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ARCHIV

FÜR DAS

STUDIUM DER NEUEREN SPRACHEN UND LITTERATUREN.

BEGRÜNDET VON LUDWIG HERRIG.

IIEKAÜSGEGEBEN

VON

STEPHAN WAETZOLDT und JULIUS ZUPITZA.

XLIV. JAHRGANG, «4. BAND.

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BRAUNSCHWEIG.

DRUCK UNI) VERF. AG VON (IKOKüH W K ST H R M A X X. 1890.

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Inhalts-Verzeichnis des LXXXIV. Bandes.

Abhandlungen.

Seite I Ein weiteres Briiclistück der Regularis concordia in altenglischer Sprache.

Von JuliusZupitza 1

Kritisch-ästhetische Studien über James Thomsons Tragödien. Von Guido

Wenzel 25

Entwickelungsgänge in der Sprache Corueilles. Von K. Fahrenberg (SchUifs) 71 Steinhöwel und das Dekameron. Eine syntaktische Untersuchung. (Sclilufs.)

Von H. Wunderlich 241

Zum Haager Bruchstück. Von G. Gröber 291

Beiträge zur Kenntnis Georg Forsters aus ungedruckten Quellen. Von

Albert Leitzmann. 1 369

Chaucer und lunoceuz des Dritten Traktat De Coutemptu Mundi sivc De

Miseria Conditionis Humanse. Von EmilKoeppel 4u5

Manzonis Graf von Carmagnola und seine Kritiker. Von Otto Speyer 419

Kleine Mitteilungen.

Rede bei Enthüllung des Denkmals Walthers von der Vogelweide zu Bozon

am 15. September 1889 gehalten von Karl Wciuhold aus Berlin . . 115

Zur Lehre vom englischen Lifinitiv. (Julius Zupitza) 117

Zur Geschichte von ne. perhaps. (J. Z.) 122

Zur Geschichte von ne. trade. (J. Z.) 122

Zur Bedeutung von me. schire (:=: ne. shire). (J. Z.) 123

/ Zu Beowulf 850. (J. Z.) 124

Ein Unwort. (J. Z.) I'-Jj

Zu Anglia XII, 16 ff. (J. Z.) 125

Zu Shakaperes Julius Ca-sar I, 1, 24 ff. (J. Z.) 126

-'Altenglische Miscellen. (A. Napier) 323

Eine weitere Aufzeichnung der Oratio pro pcccalis. (J ulius Zu pi tza) . 327

Kardinalzahlen als Multiplicativa im Mittelenglisehen. (Julius Zupitza) 32'J

Eine angebliche Grille. (Juli us Zupitza) 329

IV

Seite Sitzutigcn der Hcrliiicr GoficlIscliHft liir (lau Studium der iifuocii SpiacluMi 127 Jahresbericht der Dresdner Gesellscliafl für neuere IMiilologic. 1889. (Otto

Boom er) 331

Mitglicder-Vcrzciclinis der Berliner Gesellscliaft f. d. Studium d. n. Sprachen 139

Beurteilungen und kurze Anzeigen.

lyyttkcns-Wulfi": Compte-rendu sommaire d'une transcription plionetique oiTcrt

aux membres du Vlllf Congres des Orientalistes. (G. Michaelis) . 145 Otto Jespersen: The Articulations of Speech Sounds represented by means

of Analphabetic Symbols. (G. Michaelis) 147

Über die Bildung der Begrifife, ein etymologisch-vergleichendes Wörterbuch

aus allen Sprachgebieten von Aug. v. Edlinger. (Karl Weinhold) 149 G. Wagner: Streifzüge in das Gebiet der deutschen Sprache. (M. Roediger) 149 Sparren, Späne und Splitter von Sprache, Sprüchen und Spielen aufgelesen

im Ahrthal von Dr. P. Joerres. (K. Wd.) 15U

Dr. R. Schachinger: Die Kongruenz in der mhd. Sprache. (M. Roediger) 150 Zur Kritik des Kürenbergers. Von J. Hurch. (Karl Weinhold) . , . 152 Zum Rosengarten. Untersuchung des Gedichtes II von Dr. G. Holz. (K. Wd.) 153 Friedrichs d. Gr. Schrift über die deutsche Litteratur. Von Bernhard Suphan.

(Kölscher) 153

Die Erklärung deutscher Schriftwerke in den oberen Klassen höherer Lehr- anstalten. Von Dr. Paul Goldscheider. (Fr. Bach mann) . . . . 154 Entwürfe zu deutschen Aufsätzen und mündlichen Besprechungen für die

Sekunda von Dr. R. Paukstadt. (Fr. Bachmann) 158

Grammatik der englischen Sprache für obere Klassen höherer Lehranstalten

von Immanuel Schmidt. (G. Völckerling) 161

Engl. Lesebuch für höhere Lehranstalten von Prof. Dr. O. Ritter. (R. Palm) 162 Shakspere Primer, in gekürzter Form mit Anmerkungen herausgegeben von

Dr. Broder Carstens. (G. Völckerling) 163

Jacob Thomson, ein vergessener Dichter des achtzehnten Jahrhunderts von

Dr. G. Schmeding. (J. Zupitza) 164

Original English as written by our Little Ones at School. By Henry

J. Barker. (J. Zupitza) 165

Robert Elsmere. By Mrs. Humphry Ward. John Ward, Preacher. By

Margaret Deland. We Two. A Novel by Edna Lyall. (J. Zupitza) 187

The County. A Novel. (J. Zupitza) 191

The Master ofBallantrae. A Winter's Tale. By R. L. Stevenson. (J. Zupitza) 192 The Day will come. A Novel by M. E. Braddon. (J. Zupitza) . . . 194 Young Mr. Ainslie's Courtship. By F. C. Philips. (J. Zupitza). . . . 195 Prench and English. A Comparison by Philip Gilbert Hamerton. (J. Zupitza) 196 For One and the World. A Novel. By M. Betham-Edwards. (J. Zupitza) 196 Praktischer Lehrgang zur schnellen und leichten Erlernung der dänischen

Sprache. Von E. Funk. (Chr. Rauch) 197

Henrik Ibsen von Henrik Jäger, deutsch von H. Zschalig. (R. Mahrenholtz) 197

V

Seite Gruiidrifs der Gescliiclitc der französischen Littcratur von ihren Anfängen

bis zur Gegenwart. Von Dr. Heinrich P. Junker. (S. Waetzoldt) 198 Geschichte der französischen Nation allitteratur von ihren Anfangen bis auf

die neueste Zeit. Von Fr. Kreyfsig. (R. Mahrenholtz) 200

Franz. Grammatik für den Schulgebrauch von Dr. G. Lücking. (F r. B a c li m a n n) 202 Le Fran9ais Parle. Morceaux choisis k l'usage des etrangers avec la pro-

nonciation figur6e par Paul Passy. (Fr. Speyer) 205

Neue französische Grammatik für den Kaufmann und für Gewerbtreibeudc.

Von M. E. Mey und Prof. Dr. Rud. Thum. (Otto Kabisch) . . . 207 Die Aussprache des französisclicn unbetonten e im Wortauslaut. Von Dr.

Adolf Mende. (Fr. Speyer) 209

Französisches Lesebuch für Real- oder Mittelschulen und ähnliche Anstalten.

Herausgegeben von H. Breitinger und J. Fuchs. (Otto Kabisch) . 212 Album poetique, dedie ä la premiere jeunesse par Marie Meyer (M. Senz).

(Fr. Bachmann) 214

A. Ehrhard: Moliere eu AUemagne, le Theiitre et la Critique. (R. Mahrenholtz) 216 Victor Duruy: Histoire de France de 1789 ä 1795. (Fr. Bachmann) . 217 Studj di filologia romanza pubblicati da Ernesto Monaci. (C. A p p e 1) . . 218 Francesco Zambaldi: Vocabolario etimologico italiano. (A. Tobler) . . 218 Italienische Bibliothek. Herausgegeben von Prof. Dr. J. Ulrich. (A. Tobler) 220

Eighth Annual Report of the Dante Society. (A. Tobler) 223

La storia di Apollonio di Tiro, versione tosco-veneziana della metä del

sec. XIV edita da Carlo Salvioni. (A. Tobler) 224

Die Fi-au als Schlange. Ein tragikomisches Märchen in drei Aufzügen von

Carlo Gozzi. (A. Tobler) 225

Programmschau. (LudwigHölscher) 226

Geschichte der deutschen Litteratur von Dr. Ferd. Schultz. (C. Th. Michaelis) 339 Nibelungen und Kudrun in Auswahl und mittelhochdeutsche Grammatik mit

kurzem Wörterbuch von Dr. W. Golther. (0 tt o Wach te r) . . . 341 Die deutsche Bibelübersetzung des Mittelalters dargestellt von Wilhelm

Walther. Erster Teil. Der erste Übersetzerkreis. (K. Weinh ol d) . 341 Dr. E. Wilke, Einführung in die englische Sprache. (R. Palm) . . . . 343 L. Sevin, Elementarbuch der englischen Sprache (nach der analytischen

Methode bearbeitet). Teil IL (R. Palm) 344

The English Pronunciation von Dr. M. Maafs. (R. Palm) 346

Wilh. Swoboda, Englische Leselehre nach neuer Methode. (R. Palm) . . 346 English Letters. Collected for the Use of Schools hy Dr. Günther. (Julius

Zupitza) ^'48

Wörterbuch der englischen und deutschen Sprache. Von William James.

Vollständig neu bearbeitet von C. Stoffel. (Julius Zupitza) . . . 3.^1 How the wyse man taught hys sone. In drei Texten herausgegeben von

Rudolf Fischer. (Julius Zu pitza) ^•'»3

Trcutalle Sancti Gregorii, eine mittelenglische Legende. In zwei Texten

herausgegeben von Albert Kaufmann. (Juli us Zup i tza) . . . . 354 Über das Fehlen des Auftaktes in Chaucers heroischem Verse. Von Markus

Freudenb erger. (J ul i us Zupi tza) » . .

356

Seite Die Ili.stoiia Septem SHi)iuntum nacli der lunsbruckcr Handschrift vom Jahre

1342. Nebst einer Untersuchung über die Quelle der Seuin Seages des

Johne Rolland von Dalkeith. Von Georg Buchner. (Julius Zupitza) 356

Marlovves Werke. Historisch - kritische Ausgabe von Hermann Breymann und Albrecht Wagner. 11. Doctor Paustus herausgegeben von Her- mann Breymann. (J ul ius Z upi tza) 357

Marlovves Werke. Historisch -kritische Ausgabe von Hermann Breymann und Albrecht Wagner. HI. The lew of Malta herausgegeben von Albrecht Wagner. (JuliusZupitza) 358

l'crcy's Reliques of Ancient English Poetry nach der ersten Ausgabe von 1765 mit den Varianten der späteren Originalausgaben herausgegeben und mit Einleitung, Anmerkungen und den erhaltenen Singweisen ver- sehen von M. M. A. Schröer. (J. Z.) 359

Programmschau. (L. H Öls eher) 360

Englische Parlamentsreden zur französischen Revolution, herausgegeben und

erklärt von Dr. Perle. (G. Völckerling) 439

Campbell, Gertrude of Wyoming. A Pennsylvanian Tale. Edited vvith

Introduction and Notes by H. Macaulay Fitzgibbon. (Julius Zupitza) 440

The Sketchbook von Washington Irving. Erster Band. (G. Völckerling) 441

The Bell of St. Paul's by Walter Besant. (Julius Zupitza) .... 442

Blind Justice and "Who, being Dead, yet speaketh". By Helen Mathers

(Mrs. Henry Reeves). (Julius Zupitza) 444

Mount Eden: A Romance. By Florence Marryat. (Julius Zupitza), . 445

Pio Rajna, Le Corti d'Amore. (A. T.) 446

H. A. Schoetensack, Französisch - etymologisches Wörterbuch. Erste und

zweite Abteilung. (A. T.) , 447

Dr. O. Ulbrich: 1) Elementarbuch der französischen Sprache für höhere Lehranstalten. 2) Schulgrammatik der französischen Sprache für höhere Lehranstalten. 3) Übungsbuch zum Übersetzen aus dem Deutschen in das Französische für die mittleren und oberen Klassen höherer Lehranstalten. (Fr. Bachmann) 447

Lehr- und Lesebuch der französischen Sprache von Dr. Eugen Wolter

(Fr. Bach mann) 449

Französisches Lesebuch. Erster Teil, für Quarta, Unter- und Obertertia der Gymnasien u. s. w. Mit einem Wörterbuch. Von Dr. Karl Meurer. (Fr. Bachmann) 450

Französisches Lesebuch für die unteren und mittleren Klassen der Gym- nasien und höheren Bürgerschulen. Mit einem ausführlichen erklären- den Wörterbuche von Dr. L. Süpfle. (Fr. Bach mann) 451

R. Wilckc, Materialien zum Übersetzen aus dem Deutschen ins Franzö- sische. (Ad. Müller) 451

Französische Briefe, zum Rückübersetzen aus dem Deutschen ins Franzö- sische bearbeitet von H. Breitinger. (Fr. Bachmann) 453

Dr. Emil Seelmann, Bibliographie des altfranzösischen Rolandsliedes mit Be- rücksichtigung nahestehender Sprach- und Litteraturdenkmale. (Alfred Schulze) 453

Vit

Seite Aucassin und Nicolete. Neu nach der Handschrift mit Paradigmen und

Glossar von Hermann Suchier. (Alfr ed S chulze) 4;')')

A. Tobler, Predigten des h. Bernhard in altfranzös. Übertragung. (Alfred

Schulze) 45G

Li tornoiemenz Antecrit von Huon de Mery nach den Handschriften zu Paris, London und Oxford neu herausgegeben von Georg Wimmer. (Alfred Schulze) 4ÖC

Arnold Krause, Bemerkungen zu den Gedichten des Baudouin und des

Jean de Conde. (Adolf Tobler) 458

Les Precieuses ridicules von Moliere. Für den Schulgebrauch erklärt von

Dr. P. Goldschmidt. (BV. Bisch off) 401

Lame-Fleury, Histoire de la decouverte de l'Amerique, im Auszug heraus- gegeben und erklärt von Max Schmidt. (Joseph Sarrazin) . . . 402

Charles Marelle, Affenschwanz etc. Variantes orales de Contes populaires

fran9ais et etrangers. (Joseph Sarrazin) 403

II. Sabersky, Zur proyen9alischen Lautlehre (Parasitisches i und die damit

zusammenhängenden Erscheinungen). (Oscar Schultz) 404

E. Cnyrim, Sprichwörter, sprichwörtliche Redensarten und Sentenzen l)ei

den proven9alischen Lyrikern. (Oscar Schultz) 464

II. Schindler, Die Kreuzzüge in der altproven9alischen und mittelhochdeut- schen Lyrik. (Oscar Seh ul tz) 4C5

L'Alighieri Kivista di cose dantesche diretta da F. Pasqualigo. (H. Buchholtz) 4CC

Pierre de Nolhac, Manuscrits ä miniatures de la Bibliothfeque de Petrarque.

(C. Appel) 409

Paul Heyse: Italienische Dichter seit der Mitte des 18. Jahrh. (E. Pariselle) 471

Dr. Adolf Keller, Altspanisches Lesebuch mit Grammatik und Glossar. (A. T.) 471

G. C. Kordgien, Logares selectos dos Classicos Portuguezes e Brasileiros.

Portugiesisches Lesebuch mit Anmerkungen. (A. T.) 473

H. Klinghardt, Ein Jahr Erfahrungen mit der neuen Methode. Bericht über den Unterricht mit einer englischen Anfängerklasse im Schuljahre 1887/88. Zugleich eine Anleitung für jüngere Fachgenossen. (Ad. Müller) 473

Bemerkungen über das Studium der deutschen Philologie und die Prüfungs- ordnung für das höliere Lehramt. Aus einem Vortrage des Dr. phil. P. Machule. (S. W.) 475

Verzeichnis der vom 1. Januar bis zum 13. Februar 1890 bei der Kedaktion

eingelaufenen Bücher und Zeitschriften 238

Verzeichnis der von Mitte Februar bis Ende März d. J. bei der Redaktion

eingelaufenen Bücher und Zeitschriften 305

Verzeichnis der von Anfang April bis zum 19. Mai 1890 bei der Redaktion

eingelaufenen Bücher und Zeitschriften ... 470

Ein

weiteres Bruchstück der Regiüaris concordia

in a 1 1 e n g 1 i s c h e r Sprache.

In der Handschrift des Corpus Christi College zu Cam- bridge^ welche uns n. a. einen hetrnchtlicheii Teil der alteng- lischen Bearbeitung der Historia Apollonii Tgrii erhalten hat (Nr. 201 nach der jetzigen Bezeichnung, S. 18 nach der frü- heren), steht an erster Stelle auf S. 1 7 nach der Beschrei- bung Wanleys p. 137 Pars libri cniusdam, ut videtur, ritualis de diversis diebus festis in iisum cniusdam monasterii. Der ur- sprüngliche Schreiber liefs fast die ganze erste Seite leer, indem er nur hinten drei Zeilen daraufsetzte : ebenso ist der für das Bruch- stück nicht gebrau^chte Raum der S. 7 unbeschrieben geblieben.

Es ist, soviel mir bekannt ist, bisher noch Glicht bemerkt vjorden, dafs toir in diesem hier zum ersten Male gedruckten Denkmal die Übersetzung eines Abschnittes der Regularis con- cordia haben, die früher allgemein Dunstan, neuerdings von Stubbs (Memorials of St. Dunstan p. CIX f.) dem. Abte ^FÄfric, mit mehr Recht aber von Ebert (Allgemeine Geschichte der Litter atur des Mittelalters im Abendlande III, 506) und Breck (Fragment of yElfric's Translation of ^Edehvold's De Consuetudine MonacJiorum p. 8) dem Bischof yE(telwold. zu- geschrieben worden ist. Das Original findet sich handschrilt- lich mit einer altenglischen Interlinearversion im British J\ru- seum (Tib. A III, fol. 3 if.) und gedruckt in Clem. Regneri Apostolatus Benedictinoi'um in Anglia (Duaci 1626) jk 77 ff. und hieraus in den netteren Ausgaben von Dugdales Monasti- con anglicanum (in der von 1846 edd. Caleg, Ellis und Ban- dinell I, p. XXVII ff.) und in Mignes Ratrologia latina

Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV. 1

2 Ein woitores Rruchstiiok der Kegiilaris conconlia

(CXXXVIIy x^. 475 ff.). Eine Ausgabe mit den Olos.sen ist von W. *S'. Locjeman zu erwarten (s. H. Logeman, The Rnle of S. Benet p. XXI): Proben der Interlinearversion geben J. Seiden in den Notce et Spicilegium ad Eadmerum, j). 145 ff.^ Th. Wriglit in der BiograpMa britannica litteraria I^ 459 /'. und E. Breck a. a. 0. p. 17 ff.

Für meinen Abdruck des uns hier allein angehenden Ab- schnittes des Originals habe ich aufser den Texten in der letzten Ausgabe von Dugdales Werk und bei Migne, auf welche durch D und M hingewiesen wird, noch eine Vergleichung des Manuskriptes benutzen können, welche ich der Liebenswürdig- keit meines Kollegen Schipper verdanke. Bei der Übersetzung habe ich den Gebrauch grofser und kleiner Buchstaben und ebenso die Worttrennung geregelt und Interpunktion nach den jetzt üblichen Grundsätzen eingeführt ; aufgelöste Abkürzungen .sind durch andere Typen bezeichnet; die mitunter über latei- nische Citate gesetzten Neumen habe ich loeggelassen: über anderweitige Abweichungen von der Überlieferung geben die An- merkungen Auskunft. Die senkrechten Striche bezeichnen Schhi fs der handschriftlichen Zeilen, die ich fortlaufend gezählt habe.

(^)N |)one palmsunnandseg, for fy |)e seo processio J)pes | dseges Isengre is, J)onnß seo, J)e mon on claustre !?elce | sunnaudtege de(t, for ])i |)onnf, Jia hwile {)e mon singd J)a | (p. 2) morgeiimsessan, se

5 msessepreost, J)e J)öes altares J)enunge j on ])sere wucan healdan sceal, begange J)a mynstres hus and mid | haligwsetere besprenge, oefter geendunge psere msessan | sy seo mare processio, ^cet is |)sere maran

1 J)a sehr verblafst.

(fol. \hv, p.'SJ^^Yl D, 439 M) Dominica die pabnarum, qnia maior restat processio agenda, illa, qufe solet in claustro agi, intcrim, dum matutinabs missa canitur, agatur a sacerdote tandnn eousper-

6 sionem et benedictionem ageiite. finita illa raissa agatur illa ■' maior

'1 das zweite illa fehlt D.

4. morgenmsesse frltU hei Bosirortli-TiiUrr (107//.

in altenglischer Sprache. 3

halguiige fordgang; | ]icet is |)onne on {)as wisan: gan hy serest .. {)inga swiglunga mid | dihluw sealmsange bysige^ to |)sere cp'ican, J)e J)a palmtwiga | on gegaderode synd, ^ and^ gif beon mjBg and lo gewydera 'pat gepafiad, | gyn hi ealle mid alban* gescrydde mid on ^am gange, ealswa hit | on selcum gebyred, healdan heora ende- byrdnesse. |)onne | hi |)ider cuma|), singan heora gebed |)ses halgan fultum biddenkle, f)e seo cyrice forehalig is, {)e hy to gad. geen- dedu?/i gebede | rsede^ se diacon J)is godspel, ^ Turba multa, o{) hit ir> cume I to J)isse endunge, Ecce, mundus totus post eum ahiit. sefter I J)issiww syn J)a pahntwiga gebletsode and sefter psere bletsunge | mid halgiir« wffitere besprengde'^ and mid recelse besmocode. iefter

^ bysigige Hs. ^ syud vcm derselben Haml über unterpunktiertem wseron. " 1 in alban aus b. •'" vor raede iner BueJistaben (bede?) radiert. '■' godspsel tirsprünglich, aber ein Punkt unter dem ersten Teil von ae. " besprenge Hs.

processio, in qua, sicut in priori diximus agendum, ita agatur; id est, ut ad illam ecclesiam, ubi palma? sunt, sub silentio ordinatim eant (lediti psalmodise omnes, si fieri potest et aura ^ permiserit, albis induti. Cjuo eum peruenerint, agant orationem ipsius sancti implorantes auxilii 12 intercessionem, cui ecclesia dedieata est. finita oratione a diacono 11 legatur euangelivim Turba multa usque Mundus totus post ipsum abiit. quod sequatur benedictio palmarum ; post benedictionem asper- n; gantur benedicta aqua et thus eremetur. dehinc pvieris inchoantibus i"

•j hora M.

8. Die vom Übersetzer tveggelassene Bemerkung Sicut in priori dixi- mus agendum bezieht sich auf eine Stelle bei Dngdale p. XXXV : In purificatione sancta? Marise sint cerei ordiuati in ecclesia, ad quam fratres ire debent, ut inde petant lumiuaria. euntes auteni silenter incedant psabnodi« dediti et omnes albis induti, si fieri potest uel aeris permiserit teniperies ii. s. w. swiglunga 'sub silentio', ebeuKo HO ohne ein cid- spreehendes Wort int Lateinischen, ferner 105 swiglunge uiul 8t'. 91. 99 swilunge 'silenter': fte* Bosworth 87'2« und Ettniidler 763 fehlt dieses ein Verbum *swiglian und ein Adjektiv *swig()l voraussptxende Wort. 9. Ich habe bysige t^fatt des überlieferten bysigige geschrieben, da es nicht wahr- schcinlich ist, daß man, da scho)i bysig als Adjektiv rorhanden u-ar, von dem Sid)stantiv bysigu ein loeiteres Adjektiv bysigig abgeleitet hat, ivährend eine Dittographic des Schreihers, wie ich sie hier annehme, Z. 15 vo)i ihm .'selbst gebessert ist. 11. alban; vgl. Z. 172. Das W^ort fehlt bei Bosn-orth- Toller 3Qb; vgl. aber Jüfrics Glossar 314, 11 'alba' albe. II. Bos/rorfh 115 c giebt ohne Beleg fore-halig ']\articnlarly holy, dedicated' //. .v. /r.; Bosivorth-ToUer 3(HJ/> fehlt das Wort, alirr :'>05r/ wird unter fore (st. fore) aus den (leset ',en Th. 1, 178,:'», 12 angeführt On j)one drillten, \)v [)es halig-, dorn is forehalig (fore halig //rW/y/r/v/^y. 15. Tnrba multa ./o^. 12, 12. U). Ecce, mundus totus n. s. ir. Joh. 12, 19. IS. besniocian fehlt bei Bosivorth-Tollcr 92« oder I05r^

1*

4 Ein weiterps Bruchstiiok fler Regularis concordia

20 {)ysum J)am ** cildon ])\ane antifen beginnen du //i, Pueri \ Hehreornm, syn pa palmtwiga todielede, and swa |)a lengran | antifenas sin- gende gan to })iTere heafodcyrican and letforan | |)wre dura gean- bidigen, ^ of) ^ad |)a cild, {)e {)ider ford eodan, singan | Gloria, laus raid {)am fersuw eallum, {)e {)ser to gebyriadi**: aet selces | ferses ende eal ^ret wered |)öer ute, ealswa hit |)eaw is, anrfswarigen j

25 Gloria, laus. |)aTO geendedu?« syn J)sere cyrican dura geopenade {)aw " I sangere {)isne reps beginnende '^ Ingrediente, ^- domino. in

* J)a ÄS'. » Z>f/-.s' pr^/e g *e«^^ ausnahmsiveise fränkische GestalU "• ge- byred TJ^!. " .so Äs. ''^ (/as g /?«/ fränkische Gestalt:

antiphonas Pueri Hebreorum distribuantur ipse pabne, et sie maiori- bus antipho^/b/. 16?;jnis initiatis egrediantur: uenientes ante jeccle- siam subsistanf^, donec pueri, qui prtecesserunt, decantent Gloiia, laus cum uersibus Omnibus, sicut mos est, Gloria, laus ^ respondentibus. 25 quibus finitis incipiente cantore responsorium Ingrediente domino^

c subsistant DM, subs^istat Hs. *' Laus et gloria DM. ^ iugr. dorn, resp. Hs., verbessert DM.

19. J)isne antifen; vgl. 21 und 127 autifenas /md Pogatscher, Zur Lautlehre der Lehnicörter im Ae. S. 157, Antn. 2. Auch an de7i anderen Stellen, an welcken das Wort in misereni Denkmal rorkojnrnt (43. 103), %eigt es in der xweiten Silbe i; ebenso Z. 38 antifenere: ai(s diesem i ist wohl das gewölmliche e erst entstanden and dieses daher sclurerlich mit Pogaf scher als lang anz^a setzen. Pueri Hebreorum: .s. Liber agendoi'um .secuiuhon antiqimni usum metropolitano' salisburgensis ecchsicp, pars se- cunda (DUingce, e.rcudebat Sebaldus Mager, 1572) 127 f.: Antiph. Pueri Hebrfeorum uestimenta prosteruebaut in uia et clamabant dicentes. Chorus. Osanna filio Dauid: benedictus, qui uenit in nomine domini. Antiph. Pueri Hebrieorum tollentes ramos oliuarum obuiauerunt domino clamantes et dicentes. Chorus. Osanna in excelsis. Der Übersetzer hat mit TJnrecld |)isue antifen .'itatt Jjas antifenas geset^d. 20. J)ä lengran antifenas - maioribus antiphonis; vgl. Lib. agend. p. sec. llo ff. Pier steht xnnächst eine lange Antiplione: Cum appropinquaret dominus lero- solimam, misit duos ex discipulis suis dicens a. s. u\ Ata Schlafs hei/st es: Si processio longa esset ita, quod praesens antiphona nou sufficeret, imponantur et continuentur sequentes antiphonie, donec perueuiatur usque ad supradictum locum. Ps folge)/ dann drei Antiphonen mit den An- fängen Cum audisset populus, quia lesus uenit lerosolimam u. s. w., Cceperunt omnes turbse descendentium laudare deum n. s. u-., Turba multa, quse conuenerat ad diem festum ii. s. a:. 23. Gloria, laus: .s. Lib. agend. p. sec. 132 ff. Gloria, laus et honor tibi sit, rex Christe redemptor ; cui puerile decus prompsit osanna pium. Ps folgen dann noch fünf weitere, als uersus bexeichnete Distichen, liinter deren jedem entacder der Pentameter oder der Hexameter des ersten wiederholt icird (smcohl der Penta- meter als auch der Hcvamefer naeli dem letzten). Aafserdem heifst es aber Respondente choro Oloria, laus, et ita repetatur a principio per omnes uersus. 26. Ingrediente domino: s. Lib. agend. p. sec. 136/'. Ingrediente domino in sanctam ciuitatem Hebrseorum pueri resurrectionem uitse pro-

in altenglischer Sprache. 5

gangende healdan heora palmtwiga oii handa, eallswa we wid- foran | cwöedon be p&ni caiidelan, o|) ])cEt man ?efter {)am godspelle {)one ofFerendan j singe and veftev ])xve offrunge ])a,)n sacerde {)a selfan palmtwiga | ofFrige. oii J)a9M selfan (hege to äani passionem, ^n 'pcet is vires | drihtnes |)rowung, sy geevvedeii Jhmhms uoMscum iva,m |)aw diacone, | ac ne sy {)eali geandswarod Gloria '^ tibi, domine. {)isuw geliee sy |)is | gehealden oii J)a;y/ odru«? dagwn, buton paras- ceue, ])cet is gearjeunge djege, J)e we neninad I)one langan frigedseg : on ])am ne sceal | beon gecweden nador ne Dominus uobificum ne 35 Olovia tibi, domine. |

v)N cena dommi, ])cH is on drihtenes gereorde, |)e we hatad | pone punresdseg ^^ a;r eastran, sy uhtsang gesungen, | be J)a/» {)e se anti- fenere tsece. on sumra a^faestra '•' manna | cyrican gTwislice we on- fundon hwfethwara, {)<«< to micelre | sauwla anbryrdnesse and to 40

'2 das g hat fränkische Gestalt. "* das d auf Basur. '■' sumre sefeßsrtan Hs.

aperiantur portpe. ingressi finito responsorio agant, sicait supra dictum est, et teneant palmas in manibus, usque dum offertorium canetur, et eas post oblationem ofFerant sacerdoti. ea die ad passionem dici- ;^o tur Dominus uobi.scum, sed Gloria tibi, domine non respondetur. similiter et in reliquis (490 M) passionibus excepta parasceuie pas- sione, ubi neutnun dicatur, nee Dominus uobiscmn nee Gloria tibi, domine.

Quinta* fevia, quse et cena domini dicitur, nocturnale officium 36 agatur, secundum quod in antiphonario ^ habetm*. comperimus etiani 38 in quorundam religiosorum pecclesiis quiddam fieri, quod ad anima-

f Quinta DJ\[, :uanta (ein Buchst, ausradiert) Hs. k autijihonio M.

nuntiantes cum ramis palmarum 'Osanna' olamabant 'in excelsis'. Ver- sus. Cumque audissent, quia lesus uenit lerosolymam, exierunt obiiiam ei cum ramis. 27 f. eallswä we widforau cwffedüu be {lani candelan sicut supra dictum est. Etwas hinter der x-n Z. 8 angeführteu Stelle wird für die Messe am Tage Maria Reinigmui die Vorschrift i/egehoi : Teneant luminaria in manibus, donec post oblationem ea sacerdoti ofterant. 28. offerenda fehlt bei Bosworth-Tollcr 7;'.9/>,- vgl. aber k. B. auch Thorpc, Ancient Laws and Institufes II, 358 On {jone eastertbfen ne sy gesungen set J)jtre msessan ofl'ereuda. ;>8. be |)tem {je se antifeuere tifece = se- cundum quod in antiphonario habetur; «//. x. B. Aiitiphongrium secuu- dum breuiariuni romauwu (O-ratiauopoli, 1724) p. ti7 //'. Übrigens fehlt an tif euere bei Bosivorth -Toller p. ki«. :'>!•. hwiethwara fehlt bei Bosworth- Toller p. 571, obwohl im alten Bosworth I!Hi« unter hwjet (freilich ohnd Beleg) und daher auch bei Ettmüllcr 50Ü hwaethwara 'somewhere' (Ett- müller 'alicubi') .^^feht. Unsere Stelle ergiebt ebenso irir die ron Schrüer atis

(j Ein wt'iti'rc'fi Uniclistück dor Kegiilaris cMiiicöriliii

getaciiuiigc '♦' gastliccs |)inges | weorä begunnen; ])ad is, ])(el ief\cr {)iere geendunge ealles | |)iss saiiges, ])e iiion to {)sere nihte singli, and xher ge endunge J)jes antifenes, {)e mon on ende be J)an halgaii godspelle i^ingJ) , äcwmiceniw« ' "^ eallu^>^ leohtu^?* gan twa cild

45 (p. 3) welgestemnede atid to {)aw foresceawode to I)an sudportice uiid gedremuw swege singaii hludre stefne Kijrielejson, aud gelice |)a odre twa on ])a)}i nordportice singen |)us a«(/swariende, Christelej- son, I aj«/ on ^imu westheowage syn twegen on maran ylde, I)e J)i.s singen, | Doimnc, niiserere nohis. |)isuw< geendedum a'm^swarige "*

50 eal cbor | CA/istu*- dovcänViS factus est obediens usque ad mortem. edniwan J)a cild on | {)a«^ sudportiee ]^cet seife, ])cet we icr cwiedon, gcedlcestan am/ | {ja odre ealle eac swa, ealswä hit geeweden is. mid ret J)a3re {)riddan | geendunge ealle endemes to cneowgebedum feallan and mid | dihlmw gebedm« gewunelice mid micelre anbiyrdnesse him

55 to Criste geserendian aml ealle endemes mid tacne |)res | ealdres arisen.

"' ge eacnunge Hs. '' das ernte n von derselben Hand über der Zeile. "* Alait hinter der Äbkürxtmg für and.

rum compunctionem spiritualis rei indicium'^ exorsum' est, uidelicet ut peracto, quicquid ad cantilenam illius noctis pertinet, euangelii- que antiiiliona finita nihilque iam cereoruni luminis remanente siiit duo ad hoc idem destinati pueri in dextera parte chori, qui sonora l)sallant uoce Kyrie eleyson, duoque in sinisti'a parte similiter, qui respondeant Christe eleyson, nee non et in occidentali parte duo, qui

49 dicant Domine, miserere nohis. quibus peractis respondeat simul omnis

50 chorus Christus dominus factus est obediens usque ad mortem, demum pueri dexterioris chori repetant, quie stipra, eodem modo, quo supra, usquequo chorus finiat, quce supra; idemque tertio repetant eodem

62 ordine. quibus tertio finiti^ agant tacitas genu flexo niore solito

ii indicium DM, iudicium Hs. exortuui M.

der ae. Übersetxuny der Benediktinerregel xtisammenge.^tcllfen Belege die Bedetänmj 'etwas'. 40. Dafs getacnunge zii lesen ist, lehrt besonders Z. 133. 45. welgestemued '■mit guter Stimme' fehlt bei Bosicorth 4486 und Ettmidler 728. südportic (vgl. auch Z. 51) fehlt bei Bosworth '■r.iShb und Ettmidler 653, doch wird es in dem noch ausstellenden Hefte von Bosworth-Toller %u finden sein, da darauf unter portic verwiesen wird. 48. westheowag 'occidentalis pars' fehlt in den Wörterbüchern: man denkt an wäg 'Mauer', aber wan ist heo oder heo? 50. Christus u. s. u\; vgl. Philipper 2, 8. 51. geedUfestau feldt bei Bosworth-Toller 388 a. 53. cneowgebed bei Bosworth-Toller 162 b nachzutragen: zwei Belege giebt Afsniann im Glossar xu den von ihm herausgegebenen HomiUen und Heiligenleben.

iu alleuglischer (Sprache. 7

{leos '^ eiidebyrdnes sy oii äne wisan | gehealden o -^ J)am {)rim swig- iihtaii. pes ge\vuna-i Jiisse cyriclicaii aiibryrdnesse, J)?es |)e ic weiie, fram rilitgelyfedu^/i | mamiu?;i for J)i weard ai'edod and to gewunan gcset, ])(ret se micla | hoga J)ara J)ystra, J)e J)isne J)rydseledöii roiddan- 60 geard lu'es drihtnes J)rowimge mid unge^vunelicuwi ege | J)eaiie swide bregde, gewislice getacnod w£ere and eac swylce | se fi'ofer ])sere a2)ostolican bodunge, |)e geond ealne middangeard bodude ui'ne " drihte« for ealles niancyuues hsele | bis f?eder b}TSu;une od deades 65 J)i'o\vuiige;, hluttoiiice | J)urh f)as tacnimge wsere önwrigen, {)is we Jionne | eornostlice ou Jiissa boca muuucj)eawe to J)y gesetton: | gif hit hwa»i gelicad, licet he mid estfulnesse |)isne gewunan | to au- bryrdnysse healdan wile, hiebbe gewiiten, bu be | hit don scyle and 7a odi-e gelieran, J)e on |)ani ne synd getogene; | se J)e bit {)onnc don nelc, ne sy be to f)an geneadod, | ^cet be bit do, biiton bim selfon J)e bet licie. |

'3 Jjeor Hs. ^ o Ä>'. für älteren on. -' {)i3es gewunan H>s.

pi-eces. qui ordo trium noctium uniformiter teneatur ab illis. 56 (fol. 1 G v) qui, ut reor, ecclesiastiete compunctionis ^ usus a catbolicis 57 ideo repertus est, ut tenebrarimi terror, qui tripertitum"^ mmidum do- minica passione timore perculit " insoKto, ac apostolicse prredicationis eonsobitio, quje per ° uniuersum mundum Christum patri p usque ad mortem pro generis bumani 'i salute obedientem ' reuebiuerat, mani- festissime designetur. bree ergo inserenda censuimus, ut, si quibus 66 deuotionis gratia comphicuerint, babeant in bis, unde huius rei igna- ros instruant; qui autem nolherint, ad hoc agendum minime com- pelbmtur.

' compunctionibus Hs., i:crh. DM. m tripaitituiu 7)3/. " porcutit .1/. " per fc//lt der Hs.; DM uuiverso iiumdo. v pati M. n huniana' M. »' obediente Hs., verb. DM.

hl. swiguhtan : auch dieses Wort fehlt in den Wörterbüchern (Bosworth 372« und Eltiuidlcr 7Go). Swigühtau sind die ühtan der swigdagas, d. h. der drei letxtcn Taue in der Karnochc; vyl. unten Z. 8(1 und J'Jtfrics Hu- milics l, 218 Circlice deawas forbeodad to secgeuue seuig spei ou Inlni bryiu swigdagum, II, 2ii2 Ne niöt näu man secgau spell on pani drim swigdagum. Von den Wörterbüchern hat nur da^ Lcosche S. 45* diesen Ausdruck, aber ohne Belef/. (JO. hoga als M. wurde bisher nur auf Grund der Benedildincrrejjel (cd. Schröcr 84, o und 85, 3) aiujesetxt Diera ricera mauna ege and hoga = diuitum terror. Jjrydieled feldt in den Wörter- büchern (Bosuorth blSb. öloc, Ettmüller Olö). 07. muuucpeaw ist in den Wörterbücliern (Bosworth-Tolter 7()1 b) nachzutragen.

8 Eiu weiteres Bruchstück der Regiilaris concordia

( )N äa,m lefterfylgenduyyi dagu;« J)issera iiyhta xi nunwn \ Lidpange 75 ne sy gecweden Dens, in adiutorium incnm intende, \ ac fordrihte sy gesungen canonica tidsangas todieledura | sealmum left^r heora {)eawe and tefter ^i\m fers '^^ ciiul, ]}at {)ter ieftcr filiged. | on J)une fiftan d£eg |)a seif an angin {)ara todseledan | sealma^-^ syn hludor gesun- gene, J)set hi fi"am eallu?« msegen | beon gehyrede: on |)a ylcan 80 wisan sy gesungen »gder ge sefen | ge nihtsäng and na swä hlude on dawi o])r\xm SAvigdagur» . and on fore sanlon nihton, gif uhtsang ?er diege bid gesungen, | J)a gebrodra, gif hy swa willan, hwecrfan to heora reste; | se J)e for gastlicre gymyne f)«/! don nelle, wacien hi mid godes | bletsmige and mid healiere g}Ti»yne heora swigenne^* 85 heal diende ^cbI began, {)<®^ heora sawlu?w fremige. gewordenu7>i (p. 4) mergenne in cena diomim gesamnian hy to heora pri?Aisange and sene mid gedremuiu -' swege hlude tef ter canonica ^^ {)eawe ge-

'^ ferse Hs. ^ {)as t. sealmas Hs. ^ swigeude IIs. ^' gedremjen IIs. '-^ canoca Hs.

73 In quarum noctium sequentibus diebus ad nullam dicitur horam

Deus, in adiutoriuni meum, sed in directum capitula canonici cursus dicantur, dehiuc uersus et sequentia. in quinta** uero feria eadem capitula altius dicuntui", ut ab omnibus audiantur, et uesperre et

8't completorium ; cseteris diebus minime. in supradictis noctibus, si matutinte ante lucem fuerint (XXXA'^II D) finite, fratres, qui uolue- rint, ad suam redeant requiem; qui autem spirituali^ exercitio nolue- rint, cum summo uigilantes silentio agant, " quod eorum animabus

85 expediaf mane facto in csena domini conueniant ad primam, qua

« quarta M. * spiritualia Hs.: spiritualia exercitia maluerint DM. w agant fehlt Hs. und DM. ^ expedit DM.

71. Die Haren werden meistens, die kleinen inivicr eröffnet mii dem ...weiten Verse des 69. Psalms: Deus, in adiutorium jneum intende; do- mine, ad adiuuandum me festina (s. Boutenveks Ccdmon CLXXXII f. CXCVI ff.). 75. sy Singular des Verbs bei nachfol<jende>n pluralisehem Subjekt (vgl. DietricJi in Haupts Zeitschrift X, 332 /'. utwl XI, 444 ff'.). canonica ist wohl Gen. PI. des Substantivs : wenigstens bieten die Lexika canonic nur als Sub.st.; vgl. unten 87 und 1Ö7. Bei dieser Annahme erklärt sich auch heora Z. 7tJ am einfaclisten. 80. swigdagum: *'. ^iu Z. hl. 83. se f)e . . ., ... hi : in se \)e liegt ein pluralischer Begriff, daher wird es durch hi aufgenommen; cgi. Anxeiger für deutsches Altertum I, 111) und^ unten Z. 120 /'. On {fenigum weofode, öd Jjset hy ä|3wegene sS'n. 84. Dafs der Schreiber swigende schrieb, daran ist wohl das folgende Wort schuld. Das Fem. swigen fehlt in den Wörterbüchern (Bosworth 37 1 c, Ettmüller 7(j3), vgl. aber JSlfrics Homilies II, 532 Dam läreowe sylfum derad hwilou his swigen, ac heo derad symle his underdeoddum, gif him bid seo heofenlice lär oftogen.

in altenglischer Sprache. 9

giingen | ^ccf mid gewisse, Dens, in nomine tuo atul Beati imnaculati o{) I Legem pone, aiui swa gecwedeuuy;/. -"^ ferse eneowien ^^ and swi- lunge J)a | gebeda, |)e to ^ani tidsange geb}a-iad, geendian. 29 xiicr 9o ^•^L1n Pater y^oste?' | swilunge cwecten Viuet anima mea et laudabit te od J)ses I sealmes ende and ajfter J)a«i Credo in de\xm, and on J)?em preceni, {)oime I hy cumen to efnes |)an, |)3er hy heora andetiiysse don sculon, se ealdor mid beacne on J)iere formellan J)ce^ getacnige, and swa | eefter 05 gewunau lieora confessione>/< dön, ^cet is lieora andet nesse. on odi*u/?i tidsange gelice '^sam {)a lafe ^o ^ses f oressedon sealmes iefter {)yssum todale singon: to undern sänge fraw^ Lcrjeni'^^ pone od Defecit mid hludre stefne | singen, fers and, ]}o't J)£er ofer is, swilunge, and ^cet swa mi seghwylces | tidsanges ende healden ; to middsegsange fraw Defecit loo od Mirahilia ; to nonsange ivAm MirahiJia to ende |)«s | sealmes. {)8es a?fensanges relc sealm sy mid gedreraedre '^'^ \ stefne and mid äntifene gesungen and ])cet fers eac swa and])cet \ godspel, ]}(et is Magnificat, ^^ and elles seo laf, •'^ |)e J)jer ofer | is, sw^iglunge. nihtsang sy eac mid 105 gedremuw swege | gesungen and eanonica {)eawe 'xiter J)a7?i forman sealme | In te, rfo(491 Mjiwme, speraui .i., and {)?er hhn to gebyred

'■'' gecwedeuu;« Hs. -** von derselben Hand aus cweowieu. -^ i r«n derselben Hand über der Zeile. ^ lufe Hs. ^' g fränkisch. '^ i ge- dremre? ^ leaf Hs.

sonore dicta et canonifo niore, scilicet Dens, in nomine tuo et^ Beafi immaculati usque Legem pone, tunc dicto uersu genu fiexo peragant cetera silenter. post Pater no.'^ter dicitur silenter J'inet anima mea et '.»o laudabit tr usque in Hneni psaluii, sed priore perueniente ad con- fessionis locum facto signo agant confessionem. in ca^teris horis sinii- '.'•> liter residua capitula : ad tertiam a Legem pone usque (fol. 1 Ir) De- fecit^ alta uoce et uersus et caetera silenter; ad sextam a Defent-' usque ad Mirabilia : ad nonan a Mirahilia uscjue in Hnem. ucspera- i"-: similiter sonora uoce unusquisque psalmus cum anti}>hona et uersus et euangelium et caetera silenter. conipletorium a-que sonore et post 105 primum psaluuuu canonico more In, te, domine, speraui i.^ et euan-

y et feMl Hs. nnd DM. '^ Deficit D. -^ Defecit .1/. DeHcit ffy. und II i- i. fehlt M.

88. Deus, iu nomiue tuo Ps. 53,0. Beati iMnuiculati l's. IIS, 1. 80. Legem pone Ps. HS, ?<■?,. 91. Viuet anima mea u. s. iv. Ps. 118, 175. 94. Das schiracke Feinininmn formelle (o'/er sofite man im Xom. noch formella?) fehlt in den Wörterbikheni Ißosirorth-Toller 'CAbaJ. Es bedeutet Hank' : s. formella l)ei Ducamjc. 98. Defecit Ps. 118, 81. IUI. Mirabüia Ps. 118, 129. 1"J1. Maguificat Lue. 1. 4ti. 107. In te, domiue a. s. iv. Ps. .JO, 1: das i ist Zahlreichen und bedeutet, dafs ton

10 I'iin weiteres I5ru('li.stiick der Refriihtiis coiiconliu

\)(/'l godsjxil, ])a;l. is ] Nunc dimütis ; xiter ])iim I'nicr v/oster^ 7>i^>ace in id ipsu'in \ dormiam et rc(\\nescam, Credo in deum and, ])c(il I)jer

elles gel)yreft, | swigliuiga, ealswa we rer cwöedon. on J)yHU7« {)rini daginw I jeftcr geeiidunge |)ies priwsanges sy saltere gesungen | of anginnc oj) |)a?« ende, seiter pses salteres geendunge astrehte | singen lieora letanias, ealswa hit gewunelic is, and sij) {)an heora nedinge

115 georne rsedan od scocnylle, ])am ge hyredmw lii gescogen and ge- liwylce-** odre J)ingc jefterregules | f)eawe gefyllen. xiter heora capi- teles geendunge hy on scogen and to cyrican gän and jefter |)a»?i {>eawe '^'^ heora hyrsuw«^ nesse |)wean hyora cyrican flor, and |)a msesse- preostas | on ])3äve hwile mid haligwjetere '^^ {)wean |)a weofoda. on !

120 |)aw dsege nah mon to mressianne on tenigmn Aveofode, od ])(Et \ hy aj)wegene syn. &.ü,m geendedwn aJ)wegenu9/2 fotum hy eft | hy ge- scogeii. geendedww niiddtege sy mresse gesungen | |)earfenduwi nian- nu^w^ |)e on xr to |)awi gegaderade syn | tefter ])Sim get«le, ])e J)am

125 abbode odde abbodyssan ge {)uht bid. xfter ])iini gegsedereduw J)ear- iuni on J)ivslicere | stowe gan Jja gebrodra o])])e |)a gewysterna and heora | (jj. 5) mandatu«^ gefremman, J)?er singende antifeuas J)a?;i

^* gehwylcwM Hs. ^5 Jjweale Hs. ^^ das w ans |).

110 geliuni Nune dimittis, post Pater noster, In pace in id ipstmi. ]iis tribus diebus prima peracta psaUant psalterium ex integro unaniuiiter

112 in choro. post quod letaiiiam ° agant prostrati, deinde lectioni uacent, usque facto signo eant ad calciandum et reliqua more regulari coni-

11(5 pleant. facto namque capitulo discalcient se fratres et intrantes ecclesiani more obedientia; lauent pauimenta ecclesite sacerdotibus interim cum ministris altaris benedicta aqua Sacra altaria hxuautibus.

110 ea enim die non tit celebratio missiii in aliquo altari, donec lauetur.

122 quibus peractis lotis pedibus recalcient se. sexta peracta celebretur missa pauperibus ante ad hoc collectis secundum nimierum, quem'^

125 abbas prauiidei-it. dehinc collectis in locum congruum eant fratres ad agendum mandatum, ubi canentes antiphonas eidem'^ operi con-

(^ litaniam D3L (' quem DM, quse Hs. <^ eidem 1)31, eadem Hs.

den zwei Psalmen, an deren Anfamje In te, domine, speraui steht, tond, 70, der crstcre gememt i-^it (vgl. imten S. 28). 108. Nunc dimittis Luc. 2, 29. In pace ii. s. w. Ps. 4, 9. 110. jfer geht doch irold auf 99 /". 114. scocnyll fehlt in den Wörterhüehern (Bosworth 809 6. 818 6, EttmüUer 08G). 117. An dein Schreibfehler |)\veale für Jieawe /*< offen- bar das folgeiuk f)wean schuld. 120 f. on äinigum weofode, od Jjset hf ä|)wegeue syn; ^gl. xu Z. 83.

in iilteiiglischer Sprache. 11

selfan | weorce gedafene J)\vean and wij)iaii {)ara Jiearfejia^'^ fei mal eac I cyssen, and gesealduw wjetere to lieora liandiw?* sy Mim bigleofa geseald and penega gedal ?efter Jotes abbodes odde |)ffire | abbodyssan 130 dorne aiul dilite. |

^ijfter |)a?w on |)?eslicere tide sy non gehringed.^s J)a?n ge sungeniu« for digelre getacnunge sumes gerynes, | gif bit swa gelicad, gescryden by |)a •'^ gebrodi-a, gif bit uiunecas | syiid, and gaii to J)a!re cyrican 1^5 dura sceaft mid njedran | aulicnysse mid bi»? berende, and |)?er niwe fyr of füllte sy | geslsegen. ''^ on J)an fra?n fiam abbode gebletsedum sy seo caiidel on teiid, Jie on müde J)?ere n?edran geftestnod is, and swa gecyrren | to beora chore {)a^w cyricwearde J)oiie sceaft*' mid {)aw< leohte berendum, | and sy lefte^' J)a7w an tapor ontend. | H"

( )N |)üne syxtan dieg, ^cd is on |)one friged^eg, sy dtüt sylfe | gedon 011 Jiiiere ylcan endebyrdnesse, ^^ and se | diaconus J)oiie sceaft bere. '

v*N sietersdreg band swa gelice, and se profost J)one | sceaft fra?>i*^ 145 cbore eft to cbore bere. iefter J)ysum sy | mresse gesungen : let |)a!re niiessan iiate J)tes bwon | ne sy DominViS itobiscian gecweden, buton

•''■ Iiearfenda Ha. '-^^ h aus u yebessert. ^'-^ das a aus ve. (/ebessert. das 1 aus w? "" das a fiier ^/cr ZeeYe nachgetrayeri. ''- das xiceiie e ' über der Zeile nachjctraijeii. ''•'' f auf radiertem J).

gruentes lauent et extergant pedes pauperum atque osculentur, et data aqua manibus eoruni deiitur*' eis etiam cibaria, fiatcpie secun- dum abbatis arbitrium in eis distributio nummoruni.

Debinc bora congrua agatur noiia . qua cantata ob arclianum 132 cuiusdam mysterii indiciuni, si ita placuerit, induant se fratres et pergant ad ostium ecclesi* ferentes hastam cum imagine ser- (fol. n v) pentis, ibique ignis de silice excutiatur. illo benedicto ab abbate 137 candebi, quai in ore^ serpentis infixa est, ab illo accendatur, sicque ivjdituo bastam deportante'' cuncti fratres cborum ingrediantur, ' unus- que debinc cereus ex illo illuminetur igne. sexta feria eodem online m agatur, et^ a decano portetur; sabbato siniililer, a pra'positoipic de- feratur. et post basc celebratio missa^; ad quam Dominus uohiscu))! n^^

1' deuter Hs., verbessert DM. s? in ore] more Hs. und DM. '> doi)or- tantei Hs., verbessert DM. i ingredivmtur D. ' et] ac I^M.

1B8. on müde setxt in ore voraus, das sclion lici Marthie, De anti- quis monachorum ritibus lil)ri qtmique (Lucjduni, llino) p. ;'>85, .'<tatf des iUjerlicfertcn luore rcr mutet irorrlen ist. MI. liaiid n. Bosunrtli-Tullrr 508/;, l)esoiulcrs die dort ans Tluirprs Analeda auycfidirtc Stelle And ilyde band swa gelice. 140. uäte [lais hwöu stcld ohne Beleg bei Boswortk

12 Ein woitcifs B^ll(■ll^tii(■k drr RpgiilMii> ccjncordia

ivmii ])ii7)i biöcupc anuni, | |)ior hc liis criöjuaii gclialgad. (mm p&m seif an biscope sefter | J)ees lialgaii husles andfenge^'' sy*-'"' cos geseald

i^o J)a?;/ miosscpreostu?;/ imvini |iri\va Agnus ''^ dci gesiuigenum, | and I)iö ne sy gedyrstlajht. U-iitii adliges odres liades maunuyw. | on J){ieR d?eges miessan, ealswä liit ou odrum daguw/ gebyred, | sy husl geseald a?gder ge |)aw« gobrodru/;/ ge geswystenium | ge J)aw getrywan *'^ folces

ii5 maiiiui»?, and of \)'xm husle sy geheal den to {)a?;i toweardan dtpge {)jes niergenes swa | micel, ^(d hi ealle to hiisle gau nifcgen. |

JjLiÄier geendunge J)iere nuoi^san gan hi ealle endemes | to sna^dinge, and refter |)sere snaedinge nime se abbor/ | odde seo abbodis^e J)a ge-

160 brodra odde |)a geswysterna, | J)e hi wyllen, and gan to heora syn- drian niandatuw/ | jiara J)earfena, '*^ Jie hi ^^ to I)ani gecoreiie habbad. awf/ I J)onne''0 refto- {)a?« sy jefen gehringed, and sefter jefensange j gan {)a gebrodra odde relce geswyster fet J)wean and | wipian and

'"' busl and feug Hs. "** \ wischen sy «fic? cos «'.sY fra/;^ ha?/? bisceope iriederhoH in der Hs. *' g früidcisch. '*'' ry auf Rasur. ^* |)ara J)eara Jjearfena Hs. ^'■* h rtv^s anyefanyencm J). •'^'^ J)one ßs.

niinime dicätur, nisi ab episcopo tantuinmodo, ubi chiüsma conficitiir. 148 a quo etiam in eucharistia^ acceptione'" pacis osculuni prsesbyteris

ter Agnus dei decantato solunimodo detur, ab aliis uero minime pra?- 152 sumatur. in qua missa, sicut et insequentiuin " dieruni, comuiunicatio

pra^betur tarn fratribus, quam cunctis fidelibus, reseruata '^' nichilomi-

nus I' ea'i die eucharistia, qua3 sufficit ad communicandum cunctis 157 altera die. jieracta missaj celebratione omnes ad mixtum pergant ;

post mixtum, (pios uoluerit, abbas ex fratribus secum adsumeiis suum

161 peragat mandatum. quo peracto uesperas celebrent, dehinc refectio- nem fratrum agant; post quam tempore congruo eorundem agatur mandatum, qui tamen frati'es prius pedes suos diligenter emundent,

'" acceptatioue DM. " iusequentium %'u insequendum korrigiert. " reseuata Hs., verbessert DM. v nichil hominis Hs., nihilominus DM. <j ea] a M.

p. 249 a s. V. nate, fehlt aber in der neuen Ausgabe von Toller p. 709 ä. Vgl. auch Benediktinerregel ed. Schröer 08, 14 und 87, 1. 150. Agnus dei Joh. 1, 29. 15H. Der Dat. PI. geswysternum komtid aufserde?ti Z. 188 imd 205 vor, und ich habe ihn Z. 168 ergmixi. Der Ace. steht Z. 159 ge- swysterna. Die Lexica (Bostvorth-Toller 450a *-. v. geswystra) haben nur den Gen. geswystrena. 163. Ich kenne keinen Beleg für selc im Plural: auch erwartet man hier keinen solchen Zusat% %um Substantivum im Sinne von 'all'; ist et'wa selce = dem freilicli auch nicht sicheren got. aljaleiko (1. Timoth. VI, 3 in B), also der Positiv %u selcor, elcor? odde selce würde dann etwa tmserem 'oder aber' entsprechen. geswyster: s. xu Z. 153.

in altenglischer Sprache. 13

gecyssen, ■"»' and hini mid sw^^ce |)enas gan, | swylce hy to J)?eve h}T- ifi''- sumnesse geceosad. |

X)am geendedw», se abbof/ oJ)|)e seo abbodisse on heora setluw ' Sitten, and pa ealdras \\\m |)set seife gedon, and hi nefter | /"j!?. 6) dan arisen awc? eallum gebrodi'uy/? odde geswysternum •'»2 wreter to heora banduw | gesellen, and J)a ealdras hini eft ^(Bt seife don. mid mune- Qwm I ^onnc ongemang |)?es abbodes handpweale gange se diacon, 170 pe I J)jere wucan wiejoen is, and hine mid dalmatican gescryde | and |)a odre wicf)enas mid alban, and gecnylleduw beacne | gan hi in, and se diacon mid dalmatican gescryd bere |)a | Cristes boc, and |)a J)eningmen gesciydde giin widforan | mid taperum arid mid storcyllan, 175 and se diacon J)is godspell rsede, | Ante diem feshim. mynecena ^onne^ {)eah him swagerad scrud ne gebyrige, gan hi f)eah for ar- wyrdnesse |)ses | mseran d?eges mid taporum and mid storcillan, and swylc {)incg | be {Diere halgan rode nede, swylce hhn |)earflic sy to ge hyrenne. arul, swa seo cimbalu«/ •'»•^ sy geslsegen, gäu hi ealle | to iso beoderne, {)eah hwsedere seo rredestre and J)a |)eningrae'/t | gan on foreweardu^>i mid taporu7>^ and mid störe, and swa | in cumen lecge

51 gecyssan? •'■- geswysteruum frhli in der Hs. ''3 a r/y^s 1.

uenientesque ad mandatum epdomadarii ministri secundum morem suum abbatem anteeedentes mandatum agant, quos subsequitur' in coucha sua singulorum pedes lauans ministrantibus sibi, quos uolu- erit ad hoc obsequium ; quos extergat et osculetur. quo peraeto resi- \m deat abbas in sede sua, ueniantque priores et ei eadem exibeant, deinde surgens det aquam in manibus singulorum, rursumque ei eadem seruitus** exhibeatur. inde uero, dum manus lauant, /foL 1 S /-y it;;i diaconus epdomadarius*^ et reliqui ministri eant et induant so signoque collationis {i92 M) moto ingrediantur diacono dalmatica iiiduto cum textu euuangelii pr;i?cedentibus cereis et turibulo, legaturque euuan- gelium secundum lohannem Ante diefn festuni, donec tintinnabulum iw }}ulsetur: tunc pnvcedente processione subsequatur omnis congregatio,

'■ sequitur DM. « seruetus Us., rcrhrssorl DM. t, epddiimdaiiis //>•.. liebdomadarius DM.

171. mid dalmatican, ebenso Z. 17:5: icie ist der Nom. dieses in den Würffrlniclierii feldenden ]Vortes anx/isef7,en'f 176. Ante dieni t'estum Jo/t. l',], 1. 179. riede, /reit sicli dein Ul)erset\er in (le(laid,rii statt des Plurals hi als Subjelä seo räidestre (Z. 181) untersel/iebt: ryl. 18:5 lecge, ubgleicli s&o r^destre and })ä {)eningmen rorlivryelit.

14 Ein woitores I'niclistiick dvr Reüulnris coiiconli.'i

J)a hoc u}) on ilain rsediiigscamole, and J)a | penas on twa licalfa

isr. liyro niid taporuw? standan and rnid | ftsere storcyllaii wififoran mid

(lam halgan recelse | smociende. onmiuiü; {jan J)e heo standende

roede, scence | se abbod o{){)e seo abbodysse a-ne eedlwn gebrodru?« ,

o|)|)e geswysternuw heora band cyssende. •"'* ftan-e | |)enimge geen-

190 dedre sitte se abbofZ o3de seo abbodesse, | and seo nedingc rnid |)ysu?H

worde sy geendod, Tu auteni, \ dounne, miserere nostri. arise J)onne,

se |)e on {)am gefere | yldest bid, and scence {)aw abbode o])])e {)sere

abbodessan | and |)aw odrum penan, |)e {)fer stodon. geendedre rae-

195 dingp I and geendeduni scence stnsppe widforan se processio, | ])cBt

hy onscryden hy, gif bit munecas synd, ])fd hy gearwe | beon ealle

endemes heora nihtsang set ga^dere singan. ^•'' |

v)N |)one djeg, pe is parasceue gebaten, ^cet is | se langa frigedaeg

200 a^r eastron, sy uhtsang | gesungen ^^ on J)a ylcan wisan, {)e we wid- foran cwfedon. | a^fter dam gan to heora primsange unscodum | iotuni and swa unscodan wunigean, op seo haiige | Cristes rod gebeden sy. on ])&')» selfan d«ge | to rihtes nones gange seo abbodysse to cyri-

205 cean | mid hyre geswysternvw»,^ and ealle endemes ])ai gewunejlice gebed siiigen, {)e is foreboda-^'' a^lces tidsanjges. gif hit J)onne mune-

■""' cyssen Hs. ■'■> singen Hs. ^r. gefuugen Hs. •>' forahoda iJs.

cunctisque in refectorio residentibus idem diaconus stans prosequatur isf) euangelii sequentia imposito super ambone euangelio. Interim abbas

propinando circumeat" fratres cum singulis potibus singulorum oscu- 188 lans manus. qua peracta ministratione residente abbate dicatur Tu

autem, donimc. tunc a priore propinetur abbati et reliquis niinistris, 193 qui assistebant; euuangelioque finito potibusque haustis procedat. pro-

cessio, ut'' exuant se fratres sintque cum reliquis ad complendnm. 198 In diey parasceua? agatur nocturna laus, sicut supra dictvun est.

201 post hrec uenientes ad (p. XXXVIII D) primam discalciati omnes 203 iiicedant, quousque crux adoretur. eadeni enini die hora nona abbas

cum fratribus accedat ad ecclesiam ; qui, dum peracta oratione cum

tt circueat DM. ^ ut Hs., et DM. y In die] Inde Hs. /iml DM.

18o. rtediugscamol (vgl. 212 f. J)one r&dingcscamel) feldf in den Wörterbüchern (Bosworth- tolle r 78?)b/. 200. {)e we widforan ewsedon = sicut supra dictum est r/rht wohl cmf Z. 78. 202. unscodan n-ohl = unscodum; auf das SubJeJd be-.of/en. würde das Wort (/r/ri/'s nnscode hüten. 20(1. Die Leriea (Bosworth-Tollcr '60?>a) fuhren nur forboda an. aber foraboda .sr/r/ doeh wohl foreboda rorans. Im übrigen s. ■xu Z. 74.

in altenglischer Sprache. 15

cas'''* syn, oefter J)an gebede scryde"'^ | hine se abbod and |)a |)eiias {)a3s6" halgan weofodes tefter | (j-). 7) gewunelicum |)eawe, mid of J)an sacrario cumende, '^cet is, of |)am dihlan | and halgan scrudelshuse 210 cumende, jetforan |)a/?i altare hy gebidden, and {)anan se abbod mid swigean to his agenan | setle gecyrre, and se subdiacon gestige |)oiie rtedingc scamel and {)as rjedinge rfpde Ose§ proph^te, In trihv- laUiO)ie sua, and sefter {)fere {)es reps mid his feower fersum, | Do- 21.'» mme, audiui. lefter J)äm sy {)eos collecto frawi |)awi abbode mid cneo- wunge I gecweden, D^ms, a quo et ludas, and |)a^r asfter oder rseding,

■'>* c MÄer der Zeile naelnjrtragen. ''^ c über der Zeile nachgelrmicn. ^ s atif Rasur.

ministris altaris more solito indutus fuerit, ueniens de sacrario ante altaria orationis gratia inde cum silentio ad sedem accedat propriam '- : tunc subdiaconus ascendat ad legendum lectionem Ose» prophetre In 212 Irihulatione sua; sequitur responsorium Domine, audiui cum quatuor uersibus. postea dicitur oratio ^ ab abbate cum genuflexione Dens, 2i''>

'- proprium M. ^ dicitur oratio Dil/, datur oratione Hs.

210. scrudelshüs fehlt in den Wörterbüchern (Bosworth 816«, Ett- nüdler 697), die auch das einfache *scrüdels nicht haben, irofiir man idwigens *scrydels erwarten sollte: das ü ist tvohl aus scrüd ein/jedr//)/- gen. 212. subdiacon (rgl. Schröers Olnssar zur Benedikt inernyel) ist in den Wörterbüchern (Bosworth 361 c) nachzutragen = underdiacon (Bos- ivorth 412 6/ 213. Osee prophete 6, 1 (die autorisierte engl. Bibelid>cr- setzung zieht aber In their afflictiön they will seek me early zu 5, 15). 215. Domine, audiui auditum tuuni et timui: consideraui opera tua et expaui. Versus. In medio duum animalium inuotesces: dum appro- pinquauerint anni, cognosceris; dum adueuerit tempus, ostenderis. ]''er- sus. In eo, dum conturbata fuerit auima mea in ira, misericordiu' momor eris. Versus. Dens a Lybano ueniet et sauctus de monte umbro-so et condenso. Versus. Operuit cwlos maiestas eius, et laudis eins plona est terra Lihri agendorutn seeunduui ant. usuni metropol. salisl)urg. rrrl. pars sec. p. 148 ff. Ich habe die lateinische Form collecta ausge.sch rie- hen, da ich einen Beleg für den Notninativ in anglisierter Ge.stalt nicht Irenne. Die Wörterbücher führen das Wort gar nicht auf (Bosu-orfh- Toller \Qba). Ich kenne collectan als Nom. PI. (Benediktinerregel ed. Sehröer 37, 2; vgl. das Glossar, n-o auch collecta als Noni. Sing, ange- setzt ist), als Dat. Sing, oder Plur. collectan (Breck, Fragment of yElfrie's Translation of JEthelwold's De Consuetudine Monachorum p. 2Ü, Z. 62 nnd 68; p. 22, Z. 98) und als Acc. Sing, ein abgekürztes coli, (ebenda p. 26, Z. 132). 216. Dens, a quo et ludas reatus sui pdpnam et cou- l'essionis suse latro premium sumpsit, coucede nobis tua^ })ropitiationis eliectum, ut, sicut in passioue sua Ihesus (■hristus, dominus nostcr, diuersa utrisquc intulit stipcndia nieritorum, ita nobis ;il)lato uetustatis errore resurrectionis suu^ gratiam largiatur . qui tecum uinit '/'//'• Leofric Missal ed. ]Virren, ()xf)rd 188."., p. 9;!A; rgt. auch Codex llturgl<-ii.< ed. Daniel, Lipsiw 1847, I, 115.

16 Ein weiteres Bruchstück der Regularis concordia

Dixit dommws ad Moysen, and {);pr a^fter pes tralit, Eri2)e me, \ t/o- raine. xher I)a??i sy gerasd ures drihtnes J)rowung: let {)a;re | J)ro-

220 wunge aiiginne ne secge se diacon Dommus uohiscum, \ ac fordrihte Passiü domxni no&tri Jesu C/wist/ secimdion lohminem, \ and nan ne ands warige Glovia tibi, dom'me. {)onne mon rjede | Partiti^^ sunt uesiimenta mea, {)a twegen diaconas, | f)e standad on twa healfe ^xs altares, toteon^- ^cet getreagode | hraegl, |)e üp on {)a?>? altare*'^ ligd

22fi under paei'e Cristes bee, | on ])cet gemet, {)e |)aes haelendes reaf todaeled waes. se | abbod iefter {)ysum cwede f)a gewunelican | orationes, {je sefter fyligead, and cwede ä ])(et forme . . .

"' partite H'*. ''- teteonÄs. ''^ altare sfeJ/f in der Hs. ers^i liintrr Jjsere.

216 « quo et ludas. deinde legitur alia lectio, Dixit dominus ad Moysen,

218 sequitur tractus Eripe me, domine. postea legitur passio domini nosti'i

lesu Christi secundum loanneni: (fol. \^v) ad illam j^assionem dia-

conus non dieat Dominus uobiscum, sed Passio domim et reliqua nuUo

221 respondente Gloria tibi, domine. et, quando legitur in euangelio Par- titi sunt ue.<itimenta mea et reliqua, statim duo diaconi uudent altare sindone, qu.v prius fuerat sub euangelio jjosita, in moduiu furantis. ''

225 post h;i^c "^ celebrentur orationes, et ueniens abbas ante altare incipiat orationes solempnes, qua- sequuntur, et dieat primam sine genuflexione quasi legendo Oremns, dilectissimi nobis et reliqusi.

i* furantium DM. c hoc DM.

217. Dixit dominus ad Moysen Exod. 12, 1; s. Daniel a. a. 0. 1,41'); vgl. anch Ldbri agend. par.s sec. p. Iö4 nnd Leofric'.i Missol p. 26\b. {)es traht. BoswartJi 398 a hat bei diesem Worte kein Geschlecht angegeben, Etf- midler p. .'342 mit T^nrecht n-eiblichcs: rgl. außer unserer Stelk x. B.^Elfrir's Homilies 1, 104 J)one traht, 166 done traht imd Bonediliinrrregel ed. Schröer 30, 20 trahtas. Eripe me, domine, ab homiue malo, a uiro iniquo libera me u. s. iv. Libri agend. pars sec. p. 1-54 ff., Daniel I, 415. 220. secundum lohanuem: s\ doli. 18, 1 ff'. 222. Partiti n. s. n\ Joh. 19, 24. 223. Jjaet getreagode hraegl: (ge)treagian fehlt in den TTlhipr- bücherfi; vgl. aber die Glosse in Haupts Zeitschrift IX, 412« consiita ge- treagede und am Rande getreagode.

Die Übersetzung l<ann im allgemeinen als eine treue he- zeiclinet werden. Doch hat, ihr Verfasser gelegentlich selbst an solchen Stellen, au denen er sich nicht aus irgend einem Grunde seiner Vorlage gegenüber freier verhielt^ einzelne Ausdrücke, ja. Sätze des Originals nicht tciedergegeben. So hat er von Kon-

in altenglischer Sprache. 17

junktionen unberücksichtigt gelassen et Z. 87. 145. 221, uero 77. 170, autem 83, namque 116, enim 120. Unübersetzte Adver- bien sind tantuDi Z. 5, et 32 (vgl. 36), sirnul 49, similiter 102, nichilomiuus 155, statim 222 oder 223. Unausgedrückt sind auch die Pronomina idem 45, in eis 130, ab illo 137, secum 160. Keine Wiedergabe haben ferner gefunden die Ädjectiva saera 119, omnes 201, et reKqua 222. Von Verben sind weggelassen uenientes 22, ueniantque 167, agant 27, fieri 39, censuimus 67, eant 115. Älchts Entsprechendes haben endlich benedictioDem 5, intercessionein 13, fratres 117, pacis 149, collationis 172; finito responsorio 27, unanimiter in choro 112, cuiu ministris altaris 119, cuncti fratres 139, ex illo igne 140, ea die 155 (doch vgl. 152 on pses dseges msessan = in qua missa); sicut in priori diximus agendiun 8, idemque tertio repetaut eodem ordine 52. Man sieht, dafs diese Weglassungen nicht sehr zahlreich und für den Sinn meist belanglos sind. Ganz vereinzelt steht Z. 163 ff.: las hier vielleicht die Handschrift., welche der Übersetzer vor sich hatte, anders als Tib. A HI?

Weit beträchtlicher sind die Zusätze im altenglischen Text. Vor allem ist hervorzuheben, dafs von 124 an auch auf Frauen- klöster Rücksicht genommeti ist: so ist zugesetzt oMe abbodyssau 124, odde {)aere abbodyssan 130. 192, odde seo abbodisse 159. 166. 187. 189; ge ges^vysternuni 153, odde |)a geswysterna 159, odde selce geswyster 163, odde geswysternum 168. 188. Meh- rere Zeilen sind aus diesem Grunde hinzugefügt 176 180 tind 204 207. Diese Einschaltungen haben dann awc/i gif hit mune- cas synd 134. 195, gif hit {)onne munecas s}ti 207, mid muue- cum 169 nach sich gezogen und die erweiternde Wiedergabe der Vorlage Z. 180—186 veranlafst (vgl. seo rsedestre 181 für ideni diaconus, hyre 184, heo 186). Von sonstigen Zusätzen, die mehr als blofse Erläuterungen sind, erwähne ich micelre 39, welgestem- nede 45, on maran ylde 48, aene 87, sefter J)am Credo u. s. w. 92, and J)ajt swa tet 8egh\v}dces tidsanges ende healdeu 99 /. Er- weiterungen aus stilistischen Gründen oder Erläuterungen finden sich z. B. aelce sunnandage 2 f., |)e |)«s altares penunge on piere wucan healdan sceal 2 /',, Jüet is |)a3re maran halgunge foi-dgang 7, lerest pinga 8, dililuni 9, gegaderode 10, |)e hy to gad 14, hit cume to pisse endunge 15, |)e J)8er to gebyriad 23, peere cyrieau 25,

Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV.

18 Ein weiteres Bruchstück der Regularis concordia

be I)am candelau 28, aefter {)am godspelle 28, J)a selfan palm- twiga 29, selfan 30, I)jet is ures drihtnes |)ro\vnng 30 f., I)8et is gearcunge dsege 33 f., peah 32, |)e we batad {)üne punresdseg a^r eastran 36 f., mid gedremum swege 45 /'.^ singen |)us 47, swig ui swiguhtan 57 und swigdagum 80, micla 59, ealles 64, |)rowunge 65, hluttorlice {)urh J)as tacnunge wsere onwrigen 65 /". (vcjl. 62), on pissa boca muniic|)eawe 67, buton him selfon |)e bet licie 72, maegen 78, on |)a ylcan wisan sy gesungen 79 u. s. iv.

Es sei auch auf einige Umschreibunge» liingeiviesen : ordi- natim = and on J)am gange, ealswa hit on selcum gebyred, heal- dan heora endebyrdnesse 11 /'.; euangelii antiphona = pses anti- fenes, |)e mon on ende be |)an halgan godspelle singp 43 f.; repertus = aredod and to gewunan geset 59; perculit = |)earle swide bregde 62 ; si quibus deuotionis gratia complacuerint = gif hit hwam gelicad, |)8et he mid estfulnesse f)isne gewunan to anbryrdrnesse healdan wile 68 /'. ; capitula canonici cui'sus = canonica tidsangas todseledum sealmum 75; eadem capitula =r {)a selfan angin {)8era toda^leclan sealma (fJTi /. ; cetera = {)a gebeda, {)e to {)am tidsange gebyriad 89 /'. ; caetera = eUes seo laf, {)e |)8er ofer is 104; ex integro = of anginne 6p {)am ende 112; secundum arbitrium = aefter . . , dorne and dihte 131.

Oft ist die Übersetzung frei: maior restat processio agenda = seo processio paes daeges laengre is 1 f.; agatui* a sacerdote tantum conspersionem et benedictionem agente = se maesse- preost . . . begange |)a mynstres hus and mid haligwaetere be- sprenge 4 ff. ; in qua ita ... agatur = J)8et is {)onne on |)as wisan 8; quod sequatur benedictio palmarum = aefter |)issum syn {)a palmtwiga gebletsode 16 /'. ; thus cremetm- r= (syn |)a palmtwiga) mid recelse besmocode 18; egrediantur = gan to paere heafodcyrican und dann aetforan paere dura = ante aeccle- siam 21 /'. ; oumibus . . . respondentibus = aet aelces ferses ende eal J)aet wered |)«r ute . . . andswarigen 23 /'.; quinta feria, qua? et <:;ena domini dicitur -- on cena domini, paet is on drihtenes gereor- de 36; peracto, quicquid ad cantilenam illius noctis pertinet = aefter |)aere geendunge ealles paes sanges, J)e mon to J)aere nihte sing]) 41 f.; nihilque iam cereorum luminis remanente ■=: acwun- cenum eallum leohtiun 44; demum pueri dexterioris chori repe- tant, quae supra, eodem modo, quo supra, usquequo chorus finiat

in altenglischer Sprache. 19

quse supra = edniwan |)a cild on pam suctportice ]}set seife, |)8et we ser cwiTedou, geedlsestan and |)a odre ealle eac swa, ealswa hit gecweden is 50 ff.; agant tacitas genu flexo raore solito preces = ealle eudemes to cneowgebeduin feallan and mid dihlum gebedum gewunelice mid micelre anbryrdnesse him to Criste geserendian and ealle endemes mid tacne J)ajs ealdres ariseu 53 ff. ; habeant in bis, unde huius rei ignaros instruant = hsebbe gewriten, hu he hit don scyle and odre gelseran, |)e on J)am ne synd getogene 69 /'. ; cum summo uigilantes silentio agant = wacien hi mid godes bletsunge and mid healicre gymyne heora swigenne heal- dsende {)8et began 83 ff.; u. s. w.

Von Ungenauigkeiten seien erirähnt: Singular statt des Plu- rals |)isne antifen = antiphonas 19; Plural statt des Singulars letanias = letaniara 113; Konjunktiv statt des Indikativs sy ge- cweden = dicitur 31. 74, sy geandswarod = respondetur 32, syn gesungene = dicuntur 78, cweden ^= dicitur 91, sy geseald = prajbetur 153; Präs. des Pass. statt Per f. des Deponens weord ongunnen = exorsum est 41. Vgl. ferner gif h}' swa willan = qui uoluerint 82; ne = rainime 151; dagum = passionibus 33; urne drihten = Christum 64; rsedinge ^= euangelio 193; odrum = insequentium 152. Z. 30 ist offerant in der Vorlage^ das dem vorhergehenden teneant parallel stellt^ statt durch offrigan durch ofPrige loieder gegeben tvorden, so dafs es sich an o]) |)ait man sefter paere offrunge |)one offerendan singe (= usque dum offertorium canetur) anschliefst. Z. 2 ist der Nom. illa für den vom Komjjarativ maior abhängigen Ablativ genommen und so durch |)onne seo übersetzt worden. Wenn es 23 heifst mid {)am fersum eallum, so hat der Übersetzer offenbar cum uersibus Om- nibus verbunden^ freilich dann omnibus, das zu respondentibus gehört, auch noch Z. 24 durch eal J)8et wered |){er ute ausge- drückt.

Es fragt .nch nun zunächst, ob die Übersetzung vielleicht Benützung der Interlinearglossen in Tib. A ITI verrät. Chrono- logisch wäre das möglich, da die Cambridger Hs. nach Wanleg p. 137 circa tempus conquisitionis Anglise zu setzen ist, dagegen die Londoner nach demselben Gewährsmann p. 193 ante cou- quisitionem Angliie, nach Breck a. a. 0. p. 8 sogar noch ins 10. Jahrhundert. Schipper hat nun auch die Güte gehabt, mir

2*

20 Ein weiteres Brucbstü(-k der Regularis conconlia

den Anfang der Glossen zu dem, uns hier beschäftigenden Ah- schnitt der Regularis concordia (fol. Ib v. Mitte bis Ende) ab- zuschreiben^ und ich teile ihn hier mit.

On drihtenlicum daege palmena for{)i{)e mare wunaj) embegang Dominica die pahiiarum, qiiia maior restat processio

to doune seo J)e gewun ys on claustre beon gedon on gemang {jienne (({fenda, illa, qucB solet in daustro agi, interim, dum

capitel- msesse byd gesungen si gedou fram mfessepreoste ^cft an niatutinalis missa canitiir, agatiir a sacerdote tantum

sprencginge and bletsunge dondum geenddudre {isere messau si gedou conspersionem et henedictimieni agente . ßiiita illa missa agatur

seo mare embegang on {)sere swa on serran we cwsedon to doune swa illa maior processio, in qua, sicut in priori diximtis ageiidum, ita

bit si gedon \)a:t ys {)8et to {)8ere cyrceau J)ar |)a palman synd under agatur; id est, ut ad illam ecclesiam,, ubi palmce sunt, sub

swigeau be endebyrduysse gau uuderdeodde sealmsange ealle gif Mt beon silentio ordinatim eant dediti psalmodice omnes, si fieri

mseg and weder ge{)afa{) mid albau gesrydde > J)ydder Jjsenue in becumaf) potest et aura permiserit, albis iuduti . qiw cum peruenermt,

dou gebedd J)£es halgau biddende fultumes {)iuguüge j^am. agant orationem ipsius sa/icti i/tiplorantes auxilii intercessionem, eui

seo cyrre gehalgud ys geendedum gebede fraui diacone si rsedd J)«< ecclesia dedicata est. finita oratione a diacono legatur euan-

godspell J)«< fylige

gelium Turba multa usque Mundus totus post ipsum abiit. qiiod sequatur

bletsung pealmeua aefter bletsuuge beon gespringede ' mid geblesudum ' benedictio palniariim ; post henedictionem aspergantur benedicta

waetere and stör si ba^rued |)ar sefter cildum oncyunedum ' autefnas aqua et thus cremetur . dehinc pueris inchoantibus atttiphonas Fueri

beou gedselede {)a palmau and swa maran antefnuw^ Hebreorum disfribuantur ipse palme, et sie maioribus atitiphonis u. s. w .

Hätte der Übersetzer die Glossen vor sich gehabt, so hätte er gewifs das lat. processio Z. 1 und 7 ebenfalls durch das ganz passende embegang wiedergegeben, hätte Z. 2 illa nicht für den Ablativ genommen und würde häufig dem Glossator gefolgt sein, ivo seine wörtliche Übersetzung nicht dem Geist der englischen Sprache widerstreitet. Nirgends findet sich eine Übereinstimmung , die nicht auch ohne die Annahme eines Zusammenhangs der Übersetzung und der Glossen er- klärlich wäre.

so die Handschrift.

in altenglischer Sprache. 21

Eine, zweite Frage ist sodann^ ob das hier mitgeteilte Bruch- stück, das tvir C nennen ivollen, etwa derselben Übersetzung der Regularis concordia angehört, toie das von Schröer in den Englischen Studien IX, 294 ff. und von Breck a. a. 0. y. 16 ff. aus Tib. A m fol. 174 r ff. veröffentlichte (= L). Die Frage iväre zu verneinen, tvenn Breck seine Behauptung (a. a. 0. p. 11 ff.), dafs L alles enthalte, ivas der Verfasser von dem lateinischen Original überhaupt übersetzt habe, wirk- lich betüiesen hätte. Allein der einzige Grund, den er dafür vorbringt, ist der Umstand, dafs, während die ersten fünf Seiten von L vollgeschrieben sind, fast die ganze untere Hälfte der sechsten leer gelassen ist und die Übersetzung mitten in einem Satze aufhört. 'From this/ sagt er p. 12, *I conclude that the author, who had abimdant room on the page to finish at least the sentence begun, intentionaUy left the Fragment in- complete, as we have it.' Breck hat, als er diesen Schlufs machte, nicht daran gedacht, was er sonst sehr ivohl weifs (vgl. p. 13), dafs wir in L keineswegs das Autograph des Verfassers haben. Also die sechste Seite hat nicht der Ver- fasser, sondern ein späterer Kopist zum Teil unbeschrieben gelassen: der Grund kann sehr wohl der gewesen sein, dafs er im Augenblick nicht Zeit oder Lust hatte, mehr abzuschrei- ben, und später nicht mehr dazu gekommen ist, seine Arbeit fortzusetzen. (J zeigt nicht blofs am Ende, sondern auch am Anfange leeres Pergament (s. oben S.l): hier hat der Schreiber aus uns freilich unbekannten Gründen nur einen mittleren Ab- schnitt aufgezeichnet, hatte aber wohl, nach dem unbeschrie- benen Räume zu schliefsen, die dann allerdings nicht ausge- führte Absicht, auch den Anfang und Schlufs nachzutragen. Dafs C nicht etwa von Anfang an Bruchstück war, scheint mir namentlich aus dem Verfahren des Übersetzers Z. 27 zu folgern. Das Original giebt hier eine unbestimmte Hinweisung auf einen früheren Abschnitt mit den Worten sicut supra dic- tum est. Hätte nun jemand etioa nur die Partie, die den Palmsonntag und einen Teil der Karwoche behandelt, zur Übersetzung her aris gegriffen, so hätte er den eben angeführten Satz entioeder in ganz mechanischer Weise wörtlich übersetzt oder, ivenn er mit einigem Nachdenken verfuhr, als für ihn

22 Ein weiteres Bruchstück der Regularis concordia

bedenitingdo.s ircjjf/elasseu: icer aber schreibt eallswa we wifl- foran cwiedou be I)am candelan, imifs auch den Abschnitt^ auf den hier an (je. spielt icird (vgl. oben die Anmerkung zu, 27 f.), übersetzt haben.

Also von vornherein ist die Möglichkeit, dafs C und L Bruchstücke derselben Übersetzung seien, nicht ausgeschlossen ; aber zur Entscheidung der Frage reicht das Material, scheint mir, nicht aus. Für die Zusammengehörigkeit lä/'st sich gel- tend machen, dafs im grofsen Ganzen das Verhältnis des eng- lischen Textes zum lateinischen in beiden Stücken dasselbe ist. Auch in L bleibt manches unübersetzt : gratia 6. 43, cum benc- dictione 10 (an dessen Stelle nur {)us), legitime 13, uaturse und, sie 31, intrans 34, conspectu 36, uti in sequentibus 47, et 70. 130, gradimm oder singillatim 81, pulsatis 86, uero 91, et con- uenit 99, diei 104, deiiote 134, more solito 137. Auch Zusätze erscheinen häufig: lialigaD 14. 74, halgan 109, Beuedictus 15, for |)am |)e 17, selcum 17, telcere 122, eab-a 20, eal 28. 33 (vgl, 63), brodru 35, seofan 45. 134, he bidde 49, Miserere I)ingieude 58 60, and for eallum uruni Aveldondimi 61 /'._, I)sere 65, eallum &7, gebrodrum 75 f., J)oune 78. 123. 129 u. s. u\ Freiere Wieder- gabe zeigen Stellen loie to |)are gewunelican neode := ad necessi- tudinis usimi 101; ou heora gebedum =^ orationibus dediti 102; senne :== antiphonam 109 ({)one antemp geht vorher); be I)ses halgan arwurdnysse, |)e byd gewm-dod on I)8ere audweardan cyr- cean = de sancto, cuius ueneratio in prsesenti coHtur ecclesia 110 /".; be I)8ere cyrichalgmiga = de ipsius loci consecratione 112; softer De Omnibus sanctis = post quas laudes 117; I)ser betwynau =^ psalmo interposito 135. Von Ungenau igkeiten seien erwähnt: singon = intercanitur 140; he begyte = obtineat, wobei uox, loie im vorhergehenden Satze, Subjekt ist^ 42; {)am J)e = quod 19; odran = matutinales 114; on dsegderlicum dagum and nihtum = diuruis sine nocturnis lioris 3 f.; J)ass pelmihtigau scyppendes = cuncta (die Hs. cimcti) creantis 19 /'.; ealswa hi standad 81, mag es für graduum oder singiUatim stehen.

Dafür, dafs die Bruchstücke aus verschiedenen Über- setzungen stammen, könnte geltend gemacht werden einmal der Umstand, dafs sich C loeniger sklavisch als L an die Worte u)ul Konstruktionen (vgl. Breck jj. 13) des Originals bindet.

iu altenglischer Sprache. 23

sodann aber die Thatsache^ dafs L viel mehr Mifsverständnisse des lateinischen Textes zeigt als C. Breck p. 13 erwähnt aller- dings nur ein einziges: 'A. wrong; translation will be fouucl in line 141 pas ttcegen sealmos, where the Latiu text gives but one psalm to be sung twice/ Übrigens hat hier Breck selbst das Lateinische rai/'sver standen. Das Zeichen II hinter In te, do- mine, speraui besagt nicht, dafs der Psalm ziceimal, sondern dafs von den beiden Psalmen, die mit In te, domine, speraui anfangen, 30 und 70, der letztere gesungen iverden soll. Das hätte Breck aus Z. 126 seines Bruchstilckes lernen können, wo die Worte des Originals Domine, ne in furore tuo .II. ivieder- gegeben sind durch J)one seftran Domine, ne in furore tuo (hier ist also 37, nicht 6 gemeint j vgl. auch Schröer, Engl. Studien IX, 295, Anm. 9 und oben Anm. zu 107). Ferner ist dies, nne schon angedeutet, keineswegs das einzige gröbere Versehen in L. Bald, am Anfange ist omnia, welches Subjekt zri inchoentiu' ist, zu deyn vorhergehenden gezogen ivorden, das der Übersetzer in der Gestalt exordia sumenda vor sich gehabt oder sich gedacht haben mufs : so erklärt sich auch Z. 5 synd to nimene eaUe anginnu. Bei hie igitur maximi muniminis mos ist hie Z. 11 fälschlich, wie übrigens auch vom Glossator in Tiberius A EQ, durch her statt durch J)es übersetzt ivorden, dann maximi muni- minis durch |)8es halgan regoles (durch msestre wäre vom Glos- sator). Für die Worte etiam, si singuli quippiam inchoaueriut leseii u:ir Z. 15 |)eah |)e aenlypige senigne oderne agynne, tvozu sich der Übersetzer icohl aus dem vorhergehenden J)eaw gedacht hat. Gleich dahinter ist intermittatur unter Verwechselung mit permittatur durch sy ge|)afod wiedergegeben. Z. 80 kann frei- lich fiftynum sealmum ein durch die vielen Dative auf -um, die vorangehen, veranlafster Schreibfehler statt fiftyne sealmas sein. Aber ti.nzweifelhaft liegt ein Versehen des Übersetzers vor, wenn es Z. 115 f. heifst to |)8es halgan reliquie odde to |)am portice, f)e he byj) to gehalgod. Das Original hat ad uene- rationem sancti, oui porticus, ad quam itm*, dedicata est. Z. 129 ist primimi adverbiell gefafst und daher durch serest statt durch {)one forman oder serran übersetzt und infolge dessen dann auch das mit primum parallel stehende sequentem ganz weggelassen ivorden. Auch der letzte vollständig übersetzte

24 Ein weiteres Bruchstück der Regularis concorrlia.

Satz isl mißraten. His uero finitis subsei^uatur ketania, quam uniuerso (lies, loie bei Duydah;, universi) more solito prostrati humiliter uiillo excepto signo pulsato compleant keifst es im Original. Die Ühersetzung Z. 136 ff. lautet I)ysum sodlice geendoduni licgan lii ealle eadmocllice astrehte setforau {)am weo- fode buton selcere cuuciinge odde styrunge, od liit beo eal ge- fylled. Klar ist, dafs der Übersetzer excepto übersehen U7id deshalb nullo signo pulsato zusammengenommen hat: aber, ivas ihn veranlafst hat, das Übrige so wiederzugeben, icie er ge- than, ist mir unerfindlich.

Aber mit Sicherheit ist auf zwei verschiedene Übersetzer trotz der angeführten Gründe deshalb nicht zu schliefsen, weil es denkbar ist, dafs derselbe Mann bei fortschreitender Übung einmal weniger Fehler machte, andererseits auch den Sinn des Originals mit gröfserer stilistischer Freiheit wiedergab.

Dafs uFlfric der Übersetzer des Bruchstückes L sein könnte, wie auch noch Breck p. 9 f. annimmt, glaube ich ent- schieden bestreiten zu müssen. Was Breck zur Stütze seiner Annahme vorbringt, betceist gar nichts. Die Ausdrücke ende- byrdness, mid eadmodre J)enmige, eornostlice für eine lat. Kon- junktion, onbryrdnesse, eac swylce, endebyrdlice sind durchaus nicht JElfric allein eigen, tvie schon ein Blick in die Lexica, zeigt. Sie fallen nicht im mindesten ins Gewicht gegenüber den vielen groben Mifsverständnissen des Originals, die sich der Verfasser der lateinischen Grammatik und des Colloquiiims gewifs nicht hätte zu schulden kommen lassen.

Berlin. Julius Zupitza.

Kritisch - ästhetische Studien

über

James Thomsons Tragödien.

Es ist bekannt, wie gar traurig und kläglich es um das Drama und die nationale Kunstbühne Englands im 17. Jahrhun- dert bestellt war. Seitdem im Jahre 1647 auf Befehl der streng orthodoxen Puritaner, die leichter ihren legitimen Souverän töten als einen lustigen Scherz vertragen konnten (vgl. Drydens Ab- handlung über die heroische Tragödie), sämtliche Theater Eng- lands geschlossen worden waren, und alles, was an die Bühne und das Bühuenwesen erinnerte, verpönt worden war, kamen nur ganz vereinzelt heimliche Aufführungen vor, und diese wm-deu meist aufgehoben und mit grolser Strenge bestraft (vgl. Collier, ffist. of Dram. Poetry Bd. 2, p. 104 ff.). Der Oberregisseur der Bühne, Sir William Davenant, durfte, wenn die Puritaner wirk- lich wieder einmal gnädig genug waren, die Theater nach langen Pausen öffnen zu lassen, nur Stücke moralischer Tendenzen und Muster moralischer Tugendhelden über die Bretter gehen lassen. Mit der Restauration der Stuarts, der Heimkehr Karls IL nach Eng- land, schien es, als ob sich die niedergedrückte und verkümmerte Bühne A^neder aufrichten wollte, und neue Hoflfhungeu knüpften sich an die glänzende Wiedereröffnung derselben. Allein diese Hoffnungen soUten sich leider nicht verwirklichen. Karl H. stand infolge seines jahrelangen Aufenthalts in Frankreich am Hofe des kunsthebendeu Ludwigs XLV. ganz unter dem Einflüsse des französischen Klassicismus oder, besser gesagt, Pseudoklassicismus und wünschte um- solche Stücke in England aufgeführt zu sehen.

26 Kritisch-ästhetische Studien ül)cr Jauics Thumsous Tragödien.

die iiu Sinne und Geiste der klassischen Dichter der Franzosen abgefal'st waren.

Nun waren aber in den ersten Jalu'cn der Eestaurationszeit zum Heil und Segen für England sowohl bei den Dichtern als ganz besonders bei den Gebildeten die Erinnerungen an die klassische Litteraturopoche unter der Regierung der Königin Elisabeth und vor allen anderen Dichtern an den grofsen Na- tionaldichter Shakspere, dessen Stücke immer noch als Muster der tragischen Dichtung galten, noch nicht erloschen, und es ent- standen durch eine seltsame, unnatürliche Verquickung nachwir- kender volkstümlich altenglischer Anschauungen und eindringen- der französischer pseudoklassischer Vorbilder die sogenannten 'Heroic Plays', Stücke tragischen Inhalts, die aber auf den Namen einer kunstmäfsigen Tragödie Avenig oder vielmehr gar keinen Anspruch erheben können, deren Blüten und Früchte ebenso schnell wieder abfielen mid vergingen, als sie aufgebrochen und gereift waren.

Dryden, der hervorragendste Dramendichter der englischen Restaurationszeit, wie überhaupt des ganzen 17. Jahrhunderts, wai' mit den Stücken nach französischem Zusclmitt, so nament- lich mit der Aufführung des 'Siege of Rhodes' von Daveuant durchaus nicht zufrieden; er tadelte au den aus der französischen Riclitung hervorgegangenen Dramen die langweilige Einförmigkeit der Handlung und der Charakteristik und schrieb selbst eine Reihe von Heldentragödien, lauter Spektakelstücke, in denen er durch Geisterspuk imd Schlachte ulärm an Shakspere erinnern und durch die Wahl heroischer Stoifc und gereimter Verse die Franzosen, namentlich Corneille befriedigen wollte. Wie viel oder wie A\enig von all diesen in schneller Reihenfolge verfal'sten Heldentragödien (Heroic Plays) zu halten ist, darüber hat sich Hettner in seiner englischen Litteraturgeschichte, Braunschweig 1872 (vgl. den Abschnitt über Dryden S. 84 £F.), hi kompetenter und streng kritischer Weise ausführlich geäufsert. Trotzdem er- reichte die von Dryden geschaffene Heldentragödie eine Zeit lang die unbedingteste Anerkennung, und es hatte wirklich den Anschein, als ob sie sich dauernd auf der englischen Bühne halten wollte. Als jedoch Drydens Heldentragödien durch 'The Reheai'sal' köstlich parodiert wurden, da war es mit diesen

Xritisch-ästhetische Studien über James Thomsons Tragödien. 27

Stücken auf iuuiier vorbei, imd Diytlen selbst schlägt einen ganz neuen Weg ein. Er entfernt sich zwar durch das Aufgeben der gereimten Verse von den französischen Vorbildern, nähert sich ihnen aber desto mehr im Stil und in der Charakteristik, so dals seine letzten Stücke entschieden französischer zu nennen sind als seine Erstlingswerke. Für die damahge Zeit waren übrigens trotz alledem die Drydenschen Dramen der zweiten Periode nicht ohne Wert, wenn sie auch heutzutage gänzlich von der Bühne verschwunden sind imd nur noch für den Litterarhistoriker und Sprachforscher von Fach Bedeutung haben. Während nun die Tragödie so seltsame Blüten trieb und so verkümmerte Früchte zeitigte, war die Komödie in wirklich ganz grauenvoller Weise entsittlicht. Sie war die getreue Abspiegelung des I^ebens am Hofe der Stuarts, wo mit Karl II. ein König an der Spitze stand, der zusammen mit seinem glänzenden Hofstaate durch eine entsetzhche Verwilderung der Sitten für Dichter und Volk ein schlechtes Beispiel abgab. Wie sich aber die Extreme stets berühren, so blieb auch hier eine Reaktion nicht aus, und an die Stelle des verwilderten Lustspiels trat das streng moralisie- rende Drama mit seiner in auffälliger Weise am Schlüsse der Stücke ausgesprochenen Tugendmoral. Diese Tugendstücke waren nun freilich, ebenso wie die Romane Richardsons, inhaltlich meist recht wenig moralisch, wollten aber gerade durch die Schluls- moral dem Zuschauer ein abschreckendes Beispiel geben und ihm warm ans Herz legen, es nicht so zu machen wie die handelnden Personen im Drama. Wie gefährlicli solche negativ ausgedrückte Moralregeln werden können und werden, braucht wohl kaum erst betont zu werden. Um die Zeit der Herrschaft des moralisie- renden Dramas schrieb Thomson seine Tragödien.

James Thomson (vgl. zu Thomsons Leben 1. llcttncr, Ge- schichte der englischen Litteratur von 1660 1770, Braunschweig 1872; 2. Sara. Johnson, Lives of English Poets in II, 305 der Tauchnitz-Ausgabe), ein Schotte, wurde zu Ednam in der Graf- schaft Roxbm'gh am 11. September 1700 geboren. Sein Vater, der presbyterianischer Geistlicher war, erfreute sich infolge seiner echt religiösen, frommen Gesinnung und der treuen Erfüllung seiner Berufspflichten der allgemeinen Liebe und Achtung der in der Nachbarschaft von Roxburgh Avolmeudeu Geistlichkeit.

28 Kritisch-ästhetische Studien über James Thomsons Tragödien.

Der Juuge 'riiomsou bezog kurze Zeit vor dem Tode seine.s treu sorgenden Vaters die Universität Edinburgh. Nach dem Tode des Vaters nahm sich Riccaltoun, ein GeistUcher von gediegener Bildung, grolser Gelehrsamkeit und feinem ästhetischem Ge- schmack, des vaterlosen Thomson au, sorgte für seine weitere Ausbildung und entdeckte die in seinem jungen Zöglinge schlum- mernden Talente für die Dichtkunst. Thomson ^v^dmete sich gleich wie sein Vater, wohl weniger aus Neigmig als vielmehr auf Wunsch seiner Mutter und Freunde, dem Studium der Theo- logie imd war ein eifriger Zuhörer des gelehrten Professors Hamilton an der Universität Edinburgh. Hier studierte Thom- son nicht blol's die lateinische Sprache, die lateinischen Klassiker und die in lateinischer Sprache verfal'sten englischen Geistes- produkte, sondern las auch gründlich die besten englischen Schrift- steller. Die toten lateinischen Schriftsteller befriedigten sein für die Schönheiten der Natur empfängliches Gemüt ganz und gar nicht, und er bildete seinen Geschmack an Milton, Addison imd Pope. Im Jahre 1725 siedelte er nach London über, nachdem er vorher eine treflFliche poetische Exegese über einen die All- macht Gottes und die Gröise seiner Werke verherrlichenden Psalm gegeben hatte. Diese Exegese fand den vollen Beifall seines Edinbiu-gher Professors, war aber nach dessen Aussage viel zu poetisch und schwungvoll für em grofses Publikimi und eine gewöhnliche Zuliörerschaft. Dieses Urteil besonders veraulalste Thomson, der theologischen Laufbahn Lebewohl zu sagen imd in London, wo er bald iu Forbes, dem Präsidenten of the 'Court of Sessions', einen hohen Gönner und Beschützer fand, seine ganze Thätigkeit auf litterarische Studien zu verwenden. Er hatte das Manuskript der ersten seiner 'Seasons', des 'Winter^, mit nach London gebracht und auf den Rat seiner Freunde, be- sonders Mallets, und nach nochmaliger Überarbeitung sein Erst- hugswerk der Öffentlichkeit übergeben, im März des Jalu'es 1726. Der 'Winter' wm'de vom Publikum mit grofsem BeifaU aufge- nommen. Nur die Kritiker von Profession hatten allerhand daran auszusetzen; sie tadelten die kühnen Metaphern, die vielen Neu- bildungen zusammengesetzter Wörter, Unebenheiten des Stils etc. Es folgten sodann in ziemlich kurzer Zeit die übrigen Jalu'es- zeiteu: der Sommer im Jahre 1727, der Früliling 1728 und

Kritisch-ästhetische Studien über James Thomsous Tragödien. 29

der Herbst in der Gesamt - Quartausgabe im Jahre 1730. In der Zwischenzeit hatte der Dichter auch die Tragödie *Sopho- uisba' geschrieben, welche im Jahre 1729 mit Beifall über die Bretter ging. Scherr (vgl. Joh. Scherr, Gesch. d. engl. Litteratur, Leipzig 1874, S. 150, Anm.) erzählt allerdings eine Anekdote, wonach durch den Ausruf eines Spafsvogels im Parterre: 'Oh, Jemmy Thomson! Jemmy Thomson, oh!' das Stück so gut wie durchfiel. 1727 veröifentlichte Thomson sein Gedicht über Tsaac Newton' und jiries in erhabener Sprache die groisartigen Entdeckungen dieses genialen Mannes. Um dieselbe Zeit er- schien auch das in whiggistischer Gesinnung verfafste Gedicht 'Britannia', worin der Dichter die Engländer auffordert, den wider- rechtlichen Übergriffen und Anmalsungen der Spanier in Amerika rächend ein Ziel zu setzen. Der Erfolg der Jahreszeiten war so durchgreifend und glänzend, dal's sich hochgestellte Persönlich- keiten, darunter auch vornehme Damen, um des Dichters Freund- schaft bewarben. So lernte Thomson den Dr. Ruudle, Bischof von Derry, kennen, der ihn so warm an den Lordkauzier Talbot empfahl, dafs dieser ihn dazu ausersah, seineu Sohn Gharles auf seinen Reisen auf dem europäischen Kontinente, besonders in Frankreich imd Italien, zu begleiten. Diese Reise w^ar von hoher Bedeutung für den jungen Dichter. Es eröffnete sich ihm eine vollkommen neue Welt. Er lernte neue Länder, neue Völker, deren Sitten und Gebräuche, Künste und Wissenschaften, das gewerbliche und merkantile Leben, fremde Regieruugssysteme und staatliche Institutionen kennen. Nichts von Interesse und Wichtigkeit entzog sich dem scharf beobachtenden Auge Thom- sons. Die Frucht dieser auf seinen Reisen gemachten Beobach- tungen war das bald nac^h seiner Rückkehr nach England ver- fafste Gedicht 'Upon Liberty'. Mitten in seinem sorglosen Schaffen und Dichten traf ihn ein harter Schlag, den er lange nicht verwinden konnte. Es wurde ihm sein treuer Reisegenosse, der junge Talbot, und kurz darauf der Lordkanzler Talbot selbst durch den Tod entrissen. Mit dem Tode Talbots verlor er auch seineu Posten als 'Secretary of Briefs'. Der Nachfolgei* Talbots liefs die Stelle zunächst frei, um Thomson Gelegenheit zu geben, sich darum zu bewerben; allein der Dichter war so uiedergeschlageu und so gleichgültig geworden, dafs es ihm uicht in den Sinn

80 KritiscJi-ästhetische Studioii iUxT Jaiiies Tlioinsons Tra^rxlicn.

kam, auch mir den geringsten Schritt in dieser Sache zu thuii. Mit der Zeit Jedoch trat an die Stelle seiner niedergedrückten Gemütsstimmung wieder die alte heitere Ungezwungenheit, und er wurde wieder schafFensfroh. Im Jahre 1788 wurde seine 'JTa- gödie 'Agamemnon' mit Erfolg auf der Bühne aufgeführt, und die wiederholte Aufführung brachte dem Dichter eine beträcht- liche Summe Geldes ein. Kurz darauf beginnt für den Dichter eine imgetrübte, sorgenfreie und ehrenvolle Lebenszeit. Lord Lyttleton, dem Thomson weder persönlich noch durch Empfeh- lungen guter Freunde, sondern lediglich durch seine Werke be- kannt war, führte den Dichter am Hofe seiner königlichen Hoheit des Prinzen Friedrich von Wales ein. Dieser setzte Thomson ein beträchtliches Jahresgehalt aus und -würdigte ihn seiner be- sonderen Liebe und Freundschaft. Im Jahre 1739 erschien die Tragödie 'Eduard und Eleouora'. Die Aufführung dieses au und für sich durtthaus harmlosen Stückes wurde untersagt. Die Ursache dieses Verbots war höchst kleinlich imd lächerlich. Das Ministerium war, so erzählt man sich, sehr ärgerlich über einige theatralische Aufführungen. Es fühlte sich verletzt durch die Tendenz jener Stücke und bewh'kte, dafs dm'ch Bülmen- beschlufs ilim die Revision eines jeden neuen Stückes zuerkannt wm-de. Der Prinz von Wales, aufgebracht über solche wider- rechtliche Anmafsungen und seiner Ansicht nach völlig im- begründete Forderungen seitens des Ministeriums, erklärte sich gegen dasselbe. Als nun Thomson, der im Dienste des Prinzen stand, seine Tragödie 'Eduard und Eleonora' zur Aufführung gelangen lassen wollte, mes das Ministerium das Stück ab, ohne es überhaupt zu prüfen, auf den blofsen Umstand hin, dal's ein vom Prinzen Abhängiger es geschrieben habe. Zu bedauern war es übrigens nicht, dafs die Aufführung unterblieb, denn Eduard und Eleonora zählt, wie später gezeigt werden soU, zu den schwächsten und unbedeutendsten Leistungen Thomsons. Im Jahre 1740 gab der Dichter das in Gemeinschaft mit seinem Freunde Mallet verfafste Maskenspiel 'Alfred' (Masque of Alfred) heraus. Das Stück war im Auftrage des Prinzen von Wales für den Hof geschrieben worden und wurde am Geburtstage der Prin- zessin Augusta von Wales in Clifden-House gespielt. 1745 erschien 'Tanered und Siffismunda'. Diese Trag-ödie wurde unter rau-

Kritisch-ästhetische Studien über James Thomsons Tragödien. 31

sehendem Beifall gespielt und hielt sich eine geraume Zeit als Zugstück auf der Bühne. Im Jahre 1748 publizierte der Dichter 'The Castle of Indolence\ Die letzte Tragödie, 'Coriolanus', wurde erst nach dem Tode des Dichters auf Veranlassimg Lord Lyttletons mit Erfolg Aviederholenthch aufgeführt. Die Aufführung sowie der Verkauf der Manuskripte und Effekten des Dichters brachte eine Summe ein, welche liinreichte, seine Schulden zu bezahlen und seinen Schwestern noch eine Unter- stützung zu gewähren.

Thomsons gewöhnlicher Sommeraufenthalt war in Richmond. Erlaubte es das Wetter, so fuhr er auf der Themse von Ricli- mond nach London. Eines Abends kam er erhitzt in Hammei'- smith au, nahm ein Boot und fulir nach Kew. Er erkältete sich auf dieser Wasserfahrt und verfiel in heftiges Fieber. Dank seiner kräftigen Konstitution und der schnellen Hilfe der Ärzte erholte er sich bald wieder luid betrachtete die Gefahr als vor- über. Er setzte sich jedoch zu früh der kühleu Abendluft aus, bekam einen Fieberrückfall, starb am 27. August 1748 und wurde in der Kirche zu Richmond begraben. Seine sterblichen Überreste deckte ein einfacher Stein ohne Grabschrift. Erst im Jahre 1762 wurde ihm in der Westminsterabtei ein Denkmal ge- setzt, welches weder der Abtei zur Zierde gereichen, noch des Dichters w^ürdig genannt werden kann.

I. Allgemeine Retrachtuiigeii über Thomsons Tragödien.

So iml)edingt lobend und günstig sich Hettner über Thom- son als Meister der beschreibenden Dichtung oder, wenn man will, dichterischen Beschreibung ausspricht, so absolut tadelnd, und wir müssen sagen, hart und unbegründet lautet sein sonst so gerechtes, ästhetisch scharfes und möglichst objektiv gehaltenes Urteil über Thomson als dramatischen Dichter. Es heilst bei Hettner: 'Wo Thomson über das Mals seines Talentes iiinaus- geht und Menschen und menschhche Handlungen ausmalt, da wird er völlig unbedeutend und bis zum Unerträglichen frostig. Es ist daher leicht zu erraten, wie viel oder wie wenig von Thomson als Dramatiker zu halten ist.' An einer anderen Stelle lesen wir: 'Thomson schrieb in dieser Zeit auch einige Trauer-

32 Kritisch-ästhetische Studien über .James Thomsons TragiMlicn.

spiele, die aber ohne alle Bedeutung sind/ Vgl. Hettner, Engl. Litteraturges(;hichte S. 540 und 535. In anderen Litteratur- geschichtcn, deutscheu und englischen, werden Thomsons Tra- gödien auch kaum dem Namen nach erwähnt oder höchstens mit einigen absprechenden Worten abgespeist und einfach zum alten Eisen geworfen, weil sie heutzutage von der Bühne verschwunden sind. Der jugendliche Lessing dagegen fällt über Thomson ein ungemein günstiges Urteil; er wiederum erteilt dem dramatischen Dichter ein unbedingtes Lob, worauf er keinen Anspruch erheben kann. Lessing äufsert sich f olgendermaisen : 'Denn wodurch sind die gröfsten Geister, was sie sind, als durch die Kenntnis des menschhchen Herzens und durch die magische Kunst, jede Leiden- schaft vor unseren Augen entstehen, wachsen und ausbrechen zu lassen? Dies ist die Kunst, dieses die Kenntnis, die Thomson in möglichster Vollkommenheit besitzt, und die kein Aristoteles, kein Corneille kennt, ob sie gleich dem Corneille selbst nicht fehlte. Die Handlung ist heroisch, sie ist einfach, sie ist ganz, sie streitet weder mit der Einheit der Zeit, noch mit der Ein- heit des Ortes; jede der Personen hat ihren besonderen Cha- rakter, jede spricht ihrem besonderen Charakter geniäfs; es man- gelt weder an der Nützliclikeit der Moral, noch an dem Wohl- klange des Ausdrucks.^ Sodann fügt Lessing noch einige lobende Bemerkungen, und merkwürdigerweise gerade zu den beiden nach unserer Ansicht unbedeutendsten Stücken 'Sophonisba' und 'Eduard und Eleonora' hinzu. Wir werden im zweiten Kapitel noch auf diese Lessingschen Notizen zurückkommen (vgl. Lessiugs Vorrede zu der im Jahre 1756 zu Leipzig erscliienenen Über- setzung der Trauerspiele Thomsons. Auch Lessings Werke in der Ausgabe von Dr. Boxberger, Berlin und Stuttgart, W. Spe- mann, Bd. 64, Teil 7, p. 75). Das Lessingsche Lob ist ebenso überschweughch, als Hettners Kritik ungerecht ist, wie au den einzelnen Stücken später gezeigt werden soll. Die Wahrheit liegt auch hier, wie so oft in der Welt und namentlich bei der ästhe- tischen Beurteilung eines Dichters, in der Mitte. Thomsons Tra- gödien sind vom rein ästhetischen, vom streng dramatischen Standpimkte aus betrachtet sämtlich nur mittelmäfsige dichterische Leistungen ; sie sind an künstlerischem Werte durchaus ungleich, und keine einzige genügt in jeder Hinsicht den Anforderungen,

Kritiscli-ästhetische Studieu über James ThomsoDS Tragödien. 3?>

welche man an ein gutes'^Drama stellen mufs. Lichtseiten in dem einen erscheinen als Schattenseiten in dem anderen und umgekehrt; von einem absolut besten kann ebenso wenig wie von einem absolut schlechtesten die Rede sein. Es lassen sich die Stücke nur als relativ, als verhältnismäfsig beste und schlech- teste bezeichnen. Thomson bildete seinen ästhetischen Geschmack und seinen dramatischen Kunstsinn an den Alten, die er bewun- derte und hochschätzte. Daneben übten auch die französischen Klassiker, sowie Shakspere und die den französischen Klassi- cismus nachahmenden englischen Dichter des 17. JaMiunderts einen unverkennbaren Einflufs auf ihn aus. Er entlehnte den Stoff zu seinen Tragödien entweder der griechischen Sagenwelt oder auch der römischen und zum Teil mittelalterhchen Ge- schichte. Gleich wde die Stücke der Alten und der Franzosen im 16. und 17. Jahrhundert sind Thomsons Tragödien im all- gemeinen höchst einfach, nicht nur in Bezug auf die Handlung, sondern auch rücksichtlich der Verwickelungen, der Intriguen, der Zwischenfälle und der Charaktere. Die einfache, wenig ver- wickelte Handlung, der Mangel an Mannigfaltigkeit in den Chai-akteren, an lebendigem, frischem dramatischem Leben Uels sich aber in den Tragödien der Alten eher ertragen, einmal weil die Stücke küi'zer waren und weil ferner die Zwischenakte dui-ch die Chöre, die einen wesentlichen organischen Bestandteil des Ganzen bildeten, ausgefüllt wurden. Diese Chöre behielten die Dichter der vorklassischen Epoche in Frankreich noch bei, Thom- son hingegen läfst sie als nicht mehr zeitgemäis aus seinen Stücken weg. Um nun aber doch voUe fünf Akte auszufüllen, zieht er die gegebene Handlung sehr, oft allzusehr in die I^änge und Breite, flicht lauge, mitunter monotone und etwas langweilige Dialoge ein und \\iederholt sich in der lutrigue und der Ver- wickelung. Die dramatischen Einheiten hat Thomson, wie Les- sing richtig betont, ziemlich streng beobachtet, obwohl sie in England nie zu so unanfechtbarer Geltung und so unerschütter- tem Ansehen wie in Frankreich gelangt sind. Ausnehmen mülstc man höchstens die moralisierenden Dramen von Southerne, C(»n- greve, Rowe und Addison aus der zweiten Hälfte des 17, und aus dem Anfange des 18. Jahrhunderts, die sich an das \oii (Jtway geschaffene regelmäfsige Drama nach dem Muster Cor-

Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV. •'

M Kritisch-ästhetische Studien über James Thomsons "IVagödien.

neilles und Racines auschlielsen. Thouisou wahrt besonders die Einheit der Handlung, sie gilt ihm als Hauptsache, als unerläfs- lich notwendig für eine Tragödie. Die Handlung ist zwar meist recht dürftig, aber der Held steht stets im Mittelpunkte der- selben, alle Dialoge, auch die Monologe drehen sich mehr oder minder immer um seine Person, und alle Intriguen sind gegen ihn gerichtet, wenn er auch in einigen Stücken zeitweise uns weniger interessiert als der Gegner, Der Held oder die Heldin fällt in drei von Thomsons Tragödien (von Eduard und Eleonore kann keine Rede sein) vor den Augen der Zuschauer auf der Bühne, und der Tod wird nicht weitläufig von einem Boten be- richtet, wie dies in den Stücken der alten Griechen und auch denen der Tragödiendichter des 16. Jahrhunderts in Frankreich der Fall war. Nur im Agamemnon sinkt der Held hinter der Büluie unter den Streichen des Agisthos zusammen, und man vernimmt blols den Lärm und die letzten Schmerzenslaute des seinen Mörder vei-fluchenden sterbenden Opfers. Thomson er- kannte mit richtigem dramatischem Verständnis, dal's der auf der Bühne eintretende Tod des Helden weit wirkungsvoller sein mufste als ein blofser Bericht desselben. Die Einheit des Ortes war durch die Emfachheit des vorliegenden Gegenstandes er- leichtert und bedingt, ebenso die der Zeit, welche allerdings meist einen weiteren Spielraum als 24 Stunden umfafst. Neben der Einheit der Handlung mufs man als besonders gelungen betonen die Darstellung vieler effektvoller Situationen und lebhafter Dia- loge, die durch den Gegensatz in den Charakteren und die teil- weise NvirkungsvoUe Schilderung von Leidenschaften gehoben werden. Wenn nun Lessing aber besonders hervorhebt, mit welcher Kunst Thomson die Leidenschaften entstehen, wachsen und ausbrechen lasse, so kann dieses Urteil höchstens von dem letzten Stücke Thomsons, vom Coriolan, gelten. Dort findet sich in der That, wie wii' bald sehen werden, eine sich allmählich bemerkbar machende Steigerung des Neides, des Ehrgeizes, des Zornes und des beleidigten Stolzes der Hauptpersonen, die sich als grimme Feinde gegenübertreten. Auch im Tancred und Sigismunda sind die Leidenschaften zwar nicht im Entstehen, wohl aber in ihrem Hervorbrechen vorzüglich geschildert wor- den. Die Handlungen entsprechen genau den betreffenden Cha-

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rakteren, und die Situationen sind jedesmalige Folge derselben. Die Charaktere sind im allgemeinen scharf und gut gezeichnet, wenn auch weniger auf regelmäfsige und folgerichtige Entwicke- lung Rücksicht genommen wurde. Der Einflufs des in Eng- land in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beliebten, die Bühne eine Zeit lang beherrschenden, morahsierenden, bürgerlichen Dramas, wie es im 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts bereits von den oben erwähnten Tragöden Southerne, Rowe und Addison und dann von George LiUo vertreten wurde, macht sich auch in den Thomsonschen Theaterstücken bemerklich und tritt vorzüglich stark in den beiden letzten, in 'Tancred und Sigis- munda' und 'Coriolanus', hervor. So ist ganz besonders Lillos morahsierende Tendenztragödie, der seinerzeit berühmte und oft gespielte 'George Barnwell oder der Londoner Kaufmann' aus dem Jahre 1731 (gespielt zum erstenmal im Sommer 1731 im Drurylanetheater), ein Stück, das vom künstlerischen Gesichts- punkte aus betrachtet recht unbedeutend genannt werden mufs, da absichtHches Moralisieren mit echter Dichtung durchaus un- verträglich ist, nicht ohne Bedeutung für Thomson geblieben. Es haben aber die Tragödien unseres Dichters mit jenen ab- sichtlich morahsierenden tendenziösen Stücken nichts gemein, sondern es macht sich in ihnen nur ein gewisser moralisierender Zug (Sophonisba ausgenommen) in zwar nicht geradezu stören- der, aber doch imdramatischer und etwas trockener Sclilulsmoral geltend.

SämtKchen Tragödien Thomsons sind Prologe und Epiloge beigegeben. Sie sind zum gröfsereu Teile von ungenannten Freunden des Dichters verfafst. Nach Lessing rühren die Epi- loge vom Dichter selbst her. Dies mag bei denjenigen, die kei- nen Namen an der Spitze haben, der Fall sein; zwei jedoch, der Epilog zu 'Sophonisl)a' und 'Eduard und Eleonora' sind \ou unbekannt gebliebenen Freunden geschrieben worden, denn sie tragen die Bezeichnung 'by a friend^ Dasselbe, was von den Epilogen gesagt, gilt im allgemeinen auch von den Prologen. Der zu 'Coriolanus' hat den Lord L)i:tleton zum Verfasser, imd derjenige zu 'Tancred und Sigismunda' ist unbezeichnet und rührt vielleicht vom Dichter selbst her, der aus Bescheidenheit seinen Namen nicht nennen wollte. Lessing (vgl. seine Vorrede)

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bedauert es, dalis die Übersetzer der Thomsonschen Tragödien die Prologe und Epiloge unbeachtet liefsen. Wir vermögen in der Weglassung keinen gi'olsen Verlust zu erblicken, da die Epiloge und Prologe fast alle höchst unbedeutend, einförmig und trocken zu nennen sind. Die Epiloge eifern gegen den gewöhn- lichen burlesken Ton der enghschen Epiloge bei Trauerspielen, und die Prologe deuten in etwas unbestimmter und verschwom- mener Weise auf den Inhalt und die Tendenz der Stücke hin. Nur der von Lord Lyttleton zu Coriolan verfafste Prolog ver- dient Beachtung. Er enthält einen wirklich schönen und schwung- vollen Nekrolog des Dichters, schildert iim uns als Menschen und entwirft in kurzen Zügen ein Bild von seinem Charakter, seinem Denken und Handeln. Ijessing hat diesen Prolog treiflich und fast wortgetreu übersetzt. Die Hauptrollen in den Stücken \^Tir- deu von bekannten Dichtem damaliger Zeit gespielt. So werden unter anderen Garrick und Cibber genannt. Der berühmte INlime Quin übernahm Hauptrollen und spielte z. B. den Agamemnon, den Coriolan und den Eremiten im Maskenfestspiele Alfred. Er sprach auch die Prologe zum Agamemnon und ziun Coriolan. Auch Cibber, der bekannte Umformer und Modernisierer Shak- sperescher Stücke, sprach die Prologe zu einigen der Thomson- schen Tragödien. Thomsons Theaterstücke sind alle in Blank- versen gescluieben, imd am Schlüsse der Akte finden sich mit Ausnahme von Agamemnon, gleich \vie bei Shakspere, ein oder mehrere Reimpaare. In der Sophonisba finden sich die meisten Reimpaare: am Ende des ersten Aktes vier, des zweiten zwei, des dritten vier, des \äerten vier und des fünften drei Reim- paare. Diese Reimpaare sollen dazu beitragen, die dramatische Wirkung zu erhöhen und namentlich die Sclilul'sraoral im Tanc- red und Sigismunda (sechs Reimpaare am Ende des fünften Aktes) und im Coriolan dem Gedächtnis des Hörers möglichst einzuprägen. Sämtliche Tragödien sind fürsthclieu Personen, meist dem Prinzen Friedrich und der Prinzessin Augusta von Wales, zugeeignet. Wir wollen mm im nachfolgenden ver- suchen, die Tragödien des Dichters einzeln kritisch rein sachlich zu beurteilen. Wir führen sie nach den Jaliren der Abfassung resp. Aufführung an, da eine Aufzälilung dem dramatischen Werte nacli bei ihrer grofsen Ungleichheit, bei ihren nur rela-

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tiven Vorzügen von vornherein ausgeschlossen werden niuTs, wenn auch gesagt werden darf, dafs die Dichtungen der späteren .Jahre weit besser sind als die Erstlingswerke und dafs die bei- den letzten entschieden die vollendetsten und abgerundetsten sind.

IL Thomsons Tragödien im Besonderen. 1, Sophonisba.

Der Schauplatz der Handlung ist Cirta. Das Schicksal der karthagischen Königin Sophonisbe hat seit der ersten drama- tischen Behandlung durch den Italiener Giorgio Trissino im Jahre 1514 die tragischen Dichter der verschiedensten Nationen zur Darstellung augeregt, und sie alle sind nicht im stände ge- wesen, den spröden, von Haus aus wenig dramatischen Stoff, wie ihn Livius überliefert hat (vgl. Liv. XXX, 12 15 und XXIX, 23), so zu gestalten und zu verwerten, dafs wir eine Tragödie im wahren Sinne des Wortes vor ims haben, dafs wir durch das Schicksal der Heldin gerülu't, tragisch gestimmt und schliefslich mit ihr und ihrer Schuld ausgesöhnt werden. Die Franzosen und unter ihnen besonders Antoine de Montchr^tien (vgl. meine Dissertation : Ästh. u. sprachl. Stud. über A. de Mont- chr^tien, Weimar 1885), Mairet und Corneille haben zuerst dem Itahener nachgeahmt. Mairet hat den Stoff verhältnismäfsig noch am geschicktesten behandelt und die Schuld der Sophonisbe in- sofern gemildert, als er Syphax im Kampfe fallen läfst, wodiu'ch sie frei wird imd so den Ehebund mit Masinissa, ihrem ehe- mahgen Verlobten, ohne die Moral frech zu verletzen, schhefsen kann. Unter den Engländern, die bei unserer Kritik hauptsäch- lich in Betracht kommen, sind Natlianiel Lee und James Thom- son zu nennen. Nathaniel Lee schrieb eine 'Sophonisba or Hannibal's Overthrow' im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts (1676), zur Zeit des tiefsten Verfalls der enghschen nationalen Kunstbühne. Es darf uns daher nicht wunder nehmen, dafs er den an und für sich schon widerlichen Stoff durch allerlei Liebes- episoden noch widerlicher gemacht hat und ein Stück geschrieben, das nur dem Namen nach eine Tragödie genannt zu werden verdient. Bei Lee erscheinen z. B. neben dem verliebten und

1^8 Kritisch-ästhetische Studien über .lanu?^ '{'liomsons Trng<)flien.

schwachen Syjihax noch ehi liebeglühendci- Ilaiiiiibal, seine (le- liebtc Rüsalinde und ein thörichter, von iliren Reizen bezauberter Prinz. Es laufen im Stiickc zwei Han<llinij;cn nnbeneinander her, die nur ganz lose durch sich kreuzende Liebschaften in Verbindung stehen (vgl. hierzu Dr. Feit : Sophonisbe, Trag, von G. G. Tnssino, eingeleitet und übersetzt. Progr., Lübeck 188H). James Thomsons Sophonisbe teilt im allgemeinen die Schwächen der frühereu So})lionisben, ist äufserst arm an dramatischer Handlung, scliM-ach in der Charakteristik und Motivierung der Schuld der Heldin. Die Sophonisbe der Geschichte ist durch- aus keine dramatische Figur, und der Gegenstand ist nicht tra- gisch, denn nur diejenige Begebenheit, die für ihren Träger neben materiellem I^eid das gröfste Seelcnleid herbeiführt, ist wirklich tragisch. Das kann man nun und nimmer von der Sophonisbe behaupten, und kein Dichter der älteren und neueren Zeit hat sie so idealisiert, dafs man durch ihr Schicksal erschüttert und von tragischer Furcht und tragischem Mitleid ergriffen würde. Thomson hält sich ziemlich genau an die Trissinosche Darstel- lung und lälst Masinissa den Syphax gefangen nach Cirta brin- gen. Er hätte Mairet folgen und Syphax in der Schlacht fallen lassen sollen. So ist und bleibt auch bei Thomson die Doppel- ehe Sophonisbens, welche Beschöuigungsgründe man auch immer- hin anführen möchte, ein störendes Moment, und man mui's die Handlung der Heldin vom morahschen Standpunkte aus ent- schieden verwerfen. Was that nun Thomson, um die Schuld der Sophonisbe zu motivieren, um ihre That zu rechtfertigen? Er lehnte sich einmal an seine Vorgänger an imd betonte ihre Vaterlandsliebe, stellte ilu-en Patriotismus als leitendes Motiv hin, den Ehebund mit Masinissa zu schliefsen, um Karthago vor der Rache der Römer zu schützen. Stünde dieser Patriotismus als alleinige Triebfeder zu Sophonisbens Handlung im Vordergrunde, so würde ihre Schuld zwar nicht verzeililich, aber doch gemildert erscheinen. Allein man mul's diese wiederholeutlich betonte Be- teuerung ihrer Liebe zum Vaterlande, ilu"er angeblichen Auf- opferung für dasselbe für nichtige Tugendschwätzerei halten und kann sich unmöglich verhehlen, dafs nur ilu' Stok sie veranlafst, in den Ehebimd zu willigen, um so der Schmach zu entgehen, in Rom im Triumphe als Gefangene aufgeführt zu werden. Thom-

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son versuchte es aber auch noch auf andere Weise, die Hand- lung Sophonisbens zu rechtfertigen, und flocht eine Scene ein (IV, 2. Dialog zwischen Syphax und Sophonisbe), die freihch nur dazu beiträgt, Sophonisbe noch weit niedriger und erbärm- licher in den Augen des Zuschauers erscheinen zu lassen. Sie betont, sie sei jetzt nicht verpflichtet, imi S}^hax, ihres gefan- genen Gemahles willen, die Schmach der Knechtschaft ihres Vaterlandes und ihrer selbst zu ertragen, sie habe Syphax einst nur geheiratet, weil sie ihn für einen unversöhnlichen Feind der Römer gehalten, sei aber jetzt, nachdem er gefangen genommen, nach karthagischem und römischem Rechte nicht mehr an ihn gebunden. So sucht die Treulose in erbärmlicher Weise ihre mit Masinissa geschlossene Ehe zu entschuldigen und zu recht- fertigen. Man höre sie selbst reden. An einer Stelle (FV, 2) heilst es:

Fol' thee ; fhe Romans may he mild to tkee ; But I, a Carthaginian, I ivhose blood Holds unrelenting enmity to theirs,

What, what can I

Hope from their vengeance but the very dregs Of thf irorst fate, the bitterness of bondage ? Yet thou, kind man, thou in tky generous love Wouldst have me suffer that; be bound to tJiee For that dire end ahne, beyond the stretch Of nature and of law.

Dann weiter imten spricht sie von ihrer Ehe mit Sjphax:

I pray thee think, when unpropitious Hym^n Out hmids tinited, how I stood. engag'd, Was I not blooming in the pride of youth And youthful hopes, sunk in a passion too Which fetv resign ? Yet then I married thee Because to Carthage deem'd a stronger friend ; Fol' that ahne. On these conditions, sag Didst thou not take me, court me to thy throne? Have I deceiv'd thee since ? Have I dissembled ? To gain one purpose, e'er pretended what I never feit ? Tliou canst not say I have. And if that principle rvhich tlien inspir'd My marrying thee was right, it cannot nov^ Be UTong : nay, since my native city ivants Assistance mm-e, and sinking calls for aid, 'Tis still more right.

10 Kritisch -ästhetische Stiiflien iiljer James ThomsonH Tragödien.

Auf solches erbärmliches Argumeutieren hin kann der be- dauernswerte Syphax nur mit Recht erwidern: 'This reasoniiig is insidt.' Diese Scene findet sich auch bei Corneille, und Lotheilsen (Gesch. der franz. Litt, des 17. Jahrh. II, 310, Wien 1879) nennt sie mit Recht widerlich. Anch bei Corneille über- häuft Sophonisbe ihren Gemahl mit den grcibsten Vorwürfen, die sich gar nicht mit den galanten Lehren vertragen, die sie an anderen Stellen vorträgt. Eine andere Scene, welche freilich nicht minder peinlich berührt, als die eben angeführte, und nur dazu beiträgt, den Masinissa in den Augen des Zuschauers noch mehr herabzuwürdigen, als dies an und für sich schon der Fall ist, hat Thomson eigens erfunden. AVir meinen das Gespräch zwischen Masinissa und dem gefangenen Syphax, den er ängst- lich zu meiden doch mehr als hinreichenden Grund hal)cu mufste (vgl. I, 4). Masinissa verspricht dem gefangenen S}i)hax Scho- nung, die er jedoch mit Würde und Entrüstung zurückweist, weil er seines Gegners schändliche Absichten nur zu gut kennt und durchschaut. Mau höre nur z, B. folgenden Dialog:

S y p h. Hear me, vain youth ! take notice / abhm' Thy mercy, loath it Use me like a slave; Äs I v:ould fhee (delicious thought !) wert thou Here erouching in my power.

Mas. Chitrageous man.'

Thou canst not drive me by the hitterest rage To an unmanly deed: not all thy ivrongs Can force my patient sota to stain its virtue.

Oder auch:

S y p h. But why this talk ? In mercy send nie Jience,

Yet ere I go Oh save me from distraction ! I know, hot youth, thou burnest for my queen ; But by the majesty of riiin'd kings, And tJiat eom^nmiding glory which surrounds her, I Charge thee tou^h her not!

Mas. No, Syphax, no.

Thou 7ieed'.st not charge me. TJiat were meau indeed, A triumph tlmt to thee. Thou, ivhat right hast thou, A captive to Jier bed? Thy bonds divorce And free her from thy power. AU laws in this, Roman and Cartlmginian, all agree etc.

Kritisch-ästhetische Studien über .lames Thomsons Tragödien. 41

Solche Dialoge hätte Thomson lieber nicht einschieben sol- len, denn sie tragen wahrhaftig eher dazu bei, die tragische Wir- kung des Ganzen völlig aufzuheben als zu erhöhen. Dramatisch schön ist eigenthch nur der Tod Sophonisbeus. Tragisch imd erschütternd wirkt er auch nicht, weil sie ihn nicht freiwillig aus reinem, edlem Patriotismus sucht, sondern von Egoismus und Stolz geleitet, ihn der Erniedrigung und Knechtschaft vor- zieht. So ist Sophonisbe durchaus keine Heldeufigur, die unser Interesse zu wecken und zu fesseln im stände wäre. Noch viel weniger lälst sich das von Masiuissa behaupten. Er ist eine ent- schieden unsympathische Figur und sinkt von seiner anfänglichen Gröfse als tugendhafter Sieger und Triumphator zum w^eichhchen durch Sophonisbeus Reize verführten Liebhaber herab, der im- eingedenk seines Ruhmes und seiner Pflicht übereilt und un- besonnen Sophonisbe den Giftbecher sendet, obwohl Scipio Gnade für Recht ergehen zu lassen verspricht, und schhefslich nach Sophonisbes Tode doch nicht den Mut besitzt zu sterben, wie dies in der Mairetschen Tragödie der Fall ist. Masinissas un- männlicher, wankelmütiger Charakter zeigt sich so recht in der Unterredung mit Scipio (V, 2). Scipio allein ist eine drama- tische Figur, die unsere Sympathie zu erwecken versteht. Er denkt imd fühlt als Ehrenmann; er ist streng gerecht, energisch und doch nicht hart und grausam. Diese Eigenschaften treten in der citierten Scene (V, 2), da sein Widerredner so ganz willenlos und von sinnlicher Liebe berückt dargestclU wird, nur um so deutUcher hervor. - Ist nun auch Thomsons Tragödie als Ganzes betrachtet äufserst wenig dramatisch, weil die frische lebendige Handlung, sowie auch die genügende, stichhaltige Mo- tivierung der Schuld fehlen und die Charaktere bis auf den Scipios nur schwach gezeichnet, eigentlich nur angedeutet sind, so finden sich doch auch einzelne Scenen vor, die infolge des lebendigen und dabei doch klaren und emfachen Dialoges dra- matisch wirken (vgl. besonders V, 2; IV, -4 und den Sclilufs). Lange ermüdende Reden und Berichte, Monologe und Dialoge sind vom Dichter vermieden worden ; Für- und Gegenrede wech- seln in ziemlich raschem Tempo ab. Trotz dieser zidetzt er- Avähnten kleinen Vorzüge kann man Lessings Ansicht nicht tei- len, welcher sich (vgl. seine citierte Vorrede) folgendermaCsen über

42 Kritisch-ästhetische Studien über .Tfinies l'huinsons Tragiidien.

die Sophonisbe ausspricht: 'Hciue Sophuuisbe ist von einer Sini- plicität, mit der sich selten oder nie ein französischer Dichter begnügt hat. Man sehe die Sophonisbe des Mairet, des grofsen Corneille! Mit welcher Menge von Episoden, deren keine in der Geschichte einigen Grund hat, haben sie ilirc Handlung überladen/ Dieses Lessingsche Urteil enthält genau genonimen ein niu' mäfsiges Lob Für Thomson, denn es wird nur die Sim- plicität der Handlung Ijetont. Einfach ist die Handlung aller- dings, leider nur zu einfach, einförmig und, wie wir hervor- gehoben haben, undramatisch. Lessing versetzt den Franzosen einen Seitenhieb und macht ihnen Uberladimg der Handlung zum Vorwurf, was schlechterdings bei Mairet nicht berechtigt ist. Mairets Sophonisbe steht, vom künstlerischen Gesichtspimkte aus betrachtet, ganz entschieden höher als das monotone, streng im Rahmen der Geschichte gehaltene Thomsonsche Stück. Mairet weicht verschiedentlich, aber nur zu seinem Vorteil, im Interesse der dramatischen Handlimg imd Wirkimg von der geschicht- lichen Überliefermig ab, und Thomson hätte, wie schon gesagt wurde, ihm folgen sollen, zumal er es sonst (vgl. Tancred und Sigismunda) ja doch mit der Geschichte so genau nicht nimmt, wenn ihm eine Abweichung im Interesse des dramatischen Hel- den geboten erscheint.

2. Agamemnon.

Der Ort der Handlung ist Agamemnons Palast in Mykene. Es liegt dieser Tragödie der bekannte Sagenstoff von der Heim- kehr und dem jähen Tode Agamemnons zu Grunde. Der Gegen- stand ist echt dramatisch und tragisch, und der Dichter hat sich liier seiner Aufgabe weit besser, mit viel mehr Geschick und Verständnis für die tragische Kunst entledigt als in der Sopho- nisbe. Im Agamemnon hat der Dichter eine Begebenheit ge- wählt, die für ihren Träger neben materiellem Leid auch noch das gröfste Seelenleid herbeiführt. Wir nehmen an dem Schmerze des unschuldig leidenden Agamemnon innigen Anteil, und wir werden durch seinen jähen, unverdienten Tod mit Furcht und Mitleid erfüllt. Erschütternd wirkt der Tod des Helden aller- dings nicht, weil er keine tragische Schuld, weder eine subjektiv moralische, noch eine aus einem Irrtum entspringende moralische

Kritisch-ästhetische Studien über James Thomsoas Tragödien. 43

Versclmkliing auf sich lädt. Er fällt deu tückischeu, teuflischen Anschlägen des Ägisthos zum Opfer. Agamemnons gerechte Drohung, Strafe ergehen zu lassen, wenn des Ägisthos Beschul- digungen sich ids lügenhaft herausstellen, wird für diesen zum leitenden Motiv, den Helden zu ermorden und sich selbst sicher- zustellen. — Die beiden ersten Akte sind entschieden die weit- aus besten und gelungensten zu nennen. Die Exposition zu- nächst ist kurz und trefflich gegeben. Klytämnestra, von bangen Ahnimgeu erfüllt, fürchtet, dais einst Unheil aus dem unmora- lischen Verhältnis, Avelches zwischen ihr und Ägisthos besteht, entspringen wu'd. Bald wird Agamemnons Heimkehr gemeldet und mit ihr die Katastrophe vorbereitet. Schon jetzt fafst Ägi- sthos den Entschhifs, Agamemnon aus dem Wege zu rätunen, um selbst das Scepter zu ergreifen, um so Klytämnestra nicht zu verheren und seine Schandthaten von früherher nicht ans Tages- licht kommen zu lassen.

Besonders schön und dramatisch ist der zweite Akt. Ist auch die Handlung nicht lebendig und spannend, so ist doch der Dialog interessant, so kommen doch die Seelenstimmungen Agamemnons und Klytämnestrens gar herrhch zum Ausdruck. Wie tragisch wirkt der Gegensatz der Freude des heimkehren- den Agamemnon, der vor Sehnsucht brennt, sein liebes, treues Weib nach langer Trennung wieder in die Arme zu sehliefsen, und auf der anderen Seite die bange Furcht der scluildbewurs- ten Klytämnestra, die nicht wagt, ihrem Gatten imtcr die Augen zu treten! Wie schwer fällt es ihr, den heimkehrenden glück- lichen Gemahl, der sie mit zärthcher Liebe überschüttet, zu hintergehen, ihm mit kühler Zurückhaltung und mit traurigem Antlitz entgegenzutreten, ja ihn mit Vorwürfen imd Tadel zu empfangen! Nicht traurig infolge der langen Abwesenheit des Gatten und der langen Trennung von ihm, wie Agamemnon irrtümlicherweise anfangs glaubt, sondern vom bösen Gewissen beunruhigt und gequält, steht Klytänmestra, das Urbild der Ver- stellungskunst und Heuchelei, schuldbeladen vor ihrem Ehe- gemahl. Agamenmon kann sich diese gänzliche Umwandelung seines einst so teuren und treu ergebenen Weibes nicht erklären, und doch steigen Hvhon jetzt dunkele, böse Ahnungen gleich unheilverkündenden Schatten in seiner Seele auf. AVie wohl-

i\ Kritisch-ästhetische ^Studien iibcr .laines Thomsons Tragödien.

thueiid und rührend im Gej^eusatz zu dicHer külilen und peiu- licliou Enii)faugsscene der Klytänmestra wirkt die gleich darauf folgende erste Begegnung Agamemnous mit seinen beiden ge- liebten Kindern Orestes und Elektra! Wie jubelt ihm das Vaterherz vor Wonne und Glück, sie froh und gesund wieder- zusehen! Wie rührend sind die Liebesbeteueruugen der Elektra, die oft das Bild ihres heldenmütigen Vaters im Traume gesehen und sieh des imsterbUcheu Ruhmes ihrer fürs Vaterland ge- opferten Schwester Ipliigenie erinnert ! Wie brennt der jugend- liche Orestes vor Lust und stürmischem Verlangen, auch einst solche Thaten zu vollbringen wie sein herrhcher Vater! Kein W^ort des Vorwurfs wird hier laut ; die Kinder, frei von drücken- der Schuld, grollen dem Vater nicht, weil er so lange von ihnen fern blieb.

Einige Bruchstücke der betreffenden höchst dramatischen Scenen mögen hier Platz finden, um das Gesagte näher zu er- läutern imd zu bestätigen (Akt 11, Seene 2).

Clyt. Had Agamemnon lov'd me, would he, nay Gould he have left me in the rage of grief, My daughter yet fresh hleeding in my sight ? Left me so long? Lore siirely musf Imve found. In the wide round of ten revolving years, Some ivay to see me, to prevent these soitoics. Why icas I thus abandon'd, Agamemnon ?

Agam. Let me kiss off these tears! 0 beauteons tems ! If shed by douhtbig love, if shed for absence. Instead of these reproaches, ask me rather, Hoiv I that absence bore: and here all loards, All eloquence is dumb, to sj)eak the pangs That lurk'd henrath the rugged hrow of war. When glaring day icas clos'd and htish'd the rainp, Oh, then, amid ten thousand other rares, Tliose stung tlie keenest that remember'd thee, That an my long-left Clyteninesfra thought, On what wild seas and mountains lay hetween us.

Glyt. Unliappy man.'

Dann heifst es weiter unten :

Agam. Oh, niake not conquest liateful!

I shall abhor it, if it cost me thee,

Kritisch-ästhetische Studien über James Thomsons Tragödien. 45

Cost me thy love. A daughter was too much And ten years absenee from my Clytemnestra. Add not to these a loss I cannot hear .' The loss of thee, thou loveliest of the sex ! And once the landest!

Clvt. Alas ! untimely fondness Agamemnon! Too generous Agamemnon! you distress me, Would you ivere not so hind, so tender, now ! Or ne'er lind been so criiel!

Man vergleiche feraer Akt IT, Soene 3, das Gespräch zwi- schen Agamemnon und den Kindern. Hier ist die Situation so lebendig, so schön, die Sprache so innig imd warm, dafs jene Scene dem modernsten Theaterdichter durchaus nicht zur Un- ehre gereichen Avürde, sondern seinen Ruhm zu erhöhen im Stande wäre. Es mögen hier der Kürze halber nur die Be- grülsungsworte Agamemnons folgen :

Agam. Come to my arms, my boy, my dear Orestes! In ivliom I live aneiv, my younger seif! And thou Electra ; in thy opening che£k I mark thy mother's bloom ; even so slte look'd, Such the mild light ivith ivhich her beauty daivn'd. Oh, thou soft imaye of my Clytemnestra ! My other Iphigenia!

Doch wie bald soll diese Freude, dieser Jubel Agamemnons durch traurige Nachrichten getrübt werden! Aus Agisthos' Munde mufs er hören, wie der treue Melisander, der als Rat- geber und Beschützer Klytämnestras zurückgelassen worden war, verbannt worden ist, verbannt durch Agisthos selbst, der jenen treuen Mann beschuldigt, aufrührerische Ideen im Kopfe ge- tragen und revolutionäre Pläne geschmiedet zu haben. Vom Zorne hingerissen, fordert Agamemnon Beweise von Agisthos, um dann Gerechtigkeit walten zu lassen. Diese geforderten Be- weise kann der erbärmliche Feigling und Intrigant nicht bringen, und aus Furcht vor Agamenmons grausiger Rache bescliliefst er dessen Tod. - Der dritte und vierte Akt sind weit geringei- an dramatischem Werte als die beiden ersten. Die Katastrophe muls bald eintreten, da der Zuschauer weifs, dafs des Agisthos Worte nicht eitele Drohungen sind. Nur eine schwaclie Hoff-

46 Kritisch -ästhetische Studien iihcr Jarnos Thomsons Trafrödien.

nung, dafs der Held dem J'ode durch Meiicheliuörders Hand entrinnen kann, knü})ft sich noch an das gemeinsame Vorgehen des treuen Arkas und des aus der Verbannung lieiingekehrtcn MeHsander, die beide Agamemnon warnen und mit Hilfe ihn^r Getreuen den ränkespinnenden Agisthos beim Gastmahle über- fallen und gefangen nehmen wollen. Dieser jedoch hcirt recht- zeitig von dem Plane und ermordet, nachdem er vergeblich ver- sucht, die vor seinem grauenhaften Vorhaben zurückschaudernde Klytämnestra für sich zu gewinnen, den unschuldigen, gänzlich wehrlosen Agamemnon im Bade. Im fünften Akte tritt wieder- um eine Steigerung des dramatischen Interesses ein, gewinnt die Sprache wieder ihre zündende und hinreifsende Kraft. Wir mei- nen besonders die Verfluchung des Agisthos durch die unglück- liche und scliAvergeprüfte Königin. Der tragische Gegensatz kommt hier höchst glücklich zur Geltung. Der wahnwitzige schuftige Agisthos, der soeben seine Hände mit dem Blute des unschuldigen Opfers befleckt, wagt es, von der Leiche ikres Ge- mahls zur Klytämnestra zu eilen und sie frevelhaft in diesem furchtbaren Augenblicke mit seiner unreinen Liebe zu bestürmen. A-^oll tiefsten Abscheues und mit furchtbar lastendem Fluche wendet sie das Auge von dem Elenden, dem nichts mehr heihg ist (vgl. V, 8):

Clyt. Off, give me tvay ! to deserts let me fly! The wildest savage there/ W]iy pierce me thus with looks ? In every eye There is a dagger ; chief in thine Ha, inllain! I know tliee; know these eyes, where smiling love To the red glaring of a fury's torch Is now transform'd. Yes, traitor, turn away ; But ere you go, give me m,y 'peace again ; Oive me my happy family around; Give ine my virtue, honour, nay my glory Or give me death, tho' death cannot relieve me.

Diese imd noch einige andere Situationen aufser den er- wähnten (vgl. besonders noch V, 1) sind äul'serst spannend und dramatisch. Sie fesseln dauernd das Interesse des Zuschauers imd zeichnen sich durch einen lebhaften Dialog aus, der durch schwungvolle, markige, aber nicht bombastische Diktion noch an dramatischem Leben srewinnt.

Kritisch-ästhetische Studien über James Thomsons Tragödien. 47

Die Charakterzeichnung der Hauptpersonen ist im ganzen gut und deutlich. Agamemnon erscheint als tapferer, uner- schrockener Kiiegsheld, als treuer Gatte, als liebender Vater und als eifrig für das Wolil seiner ilim ergebenen ünterthanen sorgender Fürst. Schmerz durchwühlt daher seine Brust, In- grimm und Zorn lodern hoch empor, als er die erbärmlichen Intriguen und niederträchtigen Verleumdungen des Agisthos vernimmt. Sein gerader, oifener Sinn, seine Gerechtigkeitshebe empören sich wäder allen Lug und Trug, und so schwört er sei- nem Feinde, dem Zerstörer seines Glücks und haushohen Frie- dens, Rache und Verderben. Den schreiendsten Gegensatz zu Agamemnon bildet Agisthos. Er ist ein jämmerliches, feiges und ehrloses Subjekt, dem Recht, Zucht und menschhches Glück nichts gelten, der nm^ seiner Habsucht und Wollust frönt. Er ist treiflich gezeichnet, und der Zuschauer wendet das Auge mit Entsetzen ab von dem egoistischen Schmarotzer, dem feigen, tückischen Mörder. Kl^-tämnestra ist kein Charakter; sie ist das blinde imd willenlose Werkzeug des Agisthos, der ihre morali- schen Bedenken, ihre schmerzhchen Reuegefühle immer wieder sofort durch falsche Vorspiegelungen, durch die erbärmlichsten Verdächtigungen ihres Gatten niederzuhalten bestrebt ist. Kly- tämnestra besitzt nicht Kraft und Energie genug, sich aufzu- raffen, den besseren Regungen ihres Herzens, den Warnungen ihres Gewissens Gehör zu schenken, dem Verführer standhaft entgegenzutreten. Sie fällt immer wieder in dessen gefährliche Schlingen zurück, bis sie moralisch ganz sinkt und, dem Wahn- sinn nahe, ihren gleisnerischen Betrüger und den Räuber ihrer Ehre mit Abscheu von sich stölst. Man kann die Klytämnestra wohl bedauern, aber nicht deshalb, weil sie unglücklich ist, son- dern Aveil sie zu wenig moralische Kraft besitzt, das Unglück frühzeitig genug abzuwenden und eine tugendliafte, sittsame Frau zu bleiben. Arkas und Melisander zeigen sich als ^vahre und treue, gehorsame imd aufopferungswillige Ünterthanen und Freunde ihres Königs. Sie haben die reinsten und besten Ab- sichten, Agamemnon vor seinem Feinde zu schützen, vermögen aber nichts gegen diesen im Verborgenen lauernden, tückischen Todfeind Agamemnons auszurichten.

48 Kritisch-ästhetische Studien iilici .Taiues TlioiiiKons Tragödien.

3. E (1 \v u r d und E 1 e o n o r a.

Dieses Stück luit einen zum Teil sagenhaften, zum Teil historischen Hintergrund, baut sich aber der Hauptsache nach auf dem Mythus auf. Der Sage nach wurde Eduard von einem türkischen Fanatiker mit einem vergifteten D(jlche verwundet. Er mufs unrettbar sterben, wenn sich niemand bereit findet, das Gift aus der Wunde auszusaugen. Seine Gemahlin Eleouora in ihrer aufopfernden Triebe vollbringt diese Grofsthat, während ihi- Gemahl schlummert, und wird selbst dem Tode nahe durch An- wendung eines Gegengiftes von Selim gerettet. Eine ähnUche Fabel existiert von Robert, dem Sohne Wilhelms des Eroberers. Hier geht Sibylle, Roberts Gemahlin, freiwillig in den Tod für ihren Gatten. Diesen mittelalterlichen Sagen liegt vielleicht der altgriechische Mythus von Admetus und Alkeste zu Grimde. Alkeste opfert sich selbst fiu' ihren dem Tode vei-fallenen jun- gen Gemalil und wird später von Herkules dem Hades ^\^eder abgerungen und mit Admetus von neuem vereinigt. Eduard und Eleonora ist die zweite Tragödie, die Lessing für wichtig genug hält, um sie einer kurzen Besprechung zu wiu-digen. Wir haben an anderer Stelle schon unser Befremden ausgedi-ückt, dafs gerade zwei der verhältnismäfsig sc^hwächsten Stücke Thom- sons von Lessing besprochen mid günstig beurteilt wurden. Es ist schade, dafs sich der grol'se Kritiker und Dramaturg nicht auch über die besseren Tragödien Thomsons geäufsert hat; es wäre jedenfaDs sehr interessant gewesen, über diese sein ästhe- tisch scharfsinniges Urteil zu V)esitzen. Es heilst bei Lessing (vgl. seine Vorrede): 'Was soll ich von seinem Eduard and Eleonora sagen? Dieses ganze Stück ist nichts als eine Nach- ahmung der "Alkeste" des Euripides, aber eme Nachahmmig, die mehr als das schönste ursprüngliche Stück irgend eines Ver- fassers bewundert zu werden verdient. Ich kann es noch nicht begreifen, durch welchen glücklichen Zufall Thomson in der neueren Geschichte die einzige Begebenheit finden mul'ste, die mit jener griechischen Fabel einer ähnlichen Bearbeitung fähig war, olme das Geringste von ilirer Unglaublichkeit zu haben !' Wu* unsei'erseits vermögen es nicht, der Lessingschen Ansicht beizustimmen. Der griechische Sagenstoff, das ist richtig, leidet

Kritisch-ästhetische Studien über James Thomsons Trag-rxlien. 49

an Unnatürlichkeit und Uuwahrscheinlichkeit und würde deshalb heutzutage nie der Gegenstand einer guten Tragödie sein können. Der mittelalterhche M>i;hus, der aus dem griechischen hervor- gegangen (vgl. hierzu EUinger: Alkeste in der modernen Litteratur, S. 24 ff.), leidet zwar nicht so sehr an Unglaublichkeit und be- wegt sich in den Grenzen der Möglichkeit, wurde aber von Thomson durchaus ungeschickt behandelt, so dafs wir wohl der Anlage, nicht aber der Ausführung und dem Ausgange nach eine echte Tragödie vor uns haben. Wir möchten hier im Ver- ideich zu Agramemnon eher einen dramatischen Rückschritt des Dichters erkennen. Das Stück enthält zahlreiche Eührscenen, welche durch die Fabel selbst bedingt sind, und erinnert in mannigfacher Beziehung an die 'trag^die bourgeoise' der Fran- zosen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Den Schauplatz der Handlung verlegt der Dichter nach Jafa (Joppe) an der Küste von Palästina, etwa sieben Meilen von Jerusalem entfernt. Für die historische Grundlage, worauf das Stück teilweise auf- gebaut ist, für die Zeit der Handkmg haben vdr an des Dich- ters eigenen Worten, die er Eduard in den Mund legt, einigen Anhalt (cf. I, 1):

E d w. Worthy of Enyland's heir and of the name Of Lion-hearted Ricliard, whose renown After almost a Century elaps'd etc.

Erwägt man, dafs der dritte Kreuzzug unter Friedrich Barbarossa, Pliilipp August von Fi-ankreich und Richard Löwen- herz von England in den Jahren von 1189—1192 stattfand und rechnet nach Thomsons Angabc etwa hundert Jahre weiter, so kommt man auf den Kreuzzug, an welchem Eduard I., mit dem Spitznamen 'Longshanks', teilnahm. Diesen Eduard I. (1272 bis 1307), den Sohn Heinrichs IH., meint der Dichter, und die Handlung spielt nach seiner Darstellung vor 1272, weil Eduard als Prinz nach Palästina gezogen war und ihm während der Be- lagerung von Joppe die Nachricht vom Ableben seines könig- lichen Vaters überbracht wird. Von der Belagerung von Jafa oder Joppe wird historisch nicht weiter berichtet. Wohl machte Eduard von England als Prinz einen Kreuzzug nach Palästina, die Todesnachricht seines Vaters gelangte aber nicht zu ihm, während er noch in Joppe war, sondern erreichte ihn

Archiv f. n. Spraclieii. LXXXIV. 1

f)!) Kritiscli-ästhetisclic Studien über James ThomsoriK Tragörlien.

auf seiner Rückkehi- während seines Aufenthaltes in Sioihen (1272). Er wurde zum König ernannt, es wurde eine Regent- schaft in England eingesetzt, das I^and war ruhig, und der Graf von Gloucester leistete bereitwillig den Lehnseid. Es ist dem- nach die Zeit der Handlung kurz vor das Jahr 1272 zu setzen. Der historische Stoff bot dem Dichter wenig oder vielmehr gar nichts, um eine Tragödie aufbauen zu können, deshalb hielt er sich an die Sage, welche aber, wie oben erwähnt, ebenfalls durch- aus keinen rechten Stoff zu einer Tragödie liefern kann und konnte. Mau bewundert wohl die bereitwillige, rautige, selbst- lose Aufopferimg Eleonoreus, es rührt uns die treue, innige Liebe zu ihrem ungiücklicheu, dem Tode unrettbar verfallenen Gatten, die reine, ideale Liebe, welche ihr teurer ist als ihr eigenes Leben, aber eine tragische Heldin ist sie deshalb doch nicht. Hierzu müfste sie infolge einer entweder durch eigenen Fehltritt oder durch die Schlechtigkeit anderer herbeigefülu-teu Schuld leiden imd dann kämpfend für eine höhere Idee, welche sie aber auf Irrwege geführt, im Kampfe unterliegen. Sie stirbt ja aber nach des Dichters Darstellung nicht, sondern wird ge- rettet, so dafs sie nun ebensowenig wie Eduard tragische Hel- denfigm* wdrd. Selbst wenn sie den Tod erütteu, würde sie noch keine tragische Heldin, sondern blofs eine aufopferungsvolle, treue, heldenmütige Frau sein. Im ersten Akte A^nrd die Kata- strophe bereits vorbereitet, im zweiten nur noch hinausgescho- ben; jeder weifs, dafs sie mit Bestimmtheit eintreten muls, und doch wird der ganze dritte Akt, in welchem die That geschehen, noch mit langen, rührenden Abschiedsscenen zwischen Eduard und Eleonore hingezogen. Die Katastrophe tritt schliefslich gai- nicht ein, imd man ist in der That gespannt zu erfahren, Avel- chen Fortgang die Handlung in den beiden letzten Akten noch nehmen wii'd. Da tritt mit einem Mal eine unvorhergesehene Peripetie und damit zugleich eine Nebenhandlung ein, die aller- dings mit der Haupthandlung in direkter Verbindung steht. Der Sultan Selim, als Derwisch verkleidet, erscheint im Lager Eduards, um, wenn es noch Zeit ist, die imglückliche Eleonore durch An- wendung eines Gegengiftes zu retten. Er vollführt sein edles Werk der Humanität und tritt, ohne dafs Eduard ihn kennt und ohne dafs er um die Errettung seiner geliebten Gattin

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weüs, vor ihn liiu, um den Sultan von dem schmählichen Ver- dachte hinterlistiger planmälsiger Mordgedanken freizusprechen. Es entspinnt sich (V, 3) zwischen Eduard und dem Derwisch ein äufserst lebhaftes und interessantes Zwiegespräch, welches schliefslich mehr einem heftigen Wortwechsel gleicht, indem Eduard sich oft von Leidenschaft, Zorn und Schmerz über den Verlust seiner treuen Eleonora zu den gröbhchsten Beschul- digungen und Schmähungen des Sultans und seiner Rehgion hin- reifsen läfst. Es empört ihn, dafs der Derwisch so frei und unumwunden den Sultan verteidigt, und als erst gar der angeb- liche Mordversuch als die Handlung eines Fanatikers, der einer besonderen religiösen Sekte angehört, der ohne des Sultans Wissen sich in des Königs Zelt Unheil planend eingeschlichen, dai'gesteUt wird, da bricht der ganze Sturm der entfesselten Leidenschaft Eduards los, und er scheut sich nicht, den Sultan und seine Religion als die Ursache des Unglücks imd der Schmach der Christen hinzustellen. Jetzt entdeckt sich der Derwisch als Selhn selbst. Aber auch nun glaubt Eduard noch nicht an dessen Worte und wird erst dann versöhnt, als Eleonora, durch Selim errettet, auf der Bühne erscheint. Im zweiten Teile der Tragödie, von welchem man mit vollem Rechte reden darf, erscheint Selim als der Retter, als ein Held, der sich unsere volle Sympathie erwirbt. Die Einheit der Handlung wird da- dm"ch zwar nicht völlig aufgehoben, aber doch zum mindesten beeinträchtigt. Eduard und Eleonora stehen noch im Mittel- punkte derselben, aber man interessiert sich jetzt fast weniger für sie als für den Sultan Sehm. Die oben erwähnte Sceue zwischen Eduard und dem Sultan gehört zu den besten und lebendigsten im ganzen Stücke, Es finden sich in diesem Dia- loge Ideen und Tendenzen, die in I^essings Nathan in ganz ähn- licher Weise wiederkehren, und es ist deshalb nicht immöglich, dals sich aus diesem Umstände Lessings günstiges Urteil über Eduard und Eleonora zum Teü erklärt. Anderenteils rührt I^es- siugs günstige Ki'itik wohl auch davon her, dafs er im Jahro 1756 sich selbst in der tragischen Kunst noch nicht versucht hatte und noch nicht so hohe Anforderungen an dieselbe stellte wie später. Selim erscheint als Träger der Humanität, als Ver- treter einer in der Liebe und Toleranz thätigeu Vernunftreligion.

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52 Kritisch -ästhetische Bturlieri üV)er James Thomsons Tragödien.

lu der Liebe und Toleranz können alle Religionen ohne Unter- schied gleich und wahr sein. Man vergleiche in dieser Hinsieht nur folgende Verse (V, 3):

Edw. You all are higots, robbers, ruffians all! It is the very genius of your nation. You live by rapine, thoice your empire rose ; And your religion is a mere pretence To rob and mnrder in the name of Heaven.

Selim. Be patient, Prince, be more humane and just.' You have your virtues and your vices too; And we have ours. The liberal hand of nature Has not created us, nor any nation Beneath the blessed canopy of Heaven, Of such malignant elay, but eacli tnay boast Their native virtues and their Maker's bounty.

Und weiter unten heilst es:

Yet I am greater than the hiyliest nionareh,

Who, from blind fury, grows the slave of passion.

Besides, I come to justify a prince

Howe'er in other qualities below thee,

In love of goodness, truth, humanity

And honour, Sir, thy equal; yes, thy equal.

Selim ist fast der einzige scharf und konsequent durch- geführte Charakter. Er ist edel, human, tolerant und bescheiden. Er erregt als Vermittler und Ritter, getragen von hohen und rein menschlichen Ideen, das ungeteilte Interesse des Zu- schauers. — Abgesehen von dem dramatischen Dialog zwischen Eduard und Selim, sowie einigen, wenn auch nicht tragischen, so doch rülirenden Situationen und innigen Scenen zwischen dem Prinzen und seiner ihn zärtlich und unvergleichlich liebenden Gattin, ist das ganze Stück dürftig und wenig dramatisch, die Handlung steril, schleppend, unnatürlich und unnötig lang hinaus- gedehnt. Nimmt man nun noch hinzu, dafs auch die Diktion im ganzen weniger markig und präcise ist, so mufs man die ganze Tragödie zu des Dichters unbedeutendsten Leistungen zählen.

4. Tanered and Sigismunda.

'Tancred und Sigismunda^ nebst dem letzten Stücke 'Coriolanus' gehören unzweifelhaft zu des Dichters besten Tra-

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gödien. 'Taucred und Sigismunda^ ist allerdings in der Kom- position auch nur schwach^ namentlich leidet die Verwickelung und die Katastrophe an zu grofser Unwahrscheinlichkeit, die Handlimg dagegen zeichnet sich durch Frische und Lebendigkeit aus. Im bunten Scenenwechsel führt der Dichter eine Reihe dramatischer Gemäkle, die unser Interesse fesseln und uns mit den handelnden Personen fühlen lassen, au unserer Seele vor- über. — Der Dichter sagt selbst in seiner Vorrede, dafs das Stück bei der Bühuenauffülirimg beträchthch gekürzt worden sei, dafs er es aber dem Leser m seiner ursprünglichen Form zeigen woUe. Der Ort der Handlung ist Palermo. Der Stoff ist der mittelalterlichen sicilianischen Geschichte entnommen; der Dichter versetzt uns in die Zeit Tancreds, des letzten Spröfs- lings der Normannen, ziu-ück. Es mufs von vornherein bemerkt werden, dafs sich Thomson mehrfach auffäUige Abweichungen von der geschichtlichen Überlieferung erlaubt hat. Die mut- maßlichen Gründe, welche er dabei hatte, sollen bei der Kritik näher erörtert werden. Es möge nun zunächst eine etwas aus- führlichere Analyse des Stückes mit Beibehaltung der liistorischen Unrichtigkeiten folgen.

Wilhelm IT. mit dem Beinamen 'der Gütige' liegt auf dem Sterbebette. In seiner letzten Willenserklärung, die ihm Siffredi, der Lordkanzler Siciliens, angeblich im Interesse des Staates, der Ruhe und Wohlfahrt des Volkes, so zu sagen abgerungen hat, hat er Tancred, den Enkel Rogers L, des ersten Normannen herzogs, verpflichtet, seine Taute Constantia zu heiraten, widi'igenfalls er auf die Krone Verzicht leisten imd Constantia mit Heinrich VI. vermählt werden soll. Tancred, welcher bisher als Pflegebefohle- ner uud Adoptivsohn im Hause Sitfredis gelebt hat, erfährt von diesem seine Abstammung und dals er nach des Königs Wunsch und Willen Herrscher über Sicihen werden soll. Die Bedingun- gen verschweigt ihm Siffredi. Letzterer weüs um seiner Tochter Sigismunda Liebe zum Prinzen Tancred und will auf alle Fälle eine eheliche Verbindimg der sich innig Liebenden hintertreiben. Sigismunda ist oft von bösen Ahnungen erfüllt und kann sich das übergTolse Glück kaum denken, Tancred, der soeben von den sicilianischen Grofsen und vom Volke feieriich zum König von Sicihen ausgerufen worden ist, als Ehegemahl zu besitzen.

M Kritiscli-ästhetischc .Studien iil)er .laiiu-s 'riioinsons Tragi'idicn.

Tancred überreicht ihr deshalb beim Ab.schied eine mit .seiner Namensunterschrift verscliene Urkunde, die sie ilirem Vater über- reichen soll, damit er sein väterliches Jawort darauf schreibe und tlie Vermählung sofort vor den versammelten Pairs verkündige. Siffi-edi jedoch aus staatsmännischen Klugheitsrücksichten ver- kündet vor der Versammlung des Königs letzten Willen und in Gegenwart Tancreds und Sigismundens die Eheschliefsung Tanc- reds mit der Prinzessin Constantia. Tancred in seiner über- grofsen Bestürzung und Entrüstung, zugleich aber auch aus zar- ter Rücksicht auf seine Geliebte Sigisnmnda, vermeidet den öffentlichen Skandal. Er fordert Sitfredi auf, am folgenden Tage diese Bekanntmachung als gemeine Fälschung zurückzunehmen, wogegen sich aber Siffredi mit Entschiedenheit sträubt. Im Gegenteil er verspricht die Hand seiner Tochter dem Grafen Osmond, der um dieselbe angehalten hat. Sigismunda, anfangs vor Scham, Schmerz und Trauer imi den Verlust Tancreds dem Wahnsinn nahe, läi'st sich von ihrem Vater und ihrer Vertrauten Laura, welche Tancred als einen Feigling und Treulosen hinstellt, überreden und reicht, innerKch empört über Tancreds Benehmen, über seinen Betrug, dem ungeliebten Osmond die Hand, nur um sich so an Tancred zu rächen, den sie wirklich für treulos und unmännlich hält. Tancred schreibt an Sigismunda einen Brief, worin er ihr den unseligen Betrug mitteüt. Dieser Brief gelangt zu spät in ihre Hände. Tancred begiebt sich selbst zu Sigis- munda und beschwört sie, die Seine zu werden. Er ^vill durch fürstlichen ISIachtspruch ihren auf betriigerische Weise mit Os- mond geschlossenen Ehebund für null und nichtig erklären. Bei dieser Zusammenkunft mit Sigisnumda wird er von Osmond überrascht. Es kommt zu heftigen Auseinandersetzungen zwi- schen beiden Rivalen, und Tancred verbietet Osmond unter An- droliung der Todesstrafe, sich Sigismunda Je wieder zu nähern. Dieser, pochend auf seine gerechten Ansprüche auf seine Ehe- gemahlin und unterstützt von seinem Schwiegervater Siffredi, bietet dem Könige trotzig die Stirn. Es folgt die Gefangen- nahme Osmonds durch Rodolpho, der einen schriftlichen Haft- befehl seines Freundes, des Königs, vorzeigt. Osmond wird auf ein festes Schlots in Palermo gebracht. Goffredo, der Befehls- haber dieses Schlosses, sein Freund, erlaubt ihm, auf eiue Nacht

Kritisch-ästhetische Studieu über .Tarne? Thomsons Tragödien. 5-5

sich zu eutfernen. Am folgenden Tage sollte er überhaupt nach des Königs Befehl auf freien Fufs gesetzt werden. Er eilt zu seinem Weibe und trifft dort den König, der Sigismunda wieder- holenthch vergeblich bestürmt hat, ihm die Hand zu reichen imd ihm als Ehegemahlin in sein Schlofs zu folgen. Es entsteht ein äufserst erregter, leidenschaftlicher Wortwechsel zwischen Tanc- red und Osmond, es kommt zum Kampfe, und Osmond fällt durch Taucreds Schwert. Sterbend ergreift der imglückhche Osmond den Dolch imd durchbohrt unter Flüchen und Ver- wünschungen sein neben ihm knieendes unschuldiges Weib. Der Verzweiflung nahe, entreilst Tancred dem in der Nähe stehenden Rodolpho das Schwert, um sich zu töten, wird al^er von diesem, der ihn au Sigismundens letzte Bitte, sein eigenes Leben zu schonen, erinnert, vom Selbstmord abgehalten. Von Schmerz überwältigt, an der Leiche Sigismundens niederknieend imd sie mit Küssen bedeckend, findet ihn Siffredi, der jetzt zu spät sein Unrecht erkennt und am Schlüsse eine kurze Moral ausspricht des L]halts, dafs Eltern ihre Kinder nicht tyrannisch zu einer Heirat zwingen, sondern ihnen nach ihres Herzens Drange freie Wahl lassen sollen.

Im Interesse des Stückes imd des Helden selbst hat sich der Dichter, wie im Eingänge bereits bemerkt \ntrde, mehrfach Abweichungen von der historischen Überlieferung gestattet. Nach der Geschichte ist Tancred Enkel Rogers L, unehelicher Sohn Rogers H. und Halbbruder Wilhelms I., des Bösen. Tliomson dagegen, dem eine solche Abkunft füi' seinen Helden als un- passend und undramatisch erscheinen mulste, stellt ihn als den rechten Sohn Manfreds dar. An Manfred, der erst später im 1.3. Jahrhundert als Halbbruder Kaiser Konrads IV. eine historische Rolle gespielt hat, kann natürhch liier nicht gedacht werden. Manfred ist einfach bei Thomson eine erfimdene Persönhchkeit. Nach Thomson wird Manfred durch Wilhelm den Bösen ermordet, und Wühelm IL, der Gütige, welcher kinderlos stii'bt, bestimmt testamentarisch seine Schwester Constantia zm- Gemahlin Tauc- reds. Nun ist aber nach der geschichthchen Tradition Constantia die Schwester Wilhelms L, mithin Halbschwester Tancreds und Tante Wilhelms H. Dieser hatte sie mit dem Sohne Fried- richs L (Barbarossa), mit Heinrich VI., vermählt und ihm, da er

.')ri Kritiscli-ästhetische Studien über James Thomsonis Tragöriirn.

selbst kinderlos war, die Herrschaft über Sicilien zugesichert. Thomson konnte aus dramatischen Rücksichten imd (Gründen zur Herbeiführung des Konfliktes und der Katastrophe der ge- schichtlich feststehenden Überlieferung nicht folgen und Con- stantia als Schwester Wilhchns I. hinstellen, weil dadurch die geplante Heirat zwischen ihr und Tancred gar nicht möghch ge- wesen wäre und die Verwickelung und Katastrophe gar nicht hätte herbeigeführt werden können. So aber ist das Verlangen, welches man au Tancred stellt, die Tochter des Mörders seines Vaters zu ehelichen, um so viel schrecklicher und dient nur dazu, ihn in seiner treuen Ijiebe zu Sigismunda zu bestärken. Sigismuuda gleichwie die übrigen Personen im Stücke sind er- dichtet, und es fehlt ihnen jeglicher geschichtliche Hintergrund. Solche Erfindungen, solche Abweichungen erlauben und erlaubten sich auch audere Dichter, wenn die Regeln der dramatischen Kunst es erheischen. Der Wert der Thomsouschen Tragödie wird übrigens durch jene historischen Unrichtigkeiten keineswegs l)eeinträchtigt, sondern viehnehr erhöht. Nicht so verhält es sich mit den mannigfachen auf fälligen Un Wahrscheinlichkeiten, woran die Darstellung leidet. Zunächst ist die Herbeiführung der Ver- wickelung höchst unnatürlich. Kann man sich wohl vorstellen, dafs Tancred, nur um Aufsehen zu vermeiden und aus zarter Rücksicht auf seine Braut, stillschweigend seine von SifFredi ver- kündigte Vermählung mit Constantia als wahrheitsgemäCs hin- nimmt? Hatte er nicht vielmehr allen Grund dazu, offen imd energisch vor dem versammelten Volke gegen solch eine er- bärmliche und unverschämt freche Entstellung der Wahrheit zu j>rotestieren und seine Liebe zu Sigismunda, seiner Braut, laut zu bekennen? So würde er doch ganz entschieden Ndel richtiger gehandelt und Sigismunda Demütigung und Herzeleid erspart haben. Mit Worten, wie sie sich V, 6 finden, wird die Hand- lung Tancreds um- sehr schlecht und wenig stichhaltig motiviert. Er sagt dort in dem Dialoge mit Sigismunda:

/ told fliee how thy fatJ/er's artifice

Fore'd me to seem perfidious in thine eyes.

Ah, fatal blindness! not to Imve observd

The mmgled pangs of rage and love that shook me :

When, by my cruel piiblic Situation

Kritisch-ästhetische »Studien liber Janies Thomsons Tragödien. 57

Gompell'd, I only feignd consent, to gain A little time, and niore seciire tliee tnine.

Sollte die Verwiekelung entstehen, sollte die Katastrophe eingeleitet und herbeigeführt werden, und das niulste ja doch geschehen, so durfte die glückliche Verbindung Tancreds und Sigismuudeus auf keinen Fall stattfinden. Der Dichter hätte aber eine nicht so plumpe, auf Unwahrscheinlichkeit, man möchte fast sagen Unmöglichkeit, beruhende, sondern planmälsig an- gelegte und wohl ausgedachte lutrigue erfinden sollen, welcher» das ahnungslose Liebespaar unrettbar zum Opfer gefallen wäre. Unnatürlich ist es ferner, dafs Tancred so lange säumt, wenigstens den Brief an Sigismunda abzusenden, worin er ihr den Betrug ihres Vaters mitteilt und sich gegen den Verdacht der Treu- losigkeit verwahrt. Gar nicht genügend motiviert wird sodann der schnelle Entschlufs Sigismundeus, wider Willen und ohne jegliche Herzensneigung ihre Hand dem Grafen Osmond zu reichen. Sie darf doch eigentlich nach den kurz zuvor erfolgten aufrichtigen Beteuerungen der Liebe und Treue ihres Verlobten unmöglich so rasch an dessen Sinnesänderung glauben und, ohne mit ihm gesprochen oder auch nur von ihm gehört zu haben, blofs weil er vor der versammelten Menge geschwiegen, sie somit be- trogen, ihr Herz verleugnen und es au Osmond verschenken. In- folge solcher Unwahrscheinlichkeiten erregt auch das Schicksal Tancreds und Sigisnumdens weder die Furcht noch das Mitleid des Zuschauers. Er empfindet, dafs beide zu unbesonnen handeln und dafs ihre Handlungen gar nicht motiviert sind. Dadurch dais Osmond mit Siffredis Einwilligung Sigismunda zur Frau be- kommt, rückt er zu sehr in den Vordergrund dei* dramatischen Handlung. Man interessiert sich wohl noch für Tancred und Sigismunda, sowie deren Schicksal, erkennt aber in Tancred nicht mehr recht den Helden, denn dazu ist er zu wenig entschlossen und thatkräftig. Osmond hingegen ers(!heint als Mann starreu, unbeugsamen Sinnes, kühn trotzend den Drohungen des Königs, der in seinen Augen kein Recht besitzt, ebenso wenig wie der geringste Unterthan des Staates, Gewaltthätigkeiten zu üben. Die Gründe endlich, welche den Lordkanzlor Sitfredi bestinnnen,. das Glück zweier sich Liebenden kalt und unbarmherzig zu zer- stören, nämlich des Staates und des Königs eigenes Wohl, sind

58 Kritiscli-astlietischc Stiidieii iilif r .l:ini('s 'l'liom.soiis Tragödien.

sehr wenig .stichhaltig, so dals weder der Zuschauer nf)eh der Intrigant selbst von der Wahrheit derselben überzeugt sein kann. Man vergleiche liierzu die AVorte Siffredis (IJ, 1) :

He musi, submit, his dream of love must vanish It shall be done ! To me, I knoiv, 'tis rinn ; Biä safety to the public to the King. I will not reason more, I will not listen Even to the voicc of honour No 'tis fior.'d ! I / here devote me for my prince and coimtry ;

Lei them be safe, and let me nobly perish!

Neben diesen hervurgehobeuen, nicht unbedeutenden Schwä- chen hat das Stück aber auch viele Lichtseiten und Vorzüge vor allen anderen Tragödien Thomsons. Hierzu gehört vor allen Dingen das frische dramatische Leben, bedingt durch einen im raschen Tempo von Für- und Widerrede wechselnden Dialog. Das Interesse des Zuschauers wird beständig angeregt, und, trotz- dem dals die Verwickelung eingetreten und man einen schlimmen Ausgang befürchten mufs, wird die Hoffnung auf glückliche Lö- sung des Konfliktes durch neue Kombination von Plänen und Entschlüssen wieder aufgefrischt und genährt. Man vergleiche in dieser Hinsicht namentlich Siffredis Versuch (V, 2), seinen Schwiegersohn zu überreden, Sigismunda ins Kloster zu schicken, damit sie unter Gottes heiligem Schutze keine Gefahr mehr zu befürchten habe. Osmond freilich, der jetzt selbst gegen Siifredi railstrauisch geworden ist, ihn für einen geheimen Verbündeten und Freund des Königs hält, lehnt solch ein Ansinnen mit Ent- rüstimg ab. So drängen denn die Umstände, nachdem alle Ver- söhnungspläne fehlgeschlagen, zm- blutigen Katastrophe hin. Die letzte Scene ist, abgesehen von der etwas aufdringlichen Schlufs- moral, hoch dramatisch. Wüd stürmen die zügellosen Leiden- schaften aufeinander. Der um seine Liebe schändlich betrogene, in Verzweiflung mafslos aufgebrachte, in seinen Rachegelüsten seiner selbst kaum mächtige Tancred erhebt die Hand gegen den gereizten, bis zum Wahnsinn eifersüchtigen, in seiner Ehre und in seinen Rechten gekränkten Osmond. Osmond fällt und mit ihm Sigismunda. Sie bül'st ihre Leichtgläubigkeit und ihren dar- aus hervorgehenden beleidigten Stolz und ihren Trotz mit dem Tode. Erschütternd wirkt er nicht, \vohl aber x'ersöhneud. Ihre

Kritisch-ästhetische Studien ül)er James Thomsons Tragödien. 59

letzten Worte legen beredtes Zeugnis ab von ihrer reinen Seele, ihrer Liebe zu Tancred und der kindlichen Verehrung ihres Vaters, den sie dem Schutze und der Schonung Tancreds an- empfiehlt. Aber nicht nur der SchluCs, sondern auch viele andere Scenen und Situationen im Stücke sind echt dramatisch imd interessant. Die Charaktere sind trefflich gezeichnet, und die Leidenschaften der handelnden Personen kommen \virkungsvoll zur Geltimg. Für kein Stück palst das oben angeführte Ur- teil Hettners, dals Thomson unerträgHch frostig und unbedeutend vnrd, sobald er Menschen imd menschliche Handlungen ausmalt, so wenig als gerade für Tancred und Sigismunda. Jeder un- befangene Leser und Beurteiler Thomsons wird sich von der Wahrheit unserer letzten Behauptung überzeugen, wenn ei' sich die Mühe nimmt, folgende Scenen aus Tancred und Sigismunda zu vergleichen :

1) Die reizende Liebesscene zwischen Tancred und Sigis- munda (I, 6). Wie liebreizend und treu und doch wie bange besorgt um die Zukimft erscheint da Sigismunda, und Avie verrät ein jedes Wort Tancreds, wie unaussprechlich glück- lich er sich fühlt durch Sigismundens Besitz, wie er sie treu schützen und wie stolz er auf sie als seine Königin schauen will!

2) Die für Tancred so furchtbare Enthüllungsscene der Ver- heiratung Sigismimdas und Osmouds (IV, 2).^

3) Die leidenschaftliche Auseinandersetzung zwischen Tanc- ried und Osmond, der sich durch kein königliches Machtwort noch Drohung schrecken läfst (IV, 3).

4) Die Scene zwischen Tancred, Siffredi und Osmond, zwi- schen einem leidenschaftlich liebenden König, einem gütlich ver- mittelnden Staatsmann und einem tief gekränkten, zornig auf- brausenden Eheherrn (IV, 4 u. 5).

i>' Nimmt man nun noch die in glatten Versen dahinHiel'sendo \tiarme, innige und gefühlvolle, bald leidenschaftliche, schwung- volle und doch nicht bombastische und überladene Sprache hinzu, welche in den meisten Scenen der Tragödie vorherrscht, so wird mau dieselbe trotz der nicht unerheblichen Mängel luid St^hwä- chen als ganz schätzenswerte dramatische Leistung des Dichters hinstellen düi'fen und anerkennen müssen.

