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ARCHIV

FÜR -^

LITTERATURGESCHICHTE

HERAUSGEGEBEN

VON

De. FRANZ SCHNORR voh CAROLSFELD,

K. BIBL.IOTHECAH IH DBX8DBH.

VII. Band.

LEIPZIG,

DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER

1878.

Inhaitsyerzeiclmiss.

Seite

Die Büchersammlung des Hans Sachs. Von Karl Goedeke . 1—6 Das dreizehnte Spruchbuch des Hans Sachs. Von Edmund

GOETZE. . 7 23

Nachtrag hiezu 302^303

Zu Lessings Dichtungen. I. Von Robebt Boxbeboer. II. Von

Beinhold Eoehleb ' 24 32

Helfrich Peter Sturz. Von J. F. L. Theodob Mebzdobp . . 33—92

Zu Goethes Gleichnissen. Von Goedeke : . . 93—94

Schiller und Garve. Eine Untersuchung. Von Daniel Jacoby 96—145

Zur Faust-Litteratur. Von Boxbebgeb 146 148

,,H. A. 0. Beichard. Seine Selbstbiographie . . . herausgg. von

Hermann Uhde." Angezeigt von Wilhelm Fielitz . . . 148—162 Miscellen. Ein alter maccaronischer Vers, von Johann Karl Seidemann; das Gedicht auf den Geburtstag des Hofraths Loder nicht von Schiller, von Boxbeboer; Gedichte von Bückert, mitgetheilt von A. M. Ottow; ein Heine zuge- schriebenes Soldatenlied; von F. L 163—156

Jacob Wimpfelings Stylpho. Von Goedeke 167—163

Jacob Wimpfeling als deutscher Schriftsteller. Von Ludwig

Geioee 164—176

Ein zweites Exemplar des ältesten Faust-Buches. Von Gustav

Heinrich 176—178

Kleine Beiträge zur Vermehrung und zur Verbesserung des

Lessingschen Textes. Von Boxbebgkb 179—186

Ein unbekanntes Gedicht Höltys. Von Karl Weinhold . . 187—194

Zu Schillers Uebersetzungen aus dem Euripides und dem Virgil.

Von Fritz Jonas 195—203

Gräfin Agnes zu Stolberg. Von ihr und über sie. Von Wein- hold 204—216

Uhland als Dramatiker. Zu A. von Kellers gleichnamigem Buche.

Von Boxbebgeb 216—224

Briefe von Uhland. Mitgetheilt von demselben 226—236

,,Legrand, recueil de chansons populaires grecques** und „Jean- naraki, Kretas Volkslieder.** Angezeigt von Felix Lieb- recht 236-263

„Baechtold und Vetter, Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz Bd. 1.** Angezeigt von Ebnst Ludwig Rochholz 263—259

„Hans Salat, herausgegeben von Baechtold.** Angezeigt von

demselben 260—264

„Herders Werke, herausgegeben von Suphan. Bd. 1." An- gezeigt von Boxbebgeb 264—266

Oldenburgs litterarische Zustände von 1773—1811. Von Karl

Freiherm von Beaulieu-Marconnay 266—273

Mise eile. Eine Stelle im SchiUer-Goetheschen Briefwechsel.

Von Fielitz 274

IV InhaltsyerzeichniBs.

Seite

Em schön kurtz lied von Johann Friderich Churfursten und

Philips Landgraffen zu Hessen 1546. Mitgetheüt Von

Wilhelm Cbecelius 277—278

Hans Sachs als Gegner des Markgrafen Albrecht Alcibiades.

Von GoETZE 279 303

Ein Lied aus dem Anfang dea 17. Jahrhunderts. Mitgetheüt

von Cbecelius 303 304

Zu Fischarts Bildergedichten. ' Von Camillus Wendelbb* . . 306—378

Zu Schillers „Teufel Amor". Von Heinrich Duentzbr . . . 379 382 Zwei ungedruckte Briefe von Schiller an G. J. Göschen, Mit-

getheilt von Hans Graf Yorck von Wabtenbubq . ' . . . 382—385 „Canti popolari di Noto. Studii e raccolta di Corrado Avolio."

Angezeigt von Liebrecht 386—390

„J. W. Schäfer, Grundriss der Geschichte der deutschen Litte-

ratur. 12. Auflage." Angezeigt von BcxBiäiBOER .... 390 „Wilhelm Cosack, Materialien zu Lessings Hamburgischer

Dramaturgie." Angezeigt von Emil Gbosse 390 406

„Bernhard Seuffert, Maler Müller." Angezeigt von Boxbebobb 407 Miscellen. Zu Schiller. 1. Von Fbitz Jonas. 2. Zu S. 154 f.

dieses Bandes. Von Boxbeboeb 408

Zur Geschichte der mittellateinischen Dichtung. Von Budolf

Peipeb 409—433

Michael Lindener als Uebersetzer Savonarolas und Herausgeber

theologischer und historischer Schriften. Von Wendeleb 434—484

Aus G. Eestners Brief Sammlung. X. L essin ff. Nebst einem An- hange Goethe und Goud betreffend. Mitgetheilt von Box- beboeb 485—488

Ungedruckte Briefe von Wieland. Mitgetheilt von Ludwig

HiBZEL 489—518

Zu Herders Gedichten. Von Dubntzeb 519—523

Pfeil. Von Goedbke 524—528

Goethes Lothringische Reise. Von G. von Loepeb . . - . . 529 533

Gh>ethes Tanzlehrer in Strassburg und das „Princesschen" in

Neapel. Von Woldemab Freiherm von Biedebmann . . 534—536

üngedruckte Gedichte von Goethe aus Hirzels Sammlung. Von

demselben 537—539

Zweite Fortsetzung der Nachträge zu Hirzels „Neuestem Ver-

zeichniss einer Goethe-Bibliothek." Von demselben . . 540—549

,, Hermann Palm, Beiträge zur Geschichte der deutschen Lit- teratur des XVL und XVH. Jahrhunderts." Angezeigt von Fbiedbich Bobebtao 550 552

„Heinrich Rückert in seinem Leben und in seinen kleineren

Schriften. Bd. 1. 2." Angezeigt von Boxbeboeb . . . 553

Verbesserungen und Nachträge 554 557

Register 558—562

* Hiebei ein Carton mit zwei Phototjpien.

Die Büchersammlnng des Hans Sachs.

Von Karl Goedeke.

In dem Gesammtregister^ das Hans Sachs für sich über alle seine Dichtungen und Dialoge im J. 1Ö60 begann und in den folgenden Jahren fortsetzte, hat er Bl. 118 f. auch den ;,Schulzetel zu Nürnberg'' aufbewahrt, den Hertel in seinem Programm über die Zwickauer Handschriften des Dichters veröffentlichte. Unmittelbar darauf folgt (Bl. 122 f.), in fünf Spalten, das Verzeichnis seiner kleinen Büchersammlung, das zwar in Bezug auf Genauigkeit der bibliographischen Angaben viel zu wünschen übrig lässt, aber doch einen kleinen Beitrag zur Eenntniss seiner Quellen gewährt. Ich theile es ohne weitern Commentar genau nach der in Zwickau vorhandenen Handschrift; mit.

122*: Anno salutis 1562 am 28 tag Januarij meins alters im 67 jar hab ich hans Sachs diese meine puecber inventirt vnd ain ides puech sunderlich verzaichent nach dem Abc wie wol oft mer puecber dan ains zw samen eingepuuden sent in ain puecb.

A.

Apuleus mit dem gaelden Esel.

Alanus von der menscbwerdung CristL

Alten weysen Exempel pucb.

Antomej puecb von allen gliedern des menseben.

B.

5 Bibel das erst dail witenberger druck. Bibel das ander dail witenberger druck. Bibel das new tbestament. Brandanus was er auf dem mer für wunder erfaru.

Abohty f. Litt.-Obbob. VII. 1

2 C^oedeke, Bflchersammlnng des R. Sachs.

C.

Concordanz . vber die ganz Bibel. 10 Cronica der der [!] Nürnberger gros Kobergers. Cronica vber ganz deutschlant Sebastian Francken. Cronica denmark, Schweden vnd nortwegen Alberti Crantz. Cronica der Augspurger. Cento Nouella Jobannis Bocacij.

D.

15 Das erst gesamelt puch der sermon vnd tracteÜein 40stüeck.

Das 2 gesamelt puech der sermon doctor martinj 10 stüeck. 122^: Das 3 gesamelt puech helt inen 39 sttteck.

Das 4 gesamelt puech helt inen 19 stüeck.

Das ö gesamelt der sermon helt 51 stüeck. 20 Das 6 gesamelt puech allerley materj 21 stück.

Dares phrjgius die Zerstörung tria [Trojas].

Das erst puech meiner gedieht allerley materj 376 stück.

Das ander gedrucket puech meiner gedieht helt 318 stück.

Das drit gedrucket puech meiner gedieht 102 Comedi.

E.

25 Esopus seine 4 puecher vnd ander fabel auserhalb. Ewlenspiegel mit seiner schalckheit.

F.

Franciscus petrarcha von paiderlej glueck vnd vnglüeck

2 puch Franciscus petrarcha gedenck puech 4 püecher.

G.

Gesta romanomm der römer gemain geschieht puch. 30 Gart der gesundheit oder natur puech 4 puecher.

H.

Homerus die irrfart vlisis 24 püecher. Herodotus der kriechisch geschichtschreiber 9 puecher. Herodianus der gschichtschreiber romischer kaiser 8 puecher. Hueberinus von zom vnd güete gottes. 35 Herzog ernst nach der alten peschreibnng puech.

I.

Justinus der geschichtschreiber die anfeng der kunigreich

44 puecher. Johannes Bocacius die 99 durchlewchting frawen.

Goedeke, Büchersammlnng des H. Sachs. 3

Johannes Bociu8[!] von den vnglueckhaftigen person 9 puecher. 123*: Jesus sirach gereimet durch herr Sebastian grosen.

K.

40 Kurze kriegssordenung.

Kaiserin von rom vertrieben.

Kunst puech von rossen, varben vnd kranckheiten.

L. Ludowickus vartemanus der lantfarer.

M.

Maister gesang das erst puch meiner gedieht 50 par.

45 Maister gesang das 2 puch meiner gedieht 135 Maister gesang das 3 puch meiner gedieht 166 Maister gesang das 4 puech meiner gdicht 243 Maister gesang das 5 puech meiner gedieht 259 Maister gesang das 6- puch meiner gedieht 274

50 Maister gesang das 7 puch meiner gedieht 318 Maister gesang das 8 puch meiner gedieht 273 Maister gesang das 9 puch meiner gedieht 338 Maister gesang das 10 puch meiner gedieht 415 Maister gesang das 11 puech meiner gedieht 381

55 Maister gesang das 12 puech meiner gedieht 340 Maister gesang das 13 puech meiner gedieht 333 « Maister gesang das 14 puch meiner gedieht 320 Maister gesang das 15 puch meiner gedieht 333 Maister gesang das 16 puch meiner gedieht 97 vnd 40 gemaine lieder gaistlich vnd weltlich

60 Maister gesang 1 puch von fremben gedichttn 398 par. Melusina ein vertewsch franzosisch gedieht. Mörin vom venus perg.

123*»: N.

Naturlich Weisheit der alten 4 püecher. Naturpuch fisch, fogel, tier vnd Edelgstein. 65 Naturpuch das klain.

Narren schiff doctor Sebastian prant. ^

0.

Ouidius von verenderung der gestalt. Ouidius von der lieb arzney.

P.

Psalter ausgelegt durch pomeranum. 70 Plinius von der natur menschen thier vnd fisch 5 puecher.

1*

4 Goedeke, ßücberaammliiDg des H. Sachs.

Plutarcbus von den 46 durchlewchting mannen. Plutarcbus von den gueten Sitten 21 puecher. Pandeckt puechlein der heiligen Schrift Otto prumensis. Postil des aduent ausgelegt doctor martin luters. 75 Psalter gsangweis sambt andern kircben gesengen.

Prediger Salomonis ausgeleckt durch doctor Johannen Brentzen.

R.

Rethorica tewsch formular zw Schreiben. Rechenpuecher 3 von aller art rechnung. Rollwagen vnd zwo gartten gselschaft vnd 3 Comedi. 80 Register all meiner gedieht gesang Comedj vnd sprüch.

S.

Seneca von gpietten sitten 46 puecher. Schwetonius tranquillus von 12 Keisern 12 puecher. Sabellicus Exempel puech von Cristen Juden vnd haiden. Schiltperger ein lantfarer. 85 Schimpff vnd Ernst. Sews ain müncherej. 124 : Spruch puech das erst meiner gedieht vnd Comedi helt 12 stück. Spruch puech das 2 meiner gedieht helt 57 stück. Spruch puch das 3 meiner gedieht helt 128 90 Spruch puch das 4 meiner gedieht helt 100 Spruch puch das 5 meiner gedieht helt 108 Spruch puech das 6 meiner gedieht helt 107 Spinich puech das 7 meiner gedieht helt 38 Spruch puech das 8 meiner gedieht helt 66 95 Spruch puech das 9 meiner gedieht helt 64 Spruch puech das 10 meiner gedieht helt 51 Spruch puech das 11 meiner gedieht helt 51 Spruch puech das 12 meiner gedieht helt 130 Spruch puech das 13 meiner gedieht helt 134 100 Spruch puech das 14 meiner gedieht helt 36

Spruch puech das 15 meiner gedieht helt 186 stück. Sebastianus prant fabel.

das 16 puech meiner S[prüch] helt 194 stück. Schuldpuecher zwai das alt vnd new. M)5 das 17 puech meiner Sprüch helt 118 stück.

das 18 puech meiner sprüch [enthält 196 stück], aller gedieht 5932 im 1565 jar. anno 1567 aller gedieht 6032.

T.

Thumierpuech anfang wie vil ir gehalten sint. 110 Thürckischer kaiser Ankunft und herkumen.

Goedeke, Büchersammlnng des H. Sachs. {

V.

Valerius maximus der römisch geschichtschrciber 9 puecher. Wanderschaft zumb heilligen grab vnd land. Weltpach Sebastian francken.

X.

Xenophons drej puecher vom kung Cirus.

Z.

115 Zwelff artickel des glanbens auf papistisch.

Von diesen Büchern sind noch vorhanden: in Zwickau Nr. 45—48 (Nr. 46 ist erst in neuester Zeit daselbst aufge- funden). 51. 55. 56. 58. 80. 90. 97—99. 103 und 106; in Dresden Nr. 92; in Leipzig Nr. 95 und 96; in Berlin Nr. 60. Dies letztere Buch^ aus der Ebnerschen Bibliothek durch Nagler in die königliche zu Berlin gekommen^ enthält zwar meistens Meisterlieder von andern Verfassern , aber von Hans Sachs ge- schrieben, und im Anhange eine Reihe von Liedern des Hans Polz von fremder Hand. Die Zeilen 107 und 108 sind später an den Rand geschrieben.

Bei diesem Anlass mochte ich jüngeren Freunden des Dichters einen Wunsch vorlegen. Die beiden wichtigen Mei- stergesangbücher 1 und 16 (Nr. 44 und 59) , in die Hans Sachs nach Ausweis seines Registers (Nr. 80 Bl. 73) seine weltlichen Lieder nicht-meistersängerischer Art einschrieb^ schei- nen freilich verloren zu sein. Aber das 18. Spruchbuch (Nr. 106) ist in Zwickau noch vorhanden. Es enthält^ ausser biblischen Stoffen, meistens Psalmen , eine ganze Reihe von Spruch- gedichten, die, den Titeln nach, für die Sittengeschichte der Zeit, für die Geschichte Nürnbergs und die Lebensgeschichte des Dichters von Interesse erscheinen. Ich nenne darunter die Reime auf Gold- und Silbergeschirre (auf das silbern kleinat, auf die guelden scheuem, zur silbern cartaun); Bullieder, von denen einige bei Hertel gedruckt sind; Lobsprüche der Städte (der auf "Wien ist von H. Haueis 1876 als Programm, der auf Hamburg in Bd. 5, 1866, der Zeitschrift des Hamburg, historischen Vereins gedruckt); besonders aber die Reime zu Bildnissen und Denktafeln, so „14 Reimen zur Contrafactur Albrech Dürers",

G Goedeke, Büchersammlung des H. Sachs.

und j^meines Adams gedenktafel gepurt ynd Abscheiden, 16 Reimen'^, so wie ,,12 Reimen zu der gedenktafel meines Adams hinden^^ Diese Kleinigkeiten verdienten erhalten und bekannt zu werden y da sie über Verhältnisse und Verbindungen des Dichters Aufschluss geben oder geben können. Jüngere Forscher finden vielleicht Gelegenheit, dieselben in einem Schulprogramm zu veröffentlichen und sonst wissenswerthes aus diesem 18 Spruchbuche mitzutheilen.

Das dreizehnte Spruchbucli des Hans Sachs.

Von

Edmund Goetze.

Nachdem RobertNaumannin seinem Programme „Ueber einige Handschriften von Hans Sachs'^, Leipzig 1843; gesagt hattC; der grösste Theil der beiden in Leipzig befindlichen Spruchbücher des Hans Sachs sei schon veröffentlicht; doch aber eine wenn auch kleine Nachlese von bisher unbekannten Stücken gab, berichtete Rectbr Hertel in dem Zwickauer Pro- gramm vom J. 1854 zuerst ausführlicher über die im dor- tigen Rathsarchive vorhandenen Handschriften des berühmten Meistersängers. Er wendete indess seine ganze Aufmerksam- keit nur den Meistergesangbüchern zu, weil der Inhalt der Spruchbücher zum grössten Theile schon bekannt wäre.

Bei genauerem zusehen findet sich aber in den Spruch- büchem noch manches, was Anspruch auf Beachtung machen darf,

Vorderhand habe ich das 13. Spruchbuch durchgearbeitet, dessen Benutzung, wie überhaupt die der ganzen Sammlung mir Herr Bürgermeister Caspari in Zwickau in freundlichster Weise gestattet, resp. zugesagt hai

Was die Frage betrifft, ob Hans Sachs die Zwickauer Bände selbst geschrieben oder bloss durchcorrigiert habe, so verweise ich aufSchnorrs Schrift „Zur Geschichte des deutschen Meistergesangs^^, Berlin 1872, wo derselbe von S. 25 28 so klare Beweise und zwingende Gründe für die Echtheit der Handschriften vorbringt, dass damit die Sache vollständig er-^ ledigt ist. Naumann sagt schon in seinem angeführten Pro- gramm, die beiden Leipziger Bände seien unzweifelhaft von H. Sachs geschrieben, und dies ist nach Yergleichung mit den Zwickauer Büchern einfach zu bestätigen.

8 Goetze, das 13. Sprachbuch des H. Sachs. "^

Die Bände sind so schon und gleichmässig geschrieben und mit so wenig Correcturen versehen^ dass wir nicht an- nehmen dürfen, sie seien der erste Entwurf. Dagegen spräche auch, dass z. B. auf die Fabeln und Evangelien meist eine ganz gleiche Zahl von Versen verwendet worden ist. Wol aber waren dem Dichter diese Bücher der Sammelplatz aller seiner dichterischen Erzeugnisse, die er gewiss sofort nach der Voll- endung dort einschrieb.

Im ganzen enthält der 13. Band 46 geistliche spruech, figuren vnd prophezey, 3 Tragedien, ebensoviel Gomedien, 2 Fasnachtspiele, 19 Sentenzen aus Philosophen und Poeten ge- zogen, 15 histori vnd geschieht, 18 Fabeln und 30 gutte schwenck (also 136, nicht 134 Stücke, vgl. oben S. 4, 99).

Vergleichen wir die Datierungen der in das 13. Spruch- buch eingetragenen Dichtungen mit den Tagbezeichnungen in den gedruckten Ausgaben, so finden wir, dass die meisten übereinstimmen. ,

Unser Augenmerk müssen wir jedoch auf die wenigen Ge- dichte richten, die in der Chronologie der gedruckten Bände eine andere Stelle einnehmen als im Spruchbuche. Manche Differenzen beruhen auf blossen Schreib- oder Lese- oder auch Druckfehlem und sind deshalb von geringem Belange. Nur werden wir immer genothigt sein, die Handschrift al^ mass- gebend gelten zu lassen, da sie durch die fortlaufende Keihe in der Datierung unterstützt wird.

Bei grosseren Abweichungen erinnern wir uns an den An- fang der „Vored in dis dreyzehent puech meiner Comedj vnd spruech^', wo der Dichter schreibt: „Anno salutis 1558 (bei Hertel a. a. 0. S. 12 steht in Folge eines Druckversehens 1538) hab ich Hans Sachs ein liebhaber deutscher poeterey* dis mein dreyzehent puech der Comedj vnd spruech angefangen

* Es sei mir vergönnt, hier eine Stelle meiner Monographie über den Meistersänger A. Puschman (Neues Lausitz. Magazin Bd. 53 S. 64) zu berichtigen. Während nämlich H. Sachs in früheren Bänden, z. B. dem vierten der Meistergesänge, sich wirklich „Schumacher** nennt, wählt er in den späteren wie in dem obigen die Bezeichnung als Liebhaber der Poeterei. Darnach scheint es, was auch bei der Fülle seiner dichterischen Production wahrscheinlich, dass {I. Sachs in seinen späteren Jahren das Handwerk au%egeben habe.

Goetze, das 13. Spruchbnch des H. Sachs. 9

zw dichten an dem siebenzehenden tag augusti^^ u. 8. w. Dar- aus dürfen wir unbedenklich folgern, dass die Entstehung aller Dichtungen, die in diesem Bande enthalten sind, zwischen den 17. August 1558 und den 16. August 1559, den Tag, von welchem 'das letzte Gedicht datiert ist, fallt.

Ebenso kennen wir Beginn und Abschluss in mehreren andern Bänden und dürfen da dem ganz ähnlichen Eingange der Vorreden zufolge auch behaupten: alle in dem betreffenden Buche aufgeführten Lieder sind innerhalb des Zeitraums ge- dichtet, der durch das erste und letzte Gedicht begrenzt ist. Ja es lässt sich daraus auch der Schluss für diejenigen Stücke ziehen, die in verlorenen Bänden, beispielsweise der Meister- gesänge, standen. Wenn der Meistergesang im zarten Ton Frauenlobs „die ungleichen kinder Eue'^ (gedruckt bei Goedeke, Hans Sachs S. 212) auch in der Gottinger Hand- schrift (Ms. philol., 194. 4. BL 20) unter dem Jahre 1546, August 25. aufgef&hrt wird, so sagt uns dagegen das hand- schriftliche Generalregister, dass das Lied im 9. MGesangbande auf Bl. 196 stand, worin Lieder aus dem J. 1546 nicht mehr aufgenommen waren. Das 8. MG^sangbuch enthält vielmehr die Gesänge vom 28. November 1545 bis 31. December 1546. Folglich kann das Datum der Gottinger Hsch., trotzdem dass es von H. Sachs selbst geschrieben ist, nicht richtig sein. Und wirklich gibt auch die Dresdner Hsch. M 12 Bl. 145' den 25. August 1547 als Entstehungstag des betreffenden Gedichtes an. Die eben benutzten ^Kriterien beweisen auch, dass der bei Goedeke a. a. 0. S. 188 abgedruckte Meistergesang im abentton Nachtigals „die zeichen des regenwetters^' nicht nach 1545, sondern unter den 1. November des nächsten Jahres gehört, wohin ihn auch die Dresdner Hsch. M 11 Bl. 394' stellt. Ausserdem haben wir hierzu auch noch den 8. MGesang- band selbst als Beweis, der auf Bl. 218' in der That das ge- nannte Datum, den 1. November 1546, bietet.

Beispiele nun von kleineren Differenzen zwischen der Handschrift und den Drucken, die sich auf das 13. Spruchbuch beziehen, sind folgende:

Dus Ewangelium das krumb freulen Aligoria, in der Hans -Sachs -Ausgabe von Keller Bd. YL (Litt. Verein" zu Stutt-

10 Goetze, das 13. Spruchbuch des H. Sachs.

gart 110) S. 304 mit dem Datum des 8. Septembers 1558 ver- sehen^ hat in der Handschrift Bl. 33 die Unterschrift des 7. Se- ptembers. — Die Trage dia mit 21 person der Abraham lot vnd Opferung ysaac ist im Spruchbuche Bl. 33 56' ebenso wie in der Nürnberger Ausgabe vom IS. September 1558 datiert, während die Kemptner Ausgabe 3, 1, 1 sie schon unter dem 3. September aufführt. Das Fasnachtspiel der pauer mit dem saffiran (Sprb. Bl. 92'— 98') steht vor einem Gedichte vom 12. November 1558 und trägt das Datum des 10. Nov.; der Druck 5, 346 gibt aber den 17. November. Die Fabel vom kuen pauer mit dem forchtsamen mawl Bl. 161' 163^ 9. März; dagegen Hans Sachs hggb. v. Keller Bd. IX S. 214 16. März. Der Schwank der Herr mit dem verspielten knecht Bl 200'— 202 19. April, gedr. H. S. Bd. IX S. 470 29. April; und der knecht mit dem kranich Bl. 202 204 20. April, gedr. Bd. IX S. 474 30. April. Die Hundert vnd zehen Wasserflues des deutschen landes Bl. 278 281' vom 20. Juni, gedr. Bd. VII S. 464 vom 26. desselben Monats. Im Drucke steht die Figur Dina Jacobs dochter (Bd. VI. S. 200) als am 20. December 1558 gedichtet; die Hsch. lässt sie erst zwei Tage später, den 22. Dec, entstanden sein. Gerade so ist das Verhältniss bei der Aufzählung der 124 fisch, mertier vnd merwunder sampt ir natur vnd art, Sprb. Bl. 215' —220, 1559 am 8. Mai, gedr. H. S. Bd. VII S. 456 am 6. Mai, und bei dem Schwank der doctor mit der grosen nasen, Sprb. Bl. 347—348' 1559 am 14. August, gedr. Bd. IX S. 527 am 12. August. Fast mochten wir versucht sein, die darauf folgende aus 1336 Versen bestehende Com e die die edelfraw Beritola, die Bl. 348' 372' umfasst, in den alten Ausgaben 4, 2, 28 mit dem 31. August 1559 für richtig datiert zu hal- ten, gerade weil das vorhergehende am 14. Aug. entstand; auf dem ersten Blatte des Sprb. jedoch schreibt H. Sachs: „dis mein dreyzehent puech mit comedj vnd spruechen hab ich eben in ainem ganzen jar volendet meins alters im 65 jar wenger

11 Wochen", und jenes Stück hat das Datum des 16. August 1559. Von da bis zum 5. November sind es über 11 Wochen nur wenige Tage, deren der Dichter zur Registrierung des Bandes bedurfte. Grösser werden schon die Unterschiede, wenn wie

Goetze, das 13. Sprachbach des H. Sachs. 11

bei dem Haderwasser im Sprb. Bl. 27' der 5. September 1558 statt wie in dem VI. Bde (Litt. Verein 110) S. 220flF. des 5. Decembers des genannten Jahres steht. Bei dem Fast- nachtspiel der schwanger pauer mit dem fuel Bl. 139 145 ist der 26. Janaar 1559, in der Kemptner Ausg. 5, 35^ der 26. März angegeben. Erklärlich erscheint die Verschreibung 1. Mai (Bd. VI S. 200) für den 1. März bei der Fabel von dem eren vnd yrden Hasen (Sprb. Bl. 154' 156'). Auf- fallender ist es, wenn die drey spruech wider den reichtum Bd. VII S. 331 unter dem 18. August 1559 stehen, im Sprb. Bl. 232 234 unter dem 18. Mai oder die Fabel des maus mit der hawsschlangen Sprb. Bl. 198' ff. mit 18. April bezeichnet ist, gedr. Bd. IX S. 238 mit dem 28. September. Die drei nach- einander aufgeführten Schwanke: 1. der Edelman mit dem narren Bl. 306'ff. am 2. August 1559, 2. vom kargen abt mit seinem gastmeister Bl. 308 ff. auch am 2. Aug., 3. der guet montag BL 309'ff. am 3. August sind im Drucke der erste Bd. IX S. 521 mit 10. Juli 1559 aufgeführt, der zweite

Bd. IX S. 524 mit 7. Juli und der dritte Bd. IX S. 518 ebenfalls mit 10. Juli. Die 4 eygenschaft des menschlichen lebens, Bl. 339 ff. des Spruchbuches, sind am 8. August 1559, nicht, wie der Druck Bd. VII S. 302 sagt, schon am 13. Januar; und endlich das letzte Capitel Ecclesiastes schon am 16. August 1559, nicht erst am 8. September (Bd. VI S. 387) entstanden.

Solche Verschiedenheiten mögen oftmals von Hans Sachs selbst herrühren, der zwar nicht bei vielen, aber doch bei einigen Gedichten die Datierung zu einem bestimmten Zwecke änderte und demgemäss auch innerhalb mancher Umarbei- tungen vornahm. So hat er es mit dem Eingangsgedichte zu seinem 2. Buche (Kellers Ausg. Bd. VI. S. 20 f.), das vom 16. Febr. 1558 datiert ist, gethan. Er benutzte es als Ein- gang zu seinem 13. Spruchbuche und setzte dann als Datum den 17. August 1558 darunter. Offenbares Versehen ist es aber, wenn er die drey artlich spruech Chilonis vom 19. statt 29.

* April datieri^ da doch das vorher geschriebene Gedicht: 4 Stueck hintern ain thuegentlich leb (Bd. VII S. 427) am 27. April entstanden ist. Freilich ist der Fehler nun auch in die gedruckte Ausgabe übergegangen (Bd. VII S. 371).

12 Goetze, das 13. Spruchbuch des H. Sachs.

Am stärksten weichen die Zeitangaben ab bei folgenden Gedichten: der mensch kürzet im selb die zeit seines kurzen lebens; dasselbe hat im Druck (Bd. VII S. 299) den 6. Oct. 1546 am Schlüsse, im Spruchbuche Bl. 298' den 29. Juli 1559; das«^pild der waren freundschaft Bl. 300 den 30. Juli 1559, im Druck (Bd. VII S. 421) 1557 Novemb. 15; das thuegent- lich leident herz BL 301' auch den 30. Juli 1559, gedr. (Bd. VII S. 424) 1550, April 26.

Gerade bei diesen indess ist eine Erklärung für die Ab- weichung möglich. Das Datum des 6. Oct. 1546 trägt näm- lich der Meistergesang „die kurz zeit menschlichs lebens^' in des Dichters Rosenton, nach welchem er den Spruch gear- beitet. Derselbe steht im Zwickauer 8. MGesangbuche Bl. 198', femer in der Weimarer Foliohdsch. 418 Bl. 429 und endlich in der Dresdn. Hsch. M 11, 289'. Das Bild der wahren Freundschaft stimmt mit dem Meistergesänge im Rosenton, der im 9. MGesangbuche Bl. 309 stand, überein. Wir fin- den ihn in der eben angeführten Weim. Hsch. Bl. 240, in M 11, 296 und in M 12, 172^; in allen dreien trägt er das Datum 1547, 15. Nov. Auch hier wird der Dichter bei der Druck- legung, wobei ein kleiner Fehler unterlief, das Datum des be- nutzten Meistergesanges geschrieben haben. Und das gleiche ist wahrscheinlich der Fall bei dem letzten der angeführten drei Gedichte. Nur fehlt mir da der Beleg, und er ist aus der Reihe der MGesangbücher nicht mehr zu erholen, denn das Da- tum 1550, 26. April gehört in das 9. jetzt verlorne Gesangbuch.

Wollten wir freilich aus dem oben aufgestellten Satze, dass alle in dem 13. Spruchbuche enthaltenen Gedichte auch zwischen 17. Aug. 1558 und 16. Aug. 1559 gedichtet sind, die nahe liegende Folgerung ziehen, dass alle Spruchgedichte, die ein Datum aus demselben Zeitraum tragen und nicht in den Band eingeschrieben sind, auch nur fälschlich so bezeichnet seien, so steht dem der Umstand entgegen, dass das Greburtstags- gedicht vom J. 1558: Ein klag-gesprech über das schwer alter (Bd. VII S. 211), das überdem noch durch einen Sonderdruck ' für dieses Jahr bezeugt wird (s. Weller, Hans -Sachs -Biblio- graphie S. 54 Nr. 92), in dem Spruchbuche nicht enthalten ist. Ich füge hier einfach die Namen der vier anderen Gedichte

Goetze, das 13. Spntchbnch des H. Sachs. 13

bei, welche ihrer Jahreszahl nach eigentlich in dem 13. Sprb. eine Stelle haben müsäten, ohne dass ich für ihre Weglassung einen Grund beizubringen wüsste. Vom 11. November 1558 ist die Tragedia: die Jungfrau Pura und Ritter Gotfrid datiert^ gedr. 3, 1^ 231; vom 29. December 1558 der hecker mit den drey seltzamen stücken^ gedr. Bd. IX S. 332; vom 10. Februar 1559 Wer der vnseligst mensch sey, gedr. Bd. VII S. 343, und zuletzt vom 5. Juni 1559 die Historia Semiramis, gedr. Bd. VIII S. 695.

Erfreulicher als die trocknen Zusammenstellungen von Zahlen ist die Ausbeute, dfe uns das Spruchbuch an bisher noch ungedruckten Stücken gewährt. Auf Bl. 8 gibt H. Sachs den in ein poetisches Gewaud gekleideten Bericht von der Schlacht bei Gravelingen, höchst wahrscheinlich nach einer der Zeitungen ^ wie sie Emil Weller, die ersten deutschen Zeitungen (Litt. Verein 111) S. 160 ff. gesammelt hat. Dass es die eben genannte Schlacht ist, welche der Dichter meint, geht aus der Beschreibung hervor. Sie passt nur auf den am 13. Juli 1558 ausgefochtenen Kampf, und über ein gerade einen Monat vorher erfolgtes zusammentreffen der Heere feh- len jegliche Nachrichten.

Das an den Schluss gestellte Datum endlich enthält auch einen Fehler. H. Sachs schreibt, er habe das Gedicht am 27. Juni vollendet. Wahrscheinlich ist ihm der Monatsname aus den Reimen im Gedächtniss gewesen, so dass er ihn ganz einfach wiederholte. Ist es in der That die Schlacht bei Gravelingen, die besungen wird, dann fiele ja jenes Datum von selbst; ausser- dem aber hat der Dichter das Buch erst im August zu dichten angefangen. Alles spricht also dafür, zumal da der Bericht zwi- schen Gedichten steht, von denen das eine am 26., das andere am 29. August verfasst fst, dass wir den 27. August für den Entstehungstag ansetzen müssen.

Kuerze anzaigung der fchlacht fco rieh zwifchen küng philips aus Engelant

vnd küng aus franckreich anno 1558 am 13 Juni[I] in flandern pegeben hat.

Nachdem der Harre von der Mas guebemator zv Calis was in franckreich oberfter hauptmon

»

14 Goetze, das 13. Spruchbach des H. Sachs.

ZV fues wol mit zwolff dawfent mon

ynd mit zway dawfenten zv ros. 5

mit fechs Cartaunen vnd gefchos

gerüefbet nach dem aller peften

vnd zwifchen gr^ffüngen der Feften Bl. 8' vnd dem mer ift in flandem gfallen

hat darin erobert vor allen 10

dünkirchen das nicht wai* pefezt

mit gwalt das gwunen vnd zv lezt

auch fant Miuoci perg eingnumen

kam zogen wer ift im pekumen

wan das volck gfloben war vor fchrecken 15

fo nam er ein vil fchöner flecken

doi*ffer vnd Clofter an dem ent '

hat die plündert darnach verprennt

genzlich an allen widerfbant

es war kain kriegffolck in dem lant 20

vnd pracht ain guete pewt darfon

als des kung philips langet on

zw hant etlich hauptlewt pefant

Eyllent zv nechft herumb im lant

vom adel vnd riterfchaft wert 25

zway dawfent vnd achthundert pfert

die reiben füeret man zw fam

auch praeht man des fueffolcks mit nam

zv famen her von manchem ent

gertteft ganzer drey regiment 30

vnd auch der Spanier fünfhundert

guet hackenfchüezen aufgefundert

vnd der war zw fues auf neun dawfet

der keim vor den franzofen grawfet

von vnferzagten kuenen mannen ^ 35

zuegen vnter ain vndreyffig Pannen

als nun die franzofen im lant

gwunen mangel an prouiant

da haben fie fich an dem ent*

der feften greffling zv gewent 40

vier venlein zv dünkirchen glafen

grefflingen pelegert der mafen

doch daraus grofen fchaden entpfangen Bl. 9 vom gefchüez das vnter fie ift gangen

in auf 400 man erfchofTen 45

da wichens zw rüeck gar vertroffen

als fie nun merckten vor der hant

des künigs zewg aus Engelant

Goetze, das 13. Spnichbuch des H. Bachs. 15

haben fich die franzofen dort

gelegert an ain glegen ort 50

lieh wol verfchanzet vnd verwart das He warn anzv grewffen hart der halb der englifch hawff erweit fich gern feint in fchlacht Ordnung ftelt den ganzen tag gar vnfertrofTn 55

wurt heftig vnter fie gefcholTn das auch mercklichen fchaden thet der englifch hauff kein feltgfchüez het folichs gefchach auf den Zwölften tag des monaz Junij ich fag 60

des andren tags wurt man zv rat den feint angriffen mit der that als abgelawffen war die fluet rueckt nüeber der rajfig zeug guet die feint aber auch lerman fchluegen ' 65

in ir fchlacht Ordnung. gegen zuegen gewalticlich zv fues vnd ros vnd liefen abgen ir gefchos anf die englifchen das es erhal wol auf funfif oder auf fechlmal 70

das auch an fchaden nit abging derhalb ßch eylent vnteriBng der rajßg zewg auf der lincken feittn weil das fueffolck noch war von weittn doch heftig wart zv in gefchoHen 75

grieff der rayllg zeug fraidig on 77

da wert fich manch riterlich mon da wurt von roffen ain geftös Bl. 9' von hawen ftechen lawt gedös 80

die franzofen hielten fich veft die küerafer thetten das peft pis doch lezlichen an dem ent der franzofen zeug wart zertrent das er fich wendet in die fluecht 85

ider fein leib zu retten suecht nach dem kamen erft aneinander das fueffolck der beer paider fander auch manlich mit einander drafTen da ift veft mancher man entfchlaffen 90

die franzofen gar dapfer ftunden vnd fich der feint aufhalten künden aber der Engelender beer betten zwolff ftreitfchiff auf dem mer

16 Goetze, das 13. Sprncbbach des H. Sachs.

schuelTen binden in die franzofen 96

das He entlicb die fcblacbt verlofen flueben in ir wagen purg zv rüeck der ander daü zv irm vnglüeck der gab übers waiTer die fluecbt den der feint gar beftig nacbfuecbt 100

wie wol lie ücb aucb werten rund docb gingen fie vaft all zv grund fo erlag der franzofen macbt gar ynglüecklicb in diefer fcblacbt verluer als gfcbüez | aucb kam darfon 106

nicbs von aller Municion der gleicb all rewter vnd fueffannen aucb angfer pey vier dawfent mannen fint aucb auf irem dail vmbkumn an die im waffer fcbaden numen HO

der gleicb aucb da gefangen was der Oberst der berr von der mas vnd fünft nocb acbt drefflicber berm aucb vil von dem adel von ferm Bl. 10 aucb fünft vil gerayfiger mit 116

gefangen gnumen nacb krieges fit fuenft aucb üeber funfftawfent knecbt wurden gefangen nacb kriegfrecbt Etlicb aber der rayfing fpat

die flueben auf Calis die ftat 120

die felbigen darfan kamen der engelender fcbaden nameu ZV ros vnd fues auf ßebenbundert fambt etling adel aufgefunder t got woll ir aller fei pegnaden 126

fo alda baben gnumen fcbaden durcb fein milte parmberzikeit vnd woll aucb geben mit der zeit fegen vnd fried aus milter baut der obrikeit durcb alle lant 130

dardurcb fein gotlicb er aufwacbs fambt gmainem nuez Das wünfcbt Hans Sacbs

Anno falutis 1558 am 27 tag Junij[!] 132.

Die an das Ende gesetzte Zahl^ welche der Dichter in seinen Spruchbüchem bei jedem Stücke, um die Versanzahl desselben zu zeigen, sorgsam zugefügt hat, besagt, dass in sei-

Groetze, das 13. Sprachbach des H. Sachs. 17

nem Entwürfe 132 Verse standen. Bei der Reinschrift hat er aber die zweite Hälfte des 38. Reimpaares weggelassen. Das ist ihm gerade in den Gedichten, die ich hier veröflfentliche, wiederholt geschehen. Eine Correctur, wie sie sich anderswo häufig findet, ist nicht eingetreten, was um deswillen nicht zu verwundem, weil sie nicht behufs Drucklegung nochmals durch- gesehen worden sind. Ich habe die Zählung so dazu geschrie- ben, dass der Platz für die fehlenden RSme gerechnet ist. Das nächste noch nicht veröflfentlichte Stück auf Bl. 13rflF. der Hsch. fügt zu den vom Herausgeber dieser Blätter Bd. V S. 149 erwähnten aus dem 6. Spruchbuche stammenden drei Pritschengesängen des H. Sachs zwei neue hinzu, so dass die Annahme immer mehr an Wahrscheinlichkeit gewinnt, Sachs habe, wenn er nicht gar selbst Pritschenmeister gewesen, berufsmässig solche Gesänge für derartige Leute gedichtet.

Ain pritfehengefang auf ain groben karcken.

Herzw herzw ir lieben gfelln helft mir mein pritfchengfang erfchelln wan wir haben hir ainen gfpon der kumbt her von Sant grobion vnd wil ZV fant Dölpian gen 5

des ßnt feiner nothelffer zwen die haben an im thun ain zeichen das er in paiden thuet gelaichen wan all feine wort werck vnd that im alle*s maiCterlich an ftat 10

Bl. 132 das fein mus lachen ydermon

keins verfbands nembt er fich nit on

hat kaiu luefk zv hofflicheu dingen

den wo er hört die pfening klingen

da reckt er hin die oren fein 15

darmit hat er fein freud allein

die kratzet er zv fam mit hawifen

vnd wo im einer thuet entlawffeu

fo ift es im von herzen laid

daramb fo mues ich dir pey aid 20

dein grob I dolpifch vnd karge art

mit der pritfehen auf diefer fart

binden von deiner kerben hawen

gar maifterlich vor man vnd frawen

Ahohit f. Litt.-Obsoh. VII. 2

18 Ooetze, das 13. Sprachbach des H. Sachs.

dich pas pehobeln vnd pefchneiden 26

vnd thueftw das gedultig leiden ynd merckit dis pritfchenglknck von mir fo wirt ain waidlich man aus dir [28 statt 30 Verse.]

Ain ander pritfchen ^fang auf ainen pueller

Wolauff^wol her feit alle fro ¥dr haben vberkumen do ein recht natürlich venus kind der ift in puelerey erplind

er lauft vmb wie ain gailer ftier 35

wie er nachtz der metzen hoffier nachtz in oft jagen die nachtraben er maint fein puelen haimlich haben fo wais nimant den ydermon

mit yingem auf in zaigen thon 40

die metz helt in yur ainen läppen ftraift im am hals die narrenkappen er maint fie thw allain in lieben fo hat iie auch zv im noch Heben ynd welcher geit am maiften aus 45

denfelbn lefb fie in ir haus welcher nit angeit fchenck vnd gab 61. 132' der ift auften vnd gar fohabab darumb rat ich dw left darfon

wan dw gewinft nit daron 50

e dw erpuelfb ain fazilet es dich ain guete fchauben gftet darumb wil ich auf dein alfpacken *

frölich mit difer pritfchen hacken das von der pritfchen dir dein fchellen 55

klingen vnd muefn auf gfchwellen vnd wil dir mit der pritfchen fchem ob dw ain mal wolft wizig wem das ain pidermon werd aus dir den wirft des pritfchens dancken mir 60

Anno falutis 1559 am 7 tag Januari 60.

