der ersten Reihe war der Muskel der Graeilis, in der zweiten der Semimembranosus. In jeder Reihe beobachtete ich nach einander 5 Werthe von ö , 5 von ö,, 5 von i,, 10 von ö, 5 von i , 5 von ö,, und zuletzt wieder 5 von ö , und nahm das Mittel aus den 10 zu jeder Anordnung gehörigen Zahlen, um vorschreitende Veränderungen des Apparates möglichst aus- zugleichen. Die Schwankungen betrugen nur wenige Procente der Werthe. Ich erhielt in Scalentheilen: ; i % i, 2 [i I. 48:0 216 304 36'8 I. 591 237 326 41-4 Daraus folgt [ IL 4013 : 1905 : 1000. TEN 7 Ww s WW == t m ı II. :.3:598. :: 419027%77.000: Die Zahlen für den Widerstand des Muskels bezogen auf den der Lösung als Einheit stimmen in beiden Reihen so überein, dass die sonst hier bedeutungslose dritte Decimale be- rücksichtigt werden musste, um den Unterschied auszudrücken: eine Gleichheit, wie sie wohl nur das Werk eines günstigen Zufalls sein kann. Absolut sind diese Zahlen beiläufig etwas verfälscht durch Absterben des Muskels am Querschnitt (8. R 3 Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 575 oben $S. 569) und durch die Fliesspapierscheiben an beiden En- den des Lösungsrohres. Die Zahlen für den Widerstand des Thones stimmen ausser Verhältniss schlechter, warum, weiss ich nicht zu sagen. Der Thon war derselbe, dessen ich mich gewöhnlich be- diene. Es schien angemessen, einmal seinen procentischen Ge- halt x an dreiviertelprocentiger Steinsalzlösung !) festzustellen. Durch Bestimmung der Menge Lösung, die man verbraucht, um eine bestimmte Menge Thon zur richtigen Consistenz anzu- kneten, gelingt dies nämlich nicht, weil beim Ankneten Thon ver- loren geht. Dagegen lässt « sich erhalten durch Abwägen eines in Papier gewickelten Thonballens erst im feuchten, dann im lufttrockenen Zustande. Ist das Gewicht zuerst P, dann p, so hat man x = 10075 us Für den Thon, der zu obigen Versuchen gebraucht worden war, fand ich x = 21'04. Multi- plieirt man diese Zahl mit dem Verhältniss des specifischen Gewichtes des angekneteten Thones zu dem der Lösung, so er- hält man den procentischen Gehalt x, des Thones an Lösung dem Volum nach. Das specifische Gewicht des angekneteten Thones im Mittel aus drei Wägungen in Luft und in Terpen- thinöl war = 1'9116, das der Lösung bei 197°C. ist = 1'0057, das gesuchte Verhältniss also 1’9011 und x, = 39.696 oder = 40:00. Wäre das Leitvermögen des angekneteten Thones im Vergleich zu dem der Lösung dem Volum letzterer im Thone proportional, so müsste der Widerstand des Thones, bezogen 100 40 Wirklichkeit grösser (im Mittel der obigen Zahlen = 3°8) ge- funden wird, erklärt sich unter Anderem daraus, dass die mit Lösung gefüllten Lücken in zwei aufeinander folgenden dünnen Querscheiben eines Thoncylinders einander nicht entsprechen?), auf den der Lösung als Einheit, = = 2:5 sein. Dass er in 1) Unter dreiviertelprocentiger Lösung ist solche verstanden, zu der dreiviertel Procent ihres Gewichtes an Steinsalz gesetzt sind, nicht so!che, welche soviel davon enthält. 2) Wurde der Thon über Schwefelsäure getrocknet, so betrug der I 576 E. du Bois-Reymond: x Wie dem auch sei, für gegenwärtigen Zweck genügt uns zu wissen, dass der lebende Muskel fast zweimal, der Thon etwa viermal schlechter leitet, als dreiviertelprocentige Stein- salzlösung, mithin der Thon etwa zweimal schlechter als der lebende Muskel. $. Vl. Umhüllen des Gastroknemius mit Thon, wie überhaupt Anbringen einer guten Nebenschliessung an den Muskel, macht ihn unter Umständen bei Gegenwart der Nebenschliessung ne- gativ wirksam. Die Tabelle auf S. 571 zeigt noch eine merkwürdige Thatsache, welche der Ausgangspunkt für eine Reihe wichtiger Ermittelungen ward. Man sieht zunächst, dass Betten des Muskels auf Thon die elektromotorische Kraft herabsetzt. Dies war zu erwarten, wenn auch nicht vorherzusehen war, dass eine dem Muskel angelegte Masse, deren Leitvermögen mit dem seinigen von gleicher Ordnung ist, eine solche Schwächung aus- üben würde. Die grösste derartige in der Tabelle vorkommende Schwächung beträgt etwa zwei Drittel der Kraft. Umgiebt man aber einen von Natur stark aufsteigend wirksamen oder der parelektronomischen Schicht am Achillesspiegel künstlich be- raubten Gastroknemius mit einer mehrere Millimeter dicken, überall anliegenden Thonhülle, aus der nur Haupt- und Achil- lessehne hervorragen, so kann der Spannungsunterschied dieser Punkte auf „2, von dem sinken, was er ohne Hülle ist. Vergl. übrigens unten $8. 578. 579. Noch weniger vorherzusehen war jedoch, dass Anbringen einer Thonhülle die Richtung des Stromes zwischen Haupt- und Achillessehne des Gastroknemius umzukehren vermag, wie in der Tabelle an dem stark parelektronomischen Gastrokne- mius I. vor Auflegen der Scheibchen sich zeigt. Um dieser Wahrnehmung weiter nachzugehen, diente mir folgende Vor- richtung. Verlust 21662 °,. Es bleiben also im lufttrockenen Thon noch 3%°/, Wasser zurück , welche bei obiger Berechnung ausser Acht gelassen sind. ar ie RN Fe 38 Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. 8. w. 577 Der Gastroknemius war, den Achillesspiegel nach unten, zwi- schen den Elfenbeinplatten einer Streckvorrichtung !) ausgespannt. An der Säule eines der zum Tragen der unpolarisirbaren Zulei- tungsröhren bestimmten Ständer”) glitt mit Reibung eine etwa 27 mm. breite, gefirnisste Korkplatte auf und ab. In die obere Fläche dieser Platte, die nach Art des Tisches eines Mikro- skopes vorsprang, hatte ich dem vorderen Rande parallel eine halbeylindrische Rinne von 13 mm. Durchmesser gefeilt. Die Rinne wurde mit Thon gefüllt, in dem Thon eine der Gestalt des Muskels entsprechende Höhlung modellirt, und diese von unten her zwischen den Elfenbeinplatten der Streckvorrichtung dem Muskel bis zur Berührung genähert. Indem der Thon seitlich gegen den Muskel aufgewulstet und über ihm vereinigt, auch wohl eine Thon- masse über den Muskel fort den aufgewulsteten Rändern der unteren Masse angeknetet wurde, hatte es keine Schwierigkeit, den Muskel so mit Thon zu umgeben, dass nur Haupt- und Achillessehne hervorsahen. Eben so leicht gelang es durch Senken der Korkplatte, ihn aus der Thonhülle, die er dabei zerriss, zu befreien, und sie ihm, nach wieder gehobener Platte, in hinreichend übereinstimmender Art nochmals anzulegen. Es zeigte sich regelmässig, dass stark parelektronomische, also schwach positiv wirksame Muskeln in der Thonhülle nega- tiv wirken. Entblösst wirken die Muskeln wieder positiv, nur etwas schwächer, und dies Spiel lässt sich viele Male wieder- holen, wobei die negative Wirkung im Thon etwas zunimmt, z. B.: Gastroknemius frei + 31 Cgr.; in Thon — 18; DO in Toni 225 a Rn le 24: us s#L Von Entwickelung des Achillesspiegelstromes durch öfteres Anlegen der Thonhülle ist, wie man sieht, jedenfalls nichts zu spü- ren; die bleibende Veränderung der Resultante im negativen Sinne beruht unstreitig auf vermehrter Leitungsgüte des Perimysiums, 1) Es war diein den Monatsberichten u.s. w., 1867,8.581. beschriebene. 2) Beschreibung einiger Vorrichtungen und Versuchsweisen u.s. w. Taf. III. Fig. 2. Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 37 578 E. du Bois-Reymond: Wirkt der Muskel schon ohne Thonhülle absteigend, so erscheint in der Hülle die absteigende Kraft grösser, z. B.: Gastroknemius frei — 14 Cgr.; im Thon — 34; oe en — 39; used. Doch kommt es auch vor, dass die Nebenschliessung den vorhandenen absteigenden Strom schwächt. Von den Bedingun- gen dieses Erfolges wird unten die Rede sein. Wirkt endlich der Muskel über ein gewisses Maass aufsteigend, so erscheint in der Hülle die Kraft kleiner. Nie wird darin die aufsteigende Kraft verstärkt; sondern mit der eben angedeuteten, noch zu be- sprechenden Ausnahme kann der Einfluss der Hülle stets als Verstärkung einer absteigenden Wirkung aufgefasst werden, mache nun die Verstärkung sich bemerkbar durch Abnahme aufsteigen- der, durch Verkehren aufsteigender in absteigende, oder durch Zunahme schon bestehender absteigender Wirkung. Ueber ein gewisses Maass vergrössert Verdickung der Thonhülle deren Wirkung nicht merklich. Eine Rinne von 17 mm. Durchmesser wirkte nicht stärker als die von nur 13 mm. Als ich diese Versuche einmal mit zu feuchtem Thon an- stellte, der sich nicht rein vom Muskel ablöste, sondern ihn wie be- schmiert liess, blieb nach Entfernung des Thones der Muskel nicht nur schwächer aufsteigend, sondern sogar absteigend wirksam. Schon eine so dünne Thonschicht also schien zu der Wirkung aus- zureichen, um die es sich hier handelt. Ich schloss daraus, dass eine capillare Schicht der viermal besser leitenden verdünnten Steinsalzlösung selber dies vollends thun werde. Wirklich ist dies der Fall. Um den Muskel, je nach seiner ursprünglichen Wirksamkeit, minder stark aufsteigend, statt aufsteigend ab- . steigend, stärker absteigend wirksam zu machen, genügt es, ihn mit der Salzlösung zu bepinseln. Das blosse Anlegen des nas- sen Pinsels bringt einen negativen Ausschlag hervor, indem der Pinsel als nebenschliessende Masse wirkt. Mit Fliesspapier ge- trocknet, wirkt der Muskel nahe wie vorhin; von Neuem bepinselt, wieder mehr absteigend, und dies Spiel lässt sich mehrmals wiederholen. Ich stellte einen parallelepipedischen Porzellantrog von a, Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 579 75 mm. Länge, 45 mm. Breite und 20 mm. Tiefe (eine Streich- holzbüchse) so auf, dass ich ihn bequem und sicher heben und senken konnte. Dem in der kleinen Streckvorrichtung ausge- spannten Gastroknemius waren oben ein Stück Triceps femoris, unten ein Stück Tarsus gelassen, und mittels durchgezogener Fäden längs den Elfenbeinplatten der Vorrichtung so befestigt, dass sie beim Eintauchen des Gastroknemius in eine Flüssig- keit daraus hervorragten; ihre elektromotorischen Kräfte hatte heisse dreiviertelprocentige Steinsalzlösung vernichtet. Nachdem ihnen die Thonspitzen der unpolarisirbaren Zu- leitungsröhren angelegt worden waren, hob ich den mit drei- viertelprocentiger Steinsalzlösung gefüllten Trog dem Muskel so weit entgegen, dass die Lösung den Muskel allseits umgab. Die dadurch erzeugte Nebenschliessung liess vom Spannungs- unterschied der berührten Punkte nur etwa den zweihundert- sten Theil übrig. Wegen des verminderten Widerstandes des Kreises nahm dabei die Stromstärke in viel geringerem Maass ab als die Kraft. War der Achillesspiegel mit Kreosot angeätzt, und der Muskel demgemäss sehr stark wirksam, so konnte ich die vom Achillesspiegel ausgehende Strömung in der Flüssig- keit nachweisen, indem ich die Thonspitzen dem Muskel nahe eintauchte!). War der Muskel stärker parelektronomisch, aber noch aufsteigend wirksam, so hatte nach dem Eintauchen die zwischen Triceps und Tarsus übrig bleibende Spur von Strom die absteigende Richtung. Hatte ich endlich den Kniespiegel- strom durch Anätzen des Sehnenstreifes an der Tibialfläche theilweise, oder durch Aufschlitzen des Muskels längs der seh- nigen Scheidewand vollständiger entwickelt (S. oben 8.562. 563), so dass der Muskel stark absteigend wirkte, so wurde durch Eintauchen diese Wirkung verkleinert, z.B. am geätzten Muskel von —90 auf —9, am aufgeschlitzten von —629 auf —16 Cgr. Dies ist der eine Fall, in welchem Nebenschliessung 1) Sie bröckeln in der Lösung schnell ab. Deshalb wurde ge- wöhnlich der Strom von Gewebetheilen abgeleitet, die aus der Lösung hervorragten, da sonst vortheilhafter gewesen wäre, Haupt- und Achillessehne in der Lösung mit den Thonspitzen zu berühren, 37* 580 E. du Bois-Reymond: einen positiven Zuwachs statt eines negativen erzeugt (8. oben $. 578). Das Bepinseln oder Eintauchen und das Abtrocknen des Muskels sind in mancher Beziehung minder umständlich als das Umkneten des Muskels mit Thon und sein Entfernen aus der Thonhülle. Doch geht das; Abtrocknen nicht so geschwind von Statten wie das Entfernen aus der Thonhülle; oft bleibt der Muskel, wenn auch schwächer, negativ wirksam, vielleicht wegen Quellung des Perimysiums; die capillare Schicht lässt sich, wo man es wünschen sollte (S. unten S. 587. 588), nicht sicher auf bestimmte Bezirke einschränken; endlich bei öfterer Wiederholung des Versuches scheint der Achillesspiegel mehr von der Lösung als vom Thone zu leiden. Dies sind die Gründe, aus denen ich, auch nachdem ich das Einhüllen in Thon durch Bepinseln mit Lösung ersetzen gelernt hatte, in vielen Fällen noch ersteres Verfahren vorzog. Gesättigte Steinsalzlösung lässt von der Wirkung des Mus- kels nichts Deutliches mehr nach Aussen gelangen. Danach schien unfraglich, dass auch Quecksilber so wirken würde. Als ich aber, meiner Gewohnheit treu, auch scheinbar Selbstverständliches durch den Versuch zu prüfen, den mit Quecksilber gefüllten Trog einem Gastroknemius ent- gegenhob, an dessen Achillesspiegel die parelektronomische Schicht mit verdünnter Milchsäure zerstört war, fand ich zu meiner Ueberraschung den Spannungsunterschied der aus dem flüssigen Metall hervorragenden zuleitenden Gewebetheile fast unverändert. Zwar zeigte sich, als: ich näher zusah, im ersten Augenblick eine heftige negative Ablenkung; unmittelbar nach- her aber näherte sich der Spiegel schnell seinem früheren Stande und erreichte ihn wieder mehr oder minder vollständig. Die fast unendlich gut zu nennende Nebenschliessung durch das Quecksilber liess also die elektromotorische Gastroknemius- Resultante beinah ungeschwächt. Da ich bei diesen Versuchen nur wie gewöhnlich den Achillesspiegel mit der Säure benetzt hatte, so war eine ent- fernte Möglichkeit, dass die saure untere, und die alkalische obere Hälfte des Muskels mit dem Metall eine Säure-Alkali-Kette Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 581 bilde, deren Strom den durch Nebenschliessung geschwächten Muskelstrom zur früheren Höhe ergänze. Schon der zeitliche Verlauf der Erscheinung sprach gegen diese Deutung; auch blieb der Erfolg derselbe, als ich, statt nur den Achillesspiegel, den ganzen Muskel mit Säure bestrich, und Benetzen nur des Achillesspiegels eines wärmestarren Muskels mit Säure gab keine Wirkung in obigem Sinne. So sonderbar die Thatsache beim ersten Anblick ist, so leicht erklärt sie sich bei näherer Betrachtung. Nach meinen Versuchen mit der Siemens’schen Wippe verhält sich in verdünnter Schwefelsäure die Polarisation von Quecksilber zu der von Platin wie —,- : 1.') Trotz der Beweglichkeit sei- ner Oberfläche ist Quecksilber ein sehr polarisirbares Metall. Der Vorgang ist also wesentlich derselbe, als brächte man zu einem die Bussole enthaltenden Zweige des Schliessdrahtes einer Kette eine Nebenleitung an, in der ein Voltameter mit Platinelektroden sich befindet. Im ersten Augenblick erfolgt eine Schwächung des Stromes, wenn aber die Polarisation den Stromzweig in der Nebenleitung vernichtet hat, kann man nach dem Bosscha’schen Satze die Nebenleitung mit dem Voltame- ter entfernen und anbringen, ohne in der übrigen Leitung das dynamische Gleichgewicht zu stören?). In dem Fall der Nebenlei- tung befindet sich in unserem Versuche das Quecksilber mit der schnell an seiner Oberfläche sich entwickelnden elektromo- torischen Gegenkraft. Sobald diese den Strom im Quecksilber aufhebt, ist es, als sei letzteres nicht mehr da. Im Maasse wie dieser Zustand erreicht wird, nimmt demnach der Strom im Bussolkreise seine frühere Grösse wieder an. Die Richtigkeit dieser Erklärung folgt daraus, dass jede Erschütterung des Quecksilbers von einem nach Verhältniss heftigen negativen Ausschlage begleitet ist?). 1) Monatsberichte u. s. w. 1859. S. 483. 2) Poggendorff’s Annalen u.s. w. 1858. Bd. CIV. S. 460; — Vergl. Wiedemann, die Lehre vom Galvanismus. Braunschweig, 1861. 8. 138 $. 72. 3) Ueber die Wirkung der Erschütterung polarisirter Elektroden vergl. meine Untersuchungen u. s. w. Bd.I. 1848. 8.212. Anm. 1; — Bd.II. Abth. 2. 1860. S. 325. 582 E. du Bois-Reymond: Um aber unsere Erklärung vollends zu sichern, habe ich noch folgenden Versuch angestellt, der insofern leichtere Einsicht gewährt, als der Muskel dabei durch einen an sich nicht elektromotorischen, sondern von einem fremden Strome durchflossenen feuchten Leiter ersetzt ist. Ich befestigte zwei kleine Glastrichter neben einander in aufrechter Stellung so, dass der Abstand der unteren Mündungen ihrer beiläufig nur 20 mm. langen Rohre von Mitte zu Mitte 67 mm. betrug, und zog durch die Rohre einen baumwollenen, mit dreiviertelpro- centiger Steinsalzlösung getränkten Docht. Der Docht war zwi- schen den unteren Mündungen der Rohre straff ausgespannt, damit er auch in Quecksilber gerade bleibe. Die beiden Enden des Dochtes befanden sich in den Trichterkegeln, und waren mit zwei Lagen Thon überknetet, deren untere aus gewöhnli- chem, die obere aus Thon bestand, der mit schwefelsaurer Zinkoxydlösung angefeuchtet war. Ueber letzterer Schicht stand schwefelsaure Zinkoxydlösung, in welche verquickte Zinkplatten tauchten. Der Strom einer beständigen Kette wurde durch diese Vorrichtung und die Bussole gesandt und seine Stärke gemes- sen. Die Trichter mit dem zwischen ihnen ausgespannten Dochte schwebten über dem erwähnten Troge mit Quecksilber. Wurde dieser gehoben, bis der Docht ganz von Quecksilber umgeben war, so stieg zwar im ersten Augenblick die Ablen- kung, sogleich aber sank sie wieder und erreichte fast genau “ ihre frühere Stärke. Erschütterung erzeugte schnelle positive Schwankungen. Ersetzte ich das Quecksilber im Troge durch dreiviertelprocentige Steinsalzlösung, so erhielt ich dauernd etwa eine so grosse Verstärkung des Stromes, wie Quecksilber sie im ersten Augenblick erzeugte. Sogar die kurzen Ströme des Schlitteninductoriums wurden durch Lösung mehr gestärkt als durch Quecksilber. Mit dem Docht in der Luft erfolgten 67°0, in Quecksilber 75'7, in Lösung 87:0 Scalentheile Ausschlag. Dieser Versuch ist der reciproke zu einem seinerzeit viel besprochenen Versuche von Hrn. Poggendorff. In der Axe eines weiten Glasrohres verläuft ein Platindraht, der eine Kette schliesst. Wird das Rohr mit verdünnter Schwefelsäure gefüllt, so bleibt der Strom ungeändert, obschon eine leicht wahrnehm- Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 583 bare Verstärkung die Folge der Ausbreitung des Stromes in der Flüssigkeit sein müsste. Hr. Poggendorff selber hat dies so ausgelegt, als könne hier keine Zersetzung eintreten, mithin der Strom nicht auf den feuchten Leiter übergehen, weil dieser nur durch Elektrolyse leite'), Hr. Jacobi hat aber bei ähnlichen Anordnungen Elektrolyse nachgewiesen?), und Hr. Beetz hat schon darauf aufmerksam gemacht, dass der Strom in der Flüs- sigkeit durch Polarisation vernichtet werde°). Unstreitig ist dies der Grund der Erscheinung, und mit verquicktem Zinkdraht in schwefelsaurer Zinkoxydlösung wäre das Ergebniss sicher ein anderes. | Eine metallische Nebenschliessung, sofern sie bis zur Ver- nichtung des ursprünglichen Stromes polarisirbar ist, verändert also den Strom in einem feuchten Leiter nicht, gleichviel ob dieser durchströmt sei, oder elektromotorische Kräfte in seinem Inneren beherberge. Um so sicherer hindert sie, was der Ausführung nicht bedarf, den Uebergang aus einem feuchten Leiter durch sie hindurch in einen anderen. Humboldt und Gay-Lussac bemerkten, dass man einen Zitterrochen zwischen zwei am Rande sich berührenden Schüsseln ungestraft trage®). Mat- teucci fand, dass Blattgold zwischen Muskel und Nerv die se- cundäre Zuckung aufhebe, und Hr. Becquerel d.V. gab die richtige Erklärung dieses Umstandes, durch den Matteucei sich verleiten liess, die elektrische Natur der secundären Zuckung zu läugnen, und sie auf Fernwirkung des Nervenprincipes im primär zuckenden Muskel zu deuten’). Ich selber endlich zeigte unmittelbar, dass eine unter Wasser befindliche Säule durch eine metallische Hülle keinen merklichen Stromtheil nach aus- sen sende‘). 1) Poggendorf£f’s Annalen u.s. w. 1845. Bd. LXIV. S. 54. 2) Ebenda, 1846. Bd. LXIX. 8. 181. 3) Fortschritte der Physik im Jahre 1845 u. s. w. 8.448. 4) Gilbert’s Annalen nu. s. w. 1806. Bd. XXII. S. 8. 5) Untersuchungen u.s. w. Bd. II. Abthl. 1. 1849. S. 105. 6) Monatsberichte u.s. w. 1864. S. 352. 984 E. du Bois-Reymond: $. VIL. Wie Nebenschliessung die absteigende Kraft des Gas- troknemius verstärke, wird erklärt. Nach dieser Richtung also ist Alles deutlich; das hier zu Erklärende ist, wie Nebenschliessung, anstatt einfach die elek- tromotorische Wirkung des Gastroknemius zu schwächen, dessen Kraft stets in absolut negativem Sinne ändere. Folgendermaassen lässt sich dies begreifen. Schon früher wies ich nach, dass der in der Muskelmasse versteckte Kniespiegel, sofern er nicht bis zur Unwirksamkeit parelektronomisch ist, durch den Muskel eine Strömung sende, die im Kniespiegel selber ab-, im Muskel aufsteige. Diese Strö- mung setzt sich im Muskel zusammen mit der darin absteigen- den Strömung, welche ausgeht von dem in sich aufsteigend wirksamen Achillesspiegel, sofern er nicht bis zur Unwirksamkeit parelektronomisch ist (Vergl. oben S. 567.568). In den Bussol- kreis sendet demgemäss der Kniespiegel einen scheinbar im Muskel absteigenden, der Achillesspiegel einen scheinbar darin aufsteigenden Stromzweig, und je nachdem der erste oder zweite dieser Zweige der stärkere ist, erscheint der Muskel negativ oder positiv wirksam. Der Betrag, in welchem jeder der beiden Spiegel seine Componente in den Bussolkreis sendet, wird beeinflusst durch die Nebenschliessung, welche in Bezug auf jenen Kreis die Muskelmasse und andere dem Muskel passend anliegende lei- tende Massen dem Ausgleich der Spannungen darbieten. Um in dieser Beziehung Kniespiegel und Achillesspiegel mit einander zu vergleichen, theilen wir den Muskel in drei Längenabschnitte. Der obere erstreckt sich bis an den oberen Rand des Achillesspiegels, der untere bis an das untere Ende des Sehnenstreifes in der Tibialfläche. Im mittleren Abschnitte befindet sich der obere Theil des Achilles- und der untere des Kniespiegels, im oberen Abschnitte nur der obere Theil des Knie-, im unteren Abschnitte nur der untere Theil des Achillesspiegels. Für die im mittleren Abschnitte ge- legenen Theile beider Spiegel ist die durch die Muskelmasse gebildete Nebenschliessung etwa die gleiche. Dagegen ist sie für den im oberen Abschnitte gelegenen Theil des Knie- Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 585 spiegels eine bessere als für den im unteren Abschnitte gele- genen Theil des Achillesspiegels. Denn im oberen Abschnitte rundet sich der Muskel zu dem dicken Muskelkopfe ab, im un- teren läuft er rasch sich verjüngend in die schlanke Achilles- sehne aus. Nun ist für prismatische Leiter, in denen die Elektricität nur nach einer Richtung sich bewegt, leicht zu zeigen, dass je besser die für einen Stromzweig schon vorhandene Neben- schliessung ist, um so weniger wird er geschwächt durch wei- teres Verbessern dieser Nebenschliessung um eine bestimmte Grösse. In folgender Figur seien X die Kette mit der elektro- motorischen Kraft E im Kettenzweige vom Widerstande A, B die Bussole im Bussolzweige vom Widerstande A; endlich A, eine Nebenschliessung zum Bussolzweige, deren Widerstand = wo l die Länge, q der Querschnitt, s die specifische Leitungsgüte. Die Nebenschliessung ist mit ihren beiden ebe- nen Endquerschnitten zwischen zwei leitenden Massen M,M, von so grosser specifischer Leitungsgüte angebracht, dass s dagegen verschwindet; die Trennungsebenen sind folglich iso&lektrische Flächen. Die Stromstärke im Bussolkreise wird alsdann sein E.l "(A+MI+ANgs Differenzirt man diesen Ausdruck nach g, so erhält man I, 586 E. du Bois-Reymond: E.l.AAs [A +R)T+ Args] dI, nimmt ab mit wachsendem g, d.h. für eine gleiche Verbesserung der Nebenschliessung durch Vergrösserung ihres Querschnittes um dg fällt die Abnahme der Stromstärke um so kleiner aus, je grösser g oder je besser die schon vor- dl, dq. handene Nebenschliessung ist. Aehnliches muss auch in körperlichen Leitern gelten. Wird also die Nebenschliessung, welche die Muskelmasse der von beiden Spiegeln ausgehenden Strömung bietet, durch Umhüllen des Muskels mit Thon, Bepinseln mit verdünnter Steinsalzlö- sung, FEintauchen in solche Lösung verbessert, so werden die Stromtheile, welche von den im mittleren Abschnitte gelegenen Theilen der Spiegel ausgehen, in ungefähr gleichem Verhältniss geschwächt. Dagegen der aufsteigende Stromtheil, welcher aus- geht von dem im unteren Abschnitte gelegenen Theile des Achillesspiegels, wird unter der angebrachten Nebenschliessung mehr leiden, als der absteigende Stromtheil, welcher ausgeht von dem im oberen Abschnitte gelegenen Theile des Kniespie- gels. Mit Hülfe des Helmholtz’schen Satzes lässt sich dies auch folgendermaassen einsehen. Denken wir uns im oberen und im unteren Abschnitte des Muskels ein elektromotorisches Flächenelement. Es wird durch den Bussolkreis eine um so grössere Elektrieitätsmenge senden, je grösser die Elektrieitäts- menge ist, die es selber von einem gleich grossen und gleich stark elektromotorischen Querschnitte des Bussolkreises erhält, im Allge- meinen also, je grösser die Stromdichte in dem senkrecht auf die Strömung genommenen Muskelquerschnitt ist, in welchem es liegt Nun werde der Muskel in eine vergleichsweise unbegrenzte Masse eines Leiters von gleichem specifischem Widerstande getaucht. Dadurch wird im oberen und im unteren Abschnitte die Stromdichte sinken, um in beiden derselben niederen Grenze sich zu nähern. Da die Stromdichte im unteren Abschnitte grösser war, erleidet sie also hier den grösseren Verlust. Um- gekehrt würde das Eintauchen bewirken, dass der vom Element in diesem Abschnitt ausgesendete Stromtheil im Bussolkreis eine Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 587 grössere Schwächung erführe, als der vom Element im oberen Abschnitt stammende, w. z. b. w. Daraus erklären sich alle obigen Erfolge. Gleichviel, was Richtung und Grösse der ursprünglichen Wirkung war, durch Verbessern der Nebenschliessung muss die Wirkung einen Schritt im Sinne der Kniespiegelkraft, d. h. in negativer Richtung thun. Der stark aufsteigend _ wirksame Muskel also wird es weniger; am hinreichend schwach aufsteigend wirksamen führt der Schritt über den Nullpunkt fort in’s Ne- gative; der bereits absteigend wirksame Muskel wird stärker wirksam in gleicher Richtung. Zugleich aber wird die absolute Grösse beider entgegengesetzten Wirkungen vermindert, so dass bei sehr guter Nebenschliessung der Muskel fast ganz unwirk- sam wird. Dadurch kann geschehen, dass die Wirkung des schon absteigend wirksamen Muskels verkleinert statt vergrössert er- scheint. Der Unterschied zwischen auf- und absteigender Wirkung wächst zwar zu Gunsten letzterer, aber beide algebraisch zu summirenden Grössen werden zugleich mit einem so kleinen Factor multiplicirt, dass die negative Resultante absolut ge- nommen sinkt (S. unten, S. 590). Versuche mit nur theilweiser Umhüllung des Muskels bestätigen diese Theorie. Legt man einen Thonring von etwa 5 mm. Dicke um den Muskelkopf oberhalb des Achilles- spiegels, so erhält man einen schwachen aufsteigenden Zuwachs, weil man den absteigenden Kniespiegelstrom schwächt. So muss beiläufig auch das am Längsschnitt der Rückenfläche angelegte Milchsäurescheibchen wirken (S. oben S. 570). Ein absteigender Zuwachs dagegen erfolgt, wenn man den Ring un- terhalb des unteren Endes des Sehnenstreifes der Tibialfläche anbringt. Auch fährt ein solcher Zuwachs fort zu erscheinen, wenn man mit dem Ring am Muskel emporsteigt, bis ein Punkt kommt, wo die Wirkung Null ist und jenseit dessen sie positiv wird. Dies erklärt sich nach dem Helmholtz’schen Satz aus dem Einfluss, den der Thonring auf eine den Muskel zwischen Haupt- und Achillessehne durchfliessende Strömung üben würde. Die ohne den Ring im Achillesspiegel selber und ihm nahe verlaufenden Stromcurven werden in den Ring hinein ER TREE N TAT HRR 588 E. du Bois-Reymond: sich biegen, die der Axe des Muskels näheren, welche die Flä- chenelemente des Kniespiegels treffen, vergleichsweise ungestört bleiben. Hieraus ergiebt sich ein neuer Grund gegen Hrn. Meissner’s Art, den Strom vom Gastroknemius mittels eines um den Muskelbauch geknüpften, mit Eiweiss getränkten Fadens abzuleiten '). Umstände lassen sich denken, unter denen ein sol- cher Faden durch Nebenschliessung Fehler veranlassen könnte, Umhüllt man abwechselnd die obere und untere Muskel- hälfte mit Thon, so erhält man, wie nach Vorigem von selbst sich versteht, im letzteren Falle viel stärkere absteigende Wir- kung als im ersteren. Sind etwa die unteren zwei Drittel des Muskels in Thon gehüllt, so hat Umhüllung des oberen Drittels nicht sicher Vermehrung des absteigenden Zuwachses zur Folge’ 8. VIII. Folgerungen aus Obigem. Der Gastroknemius eignet sich nicht dazu, um die Umkehr der elektromotorischen Kraft natürlichen Querschnittes durch Parelektronomie daran fest- zustellen. E . Aus diesen Versuchen folgt zunächst, dass der Kniespiegel so parelektronomisch weder ist, noch zur Erklärung der elek- tromotorischen Erscheinungen am Gastroknemius zu sein braucht, wie ich früher annahm. Um die Schwäche der nach aussen gelangenden Kniespiegelwirkung zu erklären, tritt an Stelle der vermutheten hohen Parelektronomie, für die sonst kein Grund vorlag, die bisher nicht berücksichtigte Thatsache, dass für den Kniespiegelstrom die Bedingungen der Ableitung ungünstigere sind, als für den Achillesspiegelstrom. Dem Auf- schlitzen des Gastroknemius längs der Scheidewand, dem Ue- berdehnen, dem Anätzen des Sehnenstreifes der Tibialfläche, diesen drei Versuchsweisen, mittels deren bisher die absteigende Kniespiegelcomponente zum Vorschein gebracht wurde, liess sich vorwerfen, dass sie die Kraft, die sie nachwiesen, erst schufen. Das Verfahren, den Kniespiegelstrom vergleichsweise zu verstärken, indem man den Achillesspiegelstrom durch Neben- schliessung vergleichsweise mehr schwächt, ist von diesem Ein- 1) Vergl. Monatsberichte u. s. w. 1867. 8. 578 f. Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 589 wurfe frei. Sein Erfolg lehrt uns, dass der Kniespiegel für ge- wöhnlich, so weit sich urtheilen lässt, in einem gewissen mittleren Grade der Parelektronomie verharrt, wie eben andere sehnige Muskelenden und der Achillesspiegel auch. Die schein- bare elektromotorische Ueberlegenheit des letzteren beruht we- sentlich auf der ungünstigeren Lage des Kniespiegels. Verjüngte sich der Gastroknemius nach oben wie nach unten, endete er an der Hauptsehne dünn wie an der Achillessehne, so fände zwischen Haupt- und Achillessehne kein Strom statt, oder wenigstens der Strom flösse so oft nach unten wie nach oben. Ausserdem kommt natürlich in Betracht, dass der Achillesspiegel allerlei schädlichen Einflüssen blossliegt, gegen welche der grösste Theil des Kniespiegels vollkommen ge- schützt ist. Wie man sich erinnert, wurde auf Grund von Beobachtun- gen am Gastroknemius die Lehre von der Parelektronomie des natürlichen Querschnittes zuerst aufgestellt. Am Gastrokne- mius war es, wo ich, abgesehen von den ersten rohen Wahr- nehmungen an ganzen Gliedmaassen, zuerst erfuhr, dass ein un- versehrter Muskel unter Umständen stromlos erscheinen oder verkehrt wirken kann, und dass es genügt, den natürlichen Querschnitt irgendwie zu zerstören, um den gewöhnlichen Strom hervorzurufen. Ohne dass ich damals es ahnen konnte, betrafen diese Wahrnehmungen, die von so fundamentaler Bedeutung werden sollten, statt des gewöhnlichen Stromes vom Längs- zum Quer- schnitt, einen natürlichen Neigungsstrom. Es entstand aber da- raus kein Fehler, weil die Lehre von der Parelektronomie auch auf die schrägen natürlichen Querschnitte und ihre Neigungs- ströme passte!). Dies war um so glücklicher, als an den hier brauchbaren Muskeln kein senkrechter natürlicher Querschnitt vorkommt, vielmehr alle Ströme sehniger Enden zum Theil Neigungsströme sind). Jetzt aber findet sich merkwürdigerweise auch noch, dass Versuchen am Gastroknemius (der Beweis für Umkehr der elek- 1) Dieses Archiv, 1863. S. 607. 2) Monatsberichte u. s. w. 1867. S. 590. 590 E. du Bois-Reymond: tromotorischen Kraft natürlichen Querschnittes durch Parelek- tronomie nicht entnommen werden kann. Stromlosigkeit, ab- steigende Wirkung des Gastroknemius, sind weit davon entfernt, unmittelbar den Schluss auf gleiche Zustände des Achillesspie- gels zu gestatten. Der Strom zwischen Haupt- und Achillessehne lässt sich als algebraische Summe von vier Componenten auffassen: 1. des Neigungsstromes der Achillesspiegels, wie er ohne parelektro- nomische Schicht wäre: seine aufsteigende Kraft heisse +n M , won 1 die Schwächung ausdrückt, welche diese Kraft durch Nebenschliessung erfährt; 2. des Neigungsstromes der parelek- tronomischen Schicht desselben Spiegels: seine absteigende Kraftsei -n P_; 3. des Neigungsstromes des Kniespiegels, wie er ohne parelektronomische Schicht wäre: seine absteigende Kraft heisse -—n,M,, wo n M,_ zu schliessen. Dieser Schluss ist jetzt nicht mehr zulässig. Aus 5 - 0 kann nicht geschlos- sen werden au P =M ; P,= M,, da auch M, 5 P, 1 ME, zen) & $ = 0 macht; und aus S < 0 nicht auf P >M,, da auch M, ap R, N el — = MAR, n S negativ macht. Die Erscheinungen am Gastroknemius allein berechtigen bei unserer jetzigen Einsicht also nur zu einem Theile der Schlüsse, auf denen die Lehre von der Parelektro- nomie ruht. @ $. IX. Die am Gastroknemius zweifelhaft gewordene Umkehr der elektromotorischen Kraft natürlichen Querschnittes durch Parelektronomie ist an regelmässigen Muskeln nachweisbar. Dennoch bleibt diese Lehre in vollem Umfange bestehen. Regelmässige Muskeln zeigen unzweideutig die Erscheinungen, aus denen ich zuerst am Gastroknemius die Umkehr der elek- tromotorischen Kraft durch Parelektronomie erschloss, obschon auch an ihnen eine früher nicht beachtete Verwickelung ein- tritt, die aber leicht zu lösen ist. 592 E. du Bois-Reymond: Positivität des natürlichen Querschnittes gegen den Längs- schnitt findet sich häufig am unteren Ende des Cutaneus, Sar- torius und Semimembranosus, und ziemlich oft am oberen Ende der beiden ersteren Muskeln. Dagegen das obere Ende des Se- mimembranosus und beide Enden des Gracilis mir nicht ein- mal völlige Stromlosigkeit dargeboten haben. Wahrscheinlich liegt der Grund davon in der Schwierigkeit, diese drei Enden unverletzt herzustellen. Am oberen Ende des Gracilis und Se- mimembranosus beruht diese Schwierigkeit auf der Kürze der bandartig breiten Sehne, welche die Muskeln an die Becken- fuge heftet. Das untere Ende des Gracilis ist mit dem Cuta- neus so verwachsen, dass es nicht oft gelingen mag, sie unver- sehrt zu trennen. Sollten regelmässig ein paar Graeilisbündel vom Perimysium des Cutaneus entspringen, so wäre erklärt, weshalb die Verletzung meist nur den Gracilis treffe. Ob diese Anordnung wirklich stattfinde, ist schwer zu entscheiden, und ich habe mich davon noch nicht überzeugen können. Wie dem auch sei, man könnte nun glauben, die blosse Beobachtung der Positivität eines sehnigen Endes gegen Längs- schnitt beweise schon die Umkehr der elektromotorischen Kraft durch Parelektronomie; aber mit nichten. Es kann nämlich ein sehniges Ende A auch dann positiv gegen Längsschnitt erscheinen, wenn es selber sich in Wahrheit neutral oder sogar schwach negativ dagegen verhält. Dies ist dann der Fall, wenn das andere Ende B weniger parelektronomisch ist, um so leichter, wenn B dies nur sehr wenig oder wenn in B künstlicher Querschnitt angelegt ist. Alsdann verhält sich jeder B nähere Längsschnittspunkt negativ gegen jeden davon entfernteren, und folglich jeder Längsschnittspunkt negativ ge- gen 4. Ich sah dies mehrere Male am unteren Ende des Sartorius. Die eine Thonspitze berührte dies Ende, die andere den Längs- schnitt etwa in der Mitte der Muskellänge. Der Strom war verkehrt. Ging ich mit der Thonspitze am Längsschnitt dem oberen Ende näher, so verstärkte sich natürlich der Spannungs- unterschied. Dies hatte nichts zu bedeuten, da es auch bei wirklich positivem unteren Ende hätte geschehen müssen. Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 593 Rückte aber die Spitze am Längsschnitt bis in geringe Ent- fernung vom scheinbar positiven unteren Ende, so verrieth sich die Täuschung dadurch, dass der Strom sich umkehrte und nun das untere Ende schwach negativ erschien. So wurde deutlich, dass es hier bloss um Verschiebung des Aequators bis hart an den minder wirksamen Querschnitt sich handelte. Den Strom in einem dem Muskel irgendwie angelegten Bogen kann man auffassen als Resultante zweier Componenten, deren jede einer Strömung vom Längsschnitt nach dem einen der beiden Querschnitte entlehnt ist. Die von einem bestimm- ten Querschnitt ausgehende Componente wird um so stärker sein, je negativer der Querschnitt, um so schwächer, je stärker dessen parelektronomische Schicht; sie wird ihren Sinn ändern, wenn diese Schicht so entwickelt ist, dass der Querschnitt wirklich positiv gegen Längsschnitt sich verhält. Von diesem Gesichtspunkte lässt der Strom in dem, einem regelmässigen Muskel angelegten Bogen sich wohl vergleichen mit dem Strom in dem, einem Gastroknemius angelegten Bogen. Unter geeigneten Umständen müsste in einem dem Aequator und dem Ende A, oder auch zwei Längsschnittspunkten des regelmässigen Muskels ange- legten Bogen beim Anätzen des Endes B der Strom abnehmen, wie der vom Achillesspiegel ausgehende Strom in einem dem Ga- stroknemius angelegten Bogen abnimmt, wenn der Kniespiegel- strom entwickelt wird. Umgekehrt, Zunahme müsste dort wie hier erfolgen, wenn man ein Mittel besässe, den entgegenwir- kenden Stromzweig zu schwächen, wie am Gastroknemius Verbesserung der Nebenschliessung es gewährt. Ich habe solche Versuche am Gracilis und Semimembrano- _ sus angestellt. Ich spannte den Muskel in der kleinen Streck- vorrichtung aus, legte dem Ende A die eine Thonspitze, die andere einem Längsschnittspunkte an. Nach compensirtem - Strom ätzte ich Ende D mit Kreosot oder verdünnter Milch- säure. Wirkung im Sinne des Stromes dieses Querschnittes zeigte sich aber nur, wenn die Längsschnittsspitze nahe dem Querschnitt sich befand. Der Erfolg war undeutlich, wenn die Spitze am Aequator lag. Es scheint danach fast, als ob am Sartorius, wo die Längsschnittsspitze bis nahe an das untere Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 38 594 E. du Bois-Reymond: Ende negativ gegen dieses sich verhielt, die elektromotorische Leistungsfähigkeit nicht, wie hier stets vorausgesetzt wird, überall dieselbe, sondern in den oberen Abschnitten des Muskels kleiner gewesen sei. Um den vom Ende B ausgehenden Stromzweig zu schwä- chen, giebt es kein brauchbares Mittel. Auf Grund von That- sachen, die ich anderswo mittheilen werde, könnte man dazu an Tetanisiren des Muskels denken, doch ist hier damit nichts anzufangen. Es entsteht aber die Frage, was in dieser Be- ziehung am regelmässigen Muskel mit Nebenschliessung auszu- richten sei; ob der von einem senkrechten Querschnitt B aus- gehende Strom zwischen Ende A und einem Längsschnittspunkt oder zwischen zwei Längsschnittspunkten sinke, wenn Quer- schnitt B in verdünnte Steinsalzlösung getaucht werde. Theo- retisch lässt sich darüber Nichts sagen, ohne über den Bau des Muskels als Elektromotor auf Erörterungen einzugehen, die hier zu weit führen würden. Der Versuch giebt stets geringe Abnahme des Stromes vom eingetauchten Querschnitt aus, gleichviel ob die Lösung den Längsschnitt erreiche oder nur den Querschnitt berühre, ob z. B. letzterem nur ein mit Lösung getränkter Bausch genähert werde. Wenn der Querschnitt nicht eben blieb, sondern, wie es oft geschieht, in der Mitte sich hervorwölbte, wurde der Erfolg unsicher. Dies brachte mich darauf, die Wirkung des Ein- tauchens auch auf schrägen künstlichen Querschnitt zu ver- suchen. Die Thonspitzen wurden dem Muskel oberhalb der durch den schrägen Querschnitt gebildeten stumpfen Ecke ver- schieden hoch angelegt. War der Muskel so aufgestellt, dass der schräge Querschnitt wagerecht nach unten sah, so wurde beim Eintauchen auch stets die dem Querschnitte nähere Thonspitze stärker positiv: ein Ergebniss, welches ich in etwas anderer Form schon vor Jahren erhielt. Dagegen wurde diese Spitze viel stärker negativ, wenn bei senkrechtem Muskel 1) Untersuchungen u. s. w. Bd. II. Abth. II. 1860. S. 78. Der Muskel lag auf Bäuschen, und sein schräger künstlicher Querschnitt wurde, meinem damaligen Zweck entsprechend, mit Höllensteinlösung benetzt, Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 595 der durch den schrägen Schnitt entstandene dreieckige Zipfel eingetaucht wurde; um so stärker, je tiefer das Eintauchen geschah. Letzterer Erfolg erklärt die Unsicherheit der Wirkung bei hervorgewölbtem Querschnitt. Er selber aber ist zunächst völlig dunkel, und das Ergebniss bei Berührung senkrechten Querschnittes mit einem Bausche widerspricht älteren Versu- chen an Nerven, wo zwischen symmetrischen Längsschnitts- punkten Wirkung im Sinne desjenigen Querschnittes erschien, dem ich einen mit Eiweiss getränkten Faden so anfügte, dass der Faden eine unwirksame Verlängerung des Nerven bildete'). Ich habe diese Angelegenheit, die hier von keiner Wichtigkeit ist, und deren Erledigung noch weitläufige Untersuchungen erfordert, für jetzt auf sich beruhen lassen. Gleichviel wie sie einst sich aufkläre, Positivität des einen sehnigen Endes eines regelmässigen Muskels genügt also nicht, um daraus Umkehr der elektromotorischen Kraft dieses Endes durch Parelektronomie zu erschliessen. Doch lassen sich Be- dingungen angeben, unter denen dieser Schluss gerechtfertigt wäre. Er wäre es, wenn es gelänge, Fälle zu beobachten, in denen der verkehrt wirksame natürliche Querschnitt gegen den Aequator ebenso positiv oder positiver wäre, als der Ae- quator gegen den gesetzmässig wirksamen Querschnitt. Er wäre es vollends, wenn der Fall vorkäme, dass beide natür- liche Querschnitte eines Muskels positiv gegen Längsschnitt sich verhielten. Beides ist nun in der That, freilich bisher nur am Sar- torius, und auch an diesem nur selten, beobachtet worden. Dazu gesellt sich noch eine andere Wahrnehmung, an welche hier erinnert werden mag. Es kommt bekanntlich am _ Cutaneus vor, dass nicht allein oberflächliches Anätzen ein j sehniges Ende nicht negativ macht, sondern dass auch ein . _ mit dem Messer dem Ende nahe hergestellter Querschnitt noch - positiv gegen Längsschnitt sich verhält. Erst in etwas grösse- 1) Untersuchungen u. s. w. Bd. II. Abth. I. 1849. S. 524. 525. Taf. IV. Fig. 134. 38 * 596 E. du Bois-Reymond: rer Entfernung vom Ende trifft man negativen Querschnitt. Bei der Länge und Dünne des Cutaneus ist an sich nicht glaublich, dass der scheinbar positive künstliche Querschnitt nur unwirksam war, und der verkehrte Strom der weit ent- legenen anderen elektromotorischen Endfläche entsprang. Dies widerlegt sich vollends, und die wirkliche Positivität des sehnigen Endes wird erwiesen dadurch, dass im abgeschnittenen sehnigen Ende ein Strom vom künstlichen Querschnitt zum natürlichen im Muskel sich zeigt. Die einzige ungezwungene Auslegung solchen Verhaltens ist, dass in der hier anzuneh- menden parelektronomischen Strecke säulenartige Anordnung elektromotorischer Kräfte herrscht, in deren Folge positive Elektrieität nach dem sehnigen Ende hin fliesst. Die Andeu- tung eines ähnlichen Verhaltens kommt auch am Sartorius, der allein ausser dem Cutaneus noch gut darauf zu prüfen ist, in- sofern vor, als dem sehnigen Ende nahe angelegter Querschnitt gegen Querschnitt der Aequatorialgegend positiv erscheint. !) Auch diese Zustände sind mir nur selten begegnet. Doch ist es nicht Seltenheit einer Thatsache an sich, die darauf zu bauen verhindert. Eine vereinzelte Beobachtung wird werthlos dadurch, dass sie unvermittelt ausserhalb bekannter Gesetze steht. Wo da- gegen, wie hier, das seltene Ereigniss den theoretisch vorhergesehe- nen Schluss einer Reihe stufenweise ihm sich nähernder Erschei- nungen bildet, und die aus bekannten Gründen wachsende Seltenheit dieser Erscheinungen in der jenes Ereignisses gipfelt: da gehört die Seltenheit selber zu der sich enthüllenden Ge- setzmässigkeit, und es lässt darauf hin kein Einwand gegen eine, auch das seltene Ereigniss als wesentliches Endglied um- fassende Anschauung sich erheben. Kommt vollständige Stromumkehr durch Parelektronomie an regelmässigen Muskeln von Natur nur selten vor, so gelingt es um so leichter, an stark parelektronomischen Muskeln sie künstlich dadurch zu erzeugen, dass man die Muskeln tetani- sirt, Im Tetanus werden die natürlichen Querschnitte positiv, und bleiben es längere oder kürzere Zeit in beträchtlichem 1) Dieses Archiv, 1863. S. 685 fl.; — 1867. S. 264. 265. Anm. ee . Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 597 Maasse, wie ich anderswo ausführlicher ‚darlegen will. Dort wird die Entstehung der parelektronomischen Schicht erklärt werden. $: X. Schlussbemerkungen. Obschon aus absteigender Wirksamkeit des Gastroknemius, wie oben sich zeigte, Umkehr der elektromotorischen Kraft des Achillesspiegels durch Parelektronomie nicht unzweideutig folgt, ist also nach Erfahrungen an regelmässigen Muskeln diese Umkehr als höchste Stufe der Parelektronomie doch nicht zu bezweifeln. Nun entsteht die Frage, ob nicht am Gastroknemius dieser Zustand auch vorkomme, d. h. bei hoher Parelektronomie der Achillesspiegelstrom im Spiegel wirklich ab- statt aufsteige. Nothwendig folgt dies aus den Versuchen an regelmässigen Muskeln nicht. Am Gastroknemius gab sich mir noch nichts kund, was auf eine parelektronomische Strecke, statt einer Schicht, schliessen liesse. Vielleicht gehört grössere Länge der Bündel dazu, als sie im Gastroknemius vorkommt, damit statt einer parelektronomischen Schicht eine solche Strecke sich ausbilde; und obschon der Theorie nach die dünnste Schicht genügt, um den Strom umzukehren, könnte in Wirklichkeit die Umkehr doch vielleicht erst durch eine Strecke geschehen, in der verkehrte elektromotorische Kräfte säulenartig angeord- net sind. Wie wir sahen, würde in der äusseren, unmittelbaren Er- scheinung der Zustand umgekehrter Wirksamkeit beider Spie- gel von dem oben S. 590 besprochenen sich nicht unterscheiden, in welchem der absteigende Kniespiegelstrom dem aufsteigen- den Achillesspiegelstrom gleichkommt oder obsiegt. Aber vielleicht lassen sich Merkmale ersinnen, durch welche beide Zustände von einander zu unterscheiden wären. Zwei solche Merkmale lassen sich angeben. Mittels der Thonspitzen gelingt es bekanntlich, am Achillesspiegel schwache Ströme von dessen Umfang nach der Mitte nachzuweisen. In der Längsrichtung setzen sich diese Ströme zusammen mit der Resultante aus den Neigungsströmen des Achilles- und des DR 598 E. du Bois-Reymond: Kniespiegels, woraus eine Verschiebung des negativen Punktes des Achillesspiegels je nach dem Zeichen der Resultante nach oben oder nach unten entspringt.') In der queren Richtung, da- gegen werden die schwachen Ströme am Achillesspiegel dureh die Zustände des Kniespiegels nicht merklich beeinflusst. Am überdehnten, stark absteigend wirksamen Gastroknemius behal- ten sie ihre Richtung.?) Fände man sie also verkehrt an stark parelektronomischen, absteigend wirksamen Gastroknemien, so wäre dies ein Beweis dafür, dass die elektromotorische Kraft des Achillesspiegels wirklich ihr Zeichen gewechselt habe. Das zweite Merkmal ist folgendes. Setzt man in dem oben 3.590 für die Gesammtwirkung des Gastroknemius gegebenen Ausdruck S=n, (M,-P)- m (A,- By), P, ne M,» P, = M,; so ist S negativ. Lässt man nun n_ schneller als n, abnehmen, so wird S nicht mehr im negativen, sondern im positiven Sinne sich ändern. Anbringen nebenleitender Massen müsste also dann statt Zunahme Schwächung der absteigenden Kraft erzeu- gen. Zu dem oben 8.579 besprochenen Fall einer sehr guten Nebenschliessung würde diese Combination als zweite hinzu- treten, in der ein absteigender Strom durch Nebenschliessung geschwächt, statt verstärkt, erschiene (S. oben 8. 578). Damit ein solcher Erfolg hier entscheide, müsste er also mittels einer Nebenschliessung gewonnen sein, die an einem gewöhnlichen Muskel negativen Zuwachs erzeugt hätte, mittels der Thonhülle, oder einer capillaren Schicht verdünnter Steinsalzlösung. Bei meinen Bemühungen, mit Hülfe dieser Merkmale obige Frage zu erledigen, stiess ich zunächst wieder auf die Schwie- rigkeit, die meinen Fortschritt bisher noch jedesmal hemmte, wo ich über die höheren Stufen der Parelektronomie etwas zu erfahren wünschte?), den Mangel nämlich an einem Verfahren, diese Stufen sicher herbeizuführen. Seit den Versuchen, die 1) Dieses Archiv, 1863, S. 564. 565. 2) Monatsberichte u. s. w. 1867. S. 592. 3) Untersuchungen u. s. w. Bd. II, Abth, II, S. 133. F* a E Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w., 599 a. a. OÖ. in meinen „Untersuchungen * beschrieben sind, habe ich höhere Stufen der Parelektronomie so oft angetroffen, ohne die Frösche niedrigeren Temperaturen ausgesetzt zu haben, als der schmelzenden Eises, dass ich an meiner damaligen Mei- nung, nach welcher sehr tiefe Temperaturen Stromumkehr be- wirken, fast irre ward. Bei neueren Versuchen über diesen Punkt habe ich wenigstens erkannt, warum zuweilen Frösche sehr tiefen Temperaturen ausgesetzt werden können, ohne dass ihre Gastroknemien parelektronomisch erscheinen. Wenn die Muskeln entweder oberflächlich gefroren waren, oder wenn die Lymphe in den Lymphräumen es war, findet man die Gastro- knemien nicht allein nicht absteigend, sondern sogar stark aufsteigend wirksam. Sichtlich ist dann die parelektronomische Schicht entweder durch Gefrieren, oder durch das beim Aufthauen der Eiskrystalle in den Lymphsäcken sich bildende Wasser zerstört. Letztere Erklärung ist dieselbe, welche Hr. Hoppe-Seyler von der Zerstörung des Stroma’s der Blut- scheiben durch wiederholtes Gefrieren und Aufthauen des Blutes gab.!) In’s Klare wird man über diese Dinge erst kommen, wenn man einmal Gelegenheit hat, mit einer Wind- hausen’schen Eismaschine beliebige Temperaturen unter Null beliebig lange herzustellen. Bei alledem ist es mir einigemal gelungen, am Achilles- spiegel stark parelektronomischer Gastroknemien verkehrte quere Ströme zu beobachten, und in einem einzelnen Fall Abnahme der absteigenden Wirkung bei Anbringen einer Thonhülle, wie sie sonst nur Zunahme erzeugt. Der Gastroknemius zeigte ur- sprünglich — 98 COgr. Diese Wirkung stieg, wie es mit der absteigenden Wirkung beiläufig oft der Fall ist, ohne erkennbare Ursache auf — 130 Cgr. Anbringen einer Thon- hülle verminderte sie auf — 52 Cgr. Nach Entfernen der Thonhülle: — 191; — 228 Cgr. In Thon: — 72 Cgr. Aber- mals ohne Thon: — 268 Cgr. Dies sind, wohl bemerkt, viel stärkere negative Wirkungen, als sie gewöhnlich am Gastro- 1) Handbuch der physiologisch- und pathologisch-chemischen Analyse u, s. w. Berlin 1865. $S. 304. 600 E. du Bois-Reymond: knemius vorkommen. Ich glaube übrigens nicht, dass das Wachsen der negativen Wirkung am freiliegenden Muskel von — 130 0gr. auf mehr als das Doppelte von Verstärkung der parelektronomischen Schicht des Achillesspiegels herrührte, sondern eher, dass die Parelektronomie des Kniespiegels sank. Die Prüfung der queren Ströme am Achillesspiegel lieferte in diesem Falle leider ein verworrenes Ergebniss. Es ist nun aber gewiss beachtenswerth, dass bereits Hr. Herm. Munk zu einer Zeit, wo er von Sinn und Bedeutung dieser Thatsache nichts wissen konnte, die absteigende Wir- kung stark parelektronomischer Gastroknemien durch Entfernen einer Nebenschliessung wachsen sah. Hr. Hermann hatte bekanntlich beim Entblössen des Gastroknemius am sonst unversehrten Frosche zuweilen einen aufsteigenden Ausschlag zwischen einer Zehenspitze und einem passend gewählten höheren Punkte beobachtet und so gedeutet, als übe die Entblössung sogleich auf den Achiilesspiegel einen verderblichen Einfluss, durch den der Muskel erst elektromo- torisch wirksam werde. Hr. Munk zeigte, dass Hr. Her- mann einen Umstand übersehen habe. Der positive Ausschlag rührt daher, dass die im Lymphsack des Unterschenkels befindliche Lymphe Nebenschliessung für den Gastroknemiusstrom bildet, daher beim Ausfliessen der Lymphe der aufsteigende Strom wächst. Wenn aber der Gastroknemius durch starke Parelek- tronomie absteigend wirkt, hat das Ausfliessen der Lymphe zuweilen Hebung des absteigenden Stromes oder absolut nega- tiven Zuwachs zur Folge. !) Eine capillare Schicht dreiviertelprocentiger Steinsalzlösung vermag, wie oben S. 578 gezeigt wurde, die elektromotorische Resultante des Gastroknemius in negativem Sinne bedeutend zu ändern, unter Umständen sie umzukehren. Um Hrn. Munk’s Erklärung der Wirkung ausfliessender Lymphe vol- lends zu sichern, schien es jetzt zweckmässig, die Leitungsgüte der Lymphe mit der der Lösung zu vergleichen. Es standen mir dazu nur Winterfrösche zu Gebote. Einer darunter war 1) Dieses Archiv, 1868, S. 555. 556. In Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 601 von selbst hydropisch genug, um aus seinen Lymphsäcken die nöthige Menge Lymphe schöpfen zu können. Zwei andere machte ich nach Hrn. Bidder’s Rathschlag künstlich hydro- pisch, indem ich sie mit so kleinen Gaben Curara’s vergiftete, dass sie mit gelähmten Lymphherzen noch über eine Woche lebten.‘) Ich sog die Lymphe mit der Pravaz’schen Spritze auf. Die Spritze gewährte zugleich ein bequemes Mittel, ein am einen Ende mit Thon geschlossenes 40 mm. langes, 1'6 mm. im Lichten weites Glasrohr mit Lymphe zu füllen. Nachdem das Rohr auch am anderen Ende mit Thon geschlossen worden, brachte ich es zwischen die Thonschilder der Zuleitungsgefässe und bestimmte, wie bei den oben $. 572#f. beschriebenen Wider- standsmessungen, den Ausschlag des Bussolspiegels, welchen der Oeffnungsstrom eines Schlitteninductoriums durch den Kreis hindurch erzeugte. Darauf wurde das Lymphrohr durch ein genau gleiches, ebenso mit Thon geschlossenes Rohr ersetzt, welches aber Steinsalzlösung enthielt, und wiederum der Aus- schlag bestimmt. Schliesslich wurde der Ausschlag bei Schlies- sung des Kreises ohne Rohre bestimmt, indem zwischen die Thonschilder zwei Thonkügelchen aneinander gepresst wurden, die den Thonpfröpfen der Rohre möglichst gleich kamen. Na- türlich war dies kein sehr vollkommenes Verfahren; die nahe Uebereinstimmung der Ausschläge in mehreren Versuchen, die mit derselben Lymphe, sonst aber mit Erneuerung allen Ma- teriales angestellt wurden, lehrte jedoch, dass es für den Zweck genügte. Den Widerstand der Lymphe des einen der beiden cura- risirten Frösche fand ich = 103, wenn der Widerstand der Lösung = 1:00 gesetzt wird, ein Unterschied, der zu vernachlässigen ist.?) Der Widerstand der Lymphe des hydropischen Frosches erwies sich als etwas bedeutender, nämlich = 1'16. Endlich der Widerstand der Lymphe des zweiten curarisirten Frosches war noch grösser, = 1'27. Immerhin war selbst dieser von gleicher Ordnung mit dem der Lösung, über 1'’6mal kleiner als der des 1) Dieses Archiv, 1868. S. 603. 604. 2) Das Mittel aus zehn Ausschlägen mit dem Lymphrohre war 90-8, das mit dem Lösungsrohre 92'4 sc., also nur um etwa „, grösser. 602 E. du Bois-Reymond: Muskels, und 3'3mal kleiner als der des Thones. (Vergl. oben S. 574.576). Uebrigens versäumte ich nicht, durch den Versuch mich zu überzeugen, dass diese Lymphe, statt der Lösung mit dem Pinsel auf parelektronomische Gastroknemien gebracht, deren elektromotorische Resultante gleich der Lösung verän- derte. Hr. Munk hat schon damals die Schwierigkeiten ent- wickelt, welche für Hrn. Hermann’s Theorie des Muskel- stromes aus der ihm von mir mitgetheilten Thatsache erwachsen, dass durch Anbringen einer Nebenschliessung der Kniespiegelstrom am Gastroknemius sichtbar und die aufsteigende in eine ab- steigende Resultante verwandelt wird. Erstens nämlich lehrt diese Thatsache, dass um auf Prä- existenz des Muskelstromes gerichtete Prüfungen vorzunehmen, man keine unglücklichere Wahl treffen konnte, als die des Gastroknemius. Wie man jetzt sieht, können an diesem Mus- kel die elektrischen Gegensätze fast in voller Stärke bestehen, ohne dass zwischen Haupt- und Achillessehne oder sonst zwei verschieden hohen Punkten am Muskel ein Strom bemerkbar zu sein braucht. Der aus seiner natürlichen Umgebung ent- fernte Muskel kann aufsteigend wirken, während in situ der Muskel wirkungslos war, oder gar absteigend wirkte. Zweitens zeigen diese Versuche auch unmittelbar, dass am Kniespiegel die elektrischen Gegensätze unter Umständen vorhanden sind, wo von schädlichen äusseren Einwirkungen nicht wohl die Rede sein kann. Der Kniespiegel ist im Inneren des Muskels vor Trockniss, Berührung mit Luft oder Hautsecret geschützt, und es scheint undenkbar, dass die elektromoto- rischen Kräfte, als deren Sitz er mittels eines an sich ganz harmlosen Kunstgriffes erkannt wird, nicht präexistiren sollten, dass sie durch schädliche Einflüsse erst im Versuch sollten entstanden sein (Vergl. oben $S. 588. 