60 Kritibch-ästhetiBche iStiulieii iiljci- .(aine,« Tliumsuns Tragcidieu.

5. Coriolaniis.

Die zum Teil liistoriscli feststehenden, zum Teil von der Sage ausgeschmückten Grolsthateu Coriolans, seine Verbannung aus seinem Vaterlande, seine Flucht ins Lager der Volsker, sein Verrat am Vaterlandc aus Rache, sein Zug gegen Rom und sein Tod können sehr wohl den Gegenstand zu einer Tragödie bilden. Shakspere hat den eklatantesten Beweis hierfür- gehofert und der Nachwelt ein Werk hinterlassen, das immer und ewig seuien Wert behalten und uns durch seine dichterischen Schönheiten erfreuen und begeistern wird. Die Todesart Coriolans, welche für die tragischen Dichter von besonderer Bedeutsamkeit sein mulste, ist historisch nicht festgestellt worden ; die Sage aber läfst ihn bald sich selbst töten, bald von den Volskern erschla- gen werden oder endlich in hohem Alter im Lande der Feinde sterben. Der Tod durch der Volsker Hände mufste für die Tragiker, imd so auch für Thomson, der sich an Shakspere an- lehnte, die am besten zu verwendende Überlieferung sein. Durch David Garricks Darstellung Shaksperescher Figiu"eu und Helden erfolgte die sogentmnte Wiedererweckung des grolseu Meisters der dramatischen Kunst in England. Mau hatte Shakspere zwar immer als einen Stolz der englischen Litteratur betrachtet, aber doch bis tief in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein aus dün- kelhafter Eitelkeit gemeint, ihm überlegen zu sein. Es war in den vierziger Jahren, kurz xov dem Erscheinen von Thomsons Coriolan, dal's Garrick die Heldenrollen aus einigen der grölsten Tragödien Shaksperes spielte. So King Lear und King John km-z nach 1741, Macbeth 1744, Romeo 1748. Die Shakspereschen Stücke wurden ja allerdings von den Dichtern damaliger Zeit oft gar sehr entstellt, es wm-de an ihnen in unverantwortlicher Weise herumgeflickt und herumgeschneidert, der Geist derselben blieb jedoch, die grolsen Gedanken imd tiefen philosophischen Betrachtungen, an denen die Shakspereschen Tragödien so reich sind, wurden meist unverändert als heiUges, unantastbai'es Gut hingenommen. Thomson nahm sich, wie ein Vergleich der beiden Coriolane lehrt, Shaksperes Stück zum Vorbilde, besals aber bei weitem nicht das feine dramatische Verständnis, noch die geniale Schöpfungs- imd Dichtergabe, welche avu- mit Recht

Kritisch-ästhetische Studien über James Thomsons Tragödien. 61

an Shakspere, dem grolsen jNIeister, so sehr rühmen und bewun- dernd schätzen. Nur der vierte und fünfte Akt diente Thomson als Vorlage. Aus diesen beiden Akten machte er fünf und ver- fiel hier bei seinem Bestreben, seinen Gegenstand so einfach ^^^e möglich zu wählen, in den Fehler, ihn bei der dramatischen Dar- stellung desto mehr in die Länge und Breite zu ziehen, wodurch Monotonie und Wiederholungen notwendigerweise oft gar nicht ausbleiben können. Es ist geradezu unverständlich, wie Thomson dazu kam, den so herrlichen dramatischen Stoif so sehr zu kür- zen und sich nicht enger an Shakspere anzuschliel'sen. Welche herrhcheu dramatischen Gemälde, welche Reihe von etJektvollen, lebendigen und äul'serst interessanten Scenen bietet uns Shak- spere in seinen drei ersten Akten ! Wir sehen den stolzen, un- beugsamen, die Tribunen mit Verachtung behandelnden Patricier Coriolan, sehen ihn als kühnen Helden im Kampfe gegen die Volsker vor imd in Corioli, dann ^^■ieder als triumphierend heim- kehi'enden, mit dem Eichenlaubkranz geschmückten edlen Sieger. Es spielen sich in bunter Reihe die stürmischsten Volksscenen vor unseren Augen ab und schliefslich wird in drastischer Weise Coriolans Bruch mit seinem Volke und Vaterlande unübertreif- lich schön in lebhafter Handlung packend und hiureifsend zm* Darstellung gebracht. Wir erhalten ein ganz genaues und treues, bis ins Detail ausgeführtes Bild vom Helden, von seinem Cha- rakter und seiner Schuld, die mit dem Übergänge zu den Fein- den beginnt. Von all dem findet sich bei Thomson nichts, und seiu Stück beginnt gleich mit der Schuld des Helden; seine Vor- geschichte ^^ärd blois etwas sch^verfällig und trocken \-on Titus erzählt (H, 1). Von dem Moment an, als die Geschichte und die Geschicke Goriolans im Lager der Volsker dargestellt wer- den, ähneln sich Thomsons und Shaksperes Stück. Hätte sich Thomson etwas genauer an die Shaksperesche Auffassung des Gegenstandes gehalten, indem er auch die drei ersten Akte berück- sichtigt hätte, so würde seine Tragödie an Wert nur haben ge- winnen können. Und doch enthält sie auch so noch manche dra- matische Vorzüge, die ihr einen würdigen Platz neben Tancred und Sigismunda einräumen. Namentlich ist das Eintreten der Kata- strophe durch die Tntriguen der unermüdlichen Gegner des Helden «geschickt und echt dramatisch motiviert worden. Die Tntrioauten

62 Kritisch-ästhetische Studicii über James Thomsons Tragödien.

bedienen sich zwai" inuucr wieder von neuem denselben Mittel, spitzen aber ihre Waffen immer mehr zu, reizen und beleidigen den Helden von Scene zu Scene, so dafs er ihren Ansehlägen sclilie/slich zum Opfer fallen muls. Die Exposition zunächst ist allerdings mangelhaft. Die ganze Vorgeschichte des Coriolan wird, wie bereits erwähnt wurde, von Titus nur erzählt (ü, 1), nachdem Coriolan bereits vor Attius Tullus, dem Anführer der Vülsker, die Römer der Treulosigkeit und Undankbarkeit mit harten Worten beschuldigt hat (I, 4). Der Volskeranführer führt bei Thomson seinen historischen Namen, während Shakspere ihn im Widerspruch mit der Geschichte Tullus Aufidius nennt. Die Anklage seitens Coriolans macht einen ungünstigen Eindruck, indem er ziemlich kleinmütig und kriechend um die Gunst des Tullus bettelt und von ihm, wenn es ihm nicht vergönnt sein sollte, in den Reihen der tapferen Volsker gegen Rom zu käm- pfen, den wohlverdienten Todesstreich empfangen will (vgl. hierzu Shaksperes Cor. IV, 4). Sofort ist Tullus bereit, ihm den hal- ben Oberbefehl über das Heer zu übertragen und ihn als besten Freund zu betrachten. Der Wechsel in der Gesinnung des Tullus sowie sein unbedingtes Vertrauen zu seinem ehemaligen Tod- feinde treten zu rasch ein und sind durch Coriolans Bitten und Demütigung nicht hinreichend motiviert. Ebenso unterbleibt die dramatische Motivierung der Schuld des Helden. Der Zu- schauer ist nm* noch gespannt zu erfahren, ob mid wie lange Coriolan in seiner Schuld triumphieren, oder ob er durch die- selbe zu Gnmde gehen wird. Der Grund zu Coriolans Treu- losigkeit und Verrat ist, wae man freilich erst später von ihm selbst erfährt, sein tief beleidigter Patricierstolz luid sein ver- letztes Ehrgefühl. Hitzig und wütend weist er mit Entrüstung das Ansinnen der Volkstribunen zurück, vor einem Plebejer- gerichtshof zu erscheinen, um sich zu verantworten und zu rechtfertigen. Die Worte hingegen, die er zu Tullus sagt, klin- gen eines unbeugsamen, stolzen Patriciers, eines unüberwindlichen, siegreichen Coriolans nicht würdig.

Death from thy hand

I sure have well deserv'd Nor shall I blush

To take or life or death from. Attius Tullus (I, 4).

Gekränkter Ehrgeiz, Egoismus und Rachegedanken lassen Co-

Kritisch-ästhetische Studieu über James Thomsons Tragödien. 63

riülau nicht nüiig iu die Verbannung ziehen, sondern führen ihn ins feindliche Lager, um dort seinen brennenden Rachedurst zu stülen.

Coriol. I icould at once cut shoii my useless days, EatJier than he that despicable icretch, Who neitJier can take vengeance an his foes Xor serve his fründs (II, 6).

Es scheint, als soUe Coriolan triumphieren; er besiegt die Kömer und zieht vor Rom, um die Stadt zu zerstören. Diu-ch solche herrliche Kampfes- und Siegesthaten erwirbt er sich die Sympathien und die Herzen sämtlicher Volsker, so\\ne auch die Bewimderung und Freundschaft des Attius TuUus. Jedoch im Verborgenen lauert bereits der böse Feind, General Volusiuö, von dessen tückischen, hinterlistigen Gedanken und Plänen Co- riolan keine Ahmmg hat. Es ziehen sich über seinem Haupte schwarze, imheilverkündende Wetterwolken zusammen, und es be- darf nur eines günstigen Anlasses, um ihnen den Blitzstrahl zu entlocken und ihn zerschmetternd auf das Haupt des sorglosen Helden herabfahren zu lassen. Die Katastrophe wird vorbereitet, und zwar geht der Intrigant Volusius mit so gut gewählten, das Ziel sicher tretfenden AV äffen vor, bedient sich so spitzfindiger, höhnischer A'^erdächtigungeu und Verleumdungen des Helden, dals der Zuschauer einen raschen Umschwung, einen schlimmen Aus- gang befürchten mufs. Volusius hafst Coriolan, imd es ist ihm schon lange ein Greuel, zu sehen, ^x\e dieser noch in fi-euud- schaftHchen Beziehimgen zu Tullus steht.

Diese Beziehungen aufzuheben, dem Coriolan allen Kredit zu rauben, ihn als verkappten Feind imd frechen Eindringling hinzustellen, ist sein alleiniges Bestreben. Volusius ist der Me- phisto im Stücke, er scheut keine IVIittel und wendet immer die erfolgreichsten an, lun Tullus auf seine Seite zu ziehen und Um gegen Coriolan aufzureizen. Wie geschickt versteht es der un- emiüdhche Intrigant, den Stolz und namentlich die Eifersucht des Tullus waclizurufen dadurcii, dafs er Coriolan als eitlen, hoclmiütigeu Streber hinstellt, der in der That allein das Kom- mando im Volskerlager führt, dem es nach Uber\A4nduug der Römer üljer kurz oder laug gehngen wird, sich als Herren über beide Völker aufzuspielen. Tullus, dem fi-üher wohl gelegentüch auch ähnliche Gedanken flüchtig das Hirn durchkreuzt haben,

(il Kritiscli-fistlu'lisclK' Stiirlicii i'ihcr .Taiiifs Thomsons 'I'r;isrö(licii.

freut sicli inuerlittli, dieselben Jdeen in viel präciserer uud sclmei- digerer Form einen anderen entwickeln zu hören, und ist gar i)a]d von der Richtigkeit der Argumentationen des Volusius überzeugt. Es reift in Tulkis der P^ntsehluüs, da(s einer weichen muCs, und Coriolan raufs fallen, sobald er sich eine Blöise giebt. Diese ganze Scene (III, 2), der Dialog zwischen Volusius und TuUus, gehört zu den besten im ganzen Stücke. Die Thomsonsche Dar- stellung ist echt dramatisch und spannend, die Shaksperesche (Cor. IV, 7) ist weit einfacher, aber auch weniger wirkungsvoll. Der Dialog bei Thomson ist h()chst interessant, und mit Bangen erwartet der Zuschauer den Fortgang und die Entwickeluug der Handlung. Schon jetzt ergreift ihn Furcht, und seine Brust wird mit Besorgnis um derT Helden erfüllt. Da tritt plötzlich eine anscheinende Peripetie ein. Stolz uud unbeugsam zeigt sich Cbriolan der Friedensdeputation der Römer gegenüber. Er will nicht vom Sturme auf Rom Abstand nehmen; mit Energie ver- tritt und verficht er die Sache der Volsker, und seine im Inter- esse der Volsker gestellten Friedensbedingungen sind hart:

Restore the conquer'd lands yovr fwtner wars

Have ravish'd from them : from their towns and cities

Won by your arms withdraw your colonies,

And to the füll immunities of Rome

Frankly admit tltem, as you have the Latines (vgl. \l\, 3).

So ruft er ihnen zu.

Solche unumwunden deutlich ausgesprochene Berücksich- tigung uud Wahrnehmung der Interessen der Volsker entwaffnet plötzlich den die Friedensbedingungen mit anhörenden Tullus. Wie kann er einem solchen tapferen Verfechter der Rechte der Volsker, einem solchen treuen Führer derselben noch nach dem Leben trachten? Des Zuschauers Hoffnung, dafs der Held ge- rettet wü'd, steigt; diese schnell eintretende Peripetie zum Guten kommt trefflich zur Geltung. Doch ebenso schnell, Ane die Hoffnung gestiegen, sinkt sie auch wieder. Des Volusius böse Einflüsterungen, seine höhnischen Worte, die den Ehrgeiz und die Eifersucht des Tullus zu einer vorher nie gekannten Höhe hinaufgeschraubt haben, \'erfehlen ihre Wirkung nicht. Eine ge- ringe Veranlassung rückt die Katastrophe um ein gutes Stück näher, ja läi'st sie als sicher eintretend erscheinen.

Kritisch-ästhetische Studien über James Thomsons Tragödien. Go

Tullus soll das Kommando über eine Abteilung des Volsker- heeres übernehmen und es gegen die heranrückenden Latiner, welche Rom entsetzen wollen, führen. Dieser an und für sich ganz harmlose Auftrag wird zum Gegenstände des Streites und Hasses der beiden gleichstehenden Führer Tullus imd Coriolan. Tullus, von Zorn und quälender Eifersucht hingerissen, macht Coriolan die bittersten, ungerechtesten Vorwürfe, nennt ihn einen frechen Eindi-ingling und Usurpator and verlangt schliefslich den Oberbefelil über die gegen Rom marschierenden Truppen. Mit voller Selbstüberwindung und Niederkämpfung seines bis aufs tiefste verletzten Stolzes gewährt Coriolan aus staatsmännischer Klugheit, um einen offenen Bruch zu vermeiden, selbst diese Forderung, kann aber nicht umhin, seine Verdienste und die Bedeutung seines persönlichen Einflusses mit folgenden Worten zu betonen:

Oh, it Imports not which of us eommand !

Oive me the lowest rank among your troops;

All Italy will know the voice of fame,

Will teil all future times, that I was present ;

That Coriolanus in the Volscian army

Assisted when imperial Ronie was sack'd;

That city which, white he maintain'd her cause,

Invincihle her seif, made Antium tremble.

Da schleudert ihm Tullus die Worte: '^What insolent 'pre- sumpfion ins Gesicht, imd der offene Bruch zwischen beiden Führern ist besiegelt (IV, 3). Tullus, von neuem von Volusius aufgereizt, beschhefst Coriolans Tod. Und doch ein letzter Hoffnungsstrahl für seine Rettung taucht noch auf. Er hat den Bitten und Vorstellungen seiner Mutter und seiner Gemahlin, die Belagerung Roms aufzugeben, nicht widerstehen können, hat aber den Römern einen für die Volsker ehrenhaften Waffenstill- stand von einem Jahre unter den Bedingungen gewährt :

Tlbat Rome, meantime, shall to a peace agree Fair, equal, just and such as may seeure The safety, rights, and honour of the Volsci.

Diese edle, rein menschliche und doch auch wiederum ge- rechte That läfst Tullus in seinem Vorhaben noch einmal schwan- ken und stutzig werden. Zufrieden ist er nicht, dals (^oriolau sich erweichen Hels und seine ehemaligen, strengereu Friedeus-

Archiv f. n. Spraelieii. LXXXIV. 5

ÜU Kritisch-ästhetiHchc Stiulicu iilxr Juincs Tlioiiisons Tragödien.

hedingungen gemildert hat; es erscheint ihm andererseits aber auch grausam und erbärmhch, den stolzen Sieger über die Römer jetzt durch den Mordstahl fallen zu lassen. Er schlägt Coriolan deshalb vor, seiner eigenen Sicherheit halber Antium zu ver- lassen und zu den Römern, die seine Hilfe wohl noch brauchen können, zurückzukehren. Er weiTs freilich \-on \(^rnherein, wie wenig wahrscheinlich es ist, dals Coriolan auf solche mit Hohn und beilsendem Spott vorgetragenen Vorschläge eingehen wird, glaubt aber, seine Seele durch den letzten Versuch, die Kata- strophe zu verhüten, von Schuld befreit zu haben.

Darf man sich aber wundern , wenn auf solche AV^orte (V, 2) wie:

Return, return : thy dtity calls upon tliee

Still to protect the city thou hast saved.

It still may he in danger of our arms;

und weiter imten:

Whilst thou from me

Hast nothing to expect hut sure destruction. Quit then this hostile camp. Once 7nore I teil thee, Ttiou art not here one single hour in safety

Coriolans männlicher Stolz aufs allerempfindlichste verletzt ward und sein wirklich mit bewunderungswürdiger Selbstbeherrschung niedergekämpfter Zorn hervorbricht und in heller Lohe auf- flammt? Das haben die Intriganten durch ihr tückisches teuf- lisches Spiel blofs zu erreichen gesucht. Coriolan fällt auf ein gegebenes, vorher verabredetes Zeichen durch die mörderische Hand des im Hintergründe lauernden Volusius. Die am Schlüsse von Galesus ausgesprochene, etwas aufdringliche Moral:

Then he this truth the star hy ivhich ive steer, Ahove ourselves our country shoidd he dear

ist zwar übei'flüssig und undramatisch, vermag aber doch nicht, die Wirkung des tragischen Ausgangs aufzuheben oder auch nur abzuschwächen.

In den drei letzten Akten wird der Dichter fast in jeder Hinsicht den Anforderungen an ein gutes, selbst modernes Drama gerecht. Die Katastrophe ist hinreichend vorbereitet; sie wird immer wieder durch wirkungsvoll eintretende Peripetien auf- geschoben, nuiCs aber schlielslich, durch die Charaktere der intri-

Kritisch-ästhetische Studieu über James Thomsons Tragödien. 67

giiierenden Personen, sowie des Helden selbst bedingt, mit Not- wendigkeit eintreten, Coriolan ist ein Held, der zwar eine Schuld, aber eine wohl motivierte, vielleicht verzeihliche anf sieh lädt. Beleidigter Stolz ist die Triebfeder seiner Handlungen. Aus Ehrgeiz und Eitelkeit wird er schuldig; infolge seines be- leidigten Ehrgefülils, seiner gekränkten Feldherrnehre und seines verletzten Anführerstolzes fällt er den Eifersüchteleien eines ränkespinnenden Yolusius und eines gereizten neidischen Tullus zum Opfer. Sein Tod erregt Mitleid imd Fiu-cht: Mitleid inso- fern, als er tapfer, wenn auch nicht selbstlos, für die gute Sache der Volsker mit Leib und Seele kämpfend, den hinterlistigen Anschlägen der Feinde imverschuldeterweise erliegen mul's; Furcht insofern, als er zum äufsersten getrieben, eine allgemeine menschliche Schwäche, persönlichen Stolz, der aber frech be- leidigt wird, auf die Dauer niclit mehr verleugnen kann. Der Zuschauer fühlt es und sagt sich mit Besorgnis, dafs ein jeder Ehrenmann, aber ganz besonders ein Soldat, im gegebenen Falle gerade so wie der Held gehandelt haben würde.

Die Charaktere der Hauptpersonen, vornehmlich der Corio- lans, sind, me aus den angestellten Beobachtungen zu ersehen ist, trefflich skizziert. Von den Frauen ist Veturia, Coriolaus Mutter, am besten gezeichnet. In ilu'en Adern rollt echtes Römerblut; stok schaut sie auf ihren herrlichen Sohn, den sie innig liebt und verehrt. Über alles jedoch geht ihr das Vater- land, dessen Ehre und Freiheit. Lieber will sie sich selbst den Tod geben, als sehen, wie das Vaterland von ilirem eigenen Sohne Schmach erfährt und in Sklavenketten schmachtet. Die Handlungen sind immer die Folgen des Charakters. Ein schla- gender Beweis hierfür ist die Situation (V, 1), als Veturia den Dolch vorzeigt, um ihrem Leben im Notfalle ein Ziel zu setzen. Patriotisch gesinnt, als stolze edle Römerin, ruft sie ans:

I came not hither

To he sent hack, rejecfed, haffled, shamed, Hateful io Rome, heeause I am tJnj mother : Ä Roman matron knows in such extremes, What pari to take And thus I came prorided.

(Drawing froni uuder her robe a dagger.j Go ! barharous son! go ! double parricide! Rush o'er my corse to thy beloc'd revenge!

68 Kritisch -ästhetische Studien über James Thoinsous Tragödien.

Tread on the bleeding breast of her to vAom Thou oiv'st thy life Lo ! ihy ßrst rictim!

Solche Situationen und ähnliche lebhafte Darstellungen, ge- hoheii durch einen interessanten, S))ann('nden Dialog und eine echt dramatische Sprache, finden sich mehrfach im Coriolan, und sie alle liefern uns den Beweis, dal's Thomson doch nicht so wenig dramatisches Talent ])esars, als man gemeinhin annimmt und glaubt.

fi. Alfred (A Masque).

Unmittelbar an die Tragödien möge sich noch das Masken- spiel „Alfred" anreihen (vgl. Biographie des Dichters, S. 30).

Dieses in zwei Akte und Scenen eingeteilte dramatische Ge- dicht hat die sagenhafte Erzählung von dem als Bauern verklei- deten und bei einem Schäfer Corin und dessen Frau sich auf- haltenden König Alfred (871 901) zum Gegenstande. Alfred, mutig imd entschlossen, war im Kampfe gegen die Normannen, die von den Engländern Dänen genannt werden, erlegen; sein Heer wai* zerstreut worden, und er selbst hatte sich nach Athel- ney (Somersetshire) geflüclitet. Dort triiFt ihn der Graf Devon, und beide beraten miteinander, was zu thun sei, um England vom Drucke der grausam und gewaltthätig herrschenden Dänen zu befreien. Auch Eltruda, Alfreds Gemahlin, die nebst ihren Kindern vom sorgenden Gatten in einem Kloster verborgen ge- halten wird, verläfst in ihrer Angst ihre Zufluchtsstätte und triift mit ihrem Gemahl in der Schäferhütte zusammen. Beide sind in ihrem Kummer und Schmerz über ihres Vaterlandes Not und Elend der Verzweiflung nahe, als ein in der Nähe wohnender Eremit sie in ihrem Glauben und ihrer Hoffnung wieder bestärkt. Plötzlich erklingen himmlische Stimmen m der Luft, und, durch ihren Zaubergesang herbeigelockt, erscheinen verldeidet zukünftige Heldengestalten und Stützen des englischen Königi'eichs, unter ihnen Eduard HI., der Sieger in der Schlacht bei Grecy, sein Sohn, der Prinz von Wales, der 'Schwarze Prinz', sodann die Königin Elisabeth und Wühelm IH. Der Eremit zeigt Alfred, wie grofs durch sie England einst werden wird, und giebt ihm den Rat, jene sich zum Muster zu nehmen. An ihnen richtet sich Alfred auf und gewinnt wieder Mut, und durch sie, ge-

Kritisch-ästhetische Studieu über Janie? Thomsons Tragödien. 69

wissermaisen wie diu'ch überirdische Kraft, hat Devon über die Feinde gesiegt imd kommt mit der freudigen Siegesbotschaft zn Alfred ztu'ück, Das Ganze hat eigenthch nur insofern Ähn- lichkeit mit einem Drama, als es in Akte und Scenen eingeteilt ist. Es ist eine schlichte, etwas mysteriöse, mit Liedern über- irdischer Gestalten durchflochtene Darstellung der sagenhaften Erlebnisse Alfreds. Von Charakteristik, von dramatischem Leben und dramatischer Handlung kann keine Rede sein. Eine gewisse dramatische Wirkung bringt eigentlich nur das zarte, liebevolle Verhältnis zwischen Alfred und Eltrude hervor. Das Masken- spiel ist vielleicht noch insofern bedeutsam, als es das hübsche berühmte Lied mit dem Kehrreim :

Buk, Brilon nia, ride the waves, Britons ne'er shall he slaves

enthält, welches die Machtstellung, den Stolz und die Freiheit des unbeugsamen Englands verherrlicht. Die laugen Reden und Auseinandersetzimgen, Ermahnungen imd frommen Lehren des Eremiten sind sehr frostig und wirken auf den Leser mehr als ermüdend.

Fassen wir zum Schlafs nun unser LTrteil über Thomson als Tragödiendichter noch einmal kurz zusammen, so läfst sich etwa folgendes sagen : Thomson ist als Tragöde bei weitem nicht so unbedeutend und talentlos, als er von den Litterarhistorikern hingestellt zu werden pflegt. Oberflächliche und um- teilweise Lektüre der Thomsonschen Tragödien, vielleicht auch Vorurteil, juögen die absprechende, ungerechte und unbegründete Kritik der meisten Litteraturforscher veranlafst haben.

Thomson war in der Stoffwahl zu seinen Stücken meist, glücklich und auch die Ausführung darf im grofsen und ganzen als gelungen bezeichnet werden. Einen Helden, welcher für eine höhere sittliche Idee kämpft, durch das frevelhafte Beginnen und die Niederträchtigkeit anderer eine Schuld auf sich lädt und im Kampfe unterliegt, einen Helden, durch dessen Schicksal und Tod wir erhoben und erschüttert werden, hat Thomson allerdings in keiner seiner Tragödien zur Darstellung gebracht. Wohl aber hat er unter Beobachtung der dramatischen Eüiheiten, vorzüglich der Handlung, es ganz trefflich verstanden, in seineu besseren

7(1 Kriliscli-ä^;tlieti.sc'hL' Slmlicii ül)L'r JiiiiR's 'J'li(>iu^(jii.s TnigiKlii'n.

'ria^iklicii weuigstcus, wie wir geselicu liaben, da.s Interesse ile.s Zuschauer.s vom Aufaug bis zum Ende Für den Helden wach- zuhalten, uns mit ihm denken, fühlen und leiden zu lassen. Die Handlung ist mu- sehr einfach, aber auch sehr steril und zu lang gezogen. Eine notwendige Folge der in die Länge ge- zogenen einfachen Handlung sind INIonotonie und AViederliohmgeu in den Motiven und der Intrigue. Diese Mängel werden aber in fast jedem Stück Thomsons zum Teil durch einige lebhafte, echt dramatische Scenen und Situationen abgeschwächt und ver- deckt. — Auch entstehende und sich im Verlaufe steigernde Leidenschaften versteht der Dichter zu schildern. Den besten Beweis hierfür hefern ^Tancred und Sigismunda' und 'Corio- lanus'. Die Schilderung von Leidenschaften wird durch eine bald warme und gefülilvoUe, bald mächtig ertönende, kräftige und schwungvolle, jedoch nicht überladene Diktion in glatten luid meist wohlklingenden Versen erhöht. An rührenden Scenen und stinmiungsvollen Gemälden fehlt es bei Thomson niclit. Es nnils jedoch zu seinem Lobe bemerkt werden, dal's er solche Rührscenen nicht absichtlich herbeiführt, nur um den Gefühl- volleren und Weichherzigeren im Publikmn Thränen zu ent- locken (vgl. bes. Agam., Tancr. u. Sigism., Eduai'd u. Eleonore). Derartige Scenen legen Zeugnis ab von des Dichters tieferem Gemüt, und, wenn man ihm Kälte und frostige Darstellungsweise zum Vorwurf macht, so beurteilt man ihn einfach falsch und thut ihm imrecht. Manche Charaktere, namenthch in den bei- den letzten Tragödien, sind vortrefflich gezeiclmet und zeigen, dafs der Dichter Welt und Menschen kannte und beide wohl studiert hatte. Er entwirft und entrollt vor unseren Augen ab und zu dramatische Gemälde, die an Würde und AValu'heit denen eines modernen Dichters nicht eben um vieles nachstehen dürften. So läfst sich denn mit Fug und Recht behaupten, dals Thom- sons Tragödien, obwohl nur mittelmäfsige Leistungen, vom künst- lerisch-ästhetischen Gesichtspunkte aus betrachtet, doch im gan- zen besser sind als viele der sehr schwachen Stücke aus dem 17. Jahrhundert und in mehr als einer Hinsicht den Anforde- rungen genügen, die man an ein gutes, modernes Drama zu stellen berechtigt ist.

Vegesack bei Bremen. Guido Wenzel.

Entwickelungsgänge in der Sprache Corneiiies.

Zweiter Teil.'

A. Wortschatz. /. Substantiv.

aecident = „accidens" als Terminus technicus der Philosophie tilgte Corneille sicher seines lehrhaften, pedantischen Gepräges wegen: III, 526 var. 4: Substance qui jamais ne re§oit d' aecident.

affronteur =:^ „trompeur", heute selten (Sachs), war damals in der familiären Rede sehr beliebt (vgl. M-Iv. unter affronteur). Cor- neille hat es nur zweimal, I, 276 vers 20 und I, 168 var. 2, wo er es später strich.

aise ^:- Freude, Zufriedenheit, fällt an einer Reihe von Stellen, und zwar fast immer die Verbindungen mon aise, l'aise (Nom. oder Accus.). Meistens treten joie, repos an die Stelle. Vgl.: I, 455 var. 1, 462 var. 6, 485 var. 2, 493 var. 3, 494 var. 4 ; II, 111 var. 3, 129 var. 7, 157 var. 5, 166 var. 1, 234 var. 2, 260 var. 3; III, 187 var. 3. Dagegen der Genitiv d'aise bleibt meistens stehen, vgl. z. B. II, 173 vers 885. Wahrscheinlich schränkte der Gebrauch des Wortes sich im 17. Jahrh. ein, heute gebrauchen wir ja meist nur noch einige stehende Verbindungen wie ä son aise, ä l'aise u. ä.

alfange tritt III, 173 var. 4 im Cid statt epees (der Mauren) ein. Corneille liebt es, das Technische in seinen Stücken korrekt zu geben, daher wählt er diesen spanischen Ausdruck (span. „alfanje = especie de espada ancha y corva" etc., vgl. Beschreibung im Dikt. d. span. Akademie, 1726, Bd. I, S. 196, die ganz auf die maurischen Säbel pafst). Nicot, Cotgrave, Furetiöre und Richelet kennen al- fange nicht. Vgl. noch Aretz 10 11.

1 Erster Teil s. Archiv Bd. LXXXIII, S. 129 fl'. und 273 ff.

72 Entwickcluiigsgänpjf in der Sju'uclif rornoillcs.

ame. Chere dmc als ZärtlichkeitsauHdruck tiiuleii wir ein paar Mal in den ältesten Werken Coriieilles (I, -407 vers 153, 230 vers 1567); doch TU, 305 var. 1, 306 var. 6, wo das Weib dem Manne gegenüber so spricht, fiel es als zu familiär und süfslich. Voltaire 1, 159: ,, Chere äme ne revoltait point en 1639."

benefloe : „bienfait" stand bis 1660 III, 333 var. 1:

Et (le Roi) remet ä demain le pompeux sacrifice Que nous devoDS aux Dieux pour un tel bc^^nefice.

Das 1 6. Jahrh. kennt es in dieser Bedeutung (vgl. Littre), ebenso

noch Cotgrave 1611; jedoch nicht mehr Ac. 1694, Fureti^re und

Richelet. Heute nur noch attendrc tout du bcnefice du tenips in dieser

Bedeutung (Sachs).

boulevard nennt der Menteur IV, 176 var. 2 die Barrikade, die er vor der Thür aufgebaut haben will, in der bekannten erlogenen Erzählung von seiner Heirat. Später setzt Corneille rernpart dafür ein, weil boulevard im ursprünglichen Sinne von „Bollwerk" während des 17. Jahrb. veraltete, wie Furetiere und Richelet ausdrücklich be- zeugen. Wäre Voltaire die alte Bedeutung noch geläufig gewesen, so würde er kaum die Etymologie „boulevert, vert ä jouer ä la boule, qu'on prononce aujourd'hui boiüevart" aufgestellt haben. (Vgl. Vol- taire I, 461.)

braise =: „feux, flamme, amour", das sich z. B. auch bei Rotrou findet (vgl. Sölter 16), wurde getilgt I, 368 var., 468 var. 3, 497 var. 2; II, 153 var. 3, 159 var. 4, 193 var. 1, und zwar meist schon um 1640. Es ist stehen geblieben nur X, 56 vers 25 in einem Ge- dicht von 1632, das nur einmal gedruckt ist. Obgleich braise in tlieser überti'agenen Bedeutung bei den älteren Dichtern mehrfach vorkommt, galt es doch zu Corneilles Zeit schon als trivial, „braise se dit trop souvent ä la cuisine poui* qu'il soit supporte au salon" (M-L. XI, 134). Ac. 1694 hat es nur als: „charbons allumez", ebenso Furetiere und Richelet.

brasier = „amour" war nach Furetiere und Richelet und ist noch heute nach Sachs und M-L. vollkommen zulässig. Dennoch hat Corneille es zweimal von vier Stellen geändert. In der Tragödie gebraucht er es nie. Vgl. I, 159 var. 4:

Nos b rasier s tous pareils oat memes etinceUes. 1,170 var. 3: Tout ce que je puis faire ä sou brasier uaissant.

Es blieb I, 433 vers 669; II, 34 vers 307.

EnLwickelungsgänge in der Sprache Corueilies. 73

bravaehe I, 252 var. Es kommt iitu" hier vor und ist mit der ganzen Stelle gefallen. Fiu'etiere: „Ce mot est un peu vieux et ne peut eutrer que dans le discours comique et burlesque." Richelet: „mot vieux/' Heute ist es familiär (Sachs).

camp statt „champ = lice" stand III, 180 var. 1 u. 2 in der Beschreibung von Rodrigos Zweikampf:

Laissez un camp ouvert, o\\ n'entrera persoune, und: Faites ouvrir le camp, voiis voyez rassaillant. 1660 wurde cJminp eingesetzt. Es ist das wohl ein Rest der italiani- sierenden Richtung des Französischen im 16. Jahrh. Cotgi'ave 1611 läfst noch die Wahl zwischen cmnp ouvert und champ oiivert, Richelet 1709 dagegen kennt nur chamj) in dieser Bedeutung. Vgl. noch M-L. unter champ.

ea valier erscheint nach M-L. zuerst 1611 bei Cotgrave, doch wird es sicher schon längere Zeit vorher in Gebrauch gewesen und wie die meisten italienischen Lehnwörter während des 1 6. Jahrh. auf- genommen sein. Wie sehi* aber cavalier als ModcAvort auf Kosten des franz. Chevalier an Ausbreitung gewann, beweist uns Corneille. 1637 in der Oktavausgabe des Cid setzte er überall cavalier statt des früheren chevalier ein, neben dem er das erstere schon von An- fang an vielfach verwendet hatte. Vgl. III, 110 var. 6, 130 var. 1, 149 var. 3, 178 var. 2, 179 var. 4; ja, III, 476 finden wir sogar folgende Stelle : ,,PnUjeucte et Nearque etaient deux cavalier s etroite- ment lies ensemble (Vamitie." Vgl. auch Aretz 12. Dafs aber in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. der Gebrauch von cavalier wieder zurückgeht, zeigt uns die Ausgabe von 1692, wo Thomas Corneille im Personenverzeichnis des Don Sanche: „Carlos, chevalier in- connu" für „Carlos, cavalier inconnu" einsetzt. Corneille selbst scheint in seinen späteren Werken den heutigen Unterschied zwischen cavalier und chevalier zu machen, vgl. VII, 132 vers 582, XI, 156. Vgl. Menage 343.

charogne, ein vulgärer Ausdruck, findet sich nur in einer Variante: I, 337 var. 1 (bis 1644).

ehef '-^ „tete d'une personne'', das jetzt ganz ungebräuchlich geworden, veraltete damals schon. Scudery tadelt es schon direkt, wähi'end die Akademie es noch nicht ganz aufser Cours setzen will. Corneille ändert an etwa der Hälfte der betreffenden Stellen, näm- lich: I, 231 var. 1, 297 var. 2, 337 var. 1; III, 119 var. 1, 386

71 Eutwickelungsgäüge in iler .Sprache Curueilleh.

var. 5; IV, d54 var. 3; vgl. M-L. unter chef. Nicot 1606 und Cot^ grave 1611 geben diese Bedeutung noch als eine gewöhnliche, doch Fureti^re 1701 sagt: „Vieux raot qui signifioit autrefois la tete de riionnne." Ähnlich Richelel 1709. Nach Aretz 13 kommt es bei Racine nicht vor, doch belegt Littre es noch bis Voltaire (vgl. Damm- holz, Nfrz. Zs. IX, 267). Jetzt noch scherzhaft coutTC-cJief ~- chapeau.

closage = „enclos". Einzige Stelle I, 309 var. 3. Es findet sich in den Wörterbüchern des 17. Jahrh. nicht. Lacurne belegt es altfranz. als closage, clausatge. Nach Littre im Supplement ißt es in der Nonnandic gebräuchlich, es wird also wohl ein Provinzialismus bei (V)rneille gewesen sein. Vgl. auch Godefroy I, 122.

coeur. Die Verbindung ,,ccßur de femme" nur einmal belegt VI, 79 var. 1 (bis 16G0). Nach M-L. haben die Romantiker den Ausdruck wieder häufig verwendet.

Mon ccPAir als Zärtlichkeitsausdruck fiel I, 319 var. 1. Seit dem Auftreten Corneilles begannen derartige Ausdrücke (vgl. oben mon dme) auch in der Komödie als unzulässig zu gelten.

contre - echange, ein Kompositum, welches eigentlich einen Pleonasmus enthält, wurde I, 432 var. 1 zuerst in contre-change unil 1660 in einfaches chmtgc geändert in der Verbindung ^^ar un coiitre- echxmge -^ „indem man Gleiches mit Gleichem vergilt". Ac. 1694: „Signifie la m^me chose qu'Eschange." Littre belegt es zweimal aus dem 16. Jahrh. bei Lanoue und einmal aus Lafontaine. Es scheint zu allen Zeiten selten gewesen zu sein, jedenfalls ist es heute ganz ungebräuchlich (Sachs).

creve-ccBur I, 296 var. 2, 497 var. 2 = „deplaisir" war ein Italianismus = crepacuore (vgl. M-L. unter d. W.). Bekannt sind die Versuche im 16. Jahrh., derartige Komposita in gröfserer Zahl in die französische Sprache einzuführen, Versuche, die jedoch nicht durchdrangen. (Vgl. D-H. 189.) Richeletl709 glossiert es als „cor- dolium, dolor", heute ist es nur noch familiär (Sachs).

dam. I, 230 var. 2:

Adieu, soüle ä ton dam ton curieux desir. Obgleich die Ac. 1694 es noch als gebräuchlich angiebt in Wen- dungen wie ä ton dam, a vostre dam,, war es damals schon veraltet oder veraltend. Zeugnisse dafür sind diese Änderung bei Corneille und eine Anmerkung Menages, welcher es bei Malherbe tadelt (vgl. M-L. XI, 250 und Holfeld 21). Richelet 1709 erlaubt es nur noch

Eütwickeluugsgänge iu der Sprache Corneilles. 75

im burlesken oder satirischen Stil. Littre belegt es noch einmal aus P. L. Courier. Heute ist es selten (Sachs).

detraction = „medisance" I, 202 var. 1. Littre belegt es seit dem 13. Jahrh. und seit dem IG. Jahrh. nur aus der kirchlichen Sprache (mit Ausnahme obiger Stelle aus Corneille, die er auch an- führt, wo Corneille selbst ja geändert hat). Ebenso sind die Beispiele iler Ac. 1694 aus der kirchlichen Sprache entnommen.

de vis =: „discoiu's" I, 324 var. 1, veraltete während des 17. Jahrh.; es scheint erst seit dem 15. Jahrh. in dieser Bedeutung gebraucht worden zu sein (vgl. Littre). Cotgrave führt es 1611 noch als gebräuchlich auf, Ac. 1694 aber bezeichnet es schon als ver- altend, und Furetiere 1701 und Richelet 1709 geben es als „bas et vieux". Heute ist es ganz aufser Gebrauch (Sachs, Akademie 1878).

devotions auf heidnische Religionsübungen angewendet H, 349 var. 1 wurde 1660 geändert.

dextre = „la main droite'' II, 384 var. 2:

Fuis-les, je u'arme pas ta dextre sanguiuaire. Nach den Beispielen der Ac. 1694 zu urteilen, gehörte das Wort wie heute (vgl. Ac. 1878) schon damals nur der Bibelsprache an. Fure- tiere 1701 : „dextre, terme de Theologie'', Richelet 1709 : „ce mot ne se dit qu'en termes de piete.'' Doch findet es sich aul'serhalb dieser Sphäre in Corneilles Dramen noch einmal I, 441 vers .S35 und einmal in den kleineren Dichtungen X, 211 vers 265 (diese Stelle ist später nicht revidiert worden), während es in der gewöhn- lichen Verwendung in den religiösen Dichtungen sich öfter findet.

discours = „Gedankengang, Schlufsfolge" stand bis 1660 III, 350 var. 2:

Et s'ose imaginer, par un uiauvais discours, Que qui fait iin miracle en doit faire toujours.

Jedenfalls war diese Bedeutung ungewöhnlich.

eeolier war V, 538 var. 1 als „Anhänger, Jünger" gebraucht, wurde aber sp>äter durch disciple ersetzt. Wo Corneille sonst eeolier gebraucht, handelt es sich immer um ein In-die-Schule-gehen oder wenigstens Unterrichtet-werden. Auch Richelet bezeugt, dafs eeolier damals wie heute schon „Schulkind" bedeutet habe (vgl. M-L. unter eeolier). Ganz so eng fafst Corneille den Begriff nicht.

entregent I, 149 var. 3 war im Anfang des 17. Jahrh. noch gebräuchlich (vgl. Nicot, Cotgrave), veraltete dann aber schnell, wes-

7^! K?)t\vickehuig,sgängc in ilfr .Sprache Curueilles.

Iialh Corneille ess später strich. Richclet 17U9: „Mot (jui a vieilli." Näheres siehe M-L. XI, ;)76.

equipago soll nach Scudery (M-L. XII, 4tJU) und der Akademie (M-L. XII, 196) nur in Verbindung mit Reisen gebraucht werden können. Diesem Ausspruche gehorsam tilgte Corneille es III, 172 var. 2 im Cid, wo es sich auf eine Kriegsfahrt bezog. Vgl. auch Aretz 14,

fait =^ „conduite'' tilgt Corneille III, 548 var. l : S^vfere? est-ce le fait d'un hemme genereux; ferner III, 555 var. 1; dagegen in der Bedeutung „affaire" kommt es öfter vor (z. B. II, 24 vers 118; IV, 216 vers 1402; X, 40 vers 64). M-L. hätte diese beiden Bedeutungen im Lexikon trennen sollen ; beide sind allerdings heute noch gebräuchlich (Sachs).

femme im Vokativ = „epouse" findet sich nur III, 310 var. 1 u. 2. Voltaire I, 163 bemerkt zu dieser Stelle: „La naivet^, qui i'egnait encore en ce temps-lä dans les ecrits, permettait ce mot. La rudesse romaine y parait meme tout enti^re."

funerailles hatte Corneille in kühner Übertragung = „des

morts'' verwendet III, 120 var. 1:

Je Tai vu tout sanglant, au milieu des batailles Se faire un beau rempart de mille funerailles.

Die Akademie tadelte diesen Ausdruck, daher C-orneille ändert. Der- selbe findet sich auch einmal bei Rotrou, vgl. Sölter 21. Vgl. auch Aretz 1 5.

gausseur I, 162 var. 1 war zu vulgär, darum merzt Corneille es aus. Ac. 1694: „II est bas.''

hantise ^^ „commerce familier'' findet sich nur in den vor 1642 verfafsten Stücken, und I, 145 var. 3 wurde es sogar getilgt. Es veraltete und verschlechterte seine Bedeutung zugleich im Laufe des 17. Jahrb. Furetifere 1701: „Ce mot est un peu vieux.'' Richelet 1709: „Ce mot est un peu vieux, et d'ordinaire il se prend en mau- vais sens."

heur. In der Verbindung mon heur ! als Ausdruck der Zärt- lichkeit tilgte Corneille es dreimal von fünf Stellen (vgl. dme, cceur und unten souci) : I, 235 var. 2; II, 210 var. 3, 505 var. 1 ; in an- derer Verbindung findet es sich öfter. Nach Holfeld 22 ist Moli^re der letzte, welcher dieses Wort verwendet; Racine hat es nicht (Aretz 16). Richelet 1709: „II est bas et peu usite.'^ Auch Vol-

Entwickeluugsgänge iu der Sprache Corneilles. 77

taire bezeichnet es einmal als ungebräuchlich. Heute wird es nur noch in einzelnen stehenden Redensarten verwendet (Sachs).

infelieite ist bei Littre im Supplement zuerst bei A. Chartier belegt, es findet sich auch bei Garnier und Jodelle und kommt im 17. Jahrb. wieder aufser Gebrauch (vgl. M-L. unter d. W.). Gewifs darum hat es Corneille an der einzigen Stelle in seinen Dramen ge- strichen, III, 551 var. 1. Die Wörterbücher des 17. Jahrh. kennen es nicht, auch weder die erste noch die letzte Ausgabe des Dict. de l'Academie.

lourdaud erschien wohl damals schon als zu familiär für die Würde des Dramas, daher fiel es I, 477 var. 2, 446 var. 3. Vgl. Sachs.

loyer im übertragenen Sinne = „prix, recompense" wird von Corneille überall schon lange vor der Revision von 1660 gesti'icheu, vgl. I, 333 var., 429 var. 3 ; II, 403 var. 1. Es veraltete im 17. Jahrh. Cotgrave 1611 ist es noch geläufig, aber Furetiöre bezeichnet es als „un peu vieux''. Littre belegt es noch einmal aus Voltaire. Heute ist es nicht mehr gebräuchlich (Sachs).

magistrat statt „magisti'ature" fiel III, 407 var. 3 :

Les magistrats donnes aux plus söditieux. 16G0: L'autorite livr^e aux plus seditieux. Diese an lat. mayistratus erinnernde Bedeutung finde ich sonst nur noch bei Nicot 1606 in „exercer un magistrat = gerere potestatem''.

raouvements ^= „sentiments" ward an zwei von drei Stellen durch letzteres ersetzt. III, 510 var. 2 :

Ma raison, il est vrai, dompte mes mouvenieuts. Ebenso III, 426 var. 2. Es blieb II, 49 vers 576.

oeil = „des regards, des coups d'oeil" III, 433 var. 6 : Que de tous les cutes lanjant un cell farouche mochte dem Dichter bei der Re\asiou als eine etwas zu kühne Wen- dung erscheinen.

penser =:: „pensee" wird von Corneille anfangs ohne Einschrän- kung gebraucht, 1660 jedoch tilgt er fast alle Fälle, wo es im Sing, stand; vgl. I, 155 var. 2, 218 var. 2, 336 var. 5, 367 var., 497 var. 3; II, 180 var. 2, 201 var. 4, 502 var. 3; III, 284 var. 3, 420 var. 1; nur III, 521 var. 1 fiel der Plural, jedoch wird auch dieser in den späteren Werken seltener. Nur selten bleibt der Singular stehen, so noch einmal VII, 256 vers 1539. Der Gebrauch von penser schränkte sich im 17. Jahrh. ein. Fureti^re 1701 citieil aus

7H EntwickelungKgänge in der Sprache Corneilles.

LaBruy^re: „L'usage a prctere ponsee a ponser."' Richelet 1778 im Dict. des rimes S. LVII sagt: „peiiser. subst. de terrne commence ä vieillir, surtout au pliiriel;" Ac. 1694 und 1H7'S erlauben es noch in der Poesie, keins ihrer Beispiele ist aber im Singular. Vgl. noch M-L. unter penser.

piperie = „tromperie'' fiel I, lii7 var. Es ist heute aufser Gebrauch (Sachs) und verschwand schon im 17. Jahrb., denn Richelet 1701^ erlaubt es nur ]ioch im niedrigsten Stil. Malherbe kennt es noch, vgl. Holfeld 23. Vgl. unten piper beim Verbum.

plege (und pleger) = „gage (und gager)" kommen nur in den ältesten Stücken Corneilles noch einigemal vor. Nach Furetiere 1701 gehören sie der Gerichtssprache an. Heute sind beide aufser Ge- brauch (Sachs).

poil = „cheveux" fiel I, 334 var. 3. Hierzu bemerkt Godefi'oy II, 151: „Poil comme perruque a ete longtemps un terme noble en parlant de la chevelui-e; mais ä l'epoque de Clitandre, il devenait deja trivial dans cette signification." Einmal jedoch hat Corneille es stehen lassen, in der Melite M-L. I, 233 vers 1516.

rais ^ „rayons" soll nach Vaugelas I, 324 nur von den Strahlen des Mondes gebraucht werden. Trotzdem hat Corneille I, 277 vers 39 (vor Vaugelas geschi'ieben), wo es sich um die Sonne handelt, nicht geändert. Dagegen IX, 183 vers 24 (nach Vaugelas geschrieben) trifiPt die Regel zu. Rotrou kennt diese Beschränkung nicht, wohl aber ScaiTon uud Lafontaine (vgl. Sölter 25). Die Wörterbücher widersprechen einander. Cotgrave 1611: „rais, the s u n n e -beames" ; Furetiere 1701 erklärt es für veraltet, es sei nur vom Monde ge- l)räuchlich, nur im Verse und auch da nur, wenn unvermeidlich. Heute ist es veraltet (Sachs).

seing hatte Corneille zweimal in etwas weiterem als dem ge- wöhnlichen Sinne gebraucht, nämlich I, 283 var. 3, IV, 288 var. 1, wo es dem Zusammenhange nach nur „Handschrift, das Geschrie- bene" bedeuten konnte. Ac. 1694 hat es nur = „Unterschrift'', wie heute (Sachs).

souci. In mo7i sonci! als Ausdruck der Zärtlichkeit hat Cor- neille es immer getilgt, wenn es sich auf einen Mann bezog, vgl. I, 319 var. 4, 320 var. 1, 433 var. 4; II, 100 var. 2, 267 var. 3, 524 var.; zweimal auch, wo es sich auf Frauen bezog, II, 295 var. 1, 481 var. 3, sonst kommt es auf diese letztere Weise öfter vor, aller-

EntwickeluDgsgänge iu der Sprache Corneilles. 79

dings nur in der Komödie. Bis kurz vor Corneille hatte man es un- beanstandet auch in der Tragödie verwendet, so z. B. Garnier. Später duldete man solche Ausdrücke als trivial nicht mehr. Vgl, oben.

soulas ersetzt Corneille überall durch soidagement oder conso- lation (1660). Vgl. I, 198 var. 9, 461 var. 1; II, 410 var. 2. Nicot 1606 und Cotgrave 1611 kennen es noch als gebräuchlich, dagegen Ac. 1694, Fureti^re 1701 und Richelet 1709 bezeichnen es als ver- altet. Heute ist es, aufser im Volksliede (soulas et plaisir), gänzlich aufser Gebrauch (Sachs).

suasion stand I, 194 var. 2 und I, 136 im Argument de Me- lite, welches nur in den Ausgaben vor 1660 enthalten ist. Nicot und Cotgrave kennen das Wort noch ; Ac. 1 694 : „terme de pratique" ; dann verschwindet es aus den Wörterbüchern fast ganz. Sachs no- tiert es als veraltet.

trame = „vie" kommt bei Corneille allerdings öfter vor, aber

dann iu der Verbindung mit couper, wodurch eine geschlossene

Metapher entsteht ; ausgenommen IV, 83 var. 1 :

Quoi que la perfidie alt ose sur sa trame II vit encore en vous, 11 agit dans votre äme,

wo trame 1660 gefallen ist, und VI, 163 vers ^fi^:

Les exemples abjets de ces petites ämes Regleut-ils de leurs reis les glorleuses trames?

Vgl. Aretz 21.

//. Adjektiv.

aposte =r „untergeschoben" auf Sachen bezogen findet sich

nur ], 235 var. 1 in der ersten Ausgabe von 1633:

Je ne veux polnt d'un coeur qu'un blllet aposte Peut resoudre aussitot ä la deloyaute.

Ac. 1694, Furetiere 1701 und Richelet 1709 beziehen es nur auf Personen, und Littre im Supplement mei'kt obigen Vers als vom ge- wöhnlichen Sprachgebrauche abweichend an.

bastant de ■= „süffisant pour" tilgte Corneille überall wieder, teilweise schon vor 1660; vgl.: I, 181 var. 1 ; II, S2 var. 1, 367 var. 5, 462 var. 1. Es ist ein italienisches Lehnwort und wird als solches von H. Estienne in den Deux dialogues du nouveu langage francois italianize (Paris 1885, Bd. I, S. 4) charakterisiert. Es drang, wie die meisten italienischen Lehnwörter, im 1(!. Jahrhundert in die französische Sprache ein (vgl. Littre). Es blieb nicht lange schrifl- «■ültig. Ac. 1694 führt es zwar ohne Anmorkuno- auf, aber Furetiere

80 Entwickelungsgänge in der Spraclie Corneilles.

1701 bemerkt: „Cela Jie se dit gueres que dann le Stile comique et

familier."

An Dl. M-L. meint, bastant komme bei Corneille nur dreimal vor, eine Stelle ist ihm entgangen. Unser erstes Beispiel wird von Godefroy I, S. XV fälschlicli als Melite J, G citiert, es mufs beilseu Melite II, t"i.

benit statt beni stand in der ersten Ausgabe der Imitation von 1654 viermal: VIII, 348 var. 2 (zweimal), 349 var. 1 u. 2. „Sois benit . . ." heilst es an allen vier Stellen. Schon Vaugelas I, 7 stellt den heutigen Unterschied auf, und auch Ac. IG 94, Furetiäre 1701 und Richeletl709 erklären henit als „kircU ich geweiht''. Cor- neille setzt heni an die Stelle.

impiteux II, 410 var. 1 (bis 1660). Wenn Littre unter impi- toyable bemerkt, dafs man bis ins IG. Jalu-h. impiteux im gleichen Sinne gebraucht habe, so können wir ihm gegenüber ein Vorkommen bis 1660 feststellen. Nicot 1606 und Cotgrave 1611 kennen es, und erst Furetifere 1701 und Richelet 1709 verbannen es in den nie- deren, burlesken Stil.

impourvu statt imprevti findet sich nur in den bis 1644 ver- fafsten Stücken, und zwar fünfmal (M-L. belegt es nur zweimal). An vier Stellen hat Corneille schon vor 1640 geändert in iniprevu: I, 183 var. 3, 318 var. 2, 460 var. 2; 11, 521 var. 1. Dagegen II, 314 vers 105 ist es ihm entgangen. Es fing wohl schon vor der Mitte des Jahrhunderts an zu veralten. Vaugelas I, 323 hält die adverbiale Redensart ä l'impourvu zwar noch für koiTekt, ä Vimpvoviste aber für eleganter; die Akademie (ebenda) fügt jedoch hinzu: „On a con- damne a l'impourveu tout d'une voix,'' und nimmt impourvu 1694 auch nicht in ihr Dict. auf. Die Wörterbücher haben es allerdings sonst meistens. Littre: vieilli.

integral statt iutegrant in Verbindung mit parlie I, 22 var. 4

(bis 1664):

„Les aiitres se peuvent nommer les parties integrales," später: ^iutegrantes''.

Im 16. Jahrh. war integral als Lehnwort = ital. integTale aufge- kommen und wurde auch in der Bedeutung „integrierend" gebraucht, während es jetzt nur „total" (in gewissen Redensarten) oder „integi'al" als Ausdruck der Mathematik bedeutet und in Verbindung mit partie integrant gebraucht wird (vgl. Ac. 1878). Keins der Wörterbücher kennt integral, bis Richelet 1709, wo schon der heutige Unterschied gemacht wird. Parties integrales kommt noch einmal bei Corneille

Ent'vv'ickelungsgänge in der Sprache Corneilles. 81

vor, in einem Briefe von 16()U (M-L. X, 486). Littre im Supplement merkt diesen Gebrauch als eine Eigentümlichkeit Corneilles an.

etre libre ä qn., ■= ,, licet alicui", finde ich bei Corneille nur in zwei Varianten, sonst nicht. I, 367 var. :

Hors ce point, tout est libre ä rardeiir qiii nou.s presse. I, 335 var. 1 :

II t'etait libre encore de m'etre plus funeste. Trotzdem Corneille diese Wendung augenscheinlich später vermeiden will, ist sie Ac. 1694 aufgeführt und noch heute gebräuchlich.

marri ^= „fache" kommt bei Corneille nur etwa fünfmal vor und nur in seinen ersten Stücken, doch in der Tragödie sowohl wie in der Komödie, z. B. in der Medee M-L. II, 348 vers 159, 350 vers 199. Kur einmal (11, 204 var. 1) tilgt er es. Der Umstand, dafs Corneille es später veimeidet, läfst uns vermuten, dafs es nach den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts zu veralten anfing, obgleich die Wörterbücher es noch aufnehmen und Voltaire noch einen Beleg liefert (vgl. Littre). Heute ist es, aufser im Volksliede (triste et mam), gänzlich veraltet (Aretz 23, Sachs).

mensonger auf Personen bezogen stand II, 110 var. 1. Alt- französisch kam es so häufiger vor. Nach Littre ist es selten, er be- legt es aus J. B. Rousseau und fährt dann fort: „La Bruy^re met mensonger au nombre des mots qu'il regrette, c'est une preuve cjue de son temps il etait \aeux. II a repris faveur."

nompareil ersetzte Corneille durch sans pareil I, 456 var. 1 (1644); II, 159 var. 2 (1663); er liefs es stehen I, 249 vers 1814 und X, 82 in einem Gedichte von 1641, das ja späteren Revisionen nicht unterworfen wurde. Es ist erst seit dem 15. Jahrh. bei Littre belegt. Auch hier liegt die Vermutung nahe, dafs es im 17. Jahrh, anfing zu veralten, obgleich Cotgrave, Ac. 1694 und Richelet es noch aufführen; Heute ist die Form nompareil veraltet, und auch non- pareil ist selten (Sachs). Vgl. noch Dammholz, Nfrz. Zs. IX, 271.

plausible fvihrt Corneille I, 179 var. 7 ein: Avise toutefois, le pretexte est liounete. 1660: Avise toutefois, le pretexte est plausible. Es kommt aufserdem vor VI, 34 vers 363 im Pertharite (1653 ver- fafst). M-L. findet es zuerst bei Fureti^re 1690, und er scheint an- zunehmen, es sei erst kurze Zeit voi'her in Gebrauch gekommen. Das wäre ein Irrtum, es tritt schon im 1 6. Jahrh. auf, ist aber im

Archiv f. 11. Sprachen. LXXXIV. 0

82 Kiitwirkflungsgänge in der Spraclie ("(jim-illcs.

ganzen 17. Jahrh. nocli selten. Zuerst belegt es Littre zweimal aus Montaigne. Bei Malherbe scheint es nicht vorzukommen, wenigstens findet es sich nicht im Dict. de Malherbe (Grands Ecriv. de la Fr., ^[alherbe Bd. V). Bei Rochefoucauld finde ich es einmal in den zwischen 1654 und 1659 verfafsten Memoiren zum Jahre 1649. (Vgl. Grands Ecriv. de la Fr., La Rochefoucauld II, S. VIII und 161.) Das Dict. de Labruyöre (ebenda) belegt es auch einmal. Ac. 1694 nahm es in ihr Dict. auf.

refraetaire II, 207 var. 2 (nur 1637):

Vous vous autorisez de m'etre refraetaire. Ac. 1694 kennt es nur in der Phrase refraetaire aux (yrdres de qn. Doch zeigen Littres Belege (seit 16. Jahrh.) eine ausgedehntere Ver- wendung. Warum Corneille es also tilgte, weifs ich nicht anzugeben.

sortable a = „couvenable ä" findet sich nur in Corneilles Jugenddramen, vgl. M-L. unter sortable.

tramblotant im figürlichen Sinne = „en balance". Das ein- zige Beispiel fiel 1660 III, 287 var. 1:

Lorsque vous conserviez un esprit tout romain, Le sien irresolu, tremblotant, incertain De la moindre mel^e appreheudoit l'orage.

Voltaire I, 142 bemerkt hierzu: „Ce tremblotant n'est pas du style

noble'' ; natürlich meint er, im figürlichen Sinne, denn im eigentlichen

ist es bei den Dichtern ja häufig genug (vgl. Godefroy II, 377).

UI. Verbnm.

aflfoler r= „devenir fou" wurde im 17. Jahrh. in seiner Ver- wendung eingeschränkt. Daher ändert Corneille II, 203 var. 2:

Eux ou moi, nous avons la cervelle troubl^e Si ce n'est qu'ii desseiu ils veulent tout meler. Et soient d'iutelligeuce a me faire affoler.

Während Cotgrave 1611 affoler noch als vollständiges Verbum kennt,

erlauben die Ac. 1694 und Fureti^re 1701 es nur noch im Farticipe

passe und nur im familiären Stil. Auch Richelet 1709 weist es dem

niederen Stil zu.

ballier = „donner". Malherbe gebraucht es noch mehrfach

(vgl. Holfeld 20), und ebenso Corneille in seinen ersten Werken.

Doch nachdem Vaugelas II, 29 es für veraltet erklärt hatte, tilgt er

es überall wieder. Vgl. I, 173 var. 2, 175 var. 4, 285 var. 4, 286

var. 3, 247 var. 4, 360 var. 1, 408 var. 1. Cotgrave 1611 kennt

Entwickeliingsg<äuge in der Sprache Coriieilles. 8?>

es noch. Ac. 1694: „bailler vieillit" (Dammholz' Angabe, Nfrz. Zs. [X, 287, ist zu berichtigen); Fureti^re 1701: „on ne le dit gueres hors de la conversation" ; Richelet 1709 gestattet es auch hier nicht mehr.

brasser qcli. := „pratiquer, tramer qch." (figürlich). Ebenso wie wir es schon beim Substantivum sahen, verbannt der neu auf- kommende Kanon der Reinheit des Stiles auch hier beim Verbum nach und nach eine Reihe von Ausdrücken des älteren Dramas, weil sie als zu familiär oder zu trivial erschienen für die Würde der Dich- tung. Die übrigen nach meinem Dafürhalten von Corneille aus die- sem Grunde beseitigten Wörter werde ich im Folgenden einfach mit :lem Vermerk „familiär" bezeichnen. Brasser findet sich nur I, 406 var. 2 (nur 1634):

Que son frfere, ^bloui par cette accorte feinte,

De ce que nous brassen s n'ait ni soupyon ni crainte;

r, 431 var. 4:

Alcidon, averti de ce que vous brassez,

Va rendre en un moment vos desseins renvers^s.

Fureti^re 1701: „Cette expression est un peu basse."

se colerer contre =. „se mettre en colere contre'' ist heute ver- altet (Sachs). Schon bei Corneille ist es nur in einer Variante be- legt, I, 222 var. 1 :

Ne te colere point contre mou iusolence, 160(1: N'entre point en coiirroux coutre mou iusolence. Die Wörterbücher kennen es überhaupt nicht.

consommer ist im 16. Jahrh. die gewöhnliche Form für heu- tiges consumer und consommer zusammen. Ebenso bei Corneille In ilen bis 1641 verfafsten Stücken. 1647 aber stellt Vaugelas I, 40.S folgenden Unterschied zwischen consimier und consommer auf: das erstere, sagt er, sei gleich consuraere, das zweite gleich consunnnare, in beiden liege der Begi'iff" „achever", aber ,,consumer acheue en destruisant et aneantissant le sujet, et consommer, acheue en le met- tant dans sa derniere perfection, et son accomplissement entier". Schon vor ihm tadelt Malherbe (S. 252, 267 u. ö.) consommer statt •ionsuiner bei Desportes. Ähnlich wie Vaugelas sprechen sich später auch Menage 277 und Furetiere aus. Vaugelas' Regel befolgt nun Corneille in seinen späteren Werken und ändert in seinen frü- heren derselben gemäfs. Vgl. I, 176 var. 1 :

Uu feu qui la consomme et qu'olle tieiit si eher;

84 EntwickeluufisgäDge in der Sprache Corueilles.

I, 337 var. 1, 341 var. 5, 358 var. 4, 400 var. 2, 432 var. 4; II, 49

var. 2, 353 var. 2, 385 var. 3, 409 var. 1 ; III, 133 var. 1, 160

var. 3, 189 var. 3, 292 var. 2, 302 var. 2, 304 var. 1.

contrefaire. Scudery (M-L. XII, 400) und <lie Akademie (M-L.

XII, 497) hatteu III, 157 var. 3:

Contrefaites le triste = „stellt Euch traurig"

als „expression trop basse" getadelt. Corneille, gehorsam dem Tadel,

tilgte es. Ähnlich stand III, 322 var. 4 anfangs:

Mais quand on peut sans honte etre sans fermetö, La vouloir contrefaire est une lachet^.

Contrefaire hatte nämlich seit dem 14. Jahrh. allmählich vorwiegend die Bedeutung von ,,nachmachen" im schlimmen Sinne angenommen, wähi'end es altfranz. auch ,, nachahmen" ohne schlechten, tadelnden Nebensinn bedeutete.

eourre. Schon Vaugelas bemerkt I, 400, dafs courre statt courir, ähnlich wie heute (vgl. Ac. 1878), aufser in gewissen Redens- arten ungebräuchlich sei. Aus diesem Grunde änderte Corneille wohl seinen einzigen Beleg für courre II, 469 var. 2:

Et les droits les plus saints deviennent impuissants A l'empecher de courre aprfes son propre sens.

Menage 286 schliefst sich Vaugelas an. Fureti^re 1701: „II y a

pourtant cette difference entre, courir et courre, que ce dernier n'est

que pour de certaines fa9ons de parier que l'usage a autorisees."

erever (familiär) - „mouru-" I, 198 var. 7 (nur 1633):

Qui, j'enrage, je cr&ve et tous mes sens troubl^s D'un excfes de douleur succombent accabl^s.

Se arever = platzen I, 297 var. I, 327 var. 6. Richelet 1709 weist

es dem niedrigsten Stile zu.

s'ecouler -- „s'en aller tout doucement" hatte Corneille von zwei Personen gesagt, während man es sonst, seiner ursprünglichen Bedeutung gemäfs, nur von einer gröfseren Anzahl gebrauchte, IV, 346 var. 1: Melisse, Lyse, qui s'öcoulent incontinent in einer Bühnenweisung.

endosser. Zu III, 188 var. 3:

Que ce jeune seigneur endosse le harnois, bemerkt Scudery (M-L. XII, 460): „Ce jeune seigneui- qui endosse le harnois est du temps de moult, de pie9a et d'aincois." Dieses Tadels wegen wird Corneille geändert haben. Die Akademie sucht (M-L. XII, 498) endosser zu verteidigen und nimmt es 1694 in ihr Dict. auf, hinzufügend, nur „endosser le harnois" sei gebräuchlich.

Entwickelungsgänge in der .Sprache Comeille.s. 85

Cotgrave 1611 verzeichnet dieselbe Wendung. Fureti^re 1701: „il ne se dit que dans le stile burlesque ou dans la conversation." Richelet 1709: ,,ce mot poui* dire, mettre sur son dos, et burlesque." ennoblir ist Corneilles regelmäfsige Form sowohl für das heu- tige cotoblir „in den Adelsstand erheben" als auch für ennohlir „ver- edeln, adeln" im figürlichen Sinne; und die einzige Stelle, wo zuerst annoblir =: „veredeln" stand, ist sogar getilgt worden, vgl. V, 317

var. 1 : Non; mais je le reserve ä ces bienheureux jours Qu'annoblira sa premifere victoire.

Der heutige Unterschied von anohlir und ennohlir erscheint nach M-L.

ziun erstenmal bei Furetiere 1690, und dann ebenfalls in Ac. 1694.

Vgl. M-L. unter ennohlir. Richelet giebt anohlir und ennohlir 1709

noch als gleichbedeutend.

eplucher = „examiner'' (familiär) I, 321 var. 2:

. . . Bien que ma pensee Epiuche ä la rigueur ma conduite passee.

Heute ißt es familiär (Sachs).

feindre = „craindre" ersetzte Corneille durch das letztere: II, 98 var. 2 :

Ne feignez point pour moi d'entrer chez Hippolyte. Dieselbe Verwendung von feindre finden wir z. B. bei Vaugelas I, 436, ebenso öfter bei Moliere (vgl. Genin: Lex. de Moliere 182).

faillir. I, 298 var. 2 (nur 1632):

Et ce fer, qui tantot, inutile eu mon poing, Ainsi que ma valeiir me faillant au besoin, Sut si mal attaquer etc.

Nach M-L. war das Partie, present faillant schon damals nur noch wenig gebräuchhch.

il fut = „il alla", IV, 39 var. 1 :

II fut jusques ä Rome implorer le senat.

Voltaire I, 362 tadelt diese Wendung als falsch, während Godefroy

I, 329 dieselbe in einem längeren Artikel zu verteidigen sucht; jedoch

fügt er hinzu: „il n'est guere admis dans le style releve." Ils furent

= „ils all^rent" blieb unangetastet VI, 577 vers 51:

Les memes assassins furent encor percer Varron, Turpilian, Capiton et Macer.

Nach Tallemant 120 fand die Akademie das Passe defini von etre

in dieser Verwendimg „unnötig". In ähnlicher Weise sind noch

heute Verbindungen wie j\n ete le voir gebräuchlich. (Vgl. il

s'en fut.)

86 Kiitvvickclung8gäiige in der Spiiiclic Corneillep.

galantiser := „courliser'' war im ersten Drittel de.s JahrliuiulerlR ein .selir gebräuchlichee Wort. Seine Bedeutung verschlechtert sich dann aber sehr schnell (vgl. M-L. XII, 457). Daher wird es Cor- neille beseitigt haben I, 148 var. 1 :

S'il advient qu'ä ses yeux quelqu'un hi galantise; II, 36 var. 1:

Pour nie galantiser, il ue taut qu'iin niiroir. Furetifere 1701: „il est un peu vieux" ; Richelet 1709: „ne peut en- trer que dans le stile le plus bas." Heute ist es familiär (Sachs).

gourmander = „zügeln, ausschelten". Von vier Beispielen tilgt Corneille drei; I, 190 var. 2:

J'en ai vu qui sembloient n'etre que des gla^ons Dont le feu, gourmande par uue adroite feinte, ...;

ebenso I, 401 var. 3; V, 570 var. 1. Es steht im definitiven Text I, 427 vers 548. Jedenfalls hatte Corneille späterhin eine Abneigung gegen dieses Wort, wenn auch die übrigen Schriftsteller des 1 7. Jahr- hunderts es vielfach gebrauchen (vgl. Littre). Auch die Wörterbücher haben es ohne Anmerkung. Heute ist gourmander in den meisten Bedeutungen selten und familiär (Sachs).

piper = „tromper, duper'' (familiär). Es fiel I, 191 var. 3:

. . . Ces choses ridicules Ne servent qu'ä piper des ämes trop credules. 1660: Ne servent qu'ä duper des ämes trop credules.

Ebenso I, 144 var. 1. Es blieb I, 406 vers 133; IV, 190 vers 931. Richelet 1709 weist es dem niederen Stil zu. Es ist heute noch ge- bräuchlich in des pipes. Ursprünglich ist es ein Vogelfänger- ausdruck.

se ressouvenir hatte sich zur Zeit Vavigelas' in seiner Bedeu- tung nicht nur zu einfachem „sich erinnern" abgeschwächt, sondern man gebrauchte es sogar =- „songer, considerer". Es erhob sich nun ein Streit über die Zulässigkeit von se ressouvenir in letzterer Bedeutung. Vaugelas bejaht die Frage I, 201, Corneille scheint an- derer Meinung gewesen zu sein, vgl. III, 303 var. 2 : Je vais revoir la vötre, et rösoudre son äme A se ressouvenir qu'elle est toujours ma femrae; nach 1660: A se bieu souvenir qu'elle est toujours ma femme.

III, 189 var. 2:

A quoi me resoudrai-je, amante infortunee? Ä vous ressouvenir de qui vous etes nee. 16Ü0 : A vous mieux souvenir de qui vous etes uee.

Entwickelungsgänge in der Sprache Corneilles. 87

songer ;::= „penser" geriet im 17. Jahrb., obgleich es in allge- meinem Gebrauch war, bei einer Reihe von Leuten in Mifskredit, so (lafs A^augelas I, 165 sich veranlafst sah, es in Schutz zu nehmen. Ihm stimmte die Akademie bei (ebenda). AVenn nun Corneille zwar nicht überall, so doch vielfach dieses songer tilgt, so geht daraus hervor, dafs er wenigstens einen häufigen Gebrauch desselben ver- meiden wollte. Er änderte in 2)enser II, 64 var. 2 :

Et dans leur souvenir rien ne me semble doux Puisque, le conservant, je songerois ä vous;

ebenso II, 482 var. 3; III, 170 var. 1; IV, 442 var. 1 ; VIII, 169 var. 1 ; und ersetzte es sonstwie III, 196 var. 2, 319 var. 2. Vol- taire I, 321 will es aus dem Tragödienstil verbannen, er scheint es für familiär zu halten (vgl. Voltaire I, 277).

soüler (bei Corneille saoulerj = „contenter". Es war, in dieser Bedeutung wenigstens, veraltet (vgl. Vaugelas, Ausgabe von 1647, S. 241). Corneille tilgt es fast überall (vgl. M-L. unter d. W.); I, 497

var. 2 : Perfide, ä mes depens tu s o ü 1 e s donc ta braise ?

IdtJO: Perfide! ä mes depens tu veux donc des maitresses? Ferner I, 230 var. 2; II, 375 var. 2; III, 153 var. 1, 413 var. 3; VIII, 161 var. 1. Richelet 1709 kennt es in dieser Bedeutiuig nicht mehr.

trancher stand ganz vereinzelt __ „combattre" I, 147 var. 2 (vgl. M-L. XII, 398):

Toujours pour les duels on m'a vu sans etfroi, Mais je n'ai point de lame ä trancher contre toi

(nur 1634). Trancher scheint sonst nicht so vorzukommen.

Wie schon im 16. Jahrh. (vgl. Godefroy I, 31; II, 408) und auch bei Moliere (vgl. Berg 1 5), können wir auch bei Corneille mehr- fach ein Schwanken zwischen dem einfachen Verbum und dem Kompositum mit re- nachweisen, dessen Präfix seine Kraft fast ganz eingebüfst hatte. So ersetzt Corneille eonnaitre durch reconnaitre IV, 308 var. 1:

Je vous tiens pour brave homme, et vous conuais fort bien. 166(1: Je vous tiens pour brave homme et vous recounais bien; das Umgekehrte fand statt I, 153 var. 3, 396 var. 1. epandre durch repandre II, 236 var. 4:

Et lors, que de soupirs et de pleurs epaudus; später: Et lors, que de soupirs et de pleurs r epaudus; ebenso III, 178 var. 1 ; VIII, 514 var. 1. Sonst kommt epatulrc aber

88 Entwickehingfigäuge in der Sprache CorneilleR.

iiooli oft bei Corneille vor (vgl. M-L. XI, 881), z. B. IV, ö()2 vers 171'i. Voltaire I, 599 bemerkt: „l^andre etait un terme heureux, (ju'oii einployait au besoiii au lieu de repandrp,; ce mot a vieilli."

rabaisser durch abaisser IV, 345 var. 2:

Elles rabaissent toutes deux leur coiffe. fuir durch refuir I, 148 var. 6:

C'est en vain que l'on f u i t , tot ou tard od s' v briile ; UitlO: C'est en vain qu'on refuit, tot ou tard on s'y brftle.

B, Orthographie und Aussprache.

advenir, welches Corneille in seinen älteren Werken der Form nrenir vorzieht, ändert er 166o in avenir, vielleicht durch Einflufs der Precieusen, welche z. B. avocat statt advoeat, avis statt advis ein- geführt haben (vgl. Didot 229). Die Stellen sind I, 231 var. 3: Le d^plorable coup du malheur ad venu; später: Le d^plorable coup du malheur avenu. Ebenso I, 312 var. 1, 472 var. 1 ; II, 239 var. 2; \, 61 var. 1, 586 var. 2. Vgl. M-L. XI, S. LXXXV. Ganz aufser Gebrauch kam advenir erst gegen das Ende des Jahrhunderts (vgl. M-L. XI, 103), Ac. 1694 kennt es nicht mehr. Doch steht es bei Sachs neben avenir aufgeführt.

ambrosie ist die Schreibweise des 16. Jahrh. Doch schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrh. kam das heute gewöhnlichere ambroisie auf. Corneille hatte II, 497 var. 1, II, 498 vers 1177 in der Ausgabe von 1639 zuerst ambroisie geschrieben, entscheidet sich später aber für die ältere Schreibung; und M-L. vermutet wohl mit Recht, aus dem Grunde, dafs die Schreibung ambroisie noch zu neu war. Nicot 1606: ambrosie; Cotgrave 1611: ambroisie und amh'O- sie, Ac. 1694 am,broisie, Furetiöre 1701 und Richelet 1709: ambrosie.

arrouser statt arroser, welches z. B. noch bei Malherbe das ge- wöhnliche ist (vgl. Holfeld 20), ersetzt Corneille durch das letztere III, 294 var. 2, IV, 493 var. 2; nur II, 410 vers 1415 haben die meisten Ausgaben arrouser. Abgesehen von diesen Fällen schreibt Corneille immer arroser (vgl. M-L. XI, 75). Der Grund zu der Schreibung mit ou liegt in der noch im 17. Jahrh. vorhandenen Nei- gung, das 0 in offener Silbe einem ort sehr nahe auszusprechen, z. B. ckousc statt chose u. ä. ; und man pflegte dann auch ou zu schreiben,

Entwickelungsgänge in der Sprache Corneilles. 89

wie die Wörterbücher zeigen. Noch Richelet 1709 kennt beide Schrei- bungen von arroser. Vgl. Holfeld 20, Menage 132 fF.

bigearre veraltete früh im 17. Jahrh. Vaugelas II, 5 zieht bizarre vor, und Thomas Corneille und die Akademie (ebenda) ver- urteilen bigearre schon fast ganz. 1660 ändert Corneille bigearre in bizarre II, 62 var. 2, 90 var. 2, 512 var. 2. Bigearre blieb nur X, 75 vers 8 in einem später nicht wieder überarbeiteten Jugend- gedicht. Vgl. Estienne: Deux dialogues du nouveau langage fran- (;ois italianize I, 173, Bouvier 124. Furetiere 1701: „il y a encore quelques gens qui disent bigearre, mais mal." Richelet 1709: „II y en a qui ecrivent et prononcent bijarre, mais ce ne sont que des bar- bouilleurs."

exclurroit statt excluroit V, 5 1 9 var. 1 :

Mais dont vous exclurroit enfin votre origine, in den Ausgaben von 1651 56 erklärt sich aus der z. B. noch bei Richelet verzeichneten Schreibung des Infinitivs mit rr.

fantasie statt fantaisie ist heute veraltet. Es kommt bei Cor- neille in frühen Varianten einigemal vor. So II, 493 var. 3:

Que j'ai bien reconnu qu'un peu de Jalousie Touchant votre Clindor brouilloit sa fantasie; nach 16:39: Touchant votre Clindor brouilloit sa fantaisie. Ebenso II, 220 var. 2, 508 var. 4. Es ist wohl ein Rest der italia- nisierenden Richtung des 1 6. Jahrb., vgl. ital. f antasia. Später schreibt Corneille durchgängig fantaisie (vgl. M-L. XI, 423). Nicot und Cot- grave: fantasie; Furetiere und Richelet: fantaisie.

gaigner =:= gagner erscheint bei Malherbe noch öfter auch aufserhalb des Reimes (vgl. Holfeld 22). Bei Corneille nur einigemal in Varianten der ältesten Ausgaben, so II, 41 var. 4: Par tout de nouveau je me laisse gaigner, Et consens, peu s'en faut, ä m'en voir dedaigner; nach 1637: Par tout de nouveau je me laisse gagner. Ferner H, 190 var. 1, 465 var. 1; V, 358 var. 1. Cotgrave 1611 : gaigner: Fiu-eti^re und Richelet: gagner.

intrique. Im 17. Jahrh. schwankte man zwischen intrique und intrigue. Vaugelas (Ausgabe von 1647, S. 126) verteidigt intrigue mit Recht, denn es wurde erst im 1 6. Jahrh. dem ital. intrigo nach- gebildet. Corneille jedoch entscheidet sich für intrique (vgl. M-L. XII, 28), ohne jedoch intrigue ganz auszuschliefsen, vgl. II, 220 var, 1 : Cette possession de vous-m6me que vous conservez si parfaite- ment parmi taut d'intriques (1660: iutrigues).

9U iMitwicktiluiigsgängc in der Spniche C'urueillcb.

Vgl. Godcfruy I, S. XIX, TI, 130 ; M-L. XI, S. LXXXVIII. Cot- grave IGll: rniriquc, Furetiöre 1701: intrüjue, Richelet 1709: „oii dit inlriguc et noii intrlque."' IntriqvAi ist heute veraltet (Sache), monoloque üiulert Corneille in monolotjuc I, 273 var. 2:

Les monoloques sont trop longs et trup frequeuts en cette pi^'ce (bis ItitM).

Die W^örterbücher kennen monoloqus nicht. Es war wohl Analogie

zu soliloque, wo qu berechtigt ist.

punctuellement war im 1 7. Jahrh, neben ponctuellement im Gebrauch (vgl. M-L. XII, 19.s). Bei Corneille I, 12 haben alle Aus- gaben bis 1682 punctuellement, die von 1682 ponctuellement. Vgl. M-L. XI, S. LXXXIV. Die Wörterbücher haben alle das letztere, Nicot und Cotgrave schreiben aber fiunctiiation etc.

soubmettre finde ich nur V, 47 var. 1 in der ersten Ausgabe: Au lieu d'y resister, vous vous y soubmettez; später: Au lieu d'y resister, vous vous y soumettez. Das etymologisierende b der Vorsilbe subtus- erhielt sich bei man- chen Wörtern bis in das 17. Jahrh. (vgl. Didot 112 b), so noch bei Cotgrave.

treuver statt trouvcr ist ein Archaismus, der bei Malherbe noch ganz gewöhnlich ist (vgl. Holfeld 24) und auch bei Balzac vorkommt (vgl. Bouvier 129). Corneille hat ihn niu" in seinen älteren Dramen, beseitigt ihn aber meistens schon lange vor IGGO; I, 276 var. 1: Mais qu'elle est paresseuse ä me venir treuver! nach 1G:^)2: Mais qu'elle est paresseuse ä me venir treuver! Ebenso I, 280 var. 3, 285 var. 2, 293 var. 4, 299 var. 4; II, 127 var. 1, 133 var. 1, 134 var. 9, 139 var. 3, 153 var. 2, 156 var. 4, 186 var. 1, 199 var. 1; und ganz vereinzelt noch einmal IV, 440 var. 2. Littre unter trouver Rem. 2 belegt nur das stammbetonte il treuve, es finden sich aber auch endungsbetonte Formen, bei Cor- neille z. B. treuver, treuvois, ireuvera u. s. w. Vaugelas und ebenso Menage 249 ziehen trouver bei weitem vor, ohne treuve?- den Dich- tern ganz zu verbieten; Richelet 1709: „il n'y a guh"e que les Poetes qui disent treuver/'

C. Anhang.

Hier am Schlüsse dieses Teils unserer Untersuchung möge noch eine Auswahl von Einzelheiten folgen, die, ohne eine besondere gram- matische Erscheinung zu illustrieren, uns wieder zeigen, wie Corneille

Entwirkeluugsgänge in der Sprache Corneilles. Ol

teils von anderer Seite angeregt, teils aus eigenem Antriebe seinen Stil mehr und mehr ausfeilt, mehr und mehr familiäre, nicht ganz korrekte oder reichlich kühne Wendungen auszumerzen bestrebt ist.

III, 174 var. 3 stand bis 1656 in der Beschreibung der Flucht der Mauren vor dem Cid:

(Les Mores) Nous laissent pour adieux des cris epouvantables; wozu die Akademie (M-L. XII, 496) bemerkte: „on ne dit point ,laisser des adieux', ni ,laisser des cris', mais bien ,dire adieu' et ,jeter des cris', outre que les vaincus ne disent jamais adieu aux vain- queurs.'' Corneille änderte daher:

Pousseut jusques aux cieux des cris epouvantables. III, 132 var. 3 (bis 1656):

Les affronts ä l'honneur ne se reparent point; später: De si mortels affronts ne se reparent point. Die Akademie (M-L. XII, 489) hatte den Vers getadelt: „On dit bieji ,faire atfront ä quehiu'un', mais non pas ,faire afiront ä l'hon- neur de quelqu'un'. "• I, 174 var. 2:

On prend au premier bond les hommes de la sorte. Die Redensart ist dem Ballspiel entnommen, vgl. ähnliche bei Sachs. Es erschien wahrscheinlich als familiär.

I, 228 var. 5:

Autrement je saurois te rendre ton paquet. Et moi pareillemeut rabattre ton caquet.

Diese Wendungen klangen sicher zu familiär im Munde der Lisis

und der Chloris in der Melite; vgl. M-L. XI, 151.

IV, 191 var. 1:

II continue encore ä te conter sa chance. Conter sa chance wird von Oudin als „vulgaire" bezeichnet (vgl. M-L. XI, 166).

II, 270 var. 3:

Attends de pied coi que je t'en avertisse, 166IJ : Attends, sans faire bruit, que je t'en avertisse.

De pied coi ist heute selten (Sachs); bei Corneille tinde ich nur

dieses Beispiel.

IV, 48 var. 2:

II se Ifeve; et soudain, par derriere, Achillas Comme pour commencer tirant son coutelas, Septime et trois des siens, läehes enfants de Bome, Perceut ä coups presses les flaues de ce graud hemme.

Voltaire I, 374: „Par-derrierc etait d'une prose trop hasse/'

02 Untwirkolminsgänjrf iti (\or S|iraclir ( ''»mcillos.

III, Ö4I var. 2:

Qu'un rival plus ptiissant lui (loiiiic daiis los yeux; IHdO: Qii'iin rival plus puissant ^blouisse ses yeux. J)onner dans les yeux, donner dans la wie findet sich, abgesehpri von dieser Stelle im Polyeucte, fast nur in der Komödie Corneilles. M-L. XI, 319: „Cette locution commen^-ait sans deute ä ne plus s'employer dans le haut style." Heute sagt man sehr familiär noch donner dans l'oßil.

VIII, 83 var. 5:

On en sort aisement vainqueur,

Quand dfes l'entree ou lui fall tete; nach 1056: Quand dfes l'abord on lui fait tete. Des l'entree == „des le commencement" fiel ebenso VIII, 84 var. 2, es blieb VIII, 74 vers 744. Heute ist es veraltet (Sachs). "^

IV, 204 var. 2:

Qu'en moins de fermer l'reil on ne s'en souvient pas; l(iß4: Qu'en moins d'un tournemain on ne s'en souvient pas. Th. Corneille 1692:

Qu'en moins d'ime heure ou deux on ne s'en souvient pas. Voltaire I, 457: „En moins de fermer Tceil, pour en moins d'viii clin d'ceil, n'est pas franyals." II, 170 var. 1:

II ne veut cependant que surprendre uue fleur, d. h. „ravir la virginite a qne." Die Stelle steht nur 1 637 in der ersten Ausgabe der Suivante. Corneille beseitigte sie aus Rücksichten der Decenz (vgl. Einleitung). Vgl. analog Trist, p. 318, 4: „Und ir den bluomen abe genam" (cit. von Schulz: Höfisches Leben I, 496, Anm. 3). I, 470 var. 4 :

Cela se juge ä l'ceil, rieu ne le satisfait. A Vceil =: „a vue d'oeil, ä l'ceil nu" fiel ebenso I, 207 var. l. Wahrscheinlich war es veraltet (vgl. M-L. XII, 125). I, 146 var. 4:

C'est qu'un jeune oiseau doit s'apprendre ä parier; später: C'est la qu'un apprentif doit s'apprendre ä parier. Heute ist oiseau auf Personen angewendet sehr familiär, und war es wohl schon damals. Vgl. „loser Vogel". I, 219 var. 2:

Ce pair d'amants sans pair est sous la s^pulture; 1660 : Ces malheureux amants trouvent la sepulture. Sans pair = „ohne gleichen" kam damals aufser Gebrauch (vgl. Godefroy II, 446).

Entwickelungsgäuge in der Sprache Corneilles. 93

IV, 76 var. 4 hatte Corneille prendre de bat nach Analogie von „prendre querelle" gebildet:

II a voulu lui-meme apaiser les debats Qu'avec nos citoyens ont pris quelques soldats; 16Ü0: Qu'avec nos citoyens ont eus quelques soldats. Voltaire I, 402: „Cela n'est pas fran9ais, on dit prendre querelle, et non prendre debat." IV, 368 var. 2:

Comme ä Lyon le peuple aime fort les laquais Et leur donne souvent de dangereux paquets, Deux coquins, me trouvant tanti'it en sentinelle Out laisse choir sur moi leur haiue naturelle; Et me prenant pour l'etre a l'habit rouge et vert ... 1660 : Et sitöt qu'ils ont vu mon liabit rouge et vert . . . Die erste Fassung dürfte zum wenigsten eine ungewöhnliche Kon- struktion sein.

II, 513 var. 5 :

Mais eu vaiu c o u t r e 1 u i ou täche ä r ^ s i s t e r ; 1600: Mais en vain mon devoir täche ä lui r^sister. Ebenso trat resister d für resister eontre ein III, 138 var. 7.

III, 173 var. 2:

La honte de mourir sans avoir combattu Retablit leur desordre et leur rend leur vertu; 1660 : Arrete leur desordre et leur rend leur vertu. Akademie (M-L. XII, 496) hatte bemerkt, es gebe nur retablir Vordre. M-L. XII, 302 citiert retablir le desordre aus Voltaire. III, 158 var. 2:

Malgre des feux si beaux, qui rompent ma col&re; 1660: Malgre des feux si beaux, qui troublent ma colfere. Die Akademie hatte den rhetorischen Fehler des Übergangs aus einer Metapher in die andere an dieser Stelle getadelt (vgl. M-L. XII, 494).

Dritter Teil.

Versbau.

A. S i 1 b e n z ä h 1 u n g.

Was Silbenzählung und Hiatus anlangt, so geht Ricken: „Über die metrische Technik ('Orneilles", auch auf die Varianten ein; wir schliefsen uns ihm also gröfstenteils an, soweit seine Abhandlung reicht, und werden seine Ausführungen auf Grund unserer eigenen Untersuchungen nachprüfen können. Vgl. Ricken 9 ft".

!M Kiitwickoliing.sgäuge iu der Sprache ('(^rueilles.

/. p feminin liiyitcr hefontem einfadwiii J'olrnl.

Wälirt'iid das e feminin nach unbetontem lautem Vokal l)ci Corneille wie heute (vgl. Tobler: Versbau 38) nie mehr eine Silbe l)il<let, erhält es nach betontem einfachem Vokal seinen Hilbenwert etwas länger. Zur Zeit C'orneilles war es in der Konversation ent- schieden schon stumm, wenn es auch in der Deklamation und im Gesang, besonders am Versende noch hörbar blieb. Während nun bis in den Anfang des 17. Jahrh. dieses e noch oft als »Silbe zählt (vgl. Tobler: Versbau 40 41), finden wir bei Corneille nur noch fünf solcher Fälle, die wir als eine poetische Licenz betrachten müssen. Dafs aber um 16G0 das Gefühl durchgedrungeji war, ein solches e sei im Vei'sinneren nicht mehr statthaft, beweist der Um- stand, dafs Corneille alle Fälle mit Ausnahme nur eines gebessert hat. Vgl. II, 346 var. 1:

L'epouvante las preud, et Mede e s'eufuit; 1(360: L'epouvante les prend, Med^e^en raille, et fuit.

II, 266 var. 2:

Aceorde ä ma pudeur, que deux mots de ta maiu Justifijeut aux miens ma fuite et den dessein. 166U : Puissent justifier ma fuite et ton dessein.

IV, 28 var. 2:

Justifije Cesar et condamue Pompee : 16G0: Justifiant Cesar a coudamne Pompee. Vgl. Voltaire I, 347. Derselbe bemerkt, dieses sei der einzige (?) Fehler Corneilles gegen die Metrik (vgl. etwas weiter unten).

V, 347 var. 1 :

Si vous etes amant, Phine e, je suis pere. iGfJO: Vous u'etes qu'amoureux, Phinee, et je suis pfere.

Ungeändert blieb nur II, 344 vers 73:

Les sceurs cri,eut miracle, et chacuue ravie Concoit pour son vieux pfere une pareille envie.

Vgl. Voltaire I, 71 ; er behauptet, Corneille habe diesen Fehler oft begangen, und durch ihn veranlafst, komme derselbe zu seiner (Vol- taires) Zeit immer wieder vor.

2. e feminin hinter hetnntem Diphtk/mg.

Dasselbe behält etwas länger als e feminin hinter betontem ein- fachem Vokal seinen Silbenwert. Heute gilt in beiden Fällen die Regel, dafs es im Versinneren nur dann vorkommen kann, wenn Elision vor einem folgenden vokalisch anlautenden Worte möglich

Entwickeluugsgänge in der Sprache Corneilles. 95

ist. Bei Corneille finden sich noch neun Fälle, wo e feminin hinter betontem Diphthong im Inneren des Verses als Silbe zählt; 1660 aber sind fünf derselben dem heutigen Gebrauche gemäfs gebessert. Vgl. II, 278 vers 1053:

Que tes gens cette nuit m'ai eut vue ou saisie. V, 460 vers 1022:

Les comtes ä ce prix fuy ent le diadfeme. IV, 159 vers 342:

On leur fait admirer les bay es qu'on leur donue. IV, 342 vers 1014:

Comme toutes les deux jou ent leurs persounages.

I, 494 var. 1 :

Pourvu qu'eu mes defauts j'ay e tant de bonheur. I(i60: Heureuse mille fois si le peu que je vaux.

II, 138 var. 1:

Voyez comme tous deux fuy ent notre rencoutre. 1060: Voyez comme tous deux ont fui notre rencontre.

IV, 181 var. o:

Vous le savez assez. Quoi que j'ayje pu faire. 1660: Vous le savez assez. Plus je me cousidere.

V, 87 var. 2:

Qu'elle eu p a y e Placide et täche u couserver. ItiGO: Qu'elle paye ä Piaeide et täche ä conserver. V, 544 var. 2:

Quoi que j'ay e sur eile uue puissance entiere. 16(J0: J'ai sur eUe apres tout uue puissance entiere.

Wir sehen also paye einmal zweisilbig gebraucht, es wird aber 1660 vor Vokal gebracht. Von den zwei Fällen von zweisilbigem fuy ent wird der eine gebessert. Äye zweisilbig blieb in keinem Falle. Jou' ent und bay es blieben. Ueber ai ent vgl. unten. (Nebenbei sei hier bemerkt, dafs auch die dritte Pers. Sing. Präs. Konj. bei Corneille meistens aye lautet, selten aü. Vgl. M-L. XI, 107.)

Aus obigen Versen entnehmen wir nun, dafs Corneille eine Zeit lang noch solche Formen zweisilbig im Versinneren für statthaft hielt, später sie aber nicht mehr dulden wollte; dafs er aber nur an etwas mehr als der Hälfte der Beispiele besserte, beweist zugleich, dafs e feminin hinter betontem Diphthong etwas länger Silbenwert behalten habe als hinter betontem einfachem Vokal. Gestützt Avird diese Behauptung durch Folgendes. Bei Desportes erseheinen Formen Avie aye, paye vor Konsonanten, s'egayent und royent sind ihm im

96 Entwickelungsgänge in der Sprache Corneilles.

Versinneren erlaubt; auch Maynard (Corneilles Vorgänger in der Akademie) gebraucht fuyent, croyent, bruyent, voyent, essayent im Versinneren. Endlich hat auch Moliöre noch sieben Beispiele von zweisilbigem {-Jaye und -oyent (s. Ricken).

Wie wir sehen, handelt es sich um Diphthonge, deren zweites Element y ist: ay, oy, uy. Auf den Grund der Erhaltung des e fe- minin nach diesen Diphthongen in der Aussprache leitet uns hin Thurot: Prononciation fran9aise depuis le XVP sifecle, Paris 1881, cap. 1, 3, 4, Buch IIT (nach Ricken). Nach ihm wurde im 16. Jahrh. gemäfs Aussprüchen der Grammatiker ein „i consonne" (d. h. ?-f-J) gesprochen in den Verbindungen -aye-, -oye-, -uye-, welches in seiner Eigenschaft als Konsonant das e natürlich zum Tragen einer Silbe fähig machte. Seit Ende des 16. Jahrh. sei die Aussprache e (^), bezw. 0^ oder od und ui aufgekommen, infolge wovon das e in der Aussprache fällt. Thurot gegenüber dürfen wir nun nach Maynards und Corneilles Praxis annehmen, dafs auch in der ersten Hälfte des 17. Jahrh. die konsonantische Kraft des y in den genannten Di- phthongen noch fühlbar war, Avenn auch Corneille sich später dem theoretischen Urteil der Grammatiker anschlofs.

Im Anschlufs hieran wäre ich geneigt, eine ähnliche Erklärung für die unter 1 . behandelten justifi e , jiistifient, c r i e n t anzunehmen, um so mehr als gerade eri'ent ungeändert geblieben ist. Nämlich so. Auch zwischen einfachem i und folgendem Vokal stellt sich bei fehlendem Kehlkopf\^erschlufs leicht ein leises j (oder „i consonne") ein, welches in obigen Fällen, wenn auch dem Dichter unbewufst, schützend auf den Silben wert des e eingewirkt haben könnte. Vgl. z. B. im Englischen the other = dij add in Sweets Umschrift; femer den Umstand, dafs manche Engländer nicht „the ear" von ,,the year" in der Aussprache unterscheiden können, sie sprechen dann beides z= ,,di jid" etwa.

Eine Sonderstellung nehmen neufranzösisch die Endungen der Imperfekta und Conditionnels auf -aient, ferner ^oient und aient ein. Bei denselben gilt schon lange vor Corneille das e als nicht vorhanden (vgl. Tobler: Versbau 37, 40), und sie konnten un- beanstandet an allen Stellen des Verses gebraucht w'erden. Bei Malherbe kommt soient noch einmal zweisilbig vor, der Dichter ändert aber später (vgl. Tobler a. a. O.). Bei Corneille sind -aient und

Eutwickelungsgänge in der Sprache Corneilles. 97

soient immer einsilbig, doch sahen wir oben II, 27S vers 1053 noch ein Beispiel von zweisilbigem aient. Dieses ist überhaupt das ein- zige Mal, wo aient im Versinneren bei unserem Dichter vorkommt. Während er nämlich aient anfangs wie schon Dichter lange vor ihm, wie Molifere, und wie es heute noch Gebrauch ist, einsilbig und dann natürlich auch im Versinneren verwendete, duldete er es dort später nicht mehr. Er folgte darin der Praxis Malherbes und dessen Schüler, wie Maynards. Demnach änderte er 1660: 11, 391

var. 3 : Ce genereux vieillard, indigue que ses feux

Prfes de votre rivale aient perdu tant de veux; KiÜU: Ce genereux vieillard, ne pouvant supporter

Qu'on lui vole ä ses yeux ce qu'il croit möriter.

II, 453 var. 4:

Et les Premiers regards dont m 'aient frappe vos yeux. I(j<i0: Et quand je me rendis ä des regards si doux. II, 456 var. 3:

Qu'elles n' aient pu blesser un eceur dont je dispose! 1660: Que vous leur refusiez uu cceur dont je dispose! in, 347 var. 3 :

Peu de nous ont joui d'un succfes si prospfere, Qu'ils n 'aient perdu dans Albe nn cousin, uu beau-fr^re. 1660: II est peu de Romains que le parti contraire

N'intöresse en la mort d'un gendre ou d'un beau-frfere.

in, 532 var. 1:

Et j'ai pour l'accepter eteint les plus beaux feux Qui d'une äme bien nee aieut merite les voeux. lü6o : Et j'ai pour l'aceepter eteint le plus beau feu Qui d'une äme bien nee ait merite l'aveu.

IV, 96 var. 1:

II vous proclame reine, et quoique ses Romains

Au sang que vous pleurez, n' aient point treuipe leurs maius.

1660: n vous proclame reine; et bien qu'aucun Romain Du sang que vous pleurez, n'ait vu rougir sa main.

IV, 162 var. 3:

Quoique en ce choix les yeux aient la premifere part. 1660: Les yeux en ce grand choix ont la premifere part.

V, 587 var. 3:

Et ue craignez-vous point que nies sourdes pratiques Ne vous aient euleve jusqu'ä vos domestiques? 1660: N'appr^liendez-vous point que tous vos domestiques Ne soient dejä gagnes par mes sourdes pratiques?*

* Ferner II, P>67 var. 6, vgl. S. 11 o.

Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV.

08 Rnt\vickrliinp;.späiig(' in der Sprache Corncillo.a.

Diese letzte Stelle ist aus dem NieomMe, 1651 verfafst, später findet sich aieMt überhaupt nicht mehr im Versinneren. Es läfst sich nun nicht leugnen, dafs die Regel, e feminin nach betontem Diphthong aufser im Falle der Elision im Versinneren zu meiden, den Dichtern eine unbequeme Beschi-änkung auferlegt; und so er- scheint es erklärlich, wenn in neuerer Zeit Dichter in Mifsachtung der Regel Formen wie croient, voient, fuient, (tu) aips gerade wie soient behandelt haben (vgl. Tobler: Versbau 37).

3. h aspiree.

Erst allmählich hat sich die Sprache bei einer Reihe von Wör- tern für h aspiree bezw. h muette entschieden. So wurden harangiie, Hollande, hors, hideux, liäir, hardi (vgl. mittelalterliches ardi) im 17. Jahrh. noch oft mit h muette gebraucht; Ludwig XIV. hat sogar selbst einmal „n'asardes plus" geschrieben (vgl. Genin Recreations I, 127 ff.). Nur Caprice des Gebrauchs, auch Gründe des Wohl- klangs haben bei diesen Wörtern für das eine oder das andere ent- schieden. — Bei Corneille haben wir Beispiele für diese Entwicke- lung. Vgl. :

heroique ist bei ihm vor 1660 mit aspiriertem, nach 1660 mit stummem h gebraucht. IV, 130:

Quand je me suis r^solu de repasser du | heroique au uaif (1642). V, 410: J'ajoute ä celle-ci l'epithfete de | heroique (1650). Beide Stellen finden sich in Prosastücken, die nach 1660 nicht mehr abgedruckt wurden. In der Dichtung kommt heroiqiie nur nach 1660 vor, und da immer mit stummem h (vgl. Ricken 17). Vgl. VII, 131 vers 561 :

J'ai vu tous les plaisirs de sou äme^heroique; ferner VII, 426 vers 1110, 509 vers 1097 u. ö. Corneille folgt Vaugelas, welcher I, 51 heroiqiie mit h muette gebraucht wissen will nach der Regel: Alle aus dem Lateinischen kommenden und dort schon mit h anlautenden Wörter haben ein stummes h ; ausgenommen nur heros, welches im Anfange des 17. Jahrh. in Analogie zu herauf ein aspiriertes h erhalten habe. Corneille dehnte dieses also anfangs auf das davon abgeleitete heroique aus.

hösiter. Vgl. IV, 190 var. 1:

Ne I hesiter Jamals, et rougir encor moins; IQW: Ne se brouiller Jamals, et rougir encor moins.

Entwickelungsgänge in der Sprache Corneilles. 99

II, 272 var. 1 :

16ß0: Quoi! je | hesite encor, je balance, je doute! 1663: Quoi! je balance encor, je m'arrete, je doute! I, 354 var. 1 :

Espfere mais hesite; hösite, mais aspire (1660 63). 1664: Doute dans ton espoir; hesite, mais aspire. später : Tremble sans craindre trop ; hesite mais aspire. Vn, 127 vers 459:

Et bien que sur le choix il semble | h^siter; Voltaire 1764:

Et bien que sur le choix il me semble_h^siter. Vgl. M-L. XI, 480; Ricken 18. Menage bezeugt uns (vgl. M-L. a. a. O.), dafs Corneille ,,san hesüer" gesprochen habe. Fast will es scheinen, als ob er später hesiter mit h aspiree habe vermeiden wollen, wenn auch nicht durchaus; jedenfalls schwankt er in Bezug auf den Anlaut. Furetiere 1701 läfst noch die Wahl zwischen h muette und h aspiree; Richelet 1709 zieht das erstere vor. Voltaire I, 453: ,,Ne he(siter) est dur ä, l'oreille. On ne fait plus de difficulte de dire aujourd'hui f hesite, je n'fiesite pas.'^

4. oui. Ebenso wie on%e, onzieme gebraucht Corneille dem älteren Fran- zösisch gemäl's auch oui als vokalisch anlautend, entgegen den Vor- schriften Vaugelas' (I, 382), welche von Th. Corneille und der Aka- demie bestätigt werden. Dal's darum die Verdoppelung von oui im Verse nicht vorkomme, wie Ricken meint, ist unrichtig, wenigstens insofern als Corneille dieselbe zweimal anwendet, folge- richtig dann aber wieder beseitigt hat. Vgl. III, 110 vai'. 7 : Oui, oui, je m'en souviens, et j'epandrai le sang; 1660: II m'en souvient si bien que j'epandrai mou sang. IV, 73 var. 2:

Oui, oui, ton sentiment enfin est veritable ; 1 660 : Oui, par seulement ma perte est evitable.

Verdoppelung des oui citiert Mesnard zweimal aus Racine, sie findet sich bei Moli^re und auch sonst (vgl. Tobler: Versbau 107). Nach Littre hat oui jetzt „une demi-aspiration, ce oui, des oui = d^ oui etc."

5. Äpokope in Adverbien und Präpositionen.

Ricken S. 20 fl^. sagt darüber etwa folgendes, und wir worden seine Angaben prüfen : „Es sind sieben Adverbien und Präpositionen,

7*

100 Kntwickoliinfj.spiiipc in der Spraclu- Corneilles.

die bei Corneille in einer längeren und einer kürzeren Form im Verpe gebraucht werden, nämlich

avec avecque (nicht avecques)

donc doncques (doncque)

jusque jusques

presque presques

mßrae raemes

guöre guöres

encor encore. Diese Formen gehören, soweit sie ein .s- am Ende haben, zu einer zahlreichen Gruppe von Partikeln, die zum Teil schon seit dem 1 0. Jahrh. ein paragogisches s zeigen. Nicht blofs im Französischen, sondern auch auf dem gesamten i'omanischen Gebiet des Westens, im Proven9alischen, Spanischen, Catalanischen, Portugiesischen, läfst sich die Neigung wahrnehmen, den Partikeln, überlieferten sowohl wie neugeschaffenen, dieses formelle Kennzeichen beizufügen'' (Diez III *, 456). Neben diesen Formen bestanden meistens die gleich- lautenden ohne i\ Im 16. Jahrh. veralten mehrere dieser volleren Formen, was seinen Grund in dem Verstummen des Schlufs-s haben wird. Malherbe wendet die Formen avecques, oncques, ores, encores, deren sich Desportes unbedenklich bedient, nicht mehr an. Selbst doncques kommt bei ihm nicht vor. Corneille kennt doncques, jusques, memes, presques, gueres. nicht aber avecques und eneores. Or', ores, onc, onq', oncques finden sich auch bei Corneille nicht.

Neben den Formen mit weiblicher Endung finden sich bei Cor- neille noch einige mit männlichem Ausgang, nämlich avec, donc, encor. Da neben avec nur avecque, neben donc nur doncques, neben encor nur encore bei ihm gebräuchlich sind, so haben wir in jedem Falle nur mit zwei Formen derselben Partikel zu thun, während früher vielfach drei derselben nebeneinander auftreten. Diese Be- hauptung leidet nur durch ein einziges Beispiel des Vorkommens von doncque eine Beschränkung, eine Form, welche sich in ein Madrigal, das sich als Jugendgedicht kennzeichnet, eingeschlichen hat (vgl. M-L. X, 35).

Es läfst sich bei Vergleichung der verschiedenen Ausgaben seiner Werke, welche Corneille selbst veranstaltet hat, das interessante Faktum beobachten, dafs er im Laufe der Zeit gegen alle Formen mit paragogischem und gegen a/vecqtie eine Abneigung gewann.

Entwickelungsgänge in der Sprache Corneilles. 101

Besonders bezeichnete die Ausgabe von 1660 auch hier einen Wende- punkt, der in ganz eminentem Mafse bei der Verfolgung der Form avecque auffällt, aber auch für doncques, memes, jiisques pi'esques kommt wenig vor klar zu erkennen ist. Avecque also, das bis Mitte des 17. Jahrh. sekr häufig auftritt, in den späteren Stücken aber nur selten sich findet, ist in der Ausgabe von 1660 mit grofser Sorgfalt aus den meisten Versen, in denen es ursprünglich stand, herausgebessert, so dafs hier (wie in den Beispielen doncques etc.) über den Grund der Umgestaltung kein Zweifel möglich sein kann.'' Was zunächst die Formen mit paragogischem s anbetrifft, so kommt doncques überhaupt nur in den Jugendwerken Corneilles vor, und auch da ist es an allen Stellen beseitigt worden. Vgl. I, 190

var. 6: Doncques si ta raison ne se trouve degue; 1H<iO: Donc si ton esperance ä la ön n'est dejue.

Ferner I, 214 var. 2, 214 var. 3, 220 var. 1, 320 var. 4; II, 43 var. 3, 152 var. 2. Schärfer noch als Ricken es thut, müssen wir also Corneilles spätere Abneigung gegen die längere Form doncques betonen. Wie erwähnt, findet sich noch einmal doncque bei Corneille. Vaugelas (Ausgabe 1647, S. 392) verbietet dasselbe durch- aus; dagegen doncques ist ihm vollständig erlaubt, und auch Ac. 1694 bietet es noch neben donc; ebenso Fureti^.re 1701. Vgl. M-L. XI, 315. Menage 61 erlaubt 1672 noch do7ic und doncque, nicht aber doncques. Moliere hat doncques nur einmal nach Ricken.

jusques. Hier verhält sich die Sache speciell so. Es ist rich- tig, dafs es in Corneilles Jugendwerken häufiger vorkommt als in den späteren, aber es ist hier auch häufig genug, und, soviel ich sehen kann, an keiner Stelle in den dichterischen Werken beseitigt worden. Durchaus aber verbannt der Dichter später jusques aus seiner Prosa, während er es anfangs öfter verwendet hatte. Er besserte so I, 16 var. 2 :

II faut ... les amener jusques ä nous, uach 1664: II faut ... les amener jusqu'ä nous. Ebenso I, 24 var. 3, 53 var. 1, 53 var. 4, 97 var. 1, 97 var. 3, 138 var. 2; V, 361 var. 1, 409 var. 3. Es blieb nur V, 412 Z. 3 v. u.; denn I, 378, eine Stelle, die M-L. anzieht, kann nicht in Betracht kommen, da das betreffende Prosastück in den späteren Ausgaben sich nicht mehr findet.

Vaugelas I, 77 will Jusque vor vokalischem Anlaut mit oder

102 Entwickelungsgäuge iii der Sprache Corneilles.

ohne s, vor kojisuiiantischem Anlaut aber iiniucr rüit .s f^chreiben, also jusqucs ä und jusqu'a, aber immer jusques lä, und zwar macht er die Wahl zwischen jusqu'a und jusques ä u. ä. vom Wohlklange abhängig. Thomas Corneille, welcher sich auf Menage (vgl. Me- nage 58) stützt, und die Akademie (zuVaug. I, 77) evlauhen jusques luid jusque überall, wie es gerade der Wohlklang der Periode (also erlauben sie jusques auch in der Prosa!) oder im Verse die Silben- zahl erfordere. Patru (zu Vaug. 1, 7iS) will jusques so oft wie möglich gebrauchen, es sei „plus doux". Corneille scheint jusques für eine poetische Form gehalten zu haben.

memes. Auch im Pronomen erscheint es im Singidar öfter mit 6' versehen. Litt. s. Haase: Nfi-z. Zs. IV, 180, Anm. 8. Ich finde neun Fälle, wo Corneille memes gebraucht hatte; davon sind sechs gebessert worden. Vgl. III, 545 vai*. 1 :

Tu me quittes, ingrat, et m§mes avec joie. lößO: Tu me quittes, ingrat, et le fais avec joie. Ferner III, 518 var. 2, 565 var. 3, 512 var. 2; IV, 220 var. 1, 235 var. 3. Es blieb I, 312 vers 639; III, 526 vers 838, 437 vers 1185 (an dieser Stelle hätte der Herausgeber mhnes sollen stehen lassen, da alle Ausgaben zu Lebzeiten Corneilles es haben). Vaugelas

I, •'^O bemerkt über „mesme et mesmes adverbe" : „tous les deux sont bons" ; Thomas Corneille und die Akademie dagegen (ebenda) verwerfen '}nesmes, w^ährend Patru (zu Vaug. I, 84) und Menage 61 wieder beides zulassen. Fureti^re 1701 zieht meme vor. Voiture hatte memes noch oft gebraucht (vgl. Frz. Stud. I, 28).

presques findet sich zweimal in älteren Werken. I, 165 var. 1 :

Une reflexiou vers le traitre qu'elle ainie Presques ä tous moments le ramene en lui-meme. 1682: Presque ] ä tous moments le ramene en lui-meme.

II, 369 vers 588:

J'en eus presques envie aussitöt que de vous. In dem ersteren Falle hätte der Herausgeber nicht ändern sollen, denn i)resques steht in allen von Corneille besorgten Ausgaben. (Presque in der Ausgabe 1682 ist Druckfehler, da es den Vers un- richtig macht, und erst 1692 wird von Th. Corneille deshalb les nach tous eingefügt. Vgl. M-L. XII, 219.) Nach Qviicherat \i?i\^Q p-esque schon im 16. Jahrh. nur selten ein s; es scheint presques z. B. bei Jodelle nicht vorzukommen (vgl. Hertiug 9). Menage 1672, S. 62: „On ne dit plus que presque."

Entwickelungsgänge in der Sprache Comeilles. 103

aveeque. Corneilles Praxis in Bezug auf die Doppelformen mit und ohne e entspricht keineswegs der Vorschrift Vaugelas' (vgl. Vaugelas I, 424 429); ebensowenig der Regel des Menage (vgl. Thurot 184 185 [von Ricken citiert]). Während Malherbe aveeque fast durchweg vor folgendem Konsonanten oder aspiriertem h, avec dagegen fast nur vor Vokalen oder stummem h gebraucht, bedient sich Corneille, wie die meisten seiner Zeitgenossen, der Form avec sowohl vor Konsonanten wie vor Vokalen, während aveeque nur vor konsonantischem Anlaute steht ; d. h. avec ist das gewöhnliche Wort, und um- wenn die Silbenzahl des Verses es verlangte, gebrauchte man aveeque; vor vokalischem Anlaut aber hätte aveeque auch nur zwei Silben ergeben.

Auf diesem Standpunkte blieb Corneille nicht stehen. Er suchte aveeque später möglichst zu beseitigen. Vgl. I, 190 var. 4.

Mais j'en ai vu fort peu de qui les passions

Fussent d'intelligence aveeque le visage. Nach 1660: Fusseut d'intelligence avec tout le visage. Ebenso I, 202 var. 1, 211 var. .3, 223 var. 5, 284 var. 1, 277 var. 4, 287 var. 5, 324 var. 5, 357 var. 3, 404 var. 2, 427 var. 8; II, 43 var. 4, 44 var. 1, 84 var. 2, 85 var. 4, 101 var. 8, 172 var. 1, 175 var. 2, 178 var. 1, 187 var. 4, 258 var. 2, 360 var. 2, 364 var. 1, 440 var. 2, 441 var. 2, 451 var. 2, 453 var. 3, 463 var. 8, 467 var. 1; III, Hl var. 3, 135 var. 1, 145 var. 1, 169 var. 1, 307 var. 2, 386 var. 1, 398 var. 3, 396 var. 2, 407 var. 1, 407 var. 2, 420 var. 2, 530 A^ar. 3; IV, 151 var. 1, 152 var. l, 153 var. 1, 165 var. 1, 167 var. 1, 177 var. 2, 186 var. 2, 234 var. 2, :;21 var. 2, 330 var. 1, 340 var. 3, 358 var. 3, 361 var. 1, 378 var. 5, 380 var. 2 (zweimal), 438 var. 2, 447 var. 1, 508 var. 3; V, 68 var. 3, 73 var. 2, 93 var. 1, 195 var. 2, 887 var. 3 (zweimal), 548 var. 2.

Aveeque ist im zweiten Bande etwa neunmal von etwa 27 Fällen, im fünften etwa zehnmal von nur noch etwa 17 Fällen stehen ge- blieben, und vom sechsten ab (d. h. in den nach 1652 verfal'sten Stücken) wird es überhaupt selten, ohne dafs es jedoch später be- seitigt wird, es war eben zu bequem, bei einer fehlenden Silbe den Vers zu füllen. Selbst in den spätesten Werken Corneilles kommt es vereinzelt noch vor; denn mit Recht macht Ricken darauf auf- merksam, dafs das nach Marty - Laveaux' Meinung (vgl. XI, 101) späteste Beispiel V, 356 vers 868 (von 1650) nicht das letzte ist. Aveeque findet sich z. B. noch VIII, 157 vers 2337 (von 1652) und IX, 28 vers 379 (von 1665).

Racine hat in der definitiven Ausgabe seiner Werke aveeque nur einmal (im Alexandre, vgl. Mesnard im Lex. unter avec), wäh- rend es in früheren Ausgaben im ganzen fünfmal vorkam. Richelet:

104 Entwickelungsgänge iu der Sprache (Jorneilles.

Diel, des rimes S. LVI, giebt an, es komme bei Boileau einmal vor.

Fureti&re 1701 und Richelet 1709 erlauben aveciiiic den Dichtern.

Anm. Jrecqttes, im Kl. .Tahrh. noch gebräuchlich (vgl. Herting 1'), findet sich bei Corneille nicht mehr, ^A'ohl aber noch bei seinem Zeit- genossen Villiers, z. B. im Festin de Pierre, herausgegeben von Knörich, Vers 8, IM u. ö.

B. Hiatus und Elision.

1 . Auch in der Schrift auslautender Vokal, wel- cher den Ton trägt, vor vokalischem Anlaut, eine seit Malherbe verbotene Art des Hiatus (vgl. Tobler: Versbau 105), kommt bei Corneille sechsmal vor, davon drei Stellen gebessert und die übrigen leicht zu erklären sind (vgl. Ricken 32); vgl. H, 480 var. 3 : Mais pour vous je me plais ä | etre mal traitee.

Nach \ii'^0: Mais pour vous je me plais a, me voir maltraitee. IV, 316 var. 1 (nur 1645):

C'est le plus gen^reux qui | ait jamais vecu. Später: C'est le plus genereux qui jamais ait v^cu. n, 188 var. 2:

Ton sang, ou repandu, | ou hasarde pour eile. ItJöO: Ton sang mis an hasard ou repandu pour eile. Hier stand der Hiatus in der Cäsur, das mag der Grund gewesen sein, warum er so lange unbemerkt blieb. IV, 171 var. 4:

Dedans le Pre -aux-Clercs tu verras memes choses. 1060: Dans tout le Pre| -aux-Clercs tu verras memes choses. Fassen wir Pre-aux-Clercs als ein Wort, so fällt jeder Einwand gegen diesen Vers weg. X, 81 vers 8:

Mais c'en est un beau | aujourd'hui. Dieser Hiatus findet sich in einem improvisierten Gedicht, dessen Herausgabe Corneille nicht überwacht hat. Vielleicht war auch die Niederschrift nicht korrekt. X, 131 vers 9:

I il ^toit grave d'un burin tout de flamme. Auch das Gedicht, in welchem dieser Hiatus vorkonnnt, ist im Druck nicht von Corneille überwacht worden.

2. Elision. Nur in Bezug auf die Graphic sei eine kleine Einzelheit erwähnt. V, 162 var. 1 :

Et puisque avecque moi tu le veux couronuer;

Ent wickelungsgärige in der Sprache Corneilles. 105

also mit faktisch ausgeführter Elision, 1660 wird dieselbe auch in der Schrift ausgedrückt:

Et puisqu'avecque inoi tu veux le couronner.

C. C ä s u r.

1 . Die Sinnespause beim Einschnitte der Cäsur soll nicht

ptärker sein als am Versende, Eine Illustration dieser Regel liefert

Corneille II, 511 var. 6 (bis 1657):

Retourne eu ton pays i| avecque tous tes biens Chercher un rang pareil ä celui qtie tu tiens,

= kehre zAirück in dein Land, um dort vermittelst deines Gutes (das

du nämlich dort vorfindest) einen Rang zu suchen, welcher deinem

gegenwärtigen entspricht." Dafs avecque tous tes biens von chercher

abhängig ist, beweist kurz vorher Vers 1416: „...tes biens qui ne

t€ suivoient pas^' ; Isabelle, um die es sieh handelt, hat also ihi* Gut

in ihrem Lande zurückgelassen, als sie entfloh. Somit ist die Sinnesr

pause in der Cäsur des ersten Verses bedeutend stärker als am

Ende desselbeii. Daher ändert Corneille 1660:

Retourne en ton pays chercher avec tes biens

L'honneur d'un rang pareil ä celui que tu tiens. :

2. Cäsur zwischen Substantiv und seinem nach- folgenden Adjektiv fand sich einigeraal in kaum zulässiger Weise in Corneilles älteren Werken. Er besserte jedoch später.

I, 278 var. 4:

Cette inclination || secrfete qui vous m^ne; 1660: Cette inclination, qui jusqu'ici vous mfene.

I, 408 var. 3:

Soit que quelque raison || secrete le retint; fii6tt; Soit que quelque raison en secret le retint.

I, 422 var. 2:

Je ne sais quelle humeur ü curieuse m'emporte; 1682: Une humeur curieuse avec chaleur m'emporte.

I, 456 var. 2 :

Depuis que niou amour || declare ni'en assure; IH<)(»: Depuis qu'en libertö mon amour m'en assure.

II, 44 var, 2:

Par des commandements || supposes d'une niöre? ]t>6o: Me supposer uiusi des ordres d'une mere?

106 Eutwickelungsgäuge in der .Sprache Corueilleb.

3. Die Cäsur soll nicht zwischeji das regierende Verbum und sein Objekt fallen, aufser wenn das letztere die ganze zweite Vershälfte füllt und an keiner »Stelle desselben eine Unter- brechung der Rede stattfinden kann (vgl. Tobler: Versbau 07). Ver- stöfse gegen diese Regel tilgte Corneille II, -421 var. 2:

La cause? En deraander || la cause! | lie, parjurel l<>ij(j: Quel en est le sujet? || Le sujet? 11s parjure! VIII, 34 var. 3 (nur 1651):

Mais quelque doux qu'il soit ! ä tous | tant que nous sommes; später: Mais, 6 Dieu, dont la main nous fait ce que nous sommes. I, 198 var. 5:

Et ces traits de sa plume ici me sont restes Qui d^peignant au vif son perfide courage Remplissent de bonheur || Philandre | et moi de rage. 166*': Et ces traits de sa plume, osant encor parier, Laissent entre mes mains une honteuse Image, son cceur peiut au vif remplit le mien fle rage.

Über Malherbes Vorschriften in Bezug auf diesen Punkt vgl. Holfeld 75.

4. Eine in die Mitte zusammengesetzter Präpositio- nen b e z w. Adverbien fallende Cäsur wurde später getilgt III, 185 var. 1:

Pr^f^rant, en depit ]{ de son äme ravie. 1HH9: Pr^förant, quelque espoir qu'eüt son äme asservie.

III, 321 var. 1:

Une mauvaise humeur, un peu de Jalousie Le peuvent mettre hors |1 de votre fantaisie. ItibU: En fait assez souvent passer la fantaisie.

IV, 540 var. 3:

Vous m'oflensez. Autaut || que Eome vous honore. löou: Vous m'oflfensez moi-meme en parlant de la sorte.

5. Ein auf den zweiten Halbvers bezügliches Adverb oder eine Präposition am Ende des ersten Halbverses ist nur selten zulässig. Daher folgende Änderungen: IV, 183 var. 1:

Sans commencer par || vous devez achever. 1660: Et ne comniencez plus par oii l'on doit finir. Voltaire I, 450 bemerkt hierzu, nur im komischen Stile sei eine solche Cäsur sehr selten erlaubt, wo eine Konjunktion oder ein einsilbiges Adverb am Ende des ersten Halbverses steht. II, 139 var. 5: Mais j'en juge suivant || ce que j'en vois paroitre. Nach loO-l : Je juge et parle ainsi sur ce qu'on voit paroitre.

Entwickelungsgänge iu der Sprache Corneilles. 107

D. R e i m. 1. Reicher Reim.

a) e(6), er(s), ier(s) müssen seit der klassischen Zeit reich reimen, da bei dem grofsen Reichtum der französischen Sprache an solchen Endungen sich diese Reime allzu leicht ergeben würden. Vgl. Tobler: Versbau 121. Dieselbe Regel befolgt Corneille, und etwaige Ab- weichungen tilgt er bei späteren Revisionen, so III, 310 var. 3 :

Du moins contente-toi de l'avoir offensee Et me laisse achever cette grande journee. Nach 1641: Du moins contente-toi de l'avoir etonnee. III, 450 var. 3:

(La porte) Assuree au besoin du secours des preraiers, Te dirai-je les noms de tous ces meurtriers?

1660 wird der Passus gänzlich geändert.

Was den Reim von -fjner zu -ner anbetrifft, so mufs ich für unseren Dichter durchaus Tobler beistimmen, wenn derselbe (Vers- bau 121, Anm. 3) die Unzulässigkeit desselben gegenüber Quicherat 8. 28 behauptet; es ist bei Corneille Regel, nur -gner zu -gner zu reimen, wie epargner : gagner. indigne : epargne u. s. w. in, 114 var. 7:

Instruisez-le d'exemple, et vous ressouvenez Qu'il faut faire ä se^ yeux ce que vous enseignez

war von der Akademie (M-L. XII, 485) als schlechter Reim getadelt

worden, daher Corneille 1660 an die Stelle setzt:

lustruisez-le d'exemple, et rendez-le parfait Expliquant ä ses yeux vos legons par l'effet.

Anm. Eichelets Dict. des rimes scheidet allerdings -gner und -ne>- nicht.

b) -ir reimt heute meist reich (vgl. Tobler: Versbau 122), bei

Corneille immer, wenigstens finde ich in den 1645 51 verfafsten

fünf Stücken nur eine Ausnahme, nämlich V, 84 vers 1529 30:

Marcelle u'attend plus que son dernier soupir: Jugez ä quelle rage ira sou deplaisir.

Daher wird Corneille des Reimes wegen geändert haben V, 531

var. 1 : Si je ue le dois craindre au moins j'en dois rougir; Et la conf usiou doiit je me sens couv r i r Me ramfene aussitot cette vue importuoe.

Itiiiii: Je rougis dans mon äme; et ma confusiou Qui renouvelle et croit ä chaque occasiou Sans cesse offre ä uies yeux cette vue impurtuue.

108 Entwickelungsgänge in der Sprache Corneilles.

Ausgenommen von der Forderung des reichen Reimes ist der Fall, wo eins der Reimwörter einsilbig ist, oder wo der Endung -ir ein Vokal vorhergeht.

2. Reime von Wörtern gleichen Stammes.

Wörter, von denen eins als Kompositum einen Stamm enthält, welcher auch in dem anderen, sei es mit oder ohjie Präfix, erscheint, im Reime miteinander zu paaren, ist nur dann gestattet, wenn die Bedeutungen beider Wörter sich so zueinander verhalten, dafs ihre ^"erschiedenheit sich nicht allein aus der Verschiedenheit noch leben- der Suffixe erklärt (vgl. Tobler: Versbau 132).

a) Reim von Simplex und Kompositum. Malherbe verurteilt den Reim „des simples et des composes" durchaus, s. die grofse Anzahl von Anmerkungen im Commentaire zu Des Portes (z. B. S. 2(35, 266, 321, 332, 347 u. s. w.). Nach Corneilles Varianten zu urteilen, scheint derselbe in seiner späteren Zeit diese Beschränkung sehr weit ausgedehnt zu haben, weiter, als er anfangs gethan hatte. Vgl.

(1) n, 75 var. 1 :

Si donc il ne les f aut gu'empecher de se v o i r Je te laisse ä juger si j'y saurai pourvoir. IHiiO: Ainsi tout est ä nous, s'il ne faut qu'empecher Qu'un si fidele amant n'eu puisse rapprocher.

(2) II, 145 var. 1:

Sans vos Instructions, je sais troj) comme 11 faut Couler tout doucemeut sur ce qui vous defaut. Nach liidO: Sans vos Instructions je sais bleu mon metier Et je n'en lalsseral pas un tralt ä quartier.

(3) II, 197 var. 1:

Si ce change d'humeur un peu plus tot l'eilt pris Nous aurions vu l'effet du dessein entreprls. 166U: Que ton humeur n'a-t-elle un peu plus tot change? Nous aurions vu l'effet tu m'as engage.

(4) n, 231 var. 2:

Nou pas tous: j'eu retiens pour moi quelque partie. II etoit grand besoin de cette repartie.

Nach 1637 wiu-den diese Verse ausgelassen.

(5) II, 280 var. 2:

Doraste, ou par malheur quelque pire surjjrise De ces coureurs de nuit me feroit lächer prise. 1H60: Doraste, ou par malheur quelque reucontre pire, Me pourroit arracher ce tresor j'aspire.

Entwickelungsgänge in der Sprache Corneilles. 109

(6) II, 453 var. 6:

Puisque ainsi vous jugez que ma peine est si dure, Prenez quelque pitie des tourments que j'endure. 1(360: La grandeur de mes maiix vous etant si connue, Me refuserez-vous la pitie qui m'est due?

(7) III, 119 var. 1:

Si Rodrigue est mon fils, il faut que Famour cfede, Et qu'une ardeur plus haute ä ses flammes succfede. 1660 wurden diese Verse gestrichen.

(8) III, 119 var. 1:

Mon honneur est le sien, et le mortel af front Qui tombe sur mon chef rejaillit sur sou front.

1660 wurden diese Verse gestrichen.

(9) III, 156 var. 1 :

Mais il me faut te perdre apres l'avoir per du, Et pour mieux tourmeuter mon esprit e per du. 1660: Cet effort sur ma flamme ä mon honneur est du. Vgl. hierzu M-L. XII, 494 und Tobler: Versbau 133.

(10) IV, 443 var. 2:

II falloit un pr^texte ä s'en pouvoir d6dire, La paix le vient de faire, et s'il vous faut tout dire. 166(1: II falloit un pretexte ä vaincre sa colere,

II y falloit du temps ; et pour ue vous rien taire.

(11) IV, 483 var. 1:

Le sceptre, dont ma main vous doit recompeuser, Ne vaut pas a vos yeux la peine d'y penser. 106U: N'a point de quoi vous faire un moment balancer.

Auch Reime gleichklingender ^Vörter verschiedenen Stammes fielen. Vgl.: (12) II, 468 var. 1:

De certains mouvements que le ciel nous inspire Nous fönt aux yeux d'autrui souvent choisir le pire. 1060: Souvent je ne sais quoi que le ciel nous inspire Souleve tout le coeur contre ce qu'ou desire.

(13) II, 493 var. 2:

Perles, bagues, habits. J'ai bien fait encor pire: J'ai dit que c'est pour vous que ce captif sou pire. 1660: Perles, bagues, habits. J'ai bleu fait davantage J'ai dit qu'ä vos beautes ce captif rend hommage.

Von diesen 13 Fällen würden nach der oben gegebenen Regel wohl erlaubt sein 4, 6, s, 11, 12, 13.

b) Auch Reime von K o m p o s i t i s desselben Stammes tilgt Corneille öfter. So I, 156 var. 3:

Qu'ainsi tes sens tromp^s te forcent d^sormais A chörir ta Cloris et ne changer jamais. 1660: Qu'ainsi tes sens tromp^s te puissent obliger A cht^rir ta Cloris et jamais ue changer.

I H' Eiit\vick('liui<^sgäiif:(' in der S])niclic (■\»rnfillfs.

II, 108 var. 3:

Florame est mon ami, d'oü tu peux inf<5rer Qu'ä tout autre qu'ä moi je le dois pi«^f<^rpr. Itldu: Mou amiti^ pour lui, qui ne peut expirer Ä tout autre qu'a nun ino lo fait pref^'rer.

II, 367 var. G :

Mais on ne traite point les rois avec mepris; On leur doit du respect, quoi qu'ils aient entrepris: Kemets, si tu le veux, sur moi toute l'af faire; Quelques raisons d'Etat le pourrout satisfaire. l(i«;0: Mais le tröne soutient la majest(? des rois

Au-dessus du mt?pris, comme au-dessus des lois. On doit toujours respect au seeptre, ä la couronne. Reuiets tout, si tu veux, aux ordres que je donne.

III, 114 var. 4:

Rodrigue aime Cbimfene, et ce digne sujet De ses affections est le plus eher objet. 16()0: Vous n'avez qu'une fille, et moi je n'ai qu'un fils;

Leur hymen nous peut rendre ä jamais plus qu'amis.

Hier bedeutete sujet genau dasselbe wie objet. Wenn die Bedeu- tungen verschieden sind, stehen sie oft im Reime zueinander, z. B. III, 287 vers 117—118, V, 463 vers 1087—88 u. o.

III, 139 var. 4:

Sur un avis reyu je crains une surprise.

Les Mores contre uous font-ils quelque eutreprise?

1660 fielen diese Verse.

IV, 478 var. 1 :

Elle s'explique assez a, ce coeur qui l'entend.

Et vous lui rendrez i:)lus que son ombre u'atteud.

1660 wurde der Passus ganz verändert.

Anzusehliefsen sind noch zwei Stellen, wo Corneille die abso- luten Possessivpronomina im Reime zueinander gebraucht hatte, während sonst solche Reime bei ihm nicht vorkommen. (Vgl. Mal- herbes Vorschrift bei Holfeld 74.) III, 297 var. 1:

Et ne nous opposant d'autres bras que les vötres, D'une seule maisou brave toutes les nötres. 1660: Et son illustre ardeur d'oser plus que les autres, D'une seule maison brave toutes les notres.

IV, 504 var. 2 :

Cette coupe est suspecte, eile vient de la sienue; Ne prenez rien, Seigneur, d'elle, ni de la mieune. lüüO: Cette coupe est suspecte, eile vient de la Reine; Craignez de toutes deux quelque secrfete haine.

Anm. Körting, Encyklop. III, 294 c: „Ebenso dürfen u. s. w." will wohl das Gegenteil von dem sagen, was er wirklich sagt; es ist „nichf- vor „miteinander reimen" ausgefallen.

Entwickelungsgänge iu der Sprache Corneüles. 111

5. Rimes equivoques (vgl. Tobler: Versbau 133). Sie sind bei Corneille selten, und wo ihm ein solcher Eeim entschlüpft war, tilgt er ihn in späteren Aus- gaben. Vgl. I, 246 var. 1 :

Et de ce que l'excfes de ma douleur araere A mis tant de douleur dans le eceur de ma m^re. i»:it!(i: Et de ce que l'excfes de ma douleur sincfere. VIII, 120 var. 2, 3:

Le vrai religieux . . .

N'aime point qu'on le voie et moins encore ä voir,

Et croit que celui-lä se tue

Qui cherche ä se blesser la vue De ce que, saus se perdre, 11 ne sauroit avoir. Nach lii-51: Ne veut point etre vu, ne veut point regarder,

Et croit que celui-lä se tue

Qui cherche ä se blesser la vue De ce que, sans se perdre, il ne peut possMer.

III, 331 var. 1:

Trop faible pour eux tous, trop fort pour chacun (l'eux II sait bien se tirer d'im pas si hasardeux. 1664: II sait bien se tirer d'un pas si dangereux. Derselbe Reim wurde getilgt III, 556 var. 2, blieb aber stehen IV, 34 vers 187—188.

4. Doppelreim (vgl. Tobler: Versbau 135). Corneille meidet ihn und bessert daher ni, 305 var. 3:

Autre n'a mieux que toi soutenu cette guerre, Autre de plus de morts n'a couvert cette terre. 1660: Autre de plus de morts n'a couvert notre terre.

IV, 437 var. 2 :

Nous avons meme droit sur un tröne douteux; Pour la meme beaute nous soupirons tous deux. 1660: Un meme espoir du sceptre est permis ä tous deux; Pour la meme beaute nous faisons meme voeux.

VIII, 134 var. 1:

Cependant cette vie, en soi si miserable, Conserve im tel charme secret Que le plus malheureux et le plus möprisable Ne l'abandonne qu'ä regret? Nach 16ri2: Faut-il que cette vie, en soi si miserable Ait toutefois un tel attrait etc.

Derselbe Reim fiel auch II, 271 var. 2. VIII, 147 var. 1:

Et si toi-m§me en ton besoiu Negliges d'agir pour toi-mgme Pen d'autres en prendront le soin.

112 Entwickelungsgänge in dor Spraclie Cnmeillef».

Nach l(;(i2: Et si tu veux bien nögliger Toi-m6me le soin de toi-mt^me Peu d'autres s'en voudront charger.

Malherbe 287 tadelt den Reim mon lien : inon hieii bei Des Portes.

5. Brnnemreim,

(vgl. Tobler: Versbau ] 38). Heute ist diese im alten Französisch beliebte Spielerei, das in der Cäsur stehende Wort mit dem Versende, oder je zwei in der Cäsur stehende Wörter miteinander zu binden, nicht mehr üblich, sondern man läfst jeden Reim auch Versschlufs sein. Schon Malherbe macht wieder und wieder bei Des Portes auf den Binnenreim als einen Fehler aufmerksam (z. B. S. 25.S, 263, 275, 280, 293, 309 u. o.). (yorneille nun beseitigte sogar die Fälle, die einem Binnenreime auch nur nahe kamen. I, 496 var. 2:

Le d^sordre qu'on 11 1 dans mon äme ^tourdie Vient moins de votre aspect que de sa perfidie. 1<I6(I: Le desordre eclatant qu'on voit sur mon visage

N'est que l'effet trop prompt d'une soudaine rage.

II, 483 var. 3:

Demande-moi pardon et quitte cet objet Dont les perfections m'ont rendu son sujet. 1660: Demaude-moi pardon, et cesse par tes feux De profaner l'objet digne seul de nies voäux.

. IV, 84 var. 3 :

Et (la haine) me laisse encor voir qu'il y va de ma gloire De pimir son audace avant que ta vietoire. 1660: Et ne croit avoir droit de punir ta vietoire Qu'apres le chätiment d'une actiou si uoire.

IV, 474 var. 1:

Je leur ote le droit de vous faire la loi. 166U wurde der Passus ganz verändert.

6. Wiederholung ähnlich klingender Reime.

Dieselbe hat Corneille mehrfach gebessert, besonders wenn auf einen männlichen Reim der entsprechende weibliche folgte oder um- gekehrt. Vgl. Herting 25 26. I, 430 var. 3:

Tu veux qu'encore uu coup je devienne effrontee, Pour te dire Ti quel point mon ardeur est montt^e: Tu la vois cependant en son extremit^ Et tu doutes encor de cette verit^? 1660: Tu veux qu'encore un coup je me donne la honte

De te dire ä quel point l'amour pour toi me dompte: Tu le vois cependant avec pleine clartö, Et veux douter encor de cette verit^?

Entwiekelungsgäuge in der Sprache Corneilles. 118

Ähnlich IV, 443 var. 2: dedire : dire, oheir : trahir. IV, 485 var. 1: misere : mere, der nächste weibliche Reim ist mere : taire. Eine solche Wiederholung ist nicht erlaubt, vgl. Herting a. a. O. IV, 4^9 var. 2; Vers 1631 45 waren die drei weiblichen Reime mere : ait- Ure.^ kmiiere. : fräre, chere : frrre. Der mittlere fiel.

Malhevbe 280 u. ö. tadelt ähnliche Verstöfse bei Des Portes.

7. Bimes de Chartres (vgl. Bellanger 286 ff'.; Tobler: Versbau 145). Ich finde dieselben nur in den älteren Werken Corneilles einigemal.

I, 19u vers 797 : seur {=. sür) : sceur. II, 102 y, 1587: meur (= mür) : humeur. II, 261 703: seur (= siir) : possesseur. Vielleicht dürfen wii- annehmen, dafs zur Zeit der Aufführung von C^orneilles älteren Dramen die Aussprache von eu ä, welche von Grammatikern des 16. Jahrb. bezeugt wird, in der Dichtersprache noch nicht ganz ausgestorben war. Allerdings tadelte schon Mal- herbe 419 u. ö. solche Reime bei Des Portes, aber noch zur Zeit des Manage sprach man in der Provinz z. B. Tmr statt henr, mcdlntr statt rnaUienr u. s. w. (vgl. Menage 1672, S. 247 u. 279).

E. K a k 0 p h o n i e.

Recht häufig sind Fälle, wo Corneille Verse wegen wiederholter Wiederkehr desselben Konsonanten oder derselben Lautkomplexe innerhalb des Verses getilgt zu haben scheint. Besonders in Betracht kommt also die Allitteration, ein Fehler, auf welchen Malherbe be- sonders aufmerksam macht (vgl. Holfeld 76, ferner Malherl^e 251 253, 255, 414 u. o,). Als solche Verse möchte ich ansehen: III, 108 var. 2: Vous verrez votre craiute heureusement degue.

1660 : Vous verrez cette crainte heureusement d(5yue. III, 155 var. 2: Si je n'eusse oppos^ contre tous tes appas.

lt;6(>: A moius quo d'opposer a tos plus forts appas. III, 186 var. 3: Mais ma heute m'abuse, et raa raison sY>touue.

1663: Mais c'est trop de scrupule, et ma raison sY'tonne. III, 305 var. 2: Elle so prend aux Dieux, qu'elle ose quereller.

1660 : Kilo sc prond an oiol, et l'oso quoroUoi'. III, 399 var. 1: Vos dcssoins no sont sns d'auciui des coujun^s.

16ti(i: ... aucun de nos amis

Ne siiit ni vos desseius, ni c(^ cpio m'est proniis.

Archiv f. n. Sprac-heii. LXXXIV. '^

IM Kntvickiliirifrsjdiiiiirf in ilcr Sprarhe Coriieilles.

Malhcrho 414 beniorkt zu dem Verf^c Den Porte?': M<^dor qui tonoit seul sn j>e»8<''C asservie, „Öigmatisiims".

in, 458 var. 1: Mais enfin !<■ cid m'iiime, et parmi taut de maux II m'a lendu Maxime, et l'a sauv<; des eaux. ItitiO: Mais eiifiu le eiel m'aime, et ses bieufaits nouveaux Ont enleve Maxime a la fureur des eaux.

TU, ;^)8() var. 4: Te demander son sang, cVst exposer le tieu. lOOö: Te demander du sang, c'cst exposer le tien.

III, 442 var, 1: Une vaine frayeur m'a jm tautAt trnubler.

l<i()(i: Une vaine frayeur tantot m'a pu troubler. I\', '.Mi var. o: .Te n'y puis plus rien voir qu'un funeste rivage.

IGiiii: Je n'y saurois plus voir qu'un funeste rivage. Im erstoi Halbverse folgten hier vier schAvere Silben aufeinander, von denen drei einen Diphthongen enthielten.

IV, 'Ml var. 4: Et je peuse, .s'il faut ne vous dej^uiscr rien,

Que s) j'etois son fait, il seroit bien le raien. IG'iO : Je vous le dis eneor, je m'y passerois bien ; Et si j'^tois son fait, il seroit fort le mien.

IV, 500 var. 3 : (Ton recit) Contient, Seigneur, sans plus, ce que le Prince IfiO'i : Contient, sans rien de plus, ce que le Prince a dit. [^ ^'*- I, 33t*> var. 5: Quelque part ou la peur porte ses pas errants. ItJGO: Quelques lieux oil l'efFroi porte ses pas errante. VIII, 112 var. 3: L'un est bou a la fete, et l'autre aux antres jours.

liUiO: L'un est bon a la fete, et l'autre aux simples jours. Vni, 148 var. 2: Reglaut sous toi tous tes desirs.

Nach 1G62: Servant de r^gle a tes desii\s. VlII, 360var. 1 : Tiens douc la tienne toujours prete. 1665: Tiens douc ton Ame toujours pr^te. Über ZAvei von Corneille nicht getilgte Kakophonien vgl. Voltaire l, 536 (zu ]M-L. IV, 448 vers 433) und I, 594 (zu M-L. IV, 494 vers 1546).

Aum. Reim iu der Prosa bat Corneille au einer t^telle getilgt: VIII, 12 var. -1 : Ce ciu'on u publii' fies deux cotös sur ce snjet :

nach 1662: Ce qu'on a public de pait et d'autre siir ce sujet. Vaugelas I, 371 warnt ausdrücklieb vor solchen Reimen in der Prosa, ebenso ]\I(''nage l:'.7.

Zum Schlüsse bemerke ich, dafs bei M-L.

II, 192 var. 2: -{"(li-je dif:" zu lesen ist .statt "(^"ai-Je, dif:",

III, -153 vers 1545 "ocenpee'' . ^ , "occ^tpe".

XI, 1:^,5 Z. 3 v. u. "II :;84 MM. 888" , "V 384 MM. 888'',

Göttingen, K. Fahren her g.

Kleine Mitteilungen.

Rede bei Enthüllung des Denkmals Walthers von der Vogelweide zu Bozen am 15. September 1889 gehalten von Karl Weinhold aus Berlin.

Festgenossen I

Ein wunderbares einziges Fest begehen wir am heutigen Tage. Einem Dichter deutscher Lieder wird mehr als siebenhundert Jahre nach seiner Geburt in dieser Südtiroler Stadt Bozen ein Standbild errichtet durch ein ganzes Land. Keinem anderen Dichter unseres Mittelalters ist solche Ehre geschehen. Denn das Bild Wolframs von Eschenbach im fränkischen Markte gleichen Namens widmete dem Dichter des Parzival ein einzelner königlicher Verehrer. Hier aber ist heute ganz Tirol zusanmiengeströmt, und von Aveit her sind sie gekommeji aus den anderen österreichischen Landen, aus dem deutschen Reich und selbst aus der Schweiz, um Herrn Walther von der Vogel weide in dem Marmor, den sie ges]iendet, zu gnUsen und ihm jubebul zuzurufen: 'Du bist unserl'

Worin ist das gegründet?

Darin ist der heutige Tag gegründet, dais in Walther von der Vogelweide das ewig Menschliehe und das eigentlich Deutsche un- serer Poesie leiblich vor uns tritt; der Poesie aus der Zeit unserer alten Kaiser von dem staufischen Geschlecht, die wir ujis vorstellen als herrliche königliche Helden mit grofsem Geiste und mächtigem SchAverte, als Kaiser des Abendlandes, über das sie von Dänemark bis Sicilien, von TTngerland bis nach Frankreich hinein geboten haben.

Dieser staufische Glanz undeuchtet auch die Stirn Walthers, der im Dienste jener grofsen Kaiser stund mit dem Pfunde, das Gott ihm verliehen hatte durch Gedanken und Worte in Lied und Spruch. Er steht vor uns als der streitbare Geistesritter jener alten Kaiser- zeit, der für die Krone und das Volk in Treue wachte und wirkte, stritt und litt.

Herr Walther war e i n frommer Mann, der seinen Morgen- segen nicht vergaCs, der einen Kranz duftiger Blüten zu den Füfsen

8*

116 Kli'iiic ^[ittrMlmiirfM.

rlev lioili^oii Juii<:fr;ui iiicdcrlcgfe, dfi- die ({ottesfahrt in das heilige Land und den Kanifjf um das heilige Grab als höchstes (llück des sündigen ^rensehen pries und die Kreuzfahrt wolil auch selbst ge- than hat.

Herr Walther war ein deutscher Mann, der am N'ater- lande mit glühender T^ielx« hing, der die deutsehen Männer als die besten, die deutschen Frauen als die sittigsten und schönsten der Erde ])ries, - ein deutscher Mann, der sich nicht im Winkel barg, wenn der Euf erschallte: 'Hie Weif, hie Waibling!' ein Mann, der im Kampfe des Tages eine grofse geistige Macht geworden war, denn seine Lieder griffen an Herz und Niereu und teilten mit scharfem Lichte den politischen Nebel.

Herr Walther war ein Dichter auch und Sänger der schönsten Lieder. Das Mädchen, das er mit dem Feldrosenkranz schmückte, die hohe Frau, der er die Kleinode seiner Kunst dar- brachte, sind unsterblich geworden. Seine Liebeslieder sind suis und sanft. Aber er Avar auch ein Dichter der Männer: ein strafen- der nnd zürnender, ein rügender und lehrender Dichter, der hoch und Jiiedrig ohne Furcht und Tadel das Gute und Rechte Avies, und Zucht und Sitte, Ehre und Tugend vom Könige forderte wie vom schlichten Manne.

Nachdem Walther von der Vogelweide aus der heiteren öster- reichischen Jugendzeit in das bewegte ernste Leben hinausgetreten war, ist er ein Kämpfer und Ringer gewesen um Gilt und Ehre. Dieser Kampf hat ihn durch die Lande getrieben mit seltener Rast, mit geringem Gut, gefeiert und geliebt, aber auch gehafst und ge- täuscht, wie das Menschenlos fällt. Er safs in den Höfen der Könige und auf den Burgen der Reichsfürsten, aber er blieb ein Gast, und wäre so gern ein Wirt gewesen am eigenen kleinen, aber freien Herde.

Heimatlos zog er lange, lange Jahre zwischen Mur und Seine, Po und Trave hin und her, l)is sein Verlangen nach dem eigenen Hause, als er ein grauer Mann geworden, von Kaiser Friedrich II. erfüllt ward.

In Würzburg am Main im Kreuzgange des Neumünsters sind nach der Chronik seine Gebeine zu Staub und Erde geworden. Aber sein Geist ist unsterblich, und er ruht auf dem A'olke, das er liebte, und auf dem Reiche, für das er gestritten hat.

Seine Heimat aber hat er vom heutigen Tage in dieser schönen Stadt Bozen.

Kein Pergament bezeugt urkundlich, dais ^^'^alther von der Vogel- weido als Kind dieses herrlichen Landes geboren ist. Nur die Sage hat sich lun den Vogelweidhof am Layener Ried als seine Geburts- stätte gewoben.

Aber die Männer vom Eisak und von der Etsch haben ihn seit

Kleine ^Mitteilungen. 117

Jahren als iliren Laudsmauu gefordert und ihm das Heimatrecbt aus freiem Willen erteilt. Das schöne Marmorbild, das über uns leuchtet, das ein reiclibegnadeter Tiroler Künstler, Heinrich Natt^^r, erdacht und geformt hat, ist der Heimatschein für Walther von der Yogehveide als Sohn von Tirol, als Landsmann der tapferen Männer, der warmherzigen Frauen und der holden Mägdlein dieser Grafschaft.

Ihr Männer von Tirol habt Walthers Eild hier in Bozen auf- gestellt, ^\o deutsclies und Avelsches Wesen nahe aneinander grenzen.

Ihr habt gewui'st, Avas ihr gethan.

Der deutsche jNIann, der Ritter vom Geist und vom Schwert, Walther von der Vogelweide, soll ein Markwart sein deutscher Sprache, deutscher Sitte, deutscher Ehre!

Wir begehren nicht des fremden Hauses und Gutes, aber wir wollen den eigenen Herd, auf dem die Flanmie deutschen Geistes lodert, hüten, dafs er nicht verrückt und zerschlagen werde.

AVir sinnen nicht auf Raub und Einbruch. Aber, was unser ist von den Vätern her, wollen wir verteidigen bis auf den letzten Bluts- tropfen.

Ihr Männer von Tirol gelobet heute am Standbild Walthers von der Vogelweide, dals diese Berge und diese Thäler deutsch bleiben sollen, und ihr Frauen stimmt mit ein, denn ihr seid die Hüterinnen des deutschen Hauses.

So empfang, Herr W a 1 1 lie r \' o n d e r V o g e 1 w c i d e , dieses Gelöbnis!

Empfang aucli, du Bild von Marmelstein, die gei- stige Weihe!

Sei ein AA' a h r z e i c h e n diese r Stadt!

Der reichste S e g e n strahle von dir in d i e s e L a n d e !

Wasser des Lebens rausche aus diesem Brunnen!

Friede und Reichtum, Tugend und Ehre, Sitte und Glaube 1)1 üben allezeit in Tirol!

Des walte Gott!

Zur Lehre vom englischen Infinitiv. In der 'Deutschen Rundschau' für Okt()l)er 18S.'> (Bd. XLV, S. lOo) liest man in einem Aufsatz des Sir Roland Blennerhassett über 'die politischen Parteien in England' den folgenden Satz : 'So befremdend es daher aucli klingen mag, ist es doch wahr, ; k sagen, dafs diese luiiherziehenden Scharen . . . bereits ^'^orboten einer besseren Zukunft waren.' Der von mir durch den Druck hervorgehobene Infinitiv ist für das deutsche Sprach- gefühl vollständig überflüssig, er ist ein Anglicisnuis. Dieser cj^exe- getische Gebrauch des englischen Infinitivs, dem, soviel ich weif's. von den Gramnuitikern noch keine Beaclitung zu teil geworden ist. soll im folgenden aus Schriftwerken der Gegenwart belegt werden. Ich fange mit Fällen an, die dem angeführten deutschen (oder viel- mehr undeutschen) ähidich sind, und schliefse daran andere, bei

118 Klciue ■Mitteiluiifrcii.

flciit'n ebenfalls <lc'r riiliniliv cine^ Iniii^itivcii Vcrl)unis mit einer Ergänzun;; .<lelit. Dann kommen Belej^o für den epexegotiRchen Ge- brauch eines transitiven Infinitivs oline Zusatz; eiuUieh solche, wo wir es mit dem Infinitiv des Verbi substaiitivi zu tliun liaben.

1.

A. Der InHiiitiv ist Subjekt. It is ouly tfw Irutli to say Ihal I am inferested in Miss Cnrmitia's welfare W. ('ollins, Heart and Science (Tauchn.) II, ()9. It is a truism to say tJiat fherc arr ivoj'se rogucs af larqe thcoi any shut up in prison Holme I^ee (Mies Parr), Mrs. Denys of C'ote (Tauchn.) II, 2 GG. After r,yron's fall, it iras ihc cant of 'good society' to say ihat lie had tri/led cruelly ivitli jjo&r Lady Garoline's feelings J. C. JeafFresou, The Real Lord Byron (Tauchn.) II, 39. It sounds a hard tliiny to say; hui I can't heiß ayreeing with hitn that it ivould he best if gou could look iq)On him as dead (W. E. Norris) Cornhill Magazine 1883, Juni 739 (das Bei- spiel gehört hierher, da that it ivould he u. s. w. auch von to say ab- liäiigt). It is an odd and not a very gratifying sign of the weakness of tJie human hertrt to think that Marian had frequently taJcen credit to herseif for the sense of ivifely duty . . . E. Yates, Wrecked iu Port (Tauchn.) II, 234. This was a bitter hlow ; hat it ums even u-mse to fhink that this introduction had heen ohtained for the girls through the medium of Walter Joyce ebenda II, 210. It tvas not pleasant to him to know that the attendanee (ärztliche Behandlung) which broughf much that ivas agreeable ivith it, in addition to liberal and regularly- paid fees, tvas at an end E. Yates, The Rock Ahead (Tauchn.) I, 97. For a long ivhile it jmzzled me to know (zerbrach ich mir den Kopf darüber) wliat could have been done ivitli the enormous quantities of rock that nmst Jtave been dug out of these rast caves H. Rider Haggard, She (Tauchn.) II, 82. // puxzled many to guess what could make Mr. Pottingcr so bitter ahout the raccs E. C. Greuville: Murray, That Artful Yicar (Tauchn.) I, 12G. It pwx.xled him to reflect that he noiv stood on a footing of equality ivith. persons at wlwm he had always been wont to look up ebenda I, 45. It did not evcn oeciir to them to think that anyhody on carth could haue a doubt on the subjcct J. McCarthy, A History of our own Times (Tauchn.) III, 58. Für alle angeführten Beispiele scheint es mir bei der Übertragung ins Deutsche das Natürlichste, den englischen Infinitiv unübersetzt zu lassen; aber freilich kann man z. B. in den ersten beiden Sätzen to say durch 'wenn ich sage' und 'wenn man sagt' wiedergeben, den Anfang des letzten durch 'sie kamen nicht einmal auf den Ge- danken' u. s. w.

B. Der Infinitiv steht prädikativ oder attributiv. Thr result of their inquiry was to sliow that the supplementary jyatent, rightly eon- sfrued, was a mere indication of the pleasure of the Crown that the

Kleiue Mitteilungen. 119

ordinär!/ exf reise of thc particular poicers tkcrehy reserved shoidd apper- fain to fh^ Comniander-in-Chi'Cf, suhjevt to fite sicpervision of a respon- ö-ible minister H. D. Traill, Central Government (London 1>S81) lOU. Thi^ yrmt and manifest interest ivas the only sign to s>liow fltat Phillips iva.s not accitstomcd to dinners in soaieti/ W. Besant and J. Rice, The Golden Butterfly (Tauchn.) I, 107. Startliny ecidsnce was on its wny (o show that the irrepressihle Foreign Seeretarg had tjeen niaking a stroke off his oa-n hat again Mc Cartliy a. a. O. II, 1 1 ü. Site got a. tclegram this morning to say t/iat her onlg sister, who lives near Leicester, has not mang dccys to live J. Fothergill, Peril (Tauchn.) I, 193. Sfte received a niessage to say tliat an nnfortunafe child whom shc ha^^ beeil doctoring out of that dreadfuJ medicine oheM of hers, is nwch n/orse F. E. Smedley, Lewis Arundel 404. Just iahen tJ/eir dclibcrations had rea-ched this point, Laura received a samnions from her husband to say that desired to speak a-ith her ebenda üO«.

C. Der Infinitiv steht als Ergänzung des Prädikats. / rejoiced to think tfuit his nerres . . . had heen spared the closing scencs of this dreadful dag Haggard, She II, 122. / am delighted to say that l ncver had a daagliter Yates, Nobody's Fortune (Tauchiv.) II, 64 (man kann hier freilich auch übersetzen 'sagen zu können' ; ebenso bei dem nächsten Beispiel). / am glad to say timt slie luid the good taste not to refer to the sabjcct Cornhill Magazine 1882, April S. 406. / am glad to hear goa say so Thomasina (Asher) 149. The tvorld n:a^ quitc concerned and edified to see how much hs had faken Lady Lucy's defection to heart Yates, Rock I, 153. Drunimond, ivJio liad beeil content to think that there was a portion saving iip for Norah . . . Mrs. Oliphant, At his Gates (Asher) I, 9. She was verg mach relieved to hear that it was all over Guy Livingstone (Tauchn.) 234. 'I am sorry to say (kann auch durch 'sagen zu müssen' übersetzt werden ; vgl. das nächste Beispiel) that I hxtre an attachment for yon.' 'I am h/tppg to say, sir, that it isn't matuaV London Jest Book ed. Haz- litt 463. / am sorrg to say you ivill not get to-dag such a d inner as our friend Tom Moore gare us ebenda 68. / am sorrg to find lliat finc of the plates is missing from mg copy G. Mac Donald, Annais of a Quiet Neighbourhood (Tauchn.) I, 154. We droce aivay from Ute door, grieving to think (auch 'denken zu müssen', ähnlich ini fol- genden) tliat ill-health, or any tjtitcr misfortune, had befallen good old James W. M. Thackeray, The Newcomes (Tauchn.) III, 224. / gricre to say that a saspicion. arises that one of the dear tnissionaries ha.s beeil cuten Shirley Brooks, Sooner or Later (Tauchn.) I, 131. Tour son has great natural capacitg, cuid excellent abilities; bat I rcgret to say tlmt, instead of applging himself as he might do, he misnses //.w advantages, and sueeeeds in setiing a mischievous examplc to if not acfually misleading Ids companiotis F. Anstey, Vice Versa (Asher) 1 1. We regret to say fJiat u-c hti-k the space to discitss these iirwest criticat

720 Kleine .'Milteiliiii.L'eii.

i'iinons A(;iMl('iny IHfS.'), I, (Kj a. On lli^ 'ivholc, itoivever, I rerjret to say thal tJie rx&eufion of thc work is veri) fnr from heing in accord- ance vnth itfi proßssed (hshjn el)eii(la 188ij, I, 70a. I hlush, Sir, to think that my hrother's child nhould harp hrowjld such a dain upon öur namc Tliack., Ne\woines IV, 123. So I waJIccd Jtome, Ji/jjnng in iny Saviour, and iromhrimj to tlüuk how jdeasani I fuid found it to he His poor scrraiil to fhis people Mac Donald, Aniials I, 219. Feel- inrj timl ilicM vohoncft on Aastralm loere didl and long, I tvas sur- prised to find ////// theij Imd an extensive mie Anthony Trollope, An Aiitohiography (Tauch n.) oll. Mr. Ijarkspar was .s-urprlsed to find fhat a lady who could aff'ord lo o/f'er htm more than a thousand a year, loas nevertheless contenfed to llre in such a tniddle-class Situation as Percy Street M. E. Braddon, Run to Earth (Täuchn.) I, 311. She stooped to piok it ap for him; a.nd loas surpri.^cd, as .sJie did so, to fiee tha,t it exactly rese>nljled in colour the lock of /ji<-l:'f< hmr wliich ■■^hs had taken from the old newspaprr AV. C'olliu?;, Hide and Seek (London, Chatto & Windus) 327. I 'wa.s pwcxled to make out v)hy you were so eagcr at flrst and then so suddenly stopped Ch. Gibbon, The Golden Shaft (Asher) II, 92. When I Jiear you talking in fhis fashion I am jnizxled to uiake out whether you are deceiriny yourself or only tryiny to decetve ine ebenda I, 72. 3£r. Toshinyton nris as mach perplexed to knoAV which colour tu sport as a London cahmon on the morning of the Unirer.nty l/oat-race Yates, Eock II, 233. Plater Dobhs regarded fhis nev pha.se in t/i-s pupil's eharacfer with unsp)ea.kable horror, a/id n-as at //is a-ifs' eiul to know how to put a stop to it ebenda I, 171. For some fime Mrs. Proudie was muck at a loss to know hy vhat .sort of party or eiifertaininent she wouhl make Itersclf famous Anth. Trollope, Franiley Parsonage (Tauchn.) I, 250. Her ladysliip also -was a litfle at a loss to know how she was to carry throngJt lier present plan of Operations ebenda II, 321. We'rc quite af a loss to know hon- to amnse the child ren Cornhill Mag. 1884, Febr. 179. I am at a loss to imagine rchat he can want wifh me Fothergill, Peril I, 194, I have n-riffen to Sheila to say I shoidd Start fo-rnorroiv Black, A Princess of Thule 138. He n-rofe to Caro- line to say fhaf he would go down to Hadley on Safarday afternoon Anth. Trollope, Tlie Bertranif^ (Tauchn.) II, 83. He J/ad writfen to say thaf he sltonld l>e fhere ebenda 33G. Jlany days hefore he had ä Chance of doing it he tvrofe to a friend to say thaf if he got into thc ])cilace of Delhi, 'the Hause of Timour will not he ivorth five mi- nutes' purchase, I ween' McCarthy, Hif>tory III, 92. Tliat lady had writfen to say thaf she should do herseif the pleaswre of n:aiting per- sonally on Miss Carew to arrange for a seftlemcnt of her accounf Gren- ville: Murray, Artful Yicar I, 18G. Telegraph hack, I entreaf you, to say thaf gou are safc W. Collins, Miss or Mrs.? 222 f. The duke had sent a special nie-ssage to say hon- pecnliarly glad he, the duke.

Kleine Mitteiluug-en. 121

tvoiiM he io make ae(juüintancc irifh him. fhe parson Trollope, Framl. Pars. I, 47. He nodded to say yes Oliphant, At his Gates II, 96. He roared out fo Mr. HohneU's i/aping compaiüons, to know if any of the hlackguards would conie on W. M. Thackeray, The Histoiy of Pendennis (London 1877) 136. A Cure had a dispute ivith his pa- rishioners, to knoAv af whose expen><e fhe chiirch icas to he po^ved Loiid. Jest Book 92s. TJtere was muclt sj)eculation in the leitchen for the rest of the evening, to know 'u-hat coidd have happened het>veen missus and her laivger M. Lenion, Golden Fetters (Tanchn.) II, 20. He looked round to :<ee if any were rash enough to disagree vjith him Besant and Rice, The Seamy Side 134. Hoiv many a time Juid he looked into the dicti-onary at White's, to see ivhetlier eternal was speit u'ith an e, and adore with one a or two Thackeray, NeAvc. II, 199. I ivas looking to see // the carriage had come for nie ebenda III, 210. Miles looked l/ard at his frimd to see irheiher there u-ere any latent meaning in fhe question Yates, Rock II, 61. He looked to see whether there tcas any trace of disfurhance Yates, Nobody's Fort. I, 218. / look to see (= erwarte, daCs) Sir Barnes JVeu-come prosper more and ;?iare Thack., Newc. III, 321. Lloyd looked to see a responsive tioinklc in his jj?//>i7'.s eye Yates, Rock II, 212. She watched with heating hearf at first to see u-hefJ/er Carew's addresses were sineere Grenv. : MiuTay, Artf. Yic. I, 218. He v:ould discharge at her a complimenf, and incontinently take to flight. ^rithouf waiting to see the effect of the shot Guy Liviiigstone 44. She took very little notice of his- Sug- gestion, and waited to see ivhether it woidd he repeated Brooks, »Sooner orLater II, 301. He got to a white heat, which may cool, hat which, if it doesn'f, may he daugerous. Hou-ecer, we waif to hear (dieses Beispiel gehört hierher, weil zu to hear aus dem Vorheroehenden zu ergänzen ist u-J/ethrr H does) ebenda II, 329. She stayrd yrf a little u'hile longer, u-aiting to hear trhefher or no he )rould uusu-rr her Trollope, Berü-. II, 213.

IL That docuuwnt is not )niur to seil ('dals ich es verkaufen könnte', wenn man to seil nicht luiübcrsetzt lassen Avill) Lemon, Gold. Fcttcrs II, 156. This /ras not my sperrt to teil Grenv.: Murray, Rix ^lonths in the Ranks (Tauchn.) 2^2. There u-as uo hell to ring Collins, Hide and >Seek 168. Jf ragucly dau-ned upon her that her fathcr might he right aper all. and that Walter Dene might not he the right man for her to marry, in sjiife of her cherished little dehision Cornh. Magaz. 1884, September 251. When one of us stayed af home indisposed. we fonnd^that by 9. 30 .1. .1/. she tcas n-hat irr ralled in our slang 'dish-shorelled' : not a curl in plaee, a smirch across her cltrek, and her neaf merino goirn replaced hg a ragged dress not fit f<u- a ladg (<> wear ebenda 1884, Nov. 450. It u-as mthrr a siflg sprrrli to make Norris, My Friend Jim (Tauchn.) 55.

122 KUiiK' .Mittoiliiiifi^cn.

III.

Fn.iilfij Ol' fauUlrss. Iir (jinr to bc \hc ont thmi,(jht of Bmiricf's Imirl Mrs, Norton, Lost and Saved (Tauchn.) II, 238. You'rc growing fo be an tmcominonlij liawlsome tvoman D. C Murray, RainbowGold (Tauchn.) I, 1 ')6. Shc grcir to bc (iidit itUercAl Collin.«, Hide and Seek 224. In irards, Irasl , Ihc aije ha.s (jrtunt (o be ironderfulln moraL und refiisrs fo liear r/iscotir.sn.s ufion snrli svhjfT.ts Thackcray, A Shabby Geuteel Story (London 1<S77)40. If .-ih-e livrjl to bc aliua- drefl she muld never oiMim this day Fothcrgill, Pcril 11, 223. 'You half heeii fh'rUng irith her ' ^I hate that ivord; ii alwaijs soatids /<•> mc to bc vidyar Trollope, Fr. Par.s. II, 142. Thjugh Ite looked to bc old, niVA-Ji older fJum. he ivas, still thrre was a glmm of ßrc in hin ei/es derselbe, John Caldigatc III, 253. IJr lool.xd iioir to be niorc th/xn hin age Thackeray, Newc. IV, 2. "iL

Berlin. Julivi.s Ziipitza.

Zur Geschichte von ne. perhaps. Nach den etymologischen Wörterbüchern zu schlielsen, wäre perhaps erst ne. ; denn Skeat weist blofs auf Shakspere hin, und E. Müller bemerkt nur, dafs 'Levin.s |1570] noch perliappe habe. Auch die me. Wörterbücher von Strat- mann und Mätzner enthalten das AVort nicht: das letztere AVerk ist /war noch nicht bei p angelangt, aber der Verfasser hätte doch wohl ihm etwa bekannte me. Belege unter hap angeführt. Es ist aber schon längst ein nie. perhappoiis verzeichnet in Halliwells Dictionarv of Archaic and Provincial English unter Berufung auf 'Lydgate p. 35'. Gemeint ist Halliwells eigene Ausgabe von Lydgates Minor Poems, wo S. 35 der Vers vorkommt: Prrliappous onc is lored, that ivol not fade. In demselben Werke fiiiden wir aber einen zweiten Beleg auf der unmittelbar vorhergehenden Seite: She ivol pcrhappoiiJi makcH. hir avoivc. J. Z.

Zur Geschichte von ne. trade. Soviel mir bekannt ist, sind bisher für ne. trade vier verschiedene Etymologien aufgestellt worden. F. Junius hat es von ae. tredan, ne. tread hergeleitet; Minsheu, wie Skinner erwähnt, von lat. tradere ; Skinner selbst von it. tratta, lat. tractare oder dem deutschen getrekle. Später ist dann auch an das mit tratta zusammenhängende span. trato luid besonders an frz. traite gedacht worden. E. Müller, der in der ersten Auflage seines Etymo- logischen Wörterbuches die Ableitung von traite für Avahrscheinlich, in der zweiten wenigstens noch für möglich erklärt, weist auf Mätz- ners Grammatik 1,2 142 (' 130) hin, wo Belege für den Übergang eines frz. t in englisches d gegeben werden. Aber er hat übersehen, dafs der Vokal von trade die Herleitung von frz. traite unmöglich macht. Ähnliche Schwierigkeiten stehen der Annahme, dafs das Wort von tratta oder trato komme, entgegen. Minsheus Etymologie und noch mehr die zweite von Skinner sind Einfälle, für welche nichts spricht, und die geradezu durch die ältere Bedeutung des eng-

Kleine Mitteiluugeu. l'io

lischeil Worte« widerlegt -werden, während die-se zu der Juniusechen Ableitung vortrefflich pafst. Die älteste Stelle, aus der es Skeat in seinem Etyniological Dictionary und sein Gewährsmann Trench in seinem Select Glossary kennen, findet sich in Lord Surreys Über- setzung des zweiten Buches von Virgils iEueis : A posterii with a blinde tviekef there was, Ä eonmion trade to passe through Prlam's house. Und an diese Stelle, avo trade mit 'Weg', 'Gang' übersetzt werden mufs, klingt Shaksperes Eichard II. III, o, 155 ff, an: Or Ile he huried in the Kings hie way, Sonie iray of common trade, regiere suhieds feete May houreli/ trample on their soueraignes head. Es sei auch noch auf eine von Trench nicht angeführte Stelle in Spensers Faery Queen aufmerksam gemacht, II, G, 39 Äs shepheards curre, tJiat in darke euenings sha.de Hath tracted forth some saluage heastes trade. Hier ist der Sinn des Wortes offenbar 'Spur', und in dieser Bedeutung kann ich das Wort auch zweimal schon aus dem fünfzehnten Jahrhundert belegen. In der Fassung des Romans von Guy of Wai'wick, die uns eine Handschrift von Caius College in Cambridge erhalten hat, lesen wir p. 121 == V. 4731 meiner Aus- gabe: The trade of liorsc he tliere sighe. Die ältere Auchinleck-Hs. hat dafür Of hors traces he per seije. Einen zweiten Beleg bietet die Londoner Hs. des Sir Gowther (ed. Breul V. 570): He folotved euer the tradde. Die zweite Handschrift hat: And foloiul on hör trowd. Die ursprüngliche Lesart ist wohl frod gewesen. Me, trod ist = ae. trod, woneben auch troda vorkam. Ahnlich setzt me. tradde ein ae. *trisd, voraus, von dem auch me. ne. trade hergeleitet werden kann, ohne dafs aber die Möglichkeit ausgeschlossen wäre, dafs dieses ein ae. * fradu zur Grundlage hat. '•' trced, '^ tradu standen natürlich im Ablaut zu trod, trodn und können nur von ae. tredan, ne. tread abgeleitet W'Crden. J. Z.

Zur Bedeutung von me. schire (= ne. shire). Im Jahrbuch der deutschen Shakespeare-Gesellschaft XXI, 145 f. liabe ich geltend gemacht, dafs in der Erzählung von Gamelyn 714 f. ('I ivol hen atte nexte schire, haue god my lyf Gamelyn came ivel redy to the nexte schire) das Wort i^eJ/ire nicht, wde Skeat in seiner Ausgabe (Oxford 1884) angenommen, die gewöhnliche Bedeutung 'Grafschaft' haben könne ('I icill soon come to the adjoining coanty' umschreibt er den ersten Halbvers), sondern =:= ae. scirgemot, me. schire moot '(iraf- schaftsversammlung' sein müsse. Ich konnte mich damals aufser auf den Zusammenhang, der mir keine andere Auffassung zu ge- statten schien, nur noch darauf berufen, dafs das lat. comitatas auf englischem Boden ebenfalls die von mir für scJiirc behauptete Be- deutungsentwickelung zeigt. Inzwischen habe icli aber bei Lvdgatc vier Stellen gefunden, an welchen das englische Wort in demselben Sinne gebraucht wird, wie in den l)eiden angeführten \'^ersen des Gamelyn. In Lydgates Isopus Anglia IX, 14, V. 218 f. lesen wir;

121 Kleine .Mil(cilmi-eri.

Ldir nl falsr iiirrfuns hurr Ihis In ihiiikIp, l'onicinUrr nl slivres nad dl ocssirms. Dasselbe Werk bietet noch einen zweiten Bclcpr, freilich ist dieser in Sauersteins eben anuczofrener Aus^fabe nielit zu finden, da die von ihm allein benutzte Londoner Handschrift hier eine Liieke hat (Anglia IX, .S). In der Cambridger Handschrift (vgl. Deutsche rvitterat.iu-zeitung IS.SC, Sp. 849) lautet die in Betracht kommende Stelle: For por he iroJfcs many mo, J)rn oon. Thni rhjit lamborn at sr.ssions and at shyres Bare to pe how. uikI ijel Jjet/ haue no sheres. Ferner Albon und Anipliab(>l (cd. Horstmann in der Festschrift zu dem fünfzigjäln-igcn Jubiläum der Königstädtischeu Realschule zu Berlin, 1882, S. 101 fJ'.) Buch f, V. hAi) fi". : .1 tkyng ferre of fro kniyhfbj desirea, ^trauuye and forein to tlwyr professlons Für to ap- jiere at cessions or at shires By tnaintenaance of fals extoreions. End- lich Daunce of Machabree (von R. Tottel 155 4 gedruckt als Anhang zu The Falles of sondrv most Notable Prinees and Priucesses) fol. 224 r. a. unten: Maister lurrour, mhich pat at assises And at slieres ipicstes dydst emhrace. In dem letzten Beispiel ist die Schreibung shercs interessant: sie beweist, dafs das ae. und me. lange / in dem Worte die Diphthongisierung nicht mitgemacht hat, wie ja denn nach EUis On Early English Pronunciation 1080 sich die diphthongische Ausspi'ache des / in sj/lrr erst bei Sheridan (1780) augegebeji findet.

J. Z. Zu Beowulf 850. Um die Erklärung oder Verbesserung der überlieferten Worte dead fcege deog habeji sich schon viele Gelehrte bemüht, ohne dal's bisher, wie mir scheint, etwas völlig Befriedigendes gefunden worden ist. Wer die Stelle für unverderbt hält, muls ein ana^ Xtyofieyoi' annehmen, deoy als Präteritum eines sonst nicht vor- kounnenden starken Verbums dcayait, für welches Thorpe die Be- deutung 'färben', Leo aber die 'sich verbergen' geraten hat. Allein 'färben' heilst sonst denyian drayode. und auch '•'deayan deoy 'sich verbergen' wird durch das ahd. Xi\]. touyan, dem nicht einmal ein ae. *deayen gegenübersteht, nicht wahrscheinlich gemacht. Kemble vermutete in der Anmerkung unter dem Text deag für deoy und üljersetzte demgemäfs im zweiten Bande tJie dye diseoloured with death: im Glossar aber verzeichnete er ohne weiteres deoy. f. tinctura. Gegen seine Auffassung, bei der man jedenfalls für das Westsächsische drag zu schreiben hätte, spricht einmal der Umstand, dafs in dem Zusammenhange 'Farbe' kein passender Ausdruck wäre, kein Syno- nym von brim und yda yeswiny. Aufserdem aber müfste discrAourcd ndtli death im Ae. d^adfdh, nicht aber deaäfceye lauten. Das mag Kemble später selbst gesehen haben; denn II, Anm. zu 1093 schlägt er, was Wülker in seiner Neuausgabe von Greins Bibliothek I, 179 nicht verzeichnet, vor dhiddeoye fah 'stained irtth deadlg dye'. Aber 'Todesfarbe' könnte doch wohl nur 'Blässe', nicht 'Blut' bedeuten, Avas nach Kem])le deaddeog (auch hier Aväre wests. deaddrag zu schreiben)

Kleine iMitteihuigen. 125

bedeuten soll. Et.tnuillev übersetzt 'die todfarbne Tiefe' luit der An- merkung 'todfarb, weil blutig'. Er hat so Sievers' Konjektur vor- weggenommen, der Beiträge von Paul und Braune IX, 138 dt-aäfcege deop zu lesen vorgeschlagen hat. Gegen eine solche Änderung ist, wie gegen die erste Auffassung Kembles, einzuwenden, dafs das Adj. deaäfäh lauten müfste: demtfa-gp kann nur ein verdeutlichtes f(Bge sein (death-doom'd Thorpe). ^'^gl. Bugge, Beiträge XII, 'SO, der seiner- seits vermutet dradfa'ges di'0]>, wobei dradfa-ges von heorodreore in der vorhergehenden Zeile abhäjigen soll. Aber der Dichter wäre dann recht ungeschickt gewesen, indem er den Genitiv nachhinken liefs und so dazu verführte, ihn von deop abhängig zu denken. Nach meiner Ansicht fehlt an der Stelle die Erwähnung, dafs Grendel in das Wasser luitergetaucht ist, wobei er es eben, blutüberströmt, wie er war, blutig färbte. Ich setze daher nach V. 849, wie diejenigen, die dfog als Prät. von deaga/H nehmen, eine stärkere Interpunktion, am besten Avohl einen Doppelpunkt, und schreibe dann dcadfcege dcaf, also mit Änderung von og zu af: deaf ist natürlich Präteritum im Sinne des Plusquamperfekts von düfan 'untertauchen'. Also 'der dem Tode Verfallene war untergetaucht'. Hinter dcaf setze ich dann ein Konnna, sidämi ist demonstrativ. J. Z.

Ein Unwort. Beim DurchseheJi des Glossars zu Afsmanns Homilien und Heiligenleben (Bibliothek der ags. Prosa III) fiel mir besonders der Ansatz auf 'rirrn Adj. Künstler? XV, 5'. Die ange- führte Stelle lautet in seinem Text S. 170: And pa ricenc, pe on pav dagutn icccron, hmfdon hcoui geworht godes of goldc and of seolfre. Aber die Handschrift hat gar nicht rkene, sondern ricem. Dies ist Avohl ein Schreib- oder Lesefehler für ricemi, d. h. ricemot, wie im ^[e. häufig zusannnengeschrieben wird statt rief meu (vgl. Übungsbucli * XVIII, 13 riceman, 42 rieemen, 34. 37. 41 nreccemen, 44 liefhcii- 7ne.n). Die ae. Grundlage wird natürlich rican men gehabt haben.

J. Z.

Zu Anglia XII, 16 £F. An der bezeichneten Stelle hat E. Flügel aus der Hs. Nr. 354 von Balliol College in Oxford 'eine metrische Fassung' der Geschichte von Pyramus und Thisbe veröäeutlicht, welcher er 'als Dichtung . . . freilich keinen Wert' zuzuerkennen ver- mag. Er erinnert dabei au Chaucers Beliaudlung des Stort'es: dafs aber auch GoAver die Sage in seine ( 'Oufessio amantis aufgenommen hat (vgl. Anglia V, -UD), scheint ihm unbekannt geblieben zu sein. Was er nämlicli als eine selbständige bisher nach seiner Ansicht un- veröffentlichte Bearbeitung hat drucken hissen, ist aus Gowers Werk ausgezogen. Der Anfang des entsprechenden Abschnittes in Paulis Ausgabe I, 324 unterscheidet sich nur graphisch: / rede a tale, and telleth Ulis: The eitec, ivhirh Semiraniis Encloscd l/ath ivith walle about Of worthy folk ivith many a rout Was inhabited here and tJiere. Es entsprechen sich dann auch Aveiter Vers fiir Vers, wenn auch

12f; Kl.-iiH' .Nriftciluuiicti.

mit niancherloi Viiriaiiten (z. B. für das von Flügel mit einem Frage- zeicheji versehene the ereage S. 17 unten steht bei Pauli S. 326 ther- hage), bis zur dritten Zeile von oben auf S. 20, die von dem vor- letzten Verse auf Paulis S. 320 nur graphisch abweicht. Während aber liei Paidi der nächste Vers hei/'st Er this, IrJI ort and hide i1 noughl, finden Avir bei Flügel Amoid it, or rlJof dos-fe tlicytr iiov;ghf. Offenbar ist dies eine absichtliche Änderung. Es sind dann übei" fünf Reiten der Paulischen Ausgabe iibersprungen Avorden, und auch nach dieser Lücke ist geändert worden. Während es bei Pauli S. 334 letzte Zeile v.u. ft". heilst: 7b hasien is nought icorfh a hrrse Thinge, /hat a mati /nag iioght aehevr : That mag nought rvel br done at eve, It mot ahidc tili Ihr inorar. Xf hasir noaghl thine oirnc sorice, Mg sone, and take 11/ is in thg a-ilfc: Ilr halh nought lost, that /cd ahitte, lesen Avir bei Flügel Jiach derLiicke: Xor hast not thg/r orrn sormve: Rather ahidc tgll io moron-c. Mg son [bei dieser Anrede hätte doch Flügel eigentlich GoAA'er einfallen sollen!], take this in thg recison: He hat}/ not teste, ßat hgdeth a good scason. Dann folgen bei Pauli und Flügel 1 4 in allem AVesentlichcn üliereinstimmende Vei'se (im 13. steht z. B. fol'ishei/esse })ei Flügel fi\r a rees). darauf fehlen bei Flügel sieben Verse. An den beiden Texten gemeinsamen Vers Fool haste doth none avavnlagr schliefst sich bei Flügel dann nur noch ein einziger: But catvsith a n/an to fall in rage, Avährend GoAA'er mit den Versen But ofte it set a man hehinde In cause of love, and f fli/dr Bg olde ensan/ple, as tJion slialt liere To/ichrnd of love in this mate/-e zur Sage von Phöbus und Daphne übergeht. J. Z.

Zu Shaksperes Julius Csesar I, 1, 24 flf. Zu dieser Stelle, die in der mafsgebenden ersten Folioausgabe lautet : Tndg, sir, all that I liue hg, is with the aide : I meddle with no tradesmans matters, nor iromens matters, hnt with al, hat Steevens längst angemerkt, dafs ein Wortspiel zAvischen all und atvl, die damals, Avie jetzt, in der Aussprache zusammenfielen, auch in der Ballade The Three Merrg Cobblers vorkommt, avo es heifst : We hare aale at our co/zimand. And still ve are an the mending hand. Es ist aber auch auf die vorletzte Frage und AntAVort in den De/naa/iclcs Jogoas hinzuAA'eisen, die 1511 von Wynkyn de AVorde gedruckt und u. a. (vgl. LoAvndes-Bohn, The Bibliographer's Manual, 1871, S. 62.5) in den Eeliquifc antiqua' edd. Wright und Halliwell II, 72 ff. und in Kembles Sal. u. Sat. 285 ff. veröffentlicht sind. Es heifst hier: Deman/ide. What is he thcit made all and sohl all, a/id he that bought all and loste all? B. Ä srngth made an all and sohle it, and the sho/naker that hone/ht it lost it.

J. Z.

Sitzungen der Berliner Gesellschaft

für das Studium der neueren Sprachen.

Sitzung am 24. September 1889.

Herr Hahn verhest Burus' Tarn o" Shanfer in schottischer Aus- sprache, wie er dieselbe während seines jüngsten Aufenthaltes im 'Land of Burns' festgestellt hat, und bespricht im Anschlufs daran die wichtigsten lautlichen Abweichungen vom Neuenglischen. Be- sonders charakteristisch sind die Vokale der Tonsilben. Langes e erscheint in offener Silbe besonders bei einsilbigen Wörtern, z. B. he, key u. s. w, und vor -r(e), -ve, -xc, z. B. ere (hefore), ne'er fneverj, mare (harse), leave, hleezin ; verkürzt in geschlossener Silbe, z. B. keep, greet ftceej)). a ist nicht diphthongisch wie im Englischen, son- dern entspricht dem deutschen eh, ee, französ. e, z. B, <]aij, hae (liace), rain, drave (droi^e), auch vor -r(e), z. B. Aip\ eare ; verkürzt in gafe. lote u. s. w. Dem englischen p kommt nahe der durch / dargestellte Laut in thinl,-, hegln, it is etc. Den kurzen Laut des französischen e hat z. B. kirk (cJmrchJ, kent (knoini) und die Tonsilben in genÜe, heiter, aßcr u. s. w. Ein zwischen ci und a liegender Laut erscheint lang in ofTenen Silben, auch vor flexivischem -s, -d, wie in a' (all), wo' (wall), ras (ealls), ea'd (called), \'or -Id in auld (old), cauld (cold), vor -nd in band, land; kurz in gat, slaps, Tarn und im Präteritum starker Verba, wie fand, grand, iratid. u kommt vor in stillrn. bat, drucken, aber auch in irivd (Subst.), witch etc. Das geschlossene /; ist lang, jedoch nicht diphthongisch, in roariii, soher, rose (Prät.j; kurz in Scots, honest, on, storm etc. Der I^aut des o findet sich in howsin, hour, power, shoirers, hroirs, fhoii : kin-z (also :^ ?)) in honse, took, droirned (Prät.), /nfliout. Der dem deutsehen ii, franz. u öfters gleichgesetzte Laut in poor, hied (lovcdj und in den Tonsilben von musie, furions- u. s. w. wird in offenen Silben und vor -r{e), -rc wie langes e', in geschlossenen Silben wie kurzes /• ausgesprochen, z. B. stood, Doon, aboon (above). Der Diphthong ei (= e -\- kurzes «') er- scheint in life, mile, pipe, sowie in poinf etc., ai (a -\- kurzes e) in hg. nigh, mire, fi.re.

128 Sitzungeil «Icr BoiliiUT (tcscllschaft

Beim Konr?on:uitismur' ist hesijiulcrf- die gutturale Aussprache des gJi {'■}/) hervorzuheben, 1 hrmiglit, light, right. Die palatale Aus- sprache ist nicht eingetreten bei hrig (l/fidgrj, rlg (ridgcj etc., auch nicht bei ilka (eacli, everi/j, )nurlde (meikk. mickle). -ng- hat die deutsche Aussprache, ßngcr, inglc. Das g der Endung -ing ist stumm, -d verstummt nach / und ii, auld (old), Itauld (hold); and. irind, find, hundred, ironder ; es lautet wie i in hchind, hcgond. fiend und in den Suffixen -rt f-if) der schwachen Präterita und Farticipia, wenn sie eine Silbe bilden, wie J^ejicf, hoirket, rccskl, hohhei,-}>ragget, n-eel-hoordri. i ist stumni in ghäisia, 1)caf<is. th fällt ab in mouth, uncouth. V schwindet oft zwischen Vokalen, z. B. fun {evening), hae {have), lea'e {leave), gre {gicc), lo'e {fovc). nh ist stark guttural. /• ist stets das Zungen-r. Die Verbindungen -r/, -nn., -rn und auch -Im werden oft mit einem aus dem zweiten Konsonanten entwickelten Vokal gesprochen, so ifarl (trorld), dirl, girl ; irarni : com; liehn (ae. hehna), auch hcUini geschrieben. Metathese des /• ist nicht selten, gini und grhi. s entspricht dem neuenglischen Laute, nur irise wiid mit stimmlosem, once, twice, thricc mit stimmhaftem s gesprochen. Für shr- tritt behufs Vermeidung eines schwa-ähnlichen Lautes zwi- schen sh und r öfters sk ein, z. B. skriech = shriek.

Herr Z u p i t z a bespricht den epexegetischen Gebrauch des englischen Infinitivs, der dem Sprachgefühl des Deutschen pleo- nastisch erscheint. Er tritt als transitives Verb mit Zusatz, dann ohne einen solchen und endlich als Infinitiv des Verbum Subet. auf.