Das folgeude, Bl. 158' ff.^ ist ein Schwank, der vielleicht ein Seitenstück bietet zu dem von Weller , Hans -Sachs -Biblio- graphie S. 79 Nr. 166 angeführten Schwank: der pauem dantz.

Goetze, das 13. Sprachbach des H. Sachs. 19

Der purger Danz

Die zwen fordanzer f(agen)

Las VHS den rayen rttlich[!] füeren

wie es den purgem thuet gepüeren

fo auf die hoch zeit und geladen

das wir nicht verthien vngenaden

pey dem Junckhern vnd erbam geften 6

fander vns halten nach dem peften

ZV Er dem preutgam vnd der prawt

die vns den vortanz habn vertrawt

Das erfb par der gefel

wol mir das ich erlebt den tag

das ich den yorfprang haben mag 10

mit der die mein herz hat erweit

die mir allein auf erd gefeit

Die jungfraw

Janckher das glaub ich nit gar wol

ir ftecket frembder liebe yol

Eur herz ift ein dawbenhaus 16

ein lieb flewgt ein die ander aus

Der prewtgam f

wol euch mein prawt manch junger mon

hat euch zv lieb vnd dienft voron

manch riterUches fper thun prechea

in dem hewtigen gfelenftechen 20

Die prawt

Den fag ich danck | hab an dem danz iedem ftecher gefchieckt ain kränz itz mir auch duent manch junckfraw fchon auch manches frewleiu wolgethon

Der alt herr

Zart fchone fraw ich denck noch wol 26

Das ich war rund vnd frewden vol itz thuet der altman mit mir ringen kan nicht wie jung danzen vnd fpringen

Die fraw f

Herr ich glaub fer wol diefen dingen man fpricht die zeit thuet rofen pringen 30

Bl. 159 das alter kumbt mit mancherley

pricht vil frewd vnd kurzweil entzway

2

20 Goetze, das 13. Spmchbuch des H. Sachs.

Das halfent par fpricht er

wolt got das diefer vmefang

folt weren ain ganz monat lang

das erfrewet das herze mein 35

ach wie mecht mir nur pas gefein

Die junckfraw antwort

0 junckher ich pin nit die recht

in gefpot weis ir mir zv fprecht

ich wais aber wol wen ir meint

da euch die Hechten funen fcheint 40

Das ander halfent par f. er

ach wie ift mir itzund fo wol ich hab ain ganzen arm vol der wer mir lieber aigen mein den der gUelden zol an dem rein

Die junckfraw antwort

gefpötes hab ich wol gewant 45

derhalb thuet es mir nit mer ant er lebt denoch hoff ich auf erden der auch pald eelich mein fol werden.

Das naigent par f. er

Zart fraw nun Tagt mir an fürwar

wie hat euch gfallen mein new jar 50

das euch hewt pracht die fchwefter mein

das ir dis jar mein puel folt fein

Die fraw antwort

junckher fer wol ich fag euch danck

wil eueif puel fein das jar lanck

idoch allain in zuecht vnd eren 55

frewd vnd freuntfchaft darmit zv meren

Das 7 par fagt der gefel

junckfraw kent ir mich nechten nit als itz [ich?] zv euch pin kumen mit der Mumerey | waren verpuetzt Bl. 159' gleich fchwarzen moren aufgemuetzt 60

Die junckfraw antwort

junckher mich dawchi ir dantzt mit mir het nicht ain gttelden ringlein ir hangen in eurem rechten or ir wart ein lang gerader mor

Goetse, das 13. Sprachbnch des H. Sachs. 21

Das letzt par f fie

janckher ich wolt euch freuntlich pitten 66

wolt mich vom tanz auf ewrem fchlitten haitnfUeren wan es hat gefchneit der fchne dieff auf der gaCTen leit

Der gefel antwort

Ein man fol fich mit dinfb nit fpam

er fol reitten | lauffen vnd fam 70

werden frawen zy dinst vnd eren

ir lieb vnd gnnft darmit zv meren

Der drumel fchlager zum pfeaffer

gfel las vns machen knrze rayen

darmit wir manch jung herz erfrewen

das fie all fordenz müegen hon 75

paid erber frawn ynd auch mon

züechtig junckfrawn vnd jung gfellen

wen fie rumb drincken geben wellen

fo wollen wir auch knellet drincken

Das wir an wenden haimhin hincken 80

Anno falutis 1559

am 3 tag marci

80.

Das letzte, auf Bl. 311 ff., bietet einen für die Geschichte der Spielkarten nicht unwichtigen Beitrag. Wenigstens zei- gen die Sammlungen des Germanischen Museums, wie mir auf Anfrage Herr Dr. Frommann freundlichst mittheilt, f&r das 16. Jahrhundert nichts derartiges; auch die einschlägige Lit- teratur bringt uns kein Beispiel, dass damals etwa Karten- blätter mit Reimen versehen worden wären. Erst im vorigen Jahrhundert begegnen uns Karten mit wahrsagenden Reimen, die aber ganz verschieden von den folgenden sind. .

Ein gantz gereimbte karten

Das daus der pappagay 4

kund man das. verderben ^^ die gerten fpacim 6

aus flleren auf rad werben macht vnüez zeit verliem

3 5

kund man des vnglUecks plagen durch puelerey vnd zechen in ainem korb aus tragen thuet Er vnd guet zerprechen

22

Goetze, das 13. Spruchbuch dea H. Sachs.

wer gelt heftig nach fielt in vil verfuechung feit

7 wer ob fchant hat kein fchew vergleicht lieh mit der few

BL 311' 8

uebriger fttel wolueffc macht den fewen ain wueft

9 ftet vnd fchlöfer aufgang on krieg oft weret lang

10 Das gefprech der pappagey gleicht Heb den kinden frey

Die küngin

der pappagajn fcherzen get wie die lieb von herzen

obermon

pappagay pein lewten ift geren die in drewten

Der küng

pey mir in kalikut pappagay nifteln thuet

Das granat daus

wer gar nichs kan verften mns im kindfwagen gen

3

faitenfpil vnd ftndim fchwechen manchem fein bim

10

BL 312 9

wer oft zum arzet gat vmb den es üebel ftat

15

20

25

der fchwach durch lift oft fchwind den ftarcken vberwind 30

5 kirften vnd daige pim thund den pawem purgim

6

wer on fin wiz thuet gepam thuet im narrenfchiff fom

40

10 der grant opfel pmech geit ain lieblichen ruech

Die küngin

die gronad apfel rund find den kranckn gefund

Der oberman

ich wil pald lerman fchlagen 45 die krigslewt zamen jagen

Der künig

gronat apfel lobleich wachfen in meinem reich

rofen oder awgelein daus

zw der orgel ich fchaw pin doch ain grobe faw

50

wir halten das wappen mit vnfem peren dappen

4

Ein fchönes frawen pild on duegent ift doch wild

5

Herauf von deim plafen farzen kan ich nit lafen

6 on zuecht ain fchöne fraw vergleicht fich ainer faw

7 Den genfen predig ich ir fleifch erfrewet mich

BL 312' 8.

peren | waidlewt .vnd kind - folten ains fines find

55

60

34

rofen vnd negelein

fint wolfohmeckent vnd fein

Goetze, das 13. Sprachbuch des H. Sachs.

23

10 die yngefchaffen kind den müetem auch lieb find

Die küngin

der wolgefchmack in wertz Erhebt ein fohwaches herz

Der obermon

ich hab verfpilt mein fas vnd als was darin was

Der küng

ich pin der durckifch kaifer nach krieg ein gwaltig rajfer

Aichel daus

wer den fewfack wil nemen den riechen auch die premen

3

mit leben vnd mit pem fol kain man fcherzen gern

4

Wappen vnd ghrechtikeit zirt ain herfchaft alzeit

5

ich fchlewff vnd pin verirt mein kling ftet kurtzer wirt

70

65 wil[!] fawffen vnd vndewen kumbt nur zw guet den fewen

7 ach lueg ir vntem fÜefen 61. 313 mues mein ynzuecht wol püefen

8 mich frewet das gefang 85

Yur aller geigen klang

9 Es pirgt (ich neid vnd has wie ein fchlang in dem gras

10 viel aichel auf dem gew machen guet faifte few 90

Die küngin

aichel vor langen jarn

ein fpeis der menfchen warn

Der oberman

ich pin ein grober paur mein narung wirt mir fawr

Der küng

ich pin gerüest zum krieg 95 80 hoff ZV erlangen (leg

anno falutis 1559

am 4 tag augufti

96.

75

Zn Lessings Dichtnngen.

i.

Von Robert Boxberger.

1. „Die Flucht*' (Buch I, Sinnged. 31; Grotesche Ausgabe I, S. 12). Menagiana, Paris 1715, 11, S. 62: M. duPerier estime la yersification de Glaudien, de Yirgile et d'Horace; encore, dit-il, qu'il ne Youdroit pas avoir la reputation de ce demier, et etre accuse de rinfamie dont il se vante lui-meme; d'avoir Jette les armes et d'avoir fui dans le combat; mais je le par- domie ä M. du Perier, parce qu'il ne sait peut-etre pas que les Grecs ont dit en faveur des fuiarts:

Que ceux qui fuient sont en etat de se battre une autre fois.

2.

I, 59 (Grotesche Ausg. I, S. 20). Ich bemerkte dazu, nach Haug: ,,Nach einem franzosischen Epigramm.^' Aber Haug ist sehr unzuverlässig, und jetzt sehe ich, dass Ramler schon 1787 auf die wahre Quelle dieses Epigramms ausdrücklich aufmerksam gemacht hat. Es ist das von ihm in Biesters Berlinischer Monatsschrift X, S. 196 f. fol- gendermassen übersetzte Epigramm des Martial II, 41:

Auf die zahnlose Maximina.

0 lache, MSdchen, wenn du klug bist, lache!

So, dünkt mich, sagte der Peligner Dichter.

All^ er sagte dies nicht allen Mädchen;

Und hfttt' er allen Müdchen dies gesaget,

So sagt* er dir's doch nicht; du bist kein Mädchen.

Boxberger und Köhler, zu LesaiDg. 25

Auch hast du nur drei Zfthn im Munde, Zähne,

Die brauner sind als Bux, die schwarz wie Pech sind.

Nein, Maximina! glaubst du deinem Spiegel

und mir, so scheue ja das Lachen ärger

Als Spanius den Wind, die Finger Priscus,

Den Regen die bekleidete Fabulla,

Sabellens Bleiweissangesicht die Sonne.

Nimm strengere Geberden an als Priams

Gemahlin oder ältre Schwiegertochter.

Philistions des Lustigmachers Mimen,

Kurzweilige Gelage, Schäkereien

Von aller Art, die sichtbar uns zum Lachen

Die Lippen yon einander ziehen, meide;

Nur zu betrübten Schwestern, bangen Wittwen,

Trostlosen Müttern setze dich. Auch halte

Dich ganz allein zur tragischen Kamöne.

Befolge meinen Bath^ er ist dir heilsam.

0 weine, Mädchen, wenn du klug bist, weine!

3. „Die blaue Hand" I, 80 (Grotesche Ausgabe I, S. 25). Menagiana U^ S. 74: On faisoit lever la main ä un Teinturier qui les avoit toutes noires. Le Juge lui dit: Ostez vötre gand. Le Teinturier dit: Monsieur, mettez vos lunettes.

4. I, 90 (Grotesche Ausg. I, S. 28).

An ebendenselben (Herrn von Dampf).

Dem hast du nur die Hand und dem den Kuss beschieden. Ich, gnädiger Herr von Dampf! bin mit der Hand zufrieden.

Vergl. Lucians „Nigrinus*', übers, von Wieland, I, S. 38f. „Man muss zu ihnen hingehen, und, indem man schon im Annähern seine Seele vor ihnen erniedrigt, mit niedergeschla- genen Augen und demüthiger Gebehrde sich beugen, und ihnen den BrOck oder die Hand küssen, eine Ehre, die von solchen, die dazu nicht einmal gelangen können, mit eifersüchtigen Augen angesehen wird; indessen der eingebildete grosse Mann dasteht, und ein Vergnügen daran findet, die Dauer einer so schmeichelhaften Täuschung zu verlängern. Indessen lobe ich sie darum, dass sie uns andere gemeine Leute für zu gering achten uns zu ihren Lippen zuzulassen.'' Dazu bemerkt Wie-

26 Boxberger und Köhler, zu LeasiDg.

land: ;,Ein bittrer Satyrenzug, der vielen irnsrer Leser aus ihrem Juvenal, Martial u. a. verständlich sein wird^ und den übrigen nicht erklärt werden kann.^

5.

I; 94 (Grotesche Ausgabe I, 8. 29).

An ebendenselben (Trill). Du nennest meinen Rath ein schales Sinngedicht? Trill, einen andern Rath bekömmst du wahrlich nicht. Zum Hängen und zum Freien Muss Niemand Rath verleihen.

Vgl. Shakespeares „Kaufmann von Venedig^ II, 9 (übers.

von Schlegel):

Nerissa. Die alte Sag' ist keine Ketzerei Dass Freien und Hängen eine Schickung sei.

6. „Auf die schöne Tochter eines schlechten Poeten'' (I, 97; Grotesche Ausgabe, I, S. 29). Menagiana III, S. 100: M. Cujas avoit une fille assez jolie, fort coquette, et qui ne haissoit pas les hommes. Dieu sait si les Ecoliers quittoient volontiers les lefons du Pere pour alier cajoler la fille. Ils appelloient cela, Gommenter les oeuvres de Cujas.* Dazu bemerkt der Herausgeber: Pris de Catherinot dans la vie de Susanne Cujas, copie naive de la Quartilla de Petrone, ou de TAlix de Marot. L'epigramme d'Edme Merille sur cette lubrique Demoiselle est fort bien toumee:

Viderat immensos Cujaci nata labores

Aetemum Patri promeruisse decus. Ingenio haud poterat tam magnum aequare parentem

Filia: quod potuit, corpore fecit opus.

7. A.

„An 'den Trill'' I, 93 (Grotesche Ausgabe ebenda). Das Epigramm von Malleville wird gleichfalls in den Menagiana III, S. 156 angeführt (aus S. 363 de Tedition des ses Poesies in 4^) und darunter: Moliere sc. 8 du Marii^e force. Sgana- relle. C'est que je ne me sens point propre pour le mariage.

* Nach einer witzigeren Fassung dieser Erz&hlung: sich auf die Werke des Cnjacins legen.

Bozberger und Köhler, zu LessiDg. 27

et que je veux imiter mon pere et tous ceux de ma race qui ne se sont jamais voulus marier^ M. Menage avoit copie cette meme pensee de Malleville dans ime Epigramme qa'il a depuis supprimee dans la demiere edition de ses po^sies.

B.

„An den Trill" I, 93 (Grotesche Ausgabe, ebenda). Mena-

giana II, S. 197: „On disoit d'un certain bätard: II fera

comme monsieur son Pere, il ne se marira point. Moliere

a employe cette pensee dans le Mariage Force; j'en avois fait

auparavant une Epigramme qui finit par ces quatre vers:

A Texemple de son p^re, A Texemple de sa mdre, Ce redoutable guen^ier Ne veut point se marier.

Et Malleville avoit dit avant moi:

Pour mettre ton esprit en paix, B^sous-toi d'imiter ton pdre, Tu ne te mariras jamais.

8. „An zwei liebenswürdige Schwestern'* I, 120 (Grotesche Ausgabe I, S. 35). Menagiana II, S. 176f.: J'ai rendu quelques

pensees d'Aristenet en vers grecs et cette autre, il

dit en parlant de deux belies personnes, qu'elles ne cedoient aux Graces qu'en nombre. Aristenet lettre 2. du 1. 1. xcd fiovG} agi^n^ IsmoiuvaL täv xagctcav. Mercier: et solo numero cedentes Gratiis. Menage:

IIccQd'svixäv TtgAtai ^PoSonri xal ^(oglg adektpaC Kai fiovvG) aQid'fip leiTtofiEvat XaQtrcDV.

9.

Zu dem Gedicht „Eine Gesundheit*' (Grotesche Ausgabe I, S. 128-, vgl. A. Schöne in diesem „Archiv" VI, S. 335 «F., besonders S. 338).

Ich glaube jetzt auch die unmittelbare Quelle zu dem fraglichen Lessingschen Gedichte gefunden zu haben, wonach dann H. M. Bichter in seinen „Zeitströmungen^ das richtige getroffen haben möchte, wenn er S. 205 folgende Vermuthung in Bezug auf Lessings Aufenthalt in Wien 1775 ausspricht:

28 Boxberger und Köhler, zu Lessing.

„Im heiteren Freundeskreise entstand auch jenes Impromptu, welches wohl von einem Freunde Lessings nach dessen Tode im «Wiener Blättchen» 1783 veröfifentlicht wurde." Denn Lessing war über Dresden nach Wien gereist, und wenn auch kein ausdrückliches Zeugniss dafür vorliegt, dass er damals Ludwig Y. Hagedom, den fast nicht minder als sein Bruder, der Hamburger Dichter, von ihm gefeierten Kunstkenner, be- suchte, dessen Stelle ihm im folgenden Jahre, da dieser mittler- weile „blind und kränklich" geworden war, in Aussicht gestellt ward, so ist dies doch nicht unwahrscheinlich.

Nun finden sich folgende Verse in Fr. v. Hagedorns Werken, hggb. von Eschenburg IV, S. 143:

„Gesundheiten.

1. 0! nicht den Königen, nein, uns den starken Weinl Denn Bathseba hat Becht; ihr Heiren, schenket ein!^^

Und zu dem Titel die Bemerkung Eschenburgs: „Sie fanden sich, von seiner Hand geschrieben, nebst ein paar andern zu freien, -die ich weglasse, auf einem Blatte, das einem Briefe an seinen Bruder beigelegt war.'' Ich schliesse daraus, dass Hagedoms Bruder sie Lessing mittheilte, und dieser sie in der bekannten Weise umdichtete. Daraus würde sich denn auch erklären, warum sie zuerst gerade in einem Wiener Blatte erschienen, wogegen eine Deutung auf Friedrich d^n Grossen, wie sie Schone a. a. 0. S. 337 versucht, mir immer bedenk- licher wird. Hagedorns Bemfung auf Bathseba, die Mutter Salomos, erklärt sich so, dass die Worte der von mir (ebd. S. 338) angefahrten biblischen Stelle der „Mutter Lamuels^ in den Mund gelegt und Lamuel, wol nach älteren Aus- legern der Bibel, von Hagedom mit Salomo für identisch gehalten wird.

10. , (Grotesche Ausg. I, S. 169.)

(Aus dem „Fragment an den Herrn Marpurg".)

Der Schwätzer hat den Ruhm, dem Meister bleibt die Müh? Das ist der Regeln Schuld, und darum tadl' ich sie. Doch meinet man vielleicht, dass sie dem Meister nützen? Man irrt; das hiess die Welt mit Elephanten stützen.

Boxberger und KOhler, zn Leseing. 29

Dazu bemerke ich: „Nach der indischen Mythologie. Es ist noch nicht ausgemacht^ woher Lessing diesen Mythus kennt.'' Er könnte ihn sehr wol aus Shaftesburys Cha- racteristics kennen^ denn seine Abhandlung ^^Pope ein Meta- physiker!'' beweist, dass er mit diesen sehr wol vertraut war. Darin heisst es in der Abhandlung The Moralists, Basel 1790, II, S. 166: We ought not to laugh so readily at the Indian philosophers, who, to satisfy their people how this huge frame of the World is supported, teil them it is by an elephant. And the elephant how? A shrewd question! but which by no means should be answered. It is here only that our In- dian philosophers are to blame. They should be contented with the elephant, and go no further. But they have a tor- toise in reserve, whose back, they think, is broad enough. So the tortoise must bear the new load: and thus the matter Stands worse than before.

IL

Entwurf des „Nathan*^, II, 3 (Hempelsche Ausgabe XI, 2, S. 805; Grotesche Ausgabe II, S. 211).

„Sittah sagt, dass er [Saladin] auf diese Weise seinen Kin- dern nichts hinterlassen werde. Er antwortet mit der Fabel vom Pfau: «wenn es meine Kinder sind, wird es ihnen an Federn nicht fehlen»."

Diese schöne Fabel, die sich in Saladins Munde vortreff- lich ausgenommen haben würde, habe ich seither f&r eine orientalische gehalten und mich lange bemüht sie in Olearius oder andern Werken, die Lessing bekannt sein konnten, auf- zufinden. Jetzt entdecke ich sie in einer abendländischen Quelle, was freilich eine Entlehnung aus dem Morgenlande noch nicht ausschliesst, aber vielleicht hat sie Lessing gerade deshalb weggelassen, weil eine morgenländische Fassung der- selben ihm nicht bekannt war. Ich muss zunächst auf den Artikel „Leo Baptista Alberti'^ in Lessings „CoUectaneen^' verweisen, lieber das Leben dieses Mannes, der zugleich ge- lehrter. Dichter, Baumeister, Bildhauer und Maler war, handelt, worauf auch schon Eschenburg in seiner Ausgabe der Lessing- schen CoUectaneen verweist, ein Aufsatz in Meissners „Quartal-

30 ßoxberger und Köhler, zn Lessing.

Schrift für ältere Litteratur und neuere Leetüre" 1783, 1, S. 1 S. Hier findet sich S. 7 folgende fQr das Lessing-Studium interes- sante Notiz: „Er (Alberti) schrieb hundert Fabeln. Sie waren anfangs lateinisch geschrieben; aber auch sie kenn' ich nur aus der Uebersetzung des Bartoli, und selbst diese lieber- Setzung gehört nun unter die Seltenheiten einer teutschen Bibliothek. Lessing suchte lange vergebens nach ihr/' Den vollständigen Titel dieser Uebersetzung gibt Meissner S. 13: Opuscoli Morali. di Leo Battista Alberti gentiluomo Fioren- tino, tradotti e parte corretti da Mr. Cosimo Bartoli-, in Venetia, 1568. 4®. Woher Meissner obige Notiz über Lessing hatte, wissen wir nicht; dass es sich aber wirklich so verhält, ergibt sich aus den 1794 zuerst veröffentlichten Briefen Lessings an Heyne, welchem dieser den 4. Mai 1776 schreibt: „Ich habe durch ganz Italien ein Buch gesucht und nicht gefunden, Gli Apologhi di Bemardino Baldi, die Crescimbeni 1702 in Rom herausgegeben. Und noch eins: Gli Opuscoli morali di L. B. Alberti, Yen. 1568. Wenn sich diese beyden Bücher in Ihrer Bibliothek befinden: dürfte ich mir sie wohl auf kurze Zeit ausbitten ?^' Am Schluss des Aufsatzes gibt dann Meiss- ner eine Reihe von Fabeln Albertis in deutscher Uebertragung und sagt S.44 in einer Anmerkung, drei derselben: „Der ster- bende Pfau", „Der Stern" und „Die Nuss'' stehen schon im 1. Theile seiner (Meissners) „Skizzen" (Leipzig 1778). Die erste derselben, die er hier S. 48 wiederholt, lautet:

„Der sterbende Pfau. Ein sterbender Pfau vermachte seinen schönen Schweif dank- bar dem Hausherrn, der ihn ernährt hatte. Seine Kinder be- schwerten sich darüber, als den Verlust eines vorzüglichsten Stücks ihrer Erbschaft. «0!» rief der Vater ihnen zu, «ihr seid nicht meine Söhne, wenn ihr nicht auch ungeerbt ähnliche Schweife tragt.»"

In der zweiten Auflage seiner „Skizzen" findet sich die

Fabel nicht. In Bartolis Uebersetzung steht sie S. 391 und

lautet: II Pagone fatto testamento, morendosi lascio la sua

coda alla cresta della celata di un soldato. I figlioli si ram*

maricavano che egli non lasciassi loro quelle sue tante gioie.

Rispose il padre: veramente se voi sarete mlei figluoli non vi

mancheranno simili cose.

Boxberger und Köhler, zu Lesaing. 31

12. Zu Nathau 11^ 1 (Grotesche Ausgabe II, 274).

Saladin.

Und dann: wer giebt uns denn die glatten Steine Beständig? die an nichts erinnern, nichts Bezeichnen. Hab' ich mit dem Iman denn Gespielt?

Ich hoffe, die Dunkelheit dieser Stelle, die Gosche a. a. 0. anerkennt und die die andern Ausleger übergehen, durch fol- gende Notiz aus einem Lessing bekannten Werke aufhellen zu können. Zunächst wolle man Lessings Bekanntschaft mit dem sogleich zu nennenden Werke ersehen aus: Grotesche Ausgabe V, S. 140 f., besonders aber aus VII, S. 133, „Der getreuste, Uebersetzer und Ausleger des Alkorans,' George Säle, zeigt in seiner Einleitung zum Alkoran, dass der Grundsatz der Lehre Mahomets in der Einheit Gottes beruhe^' u. s. w. Dazu citiert Lessing: G. Säle, Preliminary diseourse to the Koran, p. 36 et 63. Dieses Werk liegt mir in franzosischer Uebersetzung vor unter dem Titel : „Observations historiques et critiques sur le mahometisme, ou traduction du discours pr^liminaire mis ä la tete de la Version angloise de TAlcoran, publice par George Säle. Geneve 1751.'^ Hier heisst es S. 345 ff.: Les ^checs sont le seul jeu legitime selon les Docteurs Mahome- tans (Voy. Hyde, De Ludis. Oriental. in prolegom. ad Shahi- ludium), parce que le succes en depend entierement de Thabi- lete et de l'attention, et nullement du hazard; encore y a-t-il eu quelque doute sur ce jeu, qui n'est permis que sous cer- taines restrictions, savoir, qu'il ne soit point un obstacle ä remplir les pratiques de devotion, et qu'on ne joue ni argent ni aucune autre chose. Les Turcs et les Sonnites observent religieusement ce demier article, mais les Persans et les Mogols ne se fönt aucun scrupule de Venfreindre. Ce que Mahomet bläma le plus dans ce jeu, c'etoient les pi^ces sculptees en figures d'hommes, d'^ephans, de chevaux, de dromadaires (Voy. eund. ibid. et in Hist. Shahiludii p. 135 etc.); et ce sont, sui- vant quelques Commentateurs, ces images qui sont deffendues dans un passage de TAlcoran (Chap. 5). Que les pieces avec lesquelles les Arabes jouoient au tems de Mahomet, fussent

32 Boxberger und Köhler, zu Lessing.

des figures d'hommes ou d'animaux^ c'est ce qui paroit par ce que la Sonna rapporte d'Ali, que passant par hazard pres de quelques joueurs d'echecs, il leur demauda ce que c'etoient que ces ßgures auxquelles ils donnoient tant d'atteniion (Sokeiker al Dimishki et auctor libri AI Mostatraf apud Hyde^ ubi sup. p. 8); car elles etoient entierement nouvelles pour lui, ce jeu n'ayant ete introduit que fort tard dans TArabie, et peu de tems auparavant en Perse, il fut apport^ des Indes, sous le regne de Khosrou Nushirwan (Khondemir, apud eund. ibid. p. 41). Les Docteurs Mahometans concluent delä, que leur Prophet« ne desapprouva ce jeu qu'ä cause des figures: c'est pourquoi les Sonnites jouent avec des pieces toutes unies de bois ou d'yvoire; mais les Perses et les Indiens, qui sont moins scrupuleux, continuent a se servir de pieces figurees (Hyde, ubi supra p. 9).

n.

Von

Reinhold Kohler. Zu Leasings Grabschrift auf einen Gehenkten. (Vgl. Archiv V, 483.)

In den „Gedichten" von Blumauer, 2. Theil, Wien 1787, S. 167 findet sich folgendes.

Grabschrift eines Spaniers für seinen gehenkten Vetter.

Nach dem Französischen.

Hier schloss mein Vetter Baps die Augen za.

0 Wandrer, blick' hier in die Höhe, Und wünschest du dem armen Sünder Buh,

So wünsche dass der Wind nicht wehe!

Die mir unbekannte französische Vorlage Blumauers hat vielleicht auch Lessing gekannt und nach ihr seine Grab- schrift eines Gehenkten gemacht: „Hier ruht er, wenn der Wind nicht weht".

Helfrich Peter Sturz.

Von J. F. L. Theodor Merzdorf.

(t 21. März 1877 zn Oldenburg.)

Helfrich Peter Sturz*, am 16. Febr. 1736 zu Darmstadt geboren, verliess schon 1754 die Schule und studierte 1754 57 zu Gottingen, Jena und Giessen die Rechtswissenschaft, be- schäftigte sich aber nebenbei mit den schönen Wissenschaften und Künsten. In den Jahren seines Aufenthaltes zu Giessen scheint er, wenn Brouillons kleinerer französischer Briefchen für Wahrheit anzunehmen sind, ein zärtliches Verhältniss mit einer jungen Dame M. angeknüpft zu haben, das jedoch, wie aus einem noch vorhandenen Concepte eines Briefes an einen Baron Palm d. d. Bingenheim 23. Sept. 1759 hervor- geht, damit endete, dass die geliebte sich anders verheiratete. In genanntem Jahre kam er als Secretair zum Baron von Widmann, der kaiserlicher Gesandter an verschiedenen Höfen, namentlich in München, war. Er verliess aber diese Stellung bald wieder, da er als fremder und Protestant keine vortheil- haften Aussichten auf fortkommen hatte, und wurde bei dem Meiningenschen Oleheimrath und Canzler Adolph Gottlob

* Ausser den beiden Lebensskizzen von Gramberg und Sturz selbst, denen wir vorzüglich gefolgt sind, finden sich neben andern kleinern Lebensbeschreibungen ausfilhrlichere in (Küttners) Charakteren deutscher Dichter S. 467 70. Denkwürdigkeiten ans dem Leben ausgez. Deutsch, d. 18. Jahrh. S. 714—17. S. Baur Gallerie bist. Gemälde a. d. 18. Jahrh. IV. S. 239—44. N. histor. Handlexic. Ulm 1783. 11. S. 2290-93. Jördens Lexicon etc. IV. S. 744 flf. Clio af J. K. Iloest 1821. I. S. 107 Dess. Struensee u. h. Ministerium 1827. 11 S. 404 u. s. w., welche alle zu Rathe gezogen sind.

Abohiv f. Litt.-Ossch. vii. 3

34 Merzdorf, H. P. Sturz.

von Eybeu in GlQckstadt Privatsecretair. So angenehm auch diese Stellung für Sturz war, in welcher er zweimal nach Wien und einmal nach Bemburg gieng, und durch die ihm yielfache Gelegenheit geboten wurde, sich bekannt zu machen, so sah doch von Eyben bald ein, dass diesem ausgezeichneten Arbeiter, der schon durch seine Vermittelung Bemburgischer Rath ge- worden war, ein grösserer Wirkungskreis zugewiesen werden müsse; er schickte ihn deshalb mit Empfehlungen und Geld nach Kopenhagen, wo Sturz die Bekanntschaft des altem Gra- fen Bernstorf machte und 1762 in dessen Dienste als Privat- secretair mit 400 Thlr, Gehalt trat. Hier als Hausgenosse des grossen Staatsmannes kam er in glückliche Verhältnisse, namentlich als er nach einem Ausfluge nach Mannheim, Carls- ruhe, Darmstadt, Wetzlar im Herbste 1763 neben seiner Stel- lung als PrivatsecreJ^ir noch die erledigte Stelle eines Secre- tairs im Departement der auswärtigen Angelegenheiten eben- falls mit einem Gehalte von 400 Thlr. erhielt.

Das Bemstorfsche Haus war der Sammelplatz aller der Deutschen, die nach und nach theils durch Bernstorf, theils schon unter seinem Vorgänger Stellung gewonnen hatten, wie J. E. Schlegel, Elopstock, J. A. Gramer, Basedow, Gerstenberg, Schönborn u. a. m., und Sturz verlebte hier, namentlich im täglichen Verkehre mit Elopstock, seine seligsten Tage. Er selbst spricht in einem Briefe- an Boie über Elop- stock sich so aus: „Als ich im Hause des unsterblichen Beru- storf mit ihm lebte, mein Herz mit ihm theilte, über alle Wünsche glücklich war unter den besten edelsten Menschen heiterer Morgen einer trüberen Zukunft! Meine Bekannt- schaft mit Elopstock bildete sich schnell, und in sieben un- vergesslichen Jahren sind, ausser einer achtmonatlichen Reise, wenige Tage verflossen, worin wir uns nicht sahen", und über den Verkehr im Hause Bemstorfs und über den Umgang mit diesem ausgezeichneten Menschen äussert er sich in dem Dedicationsschreiben zu den „Erinnerungen aus dem Leben Bemstorfs", „dass er seine Empfindungen verkünde, weil er viele freudige glückliche Jahre in seinem Hause unter seiner Leitung durchlebt habe", in den „Eriimerungen" selbst aber lässt sich Sturz über jene Zeiten so vernehmen: „Die letzte

Merzdorf, H. P. Sturz. 35

Stunde des Abends war die angenehmste seines (Bernstorfs) Tages. Diese brachte er unter seiner Familie mit seinen Haus- genossen und einigen Gelehrten in Unterredungen zu. Klop- stock; der Sänger Gottes und Freund und Liebling der Men- schen, der rechtschaffene geistvolle Gramer, der reine Lehre und unsträflichen Wandel mit Witz und Munterkeit und aus- gebreiteten Kenntnissen vereinigt, gehörten mit zu diesem glücklichen Zirkel.- Wir hingen alsdann an Bernstorfs Mund, und labten uns mit Sokratischer Weisheit." Hier nun ent- wickelten sich seine Talente, er arbeitete unter den Augen eines grossen Staatsmannes, bekannt* mit Hof und Welt und mit den Musen vertraut, in stetem Umgänge mit dem feinern und aufgeklärtem Theile der Welt, und so bildete ihn sein Genie schnell zum Welt- und Staatsmann, zum Schriftsteller und Künstler. Am 30. März 1765 wurde er Canzeleirath und Secretair in der deutschen Canzelei mit 700 Thlr. Gehalt. In dieser Zeit nahm er Theil an den „Briefen über die Merk- würdigkeiten der Litteratur", welche Gerstenberg 1766 67 zu Schleswig herausgab und an die sich 1770 noch ein Bändchen „Ueber Merkwürdigkeiten der Litteratur" (Bremen) anschloss. Ob seine Theilnahme sich weiter als auf Rathschläge und Gutachten erstreckte, lässt sich nicht feststellen; so viel ist jedoch sicher, dass kein Beitrag seinen Namen nennt oder eine Chiffre trägt, die sich auf ihn zurückführen lässt. Unter den auf der -Oldenburger Staatsbibliothek aufbewahrten Hand- schriften Sturzs sind es vielleicht „Sygurdh und Brynhilde" und die Bruchstücke der „Medea", welche dieser Zeit ange- hören mögen, denn es herrscht wenigstens im ersten der „skal- drische Geschmack", von dem Herder (Lebensbild V, 2. S. 196) in einem Briefe schreibt, wo er dieser „schleswigschen Briefe" mit folgenden Worten Erwähnung thut und ihnen eine besondere Stellung in der Litteratur anweist: „Man sieht offenbar, dasä diese Leute eine vierte Faction machen wollen, die die Litteraturbriefe her abzuwerfen, die Gottschedianer etwas zu retten, und die Schweizer, ich weiss nicht zu loben oder zu tadeln sucht. Sie scheinen einen skaldrischen Geschmack auf- bringen zu wollen, der zur Bildung Deutschlands viel beitragen kann."

3*

36 Merzdorf, H. P. Stur«.

Als der £onig Christian VII seine Reise nach Frankreich und England machte^ so befand sich Sturz, der am 17. Aug. 1768 Legationsrath mit Justizrathsrange wurde, in dessen Ge- folge und kam hier am 6. Juni in Ahrensburg mit dem da- maligen Dr. Struensee in einen Wagen. Dieses zusammen- treffen bahnte einen gesellschaftlichen Verkehr an, der jedoch nie zu herzlichem Einverständniss erwuchs, wenngleich er späterhin Sturz, der ein treuer und warmer Verehrer Bem- storfs war und blieb, in den Fall Struensees verwickelte und aller seiner Hoffiiungen einer glänzenden Zukunft beraubte. Diese Konigsreise, die sich bis zum Anfange des Jahres 1769 ausdehnte, erweiterte vielfach seine Kenntnisse und verfeinerte seinen Sinn für Kunst und Natur. Der Verkehr unter den ge- lehrten und Künstlern Frankreichs und Englands, der Umgang in den vornehmsten Kreisen äusserte seinen bildenden Einfluss auf Sturz, und wir verdanken dieser Reise die hinsichtlich ihres Stils und ihrer Darstellungsweise fast unerreichten Briefe, welche 1777 zuerst im deutschen Museum erschienen. In bei- den Ländern erwarb er sich Freunde und Verehrer, mit denen er später Briefe wechselte, so mit Garrick, Riccoboni, Hel- vetius, den Frauen Necker und Geoffrin, welche alle mit ihrem Briefwechsel nicht allzu freigebig waren. Wie hoch Sturz in England geschätzt wurde, ergibt sich auch daraus, dass er am 3. Octob. 1768 zum Doctor juris in Oxford ernannt wurde. Nach Kopenhagen zurückgekehrt wurde er unter Beibehaltung seines Postens in der deutschen Canzelei am 25. August 1769 zum Director im Generalpostamt mit 2500 Thlr. Gehalt ernannt, in welcher Stellung er bis zur Entlassung Bernstorfs am 13. Sept. 1771 blieb. Wäre Bemstorf, der ihm sehr wol wollte, am Ruder geblieben, so konnte Sturz einer glänzenden Zukunft entgegen- sehen, zumal er auch bei dem königlichen Hofe beliebt war, den er beispielsweise am 18. Juni 1770 in die Herzogthümer begleitete, den er auch durch seine künstlerischen Talente zu erfreuen wusste. Dass er nach Bemstorfs Falle seiner Be- ziehungen zur deutschen Canzelei enthoben wurde, ist gewiss dadurch zu erklären, dass man auf diese Weise etwaige Mit- theilungen verhindern wollte, welche Sturz seinem Gönner und väterlichen Freunde hätte machen können und die jenem Staats-

MÄzdorf, H. P. Sturz 37

manne vielleicht von der grössten Wichtigkeit gewesen wären, um ihn gewissermassen zufrieden zu stellen^ beliess man ihm sei]ien Posten als Postdirector, so wie den als Mitglied verschie- dener Commissionen, z. B.der Commerzcommission, der zur Erhal- tung und Erweiterung der Maler- und Bildhauerakademie; auch ward er als Regierungsbevollmächtigter für die zu errichtende Handelsdeputation vorgeschlagen. Letztere kam jedoch nicht zur Ausführung, dafür eine besondere Gommerzdeputation; die aus den Etatsräthen Classen, Ryberg und Sturz bestand.

Obgleich Sturz in seineu freundschaftlichen Beziehungen zu Struensee erkaltete, den er durchschaut hatte, imd dem er nie die Verdrängung Bemstorfs verzieh, so beschloss er doch, wie er in dem ungedruckten Fragmente seiner Autobiographie sagt, „wohlüberlegt unter dem Ministerium zu verbleiben, diese Leute so viel möglich durch unschuldige Qefölligkeiten mindestens so weit zu gewinnen, dass sie mir nicht weiter schaden möchten; darum verschaffte ich ihnen Kupferstiche, Zeichnungen, Ideen zu Auszierungen und dergl., darum malte ich die Königin und ihre Kinder und entzog mich nicht, wenn sie mich in ihre Gesellschaft wünschten.^ Da Sturz seiner künstlerischen Talente und seines Witzes wegen gesucht und beliebt war, so wurde er oft zu Hofe geladen und verweilte sogar im Sommer 1771 auf Hirschholm, wo er fast jeden Tag bei Hofe erschien. War dies auch alles nur auf seine Eigen- schaften als munterer Gesellschafter und ausübender Künstler zurückzufOhren, so war das doch Grund genug, ihn unschul- diger Weise in den Struenseeschen Sturz zu verwickeln, ob- gleich er mit Struensee in den letzten Jahren nie in einem anderen Verhältnisse als einem dienstlichen gestanden hatte und sich bei der Untersuchung der Struenseeschen Papiere nur ein Brief von Sturz vorfand, der aber gerade nicht für die freundschaftlichen Beziehungen, deren man ihn zieh, spricht, sondern voller Liebe zu Bemstorf ist, zu Bemstorf, bei dem Sturz nach seiner Aussage in dem Augenblicke gewesen war, als er seine Entlassung erhielt. Rührend schildert Sturz diese Scene mit den Worten: „Er hatte sich eben zur Arbeit nieder- gesetzt, als er das Schreiben des Königs empfing, welches ihn den Staatsgeschäften entzog. Er las es mit ernsthafter Stille

38 Merzdorf, H. P. Sturz.

und stund mit einem Blicke des Scbmerzens auf. Ich bin meines Amtes entsetzt, sprach er mit einem gesetzten beschei- denen Ton und fügte mit gen Himmel erhobenen Augen hinzu: Alhnächtiger, segne dies Land und den König." Dieser Brief an Struensee beschäftigte sich mit der Pension Bemstorfs und ist bei Hoest Struensee II S. 237 fragmentarisch französisch mitgetheilt, während er in Hoests Zeitschrift Historie og Politik dänisch zu finden ist.

In diesem Jahre hatte er sich, glückliche Zeiten hoffend, mit der dritten Tochter des dänischen Majors Mazar dela Garde verlobt und gedachte am 24.. Januar 1772 seine Hoch- zeit zu begehen; aber das Geschick wollte es anders, denn am 17. Januar brach die Palastrevolution aus, angezettelt von der Königin -Wittwe Juliane Marie und unterstützt und ausgeführt durch Guldberg, Ranzau- Ascheberg, Koller, Eickstedt und Bering- skiold, wodurch der schnell empor gestiegene, verdienstvolle, wenn auch verwöhnte und eigenmächtige Günstling und Minister Graf Struensee, der seit 1768 sich vom einfachen Arzte bis zu seiner hohen Stellung empor gearbeitet hatte, gestürzt und in seinen Fall schuldige und unschuldige, betheiligte und unbe- theiligte verwickelt wurden. Mitleidslos rächten sich politische und persönliche Feinde; der leiseste Verdacht genügte, um den unvorsichtigen zu Falle zu bringen. Auch Sturz wurde von diesem Schicksale erreicht, er, der so wenig sich betroffen meinte, dass er seine Papiere bei sich behielt und gleich nach Struensees Falle mit Carstens und Schumacher an die Wieder- einsetzung Johann Hartwig Ernst Bemstorfs dachte, wogegen Osten und Ranzau waren. Das war ein eitler Traum, denn schon am 20. Januar wurde er durch folgende Cabinetsordre seines Amtes enthoben:

Da ich nicht mehr Ihrer Dienste bedarf und schon auf au< dere Weise über Ihren Posten als Postdirector verfügt habe, so haben Sie sich von jetzt an nicht mehr mit den Geschäften zu befassen. Ich bewillige Ihnen für die Zeit, bis Sie auf an- dere Weise in meinen deutschen Provinzen placirt werden, die Pension, wie solche der Etatsrath Holm bis jetzt genossen hat.

Gegeben Christiansburg den 20. Jan. 1772. Christian. A. Schumacher. An den Legationsrath Sturz.