589). Hr. Hermann wird jetzt vielleicht behaupten wollen, dass der Strom nicht vom ganzen Kniespiegel ausgehe, sondern, wie bei Anätzung des Sehnenstreifes der Tibialfläche, nur von den oberen Enden der oberflächlichen Bündel, von denen man sich eher vorstellen kann, dass sie schädlichen Einflüssen zu- OR PR 2 eh ee N #, Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 603 gänglich seien. Da er indess als Stromquell die Berührung lebender und absterbender Muskelsubstanz ansieht, so muss er alsdann erklären, warum nur die Enden der Bündel und nicht auch diese selber in ihrem Verlaufe jenen schädlichen Einflüs- sen unterliegen, denen sie doch in allen Punkten ihrer Länge gleich sehr ausgesetzt sind. Nur indem er der Reihe seiner Hypothesen ad hoc, deren keine er bisher wahrscheinlicher zu machen vermochte, die neue Hypothese ad hoc einer besonderen Verletzbarkeit der Bündelenden hinzufügt, kann er, wie mir scheint, dieser misslichen Lage sich entziehen. Hr. Vietor Hensen, der neuerdings, wenn auch aus anderem Gesichtspunkte als Hr. Hermann, die Lehre von der Parelektronomie umzugestalten versucht hat!), nimmt eine solche besondere Verletzbarkeit der Bündelenden an, und sucht sie durch die weitere Annahme zu begründen, dass die Bündel an den Enden wachsen, hier also die Muskelsub- stanz „so eben erst gebildet, noch unvollendet* sei. Er fragt sich, wie der Muskel in die Länge wachse? Dies geschehe weder durch Untergang alter und Entstehung neuer Fasern, denn man sehe keine degenerirten Fasern; noch durch Ver- mehrung der Querscheiben im Verlaufe der Bündel, denn die Querscheiben zeigen überall gleiche Beschaffenheit: also er- folge Verlängerung der Fasern an ihren Enden. Man weiss 'indess, was solche Deductionen in unserer Wissenschaft werth sind. Wo uns jede andere Möglichkeit ausgeschlossen scheint, findet die Natur noch einen ungeahnten Ausweg. Niemand, auch Hr. Hensen nicht, hat bisher an den Bündelenden mit Sicherheit etwas Besonderes bemerkt. Selbst dann wäre noch viel zu thun um zu beweisen, dass die bemerkte Beson- derheit vom Wachsen der Bündel an ihren Enden herrühre, dass deshalb die Bündel dort verletzbarer seien, und dass dies die von mir der parelektronomischen Schicht Fügeschriebenen Erscheinungen erkläre. Es giebt, ohne jede Hanfhent längst eine handgreifliche 1) Arbeiten aus dem Kieler physiologischen Institut. 1868. Kiel 1869, S. 17. ® \ en a a Eu DT a rn a OR de en ©. Yang y Maut: AB HP UR oa ” 604 E. du Bois-Reymond: physiologische Thatsache, welche die Vermuthung besonderer Verletzbarkeit der Bündelenden meines Erachtens schlagend widerlegt. Es ist die, dass Gastroknemius und Triceps femoris!) unter gleichen Umständen sehr viel (bei 0° etwa zehnmal) länger als Gracilis und Semimembranosus die Trennung vom Organismus überleben. ?) Auf dem Unterschied in der Masse der Muskeln kann der Unterschied in der Dauer des Ueberlebens nicht beruhen. Die Massen des Gracilis, Semimembranosus, Gastroknemius und Tri- ceps verhalten sich zu einander etwa wie 1°00:1°12:1:31:1°75. Der Unterschied namentlich zwischen den Massen des Semi- membranosus und des Gastroknemius ist zu klein, um den Un- terschied in der Dauer des Ueberlebens zu erklären; auch leben Gracilis und Semimembranosus nicht länger, wenn man sie als | Einen Muskel präparirt. Der Unterschied kann auch nicht da- her rühren, dass man die regelmässigen Muskeln leicht beim Zurichten an den Enden verletzt (s. oben S. 592); denn ab- sichtlich viel schwerer verletzte Gastroknemien und Tricipites leben weit länger als auf das Sorgfältigste dargestellte regel- | mässige Muskeln. Er wird nicht dadurch herbeigeführt, dass wegen des Nerveneintrittes am Muskelkopfe den untersten Ga- stroknemiusbündeln eine längere Nervenstrecke erhalten bleibt, als den Bündeln der regelmässigen Muskeln. Denn in einer auf diesen Punkt gerichteten Untersuchung gelangte Hr. Munk zu dem merkwürdigen, noch nicht weiter aufgeklärten Ergeb- niss, dass Gastroknemien, denen ein langes Stück Nerv gelas- sen wird, früher sterben als solche, deren Nerv kurz ab- geschnitten ist.) Der einzige Unterschied zwischen den kurz- und langlebigen Muskeln, der hier in Betracht kom- men kann, ist, dass Gastroknemius und Triceps sehr viel kür- zere Fasern, dafür aber sehr viel grösseren Querschnitt haben 1) D. h. dessen innerster Kopf. Vergl. dieses Archiv, 1863, 8.613. 2) Aem. du Bois-Reymond, De Fibrae muscularis Reactione ut Chemieis visa est acida. Berolini MDCCCLIX. 4°. p. 15. Nota 2; — Monatsberichte u. s. w. 1867. S. 610. 3) Posner’s Allgemeine Medieinische Central-Zeitung. XXIX. Jahrgang. 28. Jan, 1860. 8. 57. \ or a Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 605 als Graeilis und Semimembranosus. Die Bündel des Gastro- knemius sind dreieinhalb- bis siebenmal kürzer als der Muskel selber,!) und da die Länge des Gastroknemius nur dreiviertel von der Länge der regelmässigen Muskeln beträgt, fünf- bis neunmal kürzer als diese Muskeln. Ginge am mechanisch un- versehrten Muskel der Tod von der Sehne aus, so müssten Gastroknemius und Triceps schneller sterben, als Gracilis und Semimembranosus. Wenn auch bei weitem die meisten Gastro- knemiusbündel nur mit einem Ende an freie Sehnenhaut, den Achillesspiegel, stossen, so müsste bei gleicher Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Vorgang des Absterbens die fünf- bis neunmal kürzeren Bündel von einem Ende aus doch in PN bis — der Zeit durchlaufen, die derselbe Vorgang von beiden Enden aus in den regelmässigen Muskeln dazu braucht. Es ist wohl im Gegentheil klar: eine Begrenzung, deren vergleichsweise grössere Ausdehnung an der Oberfläche des Muskels diesem längeres Ueberleben sichert, kann nicht für ihn die Todes- pforte, die Pars minoris resistentiae sein. Der Grund, weshalb die langfasrigen Muskeln kurzlebig, die kurzfasrigen langlebig sind, ist der, dass in ersteren alle Bündel vom Längsschnitt aus schädlichen Einflüssen schneller zugänglich sind, während das Innere der kurzfasrigen Muskeln, durch die derben Sehnenspie- gel gegen Verletzung vom Querschnitt aus geschützt, vom Längs- schnitt aus erst spät von den schädlichen Einflüssen erreicht wird. N Es fehlt somit nicht nur an jedem sicheren theoretischen Grunde, den Bündelenden besondere Verletzbarkeit zuzuschreiben, sondern diese Annahme ist auch im unmittelbaren Widerspruch mit Thatsachen. Hr. Hermann dürfte also auch nicht be- haupten, dass der durch Nebenschliessung sichtbar gemachte Kniespiegelstrom nur von den oberflächlichen Bündeln herrühre. Dann aber präexistiren die elektrischen Gegensätze an dem in der Tiefe des Muskels jedem schädlichen Einfluss entzogenen Kniespiegel. Es wäre übrig, vom gegenwärtigen Stand unserer Kennt- 1) Dieses Archiv, 1863, S. 531. 606 E. du Bois-Reymond: niss aus, die verschiedenen Erscheinungsweisen des Gastro- knemiusstromes in der Parelektronomie genauer auf ihre Ursa- chen zurückzuführen. Dies ist jetzt darum schwierig, weil der Möglichkeiten, zwischen denen zu entscheiden wäre, so viele wurden. Ich habe daher auch nur Muthmaassungen hier mitzu- theilen. Sinkt die Kraft beider Spiegel in gleichem Maasse, so muss die vorhandene, auf- oder absteigende Resultante in dem- selben Maass abnehmen. Wenn Aufenthalt der lebenden Thiere in der Kälte die Kraft des natürlichen Querschnittes vermin- dert, ergiebt sich also daraus keine absteigende Wirkung des Muskels, sondern um diese zu erklären ist anzunehmen ent- weder, dass der Achillesspiegel mehr als der Kniespiegel durch Kälte leide, oder dass seine Kraft sich umkehre, oder endlich dass die Kraft beider Spiegel sich umkehre, der Achillesspie- gel aber die Oberhand habe. Ich sah ziemlich oft, dass die schwach aufsteigende Kraft stark parelektronomischer Gastro- knemien, welche zwischen den Zuleitungsgefässen im Kreise der Bussole sich befanden, noch weiter sank, ja sich umkehrte (vgl. oben S. 598. 599). Man braucht dabei nicht in allen Fällen an sinkende Kraft des Achillesspiegels, oder wachsende Kraft des Kniespiegels zu denken. Die Erscheinung erklärt sich viel- leicht auch einfach daraus, dass die Muskeln kalt aufgelegt wurden, und ihr Widerstand mit der Erwärmung sank. Ge- schieht dies überall gleichmässig, so kann die Folge nur Ver- stärkung der vorhandenen Resultante sein. Bei der nach der Achillessehne zu verjüngten Gestalt des Muskels ist aber denk- bar, dass durch die schnellere Erwärmung der unteren Muskel- hälfte die Nebenschliessung für den Achillesspiegelstrom schnel- ler wuchs als die für den Kniespiegelstrom, und so dieser be- günstigt wurde. Kürzehalber habe ich in dieser Abhandlung meist nur den Gastroknemius genannt. Dieselben Erfolge lassen sich aber am Triceps erhalten, der bekanntlich in der Hauptsache dem Gastroknemius ähnlich gebaut ist. Auch hier bewirken Milchsäurescheibehen um so grössere Zuwachse in aufsteigen- dem Sinne, je tiefer sie angelegt werden. Auch hier kehrt sich un Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen u. s. w. 607 der aufsteigende Strom um, wenn der Muskel in Thon gehüllt wird, ja noch leichter als am Gastroknemius, z. B.: Triceps frei + 154 Cgr.; in Thon — 63; Inn. 100; a = 1165 USA ERUE Daher auch alle am Triceps angestellten, auf Präexistenz des Muskelstromes bezüglichen Versuche, Nichts bedeuten. 608 E. du Bois-Reymond: Anleitung zum Gebrauch des runden Compen- sators. Von E. pu Bois-REYMonD.!) tungen und Versuchsweisen zu elektrophysiologischen Zwecken. Aus den Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Ber- lin 1862. Berlin 1863. 4. S. 107—119; — Derselbe, Ueber das Gesetz 1) Vergl.E. du Bois-Reymond, Beschreibung einiger Vorrich- ü % Anleitung zum Gebrauch des runden Compensators. 609 Obige Figur zeigt schematisch den Compensator, und die Art ihn zu gebrauchen. K, ist die Maasskette (ein Grove oder Daniell) mit der elektromotorischen Kraft E, B, eine Bus- sole, NS der Platindraht des Compensators (Nebenschliess- draht), r das Platinröllchen des Instrumentes, @, @, ein Strom- wender, etwa ein Pohl’scher Gyrotrop, B, eine zweite Bussole, endlich X, ein wirksam aufliegender Muskel, an dessen Stelle man auch eine beliebige zweite, beständige oder unbeständige Kette sich denken kann, deren elektromotorische Kraft y ge- messen, d. h, als Bruchtheil der Kraft E der Maasskette bestimmt werden soll. U,, U, sind Unterbrechungsstellen der Kreise, wo Schlüssel sich befinden. Die Strecke ONU,B,K, (p oder 3) S heisst der Maass- kettenkreis, ihr Widerstand W; die Strecke 0G@,B,K,U, Gyr der Messkreis, ihr Widerstand M; Die Strecke Or die Ne- benleitung, ihr Widerstand A; endlich der Widerstand des Nebenschliessdrahtes von 0 bis $ gemessen heisst L. Der Stromwender ertheilt dem Maasskettenstromzweig im Messkreise die entgegengesetzte Richtung vom Strome der Kette K,. Indem man durch Verschieben des Röllchens r am Neben- schliessdraht in der Richtung von 0 nach S die Nebenleitung verlängert, verstärkt man den Maasskettenstromzweig im Mess- des Muskelstromes u. s. w. In diesem Archiv u. s. w. 1863. S. 27. Anm.; — Derselbe, Ueber die elektromotorische Kraft der Nerven und Muskeln. Ebenda. 1867. S. 419—429. — S. auch Wiedemann, Die Lehre vom Galvanismus und Elektromagnetismus. Bd. II. Braun- schweig 1863. S. 1068—1069; — 2. Aufl. 1862. Bd. I. $. 240. 240b. — Ich bin schriftlich und mündlich so oft ersucht worden, nähere Aufklärung über Theorie und Gebrauch des in Rede stehenden, für thierisch-elektrische Versuche unentbehrlichen Instrumentes zu geben, dass ich es für gerechtfertigt halte, wenn ich an dieser Stelle ein für allemal und öffentlich diesem Wunsch entspreche, obschon in der Natur der Sache liegt, dass einiges früher in diesem Archiv Gesagte wieder- holt wird. Das Instrument in der Form, wie es hier gedacht ist, wird von den HH. Krüger und Hirschmann in Berlin, Simeonstr. 20., gegenwärtig für 40 Thlr. geliefert, und unterscheidet sich von dem früher beschriebenen dadurch, dass der Stöpselumschalter aus dem Maasskettenkreis entfernt, und eine Vorkehrung getroffen ist, welche unmittelbare Bestimmung der Graduationsconstanten gestattet. Reichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 39 610 E. du Bois-Reymond: = kreise. Man kann ihm so jede Stärke zwischen Null und der Stärke geben, die er vermöge der sonstigen Beschaffenheit der Vorrichtung erreicht, wenn r bei S steht. Wenn diese Grenz- stärke die Stärke des Stromes von X, im Messkreis übertrifft, kann man also durch Verschieben des Röllchens eine Stellung finden, bei der beide Stärken gleich sind, und Bussole B, die Stromstärke Null angiebt. Nach dem Bosscha’schen Satze!) ist ein Zweig einer Leitung, in welchem kein Strom kreist, mit den etwa darin wirksamen elektromotorischen Kräften, als nicht vorhanden an- zusehen. Im Falle des Gleichgewichtes ist also der Strom 7, in der Nebenleitung der nämliche, als wäre der Messkreis nicht vorhanden: E W-+L' Nach dem die geschlossenen Figuren betreffenden Kirchhoff- schen Satze?) hat man Nulx M+I .-A=y, E w+ıt® Im Falle des Gleichgewichtes ist also die elektromotorische Kraft der Kette X, der Länge Or proportional, so dass diese unmittelbar ein Maass für jene giebt. Den Grund davon sieht man leicht ein. Da es im Falle des Gleichgewichtes gleichgültig ist, ob der Messkreis mit der Kraft y vorhanden ist oder nicht, so ist dem Nebenschliessdraht entlang das Gefälle des Elektricitäts-Potentials dasselbe, wie ohne den angehängten Messkreis, gleichviel wo r sich befinde. r wird aber, damit Gleichgewicht herrsche, um so weiter von 0 entfernt sein müssen, je grösser y, d.h. je grösser der Un- terschied der constanten Elektricitäts-Potentiale auf den Strecken des Messkreises beiderseits vom Sitze der Kraft y ist. In dieser den Elektrikern bisher entgangenen Eigenschaft unserer Anordnung liegt deren Ueberlegenheit über die ursprüng- I, also y=2,-\= 1) Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1858. Bd. CIV. 8. 460. 2) Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1845. Bd. LXIV, S. 513; — 1847. Bd. LXXI. S. 497. = VB Anleitung zum Gebrauch des runden Compensators. 611 liche Poggendorff’sche'), welche auch zum Messen elektro- motorischer Kräfte durch Compensiren dient. Bei der Pog- gendorff’schen Anordnung wird die Leitung nicht auf Kosten des Maasskettenkreises verlängert, sondern durch Einschaltung neuer Drahtstrecken. In Folge davon hängt y von A in ver- wickelterer Art ab, als in unserem Fall, und während unsere Methode die elektromotorische Kraft wie das Zeug an der Elle misst, findet die Poggendorff’sche Methode sie immer erst durch Rechnung. ; Da y linear mit X sich verändert, leidet die Bequemlich- keit der Messung kaum darunter, dass im Messkreise ausser y vielleicht noch andere elektromotorische Kräfte, z. B. Ungleich- artigkeiten einer stromzuführenden Vorrichtung, sich befinden. Sei die Summe dieser Kräfte =+., und es werde für sie das Gleichgewicht bei A,, dagegen für y+0 bei A erreicht. Man hatöd=1,-\,,y+d=],-A, folglichy=1,(AFA,). Um aber der Constanz von d ohne Umsetzen des Maasskettenstromzweiges im Messkreise sich versichern zu können, empfiehlt es sich, das obere Zeichen zu wählen. Schreibt man den Ausdruck für die zu messende Kraft [\ aa so sieht man, dass es nur der Kenntniss des Verhältnisses X: W+L bedarf, um y als Bruchtheil von E zu bestimmen. Ist der Nebenschliessdraht von 0 bis $ in N Theile ge- theilt, und wurde das Gleichgewicht im Messkreise beim nten Theilstrich erreicht, so hat man | er und folglich N N INTEemE 2 Um den Werth des constanten Nenners der rechten Seite zu kennen, handelt es sich also nur darum, W:_L zu bestimmen. Dazu beobachtet man an der Bussole 3, 1., indem man die 1) Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1841, Bd, LIV. S. 161. 39* 612 E. du Bois-Reymond: Verbindung ONU,B,KgO0 herstellt, die Stromstärke E I = w’ 2., bei offenem Messkreise, die Stromstärke E I,= WAL im Kreise ONU,B,K,pS$r0. Kann man an der Bussole die Ablenkungen J, J, unmittelbar den Stromstärken 7, 7, propor- tional setzen: aJ=1, aJ,=I,, so hat man das Verhältniss m dieser Ablenkungen, welches stets ein unächter Bruch ist, Der ächte Bruch en behält denselben Werth, so lange W und Z beständig bleiben, und braucht daher für jede Vorrich- tung nur einmal bestimmt zu werden, wofern stets die Maass- kette von gleicher Beschaffenheit ist und ihr Strom dem Neben- schliessdraht in gleicher Art zugeführt wird. Hat man bei Anwendung eines Daniells, dessen elektromo- torische Kraft D heisse, z. B. gefunden J=275- 2, J,=247:°9 Scalentheile, und ist N=1000, so hat man m-—1 Log [num (Log275°2- Log2479) —1] mN = um | _ (3 + Log275'2-Log247 9) E 0,0000991 1 oder Traanı Einem jeden Theilstriche des Nebenschliessdrabtes entspricht 3 ; ; 1 also unter diesen Umständen ein Unterschied von 10091’ und 10 seiner ganzen Länge von 0 bis 5 ein solcher von m D. Anleitung zum Gebrauch des runden Compensators. 613 Der Bruch en heisst nunmehr die Graduationsconstante der Vorrichtung. Bei Aenderung von m ändert sich die Graduationsconstante, und, insofern die Länge des Nebenschliessdrahtes gegeben ist, der durch den Bruch m m—1 an am bestimmte Umfang der Theilung. Man kann aber m leicht jeden gewünschten Werth >1 dadurch ertheilen, dass man W pas- send verändert, d. h. die Zuleitungsdrähte der Kette nach Be- dürfniss verlängert oder verkürzt. Hiervon macht man doppel- ten Gebrauch. Erstens nämlich ist vortheilhaft, dass die Gra- duationsconstante, mit der man fortwährend zu rechnen hat, einen möglichst a Werth habe. Z. B. damit sie im obigen Falle statt —_. genau 0,0001 D werde, ist nur nöthig, 275-2 10 OR: ie dass m, statt = 947-9 etwas <—- 9, genau = 7 sei. Dies bewirkt man, indem man W zu « W verkleinert, wo der Üorrections- factor «<1 aus »W+L 10 am ge zu berechnen ist. Man findet a Zi = Mmu— 1 ’ und erkennt den Schluss der Operation daran, dass dasneue J=J & J a ward. In obigem Falle wäre für die Graduationsconstante 0 - 0001 der Correctionsfactor «=0-9911; J, müsste = 278 - 1 sein, woraus J,„=250- 2 = ‘ Natürlich kann man auch von vornherein sich vorsetzen, der Graduationsconstanten einen gewissen Werth, also z. B. 0.0001 Daniell zu ertheilen, und dazu wäre nur nöthig, W=9L zu machen. Bei der Schwierigkeit Widerstände abzumessen, wird aber in der Praxis der angegebene Weg der kürzeste sein, 614 E. du Bois-Reymond: die Messung am Apparate selber vorzunehmen, wo die Wider- stände gebraucht werden sollen. Ja es empfiehlt sich, nicht erst um den Correctionsfactor. « sich zu bemühen, sondern ohne I : Ber Weiteres W tastend zu verändern, bis ZTM den gewünschten ! Werth zeigt. Zweitens ist für gewisse Zwecke vortheilhaft, eine kleinere Graduationsconstante bei kleinerem Umfang der Theilung zu haben, für andere Zwecke, bei grösserer Constanten über grös- seren Umfang zu gebieten. Auch dies bewirkt man einfach, indem man in den Maasskettenkreis Drahtlängen einschaltet, be- ziehlich sie daraus entfernt. Am besten hat man kleine Rollen vorräthig, deren Einschaltung bei sonst unveränderter Anord- nung der Graduationsconstante bestimmte Werthe ertheilt, die in einem einfachen Verhältniss zu einander stehen. Bei dieser Abhängigkeit der Graduationsconstanten von W ist natürlich umgekehrt die grösste Sorgfalt darauf zu verwen- den, dass im Laufe der nämlichen Versuchsreihe W constant sei. Die Veränderung von W durch Veränderung des inneren Widerstandes der Kette, wie auch durch Erwärmung der Drähte (welche letztere auch auf Z sich erstreckt), ist nicht zu ver- meiden und, fällt bei jedem Verfahren zur Bestimmung der Constanten voltaischer Kreise ebenso in’s Gewicht.') Dagegen ergiebt sich hier die Vorschrift, den Stromwender, dessen man bedarf, um dem Maasskettenstromzweig im Mess- kreise geeignete Richtung zu geben, in den Messkreis selber zu verlegen. Des letzteren Widerstand M fällt nämlich aus dem Ausdruck für y heraus, weil im Falle des Gleichgewichtes kein Strom im Messkreise fliesst. Daher auch die Widerstands- schwankungen an der veränderlichen Berührungsstelle r un- schädlich sind. Bei keinem Stromwender aber ist auf ganz gleichen Widerstand in beiden Stellungen zu rechnen, ja der Bau des Pohl’schen Gyrotropes bedingt sogar einen Unter- schied des Widerstandes in beiden Lagen der Wippe. 1) Vergl. über die Art, die Erwärmung so unschädlich wie mög- lich zu machen, die letzte der drei oben 8.607. Anm. 1 angeführten Stellen, S. 427. Anleitung zum Gebrauch des runden Compensators. 615 Aus derselben Rücksicht muss Schliessen und Oeffnen des Maasskettenkreises bei 7/, mittels eines dicken, wohl verquick- ten Kupferdrahtes in Quecksilber (eines Quecksilberschlüs- sels) geschehen, nicht mittels des gewöhnlichen Schlüssels, dessen Widerstand nicht beständig genug ist.') Als Bussole empfiehlt sich beim Arbeiten mit dem Com- pensator ganz besonders die Wiedemann’sche Spiegelbussole wegen der Möglichkeit, nach Belieben verschiedene Rollen aus passenden Entfernungen auf den Spiegel wirken zu lassen. An Stelle von ZB, und B, in unserer Figur treten dann zwei Rol- len R, und A,, welche man abwechselnd in Gebrauch zieht. R, dient zur Messung von J und J,, R, zur Beobachtung des Stromgleichgewichtes im Messkreise. Wird R, gebraucht, so steht der Messkreis bei U, offen; ist A, an der Reihe, so wird R, von der Bussole soweit entfernt, dass $, nicht mehr merk- lich auf den Spiegel wirkt. Das Erkennen des Stromgleichge- wichtes im Messkreise wird sehr erleichtert durch Anwendung eines Spiegels, der schwingungslos oder dessen Bewegung ape- riodisch gemacht ist?), und einer horizontal in ihrer eigenen Ebene verschiebbaren, auf jeder Seite von Null aus getheilten Scale. °) | Rolle R, ist so zu wählen, dass sie bei genügender Wirkung auf den Spiegel möglichst kleinen Widerstand habe, damit J und J, hinreichend von einander sich unterscheiden. Rolle R, ist mit Rücksicht auf den wesentlichen Widerstand der Kette X, so zu wählen, dass sie bei eben gestörtem Gleichgewicht im Messkreise, grösste Wirkung giebt, d. h. nach bekannten Ge- setzen muss ihr Widerstand gleich dem Widerstande sämmtli- cher im Zustande des Gleichgewichtes zwischen den Enden der Rolle befindlichen Leitungen sein. Ist die Kette X, ein Muskel (wie in der Figur) oder ein Nerv, so wird R, am besten die Beschaffenheit haben, die man dem Gewinde einer für thierisch- elektrische Ströme bestimmten Bussole giebt. 1) Vergl. Beschreibung einiger Vorrichtungen u. s. w. S. 103. 2) E.duBois-Reymond, Monatsberichte der Berliner Akademie. 1869. S. 807; — 1870. S. 537. 3) Beschreibung einiger Vorrichtungen u. s. w. A. a. 0. S.103- 616 E. du Bois-Reymond: Am Compensator ist der Imm. dicke und etwa 37 .5 mm. lange Nebenschliessdraht aus Platin um den Umfang einer kreis- runden Scheibe aus Kammmasse gespannt, und bewegt sich bei Drehung der Scheibe am Röllchen r hin, dessen Axe feststeht. Diese von Hrn. Halske ersonnene Einrichtung hat vor der zuerst sich darbietenden, bei der das Röllchen einem gerade ‚ausgespannten Draht entlang sich verschiebt, den Vortheil, dass die Hand, welche die Verschiebung vornimmt, an derselben Stelle und auch der Ort- der Ablesung der nämliche bleibt. Anstatt dem Draht entlang suchen zu müssen, wo das Röllchen steht, braucht das Auge nur zwischen Ocular des Fernrohres und Lupe des Compensators hin und her zu gehen. Nachdem der Compensator solchen festen Stand erhielt, dass dies leicht geschieht, werden zwischen den Klemmschrau- ben /und // die Maasskette, die Rolle ?, und der Quecksilber- schlüssel angebracht. Die Klemmschrauben Z//I und IV wer- den zunächst mit der Wippe eines Stromwenders verbunden, jenseit dessen der Schlüssel U,, die Kette von zu bestimmender Kraft und Rolle A, sich befinden. Von Z, II, III und IV ge- hen Leitungen zu entsprechenden Zahlen am Instrumente. III entspricht dem Röllchen r, /V dem Punkte 0, / dem Punkt S oder vielmehr dem noch zu erwähnenden Punkte 3, endlich II dem Punkt N des Schema’s. Die Scheibe des Compensators trägt eine nicht in Grade, sondern in 1000 Theile (Compensatorgrade, Cgr) getheilte Thei- lung; der Nullpunkt dieser Theilung soll dem in der Figur mit 0, der tausendste Theilstrich dem dort mit S bezeichneten Punkt entsprechen. Demgemäss geht beim Theilstrich O0 der Platindraht über eine Platinschneide, beim tausendsten Strich tritt er auf eine Kupfermasse von verschwindendem Widerstand, und der Winkelabstand beider Punkte ist möglichst gleich ge- macht dem Winkelwerthe der tausend Compensatorgrade. Es handelt sich aber nun darum, die Stellung des Röll- chens zu finden, welche dem Punkte 0 entspricht. Dies ge- schieht mit grosser Schärfe vermöge des Umstandes, dass man dem Röllchen über die Schneide bei 0 hinaus die in der Figur punktirte Stellung geben kann. Dabei ist die Richtung des E Anleitung zum Gebrauch des runden Compensators. 617 Maasskettenstromzweiges im Messkreise die entgegengesetzte von dem bei der Stellung des Röllchens zwischen 0 und S. Indem man in den Maasskettenkreis eine kräftige Kette einführt, dem Messkreise, in welchem keine elektromotorische Kraft thätig sein darf, möglichst kleinen Widerstand und der Bussole im Messkreise möglichst grosse Empfindlichkeit giebt, kann man sehr genau den Punkt finden, wo der Strom seine Richtung ändert. Man hat vorher die Schraube, welche den festen Zei- ger über dem Röllchen fixirt, mittels eines Stellstiftes so weit gelöst, dass der Zeiger mit sanfter Reibung sich verschiebt. Jetzt rückt man ihn seitlich bis der Strich darauf mit dem Nullstrich zusammenfällt, und zieht die Schraube wieder an. Ist die Aufstellung des Instrumentes so weit gediehen, so kann es schon dazu dienen, das Verhältniss elektromotorischer Kräfte, die in seinem Bereiche liegen, zu bestimmen. Um die Graduationsconstante der Vorrichtung zu finden, ist es nun aber noch nöthig, den Maasskettenkreis abwechselnd mit Aus- schluss und mit Einschluss der Strecke des Nebenschliessdrah- tes von O bis S zu schliessen. Es muss also das in der Fi- gur an ‚S stossende Ende des Maasskettenkreises mit 0 verbun- den, oder X,pS in der Figur in die Lage Ä,g0 gebracht wer- den können. Natürlich liefe es auf dasselbe hinaus, wenn ein Punkt 3 des Maasskettenkreises (s. die Figur) durch eine Leitung von ver- schwindendem Widerstande (30 oder 3,$) abwechselnd mit 0 und S$ verbunden würde. Dazu dient der am Compensator be- findliche drehbare Kupferbügel. Die beiden Enden des Bügels sind an ihrer oberen ebenen Fläche mit Platin bekleidet, und können mittels starker Schrauben den an ihrer unteren ebenen Fläche gleichfalls mit Platin bekleideten Kupfermassen ange- drückt werden, von denen die rechts befindliche eine möglichst gute Leitung zum Punkte 0, die andere eine solche zum Punkt S vermittelt. . Indem man den Bügel zuerst nach rechts dreht, welche Stellung in der Figur punktirt ist, erhält man J, indem man ihn dann nach links dreht, J,. Beim nachmaligen Gebrauche des Instrumentes, falls man während dessen die Graduations- 618 E. du Bois-Reymond: Anleitung zum Gebrauch. u.S. W. constante nicht zu revidiren beabsichtigt, bleibt der Bügel in letzterer Stellung, welche in der Figur ausgezogen ist. Ist der Nullpunkt des Compensators einmal festgestellt, so bedarf es, um die Graduationsconstante zu kennen, wegen der Proportionalität der elektromotorischen Kräfte mit den Ab- ständen Or, nur noch der Kenntniss des Werthes eines einzigen Punktes der Theilung. Solche Bestimmung erlangt man ohne- J und J, zu messen, indem man X, durch eine Thermokette ersetzt, deren elektromotorische Kraft ein bekannter Bruchtheil der Kraft der Maasskette ist. Dass in grosser Nähe des Nullpunktes so wie des 1000- Cgr-Punktes die Messungen fehlerhaft werden, weil die Strö- mung uicht mehr senkrecht auf die Längenausdehnung des Drahtes geschieht, ist bekanntlich gleichfalls ein Fehler, den sämmtliche galvanische Messvorrichtungen mit der beschriebe- nen theilen. Excentricität der Scheibe ist gleichgültig, wenn nur Thei- lung und Draht concentrisch sind. Excentrieität des Röllchens bedingt periodische Schwankung des Werthes der Compensator- grade. IN Otto Müller: Ueber den feineren Bau der Zellwand u. s.w. 619 Ueber den feineren Bau der Zellwand der Bacillariaceen, insbesondere des Triceratium Favus Ehrbg. und der Pleurosigmen. Von OTTO MÜLLER. (Hierzu Taf. XV.) In neuerer Zeit sind über die Structur der Zellwandungen der Bacillariaceen zwei Arbeiten veröffentlicht worden, welche, so wenig Gemeinsames dieselben auch sonst mit einander haben mögen, doch insofern eine gewisse Analogie nicht verkennen lassen, als in beiden die Structur der Wandungen auf Form- emente von zelligem Aussehen zurückgeführt wird. I. H. L. Flögel gründet in seinem Aufsatz über die „Structur der Zellwand in der Gattung Pleurosig- ma“!) eine neue Lehre und sucht, gestützt auf gelungene Querschnitte, die Nothwendigkeit der Annahme eines Systems von Kammern zwischen einer Duplicatur der Membran zu er- weisen. Die Configuration der, senkrecht zur Richtung der Membranfläche stehenden, Kammerwände und die Projection derselben in der Flächenansicht, bedingen hiernach die Form der bekannten polygonalen Figuren der Pleurosigmen -Schalen. 1) Archiv f. Mikr. Anat. v. M. Schultze. Bd. VI. 1870. p.472ft. 620. Otto Müller: Professor A. Weiss erblickt in seiner Arbeit über den „Bau und die Natur der Diatomaceen“!) die Schalen der Bacillariaceen zusammengesetzt aus zahllosen minutiösen, aber scharf individualisirten Zellen von eigenthümlicher, für die Bacillariaceen im Allgemeinen charakteristischer, Bauart (pa- pilläre Ausstülpungen auf der gewölbten Aussenseite der Zel- lenembranen). Dieser histologische Befund veranlasst A. Weiss zu den weitgehendsten Schlussfolgerungen physiologischer Natur. Auf diese letzteren hier einzugehen liegt nicht in der Ab- sicht, ich verweise vielmehr in dieser Beziehung lediglich auf die vortreffliche, ebenfalls in jüngster Zeit veröffentlichte, Mo- nographie des Dr. E. Pfitzer: „Bau und Entwickelung derBacillariaceen“?) deren Ausführungen im grellsten Wider- spruch mit den von Herrn A. Weiss aufgestellten Hypothesen stehen. Die vorliegende Arbeit bezieht sich vielmehr, soweit sie jene beiden Aufsätze berührt, ausschliesslich auf die ana- tomischen Grundlagen derselben; dabei werde ich bemüht sein, die Flögel’schen Untersuchungen, durch welche unsere Kenntniss vom Bau der in Rede stehenden Zellwandungen un- zweifelhaft sehr wesentlich gefördert wird, zum Theil zu be- stätigen, anderen Theils aber erheblich zu modificiren, die Weiss’schen Behauptungen indess, als auf missdeuteter Auf- fassung optischer Phaenomene beruhend, zu widerlegen. Der freundlichen Bereitwilligkeit des Herrn Flögel ver- danke ich eine genauere Kenntniss der Querschnittspräparate, welche seiner Arbeit zur Grundlage gedient haben. Die mikroskopischen Bilder dieser interessanten Praeparate scheinen in der That im ersten Augenblick der von Flögel gegebenen Deutung zu entsprechen. — Entgegen der Mitthei- lung Flögel’s bemerke ich aber, dass die Bilder der Flens- burger Pleurosigmen sich von denen der Französischen nicht unterscheiden; auch die Flensburger lassen durch Wände von einander getrennte Abtheilungen recht wohl erkennen, wenngleich hier die Dimensionen geringer sind. 1y Sitzber, d. 'k. Akad. di’ Wissenach. zu Wien SR 1. Abth. Febr. 1871. 2) Hanstein, J. Botanische Abhandlungen. Heft II. Bonn 1871, Ueber den feineren Bau der Zellwand der Bacillariaceen, u. s. w. 621 Eine genauere Betrachtung zeigt indess, dass die Flögel- schen Abbildungen das mikroskopische Bild nicht richtig wie- dergeben. In den Flögel’schen Zeichnungen ist der Durch- messer der die einzelnen Abtheilungen scheidenden Wände viel zu stark dargestellt, während die an den Enden derselben auftretenden, stark lichtbrechenden wulstigen Verdickungen, welche, perlschnurartig aneinander gereiht, die äussere und innere Fläche der Membran bilden, nicht den entsprechenden Ausdruck gefunden haben. Auch sind die Begrenzungen dieser Verdiekungen, und somitstellenweise das Lumen der Abtheilungen, keineswegs so scharf contourirt, wie die Flögel’schen Zeich- nungen erwarten lassen; man empfängt daher vom mikrosko- pischen Bilde nicht den überzeugenden Eindruck von geschlos- senen Hohlräumen oder Kammern, Fig. 1. zeigt das Querschnittsbild von Pleurosigma Scalprum (?), welches dem von Pleurosigma angulatum und balticum ganz entspricht, nur die Dimensionen sind verhältnissmässig grösser. a. Aussenseite, d. Innenseite der das Zelllumen begrenzenden Wand einer Zellhälfte; bei e setzt sich das Gürtelband an; c wulstige Verdickung der Scheidewände; d Hohlräume. Wenn schon die mikroskopischen Bilder Zweifel hinsicht- lich der Richtigkeit der Flögel’schen Auffassung zuliessen, so sind die Ergebnisse meiner bereits seit längerer Zeit an- gestellten Versuche der Ueberfluthung der Schalen mit stark brechenden Medien, mit der Annahme eines Systemes von Kammern oder abgeschlossenen Hohlräumen, nicht unmittelbar in Einklang zu bringen. Diese Versuche, über welche ich in der zweiten Abthei- lung der „Sculptur der Diatomaceen *!) ausführlicher zu be- richten gedenke, bezweckten im Wesentlichen eine vergleichende Untersuchung der Schalen zuerst in Luft und unmittelbar darauf in Medien, deren Wahl vorzugsweise mit Rücksicht auf das Brechungsvermögen der Membransubstanz erfolgte. Es richtete sich bei diesen Versuchen das Augenmerk sowohl auf 1) Fritsch, G. u. OÖ. Müller, die Sculptur und die feineren Structurverhaltnisse der Diatomaceen. Abth. 1. Berlin. 622 Otto Müller: die Gestaltung der Brechungsverhältnisse vor und nach der Ueberfluthung, als auf die eigenthümliche Art der Verbrei- tung des Mediums auf der Oberfläche der Schale im Augen- blicke der Ueberfluthung. !) Es stellte sich u. a. hierbei die Thatsache heraus, dass in allen den Fällen deren Beobachtung nicht durch allzu geringe Grösse der Formelemente unmöglich gemacht oder durch Er- scheinungen anderer Natur modifieirt wird, nach der Ueber- fluthung mit Medien, deren Brechungsvermögen grösser ist als das der Schalensubstanz, eine absolute Umkehrung der ursprünglichen optischen Wirkung des Objects mit vollkom- menster Sicherheit nachzuweisen ist. Ein System von Kammern mit ebenen oder schwach wel- ligen Grenzflächen nach oben und unten abgeschlossen, wie es Flögel beschreibt, könnte vor und nach der Ueberfluthung die Brechungsverhältnisse nicht verändern. Die Ueberfluthung würde hier etwa wie ein Deckglas wirken müssen, das Bild veränderte seine Lage in verticaler Richtung, die Hohlräume müssten aber nach wie vor virtuelle Bilder der Lichtquelle erzeugen. Sind nun aber Hohlräume vorhanden, deren Lumina nach Erfüllung mit dem stärker brechenden Medium reelle Bilder der Lichtquelle erzeugen, während sie zuerst, bei Einschluss eines weniger dichten Mediums als das der Substanz ihrer empfohlen; unabhängig. hiervon habe auch ich dieses Oel bei meinen Ver- suchen verwendet und kann dasselbe als stark brechendes Medium gleichfalls empfehlen ; besser noch hat sich mir das Cassiaöl bewährt. Ausserdem benutzte ich Fenchelöl, Canadabalsam, auch als Lö- sung in Cloroform, und die wässrige Carbolsäure. Eins der vor- züglichsten Hilfsmittel für diese Versuche ist indess der Schwefel- kohlenstoff, sowohl wegen seines hohen Brechungsecoeffieienten, als auch wegen seiner Flüchtigkeit. Man beobachtet bei Verwen- dung dieser Flüssigkeit die Ueberfluthung und unmittelbar darauf die Abdunstung des Mediums und hat den Vortheil, dass man dasselbe Praeparat wiederholt zur Beobachtung benutzen kann, ein Vortheil, der nicht hoch genug anzuschlagen ist, wenn nur ein geringes Mate- rial zu Gebote steht. Wegen der Gefahr für die Öbjeetive, ist indess bei der Anwendung grosse Vorsicht anzurathen. Be an u Arie une 7 Tai if... > u Rn 12 r > Ueber den feineren Bau der Zellwand der Bacillariaceen, u.s.w. 623 Wandungen, zerstreuend auf den einfallenden Lichtkegel wirk- ten, so ist ohne Weiteres klar, dass Wege vorausgesetzt wer- den müssen auf denen das stärker brechende Medium in den Hohlraum gelangen kann. Die Versuche erweisen ferner, dass bei genügender Quantität der Zusatzffüssigkeit, selbst Flüssig- keiten von der Consistenz des Balsams und der Oele, in sehr kurzer Zeit die Schale füllen; so wird z. B. eine Frustel von Pleurosigma balticum im Zeitraume von weniger als einer Secunde durchzogen und zwar erfolgt hier die Füllung in der Regel reihenweise, parallel der Richtung der Rhaphe. Es muss daher vorausgesetzt werden, dass entweder jeder der kleinen Hohlräume eine Oeffnung nach aussen besitzt, oder aber dass jede Reihe mit einer freien Oeffnung endet und mindestens die Hohlräume derselben Reihe mit einan- der communieiren. Der Umstand, dass selbst dickflüssige Medien so leicht eindringen, lässt die weitere Voraussetzung nöthig erscheinen, dass die Oeffnungen, beziehungsweise die Communicationswege, relativ gross uud daher anatomisch nach- weisbar sein müssen. Anastomosen der Hohlräume unter einander sind nun aber mit unseren optischen Hilfsmitteln durchaus nicht zu erkennen. Würde auch der Einwand erhoben, dass die Unvoll- kommenheit unserer Instrumente diese Wege zur Zeit unserer Erkenntniss entzöge, so bliebe immer die Frage offen, auf welche Weise die Luft aus diesen, alsdann vorhandenen aus- serordentlich engen, Canälen, deren Lumen sich obenein in F seinem Verlaufe regelmässig bis zum fast völligen Abschluss verengt, ausgetrieben werden sollte? es liesse sich nicht abse- hen, dass auch nur eine Schale unter Ausschluss eines jeden Residuum von Luft ohne die Wirkung der Luftpumpe gefüllt werden könnte; und doch ist es die Regel dass die Schale ganz gefüllt wird und nur ausnahmsweise und stellenweise verbleiben Luftblasen, wie das ein jedes Balsampräpat zur _ Genüge documentirt. Pr Wird durch die constatirte Umkehr der Brechungsverhält- nisse schon nahe gelegt, dass es sich hier vorzüglich um Ober- flächensculptur handelt, so erhält diese Annahme eine 624 Otto Müller: weitere wesentliche Stütze durch den Umstand, dass die Rich- tung in der die Füllung erfolgt, bei derselben Art constant, bei verschiedenen Arten aber eine verschiedene ist. Es lässt sich daher schliessen, dass den Flüssigkeiten der Weg durch Reliefverhältnisse vorgeschrieben und in Fällen, in denen Hohlräume nachweisbar sind, deren Füllung durch Oeff- nungen nach aussen bewirkt wird. Dass nun aber auch bei den Pleurosigmen eine Um- kehrung der Brechungsverhältnisse stattfindet, sobald die Schale aus Luft in ein stär!:er brechendes Medium, z. B. Schwefel- kohlenstoff gelangt, ist an den Einstellungen und den dabei erfolgenden Umsetzungen der Bilder nachzuweisen. Durch M. Schultze ist bekannt, dass bei Verschiebung der Einstellungsebene in verticaler Richtung, von Pleurosigma angulatum fünf verschiedene Bilder erscheinen; Flögel be- schreibt sogar deren sechs. Ich vermag mit Sicherheit nur die von M. Schultze gesehenen fünf Bilder zu unterscheiden. Unter der Voraussetzung dass die Schale von Luft umgeben ist, erscheinen die Bilder, von oben nach unten gerechnet, in folgender Ordnung: 1) Contouren dunkel (graubraun), Lumen hell, (silbergrau), nebelhaft. 2) Contouren hell (graublau), Lumen dunkel (röthlich braun), scharf. | 3) Contouren dunkel (hellbraun), Lumen hell (graublau und glänzend), scharf. 4) Contouren hell (silbergrau), Lumen dunkel (röthlich braun), noch ziemlich scharf. 5) Contouren dunkel (graubraun), Lumen hell (silbergrau), nebelhaft. Nach der Ueberfluthung sind die verschiedenen Bilder schwieriger zu beobachten, doch erkennt man bei sorgfältiger Handhabung der Mikrometerschraube, dass die Umsetzung der Bilder in entgegengesetzter Ordnung erfolgt, also: 1) Contouren hell, Lumen dunkel, nebelhaft. 2) Contouren dunkel, Lumen hell, scharf. 3) Contouren hell, Lumen dunkel, scharf. A Ueber den feineren Bau der Zellwand der Bacillariaceen, etc. 695 4) Contouren dunkel, Lumen hell, weniger scharf, 5) Contouren hell, Lumen dunkel, nebelhaft. Ich glaube indess darauf aufmerksam machen zu sollen, dass eine ganz ähnliche Umsetzung der Bilder auch ausser- halb des Mikroskopes, bei Betrachtung engmaschiger Gewebe oder deren Bilder mit unbewaffnetem Auge und zwar sowohl bei refleetirtem, als bei durchfallendem Lichte erfolgt. Betrachtet man z. B. eine bei geringer Vergrösserung auf- genommene Photographie von Triceratium Favus in der dem Auge entsprechenden Sehweite, so erscheinen die Lumina der Figuren hell, die Contouren dunkel. Nähert man bei unver- änderter Accommodation das Bild dem Auge, oder accom- modirt man bei unveränderter Stellung des Bildes das Auge auf eine unendliche Entfernung, so erfolgt sofort die Umsetzung des Bildes; es erscheinen die Lumina jetzt dunkel, die Con- touren hell, und zwar ist das Bild nicht weniger scharf begrenzt als das der Einstellungen Nr. 1, 4 und 5 von Pleurosigma. Auch erfolgt die Entwickelung der Umsetzungs-Bilder hier in derselben eigenthümlichen Weise wie im Mikroskop, von einer Ecke, etwa von den Stellen aus, die in Fig. 13 dunkel _ erscheinen. Es findet eine Verschiebung von links nach rechts \ statt. Ich glaube daher, dass die Bilder der Einstellungen Nr. 1, 4 und 5 ähnlichen Ursachen ihre Entstehung verdanken, wie _ die durch ungenügende Accommodation hervorgebrachten, wäh- rend ich die der Einstellungen 2 und 3, als die unmittelbare optische Wirkung der Reliefverhältnisse ansehe. Gestützt dürfte h diese Ansicht werden, durch das Erscheinen des eigenthümlichen Glanzes, der die dioptrischen Bilder der Lichtquelle auszu- zeichnen pflegt, worauf unten noch näher eingegangen werden wird. | Die Einstellungen Nr. 2 und 3 deuten nun aber entschie- den auf Vertiefungen oder Hohlräume; in Luft muss bei hoher - Einstellung die Vertiefung dunkel erscheinen, während sich bei tiefer das virtuelle Bild der Lichtquelle zeigt; nach der _ Veberflutlung erfolgt natürlich die umgekehrte Reaction, die hohe Einstellung ergiebt das reelle Bild der Lichtquelle, er- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 40 f x“ BR * 626 5 Otto Müller: zeugt von der nun mit dem stärker brechenden Medium ne füllten Vertiefung. | Die geringen Dimensionen der Pleurosigmen - Querschnitte und die damit verbundene Schwierigkeit der Beobachtung der- selben, welche durch die unbedingt nothwendige Anwendung der stärksten bisher construirten Immersionssysteme ehe ver- mehrt als vermindert wird, veranlassten mich nun zu dem Versuch, den wirklichen Structurverhältnissen auf Umwegen näher zu treten. Ich wählte als Untersuchungsobjeet Trice- ratium Favus Ehrbg. und gelangte dabei zu den folgenden Resultaten: | Triceratium Favus Ehrbg. Die Schalenansicht jeder der beiden Zellhälften eines Tri) _ ceratium Favus, Fig. 2, stellt ein gleichschenkliches Dreieck dar, dessen Mittelpartie « nach aussen gewölbt ist. Auch an \ der isolirten, auf der Fläche liegenden Schale, kann man daher’ durch die Einstellung leicht entscheiden, ob die innere oder. die äussere Fläche der Zellwand dem Beobachter zugekehrt‘ ist. An den drei Ecken erhebt sich, nach aussen und oben. gekrümmt, je ein eigenthümlich gebautes Horn b, dessen feinere- Struetur, sowie diejenige der äusserst complieirt gebauten Schalen-Kanten c, welche den Gürtelbändern als Ansatzstellen’ dienen, weiter unten erläutert werden wird. Die Schalenan- sicht zeigt die bekannten polygonalen, meist 6-, aber auch 5 und 7-seitigen Figuren e. 4 Lagert man die Schale der Art, dass die äussere Fläch dem Beobachter zugekehrt ist und liegt dieselbe in Luft, so bemerkt man die in Balsam oder anderen flüssigen Medien so klar“hervortretenden polygonalen Figuren fast gar nicht, falle, die Einstellung, von oben nach unten gerechnet, auf die äusser- ste Fläche gerichtet wird; man erkennt vielmehr ein weit maschiges Netzwerk, Fig. 3, mit kreisrunden, in der Grösse: variablen Oeffnungen a, ganz ähnlich den bei den Polycystine so häufig vorkommenden membranösen Kieselgerüsten; de Durchmesser der grösseren Oeffnungen beträgt etwa 5“, dex der begrenzenden Balken 5, etwa 2“. Auf den Balken dies Ueber den feineren Bau der Zellwand der Bacillariaceen, ete. 627 Maschenwerkes stehen, den Ecken der polygonalen Figuren in der Lage genau entsprechend, kleine, prominirende solide Dornen c, welche sich als solche durch ihre optische Reaction documentiren; dieselben sind häufig dichotom getheilt. Die tiefere Einstellung lässt nun die Begrenzungen d der polygonalen Figuren erscheinen, deren Gontouren genau die ‚Mittellinie der Balken einhalten; doch wird das Bild durch die Diffusionsbilder der Balken-Kanten und durch Reflexe an der ÖOber- und Unterfläche der Balken erheblich gestört, so dass diese Figuren auch jetzt nur andeutungsweise sichtbar sind. In der Zeichnung wurden diese störenden Eirffüsse selbstredend fortgelassen. Eine noch tiefere Einstellung endlich bewirkt das Erscheinen kleiner, runder, porenähnlicher Figuren, die indess unter diesen Umständen nur schwierig und vorzugs- weise im Inneren der Oeffnungen gesehen werden können. Wendet man die Schale um, so dass die innere Fläche nach aussen gekehrt wird, so bemerkt man zuerst, bei höchster Einstellung, eine zarte Membran als Träger dieser porenartigen Figuren, welche jetzt aber ungleich deutlicher sind und die ganze Fläche der Membran bedecken, Fig. 4. Unter derselben werden bereits die glänzenden aber verwaschenen Contouren der polygonalen Figuren sichtbar; die geringste Senkung des Tubus bewirkt aber deren deutliches Hervortreten. Die Anordnung der porenartigen Figuren innerhalb der Sechsecke besteht in Reihen, welche nach dem Schalen- rande zu schwach divergiren. Die Leitstrahlen der die Sechsecke füllenden Porenreihen divergiren aber ebenfalls vom _ Centrum der Schale nach dem Rande zu; es findet also eine doppelte Divergenz der Porenreihen Statt. Der Durchmesser der die polygonalen Figuren bildenden Linien beträgt etwa 0,6“. Senkt man den Tubus weiter, so erkennt man wiederum das erst beschriebene weitmaschige Netzwerk, dessen ‚Bild indess durch die Diffusionsbilder der darüber liegenden Structurelemente undeutlich ist. Ganz anders gestaltet sich das Bild, sobald man die Schale in Canadabalsam einschliesst, in welchem, eben wegen der ungleich grösseren Eleganz des Bildes, das Triceratium wohl 40° 628 Otto Müller: am häufigsten beobachtet worden ist. Es fallen alsdann, gleich- viel welche Fläche der Zellwand nach oben gekehrt ist, die äusserst scharf gezeichneten Contouren der polygonalen Figu- ren, durch bräunliche Färbung noch mehr hervorgehoben, in so hohem Grade in die Augen, dass man leicht veranlasst wird das Gerüst des oben beschriebenen Maschengewebes ganz zu übersehen, oder wenigstens nicht als ein solches anzusprechen. Man bekommt vielmehr den Eindruck von grübchenartigen Areolen, welche von schmalen leistenförmigen Protuberanzen umschlossen sind und dieser Eindruck erhält durch die opti- sche Reaction der leistenförmigen Protuberanzen und Areolen einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit, In der That war ich lange Zeit von der Richtigkeit dieser Deutung des Bildes überzeugt. — Indess, auch am Balsampräparat vermag man leicht nachzuweisen, dass die porenartigen Figuren der inne- ren, das Lumen der Zelle begrenzenden Schicht der Membran angehören, während die gröbere Sculptur nach aussen gele- gen ist. In Cassiaöl oder Schwefelkohlenstoff gewinnt das Bild mehr an Deutlichkeit. Betrachtet man die Schale von der Aussen- seite, so treten die eigentlichen Grenzcontouren des Maschen- werkes im Verhältniss zu denen der polygonalen Figuren schon deutlicher hervor als in Balsam, während bei Umwendung der Schale die porenartigen Figuren ausserordentlich scharf begrenzt gesehen werden, Fig. 4; ich kann keine geeigneteren Medien für die Sichtbarmachung, dieser letzteren empfehlen. Durch Druck und Reibung kann man leicht Fragmente der Schalen isoliren. Untersucht man solche Fragmente, so findet man bei denen, welche die Aussenseite nach oben kehren, das Maschengewebe häufig der Art zerbrochen, dass an den Bruchkanten Zacken freistehen, Fig. 2 /; Fig. 3 e. Die innere, zarte Schicht der Membran folgt dann dem Bruche des oberen Maschenwerkes nicht, sondern deren Bruchkante, Fig. 2 g, Fig. 3 f, wird entweder durch die Maschen des darüber gelegenen Netzwerkes sichtbar, oder aber dieselbe verläuft ausserhalb der Bruchkante jenes. Im ersteren Falle überragt also der Bruch des oberen Maschenwerkes seitlich den der an i z FREIE Ueber den feineren Bau der Zellwand der Baeillariaceen, etc. 629 unteren Schicht, im letzteren verhält es sich umgekehrt. Steht ein Stück der inneren Membranfläche seitlich hervor, oder ist das obere Maschenwerk stellenweise fortgebrochen, Fig. 3, so begegnet es nicht selten, dass man auf dem stehen gebliebenen Theil die Contouren g der polygonalen Figuren mit aller Deutlichkeit erblickt, während man dieselben jenseits der Bruchkante des oberen Maschenwerks nur unvollkommen wahr- nimmt, Fig. 3 d. Die Abbildung Fig. 3, von einem Fragment in Luft, ist eine Combination zweier Einstellungsbilder. Die Einstellung auf die Balken des oberen Maschenwerkes ist bezüglich der darunter gelegenen Wände eine hohe, mithin erscheinen diese als helle, glänzende Linien. Dieselben setzen sich in dunkele um, sobald die Fläche der inneren Membranschicht erreicht wird. Die Einstellung auf letztere ist gleichfalls eine hohe, wobei die porenartigen Figuren dunkel: erscheinen; bei weiterer Senkung des Tubus hellen sich dieselben auf. | Hin und wieder gelingt es ein Stück des oberen Maschen- werkes zu isoliren, so dass die untere Schicht der Membran völlig abgelöst ist. Es befinden sich an solchen Fragmenten in der Regel die Rudimente der, die polygonalen Figuren bil- denden, Wände. Häufig stehen auch die Dornen an dem Bruch _ der Balken frei. | Schon dieses Verhalten und die relativ bedeutende Sen- 2 kung des Tubus, welche nothwendig ist um von der Einstel- _ lungsebene des oberen Maschenwerkes auf diejenige der inneren Schicht der Membran zu gelangen, führt unabweisbar zu dem 3 Schluss, dass die beiden in Rede stehenden Flächen durch _ einen Raum getrennt sind und in dieser Trennung durch ein ' System hoher Netzleisten erhalten werden, deren auf der Flä- - chenansicht erscheinender optischer Querschnitt, eben jene _ Contouren der polygonalen Figuren darstellen. - © Dieser Schluss wird zur Gewissheit, sobald man den na- türlichen Querschnitt eines Fragments untersucht; es gelingt 2 dies auf folgende Weise. R Man befestigt das möglichst grosse Deckglas durch Bestrei- chen einer der Kanten mit einer dünnen Schicht Wachs auf n E Ä 630 Otto Müller: dem Objeetträger; die drei anderen Kanten bleiben frei, so dass das Deckgläschen leicht federt. Als Zusatzflüssigkeit be- nutzt man einen Tropfen Cassiaöl. Hat man ein geeignetes Fragment im Gesichtsfeld, — am Besten eignen sich möglichst schmale, d. h. nur eine, höchstens zwei Reihen polygonaler Figuren enthaltende, — so versucht man dasselbe mittelst der, durch Druck mit einer Präparirnadel entstehenden, Strömung zu wenden. Durch Uebung gelangt man darin zu grosser Fertigkeit, so dass man durch gelinden oder stärkeren Druck auf verschiedene Stellen des Deckgläschens, das Fragment in eine beliebige Lage zu bringen vermag. Man sucht nun das Fragment auf die Querschnitts-Kante zu stellen und diese Kante womöglich dem Deckglase zu adhäriren. In diesem Falle kann man das Fragment pendeln lassen, indem die ad- härirende Kante, der natürliche Querschnitt, als Aufhängefläche benutzt wird. Man hat hierbei den Vortheil, dass man die Bilder des natürlichen Querschnitts unmittelbar in Verbindung setzen kann mit denen, unter den verschiedensten Neigungswin- keln erscheinenden, der beiden Seitenflächen. Ich habe diese Methode der Untersuchung auch bei den stärksten Immersions- systemen, wie Gundlach IX, noch anwendbar gefunden; es ist selbstverständlich, dass hierbei die Mikrometerschraube nicht einen Augenblick aus der Hand gelassen werden darf. Das Querschnittsbild ist in Fig. 5 annähernd wiedergege- ben. Es erscheinen in der Richtung der Membranfläche scheinbar geschlossene, rechteckige Hohlräume «, deren Septa b scharf eontourirt und von demselben Durchmesser (0,6*) sind wie die, die polygonalen Figuren auf der Flächenansicht begrenzenden Linien. Auch der Abstand der Wände von ein- ander, also der Breitendurchmesser der Hohlräume, entspricht ‘ dem der polygonalen Figuren (0,6“); die Höhe, bei einem Frag- ment aus der Mitte der Schale gemessen, ist 4,7*. Nach der dem Zellraum zugewendeten Seite, sind diese Hohlräume durch eine continuirlich scharf contourirte Membran e abge- schlossen. Nach der Aussenseite zu sind dieselben scheinbar gleichfalls abgeschlossen, man bemerkt aber leicht, dass hier die Begrenzungen keineswegs gleichmässig scharf contourirt 8 E j Ueber den feineren Bau der Zellwand der Bacillariaceen, etc. 63] sind. An dem nach aussen gelegenen Ende des Querschnittes der Septa stehen zu beiden Seiten kleine, der Fläche der un- _ teren Membran - Schicht parallele Vorsprünge d, d, welche in unmittelbarer Nähe ihrer Anheftungsstellen scharfe Contouren zeigen, aber in geringer Entfernung von denselben nebelhafte Bilder geben. Es sind dies die Querschnittsbilder der Balken des Netzwerkes, welche im Breitendurchmesser e der Balken deutlich erscheinen, in der Breite / des Durchmessers der Oeffnung aber undeutlich, da sie hier von Theilen herrühren, welche ausserhalb der Einstellungsebene liegen. Zwischen den Septen erkennt man oft die verwaschenen Querschnitts- Bilder der ausserhalb der Einstellungsebene gelegenen anderen Netz- leisten des beobachteten Formelements. Die auf der äusseren Fläche des Maschenwerkes, über den Knotenpunkten der Netz- leisten stehenden Dornen erscheinen deutlich oder verwaschen, dunkle Zerstreuungsbilder 9 gebend, je nachdem man auf den Kanten-Querschnitt je drei zusammentreffender Netzleisten ein- gestellt hat oder nicht. So wird der scheinbare Abschluss dieser Hohlräume nach aussen nur veranlasst durch die Projection der ausserhalb der Einstellungsebene liegenden Theile des Querschnitts des äusse- ren Maschenwerkes; ein künstlicher Querschnitt, welcher durch das Lumen der Maschen geht, muss nach aussen geöffnet sein, schem. Fig. 11. Es besteht daher die Structur der Zellwand von Tricera- tium Favus aus einem, der Membran, Fig. 11 m, aufgesetzten System hoher Netzleisten n, welche polygonale, 5, 6 und 7sei- tige Räume umschliessen und an deren nach aussen belegenen freien Kanten, parallel der Richtung der Membranfläche, schmale membranöse Krempen o verlaufen, welche in der Flächenansicht den Eindruck eines Maschenwerkes gewähren. Die innere Membranfläche m ist mit porenartigen Figuren bedeckt, wäh- rend auf der äusseren Fläche des Maschenwerkes, an den Con- fluenzstellen der polygonalen Figuren solide, oft dichotom getheilte Dornen p stehen. Der Species-Name Favus konnte, wie ersicht- lich, von Ehrenberg nicht treffender gewählt werden, da in der That diese Hohlräume den Waben höchst ähnlich sind. 632 Otto Müller: In den Dreieckspitzen der Schalenansicht des Triceratium Fig. 2 d erhebt sich, nach aussen gewölbt, die Membran zu je einem glockenförmigen Horn Fig. 12 (schematischer Quer- schnitt), dessen Culminationspunkt -@ die Öonvexität b der Mittelpartie der Schale, um eine gewisse Grösse überragt. Der Basaltheil dieser Glocke geht in Richtung des Schalen-Centrums unmittelbar in die horizontale Fläche der Zellwand über, Fig. 6 a 5, während er mit den Seitenwänden und der Hinterwand, sich dem unten zu besprechenden Schalenrande anschliesst, Big. 7 gi. Das System der polygonalen Hohlräume zieht sich, unter Verminderung der absoluten Höhe der Netzleisten, bis fast zur Hälfte der glockenförmigen Erhebung des Horns hinauf und umschliesst dasselbe im Ringe. Die letzte, deutlich als solche erkennbare Reihe dieser Hohlräume geht dabei nach oben con- tinuirlich in die Membran des Horns über, Fig. 6 «, während nach unten der Hohlraum noch von einer niedrigen Leiste b begrenzt wird. Auf der Schalenansicht fällt in Folge dieses Verhaltens die doppelte Contour der Netzleisten der höchst gelegenen Räume, Fig. 2 h, nach dem Gipfel des Hornes zu fort. Bis zu dieser Grenze sind die porenartigen Figuren der inneren Membranschicht wahrzunehmen, oberhalb derselben verschwin- den dieselben. An manchen Stellen sind auch noch höher hinauf vereinzelte schüsselförmige Depressionen zu bemerken, welche jedoch nicht von völlig ausgebildeten Netzleisten um- schlossen werden, Fig. 6 A. Die Membran des Hornes verdickt sich von der letzten Reihe der polygonalen Hohlräume aufwärts mit seiner Erhebung, und erreicht an den Stellen ce, Fig. 6, welche im Inneren des Horns einen ringförmigen Wulst bilden, ihre grösseste Stärke. Bei d vermindert sich der Durchmesser der Membran wiede- rum, wodurch im Innern eine kopfförmige Ausbuchtung e ge- bildet wird, welche nach der Hinterwand des Horns zu geneigt ist; vergl auch Fig. 7 e, in welcher ein zweites Fragment eine geringe Drehung um eine horizontale Achse, mit der Kuppel nach aufwärts, erfahren hat. In Fig. 6 ist die Ein- stellung auf den optischen Querschnitt, in Fig. 7 auf die Aus- r „ de >- R h Ueber den feineren Bau der Zellwand der Bacillariaceen, ete. 633 senseite der unteren Randpartie gerichtet, durch die Lage des Fragments wird aber auch in dieser Figur der optische Quer- schnitt des Hornes getroffen, Die Aussenfläche des Hornes ist bis nahe dem Gipfel mit kleinen Buckeln oder Dornen, Fig. 6, 7 /, besetzt. Ob an der Stelle d, Fig. 6, eine Durchbrechung der Mem- bran, also eine freie Oeffnung nach aussen statuirt werden darf, will ich nieht mit Sicherheit entscheiden. An den beiden „in Fig. 6, 7 abgebildeten Fragmenten muss ich die Frage ver- neinen, während ich andere Fragmente beobachtet habe, welche während der Drehung und im optischen Querschnitt eine solche Oeffnung erkennen liessen. Ob hier eine Verletzung stattge- funden, oder ob in einem gewissen Entwickelungsstadium wirk- lich eine Oeffnung vorhanden, welche später überbrückt wird, muss die Entwickelungsgeschichte lehren; bei ähnlichen Ge- bilden der Eupodiscen ist das Vorhandensein freier Oeffnungen kaum zu bezweifeln. Fig. 3 zeigt den optischen Querschnitt eines isolirten Hornes von Eupodiscus Argus; an der Basis a cylindrisch, erweitert sich dasselbe nach oben 5 birnförmig und trägt im Centrum der oberen Wölbung, welche an dieser Stelle eine leichte Depression c zeigt, die Oeffnung d. — Leider war es mir bisher nicht vergönnt Triceratien und Eupodiscen lebend zu beobachten, um an den Bewegungserscheinungen diese wich- tige Frage weiter verfolgen zu können. An den Schalenkanten erfährt die Membran mit dem auf- gesetzten Netzleistensystem eine nahezu rechtwinklige Biegung nach unten, Fig. 11 (schematischer Querschnitt) «. Es wird dadurch ein Rand gebildet, welcher aus zwei übereinander gestellten Reihen polygonaler Hohlräume besteht. Die Hohlräume dieser Randpartie unterscheiden sich in Form und Grösse wesentlich von den bisher betrachteten. Die Begrenzungen der Hohlräume der oberen Reihe bilden umge- kehrte, sehr stumpfe Obelisken, mit zwei parallelen trapezoiden Seitenflächen g, Fig. 10, und zwei ähnlichen vieleckigen Grund- flächen, deren nach aussen gelegene grössere, die excentrische Oeffnung h umschliesst. Die verticalen Seitenflächen 5 sind zugleich Wände der äussersten Reihe der bisher besprochenen 634 Otto Müller: horizontal nebeneinander liegenden Hohlräume der Zellwand- fläche, und daher von derselben Höhe wie diese, während die horizontalen Seitenflächen c, zugleich Wände der unteren Hohl- raum-Reihe, nur etwa die halbe Höhe jener erreichen. In Folge dessen und der Neigung der Grundflächen beträgt die Höhe der Hohlräume beider Reihen der Randpartie etwa nur !