Derselbe bringt für ne. perhaps aus Lydgate jiltere Beispiele bei, als sie sich bei Skeat finden. Auch für trade sind ältere Belege vorhanden, als Skeat anführt. Redner giebt zwei Beispiele aus dem 15. Jahrhundert mit der Bedeutiuig 'Spur', so dafs die Etymologie des Junius, der das Wort von fredan ableitet, unzweifelhaft erscheint. Herr Hahai bemerkt dazu, dafs das Wort neuschottisch kurzen Vokal hat, was auf ältere Kürze deutet.

HeiT Mangold ist wieder in die Gesellschaft eingetreten.

Zur Aufnahme in dieselbe hat sich Herr Krem er gemeldet

Der Vorsitzende giebt kund, dafs er mit Herrn Waetz old t die Redaktion des Archivs zu Neujahr übernehmeii Merde, und hofi't auf fleifsige L^nterstützung seitens der Mitglieder der Gesellschaft, })esonders durch Recensionen.

Die nächste Sitzung wird auf den 15. Oktober festgesetzt.

Sitzung am 15. Oktober 1889.

Herr Waetzoldt spricht über Jean Richepins La Mer. Der 1849 geborene Dichter hat sich zuerst durch seine Chansons des Qiieux bekannt gemacht. Schon in seinem Roman La b'lu giebt er

für das Studium der neueren Sprachen. 129

meisterhafte Schilderungen von Küstenlandschaften. Nach Vers- technik, Sprache und Inhalt ist das 1887 erschienene La Mer be- merkenswert. In einer Fülle von Formen und Farben schildert Richepin die See, ihr Leben und das Leben der Schiffer, Schauplatz ist das Mündungsgebiet der Loire. Dadurch, dafs der Dichter mit und unter den Matrosen zur See gelebt hat, ist er in deren Anschau- luigen, Überlieferungen, Sagen und Lieder eingedrungen. Redner analysiert die Abschnitte des Buches im einzebien nach Inhalt und Form ; er weist namentlich auf die zahlreichen Beziehungen zu Victor Hugos Sprache, zum Volksliede und zur modernen Natur\\assenschaft lün und schliefst mit einer Sammlung sprachlich bemerkenswerter dialektischer Worte und Wendungen.

Herr Tob 1er berichtet über eine durch Salvioni 1889 nach einer Tiu'iner Handschrift veranstaltete Ausgabe der alts'enezianischen Übersetzung der Geschichte des Apollonius voii Tvrus. Der Text der einzigen bekannten Handschrift aus dem 14. Jahrhundert hat die mundartliche Besonderheit seines Ursprungslandes schon von Anfang an nicht ungetrübt ziu' Erscheinung gebracht, sonderii mehr- fach durch Annäherung an toscanische Sprachform beeinträchtigt; und eine Überarbeitung der Handschrift, die kurz nach der Nieder- schrift stattgefunden hat, ist hinzugekommen, um in gleicher Rich- tung weiter zu wirken. Zum Glück ist die Arbeit dieser zweiten Hand leicht erkennbar: man sieht, wo die ursprünglichen Buchstaben umgeformt worden sind, wo über Ausgekratztes und Verwischtes an- deres gesetzt worden ist, und der Herausgeber hat mit viel Sicher- heit das Werk der ersten Hand herstellen können, was er nicht thut, ohne über das Mafs seines Eingreifens Rechenschaft zu geben. Ein vorzüglicher lexikalischer Anhang stellt nicht allein alle bemerkens- weilen Wörter zusammen, sondern verweist auch fortwährend auf alle die Stellen, wo von Mussafia, Flechia, Ascoli, Seifert, Raphael die nämlichen Wörter behandelt sind. Auch an einem knappen Ab- rifs der Grammatik des Denkmals fehlt es nicht. Die litterarische Stellung desselben zu erörtern hat Salvioni einer später zu veröffent- lichenden Abhandlung vorbehalten [vgl. unten S. 224].

Herr Hahn spricht über das Verhältnis von R. B u r n s zu älteren Dichtern,

Herr Kremer wird in die Gesellschaft aufgenommen.

Sitzung am 29. Oktober 1889.

HeiT Immanuel Schmidt bespricht mehrere Stellen aus Shak- speree Julius Csesar. I, 1, 24 f. würde, wie er glaubt, nach den Worten / meddle ivith no tradesman's matiers der Zusatz nar women's matters ganz schal sein, wenn nicht ein Doppelsinn vorhanden wäre.

Arcliiv f. n. Sprachen. LXXXIV. «'

130 Sitzungoii der IJcrlinor ClfKellKchaft

Er vergleicht fiir /o mprlrlle ihr. IV, .'., no iiiifl führt an, dal's sicli bei Halliwel] findet in mrfjfllr, ofmsioHaUy iispd for fvtuo, sowie ma- lere, ihr mafri.r or ivomb. Herr Zupitza spricht sich gegen die Vermutung aus, dafp auch awl gehraucht sei wie jetzt prir,k. I, 2, 155 steht in der Folio: When eovld theij say tili now, that talk'd of Barne, Thnt her tm'rje frnlkef; emo^npafised hut nne man? Der Voi*tragende ist nicht einverstanden mit Alexander Schmidts Verteidigung des Ausdrucks iralkft und schliefst sich der Ansicht der meisten Herausgeber an, encompassed fordere die von Rowe her- rührende Änderujig von walk.< in valls. II, 1, 83, Frrr if thou path, fhy native ftemblanee on, ist nichts zu ändern. Sollte man daran Anstofs nehmen, dafs lo palh bis jetzt als Intransitivuni noch nicht nachgewiesen ist, so Avürde am nächsten liegen, pucp fiir pai}i zu setzen. Der von C'olei'idge gemachte Verbesserungs Vorschlag put wird zurückgewiesen, da sich nicht sagen lasse, dafs das angeborene Wesen angelegt werde. II, 1, 2o0 lautet der Text, den die meisten Herausgeber auch beibehalten haben, Enjoy the honey-heavy den- of slumher. Die Konjektur the heavy honey-dew of slumher wird als unnötig bezeichnet und Gewicht auf das Adjektiv in honey-heavy gelegt, wodurch die vom Schlununer bewirkte Schwere der Glieder, insbesondere der Augenlider angedeutet Averden soll, während durch ho^iey die Süfsigkeit, durch de/r die Erquickung hervoi'gehoben wird. III, 1, 23 steht in der Folio das sinnlose the lane of rhildren. HeiT Schmidt ist mit Johnsons Änderung von lam in law (nach Wrights Erklärung irhich can he changed in obedience to any caprice) nicht einverstanden und schlägt rjame vor, indem er auf die Ähnlichkeit eines grofsen G und L aufmerksam macht. IV, 1, 37 wird fest- gehalten an der Lesart der Folio On Objects, Avis, and Imitations und die Konjektur Theobalds on ahject orts oder deren Modifikation On ahjects, arts, atul imitations bestritten. IV, 1, 44 bietet die Folio TJierefoi-e let our Älliance he eombin'd, Our best Friends made. oiir meanes streicht . Hier ist der Vortragende einverstanden mit AI. Schmidt, insofern derselbe verbindet our best friends made mir means, erklärt aber dessen Ergänzung to streich if out (oder to streich ii far) für matt. Da von den Herausgebern allgemein anerkannt Avird, dafs Worte ausgefallen sein müssen, so schlägt er vor: Our best friewls made onr means of utmost streich. Dafs streich sich bei Shakspere als Substantiv nicht findet, ist zufällig. Das im Text der Folio stehende streicht konnte leicht in streiche übergehen. V, 1, 73, his life iras yenile, AA'ird Schlegels Übersetzung: 'sanft Avar sein Leben' als unrichtig bezeichnet; genile hat die Bedeu- tung 'edel'.

Herr Zupitza sj^richt über die bisher ungedruckte 'Fabula duorum mercatorum' im Codex Harl, 2251, die er nächstens heraus- zugeben beabsichtigt. Sie gehört in den reichen Sagenkreis, über

für das Stndiuiu der ueuereu Sprachen. 131

den am eingehendsten Wilhelm Grimm in Haupts Zeitschrift XII, 185 fF, unter dem Titel 'Die Sage von Athis und Prophilias' gehan- delt hat (der Aufsatz ist wieder abgedruckt in dessen Kleinen Schriften IV, 346 ff.). Der Schreiber, dem wir die einzige Aufzeichnung des englischen in siebenzeiligen Stropheji abgefafsten Gedichtes ver- danken, hat am Schlufs die Bemerkung hinzugefügt: Explicü fahnla duonau mercatonim de et super gestis Bomanxynmi. Das weist auf die Gesta Romanorum als QueUe hin, in welchen sich ja eine Be- handlung des StofFes als Nr. 171 findet, und in der That hat Sir F. Madden in den Anmerkungen zu den mittelenglischen Bearbei- tungen der Gesta (vgl. The Early English Versions of the Gesta Romanorum ed. Herrtage p. -482) die Ansicht ausgesprochen, dafs das englische Gedicht 'in all probahiUtif auf der sogenannten anglo- lateinischen Version der Gesta beruhe. Indessen ein Vergleich des Gedichtes mit den Gesta zeigt, dafs jenes nicht aus diesen geflossen sein kann, und zwar weder aus dem Vulgärtexte der Gesta bei Oesterley p. 5 CO fT. noch aus der angiolateinischen Version, von der Avir uns eine hinlängliche Vorstellung aus den beiden mittelenglisehen Übersetzungen liei Herrtage p. 19G ff', machen können. In den Gesta sind z. B. die beiden Freunde Ritter, nicht Kaufleute, wie im Gedichte ; dafs der Wirt überall Ärzte suchen läfst, die den Kranken heilen sollen, wird in ihnen nicht erzählt; auch wissen sie nichts von einem König, der die schliefsliche Entscheidung wiegen des Mordes trifft ; endlich bildet in ihnen die Entlassung der drei Männer, die sich dieses Mordes anklagen, den Schlufs, so dafs also von der Tei- lung des Vermögens zwischen den beiden Freunden nicht die Rede ist. In allen diesen und in anderen Punkten stimmt das englische Gedicht zu der Quelle der Gesta, der Disciplina clericalis des Peti'us Alfonsi (ed. Labouderie I, p. 16 ff., Val. Schmidt p. 36 ff.). Es ist wohl aus dieser direkt geflossen imd nicht etwa aus einer der bisher bekannten drei altfranzösischen Übersetzungen bei Barbazan-Meon Fabliaux p. 52 ff., Labouderie II, p. 15 ff', und I, p. 17 ft'. Das englische Gedicht folgt der Quelle genau, nur ist seine Darstellung eine viel breitere. Schon Warton in der Abhandlung über die Gesta Romanorum (History of English Poetry ed. Hazlitt I, 285) hat das Gedicht, das namenlos überliefert ist, Lydgato zugeschrieben. Dafs das richtig ist, kann keinem Zweifel unterliegen. Lydgates Stil ist unverkennbar. Auch lassen sich fast alle ungewöhnlicheren AVörter und Redensarten des Gedichtes in den bezeugton Werken Lydgates nachweisen. Ja ganze Sätze und Satzgefüge des Gedichtes kommen in diesen vor. So Avird 391 f. die Schilderung des Mädchens, das an der Krankheit des ßaldaker Freundes schuld ist, mit den Worten zusammengef afst : That, if I shal hir sliorti// eumjjrcherHle, In Jdr was nothyny, that natnre mijght amcnde. Dazu halte man eine Stelle im Edmund I, 408 f.: And, yf he shal hr shortly cmn-pfehendid , In hini

9*

132 Sit/iin.ücti .1<T ncrliiHT ( icscllsclinfl

ivas nofki/H(/ for lo hr niiirndid, uiul ciiic aiulfTC im Alboii 1, 28G f.: That, if Ü shall shorthj he c^omprehended, In fhem ivas nothynge for to he amenfJrd. Oder mit V. 108 ff'.: y\Ilns, Megcra, I mvfil nrnv mäo the Of hert calle lo he/p mr lo rotn-jdejinr And fo thi suftfer ehe, Tyso- phone, Tliat afier ioye gofhjpssis lim nf peyne. O irppyny Myrre, nov: lafe thy terys rryue fn/n nt.yn lynke, vei'gleioho man besonders in dem Temple of (xlass (der Voiti'airende eitiert nach dem nächstens für die EETS. erscheinenden Texte seines früheren Zuhörers Schick) 958 ff".: / ean no further, hut to Tisip)hone And to Mr snstren fm- to helpen me, That hen yoddessef^ nf tormettt and of peyne. Noir Jef yonr terif; into myn inke reyne.

HeiT G. Michaelis hält einen Vortrag über das phonetische Transskri])tionssysteni von Lyttkens und Wulfl". Der vorgerückten Zeit wegen kann er nur die Einleitung geben, in der die früheren Transskriptionssysteme nach ihren verschiedenen Arten besprochen werden.

Herr Relirmann hat sich zur Aufnahme in die Gesellschaft gemeldet.

Sitzung am 12. November 1SS9.

HeiT G. Michaelis berichtet über Lyttkens und Wulff, Compte- rendu sommaire d'une transcriptwn phonetique offert mix memhresi du VIII' nongres de.<^ Onentalistes, Stockholm 1889. Herr Mugica knüpfte an den Vortrag seine Beobachtungen über die Aussprache von V und h in Spanien und bemerkte namentlich über das mouil- lierte l, dafs das catal. Wort Bell-lloch ausgesprochen werde wie Bdll-Uok. mit der Aussprache des 11, welche die Akademie empfiehlt und im Französischen Littre, -wenn auch mit Unrecht. In Madnd und in Andalusien spreche man crd)edln (cJiefal) Avie in Paris fra- vaille.

Herr Krüger spricht über die Quellen des Emile von J. J. Rousseau. Zusammenhängende Forschungen nach den Quellen sämt- licher Werke Jean Jacques Rousseaus sind nicht vorhanden, und doch sind sie bei der über das litterarische Gebiet weit hinaus- reichenden Bedeutung derselben und bei seinem Anspruch, etwas gänzlich Neues, Eigenes gebracht zu haben, doppelt nötig, zumal sie auf seine viel erörterte Wahrhaftigkeit neues Licht zu werfen ge- eignet sind. Seine Zeitgenossen haben ihn öfters beargwöhnt, dafs er sich mit fremden Federn geschmückt habe ; für den Emile ist eiji solcher Nachweis mit furchtbarer Gründlichkeit von einem gelehrten Benediktiner geliefert worden. Das seltene Buch desselben heilst: Les Plagiats de M. J. J. Rousseau de Genevc sur Veducation. Par D. J. C. B. A la, Haye et se tro-itve ä Paris chez Durand librairie rue S. Jacques ä la Sagesse. 176(i. Obige Buchstaben sind zu vervoll-

für da.s .Stiuliimi der neueren Sprachen. 183

ständigen zu Do)>( Jo-seiili L'ajot Benedictin. Der Vorti'ageude giebt aus ihm eine Anzahl von Stellen, die erweisen, dafs sich bei Rousseau zum Teil wörtliche Entlehiuuigen aus Plato, Seneca, Montaignes Essai'i, Lockes Sotne Tltoughts concerning Ediwation, F^uelon, dem Abbe de Fleurv, aus dem .1/;// des homnies des älteren Mirabeau, la Bruyere, dem Kanzler Baco, Hobbes, Bonnet, Voltaire und einer Menge weniger bekannter Schriftsteller finden. Selbst wenn man den |)ersünlichen Hafs, den C'ajot gegen Rousseau aus religiösen (Tründeu hegt, in Anschlag bringt, ist doch der Vorwurf des litte- rarischeu Diebstahls nach der Meiiumg des Vortragenden begründet : für die Erstlingsschrift Rousseaus glaubt er das Gleiche beweisen zu können.

HeiT K a b i s c h spricht über das Lied Heinrichs von Morungen, MF. 141, 37 142, 18. Dasselbe ist nur in einer Handschrift (C) überliefert und hat in derselbeii vor und hinter sich Raum für eine Strophe. In der überlieferten Form zeigt es so erhebliche Verstölso gegen die strojjhische Korresponsion, so unnatürliche Betonungen und häfsliche Rhythmen, dafs es so von Morungen, der in diesen Punkten ganz regelmäfsig ist, nicht gedichtet sein kann. Es besteht aus Daktylen, mit Trochäen uiul lamben gemischt; hierbei haben die Schreiber oft die Daktylen verkannt und dann willkürlich ge- ändert. Dies konnte bei Morungen lun so leichter geschehen, als bei ihm die Schi'eiber zugleich die Herstellung einer rein oberdeut- schen Form aus niederdeutscher, mitteldeutscher oder aus einer aus allen gemischten Form vorzunehmen hatten, in welcher die Lieder zur Zeit der Abfassung der grofsen Liederhandschriften in ober- deutschen Gegenden umliefen. Die Herausgeber des MF. haben nur zwei augenfällige Versehen geändert, nändich 141, 3-S min in nilnr verwandelt und 142, IG vor yesioule ein icol gestrichen. Herr Kabisch schlägt vor, jedesmal die erste und zweite, sowie die vierte und fünfte Zeile der Strophe in eine zusannnenzuschreiben ; es ent- steht dann der viennal gehobene daktylische Vers mit Inreim, den ^lorungen seinen provencalischen Mustern oder Lehrern entlehnt hat. Dabei wäre dann in Vers 142, 10, der ohne Zweifel verderbt ist, msrcariren in röfenic zu ändern (ein Vorschlag, den Wilmanns dem Vortragenden gemacht hat); MF. 130, 30 steht ir ruaeixinccr röter rnunt. Es müssen dann in 142, 3 und 142, 13 die beiden ersten Silben gegen die in MF. bezeichnete Betonung als zwei Kürzen ge- lesen werden. Im Abgesange sind die Verse 14 2, t) und 142, 16 nicht korrespondierend; es empfiehlt sich, in 142, 1 (! (wo schon MF. gegen die Überlieferung geändert hat) auch noch das von den Schrei- bern häufig hinzugesetzte ril zu streichen. Im dritten Verse will Herr Kabisch wegen der sehr unnatürlichen Betonung in der liclle grümle (die MF. bezeichnet) //;/// daz er mir steh und in der helle gründe trochäisch betonen, und schliefslich den letzten in der Über-

134 Sitzungen der Berliuer Gesellschaft

lieferung sechsmal gehobenen Vers nach dem dritten Trochäus ab- brechen und eine Waise herstellen. Die so entstandene Form hat einen fliefsenden daktylischen Kliyflunus, mit trochäischen und iambischen Zeilen gemischt, voUkonnucii stroj)liische Korresponsion und natürliche Beton ungcn und stellt sich ebenbürtig neben die schönsten Lieder Morungens, von dem Wilmanne mit Recht sagt, dafs er im eigentlichen Minneliede vielleicht sogar vor Walther den Preis verdient.

Herr Zupitza weist im Anschlufs an eine frühere Mitteilung am 30. Oktober 188S (vgl. Archiv LXXXII, 201) auf eine Stelle hin in dem Roman Robert Elsmere by Mrs. Hum])hry Ward (ed. Tauchnitz) I, lö.j. Rose Leybourn möchte gern wissen, ob ihre Schwester Catherine den Helden heiraten werde. Sprinyiny ivp sJie dragged in, tfte cat, and snatehing a scarlet anemoue from a bunch on tJie tahh, stood opposite ChafMe (der Katze), irho stuod sloidy wavmg her viagnifheitt fall from side to side, and gktring an though it ivcre not at all to lier taste to he hustled and hustled in this loay. 'Now, Chattie, listen ! Will she ?' A leaf of tite floiver dropped an Cftaftie's

nose. 'Won't sJie? Will she? Won't she? Will Tiresome

floiver, why did Nature yive it siieh a heygarly few petah ? If Fd had a daisy it ivoidd havc all coine riyhf.' Prof. Napier in Oxford verdankt der Vortragende ferner die Mitteilung über eine Verbin- dung der beiden Arten, die Zukunft zu erforschen, an welche Herr Hirsch und Herr Tanger damals erinnert haben. Wenn es Plum- oder Cherry-tart oder sonst etwas mit Steinfrüchten gegeben, pflegen die Kinder die Kerne zu zählen mit den Worten : This ycar, next year, sometimes (oder feie years), iievcr. Ein Mädchen fragt dann, falls nicht etwa necer und der letzte Kern zusammengetrofTen, nach dem Stande des dereinstigen Mannes mit Saldier, sailor, tinker, tailor, rieh man, poor man, hcggaruian , thief. Mit denselben Worten sucht auch ein Knabe Auskunft über seinen künftigen Beruf.

Herr R ehr mann Avird in die Gesellschaft aufgenommen, der alte Vorstand durch Acclamation wiedergewählt.

Die Herren Dr. Sohrauer und Dr. Fuchs haben sich zum Eintritt in die Gesellschaft gemeldet.

Sitzung am 29. November 1889.

Herr Koch spricht über einige Punkte der englischen Gram- matik. Der Vortragende erörtert zunächst im Anschlufs an Traut- mann (Anglia IH, 208 AT.), Storni und andere Phonetiker die Aus- sprache des englischen r. Hierauf giebt der Vortragende einige Proben der Cockney-Aussprache aus dem bei Tuer 1885 in London erschienenen Büchlein Old Lond/m Cries; unter anderem geht in

für das Stiuliuiii der neueren Sprachen. 13ö

derselben der Laut ei (a iu fate) geradezu hi ai; der des ou (oa in road) in cm, der des o vor .s- und /' in ä über (vgl. Vietor S. 49). Schliefslich machte der Vortragende darauf aufmerksam, dafs / used = ich pflegte (sjjr. jü.st zum Unterschied von jüxd = gebrauchte) in der Umgangsj-prache zu einem iSIotUdverh geworden sei und bei Ver- neinung und Frage nicht die Umschreibung mit lo do verlange; z.B. Used he not to he ra liier a fricitd of yours? (Norris, A Bachelm-'s Blunder, Kap. 19). Stellen wie Feople dkl not use to eat so nmeh meat as they do noir (Sweet, Elementarbuch S. 77); Folks don't use to meet for amusenient with fire-anns (Sheridan, Rivals V, 1) geben nicht den gewöhnlichen Sprachgebrauch wieder. Andererseits sei das alte / am ivoiä. das z. B. Shakspere öfters braucht, wieder mo- dern geworden ; z. B. Having talked a great deal more than he was tvont to do in one evening, (he) relapsed into silence (Norris, 1. c. Kap. 8). They ivere ivont to sit (Athenieum 3228, S. 311).

Herr Carel spricht über die Bedeutung von Alexis Piroii für die Voltaire-Kritik. Keiner von den Gegnern des Encyklopädisten, der auf allen möglichen Gebieten nur das ^A peii pres' erreicht, kein grofses AVerk genialer Originalität aufweist, ist berechtigter, über Voltaire zu richten, als Piron. Denn eine Begabung besitzt dieser: den Mann und seine Werke im Augenblick richtig zu beurteileji, im Epigramm etwas Richtiges zu sagen; zur Durchführung eines sieg- reichen Kampfes aber fehlt ihm 1) im allgemeinen die gröl'sere Be- gabung. Denn aul'ser dem Epigramm hat Piroji nichts Bedeutendes aufzuweisen; die 'Metronucnie' ist eine Ausnahme seiner ganzen son- stigen Dichterarbeit. 2) Die Harmonie der wissenschaftlichen Durch- bildung. Seine römisch-griechische Ausbildung und sein derber alt- gallischer Witz, der an Rabelais und Gringoire erinnert, stehen sich in Pirons Geiste unvermittelt gegenüber. Die Lektüre der Alten zeitigt bei ihm schülerhafte Auswüchse einer grobsinnlichen Natur, die von Juvenal und Martial nur die Entartungen lernt. Die 'Ode Priapee', das zügelloseste Stück dieser Art, wurde verhängnisvoll für sein Leben und seinen Beruf. Das 'ore rotundo loqui hat er nie ge- lernt; er hat keinen Geschmack. Goethes Urteil 'Anmerkungen zu Rameaus Neffen', bei Hempel XXXI, p. 132, bleibt daher richtig, Sainte-Beuve N. L. VII, p. 44-1 ergänzt glücklich den Goetheschen Gedanken des Urteils über Piron: er ist der Voltaire des Augen- blicks im Kampf mit dem Voltaire des Jahrhunderts. In diesem Satze ist die Stärke und die Schwäche von Pirons Voltaire-Kritik enthalten. In Diderots Roman 'Rameaus Neffe' wird Piron neben Voltaire besprochen ; die gute Gesellschaft, Leut« von Ge- schmack, redeten von ihnen, verglichen sie. Doch wird man schwer- lich gröfsere Gegensätze des Geistes, des Körpers, der Lebens- schicksale finden können als zwischen Voltaire und Piron. Gegen- über der zwar stattlichen, aber hageren Figur Voltaires steht der

136 t^ilzuiigC'ii ilcr J5crliiicr ( Ii-scll.'^cliiift

gi'öfsere, weiiitiinkcndc Piion. N'oJluircK grofHC Augen beobachten fortwährend .seine Umgebung; in Höflichkeiten, Aufmerksamkeiten ist er ein unübertroffener Meister; Pirons behäbige Hün(!ngestalt er- scheint durch seine Kurzsichtigkeit tä])j)isch und ungeschickt. Kein hastiges, ehrgeiziges Jagen wie bei Voltaire; er ist sich vielmehr seines Wertes oder seiner Waffen sehr bewufst. Er arbeitet nach dem Grundsatze des Genies, 'nur das zu treiben, was ihn anspricht, nur zu dichten, wenii es ihm natm'liche Notwendigkeit ist.' In der That dichtet er seine Epigramme Jiicht, er niest sie ('(Hernuer' sagt Piron selbst von sich in dieser Hinsicht), wie einer thut, der niesen mufs. Dieses Epigramm mit seinem altfranzösischen bei- fsenden Gehalt kann nur Piron dichten ; aber gerade diese Über- legenheit wurde sein Verhängnis. Er fühlte sich im Epigramm zu mächtig, darum verfulu- er in anderen Dingen nachlässig. Vor- nehm liel's er die Welt an sich herankommen, während Voltaire keinen Insinuationsbesuch versäumt. Gerade übei- die ruhelos for- cierte Arbeit Voltaires, über seine Vielseitigkeit geht Piron ins Ge- richt. Äufserst treffend ist Bd. VI, p. 527, ed. Rigoley des Juvigny, Paris 1776, das Spottepigramm 'auf die ungründliche Mittelmäfsig- keit des Mannes, der alles dichtet und schreibt, auch sich an Gegenstände macht, die wahrhaft groise Geister vor ihm nicht be- wältigt haben'. Dieser Vorwurf bleibt richtig; allein Piron verliert durch sein eigenes Leben das Recht, ihn Voltaire zu machen. Piron ist sehr überschätzt worden; gerade weil er im Augenblicksurteil über Voltaire recht hat, ist man geneigt, über deji Mangel an Ge- schmack, über die holprige Rauheit vieler seiner Verse hinweg zu sehen. Das darf aber nicht geschehen. Er zeigt sich bis auf das Epigramm, in dem er neben Voltaire zu stehen verdient, in jeder Hinsicht geringer als der Dichter der 'Zaire'. Auch ist die Be- deutung der 'Metromanie' für Voltaire und die Zeitgenossen sehr überschätzt worden, wieder, weil man Pirons Gegnerschaft zu hoch anschlug. Trotzdem verdient die 1738 erschienene Komödie neben 'Turcaref luid 'Mechani', den besten Lustspielen des 18. Jahrhun- derts, ihren Platz. Wenn aber (Südwestdeutsche Schulblätter Nr. 9 von 1889. Besprechung von des Redners Programm 'Voltaire und Goethe als Dramatiker') der Voltaire-Kritik ein Vorwurf daraus ge- macht wird, dafs sie mit Stillschweigen die 'Metromarm' übergeht, so ist zu entgegnen, dafs diese Dichtung nicht als Geschofs gegen Voltaire seine Haujotbedeutung hat (dieser wird sehr glimpflich darin behandelt), vielmehr mufs der Umstand gewürdigt werden, dafs Piron durch dieses Stück sich einen Platz bei den besten Lust- spieldichtern seiner Zeit erobert, ob er ihn gleich nicht behauptet. In keiner Geschichte der Komödie des 18. Jahrhunderts wird die 'Metromanie' fehlen dürfen; sie hat ihren Wert nicht als Satire gegen Voltaire, sondern als eigenstes Bekenntnis des Dichters Piron,

für das Studium der neueren Sprachen. 1?»7

der sich im Damis selbst gezeichnet hat. Und, weil diese Zeichnung nach der Natur gemacht wurde, nach einem lebenden Individuum, das er unmittelbar mit seinem Denken und Fühlen wiedergeben konnte, wurde sie ein vollendetes Meisterstück, das Piron als Dichter weit über die engen Grenzen })arteiischer Polemik gegen Voltaire hinausschauen läfst. Der Träge hat sich einmal aufgerafft und den Versuch gemacht, den Besten ebenbürtig zu erscheinen. Das ist die eigentliche und einzige Bedeutung, die die 'Metromanie' hat. Die äufseren Umstände, die das Stück begleiten, werden nie die Bedeu- tung der Dichtung verdunkeln. Darum gehört sie auch nicht in die Voltaire-Kritik, neben die giftigen Epigramme des Dichters von Dijon. Der Vortragende giebt nun eine Analyse und erzählt die Vorgeschichte der 'Metromanie'.

Die Herren Dr. Sohrauer und Dr. Fuchs werden in die Gesellschaft aufgenommen.

Sitzung am 10. Dezember 1889.

Herr Zupitza sprach über Barkers Orif/incu English [vgl. die Besprechung unten S. 165].

Herr Tob 1er gab eine etymologische Erörterung dreier fran- zösischen Wörter. Nachdem er dargelegt hatte, was die von Scheler und die von Littre gegebenen Erklärungen von riechet unannehmbar mache, begründete er seine eigene Auffassung, nach der das nfrz. AVort in sich altfrz. decJ/iet und dc.cJdc vereinigt, jenes die zum Sub- stantiv gewordene 3. Sing, des Präsens von decJieoir, dieses das aus dem blofsen Stamm des nämlichen Wortes gewonnene Verbalsub- stantiv. — Für souqaenille ist von Bedeutung, dafs es bis ins 16., ja ins 17. Jahrhundert herab nur mit dem Ausgang -nie sich findet. Für die altfrz. und für die aus Fi-ankreich stammende mhd. Form suggente ist durch Weiidiold, was von den raeistoi Romanisten über- sehen worden, in einem durch viele slavische Sprachen verbreiteten Worte, poln. .sulmia u. s. w., das P^tymon gefuiuleii. Der Vortragende erörterte verschiedene Fälle, wo, wie in dem vorliegenden, / zwisehen Vokalen zu mouilliertem / geworden ist, und erwog die Möglichkeil, dafs gucnilk aus souquenille gewonnen sei, dessen erste Silbe schon in altfrz. Zeit als Präfix irrtümlich empfunden worden ist. accoii- trer, das keineswegs von Anfang an 'ausstaffieren', sondern zunächst 'bereiten, fertig machen' bedeutet, in welchem auch das bisweilen vor dem t auftretende s als ursprünglich zu gelten keinen Ans])ruch lial, wurde als Ableitung von coutre 'Pflugniesser' gedeutet. Das zunächst wahrscheinlich nur mit dem Pfluge als Objekt gebrauchte Verbuni wäre nachmals auf jede andere Art des Ausstattens zur Thätigkeit, zum Dienste übertragen worden. Es ist nicht unmöülich, dafs es im

l.'>8 Sitzuugen der Berliner (JcHellschaft etc.

Altfrz. ein zweites acoiitrrr, eine Ncbenforni v<^n acouter (von coute ■=z cuhitus) gegeben hat; und altirz. decoutrrr scheint von rovtrr in seiner heute noch bestehenden Bedeutung 'Spaltbeil' abgeleitet. Was den Herleitungen des nfrz. nc-coufrer von aouturc 'Naht' oder von altfrz. couiure (= culfura) oder von altfrz. covtrc {=. culmtra) ent- gegenstehe, wurde gleichfalls auseinandergesetzt [vgl. Sitzungsberichte der Akad. der Wissenschaften zu Berlin, philos.-hist. Klasse, 12. De- zember 1889].

Mitglieder -Verzeichnis

der

Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen.

Januar ISSO.

Vorstand.

Vorsitzender: Herr Zupitza. Stellvertretender Vorsitzender: Waetzoldt. Schriftführer; ,, Wetzel (Luisenschule).

Stellvertretender Schriftführer : ,, A. S c h u 1 z e. Erster Kassen führer : ,, Vatke.

Zweiter Kassenführer : ,. Gerhardt.

A. Ehrenmitglieder.

Herr Dr. Furnivall, Frederick J. .j St George's Square, Prim- rose Hill, London NW. ,. Dr. Mätzner, Professor, Direktor a. D. Steglitz.

Frau Vasconcellos, Carolina Michaelis de. Porto, C'edofeita.

Herr Dr. Wiese, LudAvig, Wirklicher Geheimer Oher-Regierungsrat. Potsdam,

B. Ordentliche Mitglieder.

Herr Dr. Arn heim, J., Realschul - Direktor a. D. Berlin W. 35, Genthinerstrafse 40 IL

„• Baacke, F., Gemeinde-Lehrer. Berlin NW. 6, Marienstrafse 18 aU.

■^; Dr. Bach, H., Ordentlicher Lehrer am Luisenstädtischen Real- gymnasium. Friedenau, Schmargendorferstrafse 20. ~ Dr. Bahlsen, Leopold, Ordentlicher Lehrer an der IL höheren Bürgerschule. Berlin N. 4, Tieckstrafse 11.

Dr. Benecke, A., Direktor der Sophienschule. Berlin C. 22, Weinmeisterstrafse 1 5.

I" .Mit^Hi<'(lcr-\'('iz('irliiii> der l5ciliiicT ( IcMdlscliHtt

krr Dr. P>i(liiig, H., Professor, Oberlehrer am Sophien-Realgym- nasium. Berlin N. ;57, Schwedterstrafse 2^)711. Dr. Blitz, C. Berlin 8W. 11, Dessauer.strafse 1 5 11. Dr. Bischoff, Fr., Friedrichs -Gymnasium. Berlin N. o9,

Reinickcndorfevstrafse 2 III. Dl'. B ollmann, K., Professor am Grauen Kloster. Berlin C. 2,

Klosterstrai'se 74 II. Brendel, A., Ban<|uier. Berlin C. 2, Köuigstrafse 91. Dr. Buchholtz, H., Oberlehrer a. D. Friedenau. Dr. Burtin, E. Berlin SW. G8, Markgrafen .<traf5e 10 II. Dr. Carel, G., Oberlehrer an der Sophienschule. Berlin N. 37,

Weifsenbm-gerstrafse 74 II. Choch, G., Graf v., Kollegienrat. Berlin SW. 12, Koch-

stral'se G III. Cohn, Alb., Buchhändler. Berlin W. 8, Mohrenstrafse 531. Dr. Conrad, Herrn., Oberlehrer an der Haupt-Kadettenanstalt.

Gr. -Lichterfelde. Dr. Daffis. Berlin W. 35, Lützowstrafse 411.

Dr. Dammholz, R., Oberlehrer an der Augustaschule. Berlin

SW. 11, Schönebergerstrafse 26. Demme, G., Oberlehrer an der Handelsschule. Berlin NW. 21,

Flensbnrgerstrafse 1 6 II. Dr. Deter, J., Direktor. Gr.-Lichterfelde, Wilhelmsti'afse oG. Dr. Draeger, W., Yiktoriaschule. Berlin S. 14, Sebastian-

sti-afse 12 III. Dr. D unk er, C, Lehrer am Friedrichs-Realgymnasium. Berlin

AV. 35, Potsdamerstrafse 106 a III. Dr. Engel m a n n , H., Lehrer an der Friedrichs-Werderschen

Oberrealschule. Berlin NAV. 6, Albrechtstrafse 13. Friedrich, F., Sophiensc^|ule. Berlin W. 62, Kurfürstendamm 7. ,, Dr. Fuchs, Lehrer am Französischen Gymnasium. Berlin N. 58,

Alte Schönhauserstrafse 60. Gerhardt, R., Kaufmann. Berlin S. 59, Dieflenbachstrafse 74. ., Dr. G i 0 V a n o 1 y , A. Berlin AV. 41, Leipzigerstrafse 22. .. Dr. Gropp, E., Rektor. Charlottenburg, Bismarcksti'afse 56 I. Grosset, Ernest, Lehrer an der Kriegsakademie. Berlin

SAV.48, Wilhelmstrafse 28 III. ,. Dr. Grube, E., Oberlehrer an der Sophienschule. Berlin

NAA^21, Klopstockstrafse 34. .. Haas, J., Premier-Lieutenant a. D. Berlin AA\ 8, Tauben-

strafse 1 7 HI. Dr. Hahn, O., Oberlehrer an der Viktoriaschule. Berlin S. 59,

DiefFenbachstrafse 621. ., Dr. H e 1 1 g r e w e , Wilh., Gymnasiallehrer. Charlottenburg,

Spreesti'afse 261.

für (las Studiuiu der ncuerfu Sprachen. 141

HeiT Dr. Henze, Ordentlicher Lehrer am Dorotheenstädtischen Realgymnasium. Berlin AV. 8, Taubenstrafse 2 III.

Dr. Hirsch, Richard, Oberlehrer am Dorotheenstädtischen Realgymnasium. Berlin N. 37, Lottumsti-afse 8. Hold er -Egg er, M., Geheimer Rechnungsrat a. D. Char- lottenburg, Fasanenstrafse 14.

Dr. Hoppe, A., Professor am Grauen Kloster. Berlin ('.2, Neue Friedrichstrafse 8411.

Dr. Hosch, 8., Ordentlicher Lehrer an der Liiisenstädtischen Oberrealschide. Berlin S. 1 4, Annenstrafse 1 2 11.

Dr. H u o t, P., Direktor der Viktoriaschule. Berlin S. 1 4, Prinzen- strafse 5 1 H.

Dr. K a b i s c h , Otto, Ordentlicher Lehrer am Luisenstädtischen Gymnasium. Berlin SO. 26, Kottbuserstrafse 17.

Dr. Kastan, A. Berlin W. 64, Behrenstrafse 57.

Dr. Koch, John. Berlin NW. 21, Brücken-Allee 35.

Koumanine, A. v., Kaiserl. Russ. Staatsrat und Kammer- herr, Kollegienrat. Berlin NW. 6, SchifFbauerdamm 30 II.

Dr. Krem er, Lehrer an der Haupt-Kadettenanstalt. Steglitz, Albrechtstrafse 1 04.

Krueger, G., Ordentlicher Lehrer am Königlichen Realgym- nasium. Berlin W. 57, Kurfürstenstrafse 3.

Dr. Lachmann, J., Oberlehrer am Falk -Realgymnasium. Berlin W. 35, Lützowstrafse 84 c. Dr. L a m p r e c h t , F., Professor, Oberlehrer am Grauen Kloster. Berlin C. 2, Neue Friedrichstrafse 84.

.. Langenscheidt, G., Professor, Verlagsbuchhändler. Berlin S W. 1 1 , Halleschestrafse 1 7 part.

Dr. Langenscheidt, P., Verlagsbuchhändler. Berlin S W. 1 1 , Möckernstrafse 133 IL

^, Dr. Leo, F. A., Professor. 'Berlin W. 10, :\ratthäikirch- strafse 31.

Dr. Lösch hörn, H., Erster Lehrer am Königl. Lehrerinnen- Seminar und der Augustaschule. Berlin W. 35, Geu- thinerstrafse 4 1 III.

Dr. Mangold, W., Oberlehrer am Askanischen Gymnasium. Berlin W. 57, Frobenstrafse 17.

Mar eile, Charles. Berlin W.9, Schellingstrafse 6111.

,, Dr. Michaelis, G., Professor, Vorsteher des stenographischen Bureaus des Herrenhauses a. D., Lektor an der Uni- versität. Berlin NW. 6, Luisenstralse 24 al.

Dr. Michaelis, C, Oberlehrer an der Charlottenschule. Berlin W., Mauerstrafse 27.

,, Dr. Müller, Ad., Oberlehrer an der Elisabethschule. Beilin SW.29, Hornstralse 12.

Mitglieder- Vorzricliiiis der berliner GeKollschaft

HuiT M aller, F., Regieruiigsbauführer. Berlin NW. 40, Lüueburger- sü'afee GlVr.

Mugica, Pedro de, Liceiitiat der Wissenschaften der Uni- versität zu Madrid, Lehrer der spanischen Sprache. Berlin, Alt-Moabit 114.

Dr. Opitz, G., Luisenstädtische Oben-ealschule. Berlin S. öO, Hasenhaide 54 IL

Dr. Otto, Ferd., Lehrer an der Charlott^nschule. Berlin W. 02, Wichniannstralse 3.

Dr. Palm, IL, Oberlehrer an der Margaretenschule. Berlin SO. 1 G, Franzstrafse 7 III.

Dr. Pari seile, Eug., Oberlehrer am Königlichen Lehrerinnen- Seminar und der Augustaschule. Berlin "NV. 30, Blumes- hof 8 IIL

Dr. Paul, \y,, Professor am Friedrichs -AVerderschen Gym- nasium. Berlin NW. 6, Luisenstrafse 45 III.

P e n n e r , Emil, Ordentlicher Lehrer an der IV. höheren Bürger- schule. Berlin 0.34, Posenersti-afse 19.

Dr. Rehrmann, Professor an der Haupt -Kadettenanstalt. Gr.-Lichterfelde.

Dr. Risop, A., Oberrealschide. Potsdam, Französischestr. 24.

Dr. Ritter, O., Professor, Direktor der Luisenschule. Berlin N. 24, Ziegelstrafse 12.

Dr. Roediger, M., Professor an der Universität. Berlin SW.48, Wilhelmstrafse 140 III.

Rossi, Lektor an der Universität. Berlin N. 24, Monbijou- platz 10.

Sauvage, Jean, Humboldt-Gymnasium. Berlin S W. 1 3, Neuen- burgerstrafse 3.

Dr. Schleich, G., Ordentlicher Lehrer am Andreas-Realgym- nasium. Berlin SO. IG, Adalbertstrafse 24 II.

Dr. Schien ner, R., Ordentlicher Lehrer an der Luiseustädti- schen Oberrealschule. Charlottenburg, Bismarckstr. 22 b.

Dr. Schmidt, L, Professor. Haupt-Kadettenanstalt, Gr.-Lich- terfelde.

Dr. Schmidt, Max, Ordentlicher Lehrer am Askanischen Gymnasium. Berlin SW. 61, Grofsbeerenstrafse 82.

Dr. Schön fei d, F., Schulvorsteher, Berlin W. 57, Bülow- strafse 4.

Dr. Scholle, F., Professor, Oberlehrer am Falk - Realgym- nasium. Berlin W. G2, Schillsti'afse 51. .„ Dr. Schulze, Alfred, Assistent an der Königl. Bibliothek. Berlin NW. 6, Albrechtstrafse 12 IV.

Dr. Schulze, Georg, Direktor des Königlichen Französischen Gymnasiums. Berlin SW. 11, Hallesches Ufer 9 III.

für das Stnrlinni der neueren Sprachen. 143

Herr Dr. Schwan, Eduard, Privatdozent an der Universität. Berlin C. 45, Hausvogteiplatz 5.

Dr. Sohrauer. Berlin N. 24, Elsassersti'afse 41 III.

Dr. Tano^er, G., Ordentlicher Lehrer an der Luisenstädtischen Oben'ealschide. Berlin 80.16, Kaiser-Franz-Grenadier- Platz 811.

Dr. Tob 1er, A., Professor an der Univer.sität, Mitglied der Akad. der Wissenschaften. Berlin W. 62, Schillstr. 1 1 II.

Dr. Ulbrich, O., Rektor der II. städtischen höheren Bürger- schule. Berlin N. 37, Prenzlauer Allee .') part.

Dr. Vatke, Th. Gr. -Lichterfelde. Augustaplatz.

Völckerling, Oberlehrer an der Charlottenschule. Berlin W.35, Steglitzerstrafse 29. Dr. W a e t z o 1 d t, St., Direktor der Königl. Elisabethschule, Pro- fessor an der Universität. Berlin SW. 12, Kochstrafse 65 1.

Dr. W e i d 1 i n g. Berlin SW. 1 1 , Dessauerstrafse 1 4.

Dr. AVer n er, R., Ordentlicher Lehrer am Luisenstädtischen Realgymnasium. Berlin SW. 11, Hallesches L^fer 26.

Wetzel, E., Oberlehrer an der Luisenschule. Berlin N. 4, Chausseestrafse 2fIII.

,, Wetzel, E., Ordentlicher Lehrer am Dorotheenstädtischen Realgymnasium. Berlin SW. 48, Puttkamei'strafse 10 II.

Wetzel, K., Ordentlicher Lehrer an der Charlottenschule. Berlin W.35, Potsdamerstrafse 83 III.

Dr. Wüllenweber, Walther. Berlin C. 22, Liuienstrafse 88. Dr. Zupitza, J., Professor an der Universität. Berlin SW. 11, Kleinbeerensti'afse 7 III.

C. Korresjjondierende Mitf/lieder.

Herr Dr. Andresen, H. G., Professor an der Universität. Bonn. Dr. Bauart, P., Lissabon. Dr. Beegemann, Direktor. Rostock.

,, Boyle, G., Professor an der Vereinigten Ingenieur- und Ar- tillerieschule a. D. Oranienburg. Dr. Brenn ecke, Professor. Realgymnasium. Elberfeld. Dr. Claufs, Professor. Stettin. Dr. Düntzer, H., Professor, Bibliothekar. Köln. ^ Dr. F ö r s t e m a n n , Direktor der Königl. Bibliothek. Dresden. Dr. Fricke, W., Rektor a. D. AViesbaden. Dr. Pritsche, H., Realschuldirektor. Stettin. Dr. Gaertner, Oberlehrer. Bremen. ,, Dr. Ganter, Professor. Stuttgart. ,, Gerhard, Legationsrat. Leipzig. Dr. Gutbi er, Professor. München.

111 Mitf^li<'(ler-V(M-/,ci('|iiiis der PxTliricr fiospllscliaft etc.

Herr J)r. II a r1 u n i^, Oberlehrer. Wittstock.

Dr. II a u s k 11 e c h t , Professor. Tokio, Japan.

Dr. Hol seh er, Professor a. D. Herfoirl.

Dr. Holzamer, Jose])li, l*rofessor an der l'iiivcrsiiäf. Prag.

Dr. Holzapfel, Direktor. Magdeburg.

,, Dr. Hüser, Direktor a. D. Asohersleben.

H u 111 1) (3 r t , ( ■., ( )berlehrer. Bielefeld.

Dr. Ihne, Willi., Professor an der I^niversität. Heidelberg.

Dr. Kelle, l^rofessor an der Universität. Prag.

Dr. Kufal, W., Professor. Antwerpen. Dr. L a c r 0 i X , Leon. Ägypten. M a d d e 11 , Edw. Cuniniiiig. London. ,, Dr. M 0 ni m s e ii , Tyclio, Professor, Direktor a. D. ,, Dr. Muquard, J., Professor am College. Boulogne-sur-mer. ,. Dr. Nähert, Professor. Frankfurt a. M.

Nagele, Anton, Professor. Marburg (Steiermark). Dr. Neubauer, Professor. Halle a. S. Dr. Ritz, Oberlehrer. Bremen. Dr. Sachs, C, Professor. Brandenburg. Dr. Sanders, D., Professor. Alt-Strelitz. ,, S a V i n i , Emilio, Prof essor. Turin.

Dr. Scheffler, W., Professor am Pol}i.echnikuni. Dresden. ., Schulz, A. (San-Marte), Geh. Regierungsrat. Magdeburg.

Schwob.- Dolle, Professor. Gotha. Dr. Sievers, F., Professor am Gymnasium. Gotha. ^ Dr. Sommermeyer, Aug., Braunschweig. ,, Dr. Soiinenburg, R., Direktor des Realgymnasiums. Lud- wigslust. Dr. Steudener, Professor. Rofsleben. Dr. Sy, L.-Ph., Professor am Polytechnikum, Geh. Hofrat.

Braunschweig. ,, Dr. Wag 1er, Oberlehrer am Gymnasium. Landsberg a. W. ,, Dr. Wiedmeyer, Professor. Stuttgart. Dr. Wilmanns, Professor an der Universität. Bonn.

Beurteilungen und kurze Anzeigen.

J. A. I^yttkens et F. A. Wiilif: Compte-rendu sommaire d'une traoscription phon^tique oifert an:i^ membres du VITI'" Con- gi-es des Orientalistes, Stockholm, Sept. 1889. Stockholm, Impr. centrale 1889. 12 S.

Da das überlieferte lateinische Alphabet nicht ausreicht, die verschie- denen Sprachen lautgetreu darzustellen, so hat man seit der Zeit von Ludolf, J. Wilkins, Meninski, Leibniz Versuche gemacht zu einer Er- gänzung desselben teils durch Bildung neuer Buchstaben, teils durch Einführung von Digraphen, teils durch Anwendung von diakritischen Nebenzeichen, unter welchen in neuester Zeit namentlich ein Vor- und Rückschiebungszeichen hervorzuheben ist. Auf dem ■'>. Orientalisten-Kon- gresse zu Berlin 1881 hatte der Oxforder Professor des Sanskrit Monier Williams die allgemeine Annahme eines Systemes diakritischer Zeichen empfohlen. Die Herren Lyttkeus in Norrköping und Wulff in Lund, welche durch ihr 1885 erschienenes Werk Sreuska spmkets LJiid/äm und andere sich daran anschliefsende Schriften als gründliche Forscher auf dem Gebiete der Lautlehre rühmlich bekannt sind, empfehlen, sich im ganzen an die von H. Sweet eingeschlagene Richtung anschliefsend, eine Ergänzung des lateinischen Kursivalphabets durch Antiqua- und durch griechische Buchstaben, ferner dadurch, dafs sie die Buchstaben teils mager, teils fett, teils aufrecht, teils umgekehrt gestellt anwenden. Ihre Tabelle zeigt so 108 alphabetische Zeichen, 1:^.7 Konsonantenzeichen und Gl Vokalzeichen, ohne // und die nasalen Vokale zu rechnen. Jedes dieser Zeichen hat eine feste, auf einer genauen Analyse der Artikulation gegründete Bedeutung. Wie genau die Verfasser in dieser Beziehung verfahren, wird aus der folgenden Aufzählung der Artikulationen der Konsonanten hervorgehen. Sie unterscheiden nach dem aktiven und pas- siven Organ: I. Labiales: extralahiafes, bilahialrs, denfilabiaks. 11. Äpi- falea: pnrdentales, postdcnfalc><, suprudcniaks, mcKniltutJcü. III. Prtf- dorsales: ex/raalceolares, pirealveolare^, mcdioalreularcx, postahrolares, cerebrales. IV. Mediodorsales: prcrpalatules, viediopalatales. V. Posf- dorsales: postpalafaks, vclares. VI. Radleales: gafturales, faucales.

Neu ist dabei die Abteilung der ea-trolabt'ales. bei welchen die l'iiter-

Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV.

14G l>('iirtciliiii<iiii un<l kiir/.c AM/.(.;ijr<'ii.

lippe ül)cr die OluTlij)]«' in die Jlidic goscliolxii ist: t-ine Artikulation, weicht' WuUr iu Spanien viel fach bcobaclitct hat. In betreff' der den- talen Frikativlaute dürfte für uns Deutsehe folgendes von Interesse sein. Die im gröfsereu Teile Deutschlands übliche Bildung des Vorlautes im Anlaut von Wörtern wie dark, spät ist von den Verfassern als prcedorsal- mcdioalreolar bestimmt und durch umgekehrtes grieeh. ^ bezeichnet, unter- schieden einerseits von .s- und andererseits von unserem gewöhnlichen «. Dieselbe Artikulation findet Wulfl' in seiner Schrift T^)i rhajiitrc pho- uetiqiie aiKlcdfnisr im l'ortugiesischen ihnafos, nrredorcs). Den entsprechen- den stimmhaften Laut erkennt Wulff' im portug. desdr.

Nach der Biegung der Zunge unterscheiden die Verfasser l.oiirexe und konkave Frikativlaute; es fragt sich aber, ob hier nicht noch eine Zwischenstufe mit flacher gerade vorgestreckter Zunge anzusetzen ist,.wit; solche beim engl, fh und beim deutschen // (Grimms ahd. mhd. ge- schwänztes r. des Referenten marginale Artikulation) vorkommt.

Für die mouillierten / unterscheiden die Verfasser ital. yli von franz. / mouälc durch mehr nach vorn liegendes aktives und passives Organ; zwischen beiden soll nach Wulff das catal. // liegen. Ahnlich folgen sich nach Wulff die mouillierten n : ital. bafjno, port. urhtho. frz. sifirip.

Für die Vokale berücksichtigen die Verfasser die Bewegungen der Zunge und der Lippen ; sie bieten darin manches Neue und Eigentüm- liche. Zu bemerken ist dazu, dafs die Bewegungen der Lippen keines- wegs als vollständig unabhängig von den Bewegungen der Zunge anzu- sehen sind, doch ist der dabei waltende organische Eiuflufs des einen auf das andere bisher noch nicht genügend festgestellt. Zur Unterscheidung der steigenden und fallenden Diphthonge wenden die Verfasser eine dahinter- oder davorgestellte halbe Parenthese au.

Die /i-Laute werden als eine besondere dritte, weder zu den Vokalen noch zu den Konsonanten gehörige Lautklasse hingestellt, für welche das Zeichen h unverändert beibehalten ist. Zu dem Alphabete kommen noch Nebenzeichen für die musikalische und dynamische Accentuation und für die Quantität: ein Gebiet, auf welchem die Schweden besonders rege gearbeitet und auf dem die Verfasser eine besondere Meisterschaft erlangt haben. Die dafür gewählten Zeichen sind umgekehrte Interpunktions- zeichen.

Die Verfasser meinen, dai's ihr System leicht zu erlernen, leicht zu lesen, leicht zu schreiben und leicht zu setzen sei. Für den Satz wird allerdings dadurch wesentlich gewonnen, dafs mit Ausnahme etwa von p, d, nur in allen Druckereien vorhandene Zeichen angewandt sind; im übrigen wird dieses Trausskriptioussystem, wie jedes andere, seine eigentümlichen Schwierigkeiten bieten, und es fragt sich, ob nicht ein zweckmäfsig ausgewähltes System diakritischer Zeichen doch schliefslich die Oberhand behalten werde. Jedenfalls sind wir den Verfassern für den neuen Beitrag zur Lösung der schwierigen Aufgabe zu grofsem Danke verpflichtet.

Berlin. G. Michaelis.

Beurteiluugt'u und kurze Auzeigen. 147

Otto 'Jespersen : The Articulations of Speech Sounds representecl bv meaiis of Analphabetic Symbols. Marburg, Ehvert, 1889i 94 S.

Die bisher aus Licht getretenen Versuche, auf der Physiologie der Laute beruhende sogenannte organische oder genetische Schriftsystenie aufzustellen, wie solche von Brücke, Merkel, M. Bell, Eunipelt, Tech- mer gemacht sind, zeigten dem Verfasser alle verschiedene Mängel, und es schien ihm keines derselben zu einer allgemeinen Einführung ge- eignet; er hat deshall) versucht, einen neuen Weg einzuschlagen. Der allgemeine Gang der Schriftentwickeluug ist von dem Bilde aus zum Wortzeichen, vom Worte zur Silbe, von der Silbe zum Laute vorge- schritten. Die Transskriptionssysteme sind im allgemeinen bei der Zerr legung der W^orte in die einzelneu Sprachlaute stehen geblieben. Der einzelne Sprachlaut aber ist, vom genetischen Standpunkte aus betrachtetj noch ein kompliziertes Produkt verschiedener Faktoren, indem eine ßeihe von Organen zu seiner Erzeugung zusammenwirkt. Wir haben daher als letzte Elemente der Sprachanalyse nicht die einzelnen Laute zu betrach- ten, sondern die einzelnen Faktoren, durch .welche sie gebildet werden. 'Elemmit is ttsed in tfm paper in tlie sense of the aetion of one .of. th« Organs that coopercdc to produce a sonnd' 17 '). Während die verschie- denen stenographischen Systeme, um für ihre Zwecke die nötige Kürze zu erreichen, von der aliihabetischen Buchstabenschrift im allgemeinen wieder zu syllabischeu Bildungen geschritten sind, indem sie den Vokal mit dem Konsonanten in einem Zeichen darstellen, ist von Jespersen der Versuch gemacht, die Lautanalyse bis an ihre letzten Grenzen zu verfolgen und vor Augen zu führen. Wie der Chemiker, um die Zu- sammensetzung der Stoffe aus ihren Elementen zu bezeichnen, aus Buch- staben und Ziffern besteheude Monogramme verwendet, so sucht Jespersen die Sprachlaute durch Formeln darzustellen, welche auf die letzten Ele- mente ihrer Bildung zurückgehen. 'Wc »i,nsf in fad sipnbolixe not soiaids, imt Clements of sounds' {% 10). Zu diesem Ende weist er jedem bei der Artikulation beteiligten Organe eine bestimmte, durch einen griechischen Buchstaben bezeichnete Linie an. So bezeichnet a die Lippen, ß die Zungenspitze, ;/ den Zungenrückeii, S den weichen Gaumen mit dem Zäpfchen, e den Kehlkopf mit den Stimmbändern, c; die Atmungsorgane. Der Zungenrückeu hätte doch wohl vielleicht einer weitereu Einteilung bedurft. Unterabteilungen unter den drei ersten Linien («, ß, ;.) ent- stehen durch die verschiedenen Artikulationsstellen, welche durch kleine lateinische Buchstaben als Exponenten angegeben worden, der Reihe nach : labial a, b, c: a ■= the outer lip-jiosifion (Ups ponted), b = fhr ntiddlc lip- position (Ups iteutralj, c - tlic inner lip-i>ositinit (li/)S retracfcdj. -- d: inter- dental: — r: dental or postdental, pIc. Den Abstand des aktiven artiku- lierenden Organs von dem passiven zeigen Ziflern an, die arabischen für die Mitte des Muudes (central artictilation) von (i an für die VerschUii's- laute, 1, 2 . . . für die verschiedenen Grade der Entfernung; die römischen

10*

148 B('urt<'ihiii;r<'ii iiiid kiir/e Aiizeigfn.

zu beiden Seiten (hiferol, uliriiM' nrthnUüion). Wo es beiiueni ist, werden die verschiedenen IClemente nicht untereinander, sondern nebeneinander gesetzt. So erhalten z. B. engl. /, il, n die Formol: .^H' G7); frz. s (<;) in solle, chfcnre: [lief i% f)ö); engl. *• in shillluy: ßif'j 90), deutsch « in Schiller : «.'>'"' ßf y>ffi or somcihinfß likcthat ; ^rncke% s: fli ;'2</C§97). Der Verfasser führt uns dabei gelegentlich einen neuen eigentümlichen Zischlaut vor: 'The most adrauced s-smind in 3ii>: fhis isthe'agTaa' nhich ('hareiicey hos found in sonie Avmrlcan hngxage and uhich 'tie pranonce la langne entre fes dents et tmichaid de sa prmifc In lerre siiperienre' ' 98). Die Vokale sind eingeteilt in higli roucls, mid rmmls und Ion- eoivels. Der Vokal i (frz. fmij z. B. hat die Formel « I '• ße /3?/ oder 3/? 116). Dazu kommt für alle oralen Vokale A'O ti. Das nasale frz. d =r an ist: «8'"^ ßg y>'''ij ^'^ «' 109). Das glottidale Element des k ist e2 110). Auf die vielfachen Detailbestimmungen über die Konstruktion der Formeln kann ich indes hier nicht eingehen. Das ganze System der neuen Bezeichnung hat, wie schon aus den angeführten Bei- spielen hervorgehen wird, offenbar nicht den Zweck einer praktischen Transskriptionsmethode, sondern den eines Hilfsmittels zur Veranschau- lichung und zu einer theoretischen Verständigung über das Zusammen- Avirken der verschiedenen Faktoren zur Erzeugung der einzelnen Laute (vgl. § 12). Zu diesem Zwecke mufste aber das ganze System der Sprach- laute einer sorgfältigen Analyse unterworfen werden. Die Sprachforscher werden zwar ihre bisherigen Sv'steme der Transskription ruhig weiter ver- folgen, sie werden aber aus der genauen Auseinanderleguug der einzelnen Lautfaktoren, wie sie Jespersen vorführt, manche nützliche Anregung gewinnen. Die Bedeutung des Werkes beschränkt sich so keineswegs auf das neue Bezeichnungssystem, sondern geht wesentlich weiter. Der Ver- fasser geht auf viele für die Lautbildung in Betracht kommende Fragen ausführlich ein, unterwirft die Ansichten seiner Vorgänger einer sorg- fältigen und genauen Kritik und nimmt zu denselben Stellung. Beson- ders hervorzuheben ist seine Auseinandersetzung über die Vokalsysteme von Bell -Sweet, Ellis, Techmer u. a. Es werden liier vielfach neue Gesichtspunkte geltend gemacht; so ist z. B. mit Kecht darauf hinge- wiesen, dafs wegen der eigentümlich gekrümmten Form des Gaumen- daches der höchste Punkt der Zunge nicht immer identisch ist mit dem dem Gaumen nächsten. Sehr gründlich ist die tenuis-media-Frage be- sprochen. Der Verfasser zeigt sich überall als ein feiner Beobachter, und wir können nur wünschen, dafs seine scharfsinnigen Ausführungen, deren nähere Auseinandersetzung wir indes den speciellen Fachblätt^m über- lassen müssen, aufmerksame Leser finden und dazu mitwirken mögen, dals die Gegensätze, welche noch in der Auffassung des Lautsystems vorhanden sind, sich immer mehr ausgleichen.

Dankenswert und willkommen ist auch der Anhang, welcher eine Zusammenstellung der Terminologien der verschiedenen neueren Pho- netiker giebt. Dafs ein Bedürfnis vorliegt, hier auf eine Einigung hin- zuarbeiten, wird wohl allgemein zugestanden werden; vor allem ist, wie

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auch der Verfasser bemerkt, zu wünschen, dafs der Mifsbrauch, welcher mit dem Worte gitttural noch immer getrieben w-ird, recht bald beseitigt werde.

Berlin. G. Michaelis.

Über die Bildung der Begriffe, eiu etvinologi.sch - vergleichendes Wörterbuch aus allen Sprachgebieten von Aug. v. Edlinger. 1. Lieferung (A). Mit einem Anhang: 1) Beiträge zur deut- schen Etymologie. 2) Zur Frage über den Ursprung der Sprache. München, L. Finsterlin, 1889. 72 S. 8.

Herr Aug. v. Edlinger hat 188(J eiu Büchlein herausgegeben, Erklä- rung der Tiernamen aus allen Sprachgebieten, ein vergleichendes Tier- wörterbuch, wie es genannt wurde, das sich guter Aufnahme erfreut und den Verfasser 'ermutigt' hat, weiter auszuschreiten und 'eine allgemeine sprachgeschichtliche Darstellung sämtlicher in die Urzeit des Menschen- geschlechts reichender Begriffe, insbesondere der Tier-, Pflanzen- und Mineralbezeichnungen und ähnlicher Kulturbegriffe' in Wörterbuchform zu geben. Wir erhalten in dem ersten Hefte eine Sammlung mit a an- lautender Worte, die grölstenteils der Tier- und Pflanzenwelt angehören. Dazwischen kommen Worte wie ahnen, Hknlkh, ändern, anfmujen, ange- nehm, antworten, auf, aus, Aussat:, vor, von denen man zweifeln darf, dafs sie sämtlich Urbegriffe der Menschheit ausdrücken. Auch die auf- genommeneu Tiernamen (z. B. Arniadülj bezeichnen nicht durchaus die ältesten Wesen ihrer Wesenreihe. Unter den einzelnen 'Begriffen' nun werden aus den Sprachen, die dem Verfasser erreichbar waren, die ver- wandten Worte aufgeführt. Mit Vorliebe sammelt er tinuisch-türkische, indem er die türkischen Sprachen für Verwandte der indogermanischen hält. Er behauptet damit etwas, das erst erwiesen werden müfste; vor- läufig mag er einfache Verwerfung seiner Behauptung hinnehmen. Seine Etymologien sind bei der Buntheit seines ^Materials oft selber recht bimt. Man sehe sich nur den Artikel Halm, Henne, Huhn (S. 45) an, oder den Artikel Elf (^. 41)1 Ich glaube auch, dafs jedem, der den Anhang 11 zu lesen versucht, es wie dem Referenten ergehen wird, dem Mühlräder durch seinen Kopf zu gehen begannen.

Berlin. Karl Weinhold.

Georg Wagner: Streifzüge in das Gebiet der deutsclien Spraclic. Eine Zusammenstellung deutscher Wortfamilien. Hamburg, Meilsner, 1889. IV u. 844 S. 8.

Das vorliegende Buch wendet sich an Uugelehrte. Sein Verfasser schreibt griechische Wörter mit lateinischen Buchstaben und erklärt mit Vorliebe Fremdwörter, welche den Stempel ihrer Herkunft aus dem Griechischen und Lateinischen an der Stirue tragen. Er gesteht auch selbst, keine gelehrten Forschungen angestellt, sondern nur die Funde

l.'iO BoiivtoiIuiij.''''H und kurze An/oijrf-n,

henifciior Forscher vereinijrt zu liii])on. Er ordnet eine Anzahl Sippen deutscher imd entlehnter W<')rter alphabetisch und erläutert sie nach Ab- stammung, Verwandtschaft und Bedeutung. Vorausgeschickt sind Be- merkuügen über den Bau und die Entwickelung der Sprachen im allge- meinen und der germanischen und hochdeutschen im besonderen, sowie über Fremd- und Lehnwörter. Der Verfasser steht hier zum Teil atif veraltetem Standpunkt, der sich auch darin zeigt, dafs er die Verbal- formen noch für die Quellen der Noniinalbildungen hält, und auch sei- nen Etymologien ist nicht überall zu trauen. Landläufige Bücher wie Pauls Principien der Sprachgeschichte, Behaghels Deutsche Sprache, ja selbst Kluges Etymologisches Wörterbuch scheinen ihm unbekannt ge- blieben zu sein, denn sonst würde er wohl nicht das Orimmsche und Weigandsche Wörterbuch gerade als etymologische Hilfsmittel nennen: nach dieser Richtung genügt weder Weigand mehr, noch die älteren Bände des grofsen Deutschen Wörterbuches. Immerhin hat der Verfasser mit Fleifs und Neigung für seine Muttersprache gearbeitet und deshalb soll ihm der Dank, der allen denen gebührt, Avelche die Liebe zu ihr und ihr Verständnis zu fördern bestrebt sind, nicht vorenthalten werdefi. Berlin. Max Roediger.

Sparren, Späne und Splitter von Sprache, Sprüchen luid Spielen aufgelesen im Ahrthal von Dr. P. Joerres^. Ahrweiler, Bonn,

1889. 42 S. 8.

Reste des einst grünenden Baumes des rheinischen Volkslebens in Sprache, Sprüchen und Kinderspielen versteht der Verfasser des Büch- leins unter den Sparren, Spänen und Splittern. Er ist kein Sprach- gelehrter, und seine sprachlichen Anmerkungen sind ganz dilettantisch. Dankbarer kann man für das im zweiten und dritten Abschnitt Gesam- melte sein. K. Wd.

Dr. Rudolf Schachinger: Die Kongruenz in der niittelhöchdeüt- sehen Sprache. Wien, A. Holder in Komm., 1889. YIII u. 114 S. gr. 8. M. 3,60.

Zum Gedenktage des achthundertjährigen Bestehens der ehrwürdigen und berühmten Benediktinerabtei Melk in Niederösterreich hat der Herr Verfasser der oben genannten Schrift ihrem Abt sein .splendid gedrucktes Heft dargebracht. Der Titel wrd erst aus den Überschriften der Abschnitte deutlich, welche die Kongruenz des Genus, des Numerus, des Kasus be- handeln. Darin hat der Herr Verfasser zu Regeln, die bereits von Jakob Grimm und Paul aufgestellt und mit Beispielen belegt waren, eine wei- tere grofse Zahl von Belegen zusammengetragen, meist ZutrefTendes, wenn auch nicht immer. So konnte z. B. in dem S. 17 angeführten Satz aus dem Gregorius ev ivas ein sim, (kix si gebar sich das Pronomen ver- nünftigerweise gar nicht nach sun richten. Gebar «ie einen der, so war

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 151

er selbstverständlich ein Soliu, und nur wenn der Dichter allgemein von 'einem Wesen' (dax) sprach, durfte und mufste er eine Erläuterung geben. Ebensowenig liegt 'eine Vernachlässigung der Kongruenz im Genus' vor (ebenda) in Sätzen wie dax /ras von Troneje Hatjcnc. da;, waren xtcenc künege : der Hinweis ist mit Absicht unbestimmt gehalten und soll im Folgenden erst präcisiert werden, oder die Beschreibung ging schon voran und da% fafst nur zusammen und nimmt von neuem auf, wie z. B. in der nerde dax sl Daxcwart oder der iu nicere lyritiget, dax bin ich (S. 19), wo au französischen Einflufs mit Wilmanus nicht zu denken ist; man erinnere sich nur des analog gebrauchten .so. S. 20 spricht der Herr Verfasser ganz richtig vom 'unbestimmt gesetzten Neutrum des Demon- strativs', welches aber nicht nur 'bei Aufzählung von Eittern', sondern von Menschen überhaupt angewandt werden kann. Bei den Beispielen dex sehste was Kdlogreaut u. s. w. hätte er des süddeutschen eins statt eine»' und solcher Fälle gedenken sollen, wie er sie S. 45 f. giebt. In den Versen ex leit Jäh (nicht lob) . . . den sicehtnom imd die smaeJieit, die er von der werlte leit kann der Relativsatz lediglich zu smdcheit gehören (8. ol). Kudrun 701, 4 siijen allenthalben HerwUjes helfe xna mufs ich helfe für einen Singular halten (S. 59). Ein sehr merkwürdiges Beispiel aus dem Parzival hat sich der Herr Verfasser da, wo er von singularischen Zahlsubstantiven mit dem Gen. Plur. und Verbum im Plural redet (S. 76 fF.), entgehen lassen, nämlich 18, 20 xa-elf wol (/ehorner Idnde riten. wo xwelf substantivisch gebraucht ist, gewissermafsen als 'Dodekade'. Gr. 4, 198 ist der eigentümliche Fall nicht richtig erkannt und unter- gebracht. Iw. o090 auch näht im bcese nuere soll im Anschluls an Gr. 4, 197 nach S. 82 bei einem Subst. iui Plur. ein Verbum im Sing, stehen. boese ist aber die unflektierte Form des Singulai's. B. 102 dem, sol ex allex dienen, die Hufe und onch diu lant soll einen 'gewagten' Singular ent- halten. Nur einen vorläuligeu, der nachher erst seinen Inhalt bekommt! Die Panische 'Eegel S. 107, Nr. "> hätte der Herr Verfasser nach den angeführten Beispielen dahin präeisiereu können, dals das Subjekt im Singular, welches eine pluralische Kopula in Anlehnung an ein plura- lisches Prädikat erträgt, ein neutrales Pronomen sein muls (z. B. dax du die tumben waren, die sint ...). Findet er derartiges 'noch bei Lessing', sieht also die Worte E'^ /raren wohl alles ihre y/iten Fron/de'^ für eine Altertümlichkeit au, so möchte ich wissen, wie er sich auch heute noch anders ausdrücken will? S. 108: Walther 51, :!1 im Streite der Blumen imd des Klees d/j bist kurxer, ich bi/i Im/ijer halte ich Komparative der Situation nach für ungleich wahrscheinlicher als flektierte Positive. Da- gegen braucht mau Walther 15, 82 sleld ////d ebe//er daitne ein xein so wenig die Komparativendung bei sieht für erspart anzusehen als im Parz. 57, 18 7/'/:; '/ind s/rarxrr /'anve er sche/'n die Flexion bei w/x (S. 114). Bekannt sind thatsächliclie Ersparuugeu der Art besonders aus Goethe-s Lyrik.

Eine Bereicherung luiseres Wissens verdanken wir dem Herrn Ver- fasser nur bezüglich des verbalen Numerus bei mehreren Subjekten von

152 ßeiirteilungcn uml kiirzo Anzeigen.

gleichem oder gemischtem XuiTieius (vS. 8()— 102), wo er über Gr. 1, l!>8 ff. liinausgekommen ist. Bei mehreren Subjekten im Singular steht gewöhn- lich auch das Verbum im Singular, im Plural meist nur, wenn die Aus- sage den Su})jekten nachfolgt (S. 90). Bei zwei Subjekten, wovon eins Singular, das andere Plural, braucht man den Singular des Verburas namentlich da, wo das Verbum dem singnlarischen Subjekt zunächst steht (S. 102). Für die ausgedehnte Lektüre des Herrn Verfassers, der nur die mhd. Prosa mehr hätte berücksichtigen sollen, ist dies Ergebnis winzig, und ich bedaure, dafs er seinen Fleifs nicht an ein lohnenderes Problem der Syntax gesetzt hat.

Berlin. Max Roediger.

Zur Kritik des Küreuberger.s. Von J. Hiu'ch. Liuz 1889. 4.3 S. 8.

Im Frühjahr 1S89 veröflentlichte ein bekannter Forscher in oberöster- reichischer Geschichte, Herr J. Strnadt, eine Schrift: 'Der Kirnberg bei Linz und der Kürenberg-Mythus. Ein kritischer Beitrag zu Minnesangs- Frühling (Linz 1889).' Mit reichlichem Pathos und Herbeiziehung von urkundlichem Material suchte der Verfasser zu erweisen, dafs die ritter- lichen Kürnberger, die im 12. .Jahrhundert genannt werden, entweder nach Altötting am Inu oder nach Kürnberg an der Mank in Niederöst^r- reich gehören; dals es in Oberösterreich ein ritterliches Geschlecht von Kürnberg nie gegeben habe und dafs das Schlofs Kürnberg bei Linz von einem Herrn von Traun erst am Anfang des lo. Jahrhunderts erbaut worden sei. Der Liederdichter von Kürenberg sei fortan nicht mehr in Oberösterreich zu suchen ; wahrscheinlich gehöre er, wie schon v. d. Hagen angenommen, der Breisgauer edlen Familie au. Es war begreiflich, dafs die Oberösterreicher sich diese Beraubung nicht ohne Widerspruch bieten lassen würden, zumal nicht allein der alte Liedersänger, sondern zugleich der Dichter des Nibelungenliedes nach mancher Meinung aus der Reilie ihrer Landsleute damit gestrichen wurde. Diesen Widerspruch erhebt nun in der vorliegenden Schrift ein junger studiosus philologiae, eigentlich wohl histori», da er selbst einräumt, auf dem Gebiete der germanischen Philologie nicht recht zu Hause zu sein, was wir ihm gern glauben. Herr Hurch zeiht nun Herrn Strnadt ungründlicher Benutzung der L^r- kunden und höchst gewagter Denkoperationen und führt aus, dafs weder in dem Kirnberg bei Altötting noch in dem an der Mank jemals ritter- liche Leute gesessen haben, dafs es dagegen im 12. Jahrhundert ein ade- liges Geschlecht in Oberösterreich gab, die Herren von Traun, die sich auch nach dem Kürenberg bei Linz nannten, auf dem sie seit alter Zeit eine Burg besafsen. 1206 ist dieselbe urkundlich bezeugt. Da aber die Anlegung neuer Burgen weder im Anfang des 1?>. noch in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts nach den Landesgesetzen unter den Bedin- gungen gestattet war, die sich für die Burg Kürnberg ergeben, so mufs dieselbe schon weit früher bestanden haben.

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 153

Wir werden Herrn Hurch in seiner historischen Polemilc gegen Herrn Strnadt beipflichten dürfen. Seine Ausflüge auf das litterarhistorische Feld wären besser unterblieben.

Berlin. Karl Weinhold.

Zum Rosengarten. Untersuchung des Gedichtes 11 von Dr. Georg Holz. Leipzig, Fock, 1889. 151 S. 8.

Eine gründliche und sorgfältige Untersuchung des handschriftlichen Materials der Klasse II (W. Grimm D) des Gedichts vom Rosengarten zu dem Zweck geführt, durch die textkritische Prüfung der Überlieferung eine sichere Grundlage für die Ausgabe dieses Textes zu geben. Zu diesem Zweck wird das Material vorgelegt, in Klassen geordnet, das Verhältnis derselben zueinander geprüft und alsdann jede Redaktion im einzelnen genau durchgegangen. Es ergiebt sich, dai's IIa, die ausführlichere Recension, auf Grundlage der Handschrift b (Grimm Dd) unter Herbei- ziehung von s (Grimm Db) und h (Grimm Da) in der Ausgabe wieder- zugeben ist. K. Wd.

Friedrichs des Grofsen Schrift über die deutsche Litteratur. Von Beruhard Suphau. Beriin, W. Hertz, 1888.

Man möchte erst vermuten, wieder erhielten wir eine heftige Gegen- schrift gegen die Schrift des grofsen Königs oder eine Untersuchung nach dem Woher? und Inwiefern? Wie angenehm täuscht der Titel! Weit, weit mehr bietet uns aus dem reichen Schatze seines durch bisher unbe- kannten Stoff vermehrten Wissens mit fesselnder Kombination der Ver- fasser; aus dem engen Berliner Kreise treten wir heraus, halten Rund- schau im ganzen Deutschland, vom höchsten Punkte aus übersehen wir die ganze Bewegung, die die Schrift des Königs hervorgerufen hat, aber immer Avieder haftet der Blick auf dem geistigen Mittelpunkte Deutsch- lands, auf Weimar, auf der Person Goethes. Das nicht umfangreiche Buch bedarf nicht der Empfehlung; sowie man zu lesen angefangen hat, bleibt man von Anfang bis zu Ende gefesselt, kann sich nicht losreifsen und sagt am Schlüsse für die Fülle der Belehrung dem Verfasser Dank.

Möge die Hoffnung desselben, dals Goethes auf die Schrift des Königs sich beziehende Schrift noch irgendwo aufgefunden werde, in Er- füllung gehen! Wo ihrer Erwähnung geschieht, verfolgt der Verfasser sorgfältig. Von Anfang 1781 an unmittelbar nach Erscheinen des fran- zösischen Buches lesen wir von ihr, zuerst in Goethes Tagebuch ; die Ge- sprächsform hatte der Dichter gewählt. Noch jetzt ist die Schrift des Königs beherzigenswert, sie war es um so mehr damals ; Friedrich ist keineswegs nur ein kleinlicher Tadler, er weissagt der Sprache und Litte- ratur seines Volkes eine grofse Zukunft, Beachtung von dem Auslande: seine Prophezeiung h.it sich glänzend erfüllt. Mit vielen Gedanken seiner

IT)! I')CUii('iIiinL''cii lind kurze Aiizrigcn.

Kegieruiig aiit die Wisseuschfiften und der Wissenschaftien auf flic Kcgie- rung, schon 176(5 seine Sclirift über die neuere deutsche Litteratur; nun war auch Wielauds Ohcron erschienen. Goethe, Herder, Wielaud waren vom Könige nicht beachtet, sie waren verstimmt. Der Hof in Weimar war fritziscli gesinnt, wie <]er von Brauiiscliweig; auf liestelhing schrieb hier Jerusalem seine Verteidigungsschrift 'Über die teutsche Sprache und Litteratur' 17(il, höflich, aber matt; Goethe und Herder spielen bei ihm keine Rolle. Goethe hatte sein Gespräch handschriftlich auch nach Gotha an den Hof geschickt; Prinz August von Gotha hat Ende 1780, wie wir hier erfahren aus einem der vielen noch ungedruckten Briefe an Herder, obschon er es noch nicht gelesen, die VeröfTentlichung für unzweckmäfsig gehalten; Goethe ist dem Rate gefolgt; er ist zurückhaltender geworden tind hat den König nicht verkannt.

Die Handschrift aber war in vielen Händen gewesen, bei Frau von Stein, der Herzogin, Knebel, Herder, aus dessen ungedruckten Briefen es dem Verfasser gelingt, manches von der Schrift zu rekonstruieren, dafs sie nämlich ein heiteres Gespräch in einem Frankfurter Gasthofe war; den ursprünglichen Plan, ein zweites Stück folgen zu lassen, gab Goethe auf.

Wie aber weiterhin das Buch des Königs wirkte, darüber macht der Verfasser meist aus ungedruckteu Briefen die interessantesten Mittei- lungen : Hamann, Karl Friedrich von Moser sind erbittert, Herder wurde zur Fortsetzung seiner Fragmente angeregt, Klopstock ergrimmte, Gleim trauerte, in Weimar schwieg man vornehm, Goethe legte sein Endurteil über den König in seiner Biographie nieder. Manche hatten an Joseph H. als Mäcenas der deutscheu Litteratur damals gedacht, Klopstock, auch einmal Herder, aber nur für einen Augenblick, dann war er wieder preu- fsisch gesinnt; aber Karl Friedrich von Baden trat ihm näher, für ihn ist der Plan einer deutschen Akademie ausgearbeitet mit ähnlichen Ge- danken, wie sie in Friedrichs IL Schrift angedeutet sind. Nach allen Seiten hin hat also das böse Buch des Königs anregend und befruchtend gewirkt.

Herford. Ludwig Hölscher.

Die Erklärung deutscher Schriftwerke in den oberen Klassen höherer Ijchranstalten. Grundlinien zu einer Systematik. Von Dr. Paul Goldscheider, ord, Lehrer am Realgymnasium zu Mülheim a. Rh. Berlin, R. Gaertner, 1889.

Die vorliegende Arbeit bezweckt, alle auf die Erklärung deutscher Schriftwerke bezüglichen Fragen einheitlich zu entwickeln, und zwar von einem Gesichtspunkte aus, der in dieser Schärfe und Durchführung bis- her kaum angewendet worden sein dürfte. Der leitende Grundsatz ist der ästhetische; das betreffende Werk ist jedesmal in derjenigen Folge zu entfalten, wie sich dem schaffenden Künstler selbst die Merkmale seiner Schöpfuug erschliel'seu muf'steu.

Beurteilunjren und kurze Anzeigen. 155

■' In neun Kapiteln behandelt der Verfasser dieses Thema. Nachdem er in dem ersten 'Die rhetorisch-sophistische Behandlung' den verderb- lichen Einflufs der lateinischen Rhetorik auf den deutschen Unterricht bezeichnet und namentlich ein durchaus zutreffendes Bild des 'deutschen Aufsatzes' an der Hand der geistlosen Chrie und der üblichen Topen der Einleitung und des Schlusses entworfen hat, kommt er zu der bestimmten Forderung, dafs der Aufsatz im Gegensatz zu blol's formaler Schulübung in die engste Verbindung mit den nach Inhalt und Form zugänglichen deutschen Schriftwerken zu treten habe. Somit erweitert sich das Thema, indem die Abschnitte II bis VJII der Behandlung der Schriftwerke ge- widmet sind und Kapitel IX zum Aufsatz zurückkehrt, der als 'ein Spiegelbild, ein AViederschein' des geleseneu Werkes erscheint.

Die Erklärung deutscher Schriftwerke steht im Mittelpunkte des deutschen Unterrichts. Voraussetzung für dieselbe ist eine vorläufige Aneignung des Ganzen. Indem nunmehr das Einzelne im Verhältnis zum Ganzen erscheint, wird der Begriflf der Entfaltung eines kunstvoll gestalteten Organismus gewonnen, der gerade die Eigenart des deutschen Unterrichts ausmacht, während sich seiner Erwerbung in den fremden, namentlich alten Sprachen teilweise unübersteigliche Hindernisse in den Weg stellen.

Das wertvollste Material für diese Behandlungsweise bietet das Drama. Wie die Haupthandlung als JMittelpunkt des Ganzen zunächst heraus- zuschälen sei, wie die Nebenhandlungen sich dazu verhalten, wird an vielen Beispielen in II durchgeführt. Während die Feststellung der Haupthandlung das Verständnis von vornherein auf den rechten Weg leitet und verhängnisvolle Irrtümer (Teil I) ausschliefst, so dienen die Nebenhandlungen dazu, die Fülle des StofTes zum Ausdruck zu bringen, (1. h. den Kulturhintergrund in seinen vielseitigen Beziehungen zu zeich- nen, von welchem die Begebenheit sich abhebt, und durch welchen das moderne Drama sich von dem antiken wesentlich unterscheidet (Ab- schnitt III). Aber nicht der Stoff' hat das Drama erzeugt, .«oudern be- stimmte Handlungen, die zur dramatischen Wiederbelebung herausfor- derten (die Thaten des Dionysos, die Leiden Christi). Das Drama aus- schliefslich zur Verherrlichung berühmter Personen, zur Erweckung der Väterlandsliebe benutzen zu wollen, hiefse dem Stofi' zum Siege über die Handlung verhelfen. In diesem Sinne könnte man Maria Stuart für ein katholisches Tendenzdrama, Iphigenie für einen Versuch zur Zurückfüh- rung der griechischen Götterverehrung ansehen. Manches Beherzigens- werte sagt der Verfasser hier über die scenische Ausstattung unserer Dramen, die den Hintergrund fast allzusehr zu betonen geneigt ist, sowie besonders über die verhängnisvolle Anschauung neuerer Dramendichter, als decke sich die Tragödie des Lebens mit der Tragödie der Poesie, und gewisse bedenkliche Gegenstände, in denen etwa, wie in Ibsens Ge- spensteni, das unabänderliche Naturgesetz (Erblichkeit) an die Stelle de« antiken Fatums tritt, finden ihre wohlverdiente Abfertigung. Creriet schon bei den Alten tlie Verworrenheit und der Dunst des Alltagslebens

In6 IJcurtciliiii.ircii und kiir/.f Aii/.cijr'Mi.

im Drama in Vergessenheit, so verlangt in noi^ii weit höherem Malse das moderne Drama eine über das Gewöhnliche und Gemeine erhebende Poesie.

Wurzelt die Handlung auch in den Kulturverhältnissen einer be- stimmten Zeit, so sucht die dramatische Wirkung gleichwohl die letztere der ersteren dienstbar zu macheu. So wird <ler Stoff gleichsam in Hand- lung umgesetzt, wie dies au Iphigenie und Maria Stuart ausgeführt wird.

Hat die neuere Ti-agödie für die religiös -gnostischeu Bestandteile keine besondere Stellen mehr, wie die autike in ihren Chören, so liegt doch gerade in deinen engerer Verbindung mit der Handlung ein grofser Vorzug. Gefährlich aber erscheint es, die 'Sentenzen' aus ihrem Zusam- menhange zu reifsen, in dem allein sie ihren Wert haben.

Durch die Handlung empfängt auch der (,'harakter seine Zeichnung flV). Aus ihr erwächst nach dem alten Gesetz vom Spieler und Gegen- spieler die Gruppierung sämtlicher Charaktere, ilire Schattierung. Aus der Handlung erklären sich die Charaktere leicht und zwanglos. Ihre Betrachtung hat daher nicht nach wissenschaftlicher Art von dem Kern der Persönlichkeit aus die einzelnen Bezüge zu entwickeln, sondern mufs, wie der Künstler selbst, die ganze Person im Auge haben und ihre ver- schiedenartige Aufserung unter der Gewalt fremder Einflüsse beobachten.

Ebenso natürlich gestaltet sich die Vorstellung von der Gliederung des Kunstwerkes (V). Nicht veraltete Formeln und Regeln, ein Not- behelf derer, denen es unbequem ist, sich in die Sache zu vertiefen; son- dern ruhige Entfaltung, auf die natürliche Empfindung des Gesetzmäfsigen gegründet: das ist das Hilfsmittel einer wirklich fruchtbaren Belehrung. So wenig freilich der Dramatiker der Rücksicht auf die wirkliche Bühne entraten kann, so wenig darf der Erklärer die Bedürfnisse derselben ganz vernachlässigen. Der kunstvolle Aufbau soll nicht nur logisch, sondern im Lichte lebendiger Verwirklichung empfunden werden. Die Frage nach Zalil und Bedeutung der einzelnen Akte erscheint müfsig; Klarheit und Übersichtlichkeit sind allein malsgebend.

Vortrefflich ist, was der Verfasser in Kapitel VI über die ästhetische Schrifterklärung nach der Seite der Sprache und über die Sprache des Dramas im besonderen sagt. Erst nachdem Handlung, Charaktere und alle Bezüge feststehen, prägt der Dramatiker Gedanken und Empfindun- gen in der Sprache aus, und seine Arbeit zeigt sich uun als Sprach- schöpfung. Im Kleinen hat selbst der Schüler diese Thätigkeit nachzu- ahmen. Die Bedeutung des Dramas für ihn geht daraus hervor, dafs die dramatische Sprache der wirklichen Sprache des Lebens näher steht als die Sprache der anderen Dichtgattungen, ohne deshalb im Alltäglichen aufzugehen und das Ideale darüber einzubüfsen. Durch den ästhetischeu Gesichtspunkt gelangt auch das laute Lesen zu seiner Bedeutung. Wenn das Wohlgefallen an lautlich reiner Form, die Empfindung für den sprach- lichen Rhythmus geweckt wird, so ist damit mehr gewonnen als durch Erlernung metrischer Regeln und strophischer Schemata.

In Kapitel VII ('Der Gesichtskreis') wendet sich der Verfasser zu der Frage, wie es der Lehrer mit dem Urteil seiner Schüler zu halten

Beiirteihvngen und kurze Anzeigen. 157

habe. Sowohl die völlige Ablehnung desselben, wie die Überlieferung des fertigen Urteils wird verworfen, nicht minder die vermittelnde 'Litteratur- geschichte', wogegen einer Art von Propädeutik das Wort geredet wird, welche das Einzelne in immer bedeutenderen Zusammenhang zu rücken weifs. Vor encyklopädischer Vielheit warnend, will der Verfasser gleich- wohl zum Verständnis des Werkes den Welt- und Wissensumfang her- beiziehen, den die Studien der höheren Lehranstalten aufbauen. Die Ge- schichte ist unentbehrlich; die Begriffe von Staat, Sittlichkeit, Religion n. s. w. finden die gebührende Berücksichtigung.

So sind für die nunmehr zu besprechende Auswahl (VIII) die wich- tigsten Bestimmungen bereits getroffen. Hier nun findet der Verfasser Gelegenheit, seine Forderungen für den deutschen Unterricht bestimmter zu formulieren. Da die grofsen sprachlichen Schwierigkeiten eine kultur- geschichtlich-litterarische Vertiefung in die Antike unmöglich machen, wünscht er im Anschlufs an den deutschen Unterricht eine besondere Stunde, in der die fremden Werke in guten Übersetzungen inhaltlich gewürdigt werden können. Da ferner die philosophischen Vorstudien aus einer blofsen Lektüre Piatos und Ciceros wenig Nutzen ziehen können, so verlangt er eine weitere wöchentliche Stunde für die Lektüre eines philosophischen Lesebuches. Jedes darin zu bietende Stück bildet ein Ganzes, welches, ohne eine eingehende Kenntnis des Systems voraus- zusetzen, einen Blick in die Hauptrichtung des Pliilosophen thun läfst. Xenophanes, Horaz, Rousseau, Spinoza (Ethik), Kant werden aufgeführt, woraus sich der historische Gesichtspunkt ergiebt. Das Ziel des Ganzen darf weder die Verherrlichung eines bestimmten Systems sein, noch darf es auf ein negatives Ergebnis hinauslaufen, sondern die menschliche Seele in ihren wunderbaren Kräften, aus der Wirklichkeit Nahrung ziehend, aber nach dem Ewigen ringend, mufs daraus hervorleuchten.

Den Hauptgegenstand des deutscheu Unterrichts bildet selbstver- ständlich unser ästhetisches Zeitalter, dessen Bedeutung für die Gegen- wart der Verfasser scharf und klar ausspricht. Da aber ein gedanken- loser Kultus der grofsen Namen auch heut nicht selten ist, so erscheint die Frage: 'Was hat unvergänglichen Wert, und was können wir fallen lassen?' noch immer nicht überflüssig uud findet eine eingehendere Be- antwortung, wobei manche Gegenstände unserer Primancrlektüre gebüh- rende Beschränkung finden. Auch die Lesebuchfrage kommt zur Erwäh- nung. Wir pflichten dem Bedauern des Verfassers bei, dals es zur Zeit noch an theoretischen Vorarbeiten für ein wirklich brauchbares Lesebuch fehlt. Denn ein solches würde für die sprachliche (tewandtheit von grofsem Gewinn sein. Es niülstc freilich den litterarischen Doiikmälern bis in die Gegenwart gerecht werden. Der ästhetischen I>itteratur der soge- nannten Epigonen will der Verfasser sogar noch eine bosoiulere Lehr- stunde gewidmet wissen, wodurch ein wohlthätiger ^Vechsel als Gegen- gewicht gegen die schulmäl'sige Starrheit geschaffen wäre. Der deutsche Unterricht würde dann freilich sechs wöchentliche Stunden umfassen, ein Ideal, an dessen baldiger Erreichung der Verfasser sell>st mit Grund zweifelt.

1")S Rcurtciliiiijicii ihkI kurze Aiizcii^en.

Zum (k'ut.sclieii Aufsjil/ wendet sicli endlicli Kajjitel iX. Die •ver- schiedenen Stoffgebiete, die demselben naeli und naoli zugewiesen worden sind, werden besjjrochen. P^twiis abweisend verhält sich der \'erfasser gegenüber den Naturwissenschaften, von denen er eine Benachtt'iligung des Ästhetischen befürchtet. In keinem Falle hat sich der deutsche Lehrer auf die Thätigkeit eines Kollegen zu stützen ; sein Stoff" muf« selbst erworben sein. Nach Form und Inhalt Niederschlag der Lektüre zu sein, das bleibt, wie eingangs erwähnt, der Hauptzweck des Aufsatzes. Die Forderung der persönlichen Anteilnahme für jede Aufgabe wird so am leichtesten erreicht. Verlaugt die Btisprechung eines Wei'kes zunächst die Ermittelung des innersten Kerns, so fordert der Aufsatz zuerst Ver- tiefung in den Sinn des Themas. Die Darstellung ergiebt sich nach dem Gesichtspunkt der Stetigkeit. Ihre Form hat, ohne die Anmut verbannen zu wollen, das Notwendige über das Schöne zu setzen ; .sie knüpft nicht sowohl an die prunkvolle Rede, als vielmehr an die wissenschaftliche Ab- handlung an. Die Einleitung hat nach dem Vorbilde der dramatischen Exposition in das Wesen des Themas eiuzuführeu, der Schhifs anstatt der im Munde des Schülers geradezu widerwärtigen Paränese den sinu^ vollen Blick in die Ferne im Chor der alten Tragödie zum Vorbilde. Im Schlufs ist dem Schüler Gelegenheit geboten, seiner eigenen Teilnahme Ausdruck zu verleihen. . >

So berührt der Verfasser in der That alle Fragen, die bei der Erklä- rung deutscher Schriftwerke und für den deutscheu Aufsatz in Betracht kommen können, und behandelt sie mit einer Gründlichkeit und Einheit» lichkeit, mit einer Klarheit in der Erfassung der Zwecke . unserer höheren Lehranstalten, die seiner Arbeit einen hohen Wert verleihen, der dadurch vermehrt wird, dal's er mit dem verrotteten Alten rücksichtslos bricht und überall den hauptsächlich von Hildebrand verfochteueu geläutertoii Ansichten über den I'nterricht in der Muttersprache Rechuuug trägt.

Berlin. Fi-. Bachmann.

Entwürfe zu deutschen Aufsätzen und mündlichen Besprechungen für die Sekunda von Dr. R. Paukstadt. Dessau, Paul Baü- mann, 1889.

Unter diesem Titel bietet der Verfasser die Früchte eigener laug- jähriger Erfahrungen in Form eines wertvollen Hilfsbuches für den Unter- richt dar, welches dem Mangel au guten Büchern für die 'Sekunda' ab- helfen soll. DemgemäCs sind die Stoffe, welche, mit Ausnahme der Odyssee, der Edda und der Frithjofsage, der deutschen Litteratur -ent- stammen, zum gröl'sten Teil aus dem Gebiete des Epos entnommen. Von der Lyrik kommen hauptsächlich Volkslied, Ballade, Fabel, Legende zur Verwendung, während die engere Gefühlslyrik, wenn man nicht Goethe» 'Nektartropfen' und Schillers 'Eleusisches Fest' hierher rechneu will, sich auf Körners 'Leier und Schwert' beschränkt. Auch das Drama tritt, weil mehr der Prima zugehörig, in den Hintergrund. Nur 'Maria Stuart'

BeurteiUiiiiioii uud kurze Anzeigen. 159

rtudet in vier, 'Die Hermanusschlacht' H. v. Kleists in einem Entwürfe Berücksichtigung. Dagegen suciit der Verfasser der bisher ziemlich A'er- nachlässigteu Prosalitteratur einigermafsen gerecht zu werden, denn 'auf diesem Gebiete liegen noch zahllose uugehobeue Schätze. Sie sind um so empfehlenswerter, als die vorbildliche Form, die der Schüler in bedeu- tenden Prosaikern rindet, auf seine Darstellung einwirken mufs'. So linden wir denn den Sänger Volkmar (Ingo) mit Demodokos verglichen (Stück :^.7), ebenso Wolf (Verbrecher aus verlorner Ehre) und Kohlhaa*; (Stück 5ö), Chamisso und seinen Peter Schlemihl (Stück Ö<i). Stück 52 giebt den Gedankengang des Schillerschen Aufsatzes 'Über Völkerwande- rung, Kreuzzüge und Mittelalter', Stück 5?> behandelt Kaiser Lothar nach Schiller, und Stück 57 disponiert Herders Eede über die Geographie.

Endlich kommen auch Xatur, Moral und Logik selbständiger in den letzten neun Stücken (58 bis "iO) zur Geltung. Eiuflufs von Wald und Klima auf Natur und Kultur, drei Aussprüche, worunter zwei Sprich- wörter ('Not bricht Eisen' und 'Wie man in den Wald ruft' u. s. w.), 'Entdecken und Erfinden', 'Was ist Begeisterung?', das sind die Themata dieser Abschnitte, denen sich ein Kapitel über Herodot, zur Erkenntnis der Unterschiede zwischen 'Übersetzung' und 'Verdeutschung' der Fremd- sprache, in Stück Gl wirksam auschliefst.

Der Charakter des Volksliedes wird in Stück :3S au der ersten Ab- teilung der 'Stimmen der Völker' entwickelt. In Stück 39 wird 'Erlkönigs Tochter' mit 'Erlkönig' verglichen, eine sicherlich dankenswerte Aufgabe. An Lessiugs Fabeln schliefsen sich die Stücke 41 und 42 an, ersteres die Lessingsche Definition an dem 'Besitzer des Bogens' prüfend, letzteres die Moral von 'Zeus und das Pferd' entwickelnd. Stück 28 untersucht die Erzählung 'Der Bauer und die Schlange' aus Reineke Fuchs uud kommt zu dem Schlüsse, dafs .sie trotz gew-isser an die Fabel streifenden Teile als Fabel im ganzen nicht zu bezeichnen sei. Gellerts und Lessings Fabeln werden in Stück 43 verglichen. Mehr litteraturgeschichtlich sind die Absclinitte 1 : 'Die Entwickelung der ältesten Poesie bei den Griechen und Deutschen', und 44: 'Die Legende'.

Dem Epos sind nicht weniger als 35 Stücke gewidiuet, und zwar 5 der Odyssee, 3 der Pxlda ('Weltmythus in der Völuspa', 'Schirners Fahrt', die 'Heimkehr des Hammers'), je eines dem Hildebrands- und Waltari- liede, 10 dem Nibelungenliede, 4 der Gudrun, ■> dem ßeiueke Fuchs, je eines dem Paraival, dem 'Armen Heinrich', dem Annoliede, Herders Cid, der Frithjofssage, Vossens 'Luise' und Goethes 'Hermann uud Dorothea'.' Vergleichuugen bieten sich besonders in Stück 14 tKrionilüld und die Gudruna der Eddaj, Stück 2:') (Wate, Fnite und Horaud), Stück 25 (Gu- drun uud Nausikaaj und Stück 34 (Dorothea und Luise).

Man sieht aus dieser Inhaltsübersicht, dafs die Stotfc meist in glück- licher Weise mit dem Interessen kreise uud der Anschauung eines Sekun- daners in Einklang stehen. Überdies zeigt jeder einzelne Abschnitt, wie ernst uud gründlich der Verfasser .seine Aufgabe genommen hat, als deren Gesichtspunkte er selbst 'Gedankengang und Kompositiou;

160 lieurteiluut(en und kurze Anzeigen.

dichterische Motive und Zwecke, Darstellung, vergleichende CharaktenKtik' hinstellt.

Was die Länge mancher Stucke betrifft, die weit über das Mafs des 'Aufsatzes' hinausreicht, so giebt er zu bedenken, dafs dieselben 'nach der Lektüre des Werkes als zusammenfassendes Resultat der mündlichen Besprechung zu Grunde gelegt werden' sollen.

80 liefert denn das Buch eine reiche Fülle wertvollsten Materials und ist aul'serordentlich geeignet, dem Lehrer das Studium der betreffen- den Werke wie ihre Behandlung beim Unterricht zu erleichtern, und damit wäre alles in Odnung, falls der Verfasser eine 'Auswahl' der Stoffe gestattete. Das thut er aber nicht, denn er versichert in der Einleitung, alles das berücksichtigt zu haben, 'was der Schüler der Sekunda im Laufe von zwei Jahren zu seinem Eigentum machen soll'.

Von diesem Gesichtspunkte aus gewinnt die Sache eine recht bedenk- liche Gestalt. Wie der Sekundaner in zwei Jahren alle jene Werke gründlich genug kennen lernen soll, um solche Aufsatzdispositionen einigermafsen selbständig zu gewinnen und zu verarbeiten, solche geist- vollen Zusammenfassungen wirklich mit Genufs und Frucht in sich auf- zunehmen, das ist uns unerfindlich.

Man betrachte in diesem Sinne die einleitenden Gedanken der meisten Stücke. Wer kann die Einleitung zu den 'Liedern aus dem hohen Nord' ohne eingehende Litteratur- und Zeitkenntnis schreiben? Setzt nicht die Bemerkung über die Echtheit der Odyssee in Stück 5 Bekanntschaft mit der homerischen Forschung voraus? Oder was weifs der Sekundaner von Schillers Interesse für die 'Kulturgeschichte' ? Wie würden sich aus der Feder des Sekundaners (selbst des Primaners) Wendungen ausnehmen wie folgende: 'Es giebt Persönlichkeiten, welche die eigentümlichen Eigen- schaften ihres Volkes hervorragend in sich vereinigen' (St. :32), oder 'Das Intere-sse an Hartmauns Erzählung ist wesentlich ein psychologisches' (St. 30), oder 'Das grolse Thema von Schuld und Sühne, das die Mythen- welt der Germauen beherrscht' u. s. w. !

Die sogenannten 'allgemeinen Gedanken' der üblichen Aufsatz-Ein- leitungen zeigen sich hier wieder einmal recht deutlich in ihrer ganzen Nichtigkeit und Gefährlichkeit für den Schüler, dem die Übersicht der 'Gattung' fehlt und fehlen muls. Was für den Lehrer die reife Frucht »einer Studien ist, der 'allgemein gültige Satz', kann dem Schüler nur Gelegenheit zum Nachschwatzen werden und ihn zu der Gepflogenheit erziehen, sich mit fremdem Eigentum zu brüsten. Was er nicht aus sich selbst und aus seiner Welt zu schöpfen vermag, das ist für ihn vom Übel. Die Jugend ist einseitig in ihrer Auffassung und in ihrem Urteil und neigt zu Übertreibung und Mafslosigkeit. Mit unverstandenen all- gemeinen Sätzen wird dieser jugendliche jNLangel au Schärfe gewinnen und sich schliefslich zum Charakterfehler ausbilden müssen.

Das Buch zeigt übrigens die gleiche Eigentüudichkeit in den Schlüssen; man vergleiche etwa die Stücke 6, 8, 10, 11, die Bemerkung über 'das Halbdunkel' in 13 u. s. w. Welche Summe von vielleicht wenig frucht-

Beurteilungeu und kurze Anzeigen. 161

barer Anstrengung von selten des Lehrers nüifste dazu gehören, derartig-e Sätze und Begrifle wirklich in Fleisch und Blut des Schülers übergehen zn lassen ! Der Verfasser hat sich, wie es scheint, von dem einigermafsen überwundenen Standpunkt der durch kunstvolle Einleitungen vorberei- teten Spannung und des wirksamen, womöglich paränetischen Schlusses noch nicht ganz zu befreien vermocht.

Sonst ist gegen die eigentlichen disponierenden Gesichtspunkte in den meisten Stücken nichts einzuwenden, da sie, besonders in den epi- schen Stoffen, sich meist zwanglos aus der Sache ergeben und daher 'von dem Schüler selbst' gefunden werden können. Ob Stofle wie in Stück 7: 'Der Weltmythus in der Völuspa', St. 18 : 'Die Charaktere im Nibelungen- lied und ihre Gruppierung', St. 20: 'Parcivals Jugend als Exposition des Epos', St. 00: 'Der arme Heinrich ein Spiegelbild von der Anschauungs- weise seiner Zeit', besonders St. ol : 'Komposition des Annoliedes" und einige andere im Bereiche einer Sekunda liegen, dürfte zweifelhaft er- scheinen. Annolied und Parcival können hier doch höchstens ihrem In- halte nach berührt werden und sind daher kein Stoft" für so eingehende Besprechungen.

Wenn wir von den genannten zu weit gehenden Ansichten und An- sprüchen des Verfassers absehen, sind seine Entwürfe in der Hand des 'vorsichtigen' Lehrers als ein ausgezeichnetes Hilfsmittel des deutschen Unterrichtes in der Sekunda zu bezeichnen.

Berlin. Fr. Bach manu.

Grammatik der englischen Sprache für obere Klassen höherer Lehranstalten von Immanuel Schmidt. Vierte vielfach be- richtigte Auflage (Lehrbuch der engl. Sprache II). Berlin, Weidling, 1889. Xn, 608 S. 8. Geb. 4 M.

Die allgemeine Anerkennung, welche die Schmidtsche Grammatik bei Fachmännern gefunden hat, erspart mir die sonst so dankbare Mühe, ihre Vorzüge vor anderen Grammatiken hervorzuheben. Als die erste Auflage erschien, wurde sie von allen Lehrern mit Freude begrülst, weil sie den praktischen Bedüi-fnissen entsprach und erkennen liefs, dafs der Verfasser die Ergebnisse der Forschungen auf dem wissenschaftlichen Gebiete der Grammatik, soweit sie von den Pädagogen als unanfechtbar und zu Schulzwecken dienlich erachtet wurden, verwertet hatte. Die ge- ringfügigen Ausstellungen, welche gegen die Auffassung im ganzen und gegen einzelne Teile gerichtet wurden, sind durch Verbesserungen berück- sichtigt., kleine I'nrichtigkeiten sind in der zweiten Auflage, welche völlig umgearbeitet ist, beseitigt. Die dritte Auflage unterscheidet sich von der zweiten nur wenig. Einzelne Kapitel sind verbessert, dem Ganzen ist im Anhange ein Verzeichnis der Verben und Adjektive in Verbindung mit Präpositionen hinzugefügt. Die Verändei-ungen in der vierten Auflage sind fast ausschlierslich auf die Lautlehre beschränkt. In der Syntax sind nur einzelne Berichtigungen nachgetragen. Wichtig ist, dals der

Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV. U

162 Hcmt«'iliiiiu;t'ii im<l kurze Aiiz<'ijr<'n.

Verfasser dit-. Auss[»rachd)ezdclimjii<;<'ii den luMitigen BedörfniKseii ent- sprechend flureh das «ranze Bncii lc<)nso<inent naeli einem 8ehema mit fiirolker l'räci.sion nnd Klarlicit «luroligefülirt hat. \n der Vorrefle gieV)t er eine Tabelle, welclie sein System mit Leiclitigkeit deutlich macht.

Als besondere Abweichungen in der Anssi)raclielehre dieser Auflage sind zu merken, dals Ininiannol Schmidt den ursprünglichen Unterschied von to und irl/ zu Anfang eines Wortes aufgiebt und dals er die Aus- sprache von '■; vor /• in ciffonl. j)orfioH, form für veraltet erklärt, so dafs man jetzt häutiger affoifl, pnrft'nn, -forr-e anstatt affiM-d etc. hört, ebenso wie zwischen »lownin/j xmd morniny kein Unterschied mehr be«t«ht.

Wir wünschen dem Buche, das sich selbst Bahn gebrochen hat, immer weitere Verl)reitung. '

Berlin. (1. Völckerling.

Englisches Lesebuch für höhere Lehraustalteii von Prof. Dr. Otto Ritter, Direktor der Luisenschiile zu Berlin. 5. Auflage. Berlin, Haude & Speuer, 1889. 880 S. Geh. 2 M.

Die neue Auflage des Ritterschen Lesebuches, welche die vorher- gehenden durch bessere Ausstattung, besonders grölseren Druck, über- triflTt, hat inhaltlich eingTeifende Veränderungen nicht erfahren, aber es ist der Forderung der Zeit nach Erleichterung der Schüler dadurch Genüge geschehen, daTs ein Wörterverzeichnis beigefügt worden ist. Der Lese- stoff, dem man die Anerkenniuig gewähren mufs, geschickt und ijassend ausgewählt zu sein, gliedert . sich jetzt in fünf Abteilungeii : \) Aneedotes. Tales and Stories, 2) Hisfary, '^) Litcroturr, 1) D/alor/aes, ö) Poetry. Der Herausgeber vermeidet die Einseitigkeit, sich in seinem Buche allein oder vorzugsweise mit England und den Engländern zu beschäftigen. Zwar behandeln der zweite und dritte Abschnitt ausschliefslich englische Ge- schichte und Litteratur, aber diese Teile stehen an Umfang dem ersten nach, welcher in seinen Anekdoten und Erzählungen nicht das Nationale, sondern das Allgemein -Menschliche und Ethische betont und l^ei der Jugend sicherlich auf Beifall zählen darf. Der Vorliebe der Schüler für den dramatischen Dialog ist durch Hinzufüguug einiger aus sich ver- ständlicher, lebendiger Sceneu ßechuuug getragen. Der Abschnitt Podrij hat (vermutlich wegen IJaummangels) Verkürzungen erfahren, durch welche die Zahl kleiner zum Memorieren geeigneter Gedichte leider l>e- schränkt ist.

Was das Wörterverzeichnis angeht, so ist die sehr wünschenswerte durchgängige Angabe der Aussprache für eine spätere Auflage in Aus- sicht gestellt. Vorläufig bat sich der Bearbeiter, Herr Klatt, auf das Notwendige beschränkt. Die gewählte Aussprachebezeichnung empfiehlt sich durch grofse Einfachheit, doch sind die aufgestellten Grundsätze nicht ganz streng durchgeführt. Praktischer dürfte es sein, sich in dieser Beziehung an eine gangbare Grammatik oder au ein verbreitetes Wörter- buch anzulehnen, damit wenigstens teilweise den Schülern die Verwirrung

Hourtoiliiiiüeii iiiul kurze Auzeigeii. 163

erspart bleibt, welche zwei oder drei verschiedene Aussprachebezeiohuuugen in ilirem Kopfe anrichten müssen. . '

Im ganzen stellt sich die 5. Auflage als ein mit Besonnenheit und pädagogischem Cieschick gearbeitete* Buch dar, dem man eine recht weit- gehende Verbreitung aufrichtig wünschen nuüs. * ; .

Berlin. R. Palm.;,.

.■;'uil "■.!•

Shak.spere Primer, in gekürzter Form mit Anmerkungen Heraus- gegeben von Dr. Broder Carstens, ord. Lehrer an den Tnter- riehtsanstalten des Klosters St. Johannis in Hamburg. Ham- burg, Meilsner, 1889. XIV, 156 S. 8.

Man hat in Fachkreisen oft Einwendungen gegen die Lektüre ein- zelner Teile von ausgewählten Werken in den oberen Klassen der höheren Schulen erhoben. Gerade bei Shakspere, welcher mehr des Inhaltes als der Form Avegen gelesen wird, ist darauf aufmerksam gemacht worden, dals die Lektüre des ganzen Dramas abgerundeten Stücken vorzuziehen sei. Dem ist aber entgegenzuhalten, dals es für eiuen Schüler, selbst bei Mitwirkung des Lehrers, schwer ist, sich sofort iu das Verständnis Shak- speres hineinzufinden ; er bedarf einer Einführung in dasselbe, und diese soll ihm durch das vorliegende Buch geboten werden. In Berlin wurde bisher mit Nutzen das Buch von Bandow Beadvnrjs frnm Shal,-üf)ere ^- braucht.

Bei der Auswahl hat sich der Verfasser des Primer auf die Stücke beschränkt, welche bislier am meisten in der Schule gelesen werden und welche zum Auswendiglernen geeignete Stellen enthalten. Den Reigen eröffnet natürlich ./?///«<.« Ceesar, der in keiner Sammlung ausgewählte Werke fehlen darf. Verfasser giebt den dritten Akt, der sehr woM als ein zusammenhängendes, für sich allein bestehendes Ganze gelesen werden kann. Es folgen : T/ie Mercl/axf of Venicr, Riehard IL Macbeth und Hantlet. Verfasser sagt in seiner Vorrede, dals l^ei der Abkürzung die gelegent- lichen Obscönitäten weggefallen wären; warum hat er denn eine höclist bedenkliche Stelle in der Unterredung zwischen Polonius und Hamlet nicht fortgelassen?

., Der Te^t. ist fast wörtlich nach der TMichnit;^ Edition hergestellt mit ganz geringer Änderung aus der Globe JEditiop. Um die Verbindung zwischen den einzelnen Teilen herzustellen, hat Verfasser eine Inhalts- augabe hinzugefügt, von der einiges, wie im Mßtyhaiit of l'exice, wenn auch mit L'mstellungcn und Umäiulerungeu, aus Lambs Tales froni Shak-

1 * [Für die Zukunft erlaulii' ich mir, oiiic Diuehsiciit der litterarhistorischvn Abschnitte mit Kück.sicht auf den Iiilialt zu eiupfclilen, damit StelliMi, die mit dem jetzigen Wissen nicht mehr im Kinklang stehen, hcrichtigt werden. Da ich das Uucli, ehe es iu die HSnde des Herrn Berichterstatters ging, flüchtig durchhlät^ terte, fiel mein IJlick auf die •litterarhistorisclien Oespenster' Alf'r/c, Arrhhi.thap. vf Canterljurij S. 168 und Robert Lanyland S. 17U. J- Z.) .

11*

164 l'>('nrt<'ihin;.'<ii inid kurze Anz<'i;.'<'M.

spere stuiniut. Vonuisgeschickt ist doni Ganzen eine den besten (Quellen (Elze, Dowden, Koch) entlehnte Biographie Shaksperes. Dafs Shakspere am 2r>. April getauft wnrde, ist ein Irrtum; nach dem Taufregister ist es der 2H. April, nn<l der 2'^ wird als der Geburtstag angenommen. Auf die ganz unbeglnubigton Erzählungen von den Gewerben, die Shakspere betrieben haben soll, legt Verfasser zu viel Gewicht. Die Beschreibung des Theaters ist nicht so fafslieh wie bei Randow, auch die Skizze einer (»ßentlichen Bühne zur Zeit Shaksperes nicht anschaulich. Die Angaben über die Abfassung und Entstehungszeit sowie über die Quellen der fünf Shakspereschen Dramen sind zu knapp und undeutlich. lauter anderem heifst es da: 'Die TJaubausgaben der Verleger erschienen in Quartoformat und führten den Namen Quarto.' Danach wird man verleitet zu glauben, dals alle Quartausgaben Eaubaiisgaben sind, was Verfasser doch schwer- lich gemeint haben kann.

Den Schluis des Buches bilden die Anmerkungen nach Art eines Glossars, dem Shakspere-Lexikou von Alex, Schmidt, den Ausgaben von Clark und Wright und den Weidmannschen Ausgaben entnommen.

Verfasser wendet sich in seiner Vorrede ausdrücklich gegen die seiner Meinung nach allzu ausgedehnten P>kläruugeu der sonst. trefflichen Aus- gaben von Schmidt, Fritsche und anderen und hält namentlich die sach- lichen Anmerkungen, die sie bieten, für zeitraubend und den Schüler verwirrend. Ob er aber mit seinem Systeni den beabsichtigten Zweck erreicht, ist zweifelhaft. Allerdings ist es nötig, auf die von den heute üblichen so vielfach abweichenden, sei es lexikalischen, sei es gram- matischen Eigenheiten des Shakspereschen Sprachgebrauches hinzuweisen, aber diese Hinweisungeu müssen auf das richtige Mafs beschränkt sein. Wenn der Verfasser, wie es vorkommt, für jedes Wort des älteren Idioms, das seine Bedeutung geändert hat, ein anderes substituiert, so verfällt er nach der anderen Kichtuug hin in denselben Fehler, den er den von ihm genannten Herausgebern zum Vorwurf macht.

Trotz der Ausstellungen hält Eeferent das Buch als Einleitung in die licktüre Shaksperes für brauchbar.

Berlin. G. Völckerling.

Jacob Thoiusou, eiu vergessener Dichter des achtzehnten Jahr- hunderts von Dr. G. Schmeding, Oberlehrer am Ivehrerinnen- Seminar zu Wolfenbüttel. Braunschweig, Schwetschke und Sohn, 1889. VII und 94 S. 8, M. 1,80.

Schon der Ausdruck 'vergessen' in dem Titel verrät die populäre Tendenz des Schriftchens. 'Vergessen' ist James Thomson nicht von der Litteratxirgeschichte, sondern nur von dem grofsen Lesepublikum, und dieses will der Verfasser auf ihn aufmerksam machen. 'Was wir zu geben versuchten,' sagt er S. V, 'war in erster Linie eine Würdigung seiner Werke von ihrer ästhetischen und moralischen Seite im Anschlufs an Analysen, die den Gedanken des englischen Originals möglichst wiedergeben sollten.

Beurteiluugeii und kurze Auzeigen. 163

Das Lebensbild, das wir geben konnten, mufste notwendig leiden unter der Beschränktheit der litterarischen Hilfsmittel, die dem Deutschen er- reichbar sind.' Er behandelt besonders ausführlich The Seasons, To the Memory of Sir Isaac Newton, Liberty, The Castle of Indolente, über die Dramen geht er rascher hinweg, so dafs nach dieser Richtung hin sein Buch durch den oben S. 25 ff', abgedruckten Aufsatz von G. Wenzel eine Ergänzung tindet. Die Schrift kann jedem, der sich schnell über Thomson orientieren will, empfohlen werden. Es wäre freilich zu wünschen ge- wesen, dal's der Verfasser seinen Helden etwas mehr im Zusammenhange mit seiner Zeit, in seiner Abhängigkeit von seinen Vorgängern und in seiner Wirkung auf spätere Dichter aufgefafst hätte. Ob die Beschäfti- gung mit seinen Werken in der That, wie der Verfasser hofft, ein wirk- same« Mittel sein kann, 'die innere Zersetzung und Selbstvernichtung' aufzuhalten, 'der die Gesellschaft unserer Tage entgegenzugehen droht' (S. IV), möchte ich bezweifeln.

Berlin. Julius Zupitza.

OrigiDal Eüglish as writteu by oui' Little Oues at School. By Heniy J. Barker, B. A., F. E. S. L. Repriated from 'Long- maii's Magazine', with Additiou,s not before publi.shed. Ix)n- don, Jarrold & Sons, 1889. 161 S. kl. 8. Sh. 1.

Ich verdanke die Kenntnis dieses Buches der immer aufs neue be- währten Liebenswürdigkeit meines Freundes V. J. Furuivall, der es mir unter dem 20. März 1889 zugeschickt hat. Es hat mir den gröfsten Ge- nufs verschafl't, und ich horte, die Leser des Archivs werden, falls sie es nicht etwa schon kennen, nach den Proben, die ich geben will, nicht zögern, sich in den Besitz des ganzen Werkchens zu setzen.

Die Hauptmasse desselben besteht aus Aufsätzen, welche l^oudouer Kinder aus den untersten Volksschichten geschrieben haben. Gelegent- lich sind aber auch anderweitige Aulserungen von Kindern verzeichnet. So erhielt der Verfasser nach S. 11 einmal auf die Frage: 'Whof is the feminine of tiero'f' die Antwort: -Shero. sir.' Einem Lehrer auf dem Lande nannte ein Knirps als Masculinum zu MeaUnn nach S. 2:5 Adatn. Ein Schulinspektor fragte nach S. S-"), nachdem vorher richtig Uon Uoness. Mareiuis Marchioness augegeben worden war: 'Atn/ irhat tioir /.s the feminine of DnteJimnn'^' , und fast die ganze Klasse rief: •Ihnhe.ss. sir.' Harry Sharman antwortete auf die Frage nach dem Superlativ von nice mit Jan/ pnxhkti S. 24. Kaum glaublich ist die AntAvort, welche ein sechzehnjähriges Mädchen, das noch dazu ein jjupil-teaiher war, auf die Frage gab 'Whrit is a Civil War?'. Sie lautete (S. 72): Civil War, if I recolleet riyhtJy, is one in which the military are imnecessarily and jrnne- tilim/sly civil or polite, often rai^iny their hehnets to eaeli other Iwfore en- yaging i)> deadly combat.'

Die mitgeteilten Aufsätze versichert der Verfasser des Buches wiederholt genau nach den Originalen zu geben, nur dafs er gelegentlich einiges weg-

\M lUurtoiluii^ron und kiiizc An/,ci<fcii.

gela.sstti iirnl in vrrcinzcllt'ii Fällt ii einen vorkommenden Namen oder die Intorpiiiiktion geändert Imt. Als erste Probe stehe hier von S. 17 der An- fang einer IJearbeitung des Themas 'Gh'p on Oiitlint; of Ihc Liff. of Saineon . Ttfp lifr nf Sm)>.mn, irliich I 7/fl!« fo give. Sanimit /ins Ihn vnnilerfnUo'sl man ymi cior fined. He ivok m migldy ütroiui that Itc fhoityhl no inorr of lAonn and Brarf!, than hoys da of r«/.s and 1lH'iiy.-<. If you think hr nos a (fiaid, fh/ifs Just trheir yer nruuy, co;:, lic tcu-nnt o hit biyyer than yonr falher is. Biif mind yer, he h^d vej-y lony hadr, and that's just where it iras. It n-cnt right dornt h/'s ne.ek, and kmder hin co<d, and then all fhe nay doun. That's hotr if iras. Samson became very smfuU. for he yof a eovrtin a ymmy /iomai/ irho iraa a. relation of the rärherd P/i/lltsfins. Mcn slioidd neuer eourf yonny women frrnn other cmh}trie.'<, excepf tliey are yood. Kercr »nind ahart the.m being nicet looking, if they are not yood. Why. this youny iroman actshtdly v:wshij}j)ed thcm ngly little imiges uot yee seed Misshi- narics bring in bags, and put in a row on tlm table.

Es folge der Anfang eines Aufsatzes über 'The iJoctor' von S. 2h. Being a docfor is a rery yood trade. Boetars harc most ahnays niced blaek wiskers at fhe sidfi, and are tall wen. They art also very firrcc- looking, but they are very nseful._ Dpctors are men who /nerer walk, e.rfrpt from ,a carria/jc to a house door. Doctofs .are skinny metfr, uitii block eyes änd eoats. Boctors hrxt^y babies to yood little boys'' homes. I wa.s very good, and he hrmight tny moiher ours. It is a little girl, Und it is caUed Agnes.

Zu den Glanzstücken gehört 'The Turkey' S. o5 ff. Es mögen hier zunächst ein paar Sätze aus dem ersten Teil S. ?>t3 stehen. The Turkey is Icing of the goose and most other birds, lud the eagle can ßght it. It is like a i-e)^ big cock if it uasnt for the tail. It is not eruel to killa Turkey, if only you take it into fhe back yard, and use a sharp knife, and the Tur- key is yours. Der Schlufs S. -57 lautet: Boj/s like the Turkey to rim öfter theni. becaiisc they get honte quicker icithout feeliu tired, and the turkey has to go all the trag back, attd yiru genellg see a Turkey alotig trith some ditcks. But the Titrkeg is kind to fhe Utile dueks. trhich is a lesson you leetrn to be kind to your little hrothers and sisters. JS'erer tiiake yotir little brother cry by hidiny behitid a ivall or free, and perlend img to lose him, for Tur- keys nerer pick ti/>r trorrys neifiter ducks nor hens. Turkeys lag very dear eggs trhaf you eanf afford, lud they do not give butter or milk beeause they cant do it not if they tried three tiiites.

Über das Thema -Ottr Street' heilst es u. a. (8. AI): Liza Ann. the little girl irof litrs ap fite itext passige bat conies to our passige to join in, she says she llkes drunken tuen better than drunken women. She says that. eoz drunken ntcit are ■sontetimes rery kind and turn their trousers jiockefs inside md so as all their momy can fall out antongst Ute children. Btd drunken ■umnen allns look savage and want to Scratch the big poleecenmn as pusltes thein on. and Uten flieg irattf to ftghf fhe wotnett as is stannitv oi the do&rs justalooking on. Der Schlufs (S. i-'>) erklärt, warum die Häaser in 'our ■'^freet' so schwarz sind. The reasoti trhi/ fhe hotises in our

Bemteihiugen iiimI kurze Anzeigeo. T67

sfreet ü so block both insnle and out, is eox fhe smoke front ihe chimbly (foesnt yo right up otdside and then info fhe donds same as in niced streeis. but ff cunis douH fhe chimbly oyen and pnffs into fhe room and gets anuy mif of fhe ninder. This is oll I knote for once ubonf mir sfreef.

Noch köstlicher ist der Aufsjitz desselben Schülers S. 44 ff'. Visit to the Zooloyical Gardens'. Of ali the animals in this w&rld, the Zooloyieal Gardens is tJte most. ... The limi, irhich is the kiny of all the nwimah wot ecer lived, was so litth thcd I shoiddn't have noen it uas Mm, only I hax^ seen pieters, and my mother said '■Look, Tom, now you can say as yan'ee seen a Hon'. Why he isnt qimrter as big as o eliphent, and he hasn't yot no trunk. I think the eliphent cotüd master htm if he liked; but the big silly u-on'f try, co;^ he's so kind, and doesn't want to be kiny. . . . I said to my Hiother 'I should like to Item' the lion aroarimj'. When she said 'uhy that was aroaring just now when the Ixeper looked in at him' . Then I neorly cried, I n-os .so wild; >rhy, if wasn.t like thunder and lightnin at all. It just opened ifs mouth wide, like as yee j^eed men sitfin at their doors and a yaping on Sunday ofternoons, and it yoped no louder than a apple cart man does. . . . The hippopotamus is like a liftle jnashed elij)hent with its frunk sawed off. Its skia is so fhick thai it ean stay in its pond all day without the water soaJcin through. . . . The fax, wot I thought was as big as carees, isnt worth a lookin at eox- of its s ixe. It's not a bit of yood it bein .^ly where it is now, eox there's no farmers nor huntin men allowed in the kogcs. It looks os if it wanfed to he sly but can't. When I said to my mother 'hou- it smell', she said 'Come atong to the other animals: that's ifs slyness'. / like the elephent rnore than all the uthers, and my mother let Jmve a ride. . . . The eliphent wot 1 rode on is called jumbo, and it is the nicetist qiiadrerped as ever was seed. It looks as if it cotddn't all of it die, it is so big. I hehl a bit of breud out to if, but it wouldn't foke it, eo\ there was a lody with a ßne dres.'<ed Httle yirl who was o yivin it snyar huns. I kem atray iryin, r-ox I should hure liked fo höre fold the boys as I had fed jumbo. But I didn't, so I can't say it.

Nun Proben aus einem Aufsatze 'Inseets' S. 51 ff. Insects are very Httle things that fly or scrawl about. Yoti mnstnt call things i-nsects that's as big as a mouse, beeause you would he telliny a ftdseJtood you would. All inseefs are not to be killed. crcept the heetle, the Spider, and fhe insects in ilirfy boys' hoir. You should loce all other insects. ... / hure seed boys catch block beefles and moke theut rare, and then they kill fhe one as loses. This is very cruel sport, masf as bod as rot catch in. Ihw would you like fo be killed beeou.se you eant iiin'!'

Den Aufsatz 'The Cow' S. «iO ff. fällt e?; luir schwer nicht ganz abzu- drucken. 77/1" Cow is u noble quodrerped. fhough not .so noble as fhe horse, much less the ronriny Llou. . . . Its fail is more noble tliou the donkey's. but nofhin to cum up fo fhai of the race horse. The cow gires us miJk, and nieed beef, and shoolefher. How fhankful should childern Ite to this tonte qumirerped. The reasoii trhy beef is so ileor. i.s fhof eous cost so twuch, and the earth is gettin fnll of {teople. I alliioi/s harr beef fo mg dinncr on Sun-

168 Ueürteilimgcji und k\iizc, Anzeigen.

'hiffs: IUI ntlicr (hijfK hrcail miil ilr'/)jii)i or lirrnd iiitil hinl, sometinics treetclc, ... Ho)i; tlinnkful oxyhf we to Ite lo ihf. mw for nicn }iot bee.f. Pertaters yrows: fhcAj arc not. oii the coiv. Th/i fonr thimfH ivhrU ynv sw.s undcr ihe coir'x helly nrr irliaf f]m niük cotDe.s fJfroiu/h. Ho/r thntihfid shonld m-c hr. The eow mnkfK inHI: frotn yra-sx. God tp(icli(;)i ihe r-oir hoir iu (h it. . . . Litllf f-mvs are ealled carves. Carees are the tiUtjjhiis/ nf nU tarne (fiutdrerpeds. exeept piys and (htdeys. . . . Mcu are crewcl f<> curren i.oz tiiey cant dra«c milk frnm th^ni. .. . Bidls are oery mtich lilcecoim, hut a/re fieree quadrer- peds. YoH can aUivays feil hulh fror» cu'rs, cor huUii are hlwk. and not qio'fe so fat. Bulh arc not tamfi (luadrcrpeds. aiul they look nf< !,f they f.mdd r/m. ... Coivs are paiufrd different (-olmirs : icliitf; and red. and yelhn-. When they are hlack o)id ivhitc, fhey are yenly half hallf, so you mitsf not yo new theni. There Is what is- mlled ereatn, ivhich rieh peoph eats; it is yot frotn cows nliich are all white. How thankful shmM rieh peoph be for yettiny what they call cretmi from the cow. You ean harn lessons frotn fhis poor qn^tdrerped : not to kiek, not to trespass. ntid not to perseeute peoplr.

Sehr belustigend ist auch 'T/ie Cat' S. 70 tf. Tlie hottJie eat is a four- leyge/J qi/rtdrapcd. the leys as nsuerl beiiuj at the corners. It is tvh/M is sotnetimes ealled a tarn'' aniinal, thouyh it feeds on mice and, bitxls of prey. Its colours are striped. tortiisshell, block, (dso blaek and ibhi^ts, and lähers. Wheti it is happy it does not bark, bat breathes throngh üs nose, instead of its inoidh, biU I can't remetnber the natne they call the noise. It is a Utile trord. bid I can't thitik of It, and it is ivrotiy to copy. Oats also moii; ichich tjou have all heat'd. When you stroke this tattie qwulruped by dran- iny yer hand alony its back, it cochs np its tail likc a rider, so as yon cwt't grt no furthcr. Necer stroke the h/iirs acrost, as it nudces (dl eals scrat like ntad. Its tail i-s ahoiä too foot lony. and its leys abont one e<u-h. Never stroke a cat ander the belly, as it is very imhelthy. Doti't teese cats, for. ßrstly it is lorotiy so to do, atid 2nd, cats luire clatrses iihieh is langer thcii people thinl: Gats have 9 Ureses, Ind which is srldoin requircd in this coimiry cox of Christian ity. Men cats are alias ealled Totn. and yirl cats. Pttss or Tiss; bat, qtieer as you tnay ihiidü all liftle cats are ealled kittens. tehieh is a urrony tiame wiiieh oityhter be chanyed. . . . Cats are very ttsefid. I can't retnetnber one of the noises they m-aJce, thouyh I've just been tryiny ayain. Cats eat tneaf and t/tost anythink, speshuUy where you can't aff'ord. This is all about cats.

Aus einem Aufsatze 'Poliieness' S. 78 ff. sei das Folgende angeführt: It is not jJolite to fiyht Utile boys, e.vcept they thron- stones at you. Then you «an run after theiti, and irheti yaa'ce c^ught thein, just do a little bit at them, that's all. Remetnber that all litth boys are sitnjjlelotis. or they it'otddn't do it. ... If a yirl Scratches you on the cheeL or spifs in your face, doti't punch her, and doti't teil her mother. That would be ttiean. Just hold her tt'ghi behind by her arms for a tninute or tiro, tili she feels you could gi've it her if you had a mind to. Theti say to her kindly, 'Don't you do it ayain, for it is trrong'; yive her a shake or two, and let her yo. This

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 169

is far better than being unkind to her. ond she niU thanJ: you for yonr politeness. if she's amjthhuf of a yirl.

Das Thema 'Daniel in fhe Lian's Den' gab einem Schüler Anlafs zu der folgenden Schilderung (S. 82): In that wild cmmtry they l-eep limis in dark Seilers under tlie yroiind, je^t the same as ymir fathers wnd mothers keep cocks and ftens. They catch these limis in the woods rarnd abarf, jnU theni in bays. hriny thetn Inune on doitkys trlnd they c<dl nndes, and drop fheni out of thf hay dxirn the hole, und then they put u hiy stone, orer the hole. How thankful shud ire. he fhrd there is no lion.s in this country : uhy. yofur fathers couldnt hare no hran feasts, and the teaehers noodnt yet no childern to yo unth theru in tkeir cans eeery yenr. In our fields and u-oods theres only foxs and robbits. so they dont count.

Höchst eigentümlich ist der Anfang eines Aufsatzes -The Family of the Patriarch Jaeob' S. 87. 'Fhe man Jacob aas by trade a patriorch. Bat he didn't briny up his sons to be patriarchs cox they didn't take to it. except ■loseph. He had 12 sons, and behold there aas a famine in the land. In thetn days peopde lived on com, like horses do now; not on vittles and tea. People ivere fond of eaiing tvheM, speshuUy Jacob's sotis. These bad sons likcd iheir com best on Surulays, eox they coidd walk abcvrt, etitin it, doiny nothing. And behold there was a famine in the land. Necer steal com, for it is a sin; bat you can yo yleanin, and you often yets a lof that way. Don't quarret uhen yer yleanin, but think of yer mothers and ."isters, praps dyiny. Be fair.

Auch von dem nächsten Schriftstück 'The Bofjin Eedhreast' S. 89 fT. stehe hier der Anfang : I see a robin redhreast for the first tinte this year, and I see the seeond one in Whitsun, eise Easter. Tkem's the fwo I see. Boys and girls thinks as sparrows i-s niced birds, but I're tolcl them nearly fwenty times as they dont know nothin at all abart it. ^Vhy. they can'f sing, and they ha reu' i yof a of red. not ecen white (inywheres ahart there bodies. They' re Just worth nothin. They oidy perlend they're uorth something by flyiny away when you try to catch them. It's all per- tendiny. Why, tJtey can't build picter nests, and can only lay nasty mucky egys. Even police u-on't catch them, cor: they know same as yer fathers. that they're no yood.

Rührend sind die zahlreichen Yer woodnt Meere, mit denen ein Knabe •J. Day in the Country schildert (S. 98 fT.). A Day in the Country is wot I has to gir. 0 the country is so niced. Yer woodnt beleere. I hare i^^ed it ö or 6 times. It was like a graie big green sea. Yer woodnt belcerc I only s-ee it wunee a yere,- when our Supintendunt taks the Sunday School childern all for nothin, an girs 9(s a tea an all sorts of nieed thinys. This timc it was to Ashsted. . . . When we got to Ashsted, yer woodn't beleere wot a niced place it was ; why, I feil yer, its yreen all rarnd rite to the -iky. an fo.vglurs, an roses, an hulldayvis all abart. There's no roads, an no walis, an no tre.spsin boards, an' there's no pleecemen lires there. They harnt foutid it arf.

Originell ist manches in dem Aufsätze über 'Postmen' S. ll<»tt'. No-

170 üciirtciliinjrcri iirifl kurze Aiizcijrcn.

fioilif fii>il(l hp. Ifu/rp/j in ihr niyrlil n.rcopt for fhe iiHrfnJ ueiitlfjunv irhnt vp ^nll fi pofsftucin, J'hi' hon' n'imld ijint nn u'lirthnr Ihosr rtn/f-s ninl nnrles r,f ijouri* who liee 'fiffid acrosf. thc prkis mid n'i'p.rs »ms ihod. if ihe ifevfhmm^ f)id not hriny a henvehjpa with hkirh nU nmiiirf Yon inndd IbinU thny wan .still uHve. and yon'd keep all on ivrüimj lo thmi. That /.s n-hy postmen are nllis litth Ihin men trMf/ut bcards ctiz thry harf to hcrp on tpalking qniek all day. They are not dressed np so flnr as notdnrs in\ they harn't to yo and fajht aerost fhe sca. Von netter me postmcn fiyht. not even iiith their pufs, for they harn't yot no tinie irith all fhose Mtf^r.s to take round. . . . If the postman doesn't hn'ny yoar letters, yon ran snmmons hini. that's ichy theyre so friyhtonetl. . . . Maivy boys becon/e postmen eux they think it is a yood trade. I don't think they yet yood dinners, same us nieu who hasw't to dress up. . . . Never be et-uel 1o them, for they have to take eure of their clothes inore fhan yon, and are not so bly as they wonld like.

Ein Mädchen* fäugt seinen Aufsatz 'The Life of Noah' so an {S. 11:'.): When the yentleniaa ealled Noah lired, (dl the people in the norld aas so fall of sins and marryiny. that the tand stnelt of niekidness and nndean- ness. It ivas so bud that the hreath of tln; sntell n-ettt up tonards Heaven. Noah sucht die schlechte Welt zu bessern, indem er von heaps of stones herab jiredigt. Bat they only laiujht at hiai, and piished him off the stones, and husslcd the poor man about. jast like I've seen peopk yo on at the Sal- vation Änny ii-hen they are talkin yood thinys to ns nmler the biy blup flog. The people u.sed to .stand at tlie doors of their tents, and boo and lioot at Noah, the saine as the Arnvy nwn and wonien is Imajht und whissled at by genthfnen standing at their doors and winders. My father says he is shamed to be ealled an Inylishnmn when he sees hmv the ScUcation is hnocked about and prossecnded. He says people will hold a drimkin man up, bat will knock a Salmtion, doivn. Mother says the j>oliee is as bad as the idliers, cause they pitcnd not to see anythink of it. Der Schlufs lautet: Noah lived to be 950 years old. Hon- nire. I don't knon- trhetJier ladies lired as long as gcntlenien, hid I shouhl think that they did netirly. What a long time to be married. I shoiüd like to think tlwt my yran mother wonld live on like that; but it's no nse^ spite of hoir nmeh I hve her. . . . Tfie lesson, I think, we otigt to learn from these things is, to take Öftre that ne are living as we knmr Ood wishes, and not to jossle and prossecute the Salration Artny, just cause they -won't yet drnnk, and they like to teil aJ)oaf Ood cd all chfint.ses.

Die Auszüge mag der Anfang eines Aufsatzes über 'Beenk Holiday' beschliefsen (S. 139). They call this hapjty day Bank holiday, hecose the Banks sind np shop, so as people eant pnl their money in, bat has to spend it. People Imjin talking about Bank holiday a long time afo)-e it contes, but they don't fjegin to spree abont mach tili the night afore. Bank holidays are the happie.st days of all your life, beeose yoa can do nearly n:hat yon

* Der VoifHs.'ser bemerkt: As a rula, die exer'-ist< i>f ^/Irl.-- are nol ncttrhj .^o ji/(jii<inl «.-•' those h;i boy.^.'

Beurteilungen niul kurze Anzeigen. 171

like, and ihe perlice flön't iahe no notU-e of yo». You can fjo info fields, and mähe your horses and dmrkcyR yo qittrh. and shotd oft ahoui as hard as you like. and larf at peop/e, nnd dress np in all different colour.s wHh ywys on ymtr faces, and you ^an do eirrythmk but steal and hrake uinders. Niiver steal or brake winäers, for it is written in ihe Bible.

Diese Proben werden eine hinlängliche Vorstellung von der Fülle Uü« freiwilliger Komik geben, welche die Aufsätze enthalten, ebenso aber auch von den grellen Streiflichtern, die gelegentlich auf das Leben der unteren Volksschichten daraus fallen. Aber auch in sprachlicher Hinsicht sind die Stiliibungeu der Kinder nicht ohne Interesse. Die Kleinen bemühen sich natürlich, ihre Gedanken in der Schriftsprache auszudrücken. Die Fehler, die sie dabei machen, haben zum Teil in der un phonetischen Orthographie des Englischen ihren Grund, zum Teil kommt aber auch ihr natürlicher Dialekt zum Durchbruch. Was Avir hier von diesem er- fahren, ist unmittelbarer als die Londinismen, die Schriftsteller bei ihnen auftretenden Personen in den Mund legen. Indem ich nun daran gehe, die Abweichungen zusammenzustellen, welche die Aufsätze vou der Schrift- sprache zeigen, sehe ich natürlich von solchen Punkten ganz ab, wie Ge- brauch kleiner und grofser Anfangsbuchstaben, Anwendung des Apo- strophs u. s. w. Mit 'Storm' wird auf dessen 'Englische Philologie P (Heilbronn 1881), mit 'Baumanu' auf dessen 'Londinismen' (Berlin 1887), mit 'Franz' auf dessen Aufsatz in den Englischen Studien XII, 197 ff. 'Die Dialektsprache bei Oh. Dickens' verwiesen.

I. Lautlehre. A. Vokale.

Ich gehe vom Schriftenglischen aus.

1. a a) betont vertreten «) durch das gleichwertige ai. ay aa) bei der allgemeinen Aussprache crJ in tailf! lo für fales (feil fail>^); bb) bei vulgärer Aussprache ec' (für aa) in hoorayW iin hurra (h) (vgl. Storni ■2><''^); ß) durch e sowohl aa) in Fällen, wo die Aussprache der (rebildeteu ff ist: then im than {longer then pcople think) 71, set für sat {T shauld have set dotvn: oder ist hier Vermeuguug A'on to sit und to set anzunehmen? cf. Stonn 318, Franz 221) 1'2M, als auch bb), wo diese ee.' ist: kein für canie (I kern anay cryin) 17, yer für yare (Sauisoit . . . yer> it >tich a crack Muixt ifs eyes) 18. II. Der erste dieser beiden Fälle erklärt sich aus dem Zusammenfallen von '■ und «■'■ in der Vidgärsprache (vgl. Storni 28<i) ; ketu und yev aber lassen wohl auf vulgäre Kürzung des Vokals schlieisen ; v) der Aussprache gemäfs durch o aa) bei der Aussprache d : uot für u-hat (z. B. Ter uood'nt beleeve wot a niced pkwe it uas 09; vgl. § 83), aulscr- dem u-obblin für uabbling 42 {He was allns a ■wobblin abnut: freilich fängt man schon an, der phonetischen Schreil)ung to irobhlr Kingang in die Schriftsprache zu gestatten; vgl. Skeats Etymol. Dictionary luid \V. E. Norris, My Friend Jim |Tauchn.J 1-32 I'oor Pcrseux, uho nobhled />prcep- tibly); bb) bei der Aussprache w.- wokeil für iralked. ]'o.vhole für Vau.rhalt {We all woked . , , to Voxhole Station) 98.

17'_' r.cnrti'iliMifreii und kur/.i' Anz-cigen.

b) uubetuut vertreten «) durch t (meist vor /): sdlers 82 für cella^s, mllerii 121 (Sai/ors don't irarc. r-oVcrs), LanyoronR 40, iti/lers 20. 21 ; ofdudly 101, fUphcut II ff. 101, Siphirrh UO für Happhiro ; ■■() durch er (meist im Auslaut und vor //): emwerteener 119. l.")(» (liier aucli der Plural in aVjge- kürzter Form t&:ners) für concertina, Dcliler l!t für Deliluh, Jwkr 88 f. für ,luda(h}; muerl 19. 70 für usucU; y) durch * oder im Auslaut durch y: Ameriky 14, Annimm 140 für AncMiHts, lienjimun 88 f., cabhiye 4<», imiye 17 ff. 84, kerrin 100 für cnrrant, m-in(je :!7, o/y///< }»2. 143. 149, passige 40. 41, Rewbiii 88 f. für Ueuhen, suviije 140, ^SiphircJi 140 für Happhiro. sossiyc ;'.0 für sausage; ^) durch </.- Annint'tc« 110 für ^««/mV/ä, Eflifunt 9S (= Elcplmnt and Castle), speshnlly 18. Ol. 72 u. ("t. für (eispecially, supin- tcmlunt 98 ff. für superi/itendaut (oder -dent).

c) unbetont weggelassen «) im Anlaut: 6-a««< 113 für a^coimt, kar- di/im- 149 für aecordion, sJtumed 81. 114 für ushamcd; ß) im Inlaut: mtllly 114. 115 und actshuUy 17 für actuaUy, caniye lOo. 110 f., yeiieUy 'ih ff. und ^P«/y 07 f. für generali y, trespsin für (respassing 99; vgl. yiV^/ßs 20. 30. 87 und vk-tles 103 für eicfimls: ebenso entspricht /v«7.- 89 für Isauc der Aussprache.

2. «/ a) betont vertreten «) durch das ja nur graphisch davon ver- schiedene ay : bulldayxis 99 für btdldaisies ; ß) durch das häufig denselben Laut bezeichnende a: parc {a big pare uf sixxcfs) 19; y) in Übereinstim- mung mit der auch bei Gebildeten üblichen Aussprache durch c: ayen

18. 2ii. 43 u. ö., ayenst 88, ivestcutt 99 für ivaistcoai: <V) nach der vulgären Aussprache des e (vgl. Storni 289, Franz 21(i) durch /: agin 19; t) infolge der extremen diphthongischen Aussprache: strite für straight 102.

b) unbetont vertreten durch i: captin 121 f., certin 110, tnomdiiig für niountaiii 117, PI. mountins 122.

3. au a) betont vertreten «) bei der Aussprache öd aa) durch das lautlich vor gh oft gleichwertige ou : cought (He was coagid ivitli a fishing hook) 102, toiight (for haaing fonght liim a lessan) 102; bb) durch o: cote (z.B. Santson just tote it by tbe chin) 18. 52. 123 (vgl. la/bb); sossige o^ für samage (in diesem Worte kürzt die Vulgärsprache den Vokal; vgl. sassage bei Storm 289 und Baumann); ß) bei zwischen öd und ö schwan- kender Aussprache aa) durch o: becose 83. 84. 122 u. ö., noch häufiger aber dafür coz 17. 18. 19. 40. 41 u. ö. (vgl. cos bei Franz 213 und 237) und selbst bb) «««- 25. 110. 111 wohl wegen einer durch die Tonlosigkeit im Satz herbeigeführten vulgären Modifikation der Aussprache; y) bei der Aussprache aa durch ar: arnfs für awds 110, larf 18. Ol. 83 u. ö. für faiigk, Prät. larft 30.

b) unbetont vertreten durch o: Voxliols 98.

4. aw betont vertreten durch o (vgl. la/bb und 3a« bb): jobone 19.

5. ay a) betont vertreten durch das nur graphisch verschiedene ai: pfaid (TFe plaid leapfrogs) 99, wie die Grammatik ja laid, paid, said ver- langt.

b) unbetont «) durch i: allis 99. HO f. für altcays; ß) durch u : aihts

19. 4(1. 41 u. ö. ebenfalls für alnays.

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 17?>

tj. e a) betont «) bei der Aussprache il durch das gleichwertige ee vertreten: reeol \^. 124, uee'd für ire had 99; ß) bei der Aussprache w durch das oft gleichwertige ei: fheir für therp 21. Iu2; v) bei der Aus- sprache (' durch u: turriers 101; das scheint auf eine Verdumpfung vor r hinzudeuten, welche die mafsgebeude englische Aussprache in solchem Falle nicht kennt, wohl aber die amerikanische (Storm a. a. O. 340); vgl. umgekehrt kerrm für currant (24a/?aa); S) bei der Ausspi'ache / in pho- netischer Schreibung durch /; bifilishinan 114.

b) unbetont sehr häufig durch i, auch in Wörtern, wo es in der Sprache der Gebildeten stumm ist: angil 84, kornit 149, cruellist ö2, drunkin 114, eliphent 44 ff. 101, Elliftint 98, funnil 126, garding für garden 18, Japhü 115 für Japheth, niissis 140. 14?>. 150 für mistress, nicetist für nieest 47, profits für praphets 49, Betvbin für Retiben 88. 89, stupidist 67, nichid 115, u'iekidness 114; hijoyed 124, pitetid 114 für pre^e^w/. Hier sei auch gleich mit y erwähnt rightyess 114 für righteous.

c) unbetont zum Teil mitsamt konsonantischer Nachbarschaft weg- gefallen: ea?<se 114. 115. 117 und cox, cux (vgl. § .Sa,5) für heeanse, hleeve 45. 115 für helieve, braclng 50 für embraeing, lastiks 140 für elasties, genly 67 f. für generaUy, gnmior 141 für governor (vgl. Baumanu XC, Franz 212), hmndrin 90 für Immd^ring, praps 42. 60. 84. 88 nach der auch von Sweet im Elementarbuch gegebenen Aussprache von perhaps, die andere für vulgär erklären (vgl. Baumann 144 b), sm-rins 61 für sorereigus, sitpinten- dtmt 98 ff. für superintendant, whispring 148, yesday 25 (vgl. Franz 21."). Vgl. teeners 150 für coneertinas.

d) stummes e wird oft nicht geschrieben a) in der Endung des Prä- teritums und passiven Participiums der schwachen Verba: askt 124, arskt 18. 20. 25 u. Ö., droicnd 10.3, langht 114. 123, larft 36, /o«y/ 83, wjfxi; 142, past 91, jo/rt/rf 99 für played; so auch in den Neubildungen groicd 93. 142, knowd 18. 20. 141; /5) in anderen Fällen: kern. 47 für r-aiue, chants 71 für chmiee, co\ und «a 3a/S) für Iwcanse, cum 40. 43 für fo/»^, r»;«.« 43 für comes, fernst 83 für fierce, foxghivs 99, .ye«? 18. 44 für gare, girraffs 45, git 98, sr/yÄ 98, ?H«Ä- 99, minit 20. 47 für minute, mi für 07«e und uns für o««? (vgl. § nhßee), Phillistins 17. 18. 20, picter 44. 90. 92 für picture, pleters A\. 45. 90, por r >j S8 für parridge, qniet 117 für ^«t^, scarstly 147 für scarcely, sum 93 für .so>;<e, skweex 45 für squeexe, tak. 42, /oA.v 98, ^a//.« 40 für /«/es, tlghtning 79, ^er 17. 18. 45 u. ö. für ye have. Abweichend von der Schrift- sprache wird häufig e nach einem einfachen Konsonanten gesetzt, wenn die übliche Bezeichnung des davor stehenden langen Vokals geändert worden ist; vgl. imre für pair, cote für caught, brake für break-, grate für great, wäre für trear, yerc für year, thcre für their, cote für coat, pore für poor, iwse für knoivs (wegen der Belege siehe die einzelneu Vokale). Ebenso steht stummes e zur Bezeichnung der Tjänge des be- tonten Vokals bei Wegfall des gh in rite 99 für /•//////. fite 121 für figid and strite 102 für straight (vgl. auch sins 92 = sighitig); ebenso bei Wegfall des thc in elose 18. 89. 90 u. ö. (für c/ofltes). Vgl. ferner noch noen 44 für knoten und nach kurzem Vokid dnsent 125. was wohl ein

171 l'KMirt<'iliiiij;cii 1111(1 k'ui'/c Aiizoiiicii.

hlofsef« Vorsehen für dofnnl ist. Die Hinzufügnn«; von r in tilllis und r.ictUs (s. 1 e,*) ist durch Annlogie veranlafst. Es sei aneh Winniipldini 99 für Wimhii'doii erwähnt.

7. ca betont a) bei der Aussprache cc durch das gleldi wertige a mit nachfolgendem stummem r vertreten: brahr VM">. \H\, iirnte 08, wäre 121; b) bei der Aussprache // n) <hirch das gleicli wertige er.: meef 102, neer/y loO. 122. \2'.', fcfisc 71; ß) durcli das gleichwertige e mit nadifolgendem stummem r : i/erp OS. 100; c) bei der Aussj)raciie r/a durch das gleicli- wertigc a : hnii 8:'>, s/rrrtftrf 141. 1 1.">, mrcctnrt.^ 110. II?,; d) bei der Aus- sprache '"' phonetisch durch r: (Irrdful ll(i, Imh 00, imhrlihtf 7), liernj 12:5, kther tjß (vgl. Letherhend 141), Ashsted 08 f., Hamsfefl *.)0, msiefl 150; ob T/orr/ BekonsfieM S. 40 hierher gehört oder mit t/erp bA' zusammen- zustellen ist, läfst sich nicht entscheiden, da der betoute Vokal in Bpneotis- field bald //. bald f gesprochen wird; e) bei der Aussprache xj «> durch das gleichwertige e: lienis für mrnit 150 (Iirrus hnl.f fnther'H irarjes).) fJ) durch ee: herrd als Prät. {I hfrrd lihn feil nnj wnfhf^r) 150 und als Part. {Tre Itcpfd on if) 122: da die vulgäre Aussprache den Vokal als // hören lälst (Baumann XCVI ; vgl. auch heerd bei Dickens zur Charakterisierung der Sprache Sam Wellers [s. Franz 218]), .so ist diese gewifs an der Schrei^ bung heerd für heard schuld.

8. eau durch das einfachere pav vertreten: Iwuiifvl 142. U4.

9. ee der gewöhnlichen Aussprache gemäl's durch / vertreten in th f ipiie.nee 147; aber auch in nriiif/f pill :>7 für ormitje peel : liegt hier ein blofses Verseheu vor (etwa Verwechselung mit pHl) oder vulgäre Verkür- zurig in dem minder betouten zweiten Teil des Kompositums?

10. pA a) betont «) mit der Aussprache // (Avonebeu freilich auch ai vorkommt) vertreten durch gleichwertiges pp in nepther 42; ß) mit der Aussprache li durch gleichwertiges p mit nachfolgendem stummem e in therp 00 für thpir: b) unbetont der Aussprache gemäi's durch / in snrring Hl für sovereif/ns.

11. PO der Aussprache gemäl's verti-eten durch ee : pepple 90..

12. eu durch das gleichwertige etr vertreten: Renbin 88 f.

i;5. etc scheint durch mr vertreten in mmr (Cats also inoic) 71, aber möglicherweise ist moir (Aussprache moo"'^) ein ganz anderes Wort als mew.

14. pji unbetont vertreten durch das gleichwertige //; rhitnblij 48, donkys 82.

15. /' a) betont «) bei der Aussprache a! vertreten durch das (im Auslaut) gleichwex'tige ie : qttiet 117 für qidte (She'x quiet as (jood as those ladks); ß) bei der Aussprache ii durcli das gleichwertige ee: poheecmw 41, pollepceman 111, plpeccinen 00, couppriccnpr 140 f. und teener 150 für cmicer- fina; y) vor r bei der südlichen Aussprache o,y durch das vor /• gleich- wertige c: shcrf Ol, .sk/t-ert 52 für sqtdrf, sk/rcrts 52.

b) unbetont «) durch das gleichwertige ;/ vertreten : casi/er 149, ecvsyest 140, pypttypst 142; auch soldyer 42, wo auch in der Aussprache der Ge- bildeten di gewöhnlich Palatal ist (vgl. riyldyess 114); ß) durch ei pudden 88. 122. 125 f. für pudding (nach vulgärer Aussprache: Baumann

Beurtoiliiiifion und kurze Anzeigen. 175

s. V. puddeu); y) durch ii : Bevjhmm SS. S9 (vgl. Storni 290); <^) nicht zur besonderen Darstellung gekommen, aa) indem für ei, sei und ssi' der gewöhnlichen Aussprache gemäfs f<h oder ssh geschrieben wird : speshaUy l(i, apeshulhf 87. 88. itO. 110 u. ö., jiresJw.i 50, eemshenses 59, misshiuaries 17 (wo das zweite / für o steht); bb) wohl infolg-e ungenauer Lautaualyse in sin^ 92 für sighing {All the birds in tUe air went a sine aiul a sohbin).

16. ie a) betont vertreten «) bei der Aussprache oi durch das gleich- wertige y: ert/d 84. 9'i. 150, ty 122; ß) bei der Aussprache.// aa) durch das gleichAvertige ee: heleeve 98 ff. 122 f. 125, bkeve 45. 115; bb) durch das gleichwertige e.o .- feorsf 8'^ für perce: y) der Aussprache gemäfe dui-ch e: frend 81.

b) unbetont «) vertreten durch das gleichwertige /.• Imlldayzis 99, matTid 18. 19. 115; ß) durch das gleichwertige y : htiryd 84, marryd lä'l, worrys 37; 7) entstellt in hnndkerehers 99. 122 für liondkeir-hieß (vgl. Storm 297).

17. o a) betont vertreten «) bei der Aussprache 00' durch das pho- netische Ott: hmild 99; ß) bei der Aussprache ««/ durch das gleichwertig-e 00: too 71 für two; y) vor r bei der Aus.sprache 9d aa) durch das gleich- wertige u : fvr für f(w {for nothiny) 100, wurshipped 17, ivurshippiny 20; bb) durch das gleichwertige <?.- werkhoxen 100; 5) bei der Aussprache a phonetisch durch ?/.- e«/m 40. 4?> für come, cumin 41, eums-lS, fox-gliws 99, gucnor 141, \dher 19. 115, lähers 40. 71. 114, amdher 18. 41. 84, ■«?<»* 93, tuppence 15(» (nach der gewöhnlichen Aussprache für Uropenee), minm 9?', uttnder 115. Wegen lo^ one im engen Anschlufs an ein Adjektiv siehe unten b/?ee.

b) unbetont «) vor der Tonsilbe aa) vertreten durch er (vgl. Storm 292): petiice 20. \?j9, perliceman 00. 61, pertaters für potafoes 66, terbacea 112; bb) weggefallen in pleeeemen 99 (vgl. Storm 292), feemrs für eoncer- tinas; ß) nach der Tonsilbe vertreten aa) durch«/ terhaeea l\2; bb) durch P-: ehariet 49, faetery 141, /y«te- 142 für liqum; si%xers 19 für seissors: cc) durch er (vgl. § 23 b): piwierl 49. 150; oug/da- 71 und «//"er 27 für oj/^rAi to; zugleich unter AVegfall von /'.• thinker [What do ymi think^r that?) 83, hindser {all kindser colows) 89; vgl. pertaters 66; dd) durch /.• inisshinwrics 17; ee) durch a: kordiiin 149 für aeeordion, seewid 20, Wimmeldiin 99 für Wimbledon, a badmi (= a had mie) 18, tJie baduns 42, Uttluns 'II, //«e besfuns 43.

18. of/ vertreten a) betont durch das gleichwertige o nebst nachfol- gendem stummem o: cota 143; b) unbetont durch u : ice^teutf 99 (vgl. Storni 292). - mI).!)!--.!./- u-.u;-.:

19. oe betont vertreten a) bei der Aussprache utt durch fläs gleich- wertige 00: skookther 60; b) bei der Aussprache <> «) durch das gleichwertige ?/.- rf8/>? 99; ß) wohl nur durch ein Versehen durch o mit nachfolgendem stummem e in dosen' f 125 statt dnesn'f. \Vegen poHaters 00 vgl. 17b,c?cc.

20. or vertreten a) betont durch das nur graphisch verschiedene oy : joyti9H; b) unbetont durch //.• forPassJ/el/ ~9 {\g\. 15b;', da die Aussprache der Gebildeten fod'tix ist).

170 Beurteil iiM>i<'ii mid km/c Anzeigen.

21. o<> ))etont vertreten durch o der vidf^ären Ausspnielie ^cniäiK (Storni 293): pore 92, jwrcr 42.

22. Oll a) betont vertreten «) bei der Aussprache an durch ur (vgl. 23a«): ohart für almU 17. 10. 20. 82. 81. 87. 88. 00. Ol. 0.^.. 00, <y//v«/ 82. 8:1. 81. 09, uH 99; diese seltsame Lautbezeichnung mufs ihren Grund in der vulgären Au.ssprache des Lautes haben; ß) bei der Aussprache 66 oder in London gewöhnlich öö phonetisch durch o: porin 116 ^.iyXip&iiriny; -/) bei der Aussprache o6 durch af in öfter 27 oiai^d to ( H> öfter aluayfi he- forefiU); vgl. unten § ^'.2 und Fälle wie .^orcy für sai(ct) bei Storni 289; Harker meint freilich S. 28, öfter stünde für höre to: S) bei der Aus- sprache ou aa) durch e vor r: ijer für your 10. I."). .52. 71 u. ö. Die« entspricht der schwachstufigen Aussprache j^r in Sweets Eleaientarbuch XXXII; bb) im Auslaut durch er: yer für ymi 17. 18. 20. 21. 41 u. ö. Dies entspricht ebenfalls, abgesehen vom r, der schwachstufigen Aus- sprache jo bei Sweet a. a. O. Es ist aber zu beachten, dals yer auch für you're geschrieben wird: TJiufs jmt wlterc yer wrony 17; When yer flyi/iy yer kites .52 ; When yer yhanin 88. Dafür findet sich you geschrieben 84 (vgl, § 39). s) bei der Aussprache a phonetisch durch v: ynng 143, ruff 141 für rough; ^) bei der Aussprache o phonetisch durch o: coff 72 für cough; t]) bei der Aussprache u aa) durch oo nach Analogie von good, stood, wood u. s. w. : icood für uoiM 18. 83. 84 u. ö., ooodn't 99; bb) durch u: skud 82; dies entspricht wohl der schwachstufigen Aussprache fod bei Sweet a. a. O. XXXIII.

b) unbetont vertreten «) durch e: porler 151, rightyess 114; ß) durch u: preshus 50.

23. otv a) betont vertreten «) bei der Aussprache oh durch or (vgl. 22 aa): dam üir dornt 82. 83. 98. 99; ß) bei der Aussprache oo" durch das gleichwertige o oder oe: rto für Imow 41. 42. 45. 84. 110. 111. 112, nose 40 für hwivs, noen 44 für hioioi,

b) unbetont vertreten durch er der vulgären Aussprache gemäfs (Storm 292): fcllers 124, folhrin 123 für foUowimj, holler 102, sicallered 36, wimler 41. 48, wimiers 41. 99 u. ö., yeUer 44. 126, gellerer 141.

24. u a) betont «) bei der Aussprache jmi oder im vertreten durch das gleichwertige eiv : mensik 84, creu-el 67 ; ß) bei der Aussprache a aa) der vulgären (Storm 294), aber auch von Sweet, Elementarbuch 44 b, gelehrten Aussprache entsprechend durch e in jesf 49. 82 (Jest llke fire- ivorks; jest the same as); aufserdem findet sich kerriu 100 für currant als Gegenstück zu tiirriers (vgl. 6ay); bb) durch / in sich 18. 21 ebenfalls der vulgären Aussprache gemäfs, die hier den älteren /-Laut erhalten hat (Storm 294).

b) unbetont a) vor der Tonsilbe bei der Aussprache u durch oo ver- treten (vgl. 22a<;aa): hooray für hurra(h) 00; ß) nach der Tonsilbe aa) mit der Aussprache im durch er (vgl. 22atV): qiufdrerped 47. 66 ff.; instrer- ments 149; bb) vor r in dem Suffix -itre durch e (vgl. Franz 203): piefer 44. 90. 92, picters 44. 45. 90; cc) der Aussprache gemäfs durch * in mimt 20. 47 für mimite; dd) (bei ähnlichem Lautübergang in der

?Vurteiliiii<;tMi mul kurze Anzeigen. 177

V^ilgärsprache ?) ebenfalls durch * iii adilly 111. 115; ee) der Aussprache gemäfs nicht geschrieben in vittles 20. ".6. 87 und i^ictlcs lOf, für rietuals: ff) unterdrückt: reylar ISO (Storm 294).

25. m betont vertreten durch das gleichwertige nr : biete P>5 für blne, Teivsdmj 71, trew 81.

26. ui betont phonetisch durch / vertreten: bild 115, bildiny 111.

27. y betont durch das gleichwertige / vertreten: hhn für hymn loi».

B. Konsonanten.

28. b ist vorhergehendem m assimiliert worden in Wimmelduti 99 für Wimbledon, eingeschoben in ehimbly 1:^. für chimney (vgl. Storm 295, Franz 210, Baumann XCI).

29. c und ch mit der Aussprache /.■ werden /.■ geschrieben : Afrika 42, Ameriky 44, Amerikan 147, Bckonsfiehl 19, hak 89, .kriko 82, kage 44 flf'., kern 47 für came, kerrin 100 für eurrant, konlinn 149 für aceardion, kornit 149 f., tos^^7^f 140 für elasties, meivsik 84, publik-liouse 142, skampering 117. Für f und sc mit der Aussprache .s tritt s ein : sellers 82 für cellars, con- shenses 59 für cmisciences, fearst 8?» für fieree, scarsely V2P> und scarstly 147, <««se 102, sir,%ers 19 für seissors; ts in chants 71 und chantscs 117 für chatu-e, chances. Für '•/ und .sc/ wird .sA der Aussprache gemäfs ge- schrieben in speshally 40, spesimlly 87. 88. 99. 116 u. ö., conshenses 59; aber für das ebenso gesprochene ee steht infolge von Verwechselung oder ungenauer Lautanalyse rhe geschrieben in ocheant 122 fF. 125 f. Der Aus- sprache gemäfs fehlt c in vittks 20. :'0. 87 und in dem sich sonst genauer an die etymologische Schreibung anschliefsenden vituals 79, ferner in exppt .50. 88. 92. 112.

."0. Für dg steht das gleichwertige J in porrij 88. Nach der Aus- sprache auch der Gebildeten wird für d im Auslaut t geschrieben in aski 124, arskt 18. 20. 25. 30. 47, arsket 89. 91. 92, lauglit 114. 123, larft 36, mixt 142, pasf 91. Dagegen beruht wohl auf vulgärer Aussprache beJiinf 18. 20. 44. Für and ist an geschrieben 98 {a.n //yV.s- ns n fm an all sa/is of niced tkinys und up an. dam). i>9 [yircn, ait yrccn, an yircn u. ö., auch an a big ehain). 100 (vgl. Sweets Elementarbuch XXXI). Vulgär ist der Aus- oder Abfall von d in hans 98, stau 41, stanniu 41, gmnmoiher 117 (vgl. Storm S. 295). Zugesetzt ist der vulgären Aussprache gemäfs d in droumd 114, drownded 116, drmmding 103 (vgl. Storm 295, Franz 208). Dagegen die häufig vorkommende Schreibung niccd für nicc 25 f. 16. iSC*. 90 ff. 98. 100. 122. 123. 125 u. ö. giebt die vulgäre Aussprache gewils weniger gut wieder als nicrl (s. unten 41).

31. f wird der vulgären Aussprache gemäfs (vgl. Baunuinn p. Jli arter) nicht geschrieben in arter {arter bis ditmer) 83 und arternoon 20; vgl. ferner thinker 83 für fhink of, kind.fer 89 für kinds of

32. g fehlt der allgemeinen Aussprache gemäfs in sovrins 61 für socereigns, aufserdem aber aufserordentlich häufig der vulgären Aussprache gemäfs (Storm 296, Franz 200) bei der Endung iny, namentlich beim Particip und Verbalsubstantiv: courtin 17, yoin a nnirtin \X, Jokin IS, tliinkin 18,

Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV. 12

17!^ FirMirfoiliiiiüni iitid kurze An/.Hgcti.

Ii(jlifiii 11', ni'jijlht 1'.', comiii ■_'(), Irlliii 2<i, tjcftiii 2", sn>ns//i)i 21, n-asl/in 20, akisshi 2(1, rv////* 2^, finhlin i'.T u. s. w. ; femer herrin 02, herrins -12, pal/'ns Ol, s/o('I:r?/s 12, ihkIiIpii "^S. 122. 12-') f., Wftshinfon 117; vgl. auch itofhhi II. <;n. Oll. 02. OS u. 8. w. Aber es zeigt .sich auch umgekehrt w^ für ft/>?, 'w; moiintinii 117, finrdinii If^. Wir finden aber auch (vgl. Storni S. 20."), Franz 8. 200) rrrn/fhwl: T>(). l:W, oii>/fM,>l: 72. Sl. IN. 111. 112. Stumme!» .'/// wird nicht geschrieben : r//^ 00 für >/V/A/. xfroif 121 und .s^r//^ 102 für stfraif/hf, tltr 121 für lifilit. shir 02 für sifiliinfi und ebenda das seltsame .s/>;^^/ für ><itj]i€.(l. Für //// mit der Aussprache /' wird f oder ff gesetzt: larf \'f^. (!1. 80 u. ö., /^//■/'/ .''G; ooff 72 für r-owjh, ruff 111 für roufjli. Die Schreibung ^/"/^r 27 für w/r/Ä/ ^o ist offenbar durch c/z-^v für aftrr .'^.1) veranlafst: /"ist also als stumm anzusehen.

3:^ // wird in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen Au.ssprache in Südengland nicht geschrieben nach ir : necl 20 für ivheeK icether So. lOo. Ill2 für lihrfitrr. irielievcr 00, irislcrs 2.';, irhpprcfJ 0], irot 17. IP-. 10. 20. 40.

II. A'2 u. s. w. Von dem in der Vulgärsprache so beliebten 'dropping' des h giebt, abgesehen von pfops für perhapft (vgl. Oc) und emiürhem (—fitem: vgl. § 18), nur ein Aufsatz Belege, und zwar auch nur in einem Wort: fticeetarf 141. 1 If!, s/rcpfarfs 140. 1 1.0 ; zugesetzt findet es sich in henrelope llu, he.rns 150 für earn^ und hod (il für odd. Vgl. Deh'kr 10 für Drlikdi, aber umgekehrt SipJiireh 1 für Sapphira. Wegen der AVeglassung des fjh oder des Ersatzes desselben durch f oder ff s. § 32 : nur // ist weggelassen in straigt 84, im ougt 117. ''

:li. ^" wird der Aussprache gemäfs vor « Üicht ' geschrieben : nee 17 für hnee, ndf 99 für /,wlf, neir .50. ßl. 8?. für l.nen; no 41. 42. 4.5. 84. 110.

III. 112 für /:)wii\ nose 40 für ki>o/rs. noen 44 für knoioi.

35. ^ wird der Aussprache gemäfs nicht geschrieben in eood 09, shnd 82, ^row/ 18. 8:^). 84 u. ö. statt cmdd. shoidd. trmdd : ferner in rrtrfGl, can-es 45. 46. 67 für calf, cahes.

36. n wird der Aussprache gemäfs nicht geschriebeu in hi»i 100 für hy))in. In / ist es in der Vulgärsprache (vgl. § 28) verwandelt in chimbhj 43. Die Form sined, 92 (SJie nrshct fnfher hon- hirds sincd and sohbed) ist wohl nur ein durch das vorhergehende All f.he birds !)> fhp nfr /rruf n sine (für si(//iinf/) anif a sohbin herbeigeführtes Versehen.

37. p wird der Aussprache gemäfs weggelassen in Hrnnsted Oo für Hampstead und in SipJmrh 146 für Sapphira. Für ph ist das gleich- wertige f getreten in profits 40 statt j)rophets und Jafit 115 statt Japheth.

38. Für qii erscheint einigemal phonetisch liv: h/reer 115, shweex 45, skivert 52 für sr/niit, stimis 52; für r/a init der Aussprache /.■ einmal cl:: licher 142 für fiqifor.

39. Nach vokalisches r ist nicht geschrieben in bnsfin Si U\r bnrsfinf/.- t/ou ebenda {Yott Jusf a sayin if) für ijou'rr. das ebenso wie //o?« oft durch yer vertreten wird fvgl. § 22a(Vbb); endlich in ijesdaij 25 für yesterday Zwischenvokalisches /• fällt weg in geneUy 35 ft'. und fienly 67 f. für getie- rally und in sitpinfendnnf 08 ff. Vorvokalisches /• endlich ist geschwunden in pitend IM für pretend und in missis (ohne Namen) 143. 151, missis's

B(Mirtoiliing»'ii iiiid kurze Aiizoigeu. 170

110, mis/^iscs l|(i (vgl. Baumaun KiOb). Zugesetzt ist r in offer für <mght to, arnfs 110 für oimts, ard- 92, arskmff 40. 4C>, arsld 18. -20. 2,";. ?,ß. 17, ors/.et 89. 9]. 92, nrter 83 für a/if^y, arfernoon 20, <^^-ffr/' 07, carrrs 4'\. IH. 07, coitcerteener 149. 1.50 und ieenfm 1")0 für concertiua und den Plural, Deliier 19 für DelUah. fhrnir 11 für rZ/r^^r, frirfit 52 für fast, ,fpUers 124 für felloics, foUeriu(j 123 für foUmv'nui, hnller 102 für holloir, insfrennents 119 für instnnuents. .hirlrr 88. 89 für .Jiidnlh), hhuher 89 für /■///r/.« o/J /ar/" 18. Ol. 83 u. ö. für laufjh. larff ^"0 für IniKjlirf], oiighter 71 für wi-f/Ä/ /o, ^j^;'- /?V?e 20. 139 iiiT poliee, i)erliceman 00. Ol, perfafcrf 00 iür jiofaftws, piaiier 149. löO für piftno, qt/adrerpecl 17. 00 ff. für quailrnpeil, sicallered 30 für sHcilloued, terbaecn 112 für tobaccn, think/'r 83 für ^A/??/.- o/'. usiierl 19. 7o für tisital, iricherd 17. 83, irinder 41. 13 für irindou; winders 41. 99 u. o., //e/Z<'/- 44. 120 für yclloir, yellerer 111 für ijrUoicer, yer 17. 18. 20 u. ö. für yo?/. Wegen abarf. nrf. rnr»d für nbniit. nid. rnund s. § 22a«, wegen f/(7.r« für doivn 23 a«. ,f._ ,. 40. Für s mit der Aussprache t wird ■. geschrieben in eo;, und «/v (vgl. § 3a;5) für becanse, Izok 89 für Isriac, ditx 99 für rfo^'s, bnllday.iis 99 für bidldm'sies: ebenso in dem gleichen Falle 'xx. für ss in sixxers 19 für scüsors. Stimmlosigkeit des auslautenden s- in vulgärer Aussprache ist wohl der Grund der Schreibung pleacr 41 statt please. Für ssi mit dei- Aussprache .s7/ steht ssb in »n's.shi)iaric>< 17, .sä.s. für sb in Äs/n^fed 98 f.

11. / ist der allgemeinen Aussjjrache gemäfs nicht geschrieben in nposi<le 140. 147, biissled2ö, bussle 115, hussled \\i, jossle 117, ickissled 114; dagegen nur der vulgären Aussprache entspricht missis (s. oben 39) statt mi'stress ohne folgenden Xamen. Vgl. aufserdem kerrhi 100 für curranf (Storm belegt 297 n oder ei/ iür n'f not) und yesday 25 für yesterday. Zugefügt ist t der vulgären Aussprache gemäfs (vgl. Storm 297, Bau- mann XCIV, Franz 208) in arroHf 71. 110, fearst 83 für ftcrce. nicet 17. 20. 45. 47 für nie«, nicetly 19. 37. 42, niceter 30, nicctisf 47 (vgl. niepd oben § 30), ocheant 122 f. 125 f., scarsüy 147. Ob das t in ebanfs 71 und fbnni.'ies 117 auf vulgärer Aussprache oder auf ungenauer Lautanalyse beruht, weifs ich nicht zu sagen. Palatalisiertem f ist s// zugefügt in actsbully 17. In clo.^e 18. 89 ff. 122. 125 für fdotbrs fehlt das fh in Über- ein.stimmung mit der bequemeren auch von Gebildeten häufig augewen- deten Aussprache. Für ik ist wohl infolge ungenauer Erinnerung / ge- schrieben in Jafd 115 für Japbefb.

42. ic fehlt der allgemeinen Aussprache gemäfs anlautend in roth.SS. 89 für irroth und inlautend in fno 71 und tuppenee 150. Die vulgäre Aussprache (vgl. Baumann 3a, Franz 2(^8) giebt (dlns 19. 40 ff. 47. 88 f. und (dlis 99. 110. 111 U\r /dirays wieder. Tn Übereinstimmung mit der allgemeinen Aussprache ist geschrieben iniiifc 98 für o)H'c.

43. Verdoppelungen von Konsonanten finden öfter abweichend vom Schriftenglischen statt: noboddy 147. 148, evcryboddy 14~. 118; nllicays 5(i. 51. 00. 07. 102 u. ö. (vgl. rdliis und aW/s §42); polleecemon \\\, Pkillisiiiis 17. 18. 20, fttiin'ii/dls 115. 117, Anninins 140 für Anaiilas (sfaiiiiiii II für Standing folgt der Eegel), tuppenee 150, thrippenee 117, bunied 117, ////-

12*

180 I>»Mir(('ilimjr<'n und Iriirzc Aiizci«:»'!!.

rafl'a Jö, -io.s.siye -^G für sniisnijr, iimssfciitr 117, prossuciitPAl IN, ojjoaale 140. 1-17, bmskff 20, ////aä/^ llö, IniKsIrd ll|, y«.«.«/^ 117, irlnssled IM, /«»W.« (s. oben oO), rifihiifr.ss III für rl<ihimnx, Jirrnj Vl'.\ für //^y////. Meisten« handelt es sich um Fälle, wu auch die Aussprache der Gebildeten kurzen Vokal hat. Wegen itollppcnmin vgl. phefmnen Of, wegen plll s. § 0, wegen sossiyc §:^)a'^bb; nlhrniis könnte sein // nll verdanken, aber vgl. auch die von Baumann :'.a angegebene vulgäre Aussprache W»v. Auch /^/W 60. Ol» sei erwähnt, eine Neubildung statt foUl. ■— T'nigekehrt einfache Kon.so- nanten statt der von der üblichen Orthographie geforderten Gemination erscheinen im Wort- oder Silbenauslaut in (johh'n 'M für r/oUih'/iy, Iml Ol für o(hL erat 11, i/rJ: 100, hUsiih KXi, )nlssls (s. oben § ^f). Vgl. ferner acro.st 71. 110 für nf-ross, öfter 27 und oufjhtcr 71 für ouylit to, u^.nlij 07 f. für (jpneralhj. hnnrat) ÖO für hurra(li). (re.ytsin W für trespassinij.

II. Umstellung ist der Vulgärsprache gemäls eingetreten in peHcnd it<i für prctend, pcrtended 10, pertendiny P.7. 0(i (vgl. Franz 21 1) und in chiJdeni 00. 82. 98. 10.S. 140. 141. 142. UZ. Die Aussprache ffikhni wird vielfach von Deutschen angewendet: sie wird z. B. in dem vielgebrauchten Wörter- buch von Jame.s gelehrt.

II. F o r m e n 1 e h r e. 4.5. Der unbestimmte Artikel lautet auch vor Vokalen a (vgl. Bau- mann las. V. a): a elipheid 44, a apple corf man 4ö, a orgln man 02, a ark 114; vgl. auch a hod pennii Ol für an odd pernnj: o hpvrdope llo für an enrelopp. Wegen f/mn als Artikels s. § .'>0.

46. Der Analogie von Wörtern, wie tirief. leaf u. s. w., folgt hnof mit seinem Plural hoores 07. Xach xt tritt Ps statt .* an (vgl. Franz 200): beastes 84, ncstes 0?.. Ein Versehen ist wohl nur foxs 82. Doppelte Plural- bildung liegt vor (vgl. Storm 276, Franz 222) bei clmcses 71, Iheses 71, hoyses 2-j {/ wish my head iias samc as other hoy.ses, doch wohl hoy^'. nicht etwa "hoys's). Statt My fafhcr yke hpr foitr pe» nies 92 verlangt die Grammatik fot/rpencp (vgl. ^fy tnoilipr ijirp him fotirppncp 02).

47. Aus dem nicht blofs bei Shakspere, sondern auch gelegentlich bei neueren Schriftstellern vorkommenden dopijelten Komparativ norspr (vgl. Storm 214 f.), der 18 und 25 zu belegen ist, hat sich ein Positiv u'orse entwickelt: Ikd copyiny sums is as tcm-se as stealhiy apples 60 (vgl. Franz 231). Der Superlativ Httlest- kommt zweimal vor: Benjimun tca^ the littlest son 88; Tts nose has yof fhp liftlest slin nvpr it (vgl. Storm 277, Franz 201),

48. Nicht blofs in der Vulgär-, sondern auch in der Umgangssprache (Vgl. Storm 207 fl'. 2o:'.. 2H ft", Franz 224) werden me, him, her, ks als Nominative gebraucht (wegen them siehe § öO). Die Kinderaufsätze bieten die folgenden Belege: He. ... is a lot fafter than me 125; Father wanted to yo to the top nf the Hill, hut Mr. Binn said, 'Xoi me: it's good enonyh iiere!' \\'.\; There's only my mother and me 41; My mother and me thcu sat down 47; Elijah was tahen up to Heaien uithout dyin in bed, same as you and me »rill Imre to 40; Me and .somc morc boys was a lookiny at a

Bcurtcilungtri und kürzt* Anztigcn. 181

posfman lln f.; J//-. Binii iold nnj faflicr tltat liiiit '(ikJ inothcr and baby aml me could all yo a-ith htm in hin eanige io Box Hill oii the Mmiday 140; I shouMn't have }iocn it ivas him AA; Hitu and some inore yoimg men sotndimes takes a walk into the coimtry 150; That was her 2(i; There is some pcople wot lii-cs on the saine floor as iis, ouly tJiey are purer than us, and (hat's why they have the huek of oar floor 12. Nur einmal (abgesehen von eatchetn aXive papers 52: s. Hoppe) habe ich mir das 'familiäre und vulgäre' (Storm 205, Franz 223 f.) em für theni augemerkt: They have little tails, but the yirraffs is so big, that yoii'd say as tliey coiddii' t ivay cm 15.

19. Vulgäre Formen des Reflexivpronomens sind hisself und their- selves (Storm 25ö. 264, Franz 225): He feit hisself yett in miyhty strong 20; A thinking to hisself 103; Currimts and his sweetart went Walking away hy tlieirselves 143.

50. Vulgär ist ferner thon für fhose im Nom. und Acc. (vgl. Storm 277, Franz 22*J): Them's the tn-o I see 9u; Them's Newfoundlands as you sec ivith thcir tonyues hanying out. bigger than bull-dogs l()3 ; T)te ships are vcry niced to look at, bnt them with sails on scarsely yo at all 123; Excepi theni as is ahvays tclliny stories 148; / am one of them boys as makes a eroaky sort of noise uhen I sing 149; / askt Die teacher what all them fnnny mucky men was 124 ; This yoiing tvoman actshuUy wurshipped them ityly little imiges icot yev seed Misskinaries bring in bags 17; He tuggcd them tiro big pillers riglit down 21 ; In them dnys people lived on com 87. Auch als Artikel erscheint them (vgl. Franz 22G) : His tyiny them 300 foxcs' tails together with straw 19; Tliem ukl Phillist ins was pum-slied at last 20; Them spatrows don't stop long enongh in one place 93; If it hadn't have been for them steamers 124 ; T/iem steamers without paddles go quick too 124; Round them steamers 12(3; It ts only them niggers as plays hanjos 151. Vulgär ist ferner die Hinzufüguug von there zu Demonstra- tiven (Storm 277, Franz 225) : //" you can't do them there sums called pro- blenis. Scratch your heads and try 6(i; Look at them there children 103; He had more Trufhfidnejss than nearly erery other boy in that there place where he lived 148.

51. Auch die Umgangssprache kennt who als Acc. (vgl. Storm 211, Franz 220): / was oncc runniny after a man who a j)erlice>nan was a tak- ing to the Station for stealing 00. Vulgär ist what, häufig wot geschrieben 1 a;), als Eelativum nacli einem Beziehungswort (Storni 278, Franz 228): Turkeys lay very dear eggs tchat you cont afford 37 ; The Hon is ycllcr. but not so ycller as in the picter book what the Board yev me 44 ; The lessons what you Icarn 51; Them ugly little imiges wot yev seed Misskinaries bring in bags 17 ; He arskt the little boy wot hekl him, to lead him where the two higgest pi.lkrs /tos 20; The dark passige wot is by the side of our housr 10; The little girl wot lices up the vext passige 41 u. s. w. Ebenso beliebt ist aber das gleichfalls vulgäre as als Relativ (Storm 279, Franz 228 f.): The big poleeceman as pushrs them on 41; They want to ftyht the womeii as is stannin at the doors 1 1 ; .lest like fireworks as I once seed at the Crystnl

182 I'curtciliiiijivn uinl kurze Anzeigen.

I'(tlii(r (!•; // nas Ijiird lirbiiislirld. iml Klijdli. its ij))/! sfcil hhiiifd iiji !!•; TIkii IUI Ihr oiic (IS loses 52 u. s. w. Vnlgär ist endlich auch der Gc- braucli von irlilrli, um relativen Auschlufs im allgeraeiuen anzudeuten (Storm 278, Franz 228) : Sht: (die Katze) scruffcrs hiin (den Hund) in the nosr, irhlch ijoti Liioir, uf all parls of llir ilui/'s p^sh. ils t/osr )ifis (jot Ihr littlrsl slrii/ nrcr il 1 (('_'; .1/// ftilhrr j)iill(il iinj hiiir iiiorc llitni hoifs pull, ich Ich if 1(1 s(i/(l l'il iloiic il. [ sliiiiikl li(irc ijitt cliiin (<lf for Tnilhfiilnrss 118.

52. Was die Stamniformbilduug starker Verhcn anlangt, so sind (jrc 18. 1-1 für ficiKC und Iccni 47 für cwnic nur phonetische Abweichungen von der Schriftsprache la,-?). Der Vokal des passiven Particips ist ins Prä- teritum eingedrungen in hri/iiii 5(i. !•!. !>". 111 (vgl. Baumanu XCVIj, (Inml- \2", rtni 111, sprianj 18. 19, sirii;/ ^^2. loO. Ausgleichung des Vokals dfes Präteritums zugleich mit dem Präsens und dem passiven Participium hat stattgefunden bei cuiite (vgl. Storm 207) öU (// cowc to pas.'i). 02; (jice (vgl. Franz 210) Gl. 00. 02 {TItr n-oinan (jka him a cup of trM ; Mij fatlirr 'live lirr fotir pennies); see (vgl. Storm 20'7, Franz 210) 80 (/ see a rnhhi redbreast for Ihe first time this year, mul I see tlm second one in Whitsun). 00. 91. 02. 100. Von der Schriftsprache weicht durch Abwerf ung des n ab das Particip fju-e 61 (^1 liltle hoy as liad teil soerins <jire hiin hy u yentirniaii; vgl. Franz 210); durch Ausgleich mit dem Präteritum took (Storm 281, Baumaun XCIV, Franz 218) 0(t {My father Inal took nie and niy sister a loinj irall,) und irrole (Baumaun XCVT, Franz 218) 118 {They'rr all ivroie doioi in o liool.-).