Merzdorf, H. P. Sturz. . 39

Am folgenden Tage (21. Jan.) wurde Sturz verhaftet, von zwei Officieren aus dem Hause seiner Braut geholt'^ und bei hellem Tage unter Föbelgeschrei nach der Haupt- wache geführt) deren Fenster von aussen mit Latten vernagelt wurden. Wahrscheinlich ist es, dass er später ebenso streng gehalten wurde/ wie andere gefangene. Die am 21. Jan. nieder- gesetzte Inquisitionscommission; bestehend aus dem Geheim- rathe Juel Wjnd, den Confcrenzräthen Braem, Stampe, Lüx- dorph und Carstens, so wie den Etatsräthen Eofod Ancher, Sevel und Guldberg, denen sich in der Mitte des Februars noch der Generalkriegscommissair Job. Er. Schmidt anschloss, begaim ihre Untersuchung auf das genaueste, konnte aber beim besten Willen gegen Sturz, der nur einmal verhört, seine Unschuld aufs hartnäckigste vertheidigte, auch sich am 15. Febr. 1772 mit einem (in Hoests Zeitschrift Historie og Politik mitge- theilten) Promemoria an dieselbe wendete, nichts finden, und es ergab sich, dass der längere Aufenthalt in Hirschholm und Falkenskiolds unbedachte Frage, ob Sturz auch schon ver- haftet sei, Grund zur Verdächtigung und Verhaftung gewesen war. Von Schriftstücken fand sich sonst kein verdächtiges Papier, nur der Brief an Struensee, vor, der mehr für als gegen Sturz sprach. Der Ring, der sich als von der unglück- lichen Konigin herrührend vorfand, erwies sich als eine Be- lohnung für Malereien. Es war also nichts ausfindig zu machen, was Sturz zum Verbrechen hätte angerechnet werden können, und so wurde er nebst der Frau Generallieutenant von Gabler, dem Oberstlieutenant von Hesseiberg, dem Gontre- admiral Hansen, dem Seelieutenant Aboe, dem Etatsrathe Willebrandt und dem Leibarzte Berger unterm 5. Mai in die Rubrik derjenigen gebracht, gegen welche die geringsten Ver- dachtsgründe vorlagen. Am 19. Mai wurden diese Personen auf freien Fuss gesetzt, und Sturz aufgegeben, sich nach Hol-

* Diese Verhaftung dee liebenswürdigen Mannes erregte überall und namentlich im Lessingschen Ereiso grosses Aufsehen, doch hielt Les- sing von Anfang an daran fest, dass Sturz sich unter keinerlei Umstan- den auf etwas eingelassen hätte, was einem rechtschaffenen Manne nicht gezieme; vergl. Eva König au Lessing 28. Jan. 4. Febr. 1772, Lessing an Eya König 31. Jan. 27. Juni 1772.

40 . Merzdorf, H. P. Sturz.

stein zu verfügen, im übrigen aber sollte es bei der Resolution vom 20. Januar verbleiben, kraft welcher er einen Jahrgehalt von 500 Thlm. bezog, den er jedoch in einem Seeländischen Orte verzehren sollte. Es ward ihm verstattet, nach Uetersen in Holstein zu ziehen. Den im Anfange Juli ihm aufgetragenen Posten eines Zollinspectors zu Elsfieth in der damaligen Graf- schaft Oldenburg verbat er sich, da er so lange in Staats- geschäften gearbeitet und als Director im Postq,mte gesessen hätte, und lebte nun theils in Glückstadt theils in Altona, kam auch öfter nach Hamburg, suchte aber dort keinen seiner bekannten auf. 1773 gieng er mit einem Gehalte von 800 Thlrn. als Regierungsrath nach Oldenburg, wo bei dem Aus- tausche d^r Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst an den Fürstbischof von Lübeck Friedrich August er in dessen Dienste mit einem um 200 Thlr. vermehrten Gehalte trat, welcher Gehalt 1775 nochmals mit Zulegung des Titels Etatsrath um 200 Thlr. erhöht wurde.

Im Jahre 1774 verehelichte er sich mit seiner Braut, aus deren Hause er damals vor der Eopenhagener Katastrophe so schimpflich geholt worden war. Seine Frau gebar ihm zwei Töchter, deren jüngste ein Vierteljahr vor seinem Tode an den Blattern starb, welche ihr der Provincialmedicus Dr. Stein in Oldenburg inoculiert hatte. Des dritten Kindes Geburt erlebte er nicht. Das Glück seiner Liebe und Ehe erzählt sein Gedicht „Empfindungen", so wie der Brief an Luisen in der „Reise nach dem Deister'^ wol auch als hierauf Bezug habend angesehen werden kann.

Aber trotz der angenehmen, allerdings ihm nicht völlig zusagenden, auskömmlichen Stellung, trotz seiner Gattin und der Freunde in Oldenburg*, wie Oeder, Gramberg, von

* Oldenburg stand damals in schlechtem Rufe, denn nach einer gleich- zeitigen Notiz „sah es elend damals in Oldenburg aus. In der häss- liehen Stadt mochte der Hof nicht weilen. Eutin ward Residenz. Was konnte auch für Bildung damals in Oldenburg sein? Das Gymnasium war in der ganzen dänischen Zeit im erbärmlichsten Zustande, seine Rektoren und Konrektoren glücklich, wenn sie kleine Pfarrstellen im Lande erhielten". Aehnlich spricht sich auch Stolberg an den Grafen Holmer in einem Briefe aus Pyrmont vom 9. Aug. 1779 aus: „Für Ew.

Merzdorf, H. P. Sturz. 41

Halem^ Stolberg*, Graf Holmer, bemächtigte sich seiner Unmuth, Yerdriesslichkeit und Hypochondrie. Er sehnte sich nach einem grösseren, belebteren Kreise und verlor sich in Grü- beleien, wie der Brief an Boie vom 2. April 1777 das mit klaren Worten sagt: „wenn man erst das Grübeln weg hat und in einem freudenleeren Beruf kaum ein Blümchen abreichen kann, so wird man so klug und so glücklich nicht mehr". Nicht sein liebenswürdiges Weib, nicht der Beifall der Welt, der ihm als Schriftsteller ward, nicht das bewusstsein, von seinen Freunden aufrichtig geschätzt zu sein, konnte ihn beruhigen und sein Unglück vergessen machen. Merck, der ihm sehr be- freundet war und ihn während seines Oldenburger Aufenthaltes einmal wahrscheinlich in Pyrmont gesprochen, erzählt, dass Sturz ungern von der Eopenhagener Revolution gesprochen und sich des Ausdruckes bedient habe: „es ruhe ewige Nacht auf der Geschichte dieser Zeit!" Still und in sich verschlossen trug er das Leid, das an seiner geistigen und körperlichen Gesundheit nagte und nur einmal in einer Note im Aufsatze „Denkwürdigkeiten von Rousseau" macht sich der verhaltene Groll Luft in den Worten: „aber lernt euer brüderliches Ge- schlecht an Höfen, lernt eure Nebenbuhler im Amt, im Verstand, im Glücke kennen, erhebt euch durch irgend ein Verdienst und glaubt in der Unschuld eures Herzens, dass man euch liebt und schätzt, weil man euch umlächelt und umarmt! Wenn endlich unter euch der Boden wegsinkt, durch freundliche Mörder untergraben dann seht, wie sich eure Freunde ret- ten, als vergiftetet ihr die Luft, wie eure Klienten euch für ge- nossene Wohlthaten anspein ; ertragt der Glücklichen stolzes, niedertretendes, erwürgendes Mitleid, und liebt die Menschen, wenn ihr könnt."

Excellenz fürchte ich die Geschäfte, die sich gehäuft haben werden, die Zudringlichen and Lästigcu in Oldenbui'g und den gänzlichen Mangel an Gesellschaft in einer Stadt, wo man für den Geist keine Nahrung findet bei den Männern, und nicht für das Herz bei den Frauen. Wenn ich dort nicht in Ihrer Gesellschaft gewesen wäre und Sturz nicht ge- funden hätte, ich könnte nicht an Oldenburg denken, ohne zu gähnen. * Dieser erwähnt in Briefen an den Grafen Holmer unterm 12. Oct. 1776. 2. Aug. 9. Aug. und 13. Nov. 1779 freundlichst Sturz.

42 Merzdorf, H. P. Sturz.

Im Jahre 1776 machte er eine Reise in eigenen Angelegen- heiten nach Gotha, gelegentlich welcher er Zimmermann in Hannover aufsuchte und die persönliche Bekanntschaft Boies, mit dem er schon länger brieflich in Verbindung war, im Pyr- monter Bade machte, das er auch im Jähre 1777 besuchte. Als er 1778 amtlich sich in Hannover während der Monate Mai bis August aufhielt, benutzte er diese Zeit, um mit Boie einen achttägigen Ausflug nach Braunschweig und Wolfenbüttel zu machen, wo er meist mit Lessing, bei dem er auch wohnte, verkehrte; vergl. Boies Brief an Bürger 30. Mai 1778. In Hannover verkehrte er im Kreise Zimmermanns, Brandes', des gelehrten und kunstsinnigen Besitzers des prächtigen Stammes der Oldenburger öffentlichen Bibliothek, Rehbergs, bei dem er wohnte, und anderer mehr. Bei seiner Rückkehr in das stille Oldenburg sehnte er sich nach diesem geistig bewegten Kreise. Es war für Sturz' letzte Jahre ein Glück, dass Boie ihn aus seiner krankhaften Stimmung riss und seinen schon ganz entschlafenen Trieb zur Schriftstellerei neu erweckte, so dass Sturz auf diese Weise wenigstens durch seine fragmen- tarischen Beiträge zum deutschen Museum geistig im Hanno- verschen Kreise lebte.

Vielfach mit zum Theil schwierigen Gommissionen betraut, war er ein Hauptmitglied der Oommission fär Grenzregulierung mit Bremen und ward wegen seines Kunstsinnes, feinen Ge- fühles und guten Geschmackes bei der inneiii Einrichtung und Möblierung des Oldenburger Fürstenschlosses öfter zu Rathe gezogen, aber sein Geist sehnte sich nach einer ausgebreite- teren und angemesseneren Wirksamkeit. Russland oder Däne- mark, wo der Neffe seines alten Gönners, Andreas Peter Graf Bernstorf Minister war, schienen die lockenden Länder zu sein, denen er seine Kräfte und Fähigkeiten zu widmen wünschte. Für das erste Land spricht der Briefwechsel zwischen Sturz und dem Herzoge von Oldenburg, dessen Anfang wir vollständig mittheilen, aus den späteren Briefen nur einige Auszüge.

Monseigneur

J'aj et6 bien attendri d'apprendre, par Mr. le Comte de Hol- mer que Votre Altesse a daign6 s'interresser a mon sort, c^est la

Merzdorf, H. P.. Sturz. 43

volupt6 des Coeurs sensibles que de soulager les malheureux, mais je n'ai rien fait MoDseigneur pour attirer Vos Regards sur moi, Tat- tachement que je yous ai you6, ne pouvoit pas me distinguer, car j'en partage les sentimeus, avec tous ceux qui respectent la vertu.

Le Projet que Votre Altesse m'indique, me paroit aprös mure Reflexion, une voye ouverte par la Providence pour sortir de mon facheux Etat, et je suis resolu de la suivre, achev^s donc Monseigneur Votre ouvrage, s'il est possible, Je m'abandonne a Votre sagesse et a Votre generosit6, et je vous envoye cj Joint le Pr6cis de mon histoire, Votre Altesse en pourra faire l'usage qu'elle jugera etre convenable. Les faits sont depos^s dans la plus exacte verite, J'en puis appeller au Public a mes Juges et a Mr. le Comte de BernstorfF qui est trös instruit de ma Conduite et de mes raalheurs.

J'aj Thonneur d'ßtre avec le plus profond Respect

Monseigneur

de Votre Altesse Oldenb. le 3 Juin 1779. le tr^s humble et trös ob6issant

serviteur H. P. Sturz.

Pr^cis de mon Histoire.

Ce fut au Commencement de Tann^e 1764, qu'ag^ de vingt et sept ans j'arrivai a Copenhague, ou feu Mr. le Comte de Bernstorfl^, me fit entrer au sei*yice du Roi, comme Secretaire pour les affaires etrang^res, avec le Titre de Conseiller. Je fus charg6 d'une Cor- respondence Politique avec plusieurs Cours de TEurope, et de celle qui avoit pour Objet la Protection generale du Commerce. Le Ministre m'attacha a sa Personne, me logea dans sa Maison, et m'honora jusques a sa Mort de sa Confiance et de son amiti6. II me choisit pour etre du Voyage, que le Roi fit Tan- 1768 par une partie de FEurope, Sa Majest^ me nomma Son Conseiller d'Ambassade, Elle me gratifia a Son Retour, de la place honorable et lucrative, de Directeur General des Postes, et me laissa celle que j'avois au De- partement de mon Bienfaiteur.

Lorsque le Comte de Bernstorff fut oblig6 d'abandonner la Bar- que, battue par des tempetes affreuses, je resolus de le suivre, c'6toit le parti le plus naturel, et ce ne fut qu'en deferant a ses avis que je me resignois de rester. On me tolera d'abord, sans me faire ni mal ni bien, mais a Tarriv^e du Comte d'Osten on me fit sortir des affaires, parceque Thomme gout6 du Comte de Bernstorff, ne Tetoit pas de son successeur.

Quoique Stniensee frappa ce coup, inspir6 par ses Conseillers, II eut d'asses bons Proced6s pour moi, II ne me voulut point un mal personel, nous avions voyage ensemble a la suite du Roi, et

44 Merzdorf, H. P. Sturz.

nos Interets ne se croisoient poiut, car j'etois loin de la faveur. On m*inyita de tems en tems, on me trouva. quelque gajetd, qui etoit rare dans cette Epoque, ou la crainte d'un sombre avenir in- fectoit les Plaisirs factices, on m'engagea de peindre la famille Bojale, Les talens qiü rendent la vie si douce ont empoisonn^ la mienne, Je parus souvent a la cour, et mes Envieux disoient tout bas, que j'j pretendois 6tre un Personage. On s'obstinoit a ne point remarquer, que dans le tems, ou Ton me crut si bien trait6, je perdis ma place de Confiance, que Ton ne m'en a Jamals rendii d*autre, que je n'aj eu ni titre ni gratification, ni augmentation extra- ordinaire, Tout ceci 6toit en Regle, parceque Vhomme qui professoit tout haut son attachement pour le Comte de Bemstorfif, qui n'a Jamals souffert qu'en sa presence on manquat a sa Memoire, et que son Ressentiment a ce sujet avoit brouill^ sans Retour avec le Comte de R-anzau d' Ascheberg, n'avoit alors aucun titre aux Graces.

J'entretins avec le Comte de Bernstorff la Correspondence la plus reglee, Je lui rendis Compte de ma Conduite, de mes pens6es les plus secretes, Je yersois dans son sein ma Douleur sur les maux de TEtat, et ce Commerce n'6toit point sans Dangers. J'6tois excede de ma position. Je viendrai cb6s vous lui ai je dit a pied, le baton a la main, n'y auroit il pas une place dans le monde, qui put me donner le necessaireP J'aj mdme pr6dit les Evenemens, Je lui de- peignis mes Dangers, Je le conjurois de m'en tirer, mais il ne les crojoit pas pressans, et ne vouloit pas consentir a ma Retraite. „L'Edi- fice*', me dit II, „se roulera, mais en vous bornant comme vous faites a Votre Direction des Postes, on ue vous inquietera pas, Cette place ne vous expose point, II faut tacher de vous maintenir, on ne rentre pas si vite, et vous retrouver^s tot ou tard deVos anciens amis.*' Ces Raisons etoient solides, attendu que ni lui ni moi, ne pouvions cal- culer sur sa mort. Mes lettres originales existent encore, on me les a rendu apr^s son Dec^s, elles sont toutes marqu^es de sa main et prouvent la- verit6 de mon asserüon. II m'en ecrivit une apr^s la Revolution, que Ton me remit lorsqu'elle n'6toit plus cachet^e a mou addresse, et qui m'est infiniment precieuse parcequ'elle constate, que jusques aux demiers jours de sa vie il m'a conserv6 son amiti6.

A la Revolution, mes Enuemis resolurent de m*6craser. Ce n'6toit pas- la famille Royale qui etoit irrittee contre moi, Elle ne vouloit que la Justice, et Mgr. le Prince Fred^ric, m'a donn6 depuis des marques genereuses de sa Protection, mais ceux qui m'avoient maltrait-^, profitoient du moment, ils m'avoient ote des affaires, et ne me pardonnoient pas le mal qu'ils m'avoient fait. Le Comte de Ranzau figuroit par Taigreur de ses sarcasmes, et par le Raffinement de sa persecution, Machiavel avoit dit, qu'il ne faut pas offenser a demi et on voulut m'ann^antir. II n' etoit pas trop difficile de faire naitre des soup^ons, on les coloroit, en alleguant mes apparitions

Merzdorf, H. P. Stnrss. 45

frequentes a la Cour, on surprit rnGme le Jugement des Personnes les plüs respectables, on me d^posa de nia place, deux Jours apr^s on m'enferma, on m'arracha a ma Promise la veille du Jour fixe pour les Noces, on m'arretta dans sa Maison, on barricada mes fend- tres, on me traita comme un Criminel, on m'iuterrogea, on fouilla dans mes papiers, on me fit subir Tlnquisition la plus severe, Le Comte de BernstorflF 6toit mort, Monsieur son Neveu hors d*£mploi, La Nation 6toit indign^e parle Souvenir des maux passes, La yoix publique crioit vengence, on n'osoit sonffler en ma faveur, Le Deses- poir me consumoit, La Nature alloit succomber, J'^tois malade et mourant, La baine puissante triompboit, L'amiiie timide se tut, Je me erus perdu sans Ressource, et qui peut sauver? dans la crise violente d'une Revolution, lorsque la victime est devou^e par quel- ques auteurs mßmes de TEvenement? L'Innocence rassure a TEgard de Dieu, mais non pas a TEgard des bommes, ne fut eile jamais opprimee? Qui et-ois je pour demander des miracles? Ce fut pour- tant mon Innocence qui me couvrit de son Egide, on ne trouva pas la moindre trace ni d*une Demarcbe, ni d'une parole suspecte, Je m'etois resserr^ dans les limites de mon Emploi, J'avois fait quelque bien, et j'avois empecb6 quelque mal, on ne deterra dans Tes papiers de Struensee qu'un seul memoire de ma fa9on, et cet Ecrit avoit pour Objet, de faire conserver au Comte de Bemstorff sa Pension de Retraite que Ton voulut rayer cruellement. J'y fis le tableau de son MinisU^e, Je detaillois les emineus services,qu'il avoit reudu a TEtat, en sacrifiant son propre bien, et j'eus Thardiesse de faire sentir, que la Gloire du Roi 6toit interressee, a 6tre juste.

Apres une Detention affreuse, de pr('S de cinq mois, on m'an- non^a ma liberte, on ne m'allegua aucun Reprocbe, mais on me taxa d'Imprudence , sans me dire en quoi eile consistoit. Je la confesse cette Imprudence, Je devois fuir une Cour, ou grondoient les orages, lorsque le Comte de Bemstorff s'en eloignat. Si je u*y reparoissois plus, Je ne pouvois risquer que ma fortune, mais c'est TEvenement qui a 'decid6 de mou Erreur, et l'Evenenient derange quelquesfois toute la sagesse humaine. Si le Comte de Bemstorff ne mourroit pas, si parmi les acteurs de.la Revolution il n avoit pas eu d'En- nemis declares, on Tauroit rappelig d'abord et il me retrouvoit en place. Je m'etois alors conserve, malgre ma Situation difficile sans participer au Conseil des mecbans, Je tenois le fil des Occurences, et je pouvois lui etre fort utile. Voila ce qui explique ses conseils, et ma Docilit^ a les suivre.

On ne me rendit point mes places, mais on m'assigna une pen- sion en y ajoutant la promesse, que je serois replac6 dans les Etats du Roi, En effet Sa Majeste me nomma Membre de la Regime du Dnch6 d'Oldenbourg, un an avant la tradition.

Tr^s attacb^ au meilleur des Maitres, je suis malheureux dans

46 Merzdorf, H. P. Sturz.

ma Position, et ce Prince respectable a TEquite cl*en convenir. J'ay perdu le fruit des travaux de ma vie, Je n'ai jamais 6te Juris con- sulte, Je pensois savoir mon Metier et a Tage de 40 aiis je suis redevenu Ecolier. Mes Revenus passen t a peine la moiti^ de mon ancien salaire, Lorsqu'a la suite de longues Services, je devois esperer quelque aisance, je suis gene pour le necessaire. Mßs Juges et ma Conscience, ont prononce que je n'aj point failli, et je porte la peine d'un Coupable.

Oldenbourg le 3. Juin 1779. H. P. Sturz.

Antwort des Herzogs. Mr.

Yotre lettre en datte du 3. d. c. m. n'a pu me parvenir que hier par la consequence naturelle de mon chaugemeut de lieu. Je suis fache d. V. >oire dans des sentimens qui V. portent k nous quitter Mr. sentimens dont le C. de Holmer m'avoit. d6ja prevenu. Ce qu'il a pu V. dire de la bonne volonte que j*ai temoignös pour contribuer ä V. plasser au gre de Vos d^sirs est tr^s positif, le tout pose cepen- dant sur <:es deux poins, si d'abord il j auroit une place vacante, puis si Mr. le GDue voudra differer k ma recommendation. Quaud au premier de ces poins mes demieres lettres de Russie ne m'ap- prennent rien de bien satisfaisant, et quand au second votre nt)erite r6pondera plus pour Taffirmative que mon credit: J'ai souhait^' V. 6tre eutile et je le souhaite plus que jamais. Je me flatte que le C. de Holmer V. a parl6 de maniere et que Y. envisagiez mes offres non comme d'un succes seiiain mais comme les effors impuissaus d'une persone qui desire rendre cervice. Je suis trop honet homme pour rien promettre que ce que je suis matematiquement persuadc de remplir: Si Mr. le GDuc daigne monuorer de quelque bont^ c'est la suite d'une longue liaison dans laquelle je ne lui ai jamais rien demande mais dans laquelle j'ai eu souvent lieu de le remercier, c'est la regle sur laquelle cette liaison subsiste depuis plusieures annees, je Tenfreinderez cependant volontier p. V. rendre cervice, mais ce ne sera jamais qu'avec la certitude de nous point exposer k un refu.

Si j'ai rhoiineur de V. voir je pourrois V. en dire autant et davantage sur le mßme suiet, je me procurerois cet a van tage si ma maison etoit dispose de maniere k pouvoir recevoir quelqu'uu, mais cette d^pouille des indes ne veut point encore s'accomoder au gre de ses abitans druides je me flatte cependant que cela sera dans peu.

Je suis trds parfaitement Mr.

In der Antwort vom 12. Juni 1779 dankt Sturz filr den Wink und fahrt dann fort: ^dans une immense cour comme Celle de Petersbourg il y a pli\sieurs niehes pour des figures

Merzdorf, H. P. Sturz. 47

a placer et j'attendrai saus impatience le succes de Ses efforts bienfaisans.^ Als die Angelegenheit weiter kam, äussert sich Sturz ganz unverholen, wie schon früher einmal gegen Bode, über die wenig zusagende Stellung in Oldenburg und schreibt unterm 15. Sept. 1779: „Les vues genereuses que vous m'ayez fait naitre pour la Russie. II est tres decide, que je ne saurais durer dans la position ou je me trouve, et pour vu que la perspective soit un peu constante je suis homme a faire un voyage a Petersbourg pour voir et pour etre vu." Dazu kam es nicht, und die andere von Guldberg mitgetheilte erfreuliche Aussicht aus Dänemark, erhöhte Pension zu erhalten, war wer mags jetzt noch bestimmen wahrscheinlich der letzte Grund zu seinem Tode.

Schon längere Zeit krankhaft gereizt und von heftigem Kopfweh geplagt, reiste Sturz nach Bremen, woselbst er Briefe aus Dänemark erhielt, deren freudiger Inhalt ihn bis zur Ohn- macht rührte und so ei^riff, dass ihn nach zwei Tagen hef- tig ein damals grassierendes bösartiges Faulfieber befiel. Die erhaltenen Nachrichten erschütterten seinen geschwächten Kör- per so sehr, dass die Kunst der Aerzte sich als vergeblich erwies und er im Hause seines langjährigen viel erprobten Freundes, des Holstein-Oldenburgischen Hofrathes Schumacher am 12. Nov. 1779 seinen Geist aufgab.

Dieser plötzliche Tod erregte das Gefühl seiner Freunde, und Boie schrieb unterm 19. Nov. an Bürger:

„Noch zwei Worte, lieber Bürger, zu den Stolbergischen Gedichten die ich Dir hier schicke. Ich habe in diesen Tagen einen sehr empfindlichen Verlust erlitten, von dem ich noch ganz betäubt bin mein Freund Sturz ist in Bremen an einem bösartigen Fieber gestorben. Von seinen Werken, die ich Dir schicken wollte, habe ich jetzt selbst nicht einmal ein Exemplar. Ich hoffe unter seinen Papieren, die mir die Wittwe schickt, noch Stoff zu einem zweiten Bande zu finden. Fürs Museum hatte er noch allerlei fertig, aber das darf ich jetzt zu dem Behuf nicht mehr brauchen, da ich einen zweiten Band seiner Schriften daraus machen will. Du siehst, mein Lieber, wie viel m^r Ursache ich jetzt habe, zu deiner Freundschaft meine Zuflucht zu nehmen."

48 Merzdorf, H. P. Stur«.

lieber Sturz' Tod findet sich die erste ausfiihrliehe Nach- richt in einem Briefe des Grafen Ho Im er an F. L. Stolberg vom 19. Nov. 1779 aus Eutin.

„Unser Freund Sturz ist nicht mehr. Sein Körper war zu schwach um dem innem Kampf seiner Seele und der Heftig- keit des dadurch verursachten bösartigen Fiebers zu wider- stehen. Am Freitag Abend d. 12. d. M. ist er in eine bessere Welt übergegangen. Sein Verlust ist für mich in Oldenburg unersetzlich; denn bei einigen Fehlern, die vielleicht das unzer- trennliche Loos der Menschheit sind, setzte ibfi sein Herz, seine Eigenschaften und seine Talente in die wenig zahlreiche Klasse seltener Menschen. Er war mein wahrer Freund und mein Herz beweint ihn aufrichtig. Allein der Zettel an mich, den man bei ihm gefunden hat, den er vermuthlich am ersten oder zweiten Tage seiner Krankheit (denn in den' letz- ten zwölf Tagen seiner Krankheit ist er gar nicht wieder zum fortdauernden Bewusstsein gelanget) mit schwacher sterbender Hand unterschrieben, und den ich Ihnen, mein würdiger Freund, hieneben abschriftlich überschicke, hat meine ganze Seele er- schüttert. Möchte ich im Stande sein, das Vertrauen des ver- ewigten unglücklichen Mannes nach seinem ganzen Umfange zu rechtfertigen! Alles will ich dazu anwenden. Ein ganz verschuldeter Vermögenszustand, ein dreijähriges hülfloses Kind und eine junge Wittwe, die dem Vernehmen nach seit drei Monaten ein anderes unter ihrem Herzen trägt, welch ein Gemälde! 0 mein bester Stolberg, izt vereinigen Sie Ihre Bemühungen mit den meiuigen. Auch Bemstorifs edles men- schenfreundliches Herz wird die Gelegenheit, wohl zu thun, mit Entzücken ergreifen. Den Tag zuvor ehe der arme Sturz krank wurde, hatte derselbe einen Brief von Guldberg erhal- ten, der ihm die . angenehmsten Hoffnungen in Absicht einer vom Königl. Dänischen Hof zu erlangenden Pension, die ihm alsdann nebst der unsrigen das Leben erleichtert haben würde, bereitete. Sollte es nicht thunlich sein, hiervon nur etwan zweihundert Rthlr. für die unglückliche Wittwe auszuwirken? Ein Gleiches machte ich mich anheischig, derselben von der Gnade nnsers besten wohlthätigen Herzogs zu "verschaffen; und auf diese Weise, da sie ausserdem fiinfhundert Rthlr. L'd'or

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aus der Calenberger Wittwenkasse zu erwarten hat, so würde sie nach Kopenhagen ziehen und dorten in dem Schoos ihrer Familie ohne Nahrungssorgen leben können. Die Asche des Redlichen wäre yersohnt, und wir, mein theurer Freund, hat- ten eine heilige Pflicht der Freundschaft erfftllet. Ihr Herz wird Ihnen hierüber Alles weiter sagen, das meinige ist zu bewegt, um fortfahren zu können. Holmer/^

Stolberg hatte den Tod des gemeinschaftlichen Freun- des schon in Kopenhagen erfahren und schrieb an Holmer am 20. Nov. 1779: „Der Tod des guten Sturz hat mich sehr ge- schmerzt. Ich weiss, dass Ew. Excell. sich mit mir darüber betrüben. Armer Sturz! Wenn der Kelch, den er leerte bis zur Hefe, ihm bittrer erschien, als er ihm hätte erscheinen sollen, war er darum weniger zu beklagen?", beantwortete aber Holmers Brief unterm 23. Nov. in folgender Weise: „Sobald ich den Tod unsers Freundes erfuhr, fiel mir mit dem Ge- danken unsres Verlustes auch der Jammer seiner Wittwe und des Kindes aufs Herz. Ich wusste, dass Ew. Exe. sich gewiss für diese Unglücklichen mit dem Eifer bemühen würden, der Ihrem Herzen eigen ist.

„Ich schätze mich glücklich, mich vielleicht nicht ohne Nutzen dieser Sache hier annehmen zu können. Bemstorff verspricht, mich zu unterstützen; sagt aber dabei, von den Coliegien wäre nichts zu hoffen, blos von der Schatulle des Kikiigs, und also von Guldberg.

„Sein letzter Zettel an Ew. Excell. hat mich erschüttert. Armer Sturz! Eine Reihe von fehlgeschlagenen Hoffnungen hatte sein Herz dem Trost verschlossen. Qott wolle ihn trösten, dort wo Hofihung und Erfüllung nicht mehr von ein- ander getr^mt sind! Es schmerzt mich tief, dass er vielleicht bis zuletzt mich für einen kalten Freund gehalten hat, weil ich einige Schritte für ihn nicht thun konnte, deren Frucht- losigkeit er nicht einsehen wollte. Ich folgte meiner Einsicht, und vielleicht kann ich nun desto eher etwas für diejenigen erhalten, deren Noth seine letzten Stimden verbitterte/*

Auf Graf Holmers wiederholtes drängen an Stolberg, sieh der Wittwe des Freundes anzunehmen, bezieht sich folgende Antwort vom 17. Juni 1780: „So oft ich mit Guldberg wegen

Abohiy f. Litt.-Obioh. vn. 4

50 MenBdorf, H. P. Sturz.

der Wittwe unsers Freundes gesprochen habe^ hat er mir immer Hoffiiung zu einer Pension gemacht^ aber auch immer mit einfiiessen lassen^ dass sie wohl thun würde^ sich in den Landen des Königs zu etabliren. Ich habe eben wieder mit Bernstorff ihrentwegen gesprochen; er hält für sehr rathsam, dass sie herkomme , etwa unter dem blossen Praetext ihre Mutter zu besuchen und in Person bei der Königin soUicitire^ alsdann wird sie, ohne sich verpflichten zu müssen im Lande zu bleiben, vermuthlich reussiren. Ich werde fortfahren Guld- berg an sie zu erinnern. An seinem guten Willen zweifle ich nicht und bin versichert, dass Bernstorff die Sache aus allen Kräften unterstützen wird." Noch unterm 26. Sept. schreibt Stolberg an Holmer: „Ew. Excell. können versichert seyn, dass ich nicht ablassen werde, mich bei Bernstorff und 6uld- berg für die unglückliche Wittwe unsers Freundes Sturz zu verwenden. Ich hoffe auch gewiss, dass sie endlich die kleine Pension von 200 Rthlr. erhalten werde. Es ist nun einmal die Art des hiesigen Hofes, nichts dergleichen in verbindlicher, entgegenkommender Weise zu thun. Man glaubt, durch Auf- schub und Schwierigkeiten der spätem Wohlthat den Schein eines grossem Werths zu geben, indem man in der That ihn um vieles verringert.'' Die Frau Sturz ist darauf nach Kopen- hagen gegangen, dort geblieben und hat wol ihren Zweck erreicht, denn in einem Briefe Stolbergs vom 17. October dess. Jahres heisstes: „Bernstorff, Guldberg und sogar Schimmelmann versprechen, sich für sie zu interessiren. Es rührte mich sehr, die Wittwe meines Freundes in diesen Umständen, mager, blass und doch noch so schön zu sehen.''

Nach dieser Abschweifung, welche das Schicksal der Sturz- sehen Familie veranlasste, wenden wir uns zu Sturz selbst zurück.

Sturz (dessen Bildniss in der Ausgabe der Schriften 1782, von Ganz gezeichnet und von C. 6. Raspe gestochen, nicht gut getroffen ist, aber dennoch vor dem 1. Bändchen der Original- dialogen und Erzählungen der Deutschen, Berlin 1789, nach- gestochen und in Kurz' Gesch. d. deutschen Litt. Bd. III (1859) S. 65 in Holzschnitt wiederholt wurde) war wolgewachsen, gross, stark, von ziemlicher Corpulenz, mit frohem Herzen begabt, er schien auf Greisenalter Anspruch zu haben* Aber

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die Unglücksfalle untergruben seine Gesundheit, er ward hypo- chondrisch, weichlich, indolent, sein Ansehen ward aufgedun- sen, sein Fleisch schwammig, seine Farbe gelblich. Das ;;Frag- ment aus den Papieren eines yerstorbenen Hypochondristen'^ verräth deutlich, dass er aus Erfahlning spricht und vielerlei Curen gebraucht hat. Aber und dadurch ward sein körper- licher Zustand nicht besser seine Lebensweise entsprach nicht seinen Eorperleiden; er sass viel, machte sich wenig Bewegung und verdarb durch* pikante Gerichte* seinen Magen wieder, nachdem er ihn durch fasten eine Zeitlang scheinbar in Ordnung gebracht hatte.

Der deutschen und franzosischen Sprache vollkommen mächtig, schrieb und sprach er auch englisch und dänisch (letz- tere Sprache hatte er innerhalb eines halben Jahres sich angeeig- net), und las auch spanisch und italienisch. Er liebte die alten Classiker und bildete nach ihnen und den besten Engländern und Franzosen seinen Stil, der gedrängt und voll, fast zu üppig ist. Er feilte viel an seinen Arbeiten, wie aus den zum Theil noch vorhandenen Handschriften ersichtlich ist. Seine Kenntnisse, abgesehen von den Staats Wissenschaften als dem Studium seines Lebensberufes, waren ausgebreitet, sein 6e- dächtniss glücklich; sein Witz, reich, fein und lachend, gefiel stets und beleidigte nie; er war, wie Wieland im Musarion sagt,

Ein Witz, dem's nie an Reiz gebrach; Zu stechen oder liebzukosen Gleich aufgelegt, doch lächelnd, wenn er stach. Und ohne GifL**

Ein glücklicher Erzähler und trejBFIicher Gesellschafter war er oft der Mittelpunct der guten Gesellschaft, die er und die ihn liebte, und verlieh den Gesprächen die Würze, die so noth- wendig zur angenehmen Unterhaltung ist. Der Adel seiner Seele und die Güte seines Herzens riefen für ihn das seltene Glück hervor^ allgemein hoch geschätzt und geliebt zu sein. Für einen Mann von richtigem imd feinem Geschmack

* In dieser Beziehung ist zu beachten^ was Boie an Bürger am 3. Mai 1778 schreibt: „er (Sturz)* wohnt bei Rehberg, und, soviel immer seine Schmaosereien Zeit lassen, stecken wir ^nsammen."

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und Kenner in den Werken der Kunst, die einen Haupttheil seiner Nebenbeschäfitigungen ausmachten, da er sich theo- retisch sowol als praktisch mit Kunststudien beschäftigte, galt er als Portraitzeichner und Maler, namentlich als Pastell- maler, nicht bloss bei seinen Freunden (vgl. Nagler, Künstler- lexic. XVin S. 528). In Kopenhagen, Hamburg, Hannover, Gotha finden sich Pastellportraits von ihm vor, und man kann wol sagen, dass das portraitieren der Konigin Mathilde und ihrer Kinder einen Theil der unschuldigen Ursachen seines Falles bildete. Nach seinem Tode fanden sich noch zwei angefangene Portraits in Tusche, nach dem Leben gezeichnet, die Garricks und Klopstocks vor; wohin diese gerathen sein mögen, dürfte schwer nachzuweisen sein, jedesfalls war das Klopstocksche Bild ein anderes als dasjenige, von dem Gramer (Klopstock. Briefe von Tellow an Elise S. 85) spricht: „daher ist mirs begreiflich, dass noch kein einziger Maler, auch Sturz nicht, der einer der grössten Treffer ist, ihn (Klopstock) hat ähnlich malen können.^ Ob dies Bild mit dem von der Ange- lica Kaufmann an Klopstock unterm 28. August 1769, 2. Octo- ber und 4. December 1770 erwähnten eins und dasselbe ist, dürfte jetzt auch schwer zu erweisen sein, zumal u^ter den bekannten gemalten und gestochenen Portraits Klopstocks sich keines findet^ das Sturz zugeschrieben wird, obgleich ein sol- ches fertig vorhanden gewesen sein mnss, denn Angelica sagt: „mit welchem Vergnügen erwarte ich die Zeichnung, die Herr Sturz von Ihnen machen wird, und mit welcher Freude werde ich trachten dieselbe alsdann (so gut als möglich) in das Kupfer zu bringen.^ „Ich hoffe, Herr Sturz wird nun zurück- gekommen sein. Sie wissen schon, was ich sagen will, ich lasse Ihnen keine *Ruhe, Ihr Portrait muss ich haben, gemahlt oder gezeichnet, das ist mir das nämliche, wenns nur ähnlich ist." „Hätte ich das behalten, was mir Herr Sturz gewiesen!" In der grossen Lavaterschen Physiognomik finden sich Stiche nach seinen Zeichnungen, so ein Garrick und vor allen a. a. 0. IV S. 125 Taf. 5 Beatrice Cenci nach Guido (oder Dolci), von Lips gestochen. Neben der praktischen Aus- übung der Kunst legte Sturz sich auch aufs sammeln von Kupferstichen und hinterliess bei seinem Tode einige Mappen

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schöner Kupferstiche der besten Meister, welche dör Herzog Peter Friedrich Ludwig von Oldenburg für fünfhundert Thaler ankaufte und seinen eigenen kostbaren Sammlungen einver- leibte. Die kleine, aber schätzbare Bibliothek jedoch, welche ziemlich viel englische und französische Schriften -enthielt, die er zum Theil auf seinen Reisen gesammelt hatte, ist freilich dem gewöhnlichen Schicksale der Privatbibliothekeu erlegen und in alle Winde zerstreut worden, ohne dass sich ihre Ueberbleibsel nachweisen lassen.

Was nun Stiurz als Schriftsteller im grossen ganzen an- belangt, so stimmen alle Litterarhistoriker und Kritiker von dem Verfasser der ersten Recension der Werke (1779) bis auf Ebeling in seiner Gesch. der komischen Litteratur (1869) darin überein, in ihm einen trefflichen Prosaisten und feinen Beobachter von Welt, Litteratur und Menschen anzuerkennen. Nicolai sagt in einer Anmerkung zu seinem Briefe vom 5. Juni 1769 an Lessing (Werke XIII, 178) ganz richtig: „Nach der Lage und der allmähligen Bildung unserer Sprache, würde ich diejenigen in Absicht auf die Sprache als klassische Schriftsteller nehmen, durch welche unsere Sprache irgend eine Art von Bildung erhielt. So wäre ich z. B. geneigt, Sturz unter die klassischen Schriftsteller zu setzen, aus dem ich in meinem Worterbuche jedes Wort würde ausziehen, und die Art bestim- men lassen, wie er es gebraucht hätte; ungeachtet wir gute Schriftsteller haben, denen er an Werthe weit nachzusetzen ist, wenn man auf den ganzen schriftstellerischen Charakter sieht Aber Sturz war einer der ersten Schriftsteller, der nicht als ein Gelehrter schrieb, sondern als ein Weltmann, der die grosse Welt gesehen und fein beobachtet hatte. Daher liegt für unsere so arme Konversationssprache mancher Schatz in Sturzens Schriften, den unsere Lustspiel- und Romanschrei- ber nicht vernachlässigen würden, wenn sie den Werth von Sturzens Schriften erkennten und glaubten studieren zu müs- sen, ehe sie schreiben.^ Wenn Wachler (Litteraturgesch. III, 413) zugibt, dass Sturz aus britischen und französischen Glas- sikern die Prosa bereichert imd ihr feine Geschliffenheit ge- geben habe; wenn Bouterweck (Gesch. d. Poesie XI, 501) ihn witzig, geistvoll und elegant neimt, so findet der letztere doch

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einen Fehler darin ^ dass er zu elegant habe schreiben wollen und über dem streben nach einem glänzenden Ausdrucke öfter in das prunkende und gesuchte gefallen sei. Dieses prunkende hatte schon der Recensent der Ausgabe von 1779 in der Ham- burger neuen Zeitung (1779 St. 193) nach dem Lobe erwähnt, jedoch zugleich einen Milderungsgrund angefügt, indem er sagte: ,,Mag doch seine Schreibart hie und da zu üppig sein, man weiss, dass Männer dieser Art von eingeschränkten Köpfen, die's nie zu Schulden gebracht, oder fast nur von ihnen allein gerügt werden. Wo man so viele grössere Schönheiten bemerkt, vergisst imd verzeiht man sie leicht." In gleicher Weise sogar ohne irgend einen Tadel - äussert sich Eschenburg in der Beispielsammlung VIII, 2, S. 166.

Küttner spricht 1781 in seinen Charakteren teutscher Dichter und Prosaisten Sturz viel Anlage zum classischen Schriftsteller zu, eindringenden Verstand, leichten Witz, sehr lebhaftes und starkes GefQhl mit hinreissendem Enthusiasmus, welcher allen seinen Ausdrücken Leben und volle Kraft gebe, und er meint, dass er als Kenner der Welt und des feinsten Umgangs die Menschen im gesellschaftlichen Leben und auf der Bühne studiert habe. Es entspann sich über Sturz' Werth als Schriftsteller eine ausführliche Discussion; im deutschen Museum 1781, Bd. II S. 305 nämlich fand sich ein französisches Schrei- ben einer unbekannten Dame (der Frau von Grävemejer vergl. Weinhold, Boie S. 261 Note) an den St. M. v. H. (Staats- minister von Hertzberg?) über die deutsche Litteratur, worin es heisst: „nul auteur avant Sturz n'a atteint cette precision, finesse et flexibilite d'expressions, qui jusqu'ici ne sembloit etre que le genie particulier et inimitable de la langue fran- 9aise. C'est: «ce style laconique et pittoresque en meme tems», ce «peu de paroles et beaucoup de sens» quele Roi nous dispute.^ In der darauf folgenden Antwort wird Sturz feiner Beobachtungs- geist und ein weiter Umfang von gelehrten und Welt-Kennt- nissen zugesprochen, anerkannt, dass in seinen Schriften der Ton der wahren guten Gesellschaft herrsche, seine Gesinnungen gross, seine Bemerkungen neu und interessant, seine Sprache edel, sein Periodenbau harmonisch und gefallend sei. „Es ist wahr,'' sagt der Verfasser, „Sturz hat den leichten gallischen

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Witz^ das blühende Colorit, die auffallenden Antithesen, die an unseren Nachbarn am andern Ufer des Rheins so sehr ge- fallen, und er dürfte hierin wahrscheinlich eine Yergleichung mit den besten Franzosen sehr gut aushalten, aber gerade diese Vorzüge erlauben nicht, ihn an die Seite einiger anderer grosser Deutschen zu stellen. Seine kleinen gelegentlichen Stücke sind Ergiessungen des Genius in glücklichen Stunden, die man wohl nennt, aber nicht über die Meisterstücke eines Lessing, Wieland und Moser erheben darf.^ Es wird weiter dann ausgeführt, Sturz suche auch dann und wann nach Witz und verfehle ihn deshalb; als Beweis für diese Ansicht wird die Stelle über Rangstreit „Rang ist nicht ^ bis „Heraldiker der Natur^ angeführt, wo nur die Uebereinstimmung in dem von beiden (den Himmelskörpern und dem Range der bürger- lichen Gesellschaft) gebrauchten Ausdrucke „iäeinen Platz be- haupten^ den Verfasser auf die ganze Vergleichung geführt habe. Ebenso wenig tief sei die Materie von der Todesstrafe behandelt, die Darstellung leide an Einseitigkeit, und der Ausdruck über Russlands Menschlichkeit sei geradezu unrichtig, auch sei im fünften Briefe die Aeusserung: „dass in England das Richter- amt vom Throne unabhängig sei^, was als Vorzug der eng- lischen Verfassung gerühmt werde, vollständig überflüssig, da dies in allen civilisierten Staaten ebenso der Fall sei.