/;, der Hohlräume der Zellwandfläche, Fig. 11 5 und c. Der Längendurchmesser der oberen Reihe der Hohlräume des Ran- des ist dem der Hohlräume der Zellwandfläche gleich, während der der unteren nur etwa ?/, bis °/, jener beträgt. Die untere Reihe besteht demnach aus relativ sehr kleinen 4 und öseitigen prismatischen Hohlräumen, deren nach aussen gelegene Seiten- fläche kreisförmige Oeffnungen i einschliessen. Die porenartigen Figuren bedecken die innere Membranschicht bis zum äusser- sten Rande auch dieser unteren Hohlraumreihe. Die der äussersten Reihe der Hohlräume der Zellwand- fläche und der oberen Reihe der Randpartie gemeinsam ange- hörenden Wände db, Fig. 10 und 11, erheben sich zu einem hohen, rings um die Schale laufenden Grat d, der ein wenig nach Innen geneigt ist und von grossen ovalen Oeffnungen e regelmässig durchbrochen wird. Die der oberen Reihe der Hohlräume des Randes zugehö- rige Krempe f, erleidet, der Riehtung der Grundfläche ent- sprechend, eine Biegung nach abwärts und wächst zu beträcht- licher Länge aus; die von den Krempen umschlossenen kreis- runden Oeffnungen h dieser Reihe, liegen daher excentrisch. Die angedeuteten Verhältnisse vermag man erst zu übersehen, wenn es gelingt ein Fragment der Randpartie in eine solche Lage zu bringen, dass dasselbe in der Richtung des Pfeils, Fig. 11, betrachtet wird, wobei das äussere weitmaschige Ge- webe der Hohlräume des Randes und die Fläche des Grats, nahezu in dieselbe Ebene fallen, welche mit der horizontalen einen Winkel von etwa 70—80° bildet. Ein in Cassiaöl entsprechend gelagertes Fragment ist in Fig. 9 möglichst getreu dargestellt, und dabei die hohe Ein- stellung auf die Aussenfläche des Randes, sowie eine etwas tiefere, gleichzeitig abgebildet worden. Die Buchstaben ent- Ueber den feineren Bau der Zellwand der Bacillariaceen, etc. 635 sprechen denen der schematischen Figuren 10 und 11. Man bemerkt unterhalb des äusseren Maschenwerks der beiden Hohlraum-Reihen des Randes, den natürlichen Querschnitt der Hohlräume der Zellwandfläche, welche mit der Ebene des Papiers einen Winkel von 70—80° bildet und deren Projeetion bei m zum Ausdruck gelangt, während n den optischen Quer- schnitt der Wände darstellt. Der Grat d ist, der Ziekzacklinie der unterhalb stehenden Wände entsprechend, wellig gebogen, so dass r dem Wellenberg, s dem Thale entspricht, ein Ver- hältniss, welches in der schematischen Fig. 10 ohne der Deut- lichkeit Eintrag zu thun, nicht wiedergegeben werden konnte. Häufig findet man an den Stellen s eine bis zur ovalen Oeffnung reichende Spalte, welche die benachbarten Grat-Elemente trennt, und wodurch diese ein hammerförmiges Aussehen erhalten. Die in Fig. 9 abgebildete Flächenansicht eines Fragments der Randpartie ist mit der in Fig. 10 dargestellten schematisch- perspectivischen Ansicht bis auf einen Punkt in Uebereinstim- mung zu bringen, welchen ich hier nicht unerwähnt lassen will. Die Septa g der Hohlräume der oberen Reihe des Ran- des erscheinen in der Flächenansicht Fig. 9 nur bis etwa ?]; ihres Laufes völlig scharf contourirt. In dieser Höhe werden sie durch minder scharf contourirte bogenförmige Linien o unter- einander verbunden. Es ist mir bisher noch nicht gelungen festzustellen, ob diese Linien dem Vorhandensein einer bogen- förmigen Querwand, welche dann den Wänden 5 Fig. 10 ent- sprechend in einem spitzen Winkel zu diesen verlaufen müsste, (in Fig. 11 durch punktirte Linien angedeutet), ihre Entstehung verdanken, oder ob es sich um eine Kante handelt, unterhalb welcher die Krempe / in steilerem Winkel abfällt. Es scheint, dass den dargestellten Structurverhältnissen auch von physiologischer Seite keine Bedenken entgegenstehen. Die Entstehung dieser complieirten Formen kann durch ein örtlich begrenztes centrifugales Diekenwachsthum der Membran, wie solches insbesondere bei den Sporen und Pollen beobachtet worden ist, ohne Zwang erklärt werden. !) 1) Hofmeister, physiol. Botanik Bd. I. pag. 185 ff. 188 ff, 636 Otto Müller: Es differenzirt sich eine äussere Lamelle der Membran bei der Anlage in Richtung der Fläche zunächst in dichtere und minder dichte Schichten; polygonale, minder dichte Stellen werden von streifenförmigen dichteren netzartig umschlossen; durch örtliche Verdickung wachsen die dichteren Stellen cen- trifugal in die Dieke. Es bilden sich leistenförmige Protube- ranzen, welche in der Richtung senkrecht zur Fläche immer mehr an Masse zunehmen. Gleichzeitig oder in einem gewissen Sta- dium der Bildung tritt an den freien Kanten des so ent- standenen Netzleistensystems ein Wachsthum in tangentialer Richtung auf, welchem das, von der Fläche gesehen, weit- maschige Netzwerk seine Entstehung verdankt. — Es wäre dies eine ähnliche Bildung wie z. B. die Ueberwölbung der spaltenförmigen Höhlungen in der Exine der reifen Pollenkörner der Gattung Mirabilis. Das Vorkommen getrennter, hammerförmiger Grat-Elemente scheint darauf hinzuweisen, dass der Grat durch Wucherung von Dornen gebildet wird. Findet an den diehotom getheilten Dornen ein Flächenwachsthum statt, so entsteht bald ein ham- merförmiges Rlement; durch weiteres Wachsthum in gleichem Sinne verschmelzen dann .die benachbarten Elemente, ovale Oeffnungen zwischen sich lassend. Ob die Entwickelung wirklich in der angedeuteten Weise vor sich geht, bleibt zunächst dahingestellt; es genügt vorläufig, dass ähnliche Structurverhältnisse in der That einen solchen Entwiekelungsgang einhalten. Vergleicht man diese Resultate mit den Bildern der Quer- schnitte von Pleurosigmen, so springt die grosse Aehnlichkeit sogleich in die Augen. Das einzige Bedenken, welches entgegensteht die bei Triceratium vorhandene Structur durch eine Schlussfolgerung der Analogie auch auf die Pleurosigmen zu übertragen, liegt in dem Umstande, dass die Enden des Querschnittes der Septa bei den Pleurosigmen beiderseits wulstig erscheinen und nicht nur, wie bei Triceratium, das nach aussen gelegene Ende. N Pr" ii Ber j . x Ueber den feineren Bau der Zellwand der Bacillariaceen, ete, 637 So erhält man in der Regel von einem in Balsam eingeschlos- senen Pleurosigmen -Querschnitt, bei Einstellung auf die Hohl- räume, das in Fig. 1 «@ dargestellte Bild, bei dem die innere Seite d, von der äusseren a, sich kaum unterscheidet. Es ist mir indess gelungen unter vielen Schnitten den in Fig. 1 d abgebildeten herauszufinden, bei welchem die knotigen Anschwellungen der Septen der Aussenfläche « stärker erschei- nen und in weiteren Abständen von einander standen, als die- jenigen der Innenfläche db. Dies ist besonders an der mit « bezeichneten Stelle des Schnittes der Fall, welche einem Tri- ceratiam-Querschnitt im hohen Grade ähnlich sieht. Zieht man die ausserordentlich geringen Dimensionen der Pleurosigmen- Querschnitte und das relativ ungünstige Definitionsvermögen der stärksten Immersionssysteme, welche hier allein zur Beob- achtung benutzt werden können, in Betracht, wodurch die Un- terscheidung von scharfen und minder scharf begrenzten Theilen einer Contour äusserst schwierig ist; erwägt man ferner, dass der Schnitt in den seltensten Fällen vollkommen senkrecht zur Membranfläche geführt und so dünn sein wird, dass er nur ein Element trifft, dass daher bei der geringsten Abweichung von der zur optischen Achse rechtwinkligen Lage, nothwendig eine Complication des Bildes durch tiefer und seitlich belegene Theile eintreten muss, zu deren Analyse unsere optischen Hülfsmittel nicht ausreichen — so werden keine wesentlichen Bedenken entgegenstehen die in Rede stehenden Structurver- hältnisse bei den Pleurosigmen und Triceratium Favus, als analoge anzusprechen. Es bleibt zu erwähnen, dass bei Pleurosigma balticum und denjenigen Arten der Gattung Pleurosigma, deren Zeichnung auf der Flächenansicht aus viereckigen Figuren besteht, die dem äusseren Maschengewebe aufgesetzten, über den Knoten- punkten der Netzleisten stehenden Knöpfehen von grossem Umfange sind und in der Richtung parallel der Rhaphe auf den Balken des Gewebes von Knopf zu Knopf ein etwas niedrigerer Sattel verläuft, Die Balken sind daher in dieser Richtung stärker verdickt als in der Richtung rechtwinklig zur Raphe und erklärt sich hieraus die Thatsache, dass dieses Maschen- 638 Otto Müller: werk, wie auch Flögel bereits erwähnt, in der Längsrichtung der Schale als Fasern isolirt werden kann; auch die Art der Verbreitung flüssiger Medien, wie sie oben angedeutet wurde, findet dadurch ihre vollständige Erklärung. Nach diesen Ausführungen kann ich mich bezüglich der von Herrn Professor Weiss behaupteten Structurverhältnisse kurz fassen. Herr Weiss will innerhalb der, von ihm als Zellen auf- gefassten, polygonalen Figuren des Triceratium, deutlich eine Anzahl concentrischer Schichten erkennen, die durch ihre ab- wechselnd röthlich und bläulich gefärbten Zonen ihren ver- schiedenen Wassergehalt ebenso deutlich documentiren, wie es z. B. bei den Schichten der Amylumkörner der Fall ist. Nach der beigegebenen Abbildung, sind diese Schichten nichts ande- res als die Grenzcontouren der Oeffnungen des nach aussen gelegenen Maschenwerkes, und der, bei einer gewissen Ein- stellung auftretende, diese Contouren innerhalb jeder Oeffnung oder schüsselförmigen, nach unten mit einer planen Fläche abgeschlossenen, Vertiefung begleitende Lichtkreis. Gerade dieser Lichtkreis ist das empfindlichste und untrüglichste ‘ Argument der richtigen Einstellung auf eine Oeffnung oder Vertiefung, sofern der Durchmesser derselben eine nicht allzu geringe Dimension besitzt. Ist das umgebende Medium stärker brechend als die Membransubstanz, so verschwindet dieser Lichtkreis bei der geringsten Senkung des Tubus aus dem Innern der Oeffnung und macht einem Halbschatten Platz, während er auf die Balken des begrenzenden Gewebes über- tritt. Bei der Hebung indess zieht er sich nach der Mitte der Oeffnung zusammen, und es erscheint bei fortgesetzter Hebung das glänzende, reelle Bild der Lichtquelle. Es scheint höchst wahrscheinlich, dass Herr Weiss diese, bei hoher Einstellung auftretenden, dioptrischen Bilder der Lichtquelle oder Blendung, für Papillen gehalten hat, da seine Abbildungen die vermeintlichen Papillen gerade an den Stellen u a A BAR N a Ueber den feineren Bau der Zellwand der Baeillariaceen, ete. 639 der polygonalen Figuren zeigen, an denen bei Triceratium und den Coseinodiscen diese Bilder erscheinen müssen, Um hierüber jeden Zweifel zu beheben, habe ich in Fig. 13 das Fragment eines fossilen Radiolers bei höchster Einstellung abgebildet, dessen Balkennetz mit dem äusseren Maschengewebe von Triceratium grosse Aehnlichkeit hat. Hier handelt es sich unzweifelhaft um einfache Oeffnungen, durch welche die Pseudopodien nach aussen dringen. Das optische Verhalten dieses Fragments unterscheidet sich in Nichts von dem eines Triceratium; man erblickt bei hoher Einstellung hier wie dort den zum dioptrischen Bilde der Blendung sich zusammen- ziehenden Lichtkreis, in der Mitte oder seitlich gelegen, je nach der Lage der Lichtquelle, welchen Weiss als Papille anspricht. Diese Papillen sollen häufig verlängert sein, oft mehr, oft weniger; so sollen bei Biddulphia rhombus zwischen Zellchen mit kurzen Papillen, solche mit längeren vorkommen, wo sie am Rande der Diatomee zu langen Anhängseln hervorwachsen. Herr Weiss scheint hier ebenfalls die optische Reaction der vermeintlichen Papillen ausser Betracht gelassen zu haben. In der Voraussetzung dass die Schale in Balsam oder Cassiaöl liest, ergeben diese längeren Papillen bei hoher Einstellung dunkele Zerstreuungskreise, bei Senkung des Tubus dagegen erscheinen sie hell und scharf contourirt. Verfolgt man die- selben bis zu ihrer Basis, so findet man den Ort derselben zwischen je 4, die Zeichnung der Schale ergebenden Figuren, keineswegs im Lumen derselben. Diese Papillen sind daher solide kleine Dornen, während die kurzen Papillen wiederum nichts anderes als die Bilder der Lichtquelle sind, welche im Lumen der Figuren erscheinen. Hr. Weiss behauptet ferner, dass die äussersten Zellhäute der Triceratium-Zellen zahlreiche Knötchen zeigen, die demnach gleichsam die Cuticula des unterliegenden Gewebes bezeichnen sollen. Hr. Weiss hat hiermit offenbar die porenartigen Fi- guren der inneren Membranschicht im Auge. Ich glaube im Gegentheil nachgewiesen zu haben, dass die als Knötchen angesprochenen Figuren, gerade der nach innen 640 Otto Muller: zu belegenen Schicht der Membran angehören und die optische. Reaction documentirt dieselben nicht als Knötchen, sondern als Poren oder Grübchen. Hiermit fällt die von Herrn Professor Weiss als Qutiecula des unterliegenden Gewebes beanspruchte Natur dieser ver- meintlichen Knötchen von selbst; eine cutieularisirte Schicht kann eben nicht dem Lumen der Zelle zugekehrt sein oder der Membran einer anderen Zelle unmittelbar anliegen. Dage- gen ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Sculptur-Differenzi- rungen der Bacillariaceen im Allgemeinen als Cuticular-Bil- dungen aufzufassen sind, worüber die Entwickelungsgeschichte und die chemische Analyse weitere Aufschlüsse geben muss. Sollten die dargestellten Structurverhältnisse von compe- tenten Forschern bestätigt werden können, so steht zu erwar- ten, dass die Sculptur der Baeillariaceen ganz allgemein sich ungleich complicirter herausstellen wird, als bisher angenom- men wurde, da eine Zunahme der Masse an den leistenförmigen Protuberanzen in den verschiedensten Richtungen auftreten kann; in der That zeigen sich zum Theil sehr ähnliche, zum Theil abweichende, höchst eigenthümliche Sculptur -Differenzi- rungen bei anderen Naviculaceen und Biddulphiaceen, den Eupodiscen und Melosireen, auf welche ich anderen Ortes näher einzugehen gedenke. Der Erforschung wird somit noch ein weites, schwierig zu erreichendes Ziel gesteckt sein. — Schliesslich erübrigt mir noch Hrn. J. D. Möller in Wedel für die Bereitwilligkeit mit welcher mir derselbe das betreffende Untersuchungsmaterial zur Verfügung gestellt hat, meinen wärnf- sten Dank auszusprechen, Ueber den feineren Bau der Zellwand der Bacillariaceen, u. s.w. 641 Erklärung der Abbildungen. Die Abbildungen sind, mit Ausnahme der schematischen Figuren, sämmtlich mit Hülfe der Camera lucida gezeichnet und daher in Bezug auf die Maassverhältnisse genau. Die beigesetzten Vergrösse- rungsziffern beziehen sich auf die Immersionssysteme Nr. VII. (ent- sprechend Hartnack X.) und Nr. IX. (entsprechend Hartnack XVII) vonGundlach, combinirt mit Ocular II. von Zeiss und auf einen Abstand von eirca 300 mm.) Fig. 1.a 1.b. Pleurosigma Scalprum (?). Vergr. 1380. Quer- schnitte in Balsam. «a. Aussenfläche. d. Innenfläche. c.c. Wulstige Verdickungen an den Enden der Septen. d. Hohlräume. x. Stelle an welcher die Verdickungen der Septen besonders wahrnehmbar von einander abstehen. Einstellung auf die Hohlräume; die Septa und deren wulstige Verdickungen erscheinen hell und glänzend. Fig. 2. Triceratium Favus. Fragment in Balsam. Vergr. 845. a. Nach aussen gewölbte Mittelpartie der Schale. 5. Horn. c. Scha- jenkante. d. Kopfföormige Ausbuchtung des Horn-Lumens, e. Poly- gonale Figuren. Scharf begrenztes Netzleistensystem (Wände der Hohlräume) mit nur schwachen Andeutungen der übergreifenden Krempen. . Ueberstehende Zacken des äusseren Maschenwerks resp. der Leisten. g. Bruchkante der unteren (inneren) Membranschicht. Fig. 3. Teiceratium Favus. Fragment in Luft. Vergr. 1380. Combination der Figur aus zwei Einstellungen. 1. Hohe Einstellung auf das äussere Maschengewebe. a. Umschlossene Oeffnungen. 5. Um- schliessende Balken. c. Prominirende Dornen auf den Ecken der 1) In den Arbeiten Flögel’s und Weiss’ begegnet man fast nur Vergrösserungsziffern von 2000 bis 5000. Wie diese Vergrösse- rungen gewonnen wurden ist nicht angegeben, nur erwähnt Weiss, dass er Hartnack XV. benutzt habe, welches System aber mit schwachen Ocularen keinenfalls eine stärkere als 1000malige Ver- grösserung hervorbringt. Ich muss bezweifeln, dass Systeme mit kürzerer Brennweite und stärkerem optischen Vermögen als die oben genannten verwendet werden konnten, da, so viel mir bekannt, die Brennweiten der genannten Systeme zu den kürzesten gehören, deren Herstellung bisher überhaupt gelungen ist. Erst in jüngster Zeit hat Gundlach ein System mit noch kürzerer Brennweite (Nr. X.) ver- fertigt, dessen Vergrösserung indess mit dem Zeiss Il. entsprechenden Ocular I. 1800 mal nicht überschreitet. Dass mit sehr starken, ins- besondere positiven Ocularen, durch Tubusverlängerung und grosse Abstände der Projeetionsebene, die Vergrösserung bis zu 3000 und höher getrieben werden kann, ist bekannt; jeder Versuch mit stärke- ren Ocularen hat mir indess gezeigt, dass bei Systemen mit so kur- zen Brennweiten das Definitionsvermögen in so hohem Grade beeinträch- tigt wird, dass ich aus diesem Grunde davon abstehen musste mit stärkeren als den angegebenen, noch durchaus brauchbaren, Vergrös- serungen zu arbeiten. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. al ne 642 Otto Müller: polygonalen Figuren. d. Projection des unterwärts gelegenen Netz- leistensystems (polygonale Figuren). In der Mitte des Präparats ist das äussere Maschengewebe theilweise fortgebrochen, das Netzleisten- system 9, liegt an dieser Stelle frei. e. Freistehende, den Bruch der unteren Schicht überragende, Zacken der Balken. 2. Hohe Einstel- lung auf die untere (innere) Schicht der Membran. f. Bruchkante dieser Schicht. Die ganze Fläche derselben ist mit porenartigen Figuren bedeckt. Fig. 4. Triceratium Favus. Fragment in Cassiaöl. Vergr. 1380, Von der Unterseite gesehen. Einstellung auf die porenartigen Figu- ren der unteren Membranschicht. Die Basis des Netzleistensystems schimmert in Projection durch. Fig. 5. Triceratium Favus. Optischer Querschnitt eines Frag- ments in Cassiaöl. Vergr. 1380. « Hohlräume. 5. Septa. c. Innere Schicht der Membran. .d.d, Querschnitt der, an den freien Kanten der Septen verlaufenden, Krempen (Balken des äusseren Maschen- gewebes), bis e scharf contourirt. f. Oeffnungen des äusseren Maschen- werks mit den verwaschenen Contouren des tiefer liegenden Theiles des Maschengewebes. g. Zerstreuungsbild der prominirenden Dornen. Fig. 6. Triceratium Favus. Optischer Querschnitt des isolirten Horns in Cassiaöl. Vergr. 1380. a. 5b. Höchst gelegener Hohlraum, nach unten noch durch die niedrige Leiste 5. begrenzt; bei @. ver- schmilzt die Membran mit der des Horns ohne Leistenbildung. c. Grösseste Dicke der Membran, welche hier einen ringförmigen Wulst bildet. Bei d. nimmt die Stärke der Membran wiederum be- trächtlich ab. e. Kopfförmige Ausbuchtung des Horn-Lumens. f. Buckel auf der äusseren Fläche des Horns. g. Höchst gelegener Hohlraum der Hinterwand des Horns. Ah. Schüsselförmige Depression ohne Leistenbildung. Die punktirten Linien bezeichnen den Anschluss der polygonalen Hohlräume der Zellwandfläche. Fig. 7. Triceratium Favus. Isolirtes Horn mit der Randpartie, in Cassiaöl. Vergr. 1380. Das Praeparat ist ein wenig um eine horizontale Achse gedreht, mit der Kuppel nach aufwärts. Einstel- lung auf die Oberfläche des Randes, durch die Drehung wird aber der optische Querschnitt des Hornes getroffen. a—g. wie in Fig. 7. i. k. Die beiden Hohlraum-Reihen der Randpartie, bei 2 perspectivisch. Fig. 8. Eupodiscus Argus. Isolirtes Horn in Cassiaöl. a. Basis desselben. d. Birnförmige Erweiterung nach oben. c. Leichte De- pression der oberen Wölbung. d. Freie Oeffnung. Fig. 9. Triceratium Favus. Flächenansicht der Randpartie eines Fragments in Cassiaöl. Vergr. 1200. d. Grat zu welchem die ge- meinsamen Wände der Hohlräume der Zellwandfläche und der oberen Reihe des Randes auswachsen. e, Ovale Oeflnungen. g. Septa der Hohlräume der oberen Reihe des Randes, welche durch die Bögen vo / u nA Bei ri P Beh Be: Ueber den feineren Bau der Zellwand der Bacillariaceen, u.s.w. 643 mit einander verbunden werden. 4. Kreisförmige, excentrisch ste- hende Oeffnungen des äusseren Maschenwerkes der Randpartie. ı. Un- tere Reihe der Hohlräume des Randes. m. n. Natürlicher Querschnitt der durchschimmernden Hohlräume der Zellwandfläche. r. Wellen- berg des Grats. s. Wellenthal desselben. Fig. 10. Triceratium Favus. Schematisch perspeetivische An- sicht und Fig. 11. Querschnitt, des Randes und der äussersten Reihen der polygonalen Hohlräume der Zellwandfläche. a. Biegung der mit den porenartigen Figuren bedeekten unteren Membranschicht m nach abwärts. Ö. Gemeinschaftliche Wände (Septa) der Hohlräume der Zellwandfläche und der oberen Reihe des Randes. c. Gemeinschaftli- che Wände der oberen und unteren Reihe der Hohlräume des Ran- des. d Grat, zu welchem die Wände 5 auswachsen. e. Ovale Oeft- nungen desselben. /. Nach abwärts geneigte, lang ausgewachsene Krempe der oberen Reihe der Hohlräume des Randes. g. Trape- zoide seitliche Wände derselben Hohlräume. 4. Excentrische Oeft- nung. i. Oefinungen der unteren Hohlraum-Reihe n. Netzleisten (Septa) der Hohlräume der Zellwandfläche. o. Am freien Ende der- selben seitlich verlaufende Krempen (Balken des äusseren Maschen- werks). ». Solide Dornen auf den Ecken der polygonalen Figuren. Fig. 12 Triceratium Favus. Schemat. Querschnitt einer Zell- hälfte, gedacht als Loth von der Dreieckspitze auf die Grundlinie. a. Horn, welches die Convexität 5 des Schalencentrums überragt. e. Querschnitt der Hohlräume ‘der Zellwandfläche. c!. Der Schnitt trifft eine Wand. d. Grat. e. Hohlräume des Randes. f. Gürtel- bänder. Fig. 13. Fossiles Radiolar. Fragment in Balsam. Vergr. 845. Sehr hohe Einstellung. a. Balken des Netzwerkes, Contouren ver- waschen. 5. Stellen aus denen sich die Umsetzungsbilder engmaschi- ger Gewebe zu entwickeln pflegen. c. Oefinungen. d.Lichtkreis, der sich im Innern der Oeffinungen zum reellen Bilde der Lichtquelle entwickelt hat. 41* 644 Dr. Fr. Merkel: Ueber die Entwickelungsvorgänge im Inneren der Samencanälchen. Von Dr. FR. MERKEL, Prosector in Göttingen. (Hierzu Tafel XVII.) Wenn ich mich entschliesse, ein Capitel der Histologie, welches in den letzten Jahren eine Reihe vortrefflicher Beob- achter gefunden hat, noch einmal zu beleuchten, so hat dies seinen Grund darin, dass die Auffindung der Stützzellen im In- nern der Hodencanälchen es nöthig macht, die topographische Lage der samenbereitenden Elemente mit Berücksichtigung die- ses neuen Gewebstheiles festzustellen. Da meine frühere Ar- beit über den Hoden!) lediglich den Zweck hatte, die Existenz und Entwickelung der Stützzellen darzuthun, so waren damals die samenbereitenden Elemente fast gänzlich ausser Acht gelas- sen worden, und ich hole hier das Versäumte nach. Die vor- liegenden Mittheilungen jetzt schon zu machen, lag zwar eigent- lich nicht in meiner Absicht, allein eine gleichzeitig mit meiner eitirten Arbeit erschienene Abhandlung von V. Ebner?) ver- 1) Dieses Archiv. 1871. p. 1. 2) Untersuchungen über den Bau der Samenecanälchen ete. (Ha- bilitationsschrift). Leipzig, Engelmann, 1871, Er 47 Ueber die Entwiekelungsvorgänge im Inneren der Samencanälchen. 645 anlasst mich, die bis jetzt gewonnenen Resultate sogleich der Oeffentlichkeit zu übergeben, da der Ebner’sche Aufsatz sehr geeignet ist, bei Solchen, die sich nicht speciell mit der Genese der Samenkörperchen beschäftigt haben, vollkommen irrige Vor- stellungen zu erwecken. Wende ich mich zur eigentlichen Frage, so ist deren Stand in kurzen Worten folgender. Die bis jetzt allgemein verbreitete Ansicht über die Ent- stehung der Samenelemente geht dahin, dass letztere ihre Exis- tenz den rundlichen Zellen verdanken, die in verschiedenen Grössen das Innere der Hodencanälchen erfüllen; sie sollen durch deren gänzliche oder theilweise Umwandlung gebildet werden. Als nun aber die bis dahin gänzlich übersehenen Stützzellen von Sertoli aufgefunden, von Kölliker, Boll, La Valette bestätigt und von mir nach Lage und Function beschrieben wa- ren, erschien wieder eine Abhandlung über die Genese der Spermatozoiden, nämlich die angeführte von Ebner. Im Ge- gensatz zu der allgemein gültigen Ansicht bezeichnet dieser Autor. die rundlichen Zellen als unwichtig und nebensächlich, während er die Spermatozoen aus einer stellenweisen Verdich- tung und Umwandlung des Protoplasmus der langgezogenen bisher als Stützgewebe angesprochenen Zellen ableitet. Wie es möglich war, dass Forscher wie Kölliker, Henle, Schweiger-Seidel, La Valette und Andere so vollkom- men irrthümliche Schilderungen und Abbildungen entwerfen konnten, führt Ebner leider nicht weiter aus, sondern begnügt sich, einfach seine Ansicht hinzustellen. Dass ein Forscher, der den Bau der Samencanälchen mit Aufmerksamkeit studirt, auf Resultate kommen muss, die denen von Ebner diametral entgegengesetzt sind, bewies in diesen Tagen Sertoli'!), der meine Deutung der Stützzellen als ac- cessorische Gebilde vollkommen bestätigt und die von Ebner aufgestellte Ansicht aufs Bestimmteste für unrichtig erklärt. Was nun meine eigenen Untersuchungen betrifft, so haben 1) Gazetta Medica Italiana-Lombardia. Ser. VI. Tom. IV. 1871. Baba .. Dr. Fr. Merkel: mir dieselben den Beweis geliefert, dass die Entstehung der Samenkörperchen der Säugethiere aus den rundlichen Zellen der Hodencanälchen herzuleiten ist, wie es die erwähnte allge- meine Ansicht längst behauptet. Ich kann also nur Altbekann- tes bestätigen, glaube aber doch auch einige bis jetzt kaum berücksichtigte Dinge beibringen zu können, welche die Sicher- heit der Deutung noch bedeutend zu erhöhen scheinen. Die Methode, welche ich noch neben feinen Durchschnitten in Müller’scher Flüssigkeit gehärteter Drüsen zur Feststellung des Folgenden vorwiegend anwandte, ist eine sehr sichere und einfache und kann nicht genug empfohlen werden. Sie besteht darin, dass die zu untersuchenden Hoden frisch in eine con- centrirte wässrige Lösung von Oxalsäure gebracht werden.‘ Die Elemente conserviren ihre Form in dieser Flüssigkeit ganz voll- ständig, was durch Controllpräparate aus frischen Hoden, die unter Humor aqueus besehen wurden, bewiesen werden konnte. Schon nach Verlauf von einigen Stunden ist die Untersuchung möglich; am schönsten werden jedoch die Präparate nach Ver- lauf von 36—48 Stunden. Nach 14 Tagen oder 3 Wochen. sind die Hodenbestandtheile so durch die Säure angegriffen, dass sie allmälig schlecht werden und ihre Form verlieren. Die nach dieser Methode behandelten Stücke werden in der angegebe- nen Zeit so macerirt, dass sie sehr leicht zerfallen. Die Membran der Canälchen bleibt so fest, dass es besonders bei etwas derberen Canälchen stets gelingt, den Inhalt wie aus einer Wurst mit Na- deln auszustreifen, wodurch nicht nur der Ueberblick ausneh- mend erleichtert wird, sondern auch ausserdem noch der topo- graphische Zusammenhang gewahrt bleibt, was ja für eine Bestimmung des Verhältnisses von Samen- und Stützzellen un- umgänglich nöthig ist. Hätte Ebner, statt sich lediglich auf feine Schnitte zu verlassen, auch eine derartige schonende Iso- lationsmethode in Anwendung gebracht, so wären seine Resul- tate sicher andere gewesen. Sehe ich nun einstweilen von dem Verhältniss des Stütz- apparates zu den secretorischen Gebilden ganz ab, so gestaltet sich beim Menschen die Entwickelung der Spermatozoiden fol- gendermaassen. Ueber die Entwickelungsvorgänge im Inneren der Samencanälchen. 647 Zum Theil frei schwimmend, zum Theil noch an benach- bart gelegene Elemente angelöthet, finden sieh unter den grös- seren oft sehr dunkel granulirten Zellen von runder Form (Fig. Ia) solche, die einen sehr zart granulirten Inhalt zeigen, und sowohl hierdurch , als auch besonders durch ihre sehr geringe Grösse so unscheinbar sind, dass sie mit grosser Leichtigkeit übersehen werden können (Fig. I b’—b’''). Den meist scharf conturirten, ebenfalls schwach granulirten Kern tragen diese Zellen, welche stets von länglicher ovaler Form sind, an dem einen Ende, nur von einer geringen Lage Zellsubstanz bedeckt. Besieht man sie in situ, so findet man, dass der Kern aus- nahmslos das der Peripherie des Canälchens zugekehrte Ende einnimmt. Die Begrenzung der ganzen Zelle ist eine so prä- eise, dass man eine umschliessende Membran kaum bezweifeln kann. Nächst dieser Form findet sich eine andere, welche der oben beschriebenen fast in allen Theilen so sehr gleicht, dass man sie als Derivat derselben bezeichnen muss. Die Zelle ist meist etwas grösser und zeigt den Kern so weit nach aussen ge- rückt, dass er ihr eines Ende buckelförmig hervortreibt und nur noch von der Zellmembran bedeckt erscheint; dieselbe liegt so enge an, dass sie an vielen Präparaten gar nicht sichtbar ist (Fig. Ic). Besonders mit Chromsäurelösungen oder Müller’- scher Flüssigkeit behandelte Hoden erlauben keinen vollkom- menen Einblick in die beschriebenen Verhältnisse. Oxalsäure dagegen veranlasst eine ganz leichte Quellung, welche die Mem- bran eben soviel von dem Kerne abhebt, um sie mit stärkeren Vergrösserungen nachweisen zu können. Ist der Kern so weit nach aussen gerückt, so hat er auch schon seine rundliche Form eingebüsst und ist nun auf der nach der Oberfläche gewandten Seite zugespitzt, nach der Zelle hin dagegen abgeplattet; er ist kegelförmig geworden. Auch be- ginnt jetzt schon seine Granulirung zu verschwinden und einer mehr homogen glänzenden Beschaffenheit Platz zu machen, wäh- rend seine Membran nicht unerheblich verdickt erscheint. Nicht alle Zellen dieser Form haben einen runden Durchschnitt, son- dern viele erscheinen etwas abgeplattet (c‘‘), was man leicht constatirt, wenn man solche Gebilde durch Anstossen des Deck- 648 Dr. Fr. Merkel: glases ins Rollen bringt. Ursache und Zweck dieser mehrfach beobachteten Eigenschaft ist mir dunkel geblieben. Das nächste Entwickelungsstadium lässt nun schon erken- nen, dass der Kern der Zelle bestimmt ist, den Kopf des spä- teren Spermatozoiden zu bilden. Die Form ist schon der end- giltigen sehr genähert, der Kegel hat seine Ecken mehr gerun- det und auch die Grundfläche wieder etwas verloren; ebenso hat sich auch das Lichtbrechungsvermögen beträchtlich ver- stärkt. Der Schwanz des Samenfadens tritt als ein längeres Fäd- chen schon an den Zellen des Stadiums auf, in denen der Kern noch nicht die Zellwand hervordrängt (b’'), und lässt sich leicht durch die folgenden Stadien durch verfolgen (c‘, d). Er sitzt dem Protoplasma der Zelle seitlich auf und muss als ein aus diesem ausgewachsener Faden angesehen werden, wie dies auch von den neueren Beobachtern ausser Kölliker geschieht, (Schweigger-Seidel, Pflüger, La Valette, Owsianni- "kow etc. etc.). Leider ist nun aber der kervorsprossende Schwanztheil durchaus nicht an jeder in Entwickelung begrif- fenen Zelle zu finden, sondern fehlt vielmehr an den allermeis- ten. Es hat dies seinen Grund, wie ich glaube, nicht in einer verschiedenen Entwickelung der einzelnen Zellen, sondern in der Zartheit des betreffenden Gebildes, welches geneigt ist, selbst bei der schonendsten Behandlung abzureissen. Es wird diese Vermuthung gestützt durch eine Menge feiner, in der Zu- satzflüssigkeit umherschwimmender Fäden. Die nächstfolgenden Stadien sind nun nichts weiter als eine langsame Weiterbildung; eine tiefer greifende Verände- rung tritt nicht mehr ein. Die Zellen erscheinen vergrössert und länger gestreckt; der Kern, jetzt schon der Spermatozoiden- kopf, wird noch etwas grösser; das Schwanzende verdichtet sich und wird dunkler, und endlich kommt nach einer grossen Reihe von Zwischenstadien ein Spermatozoid zu Stande, der sich von dem völlig reifen nur dadurch unterscheidet, dass sein Mittelstück noch breit am Kopf ansitzend, eine schwache Gra- nulirung zeigt, auf welche die ganze frühere Zellsubstanz re- dueirt ist (Fig. If). Auch diese Granulirung verliert sich dann BE P a En r Kr x Ks 4 Ueber die Entwickelungsvorgänge im Inneren der Samenkanälchen, 649 und es bleiben in der Umgebung des Mittelstückes eines ferti- gen Samenelementes häufig noch einige körnige Rudimente hängen (@), welche seine Herkunft aus der ursprünglichen Zelle bekunden. Womöglich noch einfacher als beim Menschen verhält sich die Entwickelung der Samenelemente bei vielen Thieren, so z. B. beim Kater. Auch hier sind die zuerst auftretenden kleinen Zellen von länglicher Form sehr leicht zu finden, zu- erst mit einem central, später mit einem peripherisch gelegenen Kern ausgestattet, der auch dann noch, wenn er schon beginnt seine nachherige Köpfchenform anzunehmen, seine wahre Natur durch Besitz eines Kernkörperchens documentirt (Fig. Il. a). Im Hoden dieses Thieres, wie auch z. B. beim Hund und Kaninchen, strecken sich dann die Zellen flaschenähnlich in die Länge, es wird auf diese Weise schon sehr frühzeitig das spätere Mittelstück angelegt. Zuletzt bleibt hier noch an der Gränze zwischen Mittelstück und Schwanz ein beutelförmig angefügtes Stück’ Zelle sitzen, welches erst ganz gegen Ende der Entwickelung verloren geht. (Fig. II. 5—d). Es pflegt sich hier die den Kern kappenartig überziehende Zellmembran etwas mehr abzuheben, was ihre Constatirung natürlich bedeu- tend erleichtert!). ‘Bei diesem Thiere, dem Kater, gelang es mir auch, öfters den von La Valette beschriebenen glänzen- den Körper neben dem Kerne der früheren Entwickelungs- stadien zu Gesicht zu bekommen, doch konnte ich keine Be- ziehung zur eigentlichen Entwickelung nachweisen, sondern muss ihn vielmehr für eine Pigmenteinlagerung erklären. Eine sichere Entscheidung ist deshalb leicht zu treffen, weil man in dem Anilin ein vortreffliches Erkennungsmittel besitzt. Behan- delt man nämlich aus Oxalsäurelösung isolirte Zellen mit einer wässrigen Lösung dieses Farbstoffes, so färben sich ihre sämmt- lichen Bestandtheile roth, der Kern am intensivsten, während ganz allein das Pigment völlig ungefärbt bleibt. Die bespro- ; chenen Körperchen aber bleiben ungefärbt, ihre Erklärung als Pigment kann deshalb nicht zweifelhaft sein. 1) Auch beim Rind scheint sie stark ausgebildet zu sein. Vergl. Kölliker, Handb, d. Gewebel. 5. Ausg. Fig. 382. B. 4. 650 Dr. Fr. Merkel: Aus dem bis jetzt Gesagten geht hervor, dass meine Un- tersuchung auf Resultate führt, die den bisherigen Beobachtun- gen im Wesentlichen entsprechen, dass die Entwickelung der Samenfäden wirklich in der beschriebenen Weise vor sich geht, zeigt sich aber bis zur Evidenz an den leicht zu beobachten- den Hodenelementen der Maus; da hier Zweifel über die frühe- sten Stadien vollkommen wegfallen, indem an jedem Präparat aus dem Hoden dieses Thieres zu constatiren ist, dass als erste Veränderung der Zelle die Anlage des späteren Schwanz- theiles auftritt"). Schon an den runden Zellen, welche weit verbreitet durch die Samenkanälchen vorkommen, sieht man stets an einer Stelle ein kurzes, zartes Spitzchen hervorsprossen, welches sich in den folgenden Stadien mehr und mehr verlän- gert und zuletzt als der bekannte, hier sehr langgestreckte Schwanz persistirt. Ein Blick auf Fig. 3 genügt, jede Be- schreibung überflüssig zu machen und die völlige Congruenz mit den Entwickelungsphasen der Samenfäden von Mensch und Kater zu beweisen. Besonders deutlich ist hier die lange Existenz eines Kernkörperchens (d) und die sehr dickwandige Kappe (e) die sich bis zur völligen Reife erhält. Durch die Beobachtungen an den Hodenzellen der Maus wird es nun sehr wahrscheinlich, dass die beim Menschen ebenfalls vorkommenden, runden Zellen mit kurzen, stummel- artigen Fortsätzen (Fig. I. «) nichts Andres sind, als die frühe- sten Entwickelungsstadien der Spermatozoiden, die ich oben nur deshalb nicht als solche aufgeführt habe, weil eine Zwi- schenstufe zwischen diesen Zellen und den ovalen, schon mit längeren, fadenförmigen Anhängen versehenen nicht zur Beob- achtung kam. Fasse ich nun noch einmal die Resultate der vorstehenden Untersuchung zusammen, so gipfeln diese in dem schon von Schweigger-Seidel!) gemachten Ausspruch, dass das Samen- element „nichts Anderes ist, als eine einstrahlige Wimper- zelle. * 1) Vergl. La Valette, Schultzes Archiv. 3. Bd. 2) Schultzes Arch. I. p. 334, hei: PT ar WEIT BE ae wr c Pr Pe" 5 Ueber die Entwickelungsvorgänge im Inneren der Samenkanälchen. 651 Das Mittelstück ist der reducirte Zellkörper, das Köpfchen, der zur Zelle gehörige Kern, der Schwanz aber, die der Zell- substanz entstammende Cilie. Diese Deutung wird noch da- durch gestützt, dass bis zum Schluss der Entwickelung das Köpfehen wirklich von der kapperförmig anliegenden Membran der Zelle umschlossen bleibt, welche erst an den vollkommen entwickelten Exemplaren z. B. aus dem Nebenhoden nicht mehr nachgewiesen werden kann. Dass diese membranöse Umhüllung bei den Säugethieren nicht isolirt dasteht, sondern wahrscheinlich durch die ganze Wirbelthierreihe constant ist, beweisen die Beobachtungen von Owsiannikow!), der sie bei Fischen und von Ciaccio*”), der sie bei Frosch und Tri- ton nachweist. Leider mangelte mir die Gelegenheit, zu untersuchen, ob die beim Meerschweinchen persistirende Kopfkappe genetisch mit den beschriebenen Gebilden zusammenhängt, oder ob sie, wie es La Valette beschreibt, einen gesonderten Ursprung hat. Soviel von der Entstehung der Samenkörper an sich. Um nun ihre topographische Lage gegenüber den Stützzellen ver- ständlich zu machen, ist es nöthig, erst einige Worte über die Formen der letzteren vorauszuschicken. Nicht bei allen Thie- ren finden sie sich nämlich so gestaltet, wie beim Menschen, als ein zartes Netzwerk von Zellen, durch platte Fortsätze mit einander in Verbindung stehend, und so die samenbereitenden Elemente umschliessend. Nur beim Rind resp. Kalb konnte ich das gleiche Verhalten nachweisen. Bei anderen Thieren aber: Eber, Pferd, Kaninchen, Maus, Hund und Kater, ist die Entwickelung des Stützgewebes viel rudimentärer geblieben, die einzelnen Zellen treten entweder gar nicht, oder nur durch wenige in der Peripherie ausgesandte Fortsätze mit einander in Verbindung, und ragen vereinzelt von der Wand des Ka- nälchens nach dem Innern, sich damit begnügend, am freien Ende baumzweigartige Aeste auszusenden. (Fig. V. a). Das _ der Wand aufsitzende Ende, welches hier wie beim Menschen 1) Henle Jahresber. für 1868, p. 25. 2) Ebendaselbst. 652 Dr. Fr, Merkel. verbreitert ist, erstreckt sich aber oft so weit seitwärts, dass es mit dem gleichen Fuss einer naheliegenden Stützzelle zu- sammentrifft und mit ihr verschmilzt. So entsteht hier ein Netzwerk, welches Ebner (l. c.) fälschlich als „Keimnetz“ deu- tet, da er sich eben in dem Irrthum befindet, dass das Netz- werk das primäre, die Zellen dagegen das secundäre seien. Die Stelle des Netzes, an welcher ein Kern liegt, entspricht, so viel ich beobachten konnte, stets einer in’s Lumen des Ka- nälchens vorragenden Zelle. In jungen, unentwickelten oder rückgebildeten Hoden sind nun die Stützzellen sowohl, wie auch die netzartig zusammenhängenden Füsse bedeutend redu- cirt, und es kann sogar so weit kommen, dass nur cylindrische Zellen ohne weiter ausgebildete Fortsätze übrig bleiben, was unten noch näher zu besprechen ist. Wende ich mich nun zu der Frage nach dem gegenseiti- gen Verhältniss von samenbereitenden Zellen und stützenden Elementen, so findet sich in einem brünstigen Hoden irgend eines der oben genannten Thiere mit rudimentären Stützzellen der Raum zwischen diesen mit runden grob- und feingranulir- ten Zellen ausgefüllt, deren Vertheilung Ebner richtig und sehr detaillirt beschrieben hat. Die Stützzellen aber enthalten in den durch die Fortsätze gebildeten Taschen an ihrer cen- tralen Seite diejenigen Elemente, welche bestimmt sind, sich zu Samenkörper umzuwandeln. (Fig. V.c). Man kann an Isolationspräparaten aus Oxalsäure grosse Mengen solcher Zel- lenstöcke, bestehend aus einer Stützzelle und einer Anzahl samenbildender Elemente darstellen, welche dann am instruc- tivsten sind, wenn die einzelnen Zellen etwas in Unordnung gekommen sind. Man erkennt leicht, dass der am peripheri- schen Ende der Samenzellen gelegene Kern durch den oben erwähnten membranösen Ueberzug gegen die Stützzellen abge- grenzt wird. In dieser Lage bleibt nun der ganze Zellenstock bis zur völligen Ausbildung der kleinen länglichen Zellen zu Spermatozoiden, wo dann durch eine nachrückende Generation die nahezu fertigen Samenfäden aus ihrem Bett gehoben und von neuen Samenzellen verdrängt werden, die dann ihrerseits I BE ee, 3 Ueber die Entwickelungsvorgänge im Inneren der Samenkanälchen. 653 von den freigewordenen Stützzellentaschen Besitz ergreifen, um ihrer Vollendung entgegen zu gehen. Ebner konnte dieser einfache Vorgang natürlich nicht verborgen bleiben, da derselbe sehr leicht zu beobachten ist. Weil nun aber die angeblichen Spermatoblasten durchgeführt werden mussten, so kam er bei seiner Beschreibung zu allerlei ergötzlichen Conflieten mit seinen Beobachtungen. So sagt er z. B. p. 16 bei Beschreibung seines 8. Sta- diums, wo Spermatozoiden weder reif noch in Entwickelung vorkommen sollen, wo seine Spermatoblasten von der gehabten Anstrengung ausruhen, und die nach ihm unwichtigen zwischen denselben liegenden Zellen wuchern, von diesen letzteren: „Nicht selten sind die Zellen von länglicher Form und die Kerne liegen dann meist excentrisch an einem Ende. Solche Zellen sind nicht zu unterscheiden von abgerissenen Lappen der, Spermatoblasten aus Samenkanälchen im 1. Stadium.“ Bei Beschreibung dieses 1. Stadiums p. 11 findet man die Stelle: „in der Mehrzahl der Fälle erhält man nur Trümmer die- ser Gebilde (der Spermatoblasten) und die einzelnen Lappen erscheinen isolirt wie Zellen mit kleinem wandstärdigen Kerne.“ Für Präparate, wo sich die Zellennatur schlechterdings nicht verkennen lässt, wird ein achtes Stadium aufgestellt, wo es aber gelingt, durch die Müllersche Flüssigkeit verklebte Elemente zu finden, beginnt wieder das erste Stadium. Dass nämlich die Stadien 1 und 8 vollkommen identisch sind, und dass nur bei 8 die Zellen nicht vollkommen ihre Stützzellen- taschen ausfüllen, d. h. durch die Schnittführung, das Zerfasern oder andere Umstände in Unordnung gerathen sind, scheint mir aus Ebner’s eigenen Worten hervorzugehen, wenn er p. 18 sagt: die kürzesten Wegstrecken nimmt stets Stadium 3 ein; ja es kann dieses Stadium auch ganz fehlen, so dass Stadium 1 sich unmittelbar an Stadium 7 anschliesst. Dass ich wirklich Ebner’s achtes Stadium als ein in Un- ordnung gerathenes erstes richtig deute, beweist er ferner selbst (p- 16) durch die Beschreibung der leeren Stützzellen: „Ihre Enden, welche sich zwischen den kleinen inneren Zellen (die von den „abgerissenen Lappen“ nicht zu unterscheiden sind) 654 Dr. Fr. Merkel: verlieren, sehen häufig zerschlitzt oder wie abgerissen aus“. Und einige Zeilen weiter auf p. 17: „An nicht ganz dünnen Schnitten kann man in Zweifel bleiben, ob man es mit Sper- matoblasten zu thun hat, in denen eben die ersten Anlagen von Spermatozoidenköpfen sich finden, oder ob man nur Fortsätze des Keimnetzes vor sich hat, die sich zwischen Zellen verlie- ren, deren Kerne sich durch ihre Grösse, Form und Aussehen von eben angelegten Spermatozoidenköpfen nicht wohl unter- scheiden lassen “. Man sieht, dass auch Ebner, wie Jedermann, identische Dinge nicht von einander zu unterscheiden vermag. Sicherer aber, als durch alle die angeführten Stellen aus Ebner’s Schrift beweist seine Fig. 11, dass die Spermatobla- stentheorie auf schwachen Füssen steht. Der Cardinalunterschied zwischen dieser und der bisherigen Erklärung der Entwicke- lungsvorgänge im Hoden liegt darin, dass die allgemeine An- sicht in allen Stadien stets die erste Anlage des Köpfehens — den Kern — findet, während Ebner ein Stadium nach- gewiesen haben will, in welchem diese Köpfchenanlage fehlt und nur ein Protoplasmalappen den späteren Spermatozoiden darstellt. Die erwähnte Fig. 11 stellt nun dieses früheste Stadium dar. Zwar sind selbst hier „Anlagen von neuen Sper- matozoiden?“ abgebildet, doch sind dies gewiss nur Pigment- körner. Nehme ich also an, dass hier wirklich keine Zellen vorhanden sind, die sich von eben angelegten Spermatozoiden- köpfen nicht wohl unterscheiden lassen, so bleibt nichts weiter übrig, als eine nackte Stützzelle, wo die erwähnten Zellen herausgefallen sind, und an denen der Zeichner sogar die taschenförmigen Räume angiebt, in denen sie gelegen waren (Vergl. meine Fig. V. a). Dass bei einer grossen Anzahl von Thieren die kleinen länglichen Zellen, die Ebner in Uebereinstimmung mit mir (wenn auch seinerseits unfreiwillig) als das erste Entwickelungs- stadium der Samenfäden beschreibt, aus den mehr peripherisch gelegenen Zellen durch Theilung hervorgehen, kann nach den übereinstimmenden Berichten der neueren Beobachter, besonders nach denen von La Valette nicht in Zweifel gezogen werden, Ueber die Entwickelungsvorgänge im Inneren der Samenkanälchen, 655 Auch meine Beobachtungen haben kein anderes Resultat erge- ben und es kann schliesslich wohl mit Sicherheit hingestellt werden, dass die rundlichen, das Samenkanälchen erfüllenden Zellen die vor Allem wichtigen Elemente sind, während die Stützzellen, nur eine untergeordnete unwichtigere Funktion haben; der Ausspruch von Ebner (p. 28), es liesse sich nur soviel mit Bestimmtheit über die erwähnten, rundlichen Zellen sagen, dass aus ihnen die Spermatozoiden gewiss nicht hervor- gehen, muss demnach als den Thatsachen widersprechend be- zeichnet werden. Die Stützzellen des menschlichen Hoden verhalten sich zu den samenbereitenden Elementen in ganz ähnlicher Weise, wie bei der Maus und den anderen Thieren mit rudimentärem Stützgewebe. Es finden sich wie dort taschenartige Ausbuch- tungen, neben den Fortsätzen, die benachbarte Stützzellen verbinden, in denen die Samenzellen ihre Entwickelung durch- machen (Fig. IV. «—e). Eine Regelmässigkeit, wie sie bei den erwähnten Thieren beobachtet wird, fehlt hier, weil eben auch das Stützzellennetz einer solchen entbehrt, doch findet man in samenerzeugenden Hoden, besonders an Oxalsäure- präparaten stets eine erhebliche Menge solcher Zellenstöcke, an denen die Spermatozoiden in Taschen ruhen, welche meist auf der platten Seite der Zelle angebracht sind. Der Grund, der mich bewog, in der gegebenen Beschrei- bung: die Stützzellen der Maus, des Katers u. s. w. rudimen- tärer als die des Menschen zu nennen, ergiebt sich aus den früheren Entwickelungsstufen der Hodenkanälchen dieser Thiere, die ebenso, wie das ausgebildete secernirende Organ von dem Hoden des Menschen abweichen. Betrachtet man nämlich den Hoden z. B. einer neugebo- renen Maus, gegen den eines neugeborenen Kindes oder eines menschlichen Fötus, so fällt beim ersten Blick auf, dass bei letzterem ein das ganze Kanälchen durchziehendes, durchweg anastomosirendes Netzwerk von platten Stützzellen vorhanden ist!), zwischen welchen entweder ganz gleich grosse, oder 1) Vergl. meine ausführliche Beschreibung 1. c, IR ” Ka Ri LAN: - BD re ws EN PER RT NeL Pace, 656 Ä Dr. Fr. Merkel. Be Be kleine und grössere Zellen liegen. Bei der Maus dagegen ist _ | von alledem nichts zu finden, sondern die Wand ist von einem ziemlich deutlichen Cylinderepithel bekleidet, welchem nach dem Centrum des Kanälchens Zellen von rundlicher Gestalt aufliegen. Ein ächtes Stützsystem ist in keiner Weise nach- zuweisen, Aehnlich ist das Verhalten bei Thieren mit gleich- gebauten Hoden z. B. beim neugeborenen Hund, nur dass hier eine geringere Regelmässigkeit herrscht. Bei dieser anschei- nend fundamentalen Verschiedenheit in der Anlage des zelligen Inhaltes der Samenkanälchen könnte man fast an der Möglich- keit einer Erklärung verzweifeln, und könnte geneigt sein, eine ganz verschiedene Entstehungsweise bei verschiedenen Wirbel- thierklassen anzunehmen, wenn nicht der Uebergang der eigent- lich secernirenden Gänge in die Gänge des Nebenhoden einen sehr sicheren Schlüssel zur Lösung dieser Frage gäbe. Ganz besonders geeignet für Untersuchung dieser Ver- hältnisse sind die erwähnten Präparate von neugeborenen Thieren. Hier findet man die Kanälchen des Mediastinum testis von einem niederen, meist einfachen, höchstens zweifach geschich- teten Cylinderepithel ausgekleidet. Am Uebergang in das eigentliche Hodenkanälchen wird dann sehr rasch das Epithel beträchtlich höher und nach einer weiteren kleinen Strecke werden die hohen schlanken Epithelzellen durch kürzere über einander liegende Zellen verdrängt (Fig. VI. a). Diese anfangs noch mit spindelförmigen Kernen ausgestatteten Elemente er- setzen letztere alsbald durch einen runden Kern, und nun hat die secretorische Schicht ihren Anfang genommen. Die Spuren der Thätigkeit sind auch sofort zu finden und zwar in grossen, dunkel glänzenden Zellen, welche vielfach unter den hellen, aus dem Epithel hervorgegangenen Zellen liegen. Sie entstehen, wie man unschwer nachzuweisen im Stande ist, durch Vergrösserung aus eben diesen hellen Zellen, indem zu- erst der Kern eine Vergrösserung erfährt, und dann erst eine Verdichtung des Protoplasma’s eintritt. Die meisten dieser Zellen, vielleicht alle, bilden sich in der Wandschichte der Kanälchen aus, und rücken dann erst nach der Mitte vor (Fig. YI. 5). Es sind diese Zellen ganz denen ähnlich, aus welchen Ueber die Entwickelungsvorgänge im Inneren der Samenkanälchen, 657 in der Brunstzeit die kleinen, länglichen Zellen hervorgehen, die sich zu Samenkörpern umgestalten. Dass die Umwandlung des Öylinderepithels beim Menschen in die schwammartig verzweigten Stützzellen stattfindet, ist von Sertoli (l. c.) ebenfalls beobachtet und sehr gut geschildert. Die Cylinderzellen rücken auseinander und es liegen dann die kleinen Zellen der tieferen Schichte des Epithels in den von ihnen gelassenen Zwischenräumen. Nach dem Lumen zu sind die langgestreckten Epithelzellen noch mit einander verbunden, bis auch diese Verbindung gelöst wird, und die nunmehrigen Stützzellen erst sparsamer, dann zahlreicher Fortsätze treiben, welche nun in gegenseitige Verbindung tretend, die Hohlräume bilden, welche die rundlichen samenbereitenden Elemente be- herbergen. Die beschriebenen Thatsachen führen nun für den menschlichen Hoden den Beweis für eine Vermuthung, die ich in meiner Abhandlung über die Stützzellen ausgesprochen habe, nämlich den, dass dieselben nichts Andres sind, als veränderte Epithelzellen. Zugleich wird aber auch der weitere Beweis geführt, dass auch die samenbereitenden Elemente nichts ande- res sind, als ebenfalls umgewandelte Epithelzellen. Die Ana- logie mit dem Ei ist also so vollständig, wie sie kaum zu hoffen war. Nur der Unterschied existirt zwischen Beiden, dass das Ei mindestens einer ganzen Keimepithelzelle entspricht (Waldeyer) während dagegen mehrere Spermatozoiden aus einer Samenprimordialzelle hervorgehen. Es stimmt dieser Befund sehr gut mit der längst gemachten Beobachtung, dass bei der Befruchtung des Eies stets mehrere Spermatozoiden zur Verwendung kommen. Wenn beim menschlichen Hoden die Verhältnisse schon einfach genannt werden müssen, so sind sie doch noch viel primitiver in den erwähnten Thierklassen, indem dort die Cy- linderepithelzellen im Inneren des Hodenkanälchens gar keine Modification erleiden, sondern nur stärker wuchern und durch eine Brut von jungen Zellen von rundlicher Gestalt das ganze Lumen des Kanälchens ausfüllen, während die äussersten Zellen stets in ihrer verlängerten Gestalt verbleiben. Erst bei Beginn. der Brunstzeit tritt eine durchgreifende Veränderung ein. Die- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 42 658 Dr. Fr. Merkel: zur Ausbildung in Samenfäden bestimmten Zellen vergrössern sich, vermehren die Kerne und rücken mehr und mehr nach dem Oentrum zu. Die dazwischen übrig bleibenden Zellen aber platten sich ab, passen sich den Formen der sie umgebenden Elemente an'!), welch’ letztere dann in den Lücken und Aus- höhlungen dieser Gebilde ruhen (Fig. VI), und so sind die er- sten eigentlichen Stützzellen gebildet. Tritt dann schliesslich die eigentliche Entwickelung der Samenfäden ein, so entsteht die charakteristische Baumform der Stützzellen, die aber noch immer in ihrer ganzen Gestalt an ihre Herkunft aus Oylinder- zellen erinnert. Vergleicht man nun die Entwickelungsvorgänge im Hoden des Menschen und der angegebenen Thiere, so findet man zwei grundverschiedene Arten der Bildungsvorgänge. Bei Letzteren entstehen die Stützzellen erst bei eintretendem Bedarf, während sie beim Menschen schon bei der frühesten Entwickelung an- gelegt sind, und sofort ihre endgiltige Form erhalten. Der epi- theliale Charakter geht hier schon frühe verloren, bei den be- sprochenen Thierclassen bleibt er das ganze Leben hindurch bestehen und erfährt nur während der secretorischen Thätigkeit der Drüse eine vorübergehende Veränderung. Die beiden Formen, von denen die eine bei Mensch und Rind, die andere bei Raubthieren, Nagern, Einhufern, Dick- häutern etc. vorkommt, stehen sich in ihren Extremen (Mensch, Maus) zwar sehr schroff gegenüber, doch ist ein allmählicher Uebergang der rudimentäreren Form in die ausgebildetere nicht zu verkennen. So findet man bei der Katze in ruhendem Zu- stande der Drüse allerdings nur Zellen von annähernd cylind- rischer Form?), bei Eintritt der Secretionsthätigkeit entstehen jedoch nicht allein die charakteristischen taschenähnlichen Aus- buchtungen des centralen Endes, sondern es senden auch die 1) Vergl. Sertolia. a. O. 2) Die Unrichtigkeit der Behauptung Ebner’s, dass im ruhenden Hoden die Stützzellen, seine „Spermatoblasten* fehlen, beweist, ausser deren Vorkommen in allen Lebensaltern beim Menschen, jeder einigermaassen dünne Schnitt, Ps Ueber die Entwickelungsvorgänge im Inneren der Samencanälchen. 