5o. Schwachgebildet kommen abweichend von der Schriftsprache in den Aufsätzen die folgenden Präterita vor: draiced {I dirrwed mir cat on some n-hife lou jKipnr) 71 (vgl. Franz 218); foryired (Samson ncver forgived Ihr imiye n-onian) 18; l.noud 18. 20. 111 {Yellin to diffcrcnl folhs in the .^freet as he knofvd; vgl. Franz 218); seed {Samson /ras thr ironderfnilest tnnn yon r.rer seed) 17. 10. 60. 83. 112. 126. 112 f. (vgl. Storm 281, Bau- mann XCVI, Franz 21!»); und die folgenden Participien : hion-ed 10. 50 {Elijah was bloired ap on Mount Sinai; vgl. Storm 281, Baumann XCVI) ; yrowd {graied-np people) 03. 142 (vgl. Storm 284, Franz 218); seed 17. 18. 45. 47. 52. 84. 08. 09. 122. 12:5 (You shonid harc seed theni spit it out like lightnin).

54. Mit schwacher, aber doch vom Schriftenglischen abweichender Bildung kommen die folgenden Präterita vor: catclied 5U {His nianlle. which Elisha catclied hold of; vgl. Storm 267); heerd 150 {I heerd him teil my niother as it was his baby; vgl. Baumann XCVI, Franz 218); telld 60 {He telld Ihe perliccman to drive tis back), 99; thinlced 61 (/ thinked like mad); thrnsted^^j {Thentheythrnstedthestoneoff: Stormonth führt fhriisfed neben thrnsl als Participium an). Was das Participium anlangt, so ist nur heerd 122 (frc heerd on it) anzuführen (vgl. Franz 218). In ealched sieht Storni die erhaltene ältere Form: es könnte aber ebenso gut Neu- bildung sein, wie die übrigen Formen.

55. Beim Verbum substantivum gilt is auch für den Plural (vgl." Franz 210), nicht blofs in Sätzen, wie There is' bottks all round 26 (vgl.

Beurteiluugt'ii und kurze Anzeigen. 183

12. 40. GG. 82 u. s. w.), sondern auch in solchen, wie Hcadacke.s ii> not dmiyewus 26; The reason u-hij thc Itoiises ht aar sfrecf /.s so hlack 4:3 (vgl. 45. 47. 90 u. s. w.) ; was auch für den Plural des Indikativs und für deu Konjunktiv (vgl. Storni 283, Franz 219) : / . . . ueecr icoke up tili ue tcas Ivome 144; The PlillUstins was all eaiiiKj tlteir diniitrs ronitd hiin 18; How Üiey wood larf whilc tlicy was a carryimj theju home, speshuUy whcii they nas tryiny thein on 18; Hp hiUed abart a fhofisa/td <>f fliet)i ju.sf as if they was flies u. ü.

."»G. Was die Euduugeu anlangt, so ist *■ nicht auf die 3. Sing. Präs. beschränkt (vgl. Storni 28U, Franz 221): I yucs 30, I has 17. 98, I learns 91, / lores 53, / uosc 40 (für knows), I . . . teils 25; you (inda ÖO, you . . . yets 87, you hcars 20, you knows Ol, you sees 00; all yentiles calls 50, yer mother.^ . . . chucks bits of Lloyds and cabbiyc leaves in thc middle of the load 40; they daresut 141; wich rieh people eat's 08; yiiis fears rats 71; they ßnds 0(» ; pertaters yrows CO ; they . . . keeps GO ; so/ite people wot lives 42; alt Ijoys ... says no'Ih; tlte nien nearly allus says 41; some boys steeds littlc thinys 59 ; yowr conshenses teils you 59 ; some boys thinlcs 00 ; Twrkeys never piek nor woirys 37 u. s. w. Umgekehrt fehlt *• in liow it sinell 40. Auch die gebildete Umgangssprache kennt do)it (Storm 283) für does not : The sKii don't seent fo shitic so niretly down oar .street as in the tyiy streeis 42.

57. Die Adverbia zeigen iu der Vulgärsprache öfter als iu der Sprache der Gebildeten gleiche Form mit dem Adjektiv (vgl. Storm 215, Franz 231): It killcd them alt tliere^ as easy as flies 21 ; They can [way their tails], just as easy as a little doy cofn 45 ; You' II eaf fhe nieaf and potatoes easy enouyli after 79; He was so niiyläy .^itrony 17, vgl. 19. 20 und Franz 233; They look at you so nicet 15; // i/itide nn- reytar rited 125; Last Bank lioli- day was a regulär yood unc IlO; If was reyulor jolly 143; They run so silly 40 u. s. w.

58. Sonst seien als Vulgarismen erwähnt: af'ore statt bef'ore (Storm 27;; und Franz 230), anywheres (Franz 232), sontetime (arch.) für some- tinics und niost im Sinne von almost. If you . . . say yec iward anytltink l,ike it aforeSi; The niyhf afore 139; The weck afore 140. There was ... not n bit of vorn anyirhercs round 89; Tiiey liaoen't yot a bit of red. not eren white, anywheres abart there bodies 00; They eouldn't inake np their niinds fo stoji for lony anyir/wres 124. I sonietinte feel friyhtcncd 11. Doefors hare most always nieed blaek wiskers at thc sidc 25; The /ro/nen's feef nas little and ivhite, and niost allways nicc and ctean ÖO; Tliis is vcry eruel Sport, niost as bad as rat catchin 52; Cats eut nwxd and niost anythink 72; Tlicy arc very clean nien niost any tinie you like to look 112.

59. Was die Präpositionen anlangt, so sei auf den in der Vulgär- sprache so häufigen, iu der Schriftsprache jetzt archaistischen Gebrauch von a vor dem Gerundium hingewiesen (vgl. Storm 27<» iW, Franz 239). Nur einmal, falls ich nichts übersehen habe, steht of dahinter: Ue eant sce what iie's a doiny o/'103; vgl. sonst He yot a courtin a young wonian 17; Samson ?ias yoin a courtin 18; Delilcr was allus a worrying Sanisoii 19; Here they are a camin 19; The nasty ironian ... cried ont a gigglin 19;

|?!1 ßourtoilunfTfri iirid kurze Anzeigen.

Ml/ iiKilhrr n(is ri hissiiifj nie fiiifl nij'ni 2'i; 77/'' ///'/•/.« (irr nihis ti nrsking Hin tri fr// /hnii im/ J nonr 10; Thcy arr n a/hi.t hartnff herrins fo thfir fihwrrs am/ siipprrx 12 u. s. w. Besonder.« merkwürdig sind die folgenden Fälle, die zeigen, wie das n mit dem Gerundium im Sprachgefühl ver- wachsen ist: Thr flonr (ßven a r-raek cox of the boarth n mochvj 11; 7V>c (ox . . . ifffi't irorfJi o /oolcin af cvx of ifs sixe 16. rrn .steht für (-//"(Storm 27:', Franz 23t f.): We'V irn/Ir fhronyli thf nihhl/r an ner 11; J' vr heerd nn it 122. Verkürzungen sind eingetreten : cox für /)efMHHe {f;ox of hh fying theni 300 foxcs' faüs together 19; cox of the boatrls a moring 41; all rm of fht's hloomrn kagc 15; eor of its sk^i AQ; cor, of Chrisfimiity 71); counf für on acooimi {If yoii thinh they fthe Netvfotmdlanfh] cant swim counf nf fhem nalkimj a btt Inrnr, U in not irvr) lOo. Ich erwähne ferner in pottrsr 17 für of coiirae (vgl. in coomr. bei Baumaun 82 a) ; JIr bfigon of fhem figiii 10; hl Wkifswi, r/sr Eiislrr itd; Qu ihr Zop of liim öd. Vor einem Infinitiv steht das in der heutigen Schriftsprache veraltete for to (Storni 2(38, Franz 238) für fo : He used for fo say fhem {hi.s praycrfs) in the middh of the day 83 ; If is a shnme for fo see 140.

60. Auch als Konjunktion wird before durch r/forr vertreten : Samson hadnf bcrn morrid Imvj, afm-c hr began of them agiu 19; Aforr nriybody f'ould sfop hilft 21; Jitsf nfore he bi/ried ine 26; J^fsf afo-rr I atartfid from home 122; A /ong fiinr aforr if comes 139; Äforr Für 117. Für fhaf tritt in der Vulgärsprache ns ein (Storm 280, Franz 236): They thought OS thmj was safe 20; (hie said as I'd gromi fat since yesterday 36; Now you can say as yov've seen a Hon 11 ; Ymi think as ymt can flght 15 u. s. w. So steht auch so ns für so that : Drunken men . . . turn their trotisers porkffs inside out so as a/i fhcir money ran fall out aniongst the ehildren 11 ; The Spider . . . sktrerts sonir more jnicc on fo the fly's irings so as if rant f/y array 52; It cocks tip its fail likc a rvlcr. so as you can't gef no furfher l\ ; vgl. 102. 139. Sehr beliebt ist like as (vgl. Storm 285, Franz 237): If dropped doini dead, like as yec seed cous behint biächers shops 18; It just opened its moidh aide, like as yev seed men sittin af their doors and (I gaping 15 ; They irou/d he good unto him, like as they iras to Benjininn HVt ; Them sparroics don't sfop lang enougli in one p/are and liwe n good, try, /ike a^ robins do 93; vgl. 102. 115. Seltener kommt so blofses like vor (vgl. Storm 281 f., Franz 237): In them days people lired on com, like horses do noic 87 ; / ironder wether Heaven's like that was 100 ; Tfiey . . . hussled the poor vmn about, just like Tve seen people go o?i at the Salvation Army 114. Furnivall hat in der Academy vom 15. Januar 1887 p. 44 c dagegen Protest erhoben, dafs ein Kritiker in der vorhergehenden Nummer p. 16 a ein so gebrauchtes like als ndgarisni bezeichnete. Erwähnt sei ferner /ike as if oder like as tcot oder blofses /ike für as if: The Turkey makes a qiieer iwise ealled gobiin. like as if there iras bits of halls a ratflin in its neck 37 ; The reason. why sailors like to get drnnk is becosv. it makes them roll about like as if they was on the ocheant 122 (vgl. Franz 237); He [the Lion) looks at yer throufjh the bars like as not he u-as saying 'you think as you can ßghf 44 ; The poor king sat on the stone cryin likc his

Beurteilungen und kurze Anzeijren. 185

harf wood break 88. Vulgär ist ferner satne as (vgl. Baumann 10-5 s. v. .<>ame) : / u-ish my heacl was same as oflifr hoyses 25 ; The smoke doesnt go . . . into the clonds same as in nked sfreds i3; Elijah was faken up to Heaven withoid dyin in be(/^ same as you and nie will fiave to 49; They {the Spi- ders) M some threiid come mit of their hodies, just same as ymi do tvheii yer fyiny yer kites 52; Then they sktrert jmee on to il to make it stifky, same as fotcliem alive papers irhot you Iniy 51; vgl. 90. 111. 123. 111. Auch the samr as kommt vor : hi that vild country Üicy keep lions in dark seihrs under the yroimd, jest the smnc as your fafkers and mothers keep cocks and hens 82 ; The people used to . . . boo and hoot at Noah. the same as the Army men. and warnen is lauyM and whisded at 114. Wegen der abgekürzten Formen cause, cor, cux s, § Sa,? und Oc. Hier sei endlich erwähnt das zur Konjunktion gewordene fe/ir für for fear: I was rathcr friyhfened of talking fear I shoukl slip off (vom Elephanten) 46.

III. Syntax und Stil.

61. Nach Analogie von half fehlt der unbestimmte Artikel bei quarter: He (der Löwe) isn't qtmrter as big as a eliphent 44.

62. Silly, das die Schriftsprache nur als Adj. kennt, wird in der Volkssprache als Substantivum verwendet (Baumann 178 a 'Einfaltspinsel, fig. Rindvieh'): The l)iy silly (vom Elephanten) won't try 44.

63. Appositionsverhältnis (wie bei unserem 'bifschen'j tritt ein statt des Genitivs bei bit: When you have yot a bit way down, there they are all round you 44 (vgl. im Dialekt von Westmoreland bei Mrs. Huniphry Ward, Robert Elsmere I, 36 Äa tuke yur bit paper ta BandaH's und Stevenson, The Master of Ballantrae 168 If ever you emne hy this spof, though it uns a hundrcd years henee. and you canie with the gayest and the highest in the kind, I woidd sfep aside and remembcr a bit prayer],

61. Das Subjekt wird durch ein persönliches Pronomen aufge- nommen, wie auch in der Umgangssprache (Storm 223): Hei- name it was Dehler 19; Lixa Ann .... she says 41; The man he goes ahout sellin fish, rnostly herrins 42; My teaeher, wlu) stood necri to me, she sfarted rryin a bit, she did 100; Those poor sinfnl people ... they luidnt tinie to fhink now 115.

65. Vermengung von Verbalsubstantiv und (Jerundium (vgl. Storm 269): / should have sct down and donc a cry, onhj I had to keep foüerin of the teacher, so I hadn't got fime 123; Sugar is just as good. as block pudden, so uhy canf they send you to the Training ship for sfealing of it 126 (vgl. das erste § 59 angeführte Beispiel).

66. Das auch in der Umgangssprache übliche yo and (vgl. Hopj>o s. V. go 6, Storm 218 f.) erscheint wiederholt: Then that naaty iniigp noman trent and told them not it was 18; Ymt iroodnt think this strong man wood hare gone and got marrid ayen to anuther imige uoman 18; Same boys steals little things and such, and yet they go and think they're got hauest y 59; If you go and .lay yev heard any think like it afore 84; They havn't to go and fight acrost the sea ll(i; You' II gn and get summoned

180 I')f'uitciliiiiL'<ii iiihI kui/c Anzeigen.

for snioLiii yrr faihrr'fi iiipc, ifoii nill. 112; /'/// surr fis fror/irr uouldvi't (jo and teil ti slor// 12 f.

. »)7. Doppelte Negutioii, die sicli iiii« älterer Zeit in der Vulgärsprache erhalten hat (Storni 271 L), ist in den Aufsätzen aulserordentlich beliebt: They'd never hava to hiiij no morc. iii-tv rlosc 1,S ; Ik iioodnt Im tnarrid lo her HO langer 18; Poitr Smnmn louklu'l do imHihiii Ihis iimc 20; Amerüy ran'l hr nothin to it 44; Hc (der Löwe) kasit't (jot no irnnh 44; / d(»n't love nohody eise lue her 47 ; He wonhlnl neier liace been fonnd oul Sn ; Nobodij caii'f 'ninujine 8<S; I' rc never .seeil the sea, nor nerer t^hnll 122 u. s. w.

08. So treten auch Negationen zu Wörtern mit negativem Sinn: T)ie little boy did. so, ir/ithout thinkiny nothiny at all abart it 20; Banjos alivays look diriy, and they ean'f only male a. fanny noise 151 ; Nothiny to pay only a shillmy 122; / hare never seen. a planer only in shops löo (wegen only vgl. Storni 227) ; The patriarch Jacob ncrer eat seareely nothin, exept nhen tlierc iras a fan/ine 88. Einen solchen Fehler, wie in dem letzten Satz, habe ich mir auch aus Thackerays Pendennis (London 1877) p. i:U angemerkt : In the Book Chib . . . t/iey bickered so mneh thut nohody scarccly was ever seen in the readiny-room.

09. Natürlich finden wir manche Wörter, welche die Scliriftsprache überhaupt nicht oder wenigstens nicht in derselben Bedeutung anwendet. Es sei hier kurz auf Wörter, wie to kid 'hänseln' 12o, to rilr 'ärgern' 80. 121. 12?>. 125. 120, speshtdly lb<)' und 29) für espcciedly, ttriddle 'drehen', 'bewegen' 70, hingewiesen, die bei Baumauu verzeichnet sind. Es folgen hier nur Belege für solche Wörter, die bei ihm felilen. Neecr strokc the hairs (einer Katze) aerost, as it makes all cats scrat like mad 71 : fo serat geht auf me. scratfen zurück, ist also archaistisch. Eine Weiterbildung davon ist to se ratter, das S. 102 zweimal vorkommt, einmal in der Bedeu- tung von 'kratzen' : She {die Katze) scratters hini (den Hund) in the nosc: das zweite Mal zur Bezeichnung einer raschen Bewegung (vgl. unser 'aus- kratzen') : If fhcir is a free, the cat scrattcrs up it. Halliwell und Lucas führen nur ein dialektisches und vulgäres to scrattk = to Scratch an. Nach beiden ist to sorani {Little thinys that ... scrawl ahoUt 51) dialektisch ^^ to ermvl. To .screet dient zur Bezeichnung eines unangenehmen Geräusches: Then they played all kinds of nieirsik to hin), bid it only niadc hi)t/ nild, and he yof up and fohl theni to yo rnvay uith thcir svrcetin 84. ]Mit SCREET. 1) Haff a quarter of a shcet of paper; 2) Flexible; suppk (vgl. SCRETE] bei Halli- well hat das Verbum wohl nichts zu thun. Derselbe giebt aber das 51 zu belegende Verbum SGRIQGLE; Tu ivrithe; to. strugyk: When I feit thcm (some hestks) all scrigyk in niy hrnid, I fainted, 1 did. Er hat ferner SKITTLE. To ent; to hack; in anderer Bedeutung steht dieses Verbum S. 140: Eeerybody's riyht (auf einer Landpartie bei schönem AVetter), and boys don't yet skittkd aroiind. To sumntons bezeichnen die AVörterbücher als selten oder unrichtig, Franz 215 als familiär:'" If the postman doesn'i

* Summons me for tliat when yoti please E. Lyall, We Two (Taucbiiitz) II, 124 (es spriclit ein Arzi); J'erliopa lu'll siiiii7nons j/n/i ebenda 125 (ps spricht eine Sclirift- stellerin).

Beurteiluugeu und kürzt' Anzeigeu. 187

hriny your letters. you can summons hiiii 111. Möglicherweise mit dem von Lucas angeführten archaischen to yolp = to yelp (vgl. auch YOPPUL. Unneeessary fall: bei Halliwell) identisch ist to yope: It (der Löwej yopcd no louder thnn n opple cart man d-oes 45. Whitsun 89 für Whitsuntidc und ymj 193 in der Bedeutung 'groteske Maske' finde ich nirgends au- geführt. Ich merke auch noch den Pleonasmus a Mml of n sort of a nice feeliny 61 au (vgl. zu Guy of Warwick 1310).

70. Logischer Unsinn findet sich in den Aufsätzen sehr häufig, sprach- licher dagegen verhältnismäfsig selten. S. 67 in dem Satze: Hau- would your mothers Hke you to be caUed trespass'^ hätte das letzte Wort natür- lich trespassers sein sollen. Ein überflüssiges have hat sich zweimal auf S. 121 eingeschlichen : If it hadn't have been for ihem steamers I shouldn't have iirjoyed myself a bit, barrin the meat tea und //' anybody eise had have told nie that, 1 notddn't have beleeved it.

Am Schlufs dieser etwas lang gewordenen Besprechung sei das Büch- lein nochmals bestens empfohlen.

Berlin. J uli us Zupitza.

Robert Elsmere. By Mrs. Humphry Ward. In 8 Vols. Leipzig, Tauchnitz, 1888 (Collection of British Authors, Vols. 2544, 2545, 2546). .3.34, 327 und 336 S. kl. 8. M. 4,80. John Ward, Preacher. Bv Margaret Deland. Leipzig, Tauch- nitz, 1889 (Collection' of British Authors, Vol. 2577). 416 S. kl. 8. M. 1,60. Wc Two. A Novel bv Edna Lvall. In 2 Vols. Leipzig, Tauch- nitz, 1889 (Collection of British Authors, Vols. 2611 and 2612). 296 u. 302 S. kl. 8. M. 3,20. Von den in der letzten Zeit erschienenen Bänden der Tauchnitz Col- lection wähle ich zu gemeinschaftlicher Besprechung drei empfehlenswerte Romane aus, deren Haui^thandlung sich gleichmäfsig um religiöse Kon- flikte dreht. Sie sind alle drei von Frauen geschrieben. Oben sind sie in der Reihenfolge der deutscheu Sammluug aufgeführt: das au letzter Stelle verzeichnete ist in der Originalausgabe schon 1884, die beiden an- deren 1888 erschienen.

Robert Elsmeir ist ohne allen Zweifel das bedeutendste unter den drei Werken und gelnut überhaupt zu dem Besten, was in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Prosadichtung in England erschienen ist. Robert Elsmere, der nach Vollendung seiner Universitätsstudien in den geistlichen Stand getreten ist und dann drei Jahre lang in seiner Alma mater Oxford Unterricht erteilt und Vorlesungen gehalten hat, sieht sich durch seine infolge übergrol'ser Anstrengung angegriflene (Tesundhcit be- wogen, die gerade frei gewordene Pfarrerstelle in seinem (leburtsort Mure- well in Surrey anzunehmen, die ein Verwandter zu vergeben hat und die einst sein Vater, den er früh verloren, innegehabt. Ehe er aber sehi Amt antritt, lernt er bei einem Besuch in ^Vestmoreland Catherine Ley-

lÄX rk'urt<iliiii<rcii iirifi kiir/.c Aii/.iijrcn.

)'uru kennen, die älteste Tochter eines verst«jrbenen Schuldirektors, die jetzt mit ihrer Mutter und zwei Schwestern in dem Farmhaune lebt, aus dem ihr Vater hervorgegangen. Bald verbindet die beiden eine innige Xeigung, aber, ganz in den strengen religiösen Grundsätzen ilires Vaters aufgehend, glaubt Catherine anfangs ihre Mutter und Schwesteni nicht verlassen zu dürfen, da sie über ihrem Seelenheil wachen müsse, und so eutschlieüit sie sich erst nach schweren Kämpfen, der Stimme ihres Herzens zu folgen. Das junge l'aar verlebt, von der ganzen Gemeinde geliebt und gesegnet, eine kurze glückliche Zeit. Aber nicht allzu lange nach der Geburt eines Tijchterleius bringen Robert histoiische und theologische Studien, deren Wirkung noch durch den Umgang mit einem Nachbar, Roger Wendover, beschleunigt wird, zu der Überzeugung, dafs der Stifter der christlichen Religion nur ein Mensch war, und er fühlt sich daher im Gewissen verpflichtet, auf seine Stelle zu verzichten. S^'ein Unglaube ist ein harter Schlag für Catherine, die es niemals verwindet, dafs der Mann, den sie so herzlich liebt, zum Verräter au ihrem Heiland wird, und sie braucht erst längere Zeit, ehe sie an Robert* neuem Wirken wenigstens äufserlich Anteil nimmt. Robert widmet nämlich nun seine ganze Kraft der geistigen und sittlichen Hebung der Arbeiterbevölkerung im Ost«n Londons: in Kreisen, die von dem Christentum der nichtkon- formierteu Orthodoxen ebensowenig wissen wollen , wie von dem der Staatskirche, versteht er es, ein liebevolles Verständnis zu erwecken für die historische Bedeutung des Menschen Jesus, und es gelingt ihm, unter dem Xamen 'Neue Brüderschaft Christi' eine religiöse Vereinigung ins Leben zu rufen, deren Bestehen auch von seinem bald durch Schwind- sucht herbeigeführten Ende nicht gefährdet wird.

Der Roman ist nicht ohne Fehler. Vor allem leidet er an über- grofser Länge, die einmal in der Absicht der Verfasserin ihren Grund zu haben scheint, dem Helden mannigfaltige Typen aus dem religiösen Leben Englands gegenüber zu stellen, aufserdem aber in dem Wunsche, den letzten Teil nicht ganz ohne Liebesgeschichte zu lassen. Auch fällt die Verfasserin, meine ich, gelegentlich aus dem Tone eines Romans in den einer Abhandlung, indem sie, statt sich mit der Erzählung der Hand- lungen ilires Helden zu begnügen, uns viel zu viel von seinen Ansichten mitteilt. Auch die Schwindsucht ist als de/ts ex vHichina nicht glücklich ersonnen. Andererseits aber verdient das Werk das gröfste Lob. Die Charaktere sind alle mit liebevoller Sorgfalt gezeichnet. Viele ergreifende Schilderungen, so die des Todes der unglücklichen Mary Backhouse, die der Epidemie in Mile End, die von Elsmeres Auftreten im Osten Lon- dons, prägen sich dem Gedächtnis unauslöschlich ein. Dafs aber die Verfasserin auch über Humor verfügt, zeigen besonders die beiden Brüder Backhouse, die das, was bei der Gesellschaft der Mrs. Thornburgh den Glanzpunkt bilden soll, in der Stadt wohl bestellen, aber dann mitzu- nehmen vergessen. Hoffentlich werden die Freunde der englischen Litte- ratur der Verfasserin, die vorher nur einen einzigen Roman ('Miss Brether- ton', 1884) veröffentlicht hat, noch recht oft begegnen.

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 189

John Want ist, .soviel ich weifs, der erste Eoman von Mrs. Deland (der Ton liegt, wie mir ein persönlicher Bekannter der Schriftstellerin sagt, auf der zweiten Silbe des Namens). Ich kenne sie sonst nur als Verfasserin von Gedichten, die 1887 unter dem Titel The OM Garden, and nther Verses erschienen sind. Sie ist, was auch gelegentlich ihre Sprache verrät, eine Amerikanerin: in Amerika spielt auch ihr Roman. Helen Jeffrey, die Nichte des der bischöflichen Kirche angehörigen Pfarrers von Ashurst, Dr. Howe, heiratet den presbyterianischen Prediger John Ward zu Lockhaven. Trotz der Verschiedenheit der religiösen Ansichten sind die beiden miteinander sehr glücklich. Da trifft es sich, dafs ein Trunken- bold, Tom Davis, bei einem Brande sein Leben verliert, da er ein Kind, das man irrtümlich gefährdet glaubt, zu retten versucht. Ganz Lockhaven ist überzeugt, dafs er geraden Wegs für immer in die Hölle gefahren sei. Helen giebt aber Toms Witwe und anderen gegenüber ihrer Überzeugung Ausdruck, dafs dies nicht wahr sei. Dies veranlafst nun die Kirchen- ältesten, bei Ward über den Unglauben seiner Frau Klage zu führen und ihre Vorladung zu verlangen. Er geht auf ihr Begehren nicht ein, will aber seinerseits alles thun, um Helens Seele zu retten. Da ihm klar ist, dafs seine Vorstellungen in Zukunft sie ebensowenig bekehren würden wie bisher, greift er zu dem seltsamen Mittel, ihr, da sie sich gerade zu einem Besuche in Ashurst befindet, die Rückkehr zu verbieten, bis sie 'die Wahrheit' gefunden habe. Aber auch der Schmerz über ihre Trennung von John ändert ihre Ansichten nicht. Sie sieht John nur wieder, um ihm die Augen zuzudrücken, da er infolge eines Blut- sturzes stirbt.

Das einförmige, behagliche, altmodische Leben in Ashurst ist nicht minder anschaulich geschildert als die Geschäftigkeit und religiöse Auf- geregtheit von Lockhaven. Die Charaktere sind im allgemeinen mit Ge- schick gezeichnet. Doch möchte ich bezweifeln, ob ein wirklicher John Ward eine ungläubige Frau geheiratet hätte. Sein Blutsturz gefällt mir nicht besser als Robert Elsmeres Schwindsucht. Auch ist Mr. Denner zu sehr Karikatur, als dafs mir sein tragisches Ende künstlerisch gerecht- fertigt schiene. Indessen thuu solche kritische Bedenken dem Vergnügen an dem Buche keinen Abbruch.

Fruchtbarer als bisher Mrs. Ward und Mrs. Deland ist die Verfasserin des dritten der oben verzeichneten Bücher, Edna Lyall, deren wirklicher Name, wenn ich nicht falsch unterrichtet bin, Miss Bayly ist. Vor \Vc Two ist von ihr 1882 Donovan erschienen, seitdem 1885 In thc Oolden Days, 1887 Knight Errant, 1889 A Eardi/ Xorseinan. Aufser IVe Tiro er- freut sich besonders Donovan einer ziemlichen Beliebtheit in England : der Held des älteren Romans erscheint in We Tiio als Nebenfigur wieder. Während in Robert Elsmerc und John Ward die religi()sen Konflikte zwi- schen Mann und Frau spielen, handelt es sich in We Tico um Vater und Kind.

Luke Raeburn, der Sdlni eines schottischen Gcistliciien der biscIiiW-

lOii P.ciirtciliiiijrcii iiikI kiii/c Anzeigen.

liehen Kiiclif, winl nls Stdflfiit in Cambriilgc ungläubig. Sein Vater sucht ihn vorgel)li('h zum Glauben zurückzubringen und verstöfst ihn. Er wird, da er durch seine Persönlichkeit leiclit grolsen Kinflufs auf alle gewinnt, die mit ihm in l'erühruug koninicn, ])ald der Führer der 'Seeu- laristen', freilich aber aucii die Zielscheibe des Hasses und roher Angriffe seitens rechtgläubiger Fanatiker, die ihn, obgleich sein Leben völlig rein ist, alier Verstölse gegen die zehn Gebote 1)eschuldigen. Seine einzige Tochter Pirica igt ganz in seinen atheistischen Ajischauungen aufgewachsen und hält die Bezeichnung Christ für gleichbedeutend mit allem Abscheu- lichen, bis einmal der Rev. C'harles Osmond ihren Vater aufsucht, um ihn vor einem gewissenlosen Gegner zu warnen, der durch gedungenen Pöbel eine von Raeburu berufene Vei-sammlung zu stören beabsichtigt. Angeregt durch den so angebahnten Verkehr mit die.sem weitherzigen Geistlichen, kommt Erica nach mehreren Jahren zu der Überzeugung, dafs das wahr sei, was ihr Vater bekämpfe. Da sie ihm bekennt, dafs .sie zum Christentum übertreten wolle, ist er zwar aufser sich, allein seine Liebe zu Erica und die Erinnerung an die L^ngerechtigkeit, die er in seiner Jugend von seinem Vater erfahren, besiegen seineu Zorn. Aber freilich hat Erica von den Anhängern Raeburns manches bittere Wort anzuhören, während es andererseits vielen ihrer neuen Glaubensgenossen anstöfsig ist, dafs sie sich von ihrem Vater nicht ganz lossagt. Da Rae- burn von einem halb wahnwitzigen Strafseuprediger zu Boden geschlagen wird und infolge einer inneren Verletzung nach einigen Tagen stirbt, kommt Erica selbst dem Tode nahe : doch erholt sie sich und willigt nun darein, die Gattin von Charles Osmonds Sohne Brian zu werden, der sie schon seit vielen Jahren liebt und vorher schon einmal vergeblich um ihre Hand geworben.

Die Verfasserin erzählt leicht und angenehm. Kleine Genrebildchen, z. B. wie Brian und Erica mit ihren aufgespannten Regenschirmen in Gower Street zusammenstofsen, oder die Idylle, die Erica mit ihrem er- holungsbedürftigen Vater in Milford imder the Oak lebt, sind vortrefTJich gelungen. Die Charaktere sind nicht ungeschickt gezeichnet, wenn auch gelegentlich, wie der von Ericas Onkel, Mr. Fane-Smith, etwas karikiert. Schwach ist aber die Motivierung von Ericas Übertritt zum Christentum und der religiöse Standpunkt von Charles Osmond mit Unrecht ganz verschwommen gelassen. Nicht klar ist mir geworden, was die Figur des Anarchisten Eric Haeberlein in dem Romane soll: wir erfahren zwar, dafs Erica ihm ihren Vornamen verdankt, aber von seinem Thun und Treiben erhalten wir, trotzdem er mehreremal auftritt, keine deutliche Vorstellung. Auch manches andere wäre ohne Schaden weggeblieben: so die Lebensgefahr Raeburns und seiner Tochter auf dem Meere, vor allem die Abprügelung des Sir Algernon Wyte durch Brian. An Tiefe der Auffassung kann sich dieser Roman mit den beiden anderen nicht messen, aber er bietet eben darum eine an den Leser weniger Anforderungen stellende Lektüre.

Berlin. Julius Zupitza.

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 191

The CouDty. A Novel. Leipzig, Tauchnitz, 1889 (Collection of British Allthors, Vol. 2613). ;{27 S. kl. 8. M. 1,60.

Die beiden verwaisten Schwestern Esme und Frances Xugent leben in Billington in 'Loamshire' bei ihrem Oheim Frank Nugent. Da dieser aber plötzlich ihre Kammerjuugfer heiratet, glauben sie sich gezwungen, andei-swo einen Unterschlupf zu suchen, den sie denn auch bei Sir Joseph Yarborough, der eine Verwandte ihrer Mutter zur Frau hat, finden. Esme und Allan Vaudrey lieben und verstehen sich, ohne dafs eine förm- liche Aussprache stattfindet. Nun stirbt Allans Vater und hinterläfst ihm als dem jüngeren seiner beiden Sidme von seinem ungeheuren Ver- mögen nur 10 000 Pfund. Frances, die aus egoistischen Gründen durch- aus verhindern will, dafs Esme einen armen Mann heirate, redet Sir Joseph vor, dafs Esme ihn bitte, Allan zu sagen, er solle sich nicht erst einen Korb holen. Empört über Esmes Herzlosigkeit, geht Allan nach Indien ; Esm^ hinwiederum ist dadurch aufs tiefste gekränkt, dafs er England ohne ein Wort der Erklärung verlassen. Da ihr nun noch dazu der Aufenthalt im Hause des Sir Joseph unangenehm wird, reicht sie ihre Hand einem Börsenmanne, Bryan Mansfield, der in dem Rufe einer jährlichen Einnahme von 20000 Pfund steht. Dieser erwirbt alsbald eine Besitzung in ihrer alten geliebten Grafschaft und stattet ihr Haus aufs teuerste aus, so dafs die Einrichtung des Gesellschaftszimmers allein 4500 Pfund kostet. Einige Monate nach der Hochzeit kommt Allan zu- rück und zwar als Baronet und doppelter Millionär, da inzwischen sein älterer Bruder gestorben ist. Vergeblich sucht Frances eine Aussprache zwischen ihm und Esme zu verhindern. Esme hoff't, sie können als Freunde miteinander verkehren: er erklärt dies aber für unmöglich und will sie bereden, mit ihm zu fliehen. Da sie darauf nicht eingeht, ent- fernt er sich im Zorn. Einige Wochen später stellt sich heraus, dafs Bryan Mansfields Verhältnisse durchaus zerrüttet sind. Um nicht wegen Unterschlagung ihm an vertrauter Gelder belangt zu werden, will er nach Buenos Ayres flüchten: Esme will ihn begleiten. Allein der Zug, der sie beide zum Schift' bringen soll, entgleist: Bryan kommt dabei um. Sir Allan übernimmt seine Verbindlichkeiten und heiratet schliefslich Esmt'. Die Beziehungen zwischen den beiden Schwestern werden ganz abge- brochen, da weder Sir Allan Frances in seinem Hause sehen will, noch Major Johnstone, den Frances in Ermangelung eines Besseren inzwischen gekapert, eine Berührung mit Esme wünscht.

Wir haben es wohl mit dem Erstlingsroman einer Dame zu thun. Er zeigt keine besondere Originalität und hinterläfst keinen tie- feren Eindruck, und die Charakterzeichnung verrät manche Schwäche. Allein der Stil ist gewandt und der Aufbau nicht ungeschickt, so dals man mit seiner Lektüre die Zeit immerhin nicht unangenehm hinbringt.

Berlin. .Tu lins Zupitza.

192 l'(Mirt<'ilmi<!,«'ii und km/.«- An/ei«roii.

The Master ol l^>alluntrae. A Wiuter's Tale. By Robert J^juIs Stevenson. Leipzig, Tauchnitz, 1889 (Collection of British Authors, Vol. 2014). 808 8. kl. 8. M. 1,60.

Robert Louis Stevenson gehört zu den am meisten gelesenen jüngeren >^chrit'lstellorn Englands. Wie H. Rider Haggard, der Verfasser von Kimj Solonion's Minrs und von S/ir, und wie der Verfasser von Deof/ Man's Bock, der seinen Namen hinter dem Buchstaben Q. versteckt, wan- delt er auf dem von Defoe, Swift, SmoUet, Marryat betretenen Wege weiter und will seinen I^esern vor allem eine an überraschenden Aben- teuern reicbe Handlung bieten. Wemi man von der in ihrer Art vor- trefflichen allegorischen Erzählung Dr. Jeki/ll and Mr. Hijdc absieht, die einer anderen (iattung angehc'ut, inufsten bisher 'l'rcasiire Island (1883) und Kidnapped (188<j) als seine besten Leistungen gelten. Sein neues Buch scheint mir aber selbst diese zu übertreffen.

Der Verfasser bezeichnet seine Erzählung als A Winters Tale. Er dachte dabei wohl an die Erklärung, die Shakspere von dem Titel seines Dramas giebt. .1 sad tale's be.sf for iviriter, läfst er bekanntlich Mamillius sagen. Eine düstere Familiengeschichte Avird uns von Stevenson vor- geführt: wir ei'halten eine neue Variation über das Thema von den feind- lichen Brüdern.

Da der junge Prätendent 174.j in Schottland ankommt, bestimmt der Familienrat in Durrisdeer an der Solwayküste, dafs der eine von den beiden Söhnen des Lord Durrisdeer sich dem Aufstande anschliefsen, da- gegen der Vater und der andere Sohn zu Hause bleiben und sich so für alle Fälle die Gunst des regierenden Hauses erhalten sollen. Der ältere Sohn, James Durie, der by courfesy den Titel Master of Ba/lanfrae führt, giebt es nicht zu, dafs sein Bruder Henry aus freien Stücken zu den Rebellen stöfst, sondern läfst es auf die Entscheidung eines in Drehung versetzten Goldstückes ankommen, die seinem Wunsche gemäfs ausfällt. Nach der Schlacht von Culloden kommt die Nachricht, dafs James in dieser sein Leben verloren habe, und zwei .Jahre später vermählt sich Henry mit einer Verwandten, Miss Alison Graeme, die früher James zur Frau bestimmt gewesen war. Kurze Zeit aber, nachdem ihnen ein Töchter- ehen geboren worden, bringt ein Waftengefährte von James die Kunde, dafs dieser aus der Schlacht von Culloden lebend entkommen sei und nach abenteuerlichem Umherschweifen sich in Frankreich aufhalte. James stellt nun beständig Geldforderungeu an Henry, dem der Vater alle Ge- schäfte vollständig überläfst, während er selbst am Kamin seinen Livius studiert. Da aber einmal auf James' Wünsche nicht eingegangen wird, erscheint er etwa zehn Jahre, nachdem er weggegangen, plötzlich im Hause seines Vaters. Er läfst die Seinigen in dem Glauben, dafs er dabei sein Leben gefährde ; allein es stellt sich heraus, dafs er der Regie- rung als Spion Dienste geleistet und daher nichts zu fürchten habe. Um ihn loszuwerden, willigt Henry in einen Landverkauf. James schickt das so erprefste Geld nach Fr.ankreich und trifft heimhch Vorbereitungen zur

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 193

Abreise. Am Abend vor derselben (am 27. Februar 1757) versetzt er aber durch seinen Hohn und namentlich durch seine lügnerische Hindeutung auf Alisons eheliche Untreue Henry in solche Wut, dafs es zwischen den Brüderu zu einem Zweikampf kommt. James merkt bald, dafs ihm Henry au Geschicklichkeit in der Führung des Degens überlegen ist, und faTst tückischerweise dessen Klinge mit der linken Hand, um ihn dann niederzustofsen. Allein Henry springt zur Seite, James' Degen geht in ilie Luft, und er selbst fällt auf die Knie nieder und wird durchbohrt, ehe er sich bewegen kann. P> bleibt für tot liegen, da Henry und der einzige Zeuge des nächtlichen Duells mit der traurigen Kunde ins Schlots zurückkehren. Als dann aber der Vater auf dem Kampfplatze erscheint, ist die gesuchte Leiche verschwunden: wie später herauskommt, haben Schmuggler, mit denen James seine heimliche Abreise verabredet hatte, ihn gefunden und aufs Schiff' gebracht, wo er sich bald erholt. Henry aber verfällt in eine langwierige Krankheit: er übersteht sie zwar, doch mufs sie in seinem Gehirn irgend etwas zerst<)rt haben; denn er ist von nun an ein ganz anderer Mensch. Der Vater geht langsam ein. So wird Henry Lord Diu-risdeer, und seine Frau beschenkt ihn auch bald darauf mit einem Erben. Es vergehen nun wieder mehrere Jahre : da taucht im Frühjahr 1761 James abermals in Durrisdeer auf, diesmal in Begleitung des Inders Secundra Dass. Henry flieht mit seiner Familie nach Nord- amerika auf eine Besitzung seiner Frau. Aber James kundschaftet mit Hilfe des Inders ihren Schlui^fwinkel aus uud folgt ihnen. Indessen Henry läfst sich weder durch das Erscheinen seines Bruders noch durch den Umstand, dafs dieser, um seinen Stolz zu kränken, sich in New- York als Flickschneider niederläfst, zu weiteren Geldopfern bewegen. Da aber in einer Broschüre behauptet wird, dafs James seine verwirkten Rechte wiedererlangen solle, so dafs Henrys Sohi\ Alexander leer ausgehen müfste, treibt Vaterliebe den jüngeren Bruder zu einem nur unter der Annahme einer geistigen Störung erklärlichen Schritte: er besticht einen übelst- beleumundeten CaiJtain Harris, James aus dem Wege zu räumen, wäh- rend er mit ihm nach dem Norden zieht, wo James einen Schatz holen will, den er vor beinahe zwanzig Jahren da versteckt hat. Allmählich merkt James, dafs es auf seinen Tod abgesehen ist. Da alle seine Ver- suche, seinen Begleitern zu entkommen, mifsliugen, greift er auf den Rat des Inders zu einem seltsamen Mittel, um sich zu retten. Er stellt sich krank und 'verschluckt' dann 'seine Ziuige'. Im- wird für tot gehalten und begraben. Seine Reisebegleiter erliegen aber alle mit Ausnahme des Inders und eines gewissen Mountain dem Skalpiermesser der Indianer. Da sich nuu Henry, der inzwischen sein Gewissen durch übermäfsiges Trinken zu betäuben gesucht, von Mountain an die Stelle, wo James be- graben worden ist, führen läfst, um sich zu überzeugen, dafs sein Feiml Avirklich beseitigt sei, lindet er schon den Inder damit beschäftigt, das Grab zu offnen. Nach aufserordcntlichcu Bemühungen desselben, den Begrabenen wieder zum Leben zu bringen, öffnet dieser in der That die Augenlider und macht Anstrengungen zu sprechen: da Heury dies be-

Arcliiv f. n. Sprachen. LXXXIV. 13

194 Ht'intf'iliuiijvn niid kurze An/,ei<;oii.

merkt, briclit er tot ziisitnnm'ii. AIxt iuicli .fuincs' I^ben ist ilaliin, trot7,<1oni <lor Imlcr ihm noch hiiigo dio (xliedor reibt unfl in den Mund liaiu'ht: er nuils zuletzt einsehen, diifs etwas, was im warmen Indien {.ge- linge, durch die Kälte Amerikas vereitelt worden sei. Ein Ciral) um- schlierst nun die beiden feindlichen T?rüder.

Der Verfasser hat die Erzählung dem Steward des Hauses Durris- deer, Ephraim Mackellar, in den IMund gelegt. Er empfand dies nach einer Andeutung in der Widmung selbst als eine Fessel. Er liel's sich dadurch aber auch verführen, der Sprache einen Anstrich von Altertum - lichkeit zu geben, wobei er nach meiner Ansicht zuweilen zu weit znrück- gegriflen hat. Aber abgesehen von diesem nel)ensächliclieu Punkte ver- dient die Erzählung grofses Lob. Sie ist vf)ller Spannung. Die mannig- faltigen Abenteuer, die James nach der Schlacht von Culloden erlebt, geben ein fesselndes, wenn auch düsteres, Bild von dem damaligen Treiben auf dem Meere. Der nächtliche Zweikampf der Brüder beim Seheine zweier Lichter, die der Erzähler hält, verrät eine ^leisterhand. Grofsartig ist auch der Schluls des (Ganzen. Niemand wird das Buch unbefriedigt aus der Hand legen.

Berlin. Julius Z u p i t z a.

The Day will come. A Novel by M. E. Braddoii. In 2 Yols. Leipzig, Taiiclmitz, 1889 (CoUectiou of British Authors, Yol.s. 2615 and 2616). 328 u. 294 S. kl. 8. M. 3,20.

Mrs. Maxwell, wie die Verfasserin im bürgerlichen Leben heilst, kann zwar nach Ausweis mancher ihrer äufserst zahlreichen Werke (ich nenne besonders Vixen und Ishmael) auch sehr unterhaltende Romane ohne einen geheimnisvollen Mord schreiben: aber ihr neuestes Buch bewegt sich doch wieder auf der Bahn, die sie mit ihrem Erstlingswerk, Lmhj Audlen'^ Secref, betreten, an welches auch geradezu der Schlufs von The Day iti/f come anklingt, da auch hier die Mörderin in einer Irrenanstalt unschäd- lich gemacht Avird. Dreiundzwanzig Jahre, ehe dies geschieht, hatte ein aus 1)escheideueu Verhältnissen stammender Jurist, James Dalbrook, nach- dem er mit Evelyn Darcy, die ihrem rohen Manne davongelaufen, längere Zeit zusammengelebt, dieser erkläi't, dafs er sich mit einem jungen Mäd- chen verlobt habe. Da hatte ihm Evelyn zugerufen, dafs der Tag kom- men würde, wo es ihm leid thäte, sie im Stiche gelassen zu haben. Dalbrook kauft mit der Mitgift seiner Frau Cheriton Chase, das Gut von Evelyns Vater, und wird nicht lange darauf zum Lord Cheriton er- nannt. Sterben auch seine Sr)hne in jugendlichem Alter, so bleibt ihm doch wenigstens eine Tochter .Tuanita, die einen .Jugeudgespielen, Sir Godfrey Carmichael, heiratet, auf welchen Lord Cheriton dereinst den Lordstitel vererben zu können hofft. Mit der Ankunft der Neuvermählten in Cheriton Chase, wo sie die P'^litterwochen verleben wollen, beginnt der Itoman. Ehe noch der Monat abgelaufen ist, wird Sir Godfrey in ge- heimnisvoller Weise erschossen. Das Suchen nach dem Mörder bildet

Beurteil migoii und kurze Anzeigen. 195

(leu Hauptinhalt des Buches. Nach eiueni Jahre wird beim Reiuigeu eines Brunnens ein Revolver gefundeu, den Lord Cheriton als früheres Eigentum von Evelyns Gatten erkennt: so stellt es sich heraus, dals die Mörderin Evelyn war, die unter dem Namen Mrs. Torter an der einen Ausfahrt des Parkes von Cheriton gewohnt hat.

Der Roman ist mit dem bekannten Geschick der Verfasserin aufge- baut und wird ohne Zweifel, wie ihre früheren Werke, einen grofseu T^eserkreis finden.

Berlin. Julius Zupitza.

Youug jVIi". Aiuslie's Courtship. By F. C. Philips. Leipzig, Tauchnitz, 1889 (Collection of British Authors, Vol. 2617). 271 S. kl 8. M. 1,60.

Philip Ainslie verlobt sich kurze Zeit, nachdem er seine Studien in Cambridge beendet, mit Florence Keane, der Tochter eines reichen Lon- doner Banquiers. Vergeblich bemüht sich eine Tante der Braut, Miss Letitia Firbank, ihre Nichte zu bewegen, dafs sie Philip den Laufpal's gebe und lieber Lord Helsham ihre Hand reiche. Da trifft Philip das T'nglück, dafs beim Schiefseu sein Gewehr zerspringt und ihn unwieder- l)ringlich des Augenlichts beraubt. Florence hat nicht den Mut, die Frau eines Blinden zu werden, und löst ihie Verlobung. Den Tag darauf wirbt T..ord Helsham um sie und erhält ihr Jawort. Philip erfährt das nicht mehr; denu in der Nacht, nachdem er den Absagebrief bekommen, er- schiefst er sich. Florences Ehe wird unglücklich.

Der Inhalt dieser zuerst in der Monatsschrift Time erschienenen Er- zählung ist etwas dürftig: viele Seiten werden mit Berichten von Essen, Jagen, Schlittenfahrten u. dergl. gefüllt; aiich fehlt es nicht an trivialen Bemerkungen, bei denen einem einfällt, was der Verfasser S. 11". von einem Bischof sagt: Thr bishnj} r.rpanflcfl Iris cliesf »k if he had said some- thing remarkobltj original nnil profo/nid. Statt auf diese Weise die Ge- schichte auszudehnen, hätte uns der Verfasser lieber so weit in den Cha- rakter seiner Hauptpersonen blicken lassen sollen, dafs wir ihre Hand- lungsweise begriffen. Nach allem, was man von Philip erfährt, würde man nicht erwarten, dafs er sich umbringt. Vollends aber ist man über Florences Herzensroheit aufs hr)chste überrascht. Was die Darstellung l)etrif!'t, so fallen gelegentlich Wiederholungen auf. y'I/eir is an end to ei'ergtliing, crcn to thr longesf dag's mit in o.risfpnee lesen wir S. 5.^, und Their is an end to all institidionn, rven to afternomi fea S. V-\h. Lord Helsham schreibt S. 220 an Miss Firbank : Tn xag that I »ras dimjtpointed and griered at getting gonr fetter nonld hr /tat to faintlg conreg to gon mg feelings at its reecijit, und in der Antwort darauf heilst es S. 2?.:^; To sag that J am flattercd l>g Ihr ron/idencr gon hare tlioaght ircll to repose in n/e, iroald l)r l>at faintlg to conreg mg appreeiation of Ihr honoar gnn hare done me. Im übrigen ist gerade der Stil wegen seiner einfachen Eleganz sehr zu loben.

Berlin. J u 1 i u s Z n p i t z a.

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lOß Bi'iirtfiliiri'icii und kiir/c .\\i/.ci^(-i\.

Froncli and EngHsli. A (•omparison Ity l'liilip Gilbort Hanierton. In 2 Vols. r.oi])zi«i', Tauclinit/, 1889 (CoUection of British Authors, YoLs. 2(118 and 261J)). 280 u. 270 S. kl. 8. M. ;.;,20.

Das Buch ist oiiio rmarbeitung uiul ErAveiteriinfj von sieben Artikeln, die 188G luid 1S87 im Athinfic Mouthhi crscliienoii sind. Der Verfasser dieser völlvorpsycholoj^^isclicn Studien ist ein JCujrländer. der seit einem Vierteljalirhuudert in Frankreich lebt. Er schreibt mit anerkennenswerter Unparteilichkeit und erweist vieles als unbegründetes V^orurteil, was in dem einen Lande von dem anderen geglaubt wird. Sein Buch ist aber auch geeignet, gar manche falsche Vorstellung /u berichtigen, die man srch in Deutschhuid, sei es von französischen, sei es von englischen Zu- ständen und Verhältnissen macht. Es ist jedem, der sich an der Hand eines unbefangenen Führers über das lieutige England und Frankreich unterrichten will, aufs wärmste zu empfehlen. Sein Inhalt gliedert sich wie folgt: I. Edtmition {\. Pkysical E., 'i. Infellcctiial E., ^.Artwtic E., {.Moral Trainmg, -5. The E. of thc Fcelings, (>. E. and Rani:). II. Patriotkm (1. Pa- triotic Tendfirurss. 2. /'. Pride, o. P. .h/iloioiji, I. /'. Didi/j. III. Pnlifics (1. Revohäion, 2. Lihertji, H. Conserrattsm, I. ,Sfah/lifi/). IV. licliyion (1. State Establishment of Belif/ion, 2. Disestofdishtnent in France and Eng- land, ?>. Socml Poirer, A. Faifh, 5. Formalis in). V. Virtms (1. Tridh. 2. Justice, ?}. Pnritjf, -1. Temperance, 5. Thrift, G. Cteanliness, 7. Courage).

VI. Custom (1. Chronohgy, 2. Com fort, :). Lnxm-g, 4. Manners, h. Becoruni).

VII. Society (1. Gaste, 2. Wealth, ?>. Alliances, 4. Intercoiirse). VIII. Snccesf fi. Personal S., 2. National S. at Home, .">. Xafinnal S. Aliroad). IX. Va- riety (1. V. in Britain, 2. T'. in France). .1. Z.

For One and the World. A Novel. By M. Betham-Edwards. Leipzig-, Tanchnitz, 1889 (Colleetion of British Authors, Vol. 2()20). 296 S. kl. 8. M. 1,60.

Mary Ann Harpfield ist Vormünderin von Philip Snmmerhill, dessen Mutter, wie sie selbst, dem dienenden Stande angeh<>rt hatte, bis ihre Schönheit einen alten reichen Witwer bewog, sie zu heiraten. Philip, der nur an epileptischen Krämpfen leidet, wird von ihr für einen Idioten ausgegeben, da sie so auch nach seiner Volljährigkeit die Verfügung über sein Vermögen zu behalten hoftt, mit welchem sie übrigens aufs leicht- sinnigste umgellt. Eine junge Eussin Nadine, die in Frankreich Dr. med. geworden ist und Philip eine Zeit lang mit Erfolg liehandelt, sucht ver- geblich einen Friedensricliter, Sir Vornon Vernon, zum Einschreiten zu bestimmen, bis plötzlich beim Durchsehen alter Papiere ein bis dahin uur geöflTnetes Schriftstück zum Vorschein kommt, nach welchem Sir Vernon Mitvormund ist. Inzwischen hat sich das ungetreue Weib verheiratet: ihre Hochzeitsreise will Philij», der das Hausmädchen Fanny Farthiug für seinen Plan gewonnen, zur Flucht nach einem anderen Erdteil be- nützen. Aber kurz, ehe sein Schill' nach Liverpool abgeht, holt ihn Nadine zuiiick. Er erhält nun regelmäisiffen t^nterricht, bezieht die Universität

Bcurteihiugeii und kurze Anzeigen. 197

Cambridge und beschlielst sein Studium als Senior Wraugler. Dann hei- ratet er (wenn ich die Verfasserin, die sich nicht ganz deutlich ausspricht, recht verstehe) die etwa zehn Jahre ältere Nadiue, die sich unterdessen eine selbständige Wirksamkeit in Petersburg geschafleu hut, welche sie auch in Zukunft beibehält: sie wollen leben for one and the workl.

Die Geschichte ist zwar nicht uninteressant, aber doch im ganzen und in vielen EinzelJieiteu recht unglaublich und die Charaktere fast alle ganz unwahrscheinlich. In stilistischer Hinsicht ist mir Vorliebe für ge- lehrte Ausdrücke aufgefallen, wie rejuveiuäion 'Verjüngung' 102, turrentkü •'strömend' (vom Regen) 237. Das Verbum to exuberate, das die Wörter- bücher als veraltetes Sj'nonym von to abound anführen, braucht die Ver- fasserin im Sinne von 'frohlocken', 'jubeln' S. 127: Does the cackoo exu- berate ocer the Ijreaking tip of icy winterV S. 189 scheint connice mit eon- spire verwechselt: Time enough for Jiim to plot and conuive before her return.

Berlin. .Julius Zupitza.

Praktischer Lehrgang ziir schnellen und leichten Erlernung der dänischen Sprache, hauptsächlich zum Selbstunterricht für Kaufleute und Touristen, mit einem Anhang norwegischer Redewendungen. Von E. Funk. Leipzig, Brockhaus, 1889. 266 S. 8. M. 3. Das Buch ist praktisch angelegt und kann solchen empfohlen wer- den, die in möglichst kurzer Zeit sich der dänischen Sprache zum Zwecke der Reise oder des Handelsverkehrs bemächtigen wollen. Nach einem methodisch verständigen Plane werden in dreilsig Lektionen die wichtig- sten und einfachsten Spracherscheiuuugeu vorgeführt und an zweck- mäfsigeu, zum gröi'sten Teil dem Verkehrsleben entnommenen Stoffen eingeübt. Der durch die Übungen gewonnene Vokabelschatz ist reich- haltig und entspricht den nächstliegenden Bedürfnissen des täglichen Lebens und Umgangs. Der grammatische Stoff' wird am Schlüsse der dreilsig Übungslektionen nochmals systematisch zusauuneugestellt. Hier- auf folgt ein Lesebuch, Prosa und Poesie bietend. In dem ersteren Teile hätten wir statt der AUerweltsanekdoteu, welche sich seit Meidinger in den Lehrbüchern sämtlicher Sprachen der Welt herumtreiben, Gegen- stände aus der skandinavischen Welt, Kunde von Land und Leuten in Dänemark und Norwegen u. dergl. gewünscht. Ein Wörterbuch und eine für die Reise bestimmte Phrasensammluug machen den Beschluls. Wir empfehlen das Buch solchen, die im Sommer eine Fahrt nach dem Nor- den unternehmen wollen, als Studium für den \orhergehenden Winter. Gotha. Chr. Rauch.

Henrik Ibsen von Henrik Jäger, deutsch von H. Zschalig. Dresden, :Mindcns Verlag, 1889. 216 S. 8. M. 3. Bei dem Interesse für H. Ibsen, das von dem kleinen, litterarisch vereinzelten Norwegen aus immer weitere Kreise über die Kulturländer

I!i8 r.tMirtciliiiiiicii iiiid kiirzf Aiizci^'cii.

Kurojtiis ziclif, ist vhu- ssu tVsscliid gi-scliricbenc und gut übersetzte Bio- grai)}iie aurh deueu, welche nicht Ib.senianer strengster Obedieuz «ind, höchst willkoninien. Ein Fehler des Buches bleibt es nur, dafs die Jugend- zeit und dichterische Anfäugerschaft Ibsens allzu breit und behaglich geschildert werden und somit für die Werke des norwegischen Dich- ters, durch welche er seinen Namen in Deutschland, Frankreich, Eng- land u. a. O. bekannt niuchtc, zu wenig Ivaum l)leibt. Einen originalen Dichter sich entwickeln, kämpfen und ringen zu sehen, hat eine unleug- bare Anziehungskraft, aber die innere Eutwickelung tritt um so deutlicher hervor, je mehr sie von äulserem, wenig charakteristischem Beiwerk be- freit wird. Nelken den biograi)hischen hätten auch die allgemein litte'rar- historischen Beziehungen eingehender und aufmerksamer geschildert werden sollen, doch H. Jägers Gesichtskreis geht nicht viel über die nordischen und besonders norwegischen Interessen hinaus, und so erfahren wir z. B. über Ibsens Verhältnis zum Darwinismus, zur naturalistischen Schule Frankreichs u. a. nur Gelegentliches und Dürftiges. Dafür entschädigt uns, wenn wir dankbar-bescheidener Gemütsart sind, das mancherlei Neue, welches wir über Ibsens Sturm- und Drangzeit und frühe Jugend hören.

Die deutschfeindliche Gesinnung Ibsens, die sich besonders in den Jahren I8(il und 187n kundgab, hat H. Jäger stark betont; glücklicher- weise wird dadurch der Absatz des Buches bei uns wenig Schaden erleiden. . Der Übersetzer hat dem Werke Jägers durch eine Reihe schätzens- werter biographischer und bibliographischer Angaben erhöhte Brauchbar- keit verliehen, auch einiges ans seinem Briefwechsel mit dem Verfasser und Ibsen selbst mitgeteilt. Selbstredend hat er sich in den Ergänzungen dem vorherrschend panegyrischen Standpunkt Jägers anschliefsen müssen. Die ästhetischen Gesichtspunkte der Beurteilung von Ibsens Werken möchten wir nicht immer teilen, glauben aber, dals die Zeit für eine ob- jektiv-abschliefsende Würdigung des nordischen Dichters erst dann ge- kommen ist, wenn sein Name aufgehört hat, das Feldgeschrei von un- ebenbürtigen Dichterlingen und Kritikastern zu sein.

In einer Anmerkung erwähnt der Übersetzer, dals bei einer hiesigen Aufführung der 'Stützen der Gesellschaft' ein Geistlicher in einen Oberlehrer verwandelt sei. Darin scheint aber die Dresdner Regie mü- dem Beispiele Weimars gefolgt zu sein; denn vor etwa 10 Jahren sali ich bei'eits jenen theologischen Oberlehrer, von einem Weimaraner Schauspieler dargestellt, auf den unebenen Brettern des Hall eschen Stadttheaters geschickt balancieren.

Dresden. R. Mahren hol tz.

Grundrils der Geschichte der französischen Litteratur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. A^on Dr. Heiniich P. Junker, ord. Lehrer an der Realschule zu Bockenheim. Münster, Schöningh, 1889. VIII, 436 S. gr. 8. In der von der Verlagshandlung dieses Werkes begonnenen Samm- lung von Kompendien für das Studium und die Praxis erschien zuerst

Beuitciliiuaeii uud kurze Auzeigt'D. 199

Körtiugs üriiudrils der Geschichte der euglischeu Litteratur. Da« vor- liegeude Buch eines Schülers Körtiugs bietet uuu dazu das frauzösische Gegenstück. Da Junker die provencalische Litteratur ganz ausschliefst, fordert seine Arbeit zunächst eine Ergänzung nach dieser Seite hin, die hoffentlich nicht lauge auf sich warten lassen wird. Wenn auch nicht wissenschaftlich, so wäre es praktisch doch wohl richtiger gewesen, dem Buche einen orieutiei-eudeu Abrils der proveucalischen Litteratur alter uud neuer Zeit schon jetzt mitzugeben. Der Verfasser schrieb für die Zwecke der Studierenden der französischen Philologie. Für ein solches Unternehmen besitzt Junker dreierlei, eine achtuugswerte Beleseuheit auf dem ungeheuren Gebiete nach der Seite des Inhalts, eine ausgebreitete Kenntnis der einschlägigen gelehrten Litteratur und einen soliden Fleils. Aber eines fehlt ihm : die Fähigkeit, die Masse des rohen Stoffes zu mei- stern, von überschauenden grofseu Gesichtspunkten ausgehend das weit- verzweigte Material eiuheitlicli zu gliedern, die Einzelerscheinungen aus ihrem gemeinsamen kulturgeschichtlichen Boden erstehen zu lassen. Was er giebt, bleibt uotizenhaft: eine erdrückende Fülle von Namen, Titeln, Daten, kürzesten Inhaltsangaben, summarischen L'rteilen. So nützlich dem Studenten das Werk als Nachschlagebuch werden kann uud als bibliographisches Hilfsmittel, so gefährlich wird es ihm werden, wenn er daraus lernen will, etwa mit Rücksicht auf seiu Staatsexamen. Die Hohlheit so erworbener Keuntni.sse würde jedem E.xaminator, der den Sachen auf den Grund zu gehen gewohnt ist, bald klar werden.

In dem Wunsche, vollstäudig zu sein, behandelt Junker alles mit ungefähr gleicher Wichtigkeit und verzeichnet auch das Wertlose. Der Inhalt der noch nicht edierten Handschriften des Glrberi de Mcs und des Aiitte'ls fils ik Oliherf (S. 51 f.) aus der (»V-s/e loniiliie ist mit der- selben Gewissenhaftigkeit erzählt wie der von Molieres Tartitfj'e oder dem Miscüii/irope, und der Inhalt der Echecs aiiumreux nimmt mehr Baum ein als der Cid Corueilles. Während der altfranzösischen Litteratur etwa ItiO Seiten eingeräumt sind, mui's sich die Zeit von Corueilles Auftreten bis zu A. de ÖMusset (S. '210 ;157) mit 112 Seiteu geuügeu lasseu. Wel- ches Mifsverhältnisl Welche Verwechseluug des sprachgeschichtlichen und des litterarischen Wertes! Gebühren wirklich der einzigen Geste de Bkiifies drei Seiteu Text, wenn für den ganzeu Rabelais zwei genügen? Entspricht es der beiderseitigen Bedeutung für die liUtwickelung der französischen Litteratur, wenn Du Bellay und der uuglüekliche Ronsard zusammen auf zwei Seiteu abgefertigt werden, so viel etwa wie dem h'ooni de Cauihrai und dem Beiwon d' IJaiisfonc zugemessen ist, dessen Ausgabe Stimming erst vorbereitet?

Die Anordnung des Stoffes ist nicht immer glücklicli; sie führt un- nütze Wiederholungen herbei und zerreilst auch wohl Zusammengehöriges. Adam de la Halle steht (S. 137 f.) an der Spitze der Lyriker und fehlt in der Dranuitik des Zeitalters ganz. Weshalb sind die Angaben über das Hotel de Raud)ouillet (S. '2UT) getrennt von dem raragraphen, der die aristokratischen Salons behandelt (S. ^'i'»)? Der Xofrr Datnr von

200 ]'Kurtciliiii^<'ii iiml kurze Aiizoi;rfii.

V. Hugo ist mit fast gleichen Worten auf S. HM und auf S. o-V) ge- dacht. Aus einer Materialiensammlung ein einheitliches Werk zu machen, ist dem Verfasser noch nicht gelungen.

Junker dehnt seine Darstellungen bis auf die jüngste franzosische Schule der Defaiknls (Icliquescents aus. In diesen letzten Abschnitten des Buches (Kap. LXXTV— IvXXVII) sind seine Mitteilungen neu und wert- voll; viele werden namentlich die bibliographischen Angaben mit Dank begrüfsen. Dals im Flufs der Entwickelung Einzelnes schon jetzt über- holt ist, kommt nicht in Betracht; ebensowenig dafs bei dem kaum zu übersehenden Stoffe hier und da ein Irrtum in den Angaben unterläuft, und dafs Licht und Schatten ungleich verteilt sind. In der Gegenwart ist jeder Partei.

Bei der Sorgfalt, welche der Verfasser den bibliograi>hischen Notizen zugewandt hat, fallen einzelne Lücken auf. Neben dem veralteten Büch- lein von Atzler mufste S. 4 E. Mackel: Die germanischen Elemente in der französischen und provenjalischen Sprache (Heilbronn 1887, Frz. Stud. VI, 1) stehen ; dazu käme der Artikel von G. Paris in der Romania XVII, 318. Bei den Bestiaires fehlt M. F. Mann: Das Bestiaire divin des Guillaume Le Clerc (Frz. Stud. VI, 2) ; bei Mairet : Studien zu J. de Mairets Leben und Werken von Danuheifser (Münchener Diss. 1888). In den Litteraturangabeu zu Rabelais habe ich vermifst: die sogen. Editio variori/m in neun Bänden. Dann A. Meray : La Vie au temps des Obres prMieurs ou Ics Demnciers de Luther et de Rabelais; P. Souquet: Les Eerivaim pedagogites du XVI' siede; Arnstadt: Rabelais als Pädagog, dazu G. Paris in der Berue eritique vom P. November 1872; Ch. Lenor- mant: Babelms et l'arfhiteeture de la Renaissance; Ed. Bourciez: Jjes Mneurs polies et la Litterafure de Com- sous Henri IL

Alles in allem: ein fleifsig gearbeitetes, sehr nützliches Nachschlage- buch, aber keine französische Litteraturgeschichte.

Berlin. S. Waetzoldt.

Geschichte der frauzösisclien Nationallitteratur von ihren An- fängen bis auf die neueste Zeit. Von Fr. Kreyfsig. Sechste vermehrte Auflage in zwei Bänden, gänzHch umgearbeitet von Dr. A. Ki-elsner und Prof. Dr. J. Sarrazin. II. Band. BerHn, Nicolaische Verlagshdlg., 1889. 402 S. M. 6.

Kreyfsigs Litteraturgeschichte, oder vielmehr Schul- und Übersetzungs- buch, hat zwar fünf Auflagen faute de mietix erlebt und war auch in der fünften von Lamprecht wesentlich umgestaltet worden, aber erst jetzt hat sie eine Form erhalten, die den wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Dieser IL Teil beginnt mit Malherbe und reicht bis zu den neuesten Erscheinungen der Pariser Litteratur, so dafs er also schon seinem äufseren Umfange nach vollständiger ist als irgend ein anderes Kompendium der französischen Litteraturgeschichte. Die Abschnitte über das 19. Jahrhundert sind des Bearbeiters eigenstes Werk, die älteren Auf-

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 201

lagen beschränkten sich für diese Zeit auf dürftige Notizen. Ist der Herr Verfasser für diesen Zeitraum besonders kompetent, wie er denn auch das französische Drama des 10. Jahrhunderts und Victor Hugos Lyrik in besonderen Schriften behandelt hat, so sind auch seine Studien über das 17. und 18. Jahrhundert recht sorgfältig und eingehend. Be- sonders ist die fleifsige Benutzung der neueren vSpecialschriften ein Vor- zug und die reiche, aber sorgsam ausgewählte bibliograijhische Übersicht eine Zierde, die das Buch von den vorhergehenden Auflagen günstig unterscheidet. Die naheliegende Befürchtung, dal's ein Franzose von Ge- burt über manche Eigentümlichkeiten des französischen Geisteslebens zu günstig urteilen möge, trifft glücklicherweise hier nicht ein, vielmehr urteilt der Herr Verfasser auch über die klassische Tragödie weit mehr vom deutschen als vom französischen Standpunkte. In Inhalt und Form kann also die Neubearbeitung nicht nur als Vervollkommnung und Er- weiterung der älteren Vorlage, sondern auch als ein selbständiges Werk in völlig eigenartigem Geiste bezeichnet werden.

Natürlich ist Referent über einzelne französische Litteraturerschei- nungen etwas abweichender Ansicht. So würde er Emile Zola viel gün- stiger, Victor Hugo viel ungünstiger beurteilt, Molieres Avare nicht unter Plautus gestellt haben, u. a. ; doch sind das Verschiedenheiten rein sub- jektiven Charakters. Positivere Ausstellungen haben wir nur wenige zu machen. S. 5(JA ist die Bemerkung 'W. Kreiten, Molil^res Leben und Werke . . . (mit einseitig polemischer Tendenz)' nicht ganz verständlich. Man könnte dabei an Polemik gegen Moli^re selbst denken, doch ist die Verketzerung der von Kreiten geplünderten deutschen Moliere-Forscher wohl gemeint? Paul Lindau hätte in der bibliographischen Übersicht der Molifere-Biographen wohl überhaupt gestrichen werden können, da sein Büchlein nichts Eigenes, höchstens einige romanhafte Ausschmückungen, sondern nur eine angenehm unterhaltende Popularisierung französischer Forschungen bietet. S. 57 taucht die unbewiesene Mitreise Molieres nach Narbonne als Ludwigs XIV. Kammerdiener wieder auf. S. 101 wird der Vater des grofsen Mirabeau einfach als 'sittenlos' bezeichnet. Mit dem Mafsstabe seiner Zeit gemessen, war er nicht sittenloser, wohl aber geistig viel höher stehend, als die meisten seiner Standesgenosseu. S. 381 A wird ein Artikel von G. Brandes über E. Zola (Deutsche Rundschau, Jan. 1888) sehr mit Unrecht als 'das Beste' über den französischen Romancier be- zeichnet, hier hätten vor allem Hellers Besprechungen in der Zeitschrift für neufranzösische Litteratur hervorgehoben werden sollen. Für Brandes hat der Herr Verfasser überhaupt die in Deutschland zur Mode gewor- dene, aber keineswegs berechtigte Sympathie. Ist doch der internationale Schriftsteller neuerdings in einem Aufsatze des Herrigschen Archivs als ein ziemlich dreister Freibeuter gebrandmarkt worden. Doch sind das im Grunde kleine Mängel, die dem Werte der Bearbeitung und ihrer unzweifelhaften Überlegenheit über die älteren Auflagen keinen Ab- bruch thun.

Dresden. R. Mab renhol tz.

2'»'2 lU'iiik'iliinjrcii und kiiiz«' Aii/cigni.

Französische Grammatik für den Schulgcbrauch von Prof. Dr. Gustav Lücking. 2. verbesserte Auflage. Berlin, Weidmann- sche Buchhandlung, 1889.

Die zweite Auflage des mit lieelit geschätzten Buches ist das Ergebnis einer bis ins kleinste gehenden sorgfältigen Durcharbeitung des Textes von 1883, wobei der Verfasser die Wünsche und Ausstellungen der Kritik, soweit dieselben mit seinen eigenen Anschauungen vereinbar waren, be- rücksichtigt hat.

Der Vergleich mit der ersten Auflage ergiebt daher eine nicht unbe- deutende Zahl von kleineren und gröfsereu, zum Teil wesentlichen Ver- änderungen. Zunächst ist die Seitenzahl von 281! auf o08 angewachsen, und zwar teils infolge zahlreicher Erweiterungen des Textes, besonders auch durch Anmerkungen und Noten, teils durch eine bedeutende Ver- mehrung der Beispiele, im ganzen um etwa anderthalb hundert. Manche Beispiele sind durch andere ersetzt, welche nach Form und Inhalt gröfsere Beweiskraft besitzen. Au den meisten Stellen, wo es nicht schon der Fall war, ist das reichlichere Anschauungsmaterial nach den im Text aufge- führten einzelnen Punkten geordnet und mit Hilfe von griechischen Buch- staben gegliedert worden. Gelegentliche Übersetzungsaudeutungeu erhöhen die Deutlichkeit und helfen Mifsverständuisse vermeiden. Man vergleiche z. B. die §§ 220, 21.j und 210, o08 und 300, 120, um den bestimmten Ein- druck zu gewinnen, dal's der Verfasser sich mit der grölsten Liebe der Arbeit unterzogen hat, seinem Buche den möglichsten Grad von Vollkom- menheit und Zuverlässigkeit zu geben. Selbst die Vorrede bringt zu einigen Paragraphen Ergänzungen und für das Verständnis von cc und ccla ein recht umfassendes Material.

Der fettere Druck ist häutiger zur Verwendung gekommen als in der ersten Auflage, die Hinweisung auf verwandte Paragrai)heu ist überall erweitert und ergänzt.

Die Anordnung des Stofles ist die gleiche geblieben. Xur siud die früher als Anhang bezeichneten §§ 425— 4o4, welche von der Stellung des Subjekts zur Personalform handelten, neuerdings unter Umkehrung des Titels als ein Zusatz zu den §§ 132—130 (Übereinstimmung der Persoual- form mit dem Subjekt) bezeichnet worden, womit das Verhältnis zwischen Personalform und Subjekt jedenfalls einheitlicher zum Ausdruck kommt. In dem Texte der genannten Paragraphen ergeben sich daraus die ent- sprechenden Veränderungen. Sie an der zugehörigen Stelle, hinter § 135, unterzubringeu, hinderte die Rücksicht auf Lamprechts Übungsbuch, welches sich paragraphenweise au die Grammatik von Lücking aa- schliefst.

Die §§ 102 (Übersicht der Zahlen) und 10:> (Zahlen) sind zusammen- gezogen, wodurch sich die Paragraphenzahlen verschieben. Indem aber mit § 108 eine Übersicht über die Eigentümlichkeiten der Pronomina neu hinzutritt, stimmen beide Auflagen von § 100 an wieder überein. In § 115 A sind differents, divers, mnlid und phisienrs mit Eecht aus der

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 203

Reihe der indefiniten Pronomina weggefallen und dafür in § IUI, Anm. sowie in § 240, 1, Anm. 2 als unbestimmte Kardinalzahlen aufgeführt. Damit ist in der Syntax des Pronomen § 299 überflüssig geworden, eine Veränderung, die durch Trennung des übermäl'sig langen § ^^Ol (tont)..in zwei Teile oOO tuid von der Zahl, § :}ul tout vom Malse) ausgeglichen wird. Endlich sind die beiden Zusätze des § o89, welche früher zwei neue Paragi-aphen ausmachten, in einen (390) zusammengezogen, und statt dessen ist ein neuer § o91 gebildet worden, den die früher unter § 378 C, 5 zu findenden Konjunktionen a mesurc que und ä pfoportion quc, nunmehr durch die Beziehung von qiie auf n niesure und ä pro- portion erklärt, für sich in Anspruch nehmen.

Im ersten Teil (Lautlehre) finden wir in der neuen Auflage die Transskriptiou für eh und J, sowie die Häkchen zur Bezeichnung des hohen und tiefen a. In § werden 'fallende' Diphthonge wenigstens in einer Anmerkung erwähnt. Die Konsonanten werden, der neueren Pho- netik entsprechend, als stimmlos und stimmhaft statt klanglos und klin- gend unterschieden. Die Beispiele für die Aussprache sind überall ver- mehrt (s. z. B. in § 36 les eehees mit 'lautendem' c). Während in § 41, Anm. 3 die erste Auflage bei dem Personalpronomen hinter der Personal- form den Vollvokal von dem tonlosen e der Enklitiken Je und ce unter- scheidet, geht der neue Text von dem Gesetz der betonten Endsilbe aus, von dem nur Je und ce ausgenommen sind. In § 45 ist in 3 der Redeton erwähnt. In dem Anhang zu diesem Teile ist der § 47 von der Silben- trennung auf Grund der neueren Gepflogenheiten der Academie umge- arbeitet worden.

Im zweiten Teil (Formenlehre) finden wir beim Verbum z. B. die doppelte Schreibweise der Formen von patjer 58). In § 00 ist statt Je f}eu(u)rissais die dritte Person gesetzt; bei rouloir ü5) sind die Impe- rativformen cetiil/oiia u. s. w. als Hauptformen in den Text aufgenommen, die übrigen in eine Note verwiesen. In § 80 hat die Anmerkung über das Geschlecht von gens eine knappere und klarere Form erhalten. In § 93 ist das von Tobler beanstandete livre tournols (sowie livre parisis) in Wegfall gekommen. Auf Veranlassung desselben Kritikers ist in § 10 1 der Superlativ als ein Komparativ im Vergleich mit allen anderen Wesen der gleichen Gattung erklärt und demzufolge bei ahic ältere und pii'nir jüngere der deutsche Superlativ hinzugefügt. Von den unbestimmten Kardinalzahlen war weiter oben die Rede; inille cei/f. Ir niille ccnfientc u. s. w. haben Aufnahme gefunden.

In der Syntax (Teil III) des Verbums ist in § 128 der Begriff' der Hilfsverben der prädikativen Beziehung aufgegeben und faire nicht mehr als kausatives Hilfsverbum l)ezeichnet. ij 129 zeigt eine andere Anordnung der Verben, die mit aroir, rfn: oder beiden konjugiert werden, wobei be- sonders Chassangs Autorität gegenüber der Academie für die ^'erben partir, sortir, rester, toniher betont wird. Die Beziehungen des Infinitivs und des Particips zu den Verhältnissen der Gegenwart unil \'ergangenheil, Avie der realen und idealen Handlung finden in Aninerkungen der §§ 18m

204 Rciirtciliinircii iiinl kiirzr .\iizri;r<'ii.

und l'*^.'! Berücksichtigung. Das Verzeichnis der Participien und Adjek- tive in § IHC) zeigt sich vervollständigt. Beim Substantiv sind in § 202 die gebräuchlicheren Formen (irdtKl-Ondiv de B(tik und nnckn royanttte de Najtfpü für Bficft; und N(tj)lc.s augeführt. Die Wiederaufnahme des als absolutes Satzglied vorangestellten Substantivs (_§ 222) wird durch Nen- nung von //, eile, ils, elles, le, la, les, de erweitert und das wiederaufge- nommene Substantiv als logisches Subjekt u. s. w. bezeichnet. Die Be- nennung 'elliptisch' für Substtuitive und Infinitive im Ausruf, Titel u. s. w. (§§ 221, 22')) ist vermieden und durch 'ohne Persoualform' besser ersetzt. Die Beziehung des Particips auf ein vorangehendes absolutes Substantiv im Sinne eines Konzessivsatzes fehlte früher und ist in § 2>U nachgeholt. § 252 (über den Gebrauch von en) zeigt seinen Inhalt wesentlich klarer und übersichtlicher geordnet; ein Gleiches gilt z. B. von § 264 (das be- tonte Possessivum). Bedeutend erweitert ist § 28<», indem das Verhältnis des Relativs zu seinem Satze und des Relativsatzes zu dem regierenden Satze erörtert wird. Andere Erweiterungen beziehen sich auf Icquel, 282), dant 286) u. s. w. In § 302 ist die einigermafsen seltsame Auffassung des qnelqtie als Gradbestimmung vor dem 'Adjektiv' aufge- geben worden. Bei den Adverbien findet sich zu Anfang 306) eine längere Erörterung über die Stellung, welche in der ersten Ausgabe ganz fehlt. Überhaupt ist die 'Syntax der inflexiblen Wortarten' besonders reich mit Ergänzungen und Veränderungen sowie mit neuen Beispielen bedacht worden, wenn auch mit Ausnahme der oben angeführten ab- weichenden Behandlung des Anhangs der Haujittext sich meist gleich- geblieben ist.

So zeigt sich überall in der neuen Aullage das Streben, den Spracherscheinungen möglichst vollkommen gerecht zu werden und einen möglichst einfachen und einleuchtenden Ausdruck dafür zu ge- winnen.

Es erscheint durchaus gerechtfertigt und ist ganz im Sinne unserer Zeit, wenn der Verfasser für die Behandlung der modernen Kultursprache an unseren höhereu Schulen ein ebenso tiefes und gründliches Eindringen in Anspruch nimmt, wie es für die klassischen Sprachen verlangt wird. Zur Zeit freilich wird dieses Verlangen, selbst an unseren Realgymnasien, bei der Fülle der mit gleichen Ansprüchen auftretenden Lehrfächer und der knapp bemessenen Stundenzahl schwerlich Befriedigung finden, und es kann daher das Buch trotz seiner Vortreft lichkeit eben wegen seiner Ausdehnung und Vollständigkeit als 'Schulbuch' im engeren Sinne kaum betrachtet werden. Für den begabten und strebsamen Schüler jedoch, dem daran liegt, was er treibt, nicht oberflächlich, sondern gründlich zu betreiben, besonders wenn er sich für spätere philolo- gische Studien vorzubereiten wünscht, ist das Bucli ein unschätzbares Besitztum, und wir haben in diesem Sinne dem Verfasser für die auf die zweite Auflage verwendete grofse Mühe und Sorgfalt aufrichtig zu danken.

Berlin. Fr. Bachmaun.

BeurteÜHngen und kurze Anzeigen. 205

Le Friiuyais Park^. Morceaux choisis a l'usage des etraugers avec la prononciatiou figuree par Paul Passy. Deuxienie Edition. Heilbronn, Henninger, 1889. VIII, 122 S. kl. 8.

Das Büchlein, das schon früher mit vielem Nutzen gebraucht wurde, darf in seiner neuen Gestalt noch weitere Erfolge hoffen.

Vor allem hat die Transskrijjtion, die nach dem Urteil des \'erfassers selbst nur leicht geändert ist, in mehr als einer Hinsicht eine entschie- dene Verbesserung erfahren. Schon allein die Unterdrückung der Binde- striche zwischen den Wörtern des einzelnen Sprechtaktes ist ein Gewinn, denn die Schrift erscheint klarer und einfacher, und sie ist sicherer zu lesen, weil jedes Wort als einheitliches Lautbild erhalten ist. Die Sprech- takte sind durch gröfsere Zwischenräume genügend gegeneinander abge- grenzt. Die stih-enden Gedankenstriche, die das Satzende anzeigten, sind ebenfalls weggeblieben, indem der Punkt auf der Linie, der früher Länge- zeichen war, in sein natürliches Amt wieder eingesetzt wurde. Eine wei- tere Neuerung haben wir in der Bezeichnung des tonischen Accents durch ein ' hinter der betreffenden Silbe; früher war derselbe ganz unbezeichnet. Doch fehlt das Zeichen auch jetzt in drei Fällen: 1) hinter der letzten Silbe mehrsilbiger Wörter, bezw. hinter deren vorletzter Silbe, wenn die letzte ein tonloses e enthält; 2) wenn der Tonsilbe unmittelbar ein Inter- punktionszeichen folgt ; .")) hinter der letzten bezw. vorletzten Silbe eines Verses. Mit Bezug auf den ersten Fall dürften wir uns positiver so aus- drücken : das Accentzeichen wird in Prosa nur dann gesetzt, wenn der Ton auf einem einsilbigen Worte liegt, und wenn er in mehrsilbigen Wörtern eine andere als die letzte tonfähige Silbe trifft. Indessen gesteht Referent, dafs er nur diese letztere Bedingung als zwingend für die gra- phische Bezeichnung des Accentes ansehen kann ; denn das einsilbige be- tonte Wort ist durch seine Stellung am Ende des Sprechtaktes hinreichend markiert. Übrigens ist der Verfasser hier auch gar nicht konsequent, er hat sich vielfach mit dem blofsen Spatium begnügt. In der Poesie finden wir, was Verfasser nicht ausdrücklich hervorhebt, am Ende eines jeden Sprechtaktes aufser dem letzten im Vers das Accentzeichen, ohne dafs darum auf das Spatium verzichtet wäre. Diese häufige Wiederkehr desselben Zeichens wirkt zwar infolge ihrer Regel mäfsigkeit nicht verwir- rend, aber einen rechten Nutzen davon vermag Referent nicht abzusehen. Das Streben nach Mäfsigkeit zeigt sich indessen auch hier, indem das Versende vom Accentzeichen frei gehalten wird; und dieses Malsvolle, das die ganze phonetische Behandlung des Textes charakterisiert, mufs mit Freude und Dank anerkannt werden.

Neu ist die Angabe der Intonation. Der Verfasser hat sich aber bei dieser Neuerung, zu der er sich niu* auf dringenden ^^'unsch an- derer entschlossen, nicht verhehlt qii'aicc /'/'wpcrfcction de iiox <oii- nm'ssancfs et de nos moyemt de representathn, ces signes soiit ahsoho/ie/tt insnffismits po>tr donnrr nnc idH exactc de l'ii/foxafion fra/icaise (S. IV). Wir kfhinen diesen Worten nur durchaus b(>istimmen, sehen aber gleich-

20(5 Beurteilungen niid kiir/c An/eifreii.

wohl in <lor Nenciimg eine Verbossernng, wi<* unfrefüge die Zoidion aiioli an sich sind.

Auch die Lautzeichen haben durch die Bemühung des Verfassers, sein phonetisches System dem internationalen System der phonetischen Transskrij>tion anzupassen, einige Veränderungen erfahren. Eine Ände- rung aber, die nicht auf dieses Streben zurückzuführen ist, sondern die einen schweren Fehler der ersten Auflage ausmerzt, liegt in der graphi- schen Scheidung des r sourd und des offenen ö-Lautes. Früher waren z. B. h und (cur vokalisch gleichgestellt: /o und \q.r. (Der Punkt hinter dem n in /o.r war nur Länge-, nicht Lautzeichen.) Jetzt lesen wir /> und \a>r.

In der Liste der phonetischen Charaktere hat jetzt jeder Vokal zwei Musterwörter, einerseits wohl um denselben Wert in verschiedener orthor graphischer Wiedergabe zu zeigen, andererseits um die Einflufslosigkeit des folgenden Konsonanten zu erweisen, der doch z. B. im Deutschen den Klang des Vokals oft modifiziert. Weggeblieben ist die ehemals hier folgende Tabelle, welche dieselben Zeichen mit den annähernden Werten in den verschiedenen germanischen Sprachen angab. Diese Gegenüber- stellung konnte leicht nachteilig wirken, indem sie zu germanischer Aus- sprache des Französischen verleitete. Es ist entschieden zu billigen, dafs Verfasser an dieser Stelle lieber einige Specialwerke über französische I>autbildung empfiehlt.

Auch die Bemerkung über die Skausion französischer Verse begegnet uns in der zweiten Auflage nicht. Sie war mehrfach nicht bestimmt genug gefafst und hatte vielleicht einen zu breiten Raum erfüllt. Aber ihre gänzliche Unterdrückung ist doch zu bedauern.

Dagegen hat das Buch als Zuwachs ein Inhaltsverzeichnis auf der letzten Seite erhalten. .

Was die Texte anlangt, so finden wir Änderungen in Auswahl und Reihenfolge. Nr. 2 Le.s deux puhniers und Xr. 0 L'öfoh amdiealnf sind gefallen, weil der Verfasser für diese Stoffe nur geringes Interesse zu finden glaubte. Von den Gedichten fehlt La Hiauson de Foitnnio. Dafür sind neu hinzugekommen : La iimison qui mnrche, eine kleine humo- ristische Erzählung von Saint-Simon, und Ijcs parlers fran^-ms, ein etwas umfänglicher Abschnitt aus einer Rede von Gaston Paris. Die Zahl der Prosastücke ist also die gleiche geblieben (12), während wir ein Ge<licht weniger hal)en (8 statt 0). In der Orthographie ist Verfasser konser- vativer geworden : loitfjtcvts. orucnifHS, pnrens und dergleichen Wörter sind wieder durch lonytemps, onie>»e)i/.<<, parents u. s. w. ersetzt. Die R^'ihen- folge der Stücke ist geändert, um einen allmählich vom Familiären bis zum Oratorischen und Poetischen aufsteigenden Stil verfolgen zu lassen. Demgemäfs ist auch die Aussjjrache der ersten Stücke ganz familiär, zeigt alle Elisionen, Kontraktionen und Assimilationen der familiären Ausdrucksweise, um sich dann nach und nach zur Feinheit des litte- rarischen, des oratorischen und des deklamatorischen Stils zu entwickeln. Dies Verfahren ist unserer Meinung nach mit lebhafter Genugthuung

Beurteilungen nnc] kurze Anzeigen. 207

zu begrülsen; denn so erst wird uns ein wahres Bild der lebendigen vSprache entworfen. Übrigens tritt das gleiche Bestreben aueh schon in der ersten Auflage, dort nur weniger entschieden, hervor. In Einzel- heiten der Aussprache soll hier nicht eingegangen werden, doch sei ge- sagt, dal's Verfasser jetzt in einsilbigen Wörtern vor s ein geschlossenes e hört: mes, les, ees, e'est a dire erscheinen als vie, le, se, nefadin- w. s. f. Die Neigung, das tonlose e im Wortauslaut nach Kons. -|- r oder -\- I zu tilgen, ist mäfsiger geworden ; viel häufiger erscheinen die fraglichen Wörter mit dumpfem oder halb verstummendem End-f.

Viele alte Druckfehler sind gebessert, manche neue haben sich aber eingeschlichen sowohl in den Text wie in die Transskription. Einige nur seien hier angemerkt: interieurenient (S. 24, 19), c-rmnolt (S. o2, 28), rafral- chit (S. 34, 26), deerire (S. 66, 20), m'eeriai-je (S. 70, 9), on appelle ces peüples romans st. on appelle ces petiples les peuples rmnaiu (S. 82; 21), lA^ st. left (S. 90, 19), c'est histairc st. cest /'histoire (S. 98, 16), aercep st. oerop (S. 89, 15) u. s. f. Die Transskription ist übrigens viel sorgfältiger be- handelt als der Text.

Alles in allem genommen dürfen wir die zweite Auflage des beliebten Werkchens als eine wesentliche Verbesserung betrachten und somit wei- teren Kreisen angelegentlich empfehlen.

Berlin. Fr. Speyer.

Neue französische Grammatik für den Kaufmann und für Gewerb- treibende. Zum Gebrauch in Handels- und Gewerbeschulen, sowie zum Selbstunterricht. Yon M. E. Mey, Chef der Firma Mey & Edlich in Plagwitz-Leipzig, und Prof. Dr. Kud. Thum, Direktor der Kealschule zu Reichenbach i. V. Sechste Auflage. Leipzig, G. A. Glöckner, 1889. VIII u. 2G1 S. M. 2,25.

Aus den vor dieser sechsten Auflage abgedruckten Vorworten zu den erstell fünf Auflagen ist, da dieselben weder Unterschrift noch Datum haben, nichts über die Zeit ihres Erscheinens zu ersehen. Auch spricht in denselben auffälligerweise immer nur ein Verfasser, während der Titel zwei, Mey und Thum, aufweist. Es scheint aber, als ob die erste Auf- lage vor nicht mehr als etwa zehn Jahren erschienen ist; und das beweist hinlänglich die Brauchbarkeit des Buches für seinen Zweck. Dasselbe bildet einen Teil von Trof. Dr. R. Timms Sprachlehrbüchem' und soll die erste Arbeit des Kaufmanns leiten, der vom Französischen durchaus nur das lernen will, was er zur Handelskorrespondenz nötig hat. Weitere Übung bietet dann derselbe Verlag in einer 'Konversationsschule' in zwei Stufen und 'Gesprächen aus dem Geschäftsleben'. Von den 261 Seiten des Buches sind 8.") Seiten tlbungsstücke, durchweg mit Interliiiearversion, und dadurch für den Kaufmann, der seine vielleicht wenig umfangreiche ^^u^se zur Aneignung des ihm notwendigen Französisch anlegen will, sehr brauchbar, da er nie nach einer Vokabel zu suchen hat. Jedes der dreifsig Kapitel bietet zuerst einen Teil <!ramni:uik. der nur das Unent-

208 JJeurtoiluiiircM und kiir/c Anzeigen,

behrlichstc aus jedem Al)sc'lmitt enthält; dagej^en enthalten liintcr jedem Übungsstück ziemlich umfangreiche Anmerkungen, auf welche durch Zahlen im Stück verwiesen ist, die zum l'berblick nicht erforderliehen Punkte grammatischen Wissens niit Eiuschluls stilistischer Bemerkungen. Besonders zu rühmen ist, abgesehen von der Wahl des Unterrichtsstoffes, die Behandlung der Fräpositioneu, denen 15 Seiten gewidmet werdea, und zwar so, dafs auf 0 Seiten zuerst die französischen Präpositionen in ihren geläufigsten Verbindungen alphabetisch gegeben werden und dann auf (! Seiten ebenso die deutschen; dies letztere ähnlich wie in Plötz' Schulgrammatik. Diese Art wäre mancher Schulgrammatik zu wünschen, da in diesem Punkte die Lektüre unmöglich alles bieten kann, was dieses Kapitel erfordert; denn ohne die Präpositionen in richtiger Verwendung ist das eigentliche Kolorit einer fremden Sprache nicht zu erlangen. Über die oft recht dilettantenhafte Fassung der Regeln und Erklärungen soll mit dem Verfasser hier nicht gerechtet werden ; vielleicht ist dieselbe für den vorausgesetzten ziemlich niedrigen Bildungsstandpunkt des Schü- lers ganz praktisch. Aber Verfasser mufs es dann auch unterlassen, über Anordnung grammatischen Stoffes und über Kunstausdrücke der französischen wissenschaftlichen oder Schulgrammatik, die er für falsch oder unpraktisch hält, Ausdrücke zu gebrauchen wie 'sinnlos' oder 'ich begreife die pädagogische Weisheit nicht' u. ä. Namentlich mufs er es nicht 'sonderlich finden, dafs es noch Deutsche giebt', die zwischen der- jonlfje, irdchcr ein Komma setzen, wenn er selbst es diirchgehends thiit. Ich habe beim Durchlesen des Buches das Gefühl gehabt, dafs ein junger Kaufmann, der dasselbe nach den S. 1 1 gegebenen Vorschriften benutzt, an demselben einen sicheren Wegweiser und nach jeder Stunde Arbeit das ermunternde Gefühl hat, eine hestimmte i\Ieuge von Dingen gelernt zu haben, die er sofort verwerten kann; doch hätte es sich dazu vielleicht noch mehr empfohlen, den ganzen Unterricht wesentlich auf dem Übungsstück aufzubaueu, wie dies Toussaint-Langeuscheidt so ge- schickt und erfolgreich gethan haben. Schliefslich kann ich meinen Zweifel nicht unterdrücken, ob Handels- und Gewerbeschulen sich awf ein so eng begrenztes Gebiet des Lehrstoftes beschränken dürfen; es sei denn, dafs sie Fachschulen im ausschliefslichsteu Sinne des Wortes sein wollen, d. h. dafs sie nur Schüler haben, welche über das Alter des all- gemeinen Schulzwanges (11 Jahr) hinaus sind. Für jüngere wäre eine solche Beschränkung des Lehrstoffs bedenklich und aufserdem weder nötig noch wünschenswert. Denn ein Schüler, der bis zum vollendeten vier^ zehnten Lebensjahr Französisch, etwa in der Weise und in der Ausdehr nung unserer Berliner Höhereu Bürgerschulen, gelernt hat, wird mit Leichtigkeit, wenn er Kaufmann wird, die Handelskorrespondenz erlernen, bis sie ihm frühestens anvertraut werden wird. Die Ausstattung und Drucklegung verdienen alles Lob; ich habe an Druckfehlern nur ein äant S. 173 und ce moi (ohne ») S. 241 gefunden; S. 140 Z. 4 v. u. fehlt dem pour das p, S. 128 Z. 1 v. o. der Futurendung das /.

Berlin. Otto Kabis eh.

Beurteilnno:eii und kurze Anzeigen. 209

Die Aussprache des französischen imbetonten e im Wortauslaut. Von Dr. Adolf Mende. Zürich, Jacques Meyer, 1889. 126 S. gr. 8.

Indem der Verfasser dieses Werkes feststellt, dais neuerdings die Er- örterung über das unbetonte e wieder lebhaft geworden ist, erhebt er und das mit vollem Recht Klage über die Behandlung, die seiner schon im Jahre 1880 erschienenen Efnde sur Ui Prononciofio» r/e VE muef ä Paris (Londres, Trühner rf; Co.) widerfahren ist. Wiewohl die Kritik sich seinerzeit über diese Arbeit überaus anerkennend ausgesprochen hat, ist dieselbe doch von keinem der Forscher, die inzwischen das gleiche Gebiet angebaut, auch nur mit einem Worte erwähnt worden. Im Tone ernster, aber sachlicher Beschwerde weist Verfasser darauf hin, dals er eine Beachtung um so mehr verdient zu haben glaube, als z. B. das Werk von Lubarsch 'Über Deklamation und Rhythmus der französischen Verse', Leipzig 1888, in einer ganzen Reihe von Sätzen dieselben Beob- achtungen mitteilt, die Mende schon vor acht .Jahren als besonders wichtig hervorgehoben.

Während aber in der Etüde die Forschung nur auf moderne Ver- hältnisse beschränkt war, sucht der Verfasser nun, indem er seine alten Resultate, freilich vielfach erweitert, wieder in Erinnerung bringt, zugleich auch die frühere Aussprache des betreffenden Lautes durch die Jahrhun- derte der Sprachentwickelung zu verfolgen. Diese Arbeit ist mit einer Gründlichkeit durchgeführt, die noch höhere Anerkennung verdient als das methodische Geschick der Forschung und das feinsinnige Urteil, das den Verfasser überall auszeichnet. Im grofsen Ganzen muls die Kritik der Methode und den Resultaten rückhaltlos zustimmen; zum Einzelnen kann erst mit der Zeit durch eine genaue Nachprüfung Stellung genom- men werden. Zweckvoller als eine Recension erscheint daher in diesem Augenblick ein Referat über Gang und Ergebnisse der wichtigen Unter- suchung Mendes.

Die Beobachtung der Pariser Aussprache führte den Verfasser zu der überraschenden Erkenntnis, dafs das tonlose <> ganz allgemein nament- lich aber im Wortauslaut in zwiefach verschiedener Weise behandelt wird. Es wird bald gesprochen, bald nicht. Gebildete Franzosen hielten die Unterdrückung des Lautes für eine Nachlässigkeit. Selbst wenn der Verfasser dem beipflichten könnte, mülste er doch eine nachweisbare Ursache annehmen. Wenn ferner diese sogenannte Nachlässigkeit all- gemein verbreitet ist, mufs sie im Geiste der französischen Sprache l>e- gründet sein.

So scheinen sich für diese wissenschaftUche Arbeit drei Zielpunkte zu ergeben :

1) der Nachweis, dals die Pariser Aussprache mustergültig und die eigenartige Behandlung des tonlosen c darin allgemein gleichniäl'sig ist;

2) der Nachweis, dals in der That die Unterdrückiuig des >■ sich durch alle Epochen der französischen Sprachgeschichte verfolgen lälst;

Arcliiv f. n. Sprachen. LXXXIV. 1-1

210 l'.oiivtf'üimirfMi iiinl kurze Aiizoijron.

:'») ilie Aufstelluiif^ der Fülle, in »lonoii riitenlnickung (stattfindet;

4) Angabe der j)liOMetis(lien Ursachen für diese Erscheinung.

Der letzte Punkt ])edurf'te keiner eingehenden Bearbeitung, denn jeder einzehie Fall ist deutlich genug erkennbar dem Strebeu nach Kr- leichterung der Aussprache entsprungen. Der erste Punkt wird durch Berufung a\if sieben Autoritäten erledigt. Die Punkte 2 und ^5, die natürlich in der Behandlung vielfach zusaninienfallen, bilden den eigent- lichen Kern der Arbeit. Jeder einzelne Absc^hnitt derselben erfüllt den h<)heren Zweck, die aufgestellten Begeln als im Sinn und (4eist der fran- zösischen Sprache liegend zu beweisen.

Die Arbeit zerfällt in zwei Hauptteile : der erste behandelt die ein- silbigen, der zweite die mehrsilbigen Wörter. Jeder Hauptteil ist wieder dreifach gegliedert, indem zuerst das Verhalten der betreffenden Wörter vom 9. bis 16. Jahrb., dann vom 1(5. bis 1'.'. Jahrb., zuletzt im 19. Jahrb. untersucht wird. Das erste Drittel des ersten Hauptteils mül'ste diesem ICinteilungsprincip geniäfs ebenfalls in zwei Abschnitte zerfallen:

1) ' nach Vokalen, und zwar a) vor Vokalen, b) vor Konsonanten ;

2) ' nach Konsonanten, und zwar a) vor Vokalen, b) vor Konsonanten. Aus inneren Gründen ist aber diese symmetrische Anordnung hier

nicht durchgeführt. Wir haben vielmehr:

1) ' nach Vokalen, a) vor Konsonanten, b) vor Vokalen;

2) nach Konsonanten und vor Vokalen ;

3) nach und vor Konsonanten.

Das unbetonte e ist durchweg mit ' bezeichnet.

Wir verzeichnen im Folgenden kurz die Ergebnisse Mendes, soweit sie die gegenwärtige Aussprache des tonlosen e betreffen.

Mende studierte dies ' 1) in einer beträchtlichen Zahl von Vorstel- lungen im Th^ätre Franjais und im Od^on, und zwar von versifizierten und prosaischen Stücken ;

2) in den Vorlesungen einer ganzen Reihe von bedeutenden Gelehrten ;

3) in den Gottesdiensten der berühmtesten derzeitigen Kanzelreduer von Paris;

4) bei und nach der Unterhaltung mit gebildeten Parisern. Die Beobachtungen, die Mende hierbei machte, hat er schon in seiner EtinJe mitgeteilt; er druckt jetzt die betreffende Stelle jener Schrift wieder ab. Er fand allerdings, dafs die Schauspieler das e unserer Monosyllaben von gewissen Ausnahmen abgesehen etwas häufiger hören lassen als in der Konversation; aber das geschieht nach seiner Meinung nicht um des Verses willen, den sie lediglich durch stärkere Betonung seiner vorletzten Silbe markieren, sondern unbeabsichtigt, indem der Ernst des Gegenstandes und der Zwang, sich einem grol'sen Auditorium verständlich zu machen, sie zu langsamerem Sprechen bringen. In öffentlichen Vorlesungen an der Sorbonne und am Coll(^ge de France werden die c der Mono- syllaben ganz wie in der Konversation behandelt. Welches aber ist diese Behandluugsweise? Welches sind ihre Regeln? Vier Hauptregeln werden von Mende aufarestellt.

Benrteilungen niifl kurze Anzeigen. 211

Das ' iu einsilbigen Wörtern.

1) Xie können zwei aufeinander folgende Silben ilir ' verlieren; es sei denn, dafs das erste ' einem proklitischeu Worte angehört, das zweite lautlos in der ersten Silbe eines mehrsilbigen Wortes steht: jen' d'mertre jws la.

2) Nur ec, je. Je (Artikel und Pronomen), nie, se. ne und gelegentlich auch de und ie können enklitisch sein, aber auch nur, wenn das vorher- gehende W^ort auf betonten Vokal endigt und nicht mehr als zweisilbig ist, oder wenn es eins der Monosyllaben ist, dessen ' wie ni ausgesprochen wird : que f parle.

3) Zwei dieser Wörter am Anfang eines Satzes geben das erste ' dumpf, das zweite lautlos. Im Inneren des Satzes ist die Sache umge- kehrt, sobald die Bedingung unter 2 erfüllt ist. Dasselbe ist der Fall, wenn mehr als zwei solcher Wörter einander folgen: jeir n'leii r'trouve pas.

-1) Proklitisch sind ce. de, je. que und zuweilen te. Proklise kann stattfinden, wenn das vorhergehende Wort nicht mit ' schlielst und das folgende iu erster Silbe kein lautloses *■ hat, und wenn der Anfangskon- sonant dieses Wortes nicht zu hart ist, um mit dem proklitischeu Konso- nanten gesprochen zu werden : j'lhe.

Das ' in mehrsilbigen Wörtern.

1) ' lautlos nach einf. Kons., immer in Prosa, beinahe immer im Vers, aspiriertes h ausgenommen: faif's mi nioins le reste.

2) ' oft ausgesprochen in der Poesie, selten in' Prosa, nach einem Konsonanten, dem ein Vokal vorangeht : en grand' pom])'.

3) ' immer stumm in Vers und Prosa nach einem Doppelkousonauten, ausgenommen / monillee und ff: un flamm' toidc divine.

4) ' nicht stumm, sondern wie e im deutschen Wort 'Liebe' lautend, also gleich ganz schwachem a: vor einem oder mehreren Konsonanten und nach bestimmten Konsonantengruppen (und zwar iu Prosa, Vers und Kanzelvortrag). Diese Konsonantengruppen sind sowohl mut. c. liqu. als liqu. c. mut., liqu. c. liqu., mut. c. mut. Dieser Kegel folgen I) die Endungen c und es in Subst., Adj., Adv., Präpos. vor konsonantischem Anlaut, und die Endung e.s auch vor Vokalen; 2) die Verbaleudungen es und enf vor Vokalen und Konsonanten, und e nur vor Konsonanten. Sie findet namentlich in der Frageform häufige Anwendung.

Indem nun Mende gegen einzelne Autoritäten, die einen mehr oder minder hörbaren Laut des ' nach Konsonant behaupten, polemisiert, macht er die interessante Bemerkung, dafs die hauptsächlichsten Konsonanten, die hier in Betracht kommen, p, f, qu, h, d, g, i; x mit einer ganz ähn- lichen Mundstellung auslauten, wie die, welche zur Hervorbringung des ' nötig ist, also leicht eine Täuschung des Hörers verursachen können. Hierauf zeigt 3fendc, dals ein ', Avelches nach den unter Regel I ge- nannten Konsonanteugruppeu hörbar ist, einen bedeutenden Einflul's auf die Quantität des Vokals der vorhergehenden Silbe ausübt. Dieser Vokal erseheint nämlich stets kurz aulser vor bl, oft auch vor fr und ir. Der Vokal, der den Hauptton trägt, hat also ein Quantum seiner Tonfülle ah

14*

212 P.ciiit('iliiii^(Mi mimI kiir/f Aiizeij^cii.

»las ' !il)gegeben. Hier tiiidct sich iukIi ein»' weite«' selir feine lienier- kurig. Wo (las " npokopiert wird, da haben wir ungemein häufig in der Pänultinia lauge Vokale. Es scheint nun dem Verfasser, dals die Sprache hier eine durch das Verstummen des ' erlittene P^inbul'se an Klangfülle durch Längung jenes Vokals ersetzt habe. In diesem Umstand erkennt Mende die Hauptursache des ewigen Streites über die Aussprache des ' im Vers, liei vielen ' wird das Ohr getäuscht, indem durch stärkere Dehnung des Vokals dieselbe Zeit in Anspruch genommen wird, die zur Aussprache des weniger gedehnten V^)kals mitsamt dem nötig wäre. In der minder nachdrucksvollen ]*rosa fällt aber jene Dehnung weit weniger auf. Auch auf die Aussprache der vorangehenden Konsonanten wirkt das ' iu bedeutendem Umfang ein : man vergleiche z. Ti. rrtif mire, sec s^ehe, dmix douce, bas hasse, roisin mn'mne.

Nun folgt eine grofse Reihe von Belegstellen zur Aussi>rache des ' nach Doppelkonsonanz, aus denen der Verfasser die oben angegebene Regel abstrahiert hat. Alle augeführten Beispiele beweisen, dafs das ' auch noch im Neufranzösischen ein euphonischer, d. h. die Aussprache erleichternder Laut ist.

Mende glaubt nunmehr durch seine ganze Abhandlung uachgewieseu zu haben: 1) die grolse Bedeutung, welche die richtige Behandlung des unbetonten ' im Wortauslaut stets hatte und noch heute hat; 2) die Mög- lichkeit, in der scheinbaren Regellosigkeit der Aussprache dieses ' be- stimmte Regeln auffinden zu köuneu ; o) die Gewifsheit, dafs die Mehr- zahl dieser Regeln sich durch die ganze Geschichte der französischen Aussprache verfolgen läfst. Ob indessen Mende iu seiner Polemik gegen die Ansichten von Tobler und von Thurot überall glücklieh ist, möchten wir bezweifeln.

Wir dürfen jedoch sagen, dals es dem Verfasser gelungen ist, über die formellen Resultate hinaus auch wertvolle materielle Aufschlüsse zu geben. Dieselben sind in teilweise leicht veränderter und, wie Referent glaubt, etwas klarerer Passung auf S. 211 f. dieses Berichtes dargestellt.

Berlin. Fr. Speyer,

Französisches Lesebuch für Real- oder Mittelschulen und ähn- liche Anstalten. Herausgegeben von H. Breitinger und J. Fuchs. Zweites Heft. Dritte Auflage, neu bearbeitet von J, Gutersohn, Prof. an der Grolsh. Realschule in Karls- ruhe i. B. Frauenfeld, J. Huber, 1889. VHI und 112 S:

Die vorliegende dritte Auflage ist fast zur Hälfte, S. 1— 17, vollkom- men neu. Das auf diesen Seiten gebotene Material ist zunächst auf elf Seiten ein Resunie ile 1' Histoire de France, nach Blanchet-Piuard in tabel- larischer Kürze und besonders einfacher Sprache als SitjeU de concer- satioHs zurecht gemacht. Da auch der übrige Lesestoff' sich wesentlich um die (ieschichte Frankreichs dreht, so wird man an jeder beliebigen Stelle der Lektüre auf dieses lUsume als KonversationsstofF zurückgehen

Beiirteilungon und kur/A' Anzeigen. 213

können. Weiteren Stoff bieten dann auch die am ?]nde des Buches be- findlichen fünf Seiten Anmerkungen, die in gutem und leicht verständ- lichem Französisch geschrieben sind. Diese beiden Punkte bilden keinen geringen Vorzug des Buches. Auch die übrigen Lesestücke sind aus guten französischen Schriftstellern geschickt ausgewählt; namentlich seien Nr. 14 und hervorgehoben, welche nach knappen geschichtlichen Ein- leitungen über Louis XL (nach Maginj und Louis XII. (nach Hanriot) je ein Gespräch zwischen einem dieser Könige und einem bedeutenden Zeitgenossen (nach Fenelon, DiakxjKPs des tuortsj geben uud jedenfalls sehr anregend auf die Schüler wirken müssen. Die beschreibende Prosa kommt auf 17 Seiten zu ihrem Kecht. Die Auswahl der Gedichte (20) sagt mir weniger zu. Mag man immerhin meinen, von dem charakte- ristischen Zuge der französischen Dichtung zur Eührseligkeit und Em- pfindelei, sowie zu aufdringlichem Moralisieren in den Jugendgedichten müsse auch der Schüler praktische Anschauung gewinnen, so sind doch sechs oder sieben Gedichte dieser Art unter zwanzig ein zu grofser Teil. Lafontaine hat zu viele gute Fabeln geschrieben, als dals man eine so schwache wie Le Heran zu nehmen brauchte; N. Grozelier, Le perc iii- strumtnt ses enfants ist ledern ; von Florian giebt's viel Besseres als Le danseur de carde et le balancier; V. Hugo, Poi/r les pauvres und Prihre ponr tous sind nicht für den fünfzehnjährigen Knaben ; freilich noch viel weniger Jean Reboul, L'antje et Venfmü. Der Bäckermeister von Nimes, dessen dichterische Begabung nicht bestritten werden soll, nimmt mit seinen Gedichten, die er zu seiner Erholung machte, wenn er seine Sem- meln gebacken hatte (aber nicht abends, wie in der Anni. steht ; denn Bäcker haben am Tage, namentlich vormittags, ihre Mulse), doch nicht die Stellung in der französischen Litteratur ein, dals ein Gedicht von ihm unter einer so kleinen Auswahl (20) eine Stelle finden müfste. Form und Inhalt des gebotenen Lesestoffs entspricht seiner geringen Schwierigkeit nach dem Standpunkte beider Tertien oder allenfalls noch einer Untersekunda einer höheren Lehranstalt, aber nicht 'der (^»beren Klassen', wie im Vorworte steht; freilich steht dabei als Altersgrenze 1-1 10 Jahr, und die schliefst die Prima ohnehin aus. Aber auch für Obersekunda, wo das Durchschnittsalter !(• Jahr ist, palst der Stoff nicht niehr, und sollte man wohl auch von einem Lesebuchc abseilen, es sei denn, dals mau das in Tertia benutzte zur Wiederholung wieder her- vorsucht. Was der Verfasser als die Hauj»taufgabe eines Lesebuches l)e- trachtet, 'in die Geschichte, Volkskunde, (tcographie und Kulturgeschichte des betreffenden Landes einzuführen', ist so allgemein anerkannt, dals die Behauptung, es seien bis jetzt nur wenige französische Lehr- (!) und I.iesebücher erschienen, welche in bewulster uud ausgesprochener Weise diesen Zielen zustreben, etwas überraschend wirkt. Es haben w(»hl die meisten guten Lesebücher diesem Ziele zugestrebt; dals sie es im Vor- wort nicht jedesmal ausdrücklich gesagt haben, ist kein Fehler; dafs sie es unbewufst gethau, kann Verfasser gewils nicht beweisen ; und wenn er es könnte, so träfe die Verfasser kein Vorwurf. Es i.st schade, daCs

211 r)(.'iirt('iliiiij;v[i 1111(1 km/c Anzeigen.

so viele HeiHUsgebcr von Sdiulhüciierii gliiu)>en, die ExiHteiy/j- oder Kr-. scheinmjjrsberochtiguug ihres Buches suis dem ITinstandc herleiten zu sol- len, dafs alle vorliaudeueu Bücher gleicher Art einen oder viele erheb- liche j\Iängel haben, denen ihr Buch allein abzuhelfen vertnag. Die Zahl der in Deutschland erforderlichen Schulbücher ist so grols, dais, wenn jedes neu erscheinende nur berechtigt sein s<jllte, wenn es Epoche macht, bald fühlbarer Mangel oder schreckliche Einförmigkeit eintreten^müfste. Es kann gar nicht anders sein, als dafs jedes Buch, wenn es nur überr haupt mit solcher Hingabe und praktischen Erfahrung gearbeitet ist, dafs e.s einen Charakter hat, auch Lehrer findet, die sich durch den selben 'an- gezogen fühlen und gern nach demselben unterrichten wollen. Die Drucklegung des Buches ist sorgfältig; der Druck könnte weiter und gröfser sein, ist aber leidlich klar. Man wird das Buch mit guteni Er- folge verwenden können.

Berlin. Otto Kabi. seh.

Album poetique, d^di^ ä la premiere jeunesse par Marie Meyer (M. Senz), avec un mot de pr^face de W. Stieffelius, ancien pasteur franc^ais; 6'"" edition. Berlin, H. Sauvage, Libraire, 1889.

Wie sich aus dem Titel und dem Vorworte ergiebt, ist das Buch, welches teils zur Lektüre, teils zu Gedächtnisübungen dienen soll, für das zartere Alter, und zwar etwa für das 7. bis 13. Lebensjahr, bestimmt. Damit rechtfertigt W. StiefTelius, dafs die Verfasserin es nnternommen hat, die lange Reihe der französischen Gedichtsammlungen um eine neue zu vermehren ; denn jene sind für das reifere Alter bestimmt und bewegen sich daher entweder nur im klassischen Jahrhundert, oder bezwecken, Musterbeispiele aus allen Litteraturepochen zu geben, oder sie berück- sichtigen hauptsächlich den Fortschritt des Stils und der Verskunst des modernen Französischen.

Um die Fassungskraft des genannten Alters nicht zu überschreiten, hat die Verfasserin eine Auswahl von Fabeln und kleinen sinnreichen Erzählungen getroffen, deren Moral den Kindern verständlich sein soll. Dazu gesellen sich Geburtstags- und Neujahrswünsche, Morgen- und Abendgebete. Eingestreut sind aufserdem eine Reihe von Pieees de sur- prisc, welche zugleich die Neugierde der Kinder erwecken und Lachen erregen wollen; denn, sagt der Vorredner, 'pourquoi iie pas les aiuftsrr cn les insfnt/sant'r' ein pädagogischer Grundsatz, dem wir gern beipflichten. Unter den Verfassern, denen die Gedichte entlehnt sind, finden wir zu- nächst La Fontaine mit IG und Florian mit 7 Fabeln. Es sind die be- bekanntesten und gebräuchlichsten. Soll aber eine F^bel dem Kinde mehr als ein blofser Scherz sein, der seine Aufmerksamkeit erregt, weil er sich in ein auffallendes Gewand kleidet; soll ihre tiefere Betleutung dem kindlichen Verständnis näher gebracht werden können, so mufs sich- dieselbe an Vorgänge aus der Umgebung des Kindes, aus dem Leben und'

Beurtciluugeu und kurze Anzeigen. 215

der Geschichte, soweit dieselbeu ihm bereits zugänglich sind, ankuüpfeu lassen, und das dürfte bei Fabeln wie La grenouük qui cetd se faire aussi grosse que le boeuf, L'wne vetn de la peau du Hon, oder gar Le singe qu4 monfre la kinterne inayique schwer zu erzielen sein, wenigstens dem Alter gegenüber, welches die Herausgeberiu im Auge hat. Ebenso werdeii Stücke wie L'enfant qai dort und La toinbc et la rose von Victor Hugo, oder Les olseaax von Berauger wegen ihres Bilderreichtums und ihrer Gedankentiefe als ungeeignet erscheinen müssen, und ähnliche Bedenken lassen sich noch gegen manches andere der aufgenommenen Stücke gel- tend machen. Eeizend sind dagegen manche Sachen von Mlle. Almstedt (z. B. ,1 )iia ponpeej, Adelaide Moutgolfier (bes. La inaryuerite), Mme. Desbordes-Valmore, sowie die Liedchen Le dindon. Le hannetön, Le pa- pillon et l'abelllc, Charit de mal und anderes.

Wenn somit auch die Auswahl der Gedichte im ganzen als zutreffend und geschickt bezeichnet werden mufs, so lassen sich doch einige schwere Bedenken gegen die Anwendung des Buches etwa in IMädchenschuleu nicht unterdrücken. Auf den ersten 11 Seiten nämlich finden wir alte Bekannte, elf unserer schönen alten Kiuderfabelu von Wilhelm Hey, in d€r Übersetzung von Gubitz. Da das Bucli in der Anordnung des Stoffes allmählich mit dem Alter fortschreitet, so werden diese Gedichtchen gerade der zartesten Jugend dargeboten. Ohne näher erörtern zu wollen^ aus welchen guten Gründen die Lektionspläne der höheren öffentlichen Lehranstalten den Beginn des französischen Unterrichts in das achte oder gar neunte Lebensjahr verlegen, und ohne im übrigen der Übertragung von Gubitz entgegentreten zu wuUeu, der es trefflich verstanden hat, den deutschen Stoff der französischen Auschauuugsweise anzubequemen, fühlen wir uns zu der Frage veraulal'st, ob denn das Buch wirklich für die 'deutsche' Jugend bestimmt sei. Sollen unsere 'deutscheu' Kinder die Perlen der deutschen Jugendlitteratur wirklich zuerst oder mindestens gleichzeitig mit dem Original in französischer Fassung kennen und lieben lernen? Den Schülern einer höheren Klasse können solche Übertragungen gelegentlich Vergnügen macheu und sie über die Verschiedenheit der An- schauung und Auffassung l)eider Völker wirksam belehreu. L^usere uu- befangenen, für jeden Eindruck gleich empfänglichen Kleiner^ verschone man damit und reiche ihnen lieber die reine, unverfälschte Kost, die dem deutschen Gemüte doch besser zusagen und bekommen dürfte.

Nicht minder gerechtfertigt erscheint die obige Frage, wenn wir die Neujahrs- und Geburtstagswüusciie ins Auge fassen, die den Schluls des Buches bilden. Es sind im ganzen uicht weniger als 7-4, für jedes Alter bestimmt, teilweise offenbar für ein noch zarteres Alter als dasjenige der untersten Schulklassen. Sollte ein deutscher Vater, eine deutsche Mutter wirklich Freude daran haben, wenn ihre 'petite fillc, asse\ nih/nonne, assex 'jcntille' ihnen bei den erwähnten festlichen Gelegenheiten ein paar fran- zösische Verschen hersagt? nebenbei vielleicht, als Beweis ihrer Fort- schritte in der Schule, aber als Ausdruck ihrer eigeneu Empfindung, ihrer kindlichen Liebe ?— schwerlich ! Die ganze Sammlung mag aulserordent-

216 Beurteilungen utkI kurze Anzeigen.

licli geeignet sein für die französische Jugend; für unsere Kinder enthält sie nichts als ■wohltönende Phrasen, die das Herz kalt lassen. So schätzens- wert das Bestreben ist, unsere Jugend beizeiten zu einer gründlicheren Erfassung des Geistes der modernen Kultursprachen zu gewöhnen, so bleibe doch das alte Wort vSchenkendorfs bestehen:

Aber soll ich beten, danken, Geb ich meine Liebe kund. Meine seligsten Gedanken, Sprech ich wie der Mutter Mund. Berlin. Fr. Bach mann.

A. Ehrhard : Moliere en Allemagne, le Th^ätre et la Critique. Paris, H. Oudin et Lecfene, 1889. XXVIH u. 442 S. Fr. 8.

Ein auf gründlichen Vorstudien ruhendes, die bisherige Forschung mannigfach erweiterndes Werk, dem leider nur die Vorliebe für franzö- sischen Legendenkram und die Antipathie gegen das neugeschaffene Deutsche Reich den Wert der Unparteilichkeit nehmen. Schon die Ein- leitung, ein an sich geschickter Überblick des Einflusses der französischen Litteratur und Kultur auf Deutschland, läfst Schlimmes ahnen. Karl der Grofse wird darin als souverain de ki donce France bezeichnet, den Rhein haben wir erst 187u den Franzosen 'entrissen'. Die Schmach des westfälischen Friedens hat nur die Überlegenheit der französischen Diplo- maten, die doch hinter den schwedischen Eisenfressern und Grofssprecheru vorsichtig zurücktraten, gebracht. Die aus Frankreich eingewanderten Hugenotten, meist Handwerker und Industrielle, haben den Sieg der französischen Litteratur vollendet, und auf das neue Deutsche Reich liefse sich in Hinsicht auf Kultur das Grcecia eapta ferum rictorem cepit an- wenden. iSapienti sat! Aber auch Herrn Ehrhards Kenntnis der fran- zösischen Litteratur ist für einen Professor der Litteraturgeschichte recht ungenügend. Über den Irrtum, dafs Voltaires Schriften auch in Deutschland überall gekannt und gelesen worden seien, möge er sich durch Marquis de Luchet und durch das, was die Corrcsponflance litfer. phihs. et critique über die erstaunlich geringe Verbreitung kleinerer Ab- handlungen des Philosophen sagt, belehren lassen ; Moliere als den 'kosmo- politischsten aller Dichter' 7,u bezeichnen, ist ein unverantwortlicher Mifs- grifF. Andererseits hat Herr Ehrhard viele jetzt längst vergessene deutsche Dichter des 18. Jahrhunderts gelesen, ihre Stücke mit denen Molieres verglichen und manche bisher unbeachtete Übereinstimmungen heraus- gefunden. Allerdings ist vieles, was er für sich in Anspruch zu nehmen scheint, längst von französischen und deutscheu Gelehrten entdeckt wor- den, z. B. die Beziehungen von Lessings Jugenddichtungen zu Moliere und das Verhältnis von Gutzkows 'Urbild des Tartuffe' zum Tartuffe .selbst. Andere Abschnitte enthalten nur hinlänglich Bekanntes, wie der über Gottsched und seine Frau, wo Herr Ehrhard nicht aus den Quellen, sondern aus Reden-Esbeck, Schienther u. a. schöpft, und der über Goethes Moli^re-Schätzung, worin aber die Leipziger Dichtungen

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 217

unseres Altmeisters ganz einseitig als Xachahmungen Molieres hingestellt werden. Am lesenswertesten sind die Bemerkungen über Itflands und Kotzebue* Ausnutzung des grofsen französischen Vorgängers. Die deut- schen Molieristeu sucht Herr Ehrhard zu Fanatikern, Pedanten etc. zu machen, während er deren französische Lehrmeister nur sehr vorsichtig streift: der Deutsche ist eben für diesen deutschen Renegaten stets der Prügelknabe. Nach seiner Ansicht sind Paul Lindau, Grofs und Kreiten die Hauptführer der deutschen Moli^re-Forschung, die übrigens vielfach unnütz sei, da eine Aufführung in der Comcdie frant^alse den Dichter besser kennen lehre, als lange Kommentare und Biographien. Wozu dann aber Herrn Ehrhards eigenes Werk? Von den deutschen Dichtern stehen ihm Heine und Börne natürlich höher, als G. Freytag und P. Heyse; einzelne Randglossen über Leipzig lassen V. Tissots Einwirkung erkennen. Dresden. R. Mahren hol tz.

Victor Duruy: Histoire de France de 1789 ä 1795. Mit Ein- leitung und Anmerkungen. Leipzig, E. A. Seemann, 1889 (M. Hartmanns Schulausgaben französischer Schriftsteller, 5. Bändchen).

Das Werkchen schliefst sich an die 1880 erschienene Schulausgabe von Duruys Le Siede de Loiu'.s XIV an. Wieder verfolgt der Heraus- geber den Zweck, den oberen Klassen unserer höheren Lehranstalten ein einheitliches, jedoch nicht zu umfangreiches Ganzes zu bieten, welches ein abgerundetes Bild einer bedeutenden und lehrreichen Zeit zu vermittelu im Stande sei und zugleich als Schullektüre sich ohne besondere Schwie- rigkeiten und ohne zu grofsen Zeitaufwand bewältigen lasse.

In drei Büchern, im Umfange von 81 Seiten, sind die Kapitel -iP Gl von Duruys Histoire de France ohne Veränderung abgedruckt. Auch die Xoten unter dem Texte des Originals sind bis auf fünf kleinere und weniger wichtige aufgenommen worden. Voran geht ein kurzer Lebeus- abrifs Duruys. Beigegeben ist aufserdem in einem besonderen Heftchen (7.") Seiten) eine ziemlich lange Reihe von Anmerkungen, welche teils weitergehender Erläuterung dienen, wo der französische Text etwas zu knapp gehalten erscheint, teils aus der Vergleichung des Originals mit den Ergebnissen der neueren Geschichtsforschung unter besonderer Be- rücksichtigung von Ranke, Sybel, Taine, Sorel, Aulard und H. Gautier entsprungen sind und sowohl für das tiefere Verständnis wie für die Auf- rechthaltung der geschichtlichen Wahrheit, soweit dieselbe zur Zeit fest- steht, eine nicht unwichtige Ergänzung bilden.

Die kurze, kernige Schreibweise des geschätzten französischen Schrift- stellers, welcher im Gegensatz zu manchem seiner liandsleute ohne Um- schweif, Bilderpomp, überflüssige Gefühlsergüsse mit wenigen klaren und bezeichnenden Worten alles Wichtige sagt (man vergleiche z. B. I, -'4 Fnite du roi und HI, '2 Murf de Loui^s XVIj, entspricht durchaus den Absichten des Verfassers und eignet das Büchlein ganz besonders zur

218 lU'iirteiliiiiLMii und kurze Aiizcijrcn.

Lektüre uuscrer Primaucr; uud su darf deuii auch das 5. BänddiCB der M. Hartmannsclien Schulausgaben willkoninien geheiften werden.

Berlin. Fr. Bach mann, '.

Stndj di filologia roiiianza pubblicati da Ernesto Monaci. Fase. 8, C De Lollis, H Cauzouiere provenzale A (conti auazione). Roma, Ixßscher. 338 S. I^ire 11. ,

Der verdienstliche Abdruck dieser von Bartsch uiclit mit L'urecht am höchsten geschätzten aller proveucalischeu Liederhandischriftün erfährt hier seine Fortsetzung im Anschlul's an die von A. l'akselier im 7. Heft der Studj erfolgte Veröffentlichung der 38 ersten Blätter. Der Druck wird bis Blatt 1 12 gefördert, so dafs nunmehr zwei Drittel der Hantl- schrift vorliegen. Die Art der Herausgabe ist die gleiche geblieben. Der Text wird genau wiedergegeben, die nicht häufigen und einfachen Ab- kürzungen zwar aufgelöst, ihre Stelle aber durch kursiven Druck kennt- lich gemacht. Für die irgend erreichbare Genauigkeit bürgt die wieder-- holte Vergleichung der Druckbogen mit der Handschrift selbst. Herr De Lollis verspricht, das letzte Drittel der Handschrift uns bald, zu lie- fern und es mit einer Einleitung und einem Inhaltsverzeichnis zu be- gleiten; als besonders wertvolle Beigabe will er schliefslich auch die Varianten der Handschrift B hinzufügen, so dafs wir dann beide Hand- schriften zugleich besitzen werden.

Königsberg i. Pr. C. Appeh

Francesco Zambaldi: Vocabolario etimologico italiauo. Citta di CasteUo, S. Lapi, 1889. XC, 1440 S. 8. L. 7,50. Sicher wird das unter vorstehendem Titel erschienene klein, aber sauber gedruckte Buch manchem willkommen sein und gute Dienste leisten. Über ungefähr ISOüO mehr oder weniger italienische Wörter so viel weist der vorangestellte alphabetische Iudex auf etymologische Auskunft, d. h. Aufklärung über ihr Zusammenfallen nach ihrem Laut' bestände und ihrem Sinne mit früher dagewesenen AVörtern anderer Sprachen oder über die Art uud Weise, wie sie aus W^örteru der gleichen Sprache durch Ableitung gewonnen sind, wie neue Verweudungsarten au ursprünglichere sich angeschlossen haben, welchem zum Nachdenken über die eigene Rede geneigten Italiener oder welchem gebildeten Lieb- haber des Italienischen sollte das nicht erwünscht sein? fnd im ganzen, das darf mau wohl sagen, ist die hier dargebotene Belehrung von einer Beschaffenheit, die sie der Empfehlung nicht unwert macht. Mit Fleifs und Umsicht hat der Verfasser gesammelt und geordnet, was seinem Plane gemäfs in seinem Buche Aufuahme finden mufste, und mit Teil- nahme und nicht ohne Förderung wird der bisher derartigen Dingen ferngebliebene Leser vernehmen, welche lateinischen, griechischen, deut- scheu, arabischen W^örter in den italienischen Wortschatz übergegangen sind, und die mächtigen Sippen überblicken, die in zahlreichen Fällen in je eineni Stammwort ihren Ursprung haben. Wer freilich die bezüglichen

Beiirteiluugeii und kurze Auzeigen- 219

Forechuugen selbst verfolgt hat, wird nicht eben viel Neues in dem Buche finden und wird, auch wenn er es nur als bequemes Repertorium der bisherigen Aufstellungen benutzen möchte, beklagen, dafs die Ge- lehrten, von denen sie ausgegangen sind, nicht regelmäisig genannt, die Stelleu, wo man ihre Äulserungen und ihre Beweisführungen findet, nie augegeben werden. Nicht selten wird er auch neuere Aufstellungen ixn- verwertet fiudeu, neben denen ältere kaum mehr Geltung behaupten können, so etwa Flechias Deutung von fmna, Atkinsons Deutung von feUo. die in der Ztschr. f. rom. Phil. X, .">7H gegebene von roreUo, die ebenda IV, 18:» ausgesprochene Vermutung über die Herkunft von oyyio, das elienda III, 568 über oskujyio Vorgetragene. Unbedenklich durften dagegen der Vergessenheit überlassen bleiben eine Reihe von ganz un- haltbaren Vermutungen, die auch Zambaldi sich nicht aneignet, die aber durch die Erwähnung in einem Buche, das doch keineswegs eine Fund- grube für alle Ausgeburten zuchtloser \yortdeutuug sein will, den Schein einer gewissen Annehmbarkeit erhalten ; man findet dergleichen unter accmcco, oddobhore, brexx<i, ayyeccliirsi, uyio, cdbayia, ium. sixio, hietta ii. a. Schlimmer noch giebt sich ein gewisser Mangel an klarem Urteil in der unbedenklichen Annahme einiger Deutimgen zu erkennen, die gar keiner Prüfung standhalten, wie z. B. der von alom Mondhof aus aki. der von akrione aus a kr. von alkyro aus frz. hakiiyre. von acciullre aus lat. ««8^- dere, von nttrewo (wovon attraxxo ein Pejorativum sein soll) aus aftrcc- tare. von heeern aus einem lat. hibtr. oder solcher Deutungen, die wie ein sehr grol'ser Teil der von Oaix herrührenden nur ganz geringe Wahr- scheinlichkeit für sich haben, aecerito von cern'hts, scaraventare von trans- ventare, ramcda von ia»ie. makscio von nudoise. aecionnare von ayino, aUuire von arfus. branda von ahd. brafo.

Wollte der Verfasser weiteren Kreisen Einblick ei'ött'uen in die Gesetz- mälsigkeit, die im geschichtlichen Lautwandel herrscht, in die Fülle der Mittel, die die italienische Sprache verwendet, um aus ererbten oder ent- lehnten Wörtern neue zu gewinnen, in die Ungleichartigkeit der Bestände, aus denen der Wortschatz des litterarischen Italienischen, wie der jeder Kultursprache, .sich zusammensetzt, so mul'ste er freilich ganz anders ver- faliren: er mufste Erb-, Lehn- und Fremdwörter nach bestem Vermögen scheiden, eine Übersicht der Änderungen geben, denen die Wörter der Quellensprachen unterliegen, je nachdem sie in die eine oder die andere jener drei Scharen eintreten, die Präfixa und Suffixa des Italienischen vorführen und etymologisch erläutern ; in jedem einzelnen Falle aber, wo die Erinnerung an diese einleitungsweise vorgetragenen Dinge nicht aus- reichte, um die Identität eines italienischen Wortes mit einem älteren fremden glaublich oder die Art seiner Bildung aus vorhandenem Stofte begreiflich zu machen, mufste er das zur Aufklärung Nötige aussprechen oder sich zum !\Iangel völligen Verständnisses bekennen. Den dafür nötigen Raum hätte er reichlich zur Verfügung gehabt, wenu alles bei- seite geblieben wäre, was jetzt über den Ursprung und die Verwandtschaft lateinischer imd griechischer Wörter in diesem etvmologischen Wörter-

220 ficuitcilmiL'cii iiiid kurze Ariz<i«roii.

buche des Italienischen steht, ganz und gar nicht an der richtigen Stelle, erschwerend den Einblick in den Sachverhalt, der dargelegt werden soll. Nicht nur ist es bei dem Verfahren Zambaldis ganz unmöglich, das, was man etwa wissen möchte, anders als mit Hilfe des Index aufzufinden, sondern es führt zu ganz irrigen Vorstellungen, wenn der Verfasser in je einem und demselben Artikel, somit als zusammengehörig und ver- wandt, folgende Wörter vorführt: 'parallclppijmto und pölipo unter pikde: epimlio unter (u-Hdia; 'qypopöiamo und ossnjeiid unter m-ti^s; eth-ro und stivale unter cedes; ärin, vento und rag/ idre unter (irre; drrluo unter li/hero: prendere und Zubehör imter edera ; (hht/ero unter inverno; comimmre und pretare und purete und efä unter Ire; emiKhixo und minchwne unter mento; es ist nicht allein unpraktisch, es ist falsch, an die Spitze von Artikeln griech. ecliein, eryoti, oder einen griech. Stamm ager zu setzen, die sämtlich mit italienischen Wörtern in keinerlei unmittelbarer Be- zielumg stehen; es ist falsch, ab, prfpter, sub Artikel zu widmen, die vom Italienischen als Präfixa gar nicht verwendet werden. Was das Wörter- buch übrigens an Etymologien lateinischer oder griechischer Wörter giebt, ist im ganzen, was man im kleinen Vanicek oder ähnlichen Kompendien findet; natürlich ist nach dieser Seite hin von Ergebnissen eigener For- schung oder von Eintreten auf Zweifelhaftes noch weniger die Rede als da, wo es sich um die eigentliche Aufgabe des Verfassers handelt, und fern sei es von uns, darüber zu klagen; im Gegenteil, es wären auch solche Hinweise auf Wurzeln, wie man sie unter abomindre, acervo. d<ino, acüstica findet, besser weggeblieben. Warum ist nicht statt von latei- nischen Präfixen lieber von italienischen Suffixen gehandelt worden, von uecio, ifcio, or,\o. atto, eggiare, abilc und eeolc und dergleichen ?

Erscheint hiernach das Buch nicht gut angelegt und durch diesen Fehler und, was mit ihm zusammenhängt, die gute Wirkung, die eine der- artige Arbeit sonst wohl hätte thun können, beeinträchtigt, so soll ihm damit das L<jb einer gewissen Brauchbarkeit doch nicht vorenthalten sein. Noch sei bemerkt, dafs die zur Sprache gebrachten italienischen Wörter mit Accentuation und dabei Unterscheidung der Qualität der beiden c und 0 versehen sind ; es wäre nützlich gewesen, auch die beiden x und s durch diakritische Zeichen vor Vermengung zu schützen; S. 15 wäre wohl urexxo nicht auf 'aurltiuni zurückgeführt, noch auch für brc\\a ein *frictia (!) als Grundlage denkbar gefunden worden, wenn man sich der Qualität des x.^ erinnert hätte.

Berlin. Adolf Tobler.

Italienische Bibliothek. Herausgegeben von Prof. Dr. J. Ulrich. Band I. Ältere Novellen. Herausgegeben, mit Einleitung und Anmerkungen versehen. Leipzig, Rengersche Buch- handlung, 1889. XX, 158 S. 8. M. 2,80.

Das Werk, von dem unter vorstehendem Titel ein erstes Bändchen in hübscher Ausstattung vorliegt, soll eine grofse Chrestomathie werden,

Beurteilungeil und kurze Anzeigen. 221

darin, wer von der Geschichte der italienischen Litteratur eine nicht blofs oberflächliche Kenntnis gewinnen will, reichliche Proben des Bedeutendsten finden möge, was in jeder Gattung zu verschiedenen Zeiten innerhalb dieser Litteratur vorhanden gewesen ist. Jedes Bändchen soll die Pflege, die je eine Gattung in einer bestimmten Zeit gefunden hat, zur Anschauung bringen. Über Umfang und Gliederung des Ganzen ist vorderhand noch nicht viel zu sagen ; doch sei bemerkt, dafs von den zehn auf dem Um- schlag zunächst in Aussicht gestellten Bäudchen nur eines Erzeugnissen gewidmet sein soll, die nicht dem 1:'.. oder dem 14. Jahrhundert ange- hören, dal's das zweit« Novellisten des 1-1. Jahrhunderts kenneu lehren wird, welchem letzteren ohne allen Zweifel auch viele der ins erste Bänd- chen aufgenommenen augehören, das zehnte der 'Prosa des 18. und des 14. Jahrhunderts' eingeräumt werden soll, also sich hinsichtlich seines Stoftes auch nicht eben deutlich vom ersten und vom zweiten sondert. Was dieses erste selbst betrifft, so ist sein Inhalt etwas ungleichartig und nicht immer so ausgewählt, dafs der Leser eine zutreffende Vorstellung von der gesamten Haltung eines ^Verkes bekäme. Es ist nicht zu mil's- billigen, wenn der Herausgeber auf Verwendbarkeit seines Buches auch zu sagen geschichtlichen Studien Gewicht gelegt hat; «aber er durfte z. B. nicht die aus dem römischeu Altertum oder aus der Bibel stammenden Erzählungen des Novellino ganz ausschliefsen, wenn seine Proben eine ausreichende Anschauung von dem Wesen des wichtigen Buches geben sollten; und besser, scheint mir, hätte er von den Geschichten ganz ab- gesehen, die mau nur gelegentlich didaktischen Werken einverleibt findet, es Aväre denn, dafs jedesmal auch gleich ein tüchtiges Stück umgebenden Textes mitgenonuuen worden wäre. Hinwieder ist nicht recht ersichtlich, welchen Gewinn es bringen soll, wenn die Erzählungen aus den 'Sieben Weisen' vier verschiedenen Versionen entnommen sind, aber lauter un- gleiche Erzählungen, so dal's ein Vergleich der Fassungen doch nicht mög- lich wird.

Der Abdruck der Texte ist im ganzen sorgfältig nach den angegebe- nen Büchern ausgeführt (Ungedrucktes ist nicht aufgenommen) ; doch bleiben, abgesehen von den durch Ulrich selbst in seinen Anmerkungen berichtigten Fehlern, immer noch einige; so habe ich auf den ersten Seiten bemerkt 1, 1 Ihesn für Ihesn, 1, 19 partie f. parti, o, 22 limperadore f. hnpermlotr, 4, 4 pes-catore f. pe-scatore, 4, 12 die f. di, 4, 29 tie f. //, -j, Titel hdlisium f. bellissima, h, 17 Beltrnme f. Beltrm/io. i>, 7 die f. di, 7, 9 ces-eoro f. ee-scovo, 8, 15 ^xt/-// f. pnrf), \^^, 18 wir f. n(/'f (Fehler D'Anconas), \", ^^ opparceckiarno f. -arono. II, IS arerehhe f. nrerrebbe, 14, 3o si f. */, 14, 41 sinis-calco f. siiti-scalco, 15, 2^ abandond f. abban- dono, 16, 4 groM wiederholt.

Die Einleitung giebt in Kürze einige Auskunft über die in der Samm- lung vertretenen Werke, die besten Ausgaben und die Stellen, wo ge- nauere Nachrichten zu finden seien. Vielleicht cmpfieldt es sieh, in spä- teren Bäudchen noch gröl'sere Kürze des Ausdrucks anzustreben und sich mit blofsen Titelangaben zu begnügen, bei denen dann Vollständigkeit

022 Beurteil II iifjon uixl kurze Anzeigen.

erreichbar würde (etwa wie in Försters und Koschwitzens T;l)nn<p<- bnche).

Die Anmerkungen l)efriedigen mich nicht recht; sie sind viel zu sehr allgemein sprachgeschichtlicher Belehrung gewidmet, die sich b(^i hundert anderen Anlässen gleich gut würde anbringen lassen und folgerichtig in den sämtlichen angekündigten neun Bändcheu immer wiederkehren müfste, und lassen dafür vieles ungesagt, was der Leser zu vollem Verständnis der einzelnen Stellen erfahren mufs und kann, und nicht so leicht in landläufigen Handbüchern findet; und sie schweigen oft auch da, wo man ihm wenigstens sagen mülste, es liege eine Schwierigkeit vor, bezüglich deren der Avünschbare Aufschlufs zunächst nicht zu geben sei. So ver- mifst man Bemerkungen zu 1, 3, wo es heilst, Jesus habe gesagt flella baldanza del ctmre parla la limjiia ; zu 2, 23, wo ohne Zweifel der Text verderbt, a ehi statt et chi zu schreiben und eine starke Interpunktion nach hrmiade statt nach veniavo zu setzen ist (wie in Carbones Ausgabe steht) ; zu 2, 28, wo die Lesart keinen befriedigen kann ; zu 3, 3, wo die Vergleichung der Hagelköruer mit 'Stahlhüten' doch höchst wunderlich ist und die Meinungen der Gelehrten anzuführen waren ; zu 3, 7, wo über die bekannte geschichtliche Person das Nötige zu sagen war; zu 3, U», wo Mifsverständnis nahe liegt; zu A, 12, wo man über die Person des Helden, und zu A, 14, wo man über das 'Rühmen' als eine Art Gesell- schaftsspiel etwas zu hören wünschen darf; und, da die ersten Seiten so viel Lücken des Kommentars zu bemerken ^Vnlafs geben, so wird wohl auch im Folgenden die Erklärung manches schuldig bleiben. Was an- dererseits au Bemerkungen geboten wird, ist nicht allein oft nicht an der rechten Stelle, da es mehr in eine zusammenhäugende italienische Gram- matik gehört, sondern häufig auch von sehr zweifelhafter Richtigkeit oder andere Male so unzulänglich ausgesprochen, dafs es selbst wieder einer Erklärung bedarf: 'der Erklärer meint . . .,' 'der Ausleger will nicht sagen, was er wirklich sagt, sondern seine Meinung ist . . .'. Für unrichtig mufs ich die Bemerkung zu 1, 22 halten, das n von fosseno sei 'aus an- deren Tempora analogistisch herübergenommen', oder die Bemerkung zu 2, 7, der Text Pauciatichi erweitere hier den Text Gualteruzzi, da das, was jeuer mehr hat, ein lange überlieferter und sicher ursprünglicher Zug der Erzählung ist; für unannehmbar die zu 2, 12 vorgetragene Herleituug von ofto, die zu 2, 20 gegebene Aufklärung über eoperto und coverto; die Zurückführung von sahämio (2, 28) auf salnfarnfo: die Auffassung, als sei aecifire (A, 4) von cibus abgeleitet (s. Diez, Wb. unter cJ/ef); die Deu- tung der Form maftero (4, 27); das 'bekannte Lautgesetz', nach welchem sich ar in er verwandelt (gemeint ist vermutlich, vor Vokal und vortonig), und das in Dteran'ijUa aus marac'KjlUi wirksam sein soll, in sarö, barone man'to u. dgl. sich jedenfalls nicht als bestehend erweist; für unannehm- bar ein paar Seiten später die Erklärung des Staiumvokals von (jettnre (I3e) imd vollends dessen von piegare (denn dafs das e von pieijo offen ist, steht der Herkunft von ^^/«fo so wenig entgegen, wie die gleiche Qualität des e von pleno hindert, dieses gleich plenum zu setzen); die

BeHrteiluugen und kurze Anzeigen. 22?>

Übersetziiug der Worte per la tinrere mularr (15, 1), wo die so häufige Verwendung von dorere mit dem Infinitiv zur Bezeichnung eines in die Zukunft fallenden Thuns verkannt ist ; die Deutung des (keineswegs mehr üblichen) haire und shaire und die Verknüpfung derselben mit sbigotfirc (It), oö). Fast noch mehr ist aber der Mangel an Genauigkeit des Ausdrucks zii bedauern, der das Richtige, was gesagt werden soll, zum Falschen macht oder zur ünverständlichkeit entstellt. So heilst es zu 1,4 'et z= e, ist blofs orthographisch und durch das häufige Abkürzungs- zeichen lierbeigeführt' ; zu 1, 8 'wenn zwei Wörter zusammengehören, so wird der anlautende Konsonant des zAveiten häufig verdoppelt'; zu 1, 10 (aus Anlafs von piue für piii) 'nach Vokalen wird oft ohne etymologischen Grund ein e angefügt'; zu 2, 20 (avioio) 'der Wandel des a in e ist in dem vorausgehenden i zu suchen'; zu 17, 10 'aspettare a ... ist vielleicht durch den (französischen) Text beeinflufst worden'. Dergleichen Nach- lässigkeiten stehen einem zu Unterrichtszwecken bestimmten Buche be- sonders übel an.

Ulrichs Italienische Bibliothek kann ein Hilfsbuch werden, dessen sich Studierende und Lehrer gern bedienen. Dazu ist aber erforderlich, dafs nicht allein das Aufzunehmende mit Bedacht ausgewählt, sondern auch der Abdruck mit gröfster Sorgfalt vollzogen werde, und dafs der Herausgeber, wenn er überhaupt auch Erklärer sein will, was ich nur loben kann, auf die Ausführung eines iuhaltreicheu Kommentars so viel Mühe verwende, wie erforderlich ist, wenn derselbe für die Lernenden ein Muster gründlichen Eindringens und wahrhaft wissenschaftlichen Aus- legens werden soll.

BerUn. Adolf Tobler.

Eighth Anuual Report of the Dante Society. May 13, 1889. Cambridge, John Wilson and Sou, University Press, 1889. 98 S. 8.

Zum achten Male wer einmal der früh entschlafenen Deutschen Dante-Gesellschaft angehört hat, wird es nicht ohne Neid vernehmen ist der Vorstand des amerikanischen Dante- Vereins in der Lage, einen Jahresbericht zu erstatten. Er blickt mit berechtigter Genugthuung auf die durch ihn, allerdings mit Unterstützung eines opferwilligen G<»nTiers, bewirkte Veröffentlichung der sehr verdienstlichen Coneordance of ihr Di- rina Comniedla von Fay und auf die bevorstehende Vollendung des von Lane ausgeführten Verzeichnis-ses der in der Bibliothek des Harvard Col- lege in Cambridge Mass., in den Bostoner öffentlichen Sammlungen sowie im Besitze von Professor Norton in Cambridge und im Nachlasse von G. Ticknor befindlichen Dante-Litteratur. l>er erstgenannten Bibliothek wendet die Gesellschaft einen Teil ihrer freilich nicht bedeutenden Ein- künfte zum Zwecke der Vervollständigung der Danto-Sammlung zu und sucht ihr in gleicher Richtung auch durch bezügliche Bitten an die Ver- fasser und Besitzer fehlender Scliriften zu nützen; mit welchem Erfolge,

224 Benitf!ilmii>on iiixl kiuv.c Anzeigen.

zeigt eine T.istc der vom 1. Mai 1888 bis 1. Mai 1880 der Daiite-Biblio- thek neu einverleibten Schriften. Die Gesellschaft ist durch einen Gönner in stand gesetzt, auf längere Zeit jälirlich einen Preis von loo Dollars an einen Studierenden oder frisch Graduierten der Harvard-Universität für die beste auf Dantes Leben oder Werke bezügliche Arbeit zu erteilen. Sie hat ihn durch einen besonderen Ausschufs für das verflossene Jahr einem Herrn G. R. Carpenter für die Abhandlung The episode of tlie Donna piefosa, heim/ an attempf fn rcroiifik the staienwnfs in fhe Vitn nuova and fhe CmrrUo nmenn'nui Doiife'ff 11 fr in fhr yejir» äff er the ficath. of Beatriee nnd hcfore the hrfilnninr/ of fhr Dimna Conunedia zuerkannt, welche Ab- handlung dem Jahresbericht im Drucke beigefügt ist. Eine Dante-Biblio- graphie für 1888 l)ildet den Schlul's des Heftes. Wir wünschen der Ge- sellschaft ein weiteres kräftiges Gedeihen. Die Arbeit Carpenters tritt mit erwägenswerten Gründen für die Auffassung ein, nach welcher die donna pietosa der Vita nuova wirklich die weltliche Philosophie ist, als welche sie im Convivio gedeutet wird, und nicht Gemraa Donati oder sonst ein irdisches Weib. Die Vita nuova glaubt er der Hauptsache nach ins Jahr 12!il, den Schlufs aber in die Zeit 1204 1206 setzen zu sollen, wie er denn auch jene vorübergehende heftige Neigung zu aufserreligiöser Philosophie in die Jahre von September 1291 bis 1295 fallen läfst; der Convivio ist ihm 1P.06— 1.^.08 entstanden. A. T.

La storia di Apollonio di Tiro, versioue tosco-veneziaua della metä del sec. XIV edita da Carlo Salvioni (Nozze Solerti- Saggini XXIV Aprile MDCCCLXXXIX). Bellinzona, Tipo- grafia Salvioni. IX, 50 S. 4. 100 Exemplare.

Zu den seit einiger Zeit in erfreulich wachsender Zahl bekannt ge- wordenen Denkmälern der Mundarten des nordöstlichen Italiens gesellt sich durch Salvionis Bemühung hier ein Jieues, das aus mehr als einem Grunde bedeutsam erscheint. Der in einer Turiner Handschrift (N. V G ; Pasini : CCI. 1. I 97) erhaltene Text ist nach des Herausgebers Urteil um die Mitte des 11. Jahrh. niedergeschrieben, und zwar in einer Spi'achform, die, obschon nicht völlig rein, sondern von toscanischeni Einflüsse bereits berührt, im ganzen venezianischen Charakter aufweist; eine zweite, nicht viel jüngere Hand hat ihn zu verbessern getrachtet, indem sie in nicht geringer Zahl weitere toscanische und andere nicht venezianische, jedoch gleichfalls nördliche Formen einführte; sie ist dabei aber zum Glücke so verfahren, dafs sich der Umfang ihrer Eiugrifle ziemlich deutlich erkennen und der angerichtete Schaden mit Sicherheit gutmachen läl'st. Der Herausgeber giebt in seiner kurzen Einleitung Kenntnis von den Ände- rungen, welche jene zweite Hand auskratzend, überschreibend, Buchstaben umformend stetig vollzogen, und die er in seiner Ausgabe rückgängig gemacht hat; auch führt er in Anmerkungen am Schlüsse die weiteren einzelnen Formen an, die er genötigt gewesen ist, mit den echten zu ver- tauschen. So bleibt denn kaum ein Zweifel au der Glaubwürdigkeit

Beiirteiluii<;oii iiiid kurze Auzeigen. : 225

dessen, was uns jetzt gedruckt vorliegt. Anhangsweise giebt Salvioni eine kurze, aber alles Wichtige berührende Übersicht der lautliehen, flexi- vischen und syntaktischen Erscheinungen, die in dem Denkmal besondere Beachtung verdienen, und ein vortreffliches Glossar, das nicht allein die bemerkenswerten Wörter aufführt und erklärt, sondern auch auf andere Denkmäler reichlich hinweist, wo sie sich gleichfalls finden, und auf Stellen, wo von ihnen bereits gehandelt ist. Vermifst habe ich darin kaum etwas als in pe im Sinne von 'an Stelle, anstatt', das sich 35, l<i m, 10; •?,!, .SB findet und von Mussafia, Beitrag zur Kunde der nordital. Mundarten S. i behandelt ist ; und auch von anfechtbaren Aufstellungen weifs ich nur wenig namhaft zu machen : folare scheint mir mit infuriare nicht zutreffend übersetzt zu sein, sondern blofs 'wehen' zu bedeuten, wie denn auch tose, folafa dl renfn keineswegs ein Orkan, sondern ein Wind- stofs, Windeshauch ist; so spricht mich denn auch die Herleitung von follc wenig an, und ich möchte eher an *fkibulore denken, das sein erstes / durch Dissimilation verloren hätte (fafmfa ist venez. tolaj und vielleicht auch in dem dunkelen frz. froler steckt, charefjla wird sein / nicht einem Deminutivsuffix verdanken, sondern einer Dissimilation, die nicht gut ausbleiben konnte, wenn eine Kontamination der Formen ratei/ra und cafrega ins Werk gesetzt wurde. Sehr ansprechend scheint mir die Deu- tung von nomeva 'er hiefs' aus itmnc (nera ; auf den Umstand, dafs von da aus ein Präsens }mrno, nom'ni, nomc gebildet wurde, das sich zu no- meva verhielt Avie vewh, rrndis. rpude zu cendero, wird sich gern berufen, wer noch an meiner Deutung von estwt festhält. Die Übersetzung schliefst sich an einen lateinischen Text ziemlich eng an ; doch ist dieser nicht ohne weiteres mit dem von Riese hergestellten eins ; auch ist dem Übersetzer hier und da begegnet, nicht zu verstehen, wie z. B. da, wo er aus dem lenu Ninus einen roffian In quäle notucm Lcnmonln macht, oder wo aponati<t< juvenis wiederum so verstanden ist, als wäre das erste Wort ein Eigen- name. Bei der Forschung nach der lateinischen Vorlage, worauf hier nicht eingegangen werden soll, da Salvioni selbst bezügliche Darlegungen hoffen läfst, wird der Umstand sich vermutlich bedeutsam erweisen, dals an Stelle der acht Rätsel bei Riese bei dem Venezianer nur sieben auf- treten, von jenen sphc^m, specnlvm, scala: fehlen und durch mnua und ancora ersetzt sind.

Berlin. Adolf Tobler.

Die Frau als Schlange. Eiu tragikomisches Märchen in drei Aufzügen von Carlo Gozzi. Aus dem Italienischen über- setzt von Volkmar Müller. Dresden, v. Zahn <.t Jaensch,

1889. 79 S. 8.

Der Übersetzer, welcher, wie auf dem Umschlag zu lesen steht, be- reits vier andere Stücke C. Gozzis in deutscher Übertragung hat erscheinen lassen, wird mit seiner Wiedergabe der Donna .^crpentr wenigstens den Verehrern der Muse Richard Wagners willkommen sein, der aus dieser

Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV. l.j

226 IV'urtoiliiniicMi mid kiirzf An/.('itr<Mi.

•I'iiiIki Iritlnilr h-iiiiiiiiiiiii;i' {\c\\ StofI' /.ii sciiirr ()|hm- 'I)ic l'Von' jicwoniicii hat. Im ühripon luit (iozzis \V(>rk nicht viol Anziolioudt's; os koinnil (1er ScliJiuliist «Mticr woniii: ücltildotoM McMipr dienst ft-rtiu cnttri'^i:*'!!, hiotof ahcr doiii fast nichts, der inncrhalh einer dem Natur<iesetz entrückten Weh woiiigstons Teihiahnie erweckende nnd in ihrem Haiuh'ln verständliche Menschen möchte sich bewegen sehen; dabei ist es, wie die rasch hinge- worfenen Stücke (lozzis beinah alle, nichts weniger als fein nnd rein im Ausdruck, gleichmälsig farblos, wo ICrhabenheit. wie da. wo schlichte Natürlichkeit hingehört. Her Hbersetzcr, welcher sich an das lloch- deutsche auch da hält, wo der Oicliter dem Italienischen die Venezianer MuTnlart gegenüberstellt, nnd der ausgeführt auch die Auftritte gicbt, für welche den angenu^ssenen Wortlaut aus dem Stegreif zu finden jener deu Schauspielern überläfst. erhebt sich, wo er mit Versen zu thun hat, über den Strich, der für (lozzis Vornelunheit die obere rjrenze bildet; sein Vers ist wohlklingender, seine Sprache reiner (wie viel hat auch Turandot durch Schiller gewonnen I dafür ist sie auch ins Italienische zurückübersetzt worden). Hagegen ist die ungesuchte Natürlichkeit, der leichte Flufs nicht erreicht, den die Prosareden des Tantalone, Trutlal- dino, Brighella verlangen, und durch Absdiwächung des Derbkomischen der gewollte und wirksame (Gegensatz gemindert, der zwischen dem Pathos der einen und der ])latten .Mltäglichkeit der uudereu bestand. jMil'sver- standen ist die Vorlage ein {)aar Mal, so S. '10 d'inia saetfo che hi possa sroar rio, S. "21 Crrjni per /'(i>/inn\ S. U' Sf noji >i/i t((i/h'(ii>n Ic fiaiiihi' : doch ohne schwere Folgen.

Berlin. A.lolf Tob 1er.

l'roijranimschciu.

Zur Di6position:j.l<.'liro. 1\. \ov\ Oberlehrer Dr. E. 8ehuippel. Pi'ogramni des Realgvnuia.siuni.s zu O.sterode O.-P. 1888. S. 21)— 51.

Die Abhandlung ist eiuc Fortsetzung des Prograuuns von ISSii, und, wie das letztere, darf auch diese auf allgemeine Anerkennung i-echnen. Wie vom I^eichtcreu zum Schwereren fortzuschreiten, wie der StotV zu finden und zu ordnen ist, hat der N'erfasser auch hier, wo es sich un> die Klas.sc 01)ersekunila lunub'lt, gut gezeigt; eine ausgedehnte Bekannt- schaft mit wohl allen Werken und .Aufsätzen, welche denselben Uegen- stuud behandeln, schützt ihn vor Wiederholungen und Einseitigkeiten. Was er zunächst von den vei"sclnedenen Formen des ifcniis IihtoiiciDii sagt, ül)er Inhaltsangaben, /usamnienstelluugen aus der Ijektüi"e, über Vergleiche und, worauf da das Augenmerk zu lichten ist, die gegebenen Muster, ist alles verständig. Historische .Aufgaben müssen nur richtig gewählt werden, um vor einem albernen .absprechen zu hüten; richtig gewählt erregen sie vor allem die I.ust uiul Liebe des Schülers, und das geschichtlirlie Kmptinden, welches vor zwanzig . Fahren so lebendig war.

Beurteil 11 n geil und kürzt' Auzeigeu. 227

zu stärken, ist auch jetzt nicht überflüssig und eine würdige Aufgabe des deutschen Aufsatzes. Auch geographische Themata, immer mit Rück- sicht auf (Tcschichte, z. B. der Bosporus, der Rheiu, Rheiu und Donau, finden in ausgedehnterem Mafse, als der Verfasser annimmt, in Ober- sekunda Anwendung. Über Einleitung und Schlufs giebt der Verfasser beachtenswerte Regeln. Die noch nicht verschwundenen Gegner der so- genannten allgemeinen Themen werden sich durch des ^''eI■fassers ruhige Bemerkungen versöhnen lassen. Die Form des Dialogs möchte über- haupt für den vSchüler zu schwierig sein ; etwas anderes ist es mit der Briefform .

Über Zweck und Ziel des deutscheu Aufsatzes. Von Prof. Dr. Konrad Koch. Programm des Gymnasiums Martino-Catha- rineum zu Braunschweig 1889. 24 S. 4.

Die Abhandlung enthält beachtenswerte, durch eine langjährige Er- fahrung bewährte Winke in Beziehung auf die Wahl und Behandlung der Aufgaben. Das durch den gesamten, nicht blofs durch den deutschen Unterricht augeregte Interesse in entsprechenden Arbeiten möglichst zu verwerten, zu fördern und zu steigern, wird auch als Zweck des deutschen Aufsatzes bezeichnet; danach bestimmt sich die Wahl der Aufgaben, sowie das Ausgehen von der Anschauung; gegen die Fassung mancher Aufgaben, wie sie z. B. bei Cholevius, auch bei F. Schultz vorkommt, mufs sich der Verfasser erklären. Nach der Vorbesprechung sollen die Dispositionen vorher eingereicht, dann nochmals die Aufgabe ausführlich erörtert werden ; mag auch dieser bedeutende Aufwand von Zeit und ^lühe für die Vorbereitung bedenklich erscheinen. sf> rechtfertigt ihn doch der Verfasser mit dem grol'sen Nutzen desselben.

Plan für den deutschen Unterricht. Von Dir. Dr. Faltin. Pro- gTamm des Gymnasiums zu Xcu-Ruppin 1888. 1 8 S. 4.

Auch dieser Plan ist aus den Lehrerkonferenzen hervorgegangen, ausführlich, beachtenswert. Es sei daraus hervorgehoben, dal's auch für die obersten Klassen für die freien Arbeiten verlangt wird, dafs, wenn auch fler Lehrer nur die richtigen Gesichtspunkte andeute, er docb, ehe die Ausarbeitung erfolgt, von den Ergebnissen der Meditation Kenntnis nehmen mufs. Das Nibelungenlied soll gelesen werden mit Beschränkung auf die nach Lachmanns Bestimmung echten Lieder, doch nur in einer Übersetzung; für die liier vorgeschlagene vcm Henke ist noch mehr die von Kamp zu empfehlen. Bezüglich der Aufsätze in Prima wird noch- mals gewarnt vor Aufgaben, welche sowohl ihrem stoftlichen Umfang nach als infolge der hohen Anforderungen, welche sie an das l'^rteil der Schüler stellen, deren geistige Kraft weit überragen ; namentlich werden die für den Lehrer höchst wertvollen Hilfsbücher von Laas, Wendt, F. Schultz als reich an solchen Aufgaben bezeichnet.

15'

228 Ht'iirtf'iliiiijif'M iiihI kurze A7izei^eti.

Die A^oriirlberger Dialektdichtimg. 2. Teil. Von E. Winder. Pro- gramm des Gymnasiums /u Innsbi-iick 1888. 47 S. gr. 8.

Der erste Teil hat seinerzeit hier Anzeige gefuuden. Im zweiten Teil wird zuerst ein ehrsamer Handwerksmann vorgeführt, Gebhard Weils aus Bregeuz (1800 1874), der sich bis an sein Knde kümmerlich durchschlug (hierzu eine Bemerkung für den Verfjisser. Er meint, der 'blaue' Star, der als Leid des Dichters l>ezeichnet werde, sei offenbar ein Schreibver- sehen, da weder die Wissenschaft noch der Volksmund diesen Ausdruck kenne; und er änderte daher in 'grauer' Star; das ist nicht richtig, viel- mehr kennt der Volksmuud den Ausdruck 'blauer' Star, unterschiedlich vom 'grauen' Star; die Wissenschaft nennt jenen Glaukom, ylav-Acoua, cf. Pape, Lex.), aber immer seinen volkstümlichen Humor behielt; an poe- tischem Wert stehen seine Gedichte bedeutend nach denen des Dr. med. Franz Joseph Vonbun (1824—1870), dessen Leben der Verfasser ausführ- lich beschreibt; er ist durch seine an Hebel erinnernden lyrischen und seine epischen Gedichte in weiteren Kreisen weniger bekannt geworden, als durch seine trefflichen Sammlungen der Sagen und Märchen seiner Heimat, die .Takob Grimm gewidmet sind.

Über den Eifeldialekt. Von Theodor Busch. Programm des Progymnasiums zw Malmedy 1888. 23 S. 4.

Eine sehr sorgfältige, eingehende Untersuchung über den Dialekt einer eng begrenzten Gegend, nämlich der Gegend östlich von Prüm bis an die Grenze der vulkanischen Eifel oder bei dem Dorfe Büdesheim. Es ist ein mittelfränkischer Dialekt an der Grenze des Niederdeutschen, dessen Einflul's jedoch nicht so bedeutend gewesen ist, wie man erwarten sollte. Den Dialektforschungen hat der Verfasser ein sorgsames Studium zugewendet; auf eine anziehende Weise zeigt er, wie öfters die heimische Mundart auf auffallende dialektische Erscheinung örtlich weit entlegener Gegenden ein Licht wirft, wenn auch nicht alle seine Erklärungen auf Zustimmung rechnen dürfen.

Beiträge zu einem vogtländischen Wörterbuche. Von Oberlehrer O. Böhme. Programm der Realschule zu Reichenbach 1888. 22 S. 4.

Die Abhandlung des um das heimatliche Vogtland vielfach hochver- dienten Verfassers, sehr gründlich, ist nicht blols für die vogtländische Mundart, sondern für alle oberdeutschen Dialekte von grofsem Wert. Aber auch für die Schriftsprache bietet sie manche belehrende Ausbeute. Dahin gehört die Auseinandersetzung über das Wort Enkel; J. Grimms Einwürfe gegen die Ableitung von utui (Ahn) werden schlagend zurück- gewiesen ; Enkel bleibt der kleine, wieder auflebende Grofsvater ; mit die- ser Erklärung stimmen auch die slavisch-litauischen Formen. Ein anderes Beispiel ist das Wort nijyprn in der Bedeutung einschlafen, ehwijypen,

Beurteilungen und kurze Anzeigen- 229

wobei wir den mehrfachen Wandel der Konsonanten, noch mehr der Vokale in den zahlreichen von derselben Wurzel ausgehenden Wörtern anschaulich dargestellt finden.

Zu Neidhart von Reuenthal; das Lebeu und Treiben der Bauern Südostdeutschlands im 13. und 14. Jahrhundert. Von Mar- tin Manlik. Programm des Gymnasiums zu Weifsenkirchen

1888. 53 S. gr. 8.

Es liegt hier nicht eine kritische, aber die ausführlichste und die Quellen und Bearbeitungen des genannten Gegenstandes, die Belegstellen mitteilende sehr fleifsige Arbeit vor. Sie nimmt nicht blofs auf Neid- hart, sondern auch auf Meier Helmbrecht, Seifried Helbling, Hugo von Trimberg, Berthold von Regensburg u. s. w. Rücksicht und führt in an- schaulicher Weise das Bauernleben vor.

Ulrich Boner als Didaktiker. Von Oberlehrer Dr. Spölgen. Pro- gramm des Realgymnasiums zu Aachen 1888. 24 S. 4.

Mit Benutzung der über Boner erschienenen Schriften handelt der Verfasser über dessen Quellen, teilt viele der beliebten Sprüche desselben mit und geht dann einen Teil der Fabeln durch, um zu zeigen, welche Lehren er mit denselben in Verbindung bringt, also auf welche sittliche Zustände er besonders seine Aufmerksamkeit gelenkt hat.

Eine deutsche Bearbeitung des Selbstpeinigers des Terenz aus dem 16. Jahrhundert. A^on Prof. Dr. F. Straumer. Pro- gramm des Gymnasiums zu Chemnitz 1888. 35 S. 4.

Das Gedicht, von dem in der Abhandlung die Rede ist, ist in einer Zwickauer Handschrift erhalten. Der Verfasser schickt eine übersicht- liche Geschichte der lateinischen Schulkomödie in Deutschland und ihres Zweckes voraus. Der merkwürdigste Versuch, die lateinische Schul- komödie durch deutsche Bearbeitung auch dem gröfseren Publikum ver- ständlich zu machen, ist eben in jeuer Handschrift erhalten, die eine Charakteristik der auftretenden Personen des Euuuchus und des Heauton- timorumenos des Terenz samt Prolog und Epilog enthält uud in die Charakteristik eine Inhaltsangabe der Stücke verflicht. Diese Hand- schrift stammt nicht, wie man gewöhnlich annimmt, aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, .sondern, wie der Verfasser aus den geschichtlichen An- spielungen beweist, aus der zweiten Hälfte des IG., auch nicht aus Zwickau, sondern aus Freiberg, und der Urheber derselben ist der Rek- tor der Freiberger Schule, Valentin Apelles (Apel), über den wir hier ge- nauer unterrichtet werden. Er hat sein Talent auch in deutschen \'erseu erprobt uud zwar zunächst bei der Aufführung von Schulkoniödien. Eine Aufführung des Eunuchus wird in den Freiberger Akten ausdrücklich im Jahre 1572 erwähnt, nicht des Heautontimorumenos, diese hat aber h<>chst

230 P)tMirtdliing('ii uiul kurze Auzeigx-n.

wahrscheinlich l-")!^'! stattgofuufk'ii. Wie auf die ganze Zeit, zeigt f:ich auch bei ihm der Einflufs des NarreuschifTs des Sebastian Rrant; wie Hans Sachs und Fischart, folgt auch Apelles dem Sebastian Brant im Versbau, im sogenannten Knüttelvers, noch mehr im Inhalt, in dem satirisch-didaktischen Ton, in Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redens- arten, in der Neigung, das Treiben der Gottlosen nicht als Sünde, son- dern als Thorheit und Narrheit aufzufassen. Also, ehe die lateinische Aufführung begann, erschienen die Personen des Stückes der Reihe nach auf der Bühne und wurden von einem besonderen Aktor vorgestellt und ausführlich geschildert, und, da der Dichter in den Terenzischen Personen Personen seiner eigenen Zeit und Umgebung schildert, so wird die Be- arbeitung ein belehrendes Sittenbild der Zeit, bietet auch in sprachlicher Hinsicht manches Neue. Waren also die Zuschauer iu den Stand ge- setzt, auch ohne Kenntnis der lateinischen Sprache den Gang der Handlung zu verstehen, so folgte die lateinische Aufführung selbst, an bestimmter Stelle noch unterbrochen durch Einschaltung kürzerer Dialoge in deut- scher Sprache. Es ist sehr dankenswert, dafs der Verfasser den Text der Handschrift wörtlich mit Beobachtung der alten Orthographie und Inter- punktion in Typen der Druckwerke des ItJ. Jahrhunderts wiedergegeben hat.

Zur AVürdiguug des Dichters Andreas Gryphius. Eine litterar- historische Studie von Dr. Gust. Breucker. Programm des Progymnasiums zu Trarbach 1889. 20 S. 4.

Die böse Zeit des Dreilsigjährigen Krieges, seine besonderen Schick- sale mufsten den Dichter Gryphius ernst stimmen. Diese trübe Stim- mung spiegelt sich ab in seinen Dichtungen. Das ist der Inhalt dieser Abhandlung.

J. A. Poysels Gedichte wider Ludwig XIV. und die Franzosen. Von M. Pfeifer. Programm des Gymnasiums zu Altenburg 1889. 16 S. 4.

Auf den patrioti-schen Dichter J. Alb. Poysel, den bayrischen Augu- stiner, der trotz seines entschieden katholischen Glaubens als mannhafter Deutscher der französischen Aumafsung entgegenkämpfte, ein leider nicht beachtetes Vorbild für die Jetztzeit, machte Ditfurth iu seiner Sammlung historischer Volkslieder zuerst aufmerksam. Poysel starb am Anfang des 18. Jahrhunderts. Sein Nachlafs befindet sich iu der Münchener Biblio- thek, daraus entlehnte Ditfurth einige Proben. Genauer beschreibt die vorliegende Abhandlung diesen Nachlafs; sie bringt aber zunächst aus der vorhergehenden Zeit einige gegen Frankreich gerichtete geharnischte Volkslieder, dann eine gröfsere Anzahl von Versen Poysels, die in ihrer Kraft und Aufrichtigkeit einen tiefen Eindruck gemacht haben müssen; sie geben vortrefflich die in den besten Kreisen herrschende Volksstim- mung wieder; dem Abdruck hat der Verfasser erklärende Anmerkungen hinzugefügt.

Beurteilungeu uikI kurze Auzeigen. 231

Daniel Caspar vou Lohensteiii Jils Dramatiker. Vom ord. Lehrer Willner, Programm des Realprogymnasiums zu Dirschaii

1888. 31 S. 4.

Die Abhandlung bringt eine sehr ausführliche Inhaltsangabe der schwülstigen Trauerspiele Lohensteins mit allen ihren Greueln; die Aus- malung aller dieser groben ünsittlichkeiten scheint für ein Schulprogramm nicht recht passend zu sein. Die schon überreiche Litteratur über den Dichter, z. B. die Arbeiten von W. A. Passow, Prutz, Konr. Müller u. a., ist von dem Verfasser nicht berücksichtigt, so dafs die Wissenschaft kei- nen neuen Gewinn zieht.

Ewald Christian von Kleist als Idyllendichter. Vom ord. Lehrer van Haag. Programm der Realschule zu Rheydt 1889. 17 S. 4. '

Der Verfasser hebt die Vorzüge Kleists vor Gel'sner hervor; Kleists Personen äul'sern tiefere und wahrere Emi)findungen. Aber auch er wird weit überragt von J. H. Vol's und Hebel.

Johann Nikolaus Götz, die Winterburger Nachtigall. Ein Bei- trag zur deutschen Litteraturgeschichte. I. Von Gymnasial- lehrer Dr. Hahn. Programm des Gymnasiums zu Birken- feld 1889. 32 S. 4.

Während die Ivebensgeschichteu seiner dichterischen Genossen, Gleinis, Uz', Ramlers, längst geschrieben sind, hat man Götz bisher vernachlässigt. Die Ehrenschuld hat der Verfasser mit dieser überaus sorgfältigen Ab- handlung abzutragen angefangen. Schwerlich ist ihm irgend eine auf den Dichter bezügliche Notiz entgangen, und so ist es durch unermüd- lichen Fleil's dem Verfasser gelungen, soweit es bei den erhaltenen Daten möglich war, ein vollständiges Lebensbild zusammenzustellen. Mancher- lei ungünstige Umstände verschulden, dafs Götz in der Würdigung der Gegenwart zurückgeblieben ist; bei seinen Zeitgenossen stand er in höch- stem Ansehen. Die Zeugnisse dafür hat der Verfasser aufs fleilsigste vereinigt, mit Begeisterung reden von Götz Gleim, Knebel, Karoliue Flachsland, Goethe, den ausführlichen schönen Brief Herders au den Dichter teilt der Verfasser vollständig mit. Merkwürdig ist das anerken- nende Urteil Friedrichs des Grofsen ; Kamler, Vol's, Lavatcr, auch I^ssing stimmen bei. Wir erfahren durch die sorgfältigen Untersuchungen de^ Verfassers, wie es gekommen ist, dafs wir bisher ein vollständiges Lebens- bild des Dichters nicht erhalten haben; eine grol'se Menge wichtiger Zeugnisse ist dem unermüdlichen Fleifse des Verfassers gelungen aus der Vergessenheit zu ziehen ; anderes wird vielleicht Professor Kürschner in Stuttgart, der Besitzer des Restes des haudschriftlichen Nachlasses des Dichters, bringen können. Ciötz ist geboren zu Worms 9. Juli 1721, gestorben zu Winterburg I. November 1781. Von Wiuterburg, wo er

232 liourtoiluiigcn und kurze Anzeigen.

die letzte Hälfte seines Lebens zugebracht hat, wird er die Winterburger Nachtigall genannt; das Dorf liegt wenige Stunden von Kreuznach auf- wärts in der hinteren Grafschaft Sponheim ; von der ihm bekannten Ge- gend entwirft der Verfasser ein anmutiges Bild. Der Vater des Dichters war Pfarrer in Worms. Wir erfahren viel von der Familie, den Freunden derselben, der Jugendzeit, dem Leben in Halle, welche Universität Götz I7;?9 bezog. Er wurde mit Gleim, Uz, Ramler bekannt, Mitglied des preufsischen Dichterkreises. Sein Leben wurde bewegt, wir finden ihn bald in der Heimat, als Prediger in Forbach, auf Reisen im Elsafs und in Lothringen, er ward mit Voltaire bekannt, Prediger in Hornbach, in Meisenheim, endlich in Winterburg; sein Landesherr war zuletzt der Mark- graf von Baden-Durlach. Dort führte er ein friedlich stilles Leben, der schönen Natur und öfteren Besuches von Freunden sich erfreuend. Seine Sehnsucht aber, in eine geistig anregendere Umgebung zu kommen, in Berlin oder dessen Nähe als Prediger angestellt zu werden, sollte nicht in Erfüllung gehen, so dafs er immer mehr dem Trübsinn verfiel. Von seiner Persönlichkeit, von seinen Familienverhältnissen giebt der Verfasser genaue Kunde; der Sohn Gottlieb Christian wurde Inhaber der Schwanschen Buchhandlung in Mannheim und Schillers treuer Freund und Verleger. Ein allgemeiner Überblick über Götz' dichterische Thätigkeit, sowie über Ramlers Redaktion der Gedichte schliefst die verdienstliche Abhandlung. Der zweite Teil wird eine genauere Betrachtung über die Gedichte bringen.

Bekämpfung und Fortbildung Lessingscher Ideen durch Herder.

Von Franz Kunz. Programm der Realschule zu Teschen

1888. 31 S. gr. 8. Der Verfasser legt die Abhandlungen Herders 'Wie die Alten den Tod gebildet' und des Laokoon Wäldchens und die sich auf Lessings Fabel- theorie und Epigram nidefinition beziehenden Schriften zu Grunde, und durch eingehende Untersuchung gelangt er zu dem Ergebnis, dafs Herder öfters ohne triftigen Grund I^essing widerspricht, aber auch öfters Les- sings Behauptungen treftend berichtigt, aber aufser dieser negativen Seite seine Kritik auch den Nutzen hat, dafs er einzelne Ideen Lessings vertieft und weiterbildet. Der Verfasser hat noch nicht die vortreffliche Arbeit von G. Kettner 'Herders erstes kritisches Wäldchen' im Pförtner Programm von 1887 benutzen können, welche an Gründlichkeit die seinige übertrifft.

Die tragische Katharsis in der Auffassung Lessings. Von Ober- lehrer Feller. Programm des Gymnasiums zu Duisburg 1888. 24 S. 4.

Die neueste Litteratur zur Erklärung der Aristotelischen Poetik, sowie die neueren philosoiihischen Werke über das Wesen der Tragödie sind dem Verfasser wohl bekannt; die verschiedenen Erklärungen geht er durch, findet mit ihnen Lessings Deutung der Poetik nicht in jedem Worte richtig, seine unbedingte Verehrung des Aristoteles aber gerechtfertigt. '

Beurteilungen und kurze Anzeiprcu. 233

Zu den Quellen der Emilia Galotti. Von Dr. L. Volkmanu. In dem Festprogramm des Realgymnasiums zu Düsseldorf 1888. S. 23.3—259. gr. 8.

Nicht neue Quellen hat der Verfasser aufgefunden, er wollte vielmehr die sicheren Vorlagen zu dem Zwecke ausbreiten, um daraus erkennen zu können, wie weit sie der Dichter bei seiner dramatischen Thätigkeit hat benutzen können und benutzt hat. Diesen Weg hat er sehr genau ver- folgt, die Ergebnisse sind höchst beachtenswert, die Abhandlung ist ein sehr dankeswerter Beitrag zur Lessing-Litteratur. Von dramatischen Arbeiten kommen hier, als Lessing bekannt, in Betracht die Virginia des Montiano, des Campistron, und wegen technischer Anregungen die Be- arbeitungen der Geschichte des Grafen Essex. Jene beiden sind es, die aus dem überlieferten Stoff das Schicksal der Virginia zur Hauptsache gemacht, die politische Seite also zurückgedrängt haben. Eine Mutter der Virginia hat erst Campistron hinzugedichtet, der auch die Plebejer zu Patriciern gemacht, also dem Appius gleichgestellt hat. Diesen Vor- bildern wollte Lessing unmittelbar folgen, von diesem Versuch ist eine Scene erhalten. Dann aber, ohne sich um die Staatsaktion zu kümmern, behandelte er das Schicksal der Virginia für sich, diese Virginia in drei Akten ist nicht erhalten. In Emilia Galotti nun ist das ursprüngliche Verhältnis zwischen Patriciern und Plebejern hergestellt, die von Cam- pistron erfundene Mutter beibehalten, neu die Gräfin Orsina hinzuge- dichtet. Im einzelnen sind im Gange der Handlung des Franzosen Neuerungen gröfstenteils benutzt, wogegen für die Entwickelung der Charaktere der Spanier mehr in den Vordergrund tritt. Montianos Vir- ginia und Virgiuius sind Lessiugs Emilia und Odoardo im Charakter ähn- lich. Auch bei den übrigen Personen weisen Einzelheiten auf das spanische Vorbild hin : Appianis bange Stimmung kehrt in Montianos Icilius wieder, ebenso ist IMontianos Claudius ein gröfserer Bösewicht als sein Herr, wie Lessings Marinelli. Am meisten originell ist der Prinz bei Lessing. Wäh- rend der Appius seiner Vorgänger von Anfang von frevelhafter Begier beherrscht wird, wird des Prinzen anfänglich wahre Liebe erst stufenweise zu verzehrender Leidenschaft. In dieser Beziehung hat er ein Vorbild in dem im 05. Stück der Hamb. Dram. besprocheucu Grafen Essex eines spanischen Dichters, wie eben dies Gedicht für die Schlufssceue seiner Emilia von ihm benutzt ist (vgl. Hamb. Dram. Stück 67, 68, 55).

Herder und die Volkspoesie. Von Dr. Fr. Zurbousen. Pro- gramm des Gymnasiums zu Arnsberg 1888. 15 S. 4. In warmen Worten stellt der Verfasser Herders unsterbliches Ver- dienst um die Volkspoesic dar, er weist nach, wie dadurch, also aucli durch Herders Verdienst, die ästhetischen Anschauungen der Zeit über- haupt sich änderten, die Poesie zur Natur zurückkehrte, wie vor allem durch ihn Goethe angeregt wurde. Die Abhandlung war wohl geeignet, die Jugend mit Verehrung für Herder zu erfüllen.

23'1 JUnirti'iliiiijiX'ii imd kurze Aiwcigcii.

Die Ortlielikeit in Goethes Herniaun und Dorothea. Vou Ober- lehrer Dr. O. Liusenbai"th. Programni des Gymuaeiums zu Kreuznach 1889. S. ] 7— 30. 8.

Die Örtlichkeit in Hermann und Dorothea ist eine beliebte Aufgabe für Schulaufsätze. In einem anderen Sinne aber behandelt obige Ab- handlung die Örtlichkeit. In Lyons Zeitschrift für den deutscheu Unter- richt hat nämlich Dr. Huther in Kottbus zu beweisen versucht, die der Dichtung zu Grunde gelegte Örtlichkeit entspreche aufs genaueste der- jenigen des thüringischen Städtchens Artern, in diesem Orte sei nach der Tradition Goethe oft gewesen, und die im Gedichte vorkommenden Orts- angaben liefsen sich leicht noch jetzt dort Avieder finden. Dr. Huther ist nicht selbst in Artern gewesen, wohl aber der Verfasser, der sich mit allem, was auf die Geschichte des Ortes sich bezieht, genau bekannt ge- macht hat. Danach stellt sich heraus, dafs nicht die geringste Spur vor- handen ist, dafs Gtjethe jemals in Artern gewesen sei; die Tradition mag sich gebildet haben, weil Goethes Grolsvater dort geboren wurde; ohne vor- gefafste Meinimg findet man unschwer heraus, dafs sich in keinem Punkte die Örtlichkeit Arterns mit der des Gedichtes in Einklang bringen läfst. Man mufs sich zu der Ansicht bekennen, dafs Goethe kein bestimmtes Städtchen vor Augen hatte, wenn er auch bei Einzelheiten reale Örtlich- keiten abgemalt haben kann.

Der Bau des Goethescheu Torquato Tasso. Von Dr. Ferd, Höfer. Programm des Gymnasiums zu Seehausen 1888. 20 S. 4.

Man mufs dem Verfasser darin beistimmen, dafs der Streit Tassos mit Antonio den Höhepunkt des Dramas bezeichne. Es bedurfte aber wohl nicht der langen Auseinandersetzung mit denjenigen, welche einen anderen Stufengang annehmen, eine unbefangene Lektüre des Dramas führt auf den rechten Weg. Einen vortrefilichen Wegweiser dazu finden wir in einer älteren Abhandlung, welche dem Verfasser unbekannt ge- blieben zu sein scheint, in dem Buche von G. F. Eysell 'Über Goethes Torquato Tasso', Rinteln 1849; es hat dann einige Jahre später Eckardt Vorlesungen über den Tasso erscheinen lassen, noch bedeutend umfang- reicher, aber das kräftige und gesunde Gericht Eysells nur verdünnend.