Diesen Vorwürfen tritt nun ebendas. 1782. I S. 178 flf. die Verfasserin des französischen Briefes in einer deutschen Ant- wort entgegen, indem sie sagt: „Schönheit des Styls war eigentlich das, was ich an einem meiner Lieblingsschriftsteller lobte, nur beiläufig erwähnte ich des innern Gehaltes seiner Schriften und deshalb nannte ich Sturzen nicht als das erste deutsche Genie*, sondern als Kenner, Künstler und Meister der Sprache. Zwei ausländische Eigenschaften schienen mir bisher über unsere Anlagen zu gehen, die erste ist die feine Reizbarkeit des Geistes, die dem Witz Colorit giebt, und

* Zimmermann im hamiov. Magazin 1779 S. 636 bezeichnet aller- dings Stnrz als „ein Genie von der ersten Classe*', während Jean Paul in seiner Aesthetik ihn zu den genialen Mannweibern rechnet, die unter dem empfiuigen zu zeugen glauben.

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die dunkelsten Empfindungen schnell in einer treffenden Be* Ziehung entwickelt; die andre, der rechte Gebrauch des Witzes. Für Beides stand mir nun Sturz als Muster unter uns. Zu neuen Schattirungen musste er neue Zusammensetzungen wählen, zu dem Feuer und der reichhaltigen Kürze seiner Gedanken neue Wortfügungen und zu dem Ausdruck seiner Art zu empfinden den neuen Periodenbau, der uns nun von dem Wohlklang unserer Worter überzeugt. Ich bewundere insbesondere die Leichtigkeit seines Ausdruckes, die alles, was er sagt, zu Phrasen des gemeinen Lebens machi Nirgends findet man bei ihm Büchersprache; alles stehet da, als wie in dem Con- yersationston der feinen Welt." Die oben gerügte Stelle wegen des Ranges wird dadurch vertheidigi, dass Sturz nur yon der Materie spricht, über Staatsverfassung und Todesstrafen wage sie nicht zu urtheileu. - Die Verfasserin behauptet ferner, und mit Recht, worauf, wie wir gleich sehen werden, auch andere aufmerksam gemacht haben, der Schriftsteller müsse auch nach der Lage beurtheilt werden, in welcher er schreibe: „daher musste Moser bei seinem edlen patriotischen Verhält- nisse in Osnabrück ganz anders schreiben, -als Sturz mitten in den glänzenden Scenen der Welt und dem Gefolge eines jungen Königs. Dennoch sah er Kleinigkeiten, die ihn um- gaben, mit dem hellen Auge, das den Zusammenhang des Ganzen umfassete, in welchem die unbedeutendste Sache ihren Platz und die angebetetste Thorheit ihre Würdigung findet. Im Geräusche der Reisen und bei niederschlagenden Wider- wärtigkeiten des Schicksals ist die Seele nicht in Ruhe und zu keiner mühsame Anstrengung erfordernden Arbeit geschickt. Sturz zeichnete nur Blumenstücke, aber auch in Raphaels Skizzen entdeckt man die Hand des Meisters, der sie entwarf. In jeder Zeile seiner Schriften athmet das wärmste Gefühl des Wahren und Schönen. Seine Seele hatte Sinn für alles, lag jedem Gegenstand offen, dem grossen in der Natur sowohl, wie der zartesten Abglättung der Kunst, vom einfach schönen Sommermoi^en auf Garricks Landhause an, bis zu der epheme- rischen Architectur des Damenputzes auf dem Balle des Prin- zen von Soubise. Ohne mühsame Folgerung, mitten im leich- ten Scherz, in der naivsten Erzählung liegen grosse, weitaus-

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sehende Gedanken, die nur auf reichem Orund und Boden ent- springen. Einfach ist sein Styl nicht, aber unsere BegrifiPe und unser Geschmack sind es jetzt auch nicht. Die Einfalt ist längst von Deutschlands Gränzen gewichen.*^

Schon früh wurde Sturz mit Moser verglichen, und bei aller Aebnlichkeit zwischen diesen beiden Essayisten hat doch schon Nicolai im Leben Mosers (1797) S. 93 ff. in feinen Bemerkungen die Verschiedenheit beider mit Recht hervor- gehoben. Nicolai, der beide kannte, sagt: „Sturz ist ihm (Mo- ser) gewissermassen am ähnlichsten, aber doch sehr wesent* lieh von ihm unterschieden. Beide besitzen die reife und mannichfeltige Weltkenntniss, die unter den Gelehrten aller Nationen nicht so gar gemein ist, unter den Deutschen aber am seltensten gefunden wird. Beide haben Menschen aus allen Standen kennen lernen, und schildern sie mit gleich grossem Talente nach dem Leben und mit lebendigen Farben. Aber jeder von diesen Schriftstellern sah Welt und Menschen aus ganz verschiedenem Standpunkte, beurtheilte sie also auch anders.

„Sturz lebte am Hofe und unter Hofleuten; Moser im Geschäftskreise und in der bürgerlichen Gesellschaft. Moser kannte die feine Gesellschaft auch, wenn auch nicht durch den Hof, doch durch dfe, welche an den Hof gehen, und trug auch das Seinige bei, den Ton des Mittelstandes unbefangener und feiner zu machen. Da aber die bürgerliche Gesellschaft weit- umfassender ist und höhere Zwecke hat als blos den Ton, so sind auch Mosers Absichten weitumfassender und gehen mehr aufs Nützliche. Sturz amusirte sich selbst und suchte andere zu amusiren, freilich mit einer Feinheit, mit einer Weltwissen- scbaft, mit einer Eenntuiss der Konvenienzen der Lebensart in der grossen Welt, und in einer leichten Schreibart dieser Konvenienz selbst angemessen, dergleichen vor ihm bey keinem deutschen Schriftsteller zu finden war. Sturz, wie ein Hof- mann, sah an Menschen und GegensiÄnden vorzüglich die äus- sere Seite, so wie sie sich in der feinen Gesellschaft mit Yor- theile oder Nachtheile zeigt; Moser, immer den Mittelstand und die bürgerliche Gesellschaft vor Augen, wusste ins Innere der menschlichen Charactere und Handlungen zu dringen und

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stellte sie vor in der Absicht^ das menschliche Leben über- haupt zu be.ssem und angenehm zu machen. Jener^ als ein Hofmann hat immer etwas Gemächliches in Beobachtung und Schreibart und fast bestandig die höfliche Wendung, die das Widrige, was zu sagen ist, verschleiert und wie von ohngefahr etwas Verbindliches einfliessen lässt. Dieser, beständig in tbätigem Leben, kennt auch die sehr nothige Schonung, aber indem er äusserlich schont, vergiebt er der innern Energie nichts. Sturz war sehr oft, und wie man merkt, sehr gern in dem, was die grosse Welt Gesellschaft heisst, «wo um seinen eigenen Ausdruck zu brauchen wo alle schwatzen, niemand sich unterhält, und im Gedränge, wo man einsam ist.> Moser kannte die grosse Welt auch, war oft in grosser Gesellschaft und hatte dergleichen nicht selten in seinem Hause, nicht aus Neigung, sondern Anstandes wegen; und dennoch war er in solchem Gedränge weniger einsam als ein Hof mann, sondern gleichsam immer zu Hause, weil seine Menschenkenntniss vielseitiger war. Er konnte also jeden tiefer beurtheilen und selbst an dem alleruninteressantesten Menschen wenn er mit einem solchen in Gesellschaft sein musste, eine interessante Seite finden, und mit der Gutmüthigkeit, welche am Hofe ' und in der politischen Welt so selten ist, wusste er Menschen an Menschen zu knüpfen. Sturz sah das mensch- liche Geschlecht vom Hofe aus und aus den glänzenden Welt- gesellschaften, welches eben nicht der erfreulichste Gesichts- punkt ist. Er sagt (im Aufsatze über Rousseau) mit Bitter- keit: «Lernet euer brüderliches Geschlecht am Hofe kennen und liebt die Menschen, wenn ihr könnt.» Moser hingegen schrieb die herrliche Politik im Unglücke, worunter er hauptsächlich rechnete, «das Leere der glänzenden Freudeo zu erkennen.» Wäre er unglücklich geworden, würde es ihm leicht gewesen sein, diese Politik selbst auszuüben, ihm der ganz andere Freuden kannte. Er würde, hätte er unglücklich wer- den sollen, leicht «der Glücklichen stolzes, niedertretendes Mit- leid» ertragen haben, welches Sturz auch ertrug, aber mit trauriger Anstrengung. Moser hätte freilich verzweifelt, diese verächtlichen Menschen lieben zu können, aber nicht über- haupt die Menschen zu lieben, denn er kannte die Men-

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sehen mannichfaltiger: und wirklich erscheint die Menschheit viel liebenswürdiger im Gesichtspunkte des thätigen und häus- lichen Lebens betrachtet, als in dem Gesichtspunkte des Hofes und der grossen Welt. Sturzens Schilderung ist schrecklich wahr^ aber nur von wenigen derMenschen; «die im Leeren der glänzenden Freuden leben».* Der Hof kann sehr leicht eigensüchtig und fühllos machen, so wie die Macht den Fühllosen im Kriege hart und übermüthig und die äusserste Noth den Unterdrückten grausam. So sind aber nicht die Menschen überhaupt. Der thätige Mittelstand, der sich beständig wechsel- seitig braucht, ist sittsamer und milder und man darf nicht so leicht an ihm verzweifeln, auch hebt sich eher seine Mora- lität wieder durch eigene Eraffc, und dieser schätzbare Mittel- stand war Mosers eigentlicher Wirkungskreis als Schriftsteller. Die verschiedene Art Menschen von verschiedener Art zu be- trachten, hat auf beider Schriftsteller so verschiedenes - es ist kein deutsches Wort da, die Franzosen nennen es faire den sichtbarsten Einfluss. Doch geht zuweilen einer unvermerkt in des andern Manier über. Sturzens: Wer ist glücklich? und dessen berühmte Reise nach dem Deister sind beinahe Möserisch und Mosers: ein kleiner Umstand macht Vieles ist beinahe Sturzisch.''

Auch Gervinus .Gesch. d. Nationallitt. IV (1852) S. 540-42 nennt Sturz neben Moser und Merck, aber gibt ihm doch eine eigenthümliche Stellung, indem er sagt: „er gehört seiner praktischen Richtung nach zu Moser, nach seiner Kenntniss und Liebe für die englische Litteratur und Schauspielkunst zu Lichtenberg, nach seinen Verbindungen zu Elopstocks Kreise, nach seinen Schriftchen zu der grossen Klasse jener Fragmen- tisten, in deren Mitte Lichtenberg und Lessing stehen, nach seinem Character und physischer Beschaffenheit zu den vielen Hypochondristen und Humoristen jener möserschen Periode.

* Julian Schmidt (geistiges Leben 1864. II 396) sagt, indem er auf die menschenverachtende Stelle bei Sturz Rücksicht nimmt, ähnlich ganz mit Recht: „die Menschenkenntniss nimmt eine ganz andere Färbung an, wenn eine freie Bildung und ein festes, selbstgewisses, liebevolles Herz die Menschen ansieht, sonst wird sie leicht zur Hypochondrie/*

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Auch er billigt (Briefe aus England) die Revolution in unserer Litteratur, und meint, es sei endlich Zeit, dass die Natur rede, wie ihr der Schnabel gewachsen sei, dass nicht allein der Kenner befriedigt werde, sondern auch die unverdorbene Klasse der Menschen; sei diese erst gebildet, so werde ihr Beifall das Siegel der VortrefiFlichkeit. Er freut sich, dass die popu- läre Litteratur schon aus den Zimmern unter die Treppe wan- dele, und erzählt mit Vergnügen, dass er eine Lesegesellschaft kenne, in^ die ein Paar Kutscher gehörten/^

Wenn Gervinus Sturz zu den Stürmern und Drängem rechnet, so ist er jedesfalls zu weit g^angen; denn ist auch wie Hettner bei der Besprechung Gerstenbergs, der schles- wigschen Beiträge etc. nachweist das Kriterium für diese in die Verehrung von Rousseau und dessen Ansichten zu setzen, und ist mit Koberstein (Litteraturgeschichte 1856. II S. 1522 ff. Note) Sturz als ein Mann der neueren Zeit zu betrachten, was aus seinen Verbindungen mit Klopstock, Gerstenberg, dem deutschen Museum ersichtlich, so sprechen doch Sturz' eigene Aeusserungen sich gegen die sogenannten Originalgenies und Kraftmänner aus imd gegen alle Beförderer der Empfindsam- keit und Schwärmerei. Wir verweisen auf den Schluss des Aufsatzes „über den Vaterlandsstolz'', worin er die Genie- männer zur Bescheidenheit ermahnt, und auf den Anhang zum 12. seiner Reisebriefe unter der Ueberschrift „Note Hubern betreffend^, der angeblich von Freundes Hand geschrieben in starkem Unmuthe sich über die neuesten Litteraturzustände auslässt, die durch den Sturm und Drang so wie durch das Empfindungsfieber herbeigeführt wurden. Zürnend und schmerz- lich weist er hin auf „die Thränenübimg im Mondschein, auf den Veitstanz konvulsivischer Leidenschaften, auf den stark- seinsoUenden Unsinn, abentheuerlich aus Barden und Skalden geplündert, auf die Dramen, wo alle Helden Renomisten und alle Böse wichter Schaarwächter wären,'' auf die Dichter, welche „mit dem Stabe in jier Hand unsere Mord-^und Gespenster- geschichten absängen, oder gar den Geist und die Kraft der Nation in Krügen und Herbergen suchten" und „Volkslieder nachzuleiern nicht errotheten, als wäre es ein schimmerndes Verdienst, so witzig als ein Handwerksbursche zu sein/' auf

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die sinnlose^ zerhackte^ holprige Prosa oder die flachen Enüttel- reime/^ die auch jetzt nach 10 Jahren geboten würden, nach- dem Lessing; Mendelssohn, Zimmermann, der Agathon und Sulzer gelesen würden und Elopstocks himmlische Gedichte erhoben, Wielands irdische ergötzt hätten; er weist hin auf die „Pobeleien im Drama und in der Satire^, auf die Einßlle sich „niederzulassen in der leeren sumpfigen Gegend der Natur, dort allein Moor- und Haideblumen zu sammeln^, oder den Dichter bei dem „Strohfidelversler und dem Bänkelsänger^, den Redner bei dem „spruchreichen Hochzeitbitter und dem kranz- aufsteckenden Zimmergesellen'' in die Schule zu schicken. Durch solche Würfe seien wahrlich die Griechen nicht un- sterblich geworden. Von ihrem Genie, das in der Tollkommen- sten Euphemie tiefen Gehalt in reizenden Ausdruck gekleidet, habe Aristoteles seine Regeln empfangen und nicht Gesetze gegeben, die man jetzt so gern verachten möchte, weil man sie nicht mehr ausüben könnte. Sturz erklärt nun freilich zuletzt feierlich, er nehme an diesem Ausfalle keinen Antheil, aber seine Erklärung, deren ironischen Ton Gervinus über- sehen hatte, und die ihn daher zu Folgerungen veranlasste, als stände Sturz auf Seiten der Geniemänner, zeigt durch die ganze Stimmung vollkommen, dass er die Ansichten seines angeb- lichen Freundes unter dessen Maske er nur sich selbst versteckt vollkommen theilte. Dass wir Sturz' emstiiafte, wirkliche Meinung in der Opposition gegen das Geniewesen vor uns haben, zeigt auch die kurze Note im Aufsatze über Rousseau: „Nicht Sturm und Drang, das ist eine Einderkrank- heit. S. Rosenstein von Würmern."

Hillebrand (Nationallitter. 1850. I, S. 249) stellt Sturz mit den beiden Publicisten Moser und Moser zusammen, mit denen er zwar nicht in gerader Linie stehe, aber doch in Absicht auf das wesentliche der Ueberzeugung, das Princip d^r Men- schenwürde und des freien menschlichen Rechts dem politi- schen bewusstsein näher zu bringen, nahe verwandt sei. Auch er sei politisch, wenn gleich er nicht so unmittelbar wie jene politischen Sdiriftsteller die politischen Zwecke im allgemeinen zum Hintergrunde seiner meisten Schriften genommen habe^ Fast überall begegne man Fragen und Urtheilen, welche mehr

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oder weniger in dieses Fach hinüberspielen und an manchen Stellen ganz den Möserschen Phantasien ähneln^ nur dass Moser frischer und unbefangener erscheint als Sturz, der zu- weilen durch eine gewisse Gesuchtheit und unzeitige Fülle die wolgeföUige Harmonie seiner Rede stört. Jean Paul, wel- cher in seiner Aesthetik Sturz' Sprache „Elangwerk'' nennt, fiihlt sich durch den Glanz der herrlichen Prosa erkältet, weil dieselbe keinen neuen Geist zu offenbaren, sondern nur Welt- und Hofwinkel hell zu erleuchten hat. Schäfer und Kurz sind voll Lobes über die Sturzsche Ausdrucksweise, und der letztere stellt ihn mit Schlözer und Herder zusammen, gibt jedoch zu, dass an Umfang der Kenntnisse Schlözer, an Grösse und Tiefe der Gedanken Herder über ihn hinausgehe, während er als Schriftsteller beide an Schönheit der Sprache übertreffe.

Ziehen wir nun das Gesammtresultat, so finden wir, dasis Sturz einer unserer vorzüglichsten Stilisten ist, dem man viel- leicht zum Vorwurf machen kann, er habe sich zu sehr den englischen und französischen Mustern nachgebildet und seinen Stil nicht ganz rein deutsch gehalten. Aber diesen Mangel zugegeben seine Prosa bleibt immer noch mustergiltig. Durch die geistreichen Wendungen, in denen sie sich zu be- wegen pflegt, so wie die glänzenden Antithesen erzielt sie schöne Wirkungen. Leicht, anmuthig, künstlerisch abgerun- det besitzt sie doch inhaltreiche Kürze und eine Eleganz, welche viele bewogen hat, in Sturz den ersten zu erken- nen, den man den französischen Essayisten und Fragmen- tisten mit vollem Rechte entgegensetzen konnte. Freilich und das muss gesagt werden bleibt er, obwol theo- retisch daä Princip der neuen Litteraturrichtung anerkennend, in der .poetischen, namentlich dramatischen Praxis hinter der Theorie zurück und beurkundet damit in dieser Richtung sein Unvermögen, das aus einer gewissen Förmlichkeit nicht her- auskommen konnte.

Vielseitig wie er selbst ist auch seine schriftstellerische Wirksamkeit. Frühzeitig (1767) sich dem Hamburger drama- tischen Kreise nähernd trat er dem Strome der Zeit folgend mit einem bürgerlichen Trauerspiele „Julie^ auf, dessen Ab- druck eine auch jetzt noch beachtenswerthe Abhandlung über

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Theaterwesen beigegeben isi Julie^ die Heldin dieses Trauer- Spiels, das einem damals beliebten englischen Romane des Frances Brooke, „thehisiory of Lady Julie Mandeville^, nach- gebildet ist, wird zu einer Heirat gegen ihre Neigung genöthigt und geht zu Grunde. Menzel (deutsche Dichtung 1859. III, S. 57. 58) hat nicht Unrecht, wenn er die Motivierung der Katastrophe schwach, die Entführung unnothig und Belmonts MissYerstandniss durch ein Paar Worte losbar findet, aber auch das rührende im Charakter und benehmen der zärtlichen Julie anerkennt. Die Ueberreizung hat mit der der Lessing- sehen Emilie grosse Aehnlichkeit, wie auch die Sprache an Lessings Mustersprache erinnert, nur trockener und nüchterner sich gibt und den Beweis liefert, dass diese Gattung nicht in Sturz' Bereich war, was er selbst wol auch fühlte, da wir von dramatischen Arbeiten ausser der Julie nichts weiter besitzen als einige wenige in den Oldenburger Handschriften er- haltene Fragmente einer Medea, die in Prosa geschrieben sind. Die Kritik verfuhr nicht gerade glimpflich mit der Julie, denn wenn auch die Gottinger gelehrten Anzeigen d^urch, dass sie überhaupt auf das Stück < was sonst nicht Brauch der hoch- gelehrten Herren war eingiengen, demselben eine Bedeutung zusprachen, so kann doch der Ausspruch (1767 S. 1168): „das Trauerspiel ist von der schaudrigen Art und endet aufs aller- schrecklichste, der Zuschauer wird auch um desto trauriger überrascht, da er die Hauptperson durch Waidemars Gross- muth in Sicherheit glaubt,'' nicht gerade als unbedingtes Lob aufgefasst werden, wenngleich das Urtheil in der Klotzischen deutschen Bibliothek Bd. 1. St. 1. S. 112 124 ganz anders lautet. Dasselbe wendet sich namentlich gegen die Vorrede, die dramaturgische Abhandlung, und schliesst mit den Worten: „mochte doch unser Verfasser den Ariste des Diderot nach- ahmen! Dieser merkte, dass er noch vieles zu lernen hätte, schloss sich ein, studierte und ergriff nach einigen Jahren erst wieder die Feder.'' Die Recension ist nicht bloss unfreundlich, sondern offenbar parteiisch, gerade wie die gleich * voraus gehende über „die schleswigschen Beiträge", an denen Sturz betheiligt gewesen sein soll. Die Berufung auf Lessing war schon Grund genug, um Klotz gegen die Sturzsche Julie in

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Harnisch zn bringen. Lessing hat; wenigstens nach einem Berichte Boies über ein mit demselben geführtes Gespräch, an Gleim sich dahin geäussert, ,,dass er die Julie weit lieber gemacht haben möchte, als den Medon (von Chr. Aug. ClodiusV

Weit bedeutender tritt uns Sturz als Biograph entgegen Seine „Erinnerungen an BernstorP, seinen Wohlthäter, sind ein wahres Meisterstück, das uns dessen öffentliches und Privat-Leben in anziehendster Weise schildert.* Mag der Auf- satz „über Rousseau", wie der mäkelnde Körte (Briefe der Schweizer Bodmer etc. S. 3^3 Note) behauptet, zum Theil einem Berichte Wegeies entstammen und zum Theil eine freie Be- arbeitung eines französischen ungedruckten, auf der Olden- burger Bibliothek befindlichen Aufsatzes der gefeierten Julie Bondeli** sein, was Sturz ja auch nie in Abrede gestellt hat, so wird man doch nicht umhin können, die feine und ge- wandte Darstellung zu bewundern. Daran reihen sich die Aufsätze über Pitt, Foote, der Brief über Elopstock und die auf der Oldenburger Bibliothek aufbewahrten Fragmente einer Autobiographie, die freilich vorzüglich nur sein Verhält- niss zu Struensee und sein bitteres Schicksal berühren.

Der Brief über Klopstock führt uns zu einer andern Gruppe schriftstellerischer Thätigkeit, nämJich den Briefen, ▼on denen die aus dem Jahre 1768, welche über den Aufent- halt in Paris und London in fragmentarisch^geistreicher Weise sprechen, die Zustände jener Weltstädte, die er in der besten Gesellschaft zu sehen das Glück hatte, in anmuthigster Form zur Anschauung bringen. Diese Briefe sind, abgesehen von der stilistischen Vollendung, auch heute noch für die Kenntniss jener Tage kaum zu entbehren. Andere Briefe, wie der eben angeführte über Klopstock, über Herder als Prediger, so wie die hier zum erstenmale veröffentlichten an La vater. Lessing (leider nur als Fragment), Boie und Zimmermann, lassen uns den liebenswürdige, fein fühlenden Schriftsteller erkennen.

* Boie nennt dieselben (an Bürger, 2. October 1777) „okne Zweifel die feinste Composition der Art in unserer Sprache.**

** Vgl. Ed. Bodemann, Julie von Bondeli und ihr Freondeskreis Wieland, Roaseean etc. Hannover 1S74.

Merzdorf, H. P. Sturz. 65

. Als Humorist begegnet uns Sturz in seiner bekannten ^Reise nach dem Deister^, die am meisten nach Moser hinübemeigt. Boie theilt Nicolai unterm 29. Dec. 1796 merk- würdiger Weise die Nachricht mit, dieselbe sei von der Frau von Grävemeyer. Das muss jedesfalls ein Irrthum sein. Diese Reise (wenigstens die ersten drei Abschnitte) erschien zuerst im Hannoverschen Magazin 1778 und wurde in der 1779 von Sturz selbst besorgten Sammlung seiner Schriften aufgenommen; ohne dass er irgend eine Bemerkung dazu ge- macht hätte. Die ganze Schreibweise spricht für Sturz und kennzeichnet sogar den fortgeschrittenen Schriftsteller. Wäre die Reise einzeln früher erschienen und die Sammlung der Schriften erheblich später von Sturz veranstaltet worden, so konnte man wol mit Gerstenberg, der die Sammlung seiner Schriften im hohen Alter selbst besorgte, behaupten, es sei schwierig, das eigene echte aus früheren Jahren selbst wieder- zuerkennen, weil man weiter fortgeschritten und das alte einem selbst fremder geworden sei. In diese satirisch -humoristische Gattung gehören die 1767 entstandenen „Menechmen^, eine Kritik einer elenden Eopenhagener Zeitschrift, Paridon Zeisig und die „Briefe eines deutschen Edelmannes, der nach Paris gereist ist^^ Letztere sind mit etwas stärkeren Farben gemalt, ermangeln aber darum doch nicht der natürlichen Wahrheit. Nach dem Zeugnisse des Sturzschen Freundes Gramberg ist Sturz auch der Verfasser des „Fragments aus der Beschreibung einer gewissen Insel" (Deutsch. Mu- seum 1779. I, 56 ff.), eines Stückes, das in keiner Ausgabe der Schriften aufgenommen ist und sich vorzüglich gegen den Adelsstolz wendet.

Unter den übrigen kleinen Schriften nimmt der Aufsatz „über Physiognomik" eine besondere Stellung ein. Lavater hatte seine sogenannte kleine Physiognomik durch Zimmer- manns Yermittelung im Hannoverschen Magazin 1772 erschei- nen, und letzterer dieselbe nochmals in Buchform abdrucken lassen; Sturz hatte eine Recension in der Hamburger Zeitung (sollte das die in Stück 154 Freitag 25. Septbr. sein? denn eine andere findet sich nicht vor) gegeben, und Lavater die- selbe übel genommen und sich im ersten Bande seiner physiogno-

Abcbit f. Litt.-Oksoh. VII. 5

66 Merzdorf, H. P. Sturz.

mischen Fragmente darüber ausgelassen. Darauf hin schrieb Sturz den Aufsatz^ schickte ihn an Zinmiermann mit der Bitte^ Lavater davon Mittheilung zu machen , der auch nicht ver- säumte^ dies zu thun. Der Aufsatz ist ironisierend^ was Lavater auch erkannte, aber bei aller Ironie leuchtet doch durch, dass Sturz an der Anwendbarkeit der Physiognomik nicht zweifele. Es klingt allerdings wie Ironie, wenn Sturz behauptet, dass er, wenn er sich seinen Gedanken überlasse, dass die Aus- führung eines physiognomischen Elementarwerks nicht unmög- lich sei, noch mehr als Lavater erwarte. Er denke sich dann eine so ausgebildete Sprache, dass nach einer wörtlichen Be- schreibung eine Gestalt wieder hergestellt werden könne, dass ein Physiognom aus einem künftigen Plutarch grosse Männer zu palingenisieren vermöge und dass es ihm leicht werde, ein Ideal für jede Bestimmung der Menschen zu entwerfen. Aber die Briefe an Lavater und Zimmermann ergeben, dass Sturz das gesunde in der Physiognomik anerkannte und nur vor dem überschwänglichen und unmöglichen warnen wollte. Sturz hatte noch mehr Aufsätze über Physiognomik geschrie- ben, dieselben aber auf Wielands anrathen vernichtet, und ist nichts davon übrig geblieben als ein „Fragment über die Schönheit ^^, das im Deutschen Museum erschien und in den Göttinger gelehrten Anzeigen 1777 S. 152 eine lobende Erwähnung fand.

Was nun ausser den erwähnten Schriften: „Menech- men'', „JuUe^ und „Erinnerungen an Bemstorf ^, die übrigen Essays unsers Sturz betrifit, so sind dieselben meist im Deutschen Museum während der Jahre 1776 1779 entweder mit oder ohne Sturz' Namen erschienen. Eine grössere An- zahl (1776: Yaterlandsstolz, Montesquieu, Erziehungstribunal, Eönigswahl, Erzähler, Mode, Serena; 1777: Wer ist glück- lich, Montagu, Sadi, Gallicismus, Zweikampf; 1778: Empfin- dungen) trägt die ChiflFre TIe. Nur zweimal gebraucht er eine andere ChiSre, nämlich 1777 für den Aufsatz „Regenschirme^ 0 und für „alte Münzen" R; warum, ist nicht ersichtlich (vgl. unten S. 77). Von verschiedenen dieser Aufsätze finden sich in den Händen des Professors Weinhold in Breslau die zum Druck gebrauchten Handschriften, die jedoch keine besondere

Merzdorf, H. P. Sturz. 67

Bedeutung haben ^ da sie den ungeschickten Abschreiber ver- rathen^ an dessen Fehler dann Boie beim Abdrucke die bes- sernde Hand anzulegen hatte.

Lassen wir nun hier ein genaues Verzeichniss der selb- ständig in Buchform erschienenen Schriften folgen.

1. Die Menechmen oder zwey Wochenschriften von gleicher Statur in vier Aufzügen. Mit einer Liste von Druck- fehlem und einem Titel vielleicht auch mit einer Vor- rede versehen und des Spases wegen dem Publico Preiss gegeben. Copenhagen i. d. J. 1767. 8 unpp. 64 SS. und 1 unp. BL 8.

2. Julie, ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Mit einem Brief über das deutsche Theater, an die Freunde und Be- schützer desselben in Hamburg. Kopenhagen und Leipzig, bei Gabr. Christ. Rothens Wittwe und Proft. 1767. 136 SS. 8.

Rec. Götting. gel. Anzeig. 1767 S. 1168. Klotz deutsche Bibl. Bd. 1. St. 1. S. 112-124.

Dieses Trauerspiel ohne die Abhandlung über das deutsche Theater findet sich als von „Herrn Stortz" im Theater d. Deutsch. Bd. VI (Berlin 1768) S. 97—174 genau abgedruckt. Nachdrücke Frankfurt -Leipzig (Rabenhorst) 1782. 8. und Frankfurt- Leipzig (Mannheim, Kaufinann) 1795. 8.

3. Erinnerungen aus dem Leben des Grafen Johann Hart- wig Ernst von Bemstorf. Leipzig, Weidmann Reich, 1777. 120 SS. 8.

Rec. Goth. gel. Zeitung 1777. St. 102. S. 839 ff.

4. Schriften von Helfrich Peter Sturz. Erste Samlung. Leipzig, Weidmann Reich, 1779. 8 unpp. und 276 SS. 8.

Rec. Götting. gel. Anz. 1780. S. 135. 136. Hamburg, neue Zeitung 1779. S.1193. Literatur- und Theaterzeit. 1780. N. 9. S. 239. Goth. gel. Zeitung 1779. St. 100 S. 825-829. Teut- scher Merkur 1779. Bd. 2. S. 257.

Diese Sammlung, von Sturz selbst besorgt, hat ein kur- zes an Zimmermann unter dem Datum Oldenburg 2. Juli 1779 gerichtetes Vorwort: „Hier sind meine Briefe aus England und Frankreich, weil Sie es, liebster Freund , so wollen, gedruckt. Aber die Herren im Tribunal werden finden, dass Nachrichten

68 Merzdorf, H. P. Sturz.

vom Jahre 1768 keine Neuigkeiten sind. Ich habe noch andere Aufsätze angehängt, wovon einige aus dem Museum bekannt sind; und ich nenne das meine erste Samlung, ohne darum eine zweite zu versprechen, die vielleicht auch Niemand verlangt. Es sind Kleinigkeiten, hingeworfen in Erholungs- stunden von ernsthaften Geschäften, und sie mögen ihren Tag mitflattem, unter den Ephemeren dieser Zeit.'^

5. Schriften . . . Zwote Samlung. Bremen, Gramer, 1782. 360 SS. 8.

Diese zweite Sammlung wurde vom Buchhändler Cramer in Bremen veranstaltet, welchem Sturz' Freund, Gramberg in Oldenburg, Nachrichten über die zerstreuten Stücke sowie die Menechmen und Julie mitgetheilt hatte. Ein Brief Grambergs vom 7. Mai 1780 an Reichard in Gotha, welcher eine Bio- graphie von Sturz enthielt und schon im 2. Stücke (1780) der OUa potrida erschienen war, wurde beigegeben so wie ein Brief von Sturz' Bruder* (an Lichtenberg), datiert Darmstadt 10. Aug. 1780, welcher erstere Biographie (als deren Verfasser der Stiftsamtmann von Oeder oder Etatsrath Georg in Olden- burg vermuthet wurde) in einigen wenigen Dingen ergänzte und früher im Deutschen Museum 1780. Bd. 11. S. 435—439 gestanden hatte. Zwei Gedichte von Gramberg und von Halem auf Sturz' Tod würden als Schluss beigegeben. Diese Ausgabe ist sehr selten, und das Oldenburger Exemplar vielleicht ein Unicum, da Reich in Leipzig die ganze Auflage aufkaufte und nun herausgab

* Früher wurde Merck in Dannstadt als Verfasser angenommen, aber ein bis jetzt unbekannter Brief von Storz^ Bruder an Boie d. d. Leipzig 17. Juni 1782 verräth den Verfasser, denn es heisst: „Den Aufsatz in der 011a potrida habe ich gelesen, ohne übrigens den Verfasser zu ken- nen; ich schrieb ihn damals, ob mit Recht ist mir unbekannt geblieben, dem Herrn Etatsrath Georg in Oldenburg zu. Der im Museum ist ▼on mir selbst und sollte eigentlich eine Berichtigung des ersten vorstellen. Gedenken Ew. Wohlgeb. Ihrer Ausgabe eine Art von Lebensnachricht meines Bruders vorzusetzen, so bin ich von ganzem Herzen bereit, die Ihnen etwa fehlenden Umstände zu suppliren, wenn Sie mir den Aufsatz entweder ganz oder was Sie zu wissen verlangen, Auszugsweise mittheilen wollen.** (Davon ist nichts bekannt geworden.)

' Merzdorf, H. P. Sturz, 69

6. Scliriften . . . Zweite Samlung. Leipzig, Weidmanns Erben, Reich, 1782. 414 und 2 unpp. SS. 8. nebst Sturz' Portrait, von Ganz gezeichnet und von Raspe ge- stochen.

Diese Ausgabe, welche Boie besorgte und mit einer Vor- rede versah, unterscheidet sich von der vorigen dadurch, dass deren Vorrede weggefallen ist, der erste Bogen (worin Gram- bergs Brief unwesentlich gekürzt ward) umgedruckt und vier Bogen angehängt wurden. Die beiden Gedichte von Gramberg und von Halem fehlen ebenfalls. Die beiden Biographien bleiben in allen Ausgaben.

In der Vorrede spricht sich zwar Boie gegen die Bremer Ausgab^ aus, gibt aber doch auch nichts anderes. Wichtig darin ist der ausgesprochene Grundsatz möglichster Vollkom- menheit und die Verweisung auf eine vielleicht spätere, voll- ständigere, besser gewählte und geordnete Sammlung der sämmtlichen Schriften von Sturz.

Recensiert ward diese Ausgabe in den Gl>ttinger gel. An- zeigen 1783. S. 40.

Von dieser ersten Gesammtausgabe 1779 1782 erschienen bald Nachdrücke und zwar: Carlsruhe bei Schmieder 1784. Thl. I. 6 unpp. und 351 SS. Thl. IL 525 und 2 unpp. SS. 8.; zu München bei Job. Baptist Strobl 1785. Thl. L 6 unpp. und 231 SS. Thl. IL 8 unpp. und 334 SS. 8. Ob bei Ebeling (Gesch. der kom. Litter. II S. 387 flF.) „zu München, Frankfurt, Leipzig 1785. 2 Bde. 8." so zu verstehen, als gäbe es noch andere Nachdrücke als die eben verzeichneten, lassen wir dahin gestellt sein. Unseren Nachforschungen wenigstens haben sich solche entzogen. Die Nachdrücke aber veranlass- ten den Verleger so wie den Herausgeber der Originalausgabe, Boie, zu einer neuen Auflage, welche unter dem Titel erschien: 7. Schriften von Helfrich Peter Sturz. Neue verbesserte Auflage. Leipzig, Weidmanns Erben, Reich, 1786. Thl. I. 14 unpp. und 352 SS. Thl. 11. 4 unpp. und 392 SS. 8.

In der Vorrede sagt Boie, dass diese Ausgabe weder eine vermehrte noch vollständige Ausgabe sei, was sie auch nicht beabsichtige. Man habe nur aufgenommen, wovon man mit ziemlicher Gewissheit vermuthen konnte, dass auch der Verfasser

70 Merzdorf, H. P. Sturz.

seinen Schriften es künftig einverleibt haben würde. „Vielleicht hätten sogar einige der hier nicht aufgenommenen Stücke mit einer leichten Ueberarbeitung;^ kleinen Weglassungen und Zusätzen ihren Platz darin gefunden, und vielleicht hätte ein Freund des seligen Sturz, den dieser seines ganzen litterarischen Vertrauens würdigte, diese gewagt, wenn nicht alle Meisseleyen an frem- der Arbeit ihm so verhasst wären, als Sturzen selbst. Wären auch ungedruckte Aufsätze in seinen Händen; so würde er, eingedenk des Verbotes von einem Sterbenden, sie nicht zum Drucke hergeben, so wenig als er der Verräther seiner freund- schaftlichen, sonst des Lichtes im hohen Grade würdigen Briefe werden will. Manches schöne Fragment, besonders aus den Briefen eines Reisenden, deren noch mehrere folgen sollten, er- innert er sonst sich gesehen zu haben, das, selbst als Frag- ment die Zierde dieser Ausgabe sein würde." „Unter seinen unvollendeten Arbeiten bedauert er vorzüglich eine sehr glück- liche Verdeutschung der heimlichen Heirath von Coleman und Garrick und imter .den unausgeführten Planen eine Geschichte Peter des Grossen, die, bei den jetzt dazu vorhandenen Hülfs- mitteln, unter Sturzens Hand gewiss ein Meisterwerk gewor- den wäre."

Diese Ausgabe nun, welche in der Allg. deutsch. Biblioth. Bd. 80 S. 108—9 und der Gelehrten Beilage z. Hamburg. Corre- spond.1787 St. 4 besprochen wurde, hat das Portrait weggelassen, weil dasselbe „bei weniger Aehnlichkeit, zu wenig von Sturzens Geist darstellte, dessen Aeusseres diesen freilich mehr verrieth, als zeigte". Ebenso fehlen in dieser Ausgabe: die Briefe eines Edelmanns, Fragment eines Gesprächs, über Kunstrichterei, Amerika, Gallicismus, die beiden Briefe über Herder und Gold- ast, Eginhard und Emma, Julie und Menechmen, so dass sie in der That kein vollständiges Bild von Sturz' litterarischer Thätigkeit zur Anschauung bringt.

Nachgedruckt ist dieselbe: Wien, Armbruster, 1819. Thl.l. 248 SS. nebst Kupferstichtitel, Thl. H, 266 SS. nebst Kupfer- stichtitel 16., in welcher Ausgabe noch eine neue unbedeutende Biographie hinzugekommen ist. In der Hildburghauser Miniatur- bibliothek deutscher Classiker finden sich auch „Sturz aus- gewählte Schriften", und in verschiedenen Beispielsammlungen

Merzdorf, H. P. Sturz. 71

und Anthologien sind Proben aus den Sturzschen Schriften auf- genommeu; von denen wir hier nur die bedeutendsten erwähnen wollen: Beispiele von allen Arten des deutschen prosaischen Style aus den besten Schriftstellern gezogen u. s. w. Leipzig, 1799, S. 41. 47. 174 (wo zugleich sprachliche Bemerkungen bei- gefilgt sind), Eschenburg, Beispielsammlung Bd. 8 Abth. 2 S. 166 ft, Uebersicht der schönen Litteratur der Deutschen in auserlesenen Beispielen, Strassburg. Paris 1808, S. 124 131, (Jördens) Originaldialoge Bd. I S. 80—82. 226—250. Bd. n S. 75—86. 202—9. Matthisson, lyrische Anthologie Thl. V S. 113 123, Pölitz, praktisches Handbuch zur Leetüre deut- scher Classiker Thl. I S. 395—99. Thl. IV S. 45-46 mit sprachlichen Erläuterungen, Kurz, Gesch. d. deutschen Litteratur. III S. 652 ffi 779. WolflF, Encyclopädie-d. NationalUtt. VII S.275flF. Ebeling, Gesch. d. komisch. Litter. II S. 387flF.

Eschenburg hat in den Beiträgen zur weiteren Ausbildung der deutschen Sprache (1795) Bd. I. S. 38 ff. Sprachbemerkungen über Sturz' Schriften gegeben und geht in dem Aufsatze da- von aus, dass eine Bereicherung unserer Sprache sich durch Bekanntschaft mit ausländischen gewinnen lasse, dass aber dazu Geschicklichkeit, Talent, Witz und Scharfsinn gehöre, denn imter gemeinen und ungeschickten Händen erwachse der Sprache kein Vortheil, nur Nachtheil. Häufig übersehen nun Nach- ahmer dergleichen und lassen sich durch den Namen eines mustergiltigen Schriftstellers verlocken, weil ihnen die rechte Art des verstehens fehlt, dessen Fehlem anstatt seinen Vor- zügen zu folgen. Um nun zu verhüten, dass diese Fehler dem noch nicht ganz ausgebildeten Geschmacke Schönheiten und Bedürfnisse scheinen und manche verkehrte Bewunderung und Nachahmung veranlassen könnten, so hat Eschenburg, ohne die hervorstechenden Schönheiten Sturzscher Schreibart und Sprache zu übersehen, darauf aufmerksam gemacht, wie ein gewisses bestreben nach Kunst, Feinheit und Rundung nicht selten an Kostbarkeit und Gezwungenheit grenze und darüber Leichtigkeit, Fasslichkeit und Einfachheit des Aus- drucks zuweilen merklich beeinträchtigt werde. Dies zu er- härten gibt er nun Beispiele, in denen er die gebrauchten Ausdrücke entweder tadelt oder billigt. Der Aufsatz ist auch

72 Merzdorf, H. P. Sturz.

heute noch für Lexikographen nicht ohne Nutzen und ihnen zur Durchsicht zu empfehlen. Damit kann auch verglichen werden „Schriften der kurfürstl. deutschen Gesellschaft in Man- heim" Bd. 11 S. 282 S., wo sich L. Meister in einem Aufsatze „über die Hauptepochen der deutschen Sprache^ vernehmen lässt.