659 peripherischen Theile Fortsätze aus, die sich mit denen benach- barter Zellen zu einem System von Hohlräumen verbinden, welches mit dem beim Menschen bestehenden identisch ist, Der Unterschied ist also nur der, dass diese Fortsätze bei der Katze periodisch auftreten, während sie beim Menschen persistiren. Es wird dem Leser aufgefallen sein, dass ich oben den Hoden des neugeborenen Thieres als Object für die erste An- lage der samenbereitenden Elemente angeführt habe, wo es doch bekannt ist, dass selbst erwachsene Thiere, die nicht brünstig sind, fast ausnahmslos helle, indifferente Zellen in ih- ren Samencanälchen beherbergen. Nichtsdestoweniger ist aber meine Angabe doch begründet, indem mit der Geburt oder auch schon kurze Zeit vor derselben eine rege Thätigkeit im Inneren der Hodencanälchen eintritt, welche zur Entwickelung der ersten Stadien der samenbereitenden Zellen führt. Sehr bald hört aber diese Thätigkeit wieder auf, und es treten die indifferenten Zellen auf, die sich bis zum Eintritt der ersten Brunstperiode unverändert erhalten. Genauer als bei Thieren konnte ich diesen Ansatz zu ei- ner Entwickelung, wie ich es bezeichnen möchte, am mensch- lichen Hoden beobachten, da mir hiervon eine beträchtliche Anzahl aus allen Entwickelungsaltern zu Gebote stand. Beim sechsmonatlichen Fötus finden sich hier die Canäl- chen ausgefüllt mit völlig blassen, kleinen Zellen, welche in den für sie noch zu geräumigen Kammern zwischen den Stütz- zellen liegen (Fig. VIII). Im Hoden eines achtmonatlichen Fö- tus zeigen sich die blassen Zellen schon in grösserer Menge und haben einzelne grössere, dunkler aussehende unter sich, die auch mit einem grösseren Kern ausgestattet sind. Beim Neugeborenen finden sich dann einzelne Stützzellenräume stark vergrössert und in diesen sind Zellen gelagert, die durch ihren beträchtlichen Durchmesser sofort in die Augen fallen und dem Canälchen ein sehr charakteristisches, eigenthümliches Aussehen verleihen (Fig. X). Nach Verlauf eines halben Jahres ist von den grossen Hohlräumen und Zellen nur noch sehr wenig zu bemerken, und ein zweijähriger Hoden befindet sich wieder auf 42” 660 Dr. Fr. Merkel: derselben Entwickelungsstufe, auf welcher der sechsmonatliche Fötus stand. Von der zweiten Geschlechtsdrüse, der Milehdrüse, kennt man diesen Ansatz zur Weiterentwickelung bei neugeborenen Kindern schon längst, und es ist nicht zu verwundern, dass auch der Hoden die gleiche Tendenz zeigt. Ob nun auch der Eierstock in ähnlicher Weise einen Schritt vorwärts thut, der dann wieder zurückgemacht werden muss, ist leider aus der meisterhaften Waldeyer’schen Darstellung nicht zu ersehen; doch sind die Verhältnisse hier so völlig andere, dass mögli- cherweise eine Analogie nicht gefunden werden wird. Das ganze Knabenalter hindurch bleibt nun das Aussehen des Hodenquerschnittes dasselbe, es vergrössert sich nur, mit individuellen Schwankungen, der Durchmesser (Fig IX). Beim Eintritt der Pubertät erscheint dann als erste Veränderung ein Bild, welches dem der Samencanälchen des Neugeborenen so vollständig gleicht, dass es nur durch die streifigere Beschaffen- heit der Canälchenwand, aber durchaus nicht durch das An- sehen der im Inneren befindlichen Elemente unterschieden werden kann (Fig. XI). Ein Lumen fehlt den Canälchen des Knaben vollständig. Auch jüngere Thiere lassen kein solches erkennen, wie auch Ebner findet. Die Canälchen der erwachsenen Thiere zeigen ganz entschieden, wie ich Ebner bestätigen kann, einen cen- tralen Hohlraum, der meist durch reife Spermatozoiden ausge- füllt ist. Ob aber beim erwachsenen Menschen ebenfalls ein centrales Lumen vorkommt, wie es Sertoli (l. c.) beschreibt, ist mir auch jetzt noch zweifelhaft geblieben, da man bei Män- nern zwischen 40 und 50 Jahren ganz sicher noch Canäle fin- det, die ein regelmässiges Stützzellennetz im ganzen Durch- messer zeigen. Freilich giebt es ja auch eine grosse Menge von Canälchen, welche ein freies Centrum haben, das ich in meiner früheren Arbeit (l. c.) als artificiell bezeichnete, doch ist es immerhin möglich, dass hier verschiedene Entwickelungs- stadien vorliegen, die in der in Rede stehenden Bildung von einander abweichen. Ueber die Entwickelungsvorgänge im Inneren der Samenkanälchen. 661 Erklärung der Abbildungen. Vergrösserung 666. Fig. I. a—g. Entwickelung der menschlichen Spermatozoiden. Der Kern der ursprünglichen Samenzelle a wandelt sich allmäh- lig in das Köpfchen um, während der Zellkörper Mittelstück und Schwanztheil liefert. c” stellt das Stadium ce in der Kantenansicht dar. (Oxalsäure). Fig. II. @—d. Entwickelungsstadien von Spermatozoiden des Katers. Die Kopfkappe (Zellmembran) ist sehr deutlich zu sehen. (Oxalsäure). Fig. III. a&—e. Entwiekelung der Samenfäden der Maus. Sämmt- liche Entwickelungsstadien lassen die Anlage des Schwanzes erkennen. Die Stadien d und e zeichnen sich durch ihre deutliche Kopfkappe aus. (Oxalsäure). Fig. IV. a, 5. Menschliche Stützzellen von der Fläche gesehen, in ihren Taschen Entwickelungsformen von Spermatozoiden enthaltend. Bei 5 ist der eine aus seiner Lage gerückt. c. Stützzelle vom Men- schen in der Kantenansicht, ebenfalls frühe Entwickelungsstadien von Hodenzellen und einen nahezu fertigen Samenfaden zeigend. d. Stütz- zelle vom Menschen, aus deren Taschen die Spermatozoiden ausge- fallen sind. e. Bruchstück einer Stützzelle mit einem Entwickelungs- stadium des Samenfadens, welches der Fig. I. d entspricht. (Oxal- saure). Fig. V. Maus. a. Stützzelle, aus deren Taschen die Spermato- zoiden ausgefallen sind. d. Desgl. Spermatozoiden in späteren Ent- wickelungsstadien enthaltend. c. Desgl. mit Spermatozoiden, die etwas aus ihrer Lage gerückt sind. Sie entsprechen der Fig. III. c. a und c aus Oxalsäure, 5 aus Müllerscher Flüssigkeit isolirt. Fig. VI. a und 5. Stützzellen der Maus vom Beginn der Brunst- zeit. Bei 5 findet sich die ursprüngliche Cylinderform noch ziemlich erhalten. Fig. VII. Neugeborener Hund. a. Uebergang eines Ausführungs- ganges im Mediastinum testis in ein Hodenkanälchen. Das niedere Cylinderepithel wird rasch höher und zerfällt dann in mehrere Schich- ten, deren äusserste bereits die fertigen dunklen Samenzellen zeigt. d. Querschnitt durch ein Samenkanälchen desselben Hodens. Die grösseren Samenzellen sind nicht mehr sämmtlich wandständig, son- dern zeigen sich theilweise nach dem Centrum des Kanälchens ge- rückt, (Müllersche Flüssigkeit). 662 Dr. Fr. Merkel: Ueber die Entwickelungsvorgänge ete. Fig. VIII. Querschnitt eines Samenkanälchens von 6monatlichem Fötus. Fig. IX. Querschnitt eines Samenkanälchens vom Iljährigen Knaben. Fig. X. Querschnitt eines Samenkanälchens vom neugeborenen Knaben. Fig. XI. Querschnitt eines Samenkanälchens vom 15 jährigen Knaben. Dr, Wenzel Gruber: Ueber einen Musculus u.s w. 663 Ueber einen Musculus tibio-astragaleus anticus des Menschen. Von DR. WENZEL GRUBER. Professor der Anatomie in St. -Petersburg. (Hierzu Tafel XVI. A.) Ich habe den Muskel am 18. Februar 1864 an beiden Extremitäten eines Mannes und neuerdings am 29. Okto- ber 1871 an der linken Extremität (nicht an der rechten) eines Mannes, also an drei Extremitäten, beobachtet. Der Muskel ist daher kein Curiosum mehr, scheint bisweilen aufzutreten. Ueber diesen, meines Wissens, bis jetzt noch ungekannten Muskel liefere ich nachstehende Be- schreibung: A. Fälle vom Jahre 1864. 1. Muskel der rechten Extremität. Lage. Hinter der unteren Partie des Tibialis an- ticus. Ursprung. Von der lateralen Fläche. Der Tibia und dem Lig. interosseum in einer Strecke von 9,5 Cent. und von einer Stelle der Tibia angefangen abwärts, die 1,5 Cent. unter der Mitte ihrer Länge liegt. Verlauf. Sförmig, zuerst am Unterschenkel gekrümmt medial- und abwärts; dann am Tarsus mit seiner Sehne, 664 "Dr. Wenzel Gruber: gemeinschaftlich mit dem Tibialis anticus, durch den für letz- teren Muskel bestimmten und zwischen den Blättern des oberen medialen Schenkels des Lig. lambdoideum befindlichen Theil seiner Synovialscheide hinter den Vasa tibialia antica nebst dem Nervus peroneus profundus, hinter dem Extensor hallucis longus, dem Extensor digitorum longus und Peroneus tertius zur lateralen Seite des Halses des Astra- galus lateralwärts gekrümmt. Ansatz. Am Rande der lateralen Seite des Halses des Astragalus, 9 Mill. hinter dessen Kopfe mit der Sehne, welche, 2,7 Cent. von ihrem Ende, durch ein starkes, am Mal- leolus internus angeheftetes, 2 Cent. langes und 9 Mill. breites, aponeurotisches Blatt — Retinaculum — zum Malleolus internus hingespannt erhalten wurde. Gestalt. Länglich-- dreiseitiger halbgefiederter Muskel. Grösse. 15 Cent. langer Muskel, wovon auf den Körper desselben 9 Cent., auf die 4,5 Mill. breite, plattrund- liche Endsehne 6 Cent. kamen. 9. Muskel der linken Extremität. Der Muskel war am Unterschenkel wie rechts be- schaffen. Seine Sehne ging aber hinter dem tiefen Blatte des vom Malleolus internus kommenden, oberen medialen Schenkel des Lig lambdoideum vorbei und war damit ver- wachsen. Die Sehne war nicht einfach, sondern in zwei Zipfel getheilt, wovon einer in der Capsula talo-navicu- laris und an dem Os naviculare sich verlor, der andere aber an dem Halse des Astragalus endete. B. Fall vom Jahre 1871. 3. Muskel der linken Extremität. (Praeparat in meiner Sammlung aufbewahrt. Fig. b.) Lage. Am Unterschenkel hinter dem Tibialis an- ticus und unten auch hinter dem Extensor hallueis longus; an dem Articulus talo-cruralis hinter den Vaginae des Lig lambdoideum für den letzteren Muskel . Weber einen Musculus tibio-astragaleus antieus u. 8, w. 665 und den Extensor digitorum longus nebst dem Peroneus tertius und hinter den Vasa tibialia antica und dem Nervus peroneus profundus; am Ende einwärts von dem Lig. fun- diforme tarsi und der daselbst vorkommenden Bursa mucosa (mihi). ') Ursprung. In einer Strecke von 15 Cent. von dem 2. 3. und etwas von dem unteren Viertel der lateralen Fläche der Tibia, oben in deren ganzen Breite unten von da nur von einem allmählig schmäler werdenden Streifen neben dem Lig. interosseum, und von letzterem selbst. Verlauf. Sförmig, am Unterschenkel bis 1,5—2 Cent. über dem unteren Ende der Tibia gekrümmt ab- und medial- wärts (Convexität lateralwärts); ganz unten am Unter- schenkel und am Tarsus gekrümmt lateralwärts (Convexität medial- und vorwärts), über die Capsula talo-cruralis, davon durch eine Schicht Fett geschieden, hinter den Vasa tibialia antica und dem Nervus peroneus profundus und den von Lig. lambdoideum gebildeten Vaginae für den Extensor hallueis longus und den Extensor digitorum longus und den Peroneus tertius vorbei. Ansatz. An den Rand der lateralen Seite des Hal- ses des Astragalus, über dem Apparatus ligamentosus sinus tarsi, durch seine Endsehne, welche an ihrem Anfange durch ein starkes von Malleolus internus kommendes, von dem tiefen Blatte des medialen, oberen Schenkels des Lig. lambdoideum geschiedenes, fast parallelogrammes, etwas schräg — lateral — und vorwärts verlaufendes, 1,5—2 Cent. langes und 1,6 breites aponeurotisches Blatt — Retinaculum — (y.) zum Malleo- lus internus hingespannt erhalten wurde. ?) i) Der Tibialus antieus (a.) entsprang in einer Strecke von 8 Cent. und nur von etwas mehr, als dem oberen Viertel der lateralen Fläche der Tibia in deren ganzer Breite und in einer Strecke von 9,5 Cent. vom oberen Theile des Lig. interosseum, und 3,7 Cent. weiter ab- wärts als vom Knochen, verlief und inserirte sich übrigens wie ge- wöhnlich. Die übrigen Muskel waren normal. 2) Der mediale obere Schenkel des Lig. lambdoideum (e.) hatte sich in drei Blätter gespalten, wovon das obere («.) und mitt- 666 Dr. Wenzel Gruber: Gestalt. Ein platterlänglich-dreiseitiger Muskel, dessen Fleischbündel zu einem aponeurotischen in Bündel ge- theilten Blatte sich begeben, das an der lateralen vorderen Fläche des Muskelkörpers ausgebreitet schon 5 Cent. unter dem obersten Ursprung des Muskels beginnt und erst 8 Mill. über dem Ende der Tibia an ihrem lateralen hinteren Rande und an ihrer hinteren Fläche Muskelbündel aufzunehmen auf- hört, also erst von da an eine freie Sehne wird. Grösse. 25 Cent. lang, wovon 5 Cent. auf die frei ge- wordene Sehne kommen; am Muskelkörper: 3,5 Cent.; an der frei gewordenen Sehne: 5—6 Mill. breit; am Anfange der- selben: 3 Mill.; am Ende: 1,5 Mill. dick. Bedeutung. Lage und Ursprung waren in allen Fällen dieselben. Der Verlauf war im Allgemeinen gleich, aber im 1. Falle der seiner Sehne durch die Synovial- scheide des Tibialis anticus zwischen den 2 Blättern des oberen medialen Schenkels des Lig. lambdoideum, in den an- deren dahinter vor sich gegangen. In allen Fällen zog die Sehne hinter den Vasa mit dem sie begleitenden Nerven und hinter den Sehnen der Extensoren lateral- und etwas vorwärte. In allen Fällen war die Sehne in der Nähe des Malleolus internus gelagert erhalten und dadurch zum gekrümmten Verlaufe gezwungen. Dieses war im 2. Falle durch Verwachsung mit dem tiefen Blatte des oberen me- dialen Schenkels des Lig. lambdoideum, in anderen Fällen durch ein am Malleolus internus befestigtes Retinaculum, wel- ches hinter dem tiefen Blatte des oberen medialen Schen- kels des Lig. lambdoideum, also hinter der Vagina für den Tibialis anticus, lag. Der Ansatz beschränkte sich in zwei Fällen auf den Astragalus allein, in dem 3. Falle aber erstreckte er sich, durch einen besonderen Zipfel auch auf die Capsula talo-navicularis und Os naviculare, Seine Gestalt war in allen Fällen fast dieselbe, seine Grösse lere Blatt (3.) dem oberflächlichen und tiefen Blatte der Norm, welche die Sehnen des Tibialis antieus zwischen sich aufnahmen, entsprachen, das tiefste (dritte) Blatt (y.) aber das Retinaculum zur Sehne des Tibio-astragaleus anticus darstellte. Ueber einen Musculus tibio-astragaleus antieus u. s. W. 667 aber hatte variirt. Das aponeurotische Blatt an seiner lateralen vorderen Fläche, namentlich in dem 3. Falle, ge- stattet nicht, ihn nur als eine isolirte, tiefe Portion des Tibialis anticus zu nehmen. Sein Verlauf und na- mentlich sein Ansatz unterscheiden ihn auch von dem von J. Henle!) beschriebenen „Tensor capsulae talo-cru- Kalıs.r Der Musculus tibio-astragaleus anticus dieser Fälle, wenn er auch in den einzelnen Fällen manche Ab- weichungen aufwies, ist doch ein ‘und derselbe Muskel; derselbe, obgleich er in einem Falle mit dem schwächeren Zipfel — auch an der Capsula talo-navicularis und an dem Os naviculare sich verlor, führt doch mit Recht den ihm gegebe- nen Namen; derselbe ist nicht als separirte Portion des Tibialis anticus, sondern als besonderer supernumerärer Unterschenkelmuskel zu nehmen, derselbe hat mit dem Tensor capsulae talo-cruralis — Henle — nichts gemein; derselbe wenn er auch in schräger Richtung zu der lateralwärts von der Axe des Fusses gelagerten Ansatz- stelle sich begiebt, ist doch durch die auf zweierlei Weise bewirkte Fixirung seiner Sehne in der Nähe des Malleolus internus gezwungen, in der Richtung dieser Axe zu wirken, wird also den Fuss nur gegen den Unterschenkel beugen, nicht auch zugleich dessen äusseren Rand heben können. Erklärung der Abbildungen. Linker Unterschenkel mit dem Tarsus, dem Basalstücke des Metatarsale I. und II. eines Mannes. (Alle Muskeln, der Tibialis antiecus und Tibio-astragaleus anticus, ausgenommen, sind entfernt.) a. Musculus tibialis anticus (lateralwärts gezogen). b. Neuer M. tibio-astragaleus anticus. 1) Handbuch d. Muskellehre. Braunschweig 1858. S. 293, 1871. S. 813. 668 Dr. Wenzel Gruber: c. Oberer medialer Schenkel des Ligamentum lambdoideum. @. ÖOberflächliches Blatt| desselben zur Bildung der Vagina für 8. Tiefes 5 die Sehne des Tibialis antieus. y. Tiefstes Blatt desselben als Retinaculum für die Sehne des Tibio-astragaleus antieus. St.-Petersburg, den 13./25. November 1871. Ueber den Musculus u. s. w. 669 Ueber den Musculus und über die neue Bursa mucosa 1lio-costocerviealis am Tuberculum der ersten Rippe, und über einige accidentelle Bursae mucosae am Rücken. Von DR. WENZEL GRUBER,. Professor der Anatomie in St.- Petersburg. (Hierzu Tafel XVI. B) Das Sehnenbündel des Musculus accessorius ad ilio-costalem (= oberen Portion des M. ilio -costocervicalis sens. strict und mittlerer Portion des M. ilio-costocervicalis sens. lat.) zum Querfortsatze des 7. Halswirbels steigt dahin über das Tuberculum der 1. Rippe, wie über ein Hypo- mochlium, aufwärts. Dieses Verhaltens wegen war an diesem Tuberculum unter jenem Sehnenbündel in jenen Fällen, in welchen es beträchtlich stark auftritt, genügend straff angespannt ist und hinlänglich tief vom Muskel abgeht, ein Synovial- sack, zur Vermeidung von Reibung, mit grosser Wahr- scheinlichkeit zu ‘vermuthen. Meine Vermuthung wurde nicht getäuscht und ich bin seit langer Zeit vom Vorkommen einer Bursa mucosa an diesem Orte über- zeugt. Um aber dieselbe allseitig kennen zu lernen und namentlich über die Häufigkeit ihres Vorkommens oder Mangels genaue Aufschlüsse zu erhalten, hatte ich über 670 Dr. Wenzel Gruber: sie auch Massenuntersuchungen geflissentlich vorge- nommen. Im Verlaufe einiger Jahre hatte ich darauf 212 Ca- daver oder 424 Mm. ilio-costocervicales von Individuen beiderlei Geschlechtes und verschiedenen Alters untersucht. Der Musculus ilio-costocervicalis ist vielen Varie- täten unterworfen. Es ist schwer eine Formel seines Ver- haltens in der Norm aufzustellen. Diese, wenn überhaupt möglich, und wenn man nicht zur Fiction, wie man es z. B. 1854 in Schwaben gethan hat, greifen will, kann nur durch Massenuntersuchungen und zugleich durch eine richti- gere Zergliederung, als man sie bis jetzt vorgenommen hatte, ausgemittelt werden. Ich untersuchte daher auch die- sen Muskel bei der Vornahme der Untersuchung der Bursa mucosa desselben am Tuberculum der 1. Rippe, an 60 dazu besonders tauglich befundenen Cadavern. Im Nachstehenden liefere ich nun die Resultate der Zergliederung des Musculus ilio-costocervicalis, der Bursa mucosa desselben am Tuberculum der 1. Rippe und einiger anderer accidenteller Bursae mucosae nach Massenuntersuchungen: I. Ueber den Museulus ilio-costocervicalis. Der Musculus sacrospinalis auct. theilt sich noch in der Lumbalregion in einen inneren und in einen äusseren Bauch. Die Art seines Ursprunges ist bei J. Cruveilhier') und J. Henle?) vollständig auseinandergesetzt. Der innere Bauch heisst: „Longissimus dorsi“ und der äussere Bauch kann: „Ilio-costocervicalis sens, striet.“ genannt werden. Der Ilio-costocervicalis sens. lat. ist = llio-costocervicalis sens. striet. + Cervicalis ascendens.°) 1) Traite d’anatomie deser. 3. edit. Tom. II, Paris 1851. p. 71. 2) Handb. d. Muskellehre d. Menschen. Braunschweig 1858, S. 33. 3) Andr. Laurentius (Anat. hum. corp. Paris. 1600 Fol. Lib. V. Cap. 30. p. 197); J. Riolanus (fil.) (Anthropogr. Paris. 1618, 8. Lib, V, Cap 30. p. 534); Adr. Spigelius (De hum. corp. fabr, Ueber den Musculus u. 8. w. 671 Die in der Lumbal- und Dorsalregion gelagerte un- tere Portion des llio-costocervicalis, welche am seh- Lib. XXX. Op. posth. a Bucretio. Venetiis. 1627. Lib. IV. Cap. 8, p. 114); Nie. Stenon (De muse. et gland. observ. specimen. Am- stelodami. 1664. 8. 12. p. 7— 8, Hafniae. 4. min. p. 6); Isbr. de Diemerbroeck (Op. omn. med. et anat. per T.de D, filium. Ultra- jeeti. 1685. Fol. Lib. V. Cap. 6. p. 467); Ph. Verheyen (Anat. corp. hum. Niapoli. 1717. 4. Lib. I. Cap. 5., 7.); Barth. Eustachius (Tab. anat. ab. J, Mar. Laneisi. Amstelodami. 1722. Fol. p. 85, 87. Tab. 36, 37) nannten den Ilio-costocervicalis: „Sacrolum- bus“. Alle hatten den Muskel mehr oder weniger mangelhaft und unrichtig beschrieben. Stenon gedachte zuerst aufsteigender Bündel, welche zusammen Andere, nicht er, als: M. acces- sorius ad sacrolumbalem — Stenon —, Faisceaux de ren- forcement bezeichneten. Diemerbroeck’s Sacrolumbus + M, sacrolumbo substratus, welchen er als Cervicalis descen- dens betrachtete und theilweise unrichtig beschrieb, ist = 1lio- costocervicalis sens. lat. — Will. Cowper (Myotomia reform. London. 1694. 8. p. 115—116); J. B. Winslow (Expos. anat. de la structure du corps humain. Paris. 1732. 4. p. 251-252); B S. Albin (Hist. musc. hominis. Leidae Batav. 1734. 4. Lib. III. Cap. 113); J. Douglass (Deser. comp. musc. corp. hum. et quadrup. Lugd. Batav. 1738. 8. p. 91—92); Gautier (Essai d’anatomie en tableaux. Paris. 1745. Fol. Tab. XIII. p. 94); Sabatier (Traite compl. d’anat. Tom. I. Paris. 1777. 8. p. 483—486); E. Sandifort (Desc. musc. homin. Lugd. Batav. 1781. 4. p. 197-198); Jos. Jac. Plenck (Pri- mae lineae anatomes. Edit. 4. Viennae. 1794. 8. p. 153); Thom. Lauth (Elemens de myologie et desyndesmologie. Vol. I. Bale. 1798. p- 180); Fr. Hildebrandt (Lehrb. d. Anat. d. Menschen. Bd. 2. Braunschweig. 1799. p. 79—80); S. Th. Sömmerring (V. Baue d. menschl. Körpers. Th 3. Frankfurta M. 1800. p. 215); Xav. Bichat (Traite d’anat. decr. Tom. II. Paris. an. X. (1802.) p. 196—198); A. Portal (Cours d’anat. medicale Tom. II. Paris. 1804. 4. p. 197); J. Bell (Zergliederung d. menschl. Körpers. 'Th. 1, Leipzig. 1806. 8. — (aus d. Engl. London. 1797.) — p. 186); J. G. Jlg (Grundlinien d. Zergliederungskunde d. Menschenkörpers. Prag. 1811. $. 302); J. Fr. Meckel (Handb. d. menschl. Anatomie. Bd. 2. Halle u. Berlin. 1816. 8. S.411); J. Cloquet (Manuel d’anat. deser. du corps humain. Paris. 1825. 4. p. 183-184); H. Cloquet (Traite d’anat. deser. 4. Edit. Tom. I. 1828. p. 394); E. A. Lauth (Neues Handb. d. prakt. Anatomie. — a. d. Französ. a. d. 2. Aufl. — Stuttgart u. Leipzig. 1835. 8.184); J. Quain (The muscles of the human body in a series of plates ete. London, 1830. Fol. p. 95); ©. Fr, Krause (Handb, d, 672 Dr. Wenzel Gruber: nigen Theile nicht nur mit dem äusseren Rande, sondern auch mit der hinteren Fläche der Sehne des Longissimus menschlich. Anat. Hannover. 1838. S. 237); M J. Weber (Handb. d. Anat. d. menschlich. Körpers. Bd. I. Bonn. 1839. S. 538—542); Ph. C. Sappey (Manuel d’anat. deser. Tom. I. Paris. 1850. p. 180); J. Cruveilhier (Traite d’anat. descer. 3. edit. Tom. II. Paris. 1851. p. 73—75); Bourgery (Anat. descr. Tom. II. Paris. 1852. Fol. p. 26); J. Hyrtl (Lehrb. d. Anat. d. Menschen. Wien. 1868. $. 140 — 141); u. A. bedienten sich für den Namen: „Ilio-costocervi- calis° des Namens: „Sacrolumbalis, Sacrelombaire “. Cowper, Gautier, J.etH. Cloquet, Sappey u. J.Cruveilhier meinten damit den llio-costocervicalis sens. lat. (Lumbo- costo-trachelien — Dumas —). Winslow’s Sacrolombaire + Transversaire grele ist = llio-costocervicalis sens. lat. Er schien jeden dieser Muskel für sich an die unteren Halswirbel ansetzen gelassen zu haben. Portal’s Sacrolombaire ist = llio costocervicalis + Trachelomastoideus. Der Sacrolumba- lis der Anderen ist = llio-costocervicalis sens. strict. in ganzer Länge oder selbst nur seines grösseren Theiles unter ver- schieden unrichtiger Auffassung. — Lieutaud’s (Essais anatomiques. Paris. 1742. 8. p. 561 — 562) Costo-cervical ist, bei unrichtiger Auffassung=llio-costocervicalis sens. lat. — J. C. A, Mayer’s (Beschreibung d. g. menschl. Körpers. Bd. 3. Berlin u. Leipzig. 1783. S. 435) Sacrolumbalis proprius ist = Sacrolumbalis auct. — Ph. Fr. Blandin’s (Nouv. elemens d’anat. descr. Tom. I. Paris. 1838. p. 356) Faisceau externe du sacro-spinal ist = llio- costocervicalis sens. lat. Die Beschreibung enthält Wider- sprüche. — Winslow (Op. eit. p. 251 $. 780); Sömmerring (A. a. O.), Fr. Arnold (Handb. d. Anat. d. Menschen. Bd. 1. Freiburg i. Br. 1845. S. 582), H. Luschka (Arch. f. Anat., Physiol. u. wiss. Mediein. Berlin. 1854. S. 153—159), ©. Eckhard (Lehrb. d. Anat. d. M. S. 107 — 109), u. A. wählten für den Muskel, seiner Lage wegen, den Namen: „Lumbocostalis“. Sömmerring's, Är- nold’s, Luschka’s Muskel ist = Ilio-costocervicalis sens. striet.; Eckhard’s Muskel aber ist = llio-costocervicalis sens. lat, — Fr. W. Theile (Lehre v. d. Muskeln. Leipzig. 1841. S. 144) und nach ihm J. Henle (Handb. d. Muskellehre d. M.); G. H. Meyer (Lehrb. d. Anat. d. Mensch. Leipzig. 1861. $. 190), C. Langer (Lehrb. d. Anat. d. M. Wien. 1865. $. 220) u. Quain- Thomson (J. Quain’s Elements of Anatomy. 7. Edit. Vol. I 1867. p. 234) nennen den llio-costocervicalis: llio-costalis. Henle’s Meyers und Langers llio-costalis ist = Ilio-costocervi- calis sens. lat. Theile’s Ilio-costalis ist = Ilio-costocer- i A N Sn De Ueber den Museulus u. s. w. 673 dorsi in verschiedener und bis 1,5 — 2 Cent. grossen Breite verschmolzen ist, entspringt doch mit der grösseren seitlichen Portion von der Spina ilei posterior superior und dem angrenzenden hinteren Theile der Crista ilei und inserirt sich an die unteren und mittleren Rippen; die vor — ein- — und theilweise aufwärts von der unteren Portion in der Dorsalregion und mit der Spitze in der Cervicalregion gelagerte mittlere Portion entspringt von den unteren Rippen und inserirt sich an die oberen Rippen und an den Querfortsatz des 7. Halswirbels; die ein-, vor- und aufwärts von der mittleren in der Dorsal- und Cervicalregion gelagerte obere Portion entspringt von den oberen Rippen und inserirt sich an die Quer- fortsätze unterer Halswirbel. Damit sind die Benen- nungen: llio-costocervicalis sens. lat. et sens. strict. gerechtfertigt, wovon ersterer alle 3 Portionen, letz- terer nur die untere und mittlere Portion in sich begreift. A. Untere Portion — Musculus ılio-costalis. (Portion lombaire du costo-cervical — Lieutaud —, Portion fonda- mentale — Sappey —, Ilio-costalis lumborum — Henle —). a. Nach fremden Beobachtungen. Der Ilio-costalis giebt nur 5 Insertionen, an die 12. — 8. Rippe: oft nach J. Cruveilhier; 6 Insertionen an die 12. — 7. Rippe: nach Bichat, J. et H. Cloquet, Luschka; 6—7 Insertionen, an die 12.—7. o. 6. Rippe: nach Sappey, Henle, Quain-Thomson; 7 Insertionen an die 12.—6. Rippe: in der Regel nach Cruveilhier u. Henle; mehr.als 7 Insertionen: selten nach Cruveilhier; vicalis sens. strict.; Luschka’s llio-costalis ist = der Por- tion lombaire des Costo-cervical von Lieutaud, der unteren Portion des Sacrolombaire von Bichat, J.etH. Cloquet und J. Cruveilhier, der Portion fondamentale des Sacrolom- baire von Sappey; der unteren Portion des Illio-costalis der Anderen, dem llio-costalis als einer Portion des aus 7 Muskeln bestehenden Erector spinae von Quain-Thomson und dem Ilio-costalis unseres llio-costocervicalis, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871, 45 a 674 Dr. Wenzel Gruber: 8—9 Insertionen, an die 12.—5. o. 4, Rippe: nach Lieu- taud. b. Nach eigenen Beobachtungen. Wenn man den Ilio-costocervicalis vom Longissi- mus dorsi vollständig trennt, nach aussen umschlägt und bei nach rückwärts gekehrtem medialen Rande die Trennung seiner unteren Portion — llio-costalis — von der mitt- leren — Accessorius ad ilio-costalem — von unten nach aufwärts vornimmt, so überzeugt man sich, dass der Ilio- costalis nicht nur dem Accessorius aufliegt, sondern dass Bündel und Fasern der sehnigen Insertionen des erste- ren auch zwischen Bündel und Fasern der sehnigen Insertionen des letzteren aufsteigen. Trennt man die jeder dieser Portionen angehörigen auf- oder zwischenliegenden sehnigen Bündel und Fasern, die freilich mehr oder weniger fest mit einander vereinigt aber doch isolirbar sind, mit grosser Vorsicht, so überzeugt man sich durch die mühe- volle Arbeit, dass die Angaben der Anatomen über die Zahl der Insertionen des Ilio-costalis, wegen unsorg- fältig vorgenommener Isolirung von seinem Accessorius und der Nichtvornahme derselben an einer genügend grossen Anzahl von Cadavern grösstentheils unrichtig- sind. Von den Ilio-costales der 60 Cadaver gaben In- sertionen: An die 11.—3. Rippe (9 Ins.) bei einem Manne, der ganz kurze 12 Rippen besessen hatte . ». - - 2.2... Su An 'die 12.—2: Rippe (11 Ins.) .., „1. u mr ma .=ı'& An die 12,.—3. Rippe (10 Ins.) . . .. u a a men SR An die 12.—3. Rippe mit Ausschluss der 4. Rippe (9Ins) = 1. An die 12.—4. Rippe {9 Ins)...» vu cn un, = 46, An die 12.—4. Rippe mit Ausschluss der 4. Rippe $ Ins) = 1. An die 12.—4. Rippe mit Ausschluss der 7. u. 6. Rippe GNS) er en 2 a al aan Eahe NER oh sn Verl a ara Re u | An die 12.-5, Rippe (8 Ins)... cc... u... =. 26. An die 12.—6. Rippe (7 Ins). ».. en sen us u An die 12,.—7. Rippe (6 Ins). . -. » 2. ce nnun> = ul: An die 12.—7,. Rippe mit Ausschluss der 8. Rippe (öIns.) = 1 An die 12.—8. Rippe (ö Ins). .... . Re. = Summa = 120, "N Ueber den Musculus u. s. w. 675 Die Zahl der Insertionen war an beiden Seiten gleich: an 32 Cadavern, ungleich: an 28 Cadavern. Bei ungleicher Anzahl fehlten an einer Seite meistens 1 Insertion (*/, d. F.), weniger oft 2 (°/,, d. F.), ausnahmsweise 3 oder 4 Insertionen (je '/s, d. F.) Daraus geht hervor: 1) dass 120 Muskeln 12 Arten ihrer Insertion aufgewiesen hatten; 2) dass die Zahl der Insertionen von 5—11 variüirt hatte; 3) dass ausnahmsweise die Varietät mit 5 Insertionen (!/yo .d. F.) und 11 Insertionen (!/;, d. F.), selten die mit 7 Inser- tionen (!/,, d. F.) und 6 Insertionen (!/s—!/, d. F.), öfters die mit 10 oder 8 Insertionen (etwa je °/,, d. F.) und am häufigsten die Varietät mit 9 Insertionen (etwa °/, d. F.) vorgekommen war; 4) dass die Insertionen fast immer von der 12. Rippe auf- wärts, ganz ausnahmsweise von der 11. Rippe aufwärts (!/,, d. F.) begannen und 1 oder 2 Rippen nur ausnahmsweise ('/ı d. F,) übersprungen hatten; 5) dass die Zahl der Insertionen auf beiden Seiten der Cadaver um !/,;, häufiger gleich als ungleich war. Der Ilio-costalis endet daher: mit einer verschie- denen, auf beiden Seiten der Cadaver fast ebenso oft gleichen als ungleichen Zahl von Insertionen an die Rippen und fast immer von der 12. aufwärts, aber er inserirt sich in der Regel mit 9 Zacken an die 12.—4. Rippe. Lieutaud, welcher dem Muskel schon vor 129 Jahren 8—9 Insertionen zugestanden hatte, scheint der einzige Anatom gewesen zu sein, der die häufigst vorkommende Zahl der Inser- tionen richtig gekannt hatte. — B. Mittlere Portion — Musculus accessorıus ad ı1lio-costalem — (M. costalis dorsi — Luschka — M. ilio-costalis dorsi — Henle —), a. Nach fremden Beobachtungen. @., 8. Ursprung und Ansatz. Der Accessorius, ad ilio-costalem entspringt mit 43” 676 Dr. Wenzel Gruber: | Fa FASER AR RE Bündeln von den unteren Rippen, einwärts vom Angulus, und zwar von den unteren 6 Rippen, von der 12.—7., nach E. Sandifort; von den unteren 6—7 Rippen, von der 12.—7. o. 6., nach Krause, Theile, Henle, Hyrt]; von den unteren 6—8 Rippen, von der 12.—5., nach M. )J. Weber u. Quain-Thomson; und von den unteren 8— 9 Rippen, von der 12.--5. o. 4. Rippe, nach Lieutaud. Dieselbe giebt sehnige Insertionen an die oberen Rippen allein nach Quain-Thomson; an die 5 oberen Rippen allein nach Luschka; und an die 5 oberen Rip- pen und an den Querfortsatz des 7. Halswirbels nach Henle. b. Nach eigenen Beobachtungen. Ursprung. &. Wenn man den Accessorius ad ilio-costalem vom Ilio-costalis von unten nach aufwärts und vom Cervi- calis ascendens von oben nach abwärts gleich sorgfältig separirt und diese Trennung an einer grossen Zahl von Cadavern vornimmt, so wird man über den Ursprung und die Insertion auch dieses Muskels genügende Auf- schlüsse erhalten. Von den 120 Muskeln der 60 Cadaver entsprangen; Mit Zacken von der 10.—5. Rippe (6 Z.) = 2 » n n ” n ” ” » v ” ” ” » 2 » ” ” » » » ” 11.—4. 11.—5. 11.6. 11.—7. 12.—8. 12.—4. 12.—5. 12.—6. 12.—7. 12.—8. 12.—). ” » 2 (& ZU) = 71 WA) =. (6 ZI) 8 (SZ (10 Z.) 1 (EZ (8 Z.) = 14. (7 ZU) = 224 (6.2.) =42. (5 ZJ =: (42) = 2. Summe = 120. Die Ursprungszacken waren auf beiden Seiten in gleicher Zahl an: 25, in ungleicher Zahl an: 35 Cada- vern vorhanden, Ueber den Musculus u. 5. w. 677 Daraus geht hervor: 1) dass unter 120 Muskeln 12 verschiedene Ursprungs- arten aufgetreten waren; 2) dass die Zahl der Ursprungszacken von 4 — 10 vanriirt hatte; 3) dass die Ursprungszacken in der grössten Mehrzahl (5/, d. F.) von der 12. Rippe, in der Minderzahl (!/, d. F.) erst von der 11. Rippe aufwärts und zwar ganz ausnahmsweise bis zur 3. Rippe (!/.0 d. F.), oder bis zur 4. Rippe ('/,.. d. F.), oder nur bis zur 9. Rippe ('/,. d. F.) abgegangen waren; 4) dass der Muskel meistens mit 6 (+ '!°/,, d. F.), um je die Hälfte weniger oft mit 7 (®/,, d. F.) oder mit 5 (— ’J,,. d. F.), selten mit 8 (°/,, d. F.) und ausnahmsweise mit 4, oder mit 9, oder sogar mit 10 Zacken ('/,, d. F.) seinen Ursprung genommen hatte; 5) dass die Ursprungszacken immer in der Reihenfolge der Rippen abgegangen waren, nie eine solche übersprungen hatten; 6) dass die Varietät mit Ursprung von 6 Zacken, von der 12.-7. Rippe, die überwiegend häufigste, die mit Ursprung von 7 Zacken, von der 12.—6. Rippe, um fast '/; weniger häufige, die mit Ursprung von 5 Zacken, von der 12. — 8. Rippe, weniger oft (um ®/,) auftretende, die Varietät mit 8 Zacken von der 12.—5. Rippe noch weniger oft (um ?/,) vorkommende und die übrigen Varietäten mehr oder weniger selten waren; 7) dass endlich die Zahl der Ursprungszacken auf beiden Seiten eines Cadavers um !/, d.F. häufiger ungleich als gleich war. Der Accessorius ad ilio-costalem kann daher von der 12. oder 11. Rippe bis zur 3 oder 4. Rippe aufwärts, ohne eine derselben zu überspringen, mit 4—10 ohne Unterbrechung aufeinander folgenden Zacken, welche auf beiden Seiten der Cadaver an Zahl öfterer ungleich als gleich sind, abgehen; er entspringt aber in der Regel von der 12. Rippe aufwärts und zwar mit 6 Zacken von den 6 unteren (12.—7.) Rip- pen. Die Angabe Luschka’s vom Ursprunge des Mus- 678 Dr. Wenzel Gruber: Ne kels mit 7 Zacken, von der 12.—6. Rippe, in der Norm ist somit unrichtig. ß. Ansatz, Von den 120 Muskeln inserirten sich: An die Rippe 2.—1. und an den Querfortsatz d. 7. Halswirbels (3 Ins.)= 3. 3.—1. » B- 5 A > (4 Ins.)= 12. 3.—1. „nicht 1, R “ h (eIns)—12; 3.—2. a Ne " e 5 (las). Au a Ra H s R 65Ins)= 11. 4.2. D N Ä j n (4Ins)= 2. eg b A Ä y N (6Ins)= 10. 5.—1l. „wicht 2 5 s = N (Hansa) 5.—2. BE LE N 2 & (Alns)= 1. 9,8452.,1. 5 PR R a h (Ins) = 7E 03:21 „nicht >30, 2 5 R 5 alas). 5.—4. A BETEN a x % (2’fts et: 6.—1. ” 2 \ ei (7lasye= 49: SER EN s . B (6Ins)= 1. 6.—28. ” ».» 5) » E) (8 Ins.) = 1. De N Sl A f R (8 Ins.)= 27. 7T.—1 Ernicht 20% x u 5 Wan) 6% 7.—2. " BR En e = (7Ins)= 1. ik 5 er ä 2 : (9 Ins.)= 16. 8.—l. nicht? , 2" 3 e (&Ins)en2! Be... i % H } i AR RE a. 9.—1. & en . Mi > (10 Ins)= 1. Summe = 120. Die Zahl der Insertionen auf beiden Seiten war an 21 Ca- davern gleich, an 39 Cadavern ungleich. Daraus geht hervor: 1) dass 120 Muskel 23 verschiedene Insertions- Varietäten aufgewiesen hatten; 2) dass die Zahl der Insertionen von 2— 10 variirt hatte; 3) dass 2 oder 10 Insertionen ganz ausnahmsweise (je !/jgo d. F.), 5 Insertionen selten (!/,, d. F.), 6 Insertionen nicht oft (etwa !/, d. F.), 4 oder 5, oder 9 Insertionen häufiger (je !/s d. F.), 7 Insertionen noch häufiger ('/, d. F.) und 8 In- sertionen am häufigsten (!/, d. F.) vorgekommen waren; Ueber den Musculus u. s w. 679 4) dass der Muskel die Insertionen zu den Rippen, von der 9. Rippe aufwärts in der Regel (- °/, d. F.) in deren ununterbrochener Reihenfolge, und zu dem Querfort- satze des 7. Halswirbels (+ !'/, d. F.) gesandt; selten nicht zu dem Querfortsatze des 7. Halswirbels (!/,, d. F.), oder ganz ausnahmsweise nicht zu diesem und zur 1. Rippe oder nicht zu demselben und zur I., 2., 3. Rippe, oder nicht zu demselben und zur 4. Rippe (je '/,0 d. F) gesandt; oder durch Ueberspringen der 1., oder 3., oder 4. Rippe (je !/so d. F.), oder der 2. und 1. Rippe, oder der 7. und 1. Rippe (je Yo Ad. F.) diese Rippen damit nicht versehen hatte; 5) dass die Varietät mit 8 Insertionen — andie”7. — 1. Rippe und an den Querfortsatz des 7. Halswirbels — am häufigsten; die Varietät mit 7 Insertionen — an die 6.—1. Rippe und an den Querfortsatz des 7. Halswirbels — um etwa !/, weniger häufig; die Varietät mit 9 Insertionen — an die 8.— 1. Rippe und an den Querfortsatz des 7. Hals- wirbels — etwa um °/, weniger oft; die Varietäten mit 4, 5, 6 Insertionen — an die 3.—1., oder 4.—1., oder 5.—1. Rippe und an den Querfortsatz des 7. Halswirbels -- etwa um #/, weniger oft; die übrigen 17 Varietäten selten oder ganz aus- nahmsweise vorgekommen waren; 6) dass die Zahl der Insertionen auf beiden Seiten der Cadaver um !/, häufiger ungleich als gleich aufgetreten war. Der Accessorius ad ilio-costalem kann daher an die Rippen, von der 9. aufwärts, eine sehr variirende, auf beiden Seiten öfterer ungleiche als gleiche Zahl von Inser- tionen und meistens auch an den Querfortsatz des 7. Halswirbels eine Insertion abgeben; er setzt sich aber amhäufigsten mit8Insertionen an die 7 oberen Rippen und an den Querfortsatz des 7. Halswirbels an. Die Angabe der Anatomen vom Ansatze des Muskels an die 5 oberen Rippen und an den Querfortsatz des 7. Hals- wirbels in der Norm ist sicher eine unrichtige. Die Angabe aber vom Ansatze des Muskels an die 5 oberen Rippen allein (Luschka 1854) oder an die oberen Rippen allein (Quain-Thomson 1870) in der Norm also nicht auch 680 Dr. Wenzel Gruber: an den Querfortsatz des 7. Halswirbels, ist eine ganz falsche. — Varietät. In einem Falle gingen von dem Sehnenbündel zur 1. Rippe aussen zwei Fleischbündel ab, welche sich an die 3. und 4. Rippe inserirt hatten. C. Obere Portion — Musculus cervicalis ascendens —. a. Nach fremden Beobachtungen. &, 8. Ursprung und Ansatz. Der CGervicalis ascendens kann entspringen: von 2 Rippen, von der 4.—3. (Albin, Hildebrandt), oder von der 5.—4. (Albin); von 3 Rippen, von der 4.—2. (Al- bin, Sömmerring), von der 5.—3. (Albin, J.C. A.Meyer, Th. Lauth, J. Bell, Theile, Luschka), von der 5., 4., 2. (E. H. Weber), von der 6.—4. (Albin, Sömmerring, Hildebrandt), von der 6. 5., 2. (Hildebrandt); von 4 Rippen, von der 4.—1. (E. A Lauth, Quain-Thomson), von der 5.—2. (J. ©. A. Mayer, Jlg, M.J. Weber, Bour- gery), von der 6.—3. (Albin, Meckel, Theile, Luschka); von 5 Rippen (Sömmerring, E. A. Lauth, Krause, Luschka, Henle, Quain-Thomson), von der 6 —2. (San- difort, Sömmerring, M. J. Weber, Bourgery); von 6 Rippen, von der 6.—1. (Krause, Henle). Es reichen seine Ursprungszacken bis zur 8. Rippe (Arnold), oder bis zur 9. Rippe (Sömmerring, Arnold), oder sogar bis zur 10. Rippe (Theile, Henle) herab. Derselbe kann sich inseriren an die Querfortsätze von 2 Halswirbeln, des 6. und 5. (Henle) oder des 5. und 4. (Sömmerring); an die Quer- fortsätze von 3 Halswirbeln, des 6.—4. (J. C. A. Mayer, Thom. Lauth, Hildebrandt, J. Bell, Krause, Theile, Henle, Quain-Thomson), des 5.—3. (Theile, Luschka), des 4. -2. (E. Sandifort, Plenck); an die Querfortsätze von 4 Halswirbeln, des 6.—3. (Cowper, J. C. A. Mayer, Hildebrandt, Jlg, Meckel, E. A. Lauth, M. J. Weber, Arnold, Bourgery, Luschka, Henle); an die Querfortsätze von 6 Halswirbeln, des 7.- 2. (Sömmerring). Ueber den Musculus u. 3. w. 681 b. Nach eigenen Beobachtungen. «@. Ursprung. Von den 120 Muskeln entsprangen: Mit Zacken von der 9.—4. Rippe (6 Z)= 1. » ah Yuan aa DZ. » » u. 9. Bd, az ” ” » » 3.—3. n (6 2.) —_ ä, 2 n » „ 8.4. NORZN = la: » a Ey N in Bl AZ 2e » ” Rush 142, Man 2 2) „ ) „. u—4. „ (OeZo)n=r los » » A = led) = 1 > 1 Me LE oe „ a GE a LENZ ” et NE 2 ZN 2: » » a6. 8: ala ZN 21: 2 a ” „6.4. =..@2., 18. - N N R DN ZN NRTE » 5 ee REES BZ » » 3a Br RAR: r 5 SunkDN es: BSR ZOESENSE ” ” Eu) ” 5.—4., er) (2 2.) = 9: r 2 » ” 5. » (l 2.) = 1. » » le ek DM ZA NND. Ta Simmelz 20! Die Zahl der Ursprungszacken war auf beiden Seiten gleich: an 19 Cadavern, ungleich: an 41 Cadavern Daraus geht hervor: 1) dass 120 Muskel mit 21 verschiedenen Ursprungsarten aufgetreten waren; 2) dass die Zahl der Ursprungszacken von 1—7 varürt hatte; 3) dass die Ursprungszacken ausnahmsweise von der 9. oder 4. Rippe in je '/,, d. F.) aufwärts, selten von der 8. Rippe (!/,; d F.), öfters von der 5. Rippe ('/;, d. F.), häufiger von der 7. Rippe (etwa °/,, d. F.) und am häufigsten von -der 6. Rippe (?/, d. F.) aufwärts abgegangen waren; 4) dass der Ursprung mit 1 oder 7 Zacken ganz aus- nahmsweise (in je '/,., d. F.), der mit 6 Zacken selten (!/,, d. F.), der mit 5 oder 2 Zacken öfters (etwa in je Y, d. F.), 682 Dr. Wenzel Gruber: der mit 3 Zacken häufiger (?/,, d. F.) und der mit 4 Zacken am häufigsten (!/, d. F.) vorkommen; 5) dass der Ursprung mit Zacken von der 6.—3. Rippe der häufigste (+ !/,d. F.), der von der 6.—4. Rippe um '/,, und der von der 7.—4. Rippe um '/, weniger häufig, der von der 7.—3. und der von der 5.— 3. Rippe nicht oft (etwa in je '/,o d. F.), der von der 5.— 4. und der von der 6.—5. selten, und anderartiger Ursprung ganz selten oder ganz ausnahmsweise vorgekommen war; 6) dass die Zahl der Zacken an beiden Seiten der Cal um '/, häufiger ungleich, als gleich angetroffen worden war. Der Gervicalis ascendens entspringt daher auf sehr variiırende Weise und in der Mehrzahl der Cadaver mit ungleicher Zahl von Zacken auf beiden Seiten, aber doch am häufigsten mit 4 Zacken und zwar von der 6.—3. Rippe. 8. Ansatz. Von den 120 Muskeln hatten sich inserirt: An die Querfortsätze vom 6.—3. Halswirbel (Ins) en: 6.—3. x und an die 1. Rippe (Ins) = l; 6.—4. E (3 Ins) = 58, 6.—4. 5 und an die 1. Rippe (4 Ins.) = 3, 6.—. ä REN ONE (“Ins.) = ı, 6.—4. Y »„ „ den 1. Rückenwirbel (4 Ins.) = die 6.5. Y 2 Ins) = 18, 6.—5. 4 und an die 1. Rippe (3 Ins.) = 2, 6. x allein (Lilns) = L; 6. : „ und an die 1. Rippe (2 Ins.) = 1, —) \ (# Ins.)e = I. 7.—4 (4 Ins) = >» en 5 Ins) = 38, 4. a allein (d:ins.)=: 1, .—J. nr @.Ins), = 4, Da a (27Ins)e= 3, 6.,5.,4.,2. * (4 Ins.) = 13 EA @Ins) = u, Summe = 120. Die Zahl der Insertionen war auf beiden Seiten gleich: an 15 Cadavern, ungleich: an 45 Cadavern. 17 a En Ueber den Musculus n. s. w. 683 Daraus geht hervor: I) dass 120 Muskel 18 verschiedene Insertionsarten auf- gewiesen hatten; 2) dass die Zahl der Insertionen von 1 bis 5 variirt hatte; 3) dass 1 oder 5 Insertionen ausnahmsweise (je '/so d. F.), 2 oder 4 häufig (etwa je '/, d. F.), 3 Insertionen am häufigsten (+ '!/, d. F.) vorgekommen waren; 4) dass der Muskel seine Insertionen in der Regel zu den Querfortsätzen des 7”.—2. Halswirbels (!!/,, d. F.), bisweilen zugleich zur 1. Rippe ('/,, d. F.) oder ganz ausnahmsweise zur 2. Rippe oder zum Querfortsatze des 1. Dorsalwirbels (je !/.,. d. F.) abgesandt hatte; 5) dass die Insertionen in der Regel ohne Ueberspringen einer Ansatzstelle (— ''!/., d. F.), bisweilen mit Ueberspringen 1 Stelle (!/,, d. F.), ganz ausnahmsweise mit Ueberspringen von 2 Stellen (!/o d. F.) vor sich gegangen waren; 6) dass Muskel mit 3 Insertionen an die Querfort- sätze des 6.—4. Halswirbels in der Regel (fast '/5:— ?°/gu d. F.), mit 4 Insertionen an die Querfortsätze des 6.—3. Hals- wirbels oder mit 2 Insertionen an die Querfortsätze des 6.—)5. Halswirbels öfters (je °/s, d. F.) und die übrigen 15 Insertions- arten sehr selten oder ganz ausnahmsweise vorgekommen waren; 7) dass die Zahl der Insertionen auf beiden Seiten der Cadaver um !/, d. F. häufiger ungleich als gleich war. Der Cervicalis ascendens kann daher seine Inser- tionen bis zum Querfortsatze des 2. Halswirbels aufwärts, bis zum 7. Hals-, oder 1. Dorsalwirbel, oder bis zur 1. oder sogar 2. Rippe abwärts und zwar in der Regel in ungleicher Anzahl auf beiden Seiten der Cadaver senden; aber er giebt in der Regel 3 Insertionen an die Querfortsätze des 6. — 4. Halswirbels ab. Andere Annahmen der Insertionen des Muskels als Regel sind unrichtig. — Varietäten. In einem Falle hatte der Muskel eine starke Sehne von einem an die Rippen nicht inserirten Fleisch- bauch des Ilio-costalis erhalten. In zwei Fällen hatte der Muskel das Sehnenbündel des Accessorius, welches sich an die 3, Rippe inseriren sollte, auf- genommen. LTR RM NT PO 684 Dr Wenzel Gruber: In mehreren Fällen hatte der Muskel 1— 2 Bündel von dem Sehnenbündel des Accessorius zur 3. und 4. Rippe er- halten In einem Falle war von der 4. Rippe, auswärts vom letz- ten Insertionsbündel des Ilio-costalis ein Sehnenbündel ent- sprungen, welches in einem Fleischbauch sich fortgesetzt hatte. Letzterer hatte sich an den cervicalis ascendens angelegt und in eine Sehne geendet, die sich an den Querfortsatz des Atlas inserirte. In einem Falle war das Fleischbündel zum 6. Halswirbel mit zwei Sehnenbündeln von den Bündeln des Accessorius zur 1. und 2. Rippe gekommen. In einem Falle, in welchem das Bündel zum 4. Halswirbel gefehlt hatte, war das Bündel zum 3. Halswirbel ein spindel- förmiges Muskelbändchen mit Anfangs- und Endsehne. D. Bündel des Musculus accessorius ad ilio-costalem als einer Portion des Musculus ilio-costocervicalis, zum Querfortsatze des 7. Halswirbels. a. Nach fremden Beobachtungen. Von dem sehnigen Bündel des Ilio-costocervicalis zum Querfortsatze des 7.Halswirbels sprechen die meisten Anatomen (z. B.: Diemerbroeck, Winslow, Douglass, Lieutaud, Sabatier, J. C. A. Mayer, Thom. Lauth, Sömmerring, Bichat, A. Portal, Meckel, J. et H. Clo- quet, E. A. Lauth, Sappey, J. Cruveilhier, Bourgery, Henle, H. Meyer), so, als ob es constant vorkäme. Nach Wenigen (Albin, J. Qain, Theile) ist es gewöhnlich vorhanden. Nach Einem (Arnold) kommt es öfters vor. Nach Mehreren (J. Bell, Jlg, Krause, Luschka, Hyrtl u. A.) existirtesbisweilen. Manche (W. Cowper, Quain- Thomson) haben es ganz vergessen und Einer (Lusch- ka) vergisst es nur bedingungsweise, nämlich dann, wenn ihm seine Existenzunbequem wird. So hatLuschka es damals vergessen, als er für den M. accessorius ad ilio-costalem (= der oberen Portion des Ilio-costocervicalis sens. striet. und = der mittleren Portion des Ilio-costocervicalis aa a ER en Bau: Ueber den Musculus u. s. w. 685 sens. lat.) den Namen: „M. costalis dorsi* entdecken musste, um J. Hyrtl') zur Bewunderung hinzureissen, was in der That so gelang, dass dieser Anatom, obgleich er selbst das Bündel zum 7. Halswirbel bisweilen vor- kommen lässt, doch 14 Jahre später noch, über Luschka’s (angeblich) sorgfältige Revision (!!??), „die (sogar) zur Aufstellung eines neuen M. costalis dorsi führte“ berichtete. b. Nach eigenen Beobachtungen. Auf das Vorkommen oder den Mangel untersuchte ich 200 Cadaver, wovon 165 dem männlichen Geschlechte und 35 dem weiblichen angehört hatten. Ich traf das Bündel des Accessorius ad ilio-costa- lem (als einer Portion des Ilio-costocervicalis) zum Quer- fortsatze des 7. Halswirbels beiderseitig an: 162 (136 m., 26 w.), nur einseitig an: 27 (2l m., 6 w.) und zwar rechtsseitig an: 14 (ll m., 3 w.), linksseitig an: 13 (10 m., 3 w.) Individuen; vermisste es beiderseitig an: il (8 m., 3 w.), nur einseitig an: 27 (21 m., 6 w.) und zwar rechtsseitig an: 13 (10 m., 3 w.), linksseitig an: 14 (11 m, 3 w.) Individuen. Ich traf es daher von 400 Muskeln an: 351 (293 m. IL, 55 w. L), vermisste es an: 49 (57 m. IL, 12 w. 1). Daraus ergiebt sich: 1) dass das Bündel fast in '%/,, der Cadaver beiderseitig oder einseitig vorhanden war; 2) dass dasselbe überwiegend häufig beiderseitig (?/, d. C.), nicht oft nur einseitig (!/, d. C.) vorgekommen war; 3) dass der Accessorius ad ilio-costalem dasselbe meistens (?/, d. F.) aufgewiesen habe; 4) dass dasselbe an Muskeln der rechten und linken Seite fast gleich häufig vorgekommen sei; 5) dass dasselbe an Muskeln von Frauen öfterer (!l, d. F.), als an jenen von Männern (etwa !/, d. F.), und zwar 1) Lehrb, d. Anatomie d. Menschen. Wien 1868. S, 441, 686 Dr. Wenzel Gruber: bei Frauen und Männern öfterer einseitig (um !/;, b. F., um ?/, b. M.), als beiderseitig vermisst worden war. Das Bündel des Accessorius ad ilio-costalem zum Querfortsatze des 7. Halswirbels erwies sich meistens als ein plattes oder platt-rundliches Sehnenbündel von va- riirender Stärke und Breite, welches über den lateralen Theil des Tuberculum der 1. Rippe und die daselbst inserirte Sehne des Accessorius ad ilio-costalem, wie über ein Hypomochlium gekrümmt, gewöhnlich mehr oder weniger straff gespannt war. Bisweilen lag es lose darüber oder lateralwärts davon. Selten war das Sehnen- bündel durch ein Fleischbäuchchen ersetzt, welches mit 1—3 kurzen Sehnen, vom Accessorius, namentlich von dessen Bündel zur 1. Rippe, abging und fleischig oder fleischig-sehnig an den Querfortsatz des 7. Halswirbels sich inserirte.. Auch selten war das Sehnenbündel zum Querfortsatz des 7. Hals- wirbels doppelt oder nebst dem Sehnenbündel noch ein Fleischbäuchchen zugegen. Oefters erschien das Sehnen- bündel nur als ein Ast des Sehnenbündels des Acces- sorius ad ilio-costalem zur .l. Rippe, von dem es sich in der Nähe der 1. Rippe oder erst an dieser separirte. Unter den zu diesen Untersuchungen benutzten Cada- vern: hatte der eines Weibes nur 11 Brustrippenpaare, aber ein supernumeräres Halsrippenpaar. Letzteres hatte wie gewöhnlich der 7. Halswirbel getragen. Der Ilio- costalis der rechten Seite hatte sich mit 7 Bündeln an die 11.—5. Rippe und der der linken Seite mit 8 Bündeln an die 11.—4. Rippe inserir. Der Accessorius ad ilio- costalem war beiderseits mit 6 Zacken von der 11.—6. Rippe abgegangen, hatte aber rechts mit 5, links mit 4 Bündeln geendet. Die Sehnenbündel desselben hatten sich zwar an die oberen Brustrippen (rechts an die 4.—1., links an die 3.—1.), nicht aber an die Halsrippe, sondern beidersei- tig an den Querfortsatz des 7. Halswirbels angesetzt. Das Bündel des Accessorius ad ilio-costalem zum Querfortsatze des 7. Halswirbels kommt daher in der Regel vor und ist meistens nur ein in der Einzahl auf- Bar: AT aaa ad Bu Ueber den Musculus u. s. w. 687 tretendes Sehnenbündel. Alle anders lautenden An- gaben der Anatomen sind unrichtig. — E. Uebersicht. Die Formel des Ansatzes der unteren Portion (M. ilio-costalis), des Ursprunges und des Ansatzes der mitt- leren Portion (M. accessorius ad ilio-costalem) und der oberen Portion (M. cervicalis ascendens) des M. ilio-costo- cervicalis sens. lat. ist eine sehr variable. Es istschwer die Formel für die Norm aufzufinden. Nach meinen Massenuntersuchungen lautet die am häufigsten vor- kommende Formel: für den Ilio-costalis — An.: an die 12.—4. Rippe —; für den Accessorius ad ilio-costalem — Ur.: von der 12.—7. Rippe, An.: an die 7.-—1. Rippe und an den Querfortsatz des 7. Halswirbels —; und für den Cervicalis ascendens — Ur.: von der 6.—3. Rippe, An.: an die Querfortsätze des 6.—4. Halswirbels —. Diese meine Formel der Norm steht mit den von anderen Anatomen aufgestellten Formeln der Norm mehr oder weniger, namentlich aber mit der von Luschka neuerdings angege- benen Formel: für den Ilio-costalis — An.: an die 12.—6. Rippe —; für den Accessorius ad ilio-costalem — Ur.: von der 12.—6. Rippe, An.: an die 5.—1. Rippe —; für den Cervicalis ascendens — ÜUr.: von der 5.—l. Rippe, An.: an die Querfortsätze des 6.—3. Halswirbels (später 1863 — des 5.—3.) — ganz im Widerspruche. Nach Luschka’s Formel klappt Alles. Der Accessorius ad ilio-costalem soll sich in der Norm nur an diejenigen Rippen inseriren, welche der Ilio-costalis nicht mehr erreicht, und der Cervicalis ascendens erlaubt sich erst von den Rippen zu entspringen, von welchen der Acces- sorius ad ilio-costalem mit Ursprungszacken nicht beginnt (wenigstens bis 1854). Dem Accessorius ad ilio-costa- - lem wird der Name: „Costalis dorsi* verliehen und, damit er diesen Namen verdiene, auf das Bündel zum Querfortsatze des 7. Halswirbels nicht geachtet. Wenn, wie aus meinen Beobachtungen erhellt, z. B. der a N Rd. 2) er, SUPER, . A & hr Rh SW 688 Dr. Wenzel Gruber: unterste Ansatz des Accessorius ad ilio-costalem um 1 Rippe höher als der oberste Ansatz des Ilio-costalis nur in '!/, d. F., ersterer um 1 Rippen höher als letzterer in !/,s, d. F., diesel- ben Ansätze auf derselben Rippe in °®/,.d. F., aber der unter- ste Ansatz des Accessorius ad iliocostalem um 1-5 Rippen tiefer als der oberste Ansatz des Ilio-costalis in ®/, d. F. (und zwar um 1 Rippe tiefer in ‚/,, d. F., um 2 Rippen tiefer in */,, d. F., um 3 Rippen tiefer in °/,, d. F., um 4 Rip- pen tiefer in ?/,, d. F., und um 5 Rippen tiefer in !/,, d. F.) vor sich geht u. s. w.; so ist obige Darstellung, abge- sehen von allem Anderen, schon dadurch völlig hinfällig ge- worden. Meine auf wirklich sorgfältig und zahlreich vorge- nommenen Untersuchungen basirten Resultate berechtigen mich wieder, Luschka’s Angaben über das Verhalten seines Lum- bocostalis in der Norm zu verurtheile : und in das Reich seiner vielen aus Speculation am Schreibtisch hervorgegangenen Fictionen zu verweisen. TI. Ueber die neue Bursa mucosa musculi ilio-costocervicalis (accessorii ad ilio-costalem) am Tuberculum der ersten Rippe. (Taf. XVL.) 1. Vorkommen. Auf das Vorkommen oder den Mangel der Bursa sy- novialis auf dem Tuberculum der 1. Rippe unter dem Bündel des Accessorius ad ilio-costalem vom Ilio- costocervicalis zum Querfortsatze des 7. Halswirbels (“) wurden 200 Cadaver, welche Individuen vom 2.—78, Lebensjahre angehört hatten, und ausserdem 12 Cada- ver von 3 Embryonen aus dem letzten Monate und von 9 neugeborenen oder mehrwöchentlichen Kindern un- tersucht. Unter dem genannten Bündel, mit welchem aus 400 Muskeln von Individuen vom 2.—78, Lebensjahre 351 versehen waren, die 162 (136 m., 26 w.) beiderseitig, 27 (21 m., 6 w.) nur einseitig, und zwar 14 (11 m., 3 w.) rechtseitig und 13 (10 m., 3 w.) linkseitig aufgewiesen hatten, war die Ueber den Museulus u. s. w. 689 Bursa mucosa an 281 (darunter auch an dem linken Mus- kel eines 2-jährigen Knaben, an beiden Muskeln eines 4- und eines 7-jährigen Mädchens, an einem oder bei- den Muskeln von 10—14-jährigen Knaben, an beiden Muskeln des Weibes mitl1 Brustrippenpaaren und ei- nem Halsrippenpaar, und an beiden Muskeln eines ' kyphotischen Mannes) beobachtet worden. Dieselbe gehörte bei 122 Cadavern (100 m., 22 w) beiden Seiten, bei 37 (31 m., 6 w.) nur einer Seite, und zwar davon bei 19 (15 m., 4 w.) der rechten, bei 18 (16 m., 2 w.) der lin- ken Seite an. Ihr Vorkommen zum Mangel überhaupt hatte sich somit wie 281:70 = 4,014:1; ihr Vorkommen zum Mangel bei Männern wie 231:62 = 3,725:1; bei Frauen wie 50:3 = 6,25:1; das beiderseitige zum ein- seitigen Vorkommen wie 122:37 = 3,297: 1; das recht- seitige zum linkseitigen Vorkommen überhaupt wie 141 :140 = 1,007: 1 verhalten. Unter dem Bündel der 6 Muskeln von 3 unreifen Kindern fehlte die Bursa. Unter 9 Kindern fehlte bei 1 beiderseits, beil rechterseits das genannte Bündel, so dass nur 15 Muskel das Bündel aufge wiesen hatten. Darunter war die Bursa bei 6, welche beiden Seiten von 1, der rechten Seite von 3, und der linken von 1 Cadaver ange- hört hatten, zugegen gewesen. Die Bursa kann daher schon beim neugebornen oder doch beim mehrwöchentlichen Kinde auftreten und wird _ bei Individuen vom 2. Jahre des Lebensalters bis ins Greisenalter hinauf in der Regel (*/, d. F.), viel häufi- ger bei Männern als Frauen, meistens beiderseitig und gleich oft rechtseitig und linkseitig zu erwarten sein. 2. Zahl. Bei 2 Männern an beiden Seiten hatte ich je 2 Bur- sae, eine laterale und eine mediale angetroffen. Bei ei- nem dieser lag die mediale Bursa jederseits unter dem M. cervicalis ascendens Das einfache Vorkommen Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 44 690 Dr. Wenzel Gruber: zum doppelten hatte sich somit verhalten wie 277:4 = 69,52: 1. Es ist somit fast immer nur eine Bursa vorhanden. 3. Lage. Auf dem Ende der Sehne des M. accessorius ad iliocostalem zur 1. Rippe (ß), also auf dem Tubercu- lum (F) der 1. Rippe (No. 1), und zwar gewöhnlich an dessen hinterem lateralen Umfange mittelbar, aus- nahmsweise bei Mangel jener Sehne unmittelbar am Tu- berculum, oder daselbst und darüber am Levator cos- tae I. oder Scalenus medius; unter der Sehne des Ac- cessorius ad ilio-costalem zum Querfortsatze des 7. Halswirbels (a), oder, falls diese durch zwei Sehnen oder eine Sehne und ein Fleischköpfchen vertreten ist, unter beiden oder nur unter der lateralwärts gelagerten; zwischen dem Cervicalis ascendens und Scalenus posticus; gleich neben dem Ende desProcessus transversus des1. Brust- wirbels oder gewöhnlich in verschieden grosser Di- stanz davon (bis 7 Mill.) lateralwärts (ff). 4, Gestalt. Eines einkammerigen, gewöhnlich ovalen oder länglichrunden, selten (!/,, d. F.) kreisrunden, von hinten nach vorn comprimirten Beutels, welcher in den Fällen, in denen er sich über die 1. Rippe oben noch hinaus . erstreckt, einen mit Fett angefüllten Synovialfortsatz oder ein Paar derselben, welche von der vorderen Wand über der 1. Rippe abgehen, enthalten kann. 5. Grösse. Nach Messungen, die an 100 Bursae vorgenommen worden waren, variirte die Weite: in verticaler Rich- tung von 2—15 Mill, in transversaler Richtung von ] bis 11 Mill, in sagittaler Richtung von 1—7 Mill. 6—9 Mill. vertical, 3—7 Mill. transversal und 2—3Mill. 3a- gittal weite Bursae kamen am häufigsten vor, In den Ueber den Musculus u. s. w. 691 drei Richtungen: 15, 10 u. 3 Mill.; 15, 9 u. 6 Mill.; 13'/,, EIESERENMIN.; 12, 10°0.23 Mill.; 12, 7 u.4 Mil.; 11, 110, 3 Mill; 11, 7 u.3 Mill.; 10, 9 u. 5 Mill. weite Bursae wa- ren die grössten. Die Grösse der Bursa ist sonach sehr variabel und bisweilen sehr beträchtlich. III. Ueber einige accidentelle Bursae mucosae. l. Bursae mucosae M. ilio-costo-cervicalis sens. lat. a. Bursa mucosa M. cervicalis ascendentis. An dem Oadaver eines Weibes hatte der Accessorius ad ilio-costalem der rechten Seite ein Bündel zum Querfortsatz des 7. Halswirbels gesandt und darunter auf dem Tuberculum der 1. Rippe eine kleine Bursa aufgewiesen. Der Accessorius ad ilio-costalem der linken Seite hatte zum Querfortsatz des 7. Halswirbels kein Bündel geschickt. Unter dem. Cervicalis ascendens der linken Seite war aber auf dem Processus transversus des 1. Brust- wirbels und am Tuberculum der l. Rippe eine Bursa vorhanden, welche in verticaler Richtung 9 Mill. und in transversaler 11 Mill. weit war. b. Bursae mucosae M. accessorü ad ilio-costalem auf der 2.—3. Rippe. «. Auf der zweiten Rippe. l. Fall. An dem Cadaver eines Mannes, dessen M. accessorius ad ilio-costalem beider Seiten das Bün- del zum Querfortsatz des 7. Halswirbels und darunter an beiden Seiten die Bursa am Tuberculum der ]. Rippe aufgewiesen hatte, war unter dem Bündel des rech- ten M. accessorius ad ilio-costalem zur 1. Rippe eine Bursa auf der 2. Rippe zugegen gewesen. ‘2. Fall. An dem Cadaver eines Weibes, dessen rech- ter Accessorius ad ilio-costalem kein Bündel zum Querfortsatz des 7. Halswirbels, dessen linker Muskel aber dieses Bündel und die Bursa am Tuberculum der 1. 44 ® 692 Dr. Wenzel Gruber: Rippe aufgewiesen hatte, wurde auch unter dem Bündel des rechten Accessorius ad ilio-costalem zur 1. Rippe eine Bursa auf der 2. Rippe angetroffen. ß. Auf der 3. Rippe. 3. Fall. Am Cadaver eines Mannes, dessen rechter Ac- cessorius ad ilio-costalem das Bündel zum Querfort- satz des 7. Halswirbels, aber darunter am Tuberculum der 1. Rippe nicht die Bursa, dessen linker Muskel aber beide besessen hatte, war rechts unter dem Insertionsbündel des ‘ Accessorius an die 2. Rippe und unter der Ursprungszacke des Cervicalis ascendens von der 4. Rippe eine Bursa auf der 3. Rippe angetroffen worden, welche in verticaler Richtung 2 Cent. und in transversaler Richtung 8 Mill. weit war. R y. Aufder 2. und 3. Rippe. 