Goethes Quellen und Hilfsmittel bei der Bearbeitung des Reiueke Fuchs. Von Dr. M. Lange. Programm des Gymnasiums zu Neustadt-Dresden 1888. 17 S. 4.

Es ist sicher, dafs dem Jahre 1793 Goethes Gedicht entstammt; rasch wurde es vollendet. Daraus folgt, dafs wegen der Kürze der Zeit ein eingehenderes QueUeustudium nicht möglich Avar. Die Vergleichung lehrt, dafs die Grundlage des Goetheschen Werkes Gottscheds Über- setzung ist; aber trotz dieser grofsen Abhängigkeit hat er dem Ganzen einen echt epischen Charakter gegeben. Er hat aber auch, wie sich aus

Beurteiluiigeii und kurze Auzeigeu. 235

Versen ergiebt, die Gottsched übergangeu, den niederdeutschen Text be- n'utzt; Ob er den holländischen Reinaert vor sich gehabt, ist schwer zu entscheiden ; in manchen Stelleu stimmt er mehr mit der üelfter Ausgabe als mit Reineke, aber doch zeigt sich nirgends eine gründlichere Kenntnis jenes Buches, nirgends ist es zur Verbesserung von Irrtümern des Reineke benutzt, es ist wahrscheinlich, dafs er dasselbe erst uach Vollendung seines Gedichtes kennen gelernt und nachträglich gebraucht habe. An- dere Hilfsmittel sind hier und da eingesehen, wie sich aus eingehenden Untersuchungen ergiebt. In der Einleitung teilt der Verfasser das un- gemein lobende Urt«il Viktor Hehns über Goethes Hexameter mit. I\Iit demselben stimmt Herder in dem Briefe an Gleim vom 1. Mai 1793 über- ein, welcher (nach der Ausgabe von Düntzer) schliefslich hier einen Platz finden möge: 'Die erst« und gröfseste Epopöe deutscher Nation, ja aller Nationen seit Homer, die Goethe sehr glücklich versifiziert hat, ist Reineke Fuchs. Das ist der Aufschlufs des Rätsels. Das Gedicht ist seit Homer die vollkommenste Epopöe, wie Sie's, lieber Gleim, in Goethes glücklichen Hexärrietern sehen werden ; sie ist deutscher Nation ; denn, wenn ihr Grund gleich aus einem französischen Roman genommen sein mag, so ist doch ihre epische Einrichtung einem Deutscheu, dem Heinrich von Alkmar, zuständig, und in Goethes Versifikation gehört sie den Deut- schen auf eine eigentümliche Weise mehr. Das Gedicht ist ein Spiegel der Welt.'

Über Euripides' Iphigenie unter den Tauriern und Goethes Iphigenie auf Tauris. Von Dir. Dr. Wittich. Programm des Realgymnasiums zu Kassel 1888, 16 S. 4. Die Abhandlung bringt eine Inhaltsanzeige der beiden Gedichte und

betont dabei den höheren Wert des deutschen Dramas. Sie ist Abdruck

eines Schul Vortrags und macht keinen Anspruch darauf, etwas Neues zu

bringen.

Mitteilungen über Goethe und seinen Freundeskreis aus bisher unveröffentlichten Aufzeichnungen des Gräflich Egloifstein- schcn Familien -Archivs zu Arklitten. Herausgegeben von Dr. Joh. DemboM'ski. Programm des Gymnasiums zu Lyck 1889. 34 S. 4.

Die hier mitgeteilten Briefe stammen aus dem Nachlasse der Gräfin- nen Karoline und Julie Egloffstein und ihrer ^lutter, der Frau von Beaulieu-Marconnay; sie sind geschrieben von Karoline, Hofdame der Grofsfürstin Maria Paulowna, der Gräfin Julie, welche bei ihrer Tante, Oberkammerherrin Frau von Egloffstein, wohnte und seit 1824 Hofdame der Herzogin Luise war, der Frau von Beaulieu, die mit ihrem Gatten erst in Misburg bei Hannover, dann in Hildesheim wohnte, der Ober- karamerherrin Frau von EglofTsteiu, dem Kanzler Müller und Soret. Sie reichen von 1817 bis zu Goethes Tode, in den ersten Jahren weit aus-

236 r>curt<'iliii),i:fij und kiirzv Aiizcijien.

lührlicher als in den letzten, wo sie aphoristisch werden, und haben ihren besonderen Wert dadurch, dafs sie, wie wenige, die ungewöhnliche Liebe und Verehrung treu wiederspiegeln, deren sich Goethe in seiner nächsten Umgebung erfreute; beide Gräfinnen, Julie wie Karoline, leben eigentlich nur, wie Karoline einmal schreibt, in dem Glück, Goethe zu sehen und zu hören. Ergreifend ist besonders die Darstellung der Angst, welche alle bei Goethes schwerer Erkrankung 182:! ergriffen hatte, der wachsen- den Freude, als die Anzeichen der Besserung immer günstiger wurden, der Begeisterung, als er wieder gestärkt vor ihnen erschien. Aber mehr, wir sehen, wie er seine ganze Umgebung in die poetische Stimmung, über die Interessen des äufseren Lebens erhebt; es ist ein Kreis feingebildeter Menschen, in dem wir uns bewegen, die an allem Schönen in Kunst und Xatur ihre wahre Freude haben. Schöne Schilderungen mancherlei Art finden sich vor. Und dann wiederum aus alltäglichen Anlässen erheben sich die Unterredungen zu den wichtigsten Angelegenheiten der Menschen, überall giebt Goethe die Anregung, und das macht sich immer von selbst. Die Gröfse des Mannes tritt somit auch aus diesen Mitteilungen hervor, und darum verdient die Veröffentlichung Dank.

Philologisches aus Friedrich Rückerts Briefen an J. A. Härtung, mitgeteilt von Oberiehrer Dr. F. Härtung. Programm des Dom-Gymnasiums zu Magdeburg 1888. 39 S. 4.

Von Neusefs aus stand Rückert in naher Beziehung zu J. A. Här- tung, der damals in dem unfern gelegenen Schleusingen Gymnasialdirektor war; schon in Erlangen, avo Rückert Hartungs Lehrer war, hatte die Ver- bindung angefangen. Härtung war oft Tage lang zum Besuch bei Rückert, da wurden gemeinsam philologische Studien betrieben. Beide haben gemeinsam die Tugend unablässigen Fleifses und die Liebe beson- ders zu den griechischen Dichtern, von denen bekanntlich viele Härtung und nicht blofs kritisch behandelt hat. Um diese gemeinsamen Studien bewegte sich nun der Briefwechsel. Die Verbindung dauerte fort, als Härtung nach Erfurt übergesiedelt war. Die Briefe gehen von 18 i'^ bis 1805, der grölste Teil der vorhandenen -il Briefe ist mit geringen Aus- lassungen hier abgedruckt. Wo Privatverhältnisse erwähnt sind, zeigen auch sie uns den Dichter in liebenswürdigem Lichte. Es ist eine wahre Herzensfreude für ihn, in seinen orientalischen Studien immer wieder bei den Alten Erholung zu suchen, die griechischen Tragiker, Theokrit, Horaz sind seine Lieblinge; aber mehr, Härtung schickt ihm seine Bearbeitun- gen zu, Rückert studiert sie aufs genaueste, er teilt dem Freunde seine kritischen Bedenken mit, er ist hier ganz Philologe. Vor allem ist er der scharfsinnige Metriker, metrische Gespräche machen einen grofsen Teil der Briefe aus, über die Piudarischeu Metnr läfst er sich viel aus. Sein feines Sprachgefühl tritt überall hervor, auch bei den Prosaikern ; bei dem Isokrates ist er erstaunt, dafs derselbe den Hiatus sogar viel strenger vermeidet als die Tragiker, er stützt sich bei diesem Urteil keineswegs

Beurteilungen iinrl kurze Anzeigen. 237

auf ihm schon bekannt gewordene ältere Ansichten. Aber nicht blois den Kritiker lernen wir aus diesen Briefen kennen, sondern auch den Dichter; wir erhalten von Bückert Übersetzungen aus Theokrit, auch griechische Verse. Dieser Spende aus dem Xachlafs seines Vaters hat der Herau.sgeber viele erläuternde Anmerkungen hinzugefügt; auch für diese, wie für das Ganze, gebührt ihm Dank. Eine unbedeutende Be- merkung sei gestattet. Rückert erwähnt 181G eine ihm liebe Übersetzung des Theokrit von Bindemann als vor 40 Jahren erschienen; sie erschien aber schon 171>n (nicht 1707), ist also mehr als oO Jahre früher veröffent- licht, und eben diesem Bindemann hat, wie der Herausgeber bemerkt, Rückert seine Übertragung verschiedener Idyllen Theokrits gewidmet, die Widmung kann sich also nur auf Bindemanns Manen beziehen.

Zar Feier deutscher Dichter. 21 23. Feier. Von Direktor K. Strackerjau. Programm der Ober-Realschule zu Olden- bui-g 1888. -4.

Die Berichte über die in der Realschule zu Oldenburg gefeierten Dichterabende, d. h. über die Vorträge der Schüler aus einem bestimm- ten Dichterkreise haben durch die Charakteristiken des Direktors Stracker- jan .sich einen guten Ruf erworben. Das vorliegende Programm bringt nur eine eingehendere Charakteristik, nämlich ühlands, welche bei der hundert- sten Geburtstagsfeier gesprochen ist. Sie ist kurz, sie hebt aber die wichtigsten Seiten hervor. In Uhlaud verehren wir den Dichter, den Deutschen, den deutschen Dichter. Den Dichter, denn seine Lieder sind waldfrisch und duftig, weich und kraftvoll, immer die kr)stlichsteu Erinne- rungen dichterischer Stimmungen weckend, seine epischen Gedichte brin- gen frische Bilder und Gestalten mit tiefem Hintergrunde. Er ist ein Deutscher; das stolze und feste Bürgertum ist ihm das Ideal der deut- schen Nation ; auf dem Felde der Wissenschaft hat er sich nach der Art seines Arbeitens wie nach der Wahl des Stoffes als echter Deutscher be- währt. Er ist ein deutscher Dichter, auch als Dichter hat er eine Er- ziehung zu vaterländischem und volkstümlichem Geiste im Auge.

Herford. Ludwig Kölscher.

Verzeichnis

der vom 1. Jaouar bis zuni 13. Februar 1890 bei der Redaktion eingelaufenen Bücher und Zeitschriften.

The Pariah. By F. Anstev. In ?, Vols. Leipzig, Tauchnitz, 189o. 287, 287 u. 288 S. kl. 8. M. 4,80.

Kussisclie Chrestomathie für Anfänger. Accentuierte Texte mit voll- ständigem Wörterverzeichnis. Von Dr. Oskar Asboth, a. o. Prof. der slav. Sprachen au der l^niversität in Budapest. I^eipzig, Brockhaus, 1800. VIT u. 188 S. 8.

Litteraturhlatt für germanische und romanische Philologie. Heraus- gegeben von Prof. Dr. Otto Behaghel und Prof. Dr. Fritz Neumann. X. Jahrgang Nr. 12, XI. .Jahrgang Nr. 1. Heilbronn, Henninger.

The Bell of St. Paul's bv Walter Besant. In 2 Vols. Leipzig, Tauchnitz, 1890. 28tJ u. 28(» S. kl. 8. M. ;5,2o.

Les Plaideurs. Comedie par .Jean Racine. With Introduction aud Notes by E. G. W. Braunholtz, M. A., Ph. D., University Lecturer in French. Edited for the Syndics of the Universitv Pi'ess. Cambridge, University Press, 1890. XXVI u. 118 S. kl. 8. Sh'. 2.

Wilhelm Teil. Schauspiel von Friedrich Schiller. Edited (with Intro- duction, English Notes, Maps, etc.) by Karl Breul, M. A., Ph. D., Uni- versity Lecturer in German. Edited for the Svndics of the University Press. Cambridge, University Press, 1890. LXXVI u. 2(17 S. kl. 8. Sh. 2/C..

The Opeu Court. A Weekly Journal devoted to the Work of con- ciliating Religion with Science [ed. Dr. Paul Carusj. Nos. 111 12:! (October 10, 1889 Januarv 2, 1890), Chicago, 111.

Blind Love by Wilkie Coli ins. With a Preface bv Walter Besant. In 2 Vols. Leipzig, Tauchnitz, 1890. 287 u. 287 S. kl." 8. M. B,20.

L^ntersuchungen zu Schillers Aufsätzen 'Über den Grund des Ver- gnügens an tragischen Gegenständen', 'Über die tragische Kunst' und 'Vom Erhabenen' ('Über das Pathetische'). Ein Beitrag zur Kenntnis von Schillers Theorie der Tragödie von Dr. Karl Gneifse, Oberlehrer. Wissenschaftliche Beilage zum Programm des Gvmnasiums zu Weifsen- burg i. E. 1889. VIII u. :'.7 S. I.

Les Precieuses ridicules von Moliere. Für den Schulgebrauch erklärt von Dr. Paul Gold Schmidt, Prof. am Friedrichs-Gymnasium in Berlin. Mit einer Nachbildung der Carte de Teudre. Berlin, "Sprmger, 1890. IV u. 75 S. 8. M. 1.

English Letters. CoUected for the Use of Schools by Dr. Günther, Rektor der höheren Töchterschule zu Dirschau. Danzig, A. W. Kafe- mann, 1889. III u. 4(J S. 8. M. 1.

Ursprung und Verbreitung der Pyramus- und Thisbe-Sage von Georg Hart, Assistent für neuere Sprachen. Teil einer Münchener Inaugnral-

Verzeichnis von Biiclicrii und Zeitsohrifton. 239

Dissertation. Beilage zum .Taliresbericht der Ic. Kreisrealsclmle in Passau pro 1889. r,7 S. 8.

Kurzgefafste Grammatik für den französisciien Anfangsunterricht von Jacobs, Dr. Br ine leer, Dr. Fick, ord. wissenschaftlichen Lehrern der neuereu Sprachen an der Neuen Höheren Bürgerschule zu Hamburg. Leipzig u. Itzehoe, Otto Fick, 1889. IV u. 5r, S. gr. 8.

Geschichte der schwäbischen Mundart im Mittelalter und in der Neu- zeit mit Textproben und einer Geschichte der Schriftsprache in Schwaben dargestellt von Dr. Friedrich Kaufmann, Privatdoz. an der Universität Marburg. Strafsburg, Trübuer, 1890. XXVIII u. 355 S. 8.

Zeitschrift für vergleichende Litteraturgcschichte und Renaissance- Litteratur. Herau.sgegeben von Dr. Max Koch und Dr. Ludwig Geiger. Neue Folge. Dritten Bandes erstes und zweites Heft. Berlin 1889/90, A. Haack. 170 S. gr. 8. (G. AVitkowski, Die Vorläufer der anakreon- ti.schen Dichtung in Deutschland. E. v. Lilieukrou, Die Insassen des vierten Danteschen Sünderkreises. F. Zschech, Ugo Foscolos Ortis und Goethes "Werther. J. C. Eiedl, Huon de Bordeaux in Geschichte und Dichtung, (t. Witkowski, Ein ungedrucktes Gedicht von Martin Opitz. H. Holstein, Reuchlins Gedichte. C. Schüddekopf, Ein Gedicht Ludwig Drin^enbergs. L. Geiger, Scherze Chamissos. H. v. Wlislocki, Drei Lieder der siebenbürgischen Zigeuner aus der Kurutzenzeit. K. Sudhoff, Bene- dict Aretius. Besprechungen. Nachrichten].

Logares selectos dos Classicos Portuguezes e Brasileiros. Portugie- sisches Lesebuch mit Anmerkungen von G. C. Kordgien, Universitäts- professor a. D., vorm. Direktor eines brasilianischen Gymnasiums u. s. w. Leipzig, Bädeker fo. J.) [Vorrede, Hamburg im Herbst 1889]. X und 249 S. 8.

Franco-Gallia. Kritisches Organ für französische Sprache und Litte- ratur. Herausgegebeu von Dr. Adolf Krefsner in Kassel. VII. Jahr- gang, Nr. 1. Januar 189(i. lO S. 4. '

Das Naturgefühl der Altfranzoseu und sein Einflufs auf ihre Dich- tung. Von Max Kuttner [Berliner Doktordissertation vom 29. Juni 1889|. Leipzig, G. Fock. III u. 88 S. 8. M. -2.

Die Dialektmischung im magdeburgischen Gebiete. Mit einer Karte. Von Richard Loewe [Leipziger Doktordissertation]. Norden, Druck von Diedr. Soltau, ]«89. V u. 52 S. gr. 8. [zum gröfsten Teile Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. Jahrgang 1888 (XIV) S. U— 52].

Mount Eden: a Romance. By Floreuce Marrvat. In 2 Vols. Leipzig, Tauchnitz, 1890. 288 u. 287 S. kl. 8. M. ;'.,2(V

Bhnd Justice and 'Who, l)eing Dead, yet speaketh'. By Helen Mathers (Mrs. Henry Reeves). Leipzig, Tauchnitz, 1890. 288 S." M. l,tJO.

Die Hauptsachen aus der französischen Grammatik und Synonymik. Zum Gebrauch für Schüler zusammengestellt von Dr. A. Mohrbutter, ord. Lehrer an der Oberrealschule zu Oldenburg. Oldenburg u. Leipzig, Schulzesche Hofbuchhandlung (A. Schwartz) (o. J.) [Vorrede Nov. 1889 1. IV u. 59 S. kl. 8. M. 0,50.

Grundrifs der germanischen Philologie, herausgegeben von Hermann Paul, ord. Prof. der deutscheu Sprache u. Litteratur an der Universität Freiburg i. B. Stral'sburg, Trübner, 189o.

I. Band, -u Lieferung (Bogen ?.:> 10; V. Abschnitt : Sprachgeschichte [Forts.], i. Geschichte der nordischen Sprachen. Von A. Noreen [SchlufsJ. 5. Geschichte der deutschen Sprache. Von O. Behaghel. ti. Geschichte der niederländischen Sprache. Von J. tc Winkel [noch nicht vollendet]).

II. Band, 1. Abteilung, 2. Liefrg. (Bogen 9-](;; VIII. Abschnitt: Litteraturgeschichte I Forts.]. 2. Nordische IJttrraturcn |Schlurs|: a. nor-

2-iO VerzeichuiK von Biiclu-ni und Zoitschrifteu.

Avegisch-isläiidische. Von E. Mogk fRchlnfs]. 1). schwedisch-dänische. Von H. Schuck. :'.. Deutsche Litteratur: a. althocli- und niederdeutsche. Vou R. Köefol. 1). mittelhochdeutsche. \'on F. Vogt [noch nicht voll- endet]).

II. Band, 2. Abteilung, 2. Liefrg. (Bogen !•— KJ; XI. Abschnitt:

Recht. Von K. v. Amira [Schlufs]. XII. Abschnitt: Kriegswesen. Von

A. Schult/. XIII. Abschnitt: Sitte, 1. skandinavische Verhältni.sse.

Von F. Kalund. 2. Deutsch -englische Verhältnisse. Von A. Schultz

[nur der Anfang]).

Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache.

XVII. Heft (des zweiten Bandes achtes Heft). Bearbeitet von Fr. Staub,

L. Tobler, R. Schoch und H. Bruppacher. Frauenfeld, Huber,

189(1. 1169—1328. Sp. 4.

Das Archiv. Bibliographische Wochenschrift. Unter Mitwirkung vou Fachgelehrten herausgegeben von Julius Steinschneider. Berlin, O. Liebmaun, 1890. No. 1—1.

Das psychologische Rroblem in der Hamlet-Tragödie. Von Dr. Her- mann T ü r c k [Leipziger Doktordissertation]. I^eipzig - Reudnitz, Max Hoffmaun, 1890. 84 S. 8. ^

Phonetische Studien. Zeitschrift für wissenschaftliche und praktische Phonetik mit besonderer Rücksicht auf die Reform des Sprachunterrichts herausgegeben von Wilhelm Victor. III. Band, 1. Heft. Marburg i. H., Elwert, 1890. 12' » S. 8. [G. Karsten, Sprecheinheiten und deren Rolle in Lautwandel und Lautgesetz. W. Victor, Beiträge zur Statistik der Aussprache des Schriftdeutschen IV. W. S. Logeman, Darstellung des niederländischen Lautsystems I. W. Victor, Aus C. F. Hellwags Xach- lafs IL H. Hoffmann, Die Unterrichtsreform auf neusprachlichem Ge- biete vom Standpunkte eines Taubstummenlehrers. A. Kadler, Eine kurze Bemerkung über den grammatischen neusprachlichen Unterricht in der Prima. P. Passy und W. Sünninghausen, Gegenvorschläge zu Kuhns Lautschrift. Recensionen, Erwiderungen, Notizen].

Revue de l'Enseignement des Langues Vivantes. Directeur: A. AVol- fromm, Professeur au Lycee Louis-le-Grand. Paris. O ann^e, Decembre 1889, no. 18 & Janvier 1890, no. 11.

Steinhöwel und das Dekameron.

Eine syntaktische Untersuchung. (Schlufs.)

Der Versuch, auf syntaktischem Gebiete die Trennungslinieu zu gewinnen, die es ermöglichen, das deutsche Dekameron von den Werken Heinrich Steinhöwels loszulösen (Archiv LXXXIII, S. 167 ff.), hatte mitten in der Darstellung der Partikeln abgebrochen werden müssen und soll nunmehr zum Abschlüsse kommen. Wir stehen an der Partikel nun.

Nun scheint sich bei Steinhöwel keiner besonderen Beliebtheit zu erfreuen; die entgegengesetzte Neigung des Dekameron berechtigt uns daher, die einzelnen Gebrauchstypen dieser Partikel näher ins Auge zu fassen. Oben (I, S. 202) ^ haben wir beobachtet, dafs lat. nunc bei Steinhöwel dui'ch do wiedergegeben wird. Daneben hat nun auch in der Partikel iecx eine scharfe Konkun-enz zu bestehen, iecx vertritt die Gegenwart als absolute Zeitangabe, Avährend nun stets die Beziehungen nach vor- und rückwärts durchschimmern läfst: G. U. 107, 3 so mich nun die mynen zwingen ... so ist sie iecx uff' dem wege = iamque in via est gegen Äsop 43, 27 er hat durch synen list das hrot genomen, das ivir mit esxen mindern. Nu n gaut er ler (nunc); G. U. 109* uns ich dir nun vnd hin für allweg waisi ze tvillen werden. Die Entwickelungsfähigkeit, die sich aus diesen und ähnlichen Verwendungen heraus für unsere Partikel ergab, ist jedoch von Steinhöwel nur wenig ausgenützt worden. Wir finden sie allerdings einigemal an Stellen, wo die Darstellung den geraden Lauf unterbricht und Einwürfe, Einschiebsel aufnimmt: im Äsop in 42, 25 Nuon hat er doch . . . nie ain so ungestalten kör gel gekouffet

' I für den ersten Teil der Abhandlung (Archiv LXXXIII). Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV. IG

242 Stciiiliöwcl lind das Dolcameron.

(ßuon . .. Jicmd emerä); 49, 18 für igitur ; 03, 25 für enim ; in G. U. etwa lOo, 25 du kenst ivol ivin du liereyn in das husz homen bist ... Nun bist du mir Wir vnd lieh genuog / aher myncn edeln iiit (Milti quidem). Diese Belege sind jedoch, wie gesagt, spärlich; vor allem ven-aten sie nichts von der Neigung früherer und späterer Stilisten, Demonstrativformen als Träger des Zusammenhangs mit der Partikel nun hervorzuheben. Steinhöwel begnügt sich hier mit dem einfachen Pronomen, ob dieses nur den ruhigen Flufs der Darstellung begleitet (Äsop 57, 8 Durch die red ivard der herr schmollen =.His dictis u.a.), ob es ihn aus seiner Bahn lenkt (G. U. lOG, 1 Soll ich versucJien synes wybes teer dem strengsten eman gnuog gewesen.. Aber es synd ettlich = poterant . . . hec experimenta sufficere u. a.), oder in eine vorher verlassene Strömung wieder einführt (G. U. 101, 5 Gegen der iunkfrowen liesz der walther . . . syne ogen schiessen = In hanc rir- gunculam). Auch die so beliebte Anlehnung der Partikel an unter- ordnende Partikeln, welche das Satzgefüge eröffnen, ist bei Stein- höwel nur spärlich zu belegen. Wir finden sie hier einigemal an Stelle eines lat. itaque oder ergo, wobei in einem Belege (G. U. lOG, 24 Da nun zwelf iar ivaren verloffen t= Itaque cum iam) die Grund- bedeutung noch unverkennbar ist. Ähnlich G. U. 168/:?, 1 Do er nun hört das volk . . . komen {Audito ergo); 104, 2 wie wol nun die frow ... verstuond {itaque); 100, 20 (neben so für itaque quando). Ohne entsprechende Andeutung in lat. Texten erscheint diese Par- tikel nur zweimal: Äsop 42, 35 So ir aber nuon all arhaitend, so ist ouch == Ctcm vos omnes laboretis, ebenso G. U. 107, 1.

G. D. scheint sich schon für die zeitliche Verwendung unserer Partikel nicht an so grundsätzliche Normen zu binden, wie Stein- höwel. Es führt für relative Zeitangaben neben min auch iczund ein, wie das Dekameron an Stelle des Steinhöwelschen iecz durch- w^eg schreibt. So finden wir icxiind auch neben dem Präteritum, um auf dieser Zeitstufe Momente als gleichzeitig hervorzuheben : ' neben 660, 23 des der margraffe besunder freüde nu het = fece gran festa auch 663, 38 Der . . . des alwegen gewart het daz iczund der tochter zuo gestanden was = dl qnesfo caso aspet-

' Steinhöwel hat hier stets mm; nur einmal, im formelhaften Wechsel mit denn für modo ... modo ist auch iecx, zu belegen: G. U. 109/3, 13 daz sie ir lob allxyt selber vszsprach / ieo, drr ianlfmu-eu / denn des iünglings {meissim. modo . . . modo).

Steiuliöwel und das Dekameron. 243

tando, ebenso 664, 5*. Für die rein zeitliche Verwendung tritt an Stelle von mm im Dekameron gerne die ihm eigentümliche Kom- position nudalest ein: 666, 6 Es ist nudalest wol zeit das du [tempo c omai). Auch darin unterscheidet sich G, D. von dem Stile Steinhöwels, dafs es die Partikel noch unmittelbar Nebensätze unterordnen läfst (658, 30 Vnd nu die zeit Icomen ist euch zuo halten . . . Danimh gedencket =r= e perciö venuto e il tempo), während Steinhöwel mit der Partikel so vermittelt: Äsop 47, 36 und nnon, so es not ist, so Jcanst du nichtz sagen {nunc uhi). Dagegen liebt es auch G. D. nicht, Demonstrativformen an AVendepunkten der Dar- stellung mit nu hervorzuheben, auch G. D. stellt die Partikel an die Spitze des Satzes, verwendet sie aber hier gerne, namentlich an Stelle ital. Kopula: 658, 5 ei)i swere ding ist ein fraiven ze finden die sich gancze zuo ires manns . . . ivillen schicke . . . Nu mag es ye . . . ein sweres hertes dinge sein ivo ... czwey eleüte . . . vngeleich sein (e quanto del contrario sia grande); ebenso 664, 12 (e tu sai); ähnlich 658, 19 {Erano a Gualtieri).

so. Die Partikel so hat sich bei Steinhöwel im Gegensatze zu G. D. die gesteigerte Verwendungsfähigkeit erhalten, welche die nihd. Sprache auf der ursprünglich komparativen Grundlage entwickelt hatte. Einfache Beiordnung (Äsop 45, 9 Das wäre uns ungehört, sprach Xanthus, s o ist ouch tnyn ivyb so zart, das ir kain dienst von aim solchen knecht empfänglich wäre für atque; ebenso G. U. 99/?, 25 für que) wie das Verhältnis des Gegensatzes wird so in komparative Formen umgesetzt; vgl. Äsop 46, 14 Bas ist der kouff'er, so ist diser der verkouffer {ille vero) oder G. U. Iü9, 6 Ich wolle, dax die iunk- frow . . . lohlich werde empfangen ...so hob ich gebrust an frowen! die dar zuo dogenlich syend . . . dariimb (= tanicn) u. a. G. D. macht in entsprechenden Fällen von unserer Partikel keinen Gebrauch, ~ und auch die Verwendung im hypothetischen Gefüge, wo so bei Steinhöwel an der Spitze des nachgestellten Hauptsatzes nur selten fehlt (s. S. 258), ist in G. D. nicht Regel. Dagegen hat sich die Partikel dort noch als Bindemittel auch nach anderen Nebensätzen als hypothetischen erhalten. Einem Beleg aus Äsop wie 41, 18 imd darumb daz du

So auch noch Hütten; vgl. Werke IV, S. 190, 37. - Vgl. die Parallelstelle zu G. U. 109, G aus G. D. (664, 12) Nun tceistu wol das in meinem hausxe nyemant von frawenn pildc ist.

16*

244 Steiuhöwcl iiiid das Dekaineiou.

ain schalclchaflar sehwäcxer Inst, so will ich dich ye verkouffen {quia linguax nequam es, omnino le venwndari velim) treten aus G. D. zur ►Seite 658, 12 Doch seyfmale ir ... wollte, so will ich (e io voylio), 063, 13 (so sol es = e a me dee). Das Gleiche finden wir nach Absichtsätzen: neben Mul. 3, 11 Vnd daz wir vsx vil anderen ieren geschichten / aiiies nit . . . verhalten / s o sagt man (extollentes dicamus), ebenso 8/:?, 4 u. a. auch G. D. 658, 14 vnd damit ich weder über euch noch yemant anders liahe zuo klagen / dann . . . mich, s o ivill ich {io stesso ne voglio). Nach Zeitsätzen (vgl. Äsop 42, 15 Als er aber in das konfhusz gieng, s o senken zvai klaini knäblin, ebenso 46, 14 und auch hier neben histor. Präsens) ist für G. D. keine Parallele zu belegen, wohl aber für elliptische Konstruktionen, wo die Partikel vor Imperativen oder anderen Formen erregter Rede auf unterdrückte Gedankenverbindungen hinweist: Äsop 42, 37 sprach Esopus . . . ist onch nit ximlich, daz ich dem lierrn allain unnücz ge- senhen werde. Da sprachend sie . . . So nim, was du wilt (Quod vis, cape); G. D, 659, 36 so rvill ich dich für mein ... frawen Jmben (e io voglio).

Die Ausbreitung unserer Partikel als Bindemittel zwischen Par- tikeln jeglicher Art und dem entsprechenden Hauptsatze ist bei G. D. nicht mehr, bei Steinhöwel nur in seinen älteren Werken zu belegen : G. U. 99/?, 10 vnd nun so sol (et nunc); G. U. 103/j, 3 doch so wolt ich (enim uero); ebenso 105 /i, 8 [nunc etiam); Mul. 3, 22 {Gaterum); desgleichen 5, 16; vgl. Pforr 26, 26. G. U. 99 /i, 27* s und er so muosz iedernian sterben. —^ G. U. 103/i, 4 darumb so wil ich {volo autem); ebenso 109, 7 {i^roinde); 107, 14 darumb so sag ich.

also hat als verstärkte Form für so vorwiegend dessen kom- parative Funktionen übernommen. So tritt die Gradpartikel bei Steinhöwel, wie später bei Luther, nur noch in Anlehnung an nomi- nale Formen in der einfachen Form auf, während sie vor dem Verb der Verstärkung bedarf; vgl. Äsop 44, 18 als sie sachen Esopmn so ser lachen und in dem lachen die xend also enplccken {ita effuse ridere ac ridendo dentes aperte ostendere); 45, 29 darwnb hat er vor so innerlich gelachet {tarn largiter); einzige Ausnahme G. U. 109/?, 7 also zierlich {ita ut). G. D. dagegen verwendet die vollere Form also auch durchweg vor nominalen Formen: 663, 32 Damit sy ... nicht also schentlich . . . ausx seinem hausx ginge {cosl p'overamente);

Steiuhöwel uud das Dekauieron. 245

661, 29 (si duramente); 658, 3 ivie es also ein sicere ding ist (come dura); 661, 8 do die züchtig frawe den knecht ... mit also pösem angcsicht sache (vedendo il viso del famigliare).

Überaus reichlich verwendet Steinhöwel die Partikel neben Aus- sageverben zum Hinweis auf folgende direkte Rede. Doch da diese Verwendung nur in seinen früheren Schriften zu belegen ist, im Äsop aber nur noch in 63, 6 und gang morn in den raut und red also mit dem volk: Ir mann von Samia (hujusmodi), so ist auch auf die Abneigung von G. D. gegen diesen Gebrauch der Partikel (nur einmal in 660, 31 also sprah) weiter kein Gewicht zu legen.

In konjunktionaler Entwickelungsfähigkeit steht also hinter so beträchtlich zurück. Allerdings für satzeröiFnende lateinische Kom- parativformen tritt auch im Deutschen gerne also ein; vgl. G. U. 102, 5 Also fuort er sie vsz dem husx = Sic, ebenso 102/?, 29; 102 /i', 14 (in hunc modum), während bei Verschiebung der Satz- grenze die Partikel gern der Kopula zum Opfer fällt (G. U. 100/:/, 4 desx sie all willig enpfiengen v n d schieden von im :i^ edictum alacres suscep&i'e. Ita e colloquio discessum est). Manchmal werden um- ständliche lat. Verbindungen im Deutschen durch einfaches also er- setzt: Äsop 39, 5 Also ivurden die fygen alle von in geeszen (atque ita interloquendo) ; 54, 28 (für His dictis).

Das Gebiet, auf das sich also vom komparativen aus am reich- lichsten übertragen liefs, ist das logische. Hier bildete schon das lateinische itaque eine bequeme Brücke; vgl. G. U. 99, 34 Ei' tvas ... in allen dingen ühertreffenlich (für rnübertr.). Wann allain daz er ... nit gedacht vff kiinfftig guot zegewinnm. Also lag er ouch ob dem vogel ' lagen! . . . daz er vil syner sachsn da mit versomet (Itaque venatui aucupioque deditus); des weiteren tritt dann die Partikel für igitur ein ; vgl. Äsop 57, 9 Durch die red ivard der herr schmollen und schuo/f in ledig ze laszen. Also ging Esopus in das bad (igitur); ähnlich Äsop 40, 23, wo es mit igitur die kausale Bedeutung zu Gunsten rein konjunktioneller Funktion abstreift.

In G. D. überschreitet die Partikel das reiu komparative Ge- biet nicht.

als. Für Unterordnung von Vergleichsbestinmuuigen ist an der Partikel also die Apokope bei Steinhöwel durchgeführt, in G. D. könnte in 658, 31 Vnd nu die zeit komen ist euch zuo halten als ich geret hab, also ich auch von eudi unll gehabt haben. da\ ir viir

246 Steiuliöwel imd das Üekanierou.

haltet als ir mir vcrsi^rochen liabt . . . Dariiinh (e che io voglia) noch ein Rest nichtapokopierter Form vorliegen.

Im eigentlichen Vergleichssätze ist ah noch wenig durch wie eingeengt. Letzteres taucht erst im Äsop in schüchternen Anfängen auf, wir finden 5, 6 * umb . . . by dein text, ivie oben stat, xu helyhen; 54, 38 lüie vor {quo antea), ähnl. 55, 3; dann Asop 5, 35 wie sich der wur7n krümet ... also stat dem alten mangerlay ungemaclus zu und endlich Äsop 6, 1 9 * %e glycher wys ... 9fie ... also ebenso 49, 15 {quemadmodum . . . eodem modo). G. D. hält hier an als fest (vgl. 660, 6 in masse als sy schöne ivas also auch züchtig . . . was ■=■ cosi come . . . tantö). Zusammenstellung von als und wie, wie sie heute noch im Dialekte üblich ist, finden wir in Äsop 46, 5 du bist diser kouffmanschaß gar tmwiszend. Xanthus sjyrach: Als ivie? {Ecquid isla dicis), während die beiden Partikeln in G. D. 660, 3 getrennte Funktion erfüllen.

Für den Fall, dafs der verglichene Satzinhalt hypothetischer Natur ist, prägt sich diese bei Steinhöwel neben als stets in der Par- tikel ob aus: G. U. 103/?, 28 da geschwig er als ob er etivas ... ivölt verschwigen = quasi exprimens; genau so 105, 29; 109/?, 16, ebenso 110/?, 4 = vehit; 106, 26*; 109/?, 14*; im Äsop, wo hypothetischer Vergleichssatz überhaupt nur zweimal belegt ist, 53, 21 Er gebaret aber nit, als ob er es wiszte (idque nescire simulans); ebenso 67, 19 s. u. G. D. macht von dieser Partikel nur in 662, 33* (m masse als 0 b) Gebrauch, sonst zieht es die Inversion als Form des Konditional- satzes vor (660, 2 Nicht minder als wer Gresedia eins grossen fürsten . . . tochter geivesen r= non altramenü che se presa avesse, ebenso 664, 19 für co7ne se; 660, 4* und 664, 17*), während nach excipierendem dan als Vergleichspartikel ivie eintritt, dessen indefinite Grundbedeutung wohl nicht als Träger des hypothetischen Momentes anzusehen ist; vgl. 664, 22 Alle dise wort . . . nicht anders ivaren dann wie ir ein swert ir hercze durch ginge [fossero tutte coltella al cuor), ebenso das oben berührte als wie in 660, 3; vgl. Äsop 67, 19 nit anders, wann ob er syii aigen kind ... iväre [non secus ac si).

Die Übergriffe der Partikel als in das Zeitgebiet (I, S. 204) und in das kausale (S. 256) haben anderwärts ihre Erledigung gefunden.

Hier sei zunächst auf die Verwendung des Satzes mit als als einer beliebten Form, retardierende und treibende Momente der Haupthandlung einzuschieben, hingewiesen; vgl. G. U. 100, 20 So

►SteinhOwel uad das Dekamerou. 217

ich nun j als i'iv-cr wil ist ain wyb nemen so! / als ich ouch tuon ivil I vnd b/j guoteii früiven vnuerzogenlich iich das verJiaysz zetuon {Itaque qiiando vobis ita 'placitum ... id vobis bona fide polliceor), doch überwiegen bei Steiiiliöwel für diese Fälle die eigentlichen Relativformen (vgl. I, S. 183), während G. D. die komparative Form gerade gerne an Stelle des Relativsatzes verwendet: 659, 7 reiche Jdeynet als dann einer neuen preüte xuo gehört (e tutto cid che); 661, 25 Aber sich nicht bemiigen (sie!) Hesse als er der fraiven . . . gethon hette (non bastandogli quello che); ähnlich 658, 31 etcch zuo imlten als ich geret hab {la promessa), wozu G. U, vielleicht in 108, 27 so tuet er alsz getvonlich ist vnder dem adel stost sie vsz dem husz (more nobilium) ein Seitenstück liefert.

Die Entwiekelung der Partikel zur Umschreibung unbequemer lateinischer Annominativfügungen fördert keine durchgreifende Ver- schiedenheiten zu Tage. G. D. steht hier zwar natürlich quantitativ zurück, bietet jedoch für beides Belege, die denen bei Steinhöwel ent- sprechen. Ebenso verhält es sich mit der Partikel wie und der Form ivie ivol als üblicher Einleitung koncedierter Thatsachen,

d. Die Partikeln für bestimmte SatzverMltnisse.

' Die Pronominalpartikeln, die wir bis jetzt einzeln nach Grimd- bedeutung und Verwendungsmöglichkeit untersucht haben, boten uns zugleich Gelegenheit, die auf räumlicher, zeitlicher oder komparativer Grundlage entwickelten Satzbindemittel im allgemeinen zu erledigen. Nun bleiben aber noch Satzbindemittel übrig, die sich dieser Glie- derung nicht einfügen lassen; aul'serdem konnten bei den Pronominal- partikeln manche Verwendungen nur gestreift werden, welche vollere Beleuchtung erst im Zusammenhange mit den anderen Mitteln empfan- gen, die demselben Zwecke dienstbar geworden sind. Wenn wir somit für diese Erscheinungen als Ausgangspunkt der Untersuchung den ZAveck, dem die Form dient, ins Auge fassen, das Satzverhältnis, dessen Exponent sie ist, so mag diese Veränderung des Ausgangs- punktes dem Verfasser vielleicht als Mangel an Methode ausgelegt werden ; einsichtige Beurteiler werden jedoch anerkennen, dafs hier gerade die Methode; nicht in einer einfachen ei:iseitigen Anwendung eines Einleilungsgrundes, sondern in einer möglichst vielseitigen Er- schöpfung des Stoffes beruhen mul-s.

24S Hteinlii)\vcl und das Dekameron,

1) Äsyndetische Beiordnung.

Das einfachste Satz Verhältnis ist das der Beiordnung, das wir uns unter der arithmetischen Vorstellung der Addition verständ- lich zu machen pflegen. Die einfachste und natürlichste Form dieses Verhältnisses, die asyndetische Parataxe, wird von der Sprache der verschiedenen Vorlagen unserer beiden Stilisten nicht begünstigt, es ist daher von Interesse, bei Steinhöwel und G. D. die äsyndetische Parataxe eingehender Untersuchung zu unterwerfen. Im ruhigen Flusse der Darstellung folgen sich namentlich bei gemeinsamem Subjekte die Sätze in asyndetischer Form. Steinhöw'el kommt so zu Satzbildern, wie in Apoll. 87, 8 fT. wir 2> flogen kaines krieges, wir trinkemvasser , unsxre hiiser wachsen mit uns uf, ivir handkaincr- lai ivauffen, unser spisz ist weder flaisch brot noch win, wir liand weder stett noch merkt, wir eren kain ahgott, wir brennen in weder wiroch noch mirren, sunder eren wir got mit rainem gemuet u. a. Vgl. auch G. U. 101, 2 Sie lag vff herten betten! ^= durumque ciibi- culum sternebat u. a.

Eine besondere Rolle spielen sodann die Demonsferativformen als Träger der Asyndesis, nicht nur in den einzelnen Kasus der Pronomina, sondern auch in erstanden Partikelformen, wo die tempo- ralen den Löwenanteil davongetragen haben (s. I, S. 202 u. 203), worauf die komparativen folgen (S, 243), während die lokalen nur in G. D. etwas häufiger anknüpfen.

Auf einem anderen Momente, einer parallelen Wortstellung ent- sprechender Formen beruht wohl zu grofsem Teile die auffallend reichliche Asyndesis in G. D., auf die die Vorlage höchstens mittels der aufzulösenden absoluten Participien fördernd wirkte. Die ver- schiedenen Faktoren, die sich hier durcheinander mischten, lassen sich am besten entwiiTen, w^enn Avir ein grofses Satzgebäude in seine Teile zerlegen, wie etwa 661, 7 ff. do die züchtig frawe den knecht vernam vnd mit also pösem angesicht sacke sere erschracke, vnd on cxweyfel gelaubet im rvere als er saget, mind das kint zuo töten im, von den (sie!) m^argraffen befolhen wer, da% kint palde aus der wigen name halset vnd küsset im iren segen gäbe on vnuerkertes ange- sichte es dem knecht in sein hende gäbe, diemütiglichen ztio im sprach (La donna udendo le parole e vedendo il viso del famigliare e delle parole dette ricordandosi comprese che a costui fosse imposto

Stoinhöwel und das Dekamcrnn. 240

che cgli l'uecidesse; per che iirestamente p-esala della culla e hascia- tala e benedettala . . . senza mutar viso in bracdo la jjose al famigliarc e dissegli). Von den asyndetischen Fällen bietet 661, 10 daz kint palde aus der ivigen name einen der wenigen Belege, die bei fort- schreitender Handlung vor dem Objekte die Kopula entbehren, wir finden ähnliches sonst nur noch in 659, 29 im Wechsel mit Syndesis: Nach dem nackent ausziehen schuff'e vnd ir die reichen kleyde anlegen tJiet, ein gülden krönen auff ir hauht secxet, des sieh nyemant ver- wundern mocht (e ... la feee vesiire ... e sopra ... le fece mettere una cwona vgl. 8. 250 unter 659, 4); wobei zu beachten ist, dafs der asyn- detisch angeschlossene Satz sich hier auch auf einen Nebensatz stützen kann, mit dem zusammen er den beiden syndetisch verbundenen ein gewisses Gegengewicht bietet. Viel häufiger fehlt die Kopula vor Prä- positionalverbindungen, ^ wie 659, 27 Nach dem sy der marckgraffe pey ir hende nam ausz dem heiiszlein füret (la menö fiiori); ebenso 659, 38 Des er ir zuo der stunde einen guldin ringe anstiesse, auff zuo rosse seczst heym in den fürstlichen palast füret (E fattala . . . montare onorevolmente ...la si menö) ; ebenso bei Adverbien, wie schon 659, 38 (heym), aufserdem 659, 27 ausz dem heiiszlein füret gegen- wärtig aller menge sy mechlet vnd zuo der ee nam (e in p'esenzia). In allen diesen Belegen ist übrigens nicht nur das Subjekt, sondern auch das Objekt beiden Sätzen gemeinsam, vgl. auch 661, 11 daz kind palde aiis der uigen nam halset vnd küsset, wobei sich die Beobachtung aufdrängt, dafs synonyme Ausdrücke auch in solchen Fällen mittels der Kopula eine engere Verbindung eingehen (vgl, auch 659, 27 sy mechlet vnd zuo der ee nam =: sposo; 661, 6 Er schafft vnd gepeut das ■= Egli m'Jm comamlato u. a.).

Diese syndetisch angereihten Synonyma dienen dann leicht wieder als Stützpunkt für asyndetische Anreihungen (vgl. oben 661, 1 1 halset vnd küsset im Iren segen gäbe), während Momente, die die Handlung gleichmäfsig weiterführen, in der Fonn des Anschlusses Übereinstimmung lieben: vgl. 659, 17 Ber marckgrane abe von rosse sasse yd er man gepote nyemant sich verrüren sölte allein in das heuszlein ginge (smontato e comandato . . . solo se n'entro), genau so 661, 16 (für e fatto), sodann mit gemeinsamem Obliquus neben eben

' Vgl. auch G. 101, 1 vnd huetet ouch der icenigen schauff ierc^ raf- ters ... an den haingang samelt sie krüter (vicissimqiie domum rediens).

250 8tciiiliü\V('l und das Dekaiuerou.

solchem Subj. 601, 11. 12 (s. o. im iren segen gäbe sprach), ebenso

658, 15, 26. Hieraus erklärt sich auch die Kopula in 659, 4 Nach- dem sy alle hereyten ein köstlich hochxsit . . . vnd er alle seine freunde dar zuo lüde, v n d vil herlicher reicher kleyder . . . schneyden Hesse (e) ; denn, nachdem einmal der zweite Satz mit der Kopula angeschlossen Avar, weil er ein neues Subjekt einführte (vgl. G. U. 100, 4 daz du ... nit ahgangest on lyh erben! vnd dyn volk belyb = tu . . . abeas . . . ipsi . . . remaneant u. a.), war auch für den dritten Satz die An- schlufsform gegeben, der er nur bei ungleichartigem Inhalt widersti-ebt hätte. Aufserdem ist ja bei vorgestelltem Objekt die asyndetische Anreihung nicht beliebt (S. 249), viel häufiger sind persönliche Da- tive in ähnlicher Weise als satzeröffnend belegt, so in dem oben er- wähnten 661, 11, dann in 658, 23 nicht weiter suchet im gancx für- name {costei propose); 058, 26 (e disse loro); 659, 33 (e ... le disse);

659, 15 (chiamatala . .. domandö); 658, 24 mit im der sache eins warde (con lui si convenne) u, a.; ebenso 661, 16 tcege ginge dem margraffen .. . zuo ivissen thet, ähnl. 659, 17 (S. 249).

•■ ' Die in dem oben angeführten Belege aus G. D. auftretenden Bindepartikeln lassen sich alle daraus erklären, dafs die verbim- denen Sätze inhaltlich enger sich zusammenschliefsen und sich damit von den anderen gemeinsam abheben. So weisen z. B. 661, 8 sere erschracke vnd on czweyfel gelaubet oder ebenda do die züchtig frawe den knecht vernam vnd mit also pösem angesicht sache je ein Paar von Verbalthätigkeiten auf, die den anderen Momenten der Haupt- handlung als ein gleichzeitiges gegenübertreten. Ähnlich mag auch in 661, 6 das ich euer iunge . . . tochter nem die weg trag vnd ab der tvelt dilge (che io p^-etida ... e) der Zusammenhang der beiden letzten Sätze vom Redenden enger gefühlt sein, als er in der Wirk- lichkeit ist, was auch zum Teil wohl damit zusammenhängt, dafs die Gedankenentwickelung in ihrem Beginne die einzelnen Momente mehr auseinanderzuhalten, gegen den Schlufs hin sie enger zusammen- zufassen liebt, ein Umstand, der sicher auch auf unser heutiges Schema (Polyasyndesis mit schliefsender Syndesis) fördernd einwirkte. Steinhöwel zieht für diese Form noch die Polysyndesis vor: G, U. 101, 32 begegnet ir der ivalther mit synem, volk / vnd nennet sie by ierem na.men / vnd tvard sie fragen [eanique compellans nomine . .. rogauit); ebenso Äsop 42, 11 u. a.

Während somit der Gedankengang, der in Synonyma sich aus-

8teinliöwel imd das Dckameron. 251

einanderlegt, die Kopula bevorzugt, pflegen Sätze, die eine allgemeine Andeutung im besonderen ausführen, unverbunden sich anzuschlie- fsen, so G. U. 108, 27 so tuot er alsz gewonlich ist vnder dem adel stost sie vsz dem Imsz [vt . . . more nobilium superbus abiceret) oder in positiver Ausführung negativer Andeutung G. D. 658, 22 nicht weiter suchet i m gmicz fürname {senza piü avanti cercare costei 2wo- pose s. S, 250), ebenso 661, 25 (non bastandogli . . . con maggiore puntura trafisse), während die Paralleldarstellung eines Gedankens in negativer und daran anschliefsend in positiver Form sich durchweg des erstarrten Adverbs sunder (vgl. S. 253) zu bedienen pflegt, s. G. U. 29 ß, 26 vnd ist nieman begäbet für in sunder so muosx iederman . . . sterben (nulli iimnunitas datur eque omnibus moriendum est), ebenso Äsop 43, 27; G. D. 657, 31 Des er nicht dest weyser gehalten was, s u nder seine arme leüte des grossen mimut hetten {di che egli era da reputar molto savio. La quäl cosa a'suoi uomini non piacendo). '

Von jener asyndetischen Parataxe, die sonst so gerne in leb- hafter Rede (nach Imperativformen u. ähnl.) logische Beziehungen verschleiert, finden wir bei Steinhöwel wenig. Belegen wie Äsop 75, 23 Nuon tryb die esel, sie iverdent dich selber in die stat filren (nam), wo die Bindefähigkeit des Pronominalsubjekts mitspielt, und Äsop 41, 17 Nu>on bist du in mainem.gewalt, der herr hautt dich mir aigen ergeben stehen andere gegenüber, wie G. U. 103 /i, 24 verwyse mir nit das ich ... muos volbringen! wann nach dyner wyszhait waist du {Scis sapientissime) oder Äsop 41, 36 som mich nit an dem goun, ivann du magst kainen nucz an mir erliolen für quippc u. a. Da- gegen unterwirft sich Steinhöwel nicht gern dem Zwange der latei-

' Dafs auch die Partikelu, mit denen der lat. Stilist die einzelnen Momente der Darstellung begleitet, im Deutschen nicht innner beachtet werden, wurde schon unter do u. a. hervorgehoben, dort auch schon der Einflufs berührt, den der Wechsel der Wortstellung hierbei ausübt (s. I, S. 203). Hier sei noch hervorgehoben, dafs dem aul'ser (mic auch lat. At gerne zum Opfer fällt: vgl. Äsop 88, 37 Antivnrt er {Ät Hie inquit); 44, 16; 44, 31. 32; ebenso Äsop 40, 36 {Sprach der herr); 41,2 u. a.; des- gleichen Äsop 41, 35 Der knufl')tiaii sprach {At mercator inquit); 42,7.20; 43,15 u.a. So auch Et: Äsop 11,1 Anficiirt Zenas {Et Zenas); 41, 7 u.a. Nur Personen, die länger nicht genannt waren, werden mit einer auf die Situation hinweisenden Demonstrativpartikel eingeführt: Äsop 38, 35 Da sprach syn gesell, ähnl. 10, 11 {aro); 42, ;)3 (.1/); 43, 2 {AO; 42, 34 {Ef) u. a.

252 Stcinhinvcl luirl das Dokamcn»).

rischen hypotaktischen Fügungen (s. unter Kausalpartikeln) und hoi solcher parataktischer Auflösung mufs die lat. Partikel manchmal ganz auf eine Vertretung im deutschen »Satze verzichten: G. U. 106/?, 26 Nun sich ich an dir die warJmit! dax alles zergenklicJi ist {Nunc quoniam video).

2) Die Bindepartikeln für Beiordnung.

In den Mulieres begegnen in Anlehnung an lat. prceterea oder cceieruni noch viel häufiger Formen wie Vher das (Mul. 3, 29 = jnvc- terea; 8/y, 7 = insuper u. a.) mcr {Mul. 6/?, 20 Mer sagen sie wie = Huic preterea, ähnl, 3/9, 12; 7, 28; Och mer Iß, 11 [et\ aber me 7, 31* Noch mer so S ß, 28 [Gaterum]), sonst herrscht bei Steinhöwel die den lateinischen Formen et, que etc. entsprechende Partikel und vor, über deren Abgrenzung von der Asyndesis bereits ausführlich gehandelt wurde. Gelegentlich tritt die Kopula auch für lateinische Adversativformen ein, sofern letztere weniger einen Gegensatz als den Fortschi-itt der HandWtag hervorheben, vgl. G. U. 99/?, 31 enpfach da% gehet dines Volkes ... vnd enpfilh vns dir ze suochcn {Querende autem coniugis Studium nohis linque), während in Äsop 39, 2 so würt er geschlagen, vnd iverden ivir unsern tust mit den fygen erfüllen {nos vero), ähnl. 41, 12 (mit Asyndesis), der auf dem Sub- jektwechsel beruhende Gegensatz unterdrückt wurde. Neue Satz- gefüge eröffnet Steinhöwel nicht gerne mit der Kopula, am ehesten noch, wenn sie mit einem Nebensatz beginnen (Mul. 8/?, 3 Vnd daz söllichs . . . gelouht werden onöchte für Gui; Äsop 39, 21 Und so- bald im die gegeben rvard für exnide), wobei er aber nicht entfernt an Pforr reicht, der vor jeder ähnlichen Zeitpartikel die Kopula auf- Aveist (s. Pforr 7, 22; 8, 9. 12; 11, 9. 26; 12, 12. 14. 18. 32; 13, 5. 22; 14, 7. 25. 27. 34; 15, 29. 35 u. a.).

Die Beiordnung ungleichwertiger Teile, wie z. B. unvollständiger Sätze, konnte ich nur in G. D. 658, 2 des ich %e thon gar kleinen tvillen habe, vnd das darumb wann ich bedenck {considerando) belegen.

In G. D. wurde durch die Kopula auch einmal ein finales Mo- ment unterdrückt: 658, 36 gedencket das wir ein fröliche hochzeit machen vnd ir sy mit freüden enp fangen müget, vnd ich eüers ver- sprechen müge frölich . . . leben {acciocche). Hierher gehört auch das oben (I, S. 199) besprochene Anakoluth.

Steiuhüwel und das Dekauierou. 253

atich. Die Partikel, für die der lateinische Stil am wenigsten in Rechnung kommt, ist sowohl bei Steinhöwel als in G, D, beliebt. Schon rein adverbial, Verhältnisse der Artgleichheit hervorhebend, läfst sie sich in beiderlei Schriften belegen : Äsop 39, 27 daz er syne dargebe)' och also hiesz {pari modo); G. D. 664, 5* Also auch icximd thet u. a.

Als Satzbindemittel schmiegt sich auch bei Steinhöwel gern an Personalpronomina an; auch hier kommt seine Grundbedeutung, die Hervorhebung des Gleichartigen, zur Geltung. Letzteres beruht hier in den für beide Sätze gemeinsamen Personen, vgl. G. U. 100/?, 4 imd schieden von im. Er enpfalch ouch (et ipse), ganz ähnlich 108/?, 11 ; ebenso Mul. 3, 21; ähnl. Äsop 41, 11 er redt über menschlich Wolt- er gibt mir ouch Scheltwort {mihi quideyrv contumeliosa dicit). G. D. dagegen bevorzugt die satzeröffnende Partikel, die mehr in der Verbal- thätigkeit oder deren Bestimmungen das Gleichartige sucht: 659, 24 Doch von erste von ir verneme^i ivölte ... ob ... auch vil mere ander sach an sy begeret {e simili altre cose assai), ebenso 660, 12 (e simil- mente), 665, 28; ähnlich 662, 11 Auch sein arme leüte nicht anders gelaubten {I sudditi suoi), desgleichen 665, 13. Diesen letzteren Be- legen hat Steinhöwel höchstens G. U. 103, 3 Och was die flissig brüt nit allain sorgfeltig in wyplichen sachen . . . sunder in dem ab- wesen des mannes versach sie alle empiter {Neque vero), ähnlich Mul. 7/?, 11 (s. S. 252) Och mer für et entgegenzusetzen, wähi-end in Äsop 41, 12 er schtnächet dich mit tvorlen ouch alle gött und göttin, das doch ain . . . übel ist, scJdltet er {te vero ae deos, man vergleiche die Stellung der Partikel in Vorlage und Übersetzung als bedeutsam für die beiderseitigen religiösen Anschauungen) durch das Über- raschende, das in der Gleichartigkeit der Momente liegt, eine Steige- rung erzielt wird.

3) Adversativpartikeln.

Für das Adversativverhältnis kommen zunächst zwei Partikeln in Betracht, deren Trennungslinien vor allem bei dem Gegensatze von Position und Negation zu Tage treten, sunder, i das an nega- tive Formen die positive Fassung anzuknüpfen pflegt (zu G. D. vgl.

Die adverbiale Grundbedeutung unserer Partikel ist in G. D. 660, 28 Des sy alle ser übel acdiuIc ircrcn, sunder se/jtnude sg secJieii (= spexial- wciifc) noch rein erhalten.

254 Steiuhöwel und das Dekamerou.

S. 251), erleidet bei Steinhöwel Konkurrenz durch über: Äsop 41, 5 Nain herr, derer kains ; aber unser sclialckhafter knechf Esopiia Jtaitt angefangen . . . %iio reden (sed). AVeniger auffallend ist Äsop 40, 15 Ich kann nit süsxenlichen geschlaffen, aber mir hat ain über schöner träum getraumet (sed), weil sich hier beide Sätze nicht als negative und positive Fassung eines Gedankeninhaltes gegenüberstehen, viel- mehr deutlich an das Konzessivverhältnis anklingen.

aber * ist bei G. D. mit entschiedener Abneigung behandelt, während Steinhöwel für die ganze Entwickelungsreihe unserer Par- tikel eine Fülle von Belegen aufzuweisen hat. Besonders gern teilweise in Anlehnung an lat. autem reihen sich so die einzelnen Momente einer Darstellung unter adversativem Gesichtspunkte an, vgl. G. U. 101, 16 imd was nieman den desx nit nmnderte. Er Hesz aber die wyl machen giddin ring {Ipse interim) u. a. In G. D. kommt hier mehr die zeitliche Folge der einzelnen Momente zum Ausdruck, wobei sich nur zweimal hinter das beliebte nachdem (s. I, S. 205) die Adversativpartikel einschiebt: 661, 21 Nachdem aber nicht lange verging Die von neuem> . . . s wanger wurde, ebenso 660, 28. Der Sub- jektwechsel wird nur einmal adversativ markiert: 662, 4 Die gute frawe aber gedult het (La donna con paziente animö) gegen 665, 16 u. a. Eine ausgesprochene Vorliebe für unsere Partikel zeigt nun Steinhöwel in den Fällen, für die wir bei ihm das zeitliche nun ver- mifst hatten (S. 242), nämlich in Anlehnung an Nebensatzpartikeln, die neue Satzgefüge eröiFnen. Einmal nur tritt sie hier entsprechend einem Sed cum selbst an die Spitze des Satzes in Äsop 39, 29 Aber als der mag von der iverme des ivaszers wart entschicket, da schütet er die fygen mit dem tvaszer usz im, während sonst auch vorgestelltes sed die Stellung von aber nicht zu ändern vermag: Äsop 40, 24 Als aber der bunmaister (sie) wider uff' den acker kam {Sed cum), ebenso G. U. 100/5, 9. Ähnlich tritt es in anderen Belegen für lat. igitur ein, vgl. Äsop 39, 1 So sich aber Esopus von trägi wegen syner Zungen nit kan versprechen, so würt er geschlagen, desgl. 39, 6. 11 u. a. ; in anderen erscheint es ohne jede Vorlage im lat. Text; vgl. hingegen aus G. D. 659, 14 vnd do sy der marckgraffe ersacJie ir rüffet [La quäle come Gualtieri vide).

1 In der adverbialen Grundbedeutung bei beiden Stilisten belegt (vgl. G. D. 662, 1).

SteinhÖwel uud das Dekamerou. 255

Dafür hat G. D. zahlreiche Belege für einschränkenden Gegen- satz aufzuweisen, wofür aus Steinhöwel nur Äsop 41, 24* er fiinde all da kain pfärd ... aber er het ivol ain aignen knecht hierher- gehört, dagegen aus G. D. 658, 9* das gib ich euch %uo aber an euch ein grosse torheit ist also zuo gelauben; C59, 35* ]i.er ich 2>in geschicket %e tlion euer gefallen ; Ab er ich imwirdige . . . ziio der götlichenn ee uicht ivirdig j^Jm; G61, 24 Des der niarck- graffe von gancxem herczenn froe was; Aber sich nicht bemügen liesse (ma).

Die letzten Belege haben sich als Eingriffe unserer Partikel in das Gebiet der Partikel doc h charakterisiert, die im Grunde nur als Demonstrativ auf das thatsächlich Gegebene der Situation hinweist und so auch bei Steinhöwel, nicht aber in G. D., noch gern in be- wegter Rede Bedürfnissen des deutschen Stils Rechnung trägt, die der lateinische weniger empfindet, vgl. Äsop 4,0, 16 Ni^n wavj ich kan doch reden (Ecce); bei Imperativen als Exponent der Energie; vgl. Äsop 45, 23 Sag doch u. a. ; in Kausalsätzen ohne und neben der Partikel (Äsop 42, 13 tvann ich rcaisz doch wol = Nam certe scio, ähnl. 42, 25 Nuon hat er doch u. a.). Adversative Bedeutung ge- winnt diese Partikel in Belegen wie Äsop 40, 29 richtest du uns mit dinen schlegen an ursach in den tod und würckest doch du selber nichtz {nihil ipse opere faciens), wobei die gesteigerte Betonung sich meist auch durch Voranstellung der Partikel äuTsert. Äsop 40, 29 Das ist dain hertikait über uns, doch wil ich dar zuo tuon (videre), ähnl, G. U. 101 ß, 3 und noch deutlicher einschränkend Äsop 45, 31 Das stat zu, dir, nieman zwingt dich, doch ist es dir ze sinn, so zi'tch die riemen und zel das gelt, mehr noch G. U. 104, 13 hob s&rg des zarten lyblins ... doch, so ferr als es vnserm herren nit wider sye {ita tarnen) u. a., ebenso G. D. für wa^ G59, 21. 658, 12; 660, 23. 661, 13 Nym hin das unschuldig plute ... Doch pitte ich dieJi {nia) u. a. Von hier aus führt auch die Brücke in das Konzessivgefüge, in welchem die Partikel nicht mehr als Einleitung des Nebensatzes belegt ist ; vgl. neben G. U. 1 00, 1 0 dem willen myncr vndertan icil ich mich macJien . . . vnderwürfßg ... DocJi die sorg . . . wil ich selber han {Illam vobis curam . . , remitto) solche wie G. U. 99/*;?, 24 wie

1 Für ma hat G. D. auch einigemal Altfr eintreten lassen, vgl. oben CGI, 24, aufserdem 663, 34; 665, 10.

256 öteiuhüwcl und das Dekameron.

wol du bist in hlüender zyl / docJi luiifulich . . . still dir dax alter [continue tarnen) u. a.

oder wird noch nicht mit einer anderen Partikel in Korrelation gesetzt (bei Pforr eiinnal mit sich selbst 26, 9 oder . . . oder). Die excipierende Verwendung der Partikel läfst sich nur in G. U. 110, 4 belegen, hier in Anlehnung an lat. aut: du rnöchtest mit Icainer in ruo und in sün Jtan gelebt / oder aber mit diser belibst du in selig- kait (cum nulla unquam aut cum Jiac). Dem deutschen Stil würde hier eher für den ersten als für den zweiten Satz die excipierende Einkleidung nahe liegen; vgl. Paul, Mhd. Grammatik ^ § 349.

4) Die Kausalpartikeln. Die parataktische Tendenz des deutschen Stils kommt mit be- sonderem Nachdruck auf dem Kausalgebiete zur Geltung. Steinhöwel bringt das Verhältnis von Grund und Folge mit Vorliebe im konse- kutiven Hauptsatze zum Ausdruck und scheint hieran auch wenig durch seine Vorlage gehindert zu werden, wenigstens steht in G. U. den Belegen für igitur (vgl. 103//, 8 du bist vnszer herr! vnd ich vnd die Main tochter syen dyn aigen! darumb leb mit dynem aigen guot als dii will = tue sumus, de rebus igitur facito, ebenso 99/j, 29;

107, 14) und ergo (G. U. 105, 15; 106, 5), resp. proinde (109, 7) nur

108, 9 für quamobrem und 110, 9 gegenüber (wan sie ist jünger . . . darumb für nam qiiod).

Wo dem Vorhergehenden Momente entnommen werden, die eine Aussage begründen oder stützen können, ordnet sie auch Steinhöwel gern unter, und zwar meist mit so (S. 260); vgl. G. U. 100, 20 So ich nun ... ain wyb nemen sol {Itaque quando); G. U. 107, 1 (cum), ebenso Äsop 42, 35; Äsop 45, 25 So dise %wen myn gesellen sagen, sy künnent alle ding, so haben sie (quoniam) u. a. Seltener dafs auch Momente, die im Zusammenhange noch nicht erwähnt waren, als Erfahrungsthatsachen in diese Form gekleidet werden, wie in Äsop 39, 1 So sich aber Esopus von trägi ivegen . . . nit kan versprechen, so würt er geschlagen (Esopus cum . . . nequierit). Aul'ser von der Partikel so macht von den Formen, die vorhergehende und spätere Zeiten dem Kausalverhältnisse dienstbar gemacht hatten, der begründende Satz bei Steinhöwel wenig Gebrauch; die wyl ist bei ihm noch rein zeitlich (G. U. 109, 14 vnd sol . . . nümer treg oder müd werden I die tvyl die sei in mir ist = dum), nur aJs spielt

Steiuhöwel imd das Dekamerou. 257

manckmal vom Zeitgebiet herüber in Belegen wie Äsop 39, 15 uml als er von unscliicldihaitt syner ximgen sich nicht verantunirten kundt. betrachtet er in im die sachen (cum), ebenso G. U. 106/?, 6 (ut).

Aufserdem gliedert Steinhöwel begründende Momente gern als Substantivsätze an, einmal mit instrumentalem damit dax, in Asop 71, 31 hat ... Licuro schaden gethan, damit dax sy im ain ... iMmpffhanen . . . hat erivürget {Nam), sonst mit timb dax ^ (G. TT. 101 ß, 4 ward ich allweg . . . selige . . . geliaissen / vm,h dax ich ains solchen mans . . . gemahel bin gewesen = que viri talis vxor fuerim, s. I, S. 182; ebenso Äsop 44, 3 für quia) oder darumb dax (G. U. 109, 23 sprachen der ivalther het wol . . . getoechsclt ! darumb das die . . . edler were = quod, desgl. Äsop 46, 6; ebenso 41, 18 = quia).

Alle anderen begründenden Sätze setzt Steinhöwel mit dem oben beBprochenen ivan parataktisch dem begründeten nach. Die Zahl solcher Sätze ist bei Steinhöwel eine sehr ausgedehnte, Avir zählten (I, S. 209) auf den ersten vier Seiten des Äsop 10 Belege und können aus G. U. ca. 20 beibringen. Meist lehnt sich unsere Form an lat. enim an, vgl. G. U. 99 ß, 32 enpfilh vns dir xesuochen ainen gemahel / loan wir wellen dir aine schaffest (talem enim), ebenso 99^, 22; 103/y, 9; 105, 12; 106, 11 u. a. Mul. 1, 27 u. a.; einige- mal tritt sie für nam ein in G. U. 106, 17 het syne kind lassen xuo dem tod bringen I wann man sach der kind nit, ebenso 110, 9; in G. IT. 105, 16 für nempe; quippe scheint der lateinische Text von G. U. nicht zu lieben, aber vgl. Äsop 41, 36 tvan für quipjje u. a. Nicht gar so häufig tritt die Partikel ohne Anlehnung an lateinische Vorlage auf, so für Relativsatz G. U. 101/?, 15 (s. I, S. 182) und sonstwie (104, 2*; 109, 10 u. a.).

G. D. führt zimächst in den Fällen, in denen Steinhöwel mit so unterordnet, das alte seytmale ein, das bei Steinhöwel nicht zu belegen ist: 65.S, 12 Doch seytmale ir mich mit disen keten pinde wollte, so will ich (poiche); 663, 12 Seytmale nu euer gefallen ist euch mir tvider xe nemen; so sol es (Piacevi); aufserdem auch an Stelle sonstiger Unterordnung 660, 28 Des sy alle ser übel zemute weren, sunder seyt male (vgl. darumb dax bei Steinhöwel) sy sechen dax sy kinder trüg = poiche.

darumb (ital. perciö) benutzt auch G. D. als An knüpf ungsmitt^l

' Einmal neben Interjektion einfaches dax,, s. I, S. 182. Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV. 17

258 Steinhöwel und das Dekameron.

an begründende Haujitsätze, doch zieht hier die AVortetellung unsere Aufmerksamkeit auf sich. Während aus G58, 34 Darumb gedeiicket das (percid) Schlüsse überhaupt nicht gezogen werden können, scheint die Partikel sonst teilweise ganz ohne Einflufs auf die Wortstellung zu sein (666, 15 Darumb mein syn ist dir . . . %uo gehen [intendo]; 664, 25* dariimh mit mir schafft rnd gejuetet; 664, 14), teilweise Inversion hervorzurufen : 663, 2 Darumb ist mein syn das dii (per- cid); 664, 16 Darumb gib Ordnung (perciö), genau so 666, 17, wäh- rend in 663, 10* dann mir ivol ingedenck ist dax ich nackent %uo euch kom; darumb ir mir nicht schuldig seyt zuo geben, ebenso in 661, 31 darumb l-cJi besorg (di che) wohl Nebensätze vorliegen.

Neben darumb verwendet G. D. auch r7nb des willen. Wir finden es in 662, 10* E)' kette gesprocJien die kinde nit ire hitide geivesen weren, vmb des loillen sy ir klein acht hett; 663, 38 iüx perclu'.

An Stelle von loann hat G. D., wie I, S. 207 schon bemerkt wurde, bereits dann eingeführt. Die Zahl der Belege ist jedoch ver- hältnismäfsig klein, 9 im ganzen. Allerdings hat auch der italienische Text nur dreimal entsprechende Form {che, perehe, pm'cioche) ; zwei- mal bietet er Komparativformen (660, 33 ; 664, 22, s. I, S. 207), sonst einfache Asyndesis.

5) Die Konditionalpartikeln.

Weder Steinhöwel noch G. D. bedürfen durchaus der Partikeln, um Kouditionalverhältnisse zum Ausdruck zu bringen, beide bedienen sich reichlich der aus der Mannigfaltigkeit der deutschen Wortstel- lung entwickelten Inversionsform, in der freilich die Partikel so be- reits ein fast unentbehrliches Mittelglied geworden ist.

Allerdings läfst sich die auf jussiver Grundlage ruhende Inver- sion auch in Steinhöwels Vorlage nachweisen, Äsop 58, 36 Kere myn widertail die anderen ivaszer . . . so ivill ich {avertat . . . et egö) ; Äsop 38, 35 Laust du mich mit dir eszen, so gib ich {Uiia teeum numducare me velis, viam dabo), aber die ganze Form hat Steinhöwel doch weniger der Vorlage als vielmehr der alten Tradition entnom- men, das beweist schon die durchgängige Verwendung der Partikel so (vgl. S. 243), 1 die bereits der eigentliche Träger des hypothetischen

' Ohne die Partikel so knüpfen nur einige Sätze mit Pronominal- subjekt an, in G. U. : 105, 20 wilt du dax ich sterh ich stirb mit irillen {rolens moriar), desgl. Äsop 4^, 36. G. U. 105/9, 14 hei er nit ... ge-

Steinhöwel und das Dekameron. 259

Momentes geworden ist, während die invertierte Verbalform nur die verschiedenen Nuancen andeutet, in denen die Realität des bedin- genden Satzinhaltes das Interesse des Redenden fesselt. Jussiver Art sind hier Belege wie Äsop 43, 33 Für sie in die stat Satmim, so magst du {Si ... deferas . . . venumdäbis) ; optativer solche wie G. U. 105, 16 wisset ich vor liin dijnen .. . ivillen! so wölt ich (si), ähnl. Äsop 57, 1 schow, oh vil menschen in dem bad syen; ivann wäre nit ml darinn, so wölt ich (si ... sit) und mehr konzessiv G. U. 102, 2 vnd tuost ouch nümer nichcx (vnd hiessest mich in den tod gan) das mir schwer werde = etsi . . . iusseris, während viele andere Belege sich leicht auf direkte Fragen zurückführen lassen : G. U. 101/?, 30 aber ist es dyn will ...so ivill ich (si); ebenso Äsop 45, 31 (si) oder Äsop 44, 35 Witt du ain stinckendsr bock ge- Imisxen werden, so frag in (Si); 42, 12; ebenso 49, 4; 57, 19; end- lich Äsop 50, 11 Ist die linsen gesotten, so bring sie (si), ganz ähnlich 56, 16 (si).

Von diesen Grundlagen aus hat sich die invertierte Wortstellung ja schon frühzeitig zu einer blofsen Form ausgestaltet, die auch an- ders geartete Konditionalverhältnisse in sich aufnehmen konnte. Wir finden Belege hierfür in Äsop 63, 11 Wnrd ich dann etwas rauten, damit ich . . . gnuog tuon, so erlangst du eer und dank (si), ebenso das formelhafte Äsop 56, 32 Ist es das du dyn dienst fürbas wol dienest, so will ich (si), verhältnismäfsig mehr aus G. D. 661, 5 Dann ivill ich nicht sterben so musz ich (se io non voglio); ganz ähnlich ()61, 31 ; auch 658, 15 (se da voi non fia . . . onorata, voi proverete). Innere Gründe wirken auf die Form des Konditionalsatzes nur insofern ein, als Sätze, deren hypothetisches Moment nur im Zeit- punkte der Verwirklichung liegt, nicht leicht in Inversion treten (ein- zige Ausnahme: Äsop 52, 34 den fmt sy nit lieb, ivann würt sie in dem minsten von im gelecxet, so . . . lestert sy in = si) ; mehr Gewicht jedoch hat die Verbalform des Nebensatzes, insofern nur zusammen- gesetzte Formen gern invertieren * und aufserdem konjunktive nur in Optativ- oder Jussivfällen (s. oben) beliebt sind. Auch nach-

iciszt ... er IV er (suspicari possd); ebenso G. D. 662, 8 vnd icer nitt ge- nr.^rn das er . . . irestc . . . Er hefte (jcsj)roc//en {/ei arrebbe credutö); einmal mit Dativ Asop 47, 17.

» Vgl. S. 200 unter Asop 42, 7.

17*

260 Bteinhöwel und das Dekaineroii.

gesetzte Nebensätze invertieren nicht leicht (einzige Ausnahme: Asop 57, 19 das würdst dti mir bekennen, will du mich hören = quotl,

si me audis . . . fateberis).

ob. Der alte Exponent hypothetischer Momente zeigt sich hei Steinhöwel noch lange nicht so eingeschränkt, als kaum 50 Jahre später bei Luther oder gar als in dem wohl gleichzeitigen G. D., das die Partikel überhaupt nur einmal, und zwar in einem hypothetischen Vergleichssatze aufweist (s, S. 24G). Sie tritt vorwiegend in den Fällen ein, die die Realität des Nebensatzinhaltes, ohne sie zeitlich oder räumlich zu fixieren, einfach auf das hypothetische Gebiet ver- legen, ob nun dabei ein eigentliches Urteil des Redenden unterbleibt oder durch den Modus angedeutet wird; vgl. Äsop 42, 5 Ob du mich kaufest, es ivirt dir nit scJiaden (Si me merccdieris, nihil oherit), genau so 45, 34; ähnl. 63, 9 {si). Äsop 42, 1 irann oh ich di/-h erkouffte, so hiesz man mich (si ie e-mcrem ... apeUarcr), genau so G. IT. 100, 3; Äsop 46, 15 (quod si . . . denegat), und für lateinische Parataxe Asop 42, 1 Ob du in diner woyiung . . . tnuotwillige kinder heftest, so kouff mich (Non hohes . . . pueros . . . lasciventesve ? 7ne emas). Aufser sol- cher Verwendung bleibt unserer Partikel unbestritten die Einleitung- hypothetischer Konzessivsätze' (Äsop 63, 12 Ob ich aber nit gnuog- tuon würde, so bist du dannoeh schmachred vertragen rz; quod si non satisfecero, tu über ab infamia), während der Übergang auf das Ge- biet konzessiver Thatsachen bei Steinhöwel durch wie wol gehemmt scheint (s. S. 247).

so haben wir schon oben in hypothetischen Verwendungen be- trachtet, seiner vermittelnden Stellung neben invertierten Sätzen wurde unmittelbar vorher gedacht; fast ebenso ausnahmslos wie dort tritt es auch nach Konjiuiktionalsätzen ein, nur nicht nach denen mit ob. Wie andere Demonstrativpartikeln ist nun so auch in den Nebensatz selbst übergegangen, wo es jedoch in G. D. nicht zu be- legen ist: es weist auf die gegebene Situation mit leicht hypothetischer Färbung zurück und wird hier von Steinhöwel namentlich gern für kausales cum verwendet (S. 256). Als eigentliche Konditionalpar- tikel dient es mehr im nachgesetzten Nebensatze, wo wir es in Apoll. 86, 6 dann wirt üch Ällexander gi'mstig sin, so er sieht, ähnl. Äsop

Über hypothetische Vergleichssätze s. obeu S. 246.

Öteinhöwel und das Dekainerou. 261

C, 23 oder Mul. 10, 29 mainten sie / die ... sölte nach irem todc oiwh begird dar xuo hohen /so er ir geopffei't wurde finden.

wo hat sich, obwohl es eigentlich eine räumliche Unbestimmt- heit als den Träger des hypothetischen Momentes hervorhebt, gerade für Sätze eingebürgert, die die Realität der Verbalthätigkeit in Frage stellen: Äsop G5, 20 ica sie das tuond, so haust du Samios in dyner hend (quod si faeiunt), ebenso 67, 10; desgl. Äsop 47, 19 menglich wurde hinusz fliehen, iva man dich an sehe (ctim te viderenf); 67, 14. Hierfür sind auch aus G. D. drei Belege beizubringen, was bei der spärlichen Ajizahl der dort zu belegenden konjunktionalen Neben- sätze (sechsmal Konditionalpartikeln) bemerkenswert ist. 658, 6* Nu mag es ye nicht anders dann ein . . . hertes dinge sein ico ... exivey eleüte . . . einander vngeleich sein; 659, 21 (für togliendola, ähnlich wie Äsop 47, 19); 659, 32 tt7 0 s?/ mich anders für iren man haben wille (dove).

u-ann hebt zunächst zeitliche Unbestimmtheit als den Träger des hypothetischen Momentes hervor und tritt für entsprechendes lat. cmn ein: Äsop 41, 9 dax vil der menschen, ivann sy erzürnent, cor xorn nicht reden kündent, und wann der xorn erlischt, dax sie u. a. Nicht ohne Interesse ist, dafs G. U. im Gegensatze zu den Belegen für ivo aus G. D. sogar lat. vhi mit ivann übersetzt: 101/?, 23 wann das gesciticht / dax alsbald ivärt (vbi ... fuerit); 106, 3 wann sie angefahen die künden kain end machen (vbi).

In konjunktivische Belege kommt wann auf dem Wege über die optativischen, die es schon frühzeitig einleitet, wo Inversion un- thunlich war. Bemerkenswert ist der Wechsel von ob und wann in Äsop 45, 34 ff. Xanthus sprach ... ob ich dich kouffe, ivilt du nit hin weg louffen ? Antwurt Esopus . Wa n n ich das thucni wolle, ich ivürde dyns rautes nit pflegen (si te emero . . . Si id facere vellcm). G. D. verwendet die Partikel tvenn nur in rein zeitlicher Bedeutung, meist für absolute Participien: 664, 20 vnd wenn vnser hochzeit ein ende liatt so magst du [poi fatte le noxxe); ähnlich 664, 18*, auch 658, 2 [considerando).

Die Wortformen. 1. Die Nominalfonnen.

Der Genitiv in seinen wenigen Resten alter freier Verbindungen

und in seinen dem Lateinischen entlehnten Verwendungen ist schon

262 öteiuhüwel iiud das Dekamerou.

gelegentlich der Präpositionen (T, S. 18U) erledigt worden;' vom Dativ wurde ebendort erwähnt, dafs er keine der lateinischen Ablativ- konstruktionen mehr ohne Zuhilfenahme entsprechender Präpositionen ersetzen kann, Nora, und Acc. sind bei für und als zur Besprechung gekommen. Hier erübrigte noch, die reichliche Verwendung des per- sönlichen Dativs zu erwähnen, der auch gegen die lateinische Vor- lage immer wieder auf die Person hinweist, in deren Interessensphäre die Verbalthätigkeit liegt. Doch stimmt hierin auch G. D. mit Stein- höwel überein, vgl. Äsop 52, 24 Berüff mir ainer Esopum für ad me, genau so 39, 11; sodann Äsop 71, 31 da^i sy im ain ... kmnpff- hanen . . . hat erwürget = occidit . . . yallum, oder gar Äsop 50, 29 nam er itn ainen fuos% dem liafen = imum c pedibus traxit ex olla (mit doppeltem Dativ); ebenso G. D. 658, 32 ich Jmb tnir ein schöne iunckfrawen . . . funden (lo ho trovata).

Die im Dialekt später so stark verbreitete Verwendung des per- sönlichen Dativs 2 neben Possessivpron. scheint in Belegen aus G. D. vorbereitet, wie in 664, 22 dann wie ir ein swert ir hercze durch ginge (Come che queste parole fossero tutte coUella al ctior di Gri- selda). Nominaler Dativ ist hier noch nicht belegt.

2. Die Verbalformen, a) Die Tempora.

Die Bildung der Tempora und Genera beansprucht bei Stein- höwel durchweg die im Nhd. übliche Reihe von Hilfsverben. Wenn unter diesen die Entwickelung von sein und haben schon im Mhd. abgeschlossen scheint, so hat werden sein Gebiet erst um diese Zeit weiter ausgedehnt. Zur Bildung eines Futurum tritt es sogar gegen lat. Vorlage ein: Äsop 53, 24 Xanthus der natürlich maister ivirt morn ain wyb nemen (= ducit), auch erscheint es nunmehr neben Partikeln, die bisher eine feinere Unterscheidung der Zeitstufen eher hemmten als begünstigten, vgl. Apoll. 87, 1 so lang bisx, ain rö-

1 Als frei bestimmenden Genitiv werden wir Mul. 5/3, 1 sie ward geboren ainer gehurd mit dem iitpiter für eodem (vdita j^nrtu auffassen müssen, noch weiter geht hierin Apoll. SC, 5 ir sollend frölich sifxen mit geschribner sfimen min er namen lofh He Vau: dann icirtücli Allexamlcr günstig sin, so er eicere höbter mit diser geschrift gevieret sieht.

'■^ Grimm, Gr. IV, 351. Binz, Zur Syntax der Baselstädtischen IMund- art, Stuttgart 1888, § 99.

Steiuhöwel und das Dekameron. 263

mischer kiing ufferstan wirf; doch Apoll. 86, 34 darumh sie untz an die xuokunft des endcrist beschlossen sin müssen: dann Jcommen sie her ausz. Auch in abhängige Sätze dringt das Hilfsverb ein, obwohl der Futurbegriff hier schon durch den Zusammenhang ge- nügenden Ausdruck erhält: Äsop 40, 30 doch ivil ich dar xuo tuon, daz das myn herr wiszen werde [ui nota sit). Nur zu passiven Kon- struktionen, sofern sie mit iverden gebildet werden, tritt das Hilfs- verb noch nicht in doppelter Gestalt, wir finden vielmehr Apoll. 87, 3 der an siner stnrnen den namen Cristi in gold geschriben tragen ivirt : von dem werden sie gedämbt und erschlagen u, a., oder modale Hilfsverben.

Neben iverden sind natürlich für modale Färbungen des Futur- begrifFs noch immer modale Hilfsverben beliebt, so überwiegt für die

1. Person Sing, noch durchaus das Verb wollen, während für die

2. Person einmal mugen belegt ist: Äsop 43, 33 Für sie in die stat Samum, so ynagst du sy nach allem willen verkouffen (venumdabis); sollen tritt vor allem für passive * Konstruktionen ein: Äsop 39, 35 Welcher under ikh . . . understat ze veruntrüwen, desselben hut sol mit sölichem Ion . . . begäbet werden = erit ornatum.

Das Passiv wird durchweg mit werden ^ gebildet. Es läfst sich auch kein Bestreben mehr nachweisen, passiven Konstruktionen aus- zuweichen, denn, wenn auch hier und da lat. Passivkonstruktionen aufgelöst werden (vgl. Äsop 43, 22 daz sie in nicht erlcennen mochten [quod dinosci iam nequiebat], Äsop 42, 1 so hiesz man mich für appellarer ; Äsop 41, 23 Sprach Zenas zuo im, er fiinde all da kain pfürd [reperiri non posse\, ganz ähnlich G. U. 106/:^, 13), so stehen diesen wieder Übertragungen in das Passiv gegenüber, wie Äsop 39, 5 Also wurden die fygen alle von in geeszen = ita interloquendo ßcus omnes comederunt, ganz ähnlich 43, 19. In beiden Arten von Belegen ist das Entscheidende viel weniger eine Abncigimg gegen das eine oder andere Genus als vielmehr ein feines Gefühl des deut- schen Übersetzers für das handelnde Subjekt.

' Aber auch sonst, vgl. G. D. 058, 8 nie wol er mir eine gcbetm ■iiieii/d, die mir liehe)i nid gefallen sol (piacerä).

■^ Nur in G. D. noch Belege wie 663, 21 Dilncket eueh dan da\ der leijhe der von eueh kinde enpfangen ... hat vor aller meng »aekeiif \e hause gen gesechen sy (sia . . . reduto).

264 ■StciuhiJWfl uud das Dckameron.

Das Präteritum von werden neben dem Infinitiv (d. h. der ah- geschlifFenen Participialform), das Pforr, Wyle und G. D. nur im Konjunktiv und für hypothetische Fälle verwende«, ist bei Steinhöwel auch im Indikativ sehr beliebt, und zwar erscheinen, Avie auch sonst bei ihm Participium Präsentis und Infinitiv formell sich berühren (Asop 53, 27 scliryen und raffend lief sie), einigemal noch un- verkürzte Participialformen neben dem Verb: Asop 74, 12 ward .sie schryend und klagen; G. U. 108/?, 14 Der graf ... ward naii.end = jrropinquabat. Sonst verwendet Steinhöwel die abgeschliffene, dem Infinitiv assimilierte Form, deren Participialcharakter aber noch in Belegen wie G. U. 103, 12 darumh das volk fr öl ich ward imd begirliclt erbieten der zyt der geburd (subdito.s anxia expectationc suspendit) durchbricht.

Steinhöwel macht von solchen Zusammensetzungen auch für die einfache Erzählung Gebrauch, doch lassen noch eine Anzahl von Belegen die Grundbedeutung hervortreten, die auf den Beginn einer Thätigkeit den Hauptnachdruck legt: wir finden G. U. 106, 13 Es ward . . . uffstan = Ceperat crebrescere, ähnlich Apoll. 89, 21 und ward tmeh im regnieren sin sun. So kleiden sich vor allem Verbal- thätigkeiten, die mehr als eine Zeiteinheit umspannen, in diese Form, vgl. Äsop 47, 4 Da das der frowen dienerin erJiorten, mainten sie, c.b- wäre war . . . und tourden under ainander hadern (contendere ceperunt). G. U. 1 1 0, 1 2 Do er die . . . ersach . . . do tvard in erbermd vmbfahen (miseratus) ; ^ Äsop 40, 26 Als aber der ... uff den acker kam, da ward^ er einen buwknecht gar Jmrt schlaehen (cederef); von geistigen Thätigkeiten gehören namentlich solche hierbei', die in eine sinnliche Äufserung ausmünden, vgl. aufser den beiden eben angeführten Be- legen in G. U. 110, 12; Apoll. 102, 24, in denen ein innerer Vor- gang in einem sinnlichen dargestellt wird, der sich selbst schon in mehrere Momente gliedert, einen Beleg wie Äsop 42, 16 die erschra- cken ser und wurdent .schryen und fliehen (territi vocifera/runt), dann bei lachen Äsop 44, 17 Do das Esopus höret, ward er ser lachen (risit), genau so 44, 33 ; ebenso 46, 1 6 *, auch bei fragen G. U. 101 /?, 1 ■nennet sie by ierem naynen / vnd ward sie fragen iva ir vatter were {i'ogauit)', Äsop 46, 11 desgleichen {querunt). Ähnlich scheint Stein- höwel auch Thätigkeiten aufzufassen, die sich ganz innerhalb des

Vgl. Apoll. 1()2, 2J tmd ward im sin J/opt sinken von (ruren.

Steinhöwcl imd das Dekameron. 265

Subjekts abspielen,^ vgl. Asop 40, 31 Do das der buivrnaister . . . er- höret, er ivard ser wundern von der red Esopi {adtniratus), so gedenken Apoll. 102, 22 u. a.

Die Formen für die Vergangenheit bieten sonst wenig des Be- merkenswerten. Steinhöwel beweist seine Selbständigkeit gegenüber der Vorlage auch durch seine Abneigung gegen das historische Prä- sens, das im lat. Texte sehr häufig begegnet. Wir finden Äsop 39, 4 In den ivylen, als sie der ding aines wurden, auszen sie die fygenn ... uml sprachen [dum ... manducant inter se inquiunf) u. a. Nur bei sprechen und sehen ist das Präsens vereinzelt auch in den deut- schen Text gedrungen, ohne sich jedoch im speciellen Falle immer gerade an die Vorlage anzulehnen: Äsop 46, 14 Die tvyl aber der ... und Xanthus . . . anlegten . . . so sj) r i e h t Esojms (emn . . . compo- nunt ... inquit), 55, 21 Uiid als er mangen an dem weg sach, %e letst sieht er ainen groben puren dort siezen und sprach zuo im {in- tuens), ebenso 42, 15 [so senhen zwai klaini knäblin Esopum = ut viderunt).

Einige trennende Momente gewinnen wir für unsere beiden Stilisten noch aus dem Wechsel zwischen einfachem Präteritum und Zusammensetzungen des Part. Prät. mit Formen von shi oder haben. Verbindungen mit dem Präsens dieser Verba werden bei Steinhöwel durchaus unter dem Gesichtspunkte einer in die Gegenwart als Zu- stand fortwirkenden Verbalthätigkeit eingeführt, vgl. Äsop 39, 9 da gieng er hin yn vnd haut on alle Vernunft die fygen alle geeszen = ingrediens manducamt u. a. In G. D. finden wir Schwankungen, die sich im Grunde nur aus der Vorlage erklären lassen, wobei für eine etwaige lateinische Vorlage die Konservierung der italienischen zu- sammengesetzten Formen durch den lat. Stil nichts Auffallendes böte. Da die Hauptsätze vorwiegend die treibenden Momente der Darstellung enthalten, finden wir hier sowohl in dem italienischen wie im deut- schen Texte nur selten eine zusammengesetzte Form ; die beiden Be- lege: wie 658, 32 dann ich ftab mir ein schöne iunckfraiven. ... funden {lo ho trovata); 659, 20 Ich pin komen (lo sono venuto) entsprechen

' Vielleicht wirkte hier wie dort jdas Bedürfnis mit, Vorder- und Nachsatz nach ihrem Umfang etwas auszugleichen, in diesem Falle also den Nachsatz etwas auszudehnen. '

266 Steinhüwcl und das Dckamerou.

durchaus der Grundbedeutung der gewählten Formen. Anders liegt die Sache in den Nebensätzen. Im Neben Satzgefüge wird von Verbal- thätigkeiten der Vergangenheit viel häufiger auch die Gegenwart zuständlich berührt und G. D. läfst dementsprechend hier gern zu- sammengesetzte Formen eintreten, so übereinstimmend mit der ital. Vorlage 658, 30 Vnd nu die zeit komen ist (venuto e), ganz ähnlich 659, 8;'G63, 20 daz der leybe der von euch Jcinde enp fangen vnd ge- tragen hat vor aller meng nackent ze hause gen gesechen sey {io ho poriati), ähnl. 658, 28; ebenso aber auch ohne Anlehnung an die ital, Vorlage, wobei jedoch nur zweimal italienischer und deutscher Text im Verb übereinstimmen (658, 29 vnd nachdem ir mdr versjyrochen Imht iÜY prometteste; 662,8 iixr faceva), in den anderen Fällen jedoch überhaupt eine durchgreifende Verschiedenheit zwischen beiden Texten walu'zunehmen ist, die eventuell schon einem lateinischen Bearbeiter angehört: 658, 31 als ich geret hob; 658, 32. 38. Daneben finden wir in der Rede der Griseldis von der Ehescheidung (S. 663) eine Reihe von ungewöhnlichen Verwendungen beider Formen, die jedes- mal mit dem ital. Texte übereinstimmen, was wohl nicht leicht ein Zufall sein kann: 663, 15 nennet hin eüern ringe mit dem ir mich mschlet (sposaste), ebenso 663, 18. 23. Und in derselben Weise werden wohl auch die Schwankungen in 663, 8 ff. zu erklären sein: das ich mein slehte nydere gepiirt stäcz wol erkant hob [io conohhi sempre) vnd das ich eüers adels vnwirdig ... was (non convenirsi) vmid die zeit die ich pey euch gewesen pin {che io stata sono con voi) ... euch mje mein sehaczet noch euch für mein hielte; Sunder euch mir als einen geleichen man geacht hat (ne mai come donatolmi, mio il feci, o tenni, 7na sempix ebbi come prestatom,i).

Das Präteritum von sm resp. haben als Vertreter des lat. Plus- quamperfekts ist bei Steinhöwel in die mit do eingeleiteten Zeitsätze noch nicht eingedrungen: vgl. Äsop 39, 8 da Esopus Jieut von acJcer kam (veniens), ebenso 41, 21 (cum obviasset); G. XJ. 106/?, 15 (cum pervenisset) u. a. Die einzige Ausnahme bietet G. U. 101, 20 vnd da der gesaczt tag komen was vnd nieman hört von keinem ge- mahel . . . ward das wonder vil vester [Instabat . . . dies . . . nemo no- uerat), wo jedoch die zusammengesetzte Form dazu dient, die Zeit- unterschiede in den beiden koordinierten Sätzen zum Ausdruck zu bringen. Einen präciseren Ausdruck für die relative Zeitstufe ihrer

Steiuhöwel luul das Dekameron. 267

Verbal thätigkeit verlangen dagegen die mit als eingeleiteten Sätze, weil hier das Zeitverhältnis nicht unter dem Gesichtspunkte einer losen Berührung, sondern unter dem vollkommener Gleichwertigkeit dargestellt wird. Wir finden Äsop 39, 11 Als er aber komen was sprach der Jierr {cum venissef), ebenso 39, 28 u. a., ja auch für Imperf. Äsop 40, 9 und als die grosz hicz des tages worden icax, leget er sich schlauffen {cum esset), desgl. 43, 20; ebenso für Particip 39, 6; 40, 14.

Die Fälle, in denen nach als die relative Zeitstufe nicht zur Geltung kommt, sind selten. Sie mögen sich teils aus Analogie- wirkung der Konstruktionen mit do erklären: vgl. Äsop 39, 31 Als der herr das ersah, keret er {sentiens)', 42, 23 sogar für inspecto, während in Passivkonstruktionen formelle Momente gegen das Plus- quampf. zu wirken scheinen; vgl. Äsop 43, 20 als sie %e morgen ketten geeszen und der korb gancz ler ward, fiirgieng Esopiis die andern {vacuo caniströ), wo zugleich das Verhältnis der beiden koordinierten Verba mitwirkte, dann Äsop 64, 31 Als aber dise brief in dem senat gelesen wurden, und menglich erschraken ivas ... dannocht was ir aller beschlusz {His litteris in senatu recitatis); G. U. 103, 16 {cum oblactata esset).

Auch hier ist G. D. im wesentlichen von seiner Vorlage ab- hängig, die wh- hierin dem italienischen Texte gleich ansetzen dürfen. Da es den Wechsel von do und als nicht kennt, wäre für seine Temporalsätze durchweg das einfache Präteritum anzusetzen. Dieses tritt auch stets für das absolute Particip des Präsens {udendo) ein (660, 30 Do die fraive des hern rede vername ... also sprah, genau so 661, 7; 663, 6; ähnl. 661, 35*), während für absolutes Particip des Präteritums das Plusquamperfekt einü-itt: 659,8 Do nun der tage die hochzeit zuo machen komen was, der marckgraffe ... zuo rosse sasz {yenuto il d>), genau so 664, 32, ähnl. (564, 7 {Come Gualtieri questo ebbe fatto).

b) Die Modi.

1) Der Imperativ wird von Steinhöwel viel und oft gegen lal. Konjunktivformen eingeführt; vgl. Äsop 42, 8 .so kovffmich {cmas); 42, 24 .so trag och nicht {nihil feras) u. a. Beibehalten wird der lat. Konj. nur in Grufsformeln, die ohnedies mehr an das Optative Ge- biet streifen. Hier tritt er auch für lat. Imperativ ein (Äsop 40, 36

268 SteiuhOwel und dai« Dekameron.

Herr, du syesl ser gegrüsxet =. plurirmim salve; 42, 22 iüi salveie). Andererseits uniechreibt Steinhöwel den Imperativ gern durch den Indikativ von Modalverben: wollen umschreibt zunächst den Jussiv der ersten Person : Asop 43, 4 wir ivöllens im wol (jünden -=. viorem sibi geramus, ebenso 44, 23. Für eigentlichen Imperativ bedarf es eines umschreibenden Satzes, um wollen im Nebensatze einfükren zu können, G. U. 100, 23 so ivil ich hcrwidernmb I das ir J mir ouch verlmissen vnd halten wellen = vnum vos mihi uersa vice promittitc ae seruate. Um so häufiger ist sollen zu belegen, namentlich an Stelle lateinischen Konjunktivs: Äsop 55, 28 Du soll nit in übel u/f- niemen {feras), ebenso 49, 25 du soll die krüier vmb sus haben (habeas), desgl. 46, 27; doch auch für Imperativ 69, 3 Sun du solt mynen worten . . . uffmerken (attendito), 69, 7 (und so noch zehnmal auf S. 69). 42, 27 Ir sollen truren (gemite) als einziger Beleg der Umschreibung beim Plural der 2. Person, müssen finden wir in Asop 42, 28 darumb miisxen ir ... tailen (dividite); ähnl. 49, 33 Hut miesxen ir linsen mit mir eszen (prandebitis). laszen lehnt sich zunächst an lat. jubere an, so in Äsop 47, 8 Lausz in zuo uns kommefi (lube) u. a. in Imperativform, in der es (Äsop 39, 1 1 Bald laszen mir Esojmni berüffen r=: Quispiam ad me evocet) auch lateinischen Jussiv umschreibt, während die Indikativform in Äso]) 38, 35 Laust du mich mit dir eszen, so gib ich {Una tecum man- ducare me velis) für den Optativ von velle einti-itt.

G. D. läfst einem Imperativ der Vorlage stets auch deutschen entsprechen, nur in eingeschobenen Formeln finden \Wr Umschrei- bungen, so sollen in 662, 36* du solt wissen,^ genau so 663, 8*; 664,10*; aufserdem das bei Steinhöwel nicht belegte werden: 661,4* frawe ir wert gedult haben. Dann will ich nicht sterben so niusz i^-h {madonne, se io non voglio), ähnl. 664, 14*.

2) Der Konjunktiv Präsentis. Die 3. Person des Konj. Präs. ist im einfachen Satze nur ganz spärlich belegt. Willensäufserungen wenden sich vorwiegend an die 2. Person, und, wo sie nach einer dritten Person zielen, wird meist mit Indikativ des Hilfsverbs sollen operiert: Äsop 53, 31 die wyl ich leb, so sol mir kain ander wyb über den tür schwellen komen (intrabit); 49, 33 ^vann under fründeu

' Vgl. Asop 68, 14 darumb so icisx.

Steinhöwel imd das Dekamerou. 269

sol man nit die kostharkait der traclitcn . . . ansenken (spectanda est); ähnl. G. D. 663, IS so sol es auch mir lieben vnd mein gefallen sein {e a nie dee piacere). Konj. ist hier im ganzen Leben Äsops nur 58, 36 Kere myn undertail die andern icasr^er ...so ivill ich [avertat) und genau so in 59, 15 belegt, die beide kaum mehr dem einfachen Satze zuzurechnen sind, aufserdem mehr konzessiv in 66, 27 Sie syerul ahgelasxen (Remittanfur). Aus G. D. ist gar kein solcher Konj. zu belegen, denn 661, 37 nit bekümer euch mein, wenn auch for- mell unpersönlich konstruiert, ist doch persönlich gedacht und somit zu den Imperativen zu rechnen. Optative Momente werden im Konj. Prät. dargestellt, der Konj. Präs. ist hier mehr noch in Formeln er- halten, wie in G. D. 665, 34 gott gebe eitch gelücke, wofür aus Asop kein Beleg zu erbringen ist. Potential tritt der Konj. Präs. nur noch im zusammengesetzten Satze auf, s. S. 271.

Dort wirkt neben den eben schon besprochenen Faktoren auch noch der Zusammenhang zu Gunsten des Konjunktivs. Allerdings ist gerade die letztere Wirkung in unserer Periode schon bedeutend eingeschränkt, andererseits aber erhält sie speciell aus der lateinischen Vorlage nach anderer Richtung hin wieder neue Nahrung. Das Er- gebnis dieses Gegenstreits der verschiedenen Strömungen darf, wenn es auch nicht in jedem einzelnen Falle zur Lösung unserer Aufgabe beiträgt^ doch vielleicht Interesse beanspruchen.

Die Indikativtendenx beruht schon auf dem mit jedem Zeit- abschnitt fortschreitenden Verfall der Flexionsfornien, der für unsere Schriftsteller bereits in der Mehrzahl der Formen die Unt.erschiede zwischen Indikativ und Konjunktiv verwischt zeigt, ein Umstand, der naturgemäfs der häufiger verwendeten Form auf Unkosten der selteneren zu statten kam. So zeigt sich zwar der Einflufs des Impe- rativs oder entsprechenden Konj. auf untergeordnete Relativsätze u. a. in Belegen wie Äsop 53, 34 kouff, wax liepliche sye^ (sit),

' Man könnte Wer an indefinite Konzession denken. Doch ist gerade für diese der Indikativ am breitesten durchgedrungen. Der Konjunktiv hält sich hier fast nur in Formeln wie G. 658, 15 scy ner sie wolle (cui che), 659, 1 {Josse chi vol esse). Ersatz durch Indikativ von ntugen ist ebenfalls selten: G. U. 103,5, 14 vnd ist mich (dies das »mit tinm mag iniufliclier xe beschenlien {(ni/nia prius fieri passiinf). Dagegen nun G. I^. 105, 15 in allen sachen uns du irilt da\ iril ich auch (quicquid tu eis);

270 Steinhöwel und diis Dekaiiierou.

Apoll. 95, 34 ob du leben wällest, so sa/j mir, genau so 104, 21; aber Sätze, die das indefinite Moment schon durch die Wahl des Verbums oder der Pronominalform zum Ausdruck bringen, erscheinen im Indikativ: Äsop 41, 14 tuo mit im ivaz du tviltt [quod vis); genau so 42, 37; G. U. 103/^, 9 leb ... als du ivilt {sicut Übet); Äsop 49, 29 koch sie so bald, du magst (quam potes). Allerdings dürfte hier auch der lateinischen Vorlage einiger Einflufs einzuräumen sein.

Eine Willensthätigkeit kann nun auch, ohne im Imperativ oder entsprechenden Konjunktiv zum Ausdruck zu kommen, aus dem Hauptsatze in den Nebensatz herüberwirken. Von dieser Wirkung werden zunächst Relativsätze und Substantivsätze ergi'ifFen. Kon- ditionale Nebensätze entziehen sich in unserer Periode zumeist sol- cher Wirkung, eine Ausnahme bildet G. U. 108, 9 dar rmb ob es dir ain gefallen sye ... so bit ich (si tibi placet), wo der Konjunktiv der Willensbethätigung eine höflichere Prägung verleiht. Von Relativ- sätzen gehört hierher G. D. 658, 4 ein swere ding ist ein frawen ze, finden die sich gancze zuo ii'es manns . . . willen schicke (cht .. . si convenga) gegenüber G. U. 99/?, 32 wir ivellen dir aine schaffen . . . die dyn ivirdig ist (que te merito digna sit); ebenso G. U. 100, 5 daz . . . nit . . . dyn volk belyb on ain hobt dar zuo sie begird hand {sine votiuo rectore). Die Substantivsätze weisen unter dem Einflufs eines Willens oder Wunsch verbs noch durchweg den Konjunktiv auf, s. S. 271.

Ein Nebensatzinhalt kann durch den Zusammenhang auch der Unwirklichkeit, Irrealität genähert oder ganz in diese übergefühlt wer- den, was meist durch Negation im Hauptsatze oder durch entsprechende Verben vor Substantivsätzen geschieht. Auch hier hat die Indikativ- tendenz verhältnismäfsig wenig Raum gewonnen. * Anders in Neben- sätzen, deren Inhalt an und für sich keine reale Existenz hat und

(so wohl auch in G. U. 100, 24 weihe ich erwele [qnamcitnque delegero], genau so G. D. 658, 29) und ebenso auch G. U. 99/^, 23 wie wol du bist in blüender iK/yt = qua.mqtiam florida sis etate. Um so auffallender Apoll. 101, 9 w&r sieh tvöl tväsciien und salben . . . dem wirt gewartet scJion.

' Nur die Darstellung in präteritaler Zeitform begünstigt hier den Indikativ, vgl. G. U. 110/5, 20 dax nietnan icas dem sgiie ugeii nit nasx wurden. Aber G. U. 103/?, 15 vml ist och alles das man tuon maxi müg- licher %e besclienhen iran dax der myn teilt milg rerwandt'lt werden (amnia prius fieri possunt quam hie anitnus mutari).

Steinhöwel uud das Dekameron. 271

die in den Zusammenhang nur eingeschoben werden, um Begriffe zu umschreiben, Vergleiche zu ermöglichen u. a. In der alten Sprache tritt die nur relative Realität dieser Sätze in ihrer grofsen Empfäng- lichkeit für Konjunktiv zu Tage; die neueren Sprachperioden be- günstigen den Indikativ. Wir finden allerdings noch Belege wie G. U. 101/?, 14 Ich soll nichtz ... wellen wem das dir gefeilig sye = nisi quod placitum tibi sit, wo auch an Einflufs der Vorlage, an Übertragung des Konjunktivs nach Willensverben oder nach Negation gedacht werden kann. Aber auch Mul. 5, 19 so mügen icir has er- zelen ivas ir von grossem gelück zuo gestanden ist tvan dehainerlay iverck . . . das der gedechtnüs wirdig sye (memorabilem dictu) gehört wohl hierher, da für indefinite Konzession der Konjunktiv sonst nicht beliebt ist; vgl. S. 269, Anm.

Dagegen hält sich der Konjunktiv fester in Nebensätzen, die einem konjunktivischen Substantivsatze untergeordnet werden, ohne eigentlich in dessen Modalsphäre eingetreten zu sein: G. D. 661, 31 ich besm-g ivölle ich aiiders mit in mit fride sten ich müsse (se io non ci vorrö esser cacciato); ebenso G. U. 101/5, 27 vnd ivas ich mit dir schaffen ivölle dax mir daz zime (quidquid ... roluero), 101/?, 7 vnd main / was mir ge fellig sye j duz das oiich wellest (queeunque mihi placeant).

Die Konjunktivtendenz macht sich, vom lateinischen Text aus gefördert, nach der potentialen Seite hin bemerklich und wirkt vorwiegend auf den Substantivsatz ein. Vielleicht ist hieraus der Konjunktiv in G. U. 99/9, 28 vnd alsz gewisz ist daz er käme / so vngewisz ist die stund syner zuokunft zu erklären, jedenfalls ge- hören hierher die indefinit anknüpfenden Sätze, die fast ausnahmslos den Konjunktiv aufweisen: Äsop 45, 21 Das frag ich auch nit, sonder beger ich von dir, an welchem end du geboren syest (sis natus); 45, 23; 51, 16 u. a.; genau so Apoll. 95, 1 so wil ich dir sagen . .. ivas ich ivölle; 104, 17; 108, 32; gegen Äsop 63, 10 Der ivi/rt üch bedüten waz das wondcrwerk des adlers uff im tregt {significst) und G. D. 658, 3 ich bedenek tvie es also ein sivere ding ist (sia). Sonst halten hier nur Thatsachen der Vergangenheit am Indikativ fest: Äsop 45, 22 Myn tnuter hat mir nye gesagt in welcher kamer sie mich gebar (peperit) u. u., während Momente, die in präteritaler Darstellung die Gegenwart repräsentieren, an der Konjunktivform

272 Bteiuhöwel und das Uekameron.

festhalten, da ihre Realität nur eine relative i&t: Äsop 4G, 12 als sie von dem kouff horten sagen / wurden sie kluoglich fragen, welcher der houffer oder verJcouffer wäre (quis esset), ebenso Apoll. 88, 30; G. U. 109/^, 8 daz alle gest über ivwruler natnen / wannen die herlichen Sitten . . . vnder so ainem schnöden geu-and verborgen lägen (vnde). Hierher gehört auch G. U. 109, 24 sprachen / der ivaWier het irol . . . gewechselt! darumb daz die nüive spons i lilnger rml edler ivere, Avährend der Konjunktiv in Sätzen wie G. U. 108/?, 9 iSVe was .. i in grosser gedult vnd demuot! etlich tag.' das nie kain mensch kain zaichen . . . von ir s e h e (Ita ut) entschiedener Latinismus ist.

3) Der Konjunktiv Präteriti hat zunächst für das Präteritum diejenigen Funktionen übernommen, die dem Konj. Präs. für letzteres Tempus zukommen, zugleich aber ist er als Exponent rein modaler Verhältnisse auch losgelöst von seiner temporalen EigensclTaft zu betrachten, und hier sind es Optative und hypothetische Fassungen der Verbalthätigkeit, die in Frage kommen. Die letzteren lassen sieh im einfachen Satze nicht leicht belegen, höchstens in der Form, die Wünschen und Behauptungen ein milderes Gepräge verleiht, vgl. G. U. 109, 1 Ich walte ... da% (Cujno); G. U. 110, 10 darumb {als ich main) so möcht sie es nit erlyden = quantum ego auguror non valeret. Häufiger dient jedoch zur Milderung der Behauptung das Hilfsverb mugen im Indikativ: G. D. 658, 5 Nu mag es ye nicht anders dann ein sweres hertes dinge sein (considerando . . . come dura .. . sia), namentlich auch für Fragen (Äsop 44, 21 Was mag er gesenhen han [Quid vidii]), denen der Konj. Prät. einen durchaus hypothetischen Charakter aufprägt: Äsop 42, 7 Waur inn möchtest du mir gut syn (prodesse quires). Das Hypothetische ist überhaupt das eigentliche Element des Konj. Prät., das vor allem im Kon- ditionalgefüge zum Ausdruck kommt, während es in sonstigen Neben- sätzen nur selten (vgl. G. U. 107, 1 so kenn ich ouch duz mir nit zimlich ist das ainem iglichen akermayi zeme =: licet), im einfachen Hauptsatze überhaupt nur in Äsop 43, 7 zu belegen ist: Der ist nit trag zu der arbait ... er trüge den esel zu der bürdin (portaret). Für ausgesprochene Irrealität, sofern sie nicht im Konditionalgefüge hypothetische Färbung gewinnt, ist der Konj. Prät. noch nicht durch- gedrungen ; wir finden aufser den oben berührten Belegen solche wie G. U. 9 9 /?, 1 2 so sol myn stimm / den . . . willen des volkes dinen

SteinhÖwel uud das Dekanieron. 273

oren fürbringen nit I äarumb dax, ich ... sye mer ivan die andern (non quod singulare aliquid haheam). Auch im Konditionalgefüge selbst ist noch nicht durchweg der Parallelismus der !Modi festgelegt, sofern er nicht innerlich begründet ist. Vor allem in konzessiven und exceptionellen Gefügen stehen die einzelnen Glieder sich sehr selbständig gegenüber, vgl. Mul. 3 /?, 2 Doch so synd dise ding . . . lohlich . . . ivann sie nit mit ainer vnsiibern lyhs wolnust von ir ver- malget iveren {CcBterwn hcec omnia . . . laudabilia . . . unä ohscoena mulier fcedauit illecehra).

Dagegen ist das Präteritum in allen Aussagen zur Regel ge- worden, die einem Präteritum untergeordnet sind: Asop 41, 23 Sprach Zenas xuo im, er fünde all da kain pfärd, 57, 13 u, a, G. U. 109, 22 die sprachen / der walther het ivol vnd ivyszlich gewechselt (permutasse), ebenso G. D. 660, 15 7iicht sprachen . . . wie der niarckgraffe so vnweiszlich gethon hette; Sunder sprachen er pasz imd weisxlicher dann kein 7nan gethon hette (che egli era il piü savio) u. a.

4) Modalpartikeln und Modalverben. Partikeln und adverbiale Bestimmungen, die dem Indikativ die apodiktische Schärfe beneh- men, sind bei SteinhÖwel nur sehr sparsam verwendet, vgl. Äsop 42, 9 tvann oun zivyfel sy werden mich fürchten = quippe reformidabimt, oder Apoll. 108, 2 dar durch er den klingen ivol %e glichend ist. Aus G. D. lassen sich hier trotz des beschränkten Umfanges mehr Belege entnehmen. Zunächst erscheinen die fraglichen Formen in ihrer eigentlichen advei-vialen Funktion: G66, 3 das Uriseyda on czweyfel gelauhet {die ella fertnamente credeva) oder 660, 35 der marckgraff . . . wol erkante (conoscendo), genau so 663, 8 u. a. ; den Übergang zu modaler Venvendung mag schon 664, 12 Ntm weistu wol {e tu sai) oder 658, 10 Dann vater vnd muter mügee ir ivol kennen aber irer kinder nichtt [conciö sia cosa che) darbieten, voll- ständig modal jedenfalls ist die Partikel in G65, 25 den nuirckgraffenn nun wol genug dauchl (^pareva pienamente aver veduto) und 666, 23 Ich mich des w o l rümen mage {credendomi poter dar vanto). Auch Optative und jussive Partikeln sind bei SteinhÖwel selten und treten nur als Verstärkung zum Konjunktiv hinzu, G. D. dagegen zeigt sie auch beim Indikativ : 663, 21 so ivill ich aber gern also nackent von euch gen (io me n'andrö ignuda).

Aielüv f. n. Sprachen. LXXXIV. 18

274 Steinhöwcl und das Dekameron.

Interessanter ist das Verhältnis der Modalverben zur entsprechen- den Vorlage: tvollen dient schon in eigentlicher Verbalfunktion dazu, die verschiedensten lateinischen Korabinationen zu vertreten, vgl. G. IT. 100, 12 die ir vff üch nemen wollen für ojfertis ; 100, 13 wil ich selber hau {ipse subeo); 100, 10 aber dem willen myner vmlertan wil ich mich machen begirlich vnderwüi-fflg (me sponte subiciö) u. a.; ebenso G. D. 658, 12 Doch seytmale ir mich mit disen keten pinde ivöllte {vi piace), ähnl. G. D. 659, 32 (intendo che). Modal tritt wollen zunächst zur Umschreibung des Futurums in der 1. Person ein (S. 263), sodann in Substantivsätzen, wo es nach Verbis dos Begelirens die Willensregung kräftig hervorhebt: G. U. 100, 24 teil ich das ir j mir ouch verhaissen ... tv eilen ... da% ir die ... wellen verogen han [promittite . . . vt . . . prosequamini) ; Mul. 4 /?, 1 1 begereten von dem küng atalo ... das er inen ain bild opis ... senden wölte [simu- lacrum eins expetitum precibus est); ebenso G. U. 99 ß, 22 das ist daz du dich vermelielst ... vnd daz du das schier tuon iceliest (idque quam primum fatias).

sollen dient seltener zum Ersatz anderweitiger Konstruktionen (G. D. 659, 6 die sein weyb sein sölte = la quäle aveva proposto dl sposare), meist erfährt es modale Verwendung (S. 2 03). Im Substantiv- satze vermag es dem schon im regierenden Verb enthaltenen Willens- moment einen erneuten parallelen Ausdruck zu verleihen (vgl. Asop 45, 4 es ist ain gesaczt in unser stat, das niemant kain aigen mensch so tiir s 0 1 kouffen =z ea lege cautum aptul nos est, quod . . . non po- test), ähnlich hebt es in anderen Sätzen finale Momente hervor (G. D. 657, 35 erputen im eine . . . zuo finden die von solchem vater ... soll geporn sein = di sl fatto padre . . . discesa), sein Hauptgebiet ist jedoch das Konditionalgefüge im Hauptsatze, avo es die aus der Prämisse hypothetisch gezogenen Folgerungen als Forderungen der Moral oder des Verstandes einführt.

mugen hebt sich von kiinnen wenig mehr in seiner ursprüng- lichen Grundbedeutung ab, die kürzlich von Krahl, Ztschr. f. d. Ph. 22, 1 fF., eingehend und treffend entwickelt worden ist. Wir finden wohl Äsop 39, 1 So sich aber Esopus von trägi ivegen syner zungen nit kan versprechen gegen 41, 36 du magst kainen nucz an mir er- holen, daneben aber finden wir Belege von mugen in Präteritalformen, die den Eindruck machen, als ob gegen das Präteritum von kan Ab- neigung bestünde (einziger Beleg Äsop 39, 16 und als er ... sich nicht

Steiühöwel und das Dekameron. 275

verankmrten kundt). Wir finden Äsop 43, 22 furgieng Esopus die andern ...so vil, das sie in nicht erkennen mochten {quod dinosci iam nequiebat); 39, 20 und so vil er herusz bringen mocht begeret er {ut potuit). In modaler Verwendung tritt nur rnugen ein, es mil- dert die apodiktische Schärfe des Indikativs (G. D. 658, 5 Nu mag es ye ... ein sweres hertes dinge sein [considerando . . . come dura vita sia quella]), verleiht im Konj. Prät. dem Potentialis eine noch hypo- thetischere Fassung, weshalb es hauptsächlich in Fragen und Kon- ditionalprämissen beliebt ist, aufserdem bringt es optative Momente zum Ausdruck, nicht nur im eigentlichen Absichtssatze (Mul. 8 /?, 4 * Und daz söllichs / völiclicher gcloubt werden möchte j so Imbend sie erdichtet), sondern auch in anderen Sätzen (G. D. 657, 35 die von solchem vater vnd muter sölt geporn sein das man ir grosse hoffnung haben möchte = che buona speranza se ne potrebbe aver). In allen diesen Beziehungen zeichnet sich Steinhöwel durch sparsame Ver- wendung des Modalverbs vor anderen Schriftstellern aus, während G. D. hier so ziemlich seiner Vorlage zu folgen scheint.

c) Infinitiv und Participium.

Beide sind im lateinischen Stile eine Reihe von Verbindungen eingegangen, die in der deutschen Sprache künstliche und meist wenig lebensfähige Gebilde erzeugten. Am reichsten hat sich das Gerundium in der Dativform mit Zuhilfenahme der Präposition zi entwickelt, das in unseren Texten fast durchweg in der abgeschliiFe- nen Form eines unflektierten Infinitivs erscheint und daher mit dem Infinitiv behandelt werden soll.

1) Der Infinitiv.

Die eben besprochene Form lehnt sich an lat. ad mit Gerun- divum an in Äsop 43, 14 Qib deneio ze eszen ::= ad tnatiducan- dum, ebenso 50, 27; 65, 35; G. U. 101, 29; an sonstiges Gerun- divum G. U. 100, 12 die sorg . . . mir ain gemachel ze suochen = querende curam coniugis, an Supinum in Äsop 49, 5 so ist es mir lycht ze tuond = factu (diese Form ist sonst nur noch in Apoll. 108, 2 tvol ze glichend belegt), während es in Äsop 38, 25 sendet er in yn das göu, das feld zebuwen (pro fossore) für finale Prä- positionalverbindung und in Äsop 48, 25 wann ich hob dich koufl

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276 Steinhöwc'l und das Dekanierou.

%e dienen, nit %e haderv. {te emi, ut servias) für lat. Finalsatz eintritt u. a.

Auch neben dem Verbum substantivum entspricht diese Form zunächst lateinischem Gerundivum, vgl, Mul. q ß, 28 vnd vil andere ding I die has zeverspotten I synd wan xegelouhen {ridenda potius quam eredenda); doch liebt Steinhöwel so wenig als andere gute deutsche Stilisten solche unpersöailiche Darstellung (wir finden Apoll. 108, 2 dar durch er den klingen wol ze glicJiend ist und Äsop 42, 29* was ze tragen ist), er zieht vielmelir ein persönliches Subjekt aktiver Verbalthätigkeit vor und umschreibt mit Hilfsverben, und zwar nicht nur in Fällen wie Äsop 42, 30 wann wir wellend uff morn in die stat . . . gon {eunduni est); G. U. 100, 1 dax wir billich guotez sollen darvon hoffen (spes optima sit hahenda), sondern auch in solchen wie G. IT. 109 /i, 15 Als man ze tisch siezen tvolt {tem- jjore quo assidendum mensis erat); G. U. 99/;, 27 so muoz ieder- man sterben [moriendum est).

Aber auch ohne Anlehnung an die Vorlage dient solcher Infinitiv zum Ausdruck der verschiedensten Verhältnisse. ' Auf die Anschauung einer Zielbestimmung liefsen sich zur Not appositio- nelle Lifinitive zurückführen, wie in Äsop 41, 22 hat in umh pfürd ze mieten, oder 40, 2 fraget in hütende des rechten ivegs in die stat z e gan {ut que du^it in urheni viain stratani sihi demonstraret), ebenso G. D. (J58, 2 des ich z,e thon gar kleinen willen hahe (qicello che io . . . aveva disposto di non far mai) ; ebenso Infinitive, die ein Ad- jektivprädikat ergänzen, wie Äsop G, 28 die ... glich sind ze beschechen oder G. U. 103 /i, 14 {fleri pos'sunt) u. a. ; endlich auch objektvertretende Infinitive. Die meisten der Belege jedoch ent- halten gar kein zielbestimmendes Moment mehr, die Präposition zi ist auf sie rein nur als bequemes Anknüpfungsmittel über- tragen, das bei Steinhöwel nur ganz selten fehlt (G. U. 109, IG fieng sie alsbald an schaffen vnd ordnen = cejjerat bietet ein- fachen Infuiitiv, ebenso G. U. 103/?, 27 [Jussus sum accipere] und

' Nur ganz selten jedoch verwendet sie Steinhöwel in Fällen, wo das Subjekt des Infinitivs sich nicht deutlich aus dem Subjekt oder Objekt des Verbum finitum ergänzen läfst. Wir finden nur Äsop 4, 16 .\e lob und ere . . . herren Sigmunden, hnrcxogen xuo Ost&rrieh, etliche ergecfdikalt dar tisz fie etip fachen und AsojiBO, 19* Als im aber der herr die Idaider hiesx abrJelien, in mit riioten %c schlalioi.

Steinhöwel und das Dekameron. 277

Asoj) 55, 30* ich ... miige ... lernen die andern kneeht viuler- täniger syn).

G. D. bewahrt hier, obwohl der Ital. Text von Infinitivkonstruk- tionen mit di und a überreich durchsetzt ist, eine auffälh'ge Zurück- haltung, die entschieden wieder auf eine lat. Zwischenstufe zurückweist. Neben dem Verbum substantivum läfst sich der Infinitiv nicht in der bei Steinhöwel besprochenen Verbindung belegen, wir finden nur Fälle wie 658, 3 wie es also ein swere ding ist ein fratven %e finden (quanto grave cosa sia a poter trovare). Den objektvertretenden Infinitiv knüpft es an eine weit gröfsere Anzahl von Verben ohne jede Prä- position : 658, 8 ivie wol er mir eine gebenn meinet, die mir lieben ... sol (crediate conoscere); 659, 14 (a veder venire neben 658, 34 die ich in liurcxen tagen meine zuo hcmsz xefürn [cÄe]); 660, 32 für che, ebenso 658, 30 nachdem ir mir versprochen habt iceliche ich nyme dieselben in eren ... halten (für di c. Inf.), während 659, 12 Do er sie fände . . . mit einem kruoge mit ivasser kamen mehr auf eine abgeschliffene Participialform deutet (S. 278). Als Zielbestimmuug liefse sich der Infinitiv neben gen hierherziehen in 664, 21 so magst du lüider zuo hause gen deinem geschejfte ansx ivarten (a casa tua. tornare), der nicht wohl dem mugen unterzuordnen ist; ähnlich der frei bestimmende Infinitiv in 658, 25 m,it im der sacke eins ivarde, die tochter für sein weyb wollen (si convenne di torla per moglie).

Bei Steinhöwel hat andererseits die Übertragung der zielbestim- menden Form des Infinitivs mit %i auf andere Verhältnisse für die eigentlichen Zielbestimmungen bereits die Präposition umbc einge- bürgert, die wiederum bei weit späteren Schriftstellern (Luther z. B.) noch keinen Eingang gefunden hat:' vgl. Asop 5, 5 Hie tcirt ouch allain die gcmain uszlegnng . . . geseczet ... timb vil xuogelegte wort zemyden; 65, 34 daz die hund, umb allen argiron xe vermyden, den u:olffen würdent xe gysel gesetxet (ad mit Gerund.) und Äsop 55, 20* Esopus gicng umb xe suchen.

Der Acc. c. Inf, den Wyle überreichlich verwendet, ^ erscheint bei Steinhöwel nur ganz selten und unter bestimmten Einschräu-

' Ich finde sie bei Luther nur einmal in der Krlauger Ausgabe Bd. ."Il, S. 257, 2. Die Präposition mag von Konstruktionen aus, wie wir sie oben im Asop belegten (11,22 bat in vdiIj pfärd -.e »tiefe») eingedrungen sein,

2 Vgl. Keller a. a. 0. S. :?67.

278 Steinhöwcl und diis Dekanieron.

kungen. AVlr finden ihn zunächst in Fälh'ii, in denen es streitig bleiben könnte, ob er als Infinitiv oder abgeschliffene Parti cipialform aufzufassen ist: Äsop 43, 23* Do in aber syii gesellen sahen so ivyl vor gan; G. U. 101/?, 19 vnd fundett du maid schaffen in dem hüszlin (jmellam . . . satagentem . . . iniienere), ebenso auch G. U. 100, 19 der würt mir bescheren ' das er myner ruo ... waist aller nüczlichst ivesen {quod ... seit expediens), genau so G. U. 109, 13 und ähnlich Apoll. 100, 5 m-achest du mich nackenden ... hi dir st an. Als Infinitive dagegen kennzeichnen sich schon durch die Form sin (vgl. oben G. U. 100, 19 wesen) die Belege in Apoll. 101, 21 des spiles kennest du dich maister sin, genau so Äsop 54, 27 (quod hoc facinus secus putasti); Äsop 46, 16 so sag ich mich seiher fry syn {me liberum fore). Wir sehen, alle Belege lassen den Accu- sativ deutlich als vom Hauptverb regiert erscheinen, der Infinitiv tritt rein appositioneil hinzu. Genau so präsentiert sich der Nom. c. Lif. Äsop 41, 31 er bedachte mich sksz ain erblausner schluch syn (iitrum esse putarem); 61, 16. Die eigentlich lateinischen Accu- sative c. Inf., deren Accusativ dem Hauptverb nicht leicht als Ob- jekt sich vmterordnet, hat Steinhöwel durchweg in Dafssätze aufgelöst (I, S. 200). G. D. bietet überhaupt gar keinen Acc. c. Inf., ein Moment, das jedenfalls nicht zu Gunsten unserer Annahme einer lat. Bearbei- tung spricht, sich aber andererseits diu'ch die oben besprochenen Infinitivkonstruktionen leicht erklärt. Wenn der lat. Bearbeiter in die italienischen Konstruktionen versäumte Subjektbezeichnungen einzuschieben, Avar ihr Fortbleiben auch im Deutschen gegeben.

2) Partieipialformen.

Der lateinische Stil verwendet mit Vorliebe Partieipialformen, die natürlich von hier aus auch zahlreich in das deutsche Gefüge eingedrungen sind, Steinhöwel gestattet sich jedoch auch hier Ände- rungen: bald ordnet er mit der Kopula bei (Äsop 38, 26 samelt der mayer des hofes zytig fygen, und antwurt die dem herren und sprach =:= presentavit inquiens u. a., ebenso G. D. 657, 34 u. a.), bald mit Pronomen (Äsop 74, 33 Ain froiv hett ain tochter ... die bat die gütt emsiglich = habens . . . orabat u. a.), noch häufiger ordnet er unter, am liebsten mit der Zeitpartikel (Äsop 38, 38 Esopus, als er von acker kommen ist, haut die fygen alle geesxen = veniens; 39, 6 u. a. ; G. U. 101, 6 liesz der walther so er spacieret ~= illac transiens),

Steinhöwel und das Dekameron. 279

gern auch mit dem Relativjjronomen (I, S. 182 unten). Manchmal kehrt Steinhöwel auch die lateinische Gliederung um (Äsop 38, 31 kam . . . xe holen = veniens . . . petiit ; G. U. 101 /:?, 12 erschrak . . . da% er nit bald antwurten kund =■ stupefactus . . . ohriguit). Auch die absoluten Participien löst Steinhöwel durchweg auf (meist mit do oder als). Nur in den Mulieres begegnet 1 ß,2% Dise ding alle augesenhen / mit andern vnzalbern vrsachen , waisz ich nit (Qui- bus inspectis und cum). Auch G, D,, das vom Part. Präs. überhaupt nur einmal Gebrauch macht (665, 11 Do des margraffen gancze lant- schaft der neuen preiite ivartent ivas =i attendevan), hat von den zahlreichen absoluten Participialformen des italienischen Textes, die vermutlich schon in einer etwaigen lat. Bearbeitung Einbufse erlitten haben, nur die wenigsten erhalten. Wir finden nur 6Q6, 22 Also gesprochen sy mit seinen armen vmb finge {E cosl detto), daneben 659, 30 Dax der herre gethon hett, Nachdem er . . . sprach (e apresso questo . . . disse). In den meisten Fällen ordnet G. D. sonst mit Nebensatzpartikeln unter wie Steinhöwel: 658, 25 do er das gethon, het (Fatto questo), ähnl. 659, 8 {E venuto il di); 659, 12; 661, 7 u. a., oder 659, 21 wo er sy für sein elich Jiauszfrawen neme ob sy sich vleissen ivölt [togliendola egli per moglie); einigemal tritt auch Bei- ordnung ein (659, 26 Nachdem sy der marckgraffe pey ir hende nam ausz dem heusxlein füret = presala per mano la menö fuori; ähnl. 657, 31 u. a.).

Die Wortstellung.

Für die Wortstellung hat die deutsche Prosa schon bei den ersten Versuchen der ahd. Übersetzer ein besonders feines Gefühl verraten ; selbst der abhängigste Nachahmer wagte hier von der Vor- lage abzuweichen ; da kann es uns nicht wunder nehmen, wenn ein so selbständiger Stilist wie Steinhöwel auch hier seine eigenen Wege geht. So räumt er mit künstlichen Voranstellungen untergeordneter Bestimmungen, die das Subjekt einleiten sollten, zu Gunsten der natürlichen Wortfolge auf, vgl. Äsop 38, 15 Es opus ist alle %yt synes lebens über flyszig . . . gewesen (Qui per otmiem vitam vite stu- diosissimus fuit ... Esopus u. a.) oder Äsop 39, 5 0 du armer Esopc, wee dynen schultern {Ve tibi seapulisque tuis miser Eso])e). So treten im Hauptsatze vor anderen die satzverbindenden Pronomina au die

2S() Stcinhöwel und das Dekameron.

Spitze, iiiclit mir wo die Subjektfunktioii sie vordrängt (G. U. 100, "> Die gütigen gehet bewegten = Moverunt preces oder Äßop 45, H Das wäre uns ungehört = Absurdum id esset), sondern auch in an- deren Fällen (Äsop 39, 14 Von den selben irortten erzittert Eso- 2)ns =z Esojms his dictis trcpidus; G. U. 104/>, 0 Jn den zyteu marhte der Jierr offt das angesicJä =■ Walthcrns interra). In kon- junktionalen Nebensätzen, die mit ähnlichen Foi'men an das Vor- hergehende anknüpfen, treten letztere gegen die lateinische Vorlage hinter die unterordnende Partikel: Äsop 39, 1 So sich aber Eso- pus ... nit kan versprechen, so ivürt er geschlagen {Esopus cum ... nequiverit); 39, 29; 42, 23 u.a. Äsop 64, 31 Als aber dise hrief in dem senat gelesen wurden (His litteris in senatu recitatis). Nur zweimal ist im Äsop hier an der lateinischen Stellung festgehalten; 38, 32 Agatopus , dem die fygen ivaurend hefolhen, als er zwo . . . versuocht Jiet, sprach er (Agathopus, cuius custodie) und 46, 10 Die zolner, als sie von donkouff horten (Telonarii . . . cum acceperunt). Ebenso wie das Subjekt ti-eten im Nebensätze natürlich auch andere Bestimmungen hinter die Partikel zurück und an dementsprechend weiter rückliegende Plätze: Äsop 39, 3 M den tvylen, als sie der ding aines ivurden (His inter se compositis); Äsop 48, 35 Do Xan- thus dise nat ü r liehe frag vernam, (Hanc philosophicam questionem cum Xanthus accejnt); 68, 5 u. a. Nur das pronominale Neutrum hält sich vermutlich begünstigt durch die unscheinbare Form auch als Objekt hier vor dem Subjekt: Äsop 40, 30 Do das der buwmaister . . . erhöret (Hec audiens); 65, 9 (Hec cum audissent); 44, 32 ; 49, 24; 64, 23; Äsop 44, 16 Do das Esojms höret (quod cum audi- vit); 46, 19; 55, 5; 71, 13; Äsop 39, 10 (quo audito); 73, 37; 44, 33*; ähnlich Äsop 73, 24 Do aber des Esopus offenlich lögnet (Quod cum Esopus). Die Nachstellung des Pronomens ist hier nur sehr selten zu belegen: Äsop 65, 13 Do Cresus das erhöret (Cresus his cognitis); 64, 6 Do aber Xanthus sich des widert (Id dum, Xanthus se facturum negaret). Durch beiordnende Partikeln lassen sich die Pronominal- formen nicht so leicht zurückdrängen. An Stelle der Kopula tritt hier gern die Partikel ouch ein, die nur in G. U. 101, 10 E- det oucli das innerlich vor die Pronominalform tritt. Rivalität zwischen Pro- nominalpartikel und Pronomen läfst sich nur selten erkennen, jeden- falls tritt dann das letztere zurück (Äsop 70, 13 Also schluog Enus von diser ler in sich selber = Af Enus Ulis monitis).

Steinhöwel und das Dekameroii. 281

Die Voranstellung des Verbs vor das Subjekt in einfacher Aus- sage wird bei Steinhöwel schon durch die lat. Vorlage sehr begün- stigt, von der er sich auch manchmal gegen das deutsche Sprach- gefühl leiten läfst (vgl. G. U. 101, 13 Es nahet der hochzyflich tag = Instahat, Mul. 6/?, 24 Es ist ouch ain andere ceres gewesen), ohne jedoch hierin Stilisten wie z. B. PfoiT zu erreichen. Die meisten Be- lege jedoch lassen sich auf gute innere Gründe zurückführen. Wo z. B. Eede und Gegenrede wechselt, kann das Hauptgewicht eben- sowohl auf die einander regelmäfsig ablösenden Subjekte fallen, als auf die Verba, mit denen jedesmal ein neues Moment einsetzt. Stein- höwel steht hier in Übereinstimmung mit den verschiedensten deut- schen Stilisten (vgl. meine Untersuchungen über den Satzbau Luthers I, S. 27), wenn er diese Mannigfaltigkeit der Betonung ausnützt und durch die Abwechselung in der Wortstellung eine Menge lat. Par- tikeln erspart (vgl. I, S. 203); vgl. z. B. Äsop 44, 15 ff. Do sp-ach XantJms (Et Xanihus) Waz kanst du schaffen? Äntwurt er (At nie) Alles, da^ du icilt; 44, 25 Sprach Esopus [Ei inquit Esopus): Du hüler! Do sprach er: Was hülers hin ich (Bombax ait ille)? Esopus sp-ach (Tum inquit Esopus): Gee an galgen u. s. w., und so noch oft im Äsop, während die Griseldis bei Steinhöwel hierfür keine Belege aufzuweisen hat (wohl aber Pfon- 21, 16; 23, 13. 19; 24, 35 u. a.).

Auf der besonderen Beschaffenheit des Subjekts l)eruht dann die Voranstellung des Verbs in anderen Fällen (vgl. Untersuchungen S. 28 ff.). So tritt unbestimmtes Subjekt zurück, vgl. x\sop 41, 1 Herr, es ist ain wundencerck nülich uff dynem acker heschenhen {Nu- perrime in agro tuo res longe monstruosa contigit)-, G. U. 100/?, 7 Es was V'Uferr von dem palast a i n dörflin (Fuit haud p'oeul) ; ähnl. 106, 13 Es ward von dem walther nffstan ain höser lürnd (Ceperat) (ebenso Pforr 12, 34 u. a.). Hierher gehört auch G. U. 106, 3 Aber es synd etlich (Sunt qui); Äsop 48, 12 Es sint gar mang er lag stürm vnd vngestürmy des meres [Permulti sunt). Desgleichen tritt auch negiertes Subjekt gern zurück: G. U. 101, 14 Es wisxt aber niemand; Äsop 60, 3 Es ist nieman, dem (Nemo est); 70, 10; vielleicht auch G. U. 107, 7 es mag nieman s glük . . . iceren (vgl. PfoiT 25, 28; Wyle 14, 16). Endlich tritt natürlich auch der Sub- jektsatz hinter das Verb zurück: Äsop 45, 3 es ist ain gesacxt in unser stat, das u. a., auch 60, 10 Es ist ain grosxe sitnd, den

282 Steinhöwel und das üekamcron.

n\ cn scheu unv er schult beschwur en {Scelus est ultro inferre molestiam), ähiil. 69, 34. Hier allein bietet auch G. D., das in Be- legen wie 658, 19 [Nun gut zeit was das dem graffen eines armen pauern toehter sere geliehet hette =. Erano a Gualtieri buona pezxa piaciuti i eostumi d'una povera giovinetta) das Subjekt sogar vor- geschoben hatte, Beispiele für Nachstellung, allerdings in Anlehnung an die Vorlage, vgl. 658, 27 es ist euer . . . gefallen das {egli v'e pia- ciuto che).

Die "Voran Stellung des Verbs in Frage und Wunschfällen ist gelegentlich der Konditionalformen schon zur Sprache gekommen, es erübrigt also nur noch, die Voranstellung des Verbs in Anlehnung an Partikeln zu erledigen. Steinhöwel bietet hier teils in der Ausdehnung, teils in der Beschränkung dieses Inversionsgebrauches Bemerkenswertes. Wir finden die Inversion sehr häufig nach und, wenn ein neues Subjekt einsetzt: Äsop 67, 25 und sendet die dem künig, und hieltend dieselben hrieff so vil mw {quibus); G. U. 109/5, 7* vnd was das husz also zierlieh; 108, 24; 110^, 22. In Äsop 61, 24* und waren yngegraben nit wort sonder allain buochstahen erklärt sich die Rückstellung aus der BeschaiFen- heit des (schwer belasteten) Subjekts. Nach sunder ist die Rück- stellung des Subjekts bei Steinhöwel durchaus Regel: G. U. 106, 4 die kunnen kain end maclien s und er suochen sie fürhas (ymmo incumbant), ebenso Mul. Aß, \ (quinimd); Äsop 4, 19 die der . . . färben nit acht Jiabent, s und er suochent sie die süssikait des honigs; 45, 20; 46, 24; 66, 4. 22; 69, 24 u. a. Apoll. 86, 4. Ebenso invertiert doch, wie aus Äsop 40, 30 doch wil ich dar zuo tuon, desgl. G. U. 103//, 26; 106/?, 24; 107/?, 3; Mul. 9/?, 5; Apoll. 86, 21 hervorgeht; wälirend die Partikel in anderen Belegen einer ohnedies invertierenden Bestimmung vorangeht. Der Inversion widerstreben vorwiegend leichte Pronominalformen, vgl. Äsop 42, 9 ivann oun zwyfel sy werden mich fürchten als ain fastnachtbuczen. Manche Sätze erhalten hierdurch den Charakter eines Nebensatzes, und in der That läfst einigemal auch der Satzinhalt die Entschei- dung schwer werden; wir müssen z. B. in Apoll. 86, 33 sie lebten ... on alle gesatzt, dai'umb sie %mtz an die zuokunft des endcrist be- schlossen sin müssen den zweiten Satz doch wohl als Nebensatz auf- fassen, ebenso Äsop 38, 21 er hett ain Überträge xungen, darumb er ser staczget {lingua tardus atque blactero), namentlich wenn wir auch

8teinhöwel uud das Dekameron. 283

Rückstellung des Verbs hinter ein Nominalsubjekt finden : G. U. 106, 18 icisxt oiich nieman wa sie ivaren in der weit! danimb der selb walther ... sich machet ... arg wonig (quo); ebenso 106/?, 12 [fania vndiqne diffusa). Anders nun die Hemmung der Inversion im nachgesetzten Hauptsatze. Hier ist es nicht die leichte Form der Pronominalsubjekte, sondern ihre satzverbindende Kraft, die sie zwischen Inversionsbestimmung und Verb drängt: Asop 40, 31 Do das der buwmaister . . . erJiöret e r iv a r d ser tvundern (genau so Beheim, Math. 8, 10 Do Ihesus dix gehörte her umondirte sich u. a.), genau so Apoll. 110, 4; 113, 18; 116, 2. 24; 117, 11 u. a. Die Belege im Konditionalgefüge s. S. 258, Anm. Selten tritt im Nach- satze eine neue Inversionsbestimmung vor das Verb, wie in G. U. 110/?, 14 Do sie dax höret / vor grossen fr öde n I icere sie schier amechtig worden {Hec illa audiens pene gaudio exaninius [sie !]).

Die sonstige Wortstellung im Hauptsatze entspricht bei Stein- höwel durchweg dem deutschen Sprachgefühl, er läfst Zeitbestim- mungen vor Ortsbestimmiuigen treten, wenn nicht besonderer Ton auf letzteren liegt, und schiebt das Objekt am liebsten in deren Mitte (vgl. Äsop 40, 23 der enpfahet allweg guote lioffnung in synem gemütt [is spes optimas animo semper agit] u. a.). Auch die Stellung der Negationspartikel knüpft an deutsche Überlieferung an, wenn sie in Belegen wie Apoll. 86, 21 doch hielt Porus nit sin trew an ... Ällexandro von der nhd. Folge abweicht (in Äsop 53, 12* Nibon siehst du . . . daz dich dyn wyb nit sonder das hündlin recht lieb hat liefse sie sich aus einer Änderung der ursprünglich geplanten Fassung leicht erklären). An den lateinischen Stil erinnert nur selten eine undeutsche Stellung, wie z. B. die Einschaltung von Partikeln iu annominative Verbindungen, vgl. Äsop 39, 1 von trägi wegen syner xmigen, ebenso 4, 13, was an lateinisches gratia erinnert (vgl. Wyle 14, 18 Welche aber menschen ■= Qui autem homines).

Im Nebensatze giebt die schon im späteren Ahd. Avesentlich durchgeführte Schlufsstellung des Verbs keinen Anlal's zu Erörte- rungen. Hilfsverba treten noch immer vor das Verbura finitum (Äsop 71, 32 damit dax sy im ain adelichen Jcampffhanen ... hat er wür- get), Präpositionalbestimmungen und ähnliche andere hinter das Verb, wenn sie besonderen Ton gewinnen oder auf das Nachfolgende überleiten. Auffallend ist hier Äsop 40, 21 Ich gedenke die gütikait,

284 Stoinbiiwol und djis Dokaincron.

die ich alle xyl hab gelmht zu den geslen, sye den (jötten enpfeiic)- lich gewesen {qua in hospites plu7'ima sum usus), wo vielleicht die Kh- neigung einwirkte, Zeit- und Ortsbestimmung unmittelbar aufein- ander folgen zu lassen.

G. D. giebt uns nun auch hier wieder deutliche Kennzeichen seiner Sonderstellung. Haupt- und Nebensätze lassen dort ohne Unterschied das Verb an das Ende des Satzes treten, ' eine Erschei- nung, für die ich in dieser Ausdehnung höchstens in der Urkunden- sprache Beispiele wüfste. Die italienische Vorlage ist hieran ziemlich unschuldig, wir finden zwar in 658, 1: Ä'quali Gtialtieri rispose {Der marckgraue seinen leüten antwort) und auch sonst diese Stellung in relativ anknüpfenden Sätzen; ähnlieh 661, 28 {Syder du disen . . . geparest ich mit meinen leüten nye habe mi'igen nie haben) per niuna, giusa con questi miei viver son potuto, aber die meisten Belege haben im ital. Text keine Stütze, vgl. 659, 35* Aber ich vnivirdige euer genaden zuo der götlichenn ee nicht ivirdig pin; 659, 8*; 660, 10* u. a. Da die Fälle selten sind, in denen der deutsche Stilist gegen die italienische Vorlage in einem aus Subjekt und Verb bestehenden Satz eine Pronomin alfoi-m einschiebt (vgl. 658, 18 die erbern seine leüte im antivorten ==: / valenti uomini risposon), während der latei- nische Stil zu solchen Einschaltungen viel leichter Anlafs giebt, so darf man wohl in ähnlichen lateinischen Gebilden, die im Deutschen den Anschein der Nebensatzstellung gewinnen, den Ausgangspunkt unserer Erscheinung vermuten. Auf das Lateinische sind auch Wort- stellungen zurückzuführen, wie ich sie in der Einleitung besprochen habe (über 658, 4 s. I, S, 169), ebenso geht ein Beleg wie 666, 18 die du mein tveybe meinest sey eher auf qua^n conjugem putas esse als auf che tu mia sposa credi zurück.

Die Stellung der Sätze untereinander. Den Einschaltungen und Einschachtelungen der lateinischen Perioden widerstrebt das deutsche Sprachgefühl Steinhöwels. Er knüpft an eine alte Überlieferung an,

1 Selbst in subjunktiver Parataxe herrscht in G. D. diese Wortstel- lung vor (060, 17 Sünder sprachen er pasx, vnd iceisxlichcr dcmn kein man (jethon Jiette für aver fatto u. a.), nur einmal in 665, 23 alle geleiche spraclienn der margraffe het einen yuoten iveclisel gdJion = che Onaltisri avera fatto biion cambio ist, vielleicht in Anlehnung an die Vorlage, die übliche Stellung durchgedrungen.

Steinhöwel uud dats Dekamerou. 285

■wenn er z. B. dem Dafssatze einen etwa untergeordneten Nebensatz voranschickt (gern hilft er sich auch mit Parataxe, I, S. 198), vgl. G. U. 100, 15 Och tvaysx ich ! was guotes in dem menscJien ist / daz es von got ist; 100, 24 u. a. So auch vor indirekten Fragen G. U. 101 ß, 23 ain frag ... wann das geschieht / daz alsbald würt! ob du mit guotem ivillen / berait syest {ubi hoc peractum fuerit . . . an . . . j^at'O'ici' sis = lat.); G. D. 659, 21 verneinen ivölte ivo er sy ... neme ob sy sich vleissen ivölt {se ella seinpre togliendola egli per moglie, s'ingegnerebbe); und vor Relativsatz in G. U. 106, 3 Aber es sytid etlich wann sie angefahen i die künden kain end machen (Sed sunt qui vbi). Nur mit so eingeleitete Sätze schieben sich leicht in ein Neben- satzgefüge ein (G. U. 101/9, 9 ob du mich dynen herren / so ich dy7i toehter neme / gern wellest haben :=: An me . . . data michi hac . . . filia generum velis), andere treten dann in Paranthese, wie G. U. 100, 3 erledige dyn volk von kümmernusz / daz du (ob dir V Uly cht vncz w iderfür) nit abgangesl = ne si quid. Aber auch in dem Hauptsatze liebt es der Deutsche nicht, Sätze oder ähn- liche Bestimmungen einzuschieben. So stellt Steinhöwel meist für zwischengeschobenes lat. inquit ein deutsches Verb vor die oratio recta, vgl. G. U. 99/i, 5 und ir ainer ... sprach also ... Allerliebster Jierr, dyn gütikait {Tua inquit humanitas) u. a., einmal wird das Verb dem Satze nachgestellt in G. U. 101/9, 3 Jiaisz in herusz komen zuo m,ir sprach er [lube inquit ad me veniat), ebenso 103/9, 23 und einige wenige Male in G. U. dringt die lateinische Stellung auch in den deutschen Stil ein: G. U. 101/9, 29 Myn herr sprach sie I ich ivaisz, ebenso 109, 11; 110, 2. 15.

Nebensätze liebt der deutsche Stil dem Hauptsatz nachzustellen. Steinhöwel trägt dem auf Kosten der lateinischen Vorlage Rech- nung: vgl. G. U. 109/9, 8 daz alle gest über wunder namen / ivannen die herlichen sitten {ita ut onines . . . unde ea maiestas . . . miraren- tur). So werden namentlich auch Relativsätze hinter den Bezugsatz gedrängt und in denselben nur eingelassen, wo sie vom Bezugworte sich nicht leicht trennen lassen und letzterem die Stellung am Ende des Satzes verwehrt ist, vgl. Asop 65, 17 es sye dann, das Esopus, desz raut sie allweg volgen, von danne gebracht iverde (ni Esopu.'i cuius consilio ... utuntur, prius inde amoveatur), und 71, 32 hat ... schaden gethan, damit daz sy im ain adelicJien kampffhanen, der im die stund der nacht bezöget, hat erwürget {Nam occidit galt um . . . genero-

286 Steinhövvel und dna Dekamero».

sumve . . . qui). G. D. scheut natürlich auch hier nicht vor den ungewöhnlichsten Einschaltungen zurück. AVir finden 661, 16 dem margraffen was im die fraive het 7mo anttvortt (jehen im zuo wissen thet (e fatto a Oucdtieri sentire cid che detto avea la donna, wo wiederum lateinische Verraittelung anzunehmen ist), und gar 658, 29 ff. vnd nach dem, ir mir versprochen habt welicJie ich nyme dieselben in eren . . . halten, Und nu die zeit komen ist euch zuo halten als ich geret hab, also ich auch von euch will gehabt haben, daz ir mir haltet als ir mir versprochen habt, dann ich Jmb mir ein schöne iunckfraiven nicht ferr von hier fimden, vnd mir zuo einem weyb erwelet die ich in kurczen tagen meine zuo hausz zefürn. Dar um b gedencket das wir ein fröliche hochzeit machen = Voi sapete quello che voi mi prometteste, cioe d'esser contenti e d'onorar come donna qualunqiie quella fosse che io togliessi: e perdö veniito e il tempo che io sono per servare a voi la promessa, e che io voglia che voi a nie la serviate. Io ho trovata una giovane . . . la quäle io intendo di tor per moglie e di menarlami fra qui a pochi dl a casa; e perciö pensate.

So haben wir die hauptsächlichsten Gebiete der Syntax durch- messen und fast überall durchgreifende Verschiedenheiten zwischen G. D. und dem Sprachgebrauche Steinhöwels wahrgenommen. Die nächste Frage ist nun die, inwieweit die für G. D. gewonnenen Merkmale in den übrigen Teilen des Dekameron zu belegen sind. Eine erschöpfende statistische Beweisführung würde die vorliegende Untersuchung auf das mehr als Zwanzigfache anschwellen lassen, ohne damit besonderen Nutzen zu erzielen. Ich beschränke mich daher darauf, die markantesten Erscheinungen in G. D. aus dem gröfseren Zusammenhange heraus zu vervollständigen resp. zu be- richtigen, wobei für etwaige Belege in erster Linie die letzten zwei Tagereisen (Keller S. 545 671) Berücksichtigung finden.

Es ist nur natürlich, dafs Erscheinungen, die ich für Stein- höwel als häufig belegen konnte und für G. D. ganz ausschliefsen mufste, in dem um das Zwanzigfache erweiterten Zusammenhange der letzten zwei Tagereisen doch einigemal wiederkehren. Die (S. 245) angeführte Abneigung von G. D., eine folgende direkte Rede neben dem Aussageverb durch das demonstrative also einzu- leiten, erhält nur eine weitere Stütze durch die Beobachtung, dafs

Steinhöwel uud das Dekameron. 287

die Partikel also in den angezogenen 126 Seiten achtmal und nicht weiter in solcher Verwendung zu belegen ist (562, 1; 569, 12; 573, 9; 575, 9; 587, 21; 601, 24; 608, 21; 642, 2), jedesmal zur Einlei- tung einer Erzählung, wogegen die übrigen zwölf Erzählungen un- eingeleitet blieben, wie sie auch in der ersten Tagereise zu be- legen sind.

Von einschränkender Wirkung auf die Schlüsse, die wir aus G. D. gezogen haben, ist die Durchprüfung des weiteren Zusammen- hanges nur in wenigen Fällen geworden. Hierher gehört die Beob- achtung, dals im Dekameron die Verbindung des zur Participial- form abgeschliffenen Infinitivs mit dem Ind. Prät. ward viel häufiger ist, als G. D. vermuten liefs (dort ist, vgl. S. 264, kein Beleg zu finden). Wir finden 546, 28 des sy ir gewissen straffen ivarde, ebenso 563, 1; 563, 4; 576, 10; 593,8; 610,22; 612,8; 613, 16; 622,38; 623, 2; 627, 20.29.30; 629, 19; 637, 18; 638,24; 640,33; 644,7; 646, 37; 650, 7, überwiegend bei Verbis geistiger Thätigkeit, meist bei hedericken. Im italienischen Text ist hier immer nur einfaches Präteritum zu belegen. Sodann wären den (I, S. 189) für Stein- höwel belegten Genitiven neben der Neutralform tvas anzureihen: Dek. 555, 22 was angesichts ; 555, 23 uaz Irancheit; 648, 30 von was landenne. Zu I, S. 196 wäre ergänzend nachzutragen, dafs auch das Dekameron einigemal, aber ganz selten, mit doj^pelter Negation verneint. Die Fälle mit keiner sind allerdings von vorn- herein auszuschliefsen (550, 36 an ir keinen nicht mer begern irülte ; 577, 31; 612, 22), da keiner im Dekameron auch noch als Indefini- tum zu belegen ist (24, 32) und nur in 668, 34 durch den italieni- schen Text {niuna . . . n'c) verdächtigt wird. Sonst läfst sich aus den angezogenen 126 Seiten nur 555, 9 [des ensag ich dir nicht) beibringen.

Für die Partikel so in adversativem Gebrauche (S. 243) kann nui* 635, 30 er ist eyn Athener, so bin ich eyn Eömer =^ et io ange- zogen werden. Dem für Steinhöwel einigemal belegten vmb neben dem finalen Infinitiv mit xuo (S. 277) reiht sich Dek. 565, 23 an: also vmb %e laffen ieczund vmb wasser zuo dem prune, iczund vnib ivein alleine sein mensche zuo sechen (per veder).

Zu ah sind ebenfalls zwei Einschränkungen nachzutragen. Oben (S. 246) hatte ich für G. D. belegen können, dafs als dort noch keine Einbufse durch icie erlitten habe. Die ganz spärlichen

288 Steinhöwcl iiud das ])ekRmc'rou.

Belege in den letzten 12G Seiten des Dekameron bestätigen nur diese Beobachtung. Wir finden 575, 8 dann gancx wie er gesecJien kette aich erginge, ebenso 579, 36; 597, 28; 549, 23 {als wie). Und ähnlich wenn die oben (S. 246) für G. D. belegte Neigung hypo- thetische Vergleichssätze in die invertierte Form zu kleiden, später einigemal durch als oh gekreuzt wird (549, 18 vnd ligen heleyhe als oh er der tote wer; 554, 24; 570, 7; 597, 4), sind das Ausnahmen, die die Regel bestätigen.

Wie reichlich lassen sich dagegen die Hauptmerkmale unseres G. D. im übrigen Dekameron belegen. Gleich die Neigung für Standes- und Geschlechtsbezeichnungen unter Beifügung von Prädi- katen (I, S. 174) kehrte durch alle Teile so oft wieder, dafs ich nur auf Belege wie 620, 4 Der guot ire alt vatter = II padre di Lei, 620, 18 der schönen krancken iunckfrawen = della giovane verweisen möchte, oder auf das oftmalige küng in 619, 25 28, das durch kein italienisches Be gestützt wird. Die Differenzierung des Relativpronomens durch nachgesetztes do und vorgesetztes als (s. I, S. 186) finden wir 565, 36; 573, 1 u. a.; 565, 25; 567, 19; 568, 1; 613, 29 u. a.; das iczund, namentlich im Präteritalsatze (S. 242), in 568, 19 Es was iczund nit dein Tesse; 569, 11; 608, 9 u. a.; ebenso nun als Einleitung des Nebensatzes (593, 19). Die volle Form also im Nebensatze (S. 246) läfst sich in 607, 22 vnd also ferr er von aller hoffnung ivas . . . so vil dester grösser sein freud was, desgleichen 565, 23 (vgl. 42, 24) belegen. Die meisten Er- scheinungen sind jedoch so häufig, dafs jeder Versuch, sie einzeln zu belegen, die Beweisführung belasten würde; hierher gehört die Vorliebe für sölich (I, S. 179), für des an Stelle von do (I, S. 185); nur im parataktischen Konditionalsatze (I, S. 194), damit im Ab- sichtsatze (I, S. 201), nachdem für darnach (I, S. 205); seider (I, S. 206), seytmale (S. 257), ferner Modalpartikeln (S. 273). Hier- her gehört vor allem die durchgängige Bewahrung des do im zeitlichen Nebensatze (I, S. 206), das dann für wann (I, S. 207) und die charakteristische Wortstellung (S. 284). Auch die nega- tiven Aufstellungen für G. D. haben sich im übi'igen Dekameron meist bewährt: so die Abneigung gegen unorganische Erweiterungen des Demonstrativpronomens (I, S. 185); gegen partitiven Genitiv (I, S. 190); gegen die Umschreibung des Superlativs durch über (I, S. 192); gegen die Form da (I, S. 202); gegen aber (S. 254);

Steinhöwel und das Dekameron. 289

gegen so als Konditionalpartikel (S. 260) und endlich gegen Acc. c. Inf. (S. 278).

So glaube ich den sicheren Beweis dafür erbracht zu haben, dafs die Dekameron - Übersetzung unmöglich von Steinhöwel her- rühren kann, womit meine Aufgabe zunächst gelöst ist. Es sei jedoch gestattet, noch einige Bemerkungen daran zu knüpfen und eine weitere zweite Frage ins Auge zu fassen. '

Ich hatte in der Einleitung (I, S. 169) auf die starken An- klänge an den lateinischen Stil aufmerksam gemacht, welche die Dekameron-Übersetzung verrät. Ich könnte dem noch viele weitere Belege beifügen, so z. B. das solicitirt in 546, 26 (für stimolata), das stark an solliciius erinnert, oder die domine 583, 23 (für Donno), socie 563, 15. 16 u. a. (für socio, wofür in 563, 26 gar socie Jcarissime). An das Lateinische gemahnt auch 614, 32 sub- tilen (für sottilissimo), und, wenn das Dekameron, das noch vom excipierenden dann Gebrauch macht (I, S. 194), in 619, 6 das italienische se non mit ausxgenomen etlich die übersetzt, so er- innert auch das eher an ein lateinisches exceptis Ulis qui. Gegen eine etwaige lateinische Zwischenbearbeitung würde auch der Um- stand nicht sj)rechen, dafs sie vorläufig nirgends aufgefunden wurde, da ja auch die lateinische Hilfsübersetzung verschollen ist, die sich Laurens du Premierfait, ' der erste französische Übersetzer des Dekameron, in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bei einem Franziskanermönche bestellt hatte, weil er des Italienischen zu wenig kundig war. ^ Immerhin jedoch mufs unser Übersetzer neben einer etwaigen lateinischen Hilfsübersetzung auch eine italienische Fassung vor Augen gehabt haben, wenn er z. B. in 42, 5 der des guoten mans . . . reichtum vnd siveren seclcel vernomen het, schnelle cum fustihus et gladiis ein hert severe procesz ivider in machet {cum gladiis et fustihus imjjetiiosissimamente corse a fornuD'gli un processo) nur die auch im italienischen Originale in lateinischer Fassung erhaltenen Worte in solcher beliefs.

' Siehe Landau, Boccaccios Leben und Werke (Stuttgart 1877) S. 156.

^ Die Übersetzung des Laurens du Premierfait, von der mir durch die Güte des Herrn Dr. Bremer in Paris einige Proben nach dem Drucke von 1485 zu teil wurden, weiclit in den eutscheideudeu Dift'ereuzpuukteu, welche imsere Dekanicron-Bearbeitung vom italienischen Originale trennen, von der unserigen ab.

Archiv f. ii. Spiaclicn. LXXXIV. 19

290 Steiuhüwrl und das Dekiiineroii.

Die Frage nach dein Übersetzer selbst bedarf noch weiterer Erörterungen. Vom syntaktischen Standpunkte aus habe icli alle bis jetzt durchgemusterten Ulmer Schriftsteller jener Zeit ablehnen müssen. Wir müssen uns wohl vorderhand damit begnügen, das Denkmal zeitlich und räumlich bestimmter abzugrenzen, wozu die Lautverhältnisse einer genauei-en Prüfung bedürfen, ' als ihnen bis jetzt zu teil geworden ist. Vielleicht wird es dem Verfasser möglich, auch dieser Aufgabe in nicht allzu ferner Zeit sich zu unterziehen.

' Auch die haudschriftlicheu Überlieferungen, von denen Keller in seiner Ausgabe keine Notiz nimmt, dürften hier von Interesse sein, schon weil sie über die Verbreitung unserer Übersetzung Aufschlufs geben. Aus der Wiener Hdschr. (Cod. 2792 der kaiserl. Hofbibliothek) sind mir von Herrn Dr. v. Weilen einige Proben freundlichst mitgeteilt worden, die deutlich eine stark kürzende Bearbeitung unserer Übersetzung erkennen lassen.

Heidelberg. H. Wunderlich.

Zum Haager Bruchstück.

Auf eine Frage, die beinahe für erledigt galt, inwieweit nämlich das Haager Bruchstück auf eine chanson de geste- Dichtung im 10. Jahrhundert zu schliefsen berechtige, lenkte neuerdings der dritte Band von Eberts Geschichte der Litteratur des Mittelalters (1887; S. 350 f.) ^\'ieder die Aufmerksamkeit. Eberts entschiedene Ablehnung jenes Schlusses verlangt um so ernstere Beachtung, als seine Auffassung des Haager Bruch- stücks auf einer Kenntnis der lateinischen Litteratur des IViittel- alters beruht, wie sie kaum noch jemand zur Verfügung steht. Fällt aber jenes Zeugnis für die französische chanson de c/este- Dichtung im 10. Jahrhundert, so bleiben fast nur Erwähnungen von zum Teil zweifelhaftem Sinne ' übrig, die auf epischen

Solcher Art ist z. B. die bei G. Paris, Hist. poet. de Guirlemagne, S. 50 mitgeteilte ßeischrift zu Einhards Vita Karoli mayni iu einer Hs. des 11. Jahrhunderts: rrliqua riciuum ejtcs (Caroli) cjesta seu ea qua in carminibus vulgo canuntur de co, die über eine frühzeitige 'Bildung der epopcc carolinr/iciinc' keinen i\.ufschlufs giebt, da der Zusatz nicht er- wiesenermafsen älter ist als die Hs., und daher zunächst nur von einer chanson de geste-Dichtung des 11. Jahrhunderts, in der Weise des Rolands- liedes, verstanden werden kann, das selbstverständlich nicht das einzige epische Gedicht von Karl d. Gr. in französischer Sprache im Ausgang des 11. Jahrhunderts mehr gewesen ist. Derart ist aber auch eine der ältesten Stellen, die gewöhnlich auf epischen Volksgesang in Frankreich bezogen wird, die Stelle beim Poeta Saxo (Pertz, Scr. 1, 208 f.) aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts:

Est rjiioq/ie Jam iiolinn, vuUjaria rnrminn ... I'ippmos, Cnrolos, Illudovicos et 'fheodtricoK Kl Korlomunnm, /llolhariosque c a n u n l ,

wobei vielmehr an die panegyrischen Gedichte der lateinischen Hofpoeteu der ersten Hälfte des 9. .Jahrluuulerts zu denken ist, die mit Recht 'ver-

19*

292 Zum Haager Bruchstück.

Yollvsgesang in Frankreich bezogen werden, sowie innere Gründe, gegen deren schwächere Beweiskraft man sich verschhefsen kann. Erwägt man ferner, dafs hier mögliclicrweise auf einen neuen Fall für den üblichen weitherzigen Gebrauch von Ausdrücken wie 'Volkslied' und 'Sage' aufmerksam gemacht ist, durch die die französische Litteratur zur Zeit ihrer ältesten Denkmäler ein ganz besonderes Aussehen erhält, so werden die nachfolgenden Erörterungen, zugleich als ein Versuch einer Klärung dieser Be- griffe, vielleicht nicht überflüssig erscheinen. Überdies drängte es den Verfasser, nachdem er mehrfach für das hohe Alter der chansoii de (/esie-Dichtung eingetreten und unerwartet mit seinem verehrten Lehrer in Widerspruch geraten ist, seine Ansicht ein- gehender zu begründen : mögen seine Auseinandersetzungen einer freundlichen Nachprüfung dort teilhaft werden, wo er sie am meisten beachtet zu sehen wünscht.

G. Paris berief sich a. a. O. bei der Annahme einer fran- zösischen Grundlage für das Haager Bruchstück darauf, dafs der lateinische Dichter, der die Hexameter baute, nicht die Eigen- schaften eines erfindenden Originaldichters hätte haben können; dafs der lateinischen Dichtkunst des 10. Jahrhunderts die Be- fähigung selbst zur Ausführung eines Gedichtes nach Volks- erzählungen gefehlt hätte; dafs der im Haager Bruchstück bearbeitete Stoff zu sehr mit dem der uationalepischen franzö- sischen Gedichte übereinstinmie, als dafs man sich versagen könne anzunehmen, es sei nach einem solchen gearbeitet (vgl. auch S. 84 ff.); die Namen der an der Belagerung der sarazenischen Stadt im Haager Bruchstück beteiligten Personen fänden sich zudem in auffälligem Zusammenhange in der Geste des Aimeri de Narbonne wieder, deren epische Aufgabe in der Bekämpfung der Sarazenen an der südfranzösisch -spanischen Grenze bestand, und zwar gleichfalls in Verbindung mit der Einnahme einer sarazenischen Stadt; die Benennung des Bertrand im Haager Bruchstück als palatinus imd der gleiche Beiname, den Bertrand

breitete' heifsen. Denn dies ist der gewöhnliche Sinn von ruhjarift, während es im Sinne von 'Sprache des Volkes' in jener Zeit nirgends nachzuweisen ist. Vgl. dazu die ähnliche Stelle in Notkers leoninischen Hexametern auf den h. Otmar (Pertz, Scr. II, 54, v. A\): Quis canat Ekkehardos Not- keris non 7)iaye tardos, die natürlich nur lateinische Gedichte auf den ge- nannten gleichstehende Gelehrte andeutet.

Zum Haager Bruchstück. 203

in den Aimeri-Epen führt, le jjalasin, behebe jeden Zweifel an der Gleichheit der Personen im lateinischen und in den franzö- sischen Gedichten; auch Boreis Söhne, deren einen Wibelinus im Haager Bruchstück tötet, kehren mit diesem in dem französischen Epos von Aimeri de Narbonne wieder (s. jetzt Demaison, A^Tneri de Narbonne, I, Einl. 131, 208). Ein Gedicht der Epengruppe von Aimeri de Narbonne bilde daher die Grundlage des latei- nischen Dichters, die Erinnerungen an die Befreiung des fran- zösischen Südens waren bereits im 10. Jalirhundert in poetischer Form vorhanden, Karl IMartel mit Karl d. Gr. verschmolzen u, s. w. ' Auch der lateinische Waltharius der ersten Hälfte des 10. Jahr- hunderts sei so aus der Volkssprache, dem Deutscheu, übersetzt worden; bei dem lateinischen Ruodlieb aus dem Anfange des 1 J . Jahrhunderts sei derselbe Ursprung vorauszusetzen ; lateinische Bearbeitungen volksmäfsiger Gedichte aus späterer Zeit stünden diesen zur Seite: der Bericht des Metellus von Tegerusee (um 1160) nach einem Gedicht, das einen Teil des Ogier le Danois bildet, das auf der Chanson de Roland beruhende Carmen de proditlone Grienonis, 12. Jahrhundert, sowie das Bruchstück einer Übertragung des Wilhelm Wolframs von Eschenbach aus dem 1 3. Jahrhundert.

Gewisse Züge der Darstellung im Haager Bruchstück erinnern in der That auch Ebert, a. a. O. HI, 349 f., an die späteren französischen Epen; in anderen weichen dieselben nach ihm da- gegen vom Haager Bruchstück ab, indem da für den gelehrten lateinischen Dichter die Nachahnumg der antiken Epopöe mafs- gebend war; entgegen steht ferner der Herleitung des lateinischen Gedichts aus einem französischen der übertriebene schwülstige Stil, der nicht die entfernteste Verwandtschaft mit den chansons de geste, am wenigsten mit den älteren zeige; überhaupt konnte einem Gelehrten des 10. Jahrhunderts nicht der Gedanke kom- men, ein in der Volkssprache verfalstes Epos in die exklusive Sprache der Wissenschaft zu übersetzen; es ist ebensowenig an die Existenz eines in der französischen Volkssprache des 10. Jahrhunderts verfafsten Epos^ zu glauben. Die überein-

1 Bei Nyrop, Storia dell' Epopea francrsc, fracl. di E. Gorra, S. '^1 fi". Wiederholung dieser Gründe; s. auch 1*. Rajna, Orir/ini dell' Epopea firn/- cese. S. 477 f.

- Die franz. Ausg. fügt bei: in der Art der clicois. de i/rsfc.

294 Zum Haager Bruchstüclc.

stininieudcu Züge im altfrauzösisclieii Natioualcpo.s und dem Haager Bruehstüek aber erklären sieh aus dem nationalen Genius, der in der mittellateinisclien Diehtung Frankreichs ebensogut wie in französischer seinen Ausdruck finden konnte; der gelehrte Verfasser konnte das Material aus der volksmäfsigen Überlieferung nehmen, Avie Ermoldus Nigellus und der Dichter des Walthari; im Haager Bruchstück hat die bereits zur Sage gewordene Geschichte Karls des Grofsen eine Be- handlung gefunden in einem ähnlichen StUe, wie ihn die histo- rischen Epen des Ermoldus Nigellus (Li honorem Hludorcici lihri) und des Abbo (De hello parisiaco) zeigen.

Dies die Gründe für die beiden sich entgegenstehenden Auf- fassungen. Scheinbar findet eine Gegnerschaft in einer grofsen Zahl von Punkten statt. G. Paris traute dem Mönche, der die Hexameter schrieb, nicht zu, ein lateinisches Gedicht nach Yolks- überlieferungen zu verfassen; Ebert spricht ihm die Befähigimg zu. G. Paris erkennt der lateinischen Dichtung des 10. Jahr- hunderts die für eine epische Originaldichtung nötigen Eigen- schaften ab; Ebert legt sie ihr vermöge des in ihr wie in der Volksdichtung wirksamen nationalen Genius bei. Der im Haager Bruchstück behandelte Stoff stimmt nach G. Paris zu sein- mit dem in Gedichten in der französischen Volkssprache behandelten überein, um nicht vom lateinischen Dichter aus einem von diesen geschöpft zu sein ; nach Ebert wird diese Übereinstünmuug erklär- lich diu-ch die bereits zur Sage gewordene Geschichte Karls des Grofsen; aus ihr würde demgemäfs auch eine etwaige Dichtung in französischer Sprache von einem Kampfe der Söhne Aimeris mit Borel und seinen Söhnen, wie sie von G. Paris vermutet wird, hervorgegangen sein, die aber im 10. Jahrhundert noch nicht vorhanden sein konnte, da eine so frühe Existenz franzö- sischer Epen nicht glaubhaft ist. Dieser Überzeugung gemäfs beruhen lateinische Dichtungen wie Ruodheb oder wenigstens Waltharius für Ebert auch nicht auf deutschen Volksepen, wie für G. Paris, sondern auf 'Volkssage' und 'Überheferung' (vgl. Gesch. d. Litt. d. :Mittelalters HI, 274), so dafs mit diesen Ge- dichten kein Analogiebeweis zu Gunsten der entgegenstehenden Ansicht zu führen ist.

Einige der streitigen Pmikte lassen sich nun freilich bei näherer Betrachtung, wie es scheint, unschwer beheben und damit

Zum Haager Bruchstück. 295

ihre Zahl vermiDdern. Wenn nämlich eine Volkserzählung von den iin Haager Bruchstück dai-gestellten Ereignissen vorhanden war, so ist einem INIonche, der, wie der Verfasser des Haager Bruch- stücks, nach den seltensten Ausdrücken, den gewagtesten Bildern imd der gezwungensten Wörterstellung geradezu Jagd macht, und der darin nach meiner Kenntnis in seiner Zeit nicht seinesgleichen findet, nicht wohl die Fälligkeit abzusprechen, eine Kampf- schilderung zu entwerfen, \ne sie fi'anzösischen Nationalepen- dichtern von geringerer Erfahrung imd Schulung in der Dar- stellungskunst immer gelungen ist, denen für derartige Schilde- rungen auch Kämpfe und Kampf weisen ihrer Zeit zm- Richtschnur dienen muTsten. Andererseits dürfte jedoch der Gedanke, in der von jedem geistlichen Zuge freien Weise Kämpfe, wie sie das Haager Bruchstück schildert, vorzuführen, einem Mönche oder einem Manne von geistlicher Erziehung, der der Verfasser des Haager Bruchstücks aus dem 10, Jahrhimdert doch wohl gewesen ist, nicht haben kommen können, ohne dafs ihm dazu, sei es Volksüberliefenmg oder Volksdichtung aus Laienkreise, den Weg gewiesen hätte; er müfste sonst im stände gewesen sein, ohne einem erkennbaren Zwange zu unterliegen, die gewöhnten geist- lichen Anschauungen von den Dingen gänzlich zu verläugnen und abzustreifen. Geistliche Originalerzähler weltlicher Gescheh- nisse, wie Abbo oder Ermoldus Nigellus, oder solche selbst jüngerer Zeit, verläugnen jedoch ihre geistlich-christliche Denk- art, die als berufene Richterin über alle Dinge immer zu Worte konunen darf, nirgendwo; der nationale Genius aber hat sich jederzeit gegenüber gleichartigen Begebnissen bei Geistlichen und Laien vermöge der verschiedenen Gedaukenrichtung beider ver- schieden geäufsert; das reine Interesse lediglich an der Kamjif- schilderung, das im Haager Bruchstück nach seiner stofflichen Seite hervortritt, ist eine dem geistlichen Verfasser desselben schwer zuzuerkennende Eigenschaft, die er kaum in einer Origiual- schrift zu bewähren vermocht hätte, und demgemäls nur als Nachbildner eines gleichbeschaffenen Musters scheint angenommen haben zu können.

Aber es handelt sich in Wirklichkeit ja auch in keiner der beiden Auffassungen um die Annahme, als sei das Haager Bruchstück eine Originakliclitung über die Eiuuahuie einer sara- zenischen Stadt unter Karl dcui CJrolscn; der Gedanke an eine

296 Zum Hnagor Bniclistiick.

Originaldichtung ist unter G. Paris' Gründen nebensächlich. Der AVidcrstreit der Meinungen beschränkt sieh darauf, dafs die un- geistUche Art der Bericliterstattung und Darstellung im Haager Bruchstück und ein Erzeugnis der lateinischen Dichtung solcher Art in dem einen Falle in der zur 'Sage' gewordenen Geschichte Karls des Grofsen eine hinlängliche Begründung fände, im an- deren nur durch eine französische Dichtung weltlichen Ursprungs über den Gegenstand befriedigend soll erklärt werden können. Die ^olksüberlieferung' hätte mithin nach der ersteren Ansicht alles das bewahrt, was G. Paris als in der französischen Dichtung gegeben voraussetzt und in später überlieferter altfranzösischer Ependichtung wiederfindet (s. S. 292 f.), die Namen der an der Belagerung teilnehmenden Personen, die Benennung Bertrands als pcdasin, die feindlichen Begegnungen des Borel und seines Sohnes mit den christlichen Feldherren, die Auffassung des der Geschichte nach christlichen Fürsten Borel als Gegners Karls des Grofsen u. s. w.

Was aber rät nun zur Annahme solcher zm* Sage gewor- denen Geschichte von Karl dem Grofsen als Grundlage des lateinischen Gedichts im gegebenen Falle, und was widerrät die Annahme, alles Stoffliche am Haager Bruchstück sei in einer fran- zösischen Dichtung bereits zusammengefafst gewesen? Zunächst wäre es (s. o. S. 293 f.) der Umstand, daß? im Haager Bruch- stück vom altfranzösischen Epos abweichende Züge vorhanden sind, die die Nachahmung der antiken Epopöe als mafsgebend für den lateinischen Dichter zeigten; ferner der übertriebene schwülstige Stil, der nichts mit jenem Verwandtes habe; sodann die Unmöglichkeit, dafs ein Gelehrter des 10. Jahrhunderts ein Volksgedicht in die exklusive Sprache der Wissenschaft über- setzte; überdies sei das Verfahren des Verfassers des Haager Bruchstücks, wenn er das Material aus der volksmäfsigen Über- lieferung nahm, dasselbe, wie es Ermoldus Nigellus und noch mehr der Dichter des Walthariliedes angewandt habe (Ebert, Gesch. HI, 351).

Den ersten dieser Einwände mrd man, ohne damit die fran- zösische Dichtung zuzugeben, fallen lassen dürfen; denn ein latei- nischer Dichter, der einmal beschlofs, volkstümliche Überlieferung zu bearbeiten und dieselbe in der Sprache der Gelehrten darzu- stellen, nuilste notwendig eine der entsprechenden lateinischen

Zum Haager Bruchstück. 297

Dichtgattuug und den Überlieferungen der lateinischen Dichtung gemäfse Darstellungsweise wählen, wenn sein Werk als lateinische Dichtung gewürdigt werden sollte. Ohne Entlehnungen und An- klänge an die erzählende lateinische Dichtung wäre dieser Zweck nicht erreicht worden, daher war mit der lateinischen Sprache auch die sonstige unfranzösische Einkleidung des behandelten Stoffes gegeben. Dieselbe anzuwenden war der lateinische Dichter des 10. Jahrhunderts aber jedenfalls auch nicht mehr behindert durch ein französisches Gedicht als durch eine Sage, die ihm das Material gleichfalls nur in der Ausdrucks weise des Volkes zur Verfügung stellte.

Hierfür und zugleich gegenüber dem zweiten Bedenken läfst sich aufserdem das Carmen de jproditioiie Guenonis geltend machen, wofür der Dichter zwar aus dem zu Grunde hegenden französischen Gedicht Gestalten, Handlungen, Scenen in glei- cher Aufeinanderfolge n. s. w. entnahm, ohne sich dabei an den spraclilichen Ausdruck der Grundlage für gebunden zu erachten, den er verläfst, ohne ihn gänzlich vergessen zu machen und ohne die clinnson de ^esf e - mäfsige Haltung des Ganzen verkennen lassen zu können. Der Wortlaut aber des von ihm benutzten Rolandgedichtes hat auch ihn nicht gehindert, einen abweichen- den Stil zu wählen, in bedeutender Ausdehnung lexikalische Wortspielereien zu treiben, wie Allitteration wirkende Wieder- holung desselben Wortstammes die wichtigste Quelle für seine stilistische Formgebung ' in seinen Distichen anzuwenden und in gezierter Weise sich vöUig den Gebrauch von est und sunt zu versagen zum Zeichen dafür, dafs auch er seine Grundlage in eine andere Sphäre zu heben suchte, dafs er anderen Mustern für die Darstellung folgte als dem Volksgedicht, dafs er ein gröfseres Interesse für den sprachlichen Ausdruck als für den behandelten Gegenstand hatte, der ihm fertig zur Verfügung stehen mufste, um ihm eine so verkünstelte sprachliche Ein- kleidung zu gestatten.2 An Wendungen der klassischen Sprache

' Z. B. V. 79: Ctimqiie ttmore novo timor illkis renovattir Kt limet ei tlmidum reddet uterque timor.

^ Der Verfasser wird, nebenbei bemerkt, ein Spanier gewesen sein. Den Franzosen schlierst der Umstand aus, dal's neben einmaligem Fran- eigence 472, das irrelevant, niemals Franci angewandt wird, wie aus- schliefslich von den Tjateinern Frankreichs im 12. Jahrhundert, sondern

298 Zuiii HaagiT HriR-listik-k.

fehlt es auch hei ihm nicht, vgl. Mars = piMjna 229, 233, 248, 273, 351 u. a., f'ortuna 314, sua fata 450, quirltes 385; er spricht auch in eigner Person, um sich wegen der Kürze seiner Mitteilungen zu entschuldigen, nimmt aber gleichwohl in der Art seiner Vorlage Ton imd Miene des Augenzeugen an. Auch wört- licher oder sinnentsprechender Anschlufs an die französische Vor- lage begegnen bei ihm noch mitunter, vgl. v. 203 judicat = Rol. 742, 751, vgl. V. 39; v. 15 annis sejjtem = Hol. 1; v. 137 extrahit ensem = Eol. 443 f.; v. 339 ff. = Rol. 1652 ff.; v. 373 4 rmapiintur veuce capitis . . . rare craor manat Rol. 1763 f.; v. 393 regi dextram secat Rol. 1903; v. 403 orhus = Rol. 1992; v. 449 Circuinquaque legens fert corpora patriciorum = Rol. 2180 f.; v. 458 mniam supplice voce rogat = Rol. 2364; v. 480 dilaceratur eqiiis Rol. 480 ff. u. a. m. Trotz der selbstgewählten, vom Rolandslied sehr erheblich ab- weichenden litterarischen Gestalt und sprachlichen Wiedergabe ist hier ein Zweifel an der Benutzung einer Dichtung in fran- zösischer Sprache ausgeschlossen, weil diese selbst oder wenig- stens eine ihr verwandte französische Bearbeitung derselben uns vorliegt. Wäre dies nicht der Fall und sollten in der Frage die Anlehnung des carmen an Sprache und Darstellung der latei- nischen Dichtung, nicht aber die anderen aus den latei- nischen poetischen Überheferungen unerklärbaren Züge des Carmen den Ausschlag geben, so würde auch hier, statt auf eine altfi'anzösische clianson de geste, auf die Sage, und doch irr- tümlich, als Grundlage geschlossen werden. Mindestens ebensoviel

stets Oalli (271, 355, 465), die Bezeichnung der Franzosen durch die Nachbarn, und ebenso nur Gallia (195 f., 357, 467), nie Franeiu. Nostri 243 besagt nur Parteigenossen, Christen. Sprachliche Hispanismen des Textes scheinen v. 89 das Verbum epaciarc, lustwandeln = spau. espaciar, das ital. und franz. eine andere Bedeutung hat (umherschweifen, sich ent- fernen ; ital. spaxxarc, räumen) ; v. 429, 459 fjentäis, Heide = span. gentil (anderwärts in dieser Bedeutung ungebräuchlich) ; wohl auch v. 202 quserit quis qucerat ire, fragt, wer gehen ivolle =: span. qiierrer = velle, und viel- leicht das vom Dichter bevorzugte }nirari, schauen :- span. mirar 469 u. a. Ist V. 69, 78 Sirie, 73 Sin'nrum vom Gebiet der Bewohner, das Guenelon durcheilt, bevor er Machilies erreicht, etwa aus Slser (Sisre) des Rolandslieds entstanden? [Spatinri finde ich nachträglich bei Salimbene zum Jahre 1233 und bei Lambert v. Ardre (Pertz, Scr. XXIV, 035) c. 147 im fraglichen Sinne.]

Zum Haager Brudistiick. 209

Freiheit, auch gröfsere, in der sprachlichen Darstellung, als der Dichter des carmen, konnte sich aber der Verfasser des Haager Bruchstücks gegenüber einer altfranzösischen Dichtung genommen haben, so dafs von derselben in seiner Bearbeitung wenigstens für den ersten Blick nur noch wenig durchschimmerte (siehe jedoch darüber S. 309 ff.), weniger als im carmen. So weit stehen sich das carmen und das Haager Bruchstück jedenfalls gleich, dafs diese MögHchkeit einzm-äumen sein dürfte. Die Sprechart der beiden lateinischen Gedichte kann hierbei keinen Unterschied machen; der Dichter des 10. Jalu'hunderts bewegt sich in der schwülstigen Ausdrucks weise jener Zeit, wo der des 12. in reim- artigen An- und Gleichklängen, wie sie das 12. Jahrhundert liebt, sich gefäUt.