In der Clio von Hoest finden sich Bd. I S. 114 ff. einige Bruchstücke Sturzscher Schriften in das Dänische übersetzt.

Aus diesen erwähnten Einzeldrucken und Gesammtausga- ben in ihren verschiedenen Auflagen lässt sich wol das Bild gewinnen ; das Sturz in seinem erscheinen vor dem Publicum zeigt; aber den Einblick in die Werkstätte seiner Arbeiten geben vier eigenhändig geschriebene Bände in Folio, welche auf der Oldenburger Staatsbibliothek aufbewahrt werden und die den Gesammttit«l führen: „Remarques et excerptes melees tant en allemand, fran9ais; italien, latin et Fanglais, regardant rhistoire, la philosophie, la theologie, medecine, poesie^ peinture, eloquence; langues et morale compilees parH. P.Sturz de Hesse Darmstadt Secretair de S. E. Mr. le Baron de Eyben conseiller prive de S. M. le roy de Danemarc a Gluckstadt dans le pais de Holstein d. 5. Juin 1760^. Dieser Titel gibt scheinbar den Ta^ an, an welchem diese Sammlung angelegt wurde ^ aber nur scheinbar, denn derselbe ist erst später hinzugefügt wor- den, da sich die Brouillons von Briefen der Jahre 1758 und 1759 darin vorfinden.

Diese Bände enthalten nun wie es im vorigen Jahr- hundert vielfach Gebrauch war, wo man mit der Feder in der Hand zu lesen pflegte vorzüglich Auszüge aus den verschie- denartigsten Schriftstellern und Wissenschaften, aber die leeren Blätter wurden zur Au&ahme eigener Arbeiten benutzt. Denn den Inhalt dieser Blätter bilden die verschiedenen Um- und Ueber- arbeitungen der in den Sammlungen gedruckten Stücke, welche dafür Zeugniss ablegen, mit welcher Mühe und Sorgfalt Sturz feilte und umgestaltete, um seinen Schriften die Glätte undEleganz zu geben, wodurch sie sich auch heute noch auszeichnen. Manche Partien sind so drei- und vierfach umgearbeitet. Ausserdem enthalten die genannten Bände Fragmente eines Trauerspiels Medea, einen Sigurd, Betrachtungen über Ideal und Genie, Fragmente einer Autobiographie, allerlei Bruchstücke, kleinere

Merzdorf, H. P. Sturz. 73

Mosaikstücke; Gedankenspäne; Concepte von Briefen an Laya- tcF; Lessing (nur Fragment) und Zimmermann, welche wir hier mittheilen so wie die uns freundlichst von Weinhold überlassenen an Boie.

Die Sturzsche Handschrift ist sehr schwierig zu lesen, weil sie an und für sich schlecht durch vielfache Verbesserungen, häufiges durchstreichen, umstellen und mannigfache willkür- liche Abkürzungen bis zur Undeutlichkeit verschlimmert wor- den ist, wie dies Sturz selbst sehr gut wusste, denn er schreibt unterm 2. April 1777 an Boie: „Mein Diener schreibt ab, eine blose Maschiene, und ich componire oft in Ziffern.^ Die in Weinholds Besitze befindlichen Abschriften von Sturzschen Beiträgen für das Deutsche Museum sind des Zeuge, da sie einen ungeübten, nicht nachdenkenden Copisten verrathen, der nun Boie zu Berichtigungen und Verbesserungen den mehr als nothwendigen Anlass bot.

Ausser dem eben angeführten enthalten die Handschrif- tenbände noch, folgendes: 1758 August aus Giessen datierte drei unbedeutende französische Liebesbriefe an Mademoiselle

M c (von denen fraglich sein kann, ob sie Stilübungen

sind oder auf erlebtem beruhen. Das letztere kann man an- nehmen, wenn der an Baron Palm am 23. Sept. 1759 von Bingenheim gerichtete Brief damit in Zusammenhang gebracht wird, in welchem von der Liebe zu einem jungen Mädchen die Rede ist, das sich in diesen Tagen verheiraten will und des- sen Bräutigam B . . . . nicht gar zu günstig geschildert wird); ein franzosisches Begleitschreiben zu einer (fehlenden) Relation über den Wiener Hof aus Plön 12. Nov. 1762 an Graf Rantzau- Ascheberg; an denselben vom 28. Febr. 1763 aus Glückstadt ein französische Höflichkeitsschreiben; einen französischen Brief aus Glückstadt 6. März 1763 an den. Erbprinzen von Anhalt- Bemburg mit Gratulationen zu „des lieus heureux^; Schreiben ebenfalls französisch aus Glückstadt v. 13. März 1763 an Msr. de Schaden a Wallenstein (er war in Kiel, um zwischen streitenden Parteien Frieden zu stiften, der Brief bespricht die Avanturen

der Madem. de Fr g, welche unbedingt einen Platz in

der Geschichte der filles celebres verdiene, da sie ohne jeglichen Reiz und schon in gewissen Jahren verstanden einen jungen

74 Merzdorf, H. P. Sturz.

Mann zu fangen^ verspottet die „sehr vortrefflichen Gesandt- schaften^ auf dem Regensburger Reichstage und berichtet, dass sein Process in Wien gut stehe); Schreiben aus Wetzlar V. 11. Sept. 1763 an Palm ebenfalls französisch (mit der Mit- theilungy dass er in Mannheim und Oarlsruhe, dann in Darm- stadt gewesen sei imd seit Anfang dieses Monats sich in Wetz- lar befinde, dass er auf eine bessere Stelle Hoffnung habe, doch könne die Aussicht noch länger währen); einen englischen sehr durchcorrigierten, fast unleserlichen Brief an Garrick d. d. 21. Aug. 1776 (wegen dessen Rücktritts von der Bohne). Folgende undatierte Briefe sind ebenfalls vorhanden : zwei deut- sche Briefe ohne Datum und Adresse nur mit gewöhnlichen Freundschaftsbezeugungen, ein deutscher fast unleserlicher Brief an Zimmermann, aus dem nur zu errathen, dass er bald schreiben wolle, für Briefe dankt und über seine Lage seufzt. Dann findet sich noch ein englischer Brief (an Garrick?) ohne besonders hervorragenden Inhalt vor. Von französischen Briefen liegen femer vor: ein sehr durchcorrigierter, fast unleserlicher an eine Dame, nur complimentierend und ohne Datum, wie der an Riccoboni über Theater und theatralische Aufführungen, an Madame Necker mit der Notiz, dass Dorat ihm über verschie- dene Episteln, welche er wolle drucken lassen, geschrieben habe, und zuletzt ein undatiertes Schreiben an Graf Andreas Peter Bemstorff mit dem Gesuche um Verwendung in einer ähnlichen Stellung, wie er sie bei dessen Onkel eingenommen. Die Briefe an Garrick, Riccoboni, Madame Necker sind Früchte der Reise und der an Bemstorff eine Folge seiner Verbannung. In der Handschrift findet sich noch ein einfaches Routen- verzeichniss über die in der Begleitung des Königs von Däne- mark unternommene Reise vom 4. Juni 1768 bis zum 31. Dec. 1768, von Travendal bis Paris und London und zurück nach Celle, so wie ein kurzer französischer Reisebericht über die Tage vom 4. Juni bis 6. Aug. d. i. bis zum Eintritt nach Frankreich, der nichts besonderes enthält, meist nur kurze Notizen über Empfang und Begrüssung der hohen reisenden. Neben vier Blättern einzelner Gedankenspäne und Notizen, die offenbar künf- tig gebraucht werden sollten, stehen noch einige unbedeutende Zeilen über die Genien, ein französisches Bruchstück von un-

Meredorf, H. P. Sturz. 75

gefähr 24 Zeilen über Pflicht und Philosophie, vierzehn Zeilen über Handelsmonopol, namentlich das durch die englische Navi- gationsacte festgestellte Gesetz, wonach alle fremden Waaren nur von solchen Handelsplätzen nach England geführt werden sollten, wo diese natürlich oder künstlich produciert wären, einzelne Zeilen und unzusammenhängende Strophen, die ihrem Inhalte nach für die Medea als eine Art Ghorgesang bestimmt waren, üebersetzungen sind auch erhalten, nämlich von einem Theile des bekannten Pliniusschen Briefes über die Eruption des Vesuv und des Onkels Tod, so wie eine prosaische der vom Eonig Carl I. 1648 zu Carrisbrookcastle geschriebenen Verse, welche inPercys relics (Lond. 1765) H S. 334 ff. stehen.

Ob sich von Sturz überhaupt mehr von Belang vorfinden dürfte, erscheint fraglich, vielleicht ausser den von uns hier mitzutheilenden Briefen noch andere, die er, wie sein Bruder an Boie mittheilt, meist französisch schrieb, und einiges über die Eopenhagener Verhältnissse, von dem derselbe meldet, dass dies in mancherlei Hinsicht gar nicht von der Beschaffenheit sei, öffentlich dargestellt zu werden. Manches möchte wol in den Nachlassenschaften von Sturz' Bruder, von Merck, La- vater, Zimmermann, Mazar de la Garde, dem Neffen von Sturz' Wittwe, welcher Hoest, dem Herausgeber von Politik og Historie und der Clio, das dänische Promemoria und Bruchstück der Biographie mitgetheilt hatte, vorhanden gewesen sein, aber wohin sind mehrere dieser Nachlassenschaften gerathen?

In dem verzeichneten dürfte wol alles echte von Sturz aufgeführt sein, fraglich dürften nur „die Beschreibung einer merkwürdigen Insel^, welche Gramberg Sturz zuschreibt, und die anonyme Recension von Mendelssohns Phaedon, (Hamburger) Unterhaltungen Bd. III. St. 6. S.531 36 sein, wenngleich beide Stücke der Sturzschen Schreibweise nicht widersprechen. Von einigen wird Sturz, ausser Falkenskiold oder dem Prinzen Carl von Hessen, als Verfasser von „Authentische und höcbstmerk- würdige Aufklärungen über die Geschichte der Grafen Struen- see und Brandt. Aus dem franz. Mscpt. einer hohen Ungenann- ten. Germanien 1788" (282 SS. 8) genannt, aber innere Gründe sprechen gegen Sturz' Autorschaft und weisen mehr auf Prinz Carl hin.

76 Merzdorf, H. P. Sturz.

Wir theilen nun bis jetzt unbekannte Briefe mit, welche unserer Ansicht nach den Wunsch rege machen werden, es möchten sich noch andere auffinden lassen; die an Boie ver- danken wir der Freundlichkeit Weinhol ds, die andern stam- men aus Sturz' handschriftlichem Nachlasse, welcher sich auf der Oldenburger Staatsbibliothek befindet.

An Boie.

Oldenb. d. 12. Octob. 1776.

Freylich möchte ich bey Ihnen seyn liebster Mann, imd mit Ihnen und meinen neuen Freunden in Hannover mein Leben zu- bringen, weil Sie sämtlich in meine Classe und theils gar in meine Spielart passen, und weil ich hier in this etemal drudgery öhnmöglich immer bleiben kann und will, aber das wollen wie es scheint die unsterblichen nicht Seitdem Deucalion die Menschen rückwärts hinter sich schleuderte, ist nie einer so sehr auf den unrechten Platz ge- fallen als ich.

Nun noch ein wenig Gedult so sollen Sie Wunder meiner Ar- beitsamkeit für das Museum erblicken, unter folgenden Titeln, Noch Etwas über Todesstrafen, über die gute Gesellschaft in Teutsch- land, Frankreich und Engelland, Nachrichten von Foote, Briefe von Garrick, Briefe über das Pastellmahlen, von der Ewigkeit der Schrift- steller in lebendigen Sprachen. Alles ist würklich auf dem Am- boss.

Wer ist Funcke? Der Verfasser der flachsten aller Lavate- r laden? Sagen Sie gelegentlich Herrn Do hm, dass er Pinto in einer Stelle etwas unstatistisch missverstanden hat, der irgendwo sagt, dass man sein Capital nur alle drey Jahre aus dem amerikanischen Handel wieder erhalte, und der nach Herrn Dohm damit zugestan- den haben soll, dass dieser Handel 33 Yg Proc. abwerfe. So einen Handel giebt es nun in der weiten Welt nicht mehr, Pinto wollte bloss sagen, was jedermann weiss, der den Handel nach Amerika kennt, dass man sein darin gestecktes Capital nicht eher als vor Ablauf dreyer Jahre wieder erhalte, so wie man in dem Handel nach Südamerika auch oft damit ins dritte Jahr warten muss, weil die Englischen Colonisten besonders nur in langen Terminen imd mit Enqueten bezahlen, die nicht so geschwind wieder realisirt werden können; aber vom Profit des Handels ist in der angefahrten Stelle von Pinto gar nicht die Bede. Unser Stollberg ist nach Copenhagen verreist. Ich habe hier mit ihm seinen übersetzten Homer gelesen.

Können Sie eben so gut lesen, als ich schlecht schreibe, tant mieux. Hier ist auch eine kleine Zeichnung von mir.

T. T.

H. P. Sturz.

Merzdorf, H. P. Sturz. 77

An Boie.

Oldenb. d. 1. Nov. 1776.

Hier ist einiges liebster Freund, sehen Sie es fleissig nach und legen Sie ein Anathema auf Druckfehler, die mich immer gewaltig verdriessen.

Das Fragment über die Schönheit ist reinlicher gefeilt als meistentheils mein Schnickschnack ist; wenn Sie und Herr Zimmer- mann glauben, dass es passieren kann, so lassen Sie meinen Nahmen stehen, wo nicht, sine me liber ibit in urbem. Es ist nicht affectation sondern Wahrheit, wenn ich Sie versichere, dass ich nie mit meinen Sachen zufrieden bin. Die Materie habe ich frejlich lange hin und her durchdacht, aber unter trockenen Acten und Processen verwelkt die Blume des Geistes. Unter das andere habe ich ein fremdes Zeichen gesetzt, ich habe Ursachen dazu. Schreiben Sie doch an Weidmann und Reiche, ob er die Erinnerung aus dem Leben des Grafen von Bernstorff recht schön drucken und mir 50Exem- plaria geben will. Ich versichere HeiTn Struve meiner ewigen und aufrichtigsten Hochachtung, empfehlen Sie mich allen meinen Freun- den bestens und bezeigen Sie Herrn Papa meine Theilnehmung an seinem Verlust, er hat mir geschrieben und Antwort verbeten, so etwas versteh ich nach dem Buchstaben.

T. T.

H. P. Sturz.

Vielen Dank fUr Ihren Chandler, ich will ihn ersten Tages lesen. Das zweyte Manuscript kriegen Sie heute nicht.

Wer ist denn Ihr Funcke? Hat der Mann keine Plafonds ge- sehen? die in Deutschland zu Schönbrunn und Würzburg? um zu wissen, dass man Colossalfiguren mahlt und mahlen muss und ohne Nachtheil der Schönheit mahlt.

Frau von Döring die kleine interessante Frau wird von mir unter Bekannten in Hannover immer mit einem Accente gegrüsst, -und das Brandesische HauS; wie sich das versteht, Garrick schreibt mir vergnügt über seine Trägheit, the last part of mj road is all turnpike, ein kurzer kräftiger Ausdruck.

An Boie.

Oldenb. d. 6. Nov. 1776.

Hier ist die Abhandlung mit dem fremden Zeichen, setzen Sie im Fragment über die Schönheit, statt der Worte fordert Klop- stock wenn er etc: Verlangt Klopstock zuviel wenn er etc.

Nicht dass ich meinen Freund Klopstock für denPabst halte, der nicht irren könnt«, sondern weil es höflicher ist.

Ihr Freund, der Bibliothecarius werden will, kann seinem Cam- merherren im Vertrauen sagen, dass hier nicht ein Schatten von einer BiUiothek ist und auch vorerst keine angelegt werden wird.

78 Merzdorf, H. P. Stun,

sonst sind mir Ihre Empfehlungen immer dringend. Vergessen Sie den jungen Boyme nicht. Garricks Brief mit meinem will ich Ihnen zwar schicken, aber nicht fürs drucken, sondern bloss znm lesen.

T. T.

H. P. St.

An Boie.

Oldenb. d. 27. Nov. 1776.

Herrn Reichen grauet flir Maculatur, ich habe darum mit ihm gerne Bekanntschaft machen wollen, weil ich seit Jahren ein Werk von einiger Wichtigkeit bearbeite, das aber auch in Jahren noch nicht fertig ist, aber er soll durch meine Schuld nicht zurückkommen.

In Flensburg kann ich nicht wohl drucken lassen, so gerne ich auch Ihrem Herrn Schwager etwas schickte, auch darum nicht, weil ich schon Icmge Ettingern etwas versprochen habe.

Erzeigen Sie mir doch den Gefallen und vergüthen Sie ihrem H. Bruder einliegende kleine Rechnung in Flensburg und schicken mir die quittirte Rechnung zurück, ich will Sie von hieraus wieder berichtigen. Könnten Sie mir nicht Pallas Reisen 3 Theile nunmehr aber die Petersburger Ausgabe vermuthlich in Leipzig zu haben verschaffen? Noch ist manches in Arbeit, nur strömt einige Wochen lang Chicanenfluth auf mich her. Wenn ich länger als ein Jahr noch in dieser Provinz Mühlen treibe, so müssten die Sachen wunderlich gehen. Corrigieren Sie im Fragment der Schönheit als Druckfehler: in den Zimmern im Louvre und setzen Sie dafür in den Zimmern in Luxem- bourg; ein haarklaubender Reisekuudiger möchte sich sonst gewaltig über meine Betise verwundem, dass ich Louvre nicht vom Luxem- bourg unterscheiden könnte. Meinen Fieunden und Freundinnen ein Compliment von mir dem Pere de famille der vor 6 Tagen mit einer jungen Tochter behaftet worden.

T. T.

H. P. Sturz.

An Boie.

Oldenb. d. 25. Dec. 1776.

An Reiche wird nicht mehr geschrieben, Sie erhalten mit ehe- stem ein ganz Paquet denn wir haben Ferien und ich £nde zum Glück einen Haufen Briefe zusammen, die ich ehemals aus Engelland und Frankreich über interessante Menschen geschrieben habe.

Lichtenbergs 2. Brief über Garrick ist besser als der erste, er hatte im ersten zu viel gesehen. Sprickmanns Erzählung ist reitzend und gut, für das französische Parterre würde sie sich nicht schicken. Ich höre nichts von Lavatern. Ich hoffe nicht, dass er noch böse auf mich sein wird tantane animi coelestibus ira! Wie

MersBdorf, H. P. Sturz.

gefällt ihnen der Streit zwischen Philosophie und Enthnsiasmus, der seit einiger Zeit so durch den Mercur geschleppt wird! Ich dächte ein jeder brächte zu Markte, was auf seinem eigenem Mistbeet ge- räth, ohne sich zu bekümmern, welche Art Gurken den Vorzug ver- dient. Wir haben so viel Leute, die ihre Zeit damit verderben aus zu grübeln, wie maus machen imd nicht machen soll, aber wenig, die machen. Alles hat seine Zeit, aber gesunder Menschenverstand reicht am längsten, wenn anders hierüber das Schicksal der Alten entschei- det, dieses ist die Epoche der dunklen Leute des Gefühls, das ein ganz manierliches Gewandt für die Unwissenheit. Man kann da- durch viel und dreiste über Sachen reden, die weder der Autor noch der Leser begreift. Bezeugen Sie der Brandesischen Familie meine herzliche Freude über die recht gute Heyrath ihrer Tochter, Herr Heyne hat schon lange meine ganze Hochachtang.

T. T.

St.

An Boie.

d. 14. Jan. 1777*.

Nach so langem Stillschweigen liebster Freund muss ich nicht mit leeren Händen erscheinen, also hie ein paar Verse, Dank für Ihre Bemühung bey meiner Schrift, in dem Ding über Regenschirme lassien Sie die Worte Pelotons gebt Feuer weg, es ist genug wenn da steht und wie^klingt euer Commandowort gegen den Zuruf des Vultejus u. s. w. Zwanzig Sachen sind auf dem Amboss,^aber da Mit so viel Grobschmidsarbeit, dass ich ans ciseliren nicht denken kann. Danke für Zieglers Bekanntschaft, ein heller guter Kopf, Ich hatte seine Preissschrift mit Aufmerksamkeit und Vergnügen ge- lesen, er sagt mir, dass Leisewitz mit ihm hätte reisen wollen, den hätte ich recht gern kennen gelernt. Wenn irgend etwas merk- würdiges in Teutschland herauskommt, so besorgen Sie mir's doch. Ich erfahre hier Neuigkeiten, die in der ganzen Welt schon ver- gessen sind.

T. T.

Ein paar Briefe aus Engelland von 1768 sollen Sie bald haben. An Boie.

Oldenb. d. 22. Jan. 1777.

Bald kommen meine Beyträge. Brockmann ist ein sehr guter Schauspieler, aber wie AUegris Compositionen nur in Bom gut aus- geführt werden, so wird gewiss Shakespear nur in England gut gespielt, weil das Spiel seiner Stücke nun durch lange Uebung und

* Das Datum „Jn.*^ ist undeutlich, den Anspielungen nach jedoch eher fär „Januar" als „Juni" zu verstehen.

80 Meredorf, H. P. Sturz.

Urtheil so berichtigt ist, dasö jede Abweichung davon Fehler wird, und ein Teutscher muss sehen, er kann das nicht im Zutappen tref- fen. Man hat mir gesagt, Brockmann wolle eine Reise nach Eng- land thun, ich will ihm auf den Fall einen Brief au Garrick mit- geben.

Im Fragment über die. Schönheit sind einige ganz menschen- verstandswiedrige Druckfehler, ich bitte im Januar folgendes unter die Errata zu setzen:

Da im Fragment über die Schönheit einige Druckfehler vorkom- men, die allen Verstand der Stellen aufheben, so sind folgende zu ändern

pag. 1144 Zeile 9 anstatt in tönende Worte gebildet Hess

gekleidet p. 1148 lin. 23 anstatt der Graf dürfte Hess durfte p. 1150 lin. 26 anstatt aller im verblasten ümriss Hess verblasenen.

T. T.

H. P. Sturz.

An Boie.

Oldenb. d. 13. Febr. 1777.

Hier sind für März und April Briefe, denn nun rasselt die Wage der Frau Justitia wieder;* Gott gäbe, dass ich bald von dem blinden Weib geschieden würde, sehen Sie doch der Druckfehler wegen das Manuscript genau nach, besonders muss der Franzoss nicht ver- stümmelt werden, deiui er ist ein ächter Franzmann^ ich kenne aus dem letzten Krieg, wo ich Jahre mit ihnen lebte, den Genius ihrer teutschen Sprache genau. Der nächste Brief betrifft Reynolds und Angelika und bej Gelegenheit dieses Briefes ist eine grosse Ab- handlung übers Portraitmahlen entstanden; man hat darüber viel geschwatzt und wenig ad rem. Bücher möchte ich wohl für meine Schnurren zuweilen haben, wenn es der Verkauf des Musäums ver- trägt. Grüssen Sie alle Freunde und Herrn Zimmermann etiam atque etiam.

T. T. Ich bin auf H. Leise witz Geschichten des drejssigjährigen Krieges begierig, ^rd es ihm nicht Mühe kosten zu bändigen und zu zäumen im Style der Geschichte luxuriam orationis? Da ist es, wo ich ihn erwarte.

An Boie. Können Sie mir werther Freund ein ganz unverständliches Bäth- sel erklähren? Ich finde in der Erfurther Zeitung eine Sammlung*

* Diese Sammlung ist von Klamer Eberh. Schmidt, Leipz. 1776, und finden sich die angeführten Verse S. 15 in dem Gedichte „der Steuer-

Merzdorf, H. P. Sturz. 81

von Fabeln und Liedern angezeigt und zur Probe folgenden Schluss einer Erzählung angefahrt:

Der Sie mit kleinen schwankenden Begriffen

Das grosse Meer der Critiker beschififen,

Herr Zeitungs- Macher Sturz, Sie geht das Mährgen an.

Was lesen all und midasiren kann,

Das läuft mit Ihnen aus, Sie sind der Steuermann,

Das Wasserhosgen Ist Herr Steffens grosser Band

Voll Nichts und wieder Nichts von allen ausgepfiffen

Nur nicht von Ihnen selbst^ ders neu und herrlich fond.

0 kommen Sie zurück, Sie finden niemahls Land.

Ich habe zwar wohl Depechen genug aber keine Zeitungen ge- schrieben, kaum welche gelesen, und nichts in der Welt, als Lava- ters Entwurf critisirt, (der sich durch keine Grobheiten rächt) weil ich das Critiker- oder Abdecker-Handwerk von Herzen vwachte und nichts, was an der Viehseuche stirbt, anatomiren mag, Ich finde nichts unter der Sonne neu und sehr wenig herrlich, am wenigsten aber grosse Bände, auch nicht Herrn Steffens seine, die ich nicht die Ehre habe zu kennen, also begreife ich nicht, was der Spassvogel mit meinem Nahmen will, und errathe auch nicht, wer jetzt in Teutsch- land zu einem solchen plumpen Burschen -Streich aufgelegt ist, denn Klotz ist todt und die Bande der Scurilischen Briefsteller ist so viel ich weiss einzeln aufgehoben und abgethan. Indessen hat der Mann doch mehr ausgerichtet, als er selbst vielleicht glaubt, denn er hat mich von aller scribendi cacoethes curirt. Ich lege meine 2 letzten Beyträge fürs Musäum bey, die schon abgeschrieben waren, als ich die Entdeckung machte, und will nicht mehr gedruckt sejn, denn wenn man durch ernsthafte Geschäfte bekannt ist, so mag man nicht gern seinen Nahmen in der Schenke missbrauchen hören.

Diese Ungezogenheit junger teutscher Genies hat von jeher viel gesetzte Männer abgeschreckt und darum blieb auch die Teutsche schöne Literatur länger als die anderer Völker in ihrer Minderjährig- keit. Wer sich dahinein mengen will, muss denken und handeln wie ein fideler Bursche imd immer bereit seyn jedes pereat mit einem Nachttopf zu vergelten: facit indignatio versum, doch bin ich so

mann*'. Wir glauben kaum, dass unser Sturz gemeint sei, sondern wie der Herr Steffens nur fingierte Personen. Von einem Steffens, der 1784 starb, kennen wir allerdings eine Nachahmung der Aulularia von Plautus, des Oedipus von Sophokles und drei Theaterstücke Placidius, Gabinia, Clarissa, so wie eine lateinische Uebersetzang der Emilia Galotti, aber der kann un> möglich gemeint sein. Wahrscheinlicher dünkt uns, dass Schmidt als ein Anhänger von Klotz aufs gerathewol Sturz und Steffens nannte, vielleicht weil er den ersten als einen Mitarbeiter der früheren Schleswigschen Beiträge vermuthete und den letztem als Anhänger Lessings ansah.

AbORIT f. LiTT.-OlBOR. VII. 6

82 Merzdorf, H. P. Sturz.

böse nicht mein lieber Freund, und werde immer gern gute teutsche

Sachen, ihr Musäum, und recht gern ihre Briefe lesen, aber nicht

mehr schreiben.

Wo bleibt denn der Februar in Pallas Reisen? Ich habe Forsters

Eeise aber die Englische Ausgabe schon verschrieben. Empfehlen

Sie mich allen meinen Freunden, lassen Sie sich nichts von dem Inn-

halte dieses Briefes Öffentlich merken, denn eigentlich ist die Sache

zu abgeschmackt, um nur ein Wort darüber zu verlieren. Ich bin

allezeit

Oldenb. d. 19. Mz. der Ihrige

1777. S.

N. S. Glaubt denn jemand, dass ich irgend an einem Journale Bibliothek Wochenblatt oder wie die Abtritte heissen, arbeite? Denn jemehr ich nachdenke je unbegreiflicher kömmt mir dieser Nahmen in diesen Versen vor; ich habe nie auf dem todten Meere der Critik als Passagier, geschweige als Steuermann gefahren.

An Boie.

Oldenb. d. «. April 1777.

Was Zimmermanns Stimme bey mir vermag, beweist gleich die Beylage; der Streit mit unserer Muse ist nur zu oft ein Depit amoureux und endigt sich mit Tecum vivere amem tecum obeam libens. Aber ich will mich doch wohl dafdr hüten, dass mir Euer beyder allzugütiges allzuwarmes freundschaftliches Urtheil keine Gril- len in Kopf setzt, denn ich weiss recht gut, wo mirs gebricht: quod Spiro et placeo (si placeo) vestrum erit.

Sagen Sie mir doch^ was Zimmermann von dieser Erzählung urtheilt? Ich habe so ziemlich meine Philosophie hineingewebt, und sie con amore gearbeitet; das heist ich habe sehr oft wie Lord W. gegrübelt und wünschte wie Williams zu empfinden, denn wenn man erst das Grübeln weg hat und in einem freudenleeren Beruf kaum ein Blümgen abreichen kann, so wird man so klug und so glücklich nicht mehr. Ida im letzten MusSo ist wohl von Bürger? es sind vortreffliche Stellen darin, aus der teutschen Yolkspoesie Hess sich dünkt mich doch so recht viel nicht heraus destilliren, wenn der Alchymist nicht Bürger ist, der immer einen Klumpen eigenen Goldes in die Betorten wirft. Lieber hätte ich die Barden- lieder, welche Charlesmägne abschreiben Hess.

T. T.

H. P. Sturz.

Die Druckfehler im Fragment von der Schönheit sind noch nicht corrigirt, sehn Sie doch ja zu lieber Boie, dass dem Unwesen gesteuert werde. Mein Diener schreibt ab, eine blosse Maschiene, und ich componire oft in Ziffern.

Merzdorf, H. P. Sturz. 83

An Boie.

Oldenb. d. i5. Mai 1777.

Folgendes, lieber Boie muss des Sinnes und des Wohlklangs wegen in meinen Versen geändert werden

in der 1. Strophe Zeile 8 Anstatt

wenn die schwarze setzen Sie

wenn Ihn schwarze u. s. w.

3. Strophe

6. Zeile anstatt Sclaven s. Knechte

7. Zeile anstatt Schritten s. Tritten.

Die 4. Strophe muss lauten wie folget

Wer umlocket seine bleichen Wangen Freundlich mit dem früh bereiften Haar? und wer hängt mit innigsten Verlangen Aus der feilen Odalisken Schaar An dem stolzen Blick der Götter Söhne Unterm Weyhrauch, den ein Sclave streut? Ach! wer trocknet ihre stille Thräne Durch den warmen Kuss der Zärtlichkeit?

In der 6. Strophe 1. Zeile

anstatt: wer ist's der, Ist Sie's die u. s. w. 7. Strophe 3. Zeile

anstatt diesen Thau, und den Thau.

Zimmermann und ich haben einen Freund yerlohren, dessen Todt uns beyde empfindlich kränkt, Gondela hiess der würdige Mann.

Sie können Voss auch die Verse schicken, wenn Sie wollen. Ich ehre ihn auch darum, weil er die Griechen im Teutschen treu empfinden lässt, aber ändern Sie gleich was ich melde.

T. T.

An Boie.

Oldenb. d. 24. May 1777.

Lavater hat mir selbst geschrieben, und dieser Streit ist auf eine sehr angenehme Art geendigt. Freylich liebster Freund ist eine Herausgeber- Heyrath keine Verbindung die lange dauert und auch der [die?] ümwechsel[ung?] nach Art Griechischer Feldherren hat ihre Inconvenienzen, denn Do hm kann die Bataille wieder ver- lieren, die Sie einen Monat vorher gewonnen, Apropos der Bataille wäre es nicht gut, dass das Musäum die Arena für D. und Schi, würde. Pallas ist erschröcklich theuer; doch will ich ihn behalten, wenn

6*

84 Merzdorf , H. P. Sturz.

meine letzten Worte gedruckt sind, so schicken Sie mir ein Laus deo. Ich kann heut nur kurz sejn.

T. T.

An Boie.

Hier einiges über Amerika muss bald erscheinen, weil das Interesse sonst aufhört, lieber Garrick ist wieder ein Brief abge- schrieben, und kommt mit erster Post. Wenn diese Schnurren Bey- fall finden, so kommen noch Briefe über Foote, die Bepublik der Gelehrten in Engelland überhaupt, Über die Kunst daselbst, beson- ders Reynolds Benjamin West Coates Strenge Angelica, aus Frank- reich ein Brief an Garrick über das Spiel der Clairon, über das Hauss und die GesetUschaft der Madame Geoffrin, Alembert, Hel- vetius, über die Künste daselbst, Boucher Pierre Lagrenc6 Louthe- bourg, über einige Zeichnungen von Eaphael in Mariettes Samm- lung und s. w. Von dem Traum der Ewigkeit unter dcD Gelehi-ten sage ich nach der Bede an die Gelehrten nichts mehr, ist sie nicht von Zimmermann? sagen Sie gelegentlich dem Prinzen Carl, dass ich mein Versprechen ihm etwas gemahltes zu schicken nicht vergesse.

d. 29. Jan. 1777.

H. P. Sturz. Für Druckfehlem behüte uns lieber Herre.

An Boie.

Hier ist liebster Boie ein Exemplar für Sie von Bernstorffs Leben. Ich habe Ihnen lange nicht geschrieben, weil ich lange sehr zerstreut gelebt habe, nun geht unsere Ruhe und meine Schreib- lust wieder an. Vieles ist auf dem Amboss, das nun zusammen- geschweisst werden muss. Lassen Sie sich von Zimmermann ein Portrait für Lavatern zeigen. Ich finde eine Anecdote von dem Herzog von Montagu noch nicht im Musäum, Sie haben sie doch erhalten? Wenn Sie ein ürtheil über Bernstorffs Leben lesen, so schreiben Sie mirs. Ist Roques ein Offizier. Oldenb. d. 27. Septr. 1777.

Dirigii'en Sie Ihr Exemplar nach Zimmermann hin.

An Boie.

Nunmehr kann ich Ihnen mit Zuverlässigkeit sagen, dass ich, wenn kein Erdbeben hindert, künftigen Dienstag von hier reise, im Lande mich noch 2 Tage wegen einer Commission aufhalte und so- dann zu Ihnen komme, sagen Sie das meinem lieben Zimmermann Dörings Rehbergs Brandes u. s. w.

H. Rehberg schreibe ich noch einmahl an dem Tag meiner Ab-

Merzdorf, H. P. Sturz. 85

reise, damit er mich nicht vergeblich erwarte und den Tag meiner Ankunft bestimmt weiss.

Wollen Sie wohl einen Theil dieser Catalogen in Hannover aus- theilen und einen andern nach Göttingen schicken? Oldenb. d. 23. März 1778.

Ich bin der Ihrige.

An Boie.

Zimmermann wird Ihn^n, liebster Boie, mein Packet Schrif- ten geben, und Sie werden es freundschaftlich und unbarmherzig durchsehen, alsdann aber nach Leipzig schicken, Reiche erwartet es von Ihnen.

einige kleine Aenderungen in den Denkwürdigkeiten von Rousseau sage ich irgend wo von Voltaire

Dieser einzige glänzende Mann, hatte also doch den Freybrief nöthig,* welcher die Toricks aller Zeiteu in Schutz nimmt streichen Sie das aus und setzen Sie davor

Dieser einzige glänzende -Mann hatte also doch die Yoricks- Marque nöthig, welche die weltklugen Weisen .aller Zeiten in Schutz nimmt und ein Yerzeichniss der Stücke am Ende, das ich vergessen, bitte ich auch über solche hinten zu setzen.

Die gedruckten Stücke sind mit einem * bezeichnet und sol- ches dann auch geschehen.

d. 12. Jan. 1779.

Totus Tuus

H. P. St.

«

An Boie.

Ich werde Ihnen nächstens lieber Boie einen wohlgenährten dicken Beytrag fürs Musäum schicken, aber eins versprechen Sie mir, dass Sie meine Schriften, die ich in ohngefähr 3 Wochen an Zimmermann senden werde, mit kritischem Auge für den künftigen December durchgehn, und die Schreibfehler vertilgen, denn keiner meiner Freunde ist darin so zuverlässig als Sie; eine andere Bitte ist, kein Blatt von diesen Schriften irgend jemand zu zeigen.

Wie hat mein Brief über den König von E. in Hannover ge- fallen? oder was hat man darüber geschwatzt?

Sagen Sie doch Freund Behberg mit meinem besten Gruss, dass ich einer Antwort auf meinen Brief vom 25. Febr. entgegen sehe. Grüssen Sie Zimmermann und glauben Sie, dass ich beständig bin

Old. d. 28. April 1779.

der Ihrige

H, P. Sturz.

86 ' Merzdorf, H. P. Sturz.

Für Vossens Odyssee subscribiren Sie doch. Wer ist Freund Kraft, der alles kann, wenn er will und nur etwas vernünftiges schreiben entweder nicht will oder nicht kann.

Ich sitze seit acht Tagen tief in lauter Acten, dem Regenwetter zu ehren und will das dumme Zeug vor dem Frühlingsmonat aus dem Wege haben, sonst verderben sie mir die Freude.

Wenn Sie doch E. H. Hardenberg Reventlow sehen, so grUssen Sie ihn doch herzlich von mir, Ich bestelle diesen Gruss in allen meinen Briefen nach Hannover.

An Boie.

Oldenb. d. 23. Juni 1779.

Noch eine Anmerkung liebster Boie.

In der Geschichte von Rousseaus Verfolgung in Motiers Tra- vers habe ich immer den Nahmen des Priesters Montmollin aus- geschrieben, da ich aber höre, dass er sehr würdige noch lebende Verwandten von seinem Nahmen hat, so streichen Sie überall den Nahmen aus und setzen nur ein M. an die Stelle. An dem Ende der Geschichte dieser Verfolgung setzen Sie unten folgende Anmer- kung als Note hin:

Ich erzähle aus öffentlich gedruckten Memoiren, Ich verehre den Geistlichen Stand und habe würdige Freunde darin. Boss- heit entehrt den Zunftgenossen, aber niemals die Zunft.

Mit künftiger Post ein paar kleine Aufsätze förs Musäum. Im dritten Theil der Physion. Reisen habe ich es herausgebracht, dass Lichtenberg ohne Zweifel der Verfasser ist. Der Schalk, um uns irre zu machen, setzt da eine Zeile hinein, als wenn er sich selbst lobte, nennt sich den Seher Lichtenberg, behält aber doch eine Hinterthüre offen, denn* wenn es herauskommt, und man ihm einen Wielandismus Schuld geben will, so wird er sagen, Seher bin ich allerdings Sternseher nehmlich.

T. T. Sturz.

An Lavater.*

(Oldenburg 1777.) Ich habe lange geschwiegen, würdiger Mann, weil mich Ge- schäfte und Kopfschmerzen drückten und weil für Schönheit und Kunst und Lavatem nur heitere Stunden gehören.

Erst einig sein unter uns beiden , denn unser Sinn ist zwar nicht zu gleichem Gefühl aber doch zu gleicher Liebe für die Wahr-

* Dieses Brieffragment ist offenbar im Jahre 1777 nach dem er- scheinen des dritten Theils der Physiognomischen Fragmente Lavaters, und zwar nachdem im Museum schon der Sturzsche Aufsatz Bd. 1 S. 399 veröffentlicht war, geschrieben.

Merzdorf, H. P. Sturz. 87

beit, zu gleicher Anhänglichkeit an das Gute und das Vortreffliche in der ganzen Schöpfung gestimmt; lassen Sie uns die herrlich ge- schmückte Erde durchwandern, die Felsen erklimmen und die Flächen und Hügel bewundern, die Gottes Hand bekleidet hat, und am Abend wollen wir die Beute unsers Tageswerks mit einander theilen.

Ihre Anmerkungen unterrichten mich oft und reizen mich durch den Ton der nachgebenden Liebe, mit der Alles gegen ihre Wider- sprecher gesagt wird, und ihre bündigen Nachrichten, die zwischen sense imd non sei^se wie zwischen Thür und Angel stehen, haben mich belehrt und bin ich ihnen freimüthige Beistimmung und nähere Erläuterung schuldig. Boucher ist allerdings nur der französische ombre von Grazie, ohile Gefühl für das erhabene ruhige Schöne, ohne Sinn für die grossen Formen der Natur, seine stumpfnasigen vollgebrusteten aber engeingeschnittenen oder schnörkelartig um- rissenen nackten Mädchen, die Schlangenlinien u. s. w. alles zeigt eine Manier- und hat den Manufacturstyl von schnörkelicher künst- licher Naivität. Der herrschende Ton der Academie ward verbraucht, die Tugend vergessen. Er war ein Schüler von Lemoine, der frei- lich auch an der Opernschönheit hieng, aber doch meist einen Aus- druck Wahrheit im Nackten behielt. Dieser Same ging bei Boucher guter Erde wollüstig auf. Sein Bild in einem Alter von 25 Jahren gemalt erklärt seinen Geschmack, im Auge ist der helllodernde Funkelblick der Sinnlichkeit und daraus kommt endlich ein solches Criminalraths Gesicht, weil niemand peinlicher aussieht als ein ver- loschener Sultan. Die Zwillingsbrüder, von denen ich sprach, waren Officiers in einem preussischen Husarenregimente und wirklich ein- ander so äusserst ähnlich, wie man sein kann. Man versicherte, dg,ss sie eben so verschieden in ihrem Oharacter, ihren Grundsätzen und ihrer Handlungsweise seien, aber ich habe sie selbst nicht genug gekannt, um dem Zeugniss beizutreten, und die Beurtheiler waren vielleicht nicht Menschenkenner genug und nehmen anders gefUrbte Frucht derselben Art für Frucht verschiedener Gattung. Die Art der Empfänglichkeit und auch die verschiedene Richtung sehen un- gleiche Menschen. Das nämliche feine "Gefühl nur anders gerichtet und genährt erhebt zur Grösse und Fleischeslust, treibt mit Macht Gedanken nnd im Herzen wird ein Sang an die Götter oder ein Lied an Phaon.

Ueber ihren dritten Theil sag ich ihnen noch nichts, denn von einem opere absoluto darf man nicht sprechen wie im ersten Einfall, üeber die Schwierigkeit auf die nur betrachtenden Ansich- ten einen Grund suchen und durch das Gefühl abzulenken, kann bereits meine Bekanntschaft sprechen, also keinen Tadel, keine Widerlegung mehr sondern nur einzelne Beobachtungen, wenn mich ihr Werk erquicken soll.

Zimm^ermann war Zeuge meiner Freude, dass ihre Begriffe

88 Merzdorf, H. P. Sturz.

reiner Schönheit mit den meinigen so sehr zu stimmen scheinen, aber P. hat meine Fragmente im Musäum schief genug verstanden und beurtheilt und zwar mit der argivischen ürbanitHt, mit welcher sein Kraftgefühl unsrer Zeit gehört.

An Lessing.*

BemstorfiF, d. 28. Sept. 1767.