4. Fall. An dem Cadaver eines Mannes, dessen Ac- cessorius ad iliocostalem beiderseits das Bündel zum Querfortsatz des 7. Halswirbels, aber nur unter dem Bün- del des linken am Tuberculum der 1. Rippe die Bursa ge- habt hatte, war unter dem Bündel zur 1. Rippe und unter je- nem zur 2. Rippe des rechten Accessorius ad ilio-costa- lem auf der 2. und 3. Rippe je eine Bursa von 11 Mill. verticaler und 6!/, Mill. transversaler Weite, zur Beobachtung gekommen. 2. Bursae mucosae longissimi dorsi. a«. Aufder 2. Rippe. 1 Fall. An einem mit Kyphosis behafteten Cadaver eines Mannes war unter dem Bündel des Accessorius ad ilio-costalem der rechten Seite auf dem Tuberculum der 1. Rippe die in der Regel vorkommende Bursa dieses Mus- kels und unter dem Bündel des Longissimi dorsi zum Querfortsatz des 1. Brustwirbels eine Bursa auf der 2. Rippe gefunden worden. ß. Auf der dritten Rippe. 2, Fall. An dem Cadaver eines Mannes, dessen jeder Accessorius ad ilio-costalem ein Bündel zum Quer- . Ueber den Musculus u. s. w. 693 fortsatz des 7. Halswirbels und darunter jederseits die Bursa am Tuberculum der I. Rippe aufgewiesen hatte, war unter dem Bündel des Longissimus dorsi der linken Seite zum Querfortsatze des 2. Rückenwirbels auf der 3. Rippe eine kreisrunde Bursa von 13'/, Mill. Durch- messer in verticaler und transversaler Richtung gesehen wor- den, Erklärung der Abbildung. Rückentheil des Halses und der Brust der rechten Seite. 1% 4 Erste, zweite und dritte Rippe. 3. a. Musculus cervicalis ascendens (umgeschlagen und lateral- wärts gezogen). b. M. accessorius ad ilio-costalem. «. Dessen Sehnenbündel zum Querfortsatze des 7. Hals- wirbels (lateralwärts gespannt). Dessen Sehnenbündel zum Tuberculum der 1. Rippe. . longissimus dorsi, Dessen Sehnenbündel zum. Querfortsatze des 1. Brust- wirbels. (}) Tubereulum der 1. Rippe. (+7) Tubereulum des Querfortsatzes des 1. Brustwirbels. (&#) Neue Bursa mucosa unter dem Sehnenbündel des M. accessorius ad ilio-costalem zum Querfortsatze des 7. Hals- wirbels auf dem Tubereulum der 1. Rippe und auf dem da- selbst sich anheftenden Sehnenbündel desselben Muskels. St. Petersburg, 8/20. December 1871. 694 H. Burmeister: Östeologische Notizen zur Kunde der Panzerthiere Siidamerika’s. Von H. BURMEISTER. (Hierzu Taf. XVII) 2. Der Halstheil der Wirbelsäule. Zur Zeit, wie ich die Beschreibung des Skelets von Glyp- todon entwarf (S. dies Archiv, 1865, S. 327), hatte ich weder ein Skelet der lebenden Armadillos, noch andere literarische Hülfsmittel, als Cuvier’s Ossem, foss. T. V, 1, pag. 131 zur Hand, musste mich also ganz auf meine eigenen Wahrnehmun- gen beschränken. Ich fand nun in dem vollständigen Skelet des Gl. asper, den ich damals Gl. spinicaudus nannte, den Hals aus drei Stücken zusammengesetzt, die ich als Atlas, als den mit vier auf ihn folgenden Wirbeln verwachsenen Epi- stropheus und als letzten freien (siebenten) Halswirbel beschrieb (a.a. O.). Ich wurde zu dieser Deutung durch das zweite Stück, den mit den ihm folgenden Wirbeln verwachsenen Epistropheus bestimmt, welcher auf seiner unteren, den Wirbelkörpern ent- sprechenden Fläche deutlich vier in gleichem Abstande von einander befindliche Querfurchen, als Reste der ursprünglich vorhandenen Intervertebrallücken zeigte, mithin aus fünf Stücken zusammengewachsen sein musste. Diese fünf Stücke hielt ich damals für eben so viele Halswirbel und deutete folglich den darauf folgenden freien Wirbel als den siebenten. Ba; Bu I AR Ri Se Fee Osteologische Notizen zur Kunde d, Panzerthiere Südamerikas. 695 Diese Deutung war unrichtig, wie ich später bei vermehr- tem Vergleichungsmaterial erkannt habe; es verwachsen in dem Mittelstück des Halses nur vier Wirbel, der darauf folgende freie Wirbel ist der sechste des Halses, und der siebente ver- wächst mit dem ersten, für sich beweglichen Stück der Rücken- wirbelsäule. Im dritten Heft der Anales del Museo publico de Buenos Aires, pag. 207 (1866) habe ich diese richtige Deutung ange- zeigt, und für die in Rede stehenden Stücke des Halses und Anfangs des Rückens die von Serres vorgeschlagenen Be- nennungen, in sprachrichtiger Verbesserung, angenommen; das Mittelstück des Halses führt dort den Namen: Os mediocervi- cale, und das Anfangsstück des Rückens den des Os postcervi- cale; ich gab zugleich Abbildungen dieser Stücke auf Taf. VII von verschiedenen Glyptodonten, und erläuterte daran ihre spe- eifischen Unterschiede. Die Gründe für die richtige Deutung des Mittelnacken- stücks, wie das Os mediocervicale passend verdeutscht wer- den kann, ergaben sich mir einmal aus der Untersuchung des Halses der lebenden Armadillos, und demnächst aus der Ver- gleichung des Mittelnackenstücks von Gl. clavipes, welches in der That aus fünf verwachsenen Wirbeln besteht, indem der sechste, gewöhnlich freie Halswirbel auch darin aufgenommen wird. Ich erhielt später das Mittelnackenstück von Panochthus tubereulatus und fand an dessen basaler Seite nur drei einge- drückte Querlinien, und ersah aus beiden Fällen, dass das zu- erst von mir untersuchte Mittelnackenstück eigenthümlich im Bau von dem des Gl. clavipes und Panochthus tuberculatus ab- weicht in der auffallenden Grösse des Proc. odontoideus des Epistropheus, der für sich einen ganzen Wirbel darstellt, indem er völlig eben so breit und lang ist, wie jeder der vier darauf folgenden Halswirbel. Dies gab mir Grund, auf die von Oken aufgestellte Ansicht hinzuweisen, dass jener Zahnfortsatz in der That bei allen Mammalien einem ganzen Halswirbel gleichzu- setzen ist. Den Hauptgrund für diese Deutung liefern die lebenden Armadillos, neben den Glyptodonten; denn auch bei ihnen ist : 696 “HB. Burmeister: dieselbe Bildung wie bei Gl. asper vorhanden. Cuvier und Rapp, die beiden .Monographen der Östeologie dieser Thiere, erwähnen nur, dass der zweite Halswirbel mit dem dritten von Jugend auf verwachsen ist, und dass später noch andere da- hinter an dieser Verwachsung theilnehmen; aber sie erwähnen nicht, dass der Epistropheus an jeder Seite bei sehr jungen Thieren eine deutliche Querfurche auf der Unterfläche besitzt, welche zum vordersten Loch für die Vertebralnerven, das sich ganz vorn gleich hinter den seitlichen Gelenkflächen für den Atlas befindet, hinläuft, und diese ganze Partie des Epistro- pheus sehr deutlich als einen selbstständigen Theil von der darauf folgenden absondert. Schon dass der mit dem dritten Halswirbel verwachsene Epistropheus zwei kleine Interverte- brallöcher an jeder Seite besitzt, zeugt für seine Verwachsung aus drei ursprünglich getrennten Stücken. Ich finde ihn so bei den Arten des hiesigen Landes, deren Skelete ich jetzt ver- gleichen kann; die spätere Verwachsung mit den übrigen Hals- wirbeln ist ein untergeordneteres Bildungsmoment, denn sie tritt erst nach und nach mit zunehmendem Alter ein, und wird eine so vollständige, mit Verwischung aller früheren Trennungs- spuren, wie die zwischen dem Epistropheus, Proc. odontoideus und dem dritten Halswirbel. Das Skelet eines ziemlich alten Indi- viduums von Dasypus gigas hat nur zwei verwachsene Hals- wirbel, wie alle Armadillos in der Jugend; bei einem sehr al- ten Exemplar von Dasypus setosus sind dagegen alle sechs . hinter dem Atlas mit einander verwachsen. Chlamyphorus hat nach Hyrtl drei verwachsene Halswirbel, und D. conurus de- ren vier. Was nun das Mittelnackenstück der Glyptodonten als Dif- ferenzmoment in systematischer Bedeutung betrifft, so verhält es sich damit wie folgt: Zur Erläuterung muss ich einige Bemerkungen über die Gruppirung der Glyptodonten, von denen mir gegenwärtig zwölf Arten vorliegen, vorausschicken. Es zerfallen diese Thiere, die alle ohne Ausnahme je acht zweimal tief an jeder Seite gefurchte Backzähne besitzen, nach a FE A Osteologische Notizen zur Kunde d. Panzerthiere Südamerikas. 697 der Fussbildung in zwei schr natürliche und durchgreifend ver- schiedene Gruppen. Die Einen haben nur vier Zehen vorn wie hinten, in- dem an beiden Füssen die innerste Zehe fehlt, und einen lan- gen Schwanz, dessen obere Hälfte mit (6—5) Gürteln gepanzert ist, während die untere Hälfte in einem am Ende geschlosse- nen Panzerrohr steckt. f Hierher gehören die beiden Gattungen: Panochthus und Hoplophorus, jene mit gleichförmig klein-warziger Oberfläche des Panzers, diese mit ungleichförmig getäfelter Panzerfläche. Die Anderen besitzen vorn ebenfalls vier Zehen, aber die fehlende Zehe ist die äusserste fünfte, und hinten fünf vollständige Zehen. Ihre Panzeroberfäche ist ungleichförmig getäfelt, aber die Täfelung viel gröber als bei Hoplophorus, Zu dieser Gruppe gehören die beiden Gattungen: Glyptodon und Schistopleurum, von denen die erstere denselben langkoni- schen Schwanz der früheren Gattungen hat, während Schisto- pleurum einen kurzkonischen Schwanz ohne langes Eudrohr besitzt, dessen neun Ringe in hohe warzenförmige Höcker oder spitze Stacheln am Rande ausgehen. Ich kenne gegenwärtig von Panochthus drei Arten und von Hoplophorus vier; von Glyptodon lässt sich mit meinen Hülfsmitteln bis jetzt nur eine Art sicher aufstellen, doch dürf- ten auch von dieser Gattung zwei oder gar drei Arten zulässig sein; von Schistopleurum haben wir im Museum zu Buenos Ai- res drei gut unterschiedene Arten, und von jeder nicht bloss einen fast vollständigen Panzer, sondern auch die Skelete in ihren wichtigsten Bestandtheilen. Das Mittelnackenstück ist mir von den meisten Arten be- kannt und zeigt wichtige, auch systematisch bedeutungsvolle Verschiedenheiten. Bei den Arten der Gattungen Panochthus und Hoplopho- rus hat es nur undeutliche Querfurchen auf der Unterseite, die bei Hoplophorus gar ganz verlöschen; nie ist bei diesen Arten der Zahnfortsatz als selbstständiger Theil angedeutet, sondern vielmehr seine Grenze völlig verwischt, ohne alle Spur einer früheren Trennung. Bei Panochthus, dessen. Mittelnackenstück 698 H. Burmeister: auf Taf. V im zweiten Bande der Anales del Museo Publico de Buenos Aires abgebildet ist, fehlt sogar eine Trennungsfurche zwischen dem Epistropheus und dem dritten Halswirbel, denn statt ihrer zeigt sich nur ein flaches Grübchen in der Mitte der vorderen Hälfte der Unterseite, hinter welchem durch zwei deutliche Querfurchen die Grenzen des dritten, vierten und fünften Halswirbels gegen einander sich bemerklicher machen. Hoplophorus, von dem ich drei Mittelnackenstücke vergleichen kann, geht in der Verwischung der früheren Trennungen noch weiter, denn jede Spur einer Querfurche ist bei ihm verschwun- den, obgleich die drei Seitenlöcher für die Halsnerven lehren, dass auch bei ihm das Mittelnackenstück aus vier verwachse- nen Halswirbeln besteht. Von einer ursprünglichen Selbst- ständigkeit des Zahnfortsatzes ist aber keine Andeutung vor- handen. — Beide Gattungen zeichnen sich durch einen hohen Dornfortsatz auf dem Mittelnackenstück aus, welcher bei Panoch- thus dick und fast drehrund gestaltet ist, bei Hoplophorus da- gegen eine stark seitlich zusammengedrückte Platte mit drei stumpfen Ecken nach hinten am oberen Rande darstellt. Durch den viel niedrigeren, nur nach hinten etwas stärker erhabenen und hier mit drei ähnlichen, aber spitzeren Ecken versehenen Dornfortsatz unterscheidet sich das Mittelnacken- stück der übrigen Glyptodonten sogleich von dem der beiden zuerst erwähnten Gattungen mit nur vier Zehen an allen Füssen. In Bezug auf seine Zusammensetzung aber zeigt es weitere Verschiedenheiten. Das Mittelnackenstück von Glyptodon clavipes zeigt keine Spur einer früheren Selbstständigkeit des Zahnfortsatzes, be- steht aber in der Regel aus fünf verwachsenen Wirbeln, indem der bei den übrigen Glyptodonten freie sechste Halswirbel mit in dasselbe aufgenommen ist. Aber seine ehemalige Isolation ist besser angedeutet, als die der übrigen vier Wirbel, wie die Abbildung desselben Taf. VII, Fig. 1 im I. Bande der Anal. d. Mus. Publ. d. B. A. lehrt. Die Furchen auf seiner Unterseite, welche diese Trennung bezeugen, sind indessen schwächer als bei den Arten der Gattung Schistopleurum, und nicht gerade Querlinien, sondern ziekzackartig verlaufende, mit einem deut- a '- Osteologische Notizen zur Kunde d. Panzerthiere Südamerikas. 699 lichen, nach vorn vorspringenden Winkel in der Mitte, der gleichsam die ursprüngliche Bildung jedes Wirbels aus den beiden symmetrischen Elementen über der Corda dorsalis ver- anschaulicht. Die Gattung Schistopleurum, welche durch ihren kurzko- nischen, mit Stacheln besetzten Schwanz ohne langes Endrohr von allen übrigen Glyptodonten alsbald sich unterscheidet, hat auch das eigenthümlichste Mittelnackenstück, nämlich einen sehr starken Zahnfortsatz von derselben Breite und Dicke des auf ihn folgenden Halswirbels und eine stets bleibende Furche zwischen ihm und dem Epistropheus, welche den anderen drei Furchen zwischen den vier auf den Zahnfortsatz folgenden Wirbeln zwar etwas an Deutlichkeit nachsteht, aber doch nicht übersehen werden kann. Die Abbildungen des Mittelnacken- stücks der drei mir bekannten Arten dieser Gattung auf Taf. VII des I. Bandes der Anales d. Mus. Publ. de B. A. lehren das deutlich, daher ich den Bau dieser Mittelnackenstücke und ihre specifischen Unterschiede hier nicht weiter bespreche. Alle drei Arten haben einen isolirten sechsten Halswirbel, in- dem der siebente auch bei ihnen, wie bei allen Glyptodonten, mit zum Hinternackenstück gehört und durch die Verwachsung mit demselben in die Rückenwirbelsäule übergeht. Dies Hinternackenstück besteht also bei allen Glyptodon- ten der Regel nach aus drei Wirbeln, dem siebenten des Hal- ses und den beiden ersten des Rückens; nur Hoplophorus zeigt mitunter eine Abweichung von dieser Regel, welche darin liest, dass auch der sechste Halswirbel zum Hinternackenstück sich wendet und mit ihm zusammenwächst. Es ist das aber nur eine individuelle Ausnahme und keineswegs Regel, denn von den drei Individuen unserer Sammlung haben zwei einen iso- lirten sechsten Halswirbel und nur eines zeigt die angegebene Verwachsung, wie ich das schon früher in meiner Beschreibung des Hoplophorus in diesem Archiv (1871, S. 173) angegeben habe. Aus den gegenwärtigen. Angaben ergiebt sich endlich das merkwürdige Resultät, dass die Beschaffenheit des Mittelnacken- stücks in eine unabweisliche Beziehung zur Schwanzform der 700 H. Burmeister: Ta Glyptodonten tritt, indem bei allen Arten mit langem Schwanz, dessen Endhälfte von einem geschlossenen Panzerrohr umgeben _ ist, der Zahnfortsatz einen viel geringeren Umfang besitzt, als bei den Arten mit kurzkonischen Stachelschwänzen ohne ver- längertes Endrohr; dass derselbe bei jenen langschwänzigen Ar- ten sich nicht vom Epistropheus absondert, sondern ohne alle Spur einer früheren Trennung mit ihm verbunden ist, während bei den kurzschwänzigen Arten der Zahnfortsatz als selbststän- diger Theil vom Epistropheus durch eine Furche sich abtrennt, und ziemlich denselben Umfang hat wie der Epistropheus selbst. In Folge dieses Verhältnisses erscheint das Mittelnackenstück der kurzschwänzigen Arten von unten grösser und stärker, als das der langschwänzigen, dagegen von oben betrachtet, eher schwächer, wegen des viel niedrigeren und dünneren Dornfort- satzes, der nur über der hinteren Partie des Wirbelhogens, und nicht über dessen ganzer Mitte sich erhebt. Die lang- schwänzige Form Gl clavipes bildet indessen eine Art von Ueberzang zwischen den beiden Gegensätzen, denn sie folgt im Bau des Dornfortsatzes zwar den übrigen langgeschwänzten Glyptodonten, allein ihr Mittelnackenstück hat vier Trennungs- linien wie das der Kurzschwänze, weil der sechste Halswirbel mit in dasselbe aufgenommen wird. Auch stimmt der Dorn- fortsatz desselben mehr mit dem der Kurzschwänze überein, obgleich er nicht ganz so klein und schwach ist, wie bei den wirklichen Arten der Gattung Schistopleurum. 3. Die verschiedenen Typen der Vorderfüsse, Die Vorderfüsse der Glyptodonten zeigen Verschiedenhei- ten, welche an’die ähnlichen der lebenden Armadillos erinnern und bisher noch nicht im Zusammenhang erörtert sind, daher eine vergleichende Betrachtung derselben mir angemessen zu sein scheint. Ich will diese Betrachtung mit der Darstellung der Vorderfüsse der lebenden Armadillos beginnen. Es ist bekannt, dass diese Thiere vorn theils vierzehig, theils fünfzehig sind, und in beiden Fällen Arten mit gleich- förmigen und mit ungleichförmigen Zehen auftreten. | Vier gleichförmige Zehen hat Dasypus 9-einctus, die Ca- A 0 EZ Dr 2 De ß I Han u” 7 h Osteologische Notizen zur Kunde d. Panzerthiere Südamerikas. 701 chicame Cuvier's (Össem. foss. V, 1, pl. X), auch D. niger genannt, fünf gleichförmige dagegen D. sexeinetus s. setosus, der Bucoubert Cuvier’s. — Vier ungleichförmige Vorderzehen besitzt D. conurus, der Mataco der Hiesigen; und fünf un- gleichförmige D. gigas, D. 12-einctus s. gymnurus, und D. tri- einctus. Ich habe von jeder dieser vier Gruppen einen Re- präsentanten auf der beifolgenden Taf. XVII abgebildet, und erläutere zunächst deren Verschiedenheiten. Dasypus 9-ceinetus bildet mit drei anderen bekannten Ar- ten!) für sich eine besondere durchgreifend eigenthümliche Gruppe, welche sich den sämmtlichen übrigen Arten gegen- überstellt, und in allen wesentlichen Organisationsverhältnissen von denselben abweicht. Ich trennte ihn daher unter dem Gat- tungsnamen Praopus völlig von den übrigen, welche ich unter dem Namen Dasypus zusammenfasste, weil deren Verschieden- heiten unter einander nur relative sind (vergl. meine Systemat. Uebers. d. Thiere Brasiliens, Bd. I, S. 295). Ohne auf diese allgemein durchgreifenden Verschiedenheiten hier weiter ein- zugehen, obgleich die Resultate der von mir an den 5 hiesigen Arten angestellien Untersuchungen dazu sehr einladen, be- schränke ich mich für jetzt auf die Fussbildung, welche hin- reicht, um die totale Selbstständigkeit der Gattung Praopus zu erweisen. Die Betrachtung von Fig. 1 lehrt, dass die vier Zehen des Vorderfusses von Praopus eine in sich völlig übereinstimmende Anlage besitzen; dass der Daumen (I) zwar, wie immer, nur sehr klein ist, aber lediglich in der relativen Grösse seiner Knöchelchen von den übrigen Zehen abweicht; dass ferner der darauf folgende Zeigefinger (II) dem neben ihm liegenden Mit- telfinger (III) an Länge gleichkommt und keineswegs im Bau seiner Glieder vom Mittelfinger abweicht, vielmehr jedes Glied des Zeigefingers nur etwas kürzer ist als das neben ihm lie- gende des Mittelfingers, welche Verkürzung indessen haupt- 1) Die 4 Arten sind: 1. D. longicaudus, der brasilianische D, 9- einetus. 2. D. Peba, der guyanische 9-cinetus. 3. D. bybridus De- sur von hier und D: hirsutus Nobis aus Peru, 102 H. Burmeister sächlich durch das Metacarpusglied hervorgebracht wird, wäh- rend das etwas längere Krallenglied die Verkürzung des gan- zen Fingers wieder ausgleicht. Merklich verkürzt ist dagegen der vierte Finger (IV), denn er reicht nur bis ans Ende der ersten Phalanx des Mittelfingers, und erfolgt seine auffallende Verkürzung hauptsächlich durch das sehr kurze Metacarpus- glied, das den beiden Phalangen zusammen an Grösse etwas nachsteht!). Oben sitzt neben dem Metacarpus des vierten Fingers ein kleines Knöchelchen (V) und auf ihm ein anderes noch kleineres (x); ersteres stellt das Rudiment des Metacar- pusgliedes für den fünften Finger dar, wie schon Cuvier be- merkt, und das zweite ist ein accessorisches Knöchelchen, wel- ches bei allen Dasypoden an entsprechender Stelle sich findet, und zum Schutz des Gelenkes mit den Carpusknochen an die- ser Stelle bestimmt ist?). Was die Carpusknochen selbst betrifft, so schliesst sich in deren Anordnung Praopus an die allgemeinen Verhältnisse der Dasypoden an, obgleich gerade seine Knöchelchen relativ etwas kleiner sind als die der übrigen. In der ersten Reihe sind die gewöhnlichen vier Knöchelchen vollzählig vorhanden; das Kahn- bein (a) ist verhältnissmässig grösser als bei Dasypus, wenig- stens breiter, wenn auch relativ etwas dünner; das Mondbein (b) zeigt nichts Eigenthümliches, aber das dreieckige Bein (c) verlängert sich weit nach aussen und stösst mit dem Metacar- pusknochen des fünften oder gar noch mit dem des vierten Fingers zusammen. Diese Anordnung ist den Armadillos eigen- thümlich; sie findet sich bei allen Arten mit grösserer oder ge- ringerer Deutlichkeit wieder, am deutlichsten bei Das. sexcinc- tus und D. setosus (Fig. 3), bei welchem ersteren sie schon Cuvier auffiel (Ossem. foss. V, 1, 127). Es möge hier be- 1) In Cuvier’s Figur, Taf. X. Fig. 12, sind die beiden Phalan- genglieder als in eins verwachsen angegeben, was ich an meinem Exemplar nicht sehe. 2) Hyrtl hat diesen kleinen accessorischen Knochen auch bei Chlamyphorus nachgewiesen (pag. 25) und bei Praopus zwei solcher Knöchelchen angenommen; aber das grössere untere ist das Meta- carpusbeinchen, Ds U Osteologische Notizen zur Kunde d. Panzerthiere Südamerikas. 703 merkt werden, dass sie auch den Glyptodonten zusteht, mithin als typische Eigenheit aller südamerikanischen Panzerthiere sich herausstellt. Bei Praopus ragt das dreieckige Beinchen weitnach aussen über das Hakenbein hervor und ist eingelenkt mit dem Metacarpusknochen der vierten Zehe, gleichwie mit dem Rudiment der fünften, und an eben dies Carpusbein stösst auch das kleine accessorische Beinchen (x), hinter welchem sich das dreieckige Bein so vorschiebt, dass das Erbsenbein (d) ganz davon getrennt bleibt. Letzteres ist eingelenkt nach innen mit dem dreieckigen Bein, und nach oben mit der hinteren Ecke der Ulna. Die Carpusknochen der zweiten Reihe sind ebenfalls voll- zählig, indem die beiden Multangula getrennt bleiben, weil das dem Daumen entsprechende (s) bei Praopus relativ viel grösser ist, als bei den Dasypus. Das Kopfbein ist dagegen sehr klein und auf die innere Hälfte des Metacarpusknochens des Mittel- fingers beschränkt, in Folge welcher Kleinheit das Hakenbein mehr nach innen rückt und über das Metacarpusglied des vier- ten Fingers hinweg bis an das des Mittelfingers stösst. Auch mit dem Metacarpus des vierten Fingers berührt es sich nur zum Theil und lässt die äussere Hälfte der basalen Gelenk- fläche desselben frei zu ihrer Berührung mit dem dreieckigen Bein, welches, wie bereits gesagt worden, um das Hakenbein herum greift und den Metacarpusknochen des vierten und fünf- ten Fingers, so weit er vorhanden ist, zur Stütze dient. Vergleicht man mit dem Bau von Praopus den Vorderfuss eines ächten Dasypus mit fünf gleichförmigen Zehen, z. B. den des D. villosus (Fig. 3), so findet sich in der Anordnung der Carpusknochen zwar eine grosse Uebereinstimmung, aber im Bau der Zehen eine ganz andere Grundlage. Etwanige Unter- schiede der Carpusknochen sind nur relative; dieselben erschei- nen dicker und kräftiger, besonders die der ersten Reihe, unter denen die beiden letzten, das dreieckige und Erbsenbein, ganz besonders gross werden. Ersteres ist im Fuss des Dasypus der grösste Carpusknochen; es tritt, wie bereits angegeben, um das Hakenbein nach aussen herum, und trägt den Metacarpus- knochen der fünften Zehe, dessen innerer Rand das Hakenbein 704 H. Burmeister: _ nur wenig berührt, Aber bis zum Metacarpus der vierten Zehe dringt das dreieckige Bein nicht vor; eine so weite Ausdeh- nung nach innen findet sich überhaupt nur bei Praopus, der in dieser Hinsicht alle anderen Armadillos übertrifft. Es ist das von Bedeutung für die Beurtheilung der Beziehung der verschiedenen Armadillos- Gestalten zu den Glyptodonten, bei denen, wie wir bald sehen werden, das dreieckige Bein nur dann mit dem Metacarpus der vierten Zehe sich verbindet, wenn die fünfte Zehe ganz fehlt, wie bei Praopus. An das dreieckige Bein stösst ferner der kleine accessorische Knochen x, als sein äusserster unterster Anhang, und nach oben wie hinten das sehr grosse, in eine gekrümmte Spitze ausgedehnte Erbsenbein. 3 Die Carpusknochen der zweiten Reihe sind auch bei Da- sypus sehr klein, am kleinsten das Kopfbein, welches auf die Mitte des Metacarpus für den Mittelfinger beschränkt bleibt. Das erste vieleckige Bein ist kleiner, als bei Praopus, und stets, schon in früher Jugend, mit dem zweiten zu einem Knochen verwachsen. Das Hakenbein erscheint etwas grösser, als bei Praopus und berührt sich mit dreien Metacarpusknochen, d. h. dem des Mittelfingers, Ringfingers und Kleinfingers, wenn der- selbe vorhanden ist, wovon nur D. conurus (Fig. 2) eine Aus- nahme macht. ü Was nun die Eigenthümlichkeit der Finger betrifft, so besteht sie darin, dass die beiden innersten einen ganz ande- ren Bau haben, als die drei äusseren, und dass diese Ver- schiedenheit auch bei den Arten eintritt, welche, wie D. seto- sus s. 6-cinetus, D. villosus und D. minutus, äusserlich gleich- förmige Finger mit unter sich ähnlichen Krallen besitzen. Die beiden innersten Zehen haben lange dünne Knochen von der gewöhnlichen Phalangenform, aber die drei anderen Finger kurze dicke Phalangen und selbst ebensolche Metacarpusknochen in den Fällen, wo diese drei Finger grosse, sichelförmige Kral- len tragen. Nur wenn die Krallenglieder dieser drei Finger denen der beiden ersten gleichförmig sind, ist der Metacarpus- knochen des Mittelfingers noch von der gestreckten Form, wie in den beiden ersten Fingern; im anderen Falle viel kürzer Osteologische Notizen zur Kunde d. Panzerthiere Südamerikas. 705 und breiter und der stärkste Knochen des ganzen Vorderfusses. Eine nähere Betrachtung der Fig. 3 zeigt, dass die Ver- kürzung der drei äusseren Finger hauptsächlich durch die erste Phalange bewirkt wird, indem dieser Knochen bloss eine dünne Scheibe darstellt, welche noch nicht der Hälfte der zweiten Phalange an Länge gleichkommt. Der Metacarpus- knochen des Mittelfingers ist noch länger als der des Zeige- fingers, aber die Metacarpen des Ring- und Kleinfingers sind schon sehr kurz, kürzer als die zweite Phalange. Endlich die Krallenglieder sind wieder sehr lang und selbst das des Mittel- fingers länger als der Metacarpusknochen. Alle diese Verhält- nisse stehen im direkten Gegensatz zur Fussbildung von Prao- pus, dessen Finger im Ganzen den gewöhnlichen Verhältnissen sich anschliessen. Was endlich die Bildungsverhältnisse der Dasypus mit stark ungleichförmigen Zehen und Krallen betrifft, so schliessen sie sich in der Anlage des Vorderfusses ganz an die Arten mit gleichförmigen Krallen an und führen deren Anlage nur noch mehr in’s Extrem. Ich habe die Vorderfüsse zweier solcher Arten ab- gebildet; Fig. 2 zeigt den Vorderfuss von Dasypus (Tolypeutes) conurus, der einzigen ächten Dasypus-Art mit vier Zehen, und Fig. 4 den der grössten Art, des D. (Priodontes) gigas, Die Fusswurzel zeigt die früher besprochenen Verhältnisse, doch ist das dreieckige Bein relativ etwas kleiner; neben ihm liegt nach aussen das accessorische Beinchen (x) und vor ihm bei D. gigas der Metacarpus des fünften Fingers, welcher bei D. conurus mitsammt dem Finger fehlt. Nicht einmal das Ru- diment des Metacarpus, welches sich bei Praopus noch findet, ist vorhanden; für mich ein neuer Beweis der Eigenthümlich- keit dieser Gattung. Die beiden ersten Finger sind dünn und schwach, aber dennoch ist der zweite vön allen der längste, und der erste bei D. conurus kürzer als der halbe Zeigefinger, dagegen bei D. gigas länger. Die enorme Verkürzung der Metacarpusknochen der drei folgenden Finger ist für die Arten mit sichelförmigen Krallen an denselben bezeichnend; es kommt aber noch ein neues Bildungsmoment hinzu: statt der beiden Phalangen ist in jedem dieser Finger nur eine ebenfalls sehr Reichert’s u, du Boi-Reymond’s Archiv. 1871. 45 706 H. Burmeister: kurze vorhanden. Nur am Kleinfinger von D. gigas sehe ich eine ganz rudimentäre erste Phalange, die indessen nicht immer vorhanden zu sein scheint, denn in Cuvier’s Figur desselben Fusses (Oss. foss. V. I. pl. XI. fig. 10) fehlt sie. Wenn demnach die Dasypus-Arten mit ungleichförmigen, 2. Th. sichelförmigen Krallen auch in der äusseren Erscheinung sehr stark von den mit gleichförmigen Krallen der Vorderfüsse abweichen, so stehen sich beide Gruppen doch in der Anlage der Zehenbildung ganz nahe, und namentlich einander viel näher, als die letzteren der Gattung Praopus, welche wie in ihrer ganzen Organisation, so auch in der Fussbildung ihre Eigenthümlichkeit behauptet und allen Gruppen der Gattung Dasypus viel ferner steht, als letztere unter sich. Wir kommen nunmehr zur Fussbildung der Glyptodonten, von deren Vorderfuss ich bereits in meinem frühern Aufsatze eine Abbildung gab (Archiv. 1865. Taf. VIII. A. Fig. 6). Sie bezieht sich auf eine Art der zweiten Gruppe, welcher der Kleinfinger fehlt; gegenwärtig lege ich Abbildungen des Vor- derfusses von Panochthus und Hoplophorus vor, welchen beiden Gattungen der Daumen fehlt. — Dieser Mangel kommt bei dem lebenden Armadillos nicht vor; alle Arten ohne Ausnahme, auch Chlamyphorus, haben einen Daumen und der fehlende Finger ist stets der fünfte, Hierin harmoniren also die typischen Glyptodon-Arten mit den lebenden Formen und treten ihnen auch in anderen Verhält- nissen der Zehenbildung nahe, obgleich der richtige Unterschied im Bau der zwei inneren Zehen einerseits und der zwei oder drei äusseren andererseits nirgends bei den Glyptodonten wahr- genommen wird. Ich beginne die Betrachtung mit der typischen Glyptodon- Form, wie sie in der Abbildung im Archiv 1865 auf Taf. VII. A. Fig. 6 vorliegt. Die Handwurzel ähnelt in der Anlage ihrer ersten Knochen- reihe der von Praopus insofern, als das dreieckige Bein um das Hakenbein herumgreift und mit dem Metacarpusknochen der vierten Zehe zusammentrifft, aber auch der von Dasypus in der Anlage der zweiten Knochenreihe, durch die Verwach- Osteologische Notizen zur Kunde d, Panzerthiere Südamerikas. 707 sung beider Multangula in einen Knochen !). Kahnbein und dreieckiges Bein sind grösser als das Schiffbein, nach dem Typus von Praopus, aber das Kopfbein, dem Mittelfinger ent- sprechend, ist sehr gross und grösser als bei den lebenden Armadillos. Die beiden verwachsenen Multangula sind relativ kleiner, als bei Dasypus, weil das erste nicht neben dem Me- tacarpus des Zeigefingers hinabgreift, sondern nur eine vorra- gende Ecke des zweiten bildet. Endlich das Hakenbein, das ich aus Versehen früher als fehlend bezeichnet habe (ich hatte das erste vieleckige Bein im Sinn, und verschrieb mich im Namen), ist sehr klein und ganz so gelegen, wie bei Praopus; auch von derselben dreieckigen Form auf der Vorderseite. Da- gegen weicht das grosse ohrförmige Erbsenbein sehr ab von dem aller Armadillos; es tritt weiter vor, als bei Praopus und zeigt an der Basis die ovale Gelenkfläche für die Ulna. Die vier Metacarpusknochen der 4 Finger folgen in ihrer Gestaltung ganz dem Typus der drei äusseren von Dasypus und haben mit den langen der inneren Zehen, oder denen von Praopus, nichts gemein. Der Metacarpus des Daumens ist ein kleiner pyramidaler Knochen, welcher mit seiner Basis an die vorragende Ecke des Multangulum, mit der Seite an den Meta- carpus des Zeigefingers stösst, und nach unten statt der Spitze in einen runden Knopf ausgeht. Vor diesem Knopf hat es eine kleine ovale Gelenkfläche an der Vorderseite und daran sitzt das kegelförmige Krallenglied des Daumens direkt, ohne zwi- schen gelagerte Phalange. D’Alton, welcher zuerst den Vor- derfuss von Glyptodon nach einem lückenhaften Exemplar beschrieb, hat den Daumen nicht vor sich gehabt, und Huxley hatte nur das Krallenglied, nicht den dazu gehörigen Meta- carpusknochen. Dass er dies Krallenglied an die Stelle des fünften Fingers setzte, wie ich schon früher rügte, ist mir un- 1) In der Abbildung a. a. O. fehlen leider die Bezeichnungen der Knöchelchen, wie sie der Text S. 334 angiebt. Man hat den linken Vorderfuss vor sich und sieht links den kleinen Daumen, rechts das grosse ohrförmige Erbsenbein und dazwischen die Carpus- knochen in 2 Reihen, worauf die kurzen dicken Metacarpusknochen der 3 anderen Zehen folgen. 45° 1708 H. Burmeister: begreiflich, da seine Zeichnung (in den Medical Times, 18635, pag. 233) doch deutlich eine Gelenkfläche am Schiffbein für das fehlende erste Multangulum angiebt, hier also ein Daumen viel wahrscheinlicher war, als ein fünfter Finger an dem schma- len Endrande des dreieckigen Beines. Deshalb nahm ich an, dass er dem Thier fünf Finger zuschreibe, wozu mich die Zahl 5 neben der Daumenkralle um so mehr aufforderte; er hat gegen diese Annahme sich verwahrt (Philos. Trans. T. 159. pag. 45), aber Grund hatte ich dazu, sie zu machen!),. Den Vorderfuss von Gl. clavipes, welchen Huxley hier abbildet, kenne ich nicht; nach der erwähnten Figur müssen in ihm zwei getrennte Multangula vorhanden gewesen sein, was mir auch von anderen Glyptodonten bekannt ist, so dass die Verwachsung beider Knochen in einen zwar gewöhnlich, aber nicht immer eintritt. Die drei anderen Metacarpusknochen haben eine kurze gedrungene, fast würfelförmige Gestalt und werden von innen nach aussen etwas kürzer, ganz wie die ähnlichen der drei äusseren Zehen von Dasypus; aber die Phalangen sind alle kurze, dünne Scheibchen, wie die ersten von Dasypus an eben diesen Zehen. Eine Verwachsung beider in einen Knochen habe ich an ihnen nie bemerkt; auch ist die zweite Phalange stets etwas dicker, als die erste. Endlich das Krallenglied ist lang und sichelförmig, länger als der ganze übrige Finger, den Metacarpus mit eingerechnet, doch nicht so stark seitlich com- primirt, wie die sichelförmigen Krallenglieder der Dasypus. 1) Auch gegen Huxley’s anderen Vorwurf (Ebenda 8. 42), dass ich ihn mit Unrecht der Ansicht beschuldige, er halte die Rip- pen für unbeweglich, habe ich mich zu vertheidigen; es heisst in der Medical Times & Gaz. pag. 234 wörtlich: But, in as much as the first rib was fixed in its fossa ete. und einige Zeilen früher wird die- selbe Annahme (if the ribs were fixed to the sides of the vertebral column) von allen Rippen gemacht. Dass diese Annahme nur Ver- muthung sei, ist nicht gesagt; sondern Verfasser stützt darauf seine Thoerie von der Bedeutung des trivertebrate bone (des Hinternacken- stücks) für die Respiration, welcher Theorie ich nicht huldigen konnte, weil alle Rippen, auch die des ersten Paares, für sich beweglich sind, wenigstens in ihrer Verbindung mit der Wirbelsäule, Osteologische Notizen zur Kunde d. Panzerthiere Südamerikas. 709 Zuletzt hat jeder Finger vor dem Krallengliede und unter der zweiten Phalange ein dreieckiges Sesamsbeinchen, das aber dem Daumen fehlt, und ein viertes sehr grosses liegt unter der Handwurzel, wo es mit dem Mondbein und dem Rande des Schiffbeins artieulirt und der Sehne des langen Zehenbeugers zur Rolle dient. Einen ähnlichen Knochen haben auch die Armadillos; Cuvier hat ihn von 2 Arten beschrieben und da- bei mit Recht bemerkt, dass ein ähnlicher Knochen fossil ihn in die grösste Verlegenheit über dessen Deutung gesetzt haben würde. Ich kenne diesen Knochen von allen Glyptodonten, deren Vorderfuss mir vorliegt und ebenso von Megatherium und Mylodon, bei denen er sehr gross ist. Zwei solche Knöchel- chen habe ich Fig. 1 und 2 A. von Praopus und D. conurus abgebildet, nebst der Sehne des Zehenbeugers, die über sie weggeht und mit ihnen verwachsen ist; aber die Armadillos haben in der Fortsetzung der Sehne je 2 Sesamsbeinchen, wie meine Figuren lehren; doch nicht alle, denn bei D. villosus findet sich nur je eins für jede Zehe, wie bei den Glyptodon- ten. Es liegt, wie Hyrtl auch von Chlamyphorus angiebt (pag. 24 seiner lateinisch. Beschr.), unter dem Gelenk zwischen beiden Phalangen, und nicht unmittelbar vor dem Krallengliede, unter dessen Gelenk mit der zweiten Phalanx, wo es die Glyptodonten haben. — Vergleichen wir nunmehr mit dem eben beschriebenen Bau der typischen Gattung Glyptodon, mit welcher Schisto- pleurum, was den Fuss betrifft, vollständig übereinstimmt, die beiden Gattungen Panochthus (Fig. 5) und Hoplophorus (Fig. 6), so findet sich bei ihnen eine durchaus andere Anlage. Während bei Glyptodon und Schistopleurum der Vorderfuss, wegen der Kürze der Fingerglieder, des vorgezogenen Daumens und des weit abstehenden Erbsenbeins, breiter ist als lang, hat derselbe bei Panochthus und Hoplophorus eine sehr in die Länge gezogene Form, und ist entschieden doppelt so lang, wie breit am Anfange. Das rührt besonders von der grösse- ren Länge der Finger her; z. Th. aber auch von dem Mangel des Daumens und dem kürzeren Erbsenbein. An den Fingern sind es besonders die Metacarpusknochen und die Phalangen, 710 H. Burmeister: welche die mehr als doppelte Länge im Vergleich mit denen von Glyptodon zeigen, dabei aber dennoch unter einander die Verhältnisse von Glyptodon beibehalten. Auch in den Vorder- füssen von Panochthus und Hoplophorus ist der Zeigefinger der längste, im Ganzen wie im Einzelnen, aber ein wesent- licher Unterschied tritt doch ein im Verhältniss der beiden Phalangen; denn bei Panochthus und Hoplophorus ist die erste Phalange stets länger, als die zweite, während deren Verhält- niss bei Glyptodon das umgekehrte war. Hiernach kann der Satz aufgestellt werden, dass die Verhältnisse der Finger im Ganzen wie im Einzelnen bei Glyptodon denen der äusseren Finger oder Zehen von Dasypus entsprechen, und bei den an- deren beiden Gattungen denen der inneren schlanken Finger von Dasypus. Diese Analogie ist völlig zutreffend und, wie es mir scheinen will, eine sehr bedeutungsvolle; es spricht sich darin die typische Grundlage aller dieser Panzerthiere sehr bestimmt aus und zeigt uns die so verschiedenartigen Gestalten doch nur als Modificationen eines in allen theilweis enthaltenen Schemas, mit dessen mehrfachen Bestandtheilen nur ungleich- artige Compositionen vorgenommen wurden, um die Gesammt- mannigfaltigkeit zu erzielen. Die Verschiedenheiten weiter im Einzelnen verfolgend, vergleichen wir zuvörderst die Carpusknochen beider Haupt- modificationen, wie sie in den kurzfingrigen Glyptodonten und in den langfingerigen Hoplophoriden vorliegen. Da stellt sich denn in der ersten Reihe der Carpusknochen derselbe Unterschied dar, welchen wir früher zwischen Dasy- pus und Praopus antrafen; bei den typischen Glyptodonten articulirt das dreieckige Bein schon mit dem Metacarpus des vierten Fingers und bei den Hoplophoriden erst mit dem der fünften Fingers. In Folge dieser Anordnung ist das Hakenbein der Glyptodonten sehr kurz und nach aussen zugeschärft, das der Hoplophoriden nicht bloss viel länger, sondern auch am Ende breiter, denn es hat dort bei Panochthus sogar eine schmale Gelenkfläche zur Verbindung mit dem Metacarpus des fünften Fingers, die bei Hoplophorus fehlt, indem bei dieses Osteologische Notizen zur Kunde d. Panzerthiere Südamerikas. 711 Gattung zwischen beiden Knochen eine kleine Lücke bleibt, weil der Metacarpus sich um das Hakenbein herumbiegt, bis er das dreieckige Bein erreicht hat. Das dreieckige Bein zeigt aber bei den Hoplophoriden noch eine andere merkwürdige Eigenschaft, welche den typischen Glyptodonten wahrscheinlich nicht zusteht; es trägt an seiner vorgezogenen Aussenecke, über der Gelenkfläche für den Metacarpus, ein kleines acces- sorisches Beinchen (x), welches dem analog gelegenen der Armadillos entspricht, den typischen Glyptodonten aber zu fehlen scheint. Bei Panochthus sitzt dieses Knöchelchen frei über der Gelenkung mit dem Metacarpus und berührt densel- ben nicht; aber bei Hoplophorus tritt es von unten her in das Gelenk beider Knochen hinein und articulirt mit einem jeden von ihnen. Die Abwesenheit dieses accessorischen Knöchel- chens bei den typischen Glyptodonten ist mir nicht ganz sicher, Zwar haben weder D’Alton noch Huxley dasselbe an den Vorderfüssen, die sie untersuchten, gefunden, und auch an meinen Exemplaren fehlt es; aber ich bin nicht gewiss, dass es wirklich nicht vorhanden war, was aus der Abwesenheit einer Gelenkfläche für dasselbe am dreieckigen Bein sich er- geben würde. Leider ist dies Bein an meinen Vorderfüssen schadhaft nach aussen, oder fehlt. D’Alton, der es ausführ- lich beschreibt (pag. 24), sagt nichts von einer Gelenkfacette an der Aussenkante, die in der Figur (Taf. II. fig. 6) sehr schmal erscheint; Huxleys Figur giebt diese Kante etwas breiter an, aber eine Gelenkfacette findet sich nicht angedeutet. Ich glaube darum annehmen zu dürfen, dass dies accessorische Knöchelchen bei den ächten Glyptodonten gar nicht vorhan- den war. — In der zweiten Reihe der Carpusknochen bietet das Mult- angulum allerlei zu besprechen dar. Wir haben gesehen, dass es bei Glyptodon bald einfach bald doppelt ist, stets aber seit- wärts mit einer Ecke vortritt, an welche das Metacarpusbein des Daumens stösst. Diese Ecke fehlt den Hoplophoriden, weil sie keinen Daumen haben; das Multangulum ist nach aussen abgerundet, aber dennoch bald einfach, bald doppelt 712 H. Burmeister: und zwar in einer und derselben Gattung. So finde ich es bei den drei Arten von Panochthus; zwei: P. giganteus und P. bullifer besitzen zwei Multangula und P. tubereulatus nur eins. Letztere Art ist in den Anales d. Mus. Publ. d. B. A. Tom. II., pl. VIL, fig. 4-6 abgebildet, von P. bullifer gebe ich hier (fig. 5) die Abbildung. Man sieht zwar nur ein Mult- angulum (e) dargestellt, aber daneben die Gelenkfläche am Kahnbein für das zweite (ee) und gleichfalls eine andere am oberen Rande des Metacarpus des Zeigefingers, welche mit demselben Multangulum sich berührte. Vielleicht war selbst ein Daumenrudiment vorhanden, denn bei P. giganteus, dessen Abbildung ich später geben werde, findet sich ein solches. Ein anderes Differenzirungsmoment bietet die Ausdehnung des Multangulums nach der entgegengesetzten Seite hin dar. Gewöhnlich bleibt dasselbe, wie in Fig. 5, auf den Metacarpus des Zeigefingers beschränkt und geht darüber nicht hinaus; vielmehr schiebt sich der genannte Metacarpus mit einer Ecke zwischen das Multangulum und den Metacarpus des Mittelfin- gers und reicht damit bis an das Kopfbein. So ist es bei dem typischen Glyptodonten und so auch bei Panochthus, gleich wie unter den Armadillos bei Praopus. Aber nicht bei den Dasypus; bei ihnen dringt das Multangulum über den Meta- carpus des Zeigefingers hinweg bis an den des Mittelfingers vor und sondert das Metacarpusglied des Zeigefingers völlig vom Kopfbein ab. Eben diesen Bau hat nun auch die Gatt. Hoplophorus, wie Fig. 6 lehrt; das vieleckige Bein (e), obgleich einfach, ist sehr gross, grösser als das Kopfbein, und schiebt das letztere auf die Mitte des Metacarpus für den Mittelfinger zurück, sich auf den Rand der basalen Fläche desselben auf- legend. Hier wiederholt sich also dasselbe Wechselspiel der Charaktere der lebenden und fossilen Gestalten, welches wir oben schon in ähnlicher Weise antrafen; bald ist Praopus, bald Dasypus das nähere Verwandschaftsglied, aber stets nur mit dem einen oder dem anderen Merkmal und complete Wiederholung findet sich nirgends bei den kolossalen Typen der Vorzeit. u ie} Osteologische Notizen zur Kunde d. Panzerthiere Südamerikas. 713 Die Eigenthümlichkeit der Fingerknochen der Hoplophori- den haben wir schon angedeutet; sie folgen in ihrer Länge und der Anlage ihrer Knochen dem Typus der inneren Finger von Dasypus, die der Glyptodonten im engern Sinn dem Typus der äusseren Finger derselben Armadillos. Uebrigens ist bei bei- den Gruppen der Zeigefinger mindestens ebenso lang wie der Mittelfinger, oder gar noch etwas länger, und die folgenden werden schnell kürzer. Die Metacarpusknochen haben eine ansehnliche Länge, etwa '/, der ganzen Finger, während sie bei Glyptodon nur !/, einnehmen, und von den beiden Pha- langen ist stets die erste etwas länger, als die zweite. Die Krallenglieder sind schlank, aber von derselben Form wie bei Glyptodon und beträchtlich kürzer als der halbe Finger; bei Glyptodon dagegen länger, oder am Zeigefinger doch ebenso lang. Sesamsbeinchen hat jeder Finger nur eins, unter dem Gelenk der zweiten Phalanx mit dem Krallengliede, und aus- serdem ist ein grosser accessorischer Knochen unter dem Car- pus vorhanden, der mit dem Mondbein und dem Rande des Kahnbeins artieulirt. Ich kenne diesen Knochen von vier Ar- ten und habe ihn in den Anales etc. ausführlich beschrieben und durch Abbildungen erläutert, wiederhole darum beides hier nicht. — Hiermit will ich meine Mittheilung für diesmal schliessen, indem ich die über den Fussbau der Armadillos und Glypto- donten gewonnenen Resultate nochmals übersichtlich zusam- menstelle. — Die Armadillos zeigen, wie die Glyptodonten zwei ver- schiedene Typen im Bau der Vorderfüsse. Bei ersteren hat Praopus gleichartige Zehen im Bau wie in der Form, aber nur vier, indem der Kleinfinger ihm fehlt. Dasypus dagegen, welche Gattung, mit der alleinigen Ausnahme von D. conurus, fünf Finger besitzt, zeigt eine ungleichartige Anlage der Finger selbst bei gleichförmiger Krallenbildung, indem die beiden inneren schlank und dünn gestaltet sind, mit gleichförmiger Abnahme der Glieder an Länge, und die drei äusseren kürzer, dicker, mit auffallend verkürzter erster Pha- 714 H. Burmeister: lange, die bis zum Fehlen gesteigert werden kann, bei den Arten mit grossen sichelförmigen Krallen. Die Glyptodonten haben stets nur. vier Finger im Vor- derfuss, aber der fehlende ist bald der Kleinfinger (bei den typischen Glyptodonten) bald der Daumen (bei den Hoplopho- riden). Bei jenen sind die Finger sehr kurz, ihre Metacarpus- knochen würfelförmig und ihre erste Phalange kürzer als die zweite; — bei diesen dagegen haben die Finger eine schlanke Form, ihr Metacarpus ist fast von der Länge des Krallengliedes und ihre erste Phalanx stets länger als die zweite. Bei den typischen Glyptodonten articulirt das dreieckige Bein mit dem Metacarpus des vierten Fingers, wie unter den Armadillos bei Praopus; bei den Hoplophoriden artieulirt es nur mit dem Metacarpus des fünften (weil der Daumen fehlt, des anscheinend vierten) Fingers und trägt daneben ein acces- sorisches Knöchelchen, welches die lebenden Armadillos alle an entsprechender Stelle besitzen, das aber den typischen Glyptodonten zu fehlen scheint. Ausserdem sind bei allen Glyptodonten einfache Sesams- beinchen unter dem Gelenk des Krallengliedes mit der ersten Phalange vorhanden und ein anderer grosser accessorischer Knochen unter dem Carpuss. Die Krallenglieder aller Glyptodonten sind nach demselben Schema gebaut und es findet ein Unterschied in der Form und im Bau der Finger einer und derselben Gattung bei ihnen nicht Statt; sondern nur bei verschiedenen Gattungen. Buenos-Aires, im November 1871. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Rechter Vorderfuss von Praopus longicaudus. a. Kahn- bein, 5. Mondbein, ce. Dreieckiges Bein, e. Vieleckiges Bein, ©. Acces- sorisches Beinchen. 7., 1/., IIl., IV., V. die Finger in ihrer natür- lichen Reihenfolge. A. Accessorisches Bein unter dem Carpus, mit der Sehne des langen Zehenbeugers, an der die Sesamsbeinchen I A ee) BE N z Osteologische Notizen zur Kunde d. Panzerthiere Südamerikas. 715 sitzen. Dieselben Zahlen und Buchstaben sind auch bei den anderen Figuren angewendet. Fig. 2. Rechter Vorderfuss von Dasypus (Tolypeutes) conurus. — A. Accessorisches Bein des Carpus. Fig. 3. Derselbe von Dasypus (Euphractus) villosus. Fig. 4. Derselbe von D. (Priodontes) gigas, °/ der natürlichen Grösse. Fig. 5. Rechter Vorderfuss von Panochthus bullifer, */» der na- türlichen Grösse. 2 Fig. 6. Derselbe von Hoplophorus ornatus, !/ der natürlichen Grösse, 716 Eduard Hitzig: Ueber die beim Galvanısiren des Kopfes entste- henden Störungen der Muskelinnervation und der Vorstellungen vom Verhalten im Raume.') Von EpuARrD Hirtzie. I. Literatur. Schon den älteren Experimentatoren im Gebiete der gal- vanischen Elektrieität war es bekannt, dass bei Application von einigermassen intensiven Strömen in der Gegend des Kopfes Schwindelempfindungen eintreten können. So erwähnt Au- gustin?) einen einschlägigen Versuch: i „Umwickelt man die Ohren mit Draht, befeuchtet sie mit Salz- „wasser und taucht dann die Spitzen jenes Drahtes in die Wasser- „gläser, worin die an den Extremitäten der Säule befestigten Ketten „liegen, so wird einem schwindlich und man sieht elektrische Blitze.“ Bereits im Jahre 1827 wurde dieser Gegenstand aber von Purkinje?) in einer bei den neueren Autoren leider in Ver- gessenheit gerathenen Abhandlung ausführlicher behandelt. In 1) Die erste Mittheilung von den in dieser Abhandlung ange- führten hauptsächlichen Thatsachen machte ich der Berliner medizi- nischen Gesellschaft in ihrer Sitzung vom 19. Januar 1870. 8. Berl. Klin. Wochenschr. 1870. Nr. 11. 2) Versuch einer vollständigen systematischen Geschichte der galvanischen Elektrieität und ihrer medizinischen Anwendung von Dr. F. L. Augustin. Berl. 1803. S. 129. 3) Rust’s Magazin für die gesammte Heilkunde ete. Bd. XXI. Berl. 1827. 8. 297. Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 2717 dieser Arbeit, von der gleichwohl nur einige Seiten sich mit den galvanischen Schwindelempfindungen beschäftigen, findet sich der grössere Theil des von den Versuchspersonen subjec- tiv Wahrgenommenen richtig beschrieben. „Es ist leicht zu vermuthen, dass wenn ein Strom galvanischer „Thätigkeit durch das Gehirn geführt werden könnte, dieser einseitige „Reiz auch die Schwindelbewegungen erregen müsste. Dies gelingt „vollkommen, wenn man die Pole durch beide Ohren leitet. Man „fühlt dann den Kopf eingenommen und einen allgemeinen schwindel- „haften Zustand, dessen Richtung sich bei näherer Beobachtung als „diejenige ausweiset, die wir eben als senkrecht stehenden Kreis mit „nach links und rechts gerichteter Peripherie beschrieben haben, dessen „Fläche also mit dem Gesichte parallel geht, und der das Gehirn senk- „recht von oben nach unten und quer durchschneiden würde. Die „Richtung der Kreisbewegung dieses Schwindels geht aufwärts von „der rechten zur linken Seite, wenn der Kupferpol im rechten Ohre, „der Zinkpol im linken ist, umgekehrt aufwärts von der linken zur „rechten, wenn der Kupferpol ins linke, der Zinkpol ins rechte Ohr „eingebracht wird. So oft die galvanischen Leiter wieder abgezogen „werden, tritt jedesmal der Schwindel in entgegengesetzter Richtung „ein und dauert längere oder kürzere Zeit nach, je nachdem die pri- „märe Einwirkung länger oder kürzer war.“ Von den späteren Forschern äussert sich zunächst Re- mak!) ausführlicher über diese Frage. „Eine häufige Nebenwirkung bei Strömen, die den Kopf, Hals „oder Nacken treffen ist der Schwindel, der seltener während des „stetigen Stromes, als bei Oefinung der Kette eintritt und in einem „vorübergehenden Wanken des Kopfes nach der Seite der sich entfer- „uenden Elektrode hin besteht. — Nur selten beobachtete ich Schwin- „del beim Eintritt des Stromes in die Schläfe.. Da der Schwindel „besonders leicht beim Galvanisiren in der Gegend der nachbenannten „Organe entsteht, so scheint es beinah als wenn das obere Ganglion „des n. sympathicus oder das daneben liegende Ganglion des n. vagus „den Grund dieser sonderbaren Erscheinung enthielte. Bei anderen „Personen tritt dieser Schwindel freilich heftiger bei Strömen ein, die „den proc. mastoid, oder den Nacken bis zum 6. Halswirbel treffen, „so dass es sich dennoch vielleicht um eine Behelligung des kleinen „Gehirns handelt, dessen Verletzung bekanutlich nach Flourens „Entdeckung Drehbewegung hervorruft. Es ist nützlich sich mit „diesem Schwindel und den Bedingungen seines Eintritts vertraut zu 1) Galvanotherapie der Nerven und Muskelkrankheiten. Von Dr. R. Remak. Berlin 1858, 718 Eduard Hitzig: „machen, wenn man auf Kopf und Hals Ströme anwenden will, ob- „gleich er nur vorübergehend und von keinem bleibenden Nach- „theil ist.“ Benedikt!) hingegen bringt zum Theil ganz andere, zum Theil abweichende Angaben bei: „Bei der queren Durchleitung, besonders durch die Zitzenfortsätze „muss man die Vorsicht gebrauchen, zuerst den Zinkpol anzusetzen „und zuerst den Kupferpol wegzunehmen, weil man dadurch sicherer „den Schwindel vermeidet. — — — Eintretender Schwindel, con- „gestive Zustände mahnen, die Dauer und Intensität der Applikation „zu verringern, weil man sonst grosse Beschwerden, selbst eclampti- „sche Anfälle, wie ich es sah, und Haemorrhagia cerebri hervorrufen „kann. — — — Allgemeine Aufregung, Convulsionen, Muskelspan- „nungen, Schwindel?), Schmerzen, Lähmungen, Blutungen ins Gehirn, „in die Lunge und in den Mastdarm, hochgradige Metrorrhagie sind „häufige Folgen zu schmerzhafter Ströme. Ausfallen der Zähne und „Blindheit sind ebenfalls Erscheinungen, die auf zu starke elektrische „Reizung im Gesicht und im Kopfe eintreten können. — — — Alle „diese Erscheinungen sind keine Schreckbilder doctrinärer Phantasie, „sondern der Erfahrung entlehnte Thatsachen. — — —“ . Brenner°) der sich nächst Purkinje offenbar am ein- gehendsten mit dem Studium dieses Symptoms beschäftigte, hat wiederum theils neue, theils differirende und, wie wir sehen werden, nicht durchgehends richtige Angaben gemacht. Ich führe nachstehend alles Wesentliche aus seiner Darstellung des Sachverhaltes an. Ein vollständiger Abdruck derselben dürfte zu viel Raum einnehmen. „Der Schwindel ist von den in den Sinnesorganen auftretenden „Reizerscheinungen vollkommen unabhängig und besteht in einer „Störung des Gleichgewichtes, welche nicht blos von den Versuchs- „personen gefühlt wird,“ sondern auch durch Schwanken deıselben nach der Seite der Anode hin objectiv wahrgenommen werden kann. Kein Schwindel tritt ein, wenn die, beide Elektroden verbindende Linie der Medianebene parallel läuft, am stärksten ist er bei trans- versaler Galvanisirung. „Das Gefühl — — -- besteht in der Empfindung 1) Elektrotherapie. Von Dr. Moriz Benedikt. Wien 1868. S. 74 f. DIA. 3:0 580 3) Untersuchungen und Beobachtungen auf dem Gebiete der Elektrotherapie von R. Brenner. Leipzig 1868, I. 1. 8. 75 ff, und Il. 8. 30 £, Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 719 „als sei die Schwere der einen Körperhälfte aufgehoben, und als falle „man in Folge dessen nach der anderen Seite.“ Der Schwindel nimmt während des Schlusses der Kette noch allmählig zu. Die Reizmomente von denen er abhängig ist, sind An. S, An. D und KO, Indessen erfordert der Oefinungsschwindel grössere Stromintensitäten und ist von kürzerer Dauer. Seine Richtung ist die dem Schlies- sungsschwindel entgegengesetzte. Zwei Anoden auf symmetrische Kopftheile applieirt, Kathode an indifferenter Stelle machen keinen Schwindel, ebenso wenig die Anwendung inducirter Ströme. „Er verliert „bei noch so häufig wiederholter Applikation des Stromes niemals „von seiner ursprünglichen Intensität. “ Ich möchte hier gleich bemerken, dass die später nachzu- weisende Unvollständigkeit und theilweise Ungenauigkeit der Brenner’schen Angaben offenbar daher rührt, dass er einmal die Purkinje’schen Beobachtungen über die Scheinbewegungen nicht kannte, dann aber von vorgefassten Meinungen über po- lare Wirkungen ausging. Immerhin wirkt Brenner’s Dar- stellung rücksichtlich ihrer thatsächlichen Richtigkeit wahrhaft erfrischend, wenn man sie mit den wirren Erzählungen anderer Schriftsteller vergleicht. Noch bei anderen Autoren im Gebiete der Elektrotherapie findet sich übrigens das in Rede stehende Symptom erwähnt. Jedoch lohnt es in der That nicht der Mühe, das was sie bei- bringen, anzuführen. Andererseits halte ich es doch für zweck- mässig, die hauptsächlichsten der von den vier citirten Schrift-‘ stellern angeführten „thatsächlichen* Momente tabellarisch zu- sammen zu stellen. Hätte es nicht eine äusserst ernste Seite, so.wäre es spasshaft zu sehen, wie diese vier Autoren kaum in einer ihrer Behauptungen zusammenstimmen. (S. Tab.I. am Schlusse der Arbeit.) II. Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes eintretenden Erscheinungen von Schwindel. Wenn man galvanische Ströme durch den Kopf oder die ihm benachbarten Theile so leitet, dass der Schädelinhalt durch Stromschleifen getroffen wird, oder wenn man Ströme, die diese Theile durchfliessen, mit einer gewissen Geschwindigkeit vergehen lässt, oder wenn man auch nur einigermassen schnelle, sei es positive, sei es negative Dichtigkeitsschwankungen solcher 720 Eduard Hitzig: Ströme herbeiführt, so können dadurch die Vorstellungen der Versuchspersonen von dem Verhalten der Gesichtsobjecte oder von ihrem eigenen Verhalten im Raume in einer bestimmten Weise alterirt werden. Man nennt diese vorübergehende Ver- wirrung der Vorstellungen Schwindel. Es ist also irrig, wenn von der einen oder der anderen Seite behauptet wird, dass eine bestimmte Wahl der Ein- strömungsstellen oder ein bestimmtes Reizmoment — Oeffnung oder Schliessung — zur Hervorbringung dieses Symptomes absolut erforderlich sei. Allerdings disponiren gewisse Me- thoden unvergleichlich mehr zum Schwindel als andere, doch kann die einfache Annäherung einer der beiden Elektroden an den Kopf oder ihre Entfernung schwindelerregend wirken. Am Leichtesten entsteht Schwindel, wenn der Strom von einer Fossa mastoidea!) zur anderen geht. Die übri- gen um das Ohr gelegenen Stellen verhalten sich ähnlich wie die Fossa mastoidea. Dieser Umstand lässt sich auf zweierlei Art erklären. An der genannten Stelle liegen die Carot. interna und die Jugul. interna dieht unter der Elektrode. Da nun das Blut unter den menschlichen Geweben das grösste Leitungsvermögen besitzt, so liegt bei dieser Reizmethode am Leichtesten die Möglichkeit vor, mittelst der Aeste jener Gefässe, namentlich auch der Sinus, das ganze Gehirn mit Stromschleifen zu überziehen und zu durchziehen. Zweitens ist es möglich, dass in der hinteren Schädelgrube oder in ihrer Nähe solche Organe liegen deren Elektrisirung Schwindel macht. Wahrscheinlich sind es diese beiden Bedingungen, welche zusammenwirken. Weniger leicht entsteht Schwindel bei transversaler Gal- vanisirung durch den Hinterkopf, noch schwerer bei transver- saler Galvanisirung durch den Vorderkopf, leichter hingegen als bei diesen letzteren Methoden dann, wenn nur die eine Elektrode sich in der Fossa mastoidea und die andere sich an einem indifferenten Orte befindet, wenn also die directe Strom- bahn in einem Sagittalschnitte liegt, oder mit einem solchen 1) Unter Fossa mastoidea verstehe ich die Grube, welche sich zwischen der hinteren Fläche des Öhrläppchens und dem Process. mastoid. befinde. Remak hat diesen Namen meines Wissens zu- erst angewendet, und ich adoptire ihn um der Kürze willen. Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 721 ui irgend einen Winkel bildet. Die übrigen Anordnungen, bei denen die direete Strombahn in sagittale Ebenen fällt, begün- stigen den Schwindel nicht. Man kann mit Sicherheit sagen, dass Dichtigkeitsschwan- kungen derjenigen Stromschleifen, welche durch das Gehirn gehen, je nach ihrer Grösse und Geschwindigkeit stärkeren oder weniger starken Schwindel erzeugen. Man kann aber nicht mit Sicherheit sagen, ob die Annäherung der Anode oder der Kathode, die Schliessung oder die Oeffnung eine grössere Wir- kung hat. Ich will deswegen lieber den Sachverhalt, wie er durch die Versuchsbedingungen geformt wird, auseinandersetzen. Das allen numerischen Bestimmungen entgegentretende Hinder- niss besteht in der absoluten Unmöglichkeit, die Bedingungen je zweier Parallelversuche ganz gleich zu machen; dann in der unverhältnissmässigen Schwierigkeit, die Grösse von bei je zwei Versuchen vorkommenden Veränderungen in den Ver- suchsbedingungen abzuschätzen oder gar genau zu messen. Der wesentlichste, die Grösse der Stromintensität bedingende Factor ist der Hautwiderstand, und dieser ist nicht nur bei verschiedenen Menschen, sondern auch bei demselben Menschen an symmetrischen Körpertheilen so ungemein ungleich, dass schon von vorn herein ein fast nicht gut zu machender Fehler in den Versuch eingeführt wird. Kleine Abschilferungen der Oberhaut, irgend eine stärkere Durchfeuchtung derselben und andere Umstände vermögen von einem Tage zum anderen das Verhalten der gleichen Hautstelle gegen den Strom gänzlich zu ändern. Mit der Schliessung der Kette beginnen dann die stets verschiedenen Modificationen des Hautwiderstandes durch ausgeschiedene Elektrolyte und durch Veränderung der Blut- zufuhr zu dem benachbarten Gewebe. Endlich kann man die Schwindelempfindungen nicht wie Muskelzuckungen sehen oder ihre Höhe an Curven ablesen, sondern man ist grossentheils auf die subjectiven Angaben von Personen angewiesen, die nun ausserdem noch an zwei auf einander folgenden Tagen eine sehr verschiedene Disposition zum Schwindel mit in den Ver- such hineinbringen können. Umgeachtet dessen habe ich ver- sucht, mir für meine Person ein Urtheil über diese Frage durch Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 46 122 Eduard Hitzig: grosse Vervielfältigung der Versuche zu bilden. Dabei schien es mir, dass die Anoden-Schliessung leichter Schwindel erzeugt, als die Kathoden-Schliessung, und die Anoden-Oeffnung leich- ter als die Kathoden-Oeffnung. Indessen ist dies mehr ein Eindruck, als eine auf Zahlen begründete Ueberzeugung. Brenner a.a.O. spricht nicht von der Wirkung der Katho- den-Schliessung und der Anoden-Oeffnung. Wie es scheint, hat er sich von dem Auftreten des Schwindels bei diesen Reiz- momenten nicht überzeugt. In dem ersten Theile seines Buches zweifelt Brenner an dem Oeffnungsschwindel im Allgemeinen, verlangt aber min- destens stärkere Ströme für sein Zustandekommen; später hat er sein Vorkommen für die Kathode zugegeben. Da dieser - fleissige Forscher offenbar eine Menge Versuche gemacht hat, kann ich mir seinen Irrthum nicht recht erklären; denn wenn man den Dingen nicht näher auf den Grund geht, scheint es sogar, als wenn die Oeffnung der Kette stärkeren Schwindel errege, als die Schliessung der gleichen Batterie. Der Grund hierfür liegt darin, dass, wie soeben erwähnt, während des Galvanisirens der Hautwiderstand allmälig sinkt. Die Ordinate der Schliessung ist also nicht nur weniger hoch, sondern der von dem ansteigenden Theil der Curve mit der Abseisse ge- bildete Winkel ist auch weniger gross als die gleichnamigen Werthe der Oeffnung. Uebrigens ist es auch keineswegs richtig, dass, wie Bren- ner angiebt, der Oeffnungsschwindel gleich allen Oeffnungs- reizen nur von kurzer Dauer sei. Das mag auf das eine Symp- tom des objectiv nachweisbaren Schwankens passen. Die Schein- bewegung und besonders die allgemeine Unsicherheit pflegt aber noch kürzere oder längere Zeit anzudauern. Durch tiefe Inspirationen und Riechen von Ammoniak kann man ihrer Herr werden. — Während der Dauer des constant gewordenen Stromes hält der Schwindel an. Er vermindert sich nur allmälig und zwar, wie sich aus dem Einflusse der Gewöhnung nachweisen lässt, durch Regulirung vom Sensorium aus. Bei einigermassen star- ken Strömen hört er während der Stromdauer überhaupt ı 6. eu Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 723 nicht ganz auf. Diese letzteren Umstände in Verbindung mit einigen später Anzuführenden sind nicht nur von grosser Wich- tigkeit für die Deutung der hier vorliegenden Thatsachen, son- dern sie reihen auch der Lehre vom Elektrotonus ein neues Capitel an. Aenderung der Stromrichtung verstärkt alle subjeetiv und objectiv wahrnehmbaren Symptome von Schwindel. Inducirte Ströme bringen niemals Schwindel hervor. — Die bei den Versuchspersonen entstehende Verwirrung der Vorstellungen kann je nach der relativen Stärke des Stromes in verschiedener Art zur Wahrnehmung kom- men. Bei relativ schwachen Strömen bemächtigt sich des Sensoriums eine unbestimmte Empfindung von Unsicherheit über das räumliche Verhalten des eigenen Körpers oder der ausserhalb gelegenen Dinge, ohne dass jedoch eine Scheinbe- wegung von bestimmter Richtung, oder am eignen Körper reale Bewegungen entständen. Diese Art oder vielmehr dieser Grad des Schwindels wird ausser während der Dauer ganz schwa- cher Ströme besonders häufig schon nach Oeffnung einer Kette beobachtet, deren Schluss oder Stromdauer keinen Schwindel erzeugte. Man hört die fraglichen Empfindungen wohl mit dem mir ganz zweckmässig scheinenden Namen „Benommenheit“* be- zeichnen. Bei Anwendung stärkerer Ströme indessen wird das Ur- theil über das räumliche Verhalten des Ich zur Aussenwelt in einer bestimmten und gesetzmässigen Weise gefälscht. Es treten nun Scheinbewegungen ein, deren Richtung durch die Wahl der Einströmungsstellen bedingt wird. Das Prototyp dieser Versuche ist die von Purkinje beschriebene Anordnung. Wenn sich die Elektroden in je einem Ohr befinden, so schei- nen während der Stromdauer die Gesichtsobjecte wie ein dem Gesichte paralleles aufrechtes Rad von der Seite der Anode nach der Seite der Kathode zu kreisen. Im Momente der Oeff- nung ändern sie ihre Richtung, so dass nun die Scheinbewe- gung auf der Seite der Kathode eine aufsteigende und auf der Seite der Anode eine absteigende Richtung hat. In einzelnen Fällen bereits bei Anwendung von Strömen 46* 724 Eduard Hitzig: der gleichen Intensität, immer aber bei Anwendung stärkerer Ströme, beobachtet man einen dritten Grad des Schwindels, es schwankt die Versuchsperson bei der Kettenschlies- sung mit dem Kopfe oder dem ganzen Körper nach der Seite der Anode und bei der Kettenöffnung nach der Seite der Kathode. Gleichzeitig aber sind dann die obenerwähnten Scheinbewegungen der Gesichtsobjecte in grosser Deutlichkeit vorhanden, wie denn überhaupt ihre Ge- schwindigkeit durchaus in gleichem Verhältnisse mit der rela- tiven Stromdichte zunimmt. Während der Stromdauer kann gleich den übrigen Erscheinungen die seitliche Neigung des Kopfes und Körpers allmälig abnehmen und gänzlich verschwin- den; doch pflegt dies bei stärkeren Strömen und mangelnder Gewöhnung nicht vorzukommen. Positive Dichtigkeitsschwan- kungen haben rücksichtlich der scheinbaren und wirklichen Be- wegungen der Art nach den Effect der Schliessung, negative den der Oeffnung. Die sämmtlichen geschilderten Erscheinungen treten, zwar weniger leicht, aber sonst genau in derselben Weise auf, wenn sich nur eine Elektrode am Kopfe befindet. Die Richtung der Scheinbewegung sowohl als die Richtung der wirklichen Kör- perbewegung ist bei einer solchen Anordnung so, als wenn die andere Elektrode sich auf der anderen Seite des Kopfes be- fände. Es träte der Strom z. B. in der rechten Fossa mastoidea ein und in derselben Fossa supraclavi>ularis oder auf der Brust oder auf dem Rücken aus, so wankt der Kopf nach rechts und die Gegenstände scheinen nach links zu versinken. Ganz denselben Reizeffeet beobach- tet man aber auch, wenn man den Strom in der linken Fossa supra- celavieularis (oder einem beliebigen Orte) ein- und in derselben Fossa mastoidea -austreten lässt. Es ist selbstverständlich, dass bei den beiden anderen noch möglichen Abänderungen dieser Anordnung die reale und die Scheinbewegung jede nun nach der entgegengesetzten Seite eintreten muss. Uebrigens ist gerade diese Anordnung sehr geeignet, die Ansicht zu erzeugen, dass der Schwindel bei der Oeff- nung leichter als bei der Schliessung entsteht. Personen, die dabei Schliessungsschwindel nur unter Benutzung einer sehr starken Kette bekommen, werden vom Oeffnungsschwindel schon bei der halben und einer noch geringeren Elementenzahl befallen, Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 725 Die Tabelle II. wird die angeführten Thatsachen noch deutlicher machen. Ich habe in derselben als Typen ne- ben der Methode der queren Durchleitung die Galvanisirung zwischen den Fossae mastoideae und supraelavieulares gewählt. Die Pfeile hat man sich auf das Gesicht der Versuchsperson gezeichnet zu denken. Von den im Vorstehenden geschilderten Erscheinungen kommen nur unwesentliche und seltene Abweichungen vor. Die häufigste Abweichung besteht noch darin, dass sitzende Versuchspersonen keine senkrecht stehende, sondern eine hori- zontale Schwindelbahn haben. Dann scheinen also die Gegen- stände von rechts nach links oder von links nach rechts zu entweichen, ohne gleichzeitig in einer dieser beiden Richtungen zu versinken. — Noch bei Weitem seltener und, wie es scheint, nur unter besonderen, später namhaft zu machenden Bedin- gungen, tritt überhaupt keine Scheinbewegung der Gesichtsob- jecte, sondern nur eine nach der Kathoden-Seite gerichtete Scheinbewegung des eigenen Körpers ein. Auch hierbei herrscht die senkrecht rotirende Richtung vor, obwohl die Personen sich doch manchnial in einer horizontalen Ebene fortbewegt glauben. Ich lasse es dahin gestellt sein, ob diese Empfindung bei Per- sonen mit gesunden Augenmuskeln und bei offenen Augen überhaupt vorkommt, und ob sie nicht vielmehr Anomalien der Innervation oder das Ausfallen der optischen Eindrücke voraussetzt. Wenn sie vorhanden ist, wird sie mit der Em- pfindung des Carousselfahrens verglichen. — Die nächste Frage, welche sich nach Kenntnissnahme der angeführten Thatsachen aufdrängt, ist die, ob das Schwanken des Körpers nach der einen Seite und die Scheinbewegung der Gesichtsobjecte nach der andern Seite nicht im Verhältniss von Ursache und Wirkung zu einander stehen. Es ist bekannt, dass Scheinbewegungen dann entstehen, wenn die Richtung der Gesichtslinie auf anderem Wege als dem der normalen Inner- vation geändert wird. Wenn man z. B., während man das linke Auge schliesst, mit dem rechten stark nach innen blickend, einen Gegenstand fixirt, und nun die Haut des rechten äusse- ren Augenwinkels nach aussen zerrt, so scheint der fixirte Ge- 726 Eduard Hitzig: genstand bei jeder Zerrung nach links zu entweichen. Diese Er- scheinung hat ihren Grund darin, dass durch jene Zerrung die Ge- sichtslinie etwa in der Richtung des Zuges des äusseren geraden Augenmuskels verschoben wird, ohne dass wir diesen Muskel mit dem dazu in der Regel verwendeten Willensimpulse versehen hätten, während wir, um unser Gesichtsobject weiter fixiren zu können, den Internus in der Weise innerviren müssen, als wenn jenes nach links bewegt worden wäre. Das Sensorium verlegt deshalb die wirklich stattgehabten Bewegungen nicht in das Auge, sondern in das betrachtete Object, indem es, lediglich auf seine bis dahin gesammelten Erfahrungen angewiesen, nur nach dem seinerseits wirklich verbrauchten Augenmuskelimpulse urtheilt. Dieser entspricht aber bei dem gewählten Beispiele einer Bewegung des Gesichtsobjectes von rechts nach links. \ Wenn nun durch eine unseren Sinnen unbekannte Kraft ohne die in der normalen Weise vor sich gehende Mitwirkung unseres Sensorium der Kopf und mit ihm die Augen nach rechts bewegt werden, so kann man dies als eine unwesentliche Abänderung des soeben beschriebenen Versuches betrachten. Es würde dann folgerichtig sein, die nach links gerichtete Scheinbewegung als nothwendige Folge der vorausgesetzten Zwangsbewegung aufzufassen, wenn mit dem Aufhören der Zwangsbewegung auch die Scheinbewegung ihr Ende erreichte. Dies ist aber nicht der Fall, sondern das scheinbare Versinken der Gegenstände nach der einen Seite dauert an, während die wirkliche Bewegung bei dem Wanken des Kopfes nur momen- tan zu sein braucht. Ja das Zustandekommen der Scheinbe- wegung bedarf nicht einmal nothwendigerweise einer objectiv wahrnehmbaren Körperbewegung. Es ist oben schon angeführt worden, dass Scheinbewegungen bedeutend leichter zu erzeugen sind, als das andere in Rede stehende Symptom. Unter diesen Umständen ist es zwar möglich, dass in dem Momente des nach der Seite Schwankens uns durch dasselbe eine ebenfalls momentane Bewegung der Gegenstände im Raume nach der anderen Seite vorgetäuscht wird, aber die continuirliche Scheinbewegung kann hierdurch keineswegs erklärt werden, Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 727 Uebrigens ist die Production des compensirenden Muskelimpul- ses keine nothwendige Bedingung für das Eintreten der Scheinbe- wegung. Denn dieselbe Scheinbewegung entsteht auch jedes Mal, wenn man den rechten Bulbus durch einen plötzlichen kurzen Druck von innen her nach rechts verschiebt, während man gleichzeitig, ohne zu fixiren, ins Weite blickt. Es würde also in den beiden gewählten Beispielen die auf abnorme Weise vor sich gehende Verschiebung der Gesichtslinie genügen, um eine scheinbare Bewegung des Gesichtsob- jeetes hervorzubringen. Indessen ist die Sinnestäuschung unter sonst gleichen Verhältnissen immer stärker, wenn compensirende Muskel- impulse mit in Frage kommen. Durch diejenigen Phänomene, welche bei Augenmuskellähmungen und nach anhaltender Betrachtung sich in einer bestimmten Richtung bewegender Gegenstände vorkommen, lässt sich der Beweis hierfür führen. Rücksichtlich des Näheren ver- weise ich auf Helmholtz, physiol. Optik, v. Graefe, Symptomen- lehre der Augenmuskellähmungen, Donders in v.Graefe’s Archiv, Bd. XVll u. s. w. Bevor wir nun dieses Capitel schliessen, sei es gestattet, die angewendete Methode einer kurzen Besprechung zu unterziehen. — Bei allen Grundversuchen liess ich den Strom in der einen Fossa mastoidea ein- und in der anderen Fossa mastoidea austreten. Dies Verfahren ist bei Weitem weniger umständlich als die Galvanisation durch die Ohren, und auch lange nicht so schmerzhaft. Wenn man den Strom durch die Öhren leitet, hat man es wegen der Enge des Gehörganges nothgedrungen immer mit äusserst kleinen Einströmungsstellen zu thun. Die Dichtigkeit des Stromes wird also, bei übrigens gleicher Intensität desselben, in der Regel an den Einströ- mungsstellen, wenn es die Ohren sind, viel beträchtlicher sein, als bei äusserlicher Anlegung der Leiter. Dies ist um so un- angenehmer, als die Nerven des Gehörganges ohnehin schon sehr empfindlich zu sein pflegen. Ausserdem bekommt man bei der Galvanisirung durch die Ohren leicht subjective Ge- hörsempfindungen. Nun wird von der Versuchsperson Auskunft über ihr durchaus neue, subjective Empfindungen verlangt, welche zudem in einer theilweisen Verwirrung des Urtheils bestehen und deshalb von entschieden beängstigender Natur sind. Verlangt man also einigermassen zuverlässige Angaben, so muss man von der Versuchsperson alle Eindrücke, durch 128 Eduard Hitzig: welche ihre Urtheilsfähigkeit noch weiter beeinträchtigt wird, fern halten, und zu diesen gehört in erster Reihe der Schmerz. Applieirt man die Elektroden nicht beide in den Fossis mastoideis oder ihrer unmittelbaren Nähe, so ist, die gleiche Elementenzahl vorausgesetzt, der Schmerz zwar manchmal noch unbedeutender; indessen treten die zu studirenden Reiz- erscheinungen dann um so schwerer ein, so dass man, um das Gleiche zu sehen, der Versuchsperson durch Steigerung der absoluten Stromintensität nun doch wieder mindestens den gleichen Schmerz verursachen muss. Aus den gleichen Gründen habe ich in allen Fällen die von mir angegebene Modifikation der unpolarisirbaren Elektro- den duBois-Reymonds angewendet; denn die durch Metall- elektroden hervorgebrachte Anätzung der Haut kann einen so erheblichen Schmerz verursachen, dass man zur Unterbrechung des Versuches veranlasst wird. Die Zahl der zur Hervorbringung der beschriebenen Reiz- effekte erforderlichen Elemente variirt je nach Oertlichkeit und Querschnitt der Einströmungsstellen und der Reizbarkeit der Versuchspersonen innerhalb ziemlich breiter Grenzen. Bei Verwendung einzölliger Elektroden und bei querer Durchleitung des Stromes kann man bei 6 Daniell schon starken Schwindel haben. Gewöhnlich bedarf man einiger Elemente mehr. Vollkommene Durchfeuchtung der Haut und metallische Schliessung und Oeffnung ersparen ceteris paribus immer ein paar Elemente. Eine grosse Rolle spielt die Dis- position. Bei Krankheiten ist dieselbe häufig bedeutend ge- steigert, ohne dass man aber mit wenigen Worten allgemein gültige Regeln aufstellen könnte. Die meisten Tabes-Kranken z. B. werden ungemein leicht schwindlich, andere wieder sehr schwer. Die Verwendung unpolarisirbarer Elektroden empfiehlt sich auch aus dem Grunde, weil diese Instrumente das An- drücken des Reizträgers nicht erfordern. Die dadurch be- dingte Unterstützung des Kopfes erschwert das Eintreten der Schwindelempfindungen. Das Herausschleichen aus der Kette durch Anwendung Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 729 einer graduirten Nebenschliessung vermag andererseits den Eintritt von Oeffnungsschwindel nicht immer gänzlich zu ver- hüten. — Es mag am Platze sein, hier meine Ansicht über die von Binigen behauptete Gefährlichkeit des Galvanisirens am Kopfe auszusprechen. Zunächst dürfte wohl die grosse Anzahl von Versuchen, die ich zur Ermittelung der in dieser Abhandlung angeführten Thatsachen an Gesunden und Kranken ohne Nach- theil für dieselben angestellt habe, dafür sprechen, dass die beschriebenen Methoden, wenn überhaupt, nur ausnahmsweise und unter ganz besonderen Bedingungen wirklich gefährlich sein können. Dann möchte ich darauf aufmerksam machen, dass in der Litteratur noch kein einziges glaubwürdiges Bei- spiel existirt, aus dem hervorginge, dass Jemand in der That durch eine solche Methode ernstlich geschädigt worden wäre. Gleichwohl hat man seit dem ersten Bekanntwerden des Gal- vanismus ohne Scheu die barbarischsten Galvanisationsmethoden am Kopfe vorgenommen.!) Ja es lässt sich sogar aus den eigenen Schriften solcher Autoren, die am Meisten gegen das Galvanisiren des Kopfes eifern, mit Leichtigkeit nachweisen, dass sie selbst stärkere Ströme, als die hier in Rede kommen- den, ohne Bedenken angewandt haben. Ich will durchaus nicht in Abrede stellen, dass die un- vorsichtige Durchleitnng elektrischer Ströme durch den Kopf ebenso gut wie durch jeden anderen Körpertheil vorhandene Krankheitszustände verschlimmern kann, wie denn manche Personen die Elektricität in keiner Form und nach keiner Methode vertragen. Auch gehört die galvanische Reizung des Gehirns durch starke Ströme mit zu den unangenehmsten Elektrisationsmethoden weniger wegen der Begleiterscheinungen als wegen der dem „Katzenjammer“ ähnlichen Nachwirkungen. Man hat noch längere Zeit nachher die Empfindung dumpfen 1) Die älteren Galvanisten, denen das Gesetz von du Bois- Reymond noch nicht bekannt war, glaubten den Strom durch Schüt- teln der Ketten, welche sie als stromzuführende Leiter benutzten, in Bewegung halten zu müssen. Natürlich reizten sie dadurch das Ge- hirn mit ungezählten Schliessungs- und Oeffnungsschlägen. 130 Eduard Hitzig: Druckes, namentlich im Hinterkopfe, Uebelkeit, manchmal auch Schwindelempfindungen. Das beste Mittel dagegen ist der Genuss von Speise und Trank. Damit ist aber noch nicht das Geringste für eine spe- cifische Gefährlichkeit der fraglichen Methode — selbstver- ständlich innerhalb gewisser Grenzen — bewiesen. Wer beim Galvanisiren des Kopfes Beobachtungen gemacht hat, die etwas Anderes beweisen, der möge doch den Krankheitsfall und das angewendete Verfahren mit seinen Folgen genau beschreiben. Obwohl ich, wie man sehen wird, für diese Methode als Heil- mittel keineswegs so übermässig eingenommen bin, halte ich es doch, selbst wenn man von ihrer therapeutischen Verwerthung ganz absehen sollte, für wünschenswerth, dass die Wahrheit bekannt werde. Bis etwas Anderes bewiesen ist, werde ich meinen eigenen Erfahrungen mehr Glauben schenken, als all- gemein gehaltenen Behauptungen. — Die soeben besprochene Methode wurde auch bei den in den nachstehenden Kapiteln angeführten Versuchen angewen- det. Ich verweise deshalb rücksichtlich jener Beobachtungen auf das hier Vorgetragenee Ausserdem bemerke ich, um Wiederholungen zu vermeiden, dass bei allen Ver- suchen, von denen nicht ausdrücklich etwas An- deres gesagt ist, die Anode in der rechten Fossa mastoidea gedacht und soweit die Augen in Frage kommen, das rechte Auge betrachtet ist. — III. Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes eintretenden Augenbewegungen. Wenn man galvanische Ströme von solcher In- tensität, dass durch sie der zweite Grad des Schwin- dels hervorgerufen wird, oder stärkere Ströme durch den Kopf leitet, so treten unwillkürliche und un- bewusste Bewegungen der Augen ein. Die Leichtigkeit, mit der diese Augenbewegungen' zu Stande kommen, wächst bei übrigens gleichen Verhältnissen unter denselben Bedingungen, wie die von mir gelegentlich der Scheinbewegungen und der objectiv wahrnehmbaren Be- Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u, s. w, 731 wegungen des Körpers als begünstigende angeführten. Man beobachtet sie also leichter bei querer Durchleitung, beim Galvanisiren des Hinterkopfes, bei grösserer Steilheit der Stromeurven und nach Aenderung der Stromrichtung. Die galvanischen Augenbewegungen halten auch während der Stromdauer an, obwohl sie weniger ausgiebig werden können, sobald der Strom constant geworden ist. Hat man einen nur relativ schwachen Strom gewählt, so verschwinden sie zuweilen allmählig gänzlich. Im Moment der Oeffnung hingegen oder bei anderen erheblichen negativen Schwankungen der Stromdichte beginnen sie, auch wenn sie aufgehört hatten, von Neuem, haben dann aber die umgekehrte Richtung. Es ist aus den oben angeführten Gründen wiederum nicht zu entscheiden, ob bei Annäherung nur einer Elektrode an den Schädel die Anode oder die Kathode eine grössere Wirkung hat. Die Augenbewegungen treten bei einer solchen Anwen- dung überhaupt vergleichsweise viel seltener und weniger in- tensiv auf, als die Schwindelempfindungen. Man bedarf dann nicht selten einer Kette von 30 und mehr Daniell. Ihrem Charakter nach sind die so an Gesunden her- vorgebrachten Bewegungen fast immer associirte und lassen sich am Besten mit der Nystagmus genannten Affection ver- gleichen. Nur unterscheidet man hier immer deutlich, nament- lich bei geringeren Stromintensitäten, eine schnell ruckartig aus- geführte Bewegung nach der einen Seite und eine langsamere nach der anderen Seite. Bei manchen Individuen gleicht unter einer bestimmten Reizgrösse die Iris dem Schwimmer einer Angel, der langsam auf einem Flusse dahintreibt, bis er plötz- lich an der Leine in entgegengesetzter Richtung zurückgerissen wird. Bei zunehmender Stromintensität wird der Rhythmus schneller und schneller, bis endlich die Richtufg der kurzen ruckenden Bewegung dominirt und der Bulbus bei sehr starken Strömen nur noch leise oscillirend im Augenwinkel festge- gehalten wird. Die Richtung der einzelnen Bewegungen — und dies ist einer der interessantesten Punkte der ganzen Frage — hängt derart von der Wahl der Einströmungsstellen ab, dass die 152 Eduard Hitzig: schnellere, ruckende Bewegung, die wir der Einfachheit wegen zunächst allein berücksichtigen werden, immer in der Richtung des positiven Stromes erfolgt, die langsamere in der entgegen- gesetzten Richtung. Wenn sich also die Anode in der rechten und die Kathode in der linken Fossa mastoidea befindet, so er- folgt der Ruck nach lioks und bei starken Strömen werden beide Bulbi in den linken Winkeln festgehalten. Damit dieses Gesetz auf die überwiegend zahlreichen Fälle, in denen Rad- drehungen eintreten, passe, ist es nöthig, sich den gebogenen Pfeil, durch den man sich den Vorgang der Raddrehung ver- anschaulichen kann, gestreckt zu denken. Wie üblich ist hier- bei das obere Ende des verticalen Meridians betrachtet. In denjenigen Fällen jedoch, wo nur die eine Elektrode sich in der Gegend des Kopfes befindet, treten die Bewegungen, wenn es überhaupt dazu kommt, so auf, als wenn die andere Elektrode sich auf der anderen Seite des Kopfes befände. Bei einer solchen Anordnung kann man denn auch einzig am Normalen die Beobachtung machen, dass die Bewegungen beider Augen nicht vollkommen associirt sind, sondern dass auf dem einen Auge die Drehung um die sagittale, auf dem anderen Auge die Drehung um die verticale Axe vorherrscht. Man kann durch das Galvanisiren keineswegs alle phy- siologischen Augenbewegungen zwangsweise hervorbringen. An normalen Augen fallen z. B. sämmtliche Convergenzen aus. Es handelt sich vielmehr hauptsächlich um gleichnamige Seiten- wendungen und Rotationen. Ausserdem entsprechen die vor- handenen Bewegungen, wie ich noch ausführlicher zeigen werde, rücksichtlich der Combinationen der Drehungswinkel in den meisten Fällen den physiologischen durchaus nicht. Tabelle II. wird die besprochenen Verhältnisse deutlich machen. Man hat nur die gebogenen Pfeile auf den verticalen Meridian und die kurze, ruckende Bewegung zu beziehen. Für die Fälle, wo die Seitenwendung vorwiegt, muss man die ge- bogenen Pfeile gestreckt denken. — Die zunächst zu lösende Frage würde lauten, durch Reizung welcher Organe die soeben beschriebenen Augenbewegungen ausgelöst werden. Es könnte sich Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 7133 um die Muskeln, um die Stämme der motorischen Nerven und um centrale Gebilde handeln. An die Muskeln kann man schon um deswillen nicht denken, weil der Reizeffeet unendlich viel leichter auftritt, wenn man sich bis zur Fossa mastoidea von der Orbita ent- fernt, als wenn man in deren Gegend operirt. Ausserdem wäre nicht zu ersehen, wie associrte Bewegungen beider Augen durch die Reizung mit einem annähernd constanten Strome direct durch die zugehörige Musculatur ausgelöst wer- den sollten. Auch um die Nervenstämme kann es sich nicht handeln; denn auch der motorische Nerv antwortet ganz anders auf die Reizung mit Kettenströmen. Indessen wurde, um diese Frage noch weiter zu erhellen, der Versuch gemacht, zu bestimmen, durch welche Muskeln in jedem einzelnen Falle die betreffen- den Bewegungen ausgelöst werden. Es war um so schwerer, hierüber zu einer definitiven An- sicht zu gelangen, als auch die physiologischen Augen- bewegungen kaum je das Resultat der Contraction eines ein- zelnen Muskels sind. Die Augenmuskeln haben vielmehr in hohem Grade den Charakter von Moderatoren, derart, dass eine jede physiologische Bewegung des Bulbus als Resultante einer Anzahl von bewegenden Kräften aufgefasst werden muss. Zwei Wege gab es jedoch, auf denen es vielleicht möglich war, der Sache näher zu kommen. Der eine bestand darin, dass man gesunde und der Selbstbeobachtung fähige Versuchs- personen während der Reizung bestimmte willkürliche Augen- ‚bewegungen ausführen liess, und das Product der willkürlichen und der galvanischen Augenbewegungen beobachtete und beob- achten liess. Die so erzielten Resultate sind aber zur Ver- werthung nicht durchsichtig genug, wehrscheinlich weil der Vorgang dabei noch weiter complicirt wird. Denn nicht nur, dass wir es dabei mit neuen Innervationen der gesammten Augenmusculatur zu thun bekommen, sondern es tritt auch ein centraler Vorgang ein, dessen Einzelnheiten uns unbe- kannt bleiben. Der letztere Umstand fällt um so mehr in’s. 734 Eduard Hitzig: Gewicht, als die Methode ja von vornherein eine Fälschung des Urtheils herbeiführt. Der andere Weg hingegen lieferte Resultate, welche in einem späteren Theile der Abhandlung auch noch anderweitig verwerthet werden sollen. Er bestand in der Anwendung dieser Methode auf Personen mit completen Lähmungen einzelner Augenmuskeln. Man konnte nämlich erwarten, dass bei einer peripheren, noch completen Lähmung des einen oder des an- deren Augennerven die elektrischen Bewegungen auf dem kranken Auge entweder ganz ausfallen oder doch modifieirt werden würden. In der That traf diese Voraussetzung zu. Wenn beieinerrechtsseitigen Lähmung des Oculomotorius der Strom von der linken zur rechten Fossa mastoidea gerichtet ist, so kann es vorkommen, und es ist sogar die Regel, dass auf dem linken Auge ausgesprochene Radbewegungen, auf dem rechten jedoch horizontale eintreten, während bei umgekehrter Stromrichtung sich auf beiden Seiten Raddrehungen zeigen. Bei der einen sowohl als bei der anderen Stromrichtung sind die Excursionen des rechten Bulbus weniger ausgiebig als die des linken. Es scheint mir hieraus mit Sicherheit hervorzugehen, dass die Raddrehung, welche bei der ersteren Reizmethode am Ge- sunden auch auf dem rechten Auge eintreten müsste, die Re- sultante darstellen würde von der Contraction nicht nur des Obliquus inferior, sondern auch mindestens noch des Abducens. Denn von der Gesammtbewegung des Augapfels, welche beim Gesunden in einer Drehung um die Verticalaxe nach rechts mit gleichzeitiger Raddrehung in derselben Richtung besteht, fällt auf dem kranken Auge in Folge der Leitungsunterbrechung in der Bahn des Oculomotorius der zweite Theil der Be- wegung aus, während der andere von diesem Nerven nicht abhängige zu Stande kommt. Die Excursionen bewegen sich aber auf dem kranken Auge um deswillen in engeren Grenzen, weil diejenigen Muskeln, welche den einmal nach rechts ge- stellten Bulbus in die mittlere Stellung zurückzuführen hätten, von dem gelähmten Augennerven versorgt worden. Wenn man nun bei einer rechtsseitigen vollständigen Läh- Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 7135 mung des Abducens dieselben Versuche anstellt, so kann man beobachten, dass auf dem linken Auge Horizontalbewegungen, auf dem rechten aber Raddrehungen eintreten, sobald die Anode sich links befindet, während bei umgekehrter Application auf beiden Augen Rotationen um die verticale Axe vorhanden sind. In beiden Fällen macht das linke Auge ausgiebigere Bewegungen. Das rechte Auge hingegen steht in mehr oder weniger starker Adduction, manchmal auch gleichzeitig nach oben schielend. Hätte nun die fragliche Versuchsperson keine Lähmung des Abducens gehabt, so würden ohne Zweifel bei der erst- angeführten Reizmethode auch auf dem rechten Auge Hori- zontalbewegungen eingetreten sein. Da nun bei Ausfall des rechten Abducens gleichwohl Bewegungen, aber solche um die sagittale Axe zu beobachten sind, so darf man wohl mit Recht annehmen, dass bei der auf einem normalen rechten Auge ein- tretenden Horizontalbewegung nach rechts nicht nur der Ab- ducens, sondern mindestens auch der Obliquus inferior bethei- list ist und dass der dann gleichwohl um die Verticalaxe erfolgende Bewegungseffect nur auf das Vorwiegen der Ab- ducens-Contraction zu beziehen ist. Auf dem linken Auge hingegen würde es sich in denselben Momenten um gleich- zeitige Reizung in den Bahnen für Internus und Trochlearis handeln. Selbstverständlich treten überall gerade die umgekehrten Erscheinungen auf, sobald die auf dem rechten Auge voraus- gesetzten Muskellähmungen das linke Auge betreffen. Uebrigens ist es auffallend, wie leicht die sonst seltener zu erzeugenden Horizontalbewegungen gerade bei Augenkranken auch auf der gesunden Seite zu beobachten sind.!) (Tabelle III.) Wir sehen also übereinstimmend, dass bei der Strom- richtung von links nach rechts auf dem linken Auge Theile des Oculomotorius und der Trochlearis, auf dem rechten Auge andere Theile des Oculomotorius und der Abducens mit Reizen eigenthümlicher Art versehen werden. 1) Reine Trochlearis-Lähmungen bekam ich nicht zur Beobachtung. Ar A 736 Eduard Hitzig. Wie derartig gruppirte Reizeffecte gesetzmässig durch direkte Reizung der Nerven ausgelöst werden sollen, ist weder vom rein physikalischen noch vom physiologischen Standpunkte aus einzusehen Denn die Innervation strahlt nicht nur in mehrere Muskeln, sondern auch in mehrere von verschiedenen weit auseinanderliegenden Nerven abhängige Muskeln ein. Endlich auch müssten, was den Oculomotorius angeht, immer nur einzelne Theile seines Stammes getroffen werden, eine An- nahme, die höchstens für eine bestimmte, nicht aber für alle Stromstärken Gültigkeit haben könnte. Andererseits ist es nicht nur möglich, sondern bis zu einem gewissen Grade sogar sicher, dass im Gehirn Associa- tionsvorrichtungen bestehen, in denen solche Fasern, die später verschiedenen Nerven angehören, dicht beisammen liegen und deshalb auch gemeinschaftlicher Reizung leicht zugänglich sind. —- Wenn die fraglichen Augenbewegungen nun weder durch die Muskeln noch durch die peripheren Nerven ausgelöst sein können, so bleibt in der That nur übrig, sie auf irgend eine Beeinflussung centraler Gebilde zu beziehen. Sehr merkwürdig und durchaus abweichend von dem, was wir über das Verhalten peripherer Nerven wissen, ist, dass diese anscheinend innerhalb derselben Bahnen an- und ab- schwellenden Erregungen durch den nicht unterbrochenen, möglichst constant gehaltenen Batteriestrom ausgelöst werden. Der Inductionsstrom führt ebenso wenig zu diesen Augen- bewegungen, wie zu Schwindelempfindungen. Gleichwohl ist es durch die bisher angeführten Untersuchungen und Er- wägungen vielleicht noch nicht gänzlich auszuschliessen, dass nicht die in Folge der allmähligen Durchfeuchtung und Auf- lockerung der Haut während des Kettenschlusses entstehenden Stromschwankungen hierbei eine Rolle spielen. Allerdings wird dies, abgesehen von manchen anderen Gründen, auch dadurch sehr unwahrscheinlich, dass die nach der Ketten- öffnung entstehenden Bewegungen mit umgekehrter Richtung nicht nur momentan sind, sondern auch über den Moment der Oeffnung hinaus eine geraume Zeit anhalten, Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 137 IV. Ueber die Art der Einwirkung des Galvanismus. Bereits mehrfach ist einer Verschiedenheit der Wirkungs- art beider Pole gedacht worden. Wir sahen, dass die Rich- tung aller realen und auch aller Scheinbewegungen mit einer Gesetzmässigkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt, davon abhängt, welche Elektrode rechts und welche links applieirt wird, ob der Schliessungs- oder der Oeffnungsreiz einwirkt. Aus diesem Verhalten geht mit absoluter Sicherheit her- vor, dass ein Gegensatz in der Wirkung beider Elektroden, wie er schärfer nicht gedacht werden kann, vorhanden ist. Indessen dürfte es von besonderem Interesse sein, hervor- zuheben, dass gerade die vollkommene Einführung dieses Gegensatzes in den centralen Mechanismus conditio sine qua non für das Eintreten aller uns beschäftigenden Reizerschei- nungen ist, und dass hierfür keineswegs die Einwirkung irgend eines elektrischen Reizes ausreicht. Brenner (s. o.) führt bereits einen Versuch an, der als schlagender Beweis benutzt werden kann. Er brachte eine getheilte Anode in die Fossae mastoideae und eine einfache Kathode auf den Nacken. Es trat kein Schwindel ein. Sobald er aber eine Anode entfernte, war der Schwindel selbst bei einem viel schwächeren Strome, als dem zuerst benutzten, vorhanden. Ich habe diesen Ver- such nicht nur mehrfach wiederholt, sondern auch auf die Rei- zung mit der Kathode ausgedehnt. Danach kann ich die An- gabe Brenner’s vollkommen bestätigen und ausserdem auch für die Kathode und für das Eintreten der Augenbewegungen erweitern. Auch bei den grössten Stromintensitäten kommt es weder zu Schwindel noch zu Augenbewegungen, sobald beide Schädelhälften mit der gleichnamigen Elektrode gereizt werden. Wenn nun bei Annäherung nur einer Elektrode an den Schädel gleichwohl sämmtliche Reizerscheinungen, aber frei- lich viel weniger ausgesprochen, eintreten, so muss dies auf die eigenthümliche Function der gereizten Organe bezogen werden. Sowohl die associirten Augenbewegungen als die Vertheilung der zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts die- nenden Muskelimpulse setzen ein ungestörtes Zusammenwirken Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1371. 47 738 Eduard Hitzig: der gleichnamigen symmetrischen Üentralorgane voraus. Wird nur die Erregbarkeit des Centralorgans der einen Seite von der Norm entfernt, so ist die daraus resultirende Störung beträchtlich geringer, als wenn die Erregbarkeit des symmetri- schen Organs um das Gleiche, aber im entgegengesetzten Sinne, verändert wird. Eine doppelseitige positive oder nega- tive Erregbarkeitsveränderung bleibt aber ohne wahrnehmbare Zeichen. Es kann bei Berücksichtigung des soeben Recapitulirten und Neuangeführten wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die in Rede stehenden Reizerscheinungen auf analoge Erregbar- keitsveränderungen zurückzuführen sind, wie die nach den Untersuchungen von Pflueger am elektrotonisirten Nerven vor- handenen. Dies dürfte aber der erste Nachweis sein, dass man vermag, durch galvanische Reizung gewisse Complexe intracerebraler Nerven — sei es direct, sei es indirect — in Erregungszustände zu ver- setzen, durch die Anlass zu Muskelbewegungen eigenthümlicher Art gegeben wird. Hieran schliesst sich aufs Engste die Erwägung des Um- standes, dass inducirte Ströme weder Schwindel noch Augen- bewegungen hervorbringen. Schon einmal war die Elektro- physiologie mit der Bearbeitung einer ähnlichen Frage be- schäftigt. Es handelte sich damals darum, zu erklären, warum gelähmte Muskeln nicht auf inducirte, wohl aber auf Ketten- ströme reagiren. Neumann hat das Verdienst, den physikali- schen Grund dieses ungemein sonderbar erscheinenden Phäno- mens in der kurzen Dauer der Inductionsströme gefunden zu haben. Natürlich lag es nahe, sich zu überzeugen, ob hier nicht dieselbe physikalische Ursache obwalte. Die gehegte Vermuthung fand sich bestätigt. Kettenschliessungen und ebenso Kettenöffnungen von ganz kurzer Dauer haben denselben Nichterfolg als Inductionsströme. Wenn man also z. B. eine Kette, deren gänzliche Oeffnung das ganze Bild der Reizeffecte entrollen würde, nur momentan öffnet und wieder schliesst, so ist es für die fraglichen Ge- hirnfunctionen, als wenn nichts gewesen wäre; die peripheren ET EN ER N EHRE „ ER Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 739 Nerven aber antworten jeder mit seiner specifischen Energie, der Facialis mit Zuckung, der Opticus mit Lichtempfindung, die Geschmacksnerven mit stärkeren galvanischen Sensationen. Schnelle Wiederholung der Oeffnung und Schliessung ändert hieran nichts. Dieser Umstand ist in doppelter Beziehung von Wichtig- keit. Einmal darum, weil er einen ferneren Beweis für den eben angeführten Satz bildet, dass „die vollkommene Ein- führung des elektrotonischen Gegensatzes in den cerebralen Mechanismus conditio sine qua non für das Eintreten der uns beschäftigenden Reizerscheinungen ist.“ Wir sind berechtigt, zu schliessen, dass die intracerebralen Nervengebilde der Ver- änderung ihres Zustandes durch den Strom eine ähnliche Trägheit entgegensetzen, als der gelähmte oder curarisirte Muskel, als der Schliessmuskel der Muscheln. Ehe die Um- lagerung und damit die als Muskelbewegung in die Erschei- nung tretende Aenderung der Function herangebildet, ist die Rücklagerung in den früheren Zustand schon wieder da. Hierin würde also eine wesentliche, wenn auch nur quanti- tative Verschiedenheit von dem Verhalten peripherer Nerven liegen. Wenn man die durch kurz dauernde galvanische oder Inductionsströome im Centralorgane hervorgebrachten Verände- rungen näher studiren könnte, würde man wahrscheinlich die Zeichen eines doppelseitigen, gleichnamigen Erregbarkeits- zuwachses finden, wodurch denn die bei derartiger Modifica- tion der Reize nur geringen polaren Differenzen gänzlich ver- deckt sind. Der Umstand ist zweitens von Wichtigkeit, weil er den Beweis für eine Ansicht liefert, welche man unten ausge- sprochen finden wird, dass nämlich der Galvanismus bei diesen Reizversuchen in der Art einer Summirung von Reizen wirkt. Wenn dieselben Reize, welche bei intermittirender An- wendung zu keinem Reizeffecte Veranlassung geben, continuir- lich angewendet werden, so ist der Reizeffect da. Dies heisst, in andere Worte übertragen: „Innerhalb gewisser zeitlicher Grenzen verstärkt jeder kleinste Zeitabschnitt des Reizes die Wirkung seines Vorgängers.“ 47* 740 Eduard Hitzig: Endlich könnte noch Jemand die Frage erheben, ob bei diesen Versuchen der negative Reizzuwachs der Schliessung in der That auf der Seite der Anode und der positive Reizzuwachs auf der Seite der Kathode statt hat. Bei gewissen Untersu- chungen am Menschen über Erregbarkeit elektrotonisirter Ner- ven (Erb) fand sich nämlich stete der ungleichartige Erreg- barkeitszuwachs jeder der beiden Elektroden auf das Aeusserste nahegerückt. Indessen kommt ein solches Verhalten bei der be- nutzten Versuchsanordnung offenbar nicht vor. Man kann dies aus den Reizversuchen am Gehörorgan mit Sicherheit entneh- men. Die akustischen Reactionen beweisen, dass in der That ein noch ziemlich entlegener Theil des Schädelinhalts gänzlich unter dem Einflusse der zunächst gelegenen Elektrode steht. V. Ueber das Verhältniss der beim Galvanisiren des Kopfes auftretenden Reizerscheinungen. zu einander. Die Gleichzeitigkeit im Vorkommen der angeführten That- sachen veranlasst die Frage, ob dieselben unter einander ganz oder theilweise indem Verhältniss von Ursache und Wirkung stehen. Es liegen hier drei Möglichkei- ten vor: Die Schwindelempfindungen können Folge ‘der unwillkür- lichen Augenbewegungen, oder die unwillkürlichen Augenbewegungen können Folge der Schwindelempfindungen sein, oder beide Reizerscheinungen werden ganz oder theilweise un- abhängig von einander durch Reizung verschiedener Central- organe, vielleicht auch eines Oentralsystems, in dem eine Ver- knüpfung motorischer Augennerven mit Nerven der willkür- lichen Körpermusculatur stattfindet, hervorgebracht. — Der nächste Weg um die Abhängigkeit oder Unabhängig- keit der einzelnen Reizerscheinungen von einander festzustellen, war natürlich der, nachzusehen, ob sie unabhängig von einan- der vorkommen. In der That kommen sowohl Augenbewegun- gen ohne Schwindelempfindungen, als Schwindelempfindungen ohne Augenbewegungen vor. Wenn man mit relativ starken Strömen arbeitet, kann man dies freilich nicht beobachten. In- a tn u 0 u Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 741 dessen gelingt es hier und da mit schwächeren Strömen eine Intensität herauszufinden, bei der gerade nur das eine Symptom vorhanden ist. Am Häufigsten beobachtet man bei Personen, die schon öfter in der angegebenen Weise galvanisirt worden sind, Augenbewegungen ohne Schwindelempfindungen. Man kann solche Beobachtungen als strieten Beweis jedoch nicht gelten lassen. Denn wie wir einerseits unser Verhalten zu den Gegenständen im Raume nach den Erfahrungen beur- theilen, die unser Sensorium über das Verhältniss der von ihm beanspruchten Muskelimpulse zur Anordnung der Gegenstände gesammelt hat, und wie unser Urtheil hierüber durch irgend welche Störung im Bereiche des percipirenden Mechanismus verwirrt werden kann, so liegt andererseits die Möglichkeit vor, dass die Erfahrung solcher, eine gewisse Breite nicht überschrei- tender Störungen mit der Zeit Herr werden kann. Eine Ver- suchsperson, welcher früher schon mehrfach galvanische Augen- bewegungen höheren Grades erzeugt worden sind, würde end- lich dahin kommen können, diejenigen geringen Verschiebungen der Netzhautbilder, welche durch schwache Bewegungen er- zeugt werden, zu übersehen, und vermöge einer in der That vorhandenen Accommodationsfähigkeit des Centralorgans als noch in die Breite des Normalen fallend aufzufassen. So haben auch Kranke, die an Nystagmus leiden, in der Regel keine Schein- bewegungen, sondern vielmehr amblyopische oder aber andere Sehstörungen, wie sie durch das Augenzittern als solches nicht bedingt sind. Einer ähnlichen Betrachtung würde man das isolirte Vor- kommen einer Schwindelempfindung von bestimmter Rich- tung nicht unterziehen können. Indessen erhält man so gut wie nie Angaben, die unter diesen Umständen eine bestimmte Richtung mit Sicherheit, oder in einer mit anderweitig gesam- melten Erfahrungen stimmenden Weise bezeichneten, so dass man darauf hin eine Frage dieser Wichtigkeit kaum entschei- den möchte. Zu dem hätte man in diesen seltenen Fällen ledig- lich mit Angaben über subjective, sich der Controlle entziehenden Empfindungen zu rechnen. Dieser letztere Einwand lässt sich auch gegen den Umstand erheben, dass die Schwindelbahn der jedes- 742 Eduard Hitzig: mal vorwiegenden unwillkürlichen Ablenkung der Augen nicht in allen Fällen zu entsprechen scheint. Bei Raddrehungen der Augäpfel werden auch die Netzhautbilder annähernd auf den Peripherien von vertical stehenden Kreisen verschoben. Man hätte also eine verticale Scheinbewegung der Gesichtsobjeete zu erwarten. Eine solche wird aber, wenn auch in der gros- sen Mehrzahl der Versuche, so doch nicht ausnahmslos angege- ben. Einige Personen behaupten bei diesem Reizeffecte Hori- zontalschwindel zu haben. Ebenso trifft sich das umgekehrte Verhältnis. Aus dem angeführten Grunde ist -jedoch solchen Angaben, so lange sie ohne Unterstützung durch andere That- sachen dastehen, keine grosse Wichtigkeit beizulegen. So war es denn um so mehr geboten, die gestellte Frage weiteren Erwägungen und der Prüfung durch andere Versuche zu unterziehen, als ein vollkommenes sich Decken der Augen- bewegungen und der Schwindelempfindungen das Zustandekom- men der Letzteren, insoweit es die Scheinbewegungen der Ge- sichtsobjecte betrifft, auf das Befriedigendste erklären würde. Ja das Eintreten von derartigen Scheinbewegungen bei den be- schriebenen Augenbewegungen ist in dem Grade ein physiolo- gisches Postulat, dass ich ungeachtet dessen, was ich vorge- bracht habe, die Erklärung dieses Theiles der Schwindelempfin- dungen aus den Augenbewegungen nicht nur für unbedenklich, sondern für nothwendig halte. | Insoweit die Schwindelempfindungen als einfaches Resultat des galvanischen Nystagmus betrachtet werden sollen, sind sie den Erfahrungen anzupassen, welche aus dem 8. 725 f. angeführ- ten Versuche, betreffend die bei seitlicher Verschiebung des Bulbus durch Ziehen an den Lidern entstehenden Scheinbewe- gungen, gewonnen wurden. Ich habe des Näheren (8.733 ff.) aus- einandergesetzt, dass die galvanischen Augenbewegungen eben- falls nicht einen einfachen Tetanus oder eine einfache Muskel- contraction zur Anschauung bringen, sondern in einem Hin- und Herschwingen des Auges bestehen. Wir haben es also hier mit zwei entgegengesetzten Richtungen der Augenbewegungen zu thun, von denen die Eine mit der Richtung der Scheinbe- wegung zusammenfällt. In jenem Falle (Verschiebung des Au- Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 743 ges nach rechts) glaubten wir eine Bewegung des Gesichtsob- jeetes nach links darum wahrzunehmen, weil wir zur Fixation, d. h. zur Ausgleichung der erstgenannten Bewegung abnormer Weise den rechten Internus mit stärkeren Impulsen versehen mussten. Da nun bei dem galvanischen Versuche im Uebrigen die gleichen Verhältnisse vorliegen, so ist für diesen anzuneh- men, dass von den beiden hier in Frage kommenden sich ba- laneirenden Bewegungen gleichfalls die eine durch unbewusste, aber räumliche Vorstellungen bilden helfende Impulse ausgelöst wird, die andere hingegen durch eine unseren Sinnen unbekannte Kraft, welche dieselbe Rolle spielt, als der zerrende Finger, und welche im gegebenen Falle der Galvanısmus ist. Die Scheinbewegung findet bei der geforderten Versuchs- anordnung ebenfalls nach links hin statt, folglich muss die unbewusst willkürliche Bewegung ebenfalls auf dem rechten Auge hauptsächlich den Internus betreffen, und die von dem Galvanismus abhängige würde dem- nach auf demselben Auge hauptsächlich dem Abdu- cens zufallen. Diese Erklärung würde auch für den Fall ihre Gültigkeit behal- ten, dass die Scheinbewegung bei dem $. 725 angeführten Versuche lediglich durch die unbewusste Verschiebung der Gesichtslinie, also nicht durch die compensirenden Muskelimpulse gedeutet würde. Der Beweis wird unten geführt werden. Sehen wir zunächst davon ab, durch welche besondere Art der Einwirkung des Galvanismus die eine der beiden Augen- bewegungen hervorgebracht wird, so erscheint es nicht unwahr- scheinlich, dass die andere, durch dem Sensorium eigene Im- pulse gebildete, eine Folge ist der durch die erstere bewirkten abnormen Muskelzustände. Wenigstens liesse sich dies von den rotatorischen Bewegungen sagen. Ich hatte oben angeführt, dass die galvanischen Augenbewegungen in ähnlicher Weise wie die normalen, Resultanten mehrerer Zugkräfte sind. Auch bei den rotatorischen Bewegungen kann man immer eine mehr weniger bedeutende Seitenwendung wahrnehmen. Indessen stellen sich die Werthe der Raddrehungswinkel zu denen der Seitenwendungswinkel in der Regel als ganz unverhältnissmäs- TA Eduard Hitzig: sig viel grösser heraus, wie sie bei willkürlichen Bewegungen je vorkommen. Nun ist aber bei diesen das Verhältniss dieser beiden Winkel zu einander kein zufälliges oder durch den Wil- len zu beeinflussendes. Nach dem Donders-Listing’schen Ge- . setze ist der Raddrehungswinkel vielmehr eine Function von dem Erhebungs- und dem Seitenwendungswinkel, oder wenn wir diesen Satz umkehren: Eine bestimmte Grösse des Rad- drehungswinkels setzt auch eine bestimmte Grösse der (in die- ser Beziehung als complementär zu betrachtenden) Erhebungs- und Seitenwendungswinkel voraus. Da nun beim Galvanisiren weder der eine, noch der andere dieser beiden Winkel seiner Grösse nach dem Raddrehungswinkel entspricht, so müssen da- durch ganz ungewohnte Muskelempfindungen vermittelt werden, und da das Sensorium mit denselben nicht rechnen kann, so wird es deren Ausgleichung, so weit es ihm möglich ist, anstreben. Für diejenigen Fälle wo bei Seitenwendungen wirkliche Ueber- gänge aus der Primärstellung in eine Secundärstellung stattfän- den, liesse sich diese Erklärung freilich als nicht zureichend anfechten. Wir werden indessen auch anderweitige Veranlas- sung haben, auf diese Frage zurückzukommen. — Nachdem wir dergestalt den galvanischen Nystagmus in zwei Bewegungen zerlegten, deren Eine vorläufig als nur von dem eigenthümlichen Verhältniss der Augenmuskeln zu einander abhängend betrachtet wurde, können wir es unterneh- men, die an der anderweitigen willkürlichen Musculatur wahr- nehmbaren Innervationsstörungen mit in Betracht zu ziehen. Wir sahen, dass mit dem Kettenschlusse Kopf und Körper nach rechts schwankt, mit anderen Worten, dass die gesammte Mus- eulatur, insofern sie die Haltung des Körpers bedingt, Impulse erhält, welche die Medianebene des Körpers nach rechts neigen. Ganz ebenso werden auch der Gesammtmuseulatur der Augen in einem Momente der Reizung Impulse zu Theil, welche den verticalen Meridian beider Augen — also Ebenen, welche der Medianebene annähernd parallel liegen — nach derselben ‘Seite nach rechts neigen. Es darf aber nicht ausser Acht gelassen werden, dass bei starken Strömen das Endresultat der zwangs- mässigen Augenstellung erst hervortritt, und sich dann als gerade Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u, s. w. 745 das Umgekehrte ausweist, insofern als dann, wie oben ausge- führt, die im Sinne der Stromrichtung erfolgende Bewegung ‚— nach links — dominirt. Wir haben bisher die Schwindelempfindungen ganz im All- gemeinen so betrachtet, als wenn ihre Abhängigkeit von den Augenbewegungen mit einer Art von Nothwendigkeit vorausge- setzt werden müsse. Wenn eine unbedingte Abhängigkeit des ersten Symptoms von dem anderen indessen bestände, so müssten nach den üblichen Anschauungen die Schwindelempfin- dungen mit dem Fortfallen eines jeden optischen Eindruckes gleichfalls ausfallen, denn die scheinbare Bewegung entstand Ja bei dem als Ausgangspunkt gewählten Versuche durch das Zu- sammenwirken eines optischen Eindruckes mit abnormer Weise erforderten Muskelimpulsen, wobei zwar die Muskelim- pulse, nicht aber das Gesichtsbild wegfallen konnten. Um den Einfluss des einen und des andern dieser beiden Momente fest- zustellen, war es also geboten, den Reizversuch einmal unter Ausschluss aller optischen Eindrücke, dann aber unter Aus- schluss aller Muskelimpulse, wenn dies möglich war, anzustel- len. Für diesen letzteren Zweck wäre es sehr erwünscht ge- wesen, Personen mit completer Lähmung aller Augenmuskeln untersuchen zu können; indessen gelang es mir aller angewand- ten Mühe ungeachtet nicht, diesen seltenen Krankheitsfall zu Gesichte zu bekommen. Für den ersteren Zweck konnte es vielleicht genügen, wenn man Personen bei Schluss der Lider untersuchte. Indessen war man dann der Beobachtung der Bul- busbewegungen beraubt, auch hätte allenfalls die, wenngleich unbestimmte Lichtempfindung, welche bei Lidschluss statt hat, als ein Einwand erhoben werden können. Ich stellte den Versuch deswegen zuvörderst an zwei Blin- den an, deren Zuweisung ich dem freundschaftlichen Interesse des Herrn Dr. Brecht verdanke. Der Eine dieser Blinden war in Folge glaucomatöser Sehnerven- excavation auf dem rechten Auge ganz blind, hatte auch bei galvani- scher Optieusreizung mit 20 Elementen keine Phosphene;, mit dem linken Auge konnte er auf 6” Entfernung noch eben Finger unter- scheiden. Auf diesem Auge trug er während des Versuches einen, jeden Llchtschimmer ausschliessenden Watteverband. Bei Ketten- 746 Eduard Hitzig: schluss fiel er ungemein stark nach der Anoden-Seite und hatte aus- serordentlich starke Bulbusbewegungen in der Horizontalen, manchmal schien der Bulbus nach hinten gezogen zu werden. Der Schwindel war sehr stark, doch vermochte der sehr beunruhigte Kranke eine be- stimmte Richtung der Scheinbewegung nicht anzugeben!). Er liess sich auch nur noch ein zweites Mal untersuchen, wobei nichts Wei- teres herauszubekommen war. Die andere Versuchsperson litt neben Tabes an Atrophie beider Sehnerven. Auf beiden Augen bestanden noch geringe Spuren quan- titativer Lichtempfindung, welche aber durch Plaeirung vor eine nicht beleuchtete Wand aufgehoben werden konnten. Beim Geradeausblicken geringe rechtsseitige Convergenz; bei grösseren willkürlichen Exeur- ‚sionen etwas Nystagmus Derselbe tritt auch spontan beim Stehen auf, verliert sich beim Niedersetzen. Rechte Pupille sehr eng, linke von mittlerer Weite. Beide auf den Lichtreiz ohne Reaction. Bei der elektrischen Reizung fiel er sehr stark nach der Anoden-Seite, während die in der Horizontalen vor sich gehenden Bulbusbewegun- gen so stark waren, dass der Cornealrand des rechten Auges (Anode rechts oder links) über die Karunkel hinausgezogen wurde, links war diese Excursion weniger gross?). Dabei hatte der Mensch sehr aus- gesprochen die Empfindung, als wenn erin einem Garoussel gefahren würde, welches sich von rechts nach links dreht, vorausgesetzt dass die Anode rechts applicirt war. Der Versuch konnte unter mehrmaliger Abänderung der Bedin- gungen in der Zeit vom 28. November 1869 — 13. Januar 1870 10 mal wiederholt werden, und die einzelnen Angaben waren derart con- stant und sicher, dass ich glaube Mehreres von denselben mittheilen zu sollen. Zunächst war es möglich durch Veränderung der Einströ- mungsstellen Einzelnheiten der Scheinbewegung zu modificiren. Wenn man nämlich die zweite Elektrode statt in die Fossa mastoidea in die Fossa supraclavicularis brachte, hatte er die Empfindung des Bergab- resp. Bergaufbewegtwerdens. Beim Galvanisiren durch zwei symme- trische 1” nach hinten, der. Process. mastt. gelegene Stellen glaubte er aber wie ein aufrechtes Rad rotirt zu werden, während doch die Bul- busbewegungen ihren Charakter nicht änderten. Endlich gelang es beim Galvanisiren durch die Schläfen Bulbusbewegungen ohne gleich- zeitige Scheinbewegung zu erzielen. Beide Versuchspersonen hatten also bei Ausfall jedes opti- schen Eindrucks doch Scheinbewegungen, die nun aber auf den eigenen Körper, statt auf die Gegenstände der Aussenwelt be- zogen werden. Im Besitze dieser Resultate schritt ich dazu, 1) „Es geht Alles mit mir herum“. 