Dem dritten Einwände würde mit dem Walthari - Epos des 10. Jahrhunderts zu begegnen sein, wenn Ebert die Auffassung von Grimm u. a. teilte, wonach auch hier Beai'beitung einer Dichtung in der Volkssprache, füi- die zuletzt noch in der Aus- gabe von Scheffel und Holder (Stuttgart 1874, S. lU ff.) Be- weisstücke gesammelt wurden, stattgefunden hätte, während Ebert auch Ekkeharts Dichtung aus der Volks sage hervorgehen läfst, die dem lateinischen Dichter den Grimdrifs der Handlung und die Charaktere der Haupthelden bot (S. 274), und die als münd- liche Prosaerzählung (nach das. S. 35) zu denken wäre. Dieser Auffassung ist das Vorhandensein von Bruchstücken eines älte- ren alt englischen Gedichts von Waldere (s. Ebert S. 39), das ein solches auf dem Festland in deutscher Sprache vorauszusetzen berechtigt, nicht günstig ; allein der Einwand legt den Nachdruck wohl auf die Annahme, dafs das Haager Bruchstück eine blofse Übersetzung eines französischen Volksgedichts von der Art der chanson de geste sei in die exklusive Sprache der Wissen- schaft, und von einer solchen kann bei den Wendungen, deren sich der Verfasser des Haager Bruchstücks bedient, allerdings nicht die Kede sein. Immerhin aber spricht seine Ausdrucks- weise, wie bemerkt, weder für eine zu Grunde gelegte Sage, noch gegen ein französisches Gedicht über den Gegenstand als seine Quelle.

Mit alledem kann die fi'anzösische clinnson de geste natür- lich noch keineswegs als nachgewiesen gelten, üud wenn aus Volkssage ein Gebilde wie das Haager Bruchstück sich erklären

300 Zum Ifiiiigor IJnirlistück.

lielse, so läge keiu Grund vor, über dieselbe hiiiauszugreifen bis zur Annahme epischer Gcdiehte von Karl dem Grofsen im 10. Jaln-- hundert, füi* die hier und bisher höchstens die Möglichkeit dar- gethan worden ist. Das Beispiel des Ermoldus Nigellus, auf das sich zur Erklärung dafür, wie aus volksmäfsiger Überlieferung ein litterarisches Erzeugnis von der Art des Haager Bruchstücks entstehen konnte, Ebert beruft (s. o. S. 296) neben dem Waltharius, den wir aber hierfür wegen der älteren altenglischen Dichtung als zweifelhaft aufser Betracht lassen müssen, würde, Avenn zu- treffend, hinreichen, um sich auch für das Haager Bruchstück bei der Volkssage genügen zu lassen. Eberts Vergleichung des Haa- ger Bruchstücks mit des Ermoldus Gesta Hludowici Ccesavis (um 827) nach Ursprung, Stoff und Behandlung, erfährt ihre be- sondere Erläuterung in der Gesch. d. Litt. d. Mittelalters H, 178 f., Avonach bei Ermoldus, Buch I, 'sich zum erstenmal im Abend- land als Gegenstand der Epik der Kampf mit den Sarazenen (Eroberung von Barcelona) zur Zeit Karls des Grofsen findet, also das Sujet des volkstümlichsten der grofsen Sagenkreise der nationalen Weltlitteratur, und zwar schon auf Grund mündlicher Überlieferung, der 'Sage', wie der Dichter selbst bemerkt (I, 65 ff.):

Oidmina terrarum vel quot cartella perayrans (sc. Imdovicus)

Subdidit imperiis arnia ferente deo Sunt mihi nota tninus, vel, si modo nota fuissent,

Non poterat stolidus ciincta notare stilus: Sed, qua, fam,a reeens sttipidas perrexit ad aures,

Ineipiam, eanere; ecetera linguo catis.'

Von der Berechtigung nach dieser Stelle, Ermoldus mit dem Verfasser des Haager Bruchstücks hinsichtlich ihres Verhältnisses zu den Quellen gleich zu stellen, ist es mir jedoch nicht gelungen, mich zu überzeugen. Des Ermoldus und seiner Zeit Sprechweise selbst scheint mir vielmehr darzuthun, dals sein Werk ein Ge- dicht auf geschichtlicher Grundlage, ausgeführt unter Anlehnung in Sprache und DarsteUuug an Virgils Dichtung ist, die dem Mittelalter als Vorbild auch für geschichthche Dichtung galt, weil es Geschichte darin sah, ein Gedicht, das zwar nicht der 'mündlichen Überlieferung', wohl aber der 'Sage' fern steht. Denn dem fama reeens^ das jene Auffassung stützt, soAvie das bei Ermoldus oft begegnende fama schliefst nicht sowohl den Sinn von 'Sage' in sich, sondern besagt 'Nachricht', 'Neuigkeit

Zum Haager Bruchstück. 301

nach mündlichem Bericht'. Dies erhellt aus der augeführten Stelle selbst, da der Dichter sagt, er wolle nicht von den Höhen und Festen erzählen, die Ludwig dem Reiche unterthan gemacht, denn diese seien ihm zu wenig bekannt, und, wenn sie ihm bekannt wären, würde sein unbehilflicher Griffel sie nicht alle bezeichnen können; er wolle sich beschränken auf das, was die fama recens, die noch frischen Nachrichten, Nachrichten aus neuerer Zeit, zur Kenntnis gebracht hätten. Das Ereignis, das hiernach berichtet wird, ist die Einnahme von Barcelona durch Ludwig den Frommen vom Jahre 80 L Ermoldus hatte dem Ausdruck zufolge (quce fama recens stujjidas pervexit ad aures) daran zwar nicht selbst teil und konnte darüber vermutlich auch nicht wie über Miterlebtes sprechen; aber was er darüber be- richtet, macht, weil Ludwig selbst vorgetragen, dem er seine Dichtung sendet, doch Anspruch darauf, auf zuverlässiger mündlicher Kunde zu beruhen. Dazu kommt, daCs im gleichen Sinne fama recens bei Ermoldus I, 545 steht: Fama recens totam commiscuit ocius atdam Coisareas aiires mox pene- travlt ovans, von der Neuigkeit gesagt, die Karl dem Grolsen über die Erfolge Ludwigs bei Barcelona eiligst durch Bigo, n u n t i a loita ferens^ v. 544, übermittelt wird. Man sieht aus den beiden Stellen zugleich, welche verschiedene Dauer unter recens gedacht werden kann. Fama allein steht noch öfter in diesem Sinne bei Ermoldus (z. B. I, 259, 461, 565: fama est, d. h. es wird berichtet, dafs der Patriarch Pauhnus zu Karl dem Grofsen gekommen was wirklich der Fall gewesen war; II, 103, 245, III, 3) von verbürgter Nachricht. Und dementsprechend enthält auch seine Dichtung weder Sagenhaftes noch Episches. Ermoldus hebt einzelne hervorragende That- sachen aus dem Leben Ludwigs des Frommen heraus, mit dem sich die beabsichtigte Lobpreisung desselben verbinden läfst, und belebt die Erzählung mit den überlieferten Darstellungsmitteln der gelehrten Kunst (Reden, Ansprachen, Schilderungen). So- weit es die Dinge, die er vorträgt, erlauben, gestaltet er sich das Bild von denselben nach Virgil; dafs er in der Belebung des Gegenstandes, abweichend von dem Verfahren der Sage, sich hütet zu weit zu gehen, zeigt u. a. sein vorsichtiges fortasse I, 171: Immer is fortasse recumhens Vilheltni comitis luve dicta dahat (vielleicht zu Willielm sich niederbeugend sprach

802 Zum Haiiger Bruchstück.

er diese Worte). Eine Schilderung, wie die der Heeresversamm- lung (I, 283 ff.), stützt sich auf Vorkommnisse, die der Dichter, der selbst an einem Kriegszug teilnahm, mehrfach vor Augen gehabt haben wird. Die Episode von Datus (I, 207 ff.), der, nachdem er seine Mutter den Sarazenen preisgegeben hatte, die That bereuend, Mönch wurde, enthält in Wahrheit heroische Züge, wie sie dem Epos unentbehrlich sind; aber auch hier handelt es sich nicht um Sage, sondern um eine verbürgte Nachricht (vgl. I, 259 fama pervenit ad aures pii regis ; I, 214 adfirmant)^ da Conca, dessen erster Insasse Datus war, erst unter Ludwig dem Frommen gegründet wurde und 819 unter seinen Schutz gestellt worden ist. Gewifs sind des Datus heroischer Verzicht auf die Freigebung seiner Mutter oder Wilhelms von Toulouse Ver- spottung durch Sarazenen und die Rolle, die dabei sein Pferd spielt (Ebert II, 1 74), Züge, denen man im altfranzösischen Epos begegnet; aber auch sie wurzeln darum nicht in der Sage; sie würden sich im Epos nicht finden, und dasselbe wäre überhaupt nicht vorhanden, wenn derartige Züge vom wirklichen Leben nicht selbst in der einen oder anderen Form dargeboten worden wären. Wenn nun aber des Ermoldus Dichtung nicht auf die Sage zurückführt und auch andere erzählende lateinische Gedichte aus früherer oder späterer Zeit nicht bekannt sind, die auf der Sage beruhten, so ist schwer einzuräumen, dafs das chanson de geste- artige Haager Gedicht Anspruch habe, aus solcher Quelle ab- geleitet zu werden. Allerdings dringt Sage in die mittelalter- liche Chronik ein; die fränkischen und longobardischen Geschichts- bücher und ebenso die Legende legen Zeugnis dafür ab; aber nicht alles ist dabei nur Sage; auch Volksdichtung kam darin zur Geltung. Man begegnet beiden z. B. in der bekannten Chronik von Novalese (Pertz, Scr. VII), in die das Walthariusgedicht des Ekkehard Eingang fand. Die Ausführhchkeit, mit der der Chronist von den Ereignissen, die den Gegenstand der Waltharius- dichtung bilden, erzählt, und die mannigfachen Einzelheiten, die er daraus berichtet, deuten gegenüber seineu kargen Angaben über sagenhafte Vorgänge in anderen Fällen allein schon an, dafs ihm hier eine litterarische Quelle zur Verfügung stand ; und auf gleiche Weise giebt der Mouachus trium fontium (13. Jahr- hundert) durch Anführung zahlreicher Einzelheiten zu erkennen, dafs er für die Zeit Karls des Grofsen aus den französischon

Zum Haager Bruchstück. 30P>

chansons de geste und nicht aus der Sage schöpfte, was als thatsächhch erwiesen istJ Wo die Berichterstatter über eine lunrifsartige Wiedergabe von Hauptpunkten sagenhafter Er- eignisse und über Nenniuig von Haupthelden, auf die Ebert ge- wifs mit Recht den Begriif der Volkssage beschränkt (s. o. S. 299), nicht hinausgehen, wie so oft z. B. Paulus Diaconus, fehlt, treten nicht sicherere Anzeichen hinzu, ohne Zweifel die Berechtigung von Volksdichtung zu sprechen; wo sich dagegen anschau- liche Ausführung des einzelnen zeigt, gewinnen Grundlagen von litterarischer Form oder gleichartige Vorbilder dafür einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit. Und in diesem Falle befindet sich sowohl das Haager Bruchstück mit seiner ausgeführten chanson de gaste - artigen Schlachtschilderung, wie das Walthariusgedicht mit seiner Fülle von der Virgilschen Epik fremden Handlungen, Scenen, Gestalten, Charakteren u. s. w., die zugleich viel zu grofs erscheint, als dafs sie von einem einzelnen hätte erdacht werden können.

Aber zur Anerkennung dieser Folgerung ist es vor allem erforderlich, über den Begriff von Sage einer Meinung zu sein. Er ist dehnbar und nirgends genauer bestimmt, und gewifs ist es eben nur der verschiedene Umfang, in dem die eine Sage ausmachenden 'Hauptpunkte' oder der 'Grundrifs einer Handlung' und die 'Charaktere der beteiligten Haupthelden' gedacht werden, der einen Widerstreit der Anschauung im vorliegenden Falle her- vorrufen konnte. Wenn jedoch die Sage weder Personen noch Zeiten auseinanderzuhalten vermag und Gleichartiges miteinander vermischt; wenn, je welter das zu Grunde liegende Ereignis zeit- lich zurücktritt; um so weniger von dem ursprünglich Thatsäch- llchen übrig bleibt (schliefsHcli nicht viel mehr, als was dem, der sie aufnimmt und mitteilt, daran wert ist, während alles übrige sich verwischt, zerfhelst, unter den Eindrücken einer neuen Zelt sich ausgleicht, oder etwa noch als idealer Gegensatz zu der- selben sich aufrecht erhält); wenn die Sage von vergangeneu Dingen allein im Gedächtnis ruht und zwar als dunkle ver-

* Auch die Historia rerum Francorwn Jiioiiasterii Saudi Dionysii (bis 1108 reichend), bei Pertz, Scr. IX, 100, aus der ersten Hälfte des 12. Jahr- hunderts enthält einen, wie es scheint, auf einer verlorenen cliaiisoii de geste beruhenden Bericht von Ludwigs des Frommen Zug nach Spanien im Jahre 800,

304 Zum Haager Bruchs^tück.

schwommene Erinnerung, gewissermafseii abstrakt, ^vc'il sie nichts Selbstgeschautes und Selbsterfalirenes ist, wofern ihr nicht äufsere Wahr- und Merkzeichen die Frisclie desselben verleihen; wenn das Gedächtnis sich sogar eigenen ereignisvolleren Zeiten niemals entfernt gewachsen zeigt; wenn endlich der eine in diesem, der andere in jenem Wortlaut, was die Vorfahren den Vorfahren zu berichten wul'sten, immer niu" nach Mafsgabe der Deutlichkeit seines Wissens weiter übermittelt: so bleibt unverständhch, wie die geschichtlichen Gestalten, die das Haager Bruchstück mit der Belagerung einer sarazenischen Stadt verknüpft, mehr als etwa 150 Jahre in der Helligkeit fortbestehen konnten, in der sie das Bruchstück vorführt, und wie sie in der für Frankreich so ereignisreichen Zwischenzeit nicht mit so vielen anderen bedeutsamen Vorgängen derselben aus der Erinnerung fort- geschwemmt worden sein sollten. Unsere Märchen bezeugen die Wandelbarkeit der blolsen Sage mit ihrer unbegrenzten Ver- schiebung von Motiven, Gestalten, Orten und Zeiten, imsere Burgsagen ebenso, soweit sie nicht nachträgliche Deutungen von Verwunderung erregenden örtlichen Eigentümlichkeiten sind, in denen die Sage gewissermafsen plastisch dargestellt vorliegt; ebenso unsere Erinnerungen an Vorgänge unserer eigenen Ver- gangenheit, die, wofern wir nicht persönlichen Anteil au ihnen hatten, viel geringere Klarheit und Deutlichkeit behalten, als alles, was wir uns künstlich einprägen und absichtlich im Ge- dächtnis befestigen. Oder mit welchen Einzelheiten wissen wir unseren Kindern den Bericht über die Schlacht von Sedan, über die Gefangennahme Napoleons HI., die den Fall einer Dynastie und eines Reiches und die Erhebung des eigenen Vater- landes zur Folge hatte, oder den Kampf um Königgrätz auszu- statten, die Avir einst diese Vorgänge bis zu den geringsten Nebeu- umständen herab kannten? Oder wer kann, ohne aus Büchern zu schöpfen, anschaulich heute noch von den Thaten unserer Voreltern aus den Befreiungskriegen, wer von den Helden unter Friedrich dem Grofsen, wer vom Dreifsigj ährigen Kriege erzählen? Und im Mittelalter sollte es dem, was in der Vergangenheit Grofses geschehen und gewesen war, anders ergangen sein? In einer Zeit, wo die Kunde hervorragender Thaten sich weniger leicht verbreitete, die Empfänglichkeit dafür weniger allgemein und der Bhck beschränkter war? Oder wäre die Saue im Mittel-

Zum Haager Bruchstück. 305

alter von festerer Form und Fügung darum gewesen, weil mau ein und dasselbe wieder und wieder und in derselben Weise er- zählt hätte, etwa wie eiue alte Märchenerzähleriu, die in den Worten, in denen sie es selbst wiederholt vernalmi, das iln' ge- lehrte Märchen weitergiebt, oder wie die Bänkelsänger unserer Jahrmärkte, die von dem einmal gewählten Vortrag über das schreckliche Ereignis, das sie verbreiten, nicht mehr abweichen, so dafs die Sage dadurch einen Halt erhielt, wie die Göttersage einen solchen am priesterUchen Kultus oder au der mederkehren- den Naturerscheinung, oder die religiöse Sage am Unterricht, au der Predigt und am Gottesdienst der Kirche hatte? Aber wäre es dies, was unter Sage verstanden werden soll, eine Darstellimg in festgefügter Form, so käme in der That der Widerstreit fast auf einen verschiedenen Wortgebrauch hinaus, denn die in Wor- ten gefestigte Sage oder die in Worte gef afste Überlieferung aus der Zeit Karls des Grofsen wäre so doch ein volksgeschicht- licher Bericht über Ereignisse der Vergangenheit in littera- rischer Gestalt, imd es bliebe lediglich die Frage offen, ob mit ihr der Vers verbunden zu denken sei oder nicht, wonach, wäre das erstere der Fall, in der Latinisierung der im Haager Bruchstück behandelten 'Sage' in der That die Bearbeitimg eines Teiles einer altfranzösischen chanson de geste gegeben sein müfste. Denn festgestellt ist, dafs der lateinische Dichter den Stoff nicht erfunden hat und ohne chanson de geste-avtige Vor- bilder nicht so gestalten konnte, wie er es that; ebenso, dal's er nicht einen aller Einzellieiten entbehrenden Bericht von der Be- lagerung einer sarazenischen Stadt, die imter Karl dem Grofsen, mindestens 150 Jahre vor seiner Zeit, sich ereignet hatte, in chanson de geste -artiger Weise und in der Sprache lateinischer Ependichtung bearbeiten konnte; ebenso, dafs aus dem Genius des Volkes die unlateiuischen Züge seiner Darstellung sich nicht vollkommen erklären, weil sie die geistliche Bildung des Ver- fassers verläugnet; ebenso, dais die litterarische Form einer Volks- sage einen lateinischen Dichter nicht hindern konnte, seine Sprach- künste zu zeigen und den Gegenstand in die Sphäre der gelehrten Dichtung zu heben.

Mithin besteht mu- die doppelte Möglichkeit: entweder der Dichter des Haager Bruchstücks entnahm die Einzelheiten, die er vorträgt, einer durch häufige Wiederholung in den nämUchen

Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV. 20

306 Zum Haafrt-T Bruchstück.

Worten im (iedächtnis der Zeitgenossen oder von Geschichten- erzählern gefestigten Erzählung, die freilich mehr enthalten hätte, als Ebert der Sage zugesteht (s. S. 303), oder diese Erzählung war in Verse gekleidet, hatte dann aber die Form der chansou de geste, weil sie in objektiver Haltung eine über mehrere Tage sich er- streckende Handlung vorführte, deren Darstellung, nach dem Umfang des Haager Bruchstücks zu schliei'sen, mehr als einige Hundert Verse erforderte; im anderen Falle dagegen wäre die Prosagrundlage des Haager Bruchstücks auch als Vorstufe der späteren chanson de ^e.sfe -Dichtung aufzufassen, deren eigene Anfänge höchstens in das 11. Jahrhundert fielen.

Treten wir der Frage nunmehr in dieser Form näher, so ist vornehmlich auf die Familienähnlichkeit aufmerksam zu machen, die zwischen chanson de geste und Haager Bruchstück be- merklich wird in Darstellung, Schilderung und Ausdruck. Der Dichter des Haager Bruchstücks giebt keinen Bericht nach die- sem oder jenem Gewährsmann, der fama u. dgl., wie Ermoldus Nigellus, sondern er stellt die Geschehnisse wie Selbstgesehenes gleich den chansons de geste vor. Seine Menschen haben Fleisch und Blut, sind deutlich angeschaute, von Kampfesingrimm erfüllte Krieger, wie die Roland, Olivier u. a. im altfranzösischen Epos, und sie M^erden durch charakterisierende Beiwörter Avie dort von- einander unterschieden (Wibelimis agilis et audax; Bertran- dus palatinus ; Carolas imperator). Ebenso fehlt dem Haager Bruchstück, das wiederum darin dem nationalen franzö- sischen Epos gleich ist, eine deutliche Vorstellung von Zeit und Ort der Handlung, die Ermoldus anzugeben weifs und in voller Helligkeit erblickt, welche aber dem Dichter des Waltharius ebenfalls nebelhaft sind. Es ist ferner eine heroische, zu Lei- stungen über Menschenmais hinaus befähigende Zeit, in der die Gestalten des Haager Bruchstücks, wie die der chanson de geste, wurzeln: daher die gewaltige Kampfeswut und Körperkraft bei Freund und Feind, die hohen Ziffern von im Kampf Erschlage- nen (Haag. B. jprcestant mille maniis suffragia homini), die den lateinischen Nachbildnern des lateinischen Epos im Mittel- alter fremd sind. Weniger Gewicht ist darauf zu legen, dafs im Haager Bruchstück und den chansons de geste die Veranschau- lichung einer Schlacht durch Schilderung von Einzelkämpfen und des Eingreifens einzelner in den Kampf zu erreichen gesucht

Zum Haager Bruchstück. 307

wird, uud die Belagerung hier verläuft, wie sie dort zu verlaufen pflegt. Denn ähnliches findet sieh, annähernd wenigstens, auch in geschichtlichen Gedichten uud in der Chronik. INIit der Be- lagerungsschilderung des Haager Bruchstücks: Sihilat {ruber telorum susj^ensns aere et instat quantnm, magis evalet im- l)ulsus manu. Hotatur suhlimior ordo in fossa suis vulneri- hus et dat graves lapsus posteriori . . . dum recrearet spirittis jam suffitiens sihi lassos artus^ a longe impingit alternus furor et urguet Ccesarias aties, qidhus erat negatus omnis aditus in arte et armis . . . et strepit liherior sihi per propugnacida et per murales latehras. Resultatque aligerum semen super tegmina clipeorum, ut sit grando^ et deservit ferro comes . . . nee tmquam plus satiaverat suas mentes cmde . . . Prope facit mucro omnes dextras intentas sihi, repetitque Cwsarius miles propiora menia fosscp.que redvndans cepit in suhlime. De sursum distillat acutus palus . . . degeritque pugnans molaris Corpora suheuntia confusis armis, vergleicht sich u. a. Erraol- dus Nigellus I, 498:

Bex Franeique simul easfra vctata j)efu7it. Machina densa sonat, pulsantur et undique muri . . . Crebra sagitta cadit vi funda retorta fatigat . . . Jam Mauri miseri tiee muros seandere celso

Audent, luc turri cernere castra volent . . . Non aliter Mauros timidos fugitando per urbeui

Insequitur gladiiis undique niorsque, pavm: Tum rex ipse pius erispans hastile lacerto

Inque urbem adversaui conpulit ire celer u. s. w.

oder Abbo De hello paris. I, 85 ff., 99 ff.:

Prcelia derotis iaciunt inmania valde; Pila volant hine inde, eaditqiie per aera sanguis, Conmiscentur eis fundte lacerteque baliske; ... Ad turris nocturna gemit dardis tcrebrata . : . Qiii vcro cupiunt uiurum succiderc musclis, Addif eis aJeum ccraniquc piccmqnc »iinistrans, Mixta sinnd liquefacta foco ferventia valde, Quce Danis ccrvice comas urunique trahuntque.

Einzelkämpfe, ^^^e sie das Haager Bruchstück vorführt: lllic et 2)ertonat ardens miles Krnoldi ad muros, et ipse tenens pilum scienter anhelat ante suos . . . Plene fructificat Juventus Bernardi experta in adversis rebus . . . It gravis fremitus Bertrand i qua eminet fort ior pars urbis fossa et

20*

308 Zinu Haager Bruchstück.

muro . . . trucidatque jjugiles u. s. w. begegnen ebenso, wenn aiu^h weniger ausgeführt, bei 3^>moldus I, 362:

IHlthiberth arcum corripit ecce mmni. Dcniqne clammäi contra stetit ocius liosti

Cornea plectra tenens et trahit atqiie plicut. Acta sagitta volans ccrebro se contulü airo

Inqice os Tociferimi mcrsit harundo noccns. nie cadens niuros invitus deserit altos . . . Tum varii varios demitttmt funeris Orco,

Vilhelm Habimdar, at Lduthardus Urix. Lancea Zabirixtm, ferrum forat actile Lhaeioti . . .

bei Abbo 95 ff., 107 ff.:

Plus ali'is fortes, alter eomes, alter et ahba: Alter Odo vi clor, bellis invictus ab idlis Conforta')ido fatigatis vires revocabat . . . Fortis Odo innumeros tutudit. Sed qiiis fuit alter? Alter Ebolus huic socius fuit aquijjeransquc ; Septenos una potuit terebrare sagitta . . .

und selbst bei Guillelmus Tyrius, Hist. rer. in part. transmnr. i)estarum, z. B. V, 6 versus pontem civitatis certattm conten- dunt. Sed praevenerat eorum molimina in hujusmodi assuetus negotiis, LotJiaringa; dux illustris; et locum qui ante pon- tem eorum erat aliquantulum emlnentior, cum suis occupat . . . et . . . aut gladiis obtruncat . . . aut compelUt peritnros. Instat comes Flandrensium, tanquam vir strenuus ... Jwstluin prosternit agmina ... Normannorum vero nihilominus eo- mes ... stremie nimis in eodem desudat opere. Com. es quoqae Tolosanus , zelo dei succensus, Hugo etiam magnus ... eomes Eustachius u. s. w.; vgl. auch VI, 18 die auf Anseimus de Riburgismonte bezügliche Stelle u. a. Die Erzähler beschreiben hier eben Kampfes- und Angriffsweisen ihrer Zeit, von denen sie selbst Zeuge gewesen, und stimmen darum in der Darstellung zusammen.

Aber weiter lassen sich auch auf Gleichheit der Vorstellung von der Sache beruhende Einzelheiten der Schüderuug imd Ahn- Hchkeit des Ausdrucks im Haager Bruckstück uud den chansons de geste inmitten der geschraubten und verstiegenen Redewen- dungen des lateinischen Dichters bemerken, von solcher Art, ^vie sie uns bereits in dem carmen de prodiüone Guenonis begegneten. Eine Reihe in den chansons de geste zum Teil sogar t^^isch gc-

Zum Haager Bruchstück. 3U9

wordener Wendungen, die sich als Grundlagen für Beschreibungen des Haager Bruchstücks darstellen, anderen Arten erzählender französischer Dichtung aber fremd sind, sind vorhanden, die hier nicht übergangen werden dürfen.^ Haag. Br. De sursum distillat acutus p al u s ... degeritque pugnans molaris corpora snheuntia coufusis armis: Aimeri de N. v. 1019 Gietent (frans pierres Et pieus aguz contreval en lanqant ; vgl. auch das. V. 1091. H. Br. ^>?'cesfay«i mille manus suffragia Jiomini: Rol. V. 147 Moerent paien a milliers e a cenz. H. Br. Gradivus notans s anguinolenta brachia: Rol. v. 1343 Sanglent en ad e l'osberc e le hrace; vgl. das. v. 1711. H. Br. Et alternat equum commissus totis viribus: Rol. v. 1197 Sun cheval brocket, laisset curre a csforz. H. Br. Effecerat solaris orbita prceclarum orbem : Rol. v. 1 002 Clers fu li jurz e bels fut li soleilz, u. a. m. H. Br. Perfunditque sudor ubique proruptus ducem: Rol. v. 2100 Mais le cors ad tressuet et mult ehalt. H. Br. Con- crescunt spumai per ora: Alisc. 6837 Par mi la bouche li. .'iaut hors l'es cumee. H. Br. Trucidatque irugiles, vgl. Rol. 1340 Des Sarazins lor fait mult grant damage. H. Br. lam r u mp uiit u r ferrea flagella p ortar u m cum toto poste: Aimeri de N. v. 1154 Eist a la porte un fort assaiit plenier , Car tant i fierent et devant et derrier Que les ais fönt totes fondre et per der Et par devant fönt le flael brisier. H. Br. Uiidique stat fusus cruor, undique rubescunt stagna, vgl. Rol. v. 1342 Le sanc tut der gl a der par cele place. H. Br. Turne scunt aera, incubat atra nox per urbem, vgl. Rol. v. 717 Tresvait li jorz, la noit est aserie. H. Br. Stupet terra . . . potuisse urbem teuere tantos viros extraqxie fudisse: Rol. v. 1467 Quant Franceis veient que paiens l ad tant, De tutes parz en sunt cuvert li camp, vgl. Rol. 1399, 1464,

' Als eine aus französischer Grundlage geflossene Wendung bezeichnete G. Paris a. a. O. S. 46G favet fortuna suui» rrllc. Die Substantivierung von vcUp. ist im Mittelalter jedoch eine so allgemeine, dafs sie hier nicht erwähnt werden kann. ]\Ian vgl. die noch un lateinischere Konstruktion bei Gotfried v. Viterbo (c. 10! il) in den ihm beigelegten (iesta Hoinrici VI. (Pertz XXII, S. 234, v. 87) Goada (die KiUiigin) vclle ikiIIc iintlmil in C'injiaiit sie senden sie, gezwungen, ob sie wollte oder nicht, in ein Boot.

810 Ziiui Haugcr Bruclistiick.

Aimeri de N. 17, 45 u. a. H. Br. (Jurolus imijeratnr ut fortis, fix US pietate Toyiantis, ([uem semper sciebat lorces entern largumque: Aimeri de N. v. 93 Pseudoni ja Carl es a la harhe florie^ Graut vertuz fist dex por lui en sa vle; v. 101 Mainte miracle li fist dex en sa vie; vgl. Rol. 2458. H. Br. (Carolas) instif/atque ardentes iiianus amori bellorum: Hol. v. 3405 Li emperere re da im et ses Franceis; vgl. das. 3391, 3396. H. Br. Tollit (Carolus) lumin a ad sidera, soluta mananti rare lacrimarum, humectatque genas: Rol. v. 2532 Carl es guardat amunt envers le ciel; Rol. v. 840 Carl es li magnes ne puet iiiuer n' en ^jlurt, das. 1409, 2856, 2894. H. Br. Ke tripudiet gens offensa sujjerno rei, vgl. Rol. 1932 Quant Rollanz vit la contredite gens; Rol. V. 2630 Granz sunt les Jwz de cele gens averse. H. Br. Unuvi e nat is Borel (warum unflektiert?): Rol. v. 1388 Esperviers i fut li filz Borel. H. Br. Exil ort ans que equu m talo mo n itore, vgl. Rol. v. 1245 Sun che v a l brocket des esperons d'or fin. H. Br. Cervicem. . . totamque medullat utrimque, vgl. Rol. v. 3617 Trenchet la teste pur la cervele esp andre ^ vgl. auch 1205. H. Br. Ilaud secus famelica rabies leonis grassatur, vgl. Rol. v. 1888 Purco sunt Franc si fier cuine Hon, vgl. noch v. 1874 f. H. Br. Quo ictu impellitur corpus inilitis longius decem cubitis; sicque excussus equo vit am demiserat orco, vgl. Rol. V. 1902 Pleine sa lance l'abat de l'auferant; Aim. v. 1704 Pleine sa lance del cheval l'abat mort, Rol. 1229, 1250 u. a.; Rol. V. 1509 L'ame de lui en portat l'avers ier. H. Br. Dextra namque palatini (Bertrandi sc): Alisc. v. 4 li palasin Bertr ans. H. Br. Xamque terribile fulgur gladii per medium capitis , gutturis an tr um que pectoris umbilicique recepjit ... negat quippe trilex tunica atiei repjonere obstacula . . . veruin etiam equus vita invcnitur privatum: superfuit enim ensi spinas par- tire caballi (sie) ... vgl. Rol. v. 1326

L' helme li fraint ü li carbuncle luisent ... Trenehet la coife et la chereleure, Si li trenchat les oilx e la faiture, Le hlanc osberc dunt la maille est vienuc,

Zum Haager Bruchstück. 311

E tut Ic cors tresqu' en la furcheure,

Em cn la sele, qui est a or batue,

El cheval est l'espee aresteue,

Trenchet l'esjjtne, trnc n'i out quis jidnture ...

vgl. V. 1539^ u. a. H. Br. rumptintur fortia pliale- rarum vincula et cingula hr atteolis crepitantia: Rol.

V. 1601

cuens le fiert tant vertimsement, Tresqu'al na-sel titt le helme le fent, Trenchet le nes e la buche et les denx, Trestut le cors et l'osbere jaxerenc, De l'orie sele les dous alves d'arfjent E al cheval le dos parfundemcnt.

lu Worten hütet sich der Verfasser des Haager Bruchstücks, ohne es ganz vermeiden zu können, mit dem schUchten Aus- druck seines Vorbildes zusammenzutreifen; aber sachlich geht er in den Einzellieiten der Schlachtschilderung so vöUig mit den chanson de _i7fs^e - Dichtern zusammen, dals kein Zug der Schil- derung ihm eigentümhch ist; und dabei sieht auch er alle Dinge durch den epischen Schleier und fafst sie in der epischen Ver- gröl'serung auf und zeigt denselben Sinn für die rohe Kraft- äufserung wie jene, verschieden darin von Abbo, so sein* auch dieser die Dinge zum Wunder zu stempeln bestrebt ist. Auch dies deutet, wie es scheint, darauf hin, dals der Verfasser des Bruchstücks einen sachlichen Anteil au seinem Werke nicht hatte, dafs vielmehi- das StofFHche bis in die Einzelheiten hinein ihm aus seiner Quelle zuflofs, gerade so wie dem Dichter des carinen de proditione Guenonis aus dem Kolandepos.

Gesetzt nun aber, diese Quelle \A'äre eine Prosaerzähluug, Avie sie oben vorauszusetzen versucht wurde, gewesen, so würde in derselben hiernach die nämliche Erzählweise, wie im Haager Bruchstück und den chansons de geste, es würden in ihr auch jene in den chansons de geste wieder begegnenden zahlreichen typischen Euizelheiten der Scliilderuug bereits vorhanden und

Viel zahmer kliiigeu die bcgeisterteu Berichte in geschichtlicher Darstellung von ähnlichen Kraftliieben, vgl. Guillelmus Tyr. V. (J Dur vero Lotliarinfiu.^ . . . postquam multorum capita loricatorum, sine actus repetitione, solita virtute amputavit, unum de hostibus protervius instan- tem, licet lo?-ica itulului», per medium, dinsit. ita ut pars ab umbilico supcrior ad tcrram deciderat. Ohstupuit populus, tisa facti iwritatc (sie) . . .

312 Zum HaHger Hruchstück.

in nationalen Prosasagen des 10. Jahrliundcrts durchgebildet ge- wesen sein, in Erzählungen, die die Grundlagen gewesen sein Avürden für die späteren chan.'ions de rjastc mit geschichtlichem Kern vmd geschichtlichen Gestalten und vielleicht schon nocli in anderen, die diesen uacherfunden wurden. ]\Iit solchen Erzäh- lungen würde man dann unsere aus dem Volksmund aufgenom- menen Prosamärchen mit ihren typischen Gestalten von wunder- barer Schönheit und Kraft oder auch absonderHcher Bizarrerie, mit ihren gleichartigen Motiven, ihren phantastischen Lösungen von Schwierigkeiten und Konflikten, ihren stehenden Wendungen zu vergleichen haben, da Ähnlicheres sich nicht darbietet; und längere Märchen, die in einer Reihe von Episoden das Schicksal ihrer Hauptfiguren entwickeln, würden heranzuziehen sein, um zu zeigen, dafs es des Verses nicht bedarf, um einen Stoff, wie er im Haager Bruchstück bearbeitet vorliegt, mit allen seinen Ein- zelheiten im Gedächtnis jahrhundertelang zu festigen. Möchten immerhin die Gradverschiedenheit im Typischen des Märchens und der chanson de geste und der Unterschied zwischen Sage und Märchen und ihrer Erzählweise gegen solche Gleichstellung betont werden, und mögen auch die S. 303 f. gegen längeren Fortbestand geschichtlicher Einzelheiten in der Sage erhobenen Bedenken ihre Kraft behalten, man kann zugeben, dafs das eben- falls jahrhundertelang mündlich, öfter wesentlich gleichartig, wie es scheint, fortgepflanzte Märchen der Annahme, es müsse eine chanson de geste die Grundlage des Haager Bruchstücks gebildet und eine chanson de (/e.s^e-Dichtung im 10. Jahrhundert bestan- den haben, allerdings im Wege steht.

Freilich ist der Unterschied zwischen einer Prosasage, die sich in der Darstellung, Schilderung und in ty[iischen Wendungen oder Auffassungen des Gegenstandes mit den chansons de geste völlig deckte,^ und der chanson de geste ein verschwindender.

> Die Nachrichten des Monachus S. Gallensis über Karl den Grofsen und seine Zeit kommen, abgesehen von ihrem verschiedenen Charakter, für die 'Prosasage' nicht in Betracht, weil sie Berichte der zweiten Gene- ration sind und auf einen Zeitgenossen Karls des Grolsen zurück- gehen, der Selbsterlebtes und Selbsterfahrenes mitteilte. Das vereinzelte Sagenhafte an einigen der Berichte entstammt epischer Überlieferung älterer Zeit und der heroisch-epischen Auffassung der Vergangenheit; es hat nie die Züge einer ausgeführten Prosasage.

Zum Hanger Bruchstück. 318

da in dieser nur der Vers hinzutritt; aber hält man Prosasage in dem angegebenen Sinne und von der zur Erklärung des Haa- ger Bruchstücks erforderlichen Form für möglich, so ist, aller- dings nur in diesem Falle, einzuräumen, dafs die Zergliederung des Haager Gedichts über Prosasage nicht zwingend hinaus- führt, und die Berechtigung felilt, aus ihm auf eine cJianson de ^res^e - Dichtimg im 10. Jahrhundert zu schliefsen. Gesetzt jedoch, es lieise sich eine epische Laiendichtung in Frankreich für jene Zeit auf anderen Wegen nachweisen oder wahrscheinlich machen, so Avürde die lediglich auf die immerhin unsichere Ana- logie des ausgeführteren Märchens gestützte ausgefülu'te Prosa- sage von t\i)ischer (litterarischer) Gestaltung wohl erheblich au Wahrscheinlichkeit verlieren, und die Benutzung einer chansnn de geste durch den Dichter des Haager Bruchstücks mit gutem Grunde nicht beanstandet werden können. Auf diesem Wege mufs somit die Untersuchimg der Frage zu Ende zu führen ge- sucht werden.

Da von germanischen Heldengedichten, wie W^aldere, Beowulf oder Hildebrand, und von Zeugnissen dafür aus der Zeit Karls des Grofsen nicht ohne weiteres auf französische Heldenlieder in derselben Zeit geschlossen werden kann (man ^nirde sonst mit gleichem Recht solche auch für Italien oder Spanien in Anspruch nehmen dürfen, wo jedwede Spur davon fehlt), so sind die ein- zigen unzweideutigen Stellen für französische Heldendichtung vor dem Rolandslied die bekannten Erwähnungen von Gedichten in der Volkssprache Frankreichs bei Ordericus Vitalis (vor 1141; V u l g 0 canlt u r a j o culatorih u s de illo, d. i. Guillaume de Gellone, cantilena, Ubr. VI, 3) und in der Vita von Guil- laume de Gellone, die jetzt ins erste Viertel des 12. Jalirhunderts gesetzt wird (qni cliori juvennm, q^ii conventus ijopuloram, jprcecipue militum ac nohilium virorum, quai vigüice sanctorum didce non resonant et mo d ulatis vocibtis decantant qiialis et qnantus fuerit, quam gloriose sub Carolo glorioso militavit . . .), über die Thaten des Guillaume d'Orange. Allein nach dem einen von diesen Zeugnissen fanden französische Hel- dengedichte in den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts be- reits eine gewerbsmäfsige Verbreitung durch die Jongleurs; sie sind demnach nicht erst in der Zeit jener Berichterstatter ent- standen. Man wird aber weiterhin auch in der Anwendung

314 Zum Haager Bruchstück.

des alteu /ehnsUbigen Verses des französischen Heldengedicht« für die ans Volk sich wendende Alexiuslegende aus der Mitte des 11. Jahrhunderts, deren Verfasser doch schwerUch den zehn- silbigen Vers erfunden und m die chanson de yetste übergeführt hat, der vielmehr, wie die geistliche Dichtung der späteren Zeit, sich einer die Hörer, die er erbauen wollte, durch Neuheit nicht befremdenden, leicht auffafsbaren, ihnen bereits geläufigen Vers- form bedient haben wird, um wie in Worten, so auch in der Gliederung derselben allgemeiner verständlich zu werden, eine Hindeutuug dai'auf erblicken, dafs der bevorzugte Vers des fran- zösischen Heldengedichts schon in der ersten Hälfte des 11. Jahr- hunderts vorhanden und verbreitet war, und in der Verw'endung des volkstümlichen zehnsilbigen Verses in der Alexiuslegende den eigentümlichen Umstand erklärt finden, dafs nur sie und, soweit wir wissen, keine andere französische Legende, selbst solche nicht, die von französischen Heihgen handelten, der Umbildung in die Form der chanson de geste teilhaft geworden ist. Und ^wd solche Volksmäfsigkeit des zehnsilbigen Verses eingeräumt, der, wenn er eine lateinische Grundlage hatte, doch von jeder heran- ziehbai'en lateinischen Versart unendhch \-iel weiter als h-gend ein anderer romanischer Vers lateinischen Ursprungs vom Grund- schema (weil es in ihm nicht entfernt mehr sichtbar ist) ab- gCAvichen wäre (was doch wieder nur durch Einmischimg un- geübter Laienhand erklärbar würde), so berechtigt die Anwen- dung des Zehnsilbners in Verbindvmg mit der Th-adenform ' und

' Sie ist, soweit mir bekannt, in der lateinischen Dichtung des Mittel- alters niemals zur Anwendung gekommen. Das Bruchstück auf Faro von Meaux bleibt, weü es sich selber als Nachbildung einer Dichtung für das Volk ausgiebt, aufser Betracht; es ist überdies zu kurz, und sein Ver- hältnis zur Grundlage zu wenig bestimmt, um als lateinisches Gedicht in Tiradenform angesehen werden zu können. Augustins Abundautia- Hymnus ist durchgereimt und geht in seinen 267 Versen durchaus auf unbetontes e aus. Durchreimung des betonten weibUchen Wortausgangs hat statt in dem Planctus (Pertz, Scr. XI, 51) auf Herzog Friedrich von Österreich (f 124(J), dessen 23 Verse auf -isti ausgehen. Ein Aaelleicht noch dem 11. Jahrhundert angehöriges Lobgedicht auf den Bischof Gode- hard von Paderborn (t 1038) zeigt in den beiden Absätzen von 12 und 22 Versen, aus denen es besteht, einmal den durchgeführten Reim in avit, das andere IMal in afitr (Pertz, Scr. XI, 221), auch hier liegt nicht entschieden Tirade vor, und wenn, so aus späterer Zeit, als in der Volks- sprache des südlichen Frankreichs. Dasselbe gilt von der Reimchronik

Zum Haager Bruchstück. ol5

dem assonierenden Reim im altproveu9alischeii gleichfalls für die Laien berechneten Boethiusgedichte des 10. Jahrhunderts, den Zehusilbuer, die Assonanz imd selbst die Tirade der chanson de geste in der epischen Laiendichtung sogar schon wenigstens für die Zeit des Haager Bruchstücks selbst, für das 10. Jahrhundert also vorauszusetzen.

Ferner ist die Formgebung der ältesten chanson de geste, des Rolandsliedes in seiner pliilologisch erreichbaren ältesten Gestalt (um 1100), von der Art, dafs es die chanson de geste- Dichtung bereits auf der Stufe des Verfalls vor Augen führt; denn die in vollster Deutlichkeit darin hervortretenden Spm'en gedankenloser, mit Pln^asen sich begnügender, gegen die gröbsten Widersprüche gleichgültiger Bearbeitung imd Nacharbeit weisen auf die flu- Gedichte über Guillaume d'Orange bezeugte gewerbs- mäfsige Verwertung und Verbreitung auch anderer chansons de geste bereits im Anfang des 12. Jahrhunderts hin, die, wie jeder Geschäftszweig, zur Ausbildung ilirer HaudgriiFe und Gewohn- heiten aber wiederum längerer Zeit bedurfte und nicht das älteste Stadium der chanson de ^es^e - Dichtung darstellen kann. Die eigentliche Blütezeit der französischen Heldendichtung, in der die epische Formel noch nicht den Reim macht, den der Hörer vom Jongleur verlangte, in der das zu Sagende nicht blofser Wieder- hall der Worte anderer ist, sondern aus dem mit den entspre-

(nach 1268) bei Pertz, Scr. XXV, o50 ff. Die Durchreimuug in regel- mäfsigen drei- bis vierzeiligen Strophen, der man schon frühzeitig, aber vereinzelt, in der lateinischen Hymne begegnet, erklärt die Tiradenform nicht. Dieselbe war leicht nur in Sprachen, die viele betonte Ablei- tungs- und Flexionssilben besitzen, wie das Französische und Pro- venyalische (in den einreimigeu Strophen der Passion des Id. Jahrhunderts, z. B. LS, 14, 50, 121, und in den vierstelligen Reimreijien des Leodgar, z. B. 12, 28, überwiegen immer die betonten Flcxionssilben ; in dem er- wähnten lateinischen Planctus und Ijobgedicht reimt die nämliche Verbalendung), durch welche die Bildung beliebig langer ein reimiger Ab- sätze erleichtert wird. Es verdient jedenfalls Beachtung, dafs in den proparoxy tonen romanischen Sprachen, wie Italienisch, Spanisch u. a., die Tirade unbekannt ist, in dem oxytoucu (und paroxytoueu) Französisch und Proven^alisch dagegen besteht, und hier gerade den Erzeugnissen volksmäfsiger Dichtung eigentümlich ist. Auch in dem proparoxytoncn Lateinisch war sie erschwert und wird sich deshalb nicht schon in dieser Sprache ausgebildet haben; sie wäre somit französischen Ursprungs und jünger als die Unterdrückung der nachtonigen Vokale iu Frankreich.

316 Zum Haager l'>ni(lislii(k.

cheuden Vorstelluugen ausgestatteten Kopf und dem ergriffenen Herzen hervorquillt, in der die Sache und nicht schon das Wort als poetisch gilt, und um der Sache, nicht um der Worte willen gedichtet Avird, in der der Ausdru(;k der Ergriffenheit und der Teilnahme für den Gegenstand, -wie sie noch in gar manchen Versen des Rolandsliedes zu uns spricht und die Fähigkeit mit wenigen, das Darzustellende an seinen wesentlichen Seiten packen- den Worten anschauliche Bilder von Personen, Schauplätzen und Ereignissen, wie gleichfalls mehrfach im Rolaudslied geschieht, vor Augen zu führen, dem Ependichter noch zur Verfügung steht, mufs also bereits spätestens in die erste Hälfte des 11. Jahr- hunderts fallen, wegen der vielseitig mangelnden Einheitlich- keit der Darstellung im Rolandsliede erheblich vor die Zeit, wo es seine uns bekannte Gestalt erhielt. Da nun aber die cliansons de geste nicht Nachbildung oder Fortführung einer epischen Dich- tung in fremder lateinischer oder deutscher Sprache sind, .sondern, weil jedwede materielle und formelle Ähnlichkeit mit deutscher oder lateinischer Heldendichtung fehlt, ein selbständiges Erzeugnis der französischen Laiendichtung, das im französischen Boden wurzelte und dort seine Anfänge hat, so müssen der Blütezeit tastende Versuche vorangegangen sein in der Richtung auf die im 11, Jahrhundert bereits gefestigte und mehrere Jahr- hunderte hindurch imverändert gebliebene Form epischer Dar- stellung und epischen Gesanges, mit denen wir wiederum in die Zeit wenigstens des Haager Bruchstücks, also ins 10. Jahrhundert gewiesen werden. Kaum ist zu befürchten, dals man mit solchem Zurückgreifen auf eine frühe Entstehungszeit der nationalen fran- zösischen Epik zu weit gehen kann, wenn man die Ständigkeit dichterischer Form und Richtung in litterarischen Gattungen be- denkt, die auch in neuerer Zeit, z. B. in Roman, Drama, Lyrik auffällt, worin von einer Generation zur anderen nur leise Ände- rungen, gewöhnlich nur im Interesse der Erreichung einer klassi- schen Form (wenn nicht etwa Originalität der litterarischen Schöpfung oder Formenwechsel Grundsatz des schriftstellerischen Schaffens wm'de), eingetreten sind. Man denke beispielshalber an die langsame Entwickelung des französischen Romans, an das moderne Trauer- und Lustspiel, die noch so viele Bestand- teile in Inhalt und Form mit ihren Vorläufern im 16. und 17. Jahrhundert gemein haben, an die Eintönigkeit des proven9a-

Zum Haager Bruchstück, 317

lisch en Minnegesaugs, der altfranzösischen Abenteuerdichtung, der lateinischen Legende des Mittelalters u. a. m. Die Ständigkeit der Form, der Gestalten, der Motive, der JSlittel der Darstellung, des Aufbaues und der Gliederung eines dichterischen Ganzen, die I-(angsamkeit und Alhnählichkeit der Abänderung des Überliefer- ten und Hergebrachten im Schrifttum eines Volkes ist, wie die Allmählichkeit in der Entwickelung des Wissens, der Sitten, Staatseinriehtungen und aller anderen geistigen Bethätigung, eine einfache psychologische Notwendigkeit, die der Schaffende gegen- über der empfangenden Masse, auf die er zu wirken sucht, nicht aufheben kann. Das Gegebene und Überlieferte ist es, was die Grundlage seines geistigen Inhalts ausmacht, an dem er wü-d, in dem er sich bewegen, au das er anknüpfen muls, wenn er das Persönliche, zu dem er durch eigenartige innere und äufsere Er- fahrung in der Dauer seines Lebens etwa gelangt ist, zum Besitz anderer machen, der Menge darin verständlich, von ihr gewür- digt und anerkannt werden Avill. Die Langsamkeit und Allmäh- lichkeit der Veränderung im Denken imd Dichten ist es, die es möghcli macht, einem wissenschafthchen Gedanken und einem schriftstellerischen AVerk seinen Platz in der Zeit anzuweisen, die berechtigt, es für undenkbar zu erklären, dafs Jean Jacques Rousseau ohne die englische Aufklärung, Mallierbe ohne die Ple- jade, Rabelais ohne Folengo, die altfranzösischen Prosaromane ohne Volksepen, die Chronik ohne die Annalen, das Rolandslied ohne vorangegangene Epen von weniger festem Gefüge, geringerer Vielfältigkeit der Darstellungsmittel und minderer Häufung von Gemeinplätzen möglich gewesen wären. Auch in der Litteratur ist alles nur Glied in einer Kette von Eutwickelungen, und die chansou de Eoland ist teils zu vollkommen, teils zu entartet, um das erste Glied in der Kette der nationalfrauzösischen Hel- dendichtung sein zu können. Wir nähern uns auch bei dieser Erwägung der Epoche des Haager ]^ruchstücks und erkennen sie als eine Zeit, der epische Dichtung für das Volk schon nicht mehr fremd gewesen sein kann.

Noch weiter zurück führt die Betrachtuns; der stofflichen Seite der ältesten chanson de geste. Man wird bezweifeln diü'- fen, dafs heute ein Volksschriftsteller aus der Idee des Epos und den im Schulunterricht etwa erlangten Kenntnissen und Vorstellungen vom Dreilsigjährigen Kriege heraus, ohne Einblick

318 Zum lla:ij<er linichstück.

I

iu die Quellen und deren Bearbeitungen, im stände wäre, eine anschauliche Darstellung von den Kämpfern und Kämpfen oder von einer Reihe zusammenhängender Schlachten des Dreif'sig- jährigen Krieges zu entwerfen, die auch nur annähenid ohne Zuhilfenahme von Keminisceuzen aus gleichartiger Dichtung den Grad von Lebendigkeit, Leibhaftigkeit, Bestimmtheit und ver- hältnismälsiger Treue besäfse, wie die clianson de Roland aus dem Ende des IL Jahrhunderts, die den geschilderten Ereig- nissen noch ferner steht, als es eine solche angenommene Dich- tung sein Avürde. Die Krieger des Rolandsliedes sind nicht die Soldaten oder Führer des ersten Kreuzzuges; eine Gestalt wie Kaiser Karl bot dem Dichter seine Zeit nicht; das Verhältnis der Heerführer zum Kaiser, sowie ihr Charakter und trotziger Kampfesmut sind von anderer Art, als das Verhältnis der Für- sten Frankreichs im IL Jahrhundert zu ihrem Könige und deren Denk- und Handelsweise; das Rolandsgedicht kennt Karl den Grofsen als Beherrscher des Abendlandes; es zeigt eine an- nähernd richtige Vorstellung von dem Schauplatz der Kämpfe im nordöstlichen Spanien und seiner topographischen Verhält- nisse; es bewahrt in seinen Gestalten und Ereignissen eine An- zahl geschichtlicher Thatsachen, und seine Anachronismen sind archaisiert, an die alte Überlieferung angeglichen, nicht ist nach ihnen die Erzählung und Schilderung umgebildet oder moderni- siert worden; der Dichter beschreibt die Ereignisse gleich einem Augenzeugeu, er fühlt mit seinen sterbenden Landsleuten und seinem leidenden Heldenkaiser, und bekundet eine Wärme der Anteilnahme, wie sie bei Selbsterlebtem nur gewöhnlich ist; man fragt sich, woher kamen einem Dichter am Ende des IL Jahr- hunderts diese Kenntnisse, dieses Mitgefühl, diese FüUe ai'chai- scher, der Vergangenheit entsprechender Anschauungen, diese Festigkeit in der Auffassung des Charakters seiner Figuren, die überraschende Gestaltungskraft gegenüber Dingen, die 300 Jahre hinter ihm zurücklagen? Durch Geschichtsunterricht oder Lesen lateinischer Bücher natürlich nicht, denn diese boten von alledem nichts, und jener war nicht vorhanden. Durch von altersher fort- geführte Prosaerzählungen oder Prosaepen gewils aber ebenso- wenig, denn sie erklären, wenn sie nicht in feststehende Worte ge- fafst, das Archaische und die Stimmung des Rolandsliedes nicht, da sie beständiger Modernisierung in dieser Hinsieht durch die

Zum Haager Bruchstück. 319

veränderte Auffassung der Dinge bei den Xacherzählern jüngerer Generationen ausgesetzt waren; wenigstens zur Erklärung der Stimmung des Rolandsliedes, des darin so deutlich sich aus- sprechenden Mitgefühls, würde die S. 312 herangezogene Paralleli- sierung mit dem ausgeführten Märchen nicht mehr genügen kön- nen. Also doch wohl nur aus einer durch den Reim und Vers gefestigten Erzählung, die der Veränderung Schranken zog, wer- den die stoiflichen Archaismen des Rolandgedichtes zu verstehen sein. Nicht im mindesten soll dabei bezweifelt werden, dafs solcher Darstellung in Versen mündliche Berichte über die Er- eignisse bei Ronceval in jedermanns Sprache und Berichtweise einst vorangingen; aber es kann nicht Generationen gedauert haben, bevor ihnen die Fessel des Verses angelegt wurde, wenn etwas von den schmerzlichen Eindrücken, die das Ereignis her- vorrief, sich noch in unserem Rolandsliede wiederspiegeln konnte, wo doch bei Geschichtschreibern und Dichtern der Zeit Karls des Grofsen jedwede Erwähnung des Ereignisses entweder fehlt oder in nüchterner Sachlichkeit davon gesprochen wird wie bei Einhart, der einer tieferen Nachwirkung auf Karl den Grofsen und niu" mit einer Zeile gedenkt. Welcher Art und von welcher Form jene Erzählungen in Versen gewesen sein mögen, ist für unsere Frage ohne Bedeutung; es ist genug zu AAissen, dafs sie vermocht haben müssen, die im Rolandslied enthaltenen ge- schichtlichen Thatsachen, die Hauptcharaktere und zutreifenden topographischen Angaben desselbea, sowie den Ton erschütter- ten Mitgefühls der Rolanddichtung zu vermitteln, dafs mithin Grund vorhanden ist, die Anfänge der karolingischen Epen- dichtung (romanzenartig war sie jedenfalls nicht) schon in die Zeit bald nach Karls des Grofsen Tode zu verlegen.

Oder hätte es andere und geeignetere Zeiten gegeben, um Keime der karolingischen Heldendichtung zur Entwickelung zu bringen? Einer ihrer Grundzüge ist das Gefühl der Sioghaftig- keit und der Überlegenheit ül)or die Feinde des Vaterlandes und der Christenheit an den Grenzen Frankreichs, die Überzeugung von dem Beruf der Franzosen, unter göttlichem Schutze und göttlicher Hilfe die Widersacher des Christentums zu vernichten. Jenes Gefühl und jener Glaube konnten aber imter keinem fran- zösischen Herrscher nach Karl dem (irofsen mehr entstehen, da sie ihr Volk nicht mehr zum Siege führen, ihre Machtsphärc

B20 Zum Haagcr Briutlistück.

sich mehr und mehr verringert, die Feinde Frankreichs oder der Christenheit an den französischen Grenzen verschwunden sind oder sich innerhalb derselben behaupten. Die Zeit für Ent- stehung des nationalen Stolzes, der imponierende Erfolge zur Voraussetzung hat und den die geringste chansoii de fjaste atmet, hat kamu die Regierung Karls des Kahlen überdauert, und nui' eine Zeit nationaler Grofsthaten konnte jene Vorstellung von der eigenen Heldenhaftigkeit und die Neigung zu nationaler Selbst- verherrlichung unter den Franzosen wecken, die von den Epen mit geschichtlicher Grundlage ausgehend, vermöge der Ständigkeit dichterischer Darstellung in den spätesten und schwächlichsten Nachahmungen derselben festgehalten worden ist. Nicht aus blofser Erinnerung spätester Geschlechter an die einstige Gröfse, den einstigen Ruhm und Glanz, der v^on Karl dem Grofsen her auf das französische Volk fiel, konnte die die Nation verherr- lichende Heldendichtung Frankreichs erwachsen, weil das Be- wufstseiu der verlorenen Gröfse und die Klage darüber sich nir- gends mit dem der unfehlbaren Sieghaftigkeit in ihnen mischt, was doch erwartet werden müfste, Menn vielleicht die Empfin- dung der Kleinheit der Gegenwart und ihr Gegensatz zu der grofsen Vergangenheit eine spätere Zeit zur nationalen Helden- dichtung hätte hinleiteu sollen. Und hätten wohl Prosaerzählungen über Karls des Grofsen Thaten den hohen Ton, auf den Dich- tungen, wie die chanson de Roland, gestunmt sind, das Echo jenes nationalen Selbstgef ülils, in Versbearbeitungen aus dem Ende des 11. Jahi'huuderts überzuleiten vermocht? Es scheint nicht glaublich, da \äv stets den Berichten über Geschehnisse unserer Zeit, die uns von verschiedenen Seiten zukommen, den Stempel der Persönlichkeit der Erzähler aufgedrückt sehen, da sich der Novellenstoff in den Bearbeitungen verschiedener Zeiträume und Länder ganz verschiedenen Absichten, Gesinnungen und Anschau- ungen fügt mid der nämliche 'Sagenstoff^ bald tragische, bald komische Venvertung erfahren hat.

Der Zustand der Volkssprache Frankreichs im 9. Jahr- hundert kann eine französische Laiendichtung epischeu Inhalts bald nach der Zeit Karls des Grofsen nicht unwahrscheinlich machen. Die Verfügungen Karls des Grofsen über die An- wendung der Volkssprachen in der Predigt lassen erkennen, dafs das damahge Französisch schon nicht mehr als ein ungelenkes

Zum Haager Bruchstück. 321

Patois gegenüber dem Lateinischen angesehen wurde, denn es sollte abstrakte religiöse Vorstellungen zu verdeutlichen im Stande sein. Die Sprache der Eide von Stralsburg ist un- beholfen vermutlich ja nur deshalb, weil sie sich einer latei- nischen Vorlage anzuschmiegen hatte. Den Reichtum des Fran- zösischen an Wörtern, an Wort- und Satzverbindungsmitteln zu jener Zeit erfahren wir aus der Menge der alt- und neufranzö- sischen Erbwörter, in denen wesentlich auch das Rolaudsgedicht noch geschrieben ist. Die deutschen Sprachdenkmäler des 9. Jahr- hunderts in Versen berechtigen, in französischer Sprache eine gleiche Entwickelung litterarischer Darstellungskunst zur selben Zeit vorauszusetzen; als Publikum für französische epische Dich- tungen im 9. Jahrlumdert mul's man natürlich nicht unterste Volkskreise denken, denn sie bildeten nicht allein die des La- teinischen Unkundigen: die Fürsten, die Heerführer, Verwalter, Beamte, Baumeister, Künstler u. s. w., die Karls und seiner Nachfolger Kriege führten oder ihre Hofhaltung leiteten und zu einer glänzenden zu machen verstanden, hoben sich aus der des Lateinischen unkundigen Laienmasse durch geistige Bedürfnisse und Intelhgenz genugsam ab, um für Dichtung in ihrer Sprache, soweit jene erweckt sein konnte, empfänglich zu sein. In ihrem Kreise selbst wird französische Dichtung sich gebildet, aus- und umgestaltet haben, ehe sie an die Spielleute überging; noch das Kolandslied zeigt zuviel Hoheit und zu wenig von dem plebe- jischen Sinn jüngster chansons de geste, als dal's es niederen Ursprungs sein könnte. Und da für das geringste litterarische Erzeugnis, auch für das sogenannte Volkslied, ein wenn auch noch so geringer Grad sprachlichen Bewufstseins und littera- rischen Verstandes erforderlich ist, würden diese Eigenschaften auch den ersten Bewunderern Karls des Grolsen, die das An- denken an ihn im Gedicht verewigen lialfen, nicht abgesprochen werden können. Der Volkssänger trug dann dazu bei, Karl die Popularität zu verschaffen, die er über die Zeit hinaus, wo man seine Thaten in chansons de (feste pries, in- und aulserhalb Frankreichs im Mittelalter besal's.

Diese Erwägungen sind es vor allem, die in dem Verfasser die Überzeugung von dem hohen Alter nationalepischer Dichtung, dem Vorhandensein einer clianson de </('ö/<;- Dichtung lange vor dem Rolandslicd und einer französischen Grundlage des Haager

Aichiv f. n. Spraehcu. LXXXIV. 21

822 Zum Haager Bnicliistück.

Bruchstücks erweckteo. Sind die Gründe für die Anwenduni^ des zehnsilbigen Verses und der Tirade im 10. Jahrhundert für die Langsamkeit der Entwickelung der Darstellungskunst in der ohne Mitwirkung eines fremden Vorbildes ins lieben getretenen nationalen französischen Epik u. s. w. haltbar, so wird man der doch wenig gesicherten Annälime ausgeführter Prosaerzählungen als Grundlagen französischer chansons de geste mit geschicht- lichen Bestandteilen frühestens des 11. Jahrhunderts vielleicht meinen entraten zu können. Ist doch die ausgeführtere Prosa- erzählung epischen Inhalts keine irgendwo gebrauchte Bestim- mung des Begriffes der 'Sage', die Ebert vielmehr gleichfalls auf einen Grundrifs der Handlung und die Charaktere der Haupt- helden beschränkt (s. o. S. 297), sondern nur ein in dem Be- streben, irreführenden Folgerungen aus dem Haager Bruchstück zu entgehen, hier angenommener Hilfsbegriff, ein Versuch, die eigentümliche litterarische Art des lateinischen Gedichts ohne Zu- hilfenahme epischer Volksdichtung zu begreifen, die wir für frühe Zeit auf andere Wege uns gezwungen sehen anzunehmen anzunehmen aus Wahrscheiulichkeitsgründen. Aber andere stehen iu Fragen, wie die vorliegende, um eine Anschauung von den Dingen zu gewinnen, nicht zm" Verfügung, da wir von der Be- schaffenheit der Quelle des Haager Bruchstücks weder durch eine glaubhafte Aussage aus der Vergangenheit Nachricht erhalten, noch die Quelle selbst besitzen. Immerhin fallen, so möchte es dem Verfasser scheinen, jene Wahrscheinlichkeitsgrüude ins Ge- wicht gegenüber einer Herleitung der lateinischen Dichtung aus einem nicht reelleren, ja wohl ungleich Aveniger wahrscheinlichen Gebilde, wie es die Gleichsetzung von 'Sage' mit ausführlicher litterarisch gefestigter Prosaerzählung epischen Inhalts in aller Augen sein wird.

Strafsburg i. E. G. Gröber.

Nachschrift. Aus brieflichen Mitteilungen Eberts läfst sich erselien, dafs er nicht abgeneigt ist, für das 10. Jahrhundert episch-lyrisclie Dichtung in fran- zösischer Sprache anzunehmen und damit das Haager Bruclistück in Zusammen- hang zu bringen, dafs er diese Anscliauung zu erkennen zu geben nur keine Ver- anlassung bei Besprechung des Haager Bruchstücks in seiner Litteraturgeschichte zu haben meinte, und dafs er dort nur die Annahme von chansons de (jeste von der Art des Rolandsliedes im 10. Jahrhundert sowie den Gedanken ablehnen wollte, das Haager Bruchstück sei die Übersetzung eines solchen (s. o. S. 299).

..i'l 'i^ui ,

Kleine Mitteilungen.

Altenglische Miseellen.

I.

In der Hs. Aiict. F. 3. 6 der Bodleiana befinden sich auf Fol. 1 und Fol. 2'' folgende xivei Zaubersprüche aus dem 11. Jahrhwidert, die ich hier geyiau nach der Hs. mitteile. Die aufgelösten Abkürzungen sind durch Kursivdruck kenntlich gemacht.

(Fol. 1) 7 thebal guttatim auru;« & thus de .f Abra iesus . -f alabra iesns . j Galabra iesus . j wid pone dworh . on .m. oflietan writ.

Var 7 thebal ist eine Zeile ausradiert. Etwas toeiter unten auf der- selben Seite steht THEBALGUTTA, dahinter Rasur von einigen Burhstahen. dworh u-ohl für dweorh, rgl. Jjeechdoms I, 364 und III, 38, ivo es Cockayne mit 'convulsious' übersetxt. Leechd. III, 42 hat Cockayne Wid weorh ye- drucld, die Hs. hat aber aurh hier dweorh, ryl. WiÜker- Orein I, 404 nnd Widkers Grundrifs S. 354.

b.

(Fol. 2 ^) Gif men lerne blöd of nebbe to swide sume ' pis writad, f ser grin - thonn struht fola . v&v grenn tart strut onntria enn piathu ^ Morfona onnhel. ara carn leow gruth ueron .in. * fil cron diw . (x^ . inro cron aer crio an* mio an?r leno ge horsse ge men blöd seten.

Vyl. Leechdonis II, 51, no derselbe Zauberspruch mich einer anderen Hs. mitgeteilt i-sf. ' vor sume Easur ron S. - g:nnj hinter g Rasur van e; das g hat in rliesem Stück die alfenyl. Form. -^ >nau kann auch wiathu lesen. ^ ni //; der Hs. durchstrichen.

II.

Folgenden Segen gegen Fieber fand Herr Hofrat Schenkl auf einem leeren Blatte am Ende der Hs. Quarto ') der Kathedralbibliothek rrw Woi-eester und stellte mir seine überaus sorgfältige und korrekte Abschrift (ich habe seitdem Gelegenheit gehabt, sie mit der Hs. x%i ver-

21*

324 Kleine Mitteilungen.

gleichen) auf das liebenswürdigste zur Verfügung. Der Segen statnmt von einer Hand aus dem Ende des 10. oder Anfang des 11. Jahrliun- derts her. Die Interpunktion und die Worttrennung der Hs. hohe ich unberücksichtigt gelassen; die Abkürzungen sind aufgelöst und in den englischen Teilen durch kursiven Druck atigedeutet, in de7i lateinischen Teilen dagegen sind sie imbezeichnet geblieben. Im Gebrauch der grofsen und kleinen Buchstaben folgt mein Abdruck genau der Hs. Das g hat in dem englischen Teil die altengl. Gestalt.

Dis ma'.g ■\vict gedrif. genim .ix. oflietan 7 gewrit on ajlcere on J)as wisan : iesws chtistus, 7 sing {)a3rofer .ix. patcr nostcr 7 syle ietan ' »nne d:i3g .111. 7 o(terne .111. 7 driddan .111. 7 cwede .'et telcon sidan |)is oicr J)one mann. In nomin^ doraini nostri, iesu christi, et in nomine sancte et indiuidu^ trinitatis et in nomine sanctorum .vu. dormientium, quorum nomina hec sunt: Maximianus, Malchus, Mar- tinianus, Johannes, Serai)liion, Constantinus, Dionisius . ita sicut re- quieuit dominus sviper illos, sie requiescat super istum famulura dei N. coniuro uos, frigora et febres, per deum uiuum, per deum uerum, per deum sanctum, per deum, qui uos in potestatf habet, per angelos, archangelos, per thronos et dominationes, per principatus et potestates, per totum plebem dei et per sanctam mariam, per xn apostolos, per xn prophetas, per omnes martires, per sanctos confessores et sanctas uirgines et per un'^'^' euuangelistas, Matheum, Marcum, Lucam, lohan- nem, et -per xx** nu^'' seniores et per cxbiii*"^ niilia, qui pro christi

nomine passi sunt, et per uirtutem sancte crucis adiuro ^ tor

uos diabolicum t non habe . . . s ullum malum.

> Eetan] das n über der Zeile. ^ cxluii] Itinter dem c Rasur von 1. ^ Der untere Teil des Blattes ist ganz, sehivarx, wodurch der Schlufs un- leserlich geivorden ist.

III.

Unter einer Anzahl von beschriebenen Papier- und Pergament- fragmenten, die von alten Buchdeckeln abgelöst jetzt zu einem Bande vereinigt sind, befindet sich ein Pergamentblatt, auf dessen Vorderseite nachfolgende ae. Rezepte von verschiedenen Händen des 11. Jahrhun- derts geschrieben stehen. Auf der Rückseite desselben sind einige latei- nische Wörter als probatio pennce gekritzelt. Die Kenntnis dieser ae. Fragmente verdanke ich der Freundlichheit des Herrn Ällnutt, assis- tant in the Bodleian Library, der sie entdeckte und mich darauf auf- merksam machte. Der Band befindet sich im Besitze des Lord Ro- bartes, der mit liebenstvürdigster Bereitwilligkeit mir die Erlaubtiis erteilte, alles, was mir wünschenswert erschiene, daraus zu veröffent- lichen. Die in dem Bande sonst enthaltenen Fragmente sind gröfsten- teils lateinisch, ich sah aber darunter zwei mittelenglische Bruchstücke:

1) Fragmente der längeren mittelengl. Fassung der Partonopeus- sage (herausg. von Buckley, London 1882, für den Roxburghe Club).

Kleine Mitteilungen. S25

jyiese Fragmente, die von einer Hand aus der Mitte des 15. Jahrh. herr Uhren, sind inzwischen von Wiilker in der Anglia XII, 607 ff. veröffentlicht tvorden.

2) Ein Bruchstück einer bisher ungedruckten metrischen Homilie aus derselben Sammlung, xu welcher die von Small herausgegebenen English Metrical Homilies, Edinburgh 1862, gehören. Die betreffende Ilomilie steht in der Hs. Ashmole 42 auf Fol. 132''. Der Schrift nach scheint das Fragmet? t atis der Zeit um 1400 zu stammen.

Das Blatt, auf dem die ae. Bexepte stehen, ist aus dem Einbände eines Exernjüars der Fabulse de schematibus et tropis P. Mosellani Jierausgenommen worden, die im Jahre 1558 in Antwerpen gedruckt ivorden sind. Die Hs., der es ii7-spr anglich angehörte, tvird wohl eine derjenigen gewesen sein, von denen Bishop Bale neun Jahre früher in der Vorrede zu 'Leland's New Yeares Gift to King Henry \1I1. 1549' berichtet hatte: 'Some they sold to the grossers and sopesellers, and some over see to the bokebynders, not in small nombre, but at tymes whole shyppes fülle, to the wonderynge of the foren nacyons.'

Die Rezepte rühren von drei verschiedenen Händen des 11. Jahrh. her, indem die erste Hand a, die zweite b, d, e, die dritte c geschrieben hat. In dem ersten Rezept erscheinen die Buchstaben f, g, r in der fränkischen Form, in den übrigen haben sie die altenglische Gestalt. Das zu II über die Einrichtung des Abdruckes Bemerkte gilt auch hier.

a. Wid heortsece. genim brade bisceopwyrt 7 feldbisceopwyrt 7 greate wyrt 7 galluc 7 gagul 7 hindeha^le{)an 7 organan 7 ;of)e]ferj5incwyrt 7 harehunan 7 saluian 7 hofan 7 garcliuan 7 fifleauan 7 hanierwyrt 7 f^rwyrt ' 7 mucgwyrt 7 suderne wudu 7 cnuca ealle tosomne 7 du ealu. drinc, {lonne de |)earf si.

Wi|) lungenadle, hennebelle- moran 7 harehunan, betonican, wylle on ealo|) 7 drince Jia hwile, |)e him {)earf si. Supe syJ)jKin ane hennescille •' fülle gemyltere buteran, wreo hinc sy{)J)an vvearme 7 beo \\\ni sy{3f)an stille.

c.

Hat wyrcean J)e sylf wennsealfe. man sceal niman ebene hunig, swylc man to blacan briwe de{), 7 wyllan hit neah briwes |)icnesse 7 niman raedic 7 elenan^ fillan 7 hrefnesfot;"* cnocian,'' swa man betst maege, 7 Avringan \)o\\ne J)a wyrta 7 geotan ]}<rt wos {)irrto 7, |)on»/5 hit beo forneah gewylled, enucian godne du'l garleaces 7 don pKrfco 7 piperian, swaswa |)e I)ince.

d.

f wij) wennas "' sealf. hwerhwettan ** moran 7 ane handfulle sperewyrte 7 wildne n^p 7 wuduwexan moran wylle on mealtealoj), wringe J)urh linenne cla{), wylle on hunigteare. nime |)on?/f " clfenuc

326 Kleine Mitteilungen.

lengtenbere 7 griiule 011 handcwynia; niuie sej)l)an iiia!deran 7 drige on haiidcwyrna '" 7 grinde veades caules sa;des ane handfulle on pipor- cwyrna, '1 wylle hit cal togsedere, na to hearde. I)yge on wucan '[)riwa, swa hhn bets{) to onhagige. {)eos sealf deah wi|) wennas 7 wij) J)one flowendan fic. {)eah heo styriende '2 sy, ue onscunige he hi for ])am.

e.

Wi|) liferadle, nim liferwp't'^ 7 bere hi man haw onder'* cneowe 7 wylle on anes hiwes ^^ cumeolee, mengge buteran to.

' ferwyrt ist mir sotisf nicht hchannt: Leechdoms II, 154 kommt ein ferdwyft vor. * Die Form hennebelle findet sich Leechd. I, 94, 6 als Ace. Sing.; sonst ist es ein schw. Fem., vgl. LeecM. III, 60. ^ hennescille ist irohl rerschriebcn für hennesegscUle. Vgl. Leechd. I, 37(3 de win twa seg- scille fülle. " Mit elenan schliefst die Zeile in der Hs. Es ist wohl dahinter 7 cyr ;. « ergünxen, das am Zeilenschlufs leicht an.sfallen krmnte. Die Ur- handschrift icird elenan 7 cyrfillan gehabt haben : vgl. Leechd. III, 12. ^ Hinter hrefnesfot steht von anderer Hand über der Zeile nsep. " Neben cnucian komnd die Form cnocian mehrfach vor; vgl. Kluge, Luiicia monasterialiaSd (Techmers Zeitschrift II, 12.5); Leechdoms 1, Ms. B; vgl. ferner Reimann, Die Sprache der mittelkentischen Erang., Berlin 1883, S. 19. "^ Wegen an- derer Mittel gegen wennas vgl. Zupitxa, Zeitschrift für deictsches Altertum XXXI, 46 u. 49. Vor wij) steht in der Hs. ein Kreiix. •* hwer] das w über der Zeile. ^ J)n Hs. '•> Statt dieses xiveiten handcwyrna tvird das Original irgend ein anderes Wort gehabt haben, etwa 'im Ofen'. Das vor- hergehende handcwyrna n-ar die Veranlassung, dafs der Schreiber es auch hier anstatt des richtigen Wortes setzte. '• piporcwyrn ist mir .sonst nicht bekannt. '^ styriende] y aus eitlem anderen Buchstaben. " liferwyrt ?rfrr bisher im Ae. nicht belegt. '' So die Hs. für ander. '■' ane.s hiwes be- xieht sich natürlich nicht auf cumeolee, sondern auf ein dem Schreiber ror- schuebendes cu, vgl. Leechd. III, 24 set anes heowe(s) cy 'a cow all of oue colour'.

IV.

a. Ae. cystian, ne. to diest = in einen Sarg legen. Der älteste Beleg für ne. to ehest in der angegebenen Bedeutung, den Murray in dem unlängst erschienenen fünften Hefte seines Wbs. anführt, stammt aus dem Jahre 1473; doch kommt das Wort schon in ae.

Zeit vor. Vgl. Wulfstan S. 119 Utan fordferede pearfan mild-

heortlice cestian (var. cystian) and sydäan bebyrian. Vgl. auch meine Dissertation 'Über die Werke des ae. Erzbischofs AViüfstan', Weimar 1882, S. 70.

b. ae. cryppan. Zu den in Engl. Studien XI, 64 (Anm.) ge- gebenen Belegen ist noch ein weiterer aus Leechdoms II, 276 hin- zuzufügen : (jecrypte hand fülle.

c. In Wright-Wülker 497 '^»^ steht die Glosse strue, fine, wo Wülker füie für lateinisch hält und demgemäfs kursiv druckt. Auch im Wortverzeichnis steht es unter den lateinischen Wörtern. Es ist aber ein gutes englisches Wort; vgl. Erfurter Gl. [Sweet, Oldest Texts] 1169 fm r= rella liynaria und 11.S6 fm lignarium, ligneum

Kleine Mitteilungen. .'^27

(siehe auch Goetz, Index schol. hibern., Jena 1>*SS 9, p. V). Dazu kommen auch: Wr.-Wülker 150^0 ivudefine = strues und Hpt. Gl. 464 icudufine = siriie, congerie.

d. Ae. oll = 'Hohn, Schmach' u. s. av. Nach den Wörter- büchern soll dieses Wort nur im Dativ vorkommen, und zwar in Verbindung mit der Präposition mid (vgl. Bosworth-Toller S. 744 und auch das Glossar zu Sweets Anglosaxon Reader). Indessen be- gegnet das Wort auch sonst: vgl. Hpt. Gl. 453 on ol = nequicqtiam, frnstra, inaniter, wo Bouterwek hoUnga ergänzen wollte, sowie auch Ms. ßodl. 340, Fol. 148*^ on oll -j on echcit.

Oxford. A. Napier.

Eine weitere Aufzeichnung der Oratio pro peccatis. Anglia XII, 499 ff. hat H. Logeman nach xicei Handschriften des British Museum, B = Royal 2 B V und T = Tiberius A 3, ein altenglisches Gebet veröffentlicht, das in B die freilich nicht ganz passende Über- schrift Oratio pro peccatis führt. Dieses Denkmal steht auch in der Handschrift Kr. 391 (frülier K IQ) des Corpus Christi College in Cambridge {== C), die aus Worcester stammt und um 1064 geschrieben ist (vgl. Wanley S. 110). Ich teile diese Aufzeichmmg hier mit. Die Abkürzungen der Handschrift sind aufgelöst, aber durch kursiven Druck angedeutet; die Worttrennung uml der Gebraueli grofser und kleiner Buchstaben ist stillschtreigend geregelt, InterjJunktion in der jetzt üblichen Weise gesetzt. Die abweichenden Lesarten von B und T, die ich Logeman entnehme, habe ich, von ein imw Fällen abgesehen, nur dann atigeführt, wenn sie über das rein Formale hinausgehen.

Angliee. ' Drillten, ^ for I)inre J)a're miclan mildheortnesse and for ealra |)inra haligra Inf an and geearnimga-^ gemiltsa* me synfulhu^i^ swa swa pin ma3ra willa sy, and min mod to |)inu7» willan gestranga and gestadela. Atid, min driht^w, ne liKt me na^fre fairlicu??; deafte of J)issuw earman life gewitan, ac, lochwjenne min tima beo and Jmu willa sy, ]^(et ic f)is hhtne ^ lif forla?tan scyle, livt me mid gedefenesse mine dagas geendian. Eac ic bidde J)e, min driht€« leof, for ^ |)ines sylfes" naman and^ godnysse, l:)cet |)u me of {)isse weorulde ne hrte, XT ic I)ui-h dine mycclan mildheortnysse forgifenysse h;vbbe ealles f)aes, de ic aifre ongean {)inne majran willan geworhte dasges odde nihtes, gewealdes odde ungewealdes, on worde oMe on weorce odde on minuw |)ystrum gejiance. Heofona heahcyning and^ ealles mid-

* Die Überschrift ateht in C rot am Ende der 2kile hinter Jiiure, fehlt T, oratio pro peccatis B. D blau in C, Min drihten leof BT. •' earnuncga T. •* dahinter scheinen \wei Bnchf<tabeu radiert C. ^ laene mit besserer Schreibung BT; vgl. Anw. 21. 22. " for fehlt T. ' 1 in svlfes aus einon anderen Bufhstabrn C. " uaman and jfehlt BT. ^ and fehlt BT.

328 Kloinc Mitteilungen.

daneardes alysend, '"^ gemiltpa me earniinc:o, swa swa J^in ni:vra willa sy, 1' and syle me minra f?ylta arfullo foi-frifeiiysse gc on f)ii<8u?H lif(! ge on |)am toweardan. And, iiiiii drillten, forgif me sode hreowe and, andetnesse and böte rainra gylta, '- and ahwyrf me fram minum unrihtwisnyssuwi to J)inm?i willan a)Ld to minre {)earfe. And, min drihteW; forgif me rihtne geleafan and sode lufe and eadmodnyspe and arfa^stnysse and cla^nnysse and onbryrdnesse and strengdo wid deofles costnunge and gejjyld on '■' earfolmysse '* awf/ gemetf«?Rtnysso on gesundfulnysse. '•* And, min driht^??, gehnexa da heardnysse "' minre pa^re sta^nenan ^'^ heortan, and forgif me teara genihtsum, "* ]}tet ic majge |)a misda'da bevvepan and behreowsian, |)e ic earming da^g- hwamlice ongean |nnne willan wyrce. '^ And, min drihtew^ '■^*^ on- hliht 21 minre heortan ge{)anc mid lifes andgite, and onhliht^^ mine Word and dajda ond-'^ minne lichoman and sawle and^^ min lif mid gastlicum andgyte, and, forgif me J)ine mildheortnesse ge on J)isu?rt life ge on J)am toweardan. Min -"^ drihte?/^ admihtig god, sy de lof and wuldor and J)anc a on ecnesse and eaWuni ])mnni halgnm ealra J)ara gyfena and mildsa and, goda, \)e du me sefre forgeafe, and ealra J)fera ara, |)e du me synfullu??i to forliete. 26 Ic bidde de, min drihtew, eadmodlice, ^cet du me'-^^ gehelpe-^ and^"^ ealra minra freonda and maga an/l eallra dasra, {)e to minre gebedra^ddene dencad and hihtad, libbendra and f ordgewitenra ; and forgif J)awi libbenduwi gesundfulnesse on {)isum life ge on J)am towardan ece myrhde, and syle |)am fordgewitenum ealra -^ heora gylta arfuUe forgifenysse and heofona ^o rices gefean a on ecnysse, Eac ic bidde de, min drihten, ])at du gemildsige eallu??? ])am, de me^' god dydon and god taehton, and syle ece ■*- forgifenysse ealkwi J)am, de me '^■^ yfel cwfedon odde ge{)ohtan'^'* odde gyta to donne dencad. Drihten, heofona heahcyning, •'•"' gestranga hi to dinum willan, and gemildsa eallu»? cristenur»- folce libbenduw? and fordgewitenuw?;, ealluw J)ara, de 3^ fulluhtes bajd underfengon, ^7 for dinum naman.^* Amen.

B und T stehen einander bedeutend näher, als C einer von diesen Handschriften. In den beiden gleichfalls in der Anglia XII, 501 ff.

onlysend BT. " swa swa J)u wille and J^urh J)a?t J)fBt du wille BT. '^ synna BT. '''^ on tcpg(jerissen T. '"^ eardfodnyssum BT. '^ gg. sundfulnyssum BT. '•"' heardheortuysse BT. ^'^ stsenenran (erstes n nvf Basur B) BT. geuihtsiimnysse BT wohl richtig. "^ gewyrce BT. ■■" dahinter leof BT. ^' richtiger on liht BT; rgl. Anm. 5 u. 22. ""^ uu- liht BT. ^^ die AhMlrxnng für and undeutlich C. ^ dahinter eall BT. '^^ davor and B T. '^ f orlete (lete TJ mit richtigerer Schreibung B T. ^' me und and fehlen mit Recht in BT. helpe BT. -'^ fehlt BT. *" heofo- nan B, heofenan T. 3' dahinter vier Bnchstaben radiert C. •'^ ece (ece T) auch BT, aber das AdJ. scheint nicht 7m dem Subst. %u passen: ist vielleicht eac XU lesen? ^'■> dahinter sefre BT. •*' ])ohton BT. ■'■ Dr. heof. h.] and BT. ^" dahinter £efre BT. ■'' der von derselben Hand über der Zeile nachgetragen G. ^* for naman] si J)e lof and wuldor a butan ende BT.

Kleine Mitteilungen. 329

und 504 ff. nach B und T als Nr. XI und XII von Logeman ver- öffentlichten Stücken zeigt T die in B von einer anderen Hand, als der des ursprünglichen Schreibers, aus sprachlichen Gründen vm- genom- menen Änderungen, mufs also hier auf B direkt oder imlirekt zurück- gehen, und, soviel ich sehe, hindert nichts, das gleiche Verhältnis auch für das obige Gebet anzunehmen. Jedenfalls scheint mir unzivcifel- haft, dafs B und T gegenüber C nur eine Stimme haben, da sie gegenüber heardnysse in G (vgl. Anm. 16) heardheortnysse haben, das durch das folgende heortan als falsch ertviesen wird: auch genehxa und stsenenran, wie B T an jener Stelle statt gehnexa und stsenenan lesen, sind zu beachten. Andererseits ist auch C nicht ohne Fehler ; vgl. die Anm. 18 und 27. Bei den meisten Abweichungen zivischen B T und C ist es schiver zu entscheiden, welches die ur.sprünglichere Lesart sein dürfte, solange man nicht das jedenfalls vorauszusetzende lateinische Original hat. Dafs alle drei Handschriften vielleicht einen gemeinschaftlichen Fehler bieten, ist Anm. 32 ausgesprochen.

Berlin. Julius Zupitza.

Kardinalzahlen als Multiplieativa im Mittelenglischen. In den York Plays 86, 308 ist überliefert We sali garrc feste pam foure so fast. Die Herausgeberin, Miss Lucy Toulmin Smith, wollte fare für foure schreiben ; Joseph Hall bei Besprechung ihrer Ausgabe in den Englischen Studien IX, 450 four tymes: aber schon vorher glaube ich in der Deutschen Litteraturzeitung 1885, Sp. 1305 die Über- lieferung als keiner Änderung bedürftig erwiesen zu haben durch Beibringung zweier Stellen aus dem Sir Amadas ed. Weber 746 fF. Yette icas y ten so glad, When that thou gaffe all, that thou had, My btvones for to grave und besonders 350 fF. Sadyll, brydyll and oder geyre, Fowre so gud thoffe hit were, I tvoch hit save, bi sen Jon, wo ebenfalls Kardinalzahlen ohne einen Zusatz von tym.es oder einem Synonym in multiplikativem Sinne stehen. Es scheint mir nicht unangebracht, auf diese Erscheinung, die selbst einem so vortrefT- lichen Kenner des Mittelenglischen, wie Joseph Hall es ist, unbekannt war, hier nochmals hinzuweisen, indem ich ein paar weitere Belege dafür gebe. Sir Degrevant (Thornton Romances ed. Halliwell S. 218) V. 980 fT. Wenus thou, I be wode To do syche a foly To love my lordys enemy, TJiow he were to so dowghty ? Lybeaus Disconus (Ritson II) V. 744 A leman to so bryght und 1356 Now am y two .so lyght; The King of Tars ed. Krause (Englische Studien XI, 41) Auchinleck-Text 347 f. 1' vouche saue on him mi blöde, pei sehe irere ten so bright =3 Vernon-Text 329 f. To him hco nis not to good, paugh heo weore ten so briht. Immer folgt ein von so begleitetes Adj. oder Adv. auf das Zahlwort.

Berlin. Julius Zupitza.

Eine angebliche Grille. Bei Besprechung von Kents Ameri- kanisierung meiner Ausgabe von Cynewulfs Elene sagt Wülker in

330 Kleine Mitteilungen.

der Anglia XII, 631 u. a. : 'Über die Anlage des Wörterbuchs sei bemerkt, dafs Kent praktischerweise das J), wo man es zu suchen ge- Avohnt ist, nach t stellt und nicht der Grille Zupitzas folgt, p ganz an das Ende zu stellen,' Danach könnte es scheinen, als habe vor mir niemand im Englischen p an das Ende des Alphabets gesetzt. Das ist aber keineswegs richtig. Ohne erst Zeit mit Suchen zu ver- lieren, begnüge ich mich, drei Vorgänger namhaft zu machen : J. Bos- worth im Dictionary of the Anglo-Saxon Language (London 1838), H. Leo im Glossar zu seinen Altsächsischen und angelsächsischen Sprachproben (Halle 1838) und J. Grimm in dem Register zu seiner Ausgabe von Andreas und Elene (Kassel 1840). Also läge jeden- falls keine mir besonders eigene Grille vor, selbst wenn sich ein Grund für das von Wülker verurteilte Verfahren nicht anführen liefse. Was meine Vorgänger dazu bestimmt hat, kann ich natürlich nur vermuten: was mich anlangt, so habe ich mich einfach an das gehalten, was Grammatiken und Lexika der einzigen germanischen Sprache, welche das p in allen Perioden ihrer Entwickelung zeigt, von jeher gethan haben. Schon der älteste isländische grammatische Traktat hat p am Schlufs der Konsonanten (vgl. Holtzmann, Alt- deutsche Grammatik I, 60. 64), und weder die Grammatiken von Wimmer und Noreen noch die Wörterbücher von Egilsson und Vigfusson bringen p unmittelbar nach t. Man mag den Grund meinetwegen nicht stichhaltig finden, aber man hat darum, meine ich, kein Recht, von einer Grille zu reden.

Berlin. Julius Zupitza.

Jahresbericht

der

Dresdner Gesellschaft für neuere Philolog^ie.

1889.

Die bereits seit Januar 1878 bestehende Gesellschaft für neuere Philologie zu Dresden zählt zur Zeit 27 ordentliche und 7 auswärtige Mitglieder ; Ehrenmitglieder sind Prof. Dr. K a d e - Dresden und Prof. Dr. G. Körting- Münster. Der gegenwärtige Vorstand besteht aus Oberlehrer Dr. Thiergen als Vorsitzendem ; Oberlehrer Dr. Franz, Stellvertreter; Oberlehrer Dr. Boerner, Schriftführer; Oberlehrer H e r c h e r , Kassenwart.

Die bei Gelegenheit des dritten allgemeinen deutschen Neuphilo- logentages zu Dresden (28. bis 30. Sept. und 1. Okt. 1888) den Fest- teilnehmern übermittelten Jahresberichte der Dresdner Gesellschaft (Sonderabdruck aus dem Archiv LXXXI, S. 209 ff.) reichten bis Februar 1888; laut Beschlufs sollten alle bis Michaelis stattfindenden Sitzungen den Vorarbeiten für den Neuphilologentag gewidmet sein. Über die beiden letzten Sitzungen des Jahres 1888 (Vorsitz Prof. Dr. Schef f 1er) ist nach den Aufzeichnungen des damaligen Schrift- führers Dr. Sahr noch folgendes zu berichten.

Den 2. November 1888 sprach Dr. Ziolecki über seinen Auf^ enthalt in England und über seine Schriften.

Den S.Dezember 1888 erörtert Dr. Thiergen die pädagogische Frage, ob bei dem Lesen von Schriftstellern in der Schule anstöfsige, besonders auf das Geschlechtliche bezügliche Stellen weggelassen werden sollen. Der Vortragende widerlegt die einzelnen Gründe, welche manche Herausgeber und Gelehrte zur Beibehaltung der an- stöfsigen Stellen bestimmen. Treten in einem litterarischen Werke anstöfsige Stellen so zahb-eich und so wesentlich auf, dal's ohne Schaden für das Ganze nicht gekürzt werden kann, wie in Shak- speres Heinrich IV., so können solche Werke überliaupt auf der Schule nicht gelesen werden.

3.')2 Jahresbericht der Dresdner Gesellschaft für neuere' Philologie.

Dr. Mahren holt z verliest seine Besprechung des Werkes Dr. Joseph Sarrazins, Da.s moderne Drama der Franzosen in seinen Hauptvertretern, Stuttgart 1888 (vgl. Magazin f. d. Litt. d. In- und Auslandes, 24. Nov. 1888).

Dr. Schumann berichtet über Prof. Gustav Karstens Auf- satz 'Sprecheinheiten und deren Rolle im Lautwandel und Laut- gesetz' (aus den Transadions and Proceedings of the Modern Langvagr Association of America, III, 1887). Der Berichterstatter bemerkt zu dem trefflichen Aufsatze, dafs derselbe, wie viele Aufsätze der Sprach- physiologen, daran leide, dafs diese sich nicht bemühen, vollkommen verständlich auch für Nichtphysiologen zu schreiben. Die Verständ- lichkeit könne sehr leicht gefördert werden, wenn die betreffenden Gelehrten stets, sei es auch nur ganz kurz in Klammern, Beispiele für ihre Gesetze und Beobachtungen anführten und weniger Fremd- wörter anwendeten.

In der ersten Sitzung des neuen Jahres (1889) wurden einige wichtige Beschlüsse gefafst: 1) der bisher bestandene Lesezirkel, welcher Vereinssache gewesen, wird zur Privatsache gemacht; 2) an Stelle der bisherigen einmaligen Zusammenkünfte im Monat sollen in Zukunft zwei Sitzungen monatlich abgehalten werden, deren zweite vornehmlich der Erörterung grammatisch-pädagogischer Fragen ge- widmet sein soll; 3) ein unter Leitung des Mitgliedes Baron von Locella stehendes italienisches Kränzchen soll, getrennt von den Vereinssitzungen, den Mitgliedern Gelegenheit bieten, ihre Kennt- nisse der italienischen Sprache und Litteratur zu vertiefen. Im Ver- lauf des Jahres 1889 wurden folgende Vorträge gehalten.

Den 11. Januar 1889: Prof. Dr. Scheffle r berichtet über Schmeding, Aufenthalt im Auslande.

Den 1. Februar 1889: Dr. Sahr über eine neue Übersetzung des Robert Burns. Erst seit 1830 tauchen umfänglichere metrische Verdeutschungen seiner Werke auf, zum Teil infolge von Goethes Aufforderung dazu. A^on 1830 bis 1889 haben etwa 25 bis 30 Deutsche mehr oder weniger Gedichte von Burns ins Deutsche über- tragen; indessen sind darunter nur etwa 12 Übersetzungen, die sich entweder durch gröfseren Umfang oder durch dichterischen Wert oder durch beides auszeichnen. Es mögen unter den älteren genannt werden Freiligrath 1838 und 1844 (17 Gedichte von Burns), Fiedler 1846, der in einem noch heute gi'undlegenden Werke die gesamte volkstümliche schottische Liederdichtung bis auf seine Zeit behan- delt, und Heintze 1846 und 1859, der den vollständigsten deutschen Burns lieferte (von etwa 550 Dichtungen übersetzte er etwa 330). Aber alle diese, ja auch alle neueren Übersetzer, wie Bartsch, Laun

Jahresbericht der Bresduer Gesellschaft für neuere Philologie. 333

Baisch, übertrifft an wisseiiscbaftliclier Bedeutung wie an formellem und dichterischem Werte die Übersetzung des Herrn Gymnasial- direktors Dr. Gustav Legerlotz zu Salzwedel, der in dem Werke 'Aus guten Stunden. Dichtungen und Nachdichtungen' (Salzwedel 188G, 8^) und in dem Bändchen 'Robert Burns' Gedichte in Aus- wahl' (Leipzig 1889, Spamer. XXIV, 188 Seiten) weitere 129 Dich- tungen von Burns bietet. Beide Werke müssen zur AnschaiFung in Familien und Schulen aufs wärmste empfohlen werden. Die Aus- wahl ist geschickt und fein getroffen, sie vereinigt die köstlichsten und schöjisten der Balladen und Lieder von Burns. Das erste Werk ist überdies noch durch die ebenfalls meisterhaften Nachdichtungen nach Beranger, Wordsworth, Moore, Byron, Tennyson, Longfellow, sowie nach alten deutschen Dichtungen von hohem Werte. Ein zweiter Band soll weitere Dichtungen und ein Lebensbild von Robert Bm-ns bringen. Noch sei erwähnt, dafs Legerlotz diejenigen Stellen und Gedichte, die bei Burns in schottischer Mundart oder in einer schottisch-englischen Mischsprache erscheinen, auch in einem Deutsch wiedergiebt, worin Hochdeutsch mit ober- und niederdeutschen Wort- formen zumeist auf das glücklichste gemischt ist. So erhält diese Übersetzung den Reiz der Neuheit und unterscheidet sich von allen bisherigen Verdeutschungen des Burns.

Prof. Dr. Scheffler gedenkt noch des 30. Januars, des 100. Geburtstages eines Vermittlers englischen und französischen Geistes in Deutschland, des Grafen v. Baudissin.

Den 1 5. Februar : Dr. M a h r e n h o 1 1 z widmet dem verstorbenen Prof. Dr. Ludwig Herrig in Berlin einen warmen Nachruf, in wel- chem der fruchtbaren Thätigkeit des weithin bekannten Gelehrten und allverehrten Lehrers gedacht wurde. Die Anwesenden elu'en durch Erheben von den Sitzen das Andenken an den Verstorbenen.

Sodann spricht Dr. Z schal ig über metrische Übertragungen fremdsprachlicher, besonders französischer Gedichte für den Schul- gebrauch. Der Gedanke, metrische Übersetzungen im Unterricht zu verwerten, ist keineswegs neu; nur näher erwogen oder ausgeführt hat man ihn bis jetzt noch nicht allseitig. Der Vortragende tritt leb- haft füi- die Ausführung dieses Gedankens ein, indem er, von allge- meinen unterrichtlichen Grundsätzen, litterarischen Gesichtspunkten und eigener Erfahrung geleitet, in Kürze zeigt, wie und mit welchem Nutzen solche Übersetzungen zu verwenden sind. Die Hauj^taufgabe, welche sich der Lehrer bei der Behandlung von Dichtwerken zu stellen hat, besteht darin, die Schüler zum verständigen und warmen inneren Erfassen der fremden dichterischen Gedanken- und Empfin- dungsweit zu bringen. Blofse natürliche Übersetzungen und bei- gefügte Erklärungen fremdsprachlicher Gedichte genügen nicht, um dieses Ziel zu erreichen. AVeit mehr trägt dazu die zweckuiälsige

334 Jahresbericht der Dresdner Gesellschuft für uoucre Philologie.

Benutzung guter metrischer Nachdichtungen bei, besonders wenn die- selben nicht nur den Gedanken- und Gefühlsgehalt, sondern auch die Form der Urgedichte treu Avicdcrsjiiegeln, weil im deutschen Ge- wand das Fremde den Schülern anschaulicher und ansprechender entgegentritt. An Übersetzungen selbst fehlt es nicht (es wären z. B. allein gegen 40 oder mehr Übersetzer französischer Lyrik zu nennen), nur vollständige, für die Schule brauchbare Sammlungen oder (etwa im poetischen Teile) doppelsprachige Schullese- und Litteraturbücher sind noch nicht vorhanden. Als Beitrag dazu teilte der Vortragende am Schlufs einige ansprechende Proben eigener Übertragungen fran- zösischer Gedichte alter und neuer Zeit mit. Erwähnt seien die Nachdichtungen einer Stelle aus der Chanson de Roland, einiger Fabeln von Marie de France, Rundgedichte und Lieder von Charles d'Orleans und aus neuerer Zeit die Übertragungen einzelner Ge- dichte von B^ranger, Laprade, Victor Hugo und vor allem eine wohl- gelungene, in Alexandrinern abgefafste Nachdichtung von Casimir Delavignes Trois joiirs de Christophe Colomh. Auch eine reiche Aus- wahl englischer Proben, namentlich von Longfellow und Tennyson, stehen dem "^Vortragenden zur Verfügung.

Den I.März 1889: Dr. Mahrenholtz über Therese Levasseur und ihre Beziehungen zu Jean-Jacques Rousseau vom Standpunkte kritischer Forschung. Th. Levasseur, 1721 zu Orleans geboren und 1801 in der Nähe von Paris gestorben, Tochter eines ohne Schuld abgesetzten Münzbeamten, lernte Rousseau etwa 1745 in dem Pen- sionate St. Quentin zu Paris kennen, wo ersterer seit Ende 1744 wieder wohnte und sie selbst als Nähmädchen angestellt war. Ihre Bildung war, dem Stande des damaligen Volksschulunterrichts ent- sprechend, gering, namentlich mit der französischen Rechtschreibung lebte sie, wie die einzige von ihr bekannt gewordene Schreibübung, ein Brief an Rousseau aus dem Jahre 1762, beweist, in hartnäckiger Fehde. Rousseau nahm sie seiner eigenen Aussage nach aus Grün- den, die mit Liebe fast nichts gemein haben, zur Lebensgefährtin ; nur die Phantasie französischer Dichter und des ihnen folgenden H. Hettner hat dieses gewöhnliche Verhältnis in ein entzückendes Idyll des Glückes umgeschaffen. An der Aussetzung der fünf Kinder Rousseaus ist sie aber schuldlos gewesen, hat vielmehr diesem Ver- gehen anfangs Widerstand geleistet. Ihre Treue gegen Rousseau er- scheint schon 1754 auf einer gemeinsamen Reise nach Genf in etwas verdächtigem Lichte, in den Jahren 1756 und 1757 hat sie durch unbegründete Eifersucht und boshafte Verleumdung Rousseaus Freundschaftsbund mit der Marquise v. Epinay gestört. Sie beglei- tete ihren Ernährer meist auf den Irrfahiten durch Frankreich, die Schweiz und England. Dafs sie Urheberin jenes rohen nächtlichen Überfalls der abergläubischen Bauern von Motiers (1746), durch den

Jahresbericht der Dresdner Gesellschaft für neuere Philologie. 335

Rousseau zur Flucht aus dem Kanton Neufchatel veraiilafst wurde, gewesen sei, ist ein spät auftauchendes Weibergeschwätz, welches neuere Darsteller, z.B. Hettner, kritiklos wiederholen. 17G8 erklärte sie Rousseau in Gegenwart zweier Freunde für seine eheliche Gattin, auf kirchliche und bürgerliche Formen dabei verzichtend. Sein Mifs- trauen gegen sie kündet ein Brief des folgenden Jahres an, in wel- chem er von ihr für immer Abschied nehmen und, wie es scheint, sein Leben gewaltsam enden will. Doch lebten beide bis zu Rousseaus plötzlichem Tode (3. Juli 1778) wieder in äufserer Eintracht zusam- men. Dafs Therese zu Rousseaus angeblichem Selbstmorde durch ihr Liebesverhältnis mit einem Reitknechte des Marquis Girardin, in dessen Hause Rousseau starb, x-Vnlafs gegeben, ist unbegründetes Gerede, da weder der Selbstmord, noch das Liebesverhältnis sicher bezeugt ist. Die spätere Heirat mit jenem Reitknecht ist dagegen ohne Grund angezweifelt woi'den. Gegen Rousseaus Wohlthäter, den Marquis Girardin, benahm sie sich undankbar und verleumderisch, erbettelte von der französischen Nationalversammlung ein Jahres- gehalt als 'Witwe' Jean- Jacques Rousseaus und bot auch die Hand- schrift seiner Confessions zum Verkauf aus. Mirabeau schrieb ihr im Auftrage der Nationalversammlung einen unverdient ehrenvollen Brief. Was von ihrer Trunksucht und Verkommenheit in den spä- teren Lebensjahufen erzählt wird, ist aus unlauteren Quellen geflossen. Die von den meisten Rousseau-Biographen arg mitgenommene The- rese ist somit etwas besser als ikr Ruf, aber ihr Verhältnis zu Rousseau leistet jedem Versuche unwahrer Idealisierung entschie- denen AViderstand.

Den 15. März 1889: Dr. Franz berichtet des längeren über Darmestetter, La vie des mots etudiee dans leurs signiflcations. Paris 1887.

Den 5. April 1889: Dr. Thiergen über die englische Bühne zu Shaksperes Zeit. Es giebt insgesamt sechs Abbildungen des älte- ren englischen Theaters vor und zu Shaksperes Zeiten, doch alle geben nui* das äufsere Bild wieder. Das Verdienst, über die Shak- speresche Bühne neues Licht verbreitet zu haben, gebührt Dr. Gae- dertz, der 1887 in Utrecht einen glücklichen Fund machte, indem er in den Reiseberichten des Johann de Witt eine Zeichnung aus dem Jahre 1597 entdeckte, welche das Innere des gröfsten Londoner Theaters, des Schwanentheaters, 'The Sw'an', wiedergiebt. Durch diese Abbildung sind viele Konjekturen betreffs des Shakspereschen Theaters widerlegt, vieles ist aufgeklärt und bcAvahrheitet worden.

Den 10. Mai 1889: Dr. Z schal ig über Maibräuche in Eng- land (vgl. Magazin f. d. Litt, des In- u. Auslandes Nr. 20 u. 21).

o3G Jahresbericht der Dresdner Gesellschaft für oeuere Philülogie. Den 24. Mai: Dr. Mahrenholtz über die Pariser Theater.

Den 13. September 1889: Dr. ]Mahrenholtz berichtet über die jüngst erschienenen Verhandlungen des 3. allgemeinen deutschen Neuphilologentages zu Dresden.

Dr. Z i 0 1 e c k i über die provencalische Lyrik mit besonderer Berücksichtigung der Streitgedichte.

Den 26. September 1889 : Graf de Meri n d ol aus Paris sprach als Gast der Gesellschaft über Alfred de Musset, und zwar in fran- zösischer Sprache.

Den 4. Oktober 1889: Prof. Dr. G. Körting-Münster, welcher in der Sitzung vom 26. September zum Ehrenmitglied der Dresdner Gesellschaft für neuere Philologie ernannt worden, sprach über den gegenwärtigen Stand der romanischen Wortforschung. Das Haupt- werk auf dem Gebiete der romanischen Wortforschung ist noch immer das etymologische Wörterbuch der romanischen Sprachen von F. Diez, welches bei aller Grofsartigkeit der Anlage und trotz des anregenden, belehrenden Inhalts doch nicht ohne i\Iängel ist. Alles, was neben Diez geschrieben worden, ist entweder nebensächlich oder auf einzelne Sprachen beschränkt, oder endlich zu schwer zu be- nutzen, so das einen wahren Schatz etymologischen Wissens bietende italienische Archivio glottologico von Ascoli. Ein etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen, unter dem Titel Lateinisch- romanisches Wörterbuch von Prof. Körting, ist im Druck. Darin wird von den lateinischen Grundworten ausgegangen und die Ent- wickelung derselben in den romanischen Sprachen dargelegt. Der lateinische Wortschatz ist derjenige, von dem die Romanisten aus- gehen und auf den sie zurückgehen müssen, darum mufs jeder Romanist den lateinischen Wortschatz, soweit derselbe überliefert ist, übersehen. Die Hauptaufgabe für die Zukunft wird es sein, das Verhältnis zu erforschen 1) des lateinischen Wortschatzes zum roma- nischen, 2) des Wortschatzes der romanischen Sprachen unterein- ander und 3) des romanischen Wortschatzes zu den fremdsprach- lichen Wortschätzen.

Den 1, November 1889: Dr. Mahrenholtz über die poe- tischen Darstellungen der Jeanne Darc- Legende. Gestützt auf die Vorstudien, welche der Vortragende für eine demnächst erscheinende Biographie der französischen Heldin in der Nationalbibliothek zu Paris gemacht hat, besprach er zunächst die Entwickelun^ der an Johanna sich anreihenden Legendenbildung, die sich schon in einem drei Monate nach ihrem ersten Auftreten geschriebenen Briefe eines französischen Kammerherrn zeigt. Der letztere läfst die Hähne von Domremv vor Freude über Johannas Geburt von früh 1)1? abends

JahresTaericlit der Dresdner Gesellschaft für neuere Philologie. 3oY

laut krähen, die Wölfe ihre Herden verschonen, die Vögel des Feldes Brot aus ihrem Schofse nehmen, lauter nicht ganz ungewöhn- liche Vorkommnisse, in denen der Briefschreiber aber Ankündigun- gen der von den Heiligen auserwählten Jungfrau sieht. 1436, fünf Jahre nach Johannas Verbrennung, trat eine falsche Jeanne Darc auf; an ihr Erscheinen knüpft sich eine weitere Fortbildung der Legende. Nachdem die 'falsche Jungfrau' von den französischen Behörden standesgemäfs verheiratet war, hörte der ganze Spuk auf. Die glänzende Rehabilitation der 1431 verurteilten Jeanne im Jahre 1456, die dabei gemachten abergläubischen und fabelsüchtigen Zeugenaussagen der Freunde und Landsleute Johannas lieferten der Legendendichtung reichen Stoff. Mit der aus den Chroniken und Briefen des 15. Jahrhunderts zu ersehenden Legendenentwickelung hält die fromme Dichtung gleichen Schritt. Sie beginnt mit dem Lobgedichte einer einsamen Nonne, Christine von Pisan (1429), und erreicht einen gewissen Kulminationspunkt in dem rund 3000 Verse zählenden Epos eines Abbeviller Dichters über 'Johanna, die Jungfrau Frankreichs' (1516). Der aufgeklärte Sinn der Huma- nistenzeit und die religiösen Parteikämpfe des 16. Jahrhunderts liefsen die Verherrlichung Johannas auch in Frankreich nicht auf- kommen; erst Kardinal Richelieu kam auf den Gedanken, für seinen Gegensatz zu England und den Hugenotten die Erinnerung an Jeanne Darc wieder ins Leben zu rufen. Er beauftragte seinen Hofdichter Chapelain mit der Schöpfung eines patriotischen Epos, zu welchem Chapelain dreifsig Jahre gebrauchte, um das ihm zu- fliefsende Jahresgehalt des Kardinals und des Herzogs von Longue- ville recht lange zu beziehen. Von dem langatmigen Machwerke erschienen 1655, also 13 Jahre nach dem Tode Richelieus, 12 Ge- sänge und wurden Gegenstand heftigster Anfeindung. Chapelain liefs die zweite Hälfte seines Epos im Pulte, erst vor etwa 10 Jahren hat sie ein ulti'amontaner Schriftsteller herausgegeben, um dadurch die von Dupanloup angestrebte Heiligsprechung Johannas zu för- dern. Voltaire dichtete zur Parodierung Chapelains sein burleskes Epos La Pucelle d' Orleans, wobei es ihm weniger auf Verunglimpfung Jeannes, welcher er, wie allen Opfern der kirchlichen Ketzergerichte, Mitleid schenkte, ankam, als auf Verhöhnung des gesamten mittel- alterlichen Aberglaubens. Die katholische Kirche stellte er unter dem Bilde eines Esels dar, in den Johaniui sich leidenschaftlich ver- lieben mufs. Mit einem Blicke auf die aufserfranzösische Johanna- Dichtung, namentlich auf den nach dem Zeugnis der ersten Folio- ausgabe von Shakspere herrührenden ersten Teil Heiinüchs VJ. und auf Schillers Tragödie, schlofs der Vortrag.

Den 16. November 1889: Dr. Sahr über Dr. Thiergens eng- lische Schulausgaben (Sliaksperes Macbeth, Walter Scotts Lady of

Arcliiv f. n. Sniaclioii. LXXXIV. 22

338 Jahresbericht der Dresduer (Gesellschaft für neuere Philologie.

the Lake, Marmioii und Dickens' Christmas Carol) nebst einer Ein- leitung über Shakspere in Deutschland vor hundert Jahren,

Den G. Dezember 1889: Prof. Dr. Wilh. Scheffler über die geschichtliche Entwickelung der Pariser Weltausstellung und die neue Bastille. Sämtliche einzelne Abteilungen des Vortrages wurden durch Vorführung eines reichen Bildmaterials unterstützt, welches Redner in Paris oft (wie die grofsen Plakatbilder der Bastille) unter grofsen Mühen sich verschafft hatte.

Blasewitz-Dresden, Januar 1890.

Dr. Otto B o e r n e r , Schriftführer.

Beurteilungen und kurze Anzeigen.

Geschichte der deutschen Litteratur von Dr. Ferd. Schultz, Dir. des Augusta-Gymnasiums zu Charlottenburg. Dessau,

1889. 287 S. 8.

Die Geschichte der deutschen Litteratur von Ferd. Schultz ist ein Hilfsbuch für den Schulunterricht, das sich in Namen und Zahlen mög- lichst beschränkt, eine Verbindung zwischen Litteratur und Geschichte anstrebt, in einleitenden Abschnitten die für jede Epoche mafsgebendeu Zeitrichtungen schildert und in der Form von Andeutungen, Übersichten und Besprechungen den Entwickelungsgang der deutschen Litteratur darstellt.

Das Buch empfiehlt sich durch seine geschickte Auswahl und ange- messene Hervorhebung des Wichtigsten, nicht minder durch den warmen Ton, der Interesse weckt und den Gegenstand darstellt, ohne überflüssige Polemik einzumischen, der freilich auch stellenweise ein rhetorisches Ge- präge annimmt.

Für einen höhereu Standpunkt als den des Gymnasiums ist das Buch nicht brauchbar. Es fehlen in ihm alle Angaben über Handschriften, Ausgaben, Abhandlungen, Neudrucke u. s. w. ; es ist überhaupt in ihm jede Beziehung auf die moderne Germanistik gemieden. Von Darstellern der deutschen Litteratur sind Gervinus, Vilmar, Koberstein, Scherer, Hettner und Jul. Schmidt S. 278 genannt. K. Goedekes Grundrils der Geschichte der deutschen Dichtung ist nicht genannt, und Schultz' Buch zeigt auch keine Spuren der Benutzung dieses wichtigsten aller Hilfs- mittel. Ebensowenig ist die Brief litteratur, die allgemeine deutsche Bio- graphie u. s. w. benutzt. Das Biographische ist meist sehr kurz abge- than und eine Entstehungsgeschichte des einzelnen Litteraturwerkes nur selten gegeben. Über wichtige Fragen, wie den Ursprung der Runen, die Herkunft des Reims, das Verhältnis der Nibelungenhandschriften, den Einflufs des Alexandriners, Hexameters u. s. w. ist nichts gesagt, über- haupt ist das Quelleumatorial, mit dem Schultz arbeitet, ein sehr be- schränktes.

Aber für den Schulunterriclit, in floiu das vornehmste Ziel die 1m-- weckung des Interesses für die Sache ist, dürfte Schultz' Bucli ein

22*

340 Beurteilungen und kurze Anzeigen.

geeignetes Hilfsmittel sein. Nur bedarf es vorher noch einer genauen Durcharbeitung; denn leider haben sich viele Ungenauigkeiteu und Irr- tümer eingeschlichen, Avie aus den folgenden Proben zu ersehen sein dürfte. S. 18 'Das Ludwigslied feiert den König Ludwig IIL, den Salin Lud- wiys des Ücutsclicn' . Nicht ein Sohn Ludwigs des Deutschen, sondern ein Sohn Ludwigs des Stammlers, geb. zwischen 86t> und 8ti5, König seit 879, gest. 882, ist im Ludwigslied besungen. S. 18 'Der Mönch P^cke- hard von St. Gallen brachte um das Jahr 930 die Reckenkämpfe Walthers von Aquitanien ... in lateinische Hexameter'. Nicht der Mönch Ecke- hard, sondern der Klosterschüler Ekkehard I. übersetzte für seinen Lehrer Geraldus (didamen inagistro) eine deutsche Vorlage ins Lateinische, Geraldus verbesserte die Arbeit, Erchenbald benutzte sie für die Strals- burger Klosterschulen und Ekkehard IV. arbeitete sie metrisch um. S. 18 Walther und Hildegunde gelangen 'unangefochten in das Buryundcr- land an den Vogesen'. Im Waltharius ist die Gegend der Kämpfe das Frankenland, nicht das Burgunderland. S. 18 'Walther erlegt an meh- reren aufeinander folgenden Tagen einen nach dem anderen'. Die Kämpfe mit den elf Helden Günthers finden vielmehr an einem Tage statt (V. 53"2 bis ll;3U). S. 2o 'Mhd. Part. Perf. uorfen. Das Particip lieiTst ge- worfen. — S. 65 'Die berühmten Töne und Weisen erhielten eigene Namen und wurden entweder nach dem Erfinder benannt, wie "der Ton Eegen- bogens", oder mit anderen oft recht seltsamen Namen bezeichnet, wie "die geblümte Nufsblüh" . . . weise'. Alle Meistertöne tragen den Namen des Erfinders, einen Ton Regeubogens giebt es nicht, sondern einen kurtzen Thon Regenbogens; ebensowenig giebt es eine geblümte Nui'sblühweise, sondern eine Rot-Nufs-Blüh-weis M. Ambrosii Metzgers, auch nicht eine Weber-Kratz-weise, sondern die Weber-Kretzen-Weifs M. Ambrosii Metz- gers u. s. w. S. 90 91 'Martin Opitz . . . ein vielgewandter und ge- schmeidiger Manu, welcher in den Stürmen des Krieges bald bei pro- testantischen, bald bei katholischen Fürsten Dienste nahm, die ilin nach Siebenbürgen, Sch/ceden und Polen führten'. Opitz hat nur einem katho- lischen Herrn, dem Präsidenten der Kaiserlichen Kammer in Breslau Karl Hanuibal von Dohna 1Ü26 o2 gedient; in Schweden ist Opitz nie gewesen. Im Dienste schlesischer Herzöge war er 1633 in Frankfurt bei Oxenstierna und 1634 in Böhmen bei Bauer. S. 102 'Erst spät erfährt der Knabe, dafs er . . . der Tochtersohn des Kommandanten ist'. Sim- plicius ist der Schwestersohn, nicht der Tochtersohn des Herrn von Rani- say. S. 115 'Die Fabel, welche durch Hagedorn und Geliert groi'se Beliebtheit erlaugte, baute auch Lichtwer . . . an, nach ihm PfefFel, dessen Fabel die Tabackspfeife . . . noch öfters gehört wird'. Wie man die Tobakspfeife (so lautet die Überschrift bei Pfeflfel selbst) als eine Fabel bezeichnen kann, ist mir unverständlich. S. 135 Von Lessings Aufent- halt in Meifsen sagt Schultz : 'Von deutschen Dichtern las er eifrig Klop- stocks Messias, den er ins Lateinische zu übertragen dachte.' Die ersten Gesänge des Messias sind 1748 erschienen, und Lessing verliefs Meifsen IT'IG. S. h\d 'Appiani wird bei einem Überfall erstochen'. Bei Lessing

Beurteilungen und kurze Anzeigen. .'Ul

wird er erschossen. S. 176 'Warte nur, baldc ruliest auch du'. Viel- mehr: 'Warte nur, balde ruhest du auch.' S. 273 'In neuester Zeit er- freut sich Rudolf Lindau . . . und Ernst von Wildenbruch . . . grofser Be- liebtheit. Ferner die Schweizer Heinrich Meyer und Gottfried Keller'. Gemeint ist wohl Knnrad Ferdinand Meyer.

Berlin. " C. Th. Michaelis.

NibeluDgen uiul Kiidruu in Auswahl und mittelhochdeutsche Grammatik mit kurzem Wörterbuch von Dr. W. Golther (Sammhmg Göschen 10. B.). Stuttgart 1890. TV, 160 S. k]. 8. Geb. 80 Pf.

Der Herausgeber will mit diesem Büchlein dem Schüler eine Auswahl aus den Xibeluugeu und der Kudrun in einem gefälligen, leicht zugäng- lichen Bändchen liefern, da die Lektüre beider Gedichte in ihrem ganzen Umfange auf der Schule doch nicht möglich sei. Gleichzeitig will er dem Lehrer entgegenkommen, wenn dieser nicht selbst als Fachmann die richtige Auswahl zu treffen vermöge. Diese letztere Eücksicht wird man dem Herausgeber im Interesse der Sache gewifs gern erlassen. Im übri- gen ist es erstaunlich, was für einen so niedrigen Preis in dem hübsch ausgestatteten Büchlein geboten wird. Aber die Art der Auswahl erweckt einige Bedenken. Golther bringt aus den Nibelungen äventiure 1, 2, etwas aus o, ferner 5, 6, 7, 14, 15, Iti, 37. Dagegen ist zwar nichts einzuwen- den, aber es reicht entschieden nicht aus, besonders für die zweite Hälfte des Gedichtes, aus der nur üoentiure 37, der Tod ßüdegers, aufgenommen ist. Im ganzen ist kaum der vierte Teil des Gedichtes zum Abdruck gebracht. Schwieriger ist es, aus der Kudrun eine geeignete Auswahl zu treffen. Golther druckt nicht ganz vollständig Müllenhoffs echte Teile ab, bemerkt jedoch, dafs er nicht ganz auf dessen kritischem Standpunkt stehe. Ob aber der Herausgeber damit für die Schule das Richtige getroffen hat, scheint dem Referenten doch fraglich. Für beide Gedichte sind aus praktischen Gründen die Ausgaben von Bartsch zu Grunde gelegt. Der Abrifs der Grammatik schliefst sich an O. Brenners grannnatische Ein- leitung zur vierten Auflage von Engelmauns mhd. Lesebuch an. Einige Versehen sind zu berichtigen. S. 6 mufs es heifsen d'vyÜTr,^ st. Ih-yari^o; S. 13, Z. 7 fehlt dem; V. 425, 2 Nib. fehlt sin; V. 232, 1 K. 1. boten st. böte. Im Wörterverzeichnis fehlen alröt 435, 2 N.; ccsteneit, (Jü5, l K, ; bercsfencn 1013, 2 K.; rcsfc lOGO, 4 K.

Keilhau l)ei Rudolstadl. ,. Ütto Wächter.

Die deutsche Bibehibersetzung des jMittckdters durgestcHt von

Wilhehn Walthcr. Erster Teik Der erste Ubersetzerkreis.

Braunschweig, Hellnmth Wollermann, 1889. 208 S. 4 (mit

drei Kunstbeilagen). JVf. 8.

Die Aufmerksamkeit/ler Theologen wie der Sj)rachforscher hat sieh

seit einiger Zeit der vorlutherischen Bibelübersetzung besonders eifrig zu-

342 Ik'iirü'iliiiigcn uml kiirzf Anzeigen.

gewandt, angeregt durch die Ausgabe der deutschen Bibelhandschrift des böhmischen Prämonstratenserstiftes Tej)! (Der Codex Teplensis enthaltend die Schrift des neweu (lezcuges. Augsburg-München 1884). L. Keller (Die Eeformation und die älteren Reform parteien. Leipzig 18'^.'>) knüpfte die Hypothese des waldensischen Ursprungs der deutschen Bibel daran, die zu einem lebhaften litterarischeu Streit führte. Aber sichere Ent- scheidung konnte nur die Untersuchung des ganzen vorhandenen Ma- terials in Drucken und Handschriften bringen, und deshalb entschlofs sich Pfarrer W. Walther in Cuxhaven zu dem Werke, dessen erste Liefe- rung uns vorliegt.

Herr Walther hat die Übersetzungen von grölseren oder kleineren Bibelstückeu, so auch die Perikopensammlungeu (Plenarien) von seiner Aufgabe ausgeschlossen und sich auf die Übersetzung der ganzen Bibel oder wenigstens ganzer Bücher derselben (namentlich der Psalterien) be- schränkt. Er hat das nach dieser Richtung vorhandene Material an Hand- schriften möglichst vollständig zu sammeln sich bemüht und dasselbe in Übersetzungskreise geteilt: den hochdeutschen, die übrigen selbstän- digen deutschen und den der Psalterien. Im vorliegenden ersten Heft wird der erste (hochdeutsche) untersucht, für welchen 14 hochdeutsche Bibeldrucke, 5 Psalterien, Dürers Offenbarung und der deutsche Job, ferner 18 deutsche Bibelhandschriften vorliegen, die zum Teil ganz neu gefunden sind.

Die Handschriften sind teils Abschriften von Drucken, teils ältere Arbeiten. Diese älteren Handschriften werden mit der ersten gedruckten Bibel, d. i. der von Mentel zu Strafsburg 1466 gedruckten, verglichen, wobei sich ergiebt, dafs diese erste Druckbibel auf einer Handschrift be- ruht, die von allen vorhandenen Übersetzungsrecensionen dem verlorenen Original am nächsten stand. Auf Grund der beiden Nürnberger Hand- schriften zeigt der Verfasser, dafs die Eroberung Konstantinopels durch die Türken jene Urübersetzuug veranlafst hat, und dafs die Annahme der waldensischen Herkunft der vorlutherischen deutschen Bibel mindestens unwahrscheinlich, wenn nicht ganz irrig ist. Der Originalübersetzung lag eine Vulgatarecension zu Grunde, welche reichliche Zusätze zum gewöhn- lichen Text hatte, und die sich in einer wahrscheinlich aus Böhmen stam- menden Handschrift der gräflichen Bibliothek in Wernigerode erhalten hat. Nach diesen Ausführungen reicht die vorlutherische deutsche Biliel nicht über die Mitte des 15. Jahrhunderts hinauf. Es ist also ungenau, wenn der Herr Verfasser selbst auf dem Titel seines Werkes von der deutschen Bibel des Mittelalters spricht. Das 1-5. Jahrhundert gehört sprachlich genommen nicht mehr zum Mittelalter.

Ein volles Urteil wird sich über das Werk erst nach seiner Voll- endung fällen lassen. Fleifs und Mühe hat Herr AValther sichtlich nicht dafür gescheut.

Geschmückt ist das erste Heft mit einer verkleinerten Nachbildung des schönen Furtmayerschen Titelbildes zur Mayhinger Bibelhandschrift. Ferner ist eine zweispaltige Seite aus der ersten gedruckten Bibel nach-

Beurteilungeu und kurze Anzeigen. 843

gebildet, und in Liclitdruclc werden zwei vSeiten aus der Freiberger Hand- schrift des Neuen Testamentes vorgelegt.

Möge das Unternehmen die erforderliche Teilnahme finden!

Berlin. K. Wein ho Id.

Dr. E. AVilke, Einführung in die englische Sprache. Leipzig, Reiisner, 1889. 199 S.

Seine 1887 erschienenen 'Stofte zu Gehör- und Sprechübungen', die er neben einem anderen Lehrbuche gebraucht wissen wollte, hat Herr Wilke mit vorliegender Arbeit zu einem dem Anfangsunterricht dienenden Lehr- buclie des Englischen erweitert. Er ist seinem ursprünglichen Plane, mit Gehörübungen anzufangen und denselben 500 germanische, in der Form vom Deutschen wenig abweichende Wörter zu Grunde zu legen, treu ge- blieben ; indessen bietet er jetzt diese 500 Wörter nach Vorausschickung von Lauttafelu zunächst im Gewände einer Lautsclirift, dann erst in ihrer liistorischen Schreibung, in neun Gruppen geteilt, z. B. 1) Familie, o) Körperteile, 5) Haus u. s. w. Die Lautschrift, deren Erscheinen über- haupt uns gefährlich dünkt, verschwindet dann aus dem Buche und ist nur dem Wörterverzeichnis am Ende wieder beigegeben worden. Statt, wie früher, vom Wort zu Einzelsätzen fortzuschreiten, bringt der Ver- fasser auf Anregung seiner Beurteiler analytischer Tendenz sogleich nach jenen 500 Wörtern, die noch einmal nach Lauten gruppiert erscheinen und Leseübungen zur Wiederholung bieten sollen, zusammenhängende Stücke und Verschen, die sich inhaltlich an die aufgestellten neun Wort- gruppen anschliefsen. Was in diesen Stücken an grammatischem Stoft' sich findet, ist dann nach Redet«len geordnet und nach den Grundsätzen von W. Victors Engl. Schulgrammatik (Leipzig 1879) behandelt. Mit Übungen, die sich an die gegebenen Stücke anschliefsen, die Übersetzung aus dem Deutschen aber vermeiden, endet die erste Abteilung des Buches.

Der Inhalt der zweiten Abteilung ist fast unverändert aus dem alten Buche übernommen. In neun Abschnitten sind an kleine zusammen- hängende Stücke, die zu den ursprünglichen neun Wortgruppen wieder inhaltlich in Beziehung stehen, englische Fragen angereiht, aul'serdem Sprichwörter und idiomatische Wendungen (mit deutscher Übersetzung) und je ein Gedicht. Dann folgt wieder ein grammatischer Teil, der den ersten grammatischen Abschnitt zur Voraussetzung hat und aus dem Sprachstoft' der zweiten Abteilung herausgezogen ist. Dieser neue Sprach- stoff wird schlielslich noch zu zahlreichen Übungen verwertet, unter denen auch Übersetzungen, Aufgaben zu Briefen und selbst zu kleinen freien Arbeiten erscheinen.

Wenn man die Anlage des Ganzen überschaut, so wird man erken- nen, dafs ein fester wohldurchdachter Plan zu Grunde liegt; daher wird jeder, der den vom Verfasser vertretenen allgemeinen Grundsätzen des Sprachunterrichts beipflichtet, sich mit Vertrauen seines Buches bedienen. Der Berichterstatter steht aber principiell auf anderem Hoden und nimmt

344 Bcuitcilim.LTij und kurze Anzeigen.

daher Abstand von einer eigentlichen Kritik. Er niüciile nur eins er- wähnen, was bei den Schülern Verwirrung erzeugen inul's, weil es eine Vermeugung verschiedener Standpunkte bedeutet. S. iJ? sind die Regeln über die Steigerung auf die Schrift gegründet, während die Regeln über die Verbalflexion S. 19 und 5U vom Laute ausgehen.

Der Unterzeichnete benutzt deu gebotenen Anlafs, um seinen persön- lichen Standpunkt in Fragen des neusprachlichen Unterrichts mit wenig AVorten zu kennzeichnen. Ein Übertritt zu einer neuen Lehre soll stets nur der Ausflufs reinster Überzeugung sein. Da nun dem Unterzeich- neten trotz seines guten Willens die Überzeugung von der alleinselig- machenden Kraft der neuen Methode bisher nicht aufgegangen ist, so ist er auch noch nicht in die Gemeinde der Reformer eingetreten, vielmehr, ohne unversöhnlicher Gegner zu sein, auf deu Stixndpunkt eines abwar- tenden Skepticismus gedrängt worden. Theoretisch hat ihn die Flut von Broschüren und Abhandlungen, welche die Reformbewegung in die Welt geschickt hat, nicht davon überführen können, dals der bisherige Sprach- unterricht mit seinen viel idealeren Grundanschauungen kein besseres Los verdiene, als gänzlich zu Grunde zu gehen; er harrt der Zeit, dafs ihm die glänzenden Resultate der neuen Schule in greifbarer Form vor- geführt werden. Liefert die vom Nützlichkeitsprincii) ausgehende Methode wirklich bessere und tiefere Sprachkenntnisse nach allen Seiten hin, ge- währt sie daneben tüchtige geistige Schidung, wie die alte Methode, dann wül er gern über die letztere den Stab brechen, aber auch nicht früher.

Berlin. R. Palm.

L. Sevin, Elementarbuch der englischen Sprache (nach der ana- lytischen Methode bearbeitet). Teil II. Karlsruhe, Bielefeld, 1890. 238 S.

Über die Art, wie das durch seinen zweiten Teil zum Abschlufs ge- langte und zu einem bedeutenden LTmfange (ungefähr P^r^O Seiten) ange- wachsene Elementarbuch benutzt werden soll, giebt der Verfasser keinen näheren Aufschlufs. Offenbar verlangt er nicht, dafs der im Lehrbuch gebotene SprachstofF 'nach allen Seiten hin durchgearbeitet werden soll', wie es manche Analytiker dringend fordern. Die StofFmenge ist zu grofs, als dafs sie auf diese Weise in zwei Jahren auch nur zur Hälfte bewäl- tigt werden könnte. Herr Sevin möchte, wenn wir die Anlage seines Buches für ihn selbst reden lassen dürfen, wohl nur das Lesestück au den Anfang und in den Mittelpunkt des Unterrichts stellen, ohne dem- selben jeden Tropfen grammatischen Gehalts, der darin steckt, auspressen zu wollen. Er erscheint als ein Analytiker sehr gemäfsigter Observanz. Von der Verwerflichkeit des Übersetzens aus der Muttersprache ist er ebensowenig überzeugt, als er eine Heilung aller bisherigen Schäden davon erhoff't, dafs man vom Laute und der Lautschrift ausgeht; denn die deut- schen Übuugssätze sind sogar sehr zahlreich, und die Phonetik sieht nur sehr schüchtern in das Buch hinein.

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 345

Der zweite Teil ist genau nach dem Vorbild des ersten eingerichtet. .Jeder der 26 Abschnitte enthält viererlei: Lesestoff, Aussprache, Gram- matik, Übungen. Der Lesestoff ist verschiedener Art. A und B enthalten auf England bezügliche geschichtliche und geographische Lesestücke; C bringt kleine Erzählungen, Gespräche, Briefe. Die Auswahl ist im ganzen augemessen, doch dürfte vieles von dem, was unter A steht, den Schülern eine zu schwierige Aufgabe bieten. Die Aussprachelehre handelt nur von der 'unregelmäfsigen Orthographie' der englischen Laute, mit deren regelrechtem Schriftbilde der I. Teil bekannt gemacht hat. Der Verfasser geht dabei von der schiefen Ansicht aus, dafs jedem Laut nur ein regelmäfsiges Zeichen entspricht, und kommt so zu der verkehrten Folgerung, dafs wir es z. B. in berjin und (ji're mit einer unregelmäfsigen Schreibung des ^-Lautes zu thun haben. Auffallend ist es auch, dafs, nachdem der I. Teil phonetische Umschrift verschmäht hat, dem Wörter- verzeichnis des IL Teiles die Sweetsche Lautschrift vielfach beigefügt ist. Was nützen diese Zeichen, wenn sie in der Klasse nicht eingehend be- sprochen und geübt sind? Der grammatische Teil, der aufser Vervoll- ständigung der Formenlehre (vornehmlich des Verbs) das wichtigste Syn- taktische über die Teile des einfachen Satzes und über den zusammen- gesetzten Satz enthält, dürfte der mindest gelungene des Buches sein. Die Dosis von Wissenschaftlichkeit, die man in ein Elementarbuch thuu darf, wird allerdings immer nur klein sein. Aber, da das Operieren mit schwierigeren grammatischen Begriffen einmal nicht zu umgehen ist, so hätte der Herr Verfasser vor der Verwendung solcher Unterscheidungen, wie die von logischem und grammatischem Subjekt, von schwachen und starken Verben, von Participium und Gerundium nicht zurückschrecken sollen. Eine Inkonsequenz liegt darin, die Form auf infj als Gerundium zu bezeichnen (S. 126), wenn sie von einer Präposition abhängt, sie aber Particip zu nennen (S. 21 u. 102), wenn sie als Subjekt oder Objekt des Satzes auftritt. Die unregelmäfsigen Verben, für welche jede Defi- nition fehlt, sind auf sechs Abschnitte verteilt. Sie hätten aber zu besse- rem Verständnis der Abweichungen und zu leichterer Erlernung gruppiert und nach irgend einem leicht verständlichen Princip eingeteilt werden müssen. Bei Erklärung der granmiatischen Erscheinungen läuft manche Unbeholfenheit mit unter. Man lese S. 1 ( l : 'Wenn die mit dem Sub- stantiv man zusammengesetzten Völkernamen im Plural mit dem be- stimmten Artikel verbunden sind und das Volk als solches oder als Partei bezeichnen sollen, so fällt das men im Plural weg und das Adjektiv dient (ohne Pluralenduug) als Substantiv.' Als ein Beispiel mangelhafter For- mulierung der Regeln sei die auf S. 35 stehende angeführt: 'Wenn die defektiven Hilfsverben im zweiten K(mditionalis stehen sollten (wofür wir im Deutschen das Plusquamperfekt Konjunktiv setzen, wie ''hätte sollen" u. s. w.), so steht statt des deutschen Plusqu. Konj. mit nachfolgendem Infin. Präs. im Englischen das Imperf. mit nachfolgendem Infiu. Perf.' Manche Regeln müssen in ihrer allgemeinen Fassung den Schüler auf Irrwege führen, z. B. S. 126: 'Wenn das Reflexiv-Pronomen eine Präpo-

346 Ik'iirtciliiiigcii uikI kurze Anzeigen.

sition vor sicli hat, so steht statt desselben das blofse Personal-Pronomen.' Dafs nach nerer eine einfaclie Zeit des Verbs mit do umschrieben zu werden pflegt, stimmt nicht zu dem heutigen Sprachgebrauch. Das Unterlassen der Umschreibung gilt vielmehr als veraltet. Dal's die Verben, welche tu beim Dativobjekt nicht entbehren können, dem höheren Stile angehören (S. 111), diese Behauptung ist gleichfalls nicht zutreffend.

Doch genug der Einzelheiten, die übrigens nicht so schwerwiegend sind, dafs sie das nach wohlüberlegtem Plane angelegte Buch in seiner Brauchbarkeit erheblich schädigten, besonders nicht, wenn es sich in den Händen eines selbständig auftretenden und für die analytische Methode be- geisterten Lehrers befindet; letzterer pflegt ja den Ehrgeiz zu haben, das gedruckte Buch durch seine Person fast ganz ersetzen zu wollen oder die Grammatik durch die Schüler selbst entstehen zu lassen.

Berlin. K. Palm.

The English Pronunciation von Dr. M. Maafs. Zweite Ausgabe. Berlin, Siegfr. Cronbach, 1889. VI u. 150 S. 8.

Der neue Verleger des Buches, Herr Cronbach, hat es für geeignet gehalten, die unverkauften Exemplare der ersten 1881 bei Horrwitz (Berlin) erschienenen Auflage mit einem neuen Titelblatt bekleben und mit einem neuen Umschlag versehen zu lassen und das so verjüngte Werk als 'zweite Ausgabe' in die Welt zu senden. Die alte Ware, die unter neuer Flagge segelt, ist so abgelagert und verfehlt ihre Bestimmung, ein praktischer Ratgeber zu sein, so völlig, dafs man mit jedem Worte der Empfehlung zurückhalten mufs.

Berlin. K. Palm.

Wilh. Swoboda, Englische Leselehre nach neuer Methode. Wien, Holder, 1889. 58 S.

Der in Österreich weilende Verfasser hat seine Arbeit der Öffentlich- keit übergeben, damit sie der Reform des neusprachlichen Unterrichts nach der praktischen Seite hin, welche sich, hofft er, auch in seinem Lande bald vollziehen werde, ihre Hilfe leisten könne. Das besondere Ziel, welches er seinem Buche gesteckt hat, ist, 'korrektes und unbe- fangenes Lesen englischer Texte zu lehren und dem geAvöhnlichen Sylla- bieren, d. h. Wort für Wort lesen, abzuhelfen'. Gleichzeitig hofft er damit das Verstehen des von Eingeborenen Gelesenen und Gesprochenen anzubahnen. Mit unerlaubter Verallgemeinerung einzelner Beobachtungen konstruiert Herr Swoboda da er ja von dem 'gewöhnlichen' Sylla- bieren spricht einen allgemeinen Übelstand der Schulaussprache und schiebt diesen Übelstand der Grammatik in die Schuhe. Er redet (S. M) von Leuten, die eine fremde Sprache 'blofs auf grammatischem Wege und nur so Wort für Wort lernen'; damit kann er eigentlich nur Auto- didakten meinen, denn schwerlich wird er eine deutsche Schule nach- weisen können, wo auch das Lesen auf grammatischem Wege gelehrt

Beurteilungeu iiiul kurze Anzeigen. 347

wird und wo nicht vom Lehrer ganze Sätze und Stücke vorgelesen werden. Selbstverständlich wird vielfach beim Anfangsunterricht mit einzelnen Worten (manchmal wolil nur mit Silben und Buchstaben) operiert, wie es beim Lesenleruen in der Muttersprache geschieht. Aber ebenso, wie sich im Deutschen aus dem Lautieren und Syllabiereu ein flielsendes, korrektes Lesen fast ganz von selbst entwickelt (rationelle Anleitung vor- ausgesetzt), so wird auch in der fremden Sprache der Flufs der Worte, ihr sinngemäfses Zusammenschliefsen zu Sprechtakten, resp. ihre Abson- derung und richtige Betonung, sich ohne besondere Leselehre unbewufst einstellen, w^enu der Lehrer es an einem tadellosen Vorlesen nicht fehlen lälst. Wo dieses mustergültige Vormachen jedoch fehlt, werden die treff"- lichsten phonetischen Anleitungen besten Falles zu einer automatenhaften, manierierten Weise des Lesens führen. Die Aussprache kann als eine Kunst gelten. Sie enthält, wie andere Künste, etwas, was jenseit des Lehrbaren liegt, dem auch die Phonetik mit ihren anerkennenswerten Errungenschaften nicht beikommen wird, und was nur von Beanlagten rein erfafst und wiedergegeben werden kann. Das bei einem Durch- schnittsschüler aber überhaupt erreichbare und erstrebenswerte Mafs von Korrektheit beim Lesen, resp. Sprechen läfst sich sicherlich gewinnen auf dem Wege praktischer Nachahmung. Wenn der Lehrer englische Texte wie ein geborener Engländer vorliest, wenn er unermüdlich im Üben und peinlich genau im Verbessern ist, dann wird sich das Verständnis des von Eingeborenen Gelesenen von selbst ergeben, dann kann das 'pho- netische Gespenst' auch 'im schlichtesten Gewände' der Schule erspart bleiben, ebenso wie die Lautschrift mit ihren Hieroglyphen. Dem Lehrer vermag wohl die Phonetik mit Leselehre und Lautschrift eine Stütze und ein Stab zu werden bei seiner eigenen Vervollkommnung, für den Schüler sollte sie unseres Erachtens als unnützer Ballast über Bord geworfen werden. Wenn beim Schüler die wünschenswerte Fertigkeit im Lesen und Verstehen bisher nicht immer erreicht wurde, so liegt der Grund darin, dafs die Laute der fremden Sprache genau so, wie sie aus dem Munde der Nationalen kommen, nie an sein Ohr gefallen sind.

Was den Inhalt des vorliegenden Heftes angeht, so stützt sich der- selbe auf 'Svveets Elementarbuch des gesprochenen Englisch, Leipzig 188(j' ; indes hat der Verfasser sich, was sehr zu billigen ist, bemüht, alles Pho- netische möglichst klar und einfach zu geben. Nach der Behandlung der einzelnen accentuierten und nichtaccentuierten Laute wird die Aussi)rache der Laute im Zusammenhang der Rede besprochen mit Berücksichtigung des Wort- und Satzaccentes, der Sprechtakte und Pausen, der enklitischen und proklitischen Wörter, des Tones. Der zweite Teil enthält Texte zum Lesen, und zwar sind zunächst den phonetischen Texten die orthogra- phischen parallel gedruckt; letztere, den Lesestückeu 1 12 beigegeben, sollen dem Anfänger, 'der das Buch sonst mutlos beiseite werfen würde, als Krücke dienen'. In der Lautschrift ist zu besserer Orientierung die gewöhnliche Worttrennung wenigstens angedeutet.

Demjenigen, der einen Sweet in vereinfachter Form wünscht, kann

348 Heur(ciluii;r<'ii und kurze Anzeigen.

(las Buch rocht nützlich sein ; darüber hinaus bietet es nichts Beachtens- wertes. Der Herr Verfasser hat seiner Benutzung selbst engere Grenzen gezogen dadurch, dafs er vielfach auf den risterreichischen Dialekt exempli- fiziert. — Obwohl S. 2 die Subtilität der Unterscheidung so weit getrieben wird, dafs eine Verschiedenheit von deutschem und englischem f, I.; p, t konstatiert und daran die allgemeine Bemerkung geknüpft wird, dafs kein englischer Laut phonetisch vollkommen dem korrespondierenden deutschen entspreche, wird doch bei der Beschreibung der Laute und ihrer Erzeu- gung häufig auf das Deutsche verwiesen (S. 7 '?' wne im deutschen sitzen', 'ti Avie deutsch'; S. 8 '««7 wie deutsches w/ in Engel'); ja sogar die Sprache der Kinder, der Schüler, affektierter Österreicher, uordmährischer Gebirgler und (Inst, not leasf) das Blöken der 'heimatlichen Schafe' wird (S. 6) zur Vergleichung herangezogen. Die S. 3 erwähnte Anstandsregel, beim Sprechen die Lippen so wenig als möglich zu öffnen, dürfte den meisten Engländern etwas Neues sein. Unglaublich aber wird es ihnen erscheinen, dafs man, wie Herr Swoboda S. 5 erzählt, aus dem Auf und Ab ihrer Kinnbacken schon von weitem erkennen kann, wenn sie den Vokal in all oder sau- sprechen. Die genaue Darstellung der Hervor- bringung gewisser Laute (S. 4 n in Udter, S. 5 0 in noi) ist für Schüler schwer zu verstehen; noch viel schwerer aber dürfte ihnen die praktische Befolgung der gegebenen Anweisungen werden, weil sie über ihre Sprach- werkzeuge durchaus nicht die Herrschaft besitzen, die als selbstverständ- lich vorausgesetzt wird. Wo einfaches Vor- und Nachsprechen nicht zum Ziele führt, da thut es die Beschreibung erst recht nicht.

Schliefslich sei bemerkt, dafs das aus Sweets Elementarbuch entlehnte Lesestück Nr. 8 dort nicht Toitm-tmlk, sondern Coimtry-walk betitelt ist.

Berlin. R- Palm.

English Letters. Collected for the Use of Schools by Dr. Günther, Rektor der höheren Töchterschule zu Dirschau. Danzig, Kafemann, 1889. HI u. 46 S. S. M. 1.

Dafs, wer Englisch treibt, auch lernen soll, wie ein englischer Brief aussieht, ist selbstverständlich. Ob es aber zu diesem Zwecke einer be- sonderen Zusammenstellung von Briefen bedarf, kann zweifelhaft sein. Und, wenn auch zugegeben werden soll, dafs die meisten von den in die oben verzeichnete Sammlung aufgenommenen Stücken an sich lesenswert oder wenigstens aus praktischen Gründen nützlich sind, so mufs doch andererseits bemerkt werden, dafs Günthers Auswahl, sofern sie etwa ein Bild von der litterarischen Epistolographie Englands geben will, sehr ein- seitig ausgefallen ist. In ilir sind nur vertreten Lady Mary Wortley Montagu durch drei Briefe, Lord Chesterfield und B. Franklin durch je einen, Lord Byron durch sieben, Ch. Dickens durch zwanzig: hierzu kommen noch einige erfundene Briefe, die der Herausgeber, ich weifs nicht, mit welchem Rechte, faney-leUers nennt. Es fehlen also so be- rühmte Briefschreiber, wie z. B. Pope, Gray, Lamb.

Beurteilungeu uud kurze Anzeigen. 849

Ferner hätte sich der Herausgeber natürlich streng an die englische Sitte halten sollen. Er hat aber dem englischen Gebrauch entgegen hinter die Anrede stets in deutscher Art ein Ausrufungszeichen statt eines Kom- mas gesetzt. Wiederholt hat er sodann (S. 19. 20. 31) als Unterschrift ein einfackes Dickens drucken lassen : Dickens hätte sich aber so ohne Vornamen nur unterschrieben, wenn er ein Lord gewesen wäre. Ein Ver- stofs gegen die übliche Titulatur ist ferner sowohl Lady Wortley Montayu S. 9 als auch Lady Montayu auf derselben Seite und 11. 14: es darf nur heifsen Lady Mary Wortley Montagu, da der Mann der Schriftstellerin ein einfacher Mr. Wortley Montagu war und sie den Titel Lady nur als Tochter des Herzogs von Ivingston und deshalb vor ihrem Vornamen führte. Unenglisch sind endlich die Abkürzungen a. s. o. (S. 9) statt etc. und f. i. (S. 38) statt e. y.

Unter dem Texte finden sich Erläuterungen, die, ebenso wie das Vor- wort, englisch geschrieben sind. Mir scheint gutes Deutsch mäfsigem Englisch vorzuziehen. A faniihj acquainted to Dickens, wie es Anm. 2 auf S. ü heifst, ist wohl als Germanismus, nicht etwa als Archaismus, zu fassen. Die Anmerkungen zeigen mehrfache Versehen und Mifsverständ- nisse. Die zweite auf S. 4 lautet z. B. : Dickens used to converse ivith cpery sort of j^eople. Some days after his arrival at Shanklin the post-man told Dickens that he icas sure Dickens's family irouJd hare a good passayc. Dies soll zur Erläuterung der folgenden Stelle in einem Brief von Dickens an seine Frau dienen : T/ie man irifh the post-hag is sicearing in the j)«^- saye, d. h. 'er flucht im Hausflur', weil er so lange auf den Brief warten muls : Jtist yot back and post going out, sagt Dickens am Anfange seines Schreibens. Mrs. Hogarth (S. 7, Anm. 2 u. 3) war nicht die Schwester, sondern die Mutter von Mary Hogarth und Mrs. Dickens. Wenn Byron S. 11 schreibt: Paar M., in his letter of Friday, speaks of his intoidrd contest for Cambridge, so bezieht sich das darauf, dafs M. sich zum Ab- geordneten für Cambridge wählen lassen wollte. Der Herausgeber nuicht aber hierzu die Bemerkung: Alludcs to a scientific disptdatiun. Barnard Castle, wo Dickens nach S. 13 einen Empfehlungsbrief abgeben will, kann nicht gut, wie Anm. 2 behauptet, a school sein, da es dann heifst All the schools are round abend the place, and a dor.cn old abbeys besides. Zu thrnugh in dem Satze auf S. 17: Did yrni never hear of my protesting throngh good, better, and best report that he aas not a)i open or eandid man . . .'C wird bemerkt: 'gestützt auf. Aber throiiyh steht hier in zeit- lichem Sinne 'durch . . . hindurch', 'bei' : man vgl. Mouut Eden by Flo- rence Marryat (Tauchn.) II, IIG 'Is tliat the thing', she asked her heart, 'which yoii have been cherishing and u-eeping orer, and remaining faithfid to, tlirough good report and evil report, for ten long years'f S. 2)5 be- richtet Dickens von Broadstairs aus, dafs er täglich von 9 bis 1 Uhr sitze in a bay-ivindow in a one-pair. Anm. 2 des Herausgebers ei'klärt 'bay-ivindow Fenster nach der Bucht hin': oftenbar hat ihn der Umstand dazu verführt, dafs Dickens vorher sagt, dafs das Haus, in dem er wohne, in the centre of a tiny semicircular bay stehe, imd das Meer vnder the

35Ö Beurteilungeii und kurze Anzeigeu.

Windows Wellen schlage. Aber hay-utndov bedeutet natürlich hier, wie sonst, 'Erkerfenster'. Ganz unverständlich ist mir die dritte Anmerkung: ^one-pair zweisitzig': wie hat der Herausgeber die Stelle konstruiert? Hehon die ein paar Zeilen weiter stehenden Worte After that he may hf Seen in anot/ier bay-icinJoiv on the yronnd-floor hätten ihn darauf bringen sollen, dafs in a one-pair (vgl. Hoppe s. v. pnir) 'in einem Zimmer im ersten Stock' bedeutet. S. 25 wird in Anm. 2 by itself in kept on a little shelf by itself durch das schiefe 'beiseit' statt durch 'für sich', 'allein' wiedergegeben. Der dritten Anmerkung auf derselben Seite widerspricht der Zusammenhang. Es heilst im Texte: Forster is out again; and if he dmi't go in again, after tlie manner in ivliicli we have been keeping Clirist- Tnas, he must be vcry strong indeeil. Der Herausgeber erklärt 'to be out mifsgestimmt sein, to go in guter Laune werden'. Wie hat er dann strong verstanden? Es kann hier nur 'gesund' bedeuten und zeigt, dafs Forster krank gewesen sein mufs : somit kann der Sinn von is oid nur sein 'geht aus', 'besucht Gesellschaften' u. s. w., und daraus ergiebt sich auch, in welcher Bedeutung Dickens hier to go in anwendet. Das fabelhafte Kiesenland heifst nicht Brohdingnagia, wie S. 28, Anm. 1 zu lesen ist, sondern Brobdingnag. Auch hätte doch erwähnt werden sollen, dafs Swift der Schöpfer desselben ist.

Auch sonst vermifst man öfters Erklärungen. Das Verzeichnis der Eigennamen S. 45 f. giebt z. B. keineswegs in Bezug auf die Adressaten oder die gelegentlich in den Briefen erwähnten Persönlichkeiten alles zum Verständnis Erforderliche. Auch sind vorkommende Citate nicht nach- gewiesen worden. So fehlt z. B. S. 28 zu Ecerything 'is in a concatenation accordingly' der Hinweis auf Ol. Goklsmiths She Stoops to Conqner I, 2, wo wir lesen //' so be that a gentleman bees in a concatenatimi accordingly. Dafür hätte manche Worterklärung unter dem Texte ruhig wegbleiben können.

Nicht klar ist mir geworden, nach welchen Grundsätzen der Heraus- geber bei der Aufnahme von Vokabeln und Eigennamen in sein Wörter- verzeichnis u. s. w. verfahren ist. Von den Unrichtigkeiten, die mir darin aufgestofsen sind, seien hier nur einige erwähnt. Coeked-hat ist kein 'Hut mit Hahnenfeder oder Federbusch', sondern ein 'Stülphut', ein 'dreieckiger Hut', der bei uns scherzhaft auch 'Dreimaster' oder 'Drei- decker' genannt wird. Court-circidars sind nicht 'Hofkreise', sondern etwa 'Hofberichte' (vgl. Hoppe). Flirt ist durch die Übersetzung 'sich liebenswürdig unterhalten' doch harmloser gemacht, als es ist. Hostler bedeutet wohl bei Chaucer (in der Schreibung hostiler) 'Wirt', aber bei Dickens 'Stallknecht'. Instalment 'Anstellung' pafst für S. 25 durchaus nicht (Countless hxxppy years to you and yours, my dear Feiton, and some instalment of them, however sligfd, in Englaml); der Sinn des Wortes ist hier 'Teil'. Posf-boy wird nur in dem Sinne von 'Postkutscher', nicht auch in dem von 'Briefträger' gebraucht. Bock ahead ist nicht 'über- hängender Fels, über dem Haupte hängender Fels', sondern ein 'Fels vor dem Scliiffe', au dem das Schiff ohne Änderung der Fahrtrichtung zer-

Beurteiluugeu uud kurze Anzeigen. 351

schellen mufs. Seediness ist nicht 'Gemisch', sondern 'Schäbigkeit'. Slare- nphoMer kann natürlich nicht gleich slave-holder sein, sondern mufs im Gegensatz zu aholiiionist (S. 17) im Sinne von upholder of slarei-y ge- braucht sein. Für sjM ist 'stofsen gegen' zu schwach statt 'scheitern'. Auf einem seltsamen Mifsverständnis beruht die Wiedergabe von tenanti-y durch 'umgebender Landbesitz' für eine Stelle auf S. 19: Oh, fiotc I hol: foru-ard across that rolling tvater to home and its small tenantrij! Dickens versteht unter tenanb-y natürlich seine Kinder. Der Brief ist an Feiton gerichtet, von dem es S. 45 heilst 'professar of Cambridge, ein Freund des Dickens, wohnhaft in Amerika' : die Fassung läfst nicht erkennen, ob der Herausgeber weifs, dafs Feiton nicht Professor in dem englischen, son- dern in dem amerikanischen Cambridge war.

An Druckfehlern habe ich mir die folgenden notiert. S. 6 heilst es When I think it likely that I may meet xjou (perhaps at Ainsicorth's an Friday) ? / shall u. s. w. : das Fragezeichen gehört vor die Schlufsklammer. S. 13 ist gedruckt whifh we shall risit hy means or other : natürlich fehlt smne vor means, aber auch das Wörterverzeichnis setzt den Fehler voraus, da es hier S. 89 b heilst 'hy means or other auf irgend welche Weise'. S. 14 unten ist extend verdruckt für extcnt, S. 15, Z. 13 v. o. devided für divided, S. 20, Z. 4 v. o. Georg für George und Z. 20. 22 oystercellars und oysteropeners für oyster-cellars u. s. w. S. 28 müssen Anm. 4 iind 5 ihre Stellung vertauschen. S. 28, Z. 22 v. o. steht this statt these, S. 30, Z. 28 v. o. fork statt park.

Berlin. Julius Zupitza.

AVörterbuch der englischen und deutschen Sprache. Von WilUam James. Einunddreifsigste Auflage. Vollständig neu be- arbeitet von C. Stoffel. Englisch -Deutsch und Deutsch- Enghsch in einem Bande. Leipzig, Tauchuitz, 1890. XII, 524 u. 485 S. 8. Geb. M. 5.

Die Neubearbeitung des vielgebrauchten Wörterbuches von James ist in gute Hände gelegt worden, da C. Stoffel sich wiederholt als treu- lichen Kenner des Englischen bewährt hat. Schon rein äul'serlich hat die neue Auflage sehr gewonnen, indem durch fetten Druck der Stichwörter und anderweitige typographische Verbesserungen das Aufsuchen bedeu- tend erleichtert worden ist.

Was den englisch-deutschen Teil betrifft, so ist, wie der Bearbeiter S. VII auseinandersetzt, 'der englische Wortschatz bedeutend erweitert und die gröfste Mühe aufgewendet worden, denselben mit der gebildeten Um- gangs- und Litteratursprache der Neuzeit möglichst in Einklang zu bringen und durch Berücksichtigung zahlreicher Neubildungen der letzten Jahr- zehnte zu vervollständigen. Der zu diesem Zwecke nötige Raum ist teil- weise geschaffen durch die Ausnierzung eine Anzahl solcher ganz veralteter Wörtßr, denen man nur bei Autoren untergeordneten Ranges begegnet'. Man findet in der neuen Auflage in der That vieles, was man in den frühereu

352 Beurteilungen uiul kurze Anzeigen.

vergeblich suchen würde. Aber es liegt in der Katar der Sache, dal's auch die Neubearbeitung noch Lücken zeigt. Es fehlen z. B. die folgen- den der heutigen Schrift- oder Umgangssprache angehörigen Wörter, die ich in der letzten Zeit Anlals gehabt oder genommen habe, darin nach- zuschlagen: to best 'übervorteilen' (vgl. Iksaut, The Bell of St. Ptmi'.s |Tauchnitz] 1, 85 Ile spent his biisineas liours in overreavJtiny his elients, bestiiiy his friends, yriiidiny ths noses of the poor, etc.: s. Murray 1,824); yaxebo 'Aussichtspunkt' (Besant a. a. O. I, 28 Forminy a ya^ebo or belve- dere from whieh to ciew the rirer and to take the air : Webster hat yaxeebo); holystone 'eine Art weicher Sandstein' und to holystone 'mit holystone das Deck scheuern' (vgl. Besant a. a. O. I, 8 Would our ycdlant Tars continue to holystone tlie decks if tJieir officers ceased to require of thein that duty? s. Webster und Lucas) ; shue/c 'Hülse', 'Schale' (vgl. Besant a. a. O. I, 222 Tinere still liiujers in the air the frayrance of cruslied cabbaye-stalks, Jyniised onions, pea-shucks, decayiny apples and the like; II, 112 It is as if lifc ivere henceforth to be spent amony the shucks and shards, tlie duds and rays, tlm broken bits. the scraps, and the tised-tip thinys of life : s. Webster und Lucas) ; silver-side 'gepökeltes Bumpfstück vom Rinde' (kalt gegessen ; vgl. F. C. Philips, Youny Mr. Ainslie's Courtship [Tauchn.] 159 His coni- plexioii asstimed all diversified hiies of a silver-side of bcef in yood eut. I am told that with siher-side of beef some people eat liam, and tlie otlier- wise dead tint of his features tvas lit up with little flecks of ham-colour; Braddon, Cut by the County [Tauchn.] 170 Wlien I am an a job like this I usually ftnd myself introduccd to a cold sirloin, or a silver-side: in den Wörterbüchern, die mir zur Haud sind, finde ich das Wort nicht) ; sobersides etwa 'Philister' (Tlie Mishioe Bonyh ed. M. E. Braddon 1886, p. 51a It is writiny to such a sobersides as you that suyyests these doubts: auch diesen Ausdruck finde ich in meinen Wörterbüchern nicht). Auf einem Versehen beruht es natürlich nur, wenn ein so gewöhnliches Wort wie yiraffe fehlt.

Dafs veraltete Wörter, die nur bei Schriftstellern niederen Ranges vorkommen, in einem Wörterbuch, wie das Jamessche, weggelassen wer- den, ist natürlich zu billigen; indessen andererseits erwartet man doch, dafs es bei der Lektüre Shaksperes nicht im Stiche läfst: aber manche Wörter, die dieser braucht, sucht man vergeblich.

Ferner ist nicht zu billigen, dafs Wörter, die etymologisch ganz ver- schieden sind, weil sie formell zusammenfallen, in demselben Artikel be- handelt werden: ear 'Ohr' u. s. w. ist natürlich ein ganz anderes Wort als cur 'Ähre', und von beiden ist dann als drittes Wort zu trennen das bei James-StoflPel fehlende Verbum to ear, das bei Shakspere und in der Bibel vorkommt.

Bisher war in James' Wörterbuch die Aussprache der englischen Wörter durch das Walkersche System bezeichnet worden. Dafs der Be- arbeiter dieses aufgegeben hat, ist begreiflich; aber es wird schwerlich allgemeine Billigung finden, dafs er dafür im Avesentlichen die ziemlich elementare Transskription von Stormonth angenommen hat. Jedenfalls hätte Stoffel gut gethan, sich in vielen Punkten von »Stormonth zu ent-

Beurteilungen uud kurze Anzeigen. S5S

fernen : er unterscheidet z. B. ebensowenig wie Stormonth die beiden r, schreibt ng für das gutturale n u. s. w. Vor allem aber hätte mehr die südenglische Aussprache zur Geltung kommen sollen, als es geschieht: abweichend von Stormonth schreibt Stoffel zwar päs (ä, wie in far, ■= pass, Stormonth päsj, aber äs (= ass), äsk, cäst u. s. w. Er bezeichnet den Vokal in malt, soll u. s. w. durch äw, also als laug, während schon zu Smarts Zeit Kürzung eingetreten war. In manchen Fällen sind die Aus- spracheangaben nicht vollständig genug. Es genügt nicht, dafs Wörter, wie long und sträng, durch long und strong umschrieben werden : weit wichtiger wäre die Bemerkung, dafs im Komparativ und Superlativ liinter dem gutturalen n auch das g gehört wird. Ferner vermifst man die An- gabe, dafs die auslautenden Konsonanten von hou^e, hatli, oath, path u. s. w. im Plural stimmhaft werden, umgekehrt aber s in to use, wenn es 'pflegen' bedeutet, im Präteritum stimmlos. Auch bei dose ist die Aussprache klöz allein angegeben, die nur für dose als Verbum und zum Teil als Substantivum richtig ist. Warum wird für com die Aussprache eäwrn, für hörn aber hörn angegeben ? Druckfehler haben wir jedenfalls nur zu sehen in den Umschreibungen durn'bels (st. düm'beh = dumb-bdls), hät'- fool (st. hät'fobl = Imtefnl), »ns'tizism (st. mts'ftstxm = mysticmn) u. s. w. Für cBsthetic u. s. w. giebt er im Anschlufs an Stormonth als Aussprache exthet'tk an: nach Murray I, 147c sind, um mich Stoffels Umschreibung zu bedienen, esthet'U; esthet'lk, esthe'ttk, esthe'tzk nebeneinander üblich, in London aber die an zweiter Stelle gegebene Aussprache die gewöhnlichste. Stimmhaftes s scheint man bei diesem Worte in London nicht mehr zu hören : vgl. Storm, Engl. Philologie I, 95. Unbekannt ist mir disxern' (statt dtzzern' = discern). Bei Wörtern wie examination mufs der Nebenaccent, der bei examination auf der zweiten Silbe liegt, angegeben werden u. s. w.

Bei dem deutsch-englischen Teil ist namentHch als eine glückliche Neuerung der Umstand zu erwähnen, dafs Bedeutungsschattierungen durch Anführung von sinnverwandten Ausdrücken oder durch anderweitige Er- läuterungen angegeben werden. Auch hier ist die Aussprache wenigstens der betonten Vokale bezeichnet. Dafs mitunter kleine Fehler unterlaufen, ist, da der Herausgeber kein Deutscher ist, zu entschuldigen : so wird der betonte Vokal in Viertel, vierzehn, vierzig als lang bezeichnet und ie in Dnieper und Dniester als ein Laut. Für Algier wird als Aussprache dlsdiir angegeben.

Berlin. Julius Zupitza.

How the wyse man taiight hys sone. In drei Texten heraus- gegeben von Rudolf Fischer. Erlangen u. Leipzig, Deichert, 1889 (Erlanger Beiträge zur englischen Philologie heraus- gegeben von Hermann Varnhagen 11). VII u. 64 S. 8. M. 1,20.

Das kleine mittelenglische Lehrgedicht Ihm thr wyse man taught hys sone war bisher aus drei Handschriften bekannt, die au verschiedenen

Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV. 23

354 Beurteilungen und kurze Anzeigen.

Orten gedruckt waren. Wir sind nun R. Fischer zu Dank verpflichtet, dafs er uns die Lesarten sämtlicher bisher aufgetauchten sechs Hand- schriften bequem zugänglich gemacht hat. Auch verdient er Anerkennung für den Nachweis mannigfacher Anklänge an den Inhalt des Gedichtes und für die Beibringung von Parallelstellen. Er hat die sechs Hand- schriften richtig in drei je zwei Handschriften umfassende Gruiipen «, ß, y geordnet und gezeigt, dafs / der Gruppe « näher steht als der Gruppe ß. Aber leider hat er hier Halt gemacht. Auf den Versuch, das ursprüng- liche Gedicht möglichst zu rekonstruieren, hat er verzichtet, und selbst die leichtere Aufgabe, a, ß, y herzustellen, hat er nicht in Augriff ge- nommen. Er hat sich vielmehr darauf beschränkt, die im ganzen beste Handschrift jeder Gruppe abzudrucken und nur ganz offenbare P^ehler aus der anderen zu bessern.

Berlin. Julius Zupitza.

Treutalle Sancti Gregorii, eine mittelenglische Legende. In zwei Texten herausgegeben von Albert Kaufmann. Erlangen und Leipzig, Deichert, 1889 (Erlanger Beiträge zur englischen Philologie herausgeg. von Hermann Varnhagen III). V u. 57 S. 8, M. 1,20.

Unter dem Trental des heihgen Gregorius verstand man dreifsig in bestimmter Reihenfolge gelesene Seelenmessen. Wie die beiden mittel- englischen Erzählungen berichten, erscheint die in Sünden gestorbene Mutter eines Papstes ihrem Sohne und giebt ihm an, dafs, wenn er für sie je drei Messen innerhalb der Oktave der zehn Feste Weihnachten, Epiphanias, Lichtmefs, Maria Verkündigung, Ostern, Himmelfahrt, Pfing- sten, Trinitatis, Maria Himmelfahrt und Maria Geburt lese, ihre Seele in den Himmel kommen werde. Der Sohn erfüllt natürlich den Wunsch der Mutter, und diese erscheint ihm dann noch einmal, um ihm zu danken, und zwar in so herrlicher Gestalt, dafs er anfangs glaubt, die Himmelskönigin zu sehen.

Die englischen Gedichte gehen auf eine bisher noch nicht aufgefun- dene französische oder lateinische Vorlage zurück. Das ältere, das Kauf- mann noch in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts setzt, ist in vier Auf- zeichnungen auf uns gekommen; zwei von diesen waren schon früher gedruckt, von einer dritten wenigstens die cMef variations mitgeteilt. Kaufmann hat den anerkennenswerten Versuch gemacht, auf Grund der gesamten Überlieferung einen kritischen Text herzustellen. Er scheint mir dabei aber den Wert der von ihm zu Grunde gelegten Handschrift, die er M nennt, überschätzt zu haben. Wenn er S. 7 sagt, dafs sich aus dem Stammbaum ergebe, dafs M dem Originale am nächsten stehe, so mufs ich das bestreiten. Der Stammbaum beweist nur, dafs M nicht aus ß, der Quelle von «L, und nicht aus «, der Quelle von V, und V, geflossen sei. Zwischen y, der Quelle aller vier erhaltenen Handschriften, und M kann au sich eine weit gröfsere Anzahl von Zwischengliedern

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 355

liegen, als zwischen y und V, oder Y,. Jedenfalls hätte sich Kaufmann in der Schreibung weit öfter von M frei machen sollen.

Von dem zweiten Gedicht sind zwei Aufzeichnungen bekannt. Die eine in einer Edinburgher Handschrift hat Turnbull 18 IP. verr)ffentlicht. Kaufmann hat eine Kollation des Druckes mit der Handschrift benutzt, doch schien ihm diese nach S. 22 'nicht überall über jeden Zweifel er- haben zu sein', und so hat er sich mit dem Abdruck der zweiten bisher uicht benutzten Handschrift begnügt. Er hofft, 'in nicht allzu langer Zeit eine von kompetenter Hand angefertigte Abschrift zu erhalten', die er dann in einer Zeitschrift veröffentlichen will. Nach meiner Ansicht hätte er doch besser gethan, alles zusammen zu geben: die später not- Avendigen Berichtigungen hätte sich dann jeder leicht eintragen können.

Ich erlaube mir noch Bemerkungen zu einigen Einzelheiten. S. 9 sagt Kaufmann: 'V. 111/12 stellt M gegen «L um, doch ist die letztere Stellung mit Rücksicht auf die Chronologie der Feste vorzuziehen.' Er schreibt demgemäfs Tl/re of Maries Natirite And of the Assumpcioun othur thre. Aber so ist ja gerade die Chronologie in Unordnung; denn Maria Geburt ist erst am 8. September, dagegen Maria Himmelfahrt schon am 15. August. Vgl. auch den jüngeren Text 73 f. Thre of the Assumpcijon of our lady, Thre of here Nativite und die S. 50 aus dem Bolce of Brome citierte Stelle /// of the Assumpeion of oivre lady, III of the Nateuite of oure lady. So ist also gegen die Reihenfolge in M Ami of our ladyes Assumpcioun othur thre And of her joyfidl Natiuite thre nichts einzuwenden. ß hat Assumpcioun hinter Natiuite gesetzt, « aber diesen Fehler bemerkt und dadurch gebessert, dafs es Concepcioun für Assumpcioun schrieb : die Chronologie (8. September und 8. Dezember) ist hier wieder in Ordnung; aber, wie in M, macht auch an den vorhin angeführten Stellen Maria Geburt den Beschlufs. Die Bemerkungen über Sprache und Dialekt des älteren Gedichts S. 10 f. sind nicht vollständig genug: man erfährt z. B. nichts über das Verhalten von ae. ä (vgl. besonders mo 172 : do), über das durch den Reim gesicherte Pronomen she 97. 159 (: be). Im Text V. 32 steht nicht, wie man nach S. 11 vermuten sollte, das Participium knou-e, sondern der Infinitiv beknowe. S. 45 lesen wir als V. 42 der jüngeren Bearbeitung To teile my state nntli. sloirthe. Kaufmann bemerkt S. 55 mit Recht dazu, dafs with dowthc fehlerhaft scheint. Wenn er aber dafür I will not slouihe vermutet, so ist es fraglich, ob sich sloicfheu als einfaches Verb noch so spät nachweisen läfst (mit for- kommt es ja allerdings bei Chaucer und WiUiam Langland vor). Ich glaube, dafs für ivith zu schreiben ist withoirten. S. 4(3, V. 79 ist or doch wohl Kon- junktion : or ye syng 'ehe Ihr die Messe leset' ; nach 78 ist nur ein Komma zu setzen. Zu S. 47, V. 98 Men hyt call stalc ccly bemerkt Kaufmann S. 55, dafs stalc ccly keinen Sinn gebe und vermutlich ein Schreibfehler für scala celi oder Stella ccli sei. Aber die zweite Konjektur ist über- flüssig; vgl. z. B. Statious of Rome (In Verse from the Vernon MS.) ed. Furnivall 117 ff. In that place (Rom) a chapel is, Scala celi elepet hit is: 'Laddere of heuene' men clepefh hitte und das bei Furnivall a. a. O. abge-

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856 BeiirteiluDgeu und kurze Anzeiger».

druckte Prosastück p. 81 And ther ys a chappelle, tluit oien ealle sclialla cely, that ys of oure lady. Die für S. 48, V. 160 vorgeschlagene Ände- rung rafte für raffe ist wohl abzuweisen : raffe ist entweder als Inter- jektion zu fassen oder := in raff 'schnell' (vgl. Tristrem 328?). S. 49, V. 188 ist wohl zu schreiben Hys sowie for thys in peyn schal lye: statt tkys hat die Hs. kys. S. 49, V. 190 send ist in fend zu ändern. Berlin. Julius Zupitza.

IJl)er das Fehlen des Auftaktes in Chaucers heroischem Verse. Von Markus Freudenberger. Erlangen u. Leipzig, Deichert, 1889 (Erlanger Beiträge zur englischen Philologie heraus- gegeben von Hermann Varnhagen IV). VII u. 92 S. 8. M. 1,60.

Schon Tyrwhitt hat behauptet, dafs Chaucer seinen heroischen Vers nicht ohne Auftakt gebraucht habe. In neuerer Zeit hat sich besonders entschieden ten Brink für diese Ansicht ausgesprochen. Ich habe sie niemals für richtig gehalten, und es freut mich, dafs der Verfasser der oben verzeichneten Schrift ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt ist (S. 83), dafs 'Chaucer auftaktlose heroische Verse ebensogut aus der Feder ge- flossen sind, wie auftaktlose vierhebige'.

Berlin. Julius Zupitza.

Die Historia Septem Sapientum nach der Innsbrucker Handschrift vom Jahre 1342. Nebst einer Untersuchung über die Quelle der Seuin Seages des Johne RoUaud von Dalkeith. Von Georg Buchner. Erlangen und Leipzig, Deichert, 1889 (Er- langer Beiträge zur engHschen Philologie herausgegeben von Hermann Varnhagen V). IV u. 117 S. 8. M. 2.

Die Zeit für eine kritische Ausgabe der Historia Septem Sapientmn auf Grund sämtücher Handschriften und Drucke hält Buchner noch nicht für gekommen, weil er (und gewifs mit Recht) der Ansicht ist, dafs die ihm bekannt gewordenen IG Handschriften nur einen kleinen Bruchteil der überhaupt vorhandenen bilden. Da indessen das Werk für litterar- historische und sagengeschichtliche Untersuchungen von sehr grol'ser Wich- tigkeit ist, Handschriften und alte Drucke desselben aber nur wenigen zur Hand sind, hat uns Büchner durch den Abdruck der ältesten be- kannten Handschrift in der That zu Dank verpflichtet. Zur Besserung von Fehlern in derselben hat er vier Münchener Codices und einige alte Drucke benutzt. In einem Anhange beweist er, dafs die Quelle für John RoUands schottische Versifizierung der Geschichte von den Sieben Weisen Meistern die von Wynkyn de Worde gedruckte englische Prosaerzählung gewesen sei, die vor einigen Jahren (1885) G. L. Gomme unter dem Titel The History of the Seven Wise Masters of Romc für die Villon Societj' neu herausgegeben hat.

Berlin. Julius Zupitza.

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 357

Marlowes AVerke. Historisch -kritische Ausgabe von Hermann Breymann und Albrecht Wagner. H. Doctor Faustus her- ausgegeben von Hermann Breymann. Heilbronn, Henninger, 1889 (Enghsche Sprach- und Litteraturdenkmale des 16., 17. und 18. Jahrhunderts herausgeg. von Karl A^ollmöUer 5). LV und 198 S. 8. M. 4.

Die älteste bekannte Ausgabe von Marlowes Doctor Faustus, A', ist vom Jahre 1604. A^ vom Jahre 1609 ist ein zum Teil verbesserter, noch mehr aber verschlechterter Abdruck von A'. Dasselbe Verhältnis, wie zwischen A- und A', wird auch wohl zwischen A^ und A- vorhanden sein: leider aber ist es Breymanns vieljährigen Bemühungen nicht ge- lungen, den gegenwärtigen Aufenthalt des einzigen bisher aufgetauchten (früher Heberschen) Exemplars von A^ aus dem Jahre 1611 zu ermitteln. Von dem uns also vorläufig nur aus A' und A^ bekannten A-Text weicht der B-Text, den die späteren alten Drucke bieten, bedeutend ab: B' er- schien 1616, B= 1619, B* 1620, B" 1621, B^ 1631, B^ 1663. B^ ist im wesentlichen ein Abdruck von B', B^ ein Abdruck von B- u. s. w. ; B" aber ist zum Teil eine Umarbeitung von B\ Das Hauptverdienst der Breymannschen Ausgabe besteht darin, dafs er, abgesehen von B", aus dem er in den späteren Scenen nur die wichtigeren Sinnvarianten an- führt, die gesamte Varia lectio der alten Drucke verzeichnet. Links giebt er den A-Text, rechts den B-Text, was für die Vergleichung natürlich weit bequemer ist, als wenn, wie bei früheren Herausgebern des Doctor Faustus, soweit diese überhaupt von den zwei Texten Notiz genommen haben, dieselben hintereinander stehen.

Über sein Verfahren äufsert sich Breymann S. LIV so : 'Ich bin . . . bestrebt gewesen, den Text der beiden ältesten Quartos so genau als möglich wiederzugeben mit Ausnahme dessen, was sich als absoluter Un- sinn oder andere oifenbare Verderbnis herausstellt. Es sind daher nur diejenigen Fehler, welche meines Erachtens auf Rechnung des gedanken- losen Interpolators oder des nachlässigen Setzers kommen, verbessert, dagegen die Inkonsequenzen der alten Orthographie und der Interpunktion beibehalten worden; jede, auch die geringfügigste Abweichung von den ältesten Texten wird durch ein nachgesetztes *, jeder Zusatz durch [ ] bezeichnet.' Ich mufs gestehen, dafs mich die vielen Sternchen und Klammern einigermal'sen in der Lektüre stören, und wie mir wird es wohl noch manchem gehen. Vielleicht wäre es doch das Beste gewesen, wenn Breymann A' und B' mit allen ihren Fehlern abgedruckt und unter den Text die Varianten der übrigen Ausgaben gesetzt hätte. Namentlich beim B-Text scheint er mir sehr oft in seinen Änderungen zu weit ge- gangen zu sein und nicht blofse Fehler der Überlieferung, sondern den oder die Umarbeiter, dem oder denen wir den Text B verdanken, korri- giert zu haben.

Aufser den Varianten der alten Drucke hat Breymann auch die Ver- besserungsvorschläge der späteren Herausgeber und Erklärer sorgfältig

358 Iknirtcilungen und kurze Anzeigen.

verzeichnet. Auf einen solchen, den Breyniaiui in beide Texte aufgenom- men hat, erlaube ich mir hier einzugehen. Die alten Ausgaben (A 2h<>, B 215) bieten in M'esentlicher Übereinstimmung (ich regle die Interpunk- tion und die Initialen) Ignei, äerii, aquatani (aqiiitayii W 6) spiritus, sal- uete. K. J. Schröer hat nun in seiner Ausgabe von Goethes Faust I ', XXV, Anm. und Anglia V, 1B5 ff. mit Recht geltend gemacht, dafs Mar- lowe alle vier, nicht blofs drei Klassen von Elementargeistern hier ange- führt haben wird. Schröers Vorschlag aber, lynls, aeris, aquee, terrae Spiritus, salude, ist gewaltsamer als nötig ist. Gleich beim Erscheinen des erwähnten Heftes der Anglia bemerkte ein klassischer Kollege, der nicht genannt sein will, mir gegenüber, dafs Ignei, aerii natürlich zu lassen und nur für aqnatani zwei Adjektiva zu schreiben seien : am näch- sten liegt wohl aquatiei, terreni. In den Text B Avürde ich au dieser Stelle diese Konjektur nicht setzen; denn offenbar ist bei der Umarbei- tung die Lesart aus A unbeanstandet übernommen worden.

Unbekannt geblieben zu sein scheint Breymann die Marlowe- Ausgabe in der Mennaid Series. Sie führt den Titel Christopher Marlowe edited by Havelock Ellis. With a General Introduction mi the Emjlish Drama during the Reigns of Elizabeth and James I. by J. A. Sgmonds. London, Vixetelly cO Co., 1887. Auf die freilich aufserordentlich schwierige Frage, was von dem überlieferten Doctor Faustus Marlowe zuzuschreiben sei, was dagegen von fremder Hand herrühre, ist Breymann nicht eingegangen. Auch fehlen die sonst bei der VoUmöllerschen Sammlung üblichen Er- läuterungen. Doch wollen wir dem Herausgeber daraus keinen Vorwurf machen, sondern ihm lieber herzlich dafür danken, dafs er es nun jedem ermöglicht hat, sich über die Lesarten der alten Ausgaben und späteren Herausgeber und Erläuterer des für uns Deutsche ja doch interessantesten von j\Iarlowes Dramen bequem zu unterrichten.

Berlin. Julius Zupitza.

Marlowes Werke. Historisch -kritische Ausgabe von Hermann Breymann und Albrecht Wagner. IH. The lew of Maha herausgegeben von Albrecht Wagner. Heilbronn, Henninger, 1889 (Englische Sprach- und Litteraturdenkmale des 16., 17. und 18. Jahrhunderts herausgeg. von Karl Vollmöller 8). XIV u. 111 S. 8. M. 2.

Diese Ausgabe des Jew of Malta ist schon deshalb mit Freuden zu begrülsen, weil sie der erste Neudruck ist, der die Schreibung der Editio princeps nicht modernisiert hat. Freilich das Modernisieren und Regu- lieren ist bei der Herausgabe von Denkmälern aus dem Anfang des Neu- englischen so lange für ganz selbstverständlich angesehen worden, dafs auch solche Gelehrte, die grundsätzlich dagegen sind, doch in einzelnen Fällen die allgemeine Übung mitmachen. Auch Wagner ist hiervon nicht ganz frei. So schreibt er z. B. 154;'> Seuill statt der überlieferten Form CiMill. Aber so wurde der Name von Sevilla in älterer Zeit auch sonst

Beurteiluugeu und kurze Anzeigen. 359

geschrieben; vgl. Murray II, 4-17 a, wo freilich noch keine Belege gegeben sind, und das u. a. bei Shakspere in Much Ado Ahout Nothing II, 1, 304 vorkommende Sprichwort Ciuil as an orange. Auch Scituation 2207 brauchte nicht in Situation geändert zu werden, da mau in älterer Zeit öfter sc schrieb, wo jetzt nur s gilt.

Da der Jew of Malta nur in einer einzigen alten Ausgabe vorliegt, ist das kritische Verfahren einfach. Man mufs sich eben an die überlieferte Lesart halten, falls man nicht einen triftigen Grund hat, in der Über- lieferung einen Fehler zu vermuten. Dafs in dieselbe sich Verderbnisse eingeschlichen haben, ist nicht zu verwundern, da das Stück, obgleich schon wahrscheinlich 1588 entstanden, erst 1633 von dem Dramatiker Thomas Hey wood durch den Druck veröffentlicht worden ist. Eine grofse Anzahl von Fehlern hat bereits Dyce verbessert, den einen oder anderen auch andere Herausgeber. Indessen ist die Nachlese, die Wagner nament- lich von metrischen Gesichtspunkten aus gehalten hat, keineswegs unbe- deutend. Die Anmerkungen gehen ebenfalls vorzugsweise auf metrische Sch^\^erigkeiten ein. jVIitunter kommt es mir vor, als ob Wagner den Standpunkt seiner Leser sich etwas zu niedrig vorgestellt hätte. S. Ol, Anm. zu 178 hätte er nicht die falschen Formen tidian, tidede (statt tklan, tidde) ohne Berichtigung aus Mätzner entlehnen sollen. W^enn er S. 109 zu 1974 zur Empfehlung der Konjektur von Bullen bemerkt, dafs sich der Fehler masty statt musty einfach und leicht durch die Aussprache erkläre, so ist daran zu erinnern, dafs u zu Marlowes und selbst zu Hey- woods Zeit noch keineswegs die «-ähnliche Aussprache hatte, die es jetzt im Munde der Südengländer zeigt.

Berlin. Julius Zupitza.

Percy^s Reliques of Ancieut Euglish Poetiy nach der ersten Aus- gabe von 1765 mit den Varianten der späteren Original- ausgaben herausgegeben und mit Einleitung, Anmerkungen und den erhaltenen Singweisen versehen von M. M. A. Schröer. l. Hälfte. Heilbronn, Henninger, 1889 (Englische Sprach- und Litteraturdenkmale des 16., 17. und 18. Jahrhunderts herausgeg. von Karl Vollmöller 6). V u. 524 S. 8 nebst einer Musikbeilage. M. 8.