Wenn Ihnen mein kühnes ürtheil über den Phaedon** miss- flällt, so glauben Sie darum nicht, dass ich das vortreffliche darinne verkenne, Moses ist einer unter den wenigen, welchen es gelingt diese Weissheit mit der Sprache der Empfindung zu lehren und die Hohlwege der Metaphysik mit Blumen zu bestreuen, indem ich die Manier des Socrates vermisse, so lasse ich der seinigen Gerechtig- keit wiederfahren.

Aber Ihr Laocoon*** ist ein meisterhaftes Werk, setzen Sie nur immer inoltids drauf oder die Nachwelt wird es thun. Man kann nicht schöner über die Kunst vernünfteln, Sie sind tief in das Heiligthum gedrungen und das ferne von den Werken der Kunst, bloss durch ein richtiges Gefühl, durch ein mit Gelehrsamkeit ge- nährtes ürtheil, und den Ihnen 'eigenen Forsch-Geist, welcher Sie auf allen Ihren Spaziergängen im Reiche der Wissenschaften be- gleitet Was würden Sie nicht leisten, wenn Sie in dem palazzo Albani mit Winkel mann lebten?

So sehr man es Ihnen verdanken muss, dass Sie auf dem strei- tigen Gebiete der Poesie und Mahlerey Gränzsteine gesetzt haben, so dünkt mich doch der von Ihnen bestrittene Irrthum war mehr dem Kunstrichter als dem Künstler und dem Dichter schädlich, denn

* Es Bind ausser diesem noch andere Briefe an Lessing vorhaoden gewesen, vergl. Carl Qotth. Lessings Brief an Eschenburg vom 7. Mai 1788 (Heinemann zur Erinnerung an Lessing S. 148); da dieselben aber in keiner Lessingschen Ausgabe zu finden sind, so dürfte wol anzunehmen sein, dass dieselben verloren gegangen sind.

*♦ Ob damit die (anonyme) Recension in den (Hamburger) Unter- haltungen Bd. IIL St. 6. S. 531—536 gemeint ist, kann nicht festgestellt werden; doch widei-spricht die ganze Haltung der Recension nicht der Annahme, als sei ihr Verfasser Sturz. Sturz erklärt zwar in einem Briefe an Boie vom 19. März 1777 nie eine andere Kritik als die über Lavater geschrieben zu haben, aber könnte ihn sein Gedächtniss bezüg- lich einer früheren nicht getauscht haben? Hat Sturz Recht, so ist nur anzunehmen, dass er Lessing briefliqh sein Ürtheil über Mendelssohns Phaedon hatte zugehen lassen.

**• Verschiedene der hier ausgesprochenen Gedanken werden auch in der „neueren Anmerkung zum sechbten Briefe aus dem Jahre 1768'* be- rührt, namentlich was den Faltenwurf betrifft.

Merzdorf, H. P. Sturz. 89

jener kann nur wenig von dem Eeichthum seiner Nachbarn nutzen, und dieser hat bei seinem Ueberfluss keines Almosen nöthig, in- dessen war es gut den Dichter zu erinnern, dass er dem grössten Yortheil seiner Kunst entsagt, wenn er die Manier des Homer ver- Iftsst, bloss cörpefliche Schönheit nicht ihre Wirkungen schildert und seine GemShlde nicht durch Handlung belebt.

Bei einzelnen Stellen sind mir zuweilen Zweifel, zuweilen Anmer- kungen eingefallen, die ich nach der Ordnung niederschreiben will.

P. 23. Aber wie schon gesagt u. s. w.

Die höchste Schönheit sollte frejlich der Haupt -Vorwurf des Künstlers sejn, auch ohne dass es ihm ein Gesetz geböte, aber wenn er der einzige wäre, so müsten wir eine. Menge grosser Compositio- nen entbehren, wo starke Leidenschaften, dem Tod nahe Alten oder Kranke vorkommen müssen, denn gewisse Gemüthsbewegungen auch im gemilderten Grad entstellen die Schönheit, der Schröcken zum £xempel, das Alter und die Krankheit zerstört sie, man soll diese Gegenstände nicht mahlen« Indessen ist der sterbende Germanicus von Poussin ein vortreffliches Stück und ich empfinde so viel bei dem Testament des Eudamidas (dessen Lucian erwähnt) von dem nehmlichen Meister, dass ich es nicht gern vermisse.

Auch grosse Künstler unter den Alten mahlten nicht immer die Schönheit: Aristides von Theben z. E.

pinxit proeUum cum Persis, centum homines in tabula com-

plexus etc. Plin. XXXV. XXXVI.

hier waren vermuthlich getödtete,' verwundete, sterbende und mehr als ein. fürchterlich Gesicht.

pinxit et agrum sine fine laudatum. PHn. ib.

Ferner, so ist die Schönheit so weitläuftig in der Natur ver- streut, dass sie der Künstler in einer Menge Formen aufsuchen mnss, ehe er sein Ideal zusammensetzen kann , man entkleidet auf jeder Academie wohl zwanzig Menschen, ehe man ein wohlgewachsenes Model antrifiß}, und schöne weibliche Gestalten sind noch seltener, der Künstler muss also lange nach unvollkommenen Formen arbei- t>en; soll er alle diese Früchte seines Fleisses vertilgen? Wie machten es die Griechen? Ihre Natur war schöner, auch ihr Por- trait erhob sich zuweilen zur höchsten Schönheit, zum Ideal einer Göttin, wenn es wahr ist, dass die Venus Anadyomene die Geliebte des Apelles, Pancaste war.

P. 25. Femer erhält dieser einzige Augenblick durch die Kunst eine längere Dauer.

Sie haben ein glückliches Exempel gewählt, denn Lamettrie grinset schon bejm ersten Anblick, aber schränken Sie die Kunst nicht auf leblose unbewegliche Figuren ein? manche Bewegung irgend eines Gliedes, manche Miene ist ebenso transitorisch als das Lachen. Sie wollen dem Künstler irgendwo in ihrem Buche sogar

90 Merzdorf, H. P. Sturz.

den Reiz nehmen, die Schönheit in Bewegung. Sie glauben, dass der Künstler eine Grimasse daraus macht, die Venus %€tQixa des Apelles? die mediceische Venus widerlegt Sie.

Die Bewegung des Schnelllaufens ist sehr transitorisch, und doch) gehört Hoplites in certamine ita demersus ut sudare videatur unter die nobilissimas picturas des Parrhasius. PL 35. 36. 5.

Aristides pinxit et currentes quadrigas. PL 6.

P. 95. Tibi, cum sine cornibus adstas

Virgineum caput etc.

sagt wohl nichts mehr und nichts weniger als dass der Gott sich auch zuweilen ohne Hörner gezeigt habe, aber nicht dass die Homer ein bioser Hauptschmuck gewesen sind, was der Kopf zu Berlin dafür beweisst, das beweisst wohl der Bachus im Mediceischen Gar- ten darwieder, wenigstens so lange bis es ausgemacht ist, dass er ein Sat3rr sey.

P. 124. Es giebt sogar Fälle u. s. w. .

Es dürfte wohl nie einem Künstler gelingen eine Landschaft im eigentlichen Verstände nach dem Thomson zu mahlen, ebensowenig als eine Pflanze nach dem Linne oder ein Thier nach der Beschrei- bung des Buffbns. Die Schilderung des Dichters kann seiner Ein- bildungskraft wohl zum Leitfaden dienen, sie kann ihn reicher zu- sammensetzen lehren, aber er mahlt demohngeachtet mit dem Thom- son in der Hand nichts als was er wirklich gesehen hat, GSrten in Italien und Wüsten in der Tartarfei.

P. 125. Ich nenne es nicht allein vorerst Enthaltsamkeit son- dern das erste Gesetz des Künstlers dem Verdienst der Erfindung zu entsagen, und bekannte, sehr bekannte Vorwürfe zu wählen. Er sei der Erfinder der glücklichsten Fabel, die unter der Feder des Dichters' ein vortrefiliches Trauerspiel geworden wäre, er wähle den rührendsten Augenblick, was kann es verrathen, was er will? wel- ches Vater Mutter oder Tochter ist, und warum sie leiden? Der Zuschauer ist in dem Fall eines Freinden, welchen man in dem Augen- blick, da Oedipus sich auf der Erde windet, vor die Bühne brächte und so wieder wegführte. Die Gemähldenfolge des Hogarth erweitert die Gränzen der Kunst, aber welche Erklärungen sind dem ohn- geachtet nicht nöthig?

Die dichterische Erfindung des Mahlers ist also ft'ejlich nichts weiter als die Weisheit in der Wahl des Augenblicks, die Anord- nung und der Ausdruck.

P. 178, Ich will in dieser Absicht nicht anführen u. s. w.

Wenn mehr als ein Augenblick auf einem Gemähide merklich wäre, so könnte solches meiner Meynung nach durch nichts, durch keine Feinheiten in der Anordnung entschuldigt werden, denn es ist ein Fehler und gegen die Wahrheit. Ich kann auch in der Stelle

Meizdorf, H. P. Sturz. 91

aus dem Mengs nicht finden, dass Bapbael zwei Augenblicke gemahlt hätte. Wenn ein weitbekleidetes Glied langsam eine andere Stel- lung annimmt, so ist es nach Beschaffenheit des Zeuges weniger oder mehr natürlich^ dass bej der neuen Stellung noch einige durch die vorhergehende Richtung verursachte Falten übrig bleiben. Diese Üeberbleibsel der vorigen Faltenordnung mahlte Baphael imd man ersieht die Bewegung des Gliedes, er mahlte nur den jetzigen Augen- blick und die in solchen noch übrige sichtbare Falte des vorigen.

Lassen Sie eine weitbekleidete Figur sich bewegen, indem der fortschreitende Fuss das Gewand verlftsst, so vergeht ein Zeitraum, ehe dieses dem Fusse wieder folgt und sich anschmiegt. In diesem Zeitraum giebt es einen Augenblick, wo der Eindruck des Fusses auf dem zurückgebliebenen Gewand noch merklich ist. Kann der Künstler diesen Augenblick nicht wählen?

Es ist wahr leichte leinene und wollene Zeuge entfalten sich schnell^ bei seidenen dauern die Brüche länger und oft werden grobe und steifere Zeuge mit Vorsatz gewählt, wenn man gewisse Massen nöthig hat, denn sie brechen sich in grossen Parthien.

P. 226. Nur wenn der Künstler mit dem Dichter in einer Natur lebt, kann das Lesen seiner Einbildungskraft einen vortheil- haften Schwung geben. Aber setzen Sie den Mahler nur unter grosse vollkommene Formen mit dem Gefühle der Schönheit, eine Gabe des Himmels, so wird er den Homer und alle Dichter ent- behren. Er giebt ihm zwar oft das Sujet und* eine Idee der Zu- sammensetzung, aber diesen Dienst kann ihm ein Chronikenschreiber leisten. Sein erster Gedanke, wenn er die Verse des Homer liest, welche Zeuris unter seine Helena setzte, ist dieser: wo findet sich die Schönheit, die den Ausspruch der Alten verdient? Er schweift hierauf in seiner Einbildungskraft von einer weiblichen Gestalt zur andern, setzt ein Ideal zusammen und mahlt eine Samojedin, wenn er nie Siberien verliess.

Phidias war daher ein wenig zu bescheiden, wenn er das gött- liche Antlitz seines Jupiters vom Homer gelernt haben will, denn den Ausdruck der Augenbrauen konnte er nicht anders denn an jedem Zornigen gesehen haben. Sie wagen es endlich den Laocoon vor ein neueres Werk auszugeben, das mögen Sie mit Winkelmann ausmachen, Ich kann nicht einsehen, dass Plinius in der angeführten Stelle von Zeitverwandten redet und similiter geht wohl gewiss nur auf den umstand der gemeinschaftlichen Arbeit, denn hiervon ist hauptsächlich die Rede, warum nennt er die andern gemeinschaft- lichen Künstler nicht? warum soll er sie just alle nennen?

Es ist freylich unbegreiflich, dass in altem Scribenten nichts von diesem Werke vorkommt, aber halten Sie es (hier bricht das ganze ab).

92 Merzdorf, H. P. Sturz.

An Zimmermann.^

(1776?) Endlich verehrter Herr Leibarzt will ich in einer heitern Stunde Ihnen mein Bekenntniss über die Physiognomik mittheilen. Ich habe nun auch den zweiten Theil mehr verschlungen als gelesen, denn Lavater reisst fort. Er hat mit meinem Herzen gegen meinen Verstand cabalirt, wie ich fürchte.

Ich hatte die Sache nur flüchtig durchdacht, wo es mir in meiner schlimmen Laune einfiel über Lavaters ersten Entwurf zu spotten**; als sein erster Theil erschien, traf ich auf Anspielung, die mich reizte. Ich schrieb in dem ersten Feuer einige Briefe und schickte sie an Wieland, der aber, Dank sei es ihm, von ihrer Bekanntmachung abmahnte. Diese Briefe sind verbrannt, ich habe nichts davon gerettet als ein Fragment über die Schönheit, welches im Museum*** erscheinen wird.

Theilen Sie alles, was ich Ihnen schreibe, Lavatem mit und versichern Sie ihn meiner aufrichtigsten Hochachtung. Ich denke, wenn es angenommen wird, meinen Tribut als Kunstliebhaber zur Physiognomik zu liefern, Garrick nach dem Leben von mir ge- zeichnet, der wenigstens das Verdienst einer guten Aehnlichkeit hat. Winkelmann von der Angelika Kaufmann radiert wie vor- nehm .... Jetzt nehme ich wieder auf lange Zeit Abschied von Schriften und Kunst und der Wollust des Geistes; aufgethürmt ist der Dienst der Aeten und es geht mir etc.

* Dieser Brief ist handschriftlich zweimal im Brouillon da und sehr dorchcorrigirt. Der Inhalt ähnelt in den Concepten dem Aufsätze über Physiognomik.

** Dies geschah in der Becension in der Hamburg, neuen Zeitung 1772 St 164. Septbr. 26.

*** Da dies im Deutsch. Museum 1776. 11, 1144 erfolgte, so ergibt sich daraus, dass dieser Brief 1776 geschrieben sein muss. Vgl. oben S. 77.

Zu Goethes Gleiclmissen.

Von

Karl Goedeke.

Einem Freunde, der von dem sichern festen Boden seiner exacten Wissenschaft etwas mitleidig zu den mikrologischen Untersuchungen auf litterargeschichtlichem Gebiete herüber- lächelte, sagte ich einmal scherzend, er selbst solle noch daran Theil nehmen und zwar als Erläuterer Goethes, indem er herauszubringen habe, ob im Herbste 1781 in der Gegend von Weimar bis Gotha ein Nordlicht sichtbar gewesen sei. Vermöge er dies nachzuweisen, so werde er sich ein Ver- * dienst um die Erklärung eines kleinen Goetheschen Gedichtes erwerben und durch den speciellen Fall die Regel bestätigen, dass Goethe sich in seiner Lyrik immer eng an einen wirk- lichen Moment anlehne. Der Freund meinte, es sei nichts leichter, als die verlangte Auskunft über die in jener Zeit und Gegend gesehenen Himmelserscheinungen zu geben, ja er mache sich anheischig, das Wetter in Thüringen von Tage zu Tage nachzuweisen. Aber wozu? Ich zeigte ihm. in Goethes Briefen an Frau v. Stein 2, 106 das aus Gotha an die Freundin gesandte Gedicht, das zwischen Brief chen vom 2. und 9. October steht, selbst aber kein Datum trägt:

Den einzigen, Lotte, welchen Du lieben kannst,

Forderst Du ganz für Dich und mit Recht.

Auch ist er einzig Dein. Denn seit ich von Dir bin.

Scheint ipir des schnellsten Lebens lärmende Bewegung

Nur ein leichter Flor, durch den ich Deine Gestalt

Immerfort wie in Wolken erblicke,

Sie leuchtet mir freundlich und treu

Wie durch des Nordlichts bewegliche Strahlen

Ewige Sterne schimmern.

Der Freund lobte die Richtigkeit und Schönheit des Gleichnisses. „Aber die Dichter!" Das könne zu jeder Zeit gesagt sein, ohne dass zehn Jahre lang ein Nordlicht sicht- bar gewesen. Als ich entgegnete, das Gedicht selbst sei für mich ein sichres Zeichen, dass Goethe in jener Zeit mit der

94 Goedeke, zu Goethes GleicliniBsen.

Freundin ein Nordlicht beobachtet haben müsse, blickte mich der Mann der exacten Wissenschaft mit schelmischem Mit- leid und kopfschüttelnd an und meinte, es lohnte sich kaum der Mühe, weiter nachzusuchen. Aber sein Interesse war doch erwacht, und einige Tage später kam er mit einem Quartanten unter dem Arme. „Das hätte ich nicht gedacht! Aber Sie haben Recht. Goethe hat das Nordlicht nicht aus der Luft gegriffen; er hat es am Himmel gesehen. Denn es war damala sichtbar.^ Damit schlug er den Quartanten auf. Es waren die Ephemerides meteorologicae Palatinae. Historia et observationes anni 1781. Mannheimii 1783. Er zeigte mir darin S. 113, dass am 4. October 1781 in Mannheim dicke Luft; gewesen, und S. 140 vom selben Tage: Suspicio aurorae borealis c. 12. hora. „Aber", warf ich ein, „was man in der Pfalz gesehen oder nicht gesehen, ist von keiner Bedeutung; es handelt sich um Thüringen!*^ „Geduld! Wir kommen auch nach Thüringen; nur auf einigen Umwegen." Diese Umwege, die ich geführt wurde, will ich nicht wieder- holen. In den Ephemeriden liegen von Padua bis Berlin tägliche dreimalige meteorologische Beobachtungen vor, die es allerdings ermöglichen, von den Witterungsverhältnissen und den Erscheinungen des Himmels sich ein genaues Bild zu machen. Eine der Beobachtungscolumnen gibt Rechen- schaft über trüben oder heitern Himmel, Schnee, Hagel, Regen, Gewitter und auch über Nordlicht. Danach wurde am 7. und 9. September in Würzburg ein Nordlicht bemerkt, am 18. in Peissenberg, Erfurt und Berlin, am 19. in Berlin und ein zweifelhaftes in Sagan, am 22. in Prag, und am 23. und 24. September in Erfurt ein weisses Polarlicht bei nicht reinem EQmmel und am 23. bei Regen. In Erfurt selbst wird dann erst wieder am 15. und 16. October ein Nordlicht angemerkt, als Goethe schon von Gotha zurückgekehrt war; aber in Peissenberg und Andechs war ein solches auch am 25. September sichtbar. Es war damit erwiesen, dass Goethe sein Gleichniss von einer frischen Anschauung hergenommen hatte, und der realistische Charakter seiner Lyrik war auch in diesem Falle bestätigt.

Schiller nnd Garve.

Eine Untersuchung. Von Daniel Jacoby.

.... 2<x9Ay ^xeiv Sixcciov . . xal Toig intnoXaiovsQOv dnotprivaii^ivoig.

Aristoteles.

Wenn ich über ein bisher nicht genug beachtetes und gewürdigtes Yerhältniss Schillers zu einem Zeitgenossen zu reden gedenke, so geschieht es in der Hofihung, dass ich die Freunde unseres Dichters durch diese Darlegung an seine Gesammterscheinung zugleich erinnern kann, dass aber auch der genaue Kenner manche Anregungen finden wird.

Grosse Denker haben, wie sie selbst gerne eingestanden, die vielfachste Anregung von ihren Vorgängern erhalten: erinnern wir uns nur an Aristoteles, der sich mit den früheren so eifrig auseinandersetzt, die statt zu „staunen^ begreifen wollten, an Leibnitz, an Kant, der offen gestand, dass ihn die skeptischen Gedanken Humes aus dem dogmatischen Schlummer aufgerüttelt hätten. —7 Wie in der Philosophie, so in der Dichtung. Die „Originalen", die sich so viel damit wissen, dass sie von todten nichts gelernt, kennzeichnet ein bekanntes Epigramm Goethes. Wie ist gerade dieser in „Dichtung und Wahrheit" zu zeigen bemüht, welche Einflüsse auf ihn gewirkt, welche Männer ihn in heilsame Bewegung gebracht haben.

Gerade der bedeutende Mann, denu sein Geist ist ge- schärfter, sein Gemüth reizbarer, erfährt die mannigfachsten und vielseitigsten Einwirkungen. Nur weiss er sie rascher, feuriger und umfassender zu bewältigen und mit freiem selb-

96 Jacoby, Schiller und Garve.

ständigem Geiste das angeeignete schöpferisch neu zu ge- stalten. Das finden wir in hohem Masse auch bei Schiller. Das Leben Schillers, sagt Palleske* sehr richtig, zeigt uns eine Befruchtung so reicher Art, seine Werke eine solche Vielseitigkeit, dass wir viele Elemente in Anschlag bringen müssen, um sein werden uns einigermassen zu erklären.

Sehr früh, schon auf der Karlsschule, wirken auf ihn die verschiedensten Geister; von den Dichtem besonders Klop- stock. Lessing, Haller, Goethe, Bürger, Gerstenberg, Leisewitz, Schubart. Fast gleichzeitig aber mit der Lust zu dichten und zu fabulieren erwacht in Schiller die Lust zu philosophischer Forschung.

Schiller war eine ganz besonders männlich geartete Dichter- natur. Trotz der Ungunst und Widrigkeit der Verhältnisse, die ihm entgegenstanden, trotz mancher leidenschaftlicher Aus- schreitungen, denn Schiller ist durchaus nicht der schemenhaft- blutlose Jüngling gewesen, zu dem ihn nur falsch verstandene Pietät der Wahrheit zuwider und mit einem tadelnden Seiten- blick auf Goethe noch immer machen möchte, gelangte er durch zusammengefasste Kraft, durch unausgesetzte, nie zu- friedene Arbeit an sich selbst bald zum Siege über alle Ver- wilderung und Roheit, zur Reinheit künstlerischer und mensch- licher Gesinnung. Denken und dichten waren bei ihm von früher Jugend an eins. Es gibt kein Beispiel in keiner Lit- teratur eines Dichters, bei dem die philosophische Denkkraft in so «nger, in so unauflöslicher Verbindung mit seinem dichterischen Genie sich findet. Was anderen Dichtem ge- föhrlich wurde, weil der Denker leicht den Dichter überragte, war es nicht für Schiller. Die Reflexion lähmte nicht seine freie Dichterkraft; die dichterische Glut der Phantasie aber wurde durch die kalte Ruhe des Denkers nur gemässigt und gezügelt.

Seit seinem achtzehnten Lebensjahre, von dem an all- mählich die „Räuber'' entstanden, zeigt sich eine bedeutende Umwälzung in seiner Geistesentwicklung. Der kirchlich gläubige Sinn, der sich noch in den frühesten Gedichten zeigt, weicht

* I», 88 (1877).

Jacoby, Schiller und Garve. 97

einem kühnen Zweifel, der mit leidenschaftlichem Forschungs- drang den Räthseln des daseins nachspürt und in die Labyrinthe der Menschenbrust grübelnd sich versenkt. In dem Jahre, als Lessing im einsamen Wolfenbüttel, am Ende seines Lebens, mit wunderbarer Ruhe und Heiterkeit des Gemüths seinen „Nathan" dichtete, hatte der zwanzigjährige Schiller schon die Fesseln des starren Kirchenglaubens von sich geworfen.

In den 1786 bis 1789 verfassten und bekannt gewordenen „philosophischen Briefen", zu denen Schiller aber schon spä- testens 1782 den Plan gemacht*, hat er in den ^7orten des Julius an Raphael dargestellt, was er empfunden, als er aus der beseligenden Kindlichkeit des Gefühls, „da er noch mit verbundenen Augen durch das Leben taumelte, wie ein Trun- kener", zum läuternden Schmerze des denkens und des Zweifels heranreifte. Die Rückkehr unter die Vormundschaft der Kind- heit, wie es dort heisst, war nun auf immer versperrt; sein Weg gieng vorwärts, und er bedurfte keiner Schonung mehr.

Auf der Karls- Akademie las Schiller besonders diß Schriften Rousseaus, für den seine Begeisterung in der Jugend eine rückhaltlose war. Seine Feinde nennt er in der bekannton Ode an Rousseau „kindische Zwerge"; ihn selbst rühmt er als den grossen Dulder, das Opfer des „Drillingsdrachens", des Vorurtheils, der Dummheit, des Eigennutzes. Daneben aber beschäftigten ihn die Schriften Herders, Lessings, Mendelssohns, Sulzers; für sein Fachstudium las er viel in Hallers Werken. Sein damaliger Liebling unter den Phi- losophen aber, wie uns Karoline von Wolzogen berichtet**, war Garve, „dessen Anmerkungen zu Fergusons Moralphilo- sophie er beinahe auswendig wusste."

Zunächst bedenken wir, dass Rousseau mehr das nach Freiheit lechzende Gemüth unseres Dichters ergriff, als seinen Verstand befriedigte. Rousseau erschien ihm gleichsam als die Verkörperung der von den Tyrannen und den Mächten

* Zuerst darüber Karl HofFmeiater, Schillers Leben I, 46 (1888). Die „philosophischen Briefe" nennt Kuno Fischer (Schiller als Philosoph. Vortrag. 1868. S. 19) „gleichsam den Prolog für die gesanmite Philo- sophie Schillers 'S

** Schillers Leben 1846 S. 13. Ahohiv f. Litt.-Qxsch. VII. 7

98 Jacoby, Schiller und Garve.

der Finstemiss gemisshandelten und verfolgten Freiheit. Aber ein systematischer Denker war Rousseau nicht; und in der spätem Zeit, da Schiller über Rousseau ruhiger dachte, seine Schwächen erkannte und in vielem von ihm abwich, vor allem darin, dass er das Heil der Menschheit nicht in einem er- träumten Naturzustande sah, nennt er ihn auch charakteristisch genug einen grossen philosophischen Dichter*. Von den ur- sprünglich vierzehn Strophen der Jugendode liess Schiller zwei stehen mit dem bekannten Schluss: Rousseau leidet, Rousseau fällt durch Christen, Rousseau, der aus Christen Menschen wirbt.

In den Schriften Garves aber konnte Schiller einen sy- stematischeren und mehr methodischen Denker finden. Garve gehorte zu den hervorragenderen Popularphilosophen des vorigen Jahrhunderts. Er war in der Schule der englischen Philosophen, ferner in den Systemen der englischen wie der schottischen Moralphilosophien herangebildet. Auf die deutsche Bildung übte er wie der ihm befreundete Moses Mendelssohn in den sechziger und siebenziger Jahren den grossten Einfluss aus. Die Philosophen, sagt Goethe im VII. Buch, von „Dich- tung und Wahrheit", fanden sich nun genöthigt, um populär zu sein, auch deutlich und fasslich zu schreiben. Mendels- sohn, Garve traten auf und erregten allgemeine Theilnahme und Bewunderung. Bei seinen Zeitgenossen war er in Ehren und bekannt genug durch seine treffliche, noch jetzt sehr be- achtenswerthe Recension des Lessingschen „Laokoon", die Lessing selbst, ohne den wahren Verfasser zu kennen, rühmte**; durch Uebersetzung und Erläuterung mehrerer englischer Werke, die für die Aesthetik sowol als für die Moralphilosophie von Bedeutung waren; bekannt durch zahlreiche Abhandlungen über die Natur des Menschen, die alle den feinen und freien Denker bekundeten.

Garves philosophisch -moralische Aufsätze und Abhand- lungen zogen Schiller wie alle die menschliche Natur analy- sierende Beobachtungen bedeutend an. Aber nur, was er

* Vgl. Johannes Schmidt, Schiller nnd Roussean, Berl. 1876 S. 36. ** Leasings Werke, Ansg. Lachmann-Maltzahn XII, 266.

Jacoby, Schiller und Garve. 99

zugleich poetisch und damal» speciell dramatisch verwerthen konnte^ fesselte ihn dauernd und nachhaltig. Später, in seinem 29. Lebensjahre schreibt er einmal an Kömer: ,^Ich habe immer nur das aus philosophischen Schriften den wenigen, die ich las genommen, was sich dichterisch fühlen und behandlen lässt.'^

Gleich in dem ersten wissenschaftlichen Versuch Schillers, in der Dissertation „Philosophie der Physiologie", worin der zwanzigjährige von seinem eifrigen Studium Hall er s Zeugniss ablegt, erwähnt er Garve. Das Bruchstück der Abhandlung findet sich jetzt in der kritischen Ausgabe I, 74 f. Nur das erste Capitel, und nicht einmal ganz vollständig, be- titelt „das geistige Leben", ist erhalten; in § 2 bespricht er die schwierige Frage, wie die Materie auf den Geist wirken könne. Oder ist der Geist selbst Materie? Oder täuschen wir uns, wenn wir glauben, unsere Ideen und Empfindungen von aussen zu empfangen? Dann sind wir unabhängig von der Welt, sie ist unabhängig von uns. Schiller entscheidet sich für eine „Mittelkraft", die das Band zwischen Geist und Ma- terie bildet, welche „undenkbar" sein mag, deshalb aber nicht unmöglich ist 3). In den folgenden Paragraphen theilt er die vorstellenden Organe ein und redet in § 8 vom Denk- organ, zunächst von dem „ersten Grundpfeiler" des geistigen Lebens, der Vorstellung, die den Stoflf bildet, „worinn der Verstand wirket und schaft." Mit Garve bezeichnet er die Vorstellung, indem er eine Stelle aus dessen Abhandlung von den Neigungen citiert, als einen einzigen Actus einer einfachen Kraft auf Veranlassung einer Veränderung des Nervengeistes bei der Sensation.

Mit dieser Dissertation, die ihm den Austritt aus der Akademie verschafien sollte, hatte Schiller kein Glück bei seinen Beurtheilern. Sie stiessen sich, ungewohnt der Kühn- heit der Sprache, an seinem „etwas zu stolzen Geiste, dem das Vorurtheil für neue Theorien und der gefährliche Hang zum Besserwissen allzuviel anklebet." Und der Herr Hofmedi- cus Keuss sagte: „Der Styl ist durchaus frey und schwülstig, die Gedanken reich und aufbrausend, jedoch auch manche Stellen noch laconisch." Viel scharfsichtiger war der Herzog

100 Jacoby, Schiller und Gaive.

selbst, der zwar bestimmte, Schiller solle noch ein Jahr in der Akademie bleiben, „wo inmittelst sein Feuer noch ein wenig gedämpft werden kann," aber hinzusetzte, wenn er fleissig zu sein fortfahre, werde er gewiss einmal ein recht grosses Subjectum werden können.*

Als Schiller ein Jahr darauf zum Behufe des neuen Prüfungsthemas die Gegenstande seines Studiums angeben sollte, schrieb er: „Folgende Materien sind aus dem philo- sophischen und physiologischen Fach, und dieses ganze Jahr der hauptsächlichste Gegenstand meines Studirens gewesen, dass ich etwas erträgliches davon versprechen kann.

I. Ucber den grossen Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen.

II. üeber die Freiheit und Moralität des Menschen. Die erste lässt sich sehr physiologisch abhandeln.

Eleve Schiller."**

Die Behandlung des ersten Themas, die ihm gestattet wurde, war von der ein Jahr zuvor durchgeführten im Wesen gar nicht verschieden, wie der Plan des Bruchstücks schon zeigen kann. Die interessante Abhandlung findet sich auch in den kleineren Ausgaben. Aber auch das zweite Thema, das Schiller vorschlug, über die Freiheit des Menschen, weist, wie ich zeigen zu können hoffe, deutlich auf seine damalige Beschäftigung mit Garve hin. Die Fragen nach dem Wesen der Tugend, nach der Freiheit des menschlichen Willens, über die Verbindung des Leibes mit der Seele, waren die Probleme, welche des Dichters Geist in der Jugend eingehend beschäf- tigten und die in späterer Zeit gereifter und vertiefter wieder zum Vorschein kamen. „Die Leetüre von Fergusons Moral- philosophie mit Garves Anmerkungen insbesondere," sagt Tomaschek ***, „macht sich in der reineren Auffassung der Glückseligkeitslehre und in der Idee voii dem Einfiuss der natürlichen Triebe auf die Weckung des geistigen Menschen bemerklich." Aber Tomaschek wie die Biographen begnügt

* Schillers summtl. Schriften I. Theil von K. Goedeke S. 72 und 73. ** ebd. S. 134. *** K. Tomaschek, Schiller in s. Verh. zur Wissenschaft. 1862. S. 11.

k w

Jacoby, Schiller und Garve. 101

sich mit dieser allgemeinen Bemerkung, und doch lohnt auch eine kurze Betrachtung der Gedanken Garves die Mühe reich- lich. — Garve spricht über einige Mängel des Buches von Ferguson. Es sage sehr wenig von der Freiheit. Auf dieses Problem, dessen Materie, wie Garve sich ausdrückt, eine von den Grenzen '' unseres Verstandes ausmacht, geht er in der Weise ein, dass man vorübergehend an die viel späteren Aus- führungen Kants in der Kritik der reinen Vernunft erinnert wird. Der Kern seiner Entwicklung ist dieser*: In beiden herrschenden Systemen von der Freiheit zeigen sich Schwierig- keiten, die sich nicht heben lassen. Nur die Empfindungen des Menschen von Recht und Unrecht sind unwandelbar und gewiss und hängen von keinem System ab, so dass wir immer Glück von Verdienst und die Empfindung der Lust an einer Sache von der Empfindung des Beifalls, den wir einer Handlung geben, unterscheiden werden. Wenn des Thieres Kraft bestimmt wird durch die körperliche Empfin- dung und die Kraft des Menschen durch die geistigen Vor- stellungen, so wird der Mensch nur insofern freier sein als das Thier, insofern die Vorstellungen des Verstandes unab- hängiger sind als die Empfindungen des Körpers. Sind sie das aber wirklieh? Die geistigen Vorstellungen sind immer Folgen eines vorhergegangnen nachdenken s; dieses nachdenken ist die Folge eines vorhergegangnen Entschlusses, die Sache zu untersuchen; dieser Entschluss die Folge neuer Vorstellungen, und so zurück, bis wir auf Vorstellungen kommen, die mein nachdenken nicht hervorgebracht hat, die also in der Natur meines Geistes, meines Körpers, oder der Umstände liegen. Die Kette ist also lang, an welcher meine gegenwärtige Hand- lung hängt; sie endigt zuletzt mit einem Gliede, das ausser mir liegt. Sagt mir daher die eine Empfindung, meine Tugend besteht darin, dass ich durch die Vorstellung des guten an- getrieben werde, es zu verwirklichen, so sagt die andere: Urheber bin ich nur einer Handlung, wenn sie von nichts

* Adam Fergusons Grundsätze der Moralpbilosophie. üebersetzt und mit einigen Anmcrk. versehen von Christian Qarvc, Leipz. 1772, S. 288—298.

102 Jacoby, Schiller und Garve.

ausser mir abhängt^ also auch nicht von uieineu eignen Vor- stellungen, denn diese hängen zuletzt selbst von Dingen ausser mir ab.

Aus dem Dilemma der Ansichten der Fatalisten und der Anhänger der „Freiheit der Gleichgültigkeit" hilft sich Garve mit Worten, die ebenfalls 'an spätere Kants merkwürdig an- klingen. Er warnt vor der Verdammung eines Menschen, weil er unter zwei Empfindungen, die sich in der Theorie nicht vereinigen lassen, einer anderen als wir den Vorzug gebe. Es finde sich ein Punct der Vereinigung. Der Glaube an das dasein der Tugend ist vorhanden und er ist früher als alle Systeme. „Ich weiss nicht, wie ich frey bin, aber ich weiss, wie ich vollkommen seyn soll."

Im ferneren zeigt Garve, dass Ferguson in der Eintheilung von den thierischen und vernünftigen Trieben Willkürlich- keit sich habe zu Schulden kommen lassen. Diese Materie, meint er, wäre besser erklärt worden, wenn man nach dem Beispiel der alten Philosophen die Geschichte erzählte, „auf welche Weise nach und nach aus den thierischen Trieben die vernünftigen bey dem Menschen erwuchsen."*

Das weitere aus den Ausführungen Garves berühre ich, wenn ich nun auf die Frage antworte: Und wie verfährt Schiller in seiner Abhandlung ?_

Schiller geht in der Einleitung, ganz ähnlich wie Garve bei seinem Gegenstand, von den beiden Einseitigkeiten der Philosophen aus, welche einerseits die Vollkommenheit des Menschen ganz abhängig machen von der Verbesserung seines Körpers, andererseits den Menschen ausschliesslich in seinem Geiste suchen.

Ebenso einseitig ist es, den Körper, wie er ausführt, gleichsam als den Kerker des Geistes zu fassen, denn dadurch will man uns fälschlich in den Rang idealischer Wesen er* heben, wie es einseitig ist, den Menschen allein vom Körper abhängig zu machen. Schiller will das Gleichgewicht zwischen beiden Lehrmeinungen halten, um die „Mittellinie der Wahr- heit desto gewisser zu treflfen." Er stellt darauf den Einfluss

* Vgl. ebd. S. 319.

Jacoby, Schiller und Garve. 103

des thierischen Empfindungslebens auf das geistige dar: der Mensch ist ihm das „unselige Mittelding von Vieh und Engel" * Durch die thierische Empfindung der Lust und Unlust wird die Seele mit unwiderstehlicher Macht zu Leidenschaften und Handlungen fortgerissen; aber sie bewirkt auch, dass wir für die Erhaltung der Maschine besorgt sind. Bei der Darlegung des Gedankens, dass geistige Lust jederzeit eine thierische Lust, geistige Unlust jederzeit eine thierische Unlust zur Begleiterin hat, führt er Beispiele aus Dichtern an. Geistige Schmerzen, besonders wenn starke Anstrengimgen des denkens sie begleiten, „nagen gleichsam an den Grundfesten des Körpers". Dem in Angst gejagten Richard IIL bei Shakespeare fehlt seine sonatige Munterkeit, weil diese von einer ihm aus dem Kern der Maschine aufgedrungenen Empfindung von Unbehaglichkeit verscheucht wird. Und wie von einem fremden Dichter führt Schiller auch ein Beispiel aus seinen „Räubern" an, welche er wie zum neckischen Spotte der Herren Examinatoren unter dem Titel life of Moor hy Krake citiert.

Dass die Gewalt der thierischen Triebe der Erhaltungs- trieb, der Reiz der sinnlichen Lust die geistigen weckt und entwickelt, dass durch sie „das innere Uhrwerk des Geistes gleichsam in den Gang" gebracht wird, beweist Schiller, der eben angegebnen Weisung Garves folgend, aus der Geschichte

* Diesen Ausdruck bat Schiller von Haller entlehnt; s. Gedichte des Herrn v. Haller, Wien 1765, S. 46: ,,Un8elig Mittelding von Engeln und von Vieh ! Du prahlst mit der Vernunft, und du gebrauchst sie nie** (vgl. Danzel, Lessing 1850, 1. S. 127), im Gedicht „Ueber den Ursprung des Uebels*' (ebd. S. 123): „Zweydeutig Mittelding von Engeln und von Vieh, Es überlebt sich selbst, es stirbt und stirbet nie/* Wie ofb Schiller auf Haller zurückkommt, zeigt schon ein Blick auf das Register in Band XIV und XV der Hempelschen Ausgabe von Schillers Werken (vgl. die Anmerkungen von Boxberger). „Die Bewunderer von Hai 1er," sagt Lichtenberg, „ich rede hier bloss von den Dichtem, waren gemei- niglich Leute von Geist und Nachdenken . . hingegen mit Elopstocks Bewunderern verhielt es sich gerade umgekehrt" (vgl. Erich Schmidt, Bichardson, Rousseau u. Goethe 1875 S. 211). Auch Earoline von Wol- zogen herichtet von Schillers tiefer Verehrung für Haller und erzählt, Schiller habe den Schwestern passende Stellen aus der Physiologie ge- lesen, die er „in Hinsicht auf Darstellung als ein hohes Werk des Ge- nius betrachtete" (Leben Schillers S. 127).

104 Jacoby, Schiller und Garve.

des einzelnen Menschen wie aus der des ganzen Menschen- geschlechts. Der Körper, zeigt er, ist der erste Sporn zur Thätigkeit, Sinnlichkeit die erste Leiter zur Vollkommenheit. Auch in der ganzen Darstellung aus der Geschichte des ein- zelnen, des Kindes, Eoiaben, Jünglings, Mannes, schweben ihm die Ausführungen Garves vor. Vom Knaben bemerkt Schiller: „Hier ist schon Reflexion, aber immer nur in Bezug auf Stil- lung thierischer Triebe. Er lernt, wie Garve sagt, die Dinge anderer Menschen und seine Handlungen gegen sie dadurch schätzen, weil sie ihm (sinnliches) Vergnügen gewähren." Die Sinnlichkeit allein, fahrt Schiller bald darauf wörtlich fort, ist die Sonne, wie Garve an einem andern Orte* be- merkt, die durch sich selbst leuchtet und wärmt; alle übrigen Gegenstände sind* dunkel und kalt. Und über die ganze Individualgeschichte jedes Menschen bemerkt er: „Hierüber kann nichts Vortrefflicheres gesagt werden, als was Garve in seinen Anmerkungen zu dem Kapitel über die natürlichen Triebe in Fergusons Moral philosophie entwickelt hat," worauf er die ganze längere Ausführung Garves citiert. Nur der letzte Satz aus ihr mag hier noch stehen: „Zuerst liebte er die Menschen, weil er glaubte, dass sie ihm nutzen können; jetzo liebt er sie noch mehr, weil er das Wohlwollen für den Zustand eines voUkommnen Geistes hält."

Gern und oft stellt Schiller auch in späteren Abhand- lungen und Gedichten dar, wie der Mensch aus der Dumpf- heit des thierischen Lebens allmählich zur Klarheit und dem bewusstsein des geistigen erwächst. Schillers Gedankenkreis war, wie er in einem Briefe an Goethe selbst gesteht, kleiner als der Goethes, aber er weiss die Welt seiner Gedanken mit wunderbarer Schnelligkeit und Meisterschaft zu durchlaufen und immer wieder in neuer Form seine Ideen auszu- sprechen. Wenn ihm die Wechselwirkung zwischen Seele und Körper unbegreiflich ist, so hat er doch als praktisches Po- stulat schon frühe festgehalten, dass der Mensch Sinnlichkeit und Vernunft harmonisch zu verbinden trachten müsse. Jener Gedanke seiner frühesten Abhandlung kehrt in den verschie-

* Die ganze Stelle bei Garve a. a. 0. S. 393.

Jacoby, Schiller und Garve. 105

densteu Formeu bei ihm immer wieder: die GegenHätze beisseo bald Natur und Cultur, bald Freiheit und Gesetz, Pflicht und Neigung, Staat der Noth und Staat der Freiheit, Erfahrung und Vernunft, Idealismus und Realismus. In der Schönheit und in der Kunst, durch welche, wie Schiller schon in der Vorbereitungszeit ahnt und andeutet, der Mensch erzogen werden soll, sind Sinnlichkeit und Vernunft zu reiner Har- monie ausgesöhnt. Darum wendete sich Schiller mit dem Gedichte „die Götter Griechenlands" so energisch von den Anschauungen der frommen Dichter seiner Zeit ab und so sehnsüchtig den Hellenen zu% welche die Sinne nicht skla- visch unterjochen wollten; bei ihnen glaubte er jene Harmonie, jene Ganzheit des Wesens zu finden, die allein den Menschen beruhigt. So lässt er auch in der ersten Gestalt des „Dom Karlos" Posa ausrufen: Sünderin Vernunft, bekehre dich zu frommer Tollheit wieder! Zerbrich dein Wappen, ewige Natur! Bei den Griechen findet er auch später in den „Briefen über die aesthetische Erziehung" alle Gemüthskräfte noch in harmonischer Vereinigung: „Damals hatten die Sinne und der Geist noch kein strenge geschiedenes Eigenthum."