2) Er schielte bei jeder Bewegung also sehr stark. Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u, s. w. 747 normalsehende Personen bei geschlossenen Augen zu untersu- chen. Abgesehen von vielen Kranken und meiner eigenen Person wur- den diese Versuche an zahlreichen Aerzten, welche meine Vorlesungen besuchten, angestellt. Ich bin der Selbstbeobachtung dieser Herren manche Aufklärung und ihrer Gefälligkeit um so mehr vielen Dank schuldig, als ich nicht in der Lage war, an mir selbst viele derartige Versuche anstellen zu können. Schwindelempfindungen höheren Gra- des sind bei mir sehr schwer zu erzeugen, während rotatorische Au- genbewegungen leichter zu Stande kommen. Bei einer bedeutenden Stromintensität sehe ich die Gegenstände verschwommen und unsicher, auch dreht sich der Kopf nach der Anodenseite, ohne dass ich jedoch dabei diejenigen abnormen Empfindungen hätte, von denen bald die Rede sein. wird. Wenn ich zur Beobachtung der Schwindelempfin- dungen mich nicht selbst als Hauptversuchsobjeet wählen konnte, so hatte dies darin seinen Grund, dass das Elektrisirtwerden mit star- ken Strömen mir regelmässig, wenn auch vorübergehend, einen Krank- heitszustand, an dem ich früher mehrere Jahre gelitten habe, wieder hervorruft. Ich bekomme dann Einschlafen der Glieder, pelzige Em- pfindungen und bin zu geistiger Arbeit fast unfähig. Zur Beob- achtung der Augenbewegungen musste ich selbstverständlich von meiner eigenen Person fast gänzlich absehen. Die Untersuchung normalsehender Versuchspersonen ergab folgende constante Resultate. Sobald die Kette geschlossen wurde, fielen sie nach der Anodenseite, und zwar bezeich- neten die der Selbstbeobachtung Fähigen diese Bewegung mit Bestimmtheit als eine willkürliche, hervorge- rufen durch die Empfindung, als wenn der Kopf oder der Körper nach der Kathodenseite geneigt würden, und durch das Bedürfniss, gegen diese Be- wegung das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Während des Kettenschlusses schien ihnen aber die nach der Kathode gerichtete Bewegung des Körpers (in der Regel) um seine horizontale und mediane Axe fortzudauern. Liess man nun die bis dahin geschlossenen Augen öffnen, so wurde die Empfindung von Scheinbewegungen des eigenen Körpers unterdrückt und auf die Gesichtsobjecte in der früher beschriebenen Weise übertragen. Gleichzeitig konnte man dann Bulbusbewegungen, wie ich sie oben beschrieben habe, wahr- 748 Eduard Hitzig: nehmen, von diesen hatte aber Niemand eine subjective Em- pfindung. Ein Arzt (Dr. Heusner) zeigte Abweichendes. Im Moment des Kettenschlusses (Anode links) sank er mit dem Kopfe nach links, dann wieder nach rechts, dann nach links zurück, und so dauerte eine pendelnde Bewegung etwa 1 Minute lang an. Dann fing sie an, trichterförmig zu werden und zwar derart, dass der Kopf an der vor- deren Peripherie des 'Trichters von rechts nach links bewegt wurde. Beim Oeffnen der Augen hörte diese Bewegung sofort auf, gleich- zeitig war eine Empfindung von Schwindel ohne deutliche Schein- bewegung der Gesichtsobjecte vorhanden. Augenbewegungen bestanden nicht. Bei Schluss der Augen begann die trichter- föormige Bewegung sofort wieder. Eine Wiederholung des Versuches ergab dasselbe Resultat. — Die Aehnlichkeit des hier vorhandenen Verhaltens der Körpermusculatur mit dem sonstigen der Augen- muskeln bedarf keiner Erwähnung. Ich habe diesen Reizeffeet nicht wieder produciren können. Brenner (a.a.O.) hat bei seiner Beschreibung des galvani- schen Schwindels das Wanken des Kopfes und Körpers nach der Anodenseite so gut wie ausschliesslich berücksichtigt. Er sagt dar- über S. 76: „Das Gefühl — — — besteht in der Empfindung, als sei die Schwere der einen Körperhälfte aufgehoben und als falle man in Folge dessen nach der anderen Seite.* Von. dem Vorkommen von Scheinbewegungen erwähnt er nichts, obwohl er die Benennungen „Schwindel“ und „Schwindel- gefühl“ häufig gebraucht. Bei der Exactheit, deren sick Bren- ner sonst in seinen Angaben bedient, scheint es deswegen so, als ob ihm die andere Hälfte der Erscheinungen von Schwin- del entgangen sei. Die in dem Citat beschriebene Empfindung stimmt hingegen mit den Angaben meiner Versuchspersonen überein, wenn auch in jenem Passus eine ausreichende Be- gründung des „Fallens nach der anderen Seite“ nicht enthalten ist. Ich werde noch näher ausführen, wie in dieser Beziehung die Auffassung der fraglichen galvanischen Zwangsbewegung als eine unbewusst willkürlichke — nicht aber als eine pas- sive — von grosser Wichtigkeit ist. Zunächst aber dürfte als Resultat dieser Versuche festzu- halten sein, dass auch bei Ausfall aller optischen Ein- drücke bestimmten Gesetzen folgende Schwindel- Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 749 empfindungen auftreten, nur dass dieselben, anstatt auf die Gegenstände der Aussenwelt, auf den eige- nen Körper bezogen werden. Es wird hierdurch bereits unwahrscheinlich, dass ein unbedingtes Abhängigkeitsver- hältniss zwischen den Schwindelempfindungen und den durch den Galvanismus hervorgebrachten abnormen Augenstellungen besteht. Man kann ein solches jedoch auch durch einen directen Beweis ausschliessen. Wenn nämlich eingewendet würde, dass auch beim Ca- rousselfahren zur Fixation eines ausserhalb liegenden Gegen- standes Augenbewegungen erforderlich sind, und dass die zwangsweise Production ähnlicher Augenbewegungen durch den Galvanismus uns bei Ausschluss optischer Eindrücke das Erinnerungsbild des in gleicher Weise Bewegtwerdens auf- nöthigen kann, so lässt sich, abgesehen von der ihm sonst innewohnenden Unwahrscheinlichkeit, dieser Einwand ent- kräften. Denn eine einfache Ueberlegung macht ersichtlich, dass dann die Scheinbewegung bei offenen und geschlossenen Augen jedesmal eine entgegengesetzte Richtung haben müsste. Ich hatte oben (S. 743) die nach der Anodenseite nach rechts gerichtete Bulbusbewegung als die vom Galvanisiren direct abhängige angesprochen. Die Scheinbewegung nach links sollte entstehen einmal durch die vermöge äusserer Gewalt erfolgende Verschiebung der Blicklinie nach rechts, dann in Folge von Augenmuskelimpulsen, welche diesen Effect auf- zuheben streben, also die Blicklinie nach links wenden. Wenn ich nun in einem Carroussel von rechts nach links fahre, so werden mir die Gegenstände nach rechts entrückt, ich muss also, um zu fixiren, den rechten äusseren und den linken in- neren Graden vorwiegend innerviren. Demnach würden die beim wirklichen Carrousselfahren vorhandenen willkürlichen Augenbewegungen gerade die entgegengesetzte Richtung haben, als diejenigen, welche wir beim scheinbaren Carrousselfahren als die willkürlichen betrachteten, insofern als die letzteren unter der vorausgesetzten Versuchsanordnung die Blicklinie nach links wenden. Wollte man aber annehmen, dass die nach der Anode ge- 750 Eduard Hitzig: richtete Bulbusbewegung die willkürliche und die andere die vom Galvanismus direct abhängige sei, so würde sich die Richtung der Scheinbewegung (bei offenen Augen) nach der Kathode weder durch die vermöge äusserer Gewalt hervor- gebrachte Verschiebung der Blicklinie, noch durch die com- pensirenden Muskelimpulse erklären lassen. Denn wenn die Blicklinie durch äussere Gewalt ohne Dazwischentreten von Willensimpulsen nach links verschoben wird, so kann dies wohl eine scheinbare Bewegung der ÖObjecte nach rechts, nicht aber nach links bedingen und ebenso würde die com- pensirende Muskelinnervation, insofern sie dann nach rechts gerichtet wäre, dem Vorbeiführen der Gegenstände nach der- selben Richtung entsprechen. Unter diesen Umständen kann man mit Bestimmtheit an- nehmen, dass die bei geschlossenen Augen eintretenden Schwin- delempfindungen mit den Augen nichts zu thun haben; wäh- rend die bei offenen Augen vorhandenen Scheinbewegungen der Gesichtsobjecte wohl sicher auf die galvanischen Zwangs- bewegungen des Bulbus zurückgeführt werden müssen. Mithin wäre die erste der drei aufgeworfenen Fragen dahin zu beant- worten, dass die Schwindelempfindungen in ihrem optischen Theile Folge der galvanischen Augen- bewegungen sind. — Was nun im Allgemeinen die Uebertragung der Schein- bewegung bald auf die Aussenwelt, bald auf den eigenen Körper betrifft, so ist es bekannt, dass Irrthümer bei der Be- stimmung, ob einKörper sich wirklich bewegt, überall da zu den häufigsten Vorkommnissen gehören, wo die Erfahrung uns nicht durch Bezugnahme auf genau bekannte Verhältnisse weiterhilf. Wenn wir z. B. auf einer Eisenbahnfahrt in einem Bahnhofe angelangt, den auf einem parallelen Geleise befind- lichen Train durch das Fenster betrachten, und einer der bei- den Züge geräth in langsame Bewegung, so täuschen wir uns ungemein häufig in der Bestimmung dessen, welcher sich wirk- lich bewegt. Fast regelmässig glauben wir dann selbst bewegt zu werden, wenn unser Nachbar seine Fahrt beginnt. Selbst die Reflection darüber, dass wir keine Stösse erhalten, hilft Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 751 über diese Täuschung nicht hinweg. Erst das bewusste Zu- sammenhalten unserer eigenen Stellung und der unseres Nach- bars mit derjenigen von uns als unverrückbar bekannten Kör- pern belehrt uns über die Wahrheit. In dieser Weise wirkt z. B. die Betrachtung von Telegraphenstangen durch die sich correspondirenden Fensteröffnungen. Es ist also für die richtige Deutung einer beschränkten Anzahl sinnlicher Eindrücke erforderlich, dass wir in den Stand gesetzt werden, dieselben in unser anderweitig gebil- detes System von Erfahrungen einzureihen. Ist dies aber nicht der Fall, so befinden wir uns für die Auffassung der gegebenen Zahl sinnlicher Eindrücke in absoluter Abhängig- keit von den Ideenassociationen, welche die eigenthümliche Gruppirung der im concreten Falle gegebenen sinnlichen Ein- drücke in uns wachruft und mit deren auch nur theilweiser Veränderung unsere Vorstellung von dem wirklichen Vorgange gänzlich umgeformt werden kann. Helmholtz, der in seiner physiologischen Optik diesen Gegenstand, in soweit er die Gesichtswahrnehmungen betrifft, an mehreren Orten mit der ihm eigenen Klarheit behandelt, äussert sich S. 632 über den Einfluss derartiger Ideenassociationen in folgender Weise: „Diese Art der Association der Vorstellungen geschieht nicht bewusst und nicht willkürlich, sondern wie durch eine blinde Naturgewalt, wenn auch nach den Gesetzen unseres eigenen Geistes und sie tritt deshalb in unseren Wahrnehmungen eben- sogut als eine äussere, uns zwingende Macht auf, wie die von aussen kommenden Eindrücke.“ Wenn wir diese Betrachtungen auf die den beiden Formen des galvanischen Versuches entsprechenden Schwindelempfindun- gen anwenden, so ergiebt sich, wie mir scheint, zwanglos eine ein- fache und befriedigende Erklärung der Einen und der Anderen, Vergessen wir jedoch nicht, dass bei den zwei vorliegenden Formen die Aufgabe, zu bestimmen, welcher von zwei Körpern sich wirklich bewegt, in dem einen Falle genau genommen eigentlich gar nicht gestellt werden kann. Bei der Scheinbewegung der Gesichts- objeete handelt es sich allerdings um wirkliche Bewegungen der Augen. Das ist aber bei der Scheinbewegung des eigenen Körpers insofern nicht der Fall, als die beim galvanischen Versuche ein- 752 ° Eduard Hitzig: tretende reale Bewegung nach der Anode nicht ein mit dem ersten Momente der Scheinbewegung gleichzeitiger Act, sondern erst eine Consequenz der ‘letzteren ist. Es wird also der sonst bei der zu lösenden Aufgabe wirklich vorhandenen Bewegung eine scheinbare Bewegung von vorn herein substituirt. Unsere Vorstellungen über das Verhalten des eigenen Kör- pers im Raume und zu den einzelnen anderen Objecten des Raumes werden durch die Function einer ganzen Reihe ver- schiedenartiger Organe gebildet, verändert und gefälscht. Wir beschäftigten uns schon mehrfach mit den Verhältnissen, welche den Sehapparat betreffen. Indessen ist es ersichtlich, dass die- sem die gedachte Function nicht allein zukommt. Ich will nicht von dem eigenthümlichen Zusammenhange der halb- eirkelförmigen Kanäle mit der Erhaltung des Gleichgewichtes sprechen, aber wir wissen, dass die durch Erregungen der sensibeln Hautnerven und durch die Zustände der gesammten willkürlichen Musculatur gebildeten Vorstellungen in einer ähnlichen Weise wie die Gesichtsbilder zur Formation der Gesammtvorstellung unseres räumlichen Seins verwerthet wer- den. Dabei macht sich jedoch ein bemerkenswerther Unter- schied zwischen diesen beiden Arten der Perception geltend. Die optischen Wahrnehmungen vermögen uns mit einem Schlage das Gesammtbild des Verhaltens einer grossen Zahl von Gegen- ständen zu einander und zu uns selbst zu entrollen, während das Gemeingefühl uns im Wesentlichen nur die Zustände des eigenen Körpers abspiegelt und daran nur wenige Eindrücke der sich im unmittelbarsten Contacte befindenden anderen Körper anreiht, Aus diesem Grunde haben wir uns gewöhnt, den vom Auge herrührenden Sinneserregungen bei unserer Örientirung einen bestimmenden Einfluss zu lassen, und folgerecht werden, wenn Störungen des gesammten Orientirungsapparates vorkom- men, dieselben mit Vorliebe auf Gesichtseindrücke, d. h. auf die Gegenstände der Aussenwelt bezogen werden, wenn auch die Störung in deren Bereich für den concreten Fall vielleicht nur eine untergeordnete Rolle spielt. So lässt sich das Fehlen der deutlichen Perception von Scheinbewegung des eige- nen Körpers bei offenen Augen erklären, Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 753 Fallen die optischen Eindrücke indessen gänzlich fort, wie bei geschlossenen Augen und bei Blinden, so ist das Sensorium plötzlich auf die übrigen zur Orientirung dienenden Mechanis- men allein angewiesen, und nun wird die Summe der von ihnen herrührenden Erregungen dieselbe zwingende Macht über die Bildung unserer räumlichen Vorstellungen erhalten, wie sie vordem den Augen mit ihrem lichtempfindenden und muscu- lösem Apparate zukam. Da diese Erregungen aber sämmtlich Folgezustände des Verhaltens unseres eigenen Körpers sind, so wird eine Fälschung in der Perception dieser Zustände nothwendiger Weise wieder auch nur auf den eigenen Körper übertragen werden können, d. h. als eine Bewegung des eige- nen Körpers gedeutet werden müssen. — Nachdem wir so unsere Auffassung des grösseren Theiles der vorhandenen Schwindelempfindungen im Allgemeinen dar- gelegt haben, schreiten wir zu speziellerer Beleuchtung der objeetiv wahrnehmbaren Bewegungen. Wir sahen, dass bei der Kettenschliessung Kopf und Körper nach der Anode schwankt. Der Selbstbeobachtung fähige Personen haben dabei aber auf das Bestimmteste die Empfindung, als wenn sie in jedem Augenblicke nach der Kathode versänken oder gedreht würden, als wenn sie auf jener Seite leichter würden. Eine derartige Empfindung kann im gegebenen Falle nur dadurch entstehen, dass ein fremder Factor in den Apparat eingeführt wird, welcher dem Sensorium Nachrichten von dem Zustande der Gesammtmusculatur zuführt, mit einem Worte, dass das Muskelgefühl gefälscht wird. Man kann sich den hier ablaufenden Empfindungs- und Bewegungsvorgang sehr wohl dadurch klar machen, dass man sich der Vorgänge erinnert, welche stattfinden, wenn man sich auf einen Stuhl setzt, dessen zwei rechte Beine auf festem Rasen und dessen zwei linke Beine auf losem Sande stehen. Im Moment des Niedersetzens versinken die linken Beine in den Sand und der Körper macht eine unwillkürliche — besser un- bewusst willkürliche — Bewegung nach rechts, um das Gleich- gewicht aufrecht zu halten. Diese Bewegung wird dadurch ausgelöst, dass die sämmt- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 48 754 : Eduard Hitzig: lichen 'zur Fixation des Körpers dienenden Muskeln der linken Körperhälfte in dem Momente, wo der Stuhl versinkt und das ' Gesäss also nicht unterstützt ist, in Unthätigkeit gesetzt wer- den und die Empfindung ihrer momentan aufgehobenen Arbeits- leistung dem das Gleichgewicht aufrecht erhaltenden Central- organe übermittelt wird. Bei dem galvanischen Versuche ist nun dieselbe Empfin- dung des Versinkens des Stuhles nach der Kathode, mit an- deren Worten der geringeren Arbeitsleistung der entsprechen- den Muskeln vorhanden, während den Letzteren gleichwohl die mechanischen Bedingungen zur ungestörten Weiterleistung der bisherigen Arbeit nicht entzogen sind und dieselben allerdings anch noch in dem Momente der eintretenden Sinnestäuschung die normale Arbeit leisten. Nach den angeführten Versuchen und den daran geknüpften Erwägungen muss nothwendiger- weise angenommen werden, dass die in Rede stehende Kette von Empfindung und Bewegung durch eine eigenthümliche, je nach der einwirkenden Elektrode verschiedene Beeinflussung der cerebralen Vorgänge hervorgebracht wird. Halten wir zunächst nur den wahrnehmbaren Effect dieser indirecten Beeinflussung der Körpermusculatur noch einmal mit dem zusammen, was wir an den Augen wahrnehmen, so kom- men wir wieder auf den oben schon angedeuteten Umstand zurück, dass nicht nur die Musculatur des Körpers, sondern auch die der Augen unter dem Einflusse des Galvanismus der- art veränderte Impulse erhält, dass die Medianebenen Beider nach der Anode geneigt werden, während eine angemessene Verstärkung des Reizes der entgegengesetzten Bewegung, was die Augen angeht, zur Herrschaft verhilft. Danach scheint mir die Annahme sehr nahe zu liegen, dass die eine der bei- den Augenbewegungen auf einer ähnlichen Beein- flussung eines centralen Organes für die gemeinsame Augenmuskelinnervation beruht, wie ich diessoeben für die übrige willkürlicheMusculatur nachzuweisen mich bemühte, Das würde also eine Abschwächung der Wahrnehmung von der Arbeitsleistung aller derjenigen Muskeln er Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. 3. w. 755 bedeuten, welche die Augen in der einen von beiden Richtun- gen bewegen. Es ist nicht zu verkennen, dass diesen Deutungsversuchen sich eine Menge von Schwierigkeiten entgegenstellen, welche zur Vorsicht im Ausdrucke mahnen. Eine dieser Schwierig- keiten liegt darin, dass bei starken Strömen der ganze Mensch nach rechts, die Augen aber nach links gezogen werden. Man kann dies in folgender Weise erklären. Die- jenigen Muskeln, welche das Auge nach links drehen, haben einen gemeinschaftlichen Innervationsheerd, und cor- respondiren rücksichtlich dessen Lage der linksseitigen Kör- permusculatur. Die physiologische Berechtigung zu dieser An- nahme ist nach den Untersuchungen von Adamück'), de- nen ich Aehnliches beweisende eigene Erfahrungen anreihen kann, vollkommen vorhanden. Nach Adamück dreht der rechte vordere Vierhügel beide Augen nach links, und der linke beide Augen nach rechts. Selbstverständlich ist damit die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass die gleiche Verknü- pfung der coordinirten Function noch in mehr central gelege- nen Hirnbezirken stattfindet?). Jedenfalls geht aber daraus hervor, dass eine Centralstelle für die Drehung des (Hering- schen) Doppelauges nach links auf derselben Seite zu su- chen ist, wie die Innervationsstätte der übrigen linksseitigen Museulatur, nämlich rechts, und dass folglich diese beiden Cen- tra unter die Einwirkung derselben Elektrode fallen. Hieraus entstehen zwei Fragen: 1) wie es denn zugeht, dass durch die gleiche Art der Einwirkung die Körpermuscu- latur veranlasst wird, den Körper nach rechts, und die Augen- musculatur die Augen nach links zu drehen; denn die aus dem Donders-Listing’schen Gesetze abgeleitete Erklärung reicht selbstverständlich keineswegs für das Ueberwiegen der nach links gerichteten Bewegung aus; — 2) woher die an- 1) Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften, 1870, 5. 2) Ich habe anderweitige Veranlassung, anzunehmen, dass die vorderen Vierhügel für die Augenbewegungen nur etwa die gleiche Dignität beanspruchen können, wie das Rückenmark für andere will- kürliche Bewegungen. 48” 756 Eduard Hitzig: dere Augenbewegung rührt, welche die Bulbi nach der Anode, nach rechts dreht? Die Beantwortung der ersten Frage lässt sich aus der Ver- schiedenartigkeit der Aufgabe ableiten, welche den beiden zu vergleichenden Muskelsystemen obliegt. Die Körpermusculatur hat den Körper im Gleichgewichte zu erhalten. Bei einem wirklichen oder scheinbaren Verluste des Gleichgewichtes wer- den deshalb von dem das Gleichgewicht regulirenden Central- organe solche Motoren mit einem Reizzuwachse versehen, welche die Störung auszugleichen geeignet sind. Diese müssen aber keineswegs der Körperhälfte angebören, nach der die Störung event. die zu geringe Arbeitsleistung durch die Empfindung projieirt wird, und sie gehören ihr auch im vorliegenden Falle nicht an. Denn weil wir nach links zu fallen glauben, werfen wir uns durch stärkere Innervation der rechten Seite nach rechts. Bei den Augen liegt die Sache ganz anders. Wenn hier dem Centralorgane für die richtige Vertheilung der Impulse durch die Anode künstlich der Eindruck beigebracht wird, dass eine Muskelgruppe eine ungebührlich geringe Arbeit leistet, so erwächst ihm dadurch nicht die Aufgabe, etwa das Fallen des Auges nach der Seite dieser Muskelgruppe, sondern vielmehr die Drehung nach der der Antagonisten zu verhindern. Das gedachte Centralorgan wird also den anscheinend trägen Mus- keln stärkere Impulse als die erforderlichen zuwenden, und da- durch das Auge nach ihrer Seite, nach der Kathode, nach links drehen. Bis hierher wäre die Erklärung ziemlich einfach. Die Beantwortung der andern Frage, welcher Ursache die nach der Anode gerichtete Bulbusbewegung zuzuschreiben ist, verlangt bei Weitem grössere Concessionen an die Hypothese. Durch die Einwirkung der andern Elektrode auf das symmetri- sche Organ der anderen Seite lässt sich nichts Weiteres als das bisher Gefundene erklären; denn man würde in dieser Be- ziehung nur zu dem Schlusse berechtigt sein, dass diese Elek- trode dem Gleichgewichtsorgan eine vergrösserte Arbeitsleistung der antagonistischen ( rechtsseitigen ) Augenmusculatur vor- täuscht und dadurch einen schwächer zugemessenen Impuls aus- en Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 757 löst. Dies würde aber wiederum nur einer Augenbewegung nach links entsprechen. Es bleibt nichts übrig, als dass man entsprechend der dop- pelten Art der Augenbewegung, welche in zwei Zeiten fällt, auch einen zweizeitigen Vorgang im Gehirne annimmt, welcher sich abwechselnd in zwei Organen von verschiedener Function abspielt, oder vielmehr in einem Systeme, wo eine Verknüpfung beider Organe stattfindet. Die Function der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts ist als eine Art continuirlichen Reflexvorganges aufzufassen, bei dem gewisse durch das Verhältniss der Leistung der Körper- musculatur bedingte Reize zu einem Centralorgane geleitet wer- den, und in diesem als Reflex die zur äquilibrirten Haltung des Körpers zweckmässige Vertheilung der motorischen Innerva- tion auslösen. Dass dieses Centralorgan mit dem der psychi- schen Fähigkeiten nicht identisch ist, beweisen die schönen Versuche von Flourens und Goltz. Wenn Flourens Thie- ren das Gehirn mit Ausnahme des Cerebellum nahm, hielten sie, selbst bei durch Reize ausgelösten Ortsbewegungen, das Gleichgewicht aufrecht. Nahm er ihnen indessen dieses Or- gan, so war die Harmonie der Bewegungen dahin. (Nach den Versuchen von Goltz scheint das Cerebellum sich in diese Function mindestens beim Frosch mit den Lobis optieis zu theilen.) Es geht daraus hervor, dass die Dazwischenkunft psychischer Thätigkeit zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts wenigstens bei diesen Thieren nicht erforderlich ist. Andererseits ist es aber klar, dass die psychischen Thätig- keiten — der Wille — mit grosser Macht in die Verrichtun- gen des Gleichgewichtsorgans einzugreifen vermögen. Eine Ballettänzerin gelangt durch Uebung dahin, ihren Körper in Stellungen zu bringen und zu erhalten, bei denen der Schwer- punkt so wenig als möglich unterstützt ist, und die von der Natur gewiss nicht vorgesehen wurden. Selbst der abgerichtete Pudel erlangt in diesen Kunststücken eine nicht zu unter- schätzende Fertigkeit. Wenn nun auch bei denjenigen Stellungen und Haltungen, welche dem ungekünstelten Hergang der Dinge eigen sind, der 758 Eduard Hitzig: Eingriff des Willensorgans in das Ressort des Gleichgewichts- organs weniger in die Augen springt, so wird doch wohl Nie- mand annehmen wollen, dass diese beiden Maschinerien in dem unversehrten Organismus unabhängig die eine von der anderen, neben einander arbeiteten, etwa wie das Kleinhirn in dem sei- nes Grosshirns beraubten Thiere. Man wird vielmehr bei al- len Bewegungsvorgängen, auch bei solchen, die scheinbar ohne den Willen zu Stande kommen — und die ich deshalb in dieser Abhandlung schon mehrmals unbewusst willkürliche!) nannte — eine Concurrenz des Willensorgans anzunehmen haben. Wenn nun das eigentliche Seelenorgan, unter dem ich das Organ der höheren psychischen Functionen verstehe, einen Ein- fluss auf das Gleichgewichtsorgan ausüben soll, so muss noth- wendigerweise ein materieller Zusammenhang zwischen Beiden durch irgend welche Leitungsbahnen existiren, und es muss dann auch die Möglichkeit vorliegen, an dem Orte, wo diese Leitungsbahnen sich mit dem Gleichgewichtsorgane verbinden, Beide gemeinschaftlich zu beeinflussen. Ja, es ist sogar im höchsten Grade wahrscheinlich, dass, wenn es gelänge, das Seelenorgan in einer ähnlichen Weise direct zu beeinflussen, wie wir es nach dem Inhalte dieser Abhandlung mit dem Gleichgewichtsorgane unzweifelhaft vermögen, dass man diese Beeinflussung an der Function des Gleichgewichtsorgans würde nachweisen können. Ich lasse dies dahingestellt sein. Nehmen wir nun an, dass die dem Gleichgewichtsorgane von dem Seelenorgane zuströmenden Erregungen beiderseits eine gleiche Reizgrösse haben, so wird der Reizeffect selbst- verständlich verändert werden, wenn ich an einer Stelle der Leitungsbahn die Erregbarkeit dieser selbst einseitig verändere. Wenn demnach das Doppelauge durch ein linksseitiges, unter der Herrschaft des Gleichgewichtsorganes stehendes Central- organ nach rechts gedreht wird, und ich vermag durch einen fremden Factor die Erregbarkeit der hier von dem Willensor- gane aus einmündenden Bahnen zu erhöhen (resp. die Erregbarkeit 1) Dieser Ausdruck ist nach der Analogie des von (Kant) Helm- holtz eingeführten — unbewusster Schluss — gebildet. Bi. ; Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u, s. w. 759 der antagonistischen Bahnen einseitig oder gleichzeitig zu er- niedrigen), so ist es klar, dass die Function des nach rechts Drehens mit dem Momente der Einführung dieses Factors an- wachsen wird. Kann man also den Beweis führen, dass die angewendete Elektrisationsmethode ihren anderweitig bekannten Eigenschaften nach im Stande ist, die vorausgesetzten Frreg- barkeitsveränderungen hervorzubringen, so lässt sich die Mög- lichkeit nicht in Abrede stellen, dass die Drehung nach rechts auf dem angenommenen Wege erfolgt. Etwas direct dagegen Sprechendes wird mir nicht ersichtlich; ebensowenig ist aber ein directer Beweis geliefert, dass dem wirklich so sei. Die Methode besitzt wenigstens, wie oben (S. 737 f.) gezeigt worden ist, die von ihr verlangten Eigenschaften in der That. Gleich- wohl muss dieser Erklärungsversuch vorläufig als reiner Noth- behelf betrachtet werden. Wenn nachgewiesen würde, dass die eigenthümliche Wirkung der Pole die Hirnsubstanz nicht un- mittelbar, sondern vielmehr durch Vermittelung anderer Fac- toren angreift, so müsste dieser Erklärungsversuch bereits modifieirt werden. Fassen wir das an den einzelnen Stellen dieser Abhand- lung über den galvanischen Nystagmus Gesagte zusammen, so würde sich folgende Erklärung ergeben. Im Momente des Kettenschlusses wird der Einfluss des Willensorga- nes auf das Organ, welches die gleichmässige Ver- theilung der Augenmuskelimpulse regelt, linkssei- tig künstlich gesteigert, rechtsseitig herabgesetzt. In Folge dessen erfolgt eine Augendrehung in der Zugrichtung der rechtsseitigen Musculatur des Dop- pelauges. Unterdessen ist aber in dem Gleichge- wichtsorgane selbst der Eindruck verminderter Ar- beitsleistung der linksseitigen Augenmusculatur derart angewachsen, dass er verstärkte Impulse in den betreffenden Nervenbahnen auslöst, d. h. also das Auge wieder nach links dreht. — Die Grösse die- ses Eindruckes kann durch das Zusammenwirken verschiedener Factoren bedingt werden: nämlich 1. direet durch den Galvanismus; 2. durch in der That 760 Eduard Hitzig: geringere Arbeitsleistung, die mit Verschiebung des Auges in entgegengesetzter Richtung in die Er- scheinung tritt; 3. durch unbestimmte, abnorme Mus- kelempfindungen, die durch abweichend vom Don- ders-Listing’schen Gesetz erfolgende Raddrehungen ausgelöst werden. Man kann annehmen, dass der die Augen nach links dre- hende Bewegungsimpuls dem Willensorgane Seitens des Gleich- gewichtsorganes abgefordert wird. In diesem Falle würde der- selbe wesentlich zur Bildung der Scheinbewegung der Gesichts- objecte beitragen. Man wird aber durch die bisherigen Unter- suchungen nicht verhindert, anzunehmen, dass der fragliche Bewegungsimpuls durch das Gleichgewichtsorgan selbst ver- mittelst einer ihm innewohnenden Regulationskraft hervorge- bracht wird. In diesem Falle würde die Scheinbewegung der Gesichtsobjecte vielleicht lediglich auf die ohne Dazwischentreten von Willensimpulsen erfolgende Verschiebung der Gesichtslinie zu beziehen sein. Wahrscheinlicher ist die erste Annahme, da man bei dem sich an der Körpermusculatur abspielenden ana- logen Vorgange die Empfindung der willkürlichen Bewegung hat. Dass man diese Empfindung an der Augenmuseulatur nicht hat, erklärt sich insofern aus dem normalen Verhalten, als die Muskelempfindung bei nicht ermüdeten Muskeln eine Function der bewegten Last und der erfolgten Verkürzung ist und Beide bei nicht excessiven Augenbewegungen nur geringe Werthe be- sitzen. Für dieses Verhalten ist es sehr charakteristisch, dass ein Streit zwischen namhaften Gelehrten darüber möglich ist, ob bei gewissen optischen Erscheinungen Bulbusbewegungen vorhanden sind oder nicht. Es hat nach unsern Anschauungen nun nichts Befremden- des mehr, dass die galvanischen Augenbewegungen in einem thythmischen Typus auftreten. Die Function der Gleichgewichts- regulirung steht ihrer physiologischen Dignität nach etwa in der Mitte zwischen Reflex und automatischen Bewegungen. Bei den Letzteren ist rhythmischer Typus die Regel und selbst der eontinuirliche Typus wird von der Mehrzahl der Physiolo- gen als eine Art aus dem Rhythmus hervorgegangener Tetanus Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 761 aufgefasst. Es ist klar, dass ein sich in jedem Augenblicke reprodueirender Reflexvorgang ebenfalls je nach der Schnellig- keit in der Aufeinanderfolge der einzelnen Reize und der Grösse der zu überwindenden Widerstände alle Modalitäten des Rhythmus bis zu einer continuirlichen Bewegung veranschaulichen kann. Wenn man sich nun vorstellt, dass eine bestiminte intermediäre Augenstellung durch die Einwirkung einer bestimmten Zahl von Sinneseindrücken auf einem dem Reflexe ähnlichen Wege ausge- löst wird, so ist damit schon ausgesprochen, dass jede Verminde- rungindem Maass jener Sinneseindrücke, oder der in den betretenen Bahnen vorhandenen Widerstände eine Aenderung des durch die gegebene Augenstellung repräsentirten Bewegungstypus setzen kann. L, Herrmann gebraucht!) (nach Rosenthal) ein sehr gutes Bild um den Rhythmus automatischer Bewegungen zu er- klären: „Die dadurch (continuirliches Freiwerden von Kräften) bewirkte Erregung der Nervenfaser braucht indess deshalb nicht continuirlich zu sein; denkt man sich nämlich, dass die frei- werdenden Kräfte einen gewissen Widerstand zu überwinden haben, ehe sie auslösend auf die Nervenfaser wirken können, so ist die Folge, dass sie sich jedesmal vorher bis zu einer ge- wissen Spannung aufspeichern müssen, ähnlich wie ein conti- nuirlich durch eine Röhre unter Wasser geleitetes Gas in die- sem nicht continuirlich, sondern intermittirend in Blasen von einer gewissen Grösse aufsteigt, indem es sich in der Röhre jedesmal bis zu einem Drucke ansammelt, welcher hinreicht, _ den Widerstand der Cohäsion des Wassers zu überwinden.“ Ich habe in dem Capitel IV auf das Evidenteste nachge- wiesen, dass im gegebenen Falle der Galvanismus in der That eine Rolle spielt, welche der des Gases in dem angeführten Bilde ungemein ähnlich ist. Auch der Galvanismus wirkt in der Art einer vor sich gehenden Summirung von Reizen, — zeitlich zusammenfallend mit Drehung nach der einen Seite — die von Zeit zu Zeit von einer Entladung — Drehung nach der anderen Seite unterbrochen wird. Je stärker der Reiz, um so schneller ist die erforderliche Summe erreicht, um so schnel- ler erfolgen die einzelnen Entladungen. So erklärt sich die 1) Grundriss der Physiologie. 2. Aufl. Berlin 1867. 762 Eduard Hitzig: zunehmende Geschwindigkeit des Rhythmus bei Vergrösserung der galvanischen Kette. — Wir hatten oben S. 750 die erste der drei aufgeworfenen Fragen dahin beantwortet, „dass dieSchwindelempfindun- gen in ihrem optischen Theile Folge der galvani- schen Augenbewegungen sind.“ Nach den 8. 753f. gege- benen Auseinandersetzungen können wir diese Antwort jetzt dahin vervollständigen, dass die andere Hälfte der Schwin- delempfindungen, insofern sie den eigenen Körper betreffen, von einer directen Beeinflussung des Gleichgewichtsorganes abhängt. Die zweite Frage lautete: Sind die unwillkürlichen Augenbewegungen eine Folge der Schwindelempfin- dungen? Wenn man die Schwindelempfindung als einen durch gestörtes Muskelgefühl erzeugten psychischen Vorgang definirt, so kann man die nach der Kathode gerichtete Bulbusbewegung in Folge der S. 756 gegebenen Auseinandersetzungen als eine innerhalb dieses Vorganges ausgelöste Bewegung betrachten, ohne dass damit behauptet wäre, dass die Auslösung erst am centralsten Ende der Kette, nämlich da, wo die räumliche und die Bewegungsvorstellung gebildet wird, einträte. Vielmehr soll nicht ausgeschlossen werden, dass dieselbe nur einer Zwi- schenstation bedarf. Demnach kann man die nach der Kathode gerichtete Bulbusbewegung als durch ge- störtes Muskelgefühl — Schwindel — auf indirec- tem Wege hervorgebracht auffassen. Es muss dem Leser überlassen werden, sich aus dem Texte der Abhandlung selbst ein Urtheil zu bilden, in wie weit die gestellten Fragen jetzt schon einer weiteren, namentlich einer positiv gehaltenen, Beantwortung fähig sind. In jedem Falle dürfte es einleuchten, dass die von uns gegebenen Erklärungen der einzelnen Reizeffecte in ähnlicher Weise ineinandergreifen, wie die normalen Lebensäusserungen des optischen Apparates und des Apparates der willkürlichen Bewegung. So wenig wir unsere Ansschauungen also auch der Ueberzeugung des Lesers aufdrängen möchten, so sehr scheinen sie uns doch durch ein solches Verhalten gestützt zu werden. — Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 763 VI. Schluss. Es bleibt uns noch übrig, einige Punkte zu besprechen, welche in dem Rahmen der übrigen Oapitel den an und für sich schon verwickelten Gegenstand noch weniger übersichtlich gemacht hätten. l. Ueber die Art der Einwirkung des Galvanismus. Alle Versuche — physiologische wie therapeutische — welche am unversehrten Organismus ausgeführt werden, am mei- sten aber die neuroelektrischen und mit ihnen auch die vor- liegenden, sind als nicht rein und nicht mit der wünschenswer- then Durchsichtigkeit ausgestattet, zu betrachten. Die Schutz- losigkeit gegen die direete und indirecte Einwirkung der Reize auf mehrere Organe statt auf nur Eins, verlangt immer einige Reserve in der Beurtheilung erzielter Reizeffecte. Nicht min- der verkehrt als die Vernachlässigung dieser Reserve würde aber ein Verfahren sein, welches auf den alleinigen Grund der Möglichkeit von Fehlerquellen dieselben ohne ausreichende anderweitige Begründung zu Erklärungen benutzen wollte. Meinerseits will ich versuchen, den von mir eingenommenen Standpunkt, soweit es im Augenblicke möglich ist, zu klären. Ich zweifle nicht, dass einige Autoren behaupten werden, die geschilderten Reizeffecte kämen auf dem Wege des Re- flexes zu Stande. In dieser Beziehung ist schon so Ungeheuer- liches geleistet, dass ich auch meine Versuche einer gleichartigen Erklärung für zugänglich halten muss. Da ich mir indessen nicht vorstellen kann, wie das etwa gemacht werden könnte, will ich einen solchen Deutungsversuch erwarten. In einem früheren Abschnitte hatte ich nachgewiesen, dass die galvanischen Augenbewegungen nur durch Vermittelung cere- braler Centren hervorgebracht sein können, rücksichtlich der anderweitigen Symptome von Schwindel — bedarf es eines sol- chen Nachweises nicht. Es könnte aber ein Zweifel bestehen, ob der Reiz auf das Centralorgan direct oder indirect, namentlich durch Vermittelung des den Einströmungsstellen sehr nahe lie- genden Halssympathicus wirkt. Dieser dunkle Nerv erfreut 764 Eduard Hitzig: sich bekanntlich einer so beträchtlichen Sympathie Seitens vie- ler Elektrotherapeuten und einzeiner Neuropathologen, dass ihm ein Haupt- oder Nebenamt von diesen bei der Pathogenese, von jenen bei der Therapie höchst verschiedener Krankheiten zugewiesen zu werden pflegt. Wenn also der Sympathicus auch nichts mit den Blutgefässen und der Pupille zu thun hätte, so würde ich gleichwohl sein Eindringen auch in diese Frage abzuwehren haben. Aus den Versuchen über die Symptome des Drehschwin- dels, welche ich noch zu referiren gedenke, wird hervorgehen, dass elektrische Reizung des Sympathicus keinenfalls eine noth- wendige Bedingung unserer Reizeffecte bildet. Ausserdem wird seine Betheiligung auch a priori um deswillen unwahrschein- lich, weil man dieselben wie oben erwähnt, ebenfalls vom Hin- terhaupt und Nacken, ja sogar vom Vorderkopf aus hervorbrin- gen kann. Indessen könnte man einwenden, dass von jenen Stellen her Stromschleifen zu den sympathischen Nerven ge- langten, welche hinreichend stark wären, um Gefässverengerung der einen und Gefässerweiterung der anderen Hirnhälfte aus- zulösen; denn so würde man sich doch etwa die Wirkung der Sympathicus-Reizung vorzustellen haben. Jedoch kann davon wohl nicht füglich die Rede sein, wenn man berücksichtigt, dass Verschiebung der Elektroden in der Richtung der Grenzstränge selbst eben keinen Reizeffect zur Folge hat. Die Grösse des Reizeffectes nimmt sogar mit der Entfernung vom Gehirn, selbst wenn beide Elektroden über den Grenzsträngen stehen, ungemein schnell ab. Da also die Entfernung von bestimmten Theilen des Gehirns wesentlich, die Entfernung von den Grenzsträngen aber unwesentlich ist, so liegt kein Grund vor, den Sympathicus zu Erklärungen heranzuziehen. Das Verhalten der Pupille erheischt noch einige Bemer- kungen. Eulenburg und Schmidt') haben Versuche über den Einfluss ähnlicher Galvanisationsmethoden auf die Pupille angestellt. Wenn sie die Pole einer Batterie von 20—40 Ele- 1) Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften 1868. Nr. 21 und 22. Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 765 menten an die den ersten Halsganglien entsprechenden Stellen applieirten, weniger deutlich, wenn sich ein Pol auf dem Manu- brium sterni befand, konnten sie minimale Pupillenveränderun- gen durch die Referate subjecetiver Wahrnehmungen der Ver- suchspersonen (Pupilloskop von Houdin) constatiren. Es ist bedauerlich, dass sie denjenigen Personen, welchen 20 Elemente solche subjeetiven Erscheinungen bereiteten, nicht die bei An- deren angewendeten 40 Elemente applicirt haben. Vielleicht wäre es dann vorwiegend zu objectiv wahrnehmbaren Dingen gekommen. Aber gesetzt den Fall, diese Pupillenveränderun- gen wären zweifelsohne constatirt, so ist mir nicht ersichtlich, woher auch nur das geringste Recht stammen soll, dieselben ohne Weiteres auf den Sympathicus zu beziehen, wie die ge- nannten Forscher belieben. Ich schweige von dem Einfluss des bei 20-40 Elementen doch nennenswerthen Schmerzes, ich schweige von dem mit Sicherheit anzunehmenden Vordringen starker Stromschleifen zu den Vierhügeln, ich schweige aber nicht von dem bei diesen Galvanisationsmethoden constanten Vorkommen subjectiver Lichtempfindungen, welches einerseits wohl zur Erklärung verschiedener Pupillenphänomene ausreichen, andererseits mindestens Herrn Eulenburg als Elektrothera- peuten bekannt sein dürfte. Ich überlasse eine weitergehende Kritik dieser Arbeit gern Solchen, die sie zu wiederholen ge- neigt sind, kann aber doch meine Verwunderung nicht verber- gen, dass die Herren Autoren, wenn sie wirklich öfter den Strom von 40 Ell. durch die oberste Halsgegend leiteten, zwar constant subjective Pupillenphänomene, aber niemals objectiv wahrnehmbare galvanische Augenbewegungen beobachtet haben. Bei den von mir. angewendeten Reizmethoden habe ich Pupillenphänomene nicht selten beobachtet. Unter etwa 300 Reizversuchen finde ich 47 mal, also in etwa 16 pÜt. zweifellose Anomalien verzeichnet; Zweifelhaftes wurde viel öfter beobach- tet, übrigens nicht immer notirt. Von diesen 47 Beobachtungen betrafen nur 18 Personen mit gesunden Sehapparaten, die übri- gen 29 beziehen sich auf Augenkranke, obwohl bei Weitem mehr von der ersteren, als der letzteren Gruppe untersucht 766 Eduard Hitzig: wurden. Die Pupillen der Blinden zeigten jedoch niemals“ irgend welche Veränderungen. Es gelang mir nicht, irgend ein Gesetz für die Pupillen- reaction aufzufinden, und ich glaube auch nicht, dass dies über- haupt möglich sein wird, denn es gelang mir wenigstens, mich von der ungleichen Wirkung der gleichen Reizmomente zu über- zeugen. Die häufigste Anomalie war abnorme Beweglichkeit beider oder seltener einer Pupille; dabei erweitern und veren- gern die Pupillen sich abwechselnd, manchmal in einem Rhyth- mus gleich dem der Bulbusbewegungen. In mehreren Fällen waren die Pupillen nur erweitert, bei anderen bestanden Diffe- renzen zwischen der Weite beider, z. B. bei mir selbst. (20 Elemente, 20° Galvanoskopausschlag, Kathoden-Pupille er- weitert) In einem Falle zeigte die Iris der Kathoden-Seite eine Ausstülpung ihres freien Randes an der inneren unteren Peripherie (Dr. Bonvetsch). Ein an der Iris "Gesunder hatte eine von oben nach unten, ein anderer eine herzförmig verzo- gene Pupille. Bei heilender Mydriasis paralytica waren solche, manchmal sehr wunderlichen Verziehungen eigentlich die Regel. Ich habe dabei wahrhaft amöboide Bewegungen des freien Randes der Iris, Verlegung des Sehloches nach der Peripherie der Iris hin u. s. w. beobachtet. Wie mir scheint, kann man diese Reizeffecte nicht wohl dem Sympathicus zuschreiben, man müsste diesem Nerven denn jedwede specifische Energie absprechen. Viel wahr- scheinlicher ist es, dass der Reiz an einer Stelle angreift, wo Sympathicus- und Oculomotorius-Bahnen nahe bei einander liegen oder zu einem Systeme vereinigt sind, und dass die am peripheren Ende bald dieser, bald jener Bahn wahrnehmbaren Schwankungen in der Grösse des Reizeffectes auf Innenver- hältnisse des gereizten Organes zurückzuführen sind, die sich wegen dessen Complieirtheit unserer Beurtheilung entziehen. Das Verhalten der Pupille bei heilender Mydriasis paralytica ist wesentlich geeignet, diese Annahme zu unterstützen. Die Widerstände in der Bahn des Oculomotorius sind offenbar noch zu gross, um der normalen Innervation die Ueberwindung des Dilatator zu gestatten. Mit dem galvanischen Reizzuwachse Zuitei a 5 A A a dt a er a tn Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 767 kommt dieselbe aber in mehr oder weniger vollkommener Weise zu Stande. Sind indessen beide Bahnen und das Cen- trum gesund, so ist bei Reizung des Letzteren ein Vorwiegen der einen oder der anderen Innervation von vornherein weniger leicht zu erwarten. Wenn ich mich nun auch auf das Entschiedenste gegen das Heranziehen des Nerv. sympathieus zur Erklärung unserer Reizeffecte aussprechen muss, so bin ich doch weit davon ent- fernt, in Abrede stellen zu wollen, dass mancherlei für eine Vermittelung durch die vasamotorischen Nerven des Gehirnes spricht. Ich halte es also, wie ich schon an mehreren Stellen der Abhandlung andeutete, für möglich, dass eine elektrotoni- sirende Wirkung auf die Nervensubstanz des Gehirnes selbst überhaupt nicht oder nur in untergeordnetem Maasse stattfindet, und dass direct nur die das Gefässkaliber beherrschenden Nerven beeinflusst werden. In diesem Falle hätte man an eine anelektrotonische Erweiterung und eine katelektrotonische Verengerung der fraglichen Gefässgebiete zu denken. Auf Vermuthungen, welcher Hirntheil etwa die Summe unser Reizeffecte auslösen könnte, gedenke ich mich um so weniger einzulassen, als ich dieser Frage auf anderem Wege bereits nähergetreten bin. Vor der Hand genüge die fast zur Gewissheit erhobene Wahrscheinlichkeit, dass wir es in der That mit dem Gehirne direct zu thun haben. — Dass nicht nur Läsionen der Vierhügel, sondern auch solche des Pons, der Kleinhirnschenkel und des Kleinhirns selbst zu pathologischen Störungen ähnlicher Art führen, kann als bekannt vorausgesetzt werden. — Die Thatsache scheint mir nun ausserdem unzweifelhaft fest- gestellt, dass wir durch Einführung eines modificir- baren fremden Factors in die Oekonomie des Ge- hirns nach Gefallen vermögen, gewissen Bezirken unserer Vorstellungen eine verblasstere oder leb- haftere Färbung mitzutheilen. Soweit mindestens reicht das rein Thatsächliche, von jeder Deutung Unabhängige, und hierin liegt vielleicht die über Spezialinteressen hinausreichende Tragweite dieser Untersuchungen. 768 Eduard Hitzig: 2. Ueber den therapeutischen Werth der Methode bezüglich der Augenmuskellähmungen kann ich, was seine Grösse angeht, mir ein maassgebendes Urtheil wegen Mangel an geeignetem Materiale nicht zuschreiben. Nirgends mehr als hier kann einzig die Statistik entscheiden, und diese muss sich, um irgend etwas zu bedeuten, auf grosse Zahlen stützen, über die ich noch nicht verfüge. Am wenigsten möchte ich dieser Methode eine grössere Wirkung zuschreiben, als der von Benedikt, welche in Streichen mit der Kathode in der Gegend _ des gelähmten Muskels besteht. Andererseits kann ich mit Bestimmtheit aussagen, dass man auf diese Weise Augenmuskel- lähmungen bessern und heilen kann. Man nimmt dies, und zwar sofort in sehr evidenter Weise sowohl an der Abnahme des absoluten Bewegungsdefects, als an der Veränderung in der Stellung der Doppelbilder wahr. Bei anderen Fällen sieht man wieder gar keinen Erfolg. Freilich besserten sich diese auch bei der Anwendung der Benedikt’schen Methode um nichts; auch M. Meyer’s Methode (starke faradische Ströme auf die Haut) leistete dann nicht das Mindeste. Nach Szokalsky soll man die Muskeln vom Bindesack aus mit faradischen Strömen direct zu reizen suchen. Ich habe mich zu diesem Verfahren nicht entschliessen mögen. Indessen glaube ich nach der Analogie anderer Lähmungen nicht, dass sich dadurch mehr erreichen lassen würde. Es muss als Ausnahme betrachtet werden, wenn in der Elektro- therapie von zwei an und für sich zweckmässigen Methoden die eine dann etwas leistet, wenn die andere gänzlich resultat- los geblieben ist. Von um so grösserem Werthe ist es für die- jenigen Fälle, bei denen nach anfänglicher Besserung Stillstand eintritt, verschiedene Methoden zur Disposition zu haben. 3. Ueber das Verhältniss des Drehschwindels zu den galvanischen Keizeffecten. Die Erscheinungen des Drehschwindels sind von Purkinje mit der ihm eigenen Detaillirung studirt worden und ich ver- weise deshalb wegen alles Spezielleren auf die angeführte Ab- handlung. Es genüge hier, daran zu erinnern, dass nach einer 2 Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. 769 gewissen Zahl von Rotationen Scheinbewegungen der Gesichts- objecte und abnorme Muskelempfindungen in gesetzmässiger Weise auftreten. Sonderbarerweise hat Purkinje versäumt, die ihm sicherlich bekannte Richtung dieser Scheinbewegungen anzugeben. Helmholtz hingegen!) sagt über den Dreh- schwindel Folgendes: „Ich finde, dass nach einer Drehung mit geschlossenen Augen diese Art der Scheinbewegung nicht ein- tritt, sobald man die Augen erst öffnet, wenn man wirklich bis zum festen Stehen gekommen ist. Thut man es früher, so tritt eine Scheinbewegung der Gegenstände, entgegen- gesetzt der bisherigen Drehung des Körpers, ein; aber man überzeugt sich auch leicht, dass der Körper auf den Füssen noch etwa eine Viertelkreisdrehung ausführt, ehe er wirklich zur Ruhe kommt, zu einer Zeit, wo man ihn schon für ruhend hält. Dann ist also eine Täuschung über die Haltung des Körpers Ursache der Scheinbewegung der Ob- jeete.“ - Während die angeführten Facta als von Helmholtz her- rührend selbstverstärdlich unbestreitbar sind, bin ich nicht in der Lage, der Ansicht des berühmten Forschers über ihre Ur- sache beizutreten. Wenn man nämlich den Versuch derart variırt, dass man das rotirende Individuum im Moment des Stillstehens unverrückbar festhält, so kommt es doch zu einer Scheinbewegung der Gesichtsobjecte, die nun nicht auf der fraglichen Täuschung beruhen kann. Unter diesen Umständen nahm Helmholtz die Scheinbewegung bei den betreffenden Versuchen wahrscheinlich um deswillen nicht wahr, weil er zwischen dem Rotiren und dem Oeffnen der Augen zu lange Zeit verstreichen liess. Betrachtet man aber die Augen der Versuchs- person, so findet man einen Nystagmus, der eben so gesetzmässig wie der galvanische vor sich geht, und der es folglich erlaubt, die Erscheinungen des Drehschwindels gewissen Formen der galvanischen Reizung parallel zu setzen. Die nach dem Drehen von links nach rechts bei der gewöhn- lichen Kopfhaltung auftretenden Reizeffecte entsprechen genau den bei der oben immer vorausgesetzten Reizmethode (Anode rechte — Kathode linke Fossa mastoidea) vorhandenen, d. h. die kurze, ruckweise vor sich gehende Augenbewegung und die Scheinbewegung der Gesichtsobjecte sind nach links gerichtet. Beide entsprechen übrigens weit häufiger der Bewegung eines liegenden Rades, und ausserdem geht die nach rechts gerich- tete Bulbusbewegung mit bemerkenswerther Langsamkeit, manchmal aber mit einer ungemeinen Ausgiebigkeit vor sich. Nach diesen neuen Thatsachen glaube ich denn sogar im Sinne von Helmholtz zu handeln, wenn ich die Schein- 1) A. a. O©. S. 603. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. 49 770 Eduard Hitzig: bewegung auf die unbewussten Augenbewegungen nach dem obigen Schema beziehe. Es würde sich schliesslich fragen, wodurch bei dem Roti- ren diese Augenbewegungen und die leicht zu constatirenden Störungen der anderweitigen Muskelsensibilität zu erklären sind. Purkinje verglich das Gehirn mit einem rotirenden Topfe Wasser, in welchem die Theilchen nach der Richtung der Tangente zur Peripherie der Drehbewegung zn entweichen suchen. Dadurch müssten bei den Verhältnissen des Gehirns Zerrungen der einen und Drückungen der anderen Hirnhälfte veranlasst werden. Dieser Vergleich erscheint mir vollkommen zutreffend, und auch gegen die Deutung habe ich für mein Theil nichts einzuwenden. Es würde dann der axiale Theil des Gehirns der Anode, und der periphere der Kathode ent- sprechen. Ich habe wohl kaum nöthig, hinzuzufügen, dass hiermit das sub 3 gestellte Thema nicht im Entferntesten in seinen Details erledigt ist. Es ist vielmehr die Rücksicht auf den Raum, die mich abbrechen heisst. In demjenigen Theile der vorliegenden Abhandlung, wel- cher die Deutung der, wie ich denke, reichlich vorgebrachten Thatsachen in sich schliesst, habe ich mir alle Mühe gegeben, der Darstellung den ihr ziemenden hypothetischen Charakter zu wahren. Manche Leser würden freilich eine mehr positive Darstellung vorziehen. Damit sind wir bisher auf diesem Ge- biete aber doch nicht viel weiter gekommen. Wenn die Ge- hirnphysiologie auch mehr wie jeder andere Zweig der Wissen- schaft das Bedürfniss der Hypothese hat und immer haben wird, so liegt die erste Bedingung für ihre Weiterentwicklung doch in der Bereitwilligkeit, jederzeit auf dieses schon bei der Ge- burt den Stempel der Vergänglichkeit an sich tragende Binde- mittel zu verzichten. So wird denn der grössere Theil der Le- ser und meine Nacharbeiter zumal es mir Dank wissen, dass ich diesen Stempel nicht mit einem Schleier verhüllte, dass sich die Behauptungen nur auf Erwiesenes stützen, und dass die Meinungen von den Gängen dieses Labyrinthes nur als solche vorgetragen werden. Berlin, den 6. Februar 1872. *E 7 Tabelle I. Die galvanische Schwindelempfindung tritt ein | tritt ein nach selten oder nie | leicht Nach Bei der Bei der Remak |Schliessung und| Oefinung. während der Dauer. Nach |Bei Schliessung Bei Schliessung Bene- und bei Oeffnung undbeiOeffnung dikt [mit„dem Kupfer-|mit „dem Zink- pol“. pol“. Bei querer Durchleitung besonders durch die Processus mastoidei. Nach |Nie, wenn die di-] Bei querer Brenner |recte Strombahn, Durchleitung der Medianebenelbesonders durch parallel liegt, — | Hinterhaupt, beiGalvanisirung einer Schädel- hälfte, — bei Galvanisi- rung beider Schä- delhälften mit getheilter Anode, — bei K.S. und bei An.O,, — bei Inductions- strömen. Nach vacat. Pur- kinje Process. mast. und Nacken. Bei An. S. und Wendung. | Wenn die Elek- troden sich in den Ohren be- finden. Bei Schliessung und bei Oeffnung. 3 hat der Seite oder in der Art Folgen In der Art von) Keine Wanken u. nach) nachthei- derSeitederent-| ligen. fernten Elektrode. vacat. Deletäre. In der Art von | Glaubt, Wanken u.nach| dass sie der Seite der zur Anode bei $., Ohnmacht der Kathode führen bei O. könne. In der Art einer) vaecat. Scheinbewe- gung und zwar | während S.u.D. vonderSeite der An.nachd. Seite der Kath., beiO. in entgegen- gesetzter Rich- | tung. Tabelle II. *) 173 S. und D. | 0. Einströmungs- in- Wirkliche in- | Wirklich Stelle. Schein- | Boch Schein- Bevesung bewegung. des Körpers.| bewegung. des Körpers. | | Anode rechte — | Von rechts |Nach rechts.| Von links | Nach links. Kathode linke nach links. nach rechts. Fossa mastoidea. a\ 7 Anode rechte Fossa| Von rechts |Nach rechts.| Von links | Nach links, es — Ra- ! nach links. nach rechts. thoderechteFossa supraclavieularis. N as Anode rechte Fossa| Von links | Nach links. |! Von rechts |Nach rechts. - Kathode rechte ERFRE | GE 5 iG v na ae Ti u a ee a a LT D ZuS ran Sn % ER N BET NT { supraclavicularis. | nach rechts. nach links. Fossa mastoidea. BR es Tabelle III.*) Anode rechts — Anode links — Kathode links. Kathode rechts. 2a —Hi rechtesAuge. linkes Auge. rechtesAuge. linkes Auge. Lähmung des rechten a a —& Oculomotorius. BE © nn pen, een | an Lähmung des j g 2—> »— <— rechten Abducens. ai | *) Alle Pfeile sind auf das Gesicht der Versuchsperson gezeichnet zu denken. Untersuchungen zur Physiologie_des Gehirns 7171 Weitere Untersuchungen zur Physiologie des Gehirns von E. Hırzıc. Die in der vorstehenden Abhandlung enthaltenen That- sachen hatten mich zu weiteren Untersuchungen über die Phy- siologie des Gehirns angeregt. Eine daraus hervorgegangene Arbeit erschien in diesem Archiv 1870, H. 3.') Inzwischen habe ich meine Untersuchungen fortgesetzt und publieire hier in der . Kürze eine Anzahl von Ergebnissen (welche sich auf die Be- obachtungen von 68 Vivisectionen stützen), insofern als sie sich im engsten Zusammenhange mit dem Inhalte des vorstehenden Aufsatzes befinden. 1) Wenn man einem Kaninchen galvanische Ströme durch die mit feuchtem Papier mäche gefüllten Ohren leitet, so stürzt es bei S. nach der Seite der Anode und die Augen werden unter heftigem Nystagmus nach der Seite der Kathode ge- dreht. Bei OÖ. treten die umgekehrten Bewegungserscheinun- gen ein. 2) Wenn man einem Kaninchen die Flocke exstirpirt und ihm in die leere Flockenkapsel ein Fragment Eis bringt oder vorsichtig kaltes Wasser hineinspritzt, so wird das Thier schwindlich, die Augen sind einen Moment starr, beginnen dann ungemein heftig zu vibriren, dann stürzt das Thier nach der unverletzten Seite und die Augen werden gleichzeitig nach der verletzten Seite gerollt. Die Abkühlung wirkt also wie die Kathode. War hingegen der Reiz zu schwach, so tritt entweder nur Nystagmus mit gleichzeitigen rhythmischen Be- wegungen desKopfes ein, oder dasKaninchen fällt, nachdem einige Sekunden vergangen sind, nach der verletzten Seite. Es wird danach wahrscheinlich, dass die angeführten =. nngen durch Vermittelung der Blutgefässe ausgelöst werden. 