Percys Reliques, die so aufserordentlichen Einfluls gehabt haben auf die Entwickeluug nicht blofs der englischen, sondern auch der deutschen Litteratur, in einer den gegenwärtigen Bedürfnissen der Wissenschaft ent- sprechenden Weise herauszugeben, war ein guter Gedanke. Über die Ausführung desselben wird sich erst urteilen lassen, wenn auch die zweite Hälfte erschienen sein wird. Der vorliegende erste Teil enthält den Ab- druck des ersten und zweiten von den drei Bänden der ersten Ausgabe vom Jahre 17(35. Der zweite Teil wird den iVbdruck des dritten Bandes bringen, die Variauten der drei späteren Originalausgaben der Reliques und die Beigaben des Herausgebers. Hoflbntlich giebt uns das Erscheinen

360 Iknirtfiliingen iiiul kurze Aiizeigeu.

des Bchlufsbandcs bald Gelegeuheit, auf das ganze Werk einzugehen ; vorläufig sei nur auf ein paar Druckfehler aufmerksam gemacht, die sich in den Abdruck der Widmung, der Vorrede und der Abhandlung über die Minstrels eingeschlichen haben: 1. 6, 11 yenius st. yeuius; 7, S pos- session st. prossession; 12, 7 Brilons st. Baritons; 13, 28 und 14, 2 which st. ivich. J. Z.

Programmschau.

Friedrich Rückert in Erlangen. Von Oberlehrer Fr. Reuter. Programm des Gymnasiums in Altona 1888. 64 S. gr. 8.

Zum Andenken an den hundertsten Geburtstag Rückerts sind diese Blätter geschrieben. Sie haben einen vorzüglichen Wert. Sie atmen durchweg die hingehendste Liebe zu dem Dichter, sie bringen viel Neues. Es stammt aus Erzählungen im Elternhause, aus dem Munde Döderleins und des Schulrats Elsperger, der dem Rückertschen Kreise nicht fern stand, von Kindern und Enkeln Rückerts, aus Familienpapieren, beson- ders aus dem Nachlafs Jos. Kopps, bei dem eben für das Verständnis der Rückertschen Lyrik der beste Aufschlufs zu finden ist. Danach hat der Verfasser den Dichter in seiner ersten Erlanger Periode und seine Umgebung zu zeichnen versucht; dort macht er uns ganz heimisch; alle Personen, mit denen er in nähere Berührung kam, sein amtliches, sein häusliches Leben lernen wir genau kennen, und damit gewinnen wir den besten Kommentar für die Gedichte dieser Periode. Es ist ein aufser- ordentlicher Sammelfleifs, dem wir hier begegnen, für uns sehr wertvoll und den Wunsch nach Mehr und Ahnlichem anregend; zu bescheiden spricht der Verfasser im Nachwort von sich selbst. Eine kurze Andeu- tung des reichen Inhalts mag dies Urteil bestätigen. Nach der knappen Übersicht über das Vorleben des Dichters erfahren wir die Verhandlun- gen übfer die Anstellung in Erlangen und die erste Einrichtung, dann erhalten wir einen Überblick über das Leben des Dichters 1826 1833 und die Beziehungen darauf, auf Zustände und Personen, in den Gedichten. Genauer wird der Boden, auf dem sich der Dichter bewegte, in dem Ab- schnitt über Erlangens politische Schicksale und die Anfänge der religiösen Bewegung geschildert, besonders eingehend die Kollegen Rückerts, der Mediziner Henke, der Theologe Engelhardt, der Naturforscher Schubert, der Mathematiker Pfaff, Döderlein, Schelling und seine Frau, Karl von Raumer, Hermann Olshausen, vor allen Joseph Kopp, der mehr als alle Rückert innerlich nahe gestanden hat : seine Aufzeichnungen sind bei der Darstellung von Rückerts Erlanger Verhältnissen als denen des Dichters selbst nahezu gleichartig zu betrachten. Auf Kopps Leben geht der Ver- fasser genau ein; Kopp hat Rückert zu F. H. Jacobis und Schellings Philosophie hingeführt, auf Kopp beziehen sich Anklänge in Rückertschen Gedichten. Mit gleicher Liebe werden Frau und Kinder Rückerts vor- geführt, manches Gedicht erhält neue_ Beleuchtung. Dann folgt eine

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 361

Schilderung des Alltagslebens und des geselligen Verkehrs, immer mit Ausbeute für das Verständnis von Gedichten, schliefslich aber der dem Dichter so teuren Familie Kopp, und mit einem Gedichte Rückerts au eine Tochter Kopps, Emilie, einem Schwanengesang von 1865, endet der Verfasser die schönen Gaben aus dem reichen Füllhorn.

Ein Beitrag zu einer Biographie Max von Schenkendorfs. Von Dr. Drescher. Programm des Gymnasiums zu Mainz 1888. 35 S. 4.

Die auf genauer Kenntnis der hierher gehörigen Litteratur beruhende Darstellung des äufseren Lebensganges des Dichters, durchwoben mit manchen Belegstellen aus seinen Gedichten, führt uns aus seinem Vater- hause nach Königsberg in das Auerswaldsche und Barkleysche Haus und in seine ersten schriftstellerischen Versuche in der von ihm und Ferd. von Schrötter herausgegebenen Zeitschrift Vesta. Wir hören von dem geistig regsamen Leben in dem 'poetischen Männerbund', von dem ver- hängnisvollen Duell, dann von seiner Übersiedelung nach Karlsruhe und seiner Vermählung, von seinem Eintritt ins Heer 181o, endlich von seinem Koblenzer Aufenthalt. Manche sonst noch ;nicht verwertete Mitteilung hat der Verfasser der Koblenzer Zeitung entlehnt, auch die ausführliche Erzählung von Fouqu4 über sein Zusammenleben mit Schenkendorf wiederholt. Mit vorurteilsfreier Liebe charakterisiert der Verfasser den edlen begeisterten Dichter. Im Anhange bringt er drei in Hagens Bio- graphie fehlende Briefe aus Karoline von Wolzogens Nachlafs (1849), einen Brief von 1815 an dieselbe und aus Bädekers Autographensammlung zwei Briefe an den befreundeten Land rat Baersch; eine dankenswerte Bei- lage ist 'auch das Faksimile der Namensunterschrift Schenkendorfs aus einem Aktenstück der Koblenzer Regierung.

Zur Geschichte des Arminius-Kultus in der deutschen Litteratur. Eine Ktterarhistorische Abhandlung von Dr. P. von Hof- mann-Wellendorf. 3. Teil (Schkifs). Programm der Ober- ^ realschule zu Graz 1888. 42 S. gr. 8.

Wie die früheren Teile, so zeugt auch dieser Schlufsteil von einer ganz ungewöhnlichen Belesenheit in der überaus reichen Litteratur; aber nicht blofs der Fleifs des Verfassers, der uns auch ungedruckte Schätze vorführt, sondern auch sein verständiges Urteil verdienen alles Lob. Von dem grofsen Reichtum der Litteratur, die uns der Verfasser, zum Teil in Auszügen, vorführt, mag eine Übersicht der besprocheneu Werke eine Vor- stellung geben. Es beginnt dieser Teil mit dem Zeitalter Friedrichs des Grofsen. Aus Gottscheds Schule stammt das lobenswerte Trauerspiel von Joh. El. Schlegel 1741, Hermann, au welches sich Joh. Andr. Cramers Ode Hermann 1744 schliefst. Darauf bespricht der Verfasser zwei Opern- bücher, Arminio vom sächsischen Hofpoeten Pasquini (Musik vou Hasse)

1362 Beurteilungen und kurze Anzeigen.

von 1715, Thusnelda vom dänischen Hofkapellmeister Scheibe. Matter als Schlegels Hermann ist Justus Mosers Tragfklie Arminius 17If». Hier- her gehört auch des Freiherrn von Schönaich Heldengedicht Hermann oder das befreyte Deutschland 1751, in dem zuerst das Bardentum her- vortritt; von demselben rührt auch her das Trauerspiel 'Thusnelda und Hermann' 1754, dem verwandt ist das 1773 in Salzburg aufgeführte Schuldrama 'Hermann'. Aus der Bodmerschen Schule stammt Wiclands epischer Versuch, erst neuerdings bekannt geworden. In dem Anhang zu seiner Streitschrift 'Ankündigung einer Dunciade für die Deutschen' brachte er gegen Schönaich einen 'verbesserten Hermann'. Durch das von Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie besprochene Stück Du Bellays 'Sifege de Calais' wurde Cornelius von Ayrenliofi" zu seinem nüch- ternen Drama 'Hermann' veranlafst, doch ist die patriotische Gesinnung anerkennungswert. Desselben 'Tumelicus oder der gerächte Hermann' 1744 zeigt schon die Einwirkung der Klopstockschen Bardiete. Es folgen nun Klopstocks Arminius-Dichtungen ; hier spielen bekanntlich die Bar- den eine grofse Rolle. Langweilig ist Bodmers Drama 'Die Cherusker' 1778, wunderlich Willamovs Dithyrambus 17G6. Der Barde Rhingulph oder Kretschmann verherrlichte von 1768 an Hermann in mehreren episch- lyrischen Dichtungen, die viel Anerkennung, aber auch Gegner gefun- den haben; sein drittes Herrn an nsbardiet hat er erst 1802 veröffentlicht. Zu den Barden kann auch gerechnet werden Fr. Dav. Gräter, er ist der kräftigste derselben. Weckung des vaterländischen Sinnes bezweckte auch die Zeitschrift 'Der Deutsche' 1771 1774. Eine verworrene, formlose Biographie ist des H. W. von Beris 'Hermann der Cherusker Fürst und Nationalheld der Teutschen' 1777. Auch die Göttinger Dichter feierten Hermanns Freiheitskampf, so L. v. Stolberg, Vofs, in merkwürdiger Weise Leisewitz mit der dramatischen Scene 'Der Besuch um Mitter- nacht' 1775, auch Kästner 1774 in 'Hermann, Varus und Thuisto'. Eine typische Gestalt hat Arminius in der Lyrik des Jahrhunderts gewonnen, er wird zu Vergleichen zwischen einst und jetzt benutzt, von Uz in sei- nen Gedichten, von Schink 1781 in einem Epigramm. Aber er wird auch mifsbraucht zum Preise fürstlicher Personen, die neben ihm sehr hervor- gehoben werden, namentlich Joseph II. besonders durch österreichische Dichter, aber auch von Schubart in der 'Deutschen Freiheit' 178<J. Selten gedenken seiner Ramler imd Gleim in ihren patriotischen Liedern. Wie Hermann mehr und mehr zum Typus des deutschen Befreiers geworden, die Sehnsucht nach ihm gewachsen ist, zeigt sich im Anfang des 19. Jahr- hunderts, so bei Fr. Chr. Schlenkert 1800, bei Venturini in der Erzäh- lung 'Hermann der Sassen Herzog', einer bewufsten Tendenzschrift, einer Kulturgeschichte des altdeutschen Landes und Volkes. Denselben Zweck verfolgt 1805 die Zeitschrift Alruna, 1808 Th. Heinsius' Bardenhain für Deutschlands edle Söhne und Töchter. Als Verkörperung des germani- schen Thatendrauges erscheint Hermann in der Lyrik der Befreiungs- kriege, bei Stägemann, Arndt, Schenkendorf, auch bei geringeren Dich- tern, so in 'Des teutschen Volkes feurigem Dank- und Ehrentempel' 1815.

Beurteihiugeo und kurze Anzeigen. 363

Vor allen Dichtungen der Zeit ragt herv'or H. von Kleists 'Hermanns- schlacht', 1808 entstanden. Doch ist nicht ganz ohne Wert Lommers Schauspiel 'Hermann der Cherusker oder die Waldschlacht der Teutschen' 1813. Ein Tendenzstück ist Aloys Schreibers 'Marbod und Hermann oder der erste deutsche Bund' 1814, ebenso Kotzebues heroische Oper 'Her- mann und Thusnelda' 1813. Fr. Förster hat sein 'Hermanns-Fest' 1815 dem Andenken Th. Körners gewidmet. Eine wackere Empfindung ist auch dem Epos Jos. von Hinsbergs 'Armin der Cheruskerfürst' 1814 nicht abzusprechen; ^^ele Schönheiten bewahrt Fouques romantisches Helden- spiel 'Hermann' 1818. Ladislaus Pyrker gedenkt in seiner 'Tunisias' neben den anderen Helden auch Hermanns. Der erste Schmuck in des Königs Ludwig von Bayern Walhalla ward die Gestalt Hermanns. Aber auch nachher wird der Cherusker noch gefeiert in den Gedichten Ffizers und Hoffmanns von Fallersleben. In der epischen und dramatischen Dich- tung hat er seine Anziehungskraft nicht verloren, denken wir nur an Grabbe. Zu den Gedichten der letzten Jahrzehnte sei schliefslich hier noch hinzugefügt: O. Reichardt: Hermann, Drama, 5 Akte, Herford 1877, welches eine Bühnenaufführung erfahren hat.

Wilhelm Jordans Bedeutung für den Jugendunterricht. Ein Vor- trag von Dr. Georg Bünger. Programm des Gymnasiums zu Baden 1888. 25 S. 4.

Der Verfasser gehört zu den begeisterten Verehrern des Dichters, er wünscht, dafs mit dessen Dichtungen durch die Schule die deutsche Jugend genau bekannt gemacht werden, dafs dieselben die Stelle der alten überlieferten Dichtungen vertreten mögen. Einzelnes, was er gegen die letzteren einwendet, findet seine Erledigung durch angemessene Ausgaben, unter denen ihrer ganzen Einrichtung nach die von Kamp hervorzuheben ist. Den ungemein hohen Wert der Dichtungen Jordans, den einheit- lichen Gesichtspunkt, unter den er die seltsamen Verschiebungen der Überlieferung zu bringen verstanden hat, die Naturwahrheit in seinen Schilderungen, sei es der äulseren Vorgänge, sei es der Bewegungen der Seele, die vorzüglichen Charakteristiken, die stete Beziehung der Ge- danken auf die Gegenwart, so dafs er, der glühende Vaterlandsfreund, wie ein Mahner und Berater des grofsen deutschen Volkes erscheint, hebt die Abhandlung gut hervor.

Lokalfärbung in Shaksperes Dramen. 2. Teil. Von Dr. K. Phi- lips. Programm der höheren Bürgerschule zu Köln 1888. 31 S. 4.

In derselben eingehenden Weise wie in Teil I. fährt der Verfasser fort, die Dramen Shaksperes zu behandeln; nur ist der Plan dahin er- weitert, dafs die Quellen verglichen sind, aus denen der Dichter den rohen Stofi" entlehnte, um so besser zu erkennen, wie viel auf Rechnung

864 Beurteilungen und kurze Anzeigen.

seiner eigenen Genialität zu setzen ist. So zeigt sich z. !>., dafs für Romeo und Julia die Quelle ihm manchen entwickeluugsfähigen Keim bot. Ausführlich wird jetzt das Jugendwerk Titus Andronicus betrachtet. Den Mangel an Motivierung und Charakteristik, das Hinausschweifen ins Mafslose, das Schwelgen in Schauern und Lastern giebt alles der Ver- fasser zu, aber einen ungemeinen Reichtum herrlicher, wahrer Einzel- bilder weist er in den Vergleichen nach. Im König Lear feiert die Kunst der Lokalfärbung ihre höchsten Triumphe, Handlung und Charaktere tragen ein nichts weniger als idyllisches Gewand, überall eine naturalistisch heidnische Anschauung; die Naturbehandlung ist hier des Dichters aus- schliefsliches Eigentum. Die Grofsartigkeit derselben ist durch Eingehen aufs Einzelste dargelegt.

Shaksperes Julius Cäsar. Von Dr. H. Böttclier. Programm des Gymnasiums zu Graudenz 1889. 26 S. 4.

Die schon so viel erörterte Frage : wer ist in dem Drama der tragische Held? bespricht ausführlich noch einmal der Verfasser und entscheidet sich dahin, dal's es nicht Cäsar, sondern Brutus sei.

Herford. L. Kölscher.

Verzeichnis

der von Mitte Februar bis Ende März d. J. bei der Redaktion eingelaufenen Bücher und Zeitschriften.

Lehrgang der englischen Sprache, Von Andreas Baumgartner, Professor an der Kantonsschule Zürich. I. Teil. Dritte verbesserte Auf- lage. Zürich. Orell Füfsli & Co., 1890. X u. 1-17 S. 8. Fr. 1,80.

Litteraturblatt für germanische und romanische Philologie herausgeg. von Otto Behaghel und Fritz Neumann. XI. Jahrg., Nr. 2, Februar 1890. Leipzig, O. R. Reisland. Sp. 49—88. 4. HalbjährUch M. 5.

Congreve und M obere. Litterarhistor. Untersuchung von Alexander Bennewitz, Dr. phil. Leipzig, Hassel, 1890. III u. 159 S. 8.

The New Prince Fortunatus. By William Black. In 2 Vols. Leip- zig, Tauchnitz, 1890 (Collection of British Authors, Vols. 2635 and 263H). 32U u. 303 S. kl. 8. „M. 3,20.

Aufgaben zum Übersetzen aus dem Deutschen ins Englische. Nebst einer Anleitung zu freien schriftlichen Arbeiten von Prof. Ludw. Herrig. 14. Auflage. Neu bearbeitet von George Bovle. Leipzig, Jul. Bädeker, 1889. VIII u. 365 S. 8.

Les Precieuses ridicules par J.-B. P. Moli^re. With Introduction and Notes by E. G. W. Braunholtz, M. A., Ph. D., University Lecturer iu French. Edited for the Syndics of the University Press. Cambridge, University Press, 1890. XXXV u. 100 S. 8. Sh. 2.

Poets' Corner. Auszüge aus Shakspere, Burns, Scott, Byron, Moore, Tennyson. Zum Schulgebrauch zusammengestellt von Dr. Broder Car- stens, ord. Lehrer an den Unterrichtsanstalten des Klosters St. Johannis zu Hamburg. Leipzig und Itzehoe, Otto Fick, 1890. IV u. 180 S. 8.

The Open Court. A Weekly Journal devoted to the Work of con- ciliating Religion with Science fEd. Dr. Paul Carus], Chicago. No. 124 [Feüx L. Oswald, Problematic Traditions. Prof. Max Müller, The Ixsson taught by the Science of Language]. 125 [Max Müller, Thought Thicker than Blood. Mrs. Susan Channing, Goethe as a Celibate and as a Moral Guide]. 126. 128.

Modern Language Notes: A. Marshall El Hot, Managing Director; James W. Bright, Hans C. J. von Ja^emann, Henry Alfred Todd, Associate Editors. Baltimore, MD. Vol. V. January, 1890. No. 1. [H. C. G. von Jagemann, Separate Compound Verbs in German. Albert S. Cook, The House of Sleep : a Study m Comparative Literature. Post- script to the Elizabethan Invocations to Sleep. C. Fontaine, Les Po&tes fran9ais de nos Jours. Franyois ("oppeej. February, 1890. No. 2 [E. Henry Shepherd, Robert Browning. Alcöe Fortier, La Comedie eu France au

?)6C Verzelc'linis von Bücliorii und ZoilHclirltten.

XVIII'" Siede. Chas. Davidson, Diffiienccs Ijctwoen the Scribes of 'Beo- wulf . J. M. Hart, Binit in Tatian (der Verfasser sieht in birut eine Form von heran, wälirend es natürlich zum Verbum substantivum ge- hört!). W. James Bright, An Addiliouid Note on tlie Etymology of (jospel].

Litterarische Blätter. Herausgeg. von Franz Evers und Alb. Kohl.

1. Jahrg., Nr. 7. 1. Jan. I8I10 (S. 25—32 gr. 4). [Erscheint in Goslar a. H. am 1. jeden Monats, Preis halbjährl. 2 M. F. Evers, Neujahr. V. P. Hubl, Über die moderne Lyrik in ihren Beziehungen zum Volke. A. Friedmann, Unersetzlich. A. Pichler, An Maria. O. Bergener, Auf den Tod einer Greisin. H. Lingg, Über Ruinen. H. Zeise, Meeresbrandung. K. Speck- bacher, Schützentod. A. Brieger, In der Dämmerstunde. F. Maser, Die Nonne. K. Telmann, Allein. A. Kohl, Frisch auf! Besprechung der 5. Auflage von Martin Greifs Gedichten.]

Echo der französischen Umgangssprache. I. Teil. Aus der Kinder- weit von R. Foulche-Delbosc. Mit einer vollständigen deutschen Übersetzung von Dr. phil. F. Booch- Arkossv. Leipzig, Rud. Giegler, 1890. I u. 98 S. 8. _ Geb. M. 1,20.

Echo der französischen Umgangssprache. IL Teil. Von R. Foulche- Delbosc. Mit einem vollständigen Wortregister von Dr. phil. F. Booch- Arkossy. Leipzig, Rud. Giegler, 1890. V, 120 u. 58 S. 8. Geb. M. 2.

Zeitschrift für deutsche Philologie, begründet von Julius Zacher, herausgeg. von Hugo Gering. XXII. Band, Heft IV. Halle a. S., Buch- handlung des Waisenhauses, 1890. IV u. S. 385 508 [E. Joseph, Zwei Versversetzungen im Beowulf. J. Bolte, Liederhandschriften des Iti. und 17. Jahrhunderts. Das Liederbuch der Herzogin Amalia von Cleve. San Marte, Über den Bildungsgang der Gral- und Parzivaldichtuug in Frank- reich und Deutschland (Schlurs). Th. Siebs, Bericht über die Verhand- lungen der deutsch-romanischen Sektion der XXXX. Versammlung deut- scher Philologen und Schulmänner in Görlitz. Miscellen und Litteratur (nach S. 504 wird Prof. Dr. Oskar Erdmann in die Redaktion eintreten)].

English Syntax. Translated from the 'Grammatik der englischen Sprache' by Dr. F. W. Gesenius. Second Edition. Revised and adapted to the Latest Edition of the Grammar by Dr. C. E. Aue. Halle, Her- mann Gesenius, 1889. VI u. 184 S. 8.

Allan's Wife and other Tales by H. Rider Haggard. Leipzig, Tauchnitz, 1890 (Collection of British Authors, Vol. 2634). 260 S. kl. 8. M. 1,60.

The Heritage of Dedlow Marsh and other Tales by Bret Harte. Leipzig, Tauchnitz, 1890 (Collection of British Authors, Vol. 2631). 272 S. kl. 8. M. 1,60.

Italienische Dichter seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Übersetzungen und Studien von Paul Heyse. IV. Band. Lyriker und Volksgesang.

2. Auflage. Berlin, Wilhelm Hertz, 1889. XX u. 348 S. 8. M. 5.

Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte und Renaissance- Litteratur. Herausgegeben von Dr. Max Koch, Prof. an der Univers. Breslau, und Dr. Ludwig Geiger, Prof. an der Univers. Berlin. Neue Folge. Dritten Bandes drittes Heft. Berlin, A. Haack, 1890. S. 171 bis 268. gr. 8. [Ludwig Fränkel, Untersuchungen zur Entwickelungs-

feschichte des Stoffes von Romeo und Julia. Wolfgang Golther, Zur rage nach der Entstehung der bretonischen oder Artus-Epen. Siegmund Fraenkel, Die Scharfsinnsproben. Besprechungen. Nachrichten.]

Englische Studien. Organ für englische Philologie unter Mitberück- sichtigung des englischen Unterrichts auf höheren Schulen. Herausgeg. von Eugen K öl hing. XIV. Band, 1. Heft. Leipzig, O. R. Reisland, 1890. 164 S. 8. Jährlich M. 15 [L. Kellner, Zur Textkritik von Chaucers Boethius. E. T. Oliphant, The Works of Beaumont and Fletcher. H. Kling-

Verzeichnis von Büchern und Zeitschriften. 367

hardt, Die genetische Erkh'iruug der sprachlichen Ausdrucksformen im Unterricht. "Litteratur].

Lateinisch-romanisclies Wörterbuch. Von Gustav Körting. Erste Lieferung. Paderborn, Ferd. Schöningli, 1890. I S. u. 128 Sp. 4. M. 2.

Franco-Gallia. Kritisches Organ für französische Sprache und Litte- ratur. Herausgeg. von Dr. Adolf Krefsner in Kassel (Verleger Julius Zwilsler in Wolfeubüttel). VII. Jahrgang, Nr. 2: Februar 1890. S. 17 bis 32 [A. Krefsner, Unsere französischen Schulausgaben]. Nr. 3: März 1890. S. 33—18. Halbjährl. M. 4.

A Historv of the Four Georges. Bv Justin McCarthv. Vol. II. Leipzig, Tauchnitz, 1890 (Coli, of British Authors, Vol. 2637)'. 351 S. 8. M. l,üu.

Die Kunst der Polyglotte. 23. Teil: Die arabische Sprache. Von B. Manassewitsch. VVien-Pest-Leipzig, A. Hartleben [o. J.]. VIII u. 184 S. 8. M. 2.

A Life's Remorse. A Novel. By the Author of 'Molly Bawn'. In 2 Vols. Leipzig, Tauchnitz, 1890 (Collection of British Authors, Vols. 2(J32 and 2G33). 295 u. 280 S. kl. 8. M. 3,20.

Studj di filologia romanza pubblicati da Ernesto Monaci. Fase. 12. P. Eajna, Un frammento di un codice perduto di poesie provenzali.

E. Monaci, Lo romans dels auzels cassadors. Roma, Loescher & Co.,

1889. 192 S. 8. L. 6.

Echo der niederländischen (liolländischen) Umgangssprache von W. F. Oostveen, Schuldirektor zu Lei,den. jMit einem vollständigen AVörter- buche von Dr. phil. F. Booch-Ärkossv. Leipzig, Rnd. Giegler, 1890. III, 103 u. 50 S. 8. Geb. M. 2,50.

Auswahl deutscher Gedichte für höhere Mädchenschulen von Dr. Ferd. Otto, ord. Lehrer an der Charlottenschule zu Berlin. Berlin, Herbig,

1890. 178 S. 8. M. 1,20.

M. Seamer. Shakspere's Stories für Schulen bearbeitet und mit An- merkungen versehen. Von Dr. Heinrich Saure. Zweite Auflage. Berlin,

F. A. Herbig, 1890. VIII u. 148 S. 8. M. 1,50.

Französisch-etymologisches Wörterbuch. Von H. A. Schoetensack, Professor. Zweite Abteilung. Heidelberg, Winter, 1890. S. 193—384. 8.

Die Kunst der Polvglotte. 22. Teil : Die japanische Sprache. Von A. Seidel. Wien-Pest-Leipzig, A. Hartlöben [o. J.]. VIII, 198 S. und 10 Schrifttafeln. M. 2.

Echo der englischen Umgangssprache. Erster Teil. Aus .der Kinder- welt von R. S bind 1er. Mit einer vollständigen deutschen Übersetzung von Dr. phil. F. Booch-Arkossv. Leipzig, Rud. Giegler, 1890. I u. 102 S. 8. Geb. M. 1,20.

Das Archiv. Bibliographische Wochenschrift. Herausgegeben von Julius Steinschneider. III. Jahrgang. Nr. (J 12 [Dr. W. Kämpf, Schiller und die Schwestern Lengefeld, nach dem Briefwechsel dargestellt. L. Fränkel, Richard Gosche, ein deutscher Musterbiograph. R. Götte, Julius Wolffs Dichtung und ihre Stellung im geistigen Leben der Zeit. H. Schönfeld, Englische und französische Dichter in Canada].

Elementarbuch der französischen Sprache von Dr. G. Strien, Ober- lehrer am Herzogl. Friedrichs-Gvmnasium zu Dessau. Halle a. S., Eugen Strien, 1890. IV u. 97 S. 8. Geb. M. 1.

Echo der schwedischen Umgangssprache von Dr. Alfred Svensson. Mit einem vollständigen Wortregister von Dr. phil. F. Booch-Arkossv. Leipzig, Rud. Giegler, 1890. I u. 102 S. 8. Geb. M. 2,50.

A Yankee at the Court of King Arthur by Mark Twain (Samuel L. Clemens). In 2 Vols. Leipzig, Tauchnitz, 1890 (Collection of British Authors, Vols. 2638 and 2639). 287 u. 270 S. 8. M. 3,20.

Revue de l'Enseijiuenient des Langues Vivantes. Directeur: A. Wol-

368 Verzeichnis von Büchern und Zeitschriften.

fromm. Paris. (Je annee, Fevrier lx<)o, No. 12 [Bessert, Comniission pour r^tude des am^liorations ä introduire dans le regime des Etablisse- ments d'Enseiguement secondaire. Ue »Sous-Commission. Enseignement, m(5thodes, progranimes. Rapport sur la niethode des Laugues Vivantes pr<^8ent6 ä la Sous-Commission. C. Eglin, Les Ecoles supErieures de jeunes filles en Allemagne (suite et lin). E. Lombard, Shakspere et les

Srincipaux chefs-d'neuvre de son Th^ätre (suite)]. 7*- annee, Mars 1890, \o. 1 [Roger de Goeij, Les , Litteratures contemporaines de la Race Auglo-saxonne. E. Debray, Etüde sur les Verbes forts et les Verbes irr^guliers. T., Quelques Remarques sur la Formation et l'Emploi de rinfinitif en Anglais. E. Lombard, Shakspere et les principaux chefs- d'oeuvre de son Th^ätre: Macbeth, les Caractferes].

Berichtigung.

Infolge von bedauerlichen Umständen, deren Auseinandersetzung zu weit führen würde, sind leider die S. 139 und 143 f. gedruckten Verzeich- nisse der Ehren- und korrespondierenden Mitglieder der Berliner Gesell- schaft für das Studium der neueren Sprachen nicht ohne Lücken. Es fehlen unter den Ehrenmitgliedern die Herren Hofrat Prof. Dr. Mussafia in Wien und Freiherr von Tauchnitz in Leipzig, unter den korre- spondierenden die Herren Dr. D. Asher in Leipzig und Direktor Dr. Brunnemann in Elbing. Für jede weitere Ergänzung und Berichtigung werde ich dankbar sein.

Berlin SW.", Kleinbeerenstr. 7. Julius Zupitza.

Beiträge zur Kenntnis Greorg Forsters

aus ungedruckteu Quelleu.

I.

'Vou der Parteien Gunst und Hafs vermrrt Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.'

AVohl von keinem Geisteshelden gilt dies Schillersche Wort mehr als von dem Manne, dem die folgenden Blätter gewidmet sind, von Georg Forster. Ein Jaln-li ändert ist daliingegangeu seit seinem Leben und seit den Käm})feu der französischen Eevolution, in die ein tragisches Geschick den Leidenschaftlichen hineinrifs, und in denen er, verzweifelt über den schreienden Widerspruch zwischen seinem theoretischen Ideal von Yölker- befreiung und der Praxis, die die Avii'kliche Welt ihm zeigte, unterging: aber noch sind wir nicht zu einer historisch - psycho- logischen Auffassung imd einer unbefangenen Bem-teilung seines Lebens und Schaifens dm-chgedruugen, noch besitzen wir keine Darstellung, die uns den Mann zeigte, wie er war, wurde und werden muiste, sondern nur Tendenzschriften, die ihn vorschnell und einseitig loben oder tadeln. Den Tadlern bendun ihre Ent- rügttung über Forsters Beteiligung au der französischen Bewegung meist auch den unbefangenen Blick und das Literesse für seine früheren Leistungen und Schicksale. Zuerst war es sciue Witwe, TJberese, Huber, die im Jahre 1829 durch Herausgabe seines Briefwechsels die Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken versuchte: im Eingang des ersten Bandes findet sich von ihi-er Hand eine Skizze seines Lebens, diu"ch die man überhaupt zuerst genaueres erfuhr; jedoch ist Darstellung und Beurteilung immer nur mit Kritik zu gebrauchen. 1843 stellte Gervinus die psychologische

Archiv f. n. Spraclien. LXXXIV. 24

370 Bciträfifc zur Kenntnis Georj^ Försters.

Entwickelung Forsters zum erstenmal in ihren Hauptpunkten richtig dar. König verarbeitete ihn zu einer Romanfigur. Mole- schott gab zuerst in seiner gut geschriebenen Biographie eine klare Übersicht über Forsters wissenschaftliche Grundprüicij)ien und die Ergebnisse seiner Geistesarbeit, wenn auch manches dem ]^lick des Materialisten sich verschob und veränderte. Endlich gab 1863 Klein eine Behandlung von Forsters fünf letzten Lebensjahren in einem grölseren verdienstlichen Buche, ohne jedoch in der Auffassung des Gegebenen und dem Versuch einer psychologischen Darstellung überall zu befriedigen. Ich kann hier auf Vorzüge und Mängel der einzelnen Schriften über Forster, von denen ich hier um* die wichtigeren genannt habe, nicht näher eingehen. Eine künftige, allseitig genügende Biographie des Mannes wh*d am besten durch Veröffentlichung unbekannter Dokumente seines Lebens vorbereitet. 1877 gab Hettner den überaus wichtigen Briefwechsel Forsters mit Sömmerring voll- ständig heraus; manche einzelne Briefe wurden an verschiedenen Stellen gedruckt; auch im folgenden soll aus ungedruckten Brie- fen Forsters mitgeteilt werden, was zur näheren Kenntnis seines Sehis und Werdens dient.

Das Material, aus dem ich schöpfe, ist eine gröfsere Anzahl von Briefen Georg Forsters an den Berhner Buchhändler Johann Karl Pliilipp Spener (1749 1827), im einzelnen vielfach er- gänzt und erläutert durch eine ebenfalls stattliche Reihe von Briefen seines Vaters Reinhold Forster an denselben. Die Manuskripte hat mir ihr Besitzer, Herr Wilhelm Künzel in Ijeipzig, in freundlichster Weise zu litterarischer Benutzung zur Verfügung gestellt, wofür ich demselben auch an dieser Stelle meinen herzlichen Dank sage. Die Briefe reichen von 1775 in ziemHch ununterbrochener Folge bis 1791, beginnen also drei Jahre vor den ersten im gedi'uckten Briefwechsel stehenden und erstrecken sich fast über Forsters ganze Lebenszeit. Bei weitem die meisten liegen im Originale vor mir; nur einige wenige sind in Abschriften beigefügt.

Forster und Spener lernten sich bereits vor CVjoks Ausfaiu-t zur zweiten Reise um die Welt (1772) in England kennen. Welche Beziehungen, namentlich welches Herzensverhältnis zwi- schen beiden bestand, zeigen die folgenden Briefe. Ich citiere

Beiträge zur Keuutuis Georg Försters. 371

hier noch drei briefliche Urteile Forsters über Spener: 'Er ist noch immer der alte, der ehrliche edle Mensch, den wir lieben müssen imd der sich täglich mir von einer verehrnngs- und liebenswürdigeren Seite zeigt' (an Sömmerring 31); 'Spener ist durchaus ein grundguter Mensch, der sich selbst mit der streng- sten Disciplin behandelt, um anderen alles oder doch so viel als möglich sein zu können. Bogen müfst ich schreiben, wenn ich ihn dir recht rühmen sollte, wie er's verdient. Ich halje bei dem Umgang mit ihm deuthch gesehen, was ich selbst in fünf Jahren an Erkenntnis, Ausbildung des Herzens und Verstandes, an Er- fahrung und Gefühl gewonnen habe; jetzt habe ich ihn erst recht fassen und verstehen und lieben können; damals war ich es nicht fähig' (an Sömmerring 50); 'übrigens ist er, wenn er nur kein Buchhändler wäre, einer der vortreiflichsten Männer, die ich kenne, zu gut für diese Welt, zu edel für seine Sphäre, zu ge- wissenhaft, das drückt noch nicht genug aus, zu ängstlich für den Vorteil des Publikums besorgt, um den seinigen in Acht zu nehmen' (an Heyne, Briefw. I, 596); vgl. auch Briefw. I, 203.

I. London (1775 1778).

Am 30. JuU 1775 kam Cooks Expedition nach dreijähriger Reise in Spithead wieder au. Vom September dieses Jahres ist der erste uns erhaltene Brief Forsters.

1. Mein bester Freund. Ein einziger Trait de Bonte kann bey mir eine unsägliche menge Fehler verlöschen ! Dafs Sie micli mit einem Schreiben, und ZAvar einem so gütigen, vollständigen, beehret haben, ist hin- länglich Ihre bisherige Sprachlosigkeit mir gänzlich aus dem Kopfe zu bringen. Möchte nur alles dasjenige, so das schmeichelnde Pai^ier mir einbilden m\l, wirklich aus dem edlen, dem gefühlvollen Herzen fliefsen, dafs ich so sehnlich und so aufrichtiger weise wün- sche für mich mit ungleichgültigen Gesinnungen eingenommen zu seyn! Möchte es doch ohne Eigenliebe möglich seyn, dafs ich mich überreden köinite, Sie hätten endlich die beständige, ungeheuchelte Freundschaft erkannt, die für Sie in meinem Herzen seit unserer Trennung unaufhörlich geflammt hat ! Ihr Stillschweigen bis zu meiner Abreise ist vollkommen zu entschuldigen, und ich bin viel- mehr der Scriblerus gewesen, der sich gerechter Verweise zugezogen

24*

372 J5eiti;i\ü;e zur K'ciiiitiiis (Jofiri^ Forstors.

lial, iiuleiH er seinen Freuncl mit wnnüzzem Gewäsche und unnöthigen Ausgilben überscliwenmit hat; clai's ich aber bei meiner rückkehr am C'ap, oder in England keinen Brief von Ihnen fand, dafür kann icli warlich nicht; indefs, Ihrer langsamen Eile ohngeachtet, kann eine Zeile aiie zu spät bey mir ankonnnen, und auch nie fehl schla- gen mir glückliche stunden zu machen; doch kränkt es mich dafs ich je in einem Tone mich ausgedrukkt hätte, der Ihnen bitter schei- nen sollte; und eben so sehr thut es mir leid dafs ich es in HE. Zumbrocks macht gestellt habe sich an Ihnen so unerhörter weise zu vergreifen ; er, der mir jetzt dieselbe Rolle spielt die er an Ihnen so sehr zu mislnlligeu pflegte, und der seitdem er aus England ist, und ich wieder in London bin, mir noch nicht eine sylbe hat zukommen lassen (Hievon könnten Sie im allenfalls in Leipzig etwas ins Ohr sagen,) Ich dächte ich erriethe Ihre räche, die durch C. D. K. soll an mir ausgeübet werden, und wo ich nicht irre so Avollen Sie mir Ihr Herz noch von der grofsmüthigen Seite bekannt machen ; ohne vielleicht zu bedenken wie viel mehr demüthigend für mich Ilii'e Güte, denn Ihr gerechter Zorn seyn mufs.

Sie Avundern sich, mein werthester S. dafs ich mich in der Deut- schen Litteratur umsehe, und dafs ich Usong^ in der Grundsprache (denn er ist übersetzt.) gelesen habe, als wäre ich ganz zu einem übermüthigen Engländer geworden, der nirgends als unter seinen eignen Landsleuten das Verdienst erkennen will, und nicht zugiebt dafs andere Völker eben so grofs, eben so richtig und eben so wizzig denken als das seinige: Nein, so einer bin ich nicht; Ich verehre die Si^rache Thuiskons, und den göttlichen Mann der Sie für Averth hält darinn den Wettlauf der Dichtkunst anzustellen ! Sie ist reich, har- monisch U2id männlich, und Ihre besondre Fähigkeit zu allen arten von Sylbenmaafsen gielit ihr einen grofsen Vorzug vor allen Euro- paeischen Sprachen. Die blofse erzählung von Klopstocks Wettlauf der Deutschen und Englischen Muse - hat mich völlig in einen enthu- siastischen fit gesetzt; und hätte dieser Grofse Dichter sonst keinen andern Verdienst, so würde dieser Gedanke ihn allein verewigen können. Ich habe Zeit genug gehabt, mit den Musen Almanachs (darinn manches schöne gewifs vorkommt) ziemlich bekannt zu wer- den, und Schach Bambo's Töchter 3 sont des morceaux pour la bonne bouche; Nicolai's Magister Sebaldus^ hat auch schon herhalten müfsen und der zweyte Theil wird mit Schmerzen aus Deutschland erwartet; Sulzer's Theorie der Schönen Künste (a- i)-» ist schon durchblättert, Niebuhrs reise*» gröstentheils durchgelesen, und man-

1 Von Haller, Bern 1771. - Die beiden Musen Klopstocks Od. I, 108 Minicker- Pawel. ^ In Wielands Neuem Amadis, zuerst 1771. ^ Sebal- dus Nothauker, erster Teil 177P., ^ Erschienen 1771. '■ C. Niebuhr {n^V> 1815), Keisebeschreibung nach Arabien und anderen umliegenden Ländern, Kopenhagen 1774.

Beiträge zur Keuntuis (loorg Furstens. 373

dies kleine Büchlein oben ein untersuchet worden. Was nun mein bisheriges alltägliches Fach betrift, so ist Forskäl," Jacquin,^ Aublet,^ etc. auch schon bey mir revüe pafsirt, imd Avas Ihnen sub rosa an- verti'auet wird, so sind die Characteres derer Generum Plantaruni so wir auf unsrer Reise entdeckt haben, 'o schon ziemlich weit avancirt: Der Text dazu wird wie die Linnaeischen Genera Plantarum,!' (aber in i to) gedrukkt, und jedes Genus durch eine Platte, die den Tourne- fortischen'2 gleichet, erläutert. Die Geschichte unsrer Reise wird meinem Vater anvertrauet, der denn aus seinem eignen und Capt. Cooks Journalen ein ganzes macht; (was die anmerkung in HE. Büschings Nachricht betrift ■•^ so kann ich Ihnen versichern dafs Sie ungegründet ist, wie denn auch manche Umstände deren er erwähnet, unrichtig sind :) Meine Anmerkungen sind ganz allgemein und aus einem besondern Gesichtspunkte gezogen, waren auch nie für das publicum, sondern für meine Freunde allein bestimmt, und sollten mich glücklich machen, wenn es möglich wäre sie a 1 1 h i e r Ihren Augen zu unterwerfen.'^ Die Reise auf Befehl der Admiralitaet publicirt, wird zween starke quart Bände machen, mit mehr als GO intressanten Kupferstichen versehen, und gewiss den Landschaften, Aussichten und auch Einwohnern der Süd See mehr ähnlich als jene italiänische Zeichnungen eines Cipriani,!^ der aus der Fülle seiner Einbildungskraft eine Meiige Europaeische Charactere in ein wildes neuentdecktes Land versetzte; wemi aber alles dies fertig seyn soll, ja dass ist eine frage, die ich nicht beantworten kann: dass die Admiralitaet es meinem Vater und Capt. C'Ook überlassen hat die Unkosten des Drukks zu tragen und sich hernach in den Gewinst zu

Eeisegefährte Niebuhrs (1732 1763), der aus seinem Xachlafs her- ausgab: Dcscriptiones roini/aliiun, Kopeuliageu 1775, Flora ffi/i/pfiaco- armica 1776, Icunes renini iiiemorabmuin 1776. ^ N. J. v. jacquiu (1727 1817), Sclectaruin stirpitou amerieananmi historia, Wien 176:'; Observationen bofainecc 1764 fF. ; Horfas hotanicus vimhbonotsis 177(1 ff.; Fhra austriaca 1773 ff. Vgl. Briefw. II, 7u2; I, 371. -131. 600. 756; an Sömm. 106. 113. 114. 127. " Aublet (1723 1778), Eistoire des pla nies de la Guianc franQaisc, Paris 1775. '" Im Dezember vollendet (Brief Keinliolds vom 22. Dez.), erschienen sie Ijondon 1776: Characteres t/enernn/ })lanfarn,in, qiias in itinere ad insnlaji n/aris anstralis collegernnt descripsrrnnt delincaruiü aniiis 1772 -1775 Jo. R. F. et Georg. Forster. Vgl. noch Briefw. II, 686. 7()2. 721. 7;'.7; I, 24J. " Leiden 1737. '- Listifutionrs rci herbar iiv, Paris 170U. '•' Cook solle ;uif der Reise mit dem älteren Forster unzufrieden gewesen sein : Büsching, Wikrheutl. Nachr. v. neuen Landcharten, geogr., statist. u. histor. Buch. u. Sachen III, 2:i5 (vom 24. Juli 1775); das. IV, 123 (vom 8. April 1776) ündeu sieh wörtliche Aus- züge aus Briefen Bcinholds au Spener. '^ Sparrmann erwartete sogar Poetica Georgs in der Reisebesehreibuug zu fuiden: Brieiweelisel II, 688. '•' Giamb. Cipriani 1 1727 1785), 1769 eins der ersten Mitglieder der ueu- gestifteten Londoner Akademie, bekannt wegen der Kupferstische zu Ariosts Orlando fnrioso; vgl. Förster, Sämmtl. Schritten (1813) III, 150. 488. 490.

374 Beiträge zur Kenntnis Georg Försters.

theilen, kann ich Ihnen gewiss versichern, es wird also keine beson- dere Reisebeschreibung von Cook herauskommen. Und so habe ich alle Ihre fragen in Ansehung der Reise beantwortet.

Sie fragen nach meiner Aussicht in London; soll ichs Ihnen sagen, sie ist ziemlich luftig: ich sehe nemlich aus meinem fenster über Tottenham Courtroad hinweg sogleich in die grünen Felder und Wiesen die sich bis nach Thompsons geschwisterteu Hügeln"» (Hampstead und Highgate) erstrecken, auf einer seite des Prospects ein Waisenhaus, auf der andern ein Hospital! Für einen der Verse mächtig ist eine solche vista sehr bedenklich, wie aus den Schriften des HE. Le Sage vielfältig erhellet. Ohne länger im Labyrinthe der Gleichnisse zu verharren, so hat sich noch nichts gezeiget dass mich an London binden könnte; Ihre Majestäten haben zwar auf die allergnädigste Weise so Avohl mit meinem Vater, als mit mir, (bey Überreichung einiger raren lebendigen Thiere aus den Inseln der Süd See und vom Cap der guten Hofnung) gesprochen, allein wer darauf rechnung macht, kann sich nur gar zu leicht betriegen: fürs erste habe ich auch noch alle Hände mit dem Arrangement unserer Naturalien Sammlung, unsren Beschreibungen und Zeich- nungen voll, ist also noch an keine andere Beschäftigung zu denken. Da die Hrn. Banks und Solander ^^ schon über 550 Pflanzen in Kupfer gestochen haben, und ohngefähr noch ein mahl so viel zu stechen gedenken, überdem auch fast alle unsre Entdeckungen auf Ihrer reise ebenfalls gemacht kaben, so Aväre es unbillig die AVeit mit doppelten Ausgaben zu beschweren; das werk also (das nach unsren Generibus Plantarum gleich soll vorgenommen werden und) welches die Beschreibungen aller unsrer neuen species enthalten wird, ^9 soll keine andre Kupferstiche enthalten, als nur von den- jenigen Pflanzen die in der Banksischen Sammlung sich nicht be- finden. — Sagen Sie mir mein theurester warum Sie denn nicht noch dies Jahr zu uns kommen wollen? So spät als künftigen May; je nun, vielleicht kömmt uns der paroxysmus noch eher an, auf Ihre Seite der Grofsen Pfütze zu kommen: eilen Sie lieber jetzt zu uns wenn es auch nur auf eine kurze Zeit wäre, jetzt da das gewirre der geschäfte des morgens und jeden Abend nach dem Freunde seh- nen lässt, in dessen armen wir unsern erschöpfeten Geist wieder er-

'6 The sister-hllls, Thomsons Summer 1410. Die Strafse Tottenham Courtroad verläuft senkrecht auf Percystreet etwa von Norden nach Süden. Hampstead und Highgate, etwa 2 3 Kilometer nördlich von Percystreet, sind jetzt fast auf allen Seiten mit London verwachsen. '^ Über Forsters poetische Versuche vgl. Briefw. II, 676. 688 ; an Sömm. 26. i8_ J. Banks (1743—1820) u. D. Solander (1736—1782) waren Cooks natur- wissenschaftliche Begleiter auf der ersten Reise 1769 1771; über Banks' Verhältnis zu Forster vgl. an Sömmerr. 342. 343; Briefw. II, 8. 90. 123. '" Es sollte den Titel führen Desa-iptio plantarum maris pacifici (Briefw. II, 690. 096).

Beiträge zur Keuutuis Georg Forsters. 375

muntern könnten! Gewiss es lässt sich nichts gescheutes, zusammen- hängendes schreiben wenn man den Tag über mit unaufhörlichen fragen ermüdet wird und Sie mein lieber werden dies am mehresten büssen müssen, dem ich mein undeutsch so Bogenweise zuschikke. Nicht eine Zeile sondern einen ganzen langen Brief voll Dank ver- dient Ihre gütige Freundschaft gegen meinen Bruder Carl ; 20 ^vas das Papier Ihnen nicht ausdrükkt steht doch mit unauslöschlichen Buch- staben in meinem Herzen geschrieben, Sterne's Memoirs,-* schon so lange angezeiget, sind doch noch nicht publicirt worden ; Ihre übrige Ordre habe ich bey mir liegen und wird mit der ersten gelegenheit an HE. Zumbrock den Jüngern und durch ihn an Sie abgehen. Meine Schwestern machen Ihr Compliment, sie haben aber noch nicht Zeit gehabt spielen zu lernen, Ich bitte um Göthens Götze von Berlichingen und jungen Werther:-- was ist von Claudius? Ich habe zu lang geplaudert, doch nichts rechts gesagt, und bin

ewig Ihr _,

George Forster.

London den 19ten Sept. Die post ist weg. ihr brief liegt also bis Freytag.

[Am Rande:] Glücklich ja ter et ampHus felix,23 wäre ich wenn ich mich auf ein paar Wochen zu Ihnen begeben könnte. H. D. Martini"^' hat geschrieben.

Heute nur empfieng ich Ihren Brief, und beantworte ihn schon, denken Sie wie theuer ich ihn schätze! Darf ich mich wohl Ihren werthen Angehörigen emi)fehlen denen wir in Ansehung unsers Carls gewis unendlich viel schuldig sind!

London Novemb. 9\i> 1775. Geliebter Freund

Ihr sehnlich erwünschter Brief hat uns mit wahrem Vergnügen beschenkt Nicht, the happiness eines Engländers! Nein, etwas mehr ecstatisches, das ein Englischer Freund nie fühlt, und ohne welches die Freundschaft doch wenig mehr als ein leerer Nähme wäre. Ich bin in dem Stükke schon immer ein Deutscher. Kein anderes Volk hat dies ächte Gefühl, der Engländer ist zu phlegma- tisch, der Franzc zu flatterhaft, der Italiäner zu falsch dazu So- viel zur Dissertation über die Freundschaft.

Ihr Sterne's Letters gehen heute oder Morgen für Sie ab. Als die Briefe eines unbekannten Mannes betrachtet, würden sie

^ Derselbe befaud sich in Berlin im Geschäft eines gewissen Schliisser (Brief Reinholds vom 13. Januar 1778). -' Wohl 8terne.s Letters fo ///*• »lost Intimate Friciuls. London 1775; vgl. Nr. 2. ^ Erschienen 1773 imd 1774. Horaz, Carm. I, 13, 17. ^ F. H. W. Martini (1729 1778), Naturforscher in Berlin.

376 Beiträfjje zur Komilnis Crcor^ ForsterH.

eben nicht viel interessantes enthalten, sondern vielincln- verdinicii, ein catchpenny genannt zu werden: allein als die Briefe des Welt- berühmten, des beliebten und liebenswürdigen Yorick sind sie alle- jnahl ein Schatz, indem sie ein starkes Licht auf den Avahren, den grundehrlichen Character eines Mannes werfen, um dessen Her/ens und Gemüths Beschaffenheit man höchst neugierig und so gar un- ruhig (uneasy) ist Und wo könnte man wohl anders die Eigen- schaften des Herzens besser schöpfen, als aus demjenigen was er nur an seine Freunde, und nie für die Welt schrieb Doch mein enthusiasmus vertieft sich zuweit und Ich lenke ein.

Ermuntern Sie mich, klopfen Sie mir auf die Schulter, und machen Sie dass ich in meinem Unternehmen Beharre ! Die wenigen Augenblikke die mir allein zugehören wende ich dazu an, mich mi( Deutscher Litteratur, und hauptsächlich schönen AVissenschaften so viel als möglich bekannt zu machen, und in der Folge einmahl die- sem von sich selbst eingenommenen stolzen Volke zu lehren, dass wahres Genie, gründliche Kenntnisse und achter Wiz auch in Deutsch- land anzutreffen sey, einem Lande das mancher Britte nicht einmahl dem Nahmen nach kennt. ^ Hauptsächlich ist mir aber darum zu thun, dass die Deutsche Poesie, die hier unbekannt und deswegen verachtet wird, in grössere Achtung gesetzt werde, und den Ruhm auch hier erlange, den ihre grossen Schönheiten reichlich verdienen. Dass schlimmste ist wohl hierbey die penuria temporis die mir nicht zulassen will in dem Fach zu arbeiten wenigstens nicht mit euer zu arbeiten. „Und wer sagt denn," hör' ich jemand mir zurufen, „dass du dem unternehmen gemessen bist''? Ja, das ist ein Zweifel, den ich mir noch nicht hatte einkommen lassen, und der mir eben jetzt viel zu schaffen machen wird. Ich wäre wenigstens nicht der erste, der über etwas raisonnirt, das er nicht vei'steht!

Noch ein paar Worte, und ich erwarte Sie, dies gewäsche by Word of mouth zu beantworten. Ich sehe den abgebrochnen Aus- drükken der Seele Werthers mit Sehnsucht entgegen: mich dürstet nach seinen gefü hl reichen (apropos ist das nicht bey nah so gut als empfindsamen) Schilderungen, und ich möcht' wissen wie seine abbreviaturen abgefasst sind. Ich dächte so ein glooniy book wäre Avas im englischen gusto und ich wundre mich dass es nicht übersetzt ist. Ist es nicht schade, dass ich so viel von dem Werk- chen weis und es doch nicht kenne? Klopstocks Messias und seine Neuen Oden; 2 Weissen's Schauspiele,^ Wieland's Merkur,'' und

' Über die Bekanntschaft der Eugläuder mit deutscher Litteratur vgl. Braudl Goethejahrb. III, 27. '^ Klopstocks Messias 4. Band erschien Halle 1773, seine Sammlung der Oden Hamburg 1771, im selben .Jahre auch die Darmstädter Ausgabe. ' Weisse, Beytrag zum deutschen Theater, Leij)- zig 1750— 08. 17H7— 71. '* Erschien zuerst 177:>.

Beiträge zur Kenntnis Georg Försters. 377

einige andre, sind Büclier die ich begierig zu lesen bin Doch so- viel vergnügen ich mir auch von dieser Lecture verspreche, so kommt es doch nicht an die Freude, die ich in dem Beglükkten augenblikk mit lebhaften färben vorstelle, wenn Ich Sie in meine Arme schliessen, und Ihre Freundschaft in Ihren Augen lesen werde; alsdann hoffe ich Ihnen zu beweisen, dass die Hochachtung die ich für meinen Freund in meinen Briefen bezeuge auch wahrhaftig aus meinem Herzen fleusst indess glauben Sie es dass ich ewig der Ihrige bin,

der ehrliche George Forster.

PS. HE. Zumbrock sen. verdient Brav gescholten zu werden. Er verlangt Briefe von uns, ehe er auf den geantwortet hat den ich vom Cap aus ah ihn schrieb. Ihre Geschäfte verdienen mehr Nach- sicht. — Vergeben Sie dass ich so elend gekriezelt schreibe ich bin in grosser Eile.

Einem Briefe seines Vaters vom 22. Dezember 1775 fügt Georg folgendes bei:

2 a.

Hier hört der Doctor auf, und fängt der (M a g i s t e r a n d u s) an.' Nachdem ich bei meinen Freunden in Wales und Wanüngton frische Luft geschöpfet habe bin ich endlich wieder in die Londoner Atmosjihäre von Kohlen Dampf zurück gekommen, und fühle die Schmerzen welche Sie ausstehen müssen, um desto stärker, da ich jetzt eben von einem ehrlichen ächten Deutschen verlassen, und also recht in der Gemüthsvervassung bin wo man sich ängstlich und recht melancholisch nach den Gegenständen seiner Freundschaft sehnet. Ich tröstete mich noch mit der Hofnung zween rechtschaffene Männer miteinander bekannt machen zu können, aber da ich mir eben reich zu werden schmeichelte, blieb ich allein und ohne Freunde sitzen. Doch hievon ein mehreres wenn Sie in Percystreet an- gekommen sind. Beinahe möchte ich wünschen class dieser Brief zu spät ankäme, wenigstens hoffe ich, Sie werden, gleich einem Irrlaeii- der, der Überbringer Ihrer eignen AntAvort seyn. Eben so sehidicli verlangt mich nach den Büchern welche Sie für mich bestimm I, haben, und wovon Ihre Herrn Spediteurs deren Gang den Schild- kröten oder sonst einem trägen Thiere abgeborgt ist, mir noch ausser den beyden Bändchen von Sebaldus N. nichts haben zukonunen lassen. Wofern es noch zeit ist, so sey Ihnen hiemit zu Avisscn ge- than dass das Päckchen an HEn. Ritter v. Linne,-^ durch die arabus-

1 Eeiahold hatte kurz vorher von Oxford den juristischeu l)oktor- titcl und Georg die Aussicht iuif den Titel eines v/o(/hfrr ar/iinn erhaUen (Brief Reinholds vom gleichen Datum). - Es enthielt ein Buch, Zeich- uungeu und Pflanzen nebst einigen Manuskripten (Brief Reinholds vt)m [). November).

378 Beiträge zur Kenntnis Georg Förster«.

cade Captii Plowman, iia{;li Hamburg abgegangen ist, Dun^h HPjn Zumbrocks nachlässigkeit aber ist keine Enveloppe darüber, an Hie dirigirt worden, sondern er hat HEn Kauffman geschrieben, es Ihnen zuzuschikken, und Ich hoffe also dass es längst bey Ihnen wird ein- getroffen seyn. Da ich heute selber nicht an Carl schreiben kann, so seyn Sie doch so gütig ihm von meinetwegen die Hände zu drük- ken (shake hands) und ihn zu grüssen. Dem glücklichen HEn Doctor Brähmer bitte auch meine Empfehlung zu machen. Und damit wollen wir es diesmal bewenden lassen, denn ich habe diese ganze Seite im finstern geschrieben und wenn Sie es lesen können, eris mihi magnus Apollo I^ - Adieu, leben Sie 1000 mahl wohl. Der Doctor F. hat vergessen seinen Nahmen zu unterzeichnen und ist drüber ausgegangen; darum nehmen Sie diesmal allein vorlieb mit

Ihrem getreuen George Forster.

Percy Street. April d. 9tcn 1776. Bester Freund Sunt quibus in Satp-ä videor nimis acer, et ultra Legem intendere opus.^ Nicht wahr Sie rathen mir ins künftige lieber stille zu schweigen, als den Leuten die Wahrheit so gerade weg zu sagen, wies vorhin geschehen ist. Und was müst' ich denn thun, wenn ich nicht mit meinem Spener schwatzen darf. verum nequeo dormire ! 2 Ich schwatze also, und ist Er mün-isch, und will nicht antworten, denn muss ich Ihn ja plagen bis Er es thut, und Bis Er es aus dem vergnügten Ton, der Ihm sonst eigen war, thut. Das waren ja rechte traurige Noten womit Sie Ihr letztes Klagelied an- stimmten, und wenn Sie's nicht mit dem köstlichen Tetrastich (O Forster ! Bester Freund etc. etc.) beschlossen hätten, so hätte ich Bei- nahe bef urcht, Sie möchten in Berlin einen Engländer agiren wollen ; so aber, bin ich für diesmahl gesichert, und glaube fest dass Sie diese Zeilen mit ächter Spenerischen munterkeit und scherzhaften, aufgewecktem wesen übersehen werden. Doch zur Sache. Die Commission von Aurikel-Saamen habe ich zu Bestellen gesucht, und muss Ihnen melden, dass nach genauer Erkundigung, Ich endlich erfahren habe, es seyen 100 Ursachen warum Sie jetzt keine säen können ; die ich Ihnen nach der Ordnung ihrer Wichtigkeit vorlegen will. Erstlich, ist hier jetzt kein Auricul - Saamen zu haben ! Halt, nicht wahr, die Ursache verdient ja wol, dass Sie mir die 99 übrigen zu Gnaden halten? Doch zu Ihrer innerlichen Befriedigung kann ich Ihnen noch dazu sagen, dass wenn Sie auch jetzt den Saa- men bekommen hätten, es dennoch dies Jahr zu spät seyn würde

» Vergil, Ecl. III, 104; dasselbe Citat Briefw. I, 170. ' Horaz, Sat. II, 1, l. 2 Horaz, Sat. II, 1, 7.

Beiträge zur Kenntnis Georg Forsters. 379

Ihn zu säen, welches nach Aussage eines hiesigen Gärtners (dessen Worte in diesem Fall Orakelsprüche sind) im Januar geschehen muss, weil die Saaraen so bis jetzt aufbewahrt worden sind, alle Ihre keimende Kraft verlohren haben, AVas die andre Commission wegen Kanten angeht, darüber habe ich schon in meinem vorigen Schreiben vom 2ten dieses gesucht Ihren Wünschen ein Gnüge zu leisten. Und nun verstumme ich, (wo kein wiedriger Zufall es anders ver- hindert) bis Ich Sie in London in meinen Armen halte, und münd- lich sagen kann, wie gewiss, wie ganz, und wie ewiglich Ich der Ihrige bleiben, wie stolz ich auf Sie bin, und wie ich werth bin mich dieses Namens zu nennen

George Forster.

Zwischen diesem und dem folgenden Briefe liegt ein persön- liches Wiedersehen der Freunde in London. Auch brach in die- ser Zeit der Streit Reiuhold Forsters mit der Admiralität um die xA_bfassuug der Reisebeschreibuug aus und der Sohn machte sich aus Werk, seinerseits mit Benutzung der Tagebücher des Vaters den Verlauf und die Ergebnisse der Reise darzustellen (vgl. dar- über Brief w. I, 18 Anm.).

London, d. 17ten September 1776.

Nochmals, liebster Spener setz ich die feder an, um mit Ihnen mir ein paar zufriedne Augenblicke zu machen. Kann auch wohl etwas mich glücklicher machen, als dieser Umgang mit meinem Herzlich geliebten Freunde, in so fern es mir jetzt auf eine geraume zeit versagt ist, Ihm die Hand zu drükken, und ein ehrliches how de you do now, nicht ganz ohne Bedacht zu sagen? Endlich kann ich Ihnen die Nachricht mittheilen, dass Ihre Kisten, so wie auch Mr Elmslys päckchen vorige woche abgegangen sind. Die Bley- federn aber, und die verlangte Abschrift aus meines Vaters jom*nal, werden nebst dem von Heydingern besorgten Hute diese Avoche einem Ballen beygefügt, den Heydinger an HEiv Nicolai in Berlin ver- senden wird. Ich schicke Ihnen auch hiemit das Väsgen, welches ich gezeichnet und Miss Lane gearbeitet hat. Wenn's Ihnen gefällt soll's mir recht lieb seyn: Miss L. aber sagte sie wäre der mey- nung es liessen sich solche Blumen nicht wohl mit Haar aus- drukken.

Ich bin wieder einmal erbärmlich krank gewesen, wie gewöhn- lich war's eine Indigestion mein arn^er Magen, der von Pökel- fleisch und verfaulten Zwieback in grund verdorben ist Doch davon wollen wir nichts sagen; es sollte anders nur zum pro-cemio dienen, dass mir auf diese Art, eine neue Hiuderniss in weg gekom-

380 Beiträge zur Kcniilnis fJoorg Förstern.

meii, die mich vom Schreiben der Reise sehr abgehalten hat. ' Gott! was wird daraus werden? Wenn ich den niuth sinken liesse, welches eben kein wunder Aväre, und auch wenn ich wiirklich bey Leib und Seelenkrät'ten frisch und gesund bliebe, welches wohl nach jetzigen aussiebten sonderbar genug wäre, sagen Sie was wird dar- aus werden? Ich fürchte warlich, demzufolge was mein Vater mir schreibt, dass wir an keine französische Übersetzung denken dürfen; und dann; bis das original Englisch herauskommt sollten wir doch solidere speise als Geister bi-auchen? Auch hiervon schweige ich weil ich zum voraus sehe, dergleichen gedanken müssen mich zur arbeit unfähig machen. Gewis, gewis, mit einer dumpfen, Unstern Gleichgültigkeit, die mir keinesweges eigen ist, sollte ich jetzt mehr wie jemals, das quid sit futurum cras fuge quserere,^ zur regel meiner Aufführung machen und ganz wüste, und gedankenlos in den tag hinein leben Leben! kein leben ist das; so was leeres ist ärger als ja vielleicht als der tod. Dem sey nun wie ihm Avolle, es ist der trost des elenden jetzt mein, wenn's am schlimmsten geht etc. und dass unser Schicksal eine schleunige Wendung nehmen muss ist unvermeidlich gewiss. Warum tröstet mich mein Freund nicht mit ein paar Zeilen : Ich bin nicht unbillig, nicht gierig; ich will nur ein paar zeilen: wo sind Sie; Avie gehts Ihnen? was für neue erschein ungen haben Sie an der menschlichen Seele wargenommen? u. s. w\

Ich meines theils habe aus 10 selten des Journals 70 gemacht, nicht dass ich etwa gew^ässert hätte; dafür soll Ihnen Dr. Raspe -^ stehen; aber eben diese Ausführung kostet zeit, und zehn mal mehr nachdenken als alle andre art der Composition. Ich W'ill glau- ben dass das Deutsche publicum (vielleicht auch das hiesige) billig genug wird seyn, den unterschied zwischen mir und den gewöhn- lichen Reisebeschreibern zu erkennen, wenn es mir auch nicht nützen sollte. NB. Unter uns, wässen wdr was dies bedeutet, und mit wie wenig Eigenliebe dies gesagt wird; aber in Büschings nachrichten möchte es abscheulich klingen, und einer unausstehlichen prahlerei ähnlich sehcJi. Sapienti sat.

Schreiben Sie mir bald. Ich will meines theils nicht säumen, darauf zu antworten; des abends ist das noch delassement; wenn ich nicht im Montesquieu, Pauw,'* und classischen Schriftstellern lese. Hier ist nichts neues aus America. Dass in meiner Seele in

' Hoi-az, Carm. I, 9, lo. - R. E.Raspe (1737—1794) war wegen Ver- luitreuungen von Kassel, wo er Professor war, nach England geflohen (Brief Reniliolds. vom 22. Dezember 1775); er war dauu Mitarbeiter au der deutschen Übersetzung der Reise; vgl. Mittler Weim. .Tahrb. III, 1. ^ C. V. Pauw (1739 1799), Recherches philosophiques sur les Americains, Berlin 1768; Reeherches philosophiques sur les Egyptiens et les Chinois, Berlin 1773.

Beiträge zur Keuutuis Georg Försters. 381

Ansehung Ihrer auch nichts neues vorgehen kann, wissen Sie schon lange; doch sage ich es Ihnen gerne noch einmal dass Sie wahr- haftig in meinem Herzen unauslöschlich eingegraben sind ; und siehe da! eine Thräne versiegelts.

George Forster.

5. (Abschrift.) London, Dienstag d. 22. October 177G.

Da lieber Freund haben Sie wieder einen Brief von Ihrem kranken Georg! Immer das vertrakte Kopfweh, den verdorbenen Magen, und die hässliche Hypochondrie! Ich werd' doch warlich nicht wieder gesund bis ich eiimial brav auf einem Deutschen Post- Avagen gerüttelt und geschüttelt werde. Und das, ja wenn geschieht das ? Ich sehe mit Verlangen der Stimde entgegen, die mich von Brod- Arbeit befreien soll. Wird sie auch kommen, die gewünschte Stunde ? Wird nicht immer neue Arbeit mir die Hände Füsse, etc. etc. binden ? Halt' ein, es wird schon wieder schwarz vor meinen Augen, und das sollt's doch just nicht seyn. Also to business.

Sie, armer Mann, sind jetzt hofientlich, nach der unangenehmen Reise ohne frevuidlichen Pelz, wieder in Berlin angekommen, und pflegen den schmächtigen Körper, der manchen Stoss hat aushalten müssen. Dahin also schreib' ich, in der Hofnung, dass wenn Sie in Ruhe gerathen, wir dann auch wieder von Ihnen was zu hören be- kommen. Gestern habe ich mehr als -/^ oder fast die Hälfte meines MS. nach Oxford zur Correctur geschickt, und den Isten Nov. gehts zur Presse. Ich gedenke indessen tout-doucement fortzufahren, und zugleich sobald der Druck anfängt zu übersetzen. Unsre Charte ist auch schon in band, und Sie sollen zeitig davon ein mehrers hören und sehen. Aus der französischen Uebersetzung wird nichts, Avie ich's mir denn immer vorgestellt hatte. Pancouke Avar in London ohne dass Avirs Avusten. Den Tag vor seiner Abreise si3rach ich mit ihm: Er versprach den Abend bey uns zu seyn, reiste aber ohne uns ein wort zu sagen Aveg.

Dass Cook's Averk schon im November erscheinen sollte, ist war- scheinlicher weise nichts als bravade gcAvesen ; jetzt Avird nicht mehr dran gedacht. Dass aber Freund Rasjie oder irgend ein andrer Freund, von Hodges,^ oder auderAveitig, Abdrükke der Platten be- kommen könnte, ist wie ich zum Voraus sehe, unmöglich.

d. 25ten Octob.

Meine Krankheit nahm vorigen Posttag so stark zu, dass es mir unmöglich Avard diesen Brief, und die Einlage zu schliessen. Jetzt da ich mich Avieder ein Avenig besser befind(!, Avill ich nocli das

' Der Maler auf Cooks zweiter Reise : vgl. Forster, Rämmtliehe Sehr. III, 483.

382 Beiträge zur Kenntnis Georg Forsters.

übrige hinsetzen. Sie werden wissen, dass der Ballen Bücher aus Leipzig (nehmlich von letzter Ostennesee) noch nicht angekommen ist; Wie das zugegangen weis ich nicht. Die Deutschen schönen Bücher die mich Ihre Güte erwarten liess, habe ich also noch nicht gesehn, unter andern auch nicht Klopstocks Oden. Mit dem letzten Päckel (welches meinem Vermuthen nach rectä aus Berlin gekommen, weil Briefe von meinem Bi-uder, nebst der Geschichte des festins bei Aufnahme des Grossfürsten 2 drinne waren, item ein Diplom von HE. Dr. Martini) habe ich empfangen den Landprediger von Wake- field,3 den ich noch nicht im original gelesen hatte, und also höchst angenehm fand; die Soldaten,* Belphegor,^ Situation aus Dr. Faust's Leben,6 und noch so eine Scharteke; Auch französische Bücher von Marquis D'Argens & Co. Ich bitte mir als eine besondere Gefällig- keit Dr. Starks Hephästion ^ aus mit nächster Gelegenheit. Sie sehen es fehlt mir nicht ganz an gutem Muth, und wenn Sie mich in Athem erhalten wollen, müssen Sie mir von zeit zu zeit amusement verschaffen. Ich bin, ich kann wol sagen, lange nicht so elend krank gewesen als diese Woche; das anhaltende einsitzen, be- ständige Anstremmung [Anstrengung ?], dazu das precaire und bittere unsrer Umstände und überdem noch meine eigne privat Ärgerniss die ich zuweilen ausstehen muss ; kurz ich bin ganz hingewesen, und bin jetzt sehr wohl versichert, dafs ich behutsam zu werke gehen muss, wenn ich anders das Köstlichste was der Mensch hat, Gesund- heit behalten will. Hören Sie, ich denke immer ein Stükk trokken Brod, und Gesundes Leybs dabey, ist besser als Eeichthum, Übei-flus, Ehre, Euhm etc. etc. und Krankheit! Doch tr^ve de morale.

Die Stadt Neu York ist von General Howe endlich eingenom- men und zwischen 7000 und 8000 Amerikaner in der Flucht er- schlagen worden. Die Amerikaner haben sich jetzt auf den Anhöhen jenseit Kings bridge auf festen lande verschanzt, aber man sagt sie sollen da kein Wasser haben, und unsre Truppen werden ihnen bald aufs feil kommen. Der ganze Brittische Hof freut sich darüber als wälzten sie sich schon im Blute der Säuglinge!

Trösten Sie doch den aimen Carl über die bösen Scheit - Brief e die er von mir und unseim alten ^ Bekommen hat; ich glaube er wird wol ein bischen Trost von nöthen haben. Grüssen Sie mir doch den guten redlichen Dr Bremer aufs Herzlichste, und bitten Sie ihn zu glauben, dass jeder Mann der so empfindet und denkt wie er,

* Wohl des nachherigen Kaisers Paul, „der sich 1776 mit einer würtem- bergiscben Prinzessin vermählte. ^ Die Übersetzung ist von Bode, Leip- zig 177C (Mitteilung R. Köhlers). '^ Von Lenz, 1776.^ '- B. oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne (von J. K. Wezel), Leipzig 1776 (Mitteilung R. Köhlers). " Vom Maler Müller, 1776. ' Am 14. April 1778 bittet der Vater um dasselbe Buch für Georg. « Mehrere Briefe

Beiträge zur Keuntnis Georg Forsters. 383

natürlicher Weise eo ipso an mein Herz wächst, dicht an die Stelle wo Sie grünen, blühen und Früchte tragen. Wenn trage ich Ihnen Früchte ? Ich fürchte der Kalte Winter wird mich verti-ocknen. Gott grüsse euch und bewahre euch, und habe euch so lieb wie

G. Forster, Cadell bekommt £ 200 Sterl. für die Bogen von Robertson's History of America,^ von dem französischen Uebersetzer.

Nachschrift zu einem Briefe Reinhokls vom 5. November 1776:

5a.

Si vales, bene est Ego convalesco. Mehr kann ich ja nicht sagen wenn ich auch das ganze Papier vollmachte; und doch ist's so eine Versuchung so viel weis Papier vor sich zu sehn ! Wenigstens will ich die Gelegenheit nicht aus den Händen lassen, wenn ich meinem Freunde SiJener sagen kann dass Ihn sein Georg F. lieb hat. Vale.

6. London Perey Street d. 12 tf" Noverab. 177(!. Liebster, Bester Freund! Prrecipe lugubres Cantus, Melpomene ! ^ sagte der philosophische Horaz, als er mit seinem Virgil um den geliebten Quintilius trauren wollte. Er wusste dass der trockne Ton der strengen Moral bey dem kummervollen Herzen keinen Zutritt findet, wenn es auch sonst noch so richtig denkt, Avenn es auch zu jeder andern Zeit der kühlen Ver- nunft gehör giebt! Ich weine also in ihren Busen eine mitleidsvolle Zähre, ich fühle mit Ihnen den Verlust der Holden Mädchen, die gewis an Ihnen einen zärtlichen, belehrenden, Freund hatten

'Ach klage nur! ganz sind sie deiner Schmerzen, Ganz deiner unumschränkten Trauer werth: Welch Antlitz! O! welch Bild der Besten Herzen! Das nun der Wurm verzehrt! Ihr Holder Reiz! der Tod nahm ihn zum Raube; Ihr schöner Mund ! nicht mehr für deinen Kuss ! Doch nur entfloh ilir schöner Geist dem Staube, Zu himmlischem Genuss!'*

Ich kann nicht davor dass ich Sie mit den Gesängen Iln-er eigenen Dichterinn zu trösten suche, ich kenne Jiichts schöners in der Art als ihre Gedichte. Lassen Sie mich immer, mein guter, ge- fühlvoller Freund, wenn wir ausgeweint und lange genug geklagt

9 Robertson (1721 1703), IJidary of America, London 1777.

1 Horaz, Cann. I, 24, 2. - Zweite und vierte Strophe aus einem Gedichte der Karschiii (Auserles. Ged. IM. IIT), Berlin 171)1) an Herrn Professor Sulzer über das Bild seiner verstorbeneu (lattiu. Varianten: Zeile 1 ist sie, :'. vom besten, (J der schöne, 7 aus ihm entfloh.

384 Beitrüge zur Konnliiis (ioorg Foi-Ht^rs.

liaben, lassen Sie mich Iliiieii jenen letzteji beruh igen den Gedanken der Karschin vorhalten, woraus Sie mehr als jemals ersehen können wie nöthig unsrer Natur der Eigennutz ist. Die Versicheriuig, dass die Persohnen um welche wir sonst unauflicirlich leid tragen möchten, glücklich durch den Tod gew^orden sind, ist weit thätiger, unsre Ruhe und Zufriedenheit wieder herzustellen als das blosse innere Gefühl, (w^enn es eins ist,) dass es Recht ist ruhig und heiter zu seyn. Wenn Sie sich mit etwas Schwännerey den bittern Verlust um ein geringes erti'äglicher gemacht haben, und hierinn hat die Schwärmerey wirk- lich ihren Nutzen, alsdenn mag Zeit und Geduld bey Ihnen allmäh- lig den übrigen Schmerz verlöschen, und Sie auf das allgemeine Schicksal der Menschheit, und auf die unerforschlichen Rathschläge des Himmels verweisen. Levius fit patientia, quicquid corrigere est jiefas!^

Sie haben mich bekannter Ursachen willen, von langem Briefe- schreiben freigesprochen ; erwarten Sie also nicht viel mehr als kurae Antworten auf Ihre Commissions. Ich bin Gottlob ! wieder besser, und habe warlich meiner Gesundheit in diesem Leben so sehr* von nöthen, als irgend jemand der sich keines andern Guten zu erfi'euen hat. Die Aussicht hier zu Lande bleibt noch immer wüste und öde für uns, und selbst unermüdlicher Fleiss verfehlet seines Zwecks. Dr. Morton ist zum ersten Bibliothekar am Br. Museo ernannt wor- den; die zwote stelle, die durch seine promotion vacant gewordeji, ist noch nicht vergeben.

Herr Elmsly lässt seinen ergebensten Empfehl machen; er ist mit dem Commentaire de Voltaire schon versehen sonst hätte er Ihnen gewis den Vorzug gegeben.

Uebereilen will ich mich nicht, eilen aber wol. Sie wissen, Bester S. wie es in der Welt geht ; anstatt des 1 . Novembers hab' ich heute mein MS. erst corrigirt bekommen: doch ich bins zufrieden, denn ich finde es besser, als ich es weggeschickt habe.

Übrigens ermannen Sie sich, danken Sie dem gütigen Himmel dass das Loos nicht Bire eigene, älteste, Beste geti'ofFen hat, und trösten Sie sie, Besser als ichs Ihnen gethan habe; mit wärmerm Herzen wäre es wohl nicht möglich. Adieu, ich umarme Sie im Geiste.

George Forster.

[Folgt eine Nachschrift von Raspe.]

Auf denselben Todesfall im Spenerschen Hause bezieht sich ein Kondolenzbrief von Reinhold Forster vom 15. November 1776, aus dem ich folgenden Passus aushebe, weil er uns in das ge- mütliche und religiöse Leben des Mannes einen Einblick gewährt.

3 Horaz, Carm. I, 24, 19.

Beiträge zur Keuutuis Georg Forsters. 385

Ich kan Iknen nicht beschreiben, wie sehr uns alle der Ver- lust den Sie so plözlich erlitten gerührt hat. Ich kenne Ihr edles, gefühlvolles Herz; ihre weiche, zärtliche Seele; Ich stelle mir Hu' ganzes Haus eine Scene von Verwirrung, Betrübniss und Kummer vor. Ich sehe die trostlose Mutter vor meinen Augen, den Verlust zwoer geliebten, hofnungsvollen Töchter bejammern. Ich fühle den stummen Schmerz, der sich im Auge des gebeugten Vaters ausdrükket, Allein mein Herz wird ganz dahingerissen, Avenn es seinen Freund siebet unvermuthet in diese traurige Scene hineintreten, ohne sie zu erwarten. Sein Brüderl: Herze hatte schon ein angenehmes Ge- schenke, ein liebreiches Compliment, ein liebkosendes zärtliches Ge- spräche für diese Schwestern bereitet. Er sieht schon im Geiste, da er seiner Vaterstadt sich nähert diesen muntern Kindern entgegen, imd ilu'e Lebhaftigkeit und schmeichlende schAvesterliche Liebe ist ihm wie gegenwärtig; Allein welch ein Auftrit! Alles ist öde, still, und traurig; L^ngewis wen das Schikksahl hinzureifsen droht, eilt sein beängsteter Geist ins Zimmer, wo diese kleine Schlachtopfer liegen, wo Mutter, Vater, Schwester, bange Seufzer abschikken und heisse Thränen vergiessen. Schon ist der Tod, der König der Schrekk- nisse mit allen seinen fürchterlichen Vorboten so deutlich, so ent- scheidend auf den verstellten Antlizen dieser kleinen Engel gemahlt! Er kommt, jedes Wort der sterbenden dringt bis ins innerste der Seelen, jeder Augenblikk wird allen schrekklicher, und nun sind Sie dahin auf ewig von Ihnen geschieden I Hie werden Sie dieselben nie, nie wiedersehen! O welch ein Schmertz! Allein es sind ja nur noch wenige, wenige Tage dieser kurzen Lebens Zeit, auch flu- uns bestimmt, da wir aufhören sollen zu trauren. Freund schaue auf zu jenen gestirnten Gefilden, den Sonnen die sich in stiller Majestät um den Thron Gottes, des Vaters aller erschaflenen Geister, wälzen; dort sind die Versammlungen aller derer, die Ihm eigenthümlich an- gehören, die der Blutbürge erkauft, gewaschen von aller anklebenden Schwachheit, und nun zu einer Herrlichkeit verklährt, die kein im Staube noch wandelnder Sterblicher kennt; dort, dorthin hat der Glaube an diesen Erlöser, auch diese zwo jungfräiüiche Seelen hin- versetzet, dort waiideln sie unter den Verklährten Vorfahren und Freunden; die hohen BegiüfiTe von Seeligkeit und Wonne fliessen in ihre anbetenden Herzen hinein, im Antlize jedes Seeligen und Engels ist Unterricht von Gott und seiner wunderbaren Kegierung der Welt, von den Wundern seiner Werke der Natur und den noch herrlicheren Wundern der Gnade zu lesen; ihr blödes schüchternes Auge scheuel, die Dinge welche dort nur geglaubet gehofiet worden, und ein Blikk in die Liebe des Allmächtigen hineingcsand füllt sie mit unaufhth-- licher Wonne und Seeligkeit. Und wir Freund, wir sind noch im Staube, in der Vergänglichkeit dahinten, noch hängt unsere unvoll- kommene Seele oft an diesen eitel n Dingen, noch vergiessen wir

Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV. 25

386 licitrüge zur Kenntnis flcfunr Forsters.

Thräneii! Misgüiiiieii wir die Secligkeit den abgeschiedenen Unsrigen, das wäre ja elend ! Wie solte das mit unserer Liebe und Zärtlichkeit übereinstimen ? Allein wir sind ja schwache Menschen, wir können ja den Abgeschiedenen nicht den Tribut der Menschlichkeit versagen I Gut! Allein lassen Sie uns auch klagen als solche die Jiicht ganz ohne ITofnung sind. Wir versehen uns dass die Unsrigen der Seelig- keit geniessen; es ist unsere Pflicht die nie aus dem Auge zu lassen, uns zu derselben zu bereiten, und durch einen vernünftigen AVandel, eine aufgeklährte Hofjiung, und starkes auf den Allmächtigen ge- gründetes Vertrauen der Seeligkeit und des Wiedersehens unsrer vorausgegangenen Freunde zu versichern. i

Die folgenden Monate waren Vater und Solm unausgesetzt bei der Arbeit, und die Bogen der englischen Ausgabe sowie das Manuskript der deutschen Übersetzung gingen päckchenweise nach Berlin ab. Zu dem immer drückender werdenden finan- ziellen Notstande in Forsters Familie kamen nun auch Anfang 1777 infolge der übermäfsigeu Anstrengungen Krankheiten, namentlich Georgs: 'George ist sehr schwach; der gute Junge verdienet gewiss Gottes besten Lohn für seine Treue an mir und seinen Geschwister' schreibt der Vater am 9. Januar 1777. Von Spener kam längere Zeit keine Nachricht über richtigen Empfang der Manuskriptsenclungen : ein Brief Georgs vom 28. März (7) fragt in dringlichster Weise nach den Gründen des langen Stillschw'eigens : er ist nicht privatim an den Freund, sondern officiell au die Buchhandlung gerichtet; ebenso der fol- gende vom 1. Juli (8). Einem Briefe des Vaters vom 29. Juli ist folgender Brief Georgs beigefügt:

9. London d. 29*^" .Tul. 1777. Dienstag.

Ihren Brief, Liebster Freund, D. Dodd ^ betreflend, habe ich vorigen Sonnabend richtig erhalten. Der Welt-Beseegler, der Natur- kündiger und Geschichtschreiber dieser gi'ossen Reise, soll also zum Biographen umgeschaffen werden, und wessen Biographen! Doch

' Man vergleiche hierzu die Äufseruugen Georgs über ein AViederseheu nach dem Tode in einem Briefe an Heyne, Briefw. II, 105. f9) I W. Dodd (1729 geboren), Verfasser der Brmities of Slialesjjeare. kgl. Hofprediger in London, wurde wegen Wechselfälschung am 27. Juni 1777 in Tyburn hingerichtet. Forster schrieb sein Leben (?^ämtl. Sehr. V, W), das aber erst 1779 erschien: vgl. Briefw. I, 241. 245.

Beiträge zur Keimtiii.s Georg Forsters. 887

Sie "wollens haben und ich will nichts einwenden. Ich verstehe voll- kommen was Sie in ansehung dieses Doktors von mir verlangen, und obgleich der Pultrach - den Sie anführen keinen Helden von Tyburn vorgenommen, will ich mich wol heranwagen. Nur schreibe ich was ich heute darüber vernommen, zur vorläufigen Notiz, Avornach Sie sich zu richten, und mir fernere Befehle zu ertheilen haben. Ausser den Zeitungs-Ehapsodieen, sind zwo Nachrichten von Dodds Leben heraus, die nach aussage eines unpartheyischen Mannes, beyde in Ansehung der Facta richtig sind, und worauf man sich verlassen kann. Die dritte Beschreibung soll auf den Winter publicirt werden, und wird von D. Dodds Bruder und D. Butler, seinem Freunde, ge- schrieben. Hier wird freilich alles ausführlicher stehen, und natür- licher Weise eben das was Sie vermeiden wollten, nemlich die Pathen, und die Hosen seh reien angemerkt, die gute Seite des Delinquenten in den glänzendsten Farben gemahlt, seine Fehler und Laster aber schön bemäntelt werden. Scharteke oder Catchpenny wird maus aber wohl nicht nennen können. Mir kömmt es vor, als wollten Sie das Leben Dodds auf die nächste Leipziger Messe fertig mitnehmen. Wenn dem also ist, sehe ich kein ander Mittel als dass ich auf ihren Plan das Dingelchen ausarbeite, welches höchstens vier ä fünf Bogen oder auch wohl sechs Bogen betragen könnte. In Ermangelung dessen, müssen Sie damit bis auf die nächste Oster Messe warten. Mir ist der Auftrag in so ferne angenehm, weil ich aus Ilu*em Briefe sehe, Ihre Grundsätze kommen w^as Dodd betrift völlig mit den Mei- nigen überein. Ich bin beständig der Meinung gewesen, dass mau ihm nicht das Leben schenken müsse; und Sie Avissen ich bin das Gegentheil der Hartherzigkeit und Grausamkeit, ohne Ruhm zu melden; weil das vielleicht an meinem Temperamente liegt. Frei- lich müssten Beschreibungen der Institute und ihre Entstehungs Geschichten eingewebt, wie auch Moralische Reflexionen hin und wieder cum grano salis angebracht werden. Ich will tliun als hätte ich jiositive Ordre fortzuarbeiten ; kommt denn au retour du C^ourier ihre Antwort dass ichs nicht liefern soll, so hals nichts zu bedeuten Hingegen wollen Sies nach obiger AVarnung doch haben, so ists desto besser dass ichs fertig habe. Bildnisse die Dodd ähnlich sahen giebts gar nicht; es ist nur ein Mezzotinto, der wie man sagt, auch nicht viel ähnlichkeit hat; M? Dodd aber hat ein Porti-ait welches ihm vollkonmien gleich sieht; allein die Erlaubnis es co- jiiren zu düi^fen, und denn die Kosten der Copey! Was sagen Sie dazu mit umlaufender Post? Kann ich inzwischen etwas von der Art auftreiben ehe Sie wieder darüber sclireiben, so will ich nicht ermangeln es Ihnen zu schicken. So weit über den D. Dodd,

Mit heutieer Post crehen acht Bösen MS. von der Reisebeschrei-

Entstelluug von Plutarch?

388 I'citräge zur Kenntnis Georg Försters.

billig an die Herren Breitenfels und Gregory ab, um Ihnen zu- spedirt zu werden. Es bleiben noch 36 Bogen, davon ich schon 14 fertig habe, aber jetzt nicht schicken kann, weil Rasjjc die sechs nächst folgenden nocli nicht gemacht hat. Sie hätten überhaupt das ganze schon lange erhalten, wenn er mich nicht beständig aufge- halten, und mit Hofnungen amüsirt, bis es endlich Ernst werden und ich selber Hand an legen musste, welches ich doch lieber veniiieden hätte weils immer besser aus einer Feder kommt. Indessen habe ich gesucht meinen Styl dem seinigeii ähnlich zu halten, und fehlt ja hin und wieder etwas, gehts lahm, u. s. w. so werden Sies zurecht- hammern müssen. Wo es nur möglich ist will ich mit künftiger oder gewis spätestens mit der Dienstags Post wieder acht bis zehn Bogen, dann den folgenden Posttag zuverlässig wieder zehn Bogen, und den nächstfolgenden alles schicken. Sie müssen unterdessen so drukken wie wir hier in England an der Engl. Ausgabe, nehmlicli a raison de deux ou trois feuilles par jour. sonst stelle ich mir nicht vor wie Sie zur Messe fertig werden wollen. Ich versichre Ihnen auf das Wort eines ehrlichen Mannes, wenn H. Raspe mich nicht so ausserordentlich desappointirt hätte, würde ich Sie nicht in die Verlegenheit gesetzt haben, die ich in aller ihrer Stärke und Un- annehmlichkeit empfinde. Was ich in der Sache überhaupt thue, würde sehr unrecht ausgelegt werden, wenn maus irgend einem an- dern Beweggrunde als meiner wahren aufrichtigen Freundschaft zu- schriebe ^ denn au foiid de l'afFaire, ists meine Sache nicht; ich habe nichts davon, und der Contract ist nicht mit mir geschlossen worden; ich habe mich auch zu nichts anheischig gemacht. Allein so ein Nothfall biethet meine Hülfe auf, und bei jeder andern ähn- lichen Gelegenheit stehe ich meinem Freunde zu Dienste Thätig und uneigennützig mus Freundschaft seyn sonst kann sie nur das Wortspiel eines Franzosen oder Engelländers , aber nicht wahres edles Gefühl heissen. Vielleicht wundern Sie sich dass ich die Bogen des MS. nicht recta (ohne den Umschlag an B und G.) nach Berlin schicke; Allein ich habe verschiedne Ursachen. Erstlich kein Geld soviel Postgeld zu zahlen. Zweitens weil ich wie mich däucht gehört habe, die Kaufleute in Amsterdam zahlen ans Postamt eine jährliche Summe ein- für allemahl. Man ist hier zu Lande so sehr des elendsten Eigennutzes gewohnt, und man hat so selten mit edlen Seelen zu thun, dass man kaum glauben kann, es gäbe noch Leuthe die über Kleinigkeiten sich wegsetzen können. Man denkt sogar dass die grosse Auslage die Sie jetzt an Postgelde machen müssen, übel genommen werden könnte Ich will hier nicht noch einmal anführen, dass das kleinere Uebel dem grösseren immer vor- gezogen werden, und dass man lieber ein paar guineen Postgeld zahlen müsse, ehe man drüber die Messe versäumte; ich will blos sagen dass falls Sie es nicht tragen Avollen, Sies mir von den ver-

Beiträge zur Kenntnis Georg Forsters. 389

sprochenen ten guineas abziehen mögen, weil der Schritt auf lu e i n risico, auf mein ernstliches Anrathen, u. s. w. geschieht. Kommt D. Dodds Leben nicht aus meiner Feder, so bleibe i c h Ihnen dies Postgeld schuldig, und Sie sind so gut mir auf mein ehrliches Gesicht so lange zu trauen bis ich bezahlen kann. Ich setze jetzt noch einige Sachen her, die dem Deutschen Leser meiner Reise ent- weder unentbehrlich, oder doch wenigstens nüzlich seyn könnten.

. . . Schreiben Sie mir doch, welche Platten Sie stechen lassen ? und wie Ihnen mein Buch, welches Sie jetzt vermuthlich ganz ge- lesen haben, im Ganzen gefällt. Ich kenne die Fehler selbst viel- leicht besser als sonst jemand; Wiederhohlungen, unbestimmte Re- flexionen, und viele unausgeführte Punkte wo ich \'iel zu sagen ge- habt hätte. Allein man bedenke, dass ich auf der Post schrieb, und oft 2 Bogen par jour componirte. Wäre es wieder zu corrigiren, so könnte ichs besser machen ; doch wer hat je ein vollkommnes Buch gesehn '? Zwar Raspe droht mir dass es das beste ist welches ich je schreiben werde Ich bin auch das zufrieden, wenns nicht anders seyn kann.

Es ist wieder ein Buch geschrieben das seinen Meister lobt. The Spirit of Athens, by William Young Esq. ^ Der Autor ein junger, feuriger Mann, den man für blödsinnig gehalten bis die ver- borgne Glut aufloderte und lichte Flammen sclilug. Nicht die Ge- schichte Athens, sondern Blicke in die Springfedern, die eine Repu- blik zum grössten Herrlichsten System von Politischer Verfassung machen, die Griechenland der Nachwelt so gross und wichtig machen, die Künste und Wissenschaften so hoch empor hoben, die auch wieder den Sturz dieses edlen Gebäudes verursachen. Die Geschichte Griechenlands mus man schon verstehen und inne haben ; Alsdenn folgt man den Adlerblicken unsers Youngs, seinem forschenden, tief- denkenden, und immer richtig urtheilenden Geiste, seinem recht- schafnen Herzen, mit Vergnügen und Theilnehmung im höchsten Grade Raspe hat an Boden desfalls geschrieben, und ihm ge- rathen es zu übersetzen. Wenn ers nicht thäte, was meinen Sie? Wollten Sies übernehmen? Ich möchte mich dran probiren.

Noch nichts gewisses aus Amerika. Das hiesige Ministerium ist mit Neuigkeiten heindich und hält zurück. Mit Frankreich scheints nicht recht klar zu seyn; vielleicht giebts wirklich bald Krieg mit dieser Macht. Die Minorität schreit, weil die Amerika- nischen Kaper an der Küste von Engelland viele Schifte nehmen.

^ Erschienen London 1777; eine Neubearbeitung oder zweite Auflage davon erschien 17S() als Tlic Instory of Athens poHt/calh/ and philosoplii- cnlhf coHsidcred in'tli flic Vicic to an Lnrstigation of tlic Innncdinfc Caitsrs nf Elevation and of De^Une Operative in a Free and Coniniercial State (Mitteihmg G. Roethes); eine dritte Auflage 18U4.

390 Beiträge zur Kcimliiis (icurg Försters.

Was daraus werden wird weis kein Menseh, und weniger als alle, Ihr treuer Freund und crge1)enst,er George Forster.

[Am Rande:] Ihr ehrlicher Dähne der mit seinem Grafen Düji- hoff* schon lange hier ist, lässtSie recht herzlich grüssen. Es ist ein kreuzbraver Deutscher, und der Graf ein allerliebster Junger Herr. Meinen Bruder bitte ich versichern Sie meiner Liebe und Freund- schaft, und entschuldigen mich bei ihm (denn Sie wissen waruinj dass ich nicht geschrieben. Empfehlungen mit Versicherung der auf- richtigsten Hochachtung an den guten Gelehrten D. Martini, eben- falls bei ihm entschuldigen Sie mein Stillschweigen.

Bald darauf war der Druck der englischen Reise beendet und Reiuhold Forster beauftragt am 1. Septeml^er 1777 Spener für Dedikationen an den König von Preulsen \md an den Fürsten von Anhalt -Dessau (vgl. auch Brief w. I, 208) zwei Exemplare von der deutscheu Reise fein binden zu lassen. Im Oktober und November desselben Jahres machte Georg die Reise nach Paris (Brief w. I, 23). Reinhold Forster ist für die übrige Zeit von Georgs Aufenthalt in England nun der Hauptkorrespondent, während von Georg selbst nur noch ein uudatierter Brief aus London erhalten ist, der ins Jahr 1778 gehört und jedenfalls nicht lange vor seiner Abreise uach Holland geschrieben ist, die am 23. Oktober von Harwich aus stattfand.

10. Geliebtester Freund Es versteht sich von selbst, dass dies Blatt abgeschnitten, und nur für Ihr Auge aufbewahrt werden muss. Oh! wie vielen Dank bin ich Ihrem warmen Herzen schuldig, das für mich in der Ent- fernung sorgt, wenn alle Welt mich verlassen hat. Zwar weis ich wie gross die Beruhigung, bald hätte ich gesagt die AYollust ist, welche man bei Ausübung guter Handlungen empfindet, und folg- lich dürfte ich Sie glücklich preisen, dass Sie gelegenheit gefunden am Wohl eines redlichen Jungens zu arbeiten ; allein dieser Lohn der im Bewusstseyn eines Tugendhaften Wandels besteht, ist doch nicht Ihren Verdiensten angemessen, und gewds, es wird die Zeit kommen, Avo auch noch die Sonne Ihnen scheinen, und Ihr trübes Auge er- heitern wird. Ich bete eifrigst dass der Augenblick der Ihre Trüb- salen endigen soll, nicht lange ausbleiben möge und dass wir zu-

^ Vgl. Briefw. I, 2U3.

Beiträge zur Kenntnis Georg Forsters. 391

sammcn noch iniinchen fröhliclien Tag erleben mögen. Jetzt zur Sache.

Stellen Sie sich vor, welch einen Kampf in meiner zerschlagenen Brust Ihr letzter Brief erregt hat einen Kampf zwischen dem principio das für meine Selbsterhaltung wacht, und der Liebe gegen meine Eltern und Geschwister. Grosser Gott! in welcher schreck- lichen Lage soll ich diese unglücklichen Verlassen! Es ist wahr, ich bin hier ganz müssig und unnüz; allein ich kenne meinen Vater; er wird mir zuverlässig vorwerfen, dass ich ihn im Unglück verlassen will, und nur für mich sorge, ohne Gefühl für fremde Leiden, und was der Beschuldigungen mehr sind, die den Unglücklichen niemals fehlen. Uebrigens werde ich meine jNIutter und Geschwister ganz und gar seiner üblen Laune überlassen, und es wird keiner seyn, der ein tröstliches Wort spräche, um ihr Leiden zu erleichtern. Werden sie endlich nicht selbst, auf die Vermuthung fallen, dass ich weggegan- gen, um mich dem Elende zu entreissen, ohne für ihre Erhaltung Sorge zu tragen, und oh ! Avie weh wird dieser Verdacht mir thun müssen, da ich unschuldig bin? Die einzige Aussicht, die mir hier noch übrig bleibt, steht auf so wankenden Füssen, dass ich als ein verständiger Mensch nicht darauf rechnen sollte: Aber werden meine Verwandte mirs nicht vorwerfen, wenn ich den Erfolg nicht wenigstens abwarte. In meinem letzten Briefe vergas ich zu sagen worinn diese Hofnung bestünde. Es ist ein Vorschlag, im Anfang Novembers öffentliche Vorlesungen über Naturgeschichte ankündigen zu lassen ä 3 Guineen den halbjährigen Cursum. Bei der jetzigen verwirrten Lage der Sachen, ist aber nicht wahrscheinlich dass ich eine hinlängliche Zahl von Zuhörern erhalten würde, da überdies Naturkunde nicht mehr Lieblingswissenschaft ist, und ein Anfänger auch nicht gleich grossen Fortgang erwarten darf. Daneben erwarte ich aus Paris von Panckoucke ein noch nicht publicirtes Werk des Hrn. V. Büffon, les epoques de la Nature, ' ein Quai'tband, der von jedermann, dem er daraus vorgelesen, als sein chef d'oeuvre ange- sehen wurde. Ich speculire auf eine Englische LTebersetzung. Allein wenn ich bedenke, dass während dem Kriege, der noch dazu sehr unglücklich für England ablaufen mögte, der Buchhandel ganz und gar darnieder liegt, so muss ich befürchten, dass mein Vorschlag dies Buch hier zu übersetzen, schlechterdings nicht einmal ange- nommen, und auf allen Fall gewis nicht gehörig bezahlt werde. Der einzige Buchhändler der jetzt noch was macht is( Cadell, der in der Hof und Ailmiralitäts Parthei ist, ein Scliotthlnder ist, Cooks Werk verlegt, und folglich auf alle Art und ^V'eise unser Feind ist. Habe ich nun recht, wenn ich diese zwo ungewisse, höchst unscheinbare x^LUSsichten gegen die geringe Berliner Gewissheit,

' Vgl. Briefw. I, 2'29. 24«i.

392 Beiträge zur Kenntnis Georg Försters.

(denn so inuss ich sie billiger Weise im Gegensaz nennen,) ver- tausclie ?

Nach der reifsten Ueberlegung, deren mein jetzt schwacher Kopf fähig war, und nach Anhörung aller Gründe, damit eine andre Per- son mich zum Hierbleiben zu bewegen suchte, bin ich doch ent- schlossen zu Ihnen zu kommen, und das nicht sowohl um des gegen- wärtigen, sondern des Zukünftigen willen. Ich vermuthe dass es mir nicht schwer werden wird in Berlin mit der Fortsezung des Büffons und des Naturlexikons 2 jährlich lOU Guineen zu verdienen, wofür ein einzelner Mensch dort ganz gut sein Auskommen haben kann. Nebenher glaube ich noch Zeit zu andern Beschäftigungen, als einer Art von delassement überflüssig zu haben ; und dies möchte mir auch noch eine Kleinigkeit einbringen, welche ich an meine Mutter zu übermachen schon im Voraus bestimmt habe. Stürbe denn in der Zwischenzeit der alte brave Sulzer, ^ welches ich doch gewis nicht wünsche, so wäre ich gleich zur Hand, und kriegt« viel- leicht mit wenigerer Mühe den botanischen Garten, als wenn ich hier bleiben sollte. Alsdenn hätte ich alles was ich mir wünschen dürfte, und könnte den grössten Theil von meines Vaters Familie von dem Meinigen ernähi'en. Lachen Sie nur über den hof- nungslosen Menschen, der Ihnen lezthin und heute noch solche Jeremiaden sclu'ieb, vuid jetzt schon Luftschlösser baut. Ach mein Freund, so ists doch wenigstens möglich dass uns mit der Zeit geholfen werde, aber wenn der erste Schritt nie gethan wird, wie kann man da was ferneres erwarten ? Ich habe ^'iel zulange umsonst geharrt und gehofft, als dass ich mich jetzt auf entfernte Aussichten verlassen, und mit imaginairem Glücke schmeicheln sollte Allein ich denke ich muss das Meinige thun und nach meinem Gewissen handeln, es komme daraus was Gott der Herr fügen wird.

Sie werden sehen, dass ich in meinem ostensiblen Briefe Ihre Formul genau befolgt habe. Ich kann nicht von meiner Geschick- lichkeit zu der vorgeschlagenen Arbeit sprechen ich glaube auf- richtig und ohne Prahlerei dass ich ihr gewachsen bin Sie kennen mich bester Freund - und dies ist genug.

Zur Reise sind 1.50 -^^ stipulirt. Es wird freilich etwas spät im Jahre seyn nach Hamburg zu reisen, inzwischen mus es gewagt seyn, denn zu Lande kostete selbst auf dem Postwagen die Reise wol zu viel ? nicht wahr ? Schi'eiben Sie mir hierüber ausführlich. 100 ^f sind ganz gut; allein mein Freund, ich habe ein 12 Guineen

^ Martini hatte eine Übersetzung von Buifons Allgemeiner Natur- geschichte und Naturgeschichte der Vögel sowie ein Naturlexikon be- gonnen, die Forster nach jenes Tode (1778) fortsetzen sollte; vgl. zum Buffon Brief w. I, 183. 214. 218. 221. 243; II, 747; an Sömm. (J. 10; zum Naturlexikon Briefw. I, 181. 183. 18"). 249; an Sömm. lo. ^ Er starb am 27. Februar 1779; vgl. auch Briefw. I, 201.

Beiträge zur Kenntnis Georg Forsters. 393

hier zu bezahlen ehe ich weggehe. Werfen Sie mir nicht vor dass ich Schulden gemacht habe. Die Noth hat mich gezwungen, zuweilen im Stillen zur Wirthschaft eine Cleinigkeit zu geben, um nur den Hausfrieden zu erhalten, und diese Kleinigkeit war geborgt. Ge- wisse Kleidungsstücke werden auch unumgänglich nöthig seyn, ehe ich mich auf den Weg mache ich denke nicht mich ganz hier zu kleiden, da solches in Deutschland wolf eiler ist ich sage nur un- entbehrliche Stücke. Ein anderer Vorschuss von 100 „-^ wäre also noch unentbehrlich und wo kriege ich den; und wie muss ich mich hernach einschränken um mit 300 „-^ ein ganz Jahr kümmer- lich zu leben? Ich nehme meines Vaters Observations* mit, um die Uebersetzung zu vollenden, wo ich sie in der ZAvischenzeit nicht fertigkriegen sollte. Fällt Ihnen ein kleine Arbeit bei, die ich für Sie unternehmen und bald endigen könnte, so schlagen Sie mir nur gleich vor, ich nehme das Buch mit, und übersetze unter Ihrer Aufsicht, nicht mehr in böses englisches Deutsch, sondern gutes, reines, etc. etc. Dafür käme dann die unterthänige Bitte und Zumuthung mir auf eine Zeitlang die verlangten 1 00 «^ vor- zustrecken, bis ich sie entweder abgearbeitet, oder wieder bezahlt habe. Im Ernst, ich schäme mich Lanen diesen Vorschuss zuzu- muthen, Ihnen, dessen Lage ich kenne, der schon so vieles unent- geltliches für uns Armen gethan, der schon längst im Vorschusse bei uns steht, und nicht sobald herauskommen wird - Aber was ist zu thim? Schlagen Sie mir was bessers vor

Noch eins Sie verlangten von mir einen ostensiblen Brief. Jetzt verlange ich dass ihre Antwort hierauf gleichfalls ostensible sey damit der Hausfrieden nicht leide . Sie richten Ihn also ein, „als geschähe mir der Antrag nun zum ersten und letzten male, und als wüsste ich noch nichts davon, und sie verlangen cathe- gorisches Ja oder Nein. Um alles Dingens überhoben zu seyn, hätten Sie selbst alles aufs genaueste zu meinem Vortheile bedungen, namentlich (wie die Bedingungen denn lauten mögen.) und da wäre nun auch nichts ab oder zuzusetzen, weil das Ding pressire, und ich Ja oder Nein sagen müsse." Das alles so süss und rüh- rend, und vortheilhaft für die ganze Familie vorgestellt, dass es seine Würkung ja nicht verfehlen möge, und vor allen Dingen mit einer Hofnung für meinen Vater auf künftige Zeiten begleitet.

Noch einmal dank' ich für alles Gute an uns in Percystreet und Breslau ausgeübte. Ich nehme meine Vorwürfe an meinen Bruder auch wieder zurück. Gott lohn Ihnen Ihre Sorge. Die Fr.

'' Observations mmle during a Vbijage round the World on Physich Geography, Natural Ilisfonj, and Etliic Pkilosopl///, London 1778; vgl. Briefw. II, 708. 7?.l ; zur Übersetzung an Sömm. 10. Briefw. I, 301. 318. 312. 346, 3.55. Sämtl. Sehr. VII, 2(io. Die Übersetzung erschien erst 1783.

394 Reiträpje zur Krnufnis Cleorg Forsters.

und Eng]. Flotten haben sich derb geschlagen, und beiderseits reti- rirt, ohne den Sieg davoii/Aitragen. Die Fr. flotte ist noch am wenig- sten zerstreut gewesen, denn Sie ist en ordre de bataille geblieben, ohne von Keppel von neuem angegriffen zu werden. Oh! wie sind die Zeiten seit 1762 verändert! Icli umarme Sie theuerster Freund und hoffe schon Sie in B. zu umarmen. Adieu. G F.

[Am Rande:] Wenn Sie an mich besonders schreiben, so richten Sie nur immer Ihre Briefe sous Enveloppe an Elmsly; denn sind sie nicht sous enveloppe, so könnten die Postträger sie doch nach Percy Street bringen ohnerachtet at M'; Elmsly's drauf steht.

II. Reise nach Deutschland (1779).

Am 23. Oktober 1778 trat Georg seine Reise nach Holland und Deutschland an, den Blick auf die ihm von Spener er- öffneten Aussichten gerichtet und mit dem Wunsche, seinem Vater durch deutsche Vermittelung Erlösung aus seiner uner- träglichen Lage und eine Anstellung in Deutschland zu ver- schaffen, die seinen wissenschaftlichen Verdiensten und seiner Begabung entsprach. Die Briefe aus dieser Zeit, die ersten des gedruckten Briefwechsels, schildern die stille gläubige Ergeben- heit, die frohe Sicherheit, die reine herzliche Pietät des edlen Jünglings. Zuerst reiste er über Rotterdam, Haag und Amster- dam nach Düsseldorf, wo ihn Jacobi freundlich aufnahm, und traf Ende November in Kassel ein. Hier Avurde er im Dezember als Professor der Naturkunde am Carolinum angestellt, erhielt jedoch gleich Urlaub, um nach Berlin reisen und die eingegan- genen buchhändlerischen Verpflichtungen neu regeln zu können. Die Reise ging über Göttiugen und Braunschweig, von welchem letzteren Orte drei Briefe an Spener erhalten sind.

11. Braunschweig d. 11. Januar 1770.

Ihr lezter Brief, vom 29. ult. mein bester Herzens Spener, fand mich gestern Abends bei Prof. Ebert. ^ Es war grosse Gesellschaft, die theils stand, theils auf und ab gieng und ich konnte in eine Ekke treten mich mit Ihnen zu unterhalten. Ach ich kam nicht Aveit. Ehe ich die erste Seite durch war, stürzten mir die hellen

1 J. A. Ebert (1728 179.^), Professor und Hofrat am CaroUnum.

Beiträge zur Kenntnis Georg Forsters. 395

Thränen ins Auge, und ich sclilos das Papier wieder mit der heftig- sten Bewegung, die zum Glück niemand gewahr ^vard. Doch glaub' ich dass M"® Jerusalem ^ etwas davon gemerkt haben mag. Ich hatte ein Kopfweh, wie ichs in London zu bekommen jiflegte, denken Sie, ob ich Linderung bekam. Ich musste eine Zeitlang einsam auf und ab gehen, eh ich mich wieder fassen konnte. 0 lieber, theurer, bester Freund, Avenn Sie gewusst hätten was ich den ]\Iorgen für Briefe aus London bekommen hatte, Sie müssten nichts anders von dem Ihrigen gehoft haben, als dass er mir in Gnaden den Rest geben würde. Wenn ich Ihnen einst zeige, was schreckliches, todtdrücken- des in jenen Briefen steht zeige, das traurige ganz abgespannte, verzweiflungsvolle Blatt, auf dem ich in kleiner Schrift um 12 Uhr Mitternacht eine Antwort an Sie hinwarf, bald hätt' ichs Ihnen mitgeschickt; aber heut früh bin ich Gott sei Dank, etwas heitrer, und da bekommen Sie dies Gekritzel an die Stelle des eben-beschrie- benen.

Wenn nicht die alles erhaltende Liebe wäre, die mich in Ihrem Schoose trägt, und mich wo ich hinkomme mit den bunten, lieblichen Bildern der Freundschaft spielen lässt, ich gienge schier zu Grunde über den Eräugnissen die alle meine vorsichtigen und vermeinten klugen Schritte vereiteln. Ich wiederhole es Ihnen, das einzige woran ich mich halte, ist das Wolgefallen das die Menschen an mir haben ; ich habe keine andre Stütze als die Freundschaft. Bei all den trüben Gedanken, die während dem ersten Durchlesen Ilu'es Briefes aufwallten, welch ein wahrer Trost blieb mir nicht an den Aus- drücken Ihrer edlen, mir ewig schäzbaren Seele ! Mein Bester, warum musste es nicht seyn, dass wir zusammen an einem Orte lebten! Kann denn der Himmel auch jenseits der Glücksgüter noch seine Hand ausstrecken, und fürchterlich dem Unglücklichen zurufen: Auch diesen lezten Trost versag' ich dir! Mein Gott! alles ist so recht, ich darfs nicht tadeln ! Deine AVege sind im Verborgenen, aber ich wandle darauf mit Thränen! Was halfs dass ich die Stelle in Cassel annahm, Avenn der Zweck, der einzige Grund, Avaruni ich es that, gleich jezt wegfällt, wenn nehmlieh das Unglück der meinigen mir zu schnell über den Hals kommt, ehe noch die Flucht- stätte bereit ist, oder ich das Leiden lindern kann ! Zwar schien alles dahinaus abzuzielen, dass es bald ausbrechen müsse ; aber docli wagte ichs zu hoffen, dass einige unvorhergcseheiu^ Umstände sich noch zu unserm Vortheil vereinigen könnten, inn den Ausbruch so- lange zu verhüten bis ich Ich kann nicht mehr daran denken sonst bricht dies aime Herz.

Ich will suchen mich zu fassen. Ich will dies traurige Blatt

" Über die drei Töchter des Abts Jerusalem vgl. Leisewitzens Brief an seine Braut, Herrigs Archiv XXXI, ^^9\.

396 Beiträge zAir Kenntnis Ctcurg Försters.

\V('glegcn, denn ich bin unvcnncrkl, wieder wo ich gestern Nachf anfieng, will etwas anders schreiben, luid dann wieder zu Ihnen zurückkommen, um noch vorläufig von Geschäften etwas zu be- stimmen.

Wie ich den Ausdruck brauchte: „Bringen Sie das Hrn Pauli in einem Säftgen bei" : war ich wohl eben so ernsthaft als AVerther dem ich ihn entlehnt habe. ^ Stossen Sie sich nicht daran, und be- fürchten Sie keinesweges, dass ich mit Hrn. Pauli leichtsinnig fahren werde. Ich will vielmehr mit der grössten Gewissenhaftigkeit han- deln, und kann ich ihm den Zeit Verlust nicht ersetzen, so will ich wenigstens machen dass er dadurch nicht noch länger vexirt und an seinem Profit gehindert wird. Ich erkläre mich. Hr. Prof. Lichtenberg, * mein verehrungswürdigster Freund, ein Mann den ich so lieb habe, wie meinen Spener, und meine Seele ein Mann, dem mein Spener nicht angestanden hat, meine Reputation als Schrift- steller in die Hände zu liefern, der folglich fast der einzige Mann in seiner Art seyn muss, weil er ein so grosses Vertrauen verdient soll mir rathen was ich bei dieser Gelegenheit zu thun habe. Ich schicke ihm Ihren Brief, nicht etwan dass ich Ihre Gründe misbil- ligte, sondern weil ich mir zu wenig Gerechtigkeit gegen mich selbst zutraue. Ich würde es auch alsdenn nicht gethan haben, wenn eine Möglichkeit gewesen wäre, vor Ostern einen Strich am Lexikon oder auch nur am Büfl^on zu machen. ^ Dies ist aber nunmehr platterdings unmöglich, und es gesellt sich eine zwote Schwürigkeit hinzu, nehmlich dass Ihr Brief mir deutlich zu ver- stehen giebt, ich müsse geschwind von der Faust weg arbeiten ein Punkt von dem mir zuvor nie etwas, am wenigsten beim Natur Lexicon in Sinn gekommen ist. Ich glaubte aus dem N. L. ein ganz ander Ding zu schaflfen ; ich kann und muss hinzusetzen, man erwartet ein ganz ander Ding von mir als vom Seel. Martini. So verschieden als die Arbeiten des jorak tischen von denen des theoretischen Naturkundigers seyn können. Blosser Compilator seyn, wie es Martini war, das kann ich nicht. Wenn aber das N. L. ein Objekt von 2000 a 3000 ^ jährlich für Pauli seyn und alle Messe ein Band davon erscheinen soll, so müsste ich es Fabriken - massig genug traktiren. Und ob ich das kann? Ich hatte mir vielmehr geschmeichelt man würde mehr auf Güte als auf Bogenzahl sehen. Und ist meine Reputation gar für nichts zu rechnen? Mar- tinis Verdienste waren anderweitig und auch in andern Fächern be- kannt. Er konnte nun ja es muss hei'aus, dem redlichsten Mann, und dem Märtyrer für seine Familie unbeschadet, seine Asche ruhe

3 Der nm^e Goethe III, 316. " G. Chr. Lichtenberg^ (1742—1799), Professor der Physik in Göttingen; Urteile Forsters über ihn Brief w. I, 222. 267. 306. 713; an Sömm. 336. ■> Vgl. Nr. lU, Aum. 2.

Beiträge zur Kenntnis Georg Forsters. 397

in Frieden! er konnte ein schlechtes Buch schreiben, und man verzieh es ihm; ich darf auf diese fast sträfliche Nachsicht des Publicums nicht Rechnung machen! Eine Uebersetzung könnte allenfalls noch fertiger ausgearbeitet Averden aber muss einem das Herz im Leibe nicht weh thun, wenn man den Styl des ersten französischen Schriftstellers in der deutschen Vertolpatschu ng so gänzlich vemiisst? O sagen Sie: uns Deutschen ists um Sachen, nicht um Redner Blümchen zu thun. Ganz wohl, aber nehmen Sie Büffon die Grazie seines Styls, und wieviel bleibt? End- lich, haben Sie schon vergessen dass ich Ihnen noch vor Michaelis einen ganzen Quartband Uebersetzung schuldig bin? Haben Sie Ihren oft wiederholten freundschaftlichen Zuruf vergessen: cura ut valeas und wissen Sie, dass meine Gesundheit auf schlechtem Füssen, als jemahls steht? Mit dem A^'orschlag vor Ostern etwas vom Büffon zu liefern hat es folgende Bewandnis. Ohne Bücher kann ich nicht arbeiten, und solang ich reise ist jede Minute fast mit Besuchen und Bekanntschaften angefüllt. Sonnabend früh um zehn d. 23ten Januar 79. fahre ich mit der ordinairen Post nach Berlin. Sie bleibt von Sonntag Morgens um zehn bis Montags Nach- mittags um 4. in Magdeburg liegen, und giebt mir Zeit meines Vaters besten Freund, den Abt Resewitz« zu besuchen, d. 27. bin ich also erst in Berlin. Zu Ende Februars muss ich wieder in Cassel seyn. Ein Monath wird mit Einrichtungen und Vorberei- tungen auf die Collegia hingehen ; und alsdenn ist Ostern vor der Thür, Was ich thun kann? Bedauern, und es mir herzlich leid seyn lassen, dass mein Glück auf Paulis Unkosten gemacht wird. Mehr können wir Menschen gewöhnlicher Weise nicht: wie selten ist man so glücklich einander den verursachten Schaden, und vor allen Dingen Zeitverlust ersetzen zu können. Sie kennen mich, und lassen mir Gerechtigkeit wiederfahren. Ich fühle tief alle den Verlust den ich Pauli verursacht habe; aber kann ich ihn ersetzen, ohne mich aufzuoi3fern, ohne meine Stelle in Cassel zu resigniren? Wenn ich bei Ihnen tiefer in Vorschuss gerathen darf, dumm Zeug ich muss es ja doch; und ich brauche noch viel Geld wovon münd- lich mehr so thue verzieht auf die 100 v,j' Reisegeld und kün- dige Hrn Pauli den Handel auf, ehe er durch neue Zögerung noch um einen halbjährigen Profit kommen sollte. Einer oder melirere von den Gelehrten, die Sie mir nannten, können noch vor Michaelis einen Band jeder Art liefern, und ihn, vielleicht zum Vortheil des Verlegers, dem schon hcrausgekonnnenen gleichförmiger machen, als ichs mich getraue. Dies alle sind Borat hschlagungen, Fakta und Positionen, die ich Ihnen zur Beherzigung überlasse. Nach Ihrer

ß F. G. Resewitz (1725— 18()(i), Abt zu Klosterbergeu bei Magdeburg; vgl. Briefw. T, 195. 200.

398 Beiträge zur Kenntnis (Jeorg Forsters.

Vorschrift schreibe ich indessen doch an Pauli, mit einer ostensiblen Einlage an Sie ; und übrigens erwarte ich meines unvergleichlidien Lichtenbergs Entscheidung. Ich be(e den Menschen an, und ihr Leute sollt mich in meiner Abgötterei nicht stören.

Ich rechne, dass ich Paulis 100 «f eingerechnet Ihnen etwas über 350 «^ schuldig bin denn für die 60 £ Sterl. hofTe ich noch die Observations '^ liefern zu können, die bringe ich daher auch nicht in Anschlag. Einem Engländer der mir auf der Reise 30 ::^j: ge- liehen, muss ich Sie in Berlin abzahlen. Ich mache also Staat dar- auf bei Ihnen, wie auch auf fernere Reisekosten bis Cassel. Nur noch einen Freund habe ich, den ich ansprechen würde, wenn ich Ihnen zu lästig fiele; aber auch nicht eher als in diesem Nothfall. Ich will Ihnen nicht das hochmüthige Compliment machen, dass ich Ihnen einen Beweis meiner Freundschaft gebe, indem ich bei Ihnen Geld borge aber Freund es dringt doch etwas bittres in die Seele bei dem Gedanken, dass ich mich auf die elendeste Art in der Welt forthelfen muss. O wäre nicht jene Rücksicht auf Pad- dington ! ^ Halten Sie meinem zerrütteten Herzen dies Gewäsche zu Gut.

Warum ich solang in Braunschweig bleibe? Um an meines Vaters Erlösung zu arbeiten ! ^ Ich habe hier die ganze fürstl Fa- milie gesprochen, bei der Erb Prinzessin gespeist, und des Herzogs Ferdinands Gunst gewonnen. Vielleicht! 0 ich wiege mich nicht mit Hofnungen ! Wenn ich nur die ausgemahlten Zeichnungen ver- kaufen könnte, um meinem Vater etwas baar Geld zu schicken! Oh! Leben sie 1000 mahl glücklich Ich umarme Sie bald als

Ihr redlichster aber t ■, ^. ^ -r-. i ^ -n

ganz unglücklicher J^reund G Jborster.

[Am Rande:] Du lieber Herzens Spener! ich habe mich anders besonnen, und will den armen Lichtenberg nicht mit dem Handel behelligen. Er ist schwach und kräiiklich, und Sie würden ihm auch die Sache vorstellen wollen. Mit einem Wort es war so ein ver- zweifelnder Einfall wie man von meinem kranken Hirn vermuthen konnte. Sie kriegen an mir einen ganz unbrauchbaren Menschen zu sehen. Die Herrlichkeit des Herrn ist dahin! Ich bin betäubt, und weis nicht was ich schreibe. Der Brief ist Spiegel meiner Seele. Halten Sie mir vieles zu Gut. Sie werden mir doch wohl eben so treu seyn als Paulien? Nochmals Adieu. Sie kriegen noch einen Brief von mir. Sehe ich Sie in Potsdam, oder wie?

Das mehrere sollen Sie in der ostensiblen Einlage an Pauli be- kommen. Gruss und Kuss an Bremer.

7 Vgl. Nr. 10, Anm. 4. « Westlicher Stadtteil Londons am Hyde-

fiark, wo Reinhold Forster wohnte: vgl, Briefw. I, 170. ^ Vgl. Briefw. , 200.

Beiträge zur Kenutuis Georg Forsters. 399

12.

Braiinschweig d. 15 Januar 1770. Geliebtester Freund. Endlich nähere ich mich Ihnen ! Nach langer, langer Ab- wesenheit, denke ich d. 27. dieses, Sie fest in meine Arme zu schliessen, und an diese treue Brust zu drücken. Mit jedem Augen- blicke, den ich länger warten muss, steigt meine Sehnsucht. Wie manche Freudenthräne habe ich mit Ihnen zu theilen, wie manches Glücks mit Urnen mich zu freuen, wie manches traurigen Gedankens mich bei Ihnen zu entlasten ! Ich finde Sie wieder ! Den redlichen, lieben Spener, den ich so ganz kenne, mit dem ich in Percystreet so manche Stunde im innigsten Gefühl der Freundschaft genossen habe, der meinen Kummer dort schon lindern half, mein bestürmtes Herz zu besänftigen suchte, und ihm Hofnung einflösste ! O mein lieber, ich will allerlei Leid und Aerger vergessen, und in dem Augen- blick dass ich Sie sehe, ganz der Freude mich ergeben. Den Tag soll kein trüber Gedanke bewölken, an dem ich mein verlohrnes Gut wiederfinde. Wie traurig ist nur das Loos der Menschheit, nie auf eine lange Zeit, und nie in vollkommnem Maasse glücklich zu

seyn ! 0 mein Freund, ich schweige ! Doch nein ; wozu soll

ich Ihnen ein Geheimnis aus einem Umstände machen, den Sie über kurz über lang erfahren müssen, und der Ihnen von mir noch immer leidlicher als durch einen andern Canal vorkommen wird. Unsere Freude sollte nicht ganz rein seyn ! Unsere Wiedervereinigung muss schon mit dem schmerzhaften Gedanken der Trennung geschwängert seyn. Ich bleibe nicht in Berlin. Ich habe in Cassel eine Stelle als Professor der Naturkunde angenommen, nachdem ich mich gegen die Vorschläge des Hrn. v. SchliefTen ' eigensinnig genug gesträubt hatte. Ich wollte zu Ihnen, und meinen Vater wollt' ich nach Cassel l)erufen lassen. Aber man hörte mich nicht, und um nicht ganz muthwillig meinem Glück den Stuhl vor die Thüre zu setzen, musst' ich es annehmen. Ende Februars muss ich in Cassel se}Ti und d. 27. dieses, komm' ich in Berlin an. Und was wird aus all den schönen Planen die wir uns gemacht haben ? Was wird aus den Arbeiten die ich unternommen hatte? Mein Bester, Sie kennen mich ; ich brauch' Ihnen nicht zu sagen, wie sehr es mich kränkt, wenn ich nicht Wort halten kann. Herr Pauli wird durch Zeit- verlust vielen Schaden gelitten haben, und ich bin nicht im Stande ihn zu ersetzen. Bin ich einmahl in meinem Stübgen in Cassel, werde ich fleissig arbeiten können ; ohne die Abhaltiuigen und Unter-

' M. E. V. Schliefleu (17;'.2— 1825), Minister, der Mäoonas am Kasseler Hofe, kannte Forster von England her (Briel'w. I, 180) ; Urteile Forsters über ihn Briefw. I, 178. 18tJ. 190. :;21 ; an Sümni. 2. 5. 34. 141. 257. 204; Bämtl. Sehr. III, 119; VllT, 217.

400 Beiträge zur Kenntnis Georg Forsters.

brecliuiigen zu befürchten die in Berlin unvermeidlich. Ausser Dohni ^ der in demselben und Casparson 3 der im nächsten Hause wohnt, habe ich keinen Umgang in Cassel. Es giebt dort sowenig Männer die Menschen Verstand, als Frauenzimmer die Sehöiiheit und gesel- lige Reize besitzen. Die schöne Bibliothek in Göttingen kann ich in Zeit von sechs Stunden gemächlich consuliren. Ein gi'osser Punkt den ich in Berlin entbehren musste. Auch die Professoren kann ich zuweilen zu Rathe ziehen, und wo findet man eine auserlesenere Ge- sellschaft grundgelehrter Männer? Nach allem Anschein werde ich folglich das Werk in Cassel weit vollständiger und besser aus- arbeiten, als in mancher andern Lage. Nur Sie muss ich entbehren, dessen Verlust mich am meisten schmerzt? O lieber Spener lassen Sie mir doch die Gerechtigkeit wiederfahren, und bedenken Sie dass ich Sie keinem neuen Freunde hindansetze, sondern dass ich mich in eine Einsamkeit als Opfer der Unglücks Stünne hingebe, weil ich meine eignen Freuden, meine behagliche Rvdie, meine Gesundheit gar, dem einzigen Gegenstande, dem Wohl meines Vaters imd der Seinigen, die in England so ungerechte Behandlung gelitten, gänz- lich und mit dem Innern Bewusstseyn dass ich recht thue, auf- opfern muss. Ein Gefühl mus Ersaz für's andre seyn. Zuviel hievon !

Hr. Pauli wird Ihnen diesen Brief einhändigen. Ich habe ihm mit dieser Post geschrieben, und von meiner Bestallung Nachricht gegeben. Da ich zwischen seinem Schaden und dem Verlust meines eignen Glückes zu wählen hatte, konnte ich nicht billiger verfahren als ilm mir vollkommen gleich stellen, und in Betracht meiner selbst gar keine Partheilichkeit statt finden lassen. Sobald ich dieses that kam's lediglich darauf an, das kleinste Uebel zu wählen. Der Ver- lust den Hr. Pauli durch Zögerung erleiden kann, ist doch am Ende durch Fleis an meiner und seiner Seite einzuholen. Aber wenn ich die Gelegenheit die mir das Glück darbot vorbeigelassen hätte, könnte ich vielleicht nie wieder eine ähnliche Anerbietung hoften. Er ist gewis viel zu billig dies nicht einsehen und mein Betragen genehmigen zu wollen. In wenigen Tagen sijrechen wir uns, und gleiten leicht über alle Schwürigkeiten dahin. Ich lasse mich nie unbillig finden. Wie aber, wenn Hr. Pauli izt befürchten sollte dass mir bei meinen obschon geringen Collegial Arbeiten, das N. Lexicon nicht geschwind genug von Statten gehen mögte? Ich weis keine andre Antwort, als dass ers mir wegnimmt, und mir den Büffon lässt. Für allen ferneren Zeitverlust wäre auf einmal ge-

2 Chr. W. v. Dohm (1751—1820), bis 1779 am Carolinum in Kassel, dann in ]>reursisclien Diensten; vgl. Brief w. II, 127; an Sömm. 109; Sämtl. Bohr. III, 9r.. 119. 3 J. W. Chr. G. Casparsou (1729—1802), Lehrer am Carolinum und der Kadettensehule; vgl. an Sömm. 142. 148. 278. 4.58. 405.

Beiträge zur Kenntnis Georg Forsters. 401

sorgt! Das war so ein Einfall zur Beherzigung. Ich lasse mir alles gefallen, was Sie und Hr. Pauli festsetzen. Adieu bester Freund leben Sie glücklich, bald sehen Avir uns.

Ihr ewiggetreuer G Forster.

13.

Braunschweig. Donnerstags früh. d. 21. Januar 1779. In einigen Stunden, liebster Spener, fahr ich zu Hrn. v. Veitheim ' iji Harbke bei Helmstädt. Dort bleib ich Morgen, oder den ganzen Freitag und gehe Sonnabend ab nach Magdeburg. Beim Abt Eesewitz bring' ich den Sonntag zu. Und Montag früh 25ten Januar geh' ich mit der Clevischen Post nach Potsdam. - Wenn Ihre Geschäfte Ihnen erlauben mir bis dahin entgegen zu reisen, und die Herrlichkeit des Orts zu zeigen, soll's mich sehr freuen, und mir früher als ich's hofte, einen heitern Tag machen. Aber nichts muss meinetwegen versäumt werden. Find' ich nicht Sie auf dem Posthause in Potsdam, sollte ich doch vielleicht wol eine Zeile, oder ein Wort von Ihnen, sehen oder hören. Leben Sie lOOOmahl wohl. Der Raum schwindet schon zwischen uns. Bald ist er nicht mehr, und unsre Herzen schlagen sympathetisch aneinander Schlag auf Schlag, wie unsre Seelen bisher in der Entfernung gethan! Hofnung, ich bitte dich, lächle mir Avieder! Siehe, ich verwelke, wenn du, Sonne, mich nicht bescheinsl ! Führe mich an den treuen Busen meijies Freundes und lass mich sagen: nunmehr hab' ich ausgelitten! q Forster

Bis Anfang März blieb Forster in Berlin. Alsbald machte man seinem Vater den Antrag, als Professor nach Halle zu gehen (Brief desselben vom 16. März 1779), welchem Rufe er aber erst 1780 folgte. Die Rückreise ging dann, nachdem zum zweitenmal Resewitz in Klosterbergen besucht war, über Dessau, wo er im Verkehr mit der fürstlichen Familie zwei idyllische Wochen verlebte (vgl. Brief w. I, 195. 197. 205); den Fürston hatte er früher in London kennen gelernt (es ist der Freund Goethes und Karl Augusts, dem im Park zu Weimar ein Denk- ftial gesetzt wurde: vgl. Goethes Werke XXI, 80. 107 Hempel).

> A. F. Graf v. Veitheim (1711—1801), Mineraloge, legte in Harbke einen botanischen (iarten an; derselbe Veltlieini, der an ^^önun. -iriB. Ad^) erwähnt M'ird? - Daher ist der Brief ans GiUtingon Briel'w. I, 191 vom 24. Januar falsch datiert; vielleicht ist er vom 4. Drei Tage nacli der Ankunft ist er gesclirieben, der Aufenthalt dauerte vierzehn Tage (Briefw. I, 200).

Archiv f. n, Spraclien. LXXXIV.

402 Beiträge zur Kenntnis (tCftrfi; Forsters.

II (Abschrift).

Dessau, d. 15 März 1770. Liebster bester Freuiul.

Endlich schreil)' ich wieder an Sie; aber wahrliaftig nur in der grössten Eile. Einlage ist an Nicolai, für sein Geburtsfest d. IH. März. Dank für den Brief von Schlieifen, er war gut und wie ich ihn Avön- schen konnte. Machen Sie doch dass ich bald möglichst alles aus Berlin nach C'assel kriege, was ich brauche; und auch die Sachen aus Martinis Auction. besonders erbitte mir den französischen Büffon, damit die Uebersetzung gleich fortgesetzt werden könne. Es niuss mir aber sogleich angezeigt werden (wenn ich die gedruckte Uebersetzung nicht zu gleicher Zeit erhalte) mit welcher pagina Mar- tini geschlossen hat, damit ich nichts 2mahl übersetze. - Auch wünschte ich genau zvi wissen, wie viel Bogen Uebersetzung jedes- mahl in einen Band gebracht werden, damit ich mich im Arbeiten darnach richten könne. Ueber die für Hr Banks erstandenen Bücher, erbitte mir ein Verzeichnis nebst den Preisen, Für Pauli sezen Sie mir doch ein Avertissement auf, und schicken es mir damit ichs ihm nach Ueberlesung zurückschicken könne. Ich will sie heute nicht dafür strafen, dass sie der göttlicheji Madonna in Parma (davon ich eine ganz ausnehmend schöne Copie bei Peters in London gesehn) den Schimpf angethan, sie mit der Frau Lieutenant oder gewesenen Maitresse des Herrn Lieutenant Mengs, einer gel- ben b 1 0 n d i n e mit grauen Augen zu vergleichen. Nicht w^ahr es ist ganz unbegreiflich wie man sich bisweilen vergaffen kann. Und denn der Klotz der zu allem Ja und Nein nur sagen koimte! Da wollte ich doch alle Physiognomik verschwören, wenn das, und die geistigen Züge des Riposo unsers C'oreggio ' beisammen sein könnte ! Forster ist auch ein mahl bei guter Laune. Eins erzähl ich Ihnen noch.

Ich blieb eine Nacht in Zcrbst. Man hatte mirs anbefohlen, einen Hrn. Hofrath Lankhavel zu besuchen der ein schönes Kunst und Naturalien Cabinet haben soll. Ich gieng hin lies mich an- melden als Prof. Forster aus Cassel, fand einen dicken fast hollän- dischen Wanst von 68 Jahren, ganz phlegma und Unwissenheit. Es war zwar 8 L^^hr, allein ich bat es mir doch aus einen flüchtigen Blick über seine Sammlimg werfen zu dürfen. Er gestattete es mir, und ich fand eine schöne eonchylien Sammlung, aber beiweitem nicht voll- ständig in Gattungen, sondern von einer Gattung oft 100. Er frug mich bald ob noch in der Welt ein besseres Cabinet existire, er sei nicht stolz, aber er hätte es bisher von allen gehört, das seinige sei das beste. Ich liess ihn glauben was er wollte. „Wenn einer die

' Gemeint ist Correggios Gemälde Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (Madonna de/ki sfodclla) in der Pinalcotliek zu Parma ; vgl. J. Me\er, Cor- regiü 20;'.. :)11.

Beitrüge zur Kouiituis Georg Forsters. 40o

Stücke am längsten Sommertage nur zählen kann, will ich Ihm das Cabinet schenken" ; Ich bin sicher ich zählte es zweimahl, aber freilich zählte ich geschwinder wie Mynheer Mastschwein. Er prahlte auch mit seiner Sammlung von Mahlereien. Von allen grossen Meistern habe er Stücke, nehmlich von den Wouvermans, Kaphael Urbino, Ostade und Titian. Wie gefällt Ihnen diese Rang-Ord- nung? Ich kam dazu vom Magen zusprechen: für einen schwachen Magen sagte er sei nichts bessers als Rhabarber mit Oleum Tartari per L i p ium (deliquium). Niebuhr habe ihm eine Mumie mitgebracht, es sei das Kind Pharaonis, und habe Hieroglyphen auf den Wickel- bändern gehabt, die seyn aber vom Seewasser weggewaschen worden. Er hatte Africanische und Asiatische Producte die gewis nie jene Länder gesehen hatten, und vice versa. Egyptische Schue in Deutsch- land gemacht u. s. w. Ich bin von ihm gegangen, ohne ihm wissen zu lassen, dass ich eine Reise um die Welt gethan hätte. So ein Schlingel verdient's nicht; hatte auch wohl sein leben nicht von Engl. Seereisen gehört.

Adieu, nächstens mehr. Gruss und Kuss an Bremer. Grüssen Sie auch Ihre werthen Angehörigen von mir, bestellen Sie übrigens an alle Freunde meine beste Empfehlung. Adieu nochmals, mein lieber bester, guter, Herzens Spener. jj^^. q Forster

Erst am 31. März kam Forster in Kassel weder an.

15.

Kassel d. 31. März 1779.

Nur mit zwei Worten melde ich meine heutige Ankunft am Orte meiner Bestimmung. Sie, mein Bester, ersuche ich zugleich mir alle Briefe, die etwan für mich angekommen seyn mögten, sogleich hieher zu schicken, falls einige schon nach Weimar oder Gotha gegangen bitte zu veranstalten, dass ich sie hieher bekomme, indem ich diesmahl jene mir wichtigen Oerter nicht habe besuchen können. Eine noch wichtigere Ursach, die Freundschaft des guten Fürsten in Dessau hat mich abgehalten. Er hat mir für meinen armen Vater ein ansehnliches Präsent gegeben 2 (gewis ist es ansehnlich im Ver- gleich mit den 10 Louisd'or wovon an Prinz Ferdinands Hofe einst die Rede war.) und überdies hat er an seine Freunde in London die dringendsten Empfehlungs-Schi'eiben ergehn lassen, von denen sich allenfalls etwas vortheilhafte Folgen erwarten lassen. Konnte ich so einem Manne abschlagen mich länger bei ihm aufzuhalten, da ich ohnehin AVeimar und Gotha nur im Vorübereilen, mithin auf

' Die Rückreise sollte über diese Orte gehen; vgl. Brief w. I, 171. 205. Vgl. Briefw. I, 108.

26*

404 Beiträge zur Kenntnis Georg Forster».

eine unbefriedigende Art, hätte besuchen können? Es ist mir übri- gens wohl dabei worden, und die Bekanntsehaft mit einigen doitigen wackern Männern hat mir recht grosse Freude gemacht.

Noch vorigen Sonntag sind von hier aus Briefe, die für mich aus England angekommen waren, mir bis Berlin nachgeschickt wor- den. Darf ich nochmals bitten wie auch an die Punkte in mei- nem Vorigen von neuem erinnern. Ich bin hier wie ein »Schuster ohne seinen Leisten doch Gedult!

Von Dessau grüsst Professor Wolke -^ Sie und Ihren lieben Bruder Gott grüsse und erhalte Sie beide ! Allen Freunden Ihres Forsters empfehlen Sie doch den ehrlichen Jungen, dessen ganzes Tichten und Trachten dahinaus läuft, gut und bieder zu werden ;

obschon der leidige oft sein Spiel mit ihm hat, und ihm

viel Schaden thut. Leben Sie wohl, recht wohl mein bester Spener; ich bin von Herzen Ihr treuer Georg Forster.

PS. An Pauli schreibe ich nächstens. In der Zwischenzeit grüssen Sie ihn nur frisch weg. Die Augen fallen mir zu, es ist spät. Gute Nacht.

- Chr. H. Wolke (1741—1825), am Philanthropin in Dessau, später iu Petersburg.

Halle a. S., 21. Januar 1890. Albert Leitzniauu.

(Fortsetzung folgt.)

Chaucer und Innocenz des Dritten Traktat

De Contemptu luudi sive De Miseria Coiiditioiiis Hiiiimnae.

Dafs Chaucer die Schrift des Papstes lunocenz III. 'De Miseria Conditionis Humauae' (MCH), um den übHchereu zweiten Titel beizubehalten, übersetzt hat, wissen wir von ihm selbst. In dem Prolog der 'Legend of Good Women', und zwar nur in der aller AV^ahrscheiuhchkeit nach älteren Form dieses Prologs, welche in einer einzigen Handschrift erhalten ist, * lesen wir in der Liste seiner Werke (cf. Skeats Ausgabe S. 34, v. 413 ff.):

He hath in prose translated Boece;

And of the Wreched Engendring of Mankynde,

As man may in pope Innocent y-finde.

Man hat bis jetzt keine Spur dieser Übersetzung gefunden. Der Stand der Forschung läfst sich iu wenige Citate fassen. Skeat 1. c. p. XVH: In liis enumeratioa of liis former works, he [Chaucer] left out one loork ivhich he had previousli/ me)i- tioned. This ivork is noio lost, and was i)rohahl!i omitted as heing a mere translation, and of no great account. Lei ns hojpe that the 2>oet's good sense told him that the original was a miserable production, as it must certainly he allowed to he, if loe employ the word 'miserahle witli its literal meaning. Ib. Notes p. 147: This is the onhj notice we possess of a loork by Chaucer which is no longer extant. We gather from it that he made a prose translation of the Latin prose treatise

' Vgl. 'Chaucer. The Legend of Good Women.' Ed. by W. W. Skeat (Oxford, Clar. Press 1889); p. XII ff.

40ß Chaiicor iiihI Iiniocciiz des Drittni Traktat

hij Pope IiDwceut IlL, entltled ^Da MCH\ a t/loom/j cnume- ratioii of human tvoes tvithout a Single alleviating touch of hope, fiercely and nnrelentinglfj set forth. B. ten Brink 'Ge- .schichte der englischen Litteratur' II, S. 62: ^Es ist sehr denkhar, dafs jene Phase ernst rehgiöser Stimmung, von der w'iv reden, noch andere litterarische Produkte hervorgerufen hat. Eine Prosa- schrift, von der uns nur der Titel erhalten ist, würde in diesem Zusammenhang gar avoU ihre Stelle gefunden haben. Es >var die, sei es vollständige, sei es fragmentarische, Bearbeitung der berühmten Schrift des dritten Inuocenz: De MHC. WüCsteu wir es nicht von Chaucer selber, Avir würden Mühe haben, es zu glauben, dais er sich je zu solcher Höhe ascetischer Gesinnung verstiegen.^

Wir haben aber neben Chaucers eigenen Worten noch an- dere, verstecktere, aber nicht minder untrügliche Zeugnisse dafür, dafs sich der Dichter mit dieser Schrift, welche dem Leser alle süfseu Früchte des Lebens in bittere Asche wandeln will, eingehend beschäftigt hat. Es ist bis jetzt nicht beachtet worden, dal's uns von seiner Übersetzung Bruchstücke erhalten sind, die Chaucer in Verse gebracht und in beliebter Weise späteren Dichtungen eingefügt hat. Ich gebe im folgenden eine Zusammenstellung der von mir in den 'Canterbury Tales' bemerkten Fragmente des innocentischen Traktats.

L The Mau of Lawes Tale.

Jedem aufmerksamen Leser Chaucers müssen die ersten Strophen des Prologs des Man of Lawe auffallen. Die Klage über die Leiden des Armen steht in keinem Zusammenhange mit dem Inhalt der folgenden Erzählung; der Dichter springt, um eine Überleitung herzustellen, urplötzlich zum Lob der rei- chen und klugen Kaufleute, deren einem der Rechtsgelehrte seine Erzählung verdanken soll.

B. ten Brink (1. c. S. 162 f.) vermutet, Chaucer habe diese Geschichte ursprünglich selbst erzälden wollen. 'Eine ganz beson- dere Stütze findet diese Annahme in dem befremdenden Eingang mit seiner vom Zaun gebrochenen pathetischen Schilderung der Leiden der Armut. So konnte Chaucer in irgend einem

De Miseria L'uucUtioui.-!; Huiiiause. i07

leicht (lenkbaren Zusammenhaug aus eigener Erfahrung reden ; weshalb aber redet der Rechtskonsulent so, und welche Gedaukeu- reihe bringt ihn auf dies Thema ?^

Die Autwort auf diese Frage ist, dals Chaucer der Ver- suchung nicht widerstehen konnte, hier, au nicht ganz passender Stelle, ein Fragment einer fi-üheren Arbeit zu verwerten. Die Klage über die Leiden des Armen entstammen der MCH. ]Mau vergleiche v. 99 :

O hateful harml condition of pouerte!

With thurst, with cokl, with hunger so confounded I

To asken help thee sliameth iu thyn herte;

If thou noon aske, with nede artow so woimded,

That verray need imwrappeth al thy wounde hidl

Maugre thyn heed, thou most for indigence

Or Stele, or begge, or borwe thy despencel ' =

I, 16 Paujjeres enim 'jjremuntiir media, cruciantur cvrumna, favie, siti, friqore,, nuditate: vilescunt, tahescunt, sper- nuntiir, et confunduntur. 0 in is er ab ilis mend ican- tls conditio; et si petit, pudore confunditur, et si non petit, egestate consumitur , sed ut mendicet, neces sitate co mp ellit u r. ^

V. 106: Thou blamest Crist, aud seyst fiil bitterly, He misdeparteth richesse temporal; Thy neighebor thou wytest sinfully, And seist thou hast to lite, and he hath al. 'Parfay,' seistow, 'somtyme he rekne shal, Whan that his tayl shal brennen in the glede, For lie noght helpeth ueedfuUe in her nede' =

ib. Den ni ca u sat u r i n i q u u m , quo d u o n rede d i v i - dat; proximnm er im i natu r mal i (j nn m , qund nnn plene subven iat. Indignatur, viurmurat, iinprecatur. Zu V. 110 f. vgl. noch folgende Stellen der :MCH.: II, 18 Dives nie, qui epulabatur quotidie splendide, sepultns in inferno.

II, 37 Dives ille, qui induebatur purpura et bi/sso, sepultuti est in inferno.

' Vgl. Skeats 'The Prioresses Tale' etc. (Oxford, Clar. Press 1880). Bei tfkeat Fehlendes ergänze ich aus Morris.

- De Contemptii Miindi sive De 3Iiseria Couditionis Humaufv Libri Tres; ed. Migue (Patrul. Lat. tom. 217, cul. 7Ul sqq.).

408 Chaucer luul Tnnocenz des Drillen Traklat

V. 113 Herkae, what is llic senteuce of the wyse : 'Bet is to dyen than haue indigence; Thy seine ueighebor wol thee despyse' ; If thou be poure, farwel Ihy reuerence! Yet of the wyse man tak this sentence: 'Alle the dayes of poure men ben wikke ;' Be war therfor, er thou come in that prikke ! =

ib. Adverte super hoc sententiam sap lentis: ^Me- lius est', inquit, 'mori quam indigere.' 'Etiam proxim o suo pauper odiosus erit.' 'Onines dies p a up eres mal i.'

V. 120 If thou be poure, thy brother hateth thee, And alle thy frendes fleen fro thee, alas ! O riche marchauntz, ful of wele ben ye, etc. =

ib. 'Fratres hominis pauperis oderunt mim. Iti- super et amici procul recesseruut ab eo!

Aber nicht nur in diesen auffälligen Strophen des Prologs, sondern auch in der Erzählung des Man of Lawe selbst kommt der Einflufs der MCH. wiederholt zur Geltung. Wir stofsen auf mehrere Fragmente der päpstlichen Schrift, die mit weit mehr Geschick, ohne klaffende Fuge eingefügt sind:

V. 421 O sodeyn wo! that euer art successour

To worldly blisse, spreynd with bitternesse; Thende of the ioye of our worldly labour; Wo occupieth the fyu of our gladnesse. Herke this conseyl for thy sikernesse, Vp-on thy glade day haue in thy myude The vnwar wo or härm that comth bihynde. '

Tyrwhitt (vol. IV, p. 218)- bemerkt zu dieser Stelle: 'l shall transcribe the following passage from the Margin of Ms. C. 1, though I know not from xohat author it is borroiced, as it confirms the readings adopted, in the text. ^^Semper mundanm Icetitice tristitia repentina succedit. Mundana igitur felicitas omdtis amaritudinibus est respersa. Extrema gaudii luctus occupat. Audi ergo salubre consilium; in die bonormn ne

' Vgl. Skeats 'The Tale of the Man of Lawe' etc. (Oxford, Clar. Press, 1879). Fehlendes ist aus Morris ergänzt.

^ Vgl. The Canterbury Tales of Chaucer; with an Essay upon his Language, etc., by T. Tyrwhitt; London 1822, 5 Vols.

De Miseria Conditionis Humanfe. 409

immemor sis malorum." Skeat, Notes p. 129: '^Iii the margin of Mss. E., Hn., Pt., and Cp. Is the following note: Nota, de inopinato dolore [folgt Citat wie oben]. These maxims seem to be scraj)s taken from different authors." Die Randglosse ist luuoceuz' Sclirift entnommen, vgl. I, 23: Semper enim mundauce Icetitice tristitia repentina suc cedit. Et qiiod incipit a g audio, desinit in moerore. Mundana quippe felicitas multis amaritnd inibus est respersa, Noverat hoc qui dixerat: ''Risus dolore miscebi- tur, et extrema gaudii luctus occupat." ... Attende salubre consilium: ''In die bonorum non immemor sis malorum." v. 423 entspricht den in der Glosse fehlenden Worten: Et quod moerore.

V. 771 O messager, fulfild of dronkenesse,

Strong' is thy breeth, thy lymes faltren ay, And thou biwreyest alle secrenesse. Thy mynd is lorn, thou janglest as a jay, Thy face is turned in a newe array! Ther dronkenesse regneth in any route, Ther is no conseil hid, with-outen doute.

Tyrwhitt 1. c. p. 219: Quid turpius ebrioso, cui fcetor in ore, tremor in corpore; qui promit stidta, prodit occulta ; cui mens alienatur, facies trans formatier ^ nulhim enim latet secretum ubi regnat ebrietas. Marg. C. 1. Skeat 1. c. p. 134: There is nothing ansioering to it in Trioet. Vergleiche MCH. II, 19: Quid turpius ebriosof cui fetor in ore, tremor in cor- pore, qui promittit midta, prodit occulta , cui mens alienatur, facies transformatur) 'Nullum enim secretum , ubi regnat ebr ietas.' ""' Morris n, 198, 827:

O foule luste, o luxurie, lo thin ende!

Nought oonly, that thou feyntest manne« mynde,

But verrayly thou wolt hls body sehende.

The ende of thyn werk, or of thy lustes blynde,

Is compleynyng

Tyrwhitt 1. c. p. 219: 0 extrema, lihidinis turpitudn^ qucc nmi solum mentem effeminat, sed etiam corpus enervat: semper

> Vgl. S. 413, Anm. 2.

410 Chaiicer inid Iiiiioct'iiz (lt\< Dritton Ti-;iktat

secuntnr dolor <:t pcjemtentia post, etc. Marc]. C. I. Vgl. MCH. 11,21: 0 extrema lihldinls turjpitudo , qua:, nun solum, m entern effeminat, sed etiam corpus enervat ... sequuntiir semper dolor et p cen i teilt ia.

V. 1132 But litel whyl it lasteth, I yow hete,

loye of this world, for tyme avoI nat abyde; Fro clay to nyght it changeth as the tyde. Who lyued euer in swich delyt o day That him ne inoeued other conscience, Or Ire, or talent, or som kin aflfray, Envie, or pryde, or passion, or oflfence?

Tyrwhitt 1. c. p. 220: In Marg. C. 1. A mane usque ad vespe- ram mutahitur tenipus. tenent tympamim et gaudent ad sonum organi, etc. Ibid. Quis unquam. unicam diem totam in sua dilectione duxit jocundamß quem in aliqua parte diel reatus conscientice, viz. impetus irce, vel motus concupiscentice non turhavit; quem livor, vel ardor avaritice, vel tumor superhice non vexavit, quem aliqua jactura, vel offensa, vel passio non commoverit, etc. Skeat 1. c. p. 139 : This corresponds to nothing in the French text. Vergleiche MCH. I, 22: Quis unquam vel unicum diem totum duxit in sua delectatio ne j u cundum , que m in aliqua parte diei reatus conscien- t ice , V el i mp etus iroe, vel motus conc up iscentim von turbaveritf Quem livor invidice, vel ardor ava- riticB, vel tumor s iL per him non vexaverit? quem ali- qua jactura, vel offensa, vel passio non commo- verit? ... Audi super hoc sententiam sapientis : ^A mane u s q u e a d v e sp e r a m i m vi u tah i tur te mpj u s.'

Die Geschichte der Kaisertochter Koustanze trägt somit un- verkennbar den Stempel des tiefen Eindruckes, Avelchen Chaucer von der Schrift Innoceuz' lU. empfangen hatte. Hieraus er- geben sich mir, indem ich von v. 414 f. der ersten Form des Prologes der 'Legend of Good Women' ausgehe, für die Chrono- logie der Werke Chaucers folgende Vermutungen. Als der Dichter die erste Form des Prologs niederscluieb, war er mit der Übersetzung der MCH. beschäftigt und lebte der festen Zuver- sicht, dals er sie zu Ende führen würde, weshalb er sie in der Liste seiner AVerke erwähnte. Begreiflicherweise wurde er jedoch

De Miseria Couditionis Hiimaiife. 411

dieser freudenlosen Arbeit überdrüssig, die Übersetzung blieb, wie so gar manches Werk Chaucers, Fragment. Infolge dessen unterdrückte er bei der Umarbeitung des Prologs die von dieser nicht ausgeführten Arbeit sprechenden Zeilen und verwertete gleichzeitig Bruchstücke der MCH. in der Dichtung, mit welcher er eben beschäftigt war, in der Geschichte der Konstanze. Die Annahme, dafs die Abfassung dieser Erzählung in dieselbe Zeit fällt, wie die Umarbeitung des Prologs, wird noch dadm'ch ge- stützt, dafs Chaucer eine Metapher, welche in den ausgemerzten Zeilen des ersten Prologs zweimal vorkommt, in einer Strophe der Konstanze verwendet hat: Prol. A, v. 311 f.:

But yit I sey, what eyleth thee to wryte The draf of stories, and forgo the corn? V. 529 Let be the chaf, and wryt wel of the corn;

vgl. Man of Lawes Tale v. 701 f.:

Me list uat of the chaf nor of the stree Maken so long a tale, as of the corn.

n. The Pardoneres Tale.

In der Predigt, welche der Ablafskrämer seiner Geschichte vorausschickt, bemerken wir folgende Bruchstücke des päpst- üchen Traktats.

V. 483 The holy writ take I to my wituesse,

That luxurie is in wyn and dronkenesse.

Dieses Bibelwort könnte Chaucer an und für sich natürlich aus der Quelle selbst geschöpft habeu, der Zusannuenhang macht es jedoch wahrscheinlich, dalis er sich bei der Verwendung desselben der MCH. auschlofs, vgh II, 19 Propterea dielt (qjostolHs : 'No- lite inehriari inno , in quo est luxuria.' Als abschreckende Beispiele der Völlerei erwähnt Chaucer in den folgenden Versen 488 ff". Herodes, der von Wein trunken den Täufer enthaupten liefs, und Adam, vgl. MCH. H, 18 Gula ji arad isum clausit . . . decollavit B ap t ist am mit

V. 505 Adam our fader, aud bis wyf also,

Fro Paradys to labour and to wo

Were driueu for that vice

V. 491 To sleen the Baptist lohn ful giltelees.

412 rhaucer und luuocenz des Dritten Traktat

V. 513 O, wiste a man how many maladyes Folvven of excesse and of glotonyes, He wolde been the more mesurable Of bis diete, sittinge at bis table ....

V. 521 Of tbis matere, o Paul, wel canstow trete,

'Mete vu-to wombe, and wombe eek vn-to mete, Shal god destroyen botbe', as Paulus seith;

vgl. MCH. n, 17 Inde non salus et sanitas, sed morbus et mors. Audi super Jioc sententiam saplentls : ^Noli avidus esse in omni epulatione, et non te ejfundas super omnem escam. In multis enim escis erit infirmitas ,• et ^^ropter crapulam multi perierunt.' 'Esca ventri, et venter escis, Dens autem et hunc et Tianc destruet.'

V. 517 Alias! the shorte tbrote, the tendre mouth,

Maketh that est and west, and north and south. In erthe, in eir, in water men to swinke To gete a glotoun deyntee mete and drinke!

vgl. MCH. II, 17 A^unc auteln gulosis non sufficiunt fructus arhorum, non gener a leguminum, non radices herbar um, nou pisces mar IS, non bestice terrce, non aves^ coeli. Der auffällige Ausdruck the shorte throte erklärt sich aus ib. tarn brevis est gulce voluptas, ut spatio loci vlx sit qua- tuor digitorum, spatio temporis vix sit totidem momentorum.

V. 534 (vgl. Morris m, 92, 72)

O wombe, o bely, o stynkyng is thy cod,

Fulfild of dong and of corrupcioun;

At eyther ende of the foul is the soun;

vgl. MCH. II, 18 Quanto sunt delicatiora cibaria, tanto fm- tidiora sunt stercora. Turpius egerit, qui turpiter in- gerit, super ins et inferius horribilem flattim exprimens, et abominabilem sonum emittens.

V. 537 How gret labour and cost is thee to fynde!

Thise cokes, how they stampe, and streyne,

and grynde. And turnen substaunce in-to accident, To fulfille al thy likerous talent! Out of the harde bones knokke they The mary, for they caste nought a-wey,

jDe Miseria Conditionis Hunianse. 413

That may go thurgh the golet softe and swote;

Of spicerye, of leef, and bark, and rote

Shal been liis sauce ymaked by delyt,

To make him yet a newer appetyt;

Vgl. MCH. II, 17 Quceruntur jrjigynenta, coTivparantur aro- mata . . ._, qucp studiose coquuntur arte coquornon . . . Alius cont^mdit et colat, alius confundit et cnn- ficit, suhstantiam convertit in accidens . . ., ut fastidium revocet appetitum, ad irritandam gu- lam.^

V. 551 O dronke man, disfigured is thy face,

Sour- is thy breeth, foul artow to embrace ... V. 560 In whom that drinke hath dominaciou n ,

He can no conseil kepe, itisno drede;

Vgl. MCH. II, 19 Qtnd turjntis ebrioso? cui fetor in ore ... cui ... facies tr ans forma turf 'Kuli um enim. secretum , ubi regnat ebrietas.'

Von diesen sicheren Brnehstücken der MCH. abgesehen, werden wir in Chancers Werken noch oft genng an die Schrift Innocenz' HI. erinnert, ohne daf's sich in allen Fällen mit voller Gewifsheit bestmimen läfst, dals Chaucer bei den betreifenden Stellen die MCH. im Auge hatte.

m. The Wyf of Bathes Prologe.

Die zahlreichen Übereinstimmungen, welche sich zwischen diesem Prolog und MCH. I, 18 feststellen lassen, erklären sich aus der gemeinsamen Quelle. Innocenz hat diesem Kapitel einen Teil der Invektive Theophrasts gegen die Frauen einverleibt, welche sich bei Hieronymus 'adversus lovinianum' I, 47 findet.

» Die von W. W. WooUcombe (The Sources of the Wife of Bath's Prologue; Publ. of the Chaucer Soc, See. Ser. X, p. 298 sqq.) citierte Stelle aus dem 'Polycraticus' des Johannes von Salisbury hat somit, wie WooUcombe richtig vermutet, mit Chaucers Versen nichts zu thun.

- Wahrscheinlich haben wir auch in der 'Man of Lawes Tale' v. 772 (s. oben S. 409) für das überlieferte strmuj zu lesen : sour. Chaucer hat sich gerade in diesem Verse dem lateinischen Texte eng angeschlossen, welchem strowj gar nicht, sour vollkommen entspricht.

414 Ch-'iucer und Inuoceuz des Dritten Traktat

Es unterliegt keinem Zweifel, dafs Chaiicer haiiptsächlioh ans Hieronymus schöpfte; er bringt vieles, was bei llieroiiymus, nicht aber bei Inuocenz zu lesen ist. An einer einzigen Stelle steht er dem Texte des Papstes näher als dem des h. Hierony- mus, und diese einzige Stelle läfst uns erkennen, dafs er neben Hieronymus auch Innocenz vor sich liegen hatte. Hieronymus J, 28' sagt nach Prov. XXVH, 15: StilllcUlia ejiclunt liomi- nem in die liiemali de domo sua, shailiter et rnulier nialedica de propria domo. Innocenz erweitert das Bibel wort, indem er als drittes Verjagungsmittel den Hauch erwähnt: I, 18 THa aunt eiiim qiioi non sintiut hominem in domo permanere, fninus, still icidium et mala uxor und dementsprechend sagt Chaucer Morris H, 214, 278:

Thou saist, that droppyng hous, and eek suioke, And chydyng wyves maken men to fle Out of here ousrlme hous ^

' Vgl. Adversus lovinianum Libri Duo; ed. Migne (Patrol. Lat. tom. 2:'., eol. 221 sqq.).

- Über die Hieronynius-Anklänge des Prologs vgl. im übrigen WooU- combe 1. c. Ich habe nur noch zu bemerken, dafs ein von WooUcombe erwähntes Bibelcitat, das bei Innocenz und Chaucer erscheint, auch bei Hieronymus zu lesen ist: Hier. I, 9 Melius est enim nuherc quam uri = Inn. I, 18 = Ch. II, 207, 52 Bei is to be weddid than to brynne. Aufser- dem sind zur Ergänzung des WooUcombeschen Aufsatzes noch folgende Stellen zu beachten: II, 207, 47

Whan myn housbond is fro tbe world i-gon, Some cristne man schal wedde me anoon, For than, thapostil saith, that I am fi-e To wedde, a goddis half, wlier so it be =

Hier. I, 10 Audi eundem apostohmi: ^Midier', inquit, 'alligata est, quanto tempore vir ejus vivit; quod si dorm,ier'it vir ejus, liberata est; eiii vuli nubat, tantum in domino' id est, Ghristiano.

11,210,148 Let hem be bred of pured whete seed, And let us wyves eten barly breed =

Hier. I, 7 Bonum est triticeo pane vesci, et edere purissimam similam. Tarnen, ne quis compidsits fmne eamedat stercus bidndum, con- ceilo ei, id vescatiir et Itordeo.

210, 153 Whan that him list com forth and pay bis dette. An housbond wol I have, I wol not lette, Which schal be bothe my dettour and my thral, And have bis t )• i b u 1 a c i o u n w i t h a I

De Miseria Couditionis Huiiianpe. 415

Nicht so sicher ist, ob 220, 464 And after wyn on Venus most I thinke beruht auf MCH. II, 21 Venter enhn oppipare satur libenter Venerem amplexatur.

Wurde Chaucers Aufmerksamkeit durch das betreftende Ka- pitel der MCH. auf Hieronymus adversus loviuianum geleukt? Besteht ein euger zeitlicher Zusanuiieuhaug zwischeu der 'IVIau of Lawes Tale', in welcher der Dichter Bruchstücke seiuer Über- setzung der MCH. verwertete, und dem Prolog des Wife of Bath, für den er Hier. adv. lov. benützte? Gewifs ist, dafs in mehreren Handschriften der Prolog der Frau von Bath unmittel- bar auf die Erzählung des Rechtsgelehrten folgt. ^ Beachtens- wert ist ferner, dafs sich in den unterdrückten Versen der ersten Form des Prologs der 'Legend of Good Women' eine Erwäh- nung der Schrift Hier. adv. lov. findet:

V. 281 What seith Jerome ageyns Jovinian?

welche in dem Prolog der Frau von Bath wiederkehrt:

II, 226, 673 And eek thay say, her was som tyme a clerk at Rome, A cardynal, that heet seint Jerome, Tliat made a book ayens Jovynyan;

Upon bis fleissch, whil that I am bis wyf. I have the power duryng al my lif Upon bis propre body, and not be.

Vgl. Hier. I, 11 Etimn si habes ... tixorem, et Uli aUigatus es, et solvis debituvi , et non habes tili corporis jjotestatem alque ... ser- vus uxoris es, noli propter hoc habere tristitiam; I, 13 Tr ibulatio- nem tarnen carnis habebunt hujusinodi; und das Citat aus T. Cor. VII bei Hier. I, 7. Die Frau von Batli sagt von ihrem vierten Gatten, dessen irdisches Fegfeuer sie war:

221, 491 For, God it wot, he sat ful stille and song,

Whan tbat bis scho ful bitterly bim wrong.

Hieronymus I, 48 berichtet, ein vornehmer Römer habe auf die Frage, warum er seine schöne, keusche und reiche Gattin verstofsen habe, .seinen Futs erhoben und gesagt: 'M hie socciis quem cernitLs, ridetur vubis 'Hovu^ et elegans : sed nemo seit prceter me ubi me premat.' Der Ver- weis auf den König Salomo v. 35 43 stammt aus Hier. I, 24 ; vgl. ferner 2U8, 77 f. mit dem Citat aus Matth. XIX, 11 sq. bei Hier. I, 12; 21ti, 341—5 mit dem Citat aus I. Tim. II, 9 bei Hier. I, 27 ; 229, 778 f. mit dem Citat aus Prov. XXV, 24 bei Hier. I, 28.

' Vgl. Tyrwhitts Introductory Discourse § XVI: The 'Man of Lawes Tale' in the best Mss. is followed by the 'Wife of Bathes Prolotjuc and Tale', and therefare I have placcd thein so here (Morris, Chaucer I, p. 227).

416 Chaucer und Inuocenz des Dritten Traktat

dafs sich, wie wir eben gesehen haben, in dem Prolog der Frau von Bath der Einflnf's der MCH. erkennen lä/st, und dafs sich andererseits in der Pi-edigt des Ablafskrämers mitten in den der MCH. nachgeliildeten Stellen eine Reminiscenz aus Hier. adv. Tov. findet. ^ Hierdurch wird jedenfalls bewiesen, dais es eine Zeit gab, in welcher Innoceuz und Hieronymus vereint eine be- deutende Rolle in Chaucers Gedankenwelt spielten.

IV. The Monkes Tale.

Vielleicht erklären sich in den Versen HI, 202, 17 ff'.:

Lo Adam, in the feld of Damassene

With Goddes oughne fynger wrought was lie,

And nought bigeteu of inanues sperma unclene

die letzten "Worte aus MCH. I, 1 Formatns est liomo de jmJ-

1 Vgl. Skeats Notes p. 152 f., wo für Migne II, H05 zu lesen ist II, 310. Wir haben aber anfser dieser bekannten, durch eine in mehreren Handschriften erscheinende Randglosse gesicherten Erinnerung an Hiero- nymus adv. lov. noch ein anderes beachtenswertes Zeugnis dafür, dafs Chaucer bei der Abfassung der Predigt des Ablafskrämers hin und wieder einen Blick in diese Schrift des Kirchenvaters warf. Zwischen den mit V. 54(i schliefsenden und v. 551 wieder beginnenden sicheren Bruchstücken der MCH. (vgl. S. 9) sagt Chaucer

V. 547 But certes, he that haunteth swich delices Is deed, whyl that he lyueth in tho vices. A licorous thing is wyn, and dronkenesae Is ful of stryuing and of wrecchednesse.

Diese Verse bieten den Inhalt zweier Bibelstellen: I. Tim. V, G Kam, qiiiB in delieiis est, vivens mmiua est; Prov. XX, 1 Luxuriosa res rinnm, et tumiiltuos a eh-ietas (cf. Skeat, Notes p. 153). Das letztere Citat er- scheint, dem Texte der Vulgata entsprechend, bei Innocenz MCH. II, 19, in demselben Kapitel, welchem sich Chaucer für die folgenden Verse an- schliefst. Beide Citate erscheinen bei Hieronymus, nicht unmittelbar hintereinander (II, 9 und 10), aber in derselben Eeihenfolge wie bei Chaucer. Damit wäre freilich noch nicht bewiesen, dafs sich Chaucer bei der Verwendung derselben an Hieronymus anlehnte. Aber Hierony- mus citiert Prov. XX, 1 in einer von dem Wortlaut der Vulgata ab- weichenden Fassung, er hat Luxmiosa res i-innm, et eontumeliosa ebrietas, und am Band der Handschriften E. und Hn. steht ebenfalls Luccm-iosa res vin'um, et contttmeliosa ebrietas. Ich bezweifle nicht, dafs diese Randglosse von dem Dichter selbst herrührt.

De Miseria Conditionis Humanse. 417

vere, de Udo, de chiere: quodqiie vilius est, de spurcissimo spermate.

Y. The Persones Tale.

In dem Absclmitt, der von den Schrecknissen des jüngsten Gerichtes und den Qualen der Hölle handelt (Morris HI, 270 ff. The thridde cavse etc.), erscheinen viele Bibelstellen, welche auch Innocenz in dem dritten Buche der MCH. bei der Be- handlung derselben ]Materie seiner Darstellung einfügte: p. 271 We schuln yive rekeuT/nc/ of every ydel word ■= MCH. IH, 17 ==: Matth. Xn, 36; p. 272 Änd therfore saith, Joh to God . . . that ever schal laste = MCH. HI, 8 = JobX, 20— 22; p. 275 And touchyng of al here hody . . . hy the mouth of Ysaie = MCH. HI,' 2, 4, I, 19 = Is. LXVI, 24; p. 276 And therfor saith seint Joh an . . . fee fro hem = MCH. HI. 9 = Apoc. IX, 6. Vgl. ferner in dem Abschnitt De Avaritia : p. 331 And thei'fore saith seint Poule . . . ydolatrie = MCH. H, 12 = Eph. V, 5; die französische Quelle dieses Teiles der 'Persones Tale^ scheint dieses Citat nicht zu bieten. '

Alle diese Bibelstellen beweisen jedoch selbstverständlich nichts für die Benutzung der ^ICH. Es läfst sich im Gegenteil leicht feststellen, dafs Chaucer den Text der Vulgata selbst und nicht Innocenz^ Citate vor Augen hatte. Bei Innocenz IH, 8 lautet das Citat aus Job X, 21: Antequam vadam ad terrani tenehrosam, in der Vulgate : Anteqnavy vadam et non re- vertar, ad terram tenehrosam, und ebenso Chaucer p. 272 07- / yo 10 ithoute retonrny ncje to the derke lond ; das Citat aus Eph. V, 5 lautet bei Innocenz 11,12: Avar itia est servitus idolorum, in der Vulgata: Avarus quod est ido- lorum servitus, und ebenso Chaucer p. 331 An averous man is in the thraldnm of ydolatrie.

Etwas beachten SM'erter ist die Übereinstimnuuig der fol- genden Stellen: p. 272 f. The derke light, that schal come ottt of the fnyr, that ever schal brenne, schal torne hiw to peyne, that is in helle, for it schewith him to tho rrihle develes,

' Vgl. W. Eilers, 'Die Erzählung des Pfarrers' etc. (Erlaugeu 1882), Magdeburg; S. 20.

Archiv f. n. Sprachen. LXXXIV. 27

418 Chaucer und lunocciiz des Dritten Traktat De MCH.

fJiat hihi tormenten MCH. III, 4 De ]j<jßnis inferni diver- sis: octava [poßna] , horrihilis visio dannonum, qui vide- huntur in excussione scintillarum de igne ascendentium. Aber Chaucer sagt, clafs die Glut der Hölle den Sünder den Teufeln zeigt; lunocenz, dals die Funken den Sündern die Teufel zeigen. Als sicherer Beweis eines zwischen der Tersones Tale' und der MCH. bestehenden Zusammenhanges können somit auch diese Stellen nicht gelten.

München. Emil Koeppel.

Manzonis Grraf von Carmagnola

und seine Kritiker.

In einem Artikel, der 1820 im zweiten Hefte des zweiten Bandes der Zeitschrift 'Ul^er Kunst und Altertum' erschien, aber schon zwei Jahre vorher geschrieben war, nennt Goethe bei der Besprechung des kurz zuvor in Italien ausgebrochenen Kampfes zwischen Klassikern und Romantikern zuerst den Namen Man- zoni und ei'wähnt zugleich dessen Grafen von Carmagnola als ein noch ungedrucktes Trauerspiel. Bald nachher bringt dieselbe Zeit- schrift (Bd. II, Heft 3) eine ebenso gründliche wie anerkennende Besprechung der inzwischen veröifentlichten Tragödie. Schon die 1809 erschienenen Inni sacri hatten Goethes Aufmerksamkeit erregt; von nun an aber wurde Manzoni sein erklärter Liebling unter den zeitgenössischen Dichtern, dessen weiterer Eutwicke- lung, wie sie in der Ode auf den Tod Napoleons, dem Trauer- spiel Adelchi, endlich dem Roman 'Die Verlobten' uns entgegen- tritt, er mit gröister Teilnahme folgte. Aber keinem der späteren Werke (der früheren gedenkt er nicht) hat er doch ein so ein- gehendes Studium gewidmet und so ungeteilten Beifall gespendet wie dem Grafen von Carmagnola. Bei der allgemeinen Ver- ehrung, deren er damals als der anerkannt grölste Dichter der Zeit genofs, erregte sein Urteil groi'ses Aufsehen in ganz Europa. Überall lielsen sich beifällige oder widersprechende Stimmen ver- nehmen, und der Graf von Carmagnola wurde zum Mittelpunkt des Streites zAvischen Klassikern und Romantikern, der damals in Italien herrschte und Frankreicli zu ergreifen begann. Als die streitenden Stimmen schwiegen, bliel) die Thatsache bestehen,

27*

420 Manzonis (^raf von Carmaguola.

dafs das Stück den Anstofs zu einer ganz neuen Richtung der dramatischen Litteratur in ItaUen und zum Teil aucli in Frank- reich gegeben hatte. Es lohnt sich deshalb wohl, das Trauerspiel und seine Kritiker noch einmal aus dem Staube der Vergangen- heit hervorzuziehen und zu beleuchten.

In der Vorrede zu seinem bereits 1817 begonnenen, aber erst 1820 erschienenen Conte di Cannagnola rechtfertigt Man- zoni die Abweichungen desselben von den in Italien bisher all- gemein anerkannten Vorschriften der Dramaturgie. Er beruft sich zunächst darauf, dafs einige moderne Schriften über die dramatische Poesie neue und wahre Ideen von so umfassender Anwendbarkeit (apidicazione) entliielten, dafs ein Versuch, die- selben pi'aktisch zu verwerten, schon dadurch hinlänglich be- gründet erscheine. Übrigens enthalte jedes Drama in sich selbst die zu seiner Beurteilung notwendigen Elemente, nämlich, welches die Absicht des Autors gewesen, ob diese Absicht eine ver- nünftige sei, und ob der Verfasser sie erreicht habe. Goethe giebt ihm darin vollkommen recht, indem er sagt (Kunst und Altertum II, S. 35), ein echtes Kunstwerk müsse wie ein ge- sundes Naturprodukt nur aus sich selbst bem'teilt werden. Es ist das derselbe Standpunkt, den Scherer in seinem nachgelasseneu Werke über die Poetik im Gegensatze zu Schlegel, Hegel, Vischer und allen denen einnimmt, welche ein gemeinsames ästhetisches Ideal aufstellen, an dem jedes einzelne Kunstwerk gemessen wer- den soll.

In Bezug auf die Einheit der Zeit und des Ortes schliefst sich Manzoni ganz der Auffassung A. W. Schlegels ' an, dafs die sogenannten Regeln des Aristoteles keine Vorschriften geben, sondern nur eine Thatsache bestätigen. Die Einheit des Ortes erkläre sich schon aus der Einrichtmig des griechischen Theaters. Der Einwand der Unwahrscheinlichkeit des Ortswechsels für den Zuschauer beruhe auf der ganz falschen Voraussetzung, dafs der- selbe gleichsam ein Teilnehmer der Handlung sei, während er doch für die handelnden Personen gar nicht existiere. Aufser- dem fehle es dieser Auffassung an aller Folgerichtigkeit. Wenn

' A. W. Schlegel, Kursus der dramatischen Litteratur. Zehute Vor- lesung.

Manzonis Graf von Carmagnola. 421

zwei Personen in Gegenwart des Publikums sich auf der Bühne die gröfsten Geheimnisse mitteihen, so finde mau darin nichts AuffäUiges. 'Wenn der Zuschauer/ sagt Goethe zustimmend, 'beim ersten Aufgehen des Vorhangs sich leicht imd willig nach Rom versetzen läfst, warum sollte er nicht Gefälligkeit genug haben, interessante Personen nach Karthago zu begleiten?'^ Ahnlich verhalte es sich mit der Einheit der Zeit, welche selbst die französischen Dramaturgen sich genötigt gesehen hätten, auf 24 Stunden auszudehnen, worin bereits das offenbare Zugeständ- nis Hege, dafs das Zusammenfallen der für die Handlung an- genommenen Zeit mit der wirldichen, die sie bei der Vorstellung auf der Bühne einnehme, eine thatsäcliliehe Unmöglichkeit sei. Für uns erscheinen mm zwar Sclilegels und Manzonis gründliche Auseinandersetzungen als ein Kampf gegen Windmühlen ; damals aber war das Unternehmen Manzonis ein Wagnis, das allgemeines Erstaunen, bei den meisten Lesern und Kritikern starkes Kopf- schütteln hervorrief und den kühnen Neuerer den heftigsten An- griffen aussetzte, SveU er die Barbarei des nordischen Theaters auf den altklassischen Boden versetzen wolle'.- Für uns bedarf es ja natürlich einer Widerlegung dieses Vorwurfs ebensowenig wie der von Manzoni verheifsenen, aber unseres Wissens nie veröffentlichten Widerlegung der Angriffe J. J. Rousseaus, Nicoles imd Bossuets gegen die dramatische Poesie überhaupt, welche jedes Drama, wenn es nicht kalt und interesselos sein solle, für notwendig unmoralisch erklärten.

Die Anwendung des Chors in seiner Tragödie stützt Man- zoni hauptsächlich auf Schlegels Erklärung des altgriechischen Chors, derzufolge man denselben als die Personifikation der mora- lischen Gedanken, welche die Handlung einflöfst, und als das Organ der Gesinnungen des Dichters betrachten müsse, der im Namen der Menschheit spreche. Der Chor soll den nationalen Genius und zugleich den Geist tdlgemeiner Humanität vertreten, die allzu heftigen Wirkungen der dramatischen Handlung mälsi- gen und die Zuhörer durch die Schönheit und Anmut des har-

' Über Kunst und Altertum III, S. 58.

' Wir kommen unten bei Gelegenheit des Briefes Manzonis an Ohauvet noch einmal auf diesen Gegenstand zurück.

422 .Maiuonis (haf von (yarmagnola.

inonischen lyrischen Ausdruckes von dem leideuschaftliclien Schmerze zur ruhigen Betrachtung führen. Manzoni erkennt an, (lals der aUgriechische Chor, von bestimmten Personen dargestellt und geAvisscrmafsen an der Handlung teilnehmend, nicht für die moderne Tragödie passe ;^ aber er meint, die Einschiebung lyri- scher Stellen im Sinne des Inludts jener Chöre sei wohl zulässig. Indem sie dem Dichter ein Winkelchen darbiete, wo er in eigener Person reden könne, werde er die lüippe vermeiden, selbst durch den Mund seiner Personen zu sprechen, wie man das so häufig in den modernen Dramen wahrnehme. Ob seine Chöre sich zur Recitation eignen, will er nicht untersuchen; er bestimmt sie zu- nächst nur zur Lektüre.

In einer historischen Einleitung (notizle storiclie) stellt Manzoni alles zusammen, was er über das Leben seines Helden hat in Erfahrung bringen können, und teilt uns zugleich von den politischen Verhältnissen der Zeit so viel mit, als zum Verständ- nis seines Thuus und der dramatischen Handlung überhaupt er- forderhch ist. Wir sehen den Sohn eines piemontesischen Bauern durch seine wilde Tapferkeit, durch imbezwingbare Energie und Ausdauer, endlich durch sein militärisches Genie zu einem der ersten jener Condottieri aufsteigen, die auf eigene Rechnung Söldnerscharen werben, um sich mit denselben an einen Fürsten zu verdingen und seine Kriege zu führen. Carmagnola trat in den Dienst Filippo Marias, des Bruders und Erben des im Jahre 1412 ermordeten Herzogs Giovanni Maria von Mailand, der aber den grölsten Teil seines rechtmäfsigen Erbes sich erst erkämpfen nuifste. Es war hauptsächhch Carmagnolas Verdienst, dal's sich Filippo Maria zwölf Jahre später wieder im Besitze des ganzen Territoriums seiner Vorfahren befand. Aber neidische Feinde und das argwöhnische Gemüt des falschen Herzogs selbst, der den zu mächtig gewordenen Feldherru füi'chtete, veranlafsten die Ungnade Carmagnolas, der sich vergeblich Gehör bei dem Fürsten zu verschafien suchte. Von Zorn und Rachegedanken erfüllt, bot er, nachdem er vergeblich den Herzog von Savoyen zum

' Schillers Abhaudlung über den Gebrauch des Chors in der Tragödie scheint Manzoni nicht gekannt zu haben, sonst hätte er sich ohne Zweifel manches aus den Deduktionen unseres Dichters zu eigen gemacht.

Manzouis Graf von Carmagnola. 423

Kriege gegen Mailand aufzureizen versucht hatte, der Repubhk Venedig seine Dienste an. An diesem Punkte seines Lebens setzt die Handhing unseres Dramas ein. Der venetianische Senat, von Florenz ziu* Allianz gegen Filippo Maria aufgefordert, ist anfangs schwankend. Carmagnola, um seine Ansicht befragt, rät dringend zum Kiüege; die Mehrheit schliefst sich ihm an, und da ein milslungener Mordversuch gegen ihn sich als vom Herzog von Mailand angestiftet erweist und dadurch die Besorg- nis vor einer Wiederversöhnung mit seinem früheren Souverän wegfällt, wird der Graf zum Oberfeldherrn des venetiauischen Heeres ernannt (1426). Bald zwingt er durch seine Siege den Herzog zu einem ungünstigen Frieden, und als Filippo Maria denselben unter einem Vorwande bald nachher bricht, schlägt er das überlegene Heer der Mailänder mit Hilfe einer Kriegslist gänzlich in die Flucht und macht viele tausend Gefangene. Diese Schlacht ist es, auf welche sich der berühmte Chor des zweiten Aktes bezieht. In der folgenden Nacht werden, zunächst ohne Vorwissen des Höchstkommandierenden, die meisten Gefangenen von seinen Uuterbefehlshabern freigelassen. Als die venetia- uischen Kommissarien, die den Feldherrn und seine Kriegs- führung überwachen sollen, sich darüber beim Grafen beldagen, giebt er Befehl, auch den Rest der Gefangeneu freizugeben. Bei der damaligen Kriegsführung hatte dieser Vorgang nichts Auf- fälliges. Die siegreichen Söldner waren nicht ^^^rkliche Feinde ihrer Gegner; sie wufsten, dafs ihnen bald ähnliches widerfahren konnte; so waren sie, sobald einmal der Sieg entschieden war, ■wieder gute Kameraden. Dafs aber durch eine solche Kriegs- führung oft der Zweck des Krieges selbst verfehlt wurde, und dals daraus, wie hier, häufig Konflikte zwischen den Kegicrungen imd den Condottieri, welche sie gedungen hatten, entstanden, war natürlich. Carmagnola konnte vielleicht im vorliegenden Falle nicht anders handeln; aber in Venedig nahm mau es ihm sehr übel, wenn er auch zunächst mit Ehren überhäuft wurde. FHippo Maria, abermals zum Frieden gezwungen, brach denselben 1431 aufs neue. Diesmal wandte das Glück Carmagnola, dem aus- gezeichnete Feldherren gegenüberstanden, zum Teil auch durch die S(^huld seiner Untergebenen, den Rücken ; mehrere Unter- nehmungen fechlugen fehl. In Venedig glaubte man, oder gab

424 Manzonis Graf von Carmagnola.

man sich doch den Anschein zu glauben, es Hei Verrat im Sj^iele, er stehe heiralicli mit Mailand in Unterhandlung. Unter dem Verwände, seinen Rat über den Friedenssehluls hören zu wollen, Avurde er aufgefordert, vor dem Senate zu erscheinen. Kaum aber war er in den Dogenpalast gctreteu, als man sich seiner versicherte, ihn in einen der berüchtigten Kerker warf, folterte, zum Verrätertode verurteilte und mit einem Knebel im Munde am 5. Mai 1432 zwischen den beiden bekannten Säulen der Piazzetta hinrichten liefs. Dafs Carmagnola wirklich Verrat geübt, ist, wie Manzoni überzeugend nachweist, ebensowenig innerlich wahrscheinHch, als durch irgend welche äulsere That- sachen bezeugt. Die Akten des Prozesses sind nie zu Tage ge- kommen. Bei den stets argwöhnischen Behörden der Republik mochte wohl der Umstand, dafs der bisher stets siegreiche Feld- herr melu-ere, wenn auch nicht entscheidende, Unfälle nachein- ander erlitt, wirklich Verdacht erregt haben; mafsgebender aber war gewifs noch die Furcht vor der allzugrofs gewordenen Macht des Grafen. Dazu kam sein aufbrausendes Wesen, sein herrisches, keinen Widerspruch duldendes Auftreten gegen den venetianischen Adel und die Kommissäre des Senats. Die venetianische Re- gierung verlangte gefügige Diener und unbedingten Gehorsam; jede Regung von Selbständigkeit war ihr zuwider und verdächtig. Möglich allerdings auch, dal's der ehrgeizige Mann, wie so viele seiner glücklicheren Berufsgenossen, zugleich eigene Pläne ver- folgte imd die Begründung einer eigenen Herrschaft ins Auge gef aist hatte ; ja unser Dichter, der in der historischeu Einleitung allerdings nichts Derartiges erwähnt, macht selbst eine dahin- zielende Andeutung in dem Monologe seines Helden (Akt I,

Sc. 4):

E cid d'un regno

Fees il destin, non poträ far il sito?