Schillers Geist wusste freilich alle Eindrücke, die er em- pfieng, in seiner originellen Weise umzuschmelzen und in sein Eigenthum zu verwandeln. Aber er selbst hat nicht verhehlt, •was er Garve zu danken hatte. Wenn daher der verdiente Biograph Schillers^* die AbhEUidlung des einundzwanzigjährigen Jünglings „vortrefflich, ja bewundernswürdig" nennt, so muss nun andererseits auch Garves Einwirkung in das rechte Licht gestellt werden. Schillers Ausdruck ist knapper, gedrungener als der Garves, durch poetische Bilder feuriger und belebter; aber dafür fehlt ihm die ruhige Klarheit jenes Beobachters.

Fragt man dann, was den Jüngling, vor dessen leiden- schaftlicher Phantasie die gigantischen Gestalten der „Räuber"

* Mit diesem Gedanken soll keineswegs die Erklärung des Gedichts erschöpft sein. Die Eindrücke, welche der Antikensal in Mannheim auf Schiller ausübte, schildert sein „Brief eines reisenden Dänen**; s. Ludwig Hirzel, „Schillers Beziehungen zum Alterthum**, (Aarau 1872) S. 18—19. Vgl. weiter unten S. 114.

** Hoffmeister a. a. 0. I, 69.

106 Jacoby, Schiller und Garve.

schwebten ; in dessen Kopfe die kühn philosophischen^ grüb- lerischen Monologe des Franz und Karl Moor lebendig wurden, zu den Schriften des nüchternen Garve hatte hinziehen können? Gerade seinem mächtig sich regenden dramatischen Talente musste Garves grosse Beobachtungsgabe, sein Scharfsinn im zergliedern der menschlichen Seelenkräfte willkommne Nah- rung bieten. Die Probleme, die ich berührte, beschäftigten Schiller gleichzeitig wissenschaftlich und dichterisch. Aus den „Räubern" will ich nur ein schlagendes Beispiel anführen. Im zweiten Acte gleich zu Beginn, da Franz über die Mittel nachdenkt, wie des Vaters Leben abgekürzt werde, ohne dass er der Morder heissen könne, ohne dass des Zergliederers Messer irgend welche Spuren von Wunde oder Gift finden könne, lässt Schiller diesen scharfsinnigen Bösewicht sagen: Wir vermögen doch die Bedingungen des Lebens zu verlängeren, warum sollten wir sie nicht auch verkürzen können? Philo- sophen und Mediciner lehren mich, wie treffend die Stimmungen des Geistes mit den Bewegungen der Maschine zusammen- lauten. Gichtrische Empfindungen werden jederzeit von einer Dissonanz der mechanischen Schwingungen begleitet Leiden- schaften misshandlen die Lebenskraft der überladene Geist drückt sein Gehäuse zu Boden. Wie denn nun? Wer es verstünde, dem Tod diesen imgebahnten Weg in das Schloss des Lebens zu ebenen? den Körper vom Geist aus zu verderben? Und Franz grübelt nun über die Mittel, um „die friedliche Eintracht der Seele mit ihrem Leibe zu stören.'' Zorn, Sorge, Gram, Furcht, diese Henker des Menschen sind ihm zu träge, aber der Schrecken in Verbindung mit der Reue und Selbstverklagung, hofft er, werden seinen Plan vollführen helfen. Dass Schiller im übrigen in seinem ersten Trauerspiele gern die Resultate seiner Studien und besonders der Wissen- schaft, die sein specielles Studium war, der Medicin, ver- werthete, ist schon öfter hervorgehoben worden und zeigt besonders jene Stelle, da Franz, um Amaliens Liebe zu seinem Bruder durch Verleumdung zu vernichten, ihr in grausigen Worten das Bild eines von einer entsetzlichen Krankheit heim- gesuchten Jünglings vorführt. Da redet in der That fast mehr der Mediciner als der Dichter!

Jacoby, Schiller und Garve. 107

Auch in der ersten Vorrede* zu den „Räubern" vom Jahre 1781 , nachdem sich Schiller verÜieidigt hat, dass er unmoralischen Charakteren von Seiten des Geistes glänzende Eigenschaften geliehen, stützt er sich wieder auf Garve. Er sagt dort: „Jeder dramatische Schriftsteller ist zu dieser Freiheit berechtigt, ja sogar genöthigt, wenn er anders der getreue Kopist der wirklichen Welt sein soll. Auch ist, wie Garve** lehrt, kein Mensch durchaus imvoUkommen, auch der lasterhafteste hat noch viele Ideen, die richtig, viele Triebe, die gut, viele Thätigkeiten, die edel sind. Er ist nur minder vollkommen."

In den späteren Lebensjahren begleitet Schiller die Er- innerung an den Mann, der seinen philosophischen Geist kräftig angeregt hatte: erst als er Kant kennen lernte, fesselte ihn dieser mehr als alle anderen Philosophen. In einem Briefe an Reinwald vom 9. Dec. 1782 bittet der Dichter*** um die

* Sämmtl. Schriften II, hraggb. von W. Vollmer, 1867 S. 6. Erst in der zweiten Vorrede steht dafflr nur folgender Satz: „Auch ist ein Mensch^ der ganz Bosheit ist, schlechterdings kein Gegenstand der Kunst und äussert eine zurückstossende Kraft, statt dass er die Aufmerksam- keit der Leser fesslen sollte . . /*

** Die Worte bei Garve a. a. 0. 377, wo er vom Morde redet, der in seinem Ursprung „der Zustand eines unvoUkomninen, aber nicht durch- aus unvollkommnen Geistes*' sei. „Denn eben dieser Mensch hat noch viele Ideen" u. s. w.

*** Schillers Briefwechsel mit seiner Schwester Christophine und Reinwald, hrsggb. von W. v. Maltzahn, Leipzig 1875, S. 9. Schiller ver- langt ebenso Gerard, über das Genie, ein Buch, das Garve ans dem Englischen übersetzt hatte, Leipzig 1776. Man weiss, wie eifrig sich Schiller später im Anfang der neunziger Jahre mit dem Begriff des Genies beschäftigte (s. Tomaschek a. a. 0. 243). Ferner begehrt dort Schiller H. Homes „Grundsätze der Kritik**. Die zweite Ausgabe dieses von Meinhard übersetzten Werkes erschien, durch Garve und Engel besorgt, 1772 in 2 Bänden. In diesem Buche wird der Versuch gemacht, den Begriff der Schönheit zu zergliedern (I, 276 f.), auch der Unter* schied des schönen und erhabnen berührt (280 f.), und wiederholt werden Beispiele aus Shakespeare angeführt. Schiller hat die berührten Fragen später tiefer behandelt; Homes Werk hat er gelesen. Hier will ich gleich erwähnen, dass Schiller für seine aesthetischen Vorlesungen an der Uni- versität Jena bei der Erklärung des schönen auch besonders auf Burke Rücksicht nimmt („Fragmente aus den aesth. Vorlesungen**, Winter

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Bücher, welche seinem „gegenwärtigen Wunsch am nächsten liegen"; „Mendelssohns, Sulzers, Garves philosophische Schriften" finden sich darunter.

Im Jahre 1786 verlangt er von dem Buchhändler Göschen in Leipzig, dieser möge ihm „vor allem" Garves Abhandlung über die Neigungen, welche er, wie wir gesehen, früh gekannt hat, senden; und noch 1791 bittet er neben Kants Kritik der reinen Vernunft um Garves vermischte Schriften.*

Schiller kann nicht Garves „vermischte Aufsätze" meinen, sondern nur die „Sammlung einiger Abhandlungen", welche dieser bereits 1779 hatte erscheinen lassen.** Ich erwähne das ausdrücklich, weil sich in jener von Schiller gewünschten

1792—93, Sämratl. Schriften X, 51, hrsggb. von R. Köhler; vgl. auch besonders Brief an Körner, 25. Januar 1793, Briefwechsel II*, 6). Burke erst hatte die Bahn betreten, welche zur Kritik der Urtheilskrafk führen musste (s. Imelmaun, Schillers „Künstler'^ Berlin 1875, S. 40). Schiller selbst sagt im 15. , aesth. Brief in einer Anmerkung, nachdem er Burkes Buch und eine Schrift von Raphael Mengs angeführt: „Wie in allem hat auch in diesem Stück (Erklärung der Schönheit) die kritische Philo- bophie den Weg eröffnet, die Empirie auf Principien , und die Speculation zur Erfahrung zurück zu führen.** Das im vorigen Jahrhundert viel gelesene Buch Burkes über den Ursprung unserer Begriffe vom erhabenen und schönen hat ebenfalls Garve 1772 aus dem Englischen übersetzt Lessing wollte es übersetzen; „ich weiss nicht," sagt Koberstein (111% 341, 39), „ob es vor Garves Uebertragung schon verdeutscht worden ist." Am 11. Januar 1793 schreibt Schiller an Körner: „Besitzest oder . weisst Du wichtige Schriften über die Kunst, so theile sie mir doch mit; Burke, Sulzer, Webb, Mengs, Winkelmann, Home, Batteux, Wood, Mendelssohn nebst 5 6 schlechten Compendien besitze ich schon."

* K. Goedeke, Geschäftsbriefe Schillers. 1875. S. 16 und 76.

** Die „vermischten Aufsätze", in welchen Garve die „einzeln oder in Zeitschriften" erschienenen Arbeiten sammelte, gab er erst 1796 (den I. Theil) heraus. >Yenn Goedeke (a. a. 0. 75) die Bemerkung macht, „Kant und Garve bezeichnen den Beginn der methodischen Studien der Philosophie für Schiller", so passt für solche am wenigsten der erste Theil jener „vermischten Aufsätze"; der zweite erschien erst 1800 nach Garves Tod. Sie behandeln nämlich Gegenstände wie diese: über den Charakter der Bauern; Lob der Wissenschaften; die Lage Schlesiens u. s. w. Da andrerseits Garves „Versnche", von welchen bald die Rede sein wird, erst 1792 (der I. Bd.) herauskamen, so kann Schiller nur die 1779 ver- öffentlichte „Sammlung einiger Abhandlungen aus der Neuen Bibliothek

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Sammlung im ersten Theile ein Aufsatz Garves befindet, der mit Unrecht viel zu wenig beachtet worden ist. Er heisst „Be- trachtung einiger Verschiedenheiten in den Werken der ältesten und neuern Schriftsteller, besonders der Dichter". Dass diese Arbeit Schiller die Anregung gegeben zu seiner tiefer be- gründeten und für die Litteraturgeschichte Epoche machenden Abhandlung ,,über naive und sentimentalische Dich- tung" (1795 96), will ich gleich hier in Kürze und nach den wesentlichen Puncten hin zu beweisen suchen. Zwar ist mir nicht unbekannt, dass die französischen Schriftsteller schon vielfach die Frage beschäftigt hatte betreffend die Vorzüge der alten und der neueren Dichter, zwar hatte auch Herder* diese Frage wenigstens berührt, allein alles weist darauf hin, dass Schiller nur durch Garves Behandlung den Anlass erhielt, die Frage vertiefter und gereifter ihrer Losung entgegenzubringen. Seit Winckelmann die Begeisterung für die antike Welt in den edelsten Geistern Deutschlands entzündet hatte, war die „Nachahmung" der griechischen Werke und der griechischen Dichter im Gegensatz zu den lateinischen das allgemeine Losungs- wort geworden (vgl. Herder, Fragmente zur deutsch. Litteratur,

der Bchöneu Wissenscbaften und der freien Künste** meinen, von der eine neue Ausgabe 1802 in zwei Bänden erschien.

Der oben genannte Aufsatz Garves erschien zuerst einzeln im X. Bd. der neuen Bibliothek der schOnen Wissenschaften und der freien Künste, Leipzig 1770, k Stück S. 1—37, 2. Stück S. 189—210. Es liegt mir ferne zu verschweigen, dass auch Heinrich Kurz (Handbuch der deut- schen Prosa, Zürich 1845, 111, 184) meines wissens der einzige -- dem Aufsatze Garves die gehörige Beachtung geschenkt hat. „Wenn Schillers Abhandlung,^' sagt er, „von grösserem Erfolge war als der Auf- satz Garves, ... so dürfen wir doch nicht verkennen, dass Schillers Grundgedanke schon von Garve ausgesprochen und klar erkannt war." Tomaschek in seinem trefflichen Buche sagt nichts davon.

* Selbst in den „Ideen zur Geschichte und Kritik der Poesie", 1794—1796, (16. u. 16. Bd. Zur Litteratur u. Kunst) wird der „berühmte Streit über den Vorzug der alten oder der neuem Nationen in Wissen- schaften und Künsten" nur kurz berührt, und der Rangstreit in ganz andrer Weise als „nichtig" gezeigt (16, 171 f.). Wie viel scharfer han- delt Schiller über diese Frage! Auch hierin musste sich Herder über- flügelt sehen. Garves kurzes ürtheil über Schillers Aufsatz unten S. 132.

110 Jacoby, Schiller und Garve.

dritte Sammlung). Aber wenige waren sich klar geworden, wie diese Nachahmung unter den vollständig veränderten Ver- hältnissen und Bedingungen geschehen sollte. Besonders der Schluss von Garves Aufsatz zeigt, dass dieser besonnene Forscher sich über die oft berührte Frage selbst Klarheit zu verschaffen suchte und dass er, wenn auch noch nicht so bestimmt und nachdrucksvoll wie Schiller, von dem neueren Dichter die Losung ganz anderer Aufgaben erwartet. Als er seine Abhandlung verfasste, war Goethes „Iphigenie" noch nicht gedichtet, welche so deutlich zeigt, wie der wahre Dichter verfahren muss, um bei aller Begeisterung für die alten nicht ihr sklavischer Nachahmer zu werden und um allen Zeit- genossen, die ihn verst.ehen und empfinden wollen, verständlich zu sein.

Zu Anfang seines Aufsatzes spricht Garve von der noth- wendigen und unausbleiblichen Verschiedenheit, die zwischen den ältesten und den spätem Arbeiten des menschlichen Ge- schlechts und des einzelnen Menschen bestehen muss. In den Werken der Kindheit sehen wir eine Kraft, die sich durch ihre blosse Energie und die Gegenstände getrieben fühlt zu wirken, in den Werken des männlichen Alters eine Kraft, die erst durch ein besonderes Interesse gereizt werden muss. Ausführlich zeigt er, dass die ältesten Dichter und Schrift- steller ihre Ideen so zu sagen „entschütteten'', ohne Absicht auf Beifall, die neuen dagegen zum Zwecke das Vergnügen der Leser haben und ihren eignen Ruhm. Ferner: die alten Dichter lebten mehr in der Natur, sie standen ihr näher und lernten die Dinge besser kennen. Die Sinne waren ihre Lehrer; „sie sahen, sie hörten, sie dachten zu Folge der Eindrücke, welche die Natur und ihre Verhältnisse mit andern Menschen auf sie gemacht hatten." Wir neuere hören schon vieles durch Unterweisung und üeberlieferung, bevor wir es gesehen; die Dinge selbst lernen wir erst später kennen. Wir beobachten sehr wenig selbst; durch die Copien werden wir auf die Ori- ginale aufmerksam, weil wir in der Vergleichung zwischen beiden eine Beschäftigung finden, die mehr naöh unsrer jetzigen Denkungsart ist als die freie Beobachtung selbst. „Bei den Alten unterrichten die Sinne den Verstand, bei den Neuen der

Jacoby, Schiller und Garve. 111

Verstand die Sinne mehr." Homer kennt und stellt Dinge dar, die unsre Dichter nicht aus Erfahrung wissen und kennen, sondern durch Fleiss und Studium. Er kennt den Bau des Pfluges, des Webstuhles, Schiffes; ihm ist die Lage aller Städte und Dorfer seines Vaterlandes bekannt; er kennt die Rüstung der Krieger, ihre Art zu fechten; er ist von den Producten, dem Klima jeder Provinz imterrichtet u. s. w. Der alte Dichter sah die Natur ^naiv" an, heisst es später bei Schiller , wie Garve sich ausdrückt, ohne zu wissen, dass er diese Betrachtung als seine Bestimmung oder als das Mittel zu gewissen Absichten aufzufassen hätte. Unsere Dichter, wenn sie die Natur beobachten, thun es schon immer in der Absicht sie zu schildern, sie wollen sie gern schön sehen, oder wenigstens so, wie sie sich schon ausdrücken läsat. Die den alten zugeschriebene „Simplicität" hat darin ihren Grund; sie schildern alle Arten von Gegenständen, seltene und ge- meine, bekannte und fremde: wir sind gewohnt, nur gewisse Gegenstände der Beschreibung und Betrachtung werth zu halten; den alten war kein Theil der Dinge, keine Verrichtung des Menschen verächtlich.

Auch die Sprache der alten war dazu gemacht, sinnliche Bilder auszudrücken, die Worte machten den sinnlichen An- blick der Sache unmittelbar in der Einbildungskraft rege; die Ideen des Verstandes erschienen bei ihnen noch unter körper- licher, sichtbarer Gestalt. „Unsere Sprache ist für abstracte Begriffe gemacht, und unser Geist hat ihrer weit mehr als Bilder. Wenn Verstandesideen durch Bilder ausgedrückt werden, so ist es nicht mehr Bedürfniss, sondern Zierrath; es ist nicht mehr die einzige Art sie zu denken."

Aber andrerseits, wenn die alten Dichter mehr nur die Erscheinungen der Dinge zeigen, lernen wir den innern Bau derselben kennen und erforschen. Sie gehen mit ihrer ganzen Absicht niemals weiter als uns das Bild der Sache, von der sie reden, zu überliefern: wir brauchen die Begebenheiten, die wir erzählen, die Objecto, die wir schildern, gewöhnlich nur als Gelegenheiten, eine Anzahl guter Ideen anzubringen. Die alten zeigten mehr das äussere der menschlichen Handlungen, die neueren zeigen uns mehr das innere. „Unsere Dichter sind

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schon eine Art Metaphysiker und müssen es fast für uns sein." Sie zergliedern die Empfindung in die Summe der einzelnen Bewegungen^ aus denen sie sich erklären lässt. Die alten er- zählen umständlich die Wirkungen, die neuen bestimmter die Ursachen; wir haben den Vorzug voraus, den Menschen von seiner innern Seite, die Philosophie des Herzens, wie Garve sagt, genauer zu kennen. „Wo wir also noch original sein können, das ist in den feinern Beobachtungen des mensch- lichen Geistes, der Denkungsart, der Sitten." Die alten Dichter sind auch nur national, sie kennen ihr Land, ihre Menschen, ihre Geschichte: wir gehen mit unsem Erdichtungen in die weite Welt hinaus. „Wir richten uns bloss nach den all- gemeinen Gesetzen der Natur; sie weit mehr nach den Ver- fassungen und Denkmälern ihres Volkes." Die Bewunderung, zeigt Garve des weiteren, der alten Dichter hat ihre Nach- ahmung veranlasst. In seiner Darlegung, dass die Werke der neueren auch beim Wunsche der Nachahmimg in der Aus- führung immer das Gepräge eines Jahrhunderts behalten werden, welches unter „der Aufsicht der Philosophie" steht, liegt deut- lich der Hinweis, dass die neueren Dichter eine andere Auf- gabe haben. „Die Werke unsrer Zeit", so schliesst Garve, „sind Denkmäler von dem, was der menschliche Geist nach Absicht, mit Bewusstsein und durch sich selbst hervorzubringen im Stande ist."

Und nun denken wir an Schillers berühmten Aufsatz, der 25 Jahre nach dem Garves verfasst ist. In den Hören er- schienen im Jahre 1795 zimächst die beiden Abtheilungen „über das Naive"* und „die sentimentalischen Dichter"; bald darauf das Gedicht „die Sänger der Vor weit", welches in den Hören noch die den Gegensatz schärfer hervorhebende Ueber- schrift hatte: „Die Dichter der alten und neuen Welt".

Die Frage, welche Schiller viel beschäftigte und welche er in einem Briefe an Wilhelm Humboldt**, den „Einfluss

* Ende October beendigt. Briefwechsel swischen Goethe nnd Schiller P, 100.

** 26. October 1795. Briefwechsel zwischen Schiller und Wilhelm V. Humboldt (1876)*, 184.

Jacoby, Schiller und Garve. 113

philosophischer Studien auf seine Gedankenoekonomie'' be- tonend, aussprach: Inwiefern kann ich bei dieser Entfernung von dem Geiste der griechischen Poesie noch Dichter sein, und zwar besserer Dichter, als der Grad jener Entfernung zu erlauben scheint, diese bedeutsame Frage beantwortet er in der genannten Abhandlung, welcher Goethe verdankte, „erst mit sich selbst einig geworden zu sein" (Brief an Schiller, 29. Nov. 1795). Nach einer genauen Darlegung des BegriflFs des naiven und zwar der Natur wie der Person, wobei er auf den oft ausgesprochenen Gedanken zurückkommt, der Mensch solle auf dem Wege der Freiheit und der Cultur jene Harmonie erreichen, welche nach dem Gesetze der Nothwendigkeit in der physischen Welt herrscht, stellt Schiller dar, dass wir in allem, was Natur ist, von den alten unendlich übertroffen werden. Weil aber bei uns die Natur aus der Menschheit verschwunden ist und wir nur in der unbeseelten Welt sie antreffen, darum huldigen wir ihr gerade und hangen mit Innig- keit an ihr. Wir „hören im fernen Auslande der Kunst der Mutter rührende Stimme"*; die Griechen empfanden natürlich, wir empfinden das natürliche. Der Grieche ist zwar „im höchsten Grade genau, treu, umständlich in Beschreibung von Naturscenen und Naturcharakteren, aber doch gerade nicht mehr und mit keinem vorzüglicheren Herzensantheil, als er es auch in Beschreibung eines Anzuges, eines Schildes, einer Rüstung, eines Hausgeräthes" ist. Die Natur scheint mehr seinen Verstand und seine Wissbegierde als sein moralisches Gefühl zu interessieren; er hängt nicht mit Innigkeit, mit Empfindsamkeit an ihr, wie wir neuere: „Unser Gefühl für Natur gleicht der Empfindung des Kranken für die Gesundheit" So wie die Natur als Erfahrung zu verschwinden anfieng, tritt sie in der Dichtung als Idee und als Gegenstand auf. Die Dichter, ihrem Begriffe nach die Bewahrer der Natur, werden entweder Natur sein oder die verlorene suchen, d. h. sie gehören je nach Zeit und Umständen entweder zu den naiven oder zu den sentimentalischen. Die naiven Dichter

* Gerade so in der Strophe 6 der 1795 gedichteten ,, Macht des Gesanges".

AbOHIY f. LlTT.-Q>80B. VII. 8

114 Jacoby, Schiller und Garve.

ahmen möglichst vollständig die Wirklichkeit nach; die senti- mentalischen erheben die Wirklichkeit zum Ideal. „Wer nur irgend ''y sagt Schiller wie mit einem Seitenblick auf Garve^ „dem Geiste nach und nicht bloss nach zufalligen Formen eine Yergleichung zwischen alten und modernen Dichtem an- zustellen versteht, wird sich leicht von der Wahrheit des Ge- dankens überzeugen können. '^ So ergibt sich der Vorzug wie die Einschränkung der alten Dichter: sie wählen solche Gegen- stände, die sie ganz bewältigen können; sie gehen in ihren Gregenstand vollständig auf, übertreffen den neueren in der Bestimmtheit und Einfalt der Darstellung, „in der Kunst der Begrenzung ''. Die neueren aber haben ihre Stärke gerade in dem, was undarstellbar und unaussprechlich ist. „Jene rühren uns durch Natur, durch sinnliche Wahrheit, durch lebendige Gegenwart; diese rühren uns durch Ideen." Die alten Dichter können in uns nicht das Gefühl des unendlichen erwecken, nicht jeden Gegenstand auf die Idee beziehen. Der naive Dichter erhält seinen Werth durch Erreichung einer endlichen Grösse; der sentimentalische, welcher es mit einer Aufgabe zu thun hat, die nur annähernd gelöst werden kann, erlangt ihn durch Annäherung zu einer unendlichen Grösse. Man hätte, meint Schiller, alte und moderne, naive und sentimentalische Dichter entweder gar nicht oder nur unter einem gemein- schaftlichen hohem Begriff mit einander vergleichen sollen. Wie im Leben der Realist, der nüchtern beobachtende und dem gleichförmigen Zeugniss der Sinne fest anhangende, und der Idealist, der die Gründe der Erscheinungen aufsucht, ein- ander ergänzen müssen, um den wahren Charakter der Mensch- heit herzustellen, so ergänzen einander auch naive und senti- mentalische Dichtung, um den Begriff der Poesie herzustellen, der kein anderer ist, als der Menschheit ihren möglichst voll- ständigen Ausdruck zu geben. Darum, können wir im Sinne Schillers hinzusetzen, ist der Streit über die höhere Rang- ordnung der alten und neueren Dichter ein ganz müssiger: zu- sammen repraesentieren sie zwei gleichberechtigte Richtungen des menschlichen Geistes.

Jetzt erst konnte Schiller die quälende Sehnsucht gestillt sehen, welcher er als Jüngling rührenden und ergreifenden

Jacoby, Schiller und Garve. 115

Ausdruck gab in dem so oft verkehrt aufgefassten Gedichte „die Götter Griechenlands'^.

Brauche ich nach dem gesagten breit auszuführen, dass die Einwirkung Garves unmöglich geleugnet werden kann, obwol ihn Schiller gar nicht erwähnt? Gewiss hat Schiller Garves Gedanken, den Gegensatz der griechischen und der modernen Dichtungs weise, mit tieferem Geiste erfasst imd durchdrungen; manchen Punct hat er origineller beleuchtet und vor allem nicht bloss auf den Unterschied der Zeit, son- dern den Unterschied der Manier geachtet*; durch die treff- liche Analyse des naiven gelangte er erst zu der folgereichen Zweitheilung. Und in der That nur ein Dichter und nur ein Dichter wie Schiller, der sich so oft und selbstprüferisch, um nicht zu sagen selbstquälerisch, mit den alten Dichtern ver- glichen hatte, der in sich selbst eine Tiefe der Ideen bemerkte, welche er bei den alten vermisste, konnte jene Frage allum- fassend und mit kritischem Geiste beantworten!

Persönliche Bekanntschaft hat Schiller mit Garve nie ge- macht; doch sollte er bald in nähere Verbindung mit ihm treten. Garve seinerseits, und damit gehen wir in die Zeit 'Vor Abfassung des Aufsatzes „über naive und sentimentalische Dichtung" wieder zurück, erwähnt den Dichter, so .viel ich finden konnte, erst im Jahre 1788 in einem Briefe an Weisse**, in dem er Schillers historische Aufsätze lobt; „vielleicht ist er da mehr in seinem Fache, als im Drama, weil dort seine Ein- bildungskraft mehr im Zaume gehalten wird.*' Von dem Auf- satze über „Anmuth und Würde", der in der Thalia erschien, heisst es***: „Er ist zuweilen schwer und gekünstelt, aber er enthält viel Schönes." Des Dichters intimster Freund

* S. Schillers Anmerkung za Anfang des Abschnitts „Die senti- mentalischen Dichter". ~ Auch in neuesten Zeiten, heisst es dort, haben wir naive Dichtungen, und nicht bloss in demselben Dichter, auch in demselben Werke triffb man häufig beide Gattungen vereinigt an wie in Werthers Leiden. Nach dem oben entwickelten stehe hier noch Hett- ners Satz (Goethe u. Schiller II, 199. 1870): „Schillers Abhandlung ist eine Auseinandersetzung sowohl mit den Griechen wie mit Goethe." ** Briefe von Garve an Weisse. Bresl. 1808. I, 323. *** B. Oct. 1793 (ebd. II, 122).

8*

116 Jacoby, Schiller und Garve.

Körner hatte im Juli 1792 Gelegenheit, Garve in Dresden zu sehen. Auf seiner Reise nach Altenburg und Halle kam Garve dahin*; Körner sah ihn „bei Wagners". In seiner Art zu philosophieren fand er etwas vornehmes und hofmässiges. „Im Gespräch hat er das Talent eines klaren und ausgesuchten Vortrages. Aber mit dem Inhalt darf man^s nicht so genau nehmen." Seine neuesten Versuche, setzt Körner hinzu, habe ich noch nicht gelesen. Von diesen „Versuchen über ver- schiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben", von denen der erste Theil 1792, der zweite 1796 erschienen, hat, wie wir sehen werden, Schiller eifrig Kenntniss genommen.

Schiller besass ein reges Dankbarkeitsgefühl für diejenigen Schriftsteller, welche auf seinen Geist in der Jugend mit Kraft eingewirkt: in diesem Sinne schrieb er noch 1803 seinem Schwager Wolzogen, als dieser sich nach Petersburg begab, er möge dem General Klinger, der aufsein dramatisches Talent Einfluss gehabt, von seiner ehrenden Hochschätzung Zeugniss geben: „Diese Eindrücke der Jugend sind unauslöschlich."**

Es war daher nicht bloss das egoistische Interesse, einen geschätzten und beliebten Schriftsteller als Mitarbeiter zu ge- winnen,, wenn Schiller im Jahre 1794, als er die Hören ins Leben rief, unter den hervorragenden Autoren Deutschlands auch Garve einladete. Auch dieser, schreibt er an Kömer, habe die Einladung angenommen und zu Beiträgen Hoffnung gemacht.*** Und am 10. Juli an Cottaf: „Schon sind 4

* BriefvrechBel mit Kömer, hrsggb. von Goedeke, P, 459. An Spalding schrieb Garve von Eonnewitz bei Leipzig 22. August 1792: „In Dresden habe ich 12 sehr angenehme Tage zugebracht, während welcher ich in des braven Adelungs Hause wohnte . . . und manche neue schätzbare Bekanntschaft machte;** s. Erinnerungen an Garve von S. G. Dittmar. Berlin 1801. S. 63. ** Palleske P, 118.

*** Briefwechsel zwischen Schiller u. Kömer II ', 106. Die „Ein- ladung zn den Hören" ist datiert vom 13. Juni 1794, von der „keinen ÖfiFentlichen Gebrauch zu machen" Schiller am Schlüsse bittet. Sämmtl. Schriften X (hrsggb. von R. Köhler), 236.

t Briefwechsel zwischen Schiller u. Cotta, hrcggb. von W. Vollmer. 1876. S. 16.

Jacoby, Schiller und Garve. 117

vortref liehe Männer uusrer Societät bey getreten, Göthe, Herder, Garve und Engel."

Die Antwort Garves auf Schillers Einladung lautet:*

»rcftlau, b. 28. 3ul.[!] 1794.

SSon einem aRanite, ten ic^ felbft fo fe^r fd^ö^e, unb t)on beffen @eiftedprobucten ici^ fo oft bin üergnügt unb belel^rt morben, bie SSer- fic^erung ju erhalten, ba| ouc^ meine @(^riften auf il^n (Sinbrucf ge« mac^t ^aben, unb felbft, menn er mir nid^t fd^meid^elt, il^m nü^Iic^ gemefen ftnb: bad gehört unter bie angenel^mften Belohnungen, bie einen ©c^riftfteller, für bie mit feiner Slrbeit oerbunbnen S(nftrengung unb S3ef^toerbe, fc^ablod Italien fönnen. Sd fönnte mir and^, ht\) bem aOgemeinen Se^faQe, ben aOed, mad an^ ^i)xtv gfeber fömmt, erhält, unb mit bem mein eigned Urt^eil übereinftimmt, nic^td e^ren« üoäer fe^n, ald mid^ mit S^nen, unb einer Sefetifd^aft, bie Sie getoä^tt l^aben, ju einer gemeinfc^aftlid^en !(rbeit 5U bereinigen. 2)em' o^nerac^tet trage ic^ S9ebenfen, biefen Eintrag unbebingt anjunel^men. ^d) bin nur feiten ju fc^riftfteHerifc^en Slrbeiten aufgelegt. Steine ®efunb^.eit ift feit langer S^it gefc^toä^t. @eit toenigen Sauren ift ein äußrer Schaben an meinem Singe ^injugetommen, ber mir bad ©(^reiben befd^merlic^ mac^t. 2)ieg ift Urfac^e, bag id^ bie üon mir felbft unternommene arbeiten nid^t enbigen tann. (S^ ift unerlaubt, neue SSerbinbtic^fetten einjuge^en, e^e mau feine alten erfüllt ^at. 2)emo^nerad^tet oerfage ic^ mir bie Hoffnung nic^t, bag id^ auc^ eiu^ ma^I einen Meinen 9)eQtrag ju ber oon S^nen üeranftalteten @amlung n^erbe liefern fönnen. Unb id^ toerbe gemig, toenn id^ irgenb einen %luffa^ fertig ^aben merbe, t)on bem i^ glaube, bag er bem 3^^cfe i^rer g^itfc^rift entfprid^t, unb ber guten ®efellf(^aft toert^ ift, unter ber er erfc^einen foU, biefen 9Beg ber Sefanntmad^ung mit großem SSergnügen malzten.

9lur eine Slnmerfung erlauben @ie mir: toarum laffen @ie nic^t bad Unternehmen unter bem Stammen ber X^alia fortgeben, ber fd^on be^m publicum, burd^ meifterl^afte ^robucte mit S^ren belannt ift? 3)iefer Zttel ift auc^ n)eit umfaffenb genug, um in bie S^^fc^rift, totlä^t i^n trägt, alle bie oerfc^iebenen ®egenftänbe aufjune^men, toeld^e Sie für biefe neue beftimmen. S)od^ Sie fönnen DieUeic^t Urfac^en

* Der Freundlichkeit des Herrn Dr. Robert Bozberger, der ohne irgend welches zuthun von meiner Seite auf die blosse Nachricht von meiner Arbeit sie unterstützen wollte, habe ich die Abschrift dieses Briefes zu danken, der, so viel ich weiss, noch nicht gedruckt vorliegt. Ich bemerke, daes in der Abschrift das Datum 28. JuL steht; nach dem oben gesagten kann es nur Juni heissen. Leider fehlt mir Schillers Schreiben, der Garve erklärt haben muss, wie viel Anregung er durch seine Schriften erhalten.

118 Jacoby, Schiller und Garve.

^aben, ba @te neue Arbeiter, mit [\ä) üerbinben, aud^ i^r gemeinfc^oft« lid^ed SBerl burc^ einen neuen Xitel ju unterfd^eiben. SEBai^ mid^ be^ ber ©ac^e am nteiften freuet, ift, bog id) au§ bie(er Unternehmung ouf S^^c toieber^ergefteUte ©efunb^eit Wie|e. 3)enn man fagte mir tor einiger ßeit, baft @ic Seno, unb aHe gelehrten Arbeiten ffranls l^eit^ megen t)erlaffen Ratten, unb in S^rem ^oterlanbe 9lu^e unb @r^ot|Iung fu(!^ten. äRöd^ten 6ie fte bod^ bafel^ft gef unben ^aben ! @d maltet, mie mir mand^mal^I gefd^ienen ^at, ein unglüdEIic^ed ©c^icffal über bie Siteratur S)eutf(!^lanb&: meit eine lange ffrönftid^feit ober ein früher Xob bad Sood fo t)ieler berer ift, bie im @tanbe mären, i^r &)xt ju mad^en.

3Dcr Schritt menigfteng, ben id^, burc^ 3^^^ freunbfd^aftli(^e Aufs forbcrung ju einer nähern SSerbinbung mit ^i^mn getljan f^aht, ift ein SSort^eil, ben id^ nid^t mieber aufgeben miÜ, menn ic^ mid^ and^ nid^t ate ein fe'^r fleißiger äRitarbeiter g^reg SournalS jeige. 3(^ bitte um S^rc greunbfd^aft unb, terfid^erc ©ie meiner ^ot^ot^tung, mit ber magren (Sm|)finbung, bie ^i)xtm 9}erbienfte unb meiner Siebe iu 3Bi{fenfd^aft unb Zugenb gemäß ift.

Garve.

Die Antwort Schillers auf diesen Brief, vom 1. October 1794, bin ich in der Lage mittheilen zu- können"^ und bemerke nur noch, dass im ersten Theil der Versuche Garve im ersten Aufsatze „über die Geduld" handelt, im dritten „über die Maxime ßochefoucaulds: das bürgerliche Air verliert sich zuweilen bey der Armee, niemahls am Hofe". Schiller hatte sich später noch ein Exemplar der Versuche bei Cotta bestellt, dann aber durch Garve selbst dieselben erhalten.** Schillers Brief lautet nach der Abschrift genau so:

* Durch die Vermittlung von Herrn Professor Ludwig Uirzel in Bern erhielt ich von Herrn Dr. SalomonHirzel die Abschriften zweier werth- voller Briefe Schillers an Garve, die, wenn vielleicht auch früher schon einmal gedruckt, doch nie verwerthet worden sind. Salomon Hirzel schrieb: ,,Ich halte die Briefe nicht für ungedruckt, glaube vielmehr mich zu erinnern, sie vor langen Jahren einmal in einem schlesischen Blatte gedruckt gefunden zu haben.*' (Schlesische Provinzialblatter?) Meinen Dank für diese Zusendung kann .ich leider nur an einen edlen todten richten.

** Schiller an Cotta (a. a. 0. 180): „Den Garve, welchen Sie mir ge- schickt haben, brauche ich nicht. Der Verfasser hat mir selber ein Exemplar gesendet.*' Vergl. Schillers Kalender vom 18. Juli 1795—1805. (1865) S. 24. „20. Mai 1796. Von Garve nebst Büchern." Der dritte Theil der „Versuche** erschien erst 1797.

Jacoby, Schiller und Garve. 119

3cno; ben l. Octobcr 1794.

S)ie freunbfc^afttid^en @efinnungen, bie in Syrern 93riefe ot^men, unb bie toaste ©prac^e bed ^erjend, bie in bemfelben nic^t ju Der- fennen ift, l^aben mic^ ^öd^Iid^ erfreut, unb bon ganjen ^erjen ftimme i(^ in ben Zon ein, ben @ie für unfer Itinftiged SSer^ältnig barin feftge^e^t ^aben. 3a mein bortreflid^er gfteunb, lagen @ie und ein- anber Don nun an nic^t aud ben ^ugen berlieren, unb betrachten Sie mic^ a(d einen alten ®efä^rten auf bem SBege jur äBa^r^eit, auf bem man nic^t genug ©efeQjd^aft finben fann, unb boc^ oft fo t^er- gebUd^ fud^t.

^6) motzte gteid^ ie^t üon biefem üertrautid^en SSerl^dltnig, bad ®ie mir erlauben, ®ebrau(!^ machen, unb fragen, mit meiner SOtaterie @ie @i(^ ie^t be{d^äftigen? 2)ad ®ebiet, toorinn @ie toirten unb am (iebften bermeilen, i^ me^ne bie inxi) p^iIofo))]^ifc^en @eift be- leuchteten moralifd^en äSe(t@r{(!^einungen finb fo mannic^^ faltig unb unerfc^öpfli^, bag fie fic^ unter ben Rauben bed Sorfd^erd e^er üerbietfältigen, aU berminbern. 3(^ ^abe in S^ren SSerfud^en über berfd^iebene ©egenftänbe aud ber äRoral :c. aufS neue (Selegen- l^eit gehabt, bad fd^öne ))^i(ofof)^if(!^e Sic^t ^u bemunbern, bad @ie felbft über folc^e ®egenftanbe ju verbreiten h)ugten, bie ber SBidlü^r aQein i^ren Urfprung unb i^re Sform ju berbanlen fd^ienen. g^re ^Betrachtungen über bie ©teile bon Sto^efoucaulb finb getoig bad ©ebad^tefte, mad ie über biefen ^egenftanb mag gefagt ober gefd^rieben tt)orben fe^n. 3c^ ern)a^ne ^ier begmegen biefed ^uffa^ed ind befonbere, weil er einer Strbeit, mit ber ic^ mic^ feit einiger B^it befd^oftige, iiemlic^ na^e liegt, unb mic^ gemigermagen }u Syrern 9lac^bar in biefem %ad)t ma^t. 3^ ^<^be ne^mlid^ ben SSerfud^ gemad^t, in einem 9uffa^e über ben aeft^etifc^en Umgang ben ®runbfa^ ber @c^ön^eit auf bie ©efeUjd^aft aniun)enben, unb ben Umgang ein Dbielt ber fc^önen ßunft ju betrauten. SDa id^ auf biefem SSege natür^^ lic^ertocife barauf geführt »erbe, ben fogenannten guten Ion, toie i^n Seiten unb Ser^altnige eingeführt ^aben, nac^ objectiben Principien bed ®t]i)mad^ ju beurt^eilen, fo lomme id^ S^nen fel^r na^e, obgleic!^ unfrc beiben getber nid^t ineinanber laufen. Aber ed freute mid^ uns enblic^, ju feigen, bag meine Sbeen über biefe jarten unb belilaten ^^anomene, ben S^rigen begegnen, unb bag mir in ben ^au^t))unften jlc^er einberftanben finb.

(£9 ift nod^ eine äRaterie, bie id^ bon S^nen borjugiSioeife be- leuchtet »ünfd^te, baiS IBer^altnil bed ©c^riftfleOerd ju bem fublilum unb bed $ublilumd ju bem Sd^riftfieDer. 3n unfern Seiten, n)o ein fo groger X^eit ber ^enfc^en feine eigentlid^e Srsie^ung burd^ Lecture befommt, unb loo ein anberer nic^t unbeträd^tlid^er Xl^eil ftd^ biefe (Srjie^ung burd^ ©d^riften jum ®efd^äft feinet SebenS mad^t, fc^eint ed mir eben fo intereffant aU jmeclmägig iai Innere btefed loe^fel^ feitigen SSer^SItniged aufjubeden, bie gfolgen bie ed .für beibe X^eile

120 Jacoby, Schiller und Garve.

^at, anthropologisch }u ettttvtcfeln; unb ed tuo möglich; buvc^ ein auf- geftedted ^ital üon bent, tvad e^ für beibe X^eile je^n fönute unb foUte, fiVi reinigen unb ^u Derebeln. SSieOeic^t {tnb @ie nid^t abgeneigt, biefe SWateric einmot 3^rer näliern ?ßrüfung ju unteriucrfen.

3c^ tDiQ S^nen be^ btefer Gelegenheit aud) ntelben, bag unfer Sournat nun gen)ig ju @tanbe lomnit, unb ade Umftönbe fid^ 5U S3egünftigung beffelben t)ereiniget l^aben. (Sd finb bereite 16 befannle unb gute ©c^riftfteKer bemfelben beigetreten, unb üerfpred^cn ben t^ötigften Snt^eil. S)arf iä) mir ^ofnung machen, bag n?ir ettoa in einem ber erften bre^ äRonal^ftüden üroa^ tjon 3^rer geber erhalten. @ie merben baburd^ unfre ganje @>efeQfc^aft l^öc^Iid^ uerbinben, am meiften aber

S^rcn

^erjüt!^ ergebenen unb ®ie innig öere^renben greunb

F. Schiller.

Dieser interessante Brief gibt in mancher Beziehung zum nachdenken Anlass. Zunächst beachten wir Schillers Worte^ er beschäftige sich seit einiger Zeit mit einer Arbeit, die ihn gewissermassen zu Garves Nachbar in diesem Fache mache. Schon aus Schwaben hatte der Dichter an Körner* 4. Oct. 1793 geschrieben, er sei froh, wenn er bei seinem körperlichen Leiden von Zeit zu Zeit ein kleines ganzes vollenden könne. „Ich habe jetzt wieder eine kleine Schrift, etwa wie «Anmuth und Würde» angefangen, die mir oft viele Freude macht. Sie handelt vom aesthetischen Umgang. So viel ich weiss, hat man darüber noch nichts Philosophisches, und ich hoffe, Du sollst an der Ausführung sehen, dass diese Materie von sehr vielem Interesse ist." Ueber das naive, setzt er hinzu, werde er gleichfalls einen kleinen Tractat aufsetzen. Dieser Aufsatz über den aesthetischen Umgang ist nie selbständig erschienen. Es scheint^ sagt Tomaschek,** er ist in die Briefe (an den Herzog von Augustenburg) selbst oder erst in deren spätere Ueberarbeitung für. die Hören verwobön worden.