1) G. Fritsch und E. Hitzig über die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 49" 772 E.Hitzig: Untersuchungen zur Physiologie des Gehirns. Beim Zerschneiden des Flockenstiels kommt es stets zu Be- wegungen der Augen. Bei Druck auf die Flocke und bei Reizung derselben mit der Anode tritt in sehr seltenen Fällen Drehung des Auges der verletz- ten Seite nach unten, des anderen Auges nach oben ein. Nachlass des Druckes und O. führen dann zu einer Bewegung in entgegen- gesetzter Richtung und von grösserer Intensität. Die Kathode ver- hält sich dann umgekehrt wie die Anode. - Exstirpatiou der Flocke beeinträchtigt die Muskelbewegungen in der Regel nicht. Manchmal lässt sich das Thier nachher mit dem Hinterleib auf die Seite legen. Aus allem diesen wird wahrscheinlich, dass auch die zuletzt an- geführten Reizeffecte durch Theile ausgelöst werden, welche der Flocke benachbart sind, aber nicht durch dieses Organ selbst. 3) Wenn man Kaninchen nach bestimmten Methoden Läsionen des Kleinhirns beibringt, so lassen sie den Hinter- leib auf die Seite legen, ohne ihn bei Ausschluss äusserer Reize wieder in die Normalstellung zurückzubringen. Sind diese Läsionen tiefgreifender, so wirft sich das Versuchsthier gewaltsam auf die verletzte Seite. Wenn es dabei so zu liegen kommt, dass der Schwerpunkt nicht unterstützt ist, so fällt es auf die gesunde Seite, schleudert sich wieder nach der ver- letzten Seite zu und so kann es zu Rollbewegungen von grosser Intensität kommen. Das Kaninchen bleibt in diesem Zustande nie auf der gesunden Seite oder in der Mittellage liegen, wohl aber auf der verletzten Seite. — Aehnliche Rollbewegungen kann man auch bei der Reizung mit Elektrizität und Kälte leicht beobachten. Ich fasse danach diese sogenannten Zwangsbewegungen als willkürliche und als Analoga der willkürlichen Bewegungen auf, welche das auf die Seite gelegte gesunde Kaninchen zur Wiedererlangung seiner Normalhaltung ausführt und halte deren besonderen Charakter für dadurch bedingt, dass dem Versuchsthiere eine nach der entgegengesetzten Seite gerichtete Scheinbewegung in Folge halbseitig gestörten Muskelgefühles vorgetäuscht wird. Beobachtung der bei Beginn solcher Zwangs- bewegungen eintretenden Veränderung der Augenstellung, ferner das Bestreben der T'hiere. sich anzustemmen, lassen diese Be- wegungen in der That als Symptome des heftigsten Schwin- dels erkennen. Wenn man einem Kaninchen, welches im Be- griff ist, zu rollen, die Möglichkeit gewährt, sich mit Füssen und Hinterkopf anzustemmen, so rollt es nicht. — Druek von Gebr. Unger (Th. Grimm) in Berlin, Friedrichsstr. 24. Berichtigungen zu der Abhandlung von V. Paschutin über Versuche mit Fermenten, welche Stärke und Rohr- zucker in Traubenzucker verwandeln. S. 308 Z. 1 v. u. statt 1Oproc. lies 1proc. „ 312 „17 v. o. statt von 1Oproc. lies 1 proc. „813 „ 1 v. o. statt extrahiıt lies extrahirt werden können. „ 315 „13 v. u. statt das Kupferoxyd reducirende Stoff lies Zucker. »„ 315 „14 v. o. statt diese lies viele. SSR 0RelsL.y: 0, statt. 12 Gr. 116s20,01° Gr, „ 323, Tabelle, 2. Periode, Zeile 2 v. o. statt 3 Stunden lies 8 Stunden. „ 323, = R „ 22 v. o. statt Färbung lies Trübung. „ 326 Z, 23 v. o. statt Submaxillaris lies Submaxillaris des Hundes. „ 331 „ 20 v. o. statt blaue lies bläuliche. „343 „ 9 v.o. statt von (0—40° C.) lies (von 0° bis 40° C.) „347 „ 9v.o. statt abkühlen lies iu der Luft abkühlen. „8349 „ 3v. o. statt 70°C. lies 50° C. „ 851 „ 17 v. o. statt 80° C. lies 50° G. „ 354 „ 27 v. o. statt übersteigt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht 85° C. lies liegt wahrscheinlich bei circa 85° C. »„ 362 „ 23 v. o. statt (des Speichels, welche ...... ist) lies (des Speichels), welche ...... ist. „ 363 „ 12 v. o. statt 10 Minuten lies 20 Minuten. „ 368 „ 15 v. o. statt 30 mal lies 50 mal. „ 364 „ 5v. u. statt des Kleisters lies der Stärke. „ 366 „ 14 v. o. statt zerstörend lies bedeutend zerstörend. »„ 375 „ 12 v. o, statt Marksubstanz lies Korksubstanz. »„ 377 „ 4 v. u. statt Pyroilin lies Pyroxilin. „ 388 „ 10 v. o. statt um!) lies um). S. 763 2.6 v. o. lies den Ort statt die Art, Archiv f Anat: u Phys. 187. es Merkel et Peters det Warenschieber se re Irchiv f.Anat.u Phys. 1871. 0X 2% oo nitı. del. S = S S x x Et S .. ‚ID S [x = onitz del. hieber se agensc n u IV. TT7T7 ZEDERanEE | | 4 run! dt N IL. Ti S — —— & = > Ma IS us. Anat.u.l iv f: Irc 4 ı Een a: Be: [1 [| 3 [1 [| N = al | =H = EEHHHHHH Hi -Hyons.mwasuoreudsoy 4 °ynfg 99 ur ung | ur 995uawmssnpFsny m "Sp wur ur Boype.], op Ur Yonıpyzuf a9aıyısog AL pnsuoA nz aA.ın) N Ve S 1: 14 nn en ÄIrehtiv fAnat. Wu. Phyf: 1871 j = Taf v Sa Din ar tb 4 ib PU_gep2 L = 2 - =. un. 2 = 2 IV Grehmann.se K.Hartmann det. Ehre ‚Archro rAnat. uPhyf 1871 Tay v1 IN - an ana | UN | A. Hartmann det DT: E Er Bi E Fi 2 W-6rohmann.se Taf. VN. Inat: u.Phyf. 1871. Pr Archiv f. | W-Grohmann. se 70 Naar Re 2 RI Ye RE 20 25 ed 30 =: en un Burmeister del > er fr Anat. uPhyf 1871 | Tag Mr 2 | | | \ W Grohmann se Karnomiex del Chaue lith. (@ Place MB duodenum rchio f Anat.u. Phys IS. HHasımomw ad nat.del. Archiv f. Anat. u. Phi SH j Tr f X. Fiy./0. DEE TELLETTI TUT NT AR MER ARE BADER H Maseunomw ad nat. del: C Laune Eth. Archiv f Ana: u Pharf IM. Zaf H | Burmeister del , Denit: de, N IS N x \ ? 4 v f Anal: u hyf [EL | | | | | > Ber - ee N F En te —— lurtınann det r DW Grchmann Archiv f Anat uLPhuf I87/. | A Hartmann del u Fi 12 - W-rohmann sc | f \ 1 A, O0 Hidler del: 1871. "AnatuPhyj: in Tr, Sc Grohmann > HI Archiv fÄAnatı u Phyf IT. | | | | Wörehmann se ‚Irchiv fAnat. u Phyj: 1871. urmetster del Zn oo W erchmann.se. Wegen längerer Krankheit und des am 16. Mai er- foleten Todes unseres Kupferstechers Wagenschieber, der lange Jahre mit Fleiss und Sachkenntniss unsere Kupfer anfertigte, verzögerte sich die Ausgabe dieses Heftes. Tafel V u. VI werden mit dem zweiten Hefte ausgegeben werden. Nah lin BETRAHNS An N RER ea, ar ei - Viren KR Eat Ruh. ne a. eh I als IM R r % v NEE EEE LITERARISCHER ANZEIGER Reichert und du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. No. 1. Verlag der J, 6. Cotta’schen Buchhandlung in Stuttgart. DIE ANATOM IE in: NERVEN STUDIRENDE UND ÄRZTE von Professor Dr. Rüdinger. Mit 23 Tafeln enthaltend 40 Figuren. Es bildet dieses so eben erschienene Werk den zweiten Theil der Anatomie des peripherischen Nervensystems des mensch- lichen Körpers, welches mit der Anatomie der Gehirnnerven be- gonnen hat. Diese erste Abtheilung umfasste in 46 Figuren, welche auf 14 Tafeln vertheilt erscheinen, die Anatomie der Gehirnnerven, welche der Verfasser in einem kleineren, daher billigeren Formate den grossen photographischen Abbildungen seines grossen Atlasses des Nerven- systems entnommen hat. Die überaus günstige Aufnahme machte be- reits eine zweite Auflage derselben nöthig und hat die Voraussicht des Autors glänzend bestätigt. _ Die nun vorliegenden 23 Tafeln der zweiten Abtheilung stellen in 40 Figuren die Ursprünge und den Verlauf der gesammten Rücken- marksnerven und die den einzelnen Verbreitungsbezirken zugehörigen Abschnitte des Sympathicus, endlich die wissenswerthesten mikrosko- pischen Anschauungen bezüglich der Structur des Rückenmarkes dar, und sind nach den bekannten Albert’schen Photo graphien von den Künstlern Meermann und H. Bruch trefflich in Stahl gestochen. Es unterscheiden sich dieselben dadurch so vortheilhaft vor den gewöhnlich von den Studirenden und Aerzten benützten compilatorisch gehaltenen Bilderwerken, dass sie durchaus naturtreu und mit Beachtung der richtigen Topographie dem Leser ein klares, nicht überladenes, somit höchst belehrendes Bild gewähren, welches demselben das eigene Arbeiten und Betrachten von Präparaten sehr erleichtern wird. Preis der ersten Abtheilung (Gehirn-Nerven). Cartonnirt fl. 6. 24 kr. oder Rthlr. 3. 20 Ngr. Preis der zweiten Abtheilung (Rückenmarks- Nerven). Cartonnirt fl. 9 — kr. oder Rthlr. 5. 10 Ner. u Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. m: Bei August Hirschwald in Berlin erschien soeben: (durch alle Buchhandlungen zu beziehen.) Lehrbuch der functionellen Nervenkrankheiten auf physiologischer Basis bearbeitet von Dr. Alb. Eulenberg. 1871. gr. 8. Preis: 4 Thlr. 20 Sgr. Medieinisch - chemische UNTERSUCHUNGEN. Aus dem Laboratorium für angewandteChemie zu Tübingen herausgegeben von Prof. Dr. FELIX HOPPE-SEYLER. Viertes Heft. 1871. gr. 8 Mit Holzschnitten. Preis: 28 Ser. Gesammelte Beiträge zur Pathologie und Physiologie von Dr. L. Traube, Geh. Medieinal-Rath, Professor etc. in Berlin. In zwei Bänden complet. (I. Bd Experimentelle Untersuchungen. Mit 10 lithograph. Tafeln.) (II. Bd. Klinische Untersuchungen. In 2 Abtheilungen.) 1871. gr. 8. Preis: 10 Thlr. 20 Sgr. Verlag der H, Laupp’schen Buchhandlung (H. Siebeck) in Tübingen. — Soeben erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen — Die Anwendung des Spectral-Apparates zur Messung und Vergleichung der Stärke des farbigen Lichtes. Mit Tabellen und drei lithograph. Tafeln. Von Dr. Karl Vierordt, Professor der Plıysiologie und Vorstand des physiologischen Institutes an der Universität Tübingen. Gross 8. — 25 Negr. Verlag der MH, Laupp’schen Buchhandlung (H, Siebeck) in Tübingen. — Soeben erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen. — Der Kehlkopf des Menschen von Dr. Hubert von Luschka, Professor der Anatomie und Direetor der anatomischen Anstalt der Universität Tübingen, Imp.-Quart 25 Bog. mit 10theilweise in Farbendruck ausgeführten Tafeln Abbildungen aus dem Kunstinstitut von J. G. Bach. 8 Thlr. Mit diesem Werke beabsichtigt der Herr Verfasser eine alle Details umfassende Monographie des Organs der menschlichen Stimme zu bieten und sowohl der auf physiologische Bedürfnisse gerichteten Morphologie des Kehlkopfes, als auch ganz besonders der Laryngo-Pathologie und Therapie entgegen zu kommen. Die beigegebenen 10 von Künstlerhand trefflich, zum Theil in Farben- druck ausgeführten lithographirten Tafeln reihen diese Monographie ohne Zweifel würdig an des Verfassers letztpublizirte Arbeit „über den Schlundkopf des Menschen“ (Tübingen 1868) an, von der eine Kritik in „Schmidt’s Jahrbüchern“ (Bd. 143. Heft 1) sagt: dass dies neue Werk des berühmten Anatomen jedenfalls als die be- deutendste anatomische Monographie der Gegenwart zu bezeichnen sei — welche verdiene nicht nur von den Anatomen und Physiologen von Fach, sondern auch von allen streb- samen Aerzten und Wundärzten, namentlich den Speeia- listen genau studirt und fleissig consultirt zu werden. (Zu beziehen durch jede Buchhandlung.) Henle, Dr. 3., Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen, In drei Bänden. Roy.-8. Fein Velin- papier. geh. Erster Band: Erste Abtheilung: Knochen- lehre. Mit 288 in den Text ein- gedruckten Holzstichen. Preis 1 Thlr. 15 Sgr. Zweite Abtheilung: Bänderlehre. Mit 161 mehrfarbigen in den Text ein- gedruckten Holzstichen. Preis 1 Thlr. 10Sgr. Dritte Abtheilung: Muskellehre. Mit 159 mehrfarbigen in den Text ein- gedruckten Holzstichen. Preis 2 Thlr. 10 Sgr. Zweiter Band: Eingeweidelehre. Erste Lieferung: Haut, Verdauungs- und Respirations-Apparat. Mit 215 mehr- farbigen in den Text eingedruckten Holzstichen. Preis 2Thlr. 10 Sgr. Zweite Lieferung: Harn- u. Geschlechts- Apparat. Mit 198 in den Text ein- gedruckten Holzstichen. Preis 2 Thlr. 10 Sgr. Dritte Lieferung: Blutgefässdrüsen und Sinnes- Apparate. Mit 231 mehr- farbigen in den Text eingedruckten Holzstichen. Preis 2Thlr. 10 Sgr. Dritter Band, erste Abtheilung: Die Ge- fässlehre. Mit 180 mehrfarbigen in den Text eingedruckten Holzstichen. Preis 4 Thlr. Wolf, Dı. Oskar, Sprache und Ohr. Akustisch-physio- logische und pathologische Studien. Mit in den Text ein- gedruckten Holzstichen und einer farbigen Tafel. gr. 8. Fein Velinpapier. geh. Preis 2 Thlr. Im Verlage von Veit & Comp. in Leipzig erschien: LEHRBUCH PRACTISCHEN MEDICIN mit besonderer Rücksicht auf pathologische Anatomie und llistologie von Dr. ©. F. Kunze, pract. Arzt in Halle a/S. Erster und zweiter Band, erste Hälfte. Zweiundsechszig Bogen gr. Octav. Geh. Preis 5 Thlr. Die Schluss-Hälfte des zweiten Bandes mit Sachregister wird im Juni 1871 erscheinen und das vollständige Werk den angekündisten mässigen Preis von 6 Thlr. 20 Ngr. nieht überschreiten. Die Schmidt’schen Jahrbücher sagen in ihrer Besprechung des I. Bandes u. A.: „Indem Verf. sein Lehrbuch Virchow gewidmet, hat er zugleich in Bezug auf die Bearbeitung desselben die leitenden Grundsätze präcisirt, und so finden wir denn auch die pathologische Anatomie und die Histologie der Krankheiten in eingehendster und gründlichster Weise gewürdigt, und zwar gestützt nicht allein auf Daten und Angaben Anderer, sondern auch auf eigene anatomische und mikroskopische Untersuchungen. Ganz besonders heben wir auch die concise und praktische Weise hervor, mit welcher die Behandlung bei Vermeidung des Wustes verwirrender Heilmethoden kurz, bündig und belehrend gegeben wird; die Maasse und Gewichte sind durchweg nach dem neuen Decimal- systeme angeführt. Keine irgendwie wichtige und beachtenswerthe Krankheit, selbst in ihrer Erkennung der neusten Zeit angehörend, ist unberücksichtist geblieben. Der Verf. hat ein praktisches Buch für praktische Aerzte gegeben“. Gedruckt bei E. Polz in Leipzig. LITERARISCHER ANZEIGER Reichert und du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. No. 3. ® Astley Cooper Preis. Der nächste dreijährige Preis von £ 300 wird dem Autor des besten Aufsatzes oder der besten Abhandlung über ‚‚Ver- letzungen und Krankheiten des Rückgrates‘‘ zuerkannt werden. Bewerber belieben ihre Abhandlungen entweder in eng- lischer oder fremder Sprache begleitet mit einer englischen Uebersetzung, abzufassen und an die Aerzte und Chirurgen von Guy’s Hospital in London einzusenden. Jeder Aufsatz oder Abhandlung muss mit einem Motto ver- sehen und mit einem versiegelten Couvert, welches Name und Adresse des Verfassers enthält, begleitet sein. Nähere Auskunft über die weiter vorgeschriebenen Be- dingungen ist aus dem gedruckten Circulare, welches auf Ver- langen von dem Hospital zu erhalten ist, zu ersehen. Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn in Braunschweig. (Zu beziehen durch jede Buchhandlung.) Archiv für Anthropologie. Zeitschrift für Naturgeschichte und Urgeschichte des Menschen. Organ der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Herausgegeben von (. E. v. Baer in St. Petersburg, E. Desor in Neuenburg, A. Ecker in Freiburg, F. v. Hellwald in Wien, W. His in Basel, L. Linden- schmit in Mainz, 6. Lucae in Frankfurt a. M., L. Rütimeyer in Basel, H. Schaafhausen in Bonn, (. Semper in Würzburg, R. Virchow in Berlin, (Vogt in Genf u. H, Welcker in Halle. Redaction: A. Ecker, L. Lindenschmit und der Geveralsecretair der deutschen anthropologischen Gesellschaft. Mit in den Text eingedruckten Holzstichen und Tafeln. 4°. geh. Erschienen ist: Erster Band. Preis 6 Thlr. — Sgr. Zweiter Bad. - SS - W- Dritter Band. = ED 15 > Vierter Band, Sen Sue a ldur= Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn in Braunschweig. (Zu beziehen durch jede Buchhandlung.) Henle, Dr. .3., Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen. In drei Bänden. Roy.-8. Fein Velin- papier. geh. Dritter Band, zweite Abtheilung: Nervenlehre. ErsteLiefrg. Mit 224 in den Text eingedruckten Holzstichen. Preis 4 Thlr. 20 Sgr. (Die zweite Lieferung, der Schluss des ganzen Werkes, befindet sich unter der Presse.) Früher erschien von demselben Werke: Erster Band: Erste Abtheilung: Knochenlehre. Mit 288 in den Text eingedruckten Holzstichen. Dritte Auflage. Preis 1 Thlr. 15 Sgr. Zweite Abtheilung: Bänderlehre. Mit 161 mehrfarbigen in den Text eingedr. Holzstichen. Preis 1 Thlr. 10 Sgr. Dritte Abtheilung: Muskellehre. Mit 161 mehrfarbigen in den Text eingedruckten Holzstichen. Zweite Auflage. Preis 2 Thlr. 10 Sgr. Zweiter Band: Eingeweidelehre. Erste Lieferung: Haut, Verdauungs- und Respirations-Apparat. Mit 215 mehrfarbigen in den Text eingedr. Holzstichen. Preis 2 Thlr. 10 Sgr. Zweite Lieferung: Harn- und Geschlechts-Apparat. Mit 198 in den Text eingedr. Holzstichen. Preis 2 Thlr. 10 Sgr. Dritte Lieferung: Blutgefässdrüsen und Sinnes- Apparate. Mit 231 mehrfarbigen in den Text eingedr. Holzstichen. Preis 2 Thlr. 10 Sgr. Dritter Band, erste Abtheilung: Die Gefässlehre. Mit 180 mehrfarbigen in den Text eingedruckten Holzstichen. Preis 4 Thlr. Wasserfuhr, Dr. H., Vier Monate auf einem Sanitäts- zuge, Separatabdruck aus der „DeutschenVierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege.‘‘ Band III, Heft 2. Royal-8. geh. Preis 10 Sgr. Bei Friedrich Wreden in Braunschweig ist soeben erschienen und in allen Buchhandlungen zu haben: Die Lehre von den venerischen Krankheiten und ihrer Behandlung. Von Dr. ©, Kolh. - Taschenformat. Gebunden 1 Thlr. 18 Sgr. Bei August Hirschwald in Berlin erschien soeben: (durch alle Buchhandlungen zu beziehen). Practisches Handbuch der gerichtlichen Medicin von Johann Ludwig Casper. Neu bearbeitet und vermehrt von Dr. Carl Liman, Professor und Stadtphysikus in Berlin. Fünfte Auflage. Immer Biämtdiern. Bd. I. (Biologischer Theil). 1871. gr. 8. Preis: 5 Thlr. Bd. II. (Thanatologischer Theil). 1871. gr. 8. Preis: 6 Thlr. 10 Sgr. Lehrbuch der klinischen Untersuchungs-Methoden für die Brust- und Unterleibsorgane mit Einschluss der Laryngoscopie von Docent Dr. Paul Guttmann, 1872. gr. 8. Preis: 2: Thlr...15..Sgr. Die organische Chemie und die Heilmittellehre. Rede zur Stiftungsfeier des medicinisch - chirurgischen Friedrich - Wilhelms- Instituts am 2. August 1871 gehalten von Aug. Wilh. Hofmann. 18010 27:78. Preis: 8 Sor Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf 5 physiologische und pathologische Gewebelehre, dargestellt von Rudolf Virchow, Professor der pathologischen Anatomie etc. etc. zu Berlin. Vierte neu bearbeitete und stark vermehrte Auflage. 1871. gr. 8. Mit 158 Holzschnitten. 4 Thlr. 20 Sgr. Bei August Hirschwald in Berlin erschien soeben: (durch jede Buchhandlung zu beziehen). Archiv für klinische Chirurgie. Herausgegeben von Dr. B, von Langenbeck, Geheimer Ober-Medicinal-Rath und Professor, redigirt von Dr. Billroth, und Dr. Gurlt, Professor in Wien. Professor in Berlin. XII. Band. 1. Heft. Mit 8 Tafeln und Holzschnitten. gr. 8. Preis: 2 Thlr. 20 Sgr. . Dies Archiv, das einzige chirurgische Fachjournal in Deutschland, wird in Zukunft häufiger als bisher, in kleineren Heften erscheinen. Die Pathologie und Therapie der Leukzaemie. Klinisch bearbeitet von Prof. Dr. Friedr. Mosler. gr. 8. Preis: 2 Thlr. Im Verlage von Veit & Comp. in Leipzig erschien soeben: Galen’s Lehre vom gesunden und kranken Nervensysteme. Von Dr. Friedrich Falk, practischer Arzt und Privat-Docent zu Berlin. gr.8. 3 Bogen. Preis geh. 12 Sgr. Die Oberschenkelvene des Menschen analomischer und Kindler Beziehung. Von Dr. med. Wilh. Braune, Professor an der Universität Leipzig. Mit sechs Tafeln in Farbendruck. Imperial- Quart. 4'/, Bogen. Cartonnirt. Ereis,; 3 Thlr. 10 Ngr. Gedruckt bei E. Polz in Leipzig. A, Neue medieinische — naturwissenschaftliche Unternehmungen von Mauke’s Verlag (Hermann Dufft). Jena 1871. Preyer, W. Die Blutkrystalle Untersuchungen. Mit drei farbigen Tafeln. Preis 2 Thlr. 20 Sgr. Der Verfasser wünscht diesen Untersuchungen den Weg in die Werkstatt des Chemikers und Physikers zu ebnen und hat Vieles dem Physiologen bereits geläufige hier wiederholt, die Arbeiten anderer in ausgedehnter Weise berück- siehtigt und eine möglichst vollständige Darlegung der wichtigeren die Blut- krystalle betreffenden Thatsachen zu geben versucht. Diese Monographie kann als Repertorium dienen, in welchem das Wichtigste aufgezeichnet ist, was man über Blutkrystalle weiss, und ein Wegweiser sein bei Erforschung der merkwürdigen Eigenschaften des Blutroths. Inhalt: I. Entdeckung der Blutkrystalle. II. Das Vorkommen des rothen Blutfarbstoffs. III. Darstellung der Blutkrystalle im Grossen. IV. Darstellung der Blutkrystalle im Kleinen. Kıystallogenese. Zustand des Farbstofis in den circulirenden Blutkörperchen. V. Krystallformen des Blutroths. VI. Optisches Verhalten der Blutkrystalle. VII. Cohärenzverhältnisse der Blutkrystalle.. VIII. Die Zu- sammensetzung der Blutkrystalle.. Aquivalentgewicht. IX. Chemisches Ver- halten des Blutroths. Chemische Reaction. Einwirkung einiger Säuren. Einwirkung der Alkalien und alkalischer Salzlösungen. Einwirkung einiger Salze. Einwirkung reducirender Sub- stanzen. Einwirkung oxydirender Substanzen. Einwirkung einiger Alkohole. Einwirkung der Haloidmetalloide. Eiweissreactionen. X. Nachweis des Blutfarbstoffs. XI. Quantita- tive Bestimmung des Blutroths. XII. Verbindungen des Blutroths. Mit Sauerstoff. Mit Kohlenoxyd. Mit Stickoxyd. Mit Untersalpetersäure. Mit Nitriten. Mit Acetylen. Mit Cyan. Mit Cyanwasserstof. Mit Schwefel. Mit Alkalien. XIII. Zersetzungsproducte des Blut- roths. Albumine. Farbstoffe: Hämin. Hämatoin. Hämatoidin. Hämatochlorin. Hämatolutein. Methämoglobin. Hämatin. Hämathion. Säuren. XIV. Bemerkungen zur Physiologie des Blutroths. Erläuterung der Tafeln. Literatur. Namenregister. Sachregister. Zusätze und Be- richtigungen. Schmidt, Ed. Oscar, Handbuch der vergleichenden Anatomie. Leitfaden bei Zoologischen und Zootomischen Vorlesungen. Sechste völlig umgearbeitete Auflage. Preis 1. Thlr. 20 Sgr. Der Verfasser hat diese neue Auflage im Sinne des Darwinismus umge- arbeitet, woneben die bewährte Eigenthümlichkeit des Werkes, die der Knapp- heit, der sparsamen Auswahl des Mitzutheilenden aufrecht erhalten werden konnte. Schultze, Dr, B, 8, Der Scheintod Neugeborener. Send- schreiben an Herrn Dr. C. Ludwig, Professor der Physio- logie im Leipzig. Mit zwei lithographischen Tafeln. Preis 1 Thlr. 20 Sgr. Obige Arbeit zerfällt in einen historischen, physiologischen, pathologischen und therapeutischen Theil. Dem 60 Seiten umfassenden historischen Theile, Mauke’s Verlag (Hermann Dufft) Jena. welcher neben einer Skizze der Entwickeluns der Kenntniss vom Scheintod des Neugeborenen auch die Geschichte der Kenntniss von der Placentarathmung umfasst, folgt der physiologische, dessen Inhalt für das Verständniss der fol- genden von ganz besonderer Wichtigkeit ist. Auf dem physiologischen und pathologischen Theile endlich basirt der Inhalt des therapeutischen Absehnittes, in welchem der Verfasser neben den allgemeinen Indicationen für die Therapie des Scheintodes das von ihm befolgte eigenthümliche Behandlungsverfahren des Scheintodes ausführlich auseinandersetzt. — Von den beigegebenen Tafeln stellen die Abbildungen der ersten die Bluteireulation im reifen Foetus und die Aenderung, welche dieselbe in Folge der Lungenathmung nach erfolgter Ge- burt erfährt, graphisch dar, die der zweiten des Verfassers Methode der künst- lichen Respiration. Ä Pilz-Regulativ. Gesundheitsregeln für Jedermann, insbeson- dere für die Verpflegung der Verwundeten, für Lazarethe etc. Nach eigenen Erfahrungen mitgetheilt von Dr, E. Hallier. Preis 3 Sgr. Der Hauptzweck dieser Schrift ist die Mittheilung einiger Massregeln zum Schutz gegen die schädlichen Einflüsse der Pilze. Voran geht eine kurz ge- fasste Gestaltenlehre der Pilze, in welcher sich der Verfasser auf die am wesent- lichsten in Betracht kommenden Formen beschränkt, nämlich auf die Brand- pilze mit ihren Schimmel- und Hefebildungen. Zeitschrift für Parasitenkunde herausgegeben von Dr, E, Hallier, Dieselbe erscheint in Bänden zu 3 Heften zum Preis von 1 Thlr. pro Heft. Die Aufgabe dieser Zeitschrift ist aus der folgenden Eintheilung derselben ersichtlich I. Original- Abhandlungen. II. Kleinere Mittheilungen. III. Literatur- - Uebersicht. IV. Literarische Besprechungen. V. Anzeigen. In der Eiteratur - Uebersicht hofft der Herausgeber ein vollständiges Bild des gegenwärtigen Standes der gesammten Parasitenkunde zu geben und denkt nach und nach auch die frühere Literatur zu einem vollständigen Repertorium zusammenzustellen, damit jeder auf diesem Gebiete Arbeitende sich leicht orientiren kann. Der nahen Beziehung der Parasitenkunde zur Aetiologie wird selbstverständlich Rechnung getragen und Arbeiten über die Aetiologie von Infectionskrankheiten vorzugsweise gern berücksichtigt. Nicht minder fallen alle parasitischen Feinde des Waldes, des Gartens und Feldes, diejenigen der Hausthiere, der nützlichen und schädlichen Thiere überhaupt in das Gebiet dieser Zeitschrift und eine genaue Behandlung der Hefelehre wird diese Zeit- schrift manchen Techniker werth machen. Bis jetzt sind erschienen: Band I. Mit 6 Lithographischen Tafeln. Preis 3 Thlr. Inhalt: I, Original- Abhandlungen. Pfeiffer, L., Die Ruhrepidemie von 1868 in Weimar. Dränert, F. M., Bericht über die Krankheit Mauke’s Verlag (Hermann Dufft) Jena. 3 des Zuckerrohrs. Hallier, E., Die Muscardine des Kiefernspinners. Karsten, H., Ueber Exobasidium. Hallier, E., Ueber den Parasiten der Ruhr. Hassenstein, Alkohol-Behandlung des Aspergillus glaueus im äusseren Gehörgange. Lorent, E., Die originäre Entstehung des Milzbrandes bei'm Vieh. Hallier, Die Parasiten der Infeetionskrank- heiten. Bender, W., Blutuntersuchungen bei Milzbrand. Zorn, J., Ueber die Vorkehrungsmassregeln gegen die Gattine-Epidemie. Hagen, Ein neuer Ohrpilz. Hallier, Notiz zu vorstehender Arbeit. Preuss, Ueber die kleinsten mikroskopischen Pilzformen, insbesondere über den Faulbrutpilz.. Klotzsch, O., Untersuchungen über die Natur der Gäh- rungserscheinungen. Bender, Dr., Ueber das Gift der Maul- und Klauen- seuche. Hallier, E., Die Parasiten der Infeetionskrankheiten. Zorn, J., Ueber mehrfach quertheilige und schieftheilige Schizosporangien bei Puc- cinia graminis Pers. Zürn, F. A., Arbeiten der landwirthschaftlichen Versuchsstation Jena. Abtheilung für zoopathologische und zoophysio- logische Versuche. Hagen, Dr., Zwei weitere Fälle von Öhrpilzen. Hallier, E., Vorläufige Notiz zu vorstehender Arbeit. Ullersper- ger, Dr., Ueber Haematuria brasiliensis. II. Kurze Mittheilungen. Lindner, Ueber einen Typhusfall mit eigenthümlichen Gehirnsymptomen. Richter, H.. E., Ueber Organismen in den geschlossenen Follikeln der Cowper’schen Drüsen und der Tonsillen. Infusorien als Hauptparasiten bei Süsswasserfischen. Die Gattine der Seidenraupen in Pommern im Jahre 1868. Hallier, Untersuchung von Seidenraupeneiern. Zürn, Rundsehau in der neueren Literatur über Parasiten in und auf dem Kör- per unserer Haussäugethiere.e. Dränert, Weitere Mittheilungen über die Krankheit des Zuckerrohrs. Hallier, Gegenerklärung. Hallier, Die Cholera - Untersuchungen der Engländer in Ostindien. Hallier, Ueber eine Pilzepidemie der Nonne (Liparis monacha). Zürn, Rundschau. (Fortsetzung). III. Literaturübersicht. IV. Literarische Besprechungen. V. Anzeigen. Band. II. Mit 6 lithographischen Tafeln. Preis 3 Thlr. Inhalt: I Original- Abhandlungen. Hallier, E., Beweis, dass der Mierococeus der Infeetionskrankheiten keimfähig und von höheren Pilz- formen abhängig ist und Widerlegung der leichtsinnigen Angriffe des Herrn Collegen Bary zu Halle Hagen, R., Weitere Fälle von Pilz- krankheiten des Ohres. Ullersperger, Dr., Ueber Haematuria bra- siliensis (Fortsetzung). Weise, Dr. R., Beiträge zur Lehre vom Typhus abdominalis und vom Typhus exanthematieus. Nölting, Dr., Ueber eine Pilzbildung im Ohre. Hallier, E., Notiz zu vorstehender Arbeit. Hallier, E., Die Parasiten der Infectionskrankheiten. (Fortsetzung). Zorn, J., Zur Weichselzopf- Frage. Nekrolog. Hallier, E., Die Parasiten der Infectionskrankheiten. (Fortsetzung). Schreiben des Herrn Dr. Weisflog zu Altstetten an die medicinische Fakultät der Univer- sität Zürich. Zorn, J., und Hallier, E., Untersuchungen über die Pilze, welche die Faulbrut der Bienen erzeugen. Weisflog, Dr., Beiträge zur Kenntniss der Pilzeinwanderung auf die menschliche Haut. Hagen, Dr. R., Fernere Fälle von Pilzkrankheiten des Ohres. Al- brecht, Dr., Ueber Hundswuth bei Pferden. Hallier, E., Unter- suchungen über Hefebildung. Weisflog, Dr., Briefliche Mittheilungen. Hallier, E., Mittheilungen über die Ohrpilze, welche Herr Dr. R. Hagen in Leipzig zur mikroskopischen Untersuchung einsandte. Has- senstein, Medicinalrath Dr., Zur Diagnose und Behandlung der Diph- theritis. II. Kurze Mittheilungen. Hallier, E., Zur Geschichte des ersten Ausbruchs der Cholera in Hamburg. Ullersperger, Cysticereus in palma manus. Neue Parasiten - Affeetion der Zungen - Schleimhaut. Parasitologische Präparate. Pilzbildungen auf dem Trommelfell. Hallier, Zur Geschichte der Lehre von der Generatio aequivoca. Pilz bei Ble- Mauke’s Verlag (Hermann Dufft) Jena, pharitis. Brühlkens, P., Zur Aetiologie der Syphilis. Verhandlungen - über Parasiten auf dem Congress der Gärtner und Botaniker zu Hamburg. Eine frühere Arbeit über Parasitismus. Das Vorkommen von Chlamy- dosporen bei Pilzen. Vorkommen von Pilzelementen in der Manna. Ein neuer Rostpilz der Sonnenblume. Hugo v. Mohl, Biologische Eigen- thümlichkeit einiger Arten von Cuseuta. Ullersperger, J. B., Die Nigua Amerika’s. III. Literaturübersicht. IV. Literarische Bespre- chungen. V. Anzeigen. Band III. I. u. II. Heft. Mit 4 lithographischen Tafeln. Preis & Heft 1 Thlr. Inhalt: I. Heft. I. Original-Abhandlungen. Untersuchung von mensch- liehen Warzen. Von Prof. Dr. H.E. Richter in Dresden. Die Para- siten der Infeetionskrankheiten. Von E. Hallier. (Fortsetzung). Er- klärung der Abbildungen. Ueber pflanzliche Vorkommnisse im Blut und in den Exerementen bei der Rinderpest.e. Von E. Hallier. Ueber die Dauer der Keimfähigkeit des Micrococeus der Infectionskrankheiten. Von E. Hallier. I. Kurze Mittheilungen. Eine Krankheit des Weinstocks. — Originelle Verdrehung der Thatsachen. — Versuch über den Einfluss . der Cholera-Reiswasserstühle auf den Reis. Von E. Hallier. II. Li- terarische Besprechungen. U. Heft. I. Original-Abhandlungen. Ueber eine rationelle Behandlungs- weise der akuten Exantheme, speziell der Masern und des Scharlachs. Von Dr. Ottmar Hofmann. Beiträge zur Kenntniss der Pilzeinwan- derung auf den menschlichen Körper. Von Dr. Gustav Weisflog. Die Parasiten der Infecetionskrankheiten. Von E. Hallier. (Fortsetzung). Erklärung der Abbildungen. II. Kurze Mittheilungen. Nachricht über das Phytophysiologische Institut von E. Hallier. — Die Beurtheilung des Trinkwassers. III. Literaturübersicht. IV. Literarische Bespre- chungen. V. Anzeigen. Band III Heft 3 erscheint Ende dieses Jahres. - Foerster, Dr. Aug. Lehrbuch der pathologischen Anatomie. Achte vermehrte und verbesserte Auflage. Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von Dr, Fr, Siebert, Mit vier Kupfertafeln. Preis 2 Thlr. 20 Sgr. Das obige Lehrbuch des leider so früh verstorbenen Foerster ist, wie die Zahl der Auflagen beweist, dem ärztlichen wie studirenden Publikum ein gleich unentbehrliches Werk geworden. Der exacte Forscher hat sich bemüht, in kurzer, präciser Weise die sicheren Resultate pathologisch - anatomischer Forschungen systematisch geordnet zu geben und wenn auch in der Form der Darstellung eine gewisse Nüchternheit und Trockenheit manchmal auffallen mag, so möchte gerade diese in der Neuzeit angenehm berühren, da sie am deutlichsten den wissenschaftlichen Ernst und die Strenge kennzeichnet, die in Foerster jederzeit einen so zuverlässigen Forscher anerkennen liessen. Bei der Durchsicht dieser nöthig gewordenen neuen Auflage hat der Herausgeber Sorge getragen, dass in der wohlbewährten Form des Buches nichts geändert werde und hat nur, wie dies auch in den vorigen Auflagen geschah, die in den letzten Jahren sicher gewonnenen Resultate der Forschung eingeschaltet. Mauke’s Verlag (Hermann Dufft) Jena. a Wit, 4 e Aeltere medicinische Werke. Förster, Aug., Grundriss der Enceyclopädie und Methodologie der Mediein. 8. brosch. 224 Sgr. — — Die Missbildungen des Menschen. Mit Atlas. 2. vollständige Ausgabe. 2 Thlr. 24 Sgr. Häser, H., Lehrbuch der Geschichte der Mediein und der epidemischen Krank- heiten. 2. gänzlich umgearbeitete Auflage. 2 Bde. L.-8. brosch. 10 Thlr. Zweiter Band auch unter dem Titel: — — Geschichte der epidemischen Krankheiten. Lex.-8. brosch. 5 Thlr. Schmidt, E. 0., Hand- Atlas der vergleichenden Anatomie. Zum Gebrauch bei akademischen Vorlesungen und für Studirende Mit 12 Kupfertafeln. Breit-Fol. brosch. 4 Thlr. Schömann, Fr. X., Lehrbuch der allgemeinen und speciellen Arzneimittellehre, als Leitfaden zu akademischen Vorlesungen und zum Selbststudium. Dritte vermehrte und verbesserte Auflage auf dem Grunde der neuesten Preussi- schen Pharmacopöe. Lex.-8. brosch. 3 Thlr. 10 Sgr. — — Lehrbuch der allgemeinen und speciellen Receptirkunst für Aerzte. Als Leitfaden zu akademischen Vorlesungen und zum Selbststudium. Dritte ver- mehrte und verbesserte Auflage auf dem Grunde der neuesten Preussischen Pharmacopöe. Lex.-8. brosch. 1 Thlr. 10 Sgr. Seidel, M., Die Atrophia musculorum lipomatosa (sogenannte Muskelhyper- trophie),. Mit zwei lithographischen Tafeln. 1867. Preis 1 Thlr. Preisherabsetzung. Ackermann, J. F., Infantis androgyni historia et ichnographia. Acced. de sexu et generatione disquisitt. physiolog. et tabb. V. aeriincisae. 1805. Fol. Statt 3 Thlr. nur 1 Thlr. — — De combustionis lentae phenomenis, quae vitam organicam constit. 1805. 4. Statt 6 Sgr. nur 2 Sgr. Alderfon’s, I., Verfuch über die Natur und Entftehung des Anftedungs-Giftes bei SFiebern. W. d. Engl. überf. u. m. Anmerff. verjehen von W. 9. ©. Buchholz. 1790. 8 Statt 74 Sr. nur 24 Sur. Allmer, C. H. E., Disquisitio anatomica de pinguedine animali. Cum tabula aenea. 4. brosch. Statt 10 Sgr. nur 3 Sgr. Archiv für die sesammte Medicin, herausg. v.H. Häser. 10 Bde. 1840 — 1848. 8. geh, 26 Thlr. 20 Sgr. Einzelne Bände, soweit dieselben vorräthig. Statt 2 Thlr. 20 Sgr. nur I Thlr. Bretschneider, C. A. J. H., De Prosopalgia. 1841. 8. geh. Statt 10 Sgr. nur 3. Sgr. — — Versuch einer Begründung der Pathologie und Therapie der äusseren Neuralgieen. 1847. gr. 8. brosch. Statt 1 Thlr. 24 Sgr. nur 20 Sgr. Domrich, O., Die psychischen Zustände, ihre organische Vermittlung und ihre Wirkung in Erzeugung körperlicher Krankheiten. 1849. 8. geh. Statt 2 Thlr. nur 20 Sgr. Friedberg, H., Chirurgische Klinik. Beobachtungen und Erläuterungen in dem Gebiete der Chirurgie. I. Bd. Mit 23 Tafeln Abbildungen. 1855. gr. 8. brosch. Statt 2 Thlr. 20 Sgr. nur 1 Thlr. Mauke’s Verlag (Hermann Dufft) Jena. 6 ” Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. 8. 1856 bis 1859. 16 Bde. pro Jahrgang 8 Thlr. Einzelne Jahrgänge, soweit die- selben vorräthig. Statt 8 Thlr. nur 6 Thlr. Gluge, G., Abhandlungen zur Physiologie und Pathologie. Anat. - mikrosk. Untersuchungen mit 5 Taff. 1841. gr. 8. geh. Statt 1 Thlr. 10 Sgr. nur 15 Sgr. — — Anat.-mikroskop. Untersuchungen zur allgemeinen und speciellen Pa- thologie. 2. Heft. M. 5 Taff. 1841. gr. 8. geh. Statt 1 Thlr. 10 Sgr. nur 15 Sgr. — — Pathologische Histologie. Mit 12 Kupfertafeln und Tabellen. 1850. Fol. brosch. Statt 5 Thlr. nur 2 Thlr. de Gohren, F. L. A. H., Medicorum priscorum de signatura imprimis planta- rum doctrina. 1840. 8. geh. Statt 15 Sgr. nur 5 Sgr. Grabau, W., Der Schlag und die Töne des Herzens und der Arterien. 1846. brosch. Statt 1 Thlr. nur 10 Sgr. Gruner, Ch. G., Seriptores de sudore anglico. Post mortem auctoris adornavit et edidit H. Haeser. 1847. Lex.-8. brosch. Statt 4 Thlr. nur 1. Thlr. 10 Sgr. Gutherz, S., Die Respiration und Ernährung im Fötalleben. Eine von der medie. Facultät zu München gekrönte Preisschrift. 1849. sr. 8. Statt 15 Sgr. nur 5 Sgr. Häser, H., Archiv für die gesammte Mediein unter Mitwirkung von Mehreren. 10 Bde. gr. 8. Preis 26 Thlr. 20 Sgr. (Siehe unter Archiv.) — — Repertorium. (Siehe unter Repertorium.) — — Bibliotheca epidemiographiea s. Catalogus de historia morborum epi- demie. tam generali quam speciali conscript. 1843. gr. 8. brosch. Statt 25 Sgr. nur 74 Sgr. Hesselbach, A. K., Handbuch der gesammten Chirurgie f. pract. Aerzte und Wundärzte. 3 Thle. 1844—1846. gr. 8. brosch. Statt 16 Thlr. nur 6 Thlr. Auch unter dem Titel: Hesselbach, A. K., Handbuch der chir. Pathologie und Therapie für pract, Aerzte ni Wundärzte. 1844. Statt 4 Thlr. nur 1 Thlr. 10 Sgr. — — Handbuch der chirurg. Verbandlehre für pract. Aerzte und Wundärzte, Mit einem Atlas von 40 Kupfertafeln in Fol. 1845. Statt 6 Thlr. nur 2 Thlr.' 10 Sgr. — — Handbuch der chir. Operationslehre, für praet. Aerzte und Wundärzte. 3 Thle. 1846. Statt 6 Thlr. nur 2 Thlr. 10 Sgr. v. Hessling, Theod., Histologische Beiträge zur Lehre von der Harnabson- derung. Eine vergleichend-anatomische Abhandlung. Mit 1 Stahlstich. 1851. gr. 8. brosch. Statt 20 Sgr. nur 74 Sgr. Heusinger, C. F., Specimen malae conformationis organorum auditus humani rarissimum et memorafı dignissimum. C.III tabb. aeri incisis. 1824. Fol. Statt 2 Thlr. 15 Sgr. nur 1 Thlr. Huschke, E., Schädel, Hirn und Seele des Menschen und der Thiere, nach Alter, Geschlecht und Race. Dargestellt nach neuen Methoden und Unter- suchungen. Nebst 6 Steintafeln mit PER OBEDN. Abbildungen. 1854. Fol. cart. Statt 6 Thlr. nur 3 Thlr. Klencke, Ph. F. H., Ueber die Contagiosität der Eingeweidewürmer nach Ver- suchen und über das physiolog. und patholog. Leben der mikroskop. Zellen nach empirischen Thatsachen. 1844. gr. 8. brosch. Statt 1 Thlr. 24 Sgr. nur 20 Sgr. Martin, E., Ueber Selbstamputation beim Fötus. 1849. gr. 8. brosch. Statt 15 Sgr. nur 74, Sgr. Mauke’s Verlag (Hermann Dufit) Jena. 7 Martin, E., Ueber die Eierstockswassersuchten, insbesondere deren Erkenntniss und Heilung nebst einem neuen Regulativ für die Ovariotomie, Nach eige- nen Erfahrungen. 1851. gr. 8. brosch. Statt 16 Sgr. nur 5 Sgr. v. Mercklin, C. E., Zur Entwiceklungsgeschichte der Blattgestalten. Mit 2 Taf. Abbild. 1846. gr. 8. brosch. Statt 24 Sgr. nur 10 Sgr. Oesterlen, F., Beiträge zur Physiologie des gesunden und kranken Organis- mus. Mit 3 Kupfertafeln. 1843. gr. 8. brosch. Statt 1 Thlr. 15 Sgr. nur 15 Sgr. Philippe, A., Geschichte der Apotheker bei den wichtigsten Völkern der Erde seit den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage nebst einer Uebersicht des gegenwärtigen Zustandes der Pharmacie in Europa, Asien, Afrika und Ame- rika. Aus dem Französischen übersetzt und mit einer Zusammenstellung der Förderer der Pharmacie alter und neuer Zeit vermehrt von Dr. H. Lud- wig. Mit 2 Kupfertafeln. 2. Aufl. 2 Bände. 1858. gr. 8. brosch. Statt 2 Thlr. nur 20 Sgr. Platner, A., Grundzüge einer allgemeinen Physiologie. I. Von der organischen Kraft oder von der Erregbarkeit. 1843. gr. 8. brosch. Statt 10 Sgr. nur 5 Sgr. von Nein, 3. ©. M., Die orientalische Cholera. Mit einer VBorrede von D. ©. Kiefer. 1832, gr. 8 Statt ı Thlr. nur 15 Sgr. Repertorium für diegesammteMedicin, heraus- geg. von H. Haeser. Bd. I-VII. 1840—1843. gr. 8. | Einzelne Bände, brosch. soweit dieselben Repertorium für die gesammte Mediecin, heraus- ( vorräthig. Statt geg. v. W. Grabau. Bd. VIT— IX. 1844. gr. 8.| 2 Thlr.nur 1 Thlr. brosch. Schillbach, Ludw., Beiträge zu den Resectionen der Knochen. 1858 — 59. gr. 8. brosch. Statt 2 Thlr. nur 1 Thlr. Schlegel, 3. 9.,, Verfuch) einer Gejchichte des Streites über die Jdentität des Benus- und Trippergiftes, 1796, 8. Statt 114 Sgr. nur 4 Sgr. Schoemann, Fr. X., Das Malum coxae senile. Eine Monographie mit 4 Taf. Litographieen. Hoch-4. 1851. brosch. Statt 2 Thlr. nur 20 Sgr. Siebert, A., Die Schlange des Aeskulap und die Schlange des Paradieses. Eine Romonstration im Interesse der freien Wissenschaft gegen die Restau- ration des Dr. J. N. v. Ringseis. 1841. gr. 8. geh. Statt 15 Sgr. nur 5 Sgr. — — Kritik der Gegensätze in der Medicin. Ein Nachtrag zur Aeskulap- und Paradiesschlange. 1842. gr. 8. geh. Statt 74 Sgr. nur 3 Sgr. — — Mittheilungen aus d. mediein. Klinik zu. Jena. 1848. gr. 8. brosch. Statt 12 Sgr. nur 4 Sgr. Stilling, B., Disquisitiones de structura et funetionibus cerebri. Acced. XV tabb. iconum lithographicarum elaboratarum et II tabb. adumbratarum. 1847. Quer-Imp.-Fol. cart. Statt 18 Thlr. nur 6 Thlr. Auch unter dem Titel: — — Untersuchungen über den Bau und die Functionen des Gehirns. Mit 20 Taf. lithograph. Abbildungen und 2 Umrisstafeln. Suckow, E. H., Die gerichtlich- medieinische Beurtheilung d. Leichenbefunds 1849. gr. 8. brosch. Statt 1 Thlr. 15 Sgr. nur 20 Sgr. Weisenberg, A., Vollständ. Handwörterbuch d. gesammten Arzneimittel von der ältesten bis auf die neueste Zeit. Für Aerzte und studirte Wundärzte. 1853. gr. 8. brosch. Statt 2 Thlr. nur 20 Sgr. Mauke’s Verlag (Hermann Dufft) Jena. Kene ponnlär-pHilojonhiihe Werke, Adt Pfydhologifhe Vorträge Dr. ©. Koriinge, Profeffor an der Univerfität Sera. Preis 1 The. 20 Sgr. Inhalt I. Ueber die Natur der Seele. V. Ueber die Temperamente., I. Neber das Gevadtnif. VI. Ueber den Imftinet. II. Meber die Einbildungstraft. VI. Meber die Yreundfchaft. IV. Ueber den Charafter. VII. Ueber Materialismus und Sdealismus. Die Heidelberger Jahrbücher der Fiteratur 1869 Nr. 1819 äußern u. X. über obige Vorträge: Gewiß verdienen dieje zu verjchtevenen Zeiten vor einem gemifchten Zuhorerfreife gehalte- nen Borlejungen in der ihnen hier gegebenen neuen Zujammenftellung die regjte Aufnahme und Theilnahnte auch in weiteren Kreifen. Sie find durchweg geeignet, zur Hebung des philojophi- iden, insbejondere des pindologiihen Intereijes aller derjenigen beizutragen, welchen die fich auf das innerfte Menfchenmwejen und dejjen höchjte Aufgaben beziehenden ragen nicht gleich- gültig find. enn e3 werden in diefen Vorträgen in einer höchft gelungenen und allgemein verftandlihen Form mit durchaus pafjenden und finnig gewählten Beifpielen belegte wichtige ejutltate philofophiichen Nachdentens anjpruchslos umd anvegend zugleich geboten. Mit ned wird in dem Borworfe auf die von „unfeligen Zaften befreiende und erlofende Wirkung‘ act philojophiiher Bildung hingewiefen, mit Necht hervorgehoben, daß fte „das dunkle Gewirre ver- ganglicher Thatjahen und Erfahrungen mit ewigen Ideen ducchleuchte” und am „&emüthe eines Sseden, welcher fich ihr mit aufrichtiger Liebe und ernftem Streben zuwende, eine Befriedigung und dauerhaftes Kebensgliid bereite”. Sechs Philofophifge Vorträge Dr, €. Fortlage, Profefjor an der Univerfität Ieia. Preis 1 Thlr. 10 Sgr. Inhalt, 1. Meber die Kantiiche Philofophie. 4. Neber die Glücfeligfeitslehre der Stoifer. 2. Neber Sena’s philofophiihen Ruhm. 5. Meber das Gaftmahl des Plato. 3. Weber Novalis und die Nomantif. 6. Neber die Anfänge der Muftt. Ziterar. Centralblatt 1869 Nr. 51 urtheilt über diefe Vorträge: Pit reinem Genuffe wird jeder philofophiich Gebilvdete diefe ebenfo inhaltreichen als edel gehaltenen Vorträge lejen. Als Zwed derjelben bezeichnet der Verfaffer den innigen Zujam- menhang zwifchen Philojophie und er Kumft, insbejondere zwifchen philojophiiher und mu= fifaliih-harmonifher Stimmung zur Infchauung zu bringen. Die Kant’icye Vhilojophie in ihrer Berwandtichaft mut der Stoifhen Moral und der um Platonifchen Gaftmahl ald Eros wunderbar Schimmernden Sehnjucht einer= und die bewunderungsmwirdige Grundlegung der Harmonik in den erften Anfängen griechischer Tonmefjung andererjeits bilden nach ihm die Elemente, die als p HORDUER und mufifaliihe Anlage im engften Bereine zufammen wirken mußten, ern philofophiiche Dichter von der Tiefe eines Novalis entftehen follten. Die edenjo anziehende als tiefgehende Charatteriftit, die dev Verfaffer von letterem entwirft, deffen Srrthum, die unficht- bare fatholifche mit der fichtbar römiichen Kirche zu verwechjleln, er mit Necht nicht ungerügt läßt, und die ebenfo fcharffinnige als überzeugende Analyfe, die er von dem Gaftmahl des Pla- RR / möchten wir ald das Gelungenfte der werthvollen, dev Lejewelt beftens empfohlenen abe halten. Drud von Fr. Frommanı in Gera, LITERARISCHER ANZEIGER Reichert und du Bois-Reymond’s Archiv. 1871. No. 4. Bei A ust Hirschwald in Berlin erschien onen. (durch alle Buchhandlungen zu beziehen.) Archiv für klinische Chirurgie. Herausgegeben von Dr. B, von Langenbeck, Geheimer Ober-Medicinal-Rath und Professor, redigirt von Dr. Billroth, und Dr. Gurlt, Professor in Wien. Professor in Berlin. XIH. Band. 2. Heft. Mit 1 Tafel und Holzschnitten. gr. 8. Preis: 1 Thlr. 10 Sgr. Dies Archiv, das einzige chirurgische Fachjournal in Deutschland, wird in Zukunft häufiger als bisher, in kleineren Heften erscheinen. Untersuchungen über die embolischen Processe von Prof. Dr. Dul. Cohnheim. 1872. Gr. 8. Mit 1 Tafel in Farbendruck. 1 Thlr. 10 Sgr. Die Lehre vom _ ARTERIENPULS. eigenen Versuchen und Beobachtungen Pror. Dr: dar Landois. 1872. gr. 8. Mit 193 Holzschnitten. Preis: 3 Thlr. In &. Schönfeld’s Verlagsbuchhandlung (C. A. Werner) in Dresden erschien soeben und ist durch alle Buchhandlungen zu haben: Ueber die Struetur und das Wachsthum der Hornscheiden der Wiederkäuer und der Krallen der Fleischfresser. Von Otto Siedamgrotzky, Professor an der Königl. Thier- arzneischule in Dresden. Mit 4 lithogr. Tafeln. gr. 8. eleg. geh. Preis 25 Ngr. Bei 8. Hirzel in Leipzig erschien soeben und ist durch alle Buchhandlungen zu beziehen: Die Lymphgefässe der Faseien und Sehnen von C. Ludwig und F, Schweigger--Seidel. At drei Tafeln. Folio. Preis 2°/, Thlr. Verlag von Veit & Comp. in Leipzig. Topographisch -anatomischer ATLAN. Nach Durchschnitten an gefrornen Cadavern herausgegeben von Dr. med. Wilh. Braune, Professor an der Universität Leipzig. Vollständig in sieben Lieferungen. Dreiunddreissig colorirte Tafein Imperial-Folio. Mit 50 Holzschnitten im Texte. In Mappe. — Preis 35 Thlr. Das in seiner Art unübertroffene Meisterwerk deutschen wissen- schaftlichen Fleisses, unter den schwierigsten Verhältnissen und mit Unterbrechungen zur Ausführung gelangt, liegt nunmehr voll- ständig vor. Ein besonderer Haupttitel, Vorwort ete. zum ganzen Werke ist angefügt. Das Werk ist vorwiegend für den practischen Arzt ge- arbeitet und haben Autoritäten, wie die Herren Prof. Gurlt, Ranke, Theile, Virchow, Zenker u. A. in ihren Besprechungen gerade auf diesen Vorzug besonders aufmerksam gemacht. Die 5 fanitäts- polizeiliche WHeberwacdung höherer und niederer Schulen und ihre Aufgaben von Dr. Friedrich Falk, praktifcher Arzt und Docent in Berlin. DEE Zmeite vermehrte Ausgabe. BE gr. Octav. 12 Bogen. Preis 24 Ngr. Verlag von Friedrich Vieweg & Solm in Braunschweig. (Zu beziehen durch jede Buchhandlung.) Archiv für Anthropologie. Zeitschrift für Naturgeschichte u. Urgeschichte des Menschen. Organ der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Herausgegeben von Baer, Desor, Hellwald, His, Lucae, Rütimeyer, Schaaffhausen, Semper, Virchow, C. Vogt und Welcker. Redaction : A. Ecker, L. Lindenschmit und der Generalsecretair der deutschen anthropologischen Gesellschaft. Fünfter Band, erstes Vierteljahrsheft, 4. geh. Preis 3 Thlr. 10 Segr. Verlag von FR, €, W, Vogel in Leipzig. Soeben erschien und ist durch jede Buchhandlung zu beziehen: Chirurgische und pathologisch-anatomische Beiträge zur Kriegsheilkunde. Von Dr. August Socin, und Dr, Edwin Klebs, Professor in Basel. Professor in Bern. Mit 19 Tafeln. 1. Kriegschirurgische Erfahrungen gesammelt in Carlsruhe 1870 und 1871 von Dr August Socin, Professor der Chirurgie in Basel. Mit Holzschnitten und 9 Tafeln. 4. 26 Bogen. geh. 5 Thlr. 10 Ngr. Im December v. J. erschien: II. Klehs, Dr. Edwin (Professor in Bern), Beiträge zur pathol, Anatomie der Schusswunden. Nach Be- obachtungen in den Kriegslazarethen in Carlsruhe 1870 und 1871. Mit Holzschnitten und 10 Tafeln. 18°/, Bogen. 4. geh. 4 Thlr. 10 Ngr. In der €. F. Winter’schen Verlagshandlung in Leipzig ist soeben erschienen: Beiträge zur Anatomie des Menschen mit Beziehung auf Bewegung. Von Phil. Jak. Wilhelm Henke, Professor in Rostock. Erstes Heft. Mit 9 Tafeln. gr. 4. Preis 1 Thlr. 15 Neger. Inhalt: 1) Untersuchung der Ausbreitung des Bindegewebes mittelst künstlicher Infiltration. 2) Versuche in Bildern zur Topographie der Bewegungen. Verlag von Veit & Comp. in Leipzig. Grundriss der Akiurgie von Dr. Fr. Ravoth, pract. Arzt, Operateur und Docent an der Universität Berlin. Zweite vermehrte Auflage. ME Zugleich fünfte Auflage SE von SCHLEMM, Operationsübungen am Cadaver. 27 Bogen. gross Octav. Elegante Ausstattung. Geheftet Preis 2 Thlr. 10 Ngr. Gebunden Preis 2 Thlr. 20 Ner. Als Anhang hierzu erschien: Darstellung der wichtigsten chirurgischen Instrumente. Sechszehn Tafeln Abbildungen mit erklärendem Texte von Dr. Er. Ravothh, pract. Arzt, Operateur und Docent an der Universität Berlin. Preis cart. 1 Thlr. 6 Ngr. Die Oberschenkelvene des Menschen in anatomischer und klinischer Beziehung. Von Dr. med. Wilh. Braune, Professor an der Universität Leipzig. Mit sechs Tafeln in Farbendruck. Imperial- Quart. 4!/, Bogen. Carton. Preis 3 Thlr. 10 Ngr. Gedruckt bei E. Polz in Leipzig. HL 1871. No.1. FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE UND WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. HERAUSGEGEBEN VON “. D*. CARL, BOGISLAUS REICHERT | PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN e AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, \ FORTSETZUNG VON REIL'S, REIL'S UND AUTENRIETHA'’S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1871. _ Bogen 1—8. Tafel I—IV. HEFT I. | | VERLAG vos VEIT ET COMPp. | nn Ausgegeben im Mai 1871. Inhalt des ersten Heftes. ’ Seite Die Stützzellen des menschlichen Hoden. Von Dr. Fr. Merkel, Prosector in Göttingen. (Hierzu Taf.l) . . . . 1 Schwefelsäure- und Phosphorsäure-Ausscheidung bei körkerkiihrer Arbeit. Von Geo. J. Engelmann, Stud. med. . . . . 14 Ueber den angeblichen inneren Zusammenhang der er und weiblichen Organe bei den Trematoden. Von Dr. Lud- wig Stieda, Prosector und ausserordentlichem Professor in Dorpat“.. x. %, 3t Ueber die Baus dos Tieberfeiten. Bez kr Fettlebern Br an gesunden und kranken Körper. Von Dr. Oswald Naumann, Privatdocenten der Pharmakologie an der Universität zu Leipzig 41 Ueber den Bau des Haupthaares und den Haarwechsel im mitt- leren Lebensalter. Von Dr. Pincus, Docent an der Univer- sität zu Berlin . . . a a as 2 ea TE Beobachtungen über iaemen: von Dr. W. Dönitz. (Hierzu Lat N) 71 Ueber eigenthümliche en an "des Morsnstucken der Sipho- nophoren. Von Dr. W. Dönitz. (Hierzu Taf. IL.) . . . . 88 Ueber den Blutstrom in den Lungen. Von H. Quincke und E. Pfeiffer. (Hierzu TatılV). 00. 90 Beitrag zur feineren Anatomie der Gehe bein MoNcobeh und den Säugethieren. Von C. B. Reichert. (Hierzu Taf. V. undVLy. u ne N A ee Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. ARCHIV ANATOMIE, PHYSIOLOGIE WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. D*. CARI, BOGISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADENIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN. ‚FORTSETZUNG.VON REIL’S, REIL’S UND AUTENRIETH’S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 187. Bogen 9— 15. Tafel V— VL. HEFT II. DER BA Z NG: VERLAG vos VEITET COMP. Ausgegeben im August 1871. Inhalt des zweiten Heftes. Seite Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke beim Menschen und den Säugethieren. Von C.B Reichert. (Hierzu Taf. V. und VL). : (Schluss, ...:....0.. 0 un 20 Se ‚Ueber Hoplophorus a Von H.Burmeister. (Hierzu | DalVIEA) 2: \ . 164 Die Kittsubstanz auf Beiekin Me a en Mikro- skopische und Mikrochemische a Von Dr. Ro- binski... . 2 ee AL Die Doppelzapfen. ar w. Dobiac cin, or Taf. VIIB,) 208 Zur Anatomie der Retina. Von W.Dobrowolsky... . . .221 Ueber die wirkliche Natur der „positiven Stromschwankung * bei der einzelnen Muskelzuckung. Von Holmgren . . . . .237 Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. | Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit Hürch die Verlagshandlung zugehen werden. ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE UND WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. HERAUSGEGEBEN X93 D’. CARL BOGISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- ORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU- BERLIN. FO TSETZUNG VON REIL’S, REILS UND AUTENRIETHR’S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. arm 1871. Bogen 16—24. Tafel VIII. A. B. C. IX. u. X. HEFT III. . LEIPZIG. LS VERLAG vos VEIT ET COMP. Ausgegeben im November 1871. | Inhalt des dritten Heftes. Seite Ueber die wirkliche Natur der „positiven Stromschwankung‘“ bei der einzelnen Muskelzuckung. Von Holmgren (Fortsetzung) 241 Die physiologische Wirkung der Digitalis auf die Reflexhemmungs- centra des Frosches nebst Versuchen über den Einfluss der Bluteireulation auf diese Organe. Experimentelle Untersuchun- gen.» Von:Dr: A, Weil. ....:%, . 252 Ueber den Fortsatz des Höckers des Kuhnbeines er Furnuel — Processus tuberositatis navicularis — und dessen Auftreten als Epiphyse oder als besonderes artieulirendes Knöchelchen. (Ein Beitrag zu den secundären Fusswurzelknochen.) Von Dr. Wenzel Gruber, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Tafel VII.A). . . . .. & . 281 Duplieität der Arteria ulnaris — neuer Fall —, (nehst Beriche: gungen). Von Dr. Wenzel Gruber, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Tafel VIILB.). . . .. . 286 Ueber das Tubereulum deltoideum und den Processus deltätdens des Schlüsselbeiness. Von Dr. Wenzel Gruber, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Tafel VIIL.C.). . . 297 Ueber ein congenitales Loch im unteren Schulterblattwinkel über dessen Epiphyse. Von Dr. Wenzel Gruber, Professor der Anatomie in St. Petersburg . . . . 300 Einige Versuche mit Fermenten, ce Stärke ande eh in Traubenzucker verwandeln. Von Dr. Victor Paschutin. (Hierzu Batel IR USER) N re Re Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. . ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. D*. CARI, BOGISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DRR KÖNIGLICHEN Se AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN. FORTSETZUNG VON REIL'’S, REIL’'S UND AUTENRIETHR’S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1871. Bogen 25 — 32. Tafel XI.A. u. B., XII, XIIL, XIV. ‚MEET IV. EE1P 21.6 VERLAG vos VEIT ET COMP. a wen | = Ausgegeben im Februar 1372. yes Inhalt des vierten Heftes. Seite Untersuchungen über die Augenlinse, insbesondere zur Kritik der bisherigen Untersuchungsmethoden derselben. Von Dr. Ro- bunskie. ser. .0 385 Ueber das Cuticulum eh ai eerebelli Dr R. Feischls. Von Dr-Robinskian .s.2..- . 413 Osteologische Notizen zur Kunde iR Panzerihiere Süd- Amerika Von H. Burmeister. (Hierzu Tafel XLA.). . . . . ..418 Ueber Cordylophora lacustris. Von Dr. W. Dönitz.. (Hierzu Tate XIBy) u. mi en: SI AST Beiträge zur Kenntniss der nen Muck oh Von Dr. W.Dönitz. (Hierzu Tafel XIL).. . . . 434 Einige Bemerkungen über Hemmungsnerven a Hemmungs- centren. Von F. Bidder in Dorpat. . . . 447 Zur Wirkung des Antimons. Von Dr. S. Radıiiente als scher Arzt und Privatdocent iu Berlin. . . . 472 Ueber Zottenbildung in der Gallenblase. Von C. Item 486 Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. Von Robert Hart- mann...(Hierzu, Tafel: XIII. u. XIV)... 23 00 Ss a ‚Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber ‚oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- ‘gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. 1871. No.5.u.6. ) ARCHIV ANATOMIE, PHYSIOLOGIE "WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. HERAUSGEGEBEN Von D*. CARL, BOGISLAUS REICHERT PROFESSOE DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMIECHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, FORTSETZUNG VON REIL’S, REILU’S UND AUTENRIETH’S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. | JAHRGANG 1871. Y Bogen-33—49. Tafel XV., XVL.A.u.B., XVIL, XVII. HEFT vV. u. VE. IEPFP ZIG VERLAG von VEIT ET COMP. 0 Ausgegeben im Mai 1872. mn nn mn m Inhalt des fünften und sechsten Heftes. Seite Einiges über Halodactylus diaphanus Farre. Von Robert Hart- mann“(Schluss)r..... 5 1 Re 513 Beiträge zur physiologischen Optik. Von Dr. Franz Boll, As- sistenten am physiologischen Laboratorium der Universität Berlin nr An de Ne En ee 0 1 Ma ae 530 Ueber eine neue Entstehungsweise von Melliturie. Von Dr. C. Boek und Dr. F. A. Hoffmann, Assistenten an der medici- nischen Universitäts-Klinik zu Berlin... .. . „2. .2.. 550 Ueber den Einfluss körperlicher Nebenleitungen auf den Strom des M. gastroknemius des Frosches. Von E. du Bois-Rey- ROMANE ER a N Se a en er 561 Anleitung zum Gebrauch des runden Compensators. Von E, du Bois-Reymond,.v...ue rc... oe. Ve ee 608 Ueber den feineren Bau der Zellwand der Baeillariaceen, ins- besondere des Triceratium Favus Ehrbg. und der Pleurosigmen. Von 06t0-Muüller (Hierzu Taeı xVo)r. 22 619 „Weber die Entwickelungsvorgänge im Inneren der Samencanälchen. =" NonDr.Fr.Merkel, Prosector in Göttingen (Hierzu Taf. XVIL) 644 Ueber einen Musculus tibio- -astragaleus anticus des Menschen. Von Dr. Wenzel Gruber, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu, Taf, XVI. A). 2.0.0.0 ee 663 Ueber den Musculus und über die neue Bursa mucosa ilio -co- stocervicalis am Tuberculum der ersten Rippe, und über einige accidentelle Bursae mucosae am Rücken. Von Dr. Wenzel Gruber, Professor der Anatomie in St. Petersburg (Hierzu Dat. XV. Boy 2 ee ee ee 669 Osteologische Notizen zur Kunde der Panzerthiere Südamerika’s, Von H. Burmeister (Hierzu Taf. XVII) ... ...... 694 “Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes entstehenden Störungen der Muskelinnervation und der Vorstellungen vom Verhalten im. Raume, Von. Eduard Hitzie ..%. 2 1. rs 716 Weitere Untersuchungen zur Physiologie des Gehirns. Von ENT UZI ı 9 an Kara Ve ea A ee 771 Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendüung des Manuseripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. 2 ’ D 1 £ \ r . » == En r x n 44 x = S Ma 7 “ 'z ® k 2 ' 5 ION Re DT x LT RR, : PN =