Sein Tod erregte ungeheures Aufsehen in ganz Itahen, und in Carmagnolas Geburtslande Piemont den heftigsten Groll gegen die Venetianer, einen Groll, der sogar* bei der bekannten Liga von Cambray gegen die Lagunenrepublik 70 Jahre nachher noch eine Rolle gespielt haben soll.

Die hier kurz skizzierten Ereignisse von dem Augenblicke an, wo der Krieg gegen Mailand und die Ernennung Carmagnolas

Manzonis Graf von Carmaguola. 425

zum Feklherm der Republik beschlossen wird, bis zu seinem Tode bilden die historische Unterlage des Dramas. Nur erscheint in demselben alles als ein einziger Krieg; die längeren oder kür- zeren Unterbrechungen durch die wiederholten Friedensschlüsse pafsten natürlich nicht in die Ökonomie des Stückes. Zwischen dem dritten imd vierten Akte liegt ein Zeitraum von vier bis fünf Jahren. Die einzige thatsäcliliche Abweichimg von der historischen Wahrheit besteht darin, dal's Manzoni den Mord- versuch gegen Carmagnola von Treviso nach Venedig verlegt.

Wir kommen nun zunächst auf die eingangs erwälmte Be- sprechung des Dramas durch Goethe zurück.^ Dem Verlangen des Dichters in seiner Vorrede, niu' aus sich selbst heraus be- lu'teilt zu werden, entsprechend, hat sich der Kritiker den deut- lichsten Begriif von seinen Absichten zu verschaifen gesucht, dieselben löblich, natur- und kunstgemäfs gefunden und sich zu- letzt nach genauester Prüfung überzeugt, dals er sein Vorhaben meisterhaft ausgeführt habe. Da er aber voraussieht, dafs Man- zonis Dichtart in Italien viele Gegner finden und auch nicht allen Deutschen zusagen werde, so hält er es für seine Pflicht, sein unbedingtes Lob eingehend zu begründen.

Nachdem er Manzonis Polemilc gegen das Princip der Ein- heit der Zeit und des Ortes gebilligt und die historische Ein- leitung in kurzem Auszuge wiedergegeben hat, entwirft Goethe selbst ein Bild der Kriegsführung und des Condottieroturas der Zeit, um daran nachzuweisen, wie richtig 'sein Freund' dieselbe aufgefafst habe und welch trefflichen Stoff zu einer tragischen Hauptfigur ein solcher 'MletshekF bieten mulste, 'der wohl seine liochsinnigen Plane haben mochte, dem aber die in solchen Fällen liöchst notwendige Verstellung, scheinbares Nachgeben zur rech- ten Zeit, einnehmendes Betragen und was sonst noch crfordei't wird, vollständig abging, der vielmehr keinen Augenblick seinen heftigen, störrischen, eigenwilligen Charakter vcrläugnete'. Zwi- schen einer solchen Willkür und der höchsten Zweckmäfsigkeit des venetianischen Senats ahne man nun alsbald den unvermeid- lichen Zusammcnstol's. 'Und hier wird der Einsichtige den voll- kommen prägnanten, tragischen, unausgleichbarcn Stoff anerkennen,

' Über Kunst und Altertum, Bd. II, S. 0.:— Ü5.

426 Manzonis Graf von Carmagaola.

dessen Entwickeluag und Ausl)i]dung sicli im gegenwärtigen Stücke entfaltet. Zwei entgegengesetzte Denkweisen, wie sie Harnisch und Toga ziemen, sahen wir in vielen Individuen musterhaft mannigfaltig einander gegenül)ergestellt und zwar so, wie sie allein in der angenommenen Form darzustellen gewesen, wodurch diese völlig legitimiert und vor jedem Widerspruch völlig gesichert wird/

Um den weiteren Verlauf seiner Beurteilung, wie er sich ausdrückt, ordnungsgemäfs einzuleiten, giebt Goethe nun den Gang des Stückes, Scene für Scene, kurz und prägnant wieder.' Er wendet sich dann zunächst gegen einen Tadel, deu er gegen den von ihm gezeichneten Gang des Stückes mit Sicherheit vor- aussieht. Es fehlt zumeist an jeder äiü'serlichen Verknüpfung zwischen den einzelnen Scenen; der Zusammenhang ist nur ein innerlicher, während die Phantasie des Zuschauers die Lücken zwischen den einzelnen Geschehnissen ausfüllen mufs. Goethe giebt zu, dafs die Meinung über dies Verfahren geteilt sein könne; ihm selbst gefalle dasselbe sehr wohl; es gestatte bündige Kürze. 'Mann folgt auf Mann, Bild auf Bild, Ereignis auf Er- eignis ohne Vorbereitung und Verschränkung. Der einzelne wie die Masse exponiert sich beim Auftreten gleich auf der Stelle, handelt und wirkt so fort, bis der Faden abgelaufen ist.^ Da- durch sei dem schönen Talent des Dichters eine natürlich - freie, bequeme Ansicht der sittlichen Welt gegeben, die sich dem Leser und Zuschauer sogleich mitteile. 'So ist auch seine Sprache frei, edel, voU und reich, nicht senteuziös, aber durch grofse, edle, aus dem Zustande herfliefsende Gedanken erhebend und er- freuend. Das Ganze hinterlälst einen wahrhaft weltgeschicht- lichen Eindruck.^

Auf die Personen des Dramas übergehend tadelt Goethe zunächst die Einteilung derselben in historische uud ideale. Er glaubte irrigerweise, wie wir sehen werden , dafs dieselbe gewifs nicht aus des Verfassers Gefühl und Überzeugung hervor- gegangen, sondern nur durch ein krittelndes Publikum veranlafst sei, über das er sich erst nach und nach erheben müsse. 'Für den Dichter,' sagt er, 'ist keine Person historisch ; es beliebt ihm,

S. Hempel, Bd. XXIX, 633 flf.

Manzouis Graf von Carmaguola. 427

seine sittliche Welt darzustelleu, uud zu diesem Zwecke erweist er gewissen Personen aus der Geschichte die Ehre, ihre Namen seinen Geschöpfen zu leihen. Herrn Manzoni dürfen wir zum Ruhme nachsagen, dafs alle seine Figuren aus einem Gufs sind, eine so ideell wie die andere. Sie gehören alle zu einem ge- wissen politisch -sittlichen Kreise; sie haben zwar keine indi- viduellen Züge (?); aber, was wir bewundern müssen: ein jeder, ob er gleich einen bestimmten BegriiF ausdrückt, hat doch ein so gründlich eigenes, von allen anderen verschiedenes Leben, dais, wenn auf dem Theater die Schauspieler an Gestalt, Geist uud Stimme zu diesen dichterischen Gebilden passend gefunden wer- den, man sie durchaus für Individuen halten wird und mufs.'

Den Charakter der handelnden Personen zeichnet Goethe in kiu-zen Zügen scharf und im ganzen treffend. Die alte Forderung der 'Theoristen', dafs ein tragischer Held nicht vollkommen, nicht fehlerlos sein dürfe, finde sich hier erfüllt. 'Vom rohen, kräftigen Natur- mid Hirtenstande heraufgewachsen, gehorcht Carmaguola seinem ungebändigten, unbedingten Willen; keine Spm* von sitt- licher Bildung ist zu bemerken, auch die nicht einmal, deren der Mensch zu eigenem Vorteil bedarf. . . . Wir müssen auch hier den Dichter höchlich loben, der den als Feldherrn uuvergleich- liclien INIann in politischen Bezügen untergehen lälst, so wie der kühnste Schiffer, der, Kompafs und Sonde verachtend, sogar im Stiu'me die Segel nicht einziehen wollte, notwendig scheitern müfste.^ Dafs Carmaguola keine Spur von sittlicher Bildung zeige, scheint uns einem Manne gegenüber, der solche Selbst- erkenntnis besitzt (I, 5), so unerschütterlich in seinem Rechts- l)ewufstsein ist, der dem Tode, selbst dem Verbrecher tode mit solcher Fassung entgegen blickt, der seine Tochter tadelt, als sie seine Feinde Mörder nennt, und sie auffordert, ihnen zu ver- geben, eine unhaltbare Ansicht. Im Dogen erblickt Goethe das oberste, reine, unzerteilte Staatsprincip, das Zünglein in der Wage, das sicli selbst und die Schalen beobachtet, einen Halb- gott, bedächtig ohne Sorgen, vorsichtig ohne Mifstrauen; in Marino das der Welt unentbehrliche scharfe, selbstische Princip, das hier untadelig erscheine, da es nicht für ein persönliches Interesse wirke, und dem die Menschen wie Carmaguola ganz uud gar nichts sind, als Werkzeuge zum Zwecke der Pe[)ublik,

428 Manzonis Graf von Carmagnola.

die, unnütz oder gefälu'lich erscheinend, sogleicli zu verwerfen seien. Uns scheint allerdings vielmehr, dafs Manz(3ni in diesem Manne ein lebendiges Beispiel hat aufstellen wollen, wie mora- lisch dcpraväerend die venetianische Politik auf ihre Vertreter einwii'ken mufstc. Marco gilt Goethe als der Repräsentant des löblichen menschlichen Princips, welcher das Tüchtige, Grofse und Mächtige verehrt, aber dadurch, dafs er einem Einzelnen zu selir zugethan ist, ohne es zu ahnen, in Widerspruch mit seinen Pflichten gerät. Wir möchten statt 'Pflichten^ lieber sagen: mit der venetianischen Staatsraison. Während Goethe ferner die Feldherren des feindlichen Heeres und zumal die beiden Kora- missarien genau analysiert, erscheint es wunderbar, dafs er über die beiden Frauen, die im letzten Akte in den Vordergrund treten, die Gattin und Tochter des Helden, kein Wort verliert. Liegt hier eine bestimmte Absicht oder ein blofses Übersehen vor?

Schliefslich wünscht Goethe dem Dichter Glück, dafs er, von alten Regeln sich lossagend, auf der neuen Bahn ernst und ruhig fortgeschi'itten sei, dermafsen, dafs man nach seinem Werke gar wohl A\'ieder neue Regeln bilden könne. 'Wu* geben ihm auch das Zeugnis, dafs er im einzelnen mit Geist, Wahl und Genauigkeit verfahren, indem mr bei strenger Aufmerksamkeit, insofern dies einem Ausländer zu sagen erlaubt ist, weder ein Wort zu viel gefunden, noch irgend eines vermifst haben. Männ- licher Ernst und Klarheit walten stets zusammen, und wu* mögen daher seine Arbeit gern klassisch nennen.' Gleich hohes Lob läfst er auch der sprachlichen Form des Dramas zu teil werden, indem der herkömmliche elf silbige vei'so sciolto oder Jambus, wie ihn Goethe nicht ganz zutreffend nennt, durch abwechselnde Cäsuren dem freien Recitativ ganz ähnlich und noch durch das Übergreifen von Vers zu Vers, so dafs der eine mit Neben- worten ende, während der folgende mit dem Begriifsworte be- ginne, vielbedeutend werde. 'Ein grofser, mächtiger Gang des Vortrags \vird eingeleitet und jede epigrammatische Schärfe der Endfälle vermieden.' In einem 1820 in Mailand veröffent- lichten Verzeichnis der im Jahre 1819 auf der Halbinsel er- schienenen Bücher waren die Tragödien dieses Jahres m Bausch und Bogen als schwache Nachahmungen Alfierischer Dramen ver- urteilt; von dem Grafen von Carmagnola aber nur beiläufig in

Manzonis Graf von Carmagnola. 429

einer Note bemerkt, dafs er sich von diesem Fehler freigehalten und grofse Schönheiten habe, aber auch nicht ohne grol'se INIän- gel sei. Goethe tadelt diese beiläufige summarische Behandlung' aufs schärfste, stellt Manzoni hoch über den von dem italie- nischen Ki'itiker als unbedingtes Muster angenommenen Alfieri und fügt hinzu:

'AYäre es noch gegenwärtig mein Geschäft, der Ausbildung eines Theaters vorzustehen, so sollte Graf Carmagnola bei ims wohl aufgenommen sein, und wenn auch nicht als Liebling der Menge oft wiederholt, doch immer auf dem Repertorium als ein würdiges Männerstück in Ehren bleiben.'

Manzoni, in seiner Bescheidenheit ebenso überrascht wie er- freut dm'ch Goethes Urteil, schrieb diesem unter dem 23. Januar 1821 einen Brief, in dem er ilim seinen feiu-igsten Dank und seine grol'se Freude darüber ausspricht, dafs er, der Altmeister, ilm und seine Absichten vollkommen erkannt und die letzteren gebilligt habe, während er hn eigenen Lande entweder geradezu verhöhnt oder doch so verkannt und milsverstanden worden sei, dafs man das, was er für ganz nebensächlich halten müsse, über- mäl'sig gelobt, und was er mit vollster Absicht nach reiflichstem Xachdenken geschrieben habe, als Unachtsamkeit und Vernach- lässigung der bekanntesten dramatischen Regeln getadelt habe. Er sei zuletzt selbst imsicher über den Wert seines Stückes und die Richtigkeit seiner Principien geworden, bis nun die Worte des grofsen Meisters ihn von allen seinen Zweifeln befreit hätten. Betreffs jener Einteilung der Personen aber, die Goethe fiu- eine Konzession an sein Publikum gehalten hatte, fügt er hinzu: 'Ich muls Ilmen jedoch gestehen, dal's die Einteilung der Personen in ideale und gesclüchtliche ganz meine Schuld ist (e un fallo tutto mio), und daJs ein allzu gewissenhaftes Kleben (attacca- mento) an der historischen Genauigkeit daran schuld war, welche mich bewog, die wirklichen Menschen (gli nomlni della realtä) von denjenigen zu trennen, die ich ersonnen (immagitiatl) hatte, um eine Klasse, eine ^Meinung, ein Interesse zu vertreten.' In einer neuen Arbeit (der Tragödie Adelchi) habe er die Unter- scheidung schon beiseite gelassen.

' Über Kuust uu.l Altertum, Bd. IIT, Heft 1. 1821.

430 Manzonis Graf von Carmagnola.

Kurze Zeit, Dachdem er Manzonis Brief erhalten und seine Freude ausgedrückt hat, ^mit einem so liebewerten Manne in nähere Verbindung zu treten^, kommt Goethe noch einmal auf das Drama zurück,^ um den Dichter mit warmem Eifer gegen die AngriflPe eines Kritikers in der Quarterly Revieio vom Dezember 1820 in Schutz zu nehmen, der sich ziemlich gering- schätzig über das Stück ausgesprochen und dasselbe geradezu für unpoetisch erklärt hatte. Nachdem er den Engländer Punkt für Punkt widerlegt hat, giebt er doch schliefslich Manzoni den Rat, künftig nur Stoffe zu wählen, die an und für sich rülirend seien.

Wie das Urteil Goethes auf den Verfasser der Tragödie selbst die tiefe und anfeuernde Wirkung hervorbrachte, von der uns sein Brief an jenen Kunde giebt, so erregte dasselbe in den litterarischeu Kreisen Italiens wie anderswo grofses Aufsehen, lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Dichter und ver- anlalste vielfache Diskussionen in Zeitschriften und Broschüren. Besonders beachtenswert sind die Osserücizioni sul giudizio di Goethe von N. Tommaseo.-

An eine Aufserung Goethes anknüpfend, dafs der Total- eindruck des Grafen von Carmagnola ein zugleich ernster und mannigfaltiger sei, wie ihn immer die grofsen Gemälde der menschlichen Natur zurücklassen, weist er darauf hin, dals die modernen französischen und italienischen Klassiker besonders dadurch gesündigt und die Wirkung ihrer Werke selbst beein- trächtigt hätten, dals sie darin ein einziges Gefühl, eine allein dominierende Idee dargestellt hätten und dadurch unnatüi'lich und unwahr, unfähig, das -wirkliche Leben und den ^virklichen Menschen in seiner komplizierten Natur zu schildern, geworden wären. So sei bei Corneille der Stolz, bei Racine die Liebe, bei Voltaire die Philosophie (wie V. dieselbe verstand), bei Alfieri der Tyrannenhafs das allein hen'schende Princip. Infolge dessen habe sich ein feststehendes künstliches System ausgebildet: die Handhmgen, die Leidenschaften, die Ereignisse seien nach ge- wissen konventionellen unveränderlichen Grundsätzen beurteilt, welche, durch diese übertriebene Verallgemeinerung einseitig, ja

1 Über Kunst inid Altertum, Bd. III, Heft 3. 1821.

^ Opere di Alessandro Manzoui. Firenze 1828. I, 95—120-

Mauzouis Graf von Cannagiiola. 431

geradezu falsch geworden, notwendig seliädlich wirken ranisten. Zugleich sei dadurch elue unnatürliche und ermüdende Einförmig- keit in die dramatische Produktion gekommen, wie denn z. B. nach Manzonis zutreffender Bemerkung Raciues Andromaque seinem Bajazet aufs Haar gleiche, weil die Liebe das einzig bewegende Princip in beiden sei, obwohl hier mittelalterliche Türken, dort alte Griechen die handelnden Personen sind. Und indem alles von einem einzigen auf die Spitze getriebenen, alle anderen Rück- sichten absorbierenden Gefülile geleitet sei, mufste die Wirkung mit Notwendigkeit jene unmoralische werden, deren Rousseau und seine Gesinnungsgenossen die moderne Tragödie beschuldigen.

Ganz anders in unserem Drama. Hier kämen hauptsächlich zwei entgegengesetzte Elemente in Konflikt: der Stolz, das Un- abhängigkeitsgefühl und die Herrschematur des Grafen mit der eigensüchtigen, vorsichtigen, hinterhstigen und zugleich despoti- schen Politik der venetianischen Regierung. Der Held stelle sich dar als ein Mann von dem höchsten Streben und den reinsten Absichten; aber er täusche sich über sich selbst, wenn er sage imd meine, dafs der einzige Lohn, den er suche, die Achtung der venetianischen Regierung und jedes edlen Menschen sei, die er voll zu verdienen glaube: in erster Linie sei es vielmehr die Rachsucht gegen seinen undankbaren früheren Herrn und der gekränkte Stolz, welche ihn trieben, und zugleich der Ehrgeiz, eine hohe Rolle zu spielen, die geheime Hoffnung, vielleicht selbst dereinst ein Fürstentum zu gewinnen. Gerade das mache ihn ja, wie Goethe bemerke, zu einem echt tragischen Helden, dafs Gutes und Böses, Uneigennützigkeit und Selbstsucht sich in ihm und seinen Motiven vermischen, mehr als er selbst wisse und glaube.

Ist Tommaseo soweit mit Goethes Beurteihmg, die er als glänzendes Muster einer in die Tiefe gehenden wahren und un- parteiischen Kritik hinstellt, wesentlich einverstanden, so verwirft er dagegen entschieden den Satz, dais es für den Dichter keine historischen Personen gebe, sondern derselbe nur, um seine sitt- liche Welt darzustellen, gewissen Personen der Geschichte die Ehre erweise, ihren Namen seinen Geschöpfen zu leihen. Der italienische Kritiker erklärt es zunächst für einen LTtum des deutschen, wenn dieser meine, Manzonis Einteilung seiner Per- sonen in hiHtorischc und ideale sei in Rücksicht auf die Vor-

432 Manzonis Graf von Carmagnola.

urteile des Publikums geschehen: gerade im Gegenteile habe man bisher die vollständige Umformung der historischen Per- sonen und Ereignisse in der italienischen Litteratur nicht nur als erlaubt, sondern als notwendig angesehen. Er selbst sucht dagegen in eingehender Deduktion den Beweis ;5u liefern, da(s der Dichter entweder rein erfundene oder durchweg; historische Personen und Begebenheiten wählen müsse; im Gegenfalle laufe sein Werk auf eine Täuschung des Publikums und eine höchst bedenkliche Fälschung der Geschichte hinaus. Für uns ist die Frage längst entschieden. Hätte Tommaseo statt I^cines Phädra, Trissinos Sofonisba u. s. w. den Götz oder Egmont, den Wallen- stein oder Maria Stuart vor Augen und im Sinne gehabt, so würde sein Urteil wohl auch anders gelautet haben.

In einer im Journal des /Savants 1824 erschienenen inter- essanten Kritik des Conte di Carmagnola stellt der berühmte französische Akademiker Raynouard, früher selbst dramatischer Dichter, den Satz auf, dafs die Verletzung der Einheitsregeln es dem Dichter, dessen Werk er übrigens in Bezug auf den Ausdruck der Empfindungen wie den Glanz und die Echtheit des historischen Kolorits sehr hochstellt, unmöglich gemacht hätten, seinem Gegenstande das ganze dramatische Interesse zu verleihen, das derselbe in sich trage. Seine Beweisgründe dürf- ten allerdings auf den deutschen Leser mehr unterhaltend als überzeugend wirken. Stichhaltiger erscheint ein anderer Tadel. Gattin und Tochter des Helden, erst im letzten Akte auftretend, haben thatsächlich keinerlei Auteil an der Handlung des Stückes; sie dienen nur dazu, durch ihr Erscheinen das Mitgefühl und die Rührung des Zuschauers zu steigern, und durch den Gegen- satz ihrer leidenschaftlichen Klagen zu der ruhigen Fassung des Mannes dem letzteren ein stärkeres Relief zu geben. Wenn Raynouard meint, der Dichter hätte sie schon im ersten Akte einführen müssen, so läfst sich darüber streiten. Wohl aber darf man behaupten, dafs derselbe wohl gethan hätte, sie entweder in die Handlung selbst zu verflechten, oder, wenn ihm diese nicht dazu angethau schien, ganz aus dem Spiele zu lassen, statt sie da einzuführen, wo sie dem Zuschauer entweder kein tieferes Interesse mehr einzuflöi'sen vermögen, oder aber, indem sie seine Aufmerksamkeit von der Hauptperson ablenken und neue, mit

Mauzouis Graf vou Carmagnola. 433

dem ganzen Chai'akter des Dramas nicht harmonierende Empfin- dungen erregen, den grofsartigen Gesamteindruck nicht unwesent- Hch beeinträchtigen müssen. Der Grund, welcher von anderen Kritikern gegen das frühere Auftreten der Frauen ins Feld ge- fülu't wird, dais dasselbe im Widerspruch mit dem Charakter der Zeit gestanden haben würde, wo die Frauen von allem Eiu- flufs auf das Thun der Männer ausgeschlossen gewesen seien, beruht ebenfalls auf der bereits gekennzeichneten falschen Auf- fassung von historischer Treue in der dramatischen Dichtung.

Indem wir die anderen, meist ebenso obei-fläclilichen und verständnislosen wie übelwollenden Kritiken der Anhänger des alten Pseudo-Klassicismus, die zumal in Frankreich und Itahen zahlreich zu Tage traten, hier beiseite lassen, müssen wir noch diejenige Chauvets im Lycee francais^ erwähnen, weil Manzoni sich von seinem Freunde Fauriel bewegen lielis, in einem be- rühmt gewordenen, an 100 gedruckte Oktavseiten langen Briefe an den Autor derselben ^ eine Widerlegung zu schreiben. Der Brief, beiläufig sogar nach französischem Urteil ein Muster des Stiles, ist zugleich ebenso sehr ein Beweis der grofsen Bescheiden- heit seines Verfassers wie der merkwürdigen Objektivität, mit welcher derselbe sein eigenes Werk zu betrachten vemiochte, und seiner klaren Einsicht in die Grundsätze der di'amatischen Komposition; ja, er erweiterti sich endlich zu einer lichtvollen Auseinandersetzung des wahren Wesens der Dichtkunst selbst.

Chauvet hatte für die Notwendigkeit der Einheit von Ort und Zeit (oder, wie er sagt. Ort und Tag) statt des landläufigen Grundes der Wahrscheinlichkeit für den Zuschauer ihre enge und notwendige Verbindung mit der Einlicit der Handlung und der Stätigkeit der Chai'aktere hervorgehoben. Gegen diese Auf- fassung wendet sich nun Manzoni. Er weist zimächst nach, dals auch die Einheit der Handlimg in dem Wortsmne des Boileauscheu

Qu'en im lim, en uii jour, un seid fait accompli, Tienne jnsqii'ä la fm le theätre rempli

ein Unsinn sei, da es sich bei jedem Drama niclit um eine ein- zelne Thatsache, sondern nur um die Darstellung einer Reihe

' Bd. l\, S. Gl ff. * Lettre de M. ä M. C . . . sur l'unitc de temps et de Heu dans la tnujCdic. Werke I, 142 230.

Archiv f. 11. Sprachen. LXXXIV. 28

434 Manzouis f Jraf von Carmagnola.

unter sich verbundener Ereignisse liandelu könne. Der moderne Dichter müsse in der Geschichte denn auf diese l)eschränkt Manzoni die AVahl des Stoffes eine Reihe von Thatsachen suchen, die, in engem Zusammenhange untereinander, sicli um ein einzehies Ereignis, die sogenannte Katastrophe, grup[)ioren, zu dem sie sich als Mittel oder Hindernisse verhalten, das man aber nicht mit der Handlung selbst verwechseln düi'fe. Bei die- ser Auffassung aber sei es unmöglich, aus der Einheit der Hand- lung die Notwendigkeit oder auch nur die Zulässigkeit der bei- den anderen Einheiten zu deduzieren. Um Chauvets These zu widerlegen, dafs bereits im ersten Akte alle Personen vorgeführt, ihre Stellung und ilu-e Absichten charakterisiert werden müfsten, führt Mauzoni ihm die Person Hämons in der Autigone vor Augen, die erst in der Mitte des Stückes auftrete und zwar mit gutem Grmide, weil durch ein zu frühes Eintreten desselben in die Handlung das ganze Auftreten der Heldin abgeschwächt, entstellt und profaniert werden würde. Den Vorwurf, den Chauvet seiner Tragödie gemacht, dals zwischen dem dritten imd vierten Akte ein ganzer Feldzug liege, der es dem Zuschauer immöglich mache, dem Gange der Handlung genau zu folgen, erkennt Manzoni als berechtigt an, 'aber' fügt er hinzu 'die Schuld Hegt ein wenig am Gegenstande, in hohem Grade am Autor und gar nicht an dem System.' Ein genauer Ver- gleich der Motivierung des Eifersuchtsmordes in 'Othello' imd 'Zaire' bietet Manzoni Gelegenheit, die Überlegenheit des Shak- spereschen Stückes über das Voltairesche auch in dieser Beziehung zu zeigen und dabei den Nachweis zu liefern, dals dieselbe hier wenigstens teilweise darauf beruhe, dafs Voltaire durch die 'Ein- heit der Zeit' genötigt gewesen sei, seinen Helden nicht nach und nach, wie Shakspere, sondern durch ein einzelnes Faktum von der Untreue der Gattin zu überzeugen und zum Mörder zu machen. Nach Chauvet hätte der Graf von Carmagnola erst au dem Punkte beginnen sollen, wo der Held, vom Senate berufen, in Venedig zurückerwailet wird. 'Dann hätten 24 Stunden und eine einzige ürtlichkeit genügt und der Autor hätte Gelegenheit gehabt, seinen erfinderischen Genius zu zeigen, um die Peripetie des Dramas herzustellen und ein wahrer Schöpfer zu werden. Manzoni halte sich überzeugt: diese Grenzen überschreiten heilst

Mauzouis Graf vou Carmagnola. 435

nicht die Kunst erhöhen, sondern sie zur Kindheit zurückführen.' Manzoni weist nun, indem er einen litterarischen Essa}' seines Freundes und Gesinnungsgenossen Hermes Visconti über Macbeth zur Hilfe herbeizieht, nach, wie kleinlich und ärmlich und zu- gleich wie uuhistorisch und unwahrscheinlich die Handlung nach diesem Rezept geworden sein würde. Er beweist mit Citaten aus Corneilles Schriften, wie schmerzhch dieser den unnatürlichen Regelzwang empfunden, und wie sehr seine Stücke darimter ge- litten hätten (wie wenn er z. B. den König im Cid sagen läfst, Don Rodrigo möge sich doch nach seinem Kampfe gegen die Mauren erst 1 2 Stunden ausruhen, ehe er zu dem Zwei- kampfe mit Don Sancho schreite), und aus Shaksperes Richard II., wie unmöglich es sei, den Gang grofsartiger historischer Tra- gödien mit den beiden Regeln zu vereinbaren.

Dann setzt er seine eigene Auffassung der Aufgabe des dramatischen Dichters in klarer und bestimmter Weise ausein- ander. 'Das Wesen der Dichtkunst,' sagt er, 'besteht nicht darin, Thatsachen zu erfinden: diese Erfindung ist das Leichteste und Gewöhnlichste bei der geistigen Arbeit, was am wenigsten Nach- denken, ja sogar am wenigsten Phantasie erfordert. . . . Alle grofsen Denkmäler der Dichtung haben geschichtliche Ereignisse zur Grundlage oder doch, was hier auf dasselbe hinauskommt, solche, die einmal als geschichtlich aufgefaist worden sind.' Er zeigt nun, wie weit seiner Überzeugung nach der Dicliter bei einem historischen Stoffe im selbständigen Schaffen und Ertinden gehen dürfe und müsse, und verteidigt sodann nach den auf- gestellten Grundsätzen sein eigenes Verfahren im Carmixgnola. Er beweist, dal's er in allem Wesentlichen der geschichtlichen Wahrheit treu geblieben ist und nicht, wie sein Kritiker gewollt hätte, dem Grafen v(M-übergchend das Schicksal Venedigs in die Hand gegeben hat, um den Kampf zwischen Pflicht und Ehr- geiz in ihm aufs höchste zu steigern und den Sieg der erstereu um so glänzender leuchten zu lassen. Wir bemerken dabei, daCs Manzoni seinen Helden zwar stolz, störrisch und eigenwillig, aber edel und grolsherzig denkt, dafs er also sogar die Regungen der Rachsucht und des Ehi'geizcs, die doch in dem Stücke selbst sein Auftreten wenigstens n)it bestinnnc^n helfen, hier ganz bei- seite läl'st. F'rau imd Tochter sind ilun niu- da, 'um den Anteil

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4^G Manzonis Graf von Carmagnola.

von Glück und Leid zu empfangen, den ihnen der Mann geben Avird (fera), von dem sie abhängen'. Die ungUickhchen Ein- heiten sind, wie er schlagend nachweist, in erster Linie schuld daran, dafs man der Liebesleidenschaft einen so lier vorragenden Platz in der modernen Tragödie gegeben habe, weil dieselbe und ihre Folgen die geringste Schwierigkeit für eine rasche Ent- Avickelung an einem einzigen Orte darboten, dafs aber eben da- durch die komplizierten Motive der meuscliHchen Handlungen, die vielfachen Ereignisse fortwährend mehr oder weniger gefälscht Anu'den. In seinem Kampfe gegen den Regelzwaug geht er auch auf das Epos über, für welches man die unverbrüchlichen Vor- sclu'iften aus der Ilias herleiten wolle, wovon dann die natürliche Konsequenz sei, dais zwar das Befreite Jerusalem, die Lusiaden und die Henriade glücklich imtergebracht werden konnten, dals man sich aber trotz aller Anstrengung vergeblich bemüht habe, die Göttliche Komödie, den Rasenden Roland, das Verlorene Para- dies und die Messiade in das Gebäude dieser Theorie hineinzu- zwängen. Alan habe sich kläglich genug damit zu helfen gesucht, dafs dem Genius ersten Ranges wohl eine Verletzung der für die grofse Masse der Dichter geltenden Regeln gestattet sein könne. Es folgt nun ein historischer Nachweis, wie sich diese aber- gläubische Anbetung der mifsverstandenen aristotehschen Poetik durch d'Aubign<^, INIairet und Chapelain in Frankreich ein- gebürgert und vaQ noch Corneille sich nur mit gröfstem Wider- streben derselben gefügt habe, während sie in Italien gleichsam auf Treue und Glauben von den Franzosen übernommen worden sei. Die nun zuerst von ihm selbst nachdem jedoch in der letzten Zeit schon mehrfach thatsächliche Abweichmigen vor- gekommen waren auch theoretisch verfochtene Verwerfung des Regelzwanges habe in Italien einen heftigen Kampf ent- zündet, der aber schlieislich zum Siege der neuen Lehre führen müsse und werde. Er prophezeit und ^\\r Aussen, mit welchem Rechte , dals auch in Frankreich, wo diese Regeln zu einem Glaubensartikel geworden seien und mit fanatischer Hartnäckig- keit und Blindheit festgehalten würden, ihre Niederlage bevor- stehe, und dafs auch dort die Erkenntnis nicht mehr fern sei, wie unendlich dadurch die Dramen an Bedeutung und Wii'kung auf das Publikum gewinnen mülsten.

Manzuuis Graf von Carmagnola. 437

Wa« Goethe an unserem Trauerspiel so gefiel und ihm die- sen 'wahrhaften, klar auffassenden, innig durchdringenden, mensch- lich fülilenden, gemüthcheu' Dichter ^ so sympathisch machte, M'ar die grofsartige Einfachheit der Komposition, die einheitliche Durch- führung der Idee, die klare und dm-chgeführte Charakteristüc, die ruhige plastische Darstellung, die edle Sprache, einfach natürlich und doch voll vornehmer Würde und vom reinsten Wohlklange. 'Unsere guten deutschen Jünglinge könnten an ihm ein Beispiel sehen, wie man in einfacher Gröfse natürlich waltet/ - ]Mit Recht nennt er den Grafen von Carmagnola ein echtes Männerstück, und eben diese einfach edle Männlichkeit, der hohe Ernst, das strenge Mafshalten selbst im Ausdruck der Leidenschaft, das Verschmähen aller der beliebten Mittelcheu, um auf die Thränen- drüsen der Zuschauer zu wirken oder ihre Leidenschaften zu entflammen: alles das hefs ihn iu dem italienischen Dichter eine der eigenen wahlverwaudte Natur erkennen und dieselbe um so mehr bewundern, als Manzoni bereits als jüngerer Mann voll zu besitzen schien, was er sich erst durch jahrzehntelange innere Kämpfe erworben hatte. Aber wie Goethe dachte nicht die Mehrzalil der Zeitgenossen. Nicht nur, dafs das Stück von den Anhängern des Pseudo - Klassicismus in Italien und Frankreich aufs heftigste angegriffen wm-de : auch wohlwollende Beurteiler und solche, die über die Principien der dramatischen Kunst mit dem Dichter in der Hauptsache übereinstimmten, fanden mancherlei und Wesentliches daran zu tadeln. Die Abwesenheit der ge- wohnten, den meisten für unentbehrlich geltenden Liebcsintrigue, das Auftreten der Frauen erst im letzten Akte, wo sie keine rechte Teilnahme mehr zu erwecken vermögen und doch plötzlich ein rührendes Element iu die Tragödie bringen, das in schrotieni Gegensatze zu allem Vorhergehenden zu stehen scheint; jene eigentümliche lose Aneinanderreihung der Sccnen, die es dem Zuschauer schwer macht, sich in die nachfolgenden Situationen zu versetzen; der Mangel an dramatischer Zuspitzimg, an leben- dig bewegten Volksscenen, an rascher, erregter und erregender Wechselrede; jene vornehme Ruhe, welche, auch den Ausdruck

' Tages- und Jahresliefte , 1821. Werke, Hempelsche Ausgabe, Bd. XXVII, S. 275. ^ Ebenda S. 266 (1820).

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der Leideuscluift clänipfeiid, den Zuhörer uicht mit sich fortreiilsl, nicht die entsprechenden Empfindungen in iiun wie mit eineni elektrischen Schlage entzündet: das alles gab dem Stücke in den Augen der meisten etwas Allzukühles, zu Verständiges, zu lleflek- tiertes, dem die natürliche Inspiration, die siegreiche Genialität fehlte kurz, man vermifste jenes Element, 'das mit urkräftigem Behagen die Herzen aller Hörer zwingt'. Auch der deutsche Kritiker der Gegenwart kann bei aller Hochachtung für das Urteil Goethes nicht umhin, diese Ausstellungen wenigstens teil- weise berechtigt zu finden. Der theatralische Erfolg oder viel- mehr Mil'serfolg schien den Tadlern gleichfalls recht zu geben. Eine Aufführung in Mailand und zwei in Florenz mit einem mehr der Persönlichkeit des Dichters als seinem Werke gelten- den Achtungserfolge dann verschwand der Graf von Car- magnola wieder von der Bühne, um nicht wieder aufzutauchen. Auch im Auslande hat man sich unseres Wissens nirgends an die Darstellung herangewagt. Fauriels Idassische Übersetzung ist in Paris nie auf die Bretter gekommen, und es scheint uns mehr als zweifelhaft, ob, wenn Goethe noch in der Lage gewesen wäre, das Stück, wie er wünschte, in Weimar zur Aufführung zu brin- gen, der Erfolg ein gröfserer gewesen und das Stück auf den deutschen Brettern festen Fuls gefafst haben wüi'de. Und den- noch hat dasselbe den gröfsten Einflufs auf die dramatische I^itteratur Italiens geübt. Der Stoff Ereignisse und Personen aus der vaterländischen Geschichte ; der darin herrschende Geist Adel der Gesinnung und echte Humanität; die Behaudlungs- weise eine edle natürliche Rhetorik ohne allen gesuchten und übertriebenen Pomp der Sprache, ohne alles gespreizte Pathos: das alles hat auf die italienische Dramatik, selbst die der prin- cipiellen Gegner, reinigend und veredelnd gewirkt. Und während die herrlichen lyrischen Partien, die Chöre, in jedes gebildeten Italieners Munde und Gedächtnis sind, wird überhaupt vielleicht kein modernes Drama jenseit der Alpen so viel und mit solchem Interesse gelesen wie der Graf von Carmagnola und die Tra- gödie Adelchi, das einzige Schauspiel, welches ausserdem aus Manzonis Feder hervorgegangen ist.

Kassel. Otto Speyer.

Beurteilungen und kurze Anzeigen.

Englische Parlanieutsreden zur französisclieu Revolution, heraus- gegeben und erklärt von Dr. Perle, Oberlehrer am Real- gymnasium der Frankeschen Stiftungen in Halle a. S. Zweite Auflage. Halle a. S., Niemeyer, 1889. X und 126 S. 8. M. 1,50.

Neben den Werken der Historiker werden neuerdings vielfach die oratorischeu Leistungen der hervorragendsten französischen und englischen Kedner des 18. und l'J. Jahrhunderts in den Schulen gelesen. Nament- lich die Reden Mirabeaus sind eine Lieblingslektüre in den Berliner Schulen geworden. Mit noch gröfserem Rechte kann man die Reden der Staatsmänner Englands zur Zeit der französischen Revolution und kurz nach derselben zur Lektüre empfehlen, da sie in der Form vollendeter sind als die französischen und ein Teil des englischen Lebens und der englischen Geschichte sich in ihnen abspiegelt. Reden von Pitt dem iU- teren und Pitt dem Jüngeren sind in der französischen und englischen Schulbibliothek von Otto Dickmann herausgegeben und von Dr. Winckcl- mann (Leipzig 1883) für den Schulgebrauch erklärt. Dieselben Reden nebst je einer von Burke und Fox enthält das in der Sammlung von Pfundheller und Lücking zu Berlin 1886 erschienene Bäudchcn 'lOnglische Parlamentsredeu erklärt von Leo Türkheim'. Bereits die zweite Auflage liegt vor von den englischen Parlanieutsreden zur französischen Revolution von Dr. Perle als Heft 1 der Sammlung geschichtlicher Quellenschriften zur neusprachlichen Lektüre. Der Einwand mancher Pädagogen, dafs die Fülle von diplomatischen Wendungen und technischen Ausdrücken, welche in den politischen Reden enthalten seien, dem Schüler das Ver- ständnis erschwere, ist hinfällig, wenn eine gediegene und passende Aus- wahl getroflcu und das Material gesichtet wird. Dr. Perle ist den An- forderungen, welche die Schule in diesem Sinne zu stellen hat, gerecht geworden und hat in sein Buch nur das aufgenonuneu, was allgemeinen Inhalts ist und sich direkt auf das Thema, hier die Beurteilung der fran- zösischen Revolution und die Nützlichkeit oder Schädlichkeit der Koa- ütiuuskriege, bezieht. Statistische Angaben der Redner über die Handels-

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läge Englands und dergleichen sind gestrichen. Das Büchlein enthält eine Rede des jüngeren Pitt über die Vorbereitung Englands zum Kriege gegen Frankreich, eine Rede seines Gegners Fox über die Kriegführung gegen Frankreich, eine Rede Sheridans über die Sicherung Englands gegen äufsere und innere Gefahren, Pitts Gegenrede dazu, Pitts Verteidigung seiner Bündnispolitik im Jahre 1800 und zum Schlufs eine Rede Lord Liverpools über den Vorfrieden mit Frankreich 1801.

Von sprachlichen Anmerkungen, welche dieser Stoff mehr als jeder andere entbehren kann, hat der Herausgeber gänzlich abgesehen; er hat sich nur auf sachliche Erläuterungen beschränkt. Es war gewifs eine sehr schwierige Aufgabe, immer die richtigen Erklärungen zu den sehr dunklen Andeutungen und versteckten Anspielungen zu finden und die rhetorischen KunstgriflTe, welche die Redner anwenden, zu erraten, um so schwieriger, als dieselben geflissentlich mitunter Thatsachen verdrehten und es mit der Wahrheit nicht immer genau nahmen. Der Herausgeber hat sich dieser mifslichen Aufgabe mit Geschick und Sachkenntnis ent- ledigt. Die Erläuterungen nach dieser Seite hin könnten noch vermehrt werden. Eine Fortsetzung ausgewählter Reden ist wünschenswert.

Berlin. G. Völckerling.

Campbell, Gertrude of Wyoming, A Pennsylvanian Tale. Edited with Introduction and Notes by H. Macaulay Fitzgibbon. Oxford, Clarendon Press, 1889. IV n. 187 S. 8. Sh. 2.

Thomas Campbeils erzählendes Gedicht Oertride of Wyomiiig füllt nur S. 39 67: was also der Herausgeber hinzugefügt hat, nimmt bei weitem den gröfsten Teil des Buches ein. Den Anfang macht eine ziem- lich ausführliche Einleitung in drei Abschnitten, deren erster das Leben des Dichters darstellt (S. 1 24), während der zweite (S. 24 28) seine schriftstellerische Bedeutung würdigt und der dritte (S. 28 37) sich spe- ciell mit Gertrude of Wyoming beschäftigt und in dem nach meiner An- sicht richtigen Satze gipfelt (S. 37) : It is a seco'nd or third-rate -poem, co7i- taining a few first-rate things. Die Anmerkungen umfassen beinahe hun- dert Seiten (69 165). Dann kommen vier Appendices: A. Brief History of Wyoming (S. 167—173); B. Extract from Lafontaine' s Novel 'Biirneck utid Saldorf, von der nach Beatties unsicherer Vermutung Campbell die Anregung zu seinem Gedichte erhalten haben soll (S. 173 176); C. Letter to Camphell from Lord Jeffrey (S. 176 f.); D. Letter to thc Mohaivh Chief AJiyonivoeghs . . . from Tk. Campbell, den im Gedicht erwähnten Indianer- häuptling Brandt oder Braut betreffend (S. 178—186). Den Abschlufs bildet eine Early Bibliography of 'Gertrude Wyoming' (S. 187). Das Ge- dicht enthält manche Dunkelheiten, an denen teils die vom Dichter ge- wählte schwierige Spenserstrophe schuld ist, teils aber auch sein bestän- diges Nachbessern, von dem es in Jeffreys Brief (S. 177) heifst: You have hammered the mrtal in sonie places tili it 1ms lost all its ductility. So sind denn Anmerkungen, die den vom Dichter beabsichtigten Sinn klar legen,

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 441

vielfach wünschenswert. Dazu kommt, dafs auch sachliche Erläuterun- gen, die schon Campbell selbst öfter hinzugefügt hat, nicht zu entbehren sind. Hier hat aber Fitzgibbon ohne allen Zweifel des Guten zu viel gethan. Die Erwähnung eines Tieres oder einer Pflanze giebt ihm Anlafs zu langen naturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen. Da der Dichter 1, 8, 9 den Ätna in einem Gleichuis braucht, wird über diesen Vulkan alles mögliche zusammengebracht, u. a., dafs er 1722 zuerst vom Grafen D'Orville bestiegen worden ist. Durch das Streichen oder Kürzen solcher zum Verständnis des Gedichtes wenig oder nichts beitragenden Bemer- kungen würde der Umfang des Buches nicht unbeträchtlich verringert werden. Durchaus nicht am Platze sind ferner die ohne Princij^ ge- brachten Etymologien, die übrigens gelegentlich zeigen, dafs der Heraus- geber selbst auf diesem Gebiete nicht besonders zu Hause ist. So be- merkt er z. B. S. 74 zu 1, 2, 2, swain sei ae. sivdn und mit sicitican ver- wandt: in Wahrheit ist aber ne. stcain nicht sowohl ae. su-an, als viel- mehr altn. sveinn, und sicinean, dessen * aus älterem e eütstanden ist, hat, soviel man bisher beweisen kann, mit sicain nichts zu thun. Zu loben ist, dafs der Herausgeber auch auf minder gelungene Stellen, hol- perigen Rhythmus und mangelhafte Eeime aufmerksam macht. Wenn er aber die letzteren S. 26 dem had ear des Dichters zuschreibt, so scheint mir dies deswegen bedenklich, weil sich die meisten englischen Dichter ähnliche Freiheiten erlaubt haben und noch erlauben, wie Campbell. Auch geschieht Campbell insofern ein paarmal unrecht, als manche Reime ge- tadelt werden, die zwar nach der heute mafsgebenden Aussprache ungenau sind, für den Anfang dieses Jahrhunderts aber (das Gedicht ist 1809 er- schienen) durchaus nicht fehlerhaft waren. So behauptet der Heraus- geber S. 78 zu 1, 3, 7, 'retelry' hardly rhi/nie^ u-ith 'sce\ 'free', 'glec'. Walker aber, der die Hauptautorität ist für die Aussprache an der Grenze des 18. und 19. Jahrhunderts, sagt in § 182 seiner Principles of English Prominciation, die vor seinem Pronoiincitig Dictionary stehen: 'vanity', 'pleurisy', etc., if s(mml alone icere considtcrJ, might he irritteii 'i'a- nitee', 'pleurisec', etc. Manchmal verstehe ich den Tadel des Herausgebers nicht. Wenn er z. B. S. 79 zu 1,4,8 sagt: 'shook' is another bad rhymc, so weifs ich nicht, was er an der Bindung brook : shook : hook auszu- setzen hat.

Berlin. Julius Zupitza.

The Sketchbook von Washington Irving. Erster Band. Zweite Auflage (Weidmannsehe Saninüung französischer und eng- lischer Schriftsteller). Berlin 1889.' XlII u. 208 S. M. 1,50.

Direktor Pfundheller hat in der zweiten Auflage des ersten Teiles des Sketchhook, der bis zur Skizze über Wcstminster Ahbcy geht, einige Änderungen vorgenommen und namentlich das etymologische Element der Anmerkungen verkürzt. Er hätte noch radikaler zu Werke gehen sollen. Die Hinweise auf Grammatiken, welche früher, als der neusprach-

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liehe Unterrieht noch auf einer anderen Stufe stand, am Platze gewesen sein mögen, bleiben am besten ganz weg und dem Gutdünken der Lehrer überlassen, wofern nicht Eigentümlichkeiten, welche dem Schriftsteller an- haften, eine Erklärung notwendig machen. Es ist überflüssig, anzugeben, dafs Iivould 'ich {iflegte' heifseu kann. Sämtliche Grammatiken, auch die elementarsten, geben darüber Aufschluls. Ebenso können die P^tymologien fehlen, wenn nicht der Sinn einzelner Stellen durchaus eine Erläuterung bedarf. Anders ist es mit den sachlichen Erklärungen. Das Slcetclibook enthält viele Reminiscenzen und Anspielungen, welche der Erklärung be- dürfen. Überdies gilt Irvings Englisch bei den Engländern heute nicht mehr als modern-mustergültig; und die Sitten und Gebräuche im eng- lischen Leben, welche gerade dieser Schriftsteller so eingehend und humo- ristisch geschildert hat, sind in vielen Punkten schon von den heutigen verschieden. Nach dieser Richtung hin könnten also die Anmerkungen noch vermehrt werden. Übrigens hat der Herausgeber mit grofser Sorgfalt und Genauigkeit vieles erläutert, was mit Nutzen verwertet werden kann.

Dem Text sind eine Biographie Irvings und eine treffende Charak- teristik der Werke und des Wirkens des Autors vorausgeschickt.

Berlin. G. Völckerling.

The Bell of St. Paul's by Waltei* Besaut. In two Volurues. Leipzig, Tauchnitz, 1890 (Collectiou of British Aiithors, Vols. 2621 and 2622). 286 u. 280 S. kl. 8. M. 3,20.

Walter Besant gehört mit Recht zu den geschätztesten englischen Romanschriftstellern der Gegenwart. Nachdem er zuerst von 1871 an in Verbkidung mit James Rice eine Reihe von glänzenden Werken geschrie- ben (ich erinnere an Ready-Moncy Mortiboy, The Golden Butterfly, The Monis of Thelema, The Chaplaiti of the Fleet), setzte er seine Thätigkeit nach dem am 2tj. April 1882 erfolgten Tode seines Mitarbeiters selbständig mit nicht geringerem Erfolg fort. Ja, der erste Roman, den er allein ge- schrieben, AU Sorts mul CondiUons of Men (1882), hat eine Wirkung ganz eigener Art geübt. Hier ist nämlich von einem 'Volkspalaste' die Rede unter der armen Bevölkerung im Osten von London, wo der Arbeiter für geringes Geld Erholung für Geist und Herz finden sollte. Der Gedanke fiel auf fruchtbaren Boden : das erforderliche Geld wurde bald zusammen- gebracht, und seit 1887 ist der 'Volkspalast' vorhanden.

Auch das neue Werk wird mit grofsem Vergnügen gelesen werden. Es läfst eine Gegend Londons in poetischem Lichte erstrahlen, die jeder, der sie gesehen hat, trotz der Erinnerungen an die Dichter unter der Regierung der Königin Elisabeth und Jakobs I. zu den prosaischsten rechnen mufs. Der Roman spielt hauptsächlich in Bank Side südlich von der Themse. Der Verfasser behauptet (I, 80), dafs von hier aus einzig und allein eine wirklich gute Aussicht auf die Paulskathedrale zu haben sei: die langsamen und würdevollen Glocken schlage derselben verkünden den Bewohnern von Bank Side die Zeit (I, lUG). Das erklärt wohl den

Beurteilimgcn und kurze Anzeigen. 443

vom Verfasser gewählten Titel : doch wäre nach meiner Ansicht etwa Tlic Acadeuty of Bank Sich bezeichnender gewesen; denn alle Personen, die in dem Roman eine bedeutendere Rolle spielen, Avohnen in der früheren schon vom Vater ererbten Academy des berühmten Schulmonarchen Vicesimus Cottle oder sind doch wenigstens mit den Bewohnern derselben durch Verwandtschaft oder Freundschaft verbunden.

Der Inhalt ist sehr einfach. Eine Nichte des Mr. Vicesimus Cottle, Lucy Holford, deren Gatte, David Waller, es vom bankrotten SchifFs- bauer in Rotherhithe zum Ritter und Premierminister von Neusüdwales gebracht hat, giebt ihrem zum Vergnügen nach London reisenden Sohn, Laurence, den Auftrag, sich nach den Schicksalen ihrer Verwandten zu erkundigen, von denen sie seit etwa dreifsig Jahren nichts gehört. Es triflTt sich nun gerade, dafs er, ohne dafs er sich anfangs zu erkennen giebt, in der Academy bei dem Sohne von Vicesimus , Lucius Cottle, Wohnung findet und so bald alles ermittelt, w^as seine Mutter zu erfahren wünscht, dabei aber auch sein Herz verliert an Althea Indagine, die trotz der Machinationen eines von Dr. Luttrel adoptierten von Zigeunern ab- stammenden Bösewichts schliefslich die Seine wird. Da Laurence nach dreimonatlichem Aufenthalte im September 1887 nach seiner Heimat zu- rückkehrt, begleiten ihn nicht nur Althea und ihr Vater, sondern auch ein Teil seiner Verwandten.

Das Interesse au dem Roman beruht nicht sowohl auf der Handlung, als auf den Charakteren, in deren Zeichnung der Verfasser zum Teil echt Dickensschen Humor zeigt. Köstlich ist Lucius Cottle, der beständig seinen Vater, den Schulmeister, citiert, selbst aber, wie er sagt, dem höheren Zweige der Jurisprudenz angehört: von seiner Tochter erst erfährt Laurence, dafs er der Clerk eines Barrister ist. Nicht minder gelungen ist Lucius' verwitwete Schwester Cornelia, die nach dem vVusdrucke ihres Bruders in the Ghurch ist: sie ist pew-opener in der Kirche St. Leonard le Size. Eine zweite Schwester, Claudia, ist 'Prophetin' in einer religiösen Sekte. Weniger originell ist die nächste Generation, abgesehen etwa von Flavia Cottle (die Gelehrsamkeit der Ahnen lebt wenigstens noch in den Namen von Lucius' Kindern, Cassandra, Flavia, Sempronius, weiter), die auf die "25 Schilling in der Woche hin, welche sie als Telegraphistin ver- dient, aus Liebe und Bewunderung einen bettelarmen ungarischen Revo- lutionär heiratet, der, wie sie genau ausrechnet, nur 19 Jahre, 'J Monate imd 20 Tage älter ist als sie.

Aufserhalb des engeren Kreises der Academy sind besonders Althea und ihr Vater interessant. Althea lebt, bis sie Laurence kennen lernt, nur in dem London der Vergangenheit. Ihr Vater hat vor dreifsig Jahren einen Band Gedichte veröfl'cntlicht : die vernichtende Kritik, die diese er- fahren, hat ihn veranlal'st, sich ganz in die Verborgenheit zurückzuziehen. Da ihn aber Laurence aufsucht, glaubt er, es geschehe dies, weil sein Ruhm doch bis Australien gedrungen sei. Laurence benimmt ihm diesen Glauben nicht, ja, er nährt ihn, da er sieht, wie die Freude des Vaters ihre Wirkung auf die Tochter nicht verfehlt, so dafs er sogar einen

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Clement Indagines Gedichte lobenden Artikel schreibt, woltei or es so einzurichten weifs, dafs der Dichter glaubt, er stehe in der Safurflay Revie/r. So bekommt dieser Mut, sich vorläufig wenigstens die Aufsen- seite der Stätten wieder anzusehen, an denen er vor dreifsig Jahren mit gleichstrebenden Genossen verkehrt. Die Leute auf der Strafse rufen nun, da er vorübergeht, Tfie Poet: gerührt bezieht er das auf sich, ob- gleich ein Preisringer gemeint ist, dessen voraussichtlicher Sieg die Menge beschäftigt. Natürlich klärt ihn niemand auf.

Vortrefflich gezeichnet ist auch der Charakter des Halsabschneiders Joseph Mayes, der, weil er sich nicht darauf besinnen kann, dafs er vor acht Jahren seine Unterschrift unter das Testament seines damaligen Prinzipals gesetzt (das Testament ist gefälscht!), an Gehirnerweichung zu leiden glaubt und täglich sechs Guineas für elektrische Behandlung zahlt. Dagegen die Figur von Oliver Luttrell, eigentlich Sammy Stanley, scheint mir mehr ausgeklügelt als beobachtet. Auch zweifle ich an der Lebens- wahrheit des Charakters der unglücklichen Florry, der Schwester der Lady Waller.

Berlin. Julius Zupitza.

Blind Justice and "Who, being Dead, yet speaketh". By Helen Mathers (Mrs. Henry Reeves). Leipzig, Tauchnitz, 1890

r (CoUection of British Authors, Vol. 2623). 288 S. kl. 8. M. 1,60.

Dem Ansehen der Tauchnitzschen Sammlung hätte es nicht geschadet, wenn sie diese beiden Novellen nicht gebracht hätte. Der Inhalt der ersten ist wenig erquicklich, der Inhalt der zweiten geradezu widerwärtig, und es hätte einer weit gröfseren Erzählungskunst, als die Verfasserin ihr eigen nennen kann, bedurft, um ihn einem Leser, der mehr verlaugt als blofse Sensation, einigermafsen schmackhaft zu machen.

Blind Justice ist eine Kriminaluovelle. Seth Treloar kommt nach längerer Abwesenheit nach Trevenick, einem Dorfe in Cornwall, zurück. Seine Frau Judith, die, nachdem sie von ihm sieben Jahre lang nichts gehört, mit Stephen Croft eine zweite Ehe eingegangen ist, giebt dem plötzlich wieder aufgetauchten Seth ein Betäubungsmittel und schafft ihn dann in einen Keller, dessen Thür sie aber am nächsten Morgen offen läfst, da sie mit Stephen, wie längst beschlossen, sich auf den AVeg macht, ixm nach Amerika auszmvandern. Seth wird nach einigen Tagen tot ge- funden und bei der Sektion in seinen Eingeweiden Arsenik entdeckt. Der Verdacht, ihn umgebracht zu haben, fällt auf Judith, und die beiden Auswanderer werden zurückgebracht. Judith wird zum Tode verurteilt, aber, weil sie schwanger ist, die Vollziehung der Strafe verschoben. In der Zwischenzeit stellt sich heraus, dafs Seth sich in Steiermark das Arsenikessen angewöhnt hatte und nun infolge der plötzlichen Entziehung des Giftes gestorben ist, da Judith das Büchschen mit demselben, als es dem bewulstloseu Seth aus der Tasche gefallen, eingesteckt und mit-

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 445

genommen hatte. Judith hat ein totgeborenes Kind, wird begnadigt und schliefst mit Stephen jetzt eine gültige Ehe. Seltsame geographische und linguistische Kenntnisse verrät die Verfasserin, wenn sie Seth S. 6t an der Küste von Steiermark Schiifbrucli leiden läfst (vgl. Shaksperes böhmische Küste) und wiederholt von einer besonderen 'österreichischen' Sprache redet (z. B. S. 62 / had lired a good pari of my life in Vienna, and had almost as thorough a Imoivledge of Austrian as of English; S. 72 '^Miirdered?' barst from his Ups in Austrian).

Der Titel der zweiten Novelle ist mit geringer und, wie mir vor- kommt, mindestens überflüssiger Änderung dem Brief an die Hebräer entnommen, wo es 11, 4 heifst He, being dead, yet speaketh. Inhaltlich erinnert sie entfernt an den SchluTs der Erzählung 'Wer?' von Ida von Düriugsfeld (Neuer Deutscher Novellenschatz herausgeg. von P. Heyse und L. Laistner III, 1 ff.). Während hier durch einen unerklärten psy- chischen Vorgang die Seele des toten Nebenbuhlers auf den am Leben bleibenden übergeht und diese Seelenwanderung an dem Tode der un- glücklichen Frau schuld ist, die nicht weifs, wen sie geheiratet hat, wird in der englischen Novelle in den Körper des von seinem Nebenbuhler Jasper gemeuchelten Arthur das ganze Blut des Mörders durch Trans- fusion gebracht, und der so wieder zum Leben erweckte Arthur, der selbst manchmal glaubt, er sei Jasper, zeigt anfangs vollständig das Wesen des Toten und stirbt, sobald er das fremde Element in seinen Adern über- wunden, worauf seine Frau Ninga Arthurs längst von ihr geliebtem väter- lichem Freunde ihre Hand reicht. Dafs in die Novelle auch Übernatür- liches hineinspielt, macht sie mir nicht annehmbarer,

Berlin. Julius Zupitza.

Mouut Eden: a Romauce. By Florence Marryat. lu two Yols. Leipzig, Tauchnitz, 1890 (Collection of British Authors, Yols. 2624 aud 2625). 288 und 287 S. kl. 8. M. 3,20.

Die Verfasserin von Mount Eden, Mrs. Francis Lean, Captain Marryats Tochter, gehört zu den fruchtbarsten Romanschriftstellerinnen Englands: in der Tauclmitzschen Sammlung füllen ihre Werke, das vorliegende nüt eingeschlossen, bereits 76 Bände. Ich mufs aber gestelien, daCs Moaiit Eden das erste ist, was ich von ihr gelesen habe. Es handelt sich in dieser Erzählung um die Schicksale dreier Geschwisterkinder. Hugh Caryll, der einzige Sohn eines reichen Kaufmannes in Liverpool, läuft von Hause weg, um zur See zu gehen, und ertrinkt, wie man glaubt, in der Bucht von Callao. Sein Vater, Roger Caryll, nimmt nun seineu Netten William C!aryll in sein Geschäft mit der Absicht, sich in ihm seinen dereinstigen Erben heranzuziehen : allein dieser lälst sich \'er- nntreuungen, ja sogar eine Fälsi-hung zu schulden kommen, deren stral- rechtlichen Folgen er nur durch Flucht nach Amerika entgeht. Jetzt wen- det Roger Caryll seine Gunst Evelyn Rayue, der siebzehnjährigen Tochter seiner Schwester, zu: er zieht sich von den Geschäften zurück, lebt mit

446 Beurteilungen und kurze Anzeigen.

ihr auf seiner Besitzung Mount Eden in Hampshire und liintorlälst ihr. da er stirbt, sein Vermögen als seiner nächsten Verwandten, falls niclit etwa sein verschollener Sohn wieder auftauchen sollte. Dieser ist in der Tliat nicht tot: er hört von dem Hinscheiden seines Vaters und über- nimmt unter dem Namen Captain l*hilip bei Evelyn das Amt eines laiid- agent. Einige Zeit darauf, zehn Jahre nach seiner Flucht, erscheint auch der frühere William Caryll als Jasper Lyle und zwar als Verlobter von Evelyns Freundin Agnes Featherstone. Evelyn erkennt ihn : ihre frühere Liebe für ihn erlischt jetzt vollständig. Nach anfänglicheni Schwanken, ob sie Agnes nicht über seine Vergangenheit aufklären mül'ste, beschlieCst sie zu schweigen, da sie sieht, wie das Herz ihrer Freundin an ihm hängt. Die Vermählung findet statt, und, da sich Agnes' Vater gleich darauf wegen vollständig zerrütteter Vermögensverhältnisse eine Kugel durch den Kopf jagt, nimmt Evelyn das junge Ehepaar bei sich auf. William findet so Gelegenheit, die Beweise seiner Verschuldung zu stehlen, und dies verleiht ihm den Mut, Evelyn ihre Erbschaft streitig zu machen. Natürlich giebt sich jetzt Hugh, der Evelyn vom ersten Augenblick an geliebt hat, als rechtmäfsigen Erben zu erkennen, und so behält Evelyn doch Mount Eden als seine Frau. William und Agnes leben fortan, von Evelyn und Hugh unterstützt, in Italien.

Mount Eden darf sich unter den heutigen Frauenromanen wohl sehen lassen : es ist weder langweilig noch irgendwie abstofsend ; freilich läfst die Motivierung gelegentlich zu wünschen. Wird auch durch seine Lek- türe kein besonderes ästhetisches Interesse befriedigt, so hat man docli immerhin eine angenehme Unterhaltung. Warum die Erzählung als Ro- mance bezeichnet wird, ist mir nicht klar; denn sie enthält nach meiner Ansicht keinen Zug, dem man nicht schon häufig in Novels begegnet ist oder wenigstens begegnen könnte.

Berlin. Julius Zupitza.

PIo Rajna, Le Corti d'Amore. Milauo, Ulrico Hoepli, 1890. XX, 100 S. 8. L. 3,50.

Das zierlich ausgestattete Bändchen giebt einen Vortrag wieder, der, ursprünglich für die gemischte Zuhörerschaft der Besucher der Turiuer Ausstellung von 1884 bestimmt, erst am 8. März 1888 vor dem Circolo filoloyico zu Mailand gehalten w^orden ist. Herrscht in dem Vortrage, wie es der erste Zweck mit sich brachte, der Ton witziger Plauderei, so sind die über den Gegenstand ausgesprochenen Gedanken darum nicht minder das Ergebnis ernster Forschung und gewissenhafter Überlegung, und die in der zweiten Hälfte des Büchleins hinzugefügten Anmerkungen setzen den Leser in stand, dem Gange der Untersuchung seinerseits zu folgen, und zeigen, dafs auch nach 1881 erschienene Beiträge zur Lösung der bezüglichen Fragen, wie das Buch von Trojel und dessen Besprechung durch G. Paris oder die in Deutschland erschienenen Arbeiten über die Tenzonen der Trobadors, nachträglich verwertet worden sind. Rajna stellt

BeiirteiluDgen und kurze Anzeigen. 447

das baldige Erscheinen weiterer zugehörender Früchte seiner Beschäftigung mit dem Gegenstände in Aussicht, Exkurse über Geremia da IVIontagnone, über die Zeit der Entstehung von des Kaplans Andreas Buche und über dessen Verbreitung in Italien, Arbeiten, von denen wir uns wertvolle Er- weiterung unserer Kenntnisse sicher versprechen dürfen. Im ersten Teile des Vortrags behandelt er das, wofür die Bezeichnung Corte d'Amore im Grunde einzig zutreffend ist, nämlich dichterische Darstellungen eines Hofhaltes oder eines Gerichtshofes der (männlich oder weiblich gedachten) Minnegottheit. Im zweiten zeigt er aufs neue, aber mit gerechtfertigter Abweichung von Diez in Einzelheiten, wie die durch J. de Nostredame aufgebrachte und noch in neuester Zeit nicht völlig verschwundene Mei- nung, als hätten zur Zeit der Trobadors förmliche weibliche Gerichtshöfe zur Schlichtung von Liebeshändeln bestanden, der Begründung entbehrt oder der Überlieferung widerspricht, während ein Hin- und Widerreden über spitzfindig ausgeheckte Streitfälle im Minneleben, ein Suchen und Finden von Urteilen in ausgedachten, vielleicht etwa auch in wirklichen Händeln als ein unterhaltendes Spiel höfischer Kreise nicht in Abrede zu stellen ist. A. T.

H. A. Schoetensack, Französisch-etymologisches Wörterbuch. Erste und zweite Abteilung. Heidelberg, Carl Winters Universitäts- buchhandlung, 1890. 384 S. 8.

Von dem nämlichen Verfasser ist 188?» ein 'Beitrag zu einer wissen- schaftlichen Grundlage für etymologische Untersuchungen auf dem i\e- biete der französischen Sprache', G2G S. 8, erschienen, den verschiedene Beurteiler (s. Archiv LXX, 455, Deutsche Litt.-Ztg. 188:'., I5U8, Litt.-Bl. f. germ. u. rom. Phil. 1883, 405) übereinstimmend als gänzlich wertlos bezeichnet haben. Über das neue Werk, dessen erste zwei Abteilungen von abätardir bis ()ülc reichen, das also dem früheren an Umfang min- destens gleichkommen wird, läfst sich Günstigeres nicht aussagen. Es gebricht dem Verfasser nach wie vor an jedem Anfang von Vorbereitung zu einer Arbeit, wie er sie unternommen hat. A. T.

Dr. O. Ulbrich, Rektor der 2. stüdt. Höheren Bürgerschule zu Berlin (Verlag von R. Gaertner f Hennann Heyfeldcrj, Berlin):

1. Elementarbuch der französischen Spi-achc für höhere Lehr- anstalten. 1887. VIH u. 210 S. M. 1,(30.

2. Schulgrammatik der französischen Sprache für h()here Lehranstalten. 1888. IV u. 220 S. M. 2.

3. Übungsbuch zum Übersetzen aus dem Deutschen in das Französische für die mittleren und oberen Klassen höherer Lehranstalten. 1889. IV u. 177 S. M. 1,G0.

1. Das Elemeutarbuch stellt die neuere Methode des fremdspracli- lichen Unterrichtes dar. Es bietet 50 Übungsstücke, welche von wenigen

418 Beurteilungeii und kurze Anzeigea.

Zeilen bis zum Umfang einer halben Seite allmählich heranwachsen und denselben (mit Ausnahme von 49) nicht überschreiten. Daran schliefst sich auf 62 Seiten eine kurzgefafste Formenlehre, in der das Unentbehr- lichste aus der Syntax seinen Platz an geeigneter Stelle findet. Darauf folgt das Wörterverzeichnis für die Übungsstücke. Den Schluls bildet ein alphabetisches Wörterverzeichnis, welches sowohl französisch - deutsch als deutsch - französisch gegeben wird.

Die 50 Übungsstücke schliefsen sich genau an die 50 Kapitel der Formenlehre an. Jedem Stück folgt, aus dem Inhalt desselben gewählt, eine gröfsere Anzahl von Übungssätzen, deren Beschlufs das Stück in freier deutscher Wiedergabe bildet. Nachdem das französische Stück in bekannter Weise zum sicheren Eigentum des Schülers gemacht und das entsprechende Kapitel der Grammatik gelernt ist, soll jener Übuugsstoff von dem Lehrer für die verschiedensten Übungen benutzt werden. Für solche, die von vornherein auf den mündlichen Gebrauch der Sprache hinarbeiten wollen, liefert ein französischer Anhang das Wichtigste aus der Interessensphäre des Anfängers (Schule, Stadt, Deutschland, Europa, Naturgeschichtliches, Familie, Wohnung, Mahlzeiten u. s. w.).

Die Grammatik berücksichtigt für die Aussprachelehre die phone- tischen Anschauungen in richtiger Beschränkung. Die Anordnung der Formenlehre sowie der Übungsstücke ergiebt sich aus dem allmählich wachsenden Bedürfnis des Gebrauches. Die Stoffe der Übungsstücke sind meist gut gewählt; einige abgegriffene Anekdoten mögen in den Kauf genommen werden.

Das ganze Buch macht einen sehr günstigen Eindruck und erscheint durchaus zweckgeeignet.

2. Die Schulgrammatik zerfällt in vier Teile. Der erste, Schrift und Aussprache, ist zum Nachschlagen bestimmt. Ihm ist eine kurze Vers- lehre, die jedoch alles Wissenswerte bietet, beigegeben. Teil 2, die Formen- lehre, schliefst sich in konzentrischer Erweiterung genau an das Elemeutar- buch an. An die Stelle der dort eingefügten syntaktischen Bemerkungen treten hier passende Beispiele, die im dritten Teil, der Syntax, zunehmen und den gröfsten Teil des Textes bilden. In der Syntax ist der Verfasser, wie er im Vorwort verspricht, überall bemüht gewesen, den kürzesten und verständlichsten Ausdruck zu wählen, indem er sich dabei an die neuerdings allgemein angenommenen Bezeichnungen hält (s. z. B. Die Lehre vom Tempus und Modus). Die gesamte Sjnitax umfafst 80 Seiten (gegen 64 S. Formenlehre).

Neu und dankenswert ist der Versuch, im \'ierten Teil eine kurze Stilistik zu geben (35 Seiten), die in zwei Kapiteln den Gebrauch der Wort- arten und Satzformen in der Weise bespricht, dafs vom Deutschen aus- gegangen wird. Das empfehlenswerte Buch erhält durch diesen Teil an- deren Büchern derselben Gattung gegenüber einen besonderen Wert.

?>. Das Übungsbuch enthält zunächst einige zusammenhängende Stücke zur Wiederholung der unregelmäfsigen Verba. Den Hauptinhalt bildet der Stofl' zur Einübung der Schulgrammatik, an die zehn Kapitel derselben

Beurteiluugeu und kurze Anzeigen. 449

angeschlossen ; ein kürzerer dritter Teil, vermischte Übungen zur Syntax und zur Stilistik, tritt hinzu.

Es werden meist zusammenhängende Stücke geboten ; den Anfang jedes Abschnittes bildet allerdings (Abschnitt 3 ausgenommen) das be- kannte IVIosaik von Sätzen des widersprechendsten Inhalts, das wir, da es lediglich auf Form abzielt und dem Denkprozefs Leben und Beweg- lichkeit raubt, dem Verfasser gern erlassen hätten, zumal es auch ohne- dem nicht an brauchbarem Stoffe fehlt (die einzelnen Sätze machen kaum ein Fünftel aus). Am Ende der meisten Abschnitte giebt der Verfasser ein Stück aus Le village von Feuillet, dessen wesentlicher Inhalt hier- durch bekannt wird. Mit der Wahl der übrigen Stücke wird man sich einverstanden erklären dürfen. Doch ist es dem Verfasser nicht überall gelungen, den deutschen Stil von gewissen Eigentümlichkeiten des fran- zrisischen Originals zu befreien. So dürfte der allerdings echt französische reichliche Tempuswechsel gleich in dem ersten Stück schwerlich als Vor- bild für deutsche Arbeiten gelten. Ausdrücke wie: 'Sie erzählt eine Anekdote über üiren Vater'; 'Sollte er uns etAvas langweilen'; 'Was sie noch mehr überraschen wird, ist, dafs' u. s. w. ; 'Der stellt alles auf den Kopf, der Barbar da!' und ähnliche sind nicht deutsch.

Hiervon abgesehen liefert auch dieses Buch ein überaus schätzens- wertes, den weitestgehenden Anforderungen genügendes Material.

Alle drei Bücher des Verfassers bilden ein wohlabgerundetes, in sich geschlossenes Ganzes, von dessen Verwertung sich die höhereu Lehr- anstalten, hinreichende Zeit vorausgesetzt, den besten Erfolg versprechen dürfen.

Berlin. Fr. Bach mann.

Lehr- und Lesebuch der französischen Sprache von Dr. Eugen Wolter, ord. Lehrer an der 1. städt. Höheren Bürgerscliule und Lehrer an der Fortbildungsanstalt im Friedrichs -Gym- nasium zu Berlin. Zwei Teile, der erste Teil in zweiter, verbesserter und vermehrter Auflage. Berlin, K. Gaertner, 1889. 246 S. und X, 510 S.

Im Gegensatz zu den für Gymnasien und Eealgymnasien bestimmten Büchern, deren Zahl der Verfasser nicht zu vermehren wünscht, ist das vorliegende Werk ausschliefslich für Fortbildungs-, Handels- und Real- schulen bestimmt. Fällt somit das Hauptgewicht auf zeitige Erlernung des mündlichen Gebrauches der Fremdsprache, und zwar in möglichst vielen praktischen Lebensbezichungen, so folgt daraus eine wesentliche Abweichung des Buches von anderen in Form und Inhalt. Der letztere ist den Gebieten der Geschichte, Naturkunde, der Erfinduugeu, dos Han- dels und Gewerbes jeder Art entlehnt. Kleinere Briefe und V<nschriften zu ihrer Anfertigung finden sich bereits im ersten Teil, während der zweite der Handelskorrespondenz einen breitereu Raum gewährt.

Jeder der beiden Teile besteht aus drei gesonderten Stücken: einem

Archiv f. n. Si>iaclien. LXXXIV'. 29

450 Beurteilungen und kiirzc Anzeigen.

Übungsbuch, einem Lesebuch und einer Grammatik. Den Hchlufs bildet ein Vokabularium für die Übungsstücke, woran sich ein alphabetisches französisch-deutsches Wörterverzeichnis anschliefst, welches im ersten Teil für das Lesebuch ausreicht, während das Lesebuch des zweiten Teiles den Gebrauch eines Wörterbuches voraussetzt.

Das Übungsbuch des ersten, auf drei Klassenstufen berechneten Teiles besteht aus 47 Abschnitten. Jeder derselben beginnt mit kurzen gramma- tischen Erörterungen; es folgen franz()sische, von Abschnitt 7 an auch deutsche Übungsstücke. P^rstere nehmen mit Abschnitt 9 zusammen- hängende Form an; mit Abschnitt lo beginnen die exercices orales, die bereits auf einen freieren Gebrauch der augeeigneten Sprachformen ab- zielen. Der Stoff" ist hier, wie im Lesebuch, in beiden Teilen geschickt gewählt; die unvermeidlichen Anekdoten sind in dankenswerterweise auf das geringste Mals beschränkt worden.

Die Grammatik nimmt hier, wie im zweiten Teile, von der Phonetik Abstand und überläfst diesen Teil der Arbeit dem Lehrer; einige Andeu- tungen für diesen wären wohl am Platze gewesen. Der grammatische Stoff wird nach den Wortarten, vom Verbum ausgehend, geordnet. Die Scheidung zwischen Formenlehre und Syntax unterbleibt in beiden Teilen ; es ergiebt sich hieraus eine sehr erwünschte Kürze der Darstellung, nie denn der Verfasser sich bemüht hat, allen grammatischen Erörterungen eine möglichst knappe und bestimmte Form zu geben und dafür, beson- ders im zweiten Teil, ein möglichst umfangreiches Material an Beispielen zu bieten. Das Übungsbuch des zweiten Teiles (der Oberstufe) zeigt in 70 Abschnitten im wesentlichen dieselbe Gestalt, wie das des elementaren Teiles. Gröfsere Originalstücke beginnen ; es folgen grammatische Notizen, wiederholend und erweiternd, und sehr reichliche Übungssätze, die mit dem Inhalt des einleitenden Stückes in naheliegender Gedankenverbindung stehen. Das Lesebuch liefert wertvollen Stoff; Verkehr, Technisches u. s. w. kommen zu weiterer Entfaltung. Die Grammatik erweitert die elementare in bescheidenem Mafse und hält sich von rein wissenschaftlichen Enkte- rungen frei.

Das ganze Buch macht durchaus den Eindruck einer klaren und zielbewufsten Arbeit und ist für die vorausgesetzten Kreise sehr will- kommen zu heifsen.

Berlin. Fr. Bach mann.

Französisches Lesebuch, Erster Teil, für Quarta, Unter- und Obertertia der Gymnasien u. s. w. Mit einem Wörterbuch. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. Von Dr. Karl Meurer, Oberlehrer am Kgl. Friedrich- Wilhelms-Gymnasium zu Köln. Leipzig, bei Fues. XII u. 204 S. M. 1,60.

Der durch eine französische und englische Synonymik, sowie durch Schulausgaben englischer Klassiker, bekannte Verfasser hat den bisher nur für Quarta und Untertertia bestimmten ersten Teil seines franzö-

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 451

sischen Lesebuches in der vorliegenden zweiten Auflage für Obertertia erweitert, indem er den sechs Abteilungen (Anekdoten, Fabeln und Er- zählungen ; Mythologie und Sagen des Altertums ; Geschichte und Lebens- beschreibungen; geographische Bilder; Naturkunde; Gedichte) unter Num- mer V eine neue hinzufügte: 'Frankreich, Land, Leute und Geschichte.' Sie umfafst 24 Originalstücke, die in geschickter Auswahl und Folge ihrem Zwecke durchaus entsprechen. Auch von allen übrigen Abteilungen läfst sich das Gleiche sagen, selbst von den Anekdoten, unter denen wir mit Vergnügen diejenigen vermissen, die uns in den Chrestomathien aller Sprachen begegnen, aus einem Lesebuch in das andere überzugehen pflegen und durch ihre Abgegriffenheit, so oft man ihnen von neuem be- gegnet, Verdrufs erwecken.

Das Buch liefert mithin den Klassen, für die es bestimmt ist, einen durchaus würdigen Stoft' und darf aus voller Überzeugung empfohlen werden.

Berlin. Fr. Bachmann.

Französisches Lesebuch für die unteren und mittleren Klassen der Gymnasien und höheren Bürgerschulen. Mit einem aus- führhchen erkLärenden Wörterbuche von Dr. L. Süpfle. Neunte Auflage, verbessert und vermehrt von Dr. A. Mauron. Heidel- berg, Groos, XXIV u. 383 S. M. 3,10. Das in erster Auflage 1852 erschienene Buch ist 1870 in achter Auf- lage von A. Mauron herausgegeben worden. Während diese Auflage von den früheren durch bedeutende Vermehrung des Stoffes und mancherlei Berichtigungen wesentlich abwich, ist in der vorliegenden neunten Auf- lage nur auf tadellose Korrektheit des Textes hingewirkt worden, sowie zu den Autorennamen die Zahlen des Geburts- und Todesjahres hinzu- getreten sind.

Das Buch bietet zuerst eine Reihe von brauchbaren Vorübungen über die Formenlehre nach Art der älteren Übungsbücher; Anekdoten und Charakterzüge, Fabeln und Parabeln, Erzählungen, Stoße aus der Ge- schichte und der Naturkunde, Briefe und Dialoge, denen sich sechs kleine Theaterstücke auschliefsen (worunter altbekannte von Berquin), bilden den prosaischen Inhalt. Der poetische Teil umfafst 4?> gut gewählte Stücke. Das Wörterbuch ist sehr sorgfältig ausgearbeitet. Auch in der neuen Auflage wird das Buch sich seine alten Freunde zu erhalten und neue zu gewinnen wissen.

Berlin. Fr. Bachmauu.

R. Wilcke, Materialien zum Übersetzen aus dem Deutscheu ius

Französische. Zweite sorgfältig durchgesehene Auflage von

A. Klapp. Berlin, Weidmann, 1890. VIII u. 142 S. 8.

Da der Bearbeiter in seinem Vorworte sagt, dal's er sich bemüht

habe, den Text, welcher der französischen Wendung zuliebe manchen

29*

452 Beurteilungen und kurze Anzeigen.

undeutschen Ausdruck uud üftcr falsche Stellungen enthielt, in ein mög- lichst gutes deutsches Gewand einzukleiden, so bedauert der Referent, dafs er die erste Auflage des Buches mit der zweiten nicht hat ver- gleichen köuueu, um zu sehen, inwieweit der Bearbeiter dieses Bemühen ausgeführt hat.

Abgesehen davon , dafs die Bearbeitung recht viele überflüssige Fremdwörter enthält, z. B. itispirierte (S. 6), Proscripticnisliste (S. 7), Dokument und Argumente (S. 8), inthronisieren (S. 25), Protektion (S. 39) u. s. w., ist die Sprache, in welche die Stücke übersetzt sind, kein Deutsch. Wie soll ein Schüler jemals seine Muttersprache richtig schrei- ben lernen, wenn er sieht, dafs seine Schulbücher überall undeutsche Wendungen enthalten, und dafs seiner Muttersprache Gewalt angethan wird? Daher sollten Stücke, die aus einer fremden Sprache in das Deutsche übertragen sind, um von Schülern wieder zurückübersetzt zu werden, sorgfältig ausgewählt oder überarbeitet werden, damit sie nicht Stellen enthalten, die dem ursprünglichen Wortlaute zuliebe in einem Deutsch erscheinen, das von niemand geschrieben oder gesi^rochen wird. Was soll man zu einer Satzstellung sagen, wie sie auf S. 1 vorkommt: Weil sie, u-enn sie . . .? Es ist nicht Deutsch, was auf S. 3 steht : Das (jrofse Verdienst Homers ist, nach Voltaire, ein erhabener Maler gewesen 'xu sein, oder weiter: Wenn er den Gürtel der Venus beschreibt, so gieht es kein Gemälde des Malens, das sieh dieser lachenden Schilderung nähert; oder: Li einen Käfig icerfen (S. 4); Das sind Motive, ein erstes VerbrccI/en zu rcrmuten (S. 9) ; Den Enthusiasmus ausstreuen (S. 25) ; Hierauf fing die sonderbare Debatte der Knechtschaß und der Heuchelei an (S. 8); Die Sehicierigkcit der Franzosen, so achtungsiverte Namen auszusprechen (S. 39). (janz besonders reich an solchen Wendungen ist Stück QQ (S. 90) z. B. Wo er, so gut als man es in diesem Schlosse sein kann, logiert tnirde, und Er fand Gefallen an einer Wäsche von aufscrordentlichcr Feinheit u. a. m. Verstöfse gegen die Zeiten der indirekten Rede kommen fortwährend vor, so dafs in demselben Satze (S, 91) wäre und habe ruhig nebeneinander stehen.

Auch der französische Ausdruck ist nicht immer richtig verstanden. S. 26 ist proposer nicht mit vorschlagen , sondern anbieten zu übersetzen. Das Konditionen (S. 39) aurait heifst nicht haben icürde, sondern be- kf/inmen sollte. Statt 'Ausdrücke, die den Schriftstellern vertraulich sind', soll es wohl rertraiä heifsen. Agent (S. 9) ist kein Handlanger (bei einem Morde!), sondern Helfershelfer u. a. m.

Wenn der Bearbeiter hofft, 'dafs das Buch in seiner neuen Gestalt den an ein für die Oberklassen der Gymnasien und Realgymnasien be- stimmtes Übungsbuch zu stellenden Anforderungen nunmehr entspreche', so bedauert der Referent, diese Meinung nicht teilen zu können. Es wird einer sehr sorgfältigen Umarbeitung bedürfen, um es diesem Zwecke dienstbar zu machen.

Berlin. Ad. Müller.

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 453

Frauzösische Briefe, zum Rückübersetzen aus dem Deutschen ins Französische bearbeitet von H. Breitinger, Professor an der Universität Zürich. Dritte durchgesehene Auflage. Zürich, bei Fr. Schultheis, 1889. 112 S. M. 1,40.

Das Buch enthält 7U Originalbriefe, darunter Briefe von Friedrich dem Grofsen, Napoleon, Frau von Stael, Victor Hugo, Beranger und George Sand, ferner It fingierte Briefe, von denen sich neun auf das Leben im Gymnasium beziehen, und zuletzt französische Briefschlü.sse (respektvolle, vertrauliche, gemessene und eine grölsere Anzahl Original- Schlüsse).

Wie es bei der Übersetzung aus den fremden Sprachen längst ober- ster Grundsatz ist, das beste Deutsch zu Tage zu fördern, so sollten auch die zur Übersetzung in die fremde Sprache dienenden Stoffe ein durch- aus einwandfreies Deutsch bieten. Dieser Anforderung genügt das Buch nicht, wie auf jeder Seite hervortritt. Wir finden z. B. folgende Wen- dungen: 'Guten Tag imd gutes Jahr, mein Herr, und alles, was drauf folgt (tmit ce qui s'ensuü)' ; 'Hier folgt die Geschichte'; 'Es fassen mich ^Momente einer so tiefen ^Melancholie an, dafs ich den Tod zu empfangen bereit bin', statt etwa: 'Zu Zeiten ergreift mich eine so tiefe Melancholie, dafs ich am liebsten sterben möchte' ; 'Ich betrachte mich als ein Hinder- nis für jedes Glück meiner Kinder'; 'Hier meine Reise'; 'Meine Frau kommt nach' (soll heifsen : 'Kommt später an die Eeihe') und zahlreiches Ahnliche.

Für den Gymnasiasten, dem das Buch vorzugsweise bestimmt sein dürfte, liegt im lateinischen Stil schon eine grofse Gefahr zur IMifshand- lung der Muttersprache, die zu vermehren die Lehrer der lebenden frem- den Sprachen sich wohl hüten sollten. Der deutsche Brief sollte ebenso natürlich klingen, wie der französische, aus dem er entstanden ist. Es ist durchaus verwerflich, die deutsche Ausdrucksweise so zu wählen, dafs die Auffindung der entsprechenden fremden erleichtert wird. Jede Sprache bleibe bei der ihr eigentümlichen Gepflogenheit; die Aufgabe des Lehrers, der die Rückübersetzung leitet, mag dadurch erschwert werden, lohnender aber ist sie jedenfalls.

Wenn daher auch der Stoff des Buches seinem Zwecke im ganzen entspricht, so vermögen wir aus dem angedeuteten Grunde vou seinem Gebrauche einen günstigen Erfolg nur bei grofser Vorsicht und vielen Verbesserungen von selten des Lehrers zu erwarten.

Berlin. F r. B a c h m a n n.

Dr. Emil Seelmauu, Bibliogra[)liic des altfranzösischen Rolands- liedes mit Berücksichtigung nahestehender Sprach- und Litte- raturdenkmale. Heilbromi, Henuingor, 1888. XIU u. 113 S. 8.

Die ursprünglich als Neubearbeitung der 1877 in gleichem Verlage erschieneneu BihUoyraphie de la chanson de Roland par Joseph Baitquier

454 Beurteilungen iiiul kurze Anzeigen.

geplante Schrift ist ein völlig neues Werk geworden, das dem Verfasser als Romanisten wie als Bibliographen gleich viel Ehre macht. Die Anord- nung des Stoffes ist, was sehr zu billigen ist, systematisch-chronologisch; ein ausführlicher Index erleichtert die Benutzung des Buches erheblich. Wenn wir an der dankenswerten Leistung etwas auszusetzen haben, so ist es das Zuviel, das geboten wird. Seelmann führt nicht nur jedes auf das Rolandslied bezügliche, ihm mit seinen in seiner Stellung als Custos der Göttinger Bibliothek recht bedeutenden Hilfsmitteln irgend erreichbare litterarische Produkt auf: er nimmt auch Schriften auf, die nur gelegent- lich mehr oder weniger eingehend sich mit der Chanson de Roland be- fassen. Ja, er geht so weit, dafs er gewisse Arbeiten nur erwähnt, um dem über ein bestimmtes auf das Rolandslied bezügliches Thema Arbei- tenden die Mühe zu ersparen, sie anzusehen. Ein Beispiel genüge. S. Go liest man unter V. Grammatik, a. Lautlehre : ' * Waldner, E. : Die Quellen des parasitischen i im Altfranzösischen. In Archiv f. d. Stud. d. neuer. Spr. u. Litt. Bd. LXXVIII (1887) p. 421—56. S'^ [Ling. L-Z.]. Erschien auch als Diss. v. Freiburg i. B. [Sva.]: * Waldner, Eugen: Braun- schweig. Druck von George Westermann. 1887. 40 p. 8".' Dazu die Bemerkung: 'Führt unter den Beispielen nur sehr wenige Formen aus Rol. an.' Das geht doch wahrlich zu weit! Ich denke über die Pflichten des Bibliographen gewifs nicht gering, aber hier scheint mir der Kraftaufwand in keinem Verhältnis zu dem zu erhoffenden Erfolge zu stehen. Wer lautliche Untersuchungen über das altfranzösische Rolands- lied anstellen will, kann nicht verlangen, dafs er auf alles, was über diesen Gegenstand irgend einmal gelegentlich gesagt ist, aufmerksam ge- macht werde, ganz abgesehen davon, dafs ein solches Verlangen doch in vollem Umfange nicht zu erfüllen ist. Und wird sich andererseits ein gewissenhafter Forscher dadurch, dafs in einer Schrift über altfrau- zösische Lautverhältnisse im allgemeinen nur wenige Formen aus dem Roland angeführt werden, der Verpflichtung, sie zu studieren, überhoben glauben? Seelmann strebt hier nach einem Ziele, dessen Erreichung mir weder wünschenswert noch möglich scheint. Der Bibliograph des altfrauzösischen Rolandsliedes hat meiner Meinung nach nur die Pflicht, möglichst alle selbständigen Schriften und Aufsätze, in deren Titel aus- drücklich auf das Rolandslied Bezug genommen wird, zusammenzutragen und zu ordnen. Thut er in dieser Hinsicht ein Übriges, indem er, wie Seelmann, neben sorgfältigster Titelangabe auch auf Recensionen auf- merksam macht, oder bei einer Schrift: 'Franke, Bemerkungen zur chan- son de Roland' (Seelmann S. 48 49) ein Wort über den Inhalt sagt, oder gar bei nicht ganz leicht zugänglichen Schriften bemerkt, wo das Ange- führte etwa zu finden ist, so darf er um so wärmeren Dankes seitens derer, die sich Rats bei ihm erholen, gewifs sein.

Wenn sich die Verlagsfirma (jetzt 0. R. Reisland, Leipzig) nach einigen Jahren zu dem Opfer einer dann jedenfalls erforderlichen neuen Auflage entschliefsen sollte, so wird sich vielleicht aus prak- tischen Gründen für Scelmann von selbst die Notwendigkeit einer Be-

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 455

schränkung in dem angedeuteten Sinne ergeben. Referent würde sie mit Freude begriU'sen, obwohl er dann selbst aus der Bibliographie verschwände, in der er sich zu seinem nicht geringen Staunen ent- deckte.

Berlin. Alfred Schulze.

Aucassin und Nicolete. Neu nach der Haudsclirift mit Para- digmen und Glossar von Hermann Suchier. Dritte Auf- lage. Paderborn, Ferdinand Schöningh, 1889. X, 118 S., 1 Bl. 8.

Die neue Auflage des so manchem lieb gewordenen kleinen Buches zeigt gleich ihrer Vorgängerin an vielen Stellen die sorgsam bessernde Hand des um die Kenntnis altfranzösischen Schrifttums so verdienten Herausgebers. Der Text hat weniger durch die nochmalige Vergleichung mit der Handschrift als durch die Aufnahme einer Reihe von Besserungs- vorschlägen Toblers und (1. Paris' gewonnen, die Anmerkungen nehmen einen breiteren, obwohl noch immer bescheidenen Raum ein, und auch die Darstellung der Mundart, sowie das Glossar, weisen hier und da kleine Änderungen auf, die ihren Wert nicht mindern. Da es vermutlich auch bei der dritten Auflage sein Bewenden nicht haben wird, so seien hier die folgenden Bemerkungen gestattet.

Dafs 10, Ü 9 (Or ne quidtes voics qu'il j}ensast n'a blies n'a vaces '

Xcnil nicnt!) jetzt dem Vorschlage Toblers gemäfs nicht mehr als Frage, sondern als Aufforderung aufgefafst wird, ist sehr zu billigen; nur war die Änderung des vous in mies nicht erforderlich. Mir scheint die Stelle gleichartig mit 10, Gii Or m'afies vos, fait Aucassins, que, a nul jor que vos aies a vivre, ne porres inen iJere faire honte . . . que vos ne li fa- cies'^ Sire, por diu, fait il, ne nie yabcs mie . . ., wo freilich an dem Fragezeichen bisher niemand Austofs genommen hat, mir aber eine Frage ebensowenig am Platze scheint, wie an der ersten Stelle. 22, 11 wird Toblers Vorschlag (dem auch G. Paris beistimmt), savans für das hand- schriftliche savions zu lesen, nicht auf die Dauer abzulehnen sein, und auch dem weiteren Vorschlage Toblers, in os (22, 15) eine Frage zu sehen, wird sich hoffentlich eine spätere Auflage nicht verschliefsen. o3, (i scheint es mir keine Besserung, dais die dritte Auflage eck statt tele aufweist, zumal da die Handschrift beides zu lesen gestattet. Wegen des in diesem Verse begegnenden cscolc, das den Herausgeber in einer Anmerkung beschäftigt, sei noch auf Claris 961 Quant il öirent sa parole Qui dite estoit de bone escole und eb. 7710 Li rois enteilt ccstc parole, Bien set qu'ele est de bone escole verwiesen; auch Claris 3t! Nus de leecc ne parole, Tristci-e les ticnt a cseole (beherrscht sie) ist in diesem Zusammenhang nicht uninteressant. Im Glossar wird faini, noch immer als männlich bezeichnet, arrjoit verweist auf nicht vorkom- mendes ardre.

Berlin. Alfred Schulze.

456 Beurteilungen und kurze Anzeigen,

A. Tobler, Predigten des h. Bernhard in altfrauzösischer Über- iragung. Sitzungsbcriclitc der königl. preufs. Akademie der Wissenschaften zu Berhn. 1889. Nr. XIX. 18 S. 4.

Unter den Schätzen der von der Berliner Kgl. Bibliothek erworbenen Meermanscbeu Handschriftensammlung fand Tobler auch einen für den romanischen Philologen höchst bemerkenswerten Band. Die Nr. 192.') der Sammlung bezeichnet ein Buch von mittlerem Quartformat, welches auf 211 Pergamentblättern 13 altfranzösische Predigten enthält, die von Tobler sehr bald als Übertragungen lateinischer Origiual2)redigten des h. Bern- hard von Clairvaux erkannt wurden ; die Schrift gehört nach Tobler dem Übergange vom 12. zum 13. Jahrhundert an.

Das Interesse an der Handschrift ist natürlich in erster Linie ein rein philologisches. Wenn auch die genauere Umgrenzung des Dialektes der Übersetzung noch eingehender Untersuchung bedarf, so genügt doch schon eine oberflächliche Prüfung der von Tobler mitgeteilten Proben, um zu erkennen, dafs derselbe in den Osten Frankreichs zu verweisen ist, zu dessen mundartlicher Erforschung für so frühe Zeit die Quellen nur spärlich fliefsen. Interessant ist aber auch, dals es gerade Predigten sind, die uns in der Berliner Handschrift überkommen sind. Die homi- letische altfranzösische Litteratur ist, von dem Jonasfragmeut abgesehen, in der vor der Abfassung unserer Handschrift liegenden Zeit weder in Originalen noch in Übersetzungen vorhanden; erst das 13. Jahrhundert bietet spärliche Reste originaler Predigten, zu denen vielleicht in erster Linie die neuerdings von E. Pasquet in den Memoircs couronncs par VÄca- dcmie de Belyiquc t. 41 (1888) bekannt gemachten Sermons de carc.mc eii dialede nrillon gehören.

Die Berliner Handschrift ergäuzt die bekannte Pariser, welche Förster im zweiten Bande der Romanischen Forschungen herausgegeben hat, in überaus erwünschter Weise, da die in der Pariser Handschrift au letzter Stelle stehende fragmentarische Predigt sich in der Berliner (als Nr. .3) vollständig vorfindet. Im übrigen sind noch die Nrr. 1, 2 und 29 der Berliner mit den Nrr. 43, 44 und 40 der Pariser Handschrift identisch, nur dafs sonderbarerweise die Übereinstimmung von Berl. Hs. Nr. 29 und Pariser Hs. Nr. 40 sich nur auf die Vorlage, nicht aber, wie bei den übrigen, auch auf den Wortlaut der Übersetzung erstreckt.

Berlin. Alfred Schulze.

Li tornoiemenz Antecrit von Huon de Mery nach den Hand- schriften zu Paris, London und Oxford neu herausgegeben von Georg Wimmer. Marburg, Elwert, 1888. IV u. 172 S. 8. (Ausgaben und Abhandlungen aus dem Gebiete der roma- nischen Philologie. LXXVI).

Die vorliegende neue Ausgabe des zum erstenmal 1851 von Tarbe n<ich einer Pariser Handschrift bekannt gemachten Gedichtes des Huon de

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 457

Mery ist recht wenig befriedigend ausgefallen. Die Herstellung des Textes läfst Sorgfalt und Sachkenntnis in gleichem Mafse vermissen, und das beigefügte Glossar bestätigt durchaus das ungünstige Urteil, das der Text zu fällen nötigt. Mussafia hat in seiner Anzeige im Litteraturbl. f. germ. u. rom. Philol. 1888, 4Uo— 408 der Ungeheuerlichkeiten bereits eine grofse Zahl unter ihnen die schlimmsten hervorgehoben : doch bleibt noch immer eine Nachlese, die reich genug ist, um das Gesagte zu bekräftigen. .22 ff. Pour cc que mors est Crestiens De Troies, eil qui tant ot pris De troecr, ai hardenient j)ris [De] (lies Pour) )not a »tot meitre en escrit Le tournoieinent Antecrit. Das Glossar bietet luirdemeiU adv. kühn (24). 104 ff. En plus clere eve Orestiens Ne re^ut onques jor bautesme. Xe setnbla pas que ce fust cresme. Der Nachtrag zum Glossar sagt cresnie 106, Furcht. 114 ist, wie sehr oft, die Lesart von AD ganz ohne Grund durch eine weniger gute ersetzt. 203 ff. lauten bei Winimer Taut ont cliante en lour latin Li osciUon [qiie] plus matiii (hü fet lever [qu'ilj ne souloit, Le soleil, pour ce qu'il voloit Oir le chmü des oseillons. Lies Tant oseillon, qui (mit AD) plus matin Ont fet lever que (mit AD) ne soidoit Le soleil, pour etc., d. h. 'die Vöglein, welche die Sonne früher hatten aufstehen machen als sie zu thuu pflegte, weil sie (die Sonne)' etc. 272 ff. Mes qui est li sires qiü vient Apres toi . . .'? Jel te dirai, noii ferai non! Hinter dirai ist ein Fragezeichen, hinter ferai ein Komma zu setzen. 312 weifs der Herausgeber mit vie tooilliee nichts anzufangen. Er vergl. Försters Anm. zum Löwenritter 1170. 289 ... qu'en la palu d'enfcr P,e<}ui regeneracion, 1. Regui je gene- racion, wie vermutlich auch einige Hss. lesen, da nach der varia lectio regeneracion nur in A steht. 520 Lors veisiex, issir arniee. De la citc la haronnie; das Komma hinter arniee ist natürlich zu streichen. Im Glossar liest man: armee, 520, Heer. 708 hat der Herausgeber die gut altfran- zösische in AD überlieferte Wortstellung zum Schaden des Textes und ohne jeden Grund geändert, wenn er statt Et molt se rest bien avanciee Haine schreibt Et molt bien se rest avanciee; ebenso 21G1. 894 ff. De tiex armes, de tel eseu Que mts a son ctd ne le pende [Diex] tons bons Crestiens deffendc ; dafs der Herausgeber den Vers 895 in Gedankenstriche setzt, beweist, dafs er die Konstruktion nicht verstanden hat. 934 ff. Oangains, qui fti filr^ le roi Lot, jSTot pas taut abatu ne pris Chevaliers, com [ilj (sc. Omicides) a ocis Et tot sa;K forfet de sa mein. Mir scheint tot sanx forfet, obgleich nach Wimmer alle Hss. so lesen, unsinnig; ich lese tox, seus forfet. 996 ff. lauten bei Wimmer Glouternic [ot], qui vint les ambles, [Armes] de geules engoulees, Transglouties a granx, goidces etc. Ot hinter glouternie, das ich an dieser Stolle für uimiöglich halte, stützt sich nur auf O; ABC DL lesen übereinstimmend Glouternic qui rint etc. Und das scheint mir denn auch die richtige und recht wohl haltbare Lesart. Man hat in Vers !Mt6 ein Satzgefüge der Art zu sehen, von wel- cher in Toblers Beiträgen Abschnitt 36 die Rede ist; Armes de geules eng. ist absoluter Kas. obl. (Nehry, Gebrauch des absol. Kas. obl. S. 49). 1053 Diex n'aime gueres ses (viz. EornicacionJ acointes, Ne ne doit fere;

458 Beurteilungen uml kurze Anzeigen.

(Uant vi'cn pas. An Stelle von doit ist sicher mit A iloi zu lesen und hinter (tcointes wenigstens ein Semikolon zu setzen. 1778 ist statt Non! Nan.' zu lesen Non? Non! 1948 ist das Komma hinter aviscx zu streichen, ebenso 2015 hinter ce. Mit Bezug auf 18ü2 Et portoit son escu denieine bringt das Glossar die Belehrung 'dctncine eigenhändig' ; unter 'jnis negat. nicht' wird die Stelle angeführt N'a surgien . . . qui pas la (sc. la poison) seust contrcfcre. Druckfehler sind zahlreich.

Berlin. Alfred Schulze.

Arnold Krause, Bemerkungen zu den Gedichten des Baudouin und des Jean de Conde (Wissenschaftliche Beilage zum Progranuii des Friedrichs-Werderschen Gymnasiums zu Ber- lin). Berlin, R. Gaertners Verlagsbuchhandlung (Hermann Heyfelder), 1890. 32 S. 4.

Der Verfasser, der 1881 in der Festschrift zu der zweiten Säkular- feier des Friedrichs-Werderschen Gymnasiums nützliche Beiträge zur Be- richtigung des Textes von Adenets Cleomades hat erscheinen lassen, ist seitdem augenscheinlich den altfranzösischen Studien fleifsig und mit schönem Erfolge zugewandt geblieben. Er berichtigt in dem vorliegenden Programme zwar nicht auf Grund einer neuen Prüfung der Handschriften, die ohne Zweifel manches Wichtige ergeben würde, aber auf Grund be- dächtigen Studiums des gedruckten Textes und seiner Varianten eine lange Kelhe von Stellen der Ausgabe, welche Scheler 1867 von den Wer- ken der beiden Dichter aus Conde hat erscheinen lassen. Auch die Her- ausgeber selbst, Scheler wie sein Vorgänger vom Jahr 1860, würden, an weiterer Beschäftigung mit dem Altfranzösischen erstarkt, sicher heute manchen Fehler vermeiden, den sie vor dreiundzwanzig und vor dreifsig Jahren sich haben zu schulden kommen lassen, und manche Stelle ver- stehen, die ihnen damals dunkel blieb. Aber darum ist Herrn Krauses Berichtigung ihrer Arbeit nicht minder verdienstlich, und sie ist um so wärmeren Dankes wert, da gerade die Schelerschen Ausgaben um ihrer reichlichen Erläuterung, auch um ihres niedrigen Preises willen von An- fängern gern zur Hand genommen werden. Niemand sollte künftig die Gedichte der beiden Hennegauer mehr lesen, ohne die lehrreichen Bemer- kungen Krauses zu Eate zu ziehen, dessen sorgsame Erwägung des Ge- dankenzusammenhangs, Prüfung der Reimgewohnheiten, der vorkommen- den Hiate, Flexionsfehler u. dgl. der Sicherstellung des echten Textes und der Interpunktion so vielfach zu statten gekommen sind.

Bezüglich einiger Stellen erlaube ich mir meine von der des Ver- fassers abweichende Ansicht auszusprechen; eigene Vorschläge zur Besse- rung solcher, die durch Herrn Krause nicht zur Sprache gebracht sind, teile ich vielleicht ein andermal mit. Baudouin 50, 153 bedarf es keiner Änderung; die ist soviel wie di ie, gerade wie 209, 126 in Ci voi[s], mes ame aler n'i roie das letzte Wort, welches mit voie 'Weg' reimt, gleich voi ic 'seh ich' zu setzen ist, oder lo4, 80 doie keineswegs als ein dem

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 459

Reime zulieb an Stelle des Indikativs gesetzter Konjunktiv, sondern als doi ie zu gelten hat. Diese Auffassung der ersten Stelle ist schon in meinem Versbau ^ 125 ausges^irochen, wo man weitere Beispiele derartigen Reimes findet.

Im Beginne von XVI stimme ich der Auffassung Schelers für das c'est in Z. 8 und 10 bei; dagegen hätte der Herausgeber, wie mir scheint, besser gethan, nach Z. 2 einen Doppelpunkt, nach Z. 4 einen Punkt zu setzen, das Komma nach vis in Z. 5 zu tilgen. Dazu sei bemerkt, dafs est vis sich nicht allein mit Subjektssatz, sondern auch mit prädikativem Substantiv verbunden findet: Si lor iert vis merveille graut, Quant il orrunt de lor faiture, M. S. Mich. 3511.

Mifsverstanden scheint mir von Herrn Scheler und Herrn Krause (Progr. S. 9, Anm. 1) der Schlufs der Strophe 16(3 ff. Die Hds. B hat das richtige ravoias, und die letzten Zeilen sind zu schreiben de vier pesme en tout tempore, jjerissiens com noncalu De dieu qnant au port de salu, Notes ravoias a si douce ore. In quant hat man nicht quando, sondern quantum zu sehen: 'Von Gott, was den Rettungshafen angeht, vergessen.'

Bei seinem Vorschlag zur Besserung von 209, 119 läfst Herr Krause unerwogen, dafs altfranzösisch i so wenig wie ein tonloses Pronomen proklitisch zum Infinitiv tritt (es wäre denn ein prohibitiver). Den näm- lichen Fehler hat Scheler 218, S3 begangen. An beiden Stellen ist es leicht, i da unterzubringen, wo es einzig stehen darf. Das Gleiche gilt von Jean I 11, 361, wo Schelers von Krause gebilligter Vorschlag un- annehmbar ist.

229, 731 ist das Überlieferte tadellos. Neben dem gewöhnlichen eint a la matitiee trifft man auch Et cant ce vient la inatinee, Tr. Belg. I 2;'il, 171 ; vgl. quant ce vendra demain, Meon I 26!', 2167. Der Artikel aber ist hier vor viatinee ganz unentbehrlich.

Die für den Anfang des schlecht überlieferten Stückes XIX be- antragten Änderungen scheinen mir wohl entsprechend; doch würde ich für 233, 7, 8 le tienent tout (Nom. jilur.) a ruse (müfsiges Gerede), Ja n'cst (oder n'ert) si biaus dis, s'on trop l'use vorziehen. Der Zwischensatz, der mit Ja beginnt, ist einer jener negativen si oder tant enthaltenden, zu denen der negative Folgesatz zu ergänzen bleibt, s. Verm. Beitr. llo.

251, 282 wird durch die Schreibung Qu' i nc piiisscnt dem / eine Stelle angewiesen, die es imter keinen Umständen einnehmen darf. In der arg verunstalteten Strophe wird vor allem das moii< der 7. Zeile weichen müssen. Der mit 281 beginnende neue Satz wird etwa gelautet haben : Se en leur coiirs escondit sont, Qive n'i puissent droit recourrcr, oprcs nes doit nus blasmer, S'il sevent manicre trover Del leur querre; quo sage fönt (oder en fönt).

256, 331. Der verkannte Sinn der zweiten Hälfte der Strophe ist: 'Wenn der schlechter bediente (von den zwei Herren) wahrnimmt, dafs er (der Dienende) seine Sache nicht nach Rechte führt, soll man ihn dann nicht billig hassen? Gewifs, keiner sollte, da er einmal gegen das Recht

460 Beurteilungen und kurze Anzeigen.

verstofsen will, der Meinung sein, da« Recht dürfe ihm nicht Böses an- haben.'

2b9, 109. Auch diese Strophe ist von beiden Auslegern mifsdeutet. Nach Ntis n'l vunst faire vüonnie ist ein Punkt zu setzen und, was folgt, zu übersetzen : 'Übermut, Neid und Arglist, jedes (dieser Laster) hatte der ihm Ergebenen so wenig, dafs sie (diese Laster) keine Unterkunft fan- den ; Gebelust und höfischer Sinn hatten (dagegen) eine so wohl aus- gerüstete Kammer, dafs ihnen nichts abging.'

Die für 2r)9, 428 vorgeschlagene Änderung ist annehmbar. Dagegen ist die folgende Zeile nicht richtig aufgefafst; das taut ist nicht das mit 'noch so' zu übersetzende, von dem im Glossar meiner 'Mitteilungen' die Rede ist, und das den Konjunktiv allerdings verlangen würde; sondern weist auf den vorhergehenden Satz zurück, dessen Inhalt die Folge des Thuns ist, zu welchem taut die Mafsbestimmung giebt. Beispiele des Gebrauchs geben meine Verm. Beitr. 112: 'Eine Rede ist nicht so fein, dafs sie nicht Widerwillen hervorrufen könnte; so lang könnte man sie ausspinnen.'

Die S. 13 über 108, 37 gemachte Bemerkung wird hinfällig, wenn man a siervir zu einem Worte (assiervir in Knechtschaft geraten) ver- einigt.

305, 106O, wovon S. 14 die Rede ist, wird zu lesen sein Lors tarne la roe amont tant; dem tant, das auch zum Verbum der nächsten Zeile gehört, entspricht das Ix in Z. 1002.

320, 1409 ff. Der Zusammenhang der Gedanken ist von Herrn Krause durchaus richtig erkannt. Mit geringerer Änderung am Überlieferten, als er sie vorschlägt, schreibe ich: Primier demaiider me deuisses Se cn quel maniere seuisse. Dont ceste questions venist (Se jel sai) comment ü en ist: 'Zuerst hättest du mich fragen sollen, ob ich wisse in welcher Weise. Darauf wäre diese zweite Frage gekommen (wenn ich es denn wirklich wisse), wie er herausgelangt.' Dabei mufs ich allerdings an- nehmen, es sei das auslautende s von dcuisses für den Reim nicht in Be- tracht gekommen, wie denn für die Gleichstellung von es mit e in meinem Versbau ^ S. 110 Beispiele gesammelt sind. Hat der Dichter nicht auch 126, 186 den Plural rois, um üin mit dem Singular roi reimen zu lassen, um sein s gekürzt?

326, 1691. L. Soit escapes, par coi me die Conmicnt u. s. w.

327, 1717. Fast ohne Änderung am Handschriftlichen schreibe ich: Äins vois avant, tout auseme)it Com U avueulcs saus nieneur. Veiit de »loi faire ademoieiir Ma dame? dont je riens ne sai, De (;ou dmit me met en assai? Das zweite dont ist natürlich gleich donc.

Jean I 9, 266. Die in Vorschlag gebrachte Lesart verträgt sich nicht mit dem Sprachgebrauch, der si ('und') nur unmittelbar vor dem Verbum oder den zu diesem proklitischen Wörtern duldet.

86, 44 wird abermals eine Stellung von / für möglich gehalten, die in Frankreich zu keiner Zeit und an keinem Orte erlaubt gewesen ist.

Der richtige Ersatz für das mit cJiiertains 2id, 12 reimende chiertains,

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 461

wovon S. 23 die Rede, wird chitains 'Bürger' sein. Diese zweisilbige Form bieten auch Watriquet, 8. Juliane und andere Texte.

159, 58. Sicher ist Schelers Lesart abzuweisen; aber, was Krause dafür einführt, befriedigt nicht besser. Soll mau schreiben Car qtmnc avient, tot consent deusi Keinesfalls darf das Et. der nächsten Zeile mit *SV ver- tauscht werden.

269, 143. Man schreibe ohne alle Änderung: 'Qiddes tu c'avoir doie soingne De faire a t'ame sa besoingne? Kant n'en pensas, tant que vis fus, Je faiq de ti (nicht t'i, s. oben) aidier refi(s Au jour d'iii.' ensi en aviemt, Cid des amcs pctit sourient. Ein qu'i für ciii ist völlig sprachwidrig.

334, 997. P^ine Änderung thut nicht not; le laissent a cnvis heilst nicht allein 'sie lassen ihn wenn auch widerwillig', sondern auch 'es wird ihnen schwer, sie können sich nicht entschliefsen ihn zu lassen'.

350, 1517. Sa maisnie . . . Qu'il donna eongie braucht man nicht zu ändern. Von dem relativen Adverbium qtie, das an Stelle einer prä- positionaleu Verbindung mit dem relativen Pronomen treten kann, sind öfter Beispiele gegeben worden ; s. Verm. Beitr. 103.

352, 1595. Hier hat, glaube ich, Herr Krause des Dichters Absicht verkannt. Mir scheint, er wolle sagen: wenn einer grausamen Spröden gegenüber jede Arglist gestattet ist, die sie zu Falle bringen mag, so hat dagegen ein Ehrenmann die Pflicht^, eine wohlwollend gesinnte Frau oder ein wackeres Mädchen vor einem Schande bringenden Fehltritt zu be- wahren; wenn sie etwa eine Schwachheit anwandelt, so soll er sich be- zwingen.

II 98, 30. Der Konjunktiv tniisf, den ich vor Jahren vorgeschlagen habe, erscheint mir immer noch vollkommen gerechtfertigt. Es ist der- jenige, der regelmäfsig in einem Konditionalsatz eintritt, welcher eine zweite Bedingung als die neben einer ersten erfüllt zu denkende vorführt, genau entsprechend dem noch heute in gleichem Falle üblichen Konjunktiv, nur dal's jetzt der zweite Satz, ohne dafs darum seine Natur sich ändert, durch que eingeleitet zu werden pflegt. Dagegen vermag ich nicht zu er- kennen, was tenist retraction heifsen sollte.

Berlin. Adolf Tobler.

TiGS Prdcieuses ridicules von Moli^re. Für den Schule-ebrauch erklärt von Dr. P. Goldst^hniidt, Professor am Friedrichs- Gymuasium in Berlin. Mit einer Nachbildung der Carte de Tendre. Berlin, Springer, 1890. IV u. 75 S. 8. M. 1.

Jetzt, wo die für den Schulgebrauch bestimmten Ausgaben fast aus- schlielslich in den bekannten Sammlungen erscheinen, gehört eine ge- wisse Kühnheit dazu, auf solchen AnschluCs zu verzichten, um so mehr, wenn man bereits Vorgänger hat, die denselben Text für die Schule her- ausgegeben haben. Um unter so erschwerenden Umständen Aussicht auf Erfolg zu haben, mul's die zuletzt auftretende Nebenbnlderin gewis.se Vor- züge besitzen, die sie zum Kampfe nnis Dasein auf dem (Jebiete der

462 Beurteilungen und kurze Anzeigen.

Brauchbarkeit für den Unterricht besonders geeignet erscheinen lassen. Und das ist in der That der Fall. Das Vorwort und die zwei Einlei- tungen, die biographische über Moliere im allgemeinen und die litte- rarische über die FrcHoises ridiculcs im besonderen, geben in knapper Darstellung ein übersichtliches Bild von dem Lebensgauge des Dichters und den litterarischen Zuständen seiner Zeit ; die Anmerkungen beziehen sich fast ausschliefslich auf sachliche Schwierigkeiten, erschöpfen die- selben aber so vollkommen, dafs nichts, was der Erklärung bedürftig ist, unberührt bleibt. Es ist ein gut Stück französischer Kulturgeschichte, das dem Schüler liier in der anziehendsten Weise beigebracht wird. Jedenfalls hat sich der Herausgeber nichts entgehen lassen, was in den hervorragenderen der bisher erschienenen Ausgaben zur Erläuterung der zahlreichen sachlichen Schwierigkeiten des Stückes beigebracht worden ist. Die beigefügte Carte de Tendre nebst der unter Anm. 24 gegebenen Beschreibung aus dem ersten Bande der Clelie wird nicht blofs den Schü- lern Vergnügen bereiten.

In der Stelle S. 51, Z. 12 v. o. Ge sont fruits des veilles de la eour et des fatigues de la guerre haben sämtliche Ausgaben, auch die neueste von Vitu (Paris 1889), dieselbe Lesart, wodurch sie allerdings nicht weniger auffallend wird. Die Anmerkung 81 zu S. 54, Z. 1 v. u. : 'faire durchmachen, wie in faire wie maladk', pafst nicht, da faire in je me tronre mi peu incommode de la reine pnetique, poiir la qiiantite des saignees qtie j' y ai faites ces jours passes in der Grundbedeutung 'machen, anstellen, veranstalten' steht.*

Berlin. Fr. Bischoff.

Lamd-Fleury, Histoire de la d^couverte de FAm^rique, im Aus- zug herausgegeben und erklärt von Max Schmidt. (Bd. 42 der Dickmannschen Schulbibliothek.) Leipzig, Renger, 1888.

vin u. 112 s.

Wenige Stoffe dürften zu sprachlicher Verarbeitung in Tertia, teil- weise auch bei raschem Fortschreiten der Lektüre in Untersekunda ge- eigneter erscheinen, als eine gut geschriebene Geschichte der Entdeckungs- reisen, da ja beim geschichtlichen Unterricht über diese für die moderne Kultur hochwichtigen und für die Knaben sehr interessanten Abschnitte meist rasch hinweggeschritten werden mufs. Es ist daher ein sehr glück- licher Griff vom Herausgeber gewesen, die alte Ausgabe von Robolsky, die im gleichen Verlage vor Jahren erschienen ist, zeitgemäfs umzuarbei- ten. Das Werkchen des vortrefflichen Lame-Fleury zerfällt hier in fol- gende Abteilungen : I. Ältere Entdeckungsreisen ; IL Columbus ; III. Ame-

* [In der biogiaphisclieu Einleitung S. 1 sagt der Herausgeber, Moliere sei 'am 15. Januar 1622 geboren, fast zwei Jabrzebnte nach dem Tode Sliaksperes': glücklicherweise ist aber Shakspere nicht schon 1602, sondern erst 1616 gestorben.

J. Z.J

Beurteilungeu und kurze Anzeigen. 463

rigo Vespucci; IV— VII. Baiboa, Las Casas, Cortes, Magellan, Pizarro; Vlll. Neu-England; IX. Die Erzeugnisse Amerikas. Angehängt ist das bekannte Gedicht Delavignes Trois joiirs de Christophe Colomb. Der Text ist leicht lesbar und anziehend, so recht für die Mittelstufe geeignet; auch läfst er sich ohne Mühe zu inhaltsvollen Fragen und Antworten ver- wenden, was bei einem historischen Text nicht gleichmäfsig der Fall ist. Die sachlichen Anmerkungen (12 Seiten für 100 Seiten Text) halten das richtige Mafs ein und bieten ebenfalls abwechselungsreichen Gesprächs- stoff. Referent kann aus eigener Erfahrung einen Versuch mit Lame- Fleury in Obertertia aufs wärmste empfehlen. Von Ostern bis Herbst wurden etwa 50 Seiten gelesen und mündlich verarbeitet, das Übrige mufste im nächsten Schuljahr nach Abschlufs der Untersekundalektüre (diesmal Segur) auf Bitten der Schüler wieder aufgenommen Averden. Selb.stverständlich wurde jeder Abschnitt auch nacherzählt und zu schrift- lichen Arbeiten (nach deutschem Text) verwendet. Bei einer Neuauflage sollte der Revision des Textes gröfsere Sorgfalt zugewandt Averden, da einzelne Bogen bis an fünf Druckfehler enthalten.

Oftenburg (Baden). Joseph Sarrazin.

Charles Marelle, Affenschwanz etc. Variantes orales de Contes populaires fran9als et etrangers. Braunschweig, Westermann,

1888. 72 S. 8. edition, Berlin, Asher, 92 S.

Der bekannte Dichter des Petit Monde teilt hiermit eine Reihe neuer Fassungen französischer Volksmärchen mit, die er teils aus eigenen Jugeud- erinnerungen schöpft, teils in seiner Heimat, der Champagne, erst ge- sammelt hat. Zum Andenken an seinen alten deutschen Lehrer in Paris, der das leichtsinnige Volk seiner Zöglinge 'Affenschwänze' zu nennen pflegte, giebt Marelle dieser leichten Ware den eigentümlichen Titel. Le pcre Mangreant (p. 13—24) bringt mit etwas aufdringlicher Schlufsmoral die verschiedenen Lesarten 'Tischlein, deck dich, Eselein, streck dich und, Knüppel, aus dem Sack!'. Die Wünsche der drei biederen Auvergnateu (21 24) sind recht bescheiden und erheiternd; letzteres ist in erhöhtem Mafse der Fall bei dem Boiä-d'-Canard (25 .S2), den die Leser von Ma- relles Manuel de Lectnre (Frankfurt 188tJ, 2. Aufl.) bereits kennen. Dann folgt das 'Goldkäppchen' (le Petit Chopermi d'or, p. 37 13), dessen Aus- gang befriedigender ist als beim Rotkäpi)chen ; hierauf eine von einem Seemann aus Japan mitgebrachte Fabel Les dettx Fais et leur Oendre, die offenbar auf dieselbe morgenländische Quelle zurückgeht, wie La Fontaines Fabel IX, 7. Le Preneiir de Hat (p. 51 59) dürfte eine aus dem Elsafs herübergewanderte Lesart des Rattenfängers von Hameln sein. Am Schlufs der interessanten Sammlung stehen zwei urkomische, endlose Jiitaiirnelles, welche eine treuliche Zungenübnng abgeben müssen.

Die zweite Auflage ist um 14 Seiten vermehrt, welche in neuer Les- art uralt urwüchsige Legenden in Versen bieten: L'enfant Jesus et les petits gar^ons de Naxaretli, Jesus et les deux dniers, Le Miracle de Saiiii

464 Beurteilungen und kurze Anzeigen.

Nicolas (vgl. Archiv LVI, 187 ff.), Saint Joseph et Sainte Cecile. Den Be- schlufs bilden zwei scherzhafte Stücke Lc R'nard et l'Kcre^nsse in ur- sprünglicher Gestalt und die Sch(")pfungsg('schichte Qiiene-ü'rhat. Es ist eine dankbare, eines Dichters würdige Aufgabe, die sich Marelle gesteckt hat. Weiteren Beiträgen darf man gespannt entgegensehen.

OfFenburg (Baden). Joseph Sarrazin.

H. Sabersky, Zur proven9alischeu Tjautlehre (Parasitisches i und die damit zusammeuhängendeu Ersclieinungen). Berlin^ Mayer u. Müller, 1888. 100 S.

Ohne näher auf die Frage eingehen zu wollen, ob die Bezeichnung 'parasitisch' wirklich treflfend sei, und ob eine Berechtigung vorliege, in allen denjenigen Fällen von parasitischem i zu reden, die in obiger Ar- beit erörtert sind, mufs Eeferent bemerken, dais Verfasser die Beispiele zu den für ihn in Betracht kommenden Erscheinungen in grofser Zahl mit Fleil's und Umsicht zusammengestellt hat. Freilich wäre es sehr willkommen gewesen, wenn für das Altprovenyalische, bei dem nur die Trobadorsprache Berücksichtigung gefunden hat, die vorhandenen Ur- kunden — gewifs keine leichte Aufgabe durchgeprüft worden wären.

S. 13 heifst es, die Verschmelzung des i aus c mit dem vorhergehen- den i sei im Nordfranzösischen die Regel; dies kann, so ausgedrückt, nicht mit den Thatsachen in Einklang gebracht werden. Das S. 17 angeführte pais ist nicht am Platze. Die Behauptung auf S. 10, dafs im Nordfrauzösischen das sowohl 'primär als sekundär in den Auslaut getretene c sich als solches erhält', ist sehr befremdend. Auf S. 32 oben ist offenbar die Überschrift ausgefallen : 'Parasitisches i nicht ent- wickelt.' — Die Anordnung ist nicht sehr übersichtlich.

Altenburg (S.-A.). Oscar Schultz.

E. Cnyrim, Sprichwörter, sprichwörtliche Redensarten und Sen- tenzen bei den proven9alischen Lyrikern (Ausgaben und Ab- handlungen ed. Stengel LXXI). Marburg, El wert, 1888. 62 S.

Wenn Verfasser sich einerseits auf die Sprichwörter beschränkt hätte imter genauer Prüfung dessen, was als eigentliches Sprichwort anzusehen sei, und wenn er andererseits die gesamten proven§alischen Denkmäler herangezogen hätte, so wäre das Avahrscheinlich eine recht nutzbringende Arbeit geworden. Indessen entbehrt, auch wie sie vorliegt, obige Ab- handlung nicht eines gewissen Wertes, insofern als, nach umfangreicheren Stichproben zu urteilen, die Sammlung eine ziemlich vollständige ist. Immerhin mufste eine strengere Abgrenzung vorgenommen und nicht mancherlei vorgebracht werden, was schwerlich als Sentenz oder sprich- wörtliche Redensart gelten kann; jedenfalls sind auszuscheiden Nr. 241 und !»(i3.

Beurteil an geu und kurze Anzeigen. 465

Die Behandlung der Texte läfst an Sicherheit und Sorgfalt zu wün- schen übrig. Verderbte Stelleu sind selten gebessert; die luterpuulctiou ist inkonsequent, so dafs mau oft nicht weifs, wie uud ob Verfasser ver- standen hat. Nr. 4 ist ofFeubar falsch aufgefafst uud zu streichen. In Nr. 581 1. c'om ... sos fallihnens; in Nr. G25 ist om dici gauz siuulos, es soll heifseu com dia, gehört aber zum Voraufgehenden, wie MW. III, 129 richtig steht; in Nr. ÜQ^ 1. s'a drec; in Nr. 707 1. manja lo pan qiie non l'abati, wie wiederum einfach aus Malm zu ersehen ist ; in Nr. 768 stimmt der Verweis nicht; Nr. 771 ist sehr schlecht citiert: 1. qiicd und im übri- gen so wie bei Mahn steht, nur dafs wahrscheinlich nach plus noch drrüz einzuschieben ist; in Nr. 820 mufste qtie follors fortbleiben, oder weiter citiert werden : que follors so trob'om eis autors aiiida utantas res: auch Nr. 919 ist unverständlich, so wie es dasteht, und vermutlich zu lesen: /to»i que o fai la filla gart se iio fa%a la sitnüla.

Unter Abschnitt XV ist \'ieles angeführt worden, was nur stilistisch merkwürdig ist und nicht zum Thema gehört; sonst wäre auch das häu- tige daurar mon ehan und hahjnar in übertragener Bedeutung zu erwäh- nen gewesen.

Von 'historischeu Sprichwörtern' kann nicht die Rede sein, sondern nur von Personen ii. s. w., die sprichwörtlich waren; zu diesen durften aber nicht solche gerechnet werden, die nur ein- oder zweimal begegneu, wie Segurs und Valensa oder Aimiers.

Zu der Sammlung selbst gesellen sich noch als Sprichwörter das oben genannte follors aiuda manias res (MG. 845, Str. 4) und hngincs ns, segmi dreic et raisos, si convertis e natura (Appel, Prov. luedita S. 95, Z. 18—19).

In dem üblichen Nachtrage ergänzt Verfasser seine Arbeit aus der gleichzeitig erschienenen von Peretz, ein Verfahren, das durchaus zu ver- werfen ist.

, Den Sinn der Übersetzung, welche Stengel von einer Stelle giebt (S. 59, Anm.), ist Eefereuten nicht gehmgeu zu ergründen.

Altenburg (S.-A.). Oscar Schultz.

H. Schindler, Die Kreuzzüge in der altproven9alischeii und niittel- hoclideiitschen Ijyrik. Programm der Auneuschule (Real- gymnasium) zu Dresden. 1889. 49 S. 4.

Es empfalil sich wohl, alle auf die Kreuzzüge bezüglicheu Aulse- rungeu in der altprov. uud mhd. Lyrik einmal im Zusammenhange zu betrachten. Verfasser hat dies in einer Weise gethau, dais seiue Arbeil als eine durchaus nützliche gelten muls; seiue Prüfung ist genau und vorsichtig und das Urteil triift fast innner das Richtige.

In der That verlangten die Frauen in Frankreich den Kreuzzug so wenig als einen Beweis der Liebe (S. :'9), dafs die Dame den Ritter im Spotte und um sich seiner zu entledigen fragt, wann er übers ISIeer gehen werde; so wenigstens in einem Liede des Auboin de Sezauue, s. Zs. f.

Arcliiv f. n, Spiaclicii. LXXXIV. 30

466 Beurteilungen und kurze Anzeigen.

deutsch. Altertum XXXT, 187. Dafs die Trobadors weit mehr in den Kreuzzug.sliedern die Geistlichkeit schmähen, als die Minnesinger, erklärt sich aus der leidenschaftlichen, sich rückhaltloser äulseiuden Natur des Südländers; ob man deshalb den Deutschen eine 'tiefere Auffassung der heiligen Sache' (S. IG) zuschreiben darf, ist sehr fraglich. Gr. öH, 1 (S. 2) ist allgemein moralischen Inhalts und bezieht sich nicht auf einen Kreuzzug, s. Appel, Prov. Inedita aus Pariser Hss. S. 21. Zu der Stelle cu 11011 tenc ges per cavah'er (S. 15) fehlt der Verweis; sie steht nicht in 282, 20. Das Lied 0, 10 ist sehr wahrscheinlich nicht 1188 entstanden (S. 23), da A. de Belenoi noch gegen 1211 den Tod von Nugnez Sancho, Grafen von Roussillon, betrauert; s. Zs. f. rom. Phil. VII, 210. Mit dem argen bei P. Vidal 3(34, 4 (S. 23, Anm. 3) wird vielleicht eine Kreuz- zugssteuer gemeint sein. Dafs 282, 23 lauge nicht so spät fällt, als Diez meint, ist gewifs richtig; Referent hat das schon in Zs. f. rom. Phil. VII, 218 dargelegt. Wie kommt Verfasser zu der Behauptung (S. 39), dafs Beatritz von Monferrat im Juli 1202 starb? In dem angezogenen Liede Raimbauts 392, 24 steht nichts von ilii-em Tode; der zu Ehren der lebenden Beatritz geschriebene Carros ist wahrscheinlich zwischen dem 25. Juli und dem Anfange des Oktober gedichtet worden; s. Prov. Dich- terinnen S. 14, Anm. 81. Es fehlt das Lied 76, 8 von B. d'Alamauon, das Verfasser nicht recht kennen konnte, und das jetzt vollständig bei Ai^pel, Inedita S. 55, vorliegt; es Averden hier die Könige von Frankreich und Castilieu zum Kreuzzuge aufgefordert. Nach Appel fällt es gegen 1257 (s. Reg. unter impa). Verfasser hat versäumt, der beiden inter- essanten Strophenwechsel Erwähnung zu thun, welche zwischen Folquet de Romans einerseits und dem Trouvfere Hugues de Bersie und dem Trobador Blacatz andererseits stattfanden (Archiv XXXIV, 403 u. 405), und in denen je einer den anderen zur Teilnahme am Kreuzzuge auf- fordert; meines Wissens haben sie kein Seitenstück in der mhd. Lyrik. Blacatz will nichts von der Fahrt übers Meer wissen und sagt, er werde seine Bufse in der Nähe der Geliebten verrichten ; s. Zs. f. rom. Phil. IX, 133 u. 1.34.

Der provengalische Text ist nicht frei von Druckfehlern und Un- genauigkeiten ; ich hebe heraus : S. 22 für aclma una seiguorhi lies aclma Uli sol seignoriu. S. 20, Anm. 1 für qiies capienran 1. qito's c. S. 35 für ressos 1. resso, das ja schon der Reim fordert (Appel, Inedita S. 140). S. 49 für una demessa 1. itn' esdemessa.

Altenburg (S.-A.). Oscar Schultz.

L' Alighieri Rivista di cose dantesche diretta da F. Pasqiialigo. Anno I: Aprile 1889 Fase. 1, Maggio Fase. 2, Giugno Fase. 3, Luglio Fase. 4. Verona, Leo S. Olsehki. (Der Umschlag ist mit Dantes Bilde nach Giotto geziert.) 128 S.

P. 1—4 Ai lettori. Alles, was Dante und seine Werke betrifl't, wird der Ges^enstaud der Zeitschrift sein. P. 5 6 Fallo e annnemla. Ehren-

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 467

volle Erwähnung der Socidä Dantesca italiana •istitjiita in sullo scorcio deir anno passato'. P. 7 20 Divina Commedia stille jwstille del Tusso alla D. C, dissefrta^ione di Stefano Grosso (gia inserita nel Propugnatore di Bologna del 1881, poi rifaita e anipliata. S/ n'feri-sce alla cd. della D. C. postill. da Torq. Tusso, Pisa 1830 rol TU in 4"). Luigi Maria Eezzi fand die Postille des Tasso am Eande von drei Ausgaben jener Zeit, des Gio- lito, des Sessa und des Pietro da Fino, und Rosiui veröfl'entlichte sie mit dem Cruscatexte, was ein arger MifsgrifF war, statt sie mit dem Texte jener Ausgaben, d. i. dem des Tasso, zu verbinden. Es wird gezeigt, wie zugleich auch dieser Text den Vorzug vor dem der Crusca verdient. I. Po e hei posaio iin poco il corpo lasso. Diese gut beglaubigte Lesung wird unterstützt, indem die Alten ei für ebbi kennen, auch liest Buti so und erklärt es durch ehhi. Will man die Form nicht, so kann man mit anderen Hss. Poi riposuto mi poco lesen. Die Lesung der Crusca giebt die Euhe als zu grofs an. IL Clie m' ha fcdto cerear, nicht liun, ist die wahre Lesung, da nur amore Subjekt ist. III. Tasso liest, wie auch Fanfani billigt, eon doglia, schlecht die Crusca di doglia. IV. Ch'cdla secoiida morte ciascwi gridu, Cnisca Che la ... ; das Schreien nach dem Tode, voll Sehnsucht, erkannte Parenti. Wunderlich genug tadelt der- selbe Rosiui dies sein Verfahren bei anderen, welche den Commento des Landiuo mit dem Aldinischen, nicht Laudinischen, Texte druckten. Tasso hat ferner in seinen Postillen hübsche Fragen, auf die Rezzi Anmerkungen schrieb und dem Rosini dies ebenfalls zu thun empfahl, was leider unter- blieb. Einige Abschweifungen (u. a. wird recht unpassend auf Blaue ge- scholten) und der Nachtrag, dafs Rosini den Vorzug des ha vor hau wohl kannte, zeigen, dafs der treft'liche Aufsatz hier und da kürzer ge- falst seiu konnte. P. 21 26 Eecensioni. Cristoforo Pasqualigo (der durch die Prorcrhi Veneti wohlbekannte Bruder des Rechtsgelehrten, des Heraus- gebers) bespricht lobend das erste Drittel von Tommaso Casiiii, Coniiii. alla D. C, Fir. 1889. Sonderbar verlangt er gegen den Herausgeber sugger dette statt snccedette nach Orosiiis fdio flagitiosc concepto, impie exposito, inccste cognito: dazu gehörte doch eine gute Erklärung des sugger dette! Derselbe macht auf Ang. de Gubernatis (I), // Pur. cd il Fhirg. dichiaratl ai giucani, Fir. 1888 89, aufmerksam, eine Art Blumeu- lese aus dem Gedicht; man mufs dazu lächeln, fast lachen: La prima Cuntica, la qucdc, soltunto perchc prima, snolsi mcttcre nelle mani dei gio- vani, mi appare come Una selva selvaggia cd asjtra e forte distrae ed uffatiea ogni tranqidllu lettura. Ich mufs hierbei an das Gegenstück, das Urteil des sonst trefflichen Ideler über das Paradiso, denken. Aus den Anuunci und Noti:ie (P. 29 31) ist das Bemerkenswerteste der Hinweis axif Monacis Versuch, die Lesarten der Commedia zu verzeichnen (Acc. dei Lincei 1884 Rendic. IV 8, vgl. Archiv LXXXII, 171). P. 31— :'.2 Questioni. Zu Vita N., Daune ch'arete wird gefragt: Comc si spiega, che nmi possa aicre mala fne colui, eh' ebbe la fortuna di parlare n Beatrice? Ich würde antworten: die Griechen glaubten, wer den Zeus des Pheidias in Olympia gesehen, der stürbe selig; ähnlich denkt D., der Liebhaber^

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468 Beurteilungeu und kurze Anzeigen.

von (lern Glück mit Beatrice gesprochen zu haben. Man vgl. das Lied Dantes Poichc sar,iar, wo es heifst, durch das Sehen, wenn er die Geliebte sähe, könne er selig werden. P. 33 45 Tomm. Vitti /yc oricpni (MlaTJ. C. (ikt- Uli lavoro incdito 'Dante e Roma). Es ist überraschend, wie deutlich und zahlreich man Vorstellungen von Dantes C'omniedia, insbesondere dem Inferno, schon in dem Sogno des Alberico findet, z. B. den Pechsee, den Blutstrom, den den Dichter hinauftragenden Adler, das Eis, in wel- chem die Sünder stecken. P. 45 47 Sopra unri postilla dcl Tasso alla D. G. Zu Purg. XVII, 105—120 bemerkt Tasso gegen den Dichter, dafs hier weniger der Stolze und der Neidische, als beidemal der Neidische geschildert werde. Dem Verfasser hat Pagano Paganini den Dante so ge- rechtfertigt, dafs er sagte, der Stolze wünsche des anderen Erniedrigung, um selbst oben zu stehen ; der Neidische hasse das Gute an dem anderen, weil es ihm entzogen sei. P. 47 54 Becenswtri, P., Dr. Karl Wotke Leonardi Briini Aretini Dialogus de tribus ratilnts flwentinis. Wien, Tempsky, 1889, ein verbesserter Text, besonders nach dem Cod. Chigiano I, VI, 215 f. P. 54 59 Ges. Beccaria, IjB ecJoghe lat. di Maestro Otor. del VirrjUin e di D. Aliffhicn (Ed. di Gior. del V. e dt D. Ä. annot. da anonimo eoutemporaneo, reeate n viiglior lexione, nuovamente ToJgari7,\ate in rer.^i ."^eiolti e eommcntate da Franc. Pasqualigo. r-on Ulustrazioni di altri, Lonigo, 1. 3). P. 50 (»3 Kotizic. In Baltimore ist im vorigen Jahre eine Konkordanz der Com- media erschienen, von Edw. Allen Fay, durch die es erleichtert wird, jedes Wort sogleich aufzufinden. P. 63 64 Questioni : Come si eone.illa la grande onestä di Beatrice col salntare cli'ella faceva ^jf";* via jiersonc ehr nnn Je erano punto famitiari?

P. 65 81 Carlo Negroni giebt Inf. XV mit dem von ihm ins Ita- lienische übersetzten Commento des Philalethes. P. 81 89 // 'Vero' rc- lato nel Canto VIII del Purg. (Nota letta all' Ace. di Archeologia Lettere e Belle Arti di Napoli il 13 giugno 1888) von Alberto Agresti. Das Wahre zu erkennen ist hier schwer, deshalb erinnert der Dichter. Die Schlange ist nicht die Verführung, sondern die Beilsende (biscia germ. Herkunft), den ewigen Tod Gebende, sie stellt sich ungefährlich, um unvermutet zu überfallen. Das kleine Thal ist ein Bild der Welt vor dem Tode, der Abend ein nachträgliches Bild der Todesstunde, das Gebet ein nach- feierndes, dankbares Erinnern an das rettende Gebet in der Todesstunde. P. 90 96 Pecensioni.

P. 97 105 C. Negroni La tomba di re Manfredi. p]s wird bewiesen, dafs der Bericht des Dante und seiner alten Ausleger von dem Ende und von dem Verbleib der Gebeine des Manfred wahrheitsgetreu ist, und dals eine Behauptung von ghibellinischeu Lügen (Tomm. Terrinoni Somnii Pontefici della Camjjania Pomaim, Roma 1888) nichtig ist. Die Geschichte des oder der Malispini über Giov. Villani zu stellen, diesen zu einem Ab- schreiber von jenem zu machen, mufs man freilich erinnern, ist heut- zutage nicht mehr zeitgemäfs, wenigstens darf mau es nicht, ohne weiter sich zu rechtfertigen, thun. Eichtig meint der Verfasser, dafs die I'rne mit Manfreds Gebein durch ihre lateinische Inschrift auf eine spätere,

Beurteilungeu und kurze Auzeigeu. 409

klassisch etwas besser gebildete Zeit hinweise als die Zeit Dantes und des Manfred. P. 105— IIU Luigi Gaiter II -Vero' nel Cauto VIII del Piirgatorio. Entgegnung auf den frühereu Aufsatz über denselben Gegen- stand. Der Hymnus sei eine Warnung für die Leser, sich nicht den irdischen Freuden hinzugeben und so gleich den hier Vorgestellten ins Purgatorio und ins Vorfegefeuer oder in noch Schlimmeres zu geraten. P. 110 114 Gridano la seconda viorte von Pier Vinc. Pasquini. Die Be- deutimg scheint: sie sehnen sich ein zweites Mal, nämlich besser als sie schon gethan haben, nämlich als Christen, zu sterben. P. 115 120 Re- censioni: Crist. Pasqualigo, Ad. Bartoli, La D. C. I, II, Fir. 1887, 1889. Es ist dies der sechste Band der Storia della Lett. italiana Bartolis, der manches Neue enthält. Der Receusent macht u. a. auf die Frage des Verfassers aufmerksam: warum sind die ersten Personen, mit welchen Dante spricht, Francesca und Ciacco? In Bezug auf erstere meint der Verfasser, Dante habe seinem Hals gegen die Malatesta Luft machen wollen, indem er sie in die Hölle versetzte. Dafs aber Ciacco, dieser Parasit, ihm hier begegne und von Politik spreche, sei ein Rätsel, das nur in Zufällen von Dantes Leben seinen Gruud haben könne. Der Ee- censent fafst die Sache so auf, dals Dante sein Buch durchaus gelesen wissen wollte, deshalb nehme er für den Anfang diese beiden : die erstere (t 128U) war in ganz Italien, der letztere in Florenz in aller Munde. P. 12() 12:3 P., Nicolö de' Claricini Dornpacher, Lo studio di Torq. Tusso in D. Ä., Päd. 1889. Das Büchlein enthält manches auf den Titel Bezug habende Geschichtlein und zeigt, dai's Tasso kein blinder Verehrer Dante« war. In seinen Werken kommt Tasso auf Dante etwa 156 mal, lobt ihn 27 mal imd tadelt ihn 25 mal, und in den Postillen ist er 51 mal Be- wunderer und 82 mal mehr oder weniger Tadler. Das Buch ist mit Fleils gemacht und nützUch. P. 123 125 Carlo Negroni, II Baro>ie Locdla e la esposixiotie Dantesca a Dresda [vgl. Archiv LXXXIII, 460J. P. 125 f. Ant. Fiammazzo bemerkt, aus der mehrfach vorkommenden Lesart Ouardai in alti, nie aus anderem, erhelle, dais altu, nicht altro, zu lesen ist. P. 126—128 Xo(i\ie e appaiiti. Die Pariser Roniauia glaubt nicht, dafs Dante ein unerschöpflicher, für eine Zeitschrift ausreichender Gegen- stand sei: höchstens wäre es passend, einen bibliographischen Anzeiger der Art zu machen. Zeitschriften Italiens jauchzen dem 'Alighieri' zu. Friedenau bei Berlin. H. Buchhol tz.

Pierre de Nollmo, Manuscrits a ininiatures de hi Bibliotheque de P^trarqiic (Extrait de la Gazette archeologiqiie de 188J>). Paris 1889. 4«. 10 S. u. 2 Tafeln in Heliotypie.

Eugene ]\Iüntz gab 1887 in der Ciazette arclu'H)logique (Taf. l;j, dazu S. 99 ff.) eine heliotypische Abbildung des TiteJblattes der berühmten Virgilhandschrift der Ambrosiana, dcssei\ Miniatur von Petrarca selbst ge- schriebene Verse als Werk Simones (Martinis) von Siena bezeichnen, so dals sie von selten des Malers die Freundschaft bezeugt, welche der Dichter

470 Beurteilungen uiul kurze Anzeigen,

durcli die Sonette Per inirar Policlelo a prova ftso und Quanclo giunse a Simon l'nlto concctto berülimt gemaclit liat. Das Bild stellt Virgil in einem Garten sitzend dar, mit der Abfassung eines seiner Werke beschäf- tigt. Servius zieht den Vorhang, der vorher Virgil nur wie durch einen Schleier hat erkennen lassen müssen, hinweg und zeigt ihn nun einem Krieger, einem Hirten und einem Landmann, üafs der Krieger Aueas sei, ist ein merkwürdiger Irrtum Müntz', der die ganze Darstellung falsch verstanden hat. Er hält die drei Gestalten für Personifikationen der Aneide, der Georgica und der Eclogen (S. 102), während doch zwei bei- geschriebene Verse den Vorgang deutlich erklären: SerciKs altiloqui rete- yens archaiia Maronis, Ut pateani diicibu.s, pasforibuf<, utque eolonis, in denen Müntz allerdings wunderbarerweise poctis statt eolonis liest. Pierre de Nolhac, welcher der Bibliothek Petrarcas unermüdlich nachforscht, bringt jetzt in derselben Zeitschrift weitere Zeugnisse für die Teilnahme Petrarcas an bildender Kunst in der Wiedergabe von vier ^Miniaturen aus Handschriften, welche Petrarca besafs und selbst (so nimmt Pierre de Xolhac an und wird seine Gründe dafür haben) hat ausführen lassen. Die eine Handschrift ist Paris lat. 8580, welche vielerlei lateinische Schriften vereinigt und besonders den Über seculariuni Utterarum des Cassiodor mit prächtigen Miniaturen begleitet. Das andere Manuskript ist Vatic. lat. 2193, ebenfalls ein lateinischer Sammelbaud, von dessen künstlerisch ausgeführten Initialen P. de Xolhac uns drei vorführt. Herr de Nolhac hält für sicher qiie Jes deux illustrations ont ete cxicutccs, sinon par le nienie artiste, an moins par des miniaturistes de kc tnemc ecole et peut-etre du vieme atclier, und er ist ein viel zu gewissenhafter Forscher, als dafs man seinen Folgerungen, ohne die Handschriften gesehen zu haben, entgegentreten möchte. Er führt auch beiden Handschriften ge- meinsame Züge an, welche seinen Schlufs wahrscheinlich machen würden; aber diese Züge kommen auf den mitgeteilten Tafeln nicht zur Erschei- nung; \'ielmehr würde man aus diesen Proben nicht auf den Gedanken kommen, beide Illustrationen derselben Hand oder auch nur derselben Schule zuzusprechen. Die Miniatur aus Paris 8580 ist eine ganz aufser- ordentlich fein ausgeführte Zeichnung (zumal der Vogel, welcher der Dar- stellung der Orammatica beigesellt ist [weshalb? dafs eine Beziehung stattfindet, geht aus den anderen Miniaturen zum Cassiodor hervor], ist bewundernswert). Die Gruppe der Granimatica selbst mutet schon wie ein Werk der Renaissancekunst an (besonders beachtenswert sind auch die an kufische Schriftzeichen erinnernden Ornamente des Rahmens). Der feinen Linienführung dieser JVIiniatur gegenüber sind die Illustrationen zum Vat. 2193 wie mit breitem Pinsel gemalt, arbeiten mehr in Flächen als in Linien. Auch die Art der Figureuzeichnung und der Ornamentik ist eine ganz verschiedene. Wir befinden uns hier einer mittelalterlich anmutenden, wenngleich entwickelten und glücklich realistischen Kunst gegenüber. Soll nun einmal verglichen werden, so scheint mir weit gröfsere Ähnlichkeit zwischen Vat. 2198 und dem Virgil der Ambro- siana zu sein, als zwischen der vatikanischen und der Pariser Hand-

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 471

Schrift, wenngleich auch dort der Abstand zu grofs ist, als dafs sich nach den veröftentlichten Proben vorsichtigerweise ein Schlufs etwa auf gleichen Ursprung mh-de ziehen lassen. Sollte sich Herrn de Nolhac die Überzeugung vom gemeinsamen Ursprung jener Illustrationen noch weiter bestärken, so würde er seine schon jetzt sehr wertvolle Mitteilung zu einer solchen von gröfstem kunst- und kulturhistorischen Interesse machen, gäbe er uns die Möglichkeit, uns ebenfalls von einer so merkwürdigen künstlerischen Entwickelung zu überzeugen.

Königsberg i. Pr. C. Appel.

Paul Heyse: Italieuische Dichter seit der Mitte des 18. Jahr- hunderts. Berlin, Wilhelm Hertz, 1889. Band 3. Drei Satirendichter; Giusti, Guadagnoli, Belli. IX u. 336 S. M. 5.

Der vorliegende Band (über seine beiden Vorgänger vgl. Archiv LXXXIII, 4G1) enthält in seiner ersten gröfseren Hälfte einen Wieder- abdruck von Heyses 1875 erschienener Giusti-Übersetzuug (Berlin, Hof- mann & Co.). Dafs Heyse es verstanden hat, die infolge ihrer prägnanten Ausdrucksweise und ihrer zierlichen Form überaus schwer zu übertragen- den Scherxi des toscanischen Satirikers mit wahrhaft bewundernswerter Meisterschaft wiederzugeben, ist bereits damals von der Kritik gebührend anerkannt worden (vgl. z. B. Magazin für die Litteratur des Auslandes, 44. Jahrg. [1875], Xr. 45 und 46). Die neue Ausgabe ist ein wenig ver- änderter Abdruck der ersten. Hinzugekommen ist nur das Gedicht 'Re- signation und Beschlufs, einen neuen Menschen anzuziehen'. In den übrigen findet man hier und da die Spuren einer nachbessernden Hund. S. 40, letzte Strophe, Zeile 4, ist Tiberio in diciottcsimo jetzt statt mit 'ein Tiber von neustem Datum' sehr glücklich wiedergegeben mit 'ein Tiber in Miniatur'; in dem Gedicht 'An San Giovanni' S. 48 ft'. sind die beiden letzten Strophen umgestellt; geändert ist ferner S. 77 die zweite Strophe u. s. w. Den Beschlufs des Bandes bilden ein launiges Histörchen von Giustis älterem Zeitgenossen Antonio Guadagnoli und :><» Sonette von Giuseppe Gioacchino Belli. Auf diesen originellen römischen Dialekt- dichter (gest. 1863), der selbst in Italien erst neuerdings bekannter zu werden beginnt, hat schon 1871 Schuchardt in der Beilage der 'Allgem. Zeitung' Nr. 164 fl'. aufmerksam gemacht. Heyses Proben genügen, um erkennen zu lassen, wie Belli einerseits in liumoristischen Genrebildchen das Leben luid Treiben des römischen popolino vor 1870 zu fixieren vor- stand und andererseits mit grimmiger Ironie die öfleutlichen Zustände unter dem päpstlichen Regimente angriff.

Berlin. E. Pariselle.

Dr. Adolf Keller, Professor am Colegio dol Porvcnir in Madrid, Altspanisches Lesebuch mit Granmiatik uud Glossar. Leip- zig, F. A. Brockhaus, 1890. VIII, 192 S. 8.

Eine verständige Auswahl von Proben der ältesten Denkmäler der spanischen Litteratur, Dichtung und erzählende Prosa umfassend, auch

472 Beurteilungen imhI kurze Anzeigen.

Rechtsquellen und Wissenschaft nicht ausschliefsend, wie sie Keller hier in einem sauber gedruckten Bändchen 1)ietet, mag manchem willlcommen sein. luedita bietet sie zwar nicht, und was sie aus vorangegangenen Drucken, zumeist den verbreiteten Bänden .M und 57 der Rivadeneyra- schen Sammlung, aber auch aus anderen, minder leicht erreich bareu Büchern wiederholt, ist auch nicht neben den Handschriften neu durch- gesehen; darum bleibt das kleine Buch doch brauchbar. Freilich, Stu- dierenden der romanischen Philologie als Leitfaden zu dienen, was die Vorrede als seine Bestimmung bezeichnet, ist es nicht recht angethan ; wenigstens werden diese des Lehrers und Auslegers daneben nicht ent- raten können, sofern üinen um mehr als ein verständnisloses Übersetzen von Wort zu Wort und Sammeln veralteter Wortformen zu thun ist, sofern sie über Natur, Ursprung, Zweck oder gar Überlieferung und wissen- schaftliche Bearbeitung der aus Proben kennen zu lernenden Denkmäler etwas zu erfalireu begehren, ja sogar in vielen Fällen, wenn sie auch nur den Inhalt der Probe erfassen wollen. Und es giebt doch immer noch den einen oder anderen, der den Anfang eines Berichtes 'Sie war aber nicht tot, sondern blofs bewufstlos', S. 22, oder 'Als Laurentius den Bischof wegführen sah, brach er in Thränen aus', S. 39, nicht ohne einiges Unbehagen liest, wenn er gar nicht weifs, Avovon die Rede. In solchen Fällen war eine kurze Aufklärung uuerläfslich ; imd nicht minder da, wo mitten in einer Probe lange Stücke fehlen, wie S. 10, wo zwischen Z. 0'.' und Z. 101 keinerlei Zusammenhang besteht, der Leser aber aus dem Umstand, dafs als Z. lUO eine Reihe Punkte gedruckt ist, immöglich ent- nehmen kann, dafs etwa 700 Verse übersprungen sind ; ähnlich S. 27, wo nach Unterdrückung eines langen Stückes, dessen Wegfall zwischen Z. 75 und Z. 77 eine Reihe Punkte (Z. 70) sehr unzulänglich anzeigt, dem Leser jede Möglichkeit des Verstehens benommen ist.

Der Druck ist im ganzen sorgfältig nach den spanischen Ausgaben ausgeführt, deren sehr ungleichmäfsige und teilweise recht nachlässige oder geradezu falsche Interpunktion mit einer folgerichtigeren zu ver- tauschen der Herausgeber leider unterlassen hat. Von Druckfehlern führe ich an: nuiiqne für nunqua 18, 57; cstos für esto 20, 139; Tollte iür Tolliö 24, 110; sangtie für samjne 37, 10; De für Do 25, 7; querie für qucrrie 32, 110; real für rreal 95, 12, wozu manche Accentfehler und Verwechs- lungen von I und J kommen.

Eine auf wenig mehr als einen Bogen zusammengedrängte 'Laut- und Formenlehre', die noch dazu, wenigstens was die Laute angeht, dem Spanischen überhaupt, nicht etwa den Besonderheiten der älteren Sprache gilt, kann freilich nur das Allerwichtigste geben, verrät übrigens einen kundigen Verfasser. Auch die drei Seiten, auf denen die Unterschiede der vier Hauptmuudarteu im Anschlüsse an die sie vertretenden Denk- mäler zusammengestellt sind, können, wenigstens als Ausgangspunkt für genauere Untersuchung, genügen. Ein Glossar, das alle der Erklärung bedürftigen, d. h. vom heutigen Gebrauche abweichenden Wörter und Formen durch neuspanische erklärt, bildet den Schlufs.

Beiirteilimgeu und kurze Anzeigen. 473

Dem Zwecke des Buches würde es wohl entsprochen haben, wenn auch über die jeweilen zur Anwendung gebrachten Versformen etwas ge- sagt worden wäre; bei einem beträchtlichen Teile der Texte wird der weniger erfahrene Leser Jlühe haben, die angestrebte Form durch eine irre führende schriftliche Darstellung hindurch zu erkennen, zumal da auch das falsch Überlieferte durch nichts als solches kenntlich ge- macht ist. A. T.

G. C. Kordgien, Universitätsprofessor a. D., vonii. Direktor eines brasilianischen Gymnasiums, Verfasser des 'Portugiesischen Kouversationsbuches^, der 'Portugiesischen Konversations- grammatik' etc. etc., zur Zeit Direkt()r des 'Handelswissen- schaftlicheu Lelir- Instituts' in Hamburg, I^ogares selectos dos Classicos Portuguezes e Brasileiros. Portugiesisches Lesebuch mit xVnmerkuugen. Leipzig, Verlag von Julius Bädeker (ohne Jahr). X, 249 S. 8.

Das laut der Vorrede 'unter Benutzung der in Portugal hoch- geschätzten Sammlung von A. Cardoso Borges de Figueiredo zusammen- gestellte' Buch will 'als Übersicht über die verschiedenen Zweige der lusitanischen Litteratur dienen'. Verschiedene Gattungen der Prosa sind allerdings vertreten, Fabeln, Beispiele, Beschreibungen, Sittenbilder, Er- zählungen, Biographien, Briefe (aus Briefstellern) und anderes; etwa 40 Oktaven aus den Lusiaden, vier schwache Sonette auf Camoes und zwei Kanzonen von G. Diaz und einem Ungenannten kommen dazu, da- mit der Dichtung ihr Recht werde. Es fehlt aber an allen Angaben der Zeiten, denen die Verfasser angehören (neben dem Ki. Jalirhundert ist fast nur die Gegenwart berücksichtigt), und über die Werke, denen die Bruchstücke entnommen sind, so dafs von einem Einblick in die Schätze der portugiesischen Litteratur keine Rede sein kann. Die im Titel er- wähnten Anmerkungen geben ausschlielslich Übersetzungen einzelner Wörter, wie sie im ersten besten Taschenwörterbuch auch zu finden sind, nicht selten übrigens irrtümliche, schweigen dagegen allemal, wo ein weniger unterrichteter Leser Beistandes bedürfen könnte oder über die Verhältnisse aufgeklärt zu sein wünschen m('>chte, deren Kenntnis nicht missen kann, wer dies oder jenes Bruchstück mit Verstand lesen will. Der Druck ist nicht mit ausreichender Sorgfalt überwacht. A. T.

H. KHnghardt, Ein Jahr Erfahrungen mit der neuen Methode. Bericht über den Unterricht mit einer englischen Anfänger- klassc im Schuljahre 1887 88. Zugleich eine Anleitung für jüngere Fachgenossen. Marbiu-g, N. G. Elwert, 1888. IV und 84 S. 8.

Der Verfasser legt in dieser Schrift Krfaiuungcn nieder, die er wäh- rend eines Jahres mit seiner Uutertertija gemacht hat. Er benutzt die

474 BeurteiluJigen uikI kurze Anzcigeu.

ersten acht Stunden seines Unterrichts zu gymnastisclxen Übungen des Mundes und Ohres, um das Gehörvermögen der Schüler bis zur ver- ständnisvollen pjrfassuug der gröberen Lautnuancen zu entwickeln, und geht dabei von dem heimischen Dialekt der Schüler aus. Alsdann be- handelt er während des Restes des ersten Semest^ers die vier ersten Stücke aus Sweets Elementarbuch, die Satz für Satz, da das Buch nicht in den Händen der Schüler ist, in phonetischer Umschrift vom Lehrer an die Tafel geschrieben, vorgesprochen und interlinear übersetzt werden. Diese Texte werden durch immerwährende Wiederholung so geübt, dafs jedes Wort zum festen Besitz der Schüler wird. Nicht blofs im Zusammen- hange mit anderen wird jedes Wort geübt, sondern auch durch Ab- schreiben in ein nach bestimmten Gruppen geordnetes Vokabelheft aus dem Ganzen herausgehoben und so zu freierem Besitz gemacht. Fragen in englischer Sprache, die sich eng an die Texte anschliefsen, werden so- bald als möglich an die Schüler gestellt und von diesen englisch be- antwortet. Von diesen giebt der Verfasser ebenfalls Beispiele. Auch zu schriftlichen Übungen: Diktaten, phonetischen Niederschriften und Um- formungen, geben diese vier Stücke genügenden Stoff. Der Verfasser sucht den Schüler dazu zu bringen, dafs er auch aulserhalb der Klasse den Versuch mache, englisch zu sprechen, und die Scheu vor der frem- den Sprache ablege. Er beschränkt sich daher nicht nur auf die in den vier Stücken enthaltenen Vokabeln, sondern zieht auch neue heran, deren Bedeutung er womöglich durch Erklärung in der fremden Sprache den Schüler finden läfst. Der Verfasser giebt (S. 39^ 40) drei sehr interessante Beispiele, wie er in englischer Rede teils den Sweetschen Text erläuterte, teils die dort erwähnten Erscheinungen und Vorgänge auch in der Um- gebung des Ortes (Reichenbach i. Schi.) nachwies, teils die auf dem Turn- platze gemachten Funde und Beobachtungen besprach. Die Grammatik wird nur au die Lektüre geknüpft.

Im zweiten Semester werden die Erzählungen von Robin Hood imd Macbeth (Abschnitt 1) aus Gesenius' Elementarbuch in derselben Weise wie früher Sweet behandelt. Da diese Stücke in der gewöhnlichen Ortho- graphie geschrieben sind, so treten orthographische Schreibübungen neben die Hör- und Sprechübungen. Ob es nötig ist, ein ganzes Semester nur Texte in phonetischer Schrift zu benutzen, und ob der Übergang aus dieser Schrift in die gewöhnliche wirklich so wenig Schwierigkeiten den Schülern macht, wie der Verfasser behauptet, ist zweifelhaft. Zwar giebt die phonetische Umschrift dem Schüler sofort die richtige Vorstellung von einem Laute, wenn ef ihn erst einmal erfafst hat, aber sie hilft ihm bei einem neuen Worte in der gewöhnlichen Schrift und so sind doch bis jetzt alle Schriftsteller gedruckt ebensowenig, wie die Musterwörter, zur Erkennung des richtigen Lautes. Ein früherer Beginn mit ortho- graphischen Texten würde den Erfolg in der Erlangung einer nationalen Aussprache nicht schmälern.

Die Leistungen der Schüler des Verfassers sind nach dem einen Jahre Unterricht ganz vortreffliche und beweisen, wie zweckmäfsig es ist, eine

Beurteilungen und kurze Anzeigen. 475

neue Sprache als lebende zu behandeln. Bedeutend geringer würden sie aber sein, wenn der Verfasser in seiner Klasse statt '2(1 Schüler 4U bis 50 hätte, die in derselben Weise gefördert werden sollten.

Jedenfalls enthält das Buch viele vortreffliche Winke und ist auch denen zu empfehlen, die nicht unbedingte Anhänger der sogenannten direkten Methode sind.

Berlin. Ad. Müller.

Bemerkungen über das Studium der deutschen Philologie und die Prüfungsordnung für das höhere Lehramt. Aus einem Vortrage des Dr. phil. P. Machule. Leipzig, Rofsberg, 1890. 28 S. 8. M. 0,60.

In dem frisch und klar geschriebenen Vortrage sjjricht sich der Ver- fasser, zu Gunsten einer Vertiefung des Studiums der deutschen Pliilo- logie, für eine Beschränkung in der Breite der Anforderungen für das Oberlehrerzeugnis aus. Xach einer mitgeteilten Statistik der letzten acht Jahre erreichte nur ein Zehntel aller Kandidaten sogleich ein Zeugnis ersten Grades. Der Verfasser ist der Ansicht, dafs die Verbindung von drei philologischen Fächern für die Oberklassen oder von zweien für die oberen mit zweien für die mittleren Klassen eine gründliche philologische Bildung verhindert und eine sehr bedauerliche Verflachung befördert. Es wäre besser, das Lehrerzeugnis ganz fallen zu lassen, auf das hin doch niemand angestellt wird, und dafür überall in zwei verwandten pliilo- logischen Gebieten gründliche Studien zu verlangen. Der Verfasser hat meines Erachtens recht, dafs dadurch die pädagogische Verwendbarkeit nicht beschränkt wird. Wer in einem Fache wirklich zu Hause ist, arbeitet in ein verwandtes sich schnell hinein.

Berlin. S. W.

Verzeichnis

der vou Aufaug April his zum 19. Mai 1800 bei der Redaktion eingelaufenen Bücher und Zeitschriften.

Pjox and Cox. A Eomauce of Real Life, in One Act. By .John Mtiddison Morton. III. Edition (No. 71. Modern English Comic Theatre. AVith Notes in German by Dr. K. Alb recht). Leipzig, H. Härtung & Sohn. 83 S. 16. M. 0,10.

Im Ausland. IMitteilungen des Vereins deutscher Lehrer in Eng- land. London, Selbstverlag, 1890 April. 30 S. Jährlich 4 Hefte M. 3,50 |Dr. W. Borsdorf, Über die letzten autobiographischen Schriften Alphop.se Daudets. Hugo Bartels, Die Tudorausstelluug in London. Mitteilungen des Vereins. Besprechungen].

Litteraturblatt für germanische und romanische Philologie herausgeg. von Otto Behaghel und Fritz Neu mann. Nr. 3 März und Nr. 4 April. Leipzig, O. R. Reisland, 1890. Sp. 89—108. 4. Halbjährlich M. 5.

The Black -Box Murder. By the Man who discovered the Mur- derer. Leipzig, Tauchnitz, 1890 (Collection of British Authors, Vol. 2015). 288 S. kl. 8. M. 1,60.

Fräulein vou La Seiglifere. Lustspiel in 4 Akten von Jules Sandeau. Zum Rückübersetzen aus dem Deutschen in das Französische bearbeitet von H. Breitinger, Prof. der neueren Sprachen au der Univ. Zürich. 2. durchgesehene Auflage. Zürich, Fr. Schulthefs, 1890. I(i2 S. 8.

Die Fragmente der Reden der Seele an den Leichnam in zwei Hand- schriften zu Worcester und Oxford. Neu herausgeg. nebst einer Unter- suchung über Sprache und Metrik sowie einer deutschen Übersetzung von Richard Buch holz. Erlangen und Leipzig, A. Deichertsche Verlags- buchh. Nachf. (Georg Böhme), 1890 (Erlanger Beiträge zur englischen Philologie. Herausgegeben von Hermann Varnhagen. VI. Heft). 4 Bl., LXXVI u. 28 S. 8. M. 1,80.

Verzeichnis der Programm-Beilagen der schweizerischen Mittelschulen. Mit einem Anhang, umfassend die Programm-Beilagen der Acadeuiie de Neuchätel und der Eidgenössischen Polytechnischen Schule in Zürich. Zusammengestellt vou G. Büeler. Frauenfeld, J. Huber, 1890. V, 6S S. 4.

The Bondman. A New Saga. By Hall Caine. In 2 Vols. Leipzig, Tauchnitz, 1890 (Collection of British Authors, Vols. 2647 and 2648). 296 und 271 S. kl. 8. M. 3,20.

The Open Court. A Weekly Journal devoted to the Work of cou- ciliating Religion with Science [Ed. Dr. Paul CarusJ, Chicago. No. 129 [Prof. Max Müller, The Cradle of the Aryas]. 130—133. 134 [M. Müller, The Study of Sanskrit]. 135—138. 139 '[L. Noire, The Origin of Lan- guage]. 140.

Italienische Chrestomathie. Auswahl geeigneter moderner Lesestücke mit einem Anhang von Musterstücken der bedeutendsten älteren Dichter und Prosaiker und oineni Verzeichnis der darin vorkommenden Redens- arten nebst vollständigem Wörterbuch von G. Cattaneo, Dozent[en] der ital. .Sprache u. Litt, am Kgl. Polytechnikum und au den beiden Königl.

Verzeichnis von Büeheru uud Zeitschriften. 477

humanistischen Gymnasien in Stuttgart. Heidelberg, Julius Groos, 189(i. VIII, 264 S. 8. '

Die Sprachschöpfung. Versuch einer Embryologie der menschlichen Sprache von Theodor Curti. Würzburg, A. Stuber, 1890. I, 74 S. 8.

Theoretisch-praktischer Lehrgang der englischen Sprache mit genügen- der Berücksichtigung der Aussprache für höhere Schulen von Dr. Karl Deutschbein, Oberlehrer am Gymn. zu Zwickau. 12. Aufl. Neue Be- arbeitung. Kötheu, Otto Schulze,' 1890. XII, 440 S. 8. M. 3.

Chambers's English History. Für den Schulgebrauch herausgeg. von Dr. Georg Dubislav, ord. L. a. d. I. Stadt. Höh. Bürgersch., und Paul Boek, ord. L. am Königstädt. Realgvmn. zu Berlin. Berlin, E. Gaertuers Verlagsbuchh. (Hermann Hej'f eider), '1890. III, 122 S. 8. M. 1,20.

Modern Lauguage Notes: A. M. Elliot, Managing Editor: Vol. X. No. o, Baltimore, Md., March 1890 [Herbert Eveleth Greene, Seveuth An- nual Convention of the Modern Language Association. Frederic Spencer, The Legend of St. Margaret: IL The Cambridge Text. Alex. Melville Bell, The 'Nasal Twang'. Albert S. Cook, Csedmou and the Ruthwell Gross (Übersetzung einer Partie aus Bugges 'Studien'). John Phelps Fruit, Materiam superabat opus. Derselbe, The Nominative Absolute in English. C. Fontaine, Les Poetes frangais de nos Jours. Les Parnassiens]. No. 4, April 1890 [Henry E. Shepherd, A Study of Tenuyson's English. Albert S. Cook, Cicero as an Authority for Gosson's 'School of Abuse'. Walter B. Scaife, Brazil as a Geograplaical Appellation. Frederic Spencer, The Legend of St. Margaret: III. The York MS. Alexander R. Hohlfeld, Two O. E. Mystery Plays on the Subject of Abraham 's Sacrifice. M. D. Learned, Application of the Phonetic System of the American Dialect Society to Pennsylvania German. James W. Bright, Lexical Notes. J. B. Hennemann, The Interpretation of certaiu Words and Phrases in the 'Wars of Alexander'. Charles Fliut McClumpha, Differences between the Scribes of 'Beowulf'].

Catalanische Troubadoure der Gegenwart. Verdeutscht uud mit einer Übersicht der catalanischen Litteratur eingeleitet von Johannes Fasten - rath. Leipzig, Carl Reifsner, 189(>. LXXII, 502 S. 8.

Die lateinischen uomina personalia auf 'o, ouis'. Ein Beitrag zur Kenntnis des Vulgärlateins. Von Dr. phil. Richard Fisch, ord. Lehrer am Audreas-Realgymn. zu Berlin. Berlin, R. Gaertuers Verlagsbuchh. (Hermann Heyfelder), 1890. VII, 198 S. 8.

Graphische Litteratur-Tafel. Die deutsche Litteratur und der Ein- flufs fremder Litteraturen auf ihren Verlauf vom Beginn einer schrift- lichen Überlieferung an bis heute in graphischer Darstellung von Dr. Cäsar Flaischlen. Stuttgart, G. J. Göschensche Verlagsbuchh., 1890. Farbige Tafel mit 8 Spalten Text. In Karton gefalzt M. 2.

Echo du Franjais parle. Premier Tome,. Conversatious enfantines par R. Foulche-Delbosc, Professeur a l'Ecole J.-B. Say et a l'Ecole Colbert, Paris. Leipzig, Rud. Giegler, 18!i(). I u. 18 S. Kart. I\I. (».70 [Textabdruck aus dem S. .H(i(i verzeichneten 'Picho der frz. Umgangssprache'].

Über den Bedeutungswandel lateinischer Wörter im Französischen. Von Dr. Gerhard Franz. Sonderabdruck aus dem l'rogr. des Wettiner Gymnasiums zu Dresden. Leipzig, Gustav Fock, 1890. I, HO S. 4. M. 1.

The American Journal of Philology edited by Basil L. (tilder- sleeve, Professor of (4reek in the Johns Hopkins University. Vol. X, I. Baltimore 1889. V und S. P.97— 558.

A Waif of the Plaius bv Bret Harte. Leipzig, Tauchiiilz, ISüd

478 Verzeichnis vou Büchern und Zeitschriften.

Textile Fabrics of Ancient Peru bv William H. Holmes. Washington, Government Printing Office, 1889. 17 S. 8.

Vier mitteleuglische geistliche Gedichte aus dem KJ. Jahj-hundert. Berliner Dissertation vom 18. Januar 1890 von Martin Jacobv. Berlin, Mayer & Müller. 48 S. 8.

Piain Tales from the Hills. By Rudyard Kipling. Leipzig, Tauch- nitz, 1890 (Coli, of British Authors, Vol.'2649). -.',12 H. kl. 8. M. l,(i(>.

Realien zur Macaulay-Lektüre. Vou H. Klinghardt. jVIit zwei an- gehüngteu Tafelu (Abhandlung zum Jahresberichte der König- Wilhelms- Bchule zu Reichenbach in Schlesien, Ostern 189(ij. l}?, S. (abgesehen von den Tafeln) 4.

Lateinisch-romanisches Wörterbuch. Von Gustav Körting. 2. Lie- ferung. Paderborn, Ferdinand Schöningh, 1890. Bp. 129 250. 4. M. 2.

Die Grammatik Malherbes nach dem 'Commentaire sur Desportes'. Vom Realgymnasial-Oberlehrer P. Kreutzberg. Wissenschaftl. Beilage zum Jahresbericht des Realgymn. zu Neifse, Ostern 1890. 32 S. 8.

Histoire de Napoleon et de la Grande Armee pendant l'Aunee 1812 par le General Comte de S6gur. Unter Mitwirkung von Dr. Bernhard Hchmitz, weil. Prof. d. u. Sprachen an der Univ. Greifswald, erklärt von Dr. H. Lambeck, Prof. am Herzogl. Ludwigs-Gymn. in Köthen. 1. Band. Mit einer Karte von H. Kiepert. 2. verbesserte Auflage. Berlin, Weid- mannsche Buchh., 1890. VI, 178 S. 8. M. 1.

The Dante Collections in the Harvard College and Boston Public Libraries. By William Coolidge Lane, Assistant Librariau. Cambridge, Mass.: issued by the Library of Harvard University, 1890 (Library of Harvard University. Bibliographical Contributions. Edited by Justin Winsor, Librarian. No. 34). 116 S. gr. 8.

Italienische Sprechschule. Ein HiLfsbuch zur Einführung in die ita- lienische Konversation. Für den Schul- und Privatgebrauch herausgeg. von Johann Lardelli, Prof. der ital. Spr. an der Kantonsschule in Chur. Zürich, Fr. Schulthefs, 1890. III, 210 S. 8. M. 2,40.

Sonnenaufgang! Die Zukunftsbahnen der Neuen Dichtung. Von Alexander Lauenstein und Kurt Grotte witz. Inhalt: Was kann das deutsche Volk von seinen Dichtern verlangen ? Von A. L. Die Weiter- entwickelung der Sprache. Von K. G. Litterarisches Maskenfest. Von K. G. Leipzig, Carl Reifsner, 1890. 77 S. 4.

Die Sprache des Rituals von Durham, ein Beitrag zur altengUscheji Grammatik von Uno Lindelöf. Helsingfors, Druck a'ou J. C. Frenckell u. Sohn, 1890 (Doktordissertation mit Genehmigung der philos. Fakultät der Kaiserl. Alexander-Universität zu Helsingfors am 9. April 1890 öffent- lich verteidigt). Titel, VI u. 120 S. 8.

fe desputisoun bitwen J)e bodi and {)e soule. Herausgeg. von Wil- helm Linow. Nebst der ältesten altfranzösischen Bearbeitung des Streites zwischen Leib und Seele. Herausgegeben von Hermann Varnhagen. Erlangen u. Leipzig, A. Deichertsche Verlagsbuchh. Nachf. (Georg Böhme), 1889 (Erlanger Beiträge zur englischen Philologie. Herausgeg. von Her- mann Varnhagen. L Heft). VII, 209 S. (aulserdem Titelblatt und In- haltsangabe für den Heft I— V umfassenden I. Band) 8. M. 8,60.

Under Salisbury Spire in the Days of George Herbert, the Recollections of Magdalene Wydville. By Emma Marshall. Leipzig, Tauchnitz, 1890 (Collection of British Authors, Vol. 2040). 819 S. kl. 8. M. 1,00.

Gottfried Ebeners französisches Lesebuch. Neu bearbeitet von Adolf Meyer, Dr. phil., Dir. der Höh. Töchterschule I und des Lehrerinnen- Seminars u. s. w. zu Hannover. Dritte Stufe. Neunte, der neuen Be- arbeitung zweite Auflage. Hannover, Carl Mever (Gustav Prior), 1890. XI, 838 S. 8. M. 3.

A Simplified System of English Stenography ou the Principles of W. Stolze bv G. Michaelis. WMth 8 Autugraphic Plates. 8J Edition,

Verzeichnis von Büchern und Zeitschriften. 479

revised and improved. Berlin, Ernst Siegfried Mittler & Son, 1800. H2 u. VIII S. gr. 8. M. 1.

Handbuch für den deutschen Sprachunterricht in den oberen Klassen höherer Lehranstalten. Von Dr. Georg Müll er- Frauen stein. II. Teil. Zur Vers-, Stil- und Di.spositiouslehre. Hannover, O. Goedel, 1890. IV u. 180 S. 8.

Grammatik der englischen Sprache nebst Aufsatzübungen und deut- schen Übungsstücken. Von Dr. E. Nader, Prof. a. d. Koramuual-Ober- realschule im I. Bezirke, und Dr. A. Würzuer, Prof. a. d. k. k. Staats- Oberrealschule im III. Bezirke in Wien. Wien, Alfred Holder, 1890 (Lehrbuch der engl. Sprache von Dr. E. Nader und Dr. A. Würzner IL Teil). XII, 200 S. 8. 1 fl. 15 kr.

The Language of the Eushworth Gloss to the Gospel of St. Matthew. Part I: Vowels. Von Dr. Georg Otten, Gvmnasiallehrer in Nordhausen. Leipzig, Gustav Fock, 1890. I u. 24 S. -1. ' M. 1.

Svrlin bv Ouida. In 3 Vols. Leipzig, Tauchuitz, 1890 (Coli, of Brit. Authors, Vols. 2042—2644). 29.i, 287 und 271 S. kl. 8. M. 4,80.

La Litterature francaise au moyen Age (XI*^ XIV^ Siecle) par Gaston Paris, Membre de l'Institut. Deuxieme edition revue, corrigee, aug- mentöe et accompagn^e d'un tableau chronologique. Paris, Hachette et C^S 1890. XII, 816 S. 8.

Über englische Zustände im 18. Jahrhundert nach den Romanen von Fielding und SmoUett. Von Johannes Peronne (Leipziger Dissertation). Berlin, Druck von W. u. S. Loewenthal, 1890. 52 S. 8.

A Daughter's Sacrifice. A Novel. By F. C. Philips and Percy Fendall. Leipzig, Tauchnitz, 1890 (Collection of British Authors, VoJ. 2646). 279 S. kl. 8. M. 1,60.

Bibliographv of the Iroquoian Languages bv James Constantine Pil- lin ^ Washington, Government Printing Office, 1888. VI, 208 S. 8.

Bibliographv of the Muskhogeau Languages by James Constantine Pilling. Washington, Government Printing Office, 1889. V, 114 S. S.

Eaccolta di proverbi e modi di dire tedeschi e italiani del Prof. F. Pirrone Giancontieri. Palermo, Carlo Clauseu, 1890. 116 S. 8.

English Vocabulary. Methodische Anleitung zum Englischsprechen mit durchgehender Bezeichnung der Aussprache von Dr. Gustav Pla^tz. Dritte vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin, F. A. Herbig, 1S9(). VIII, .",12 S. 8. M. 2,25.

PI cetz -Kares. Kurzer Lehrgang der französischen i^prache. Übungs- buch verfafst von Dr. Gustav PI cetz. Heft III (Syntax des Artikels, des Adjektivs und des Adverbs. Die Fürwörter). Berlin, F. A. Herbisj, 1890. _ IV, 79 S. 8. M. 0,80.

Fifth Annual Report of the Bureau of Ethnologv to the Secretary of the Smithsonian Institution (188.S— '81) bv J. W^Powell, Director. Washington 1887. LIII, 564 S. Lex.-8.

Sixth Annual Report of the Bureau of Ethnologv to the Secretarv of the Smithsonian Institution (18H4— '8.')) bv J. W. Powell, Director. Washington 1888. LVIII, 675 S. Lex.-8.

Johann Elias Schlegel als Trauerspieldichter mit besonderer Berück- sichtigung seines Verhältnisses zu Gottsched. Von Dr. Johannes Rentsch. Leipzig, Paul Beyer, 1890.

Revue des Langues romanes, Octobre, Novembre, Ddcembre 1889 [L.-E. Pelissier, Lettres inedit^'s de dom Claiido de Vic A fr. Ant. Marnu. Ch. Revillout, Voltaire et le duc de Richelieu. E.-Daniol Graml, Cuurs de paleographie. Leyou d'ouverture. C. Chabaneau, La Prise de Jeru- salem (fin). M. Wilmotte, Publications folk-lori([Ucs de la Socictc lit^geoise de litt, wallonue. Chronique].

Der historisch-mythologisclio Hintergrund unil das System der Sage im Cvklus des Guillaume d'Orunge untl in dcu mit ihm verwandten Saeeu-

480 Verzeiclinis vou JÜichorii und /citschrifteD.

kreiseu, vom Realgymnasiallehrer Hugo Saltzmaiiu (Beilage /um Jabros-

bericlit dos städt. Realprogymu. 7ai Pillau, Ostern lH9i)). :;0 S. 4.

Neues spanisches Lesebuch mit Anmerkungen herausgeg. von Carl Marquard Sauer, k. k. Regierungsrat u. s. \v., und Wilh. Ad. Röhr ich, Lehrer d. spau. Spr. a. d. Höh. Handelsschule in Stuttgart u. s. \v. Zweite Ausgabe mit Wörterbuch. Heidelberg, .1. Groos, ISlid. YIII,'2!>2, <S1 S. x. Elemeutarbuch der englischen Sprache zum Schul- und Rrivatuiiter- richt vou Dr. Immanuel Schmidt, Prof. a. d. Kgl. Haupt-Kadetteuaustalt zu Lichterfelde. 10. veränderte Auflage. Berlin, Haude- u. Speueröche Buchh. (F. Weidliug), 1890. VIII, 335 S. 8. Geb. M. 2.

Führer durch die französische und englische Schiülektüre. Zusammen- gestellt von einem Schulmann. Wolfenbüttel, Zwii'sler, 1890. G3S. kl.8. Echo of the Spoken English. First Part: Childreu's Talk by R. Shindler, M. A., London. Leipzig, Rud. Giegler, 1890. I u. 48 S. Kart. M. 0,70 [Textabdruck aus dem S. 3G7 verzeichneten 'Echo der engl. Umgangssprache I'].

Sprachsünden. Eine Blütenlese aus der modernen deutschen Erzäh- luugslitteratur von Theodor von Sosnosky. Breslau, Eduard Trewendt, 1890. III, 70 S. 8.

Das Archiv. Bibliographische Wochenschrift. Herausgegeben .von Julius Steinschneider. III. Jahrg. Nr. 13—18 [R. Fr. Kaindl, Über ein Beschwörungsbuch. Gröpler, Büchereien mittelbarer Fürsten und Grafen Deutschlands und Österreichs].

The Problem of the Ohio Mounds by Cyrus Thomas. Washington, Government Printing Office, 1889. 54 S. 8.

The Circular, Square, and Octogonal Earthworks of Ohio by Cyrus

Thomas. Washington, Government Printing Office, 1889. V, 35 S. 8.

Racine und Hellodor. Programm der Kgl. Studienanstalt Zweibrückeu

zum Schlufs des Studienjahres 1888/89 verfafst von Aloys Tücher t,

K. Studienlehrer, 51 S. 8.

Ouvrages de Philologie romane et Textes d'ancien Francais faisant partie de la bibliotheque de M. Carl Wahl und ä Upsal. Liste dressee d'apres le Manuel de litterature franyaise au moyen-äge de M. Gastou Paris. Avec quatre appendices et deux tables alphabetiques. Upsal, Imprimerie de l'Universite, Mai 1889. XXII, 244 S. 8 ['Tire a ceut ciu- quante exemplaires, et non mis dans le commerce'].

Französische Grammatik für Mädchen. Teil I. Mittelstufe. Teil IL Oberstufe. Von M. Weils. Paderborn, Ferd. Schöningh, 1890. VIII, 144 und VIII, 244 S. 8.

Französisches Übungsbuch für Mädchen. ..Teil I enthaltend: Ge- mischte Übungen, Übungen zur Vorschule und Übungen zur franz. Gram- matik Teil I. Teil IL Zum Gebrauch für Lehrer und Erzieher sowie fürs Haus. Enthaltend: Französische und deutsche Sätze, wie auch zusam- menhängende Stücke in beiden Sprachen als Diktatstoft'. Von M. Weil's. Paderborn, Ferd. Schöningh, 1890. IV, 80 und III, 80 S. 8.

Inhaltsangabe von Torquato Tassos Befreitem Jerusalem von dem Direktor Dr. Wilhelm Wittich (Beilage zum Jahresbericht des Real- gymnasiums zu Kassel für 1889/90). Leipzig, Gustav Fock, 1890.

Revue de l'Euseignement des Langues Vivantes. Directeur: A. Wol- fromm, Professeur au Lycee Louis-le-Grand. 7f annee. Avril 1890. No. 2. S. 49—96 [J. Mothere, Rapport sur l'Agregation d'Anglais en 1889. E. Debiay, Etüde sur les Verbes forts et les Verbes irr^guliers (suite et fin). A. Biard, Manfred traduit en vers fraugais. Concours de 1890, Avis., Revue des Cours et Conferences, etc.].

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