Unzweifelhaft finden sich viele Gedanken über die Ge- sellschaft, vom „Grundsatz der Schönheit", wie unser Brief sagt, betrachtet, in den Briefen „über die aesthetische Erziehung"

* IP, 81. ** Schiller in seinem Veihältniss zur WissenBchaft S. 260 Anm. 2.

Jacoby, Schiller und Garve. ^ 121

(Hören 1795, 1. Stück). Man denke besonders an die Briefe 26 und 27, in denen Schiller zeigt, wie der Spieltrieb den Bildungstrieb aufweckt, wie erst, wenn das Bedürfiiiss ge- stillt ist, die Einbildungskraft ihr ungebundenes Vermögen entwickelt. Der aesthetische Schein der Dinge ist des Men- schen Werk; ein Gemüth, „'das sich am Scheine weidet,'** ergetzt sich schon nicht mehr an dem, was es empfangt, son- dern an dem, was es thut. Aber nur soweit der Schein auf- richtig ist und selbständig, ist er aesthetisch; sobald er Realität heuchelt und deren zu seiner Wirkung bedürftig ist, kann er nichts für die Freiheit des Geistes beweisen.** Erst durch mancherlei Uebergänge gelangt der Mensch auf jene Höhe der freien Betrachtung, auf der sich ihm die Welt wie ein Schauspiel darstellt. Gegen diejenigen, welche die Frage auf werfen: was hat wol die Gesellschaft dabei gewonnen, dass jetzt die Schönheit dem Umgange Gesetze gibt (vgl. Brief 10), führt Schiller durch, dass die Schönheit, wie sie den Streit der Naturen in seinem einfachsten Exempel, in dem ewigen Gegensatz der Geschlechter*** löst, ebenso wenigstens dahin zielt, ihn auch in dem verwickelten ganzen der Gesellschaft zu lösen und alles sanfte und heftige in der moralischen Welt zu versöhnen (Brief 27). „Jetzt wird die Schwäche heilig und die nicht gebändigte Stärke entehrt; das Unrecht der Natur wird durch die Grossmuth ritterlicher Sitten verbessert." Wenn in dem dynamischen Staate der Rechte der Mensch dem Menschen als Kraft begegnet, in dem ethischen Staate der

* S. „Das Ideal und Leben" 1795. „An dem Scheine mag der Blick mch weiden."

** Prolog zum Wallenstein: „Danket ihr's, dass sie . . . die Täuschung, die sie schafft, aufrichtig selbst zerstört und ihren Schein der Wahr- heit nicht betrüglich unterschiebt." Vergl. „an Goethe" (1800): „Der Schein soll nie die Wirklichkeit erreichen" und: „nichts sei hier wahr und wirklich als die Thräne; die Rührung ruht auf keinem Sinnen wahn. Aufrichtig ist die wahre Melpomene^ sie kündigt nichts als eine Fabel an."

*** Vgl. die Gedichte „die Geschlechter", „Macht des Weibes" (beide 1796 gedichtet). Wilhelm Humboldts Abhandlungen „über den Ge- schlechtsunterschied" und „über die männliche und weibliche Form" erschienen 1796 in den Hören.

122 Jacoby, Schiller und Garve.

Pflichten sich ihm mit der Majestät des Gesetzes entgegen- stellt, so darf er ihm im Kreise des schönen Umgangs, in dem aesthetischen Staate nur als Gestalt erscheinen, nur als Object des freien Spiels gegenüber stehen.* Hier darf weder das einzelne mit dem ganzen, noch das ganze mit dem einzelnen streiten; hier darf es nur Sieger, aher keinen besieg- ten geben. In dem Reiche des aesthetischen Scheins wird das Ideal der Gleichheit erfüllt, welches der Schwärmer so gern auch dem Wesen nach realisiert sehen möchte. Wie die reine Kirche, heisst es am Schluss in einer Anmerkung, und die reine Republik dem Bedürfniss nach in jeder feingestimmten Seele, der That nach wol nur in einigen wenigen auserlese- nen Girkeln sich finden, so ist es auch mit dem Staate des schönen Scheins, „wo nicht die geistlose Nachahmung fremder Sitten, sondern eigne schöne Natur das Betragen lenkt, wo der Mensch weder nöthig hat, fremde Freiheit zu kränken, um die seinige zu behaupten, noch seine Würde weg- zuwerfen, um Anmuth zu zeigen." Die Verfassung eines sol- chen Staates als „eipen ersten Versuch derselben" zu geben, verspricht Schiller zuletzt, offenbar auf die beabsichtigte Ab- handlung vom aesthetischen Umgange hindeutend.**

Aber nicht bloss in den „Briefen^ finden wir Gedanken, welche auf Schillers Beschäftigung mit diesem Thema hin- deuten: auch im Aufsatz über das „Naive" treffen wir solche. Schon 1794 hatte der Dichter freudige Befriedigung gefohlt über das zusammenstimmen aller seiner Ideen. In Schwaben waren sie reif geworden, und später gab er ihnen in rasch aufeinander folgenden Aufsätzen und Gedichten Ausdruck.***

* „Ideal und Leben" (1795) Strophe 6: „Da mag Eübnheit sich an Kraft zerschlagen** und: „Nur der Starke wird das Schicksal zwingen, Wenn der Schwächling nntersinkt**; Strophe 11: „Des Gesetzes strenge Fessel bindet Kor den Sklayendnn, der es verschm&ht"; Strophe 3: „Aber hei von j^der Zeitgewalt . . . Wandelt göttlich unter Göttern die Gestatf S t^rgl. 18.

** Vergl. Schillers Werke (Hempel) XV (hrsgb. von Maltzahn' und Boxberger) S. 444.

*** Sb schreibt er l)6c. 1795 Körner: „Der Aufsatz über aesthetische Sitten ist 86hon ein alter und ganz, wie er da ist, vor mehr als zwei Jahren in Schwaben gemacht.*' (Briefw. mit K. IP, 182.)

Jacoby, Schiller nnd GarTe. 123

^^Eine solche Einheit," schreibt er an Kömer* 5. Januar 1796, „als diejenige ist, die dieses System zusammenhält, habe ich in meinem Kopfe noch nie hervorgebracht." Es ist daher kein Wunder, dass auch in der 1795 in den Hören erschie- nenen Abhandlung „über die nothwendigen Grenzen beim Ge- brauch schöner Formen",** ferner im Aufsatze „über den moralischen Nutzen aesthetischer Sitten^', der 1796 in den Hören erschien, Schillers Gedanken über jenes Thema wieder- kehren und er an Garves Behandlung wenigstens anstreift.

Betrachten wir Garves Aufsatz*** in zusammengefasster Kürze die redselige Breite schadet der Wirkung seiner fein- sinnigen Abhandlungen, und zuweilen fallt leider dem Leser derselben das Wort Voltaires ein, le secret d'ennuyer est celui de tout dire wir werden sehen, dass Schiller in den „Briefen über aesthetische Erziehung" über „diese zarten und delikaten Phaenomene" ihm, wie er in unserm Briefe sagt, nahe kommt, aber doch nie mit ihm ganz übereinstimmt. Garves Aufsatz ist gewiss auch sittengeschichtlich von Interesse.

Auf Anlass der Bemerkung Rochefoucaulds, dass der vornehm gewordene Bürger die vornehmen Sitten eher unter Soldaten als unter Hofleuten erlernen könne, legt Garve sicli die Frage vor, ob und worin ein Vorzug des Adelstandes vor dem Bürgerstande existiere. Er betrachtet den Umgang als

eine „Kunst", die wie alle Künste nur durch Uebung zur Voll-

kommenheit gebracht wird; es ist Thatsache, dass „die grösste Feinheit der Sitten", „der wahrhaft gute Ton" nicht in den Handelsstädten, nicht in den Universitäten und Musensitzen, sondern in den Hauptstädten und B>esidenzen gesucht wird.

In der sogenannten guten Gesellschaft oder in der, welche sich an die grossen des Landes anschliesst, findet man mehr Personen, die ein natürliches Wesen zeigen, die Abwesenheit

* Briefw. IP, 134.

** Ursprünglich erschien sie in den Hören in zwei Abtheilungen: „von den nothwendigen Grenzen des Schönen besonders im Vortrag phi- losophischer Wahrheiten" und „über die Gefahr aesthetischer Sitten*^, sämnitl. Schriften X, 387 ff.

*** Versuche I. Theil, S. 297—462.

124 Jacoby, Schiller und Garve.

alles Zwanges und aller Spuren von Verlegenheit, den ver- traulichen Ton mit seines gleichen, der doch nie aus den Schranken des Anstandes tritt. Auch Hofleute ;,von sonst mittelmässigem Verdienste" haben diese Vorzüge. Um Fort- schritte in der Kunst des Umganges zu machen, ist der viel- fache und häufige Verkehr der Menschen unter einander noth- wendiger als zur Vervollkommnung jeder andern Kunst. Im Umgang „bringt jeder seine Gerechtsame, seine An- sprüche, seine Absichten, seine Leidenschaften mit;" es müssen Mittel gefunden werden, wodurch bewirkt wird, dass alle bei einander vergnügter sind, als sie einsam sein würden.

Müsse gehört zum Genuss des Umgangs, sie aber setzt Befreiung von Nahrungssorgen voraus: die begüterten adlichen besitzen weit mehr die Müsse als die reichen anderer Stande, die durch Geschäfte oder Gewerbe, denen sie ihre Reichthümer verdanken, abgehalten werden. Dazu kommt, dass auch sonst ungleichartige Menschen vereinigt und vergnügt werden durch einen „gewissen Genuss verfeinerter Sinnlichkeit". Der reiche Kaufmann aber bewegt sich in einem weit engeren Kreise von Gesellschaften, auf welchen er Einfluss hat; bei dem Adel da- gegen ist es allgemein Sitte, dass in den grossen Häusern viele täglich eingeladen und bewirthet werden, die niemals daran denken, diese Gastfreiheit zu erwidern. In der grossen Welt und an den Höfen ist die Gesellschaft zahlreicher, mannig- faltiger zusammengesetzt, abwechselnder: dadurch wird die Gleichförmigkeit in Geist und Sitten vermieden, dadurch wer- den die Menschen mehr geschickt, sich gegenseitig abzuschlei- fen. In dieser Sphaere wird in der That der Umgang, der nur eine Erholung des Lebens sein sollte, zu einem Geschäfte; die ganze Thätigkeit richtet sich darauf, Gesellschaften anzu- ordnen oder sich zu andern vorzubereiten. So sehr der Um- gang daher feinere Ausbildung befördern mag, „so kann er doch in Absicht der wahren Veredlung des Geistes die Stelle des Studiums und des ernsthaften Nachdenkens nicht ersetzen." Im BegrifiPe „des bürgerlichen Airs" (402 407) findet Garve folgende Bestandtheile: ein afiectiertes und cere- moniöses Wesen, welches die Pflichten der Höflichkeit über- treibt und weitschweifig macht, so dass die Gesellschaft da-

Jacobj, Schiller und Garve. 125

durch belästigt wird; dann eine gewisse Blödigkeit, die doch nicht ohne Stolz ist. „An allen Orten und Enden der Welt ist der edle Anstand derjenige, welcher das Bewusstsein einer gewissen Würde ausdrückt" (383). Die Furcht aber ver achtet zu sein oder verachtet werden zu können, die ein schick- liches Betragen erschwert, wandelt den adlichen viel seltner an, der oft doch nur ererbte oder unverdiente Vorzüge hat. Endlich finden wir Unwissenheit der bestimmten Rechte und Forderungen jedes Standes und also „Unwissenheit in Absicht des Grades von Freimüthigkeit und Zurückhaltung^^ .

Rochefoucauld aber hat Recht (408 411), wenn er meint, dieses bürgerliche Air verliere sich eher in dem rohen Militär- stande, unter dem Getümmel der Waffen, als in Gesellschaften, wo die äusserste Verfeinerung der Lebensart herrscht. Denn die schnelle Versetzung in eine glänzendere Sphaere muss die Schüchternheit und Affeetation eher vermehren als vermindern. In dem Militärstande, ist die Ansicht Garves, lernt der bürger- liche freimüthig und unerschrocken handeln, andrerseits ver- traulich und ohne Zwang mit sehr vielen und vielerlei Men- schen umzugehen. Nach diesen des weitem ausgeführten speciellen Beobachtungen kommt Garve zum Schluss, dass es „zwei Hauptarten der Erziehung des Menschen'' gebe; die eine nennt er die gelehrte, welche den Verstand bereichert, die moralischen Gefühle vervielfältigt und verfeinert, die andre die militärische, welche den Körper abhärtet, die Sinne schärft, den Muth stählt, in die Ausführung Festigkeit und Kraft bringt.

Auf jeder dieser Laufbahnen gelangt der Mensch zu ge- wissen Vorzügen und geht anderer verlustig. Nur wenn zuwei- len (428) durch glückliche Umstände sich in einer Person der militärische Geist mit dem philosophischen vereinigt, dann erscheinen die grössten Männer und die liebenswürdigsten Menschen. Friedrich II. von Preussen zählt er zu diesen.

Zum Schluss sieht Garve, „vielleicht in den Aufwallungen eines Enthusiasmus, der die Erfahrung in seinen Ahndungen überfliegt'', den glücklichen Zeiten entgegen, „wo von adlichen Sitten und bürgerlichem Air unter uns weit weniger die Rede sein wird/' wo auch Schilderungen wie die seinige „nur als

126 Jacoby, Schiller nnd Garve.

historische Denkmäler eines ehemaligen Zustandes der Dinge werden interessiren können" (446). Einerseits wird der ge- sellige Umgang in den höheren Classen immer mehr von den Fesseln willkürlicher Regeln befreit werden, andererseits die Gelehrsamkeit sich immer mehr mit dem Geschmack vereinigen. „Wo beide vereinigt sind, führen sie unfehlbar den Menschen zur Geselligkeit." Der wahrhaft grosse Mann, so schliesst Garve, ist ebensosehr über seinen eigenen Stand, und wenn er der höchste wäre, als über die übrigen Stände erhaben. Er für sein Theil strebt nach den Vollkommenheiten des Men- schen und nach den Verdiensten eines Weltbürgers.

Gewiss begegnen sich manche Ideen Schillers und Garves auch hier; in die Lücke, da Garve nur von der militärischen und gelehrten Erziehung redet, tritt Schillers aesthetische ein. Auch Garve sieht den Umgang als Kunst an; Freiheit von den Fesseln willkürlicher Regeln und Geschmack, das ist sein Gedanke, fahren den Menschen zu jener Geselligkeit, wo jeder, nach seinen Worten, „seine Gerechtsame" hat; auch er sieht am Schluss eine Zeit voraus, wo diese Geselligkeit ins Leben treten wird, ohne dass er so wenig wie Schiller an einen freien nationalen Staat denkt. Aber gegenüber Garves empirischer Beobachtungsweise ist Schillers Augenmerk darauf gerichtet, objective Normen des Geschmackes aufzustellen. In unserm Briefe vom 1. October 1794, in der Zeit, wo er schon mit der Arbeit an den „Briefen über aesthetische Erziehung" beschäftigt ist, deutet er daher sehr schonend an, dass bei aller Nachbarlichkeit „ihre Felder doch nicht ineinander laufen."

Seinem erhabenen Geist kann der Hinweis auf die „geist- lose Nachahmung fremder Sitten" nicht genügen; auch beim Umgang soll die Freiheit des Menschen in die Erscheinung treten, seine „eigne schöne Natur soll sein Betragen lenken".

Oben sagte ich, Schillers Gedankenarbeit streife nicht bloss in den „Briefen" an die Garves, sondern ebenso in dem Aufsatze, der ursprünglich in den Hören unter dem Titel erschien: „von den nothwendigen Grenzen des Schönen be- sonders im Vortrag philosophischer Wahrheiten", in welchem Schiller auch auf jene Abhandlung Garves über Rochefoucaulds Maxime hinweist. Schiller bespricht die drei Arten, Erkennt-

Jacoby, Schiller und Garve. 137

nisse mitzutheilen. Nach den Kategorien Kants soll die streng wissenschaftliche Darstellung die Erkenntnisse als nothwendig^ die populäre als wirklich^ die schone als möglich und wün- schenswerth mittheilen. Die wissenschaftliche Schreibart zeigt^ dass das vorgetragene sich* nothwendig so verhalten müssC; sie bewirkt strenge üeberzeugung aus Principien.* Der Ver- stand wird durch den stetigen Zusammenhang der Begriffe allein befriedigt; dieser aber wird jedesmal gestört, so oft die Einbildungskraft ganze Vorstellungen in diese Kette von Abstractionen einschaltet. Daher, sagt Schiller in einer An- merkung, wird ein Schriftsteller, dem es um wissenschaftliche Strenge zu thun ist, sich der Beispiele sehr ungern und sparsam bedienen. ^''^ Die schöne Darstellung erst zeigt die „beiden vornehmsten Eigenschaften^, Sinnlichkeit im Ausdruck und Freiheit in der Bewegung; sie trägt die Wahrheit so vor.

* Sämmtl. Schriften X, 390.

** Efl ist der Bemerkung sehr werth, dass Garve schon 1793 einen kleinen Aufsatz veröffentlichte „von der Popularität des Vortrages". Heinrich Kurz (a. a. 0. 331) meint, dieser Aufsatz „findet zum Theil in Schillers Abhandlung neue Begründung". Allein 1795 erschien die Schillersche, Garves Abhandlung 1793 in den „schles. Provinzialblättem", wo Schiller sie wol nicht kennen lernte; erst 1796 liess Garve sie im ersten Theil der „vermischten Aufsätze" (S. 331 358) wieder abdrucken. In dem unbedeutenden Aufsatz richtet sich Garve gegen diejenigen Schriftsteller aus der Kantischen Schule, welche an den Namen eines „Populärphilosophen" eine verächtliche Nebenidee knüpfen. Bilder und Beispiele, meint er, zeichnen den populären Vortrag am meisten ans: darum müssen dem Schriftsteller, der für das grössere Publicum arbeitet, neben dem Verstand auch Witz und Einbildungskraft zu Hilfe kommen. Er kommt zum Schlüsse, dass eine Untersuchung tief und gründlich und doch allgemein fasslich, selbst leicht sein könne.

Wenn Schiller Garves Aufsatz auch nicht gekannt hat, so ist es doch interessant, dass er sich mit einem ähnlichen Thema beschäftigte; in der Behandlung desselben fand man in Berlin, wie ich aus einem Briefe Wilhelm Humboldts sehe (1795 Nov. S. 213*), „die Art zu phi- losophiren wieder, an die man sonst durch Lessing^ Mendelssohn u. s. f. gewöhnt gewesen sei." Und Humboldt selbst setzt hinzu: ,^Sie haben mir noch nie ein Wort über diesen Aufsatz gesagt. Haben Sie doch die Güte, mir auch einmal historisch zu bestätigen, dass er yon Ihnen isi"

128 Jacoby, Schiller und Garve.

dass der Einbildungskraft ihre Freiheit bleibt trotz der innem Nothwendigkeit der Sache.

Aber, fährt Schiller aus, der schone Ausdruck passt ebenso wenig fQr den Lehrstuhl als der schulgerechte ftir den schonen Umgang und ffir die Rednerbühne. Daher hält er es für schädlich, wenn für den Unterricht der Jugend Schriften ge- wählt werden, „worin wissenschaftliche Materien in schone Form eingekleidet sind, denn der Verstand wird bei dieser Leetüre immer nur in seiner Zusammenstimmung mit der Ein- bildungskraft geübt und lernt daher nie die Form yon dem Stoffe scheiden. Ueberhaupt findet er es bedenklich, dem Ge- schmack seine Ausbildung zu geben, ehe man den Kopf mit Begriffen bereichert hat. Daher sieht man den Geist der Ober- flächlichkeit sehr oft in solchen Ständen und in solchen Cir- keln, die sich sonst nicht mit Unrecht der höchsten Verfeine- rung rühmen. „Herr Garve^', setzt Schiller in der Anmerkung hinzu, „hat in seiner einsichtsvollen Vei^leichung bürgerlicher und adelicher Sitten im ersten Theil seiner Versuche (einer Schrift, von der ich voraussetzen darf, dass sie in Jedermanns Händen sein werde) unter den Prärogativen des adelichen Jünglings auch die frühzeitige Kompetenz desselben zu dem Umgange mit der grossen Welt angeführt, von welchem der Bürgerliche schon durch seine Geburt ausgeschlossen ist.'' Garve aber habe seine Meinung nicht gesagt, ob in Absicht auf die innere Bildung des adelichen Jünglings dieses Vorrecht als ein Vortheil zu betrachten sei: „Wenn es auch fernerhin bei der Einrichtung bleiben soll, dass der Bürgerliche arbei- tet, der Adeliche repräsentirt, so kann man kein passen- deres Mittel dazu wählen, als gerade diesen Unterschied in der Erziehung, aber ich zweifle, ob der Adeliche sich eine solche Theilung immer gefallen lassen wird.''

Erst n^enn wir einer Wahrheit schon in hohem Masse mächtig sind, können wir ohne Gefahr die Form verlassen, in welcher sie gefunden wurde; man muss einen grossen Verstand besitzen, um selbst in dem freien Spiele der Imagination sein Object nicht zu verlieren. Die schone Darstellung soll die Totalität der Geisteskräfte beschäftigen; „sie bemächtigt sich des ganzen Menschen, seines Verstandes, seines Gefühls, seines

Jacoby, Schiller uod Garve. 129

Willens zugleich." Wer die Kenntnisse nicht bloss richtig er- fasst hat, sondern auch schön mitzutheilen weiss, beweist, dass er sie in seine Natur aufgenommen hat und in seinen Handlungen darzustellen fähig ist* Nichts als, was in uns selbst schon lebendige That ist, kann es ausser uns werden.

Bei dem aesthetisch erzogenen Menschen, das ist die eigentliche Meinung Schillers, die er zu Beginn des Aufsatzes anfuhrt und worin er mit Garve im wesentlichen überein- stimmt, sind „die sinnlichen und geistigen Kräfte in Harmo- nie" gebracht und in einem innigen Bündniss vereinigt.

Wie dann in der kleinen Abhandlung „über die Gefahr aesthetischer Sitten" 1795 gezeigt wird, dass der Geschmack verderblich im Gebiete des eigentlich moralischen wirke,** wenn er das erhabene Gefühl unserer personlichen Würde ver- dränge, wenn der Mensch im Conflict mit andern Aufforderun- gen die heilige Stimme der Pflicht überhört, so führt Schiller andrerseits in der ein Jahr später erschienenen „über den moralischen Nutzen aesthetischer Sitten" durch, dass der Ge- schmack der sittlichen Cultur zu Hilfe komme. „Der Geschmack fordert Mässigung und Anstand, er verabscheut alles, was eckigt, was hart, was gewaltsam ist." Dass wir auch im Sturm der Empfindung die Stimme der Vernunft anhören, fordert be- kanntlich der gute Ton, der nichts anderes ist als ein aesthe- tisches Gesetz, von jedem civilisierten Menschen. Der Ge- schmack, der die blinde Gewalt der Affecte bricht, bringt zwar noch keine Tugend hervor, aber er gibt dem Gemüthe eine für die Tugend zweckmässige Stimmung, weil er die Neigungen erweckt, die ihr günstig sind.

In unserm Briefe wünscht Schiller zuletzfc von Garve „das Verhältniss des Schriftstellers zum Publicum" und umgekehrt beleuchtet zu sehen. Dieses hat ihn in jener Zeit viel be-

* Yergl. „22. Brief über oesthet. Erziehang" und das Epigramm „Mittheilung" 1796 („bei dem Schönen allein macht das Gefäss den Gehalt").

** Vgl.. „der Genius** 1796:

„Wird der Empfindungen Streit nie eines Richters bedürfen,

Nie den hellen Verstand trüben das tückische Herz, 0, dann gehe du hin in deiner köstlichen Unschuld!'* u. s. w.

Abobit f. Litt.-Oxsoh. VII. 9

130 Jacoby, Schiller und Garve.

schäftigt. Schon vorher (12. Sept. 1794) forderte er Korner* auf y sein Ideal der Schriftstellerei bald möglichst hinzuwerfen. Als dieser erwiderte, durch Schillers neunten aesthetischen Brief sei die Materie vorweggenommen, meint Schiller, es sei vielmehr noch alles zu sagen übrig, und eine üebereinstim- mung in Principien ja eher zu wünschen als zu fürchten (10. November). Der Dichter entwickelt dabei seine Ideen; bei dem schriftstellerischen Vortrag solle auf die Gattung gewirtt werden, „und das muss durch die Gattung geschehen,^ zu- gleich solle auf jedes Individuum gewirkt werden, „und das muss durch Individualität geschehen." Also sei die Forderung: generalisierte Individualität. Die Materie sei aber noch unend- lich reicher, wie Kömer finden werde. Garve muss auf den vorliegenden Brief in einer Weise geantwortet haben,** welche Schiller nicht befriedigen konnte. Seinem Komer schreibt er nämlich: „aus dem Briefe Garves, den ich beilege, siehst Du, dass Du seine Concurrenz in dem Aufsatz über Schriftstellerei, auch wenn er über diese Materie schreiben sollte, nicht zu fürchten hast." Und hart bezeichnet Körner Garves Brief als das Geschwätz eines kranken.*** „Fast sollte man glauben, er hätte sich Mühe gegeben, die platteste und trivialste Seite des Gegenstandes herauszusuchen."

Gegen Ende desselben Jahres 1794, da Schiller in Re- dactionsnoth ist, stellt er dem Freund seine Lage vor: Goethe, Herder, Fichte lassen ihn warten, „Garve krank, Engel faul." „Ich rufe also Herr, hilf mir, oder ich sinke."

In ganz ähnlicher Weise, wie er Körner seine Gedanken über Schriftstellerei mittheilte, schreibt im Beginn des folgen- den Jahres Schiller an Garve in einem durch den Druck be- reits bekannten Briefe.! Dort bedauert er, dass es ihm nicht

* Briefw. mit K. II», 113; vgl. II, 121 und 123. ** Die „N. Freie Presse" in Wien, wie das Feuilleton in Nr. 4229. 1876. mittheilte, ist im Besitze Garvescher Briefe an den Dichter. Auf eine Anfrage bezüglich des Inhalts erhielt ich keine Antwort. **♦ 20. Nov. 1794. a. a. O. II, 126. t 26. Jan. 1796. s. Schillers Briefe, Berlin, allg. D. Verlags -Anst. II, 1, lU f. Das Original ist nach Aug. Kahlert, der das Schreiben zuerst im Deutschen Museum, Jahrg. 1. 1861. Januar Juni S. 144—146,

Jacoby, Schiller und Garve. 131

gelangen sei, Garve zur Behandlung des Gegenstandes aufzu- muntern. Es sei ein ganz eigenthümliches Unterscheidungs- zeichen der neueren Welt von der alten, den grossten Theil ihrer Ausbildung auf diesem Wege zu erhalten. Da beim sprechenden das Individuum sich schon mehr in die Sache mische und mischen dürfe, von dem schreibenden aber die Sache weit strenger gefordert werde, so müsse man auf ein Mittel die Aufmerksamkeit richten, der Sache nichts zu ver- geben und dennoch durch Mittheilung seiner Individualität den Vortrag zu beseelen.

In jenem Briefe übersendet Schiller das erste Stück der Hören mit dem Beginn der „Briefe über aesth. Erziehung". „Mochte der Inhalt des Stückes," schreibt er Garve, „Ihrer Aufmerksamkeit nicht unwerth sein." Da Garve damals all- gemein für einen Schriftsteller galt, der auch ganz besonderes Talent für die Fragen des Rechtes und der Politik bewährte,* so äussert Schiller: „Ich würde mich sehr freuen, wenn das politische Glaubensbekenntniss , das ich in dieser ersten Lie ferung meiner Briefe ablege, auf irgend eine Weise mit dem Ihrigen übereinstimmte." Zugleich gibt Schiller eine Recht- fertigung über den Gebrauch des Wortes „aesthetisch", gegen welches Garve Einwendungen gemacht haben muss. Es gebe in unsrer Sprache kein Wort, welches die Beziehung eines Gegenstandes auf das feinere Empfindungs -Vermögen bezeichne. Wie er von einem moralischen Umgang spreche, wenn er auf solche Verhältnisse gehe, die sich durch Pflichten be- stimmen lassen, von einem physischen, wo bloss das natür- liche Bedürfniss Gesetze gebe: so nenne er ihn aesthetisch, wo sich die Menschen nur als Erscheinungen gegen einander verhalten und wo nur auf den Eindruck, den sie auf den Schön- heitssinn machen, geachtet werde.

herausgab, fälschlich vom „25. Jenn. 94" datiert. Der Name des Adres- saten ist von demselben durch Vermnihang gefanden.

* Zunächst verweise ich hier nur auf Fr. Gentz Briefe an Qarve 1789—98 hn^gh. von SchOnhorn 1867. Dass die Abhandlung Garves „Über das Verhältniss zwischen Moral und Politik" 1788 sogar Kant zu seinem Entwurf „zum ewigen Frieden" (1796) angeregt hat, hoffe ich bei späterer Gelegenheit einmal zu erweisen.

9*

132 Jacoby, Schiller und Garve.

Für die Hören lieferte Garve nichts; seinem vertrauten Freunde* berichtet er: „Schiller, der mich auch unter die Mit- arbeiter seiner Hören gesetzt,** hat dabei mehr auf seine Anfrage bei mir als auf meine Antwort gesehen. Diese war weit mehr eine Entschuldigung als eine Zusage '^ (s. S. 117). Im Juni desselben Jahres 1795 bemerkt er vom fünften Stück der Hören, es enthalte interessante Materien und in den Aufsätzen auch gute Sachen. „Aber wo man schlichte Prosa erwartet, findet man Poesie; wo man Thatsachen oder gemeine Erfahrungen und leichte Schlussfolgen erwartet, findet man ein tiefsinniges Raisounement, dem man kaum folgen kann."*** Wie gut charakterisiert damit Garve seine und die Schiller- sche Art der Behandlung; was Wunder, dass Schillers „Briefe" seinen Beifall nicht ganz finden If „Ich dächte, leichte Sachen", schreibt er, „wären darin schwer gemacht. Gute, aber nicht tiefsinnige Ideen sind in einem tiefsinnigen Gewände vorge- tragen: das Umgekehrte würde mir besser gefallen. Suaviter in modo, sed fortiter in re." Die Gespräche der Emigrierten (von Goethe) haben ihm dagegen gefallen. „Das ist ein Wort geredet zu seiner Zeit." Im April des J. 1796 äussert er sich auch über Schillers Abhandlung über „naive und sentimentalische Dich- tung" ; ihm ist „die Eintheilung und die fernere Classification ein philosophischer lusus ingenii, recht artig, auch oft; lehr- reich, aber nur sehr willkührlich, aus der Luft gegriffen und auf die wirkliche Beschaffenheit der Dichter nicht anwend- bar." ff Von einer Einsicht bei Garve keine Spur, dass seine eigne Vergleichung der alten und modernen Dichter durch Schillers Behandlung eine ungeahnte Vertiefung erhalten hat!

* An Weisse a. a. 0. (1803) II, 186. ,

** S. ^fAnkflndigung der Hören", sämmtl. Schriften X, 270. *** Vgl. W. Humboldt (a. a. 0. 59) 17. JuU 1795: „Zuerst über die Hören. Man klagt im Ganzen über Mangel an Leichtigkeit . . .**

t An Weisse a. a. 0. 188. Vgl W. Humboldt aas Tegel 15. Aug. (a. a. 0. 70): „Ueber Ihre Briefe ist tiefes Stillschweigen. Jemand sagte mir, er verstehe sie nicht, und es sei eine schlimmere Undeutlichkeit als z. B. in Kant." Nur Gentz, „hier gewiss der denkendste Kopf", habe sie mit wahrem Enthusiasmus aufgenommen, tt An Weisse a. a. 0. 215.

Jacoby, Schiller und Garve. 133

Schiller ward immer unwilliger über die Auiiiahme der Hören, „nicht allein deswegen", wie er Humboldt schreibt,* „weil es zweifelhaft ist, ob uns das Publicum treu bleiben wird, sondern weil die Armuth am Guten, die kaltsinnige Auf- nahme des wenigen Vortreflflichen mir die Lust mit jedem Tage raubt." Dazu kamen nocli die Augriffe besonders gegen die „Briefe" von „lauter trivialen und eselhaften Gegnern."** So reifte der Gedanke an die Xenien heran: Goethe und Schiller unternahmen den kräftigen und rücksichtslosen Kampf gegen die meisten ihrer litterarischen Zeitgenossen. Der erste Gedanke, macht Palleske*** jetzt wahrscheinlich, gieng von Schiller aus. Nicht bloss die unbedeutenderen Poeten und Kritiker der Leipziger Geschmacksherberge, wie Schiller in einem Briefe an Goethe die Recensenton der neuen Bibliothek der schönen Wissensch. und Künste daselbst nannte, wurden von den Pfeilen des Spottes getroffen. Auch die sonst geheilig- ten Häupter Klopstocks, liamlers, Gleims, selbst der befreun- dete Wieland blieben nicht unverletzt. In diesem Kampfe verschonten jedoch beide Garve. Es ist für diesen ehrend genug, dass er neben Lessing, neben Kant, neben Voss von unseren grossen Dichtern allein rühmend genannt wird. Zwar war er, der älteren Generation angehörig, in gewisser Be- ziehung doch ein Vertreter der zurückgebliebenen Richtung. Doch Garve war nie so einseitig befangen wie Nicolai in Berlin und wie die Leipziger; er rühmte nicht ruckhaltlos die neue Dichtung, aber er stand bescheiden und mit nüchtern prüfendem Urtheil vor ihren Schöpfungen.

In den Xenien zeigt Schiller seine liebende Zuneigung zu dem Freunde seiner Jugend, dem er so manche Anregung ver- dankte, in einem schönen Epigramme. Garve war von schwerer Krankheit heimgesucht, aber die Standhaftigkeit des Geistes hatte er sich bei allen Schmerzen bewahrt. Darum redet ihn der Dichter an:

Hör' ich über Geduld Dich, edler Leidender, reden, 0, wie wird mir das Volk frömmelnder Schwätzer verhasst.

* A. a. 0. 90 (1795, 21. Aug.). ** An Körner (Nov. 1795) a. a. 0. II, 177. *♦* Schillers Leben II«, 370.

134 Jacoby, Schiller und Garve.

Diese Verse sind, was selbst Boas* und Saupe nicht bemerkt haben, auf den Aufsatz Garves ^über Geduld^ im ersten Theile der „Versuche" zu beziehen. So bekommt die Anspielung Schil- lers erst die volle Bedeutung. Ein Satz nur aus Garves Auf- satz (S. 88) zeuge von dem Geiste der Schrift: ,,wenn sich in der Seele eines Weisen diese Principien der Religion (das dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele); geläutert von den Schlacken des Aberglaubens und der Schwärmerei, mit allen Vorzügen der intellectuellen und moralischen Bildung . . . ver- einigen, . . . welches weit edlere Schauspiel giebt nicht sein Sieg über das Uebel?^'

Garve seinerseits lobte die Goethe- Schillerschen Epigramme nicht, da er die rühmlichen Absichten beider nicht erkannte, noch viel weniger aber die rein persönlichen und grob gehal- tenen „Gegengeschenke an die Sudelköche in Jena und Wei- mar," welche Manso gegen die Dioskuren veröflfentlichte.** „Hätte mein Freund Manso," schreibt er Weisse am 6. De- cember 1796, „mich zu Rathe gezogen, so hätte er sie unter- drückt. Der Unwille, nicht die MuF:e, hat sie ihm eingegeben."

Voll Unwillen, wie er 14. Januar 1797 schreibt, den der Angriff wie die Vertheidigung der poetischen Streiter in ihm erregt hatte, gab er seiner Stimmung in sechs Epigrammen Ausdruck: an einigen Abenden, wo der Sehmerz an seinem Auge ihn zu allem lesen unfähig gemacht, habe er sie ver- fasst.*** Das erste Distichon, das hier stehe, spielt nach Garves eigenen Worten auf das wirklich gute in Schillers Musen- almanach an, wo den Deutschen empfohlen wird, alles mit Lust und Liebe zu thun.

Die Selbstverdammung.

Ernst und Liebe, sie kleiden, so sagt ihr, einzig den Deutschen. Deutsche seid ihr; drum stehn Spotten and Hassen euch schlecht.

Gegen Manso aber richtet sich „die unerlaubte Verstellung":

* Boas, Xenienkampf 1,111; Saupe, Die Xenien 1862, S.133; Sämmtl. Schriften XI, 118.

** Sehr sorgsam darüber Boas und Maltzahn, Schillers und Goethes Xenienmscr. Berlin 1866. S. 191—196. *** An Weisse a. a. 0. II, 241.

Jacoby, Schiller und Garve. 135

Heuchlerisch loben, was man im Herzen verachtet, ist schändlich. Ist's dann, in Versen zu schmähn, was man doch achtet, erlaubt?

Im Februar bittet er seinen Freund Weisse ängstlich, von seinen „Spielereien^ ja keinen Gebrauch zu machen^ da er bei diesem „fatalen Gezanke'' nicht genannt werden möchte. „Schon das ihm günstige Epigramm^ hätte er aus Schillers Almanach heraus gewünscht und ebenso, dass Nicolai* in seinem Nachtrage nicht diese Schonung gegen ihn „relevirt^^ hätte.

Schiller muss Nachricht über Garves Missstimmung zu- gekommen sein: er glaubte, auch Garve wie so viele andere** hätten sich von ihm abgewandt. Aber dieser fühlte das Be- dürfnisse mit dem edlen Dichter in einem ungetrübten Ver- hältniss zu bleiben. Besser als viele Worte wird der folgende Brief Schillers an Garve das bezeugen:***

3ena 6 Sßoöcmbcr 1797.

SSor einigen @tunben,t mein t^eurer unb üere^rter Sfreunb, erhalte ic^ 3^t fo ^erjlic^ed freunbfc^aftüoaed ©(^reiben, beffen ^n^olt mir aud me^r ald einem ®runbe erfreulich ift unb fe^n mug. 2)er t)orne^mfte aber ift biefer, ba^ ed mir eine SSerftc^erung ^f^xtv Siebe überbringt, ju einer Seit too id) m\6) burc^ ein SDtidDerftänbnig bed ^erjend, benn fo mujs iii ed nennen, uon 3^nen gefc^ieben glaubte.

* Boas, Xenienkampf 11, 10. In Nicolais „Anhangt* hiess es: „gegen Einige sind sie recht manierlich . . . bieten einem Voss oder Garve im Vorbeigehn eine Prise Weihrauchkörner aus ihren hölzernen Tabaks- dosen an. Danken schön ! es sind allzuschmutzige Hände darin gewesen." ** Herder war empört; Wieland fand Goethes und Schillers Muth- willen „kaum verzeihlich"; selbst der fdr Schiller begeisterte Boie, der ähnlich wie Garve sich von allem Parteitreiben fernhielt, billigte die Xenien nicht und hoffte auf „Besserung der beiden Sünder" durch Nico- lais „Anhang znm Musenalmanach". (Vgl. K. Weinhold, Boie, Halle 1868. S. 226.)

*** Garves Brief besitze ich leider nicht. Die Abschrift auch dieses Briefes verdanke ich der Güte des Hrn. Dr. Salomon Hirzel. S. im übrigen S. 143.

t S. Schillers Kalender (8.53): „6. Nov. ^"_*q" - Am 8. Nov. steht

im Kai. „von Garve (Schrift über G. und E.)". Es war der lII.Theil der Versuche, die erste Abtheilung von „Gesellschaft und Einsamkeit" enthaltend, 1797. Uebcr den Brief, der am achten bei Schiller eintraf, sieh S. 143.

136 Jacoby, Schiller und Garre.

aRic^ fc^merjte längft biefer ^battfe, aber i^ mugte ed ber 3(it überlaffen, fic^ ^ier ind Wlxttd ju f(^(agen, ba in @Qd^en ber moralt^ fd^en Smpfinbungen burc^ ^Hörungen nic^t biet Qudgerid)tet n?trb.

Um fo mcl^r banfe i(% mein bortreflic^cr grcunb, für biejcn unerh)Qrtcten freittjilligcn Hu^brucf g^resJ eblcn ^crjcn«, ber feine boQe Sßirfung bei mir get^an ijat unb mi^ ben SEßert^ ^tjxtx Vc^tung unb Siebe in bodem 3Raa% f^at em)}finben laffen.

SWein langet ®tiHf(^tt)eigen* auf ^i^xtn legten S3ricf unb auf baö angenel^me ©efd^en! ^f^xtx ©c^rift ift in ber erften 3cit bloß burc^ äufere jufallige Urfa^en unb bor^ügli^ meine an^altenbe ^ränf^ lic^teit veranlagt n)orben; nac^^er aber entfprang ed, toit ic^ nic^t löugnen mü, au^ einem geiui^en 3^cif^( in ^f^xt 3Bo^(meinung bon mir, in ben ic^ burc^ gen)i|e Insinuationen gefd^öftiger fieute berfe^t n^orben bin.

* 2)oc^ babon nic^td me^r. (£d ift ©c^abe, bag mir einanber nur burc^ büS unjureic^enbe Medium ber ©c^rift unb burd^ bag, meiftcnd unreine, Medium anberer SRenfc^en, nic^t aber ferfönli^ fennen. $ätten bie UmftöTibe nüc^ einmal mit ^ijntn, t^eurer greunb, iufam^ menbringen moOen, fo n^ürbe über meine 2)enfungdn)eife unb Smpfin^ bungdmeife in 3^nen bieOeic^t nie ein ungünftiger 3^cifcl t^uf- gefommen fe^n.

Unb fo tüürben h)ir und au(^ fe^r föa^rfc^eintic^ im Eaisonne- ment biet fc^netter unb leichter begegnen, benn nac^ meinen Erfahrun- gen n^irft bad Xotal unb bie^ boDftanbige Individualität eined SDlen? fc^en, bie nur im Umgang, im Slnfc^auen, unb in einer gemigen ©uite bed Sebenl^ erlannt mirb, bad gehörige Sid^t über feine einjelne Stuferungen, SReinungen unb Urt^eile.

SSäie tt)ünf(^te ic^, mein ebter greunb, bafe mein ©c^icffal mir bie @unft ern^iefen ^dtte, S^nen nä^er ju fe^n. S^nen ^mar tommt man in ^\)xtn ©c^riften näl|er, ate bei ben mc^rften ©c^riftfteflern fonft ber gaQ ift; l^eQ unb rein brüdt fic^ ^f)x ®eift, 3^r ^erj in aQem aud, toa^ ©ie fc^reiben.

^crjlic^ toünfc^e ic^ 3^nen fobiel ^citre leibenfreie ©tunbcn, at« 3^re Sränni(^!eit jutäfet. «uc^ bie Äränftic^feit ift ju loa« gut, ic^ ^abe i^r biet ju banfen.

fiebcn ©ie rec!^t loo^I ebler greunb. 3«Ö ^oerbe 3^nen ju einer anberen Stii einige ®ebanlen über 3^^^ ©c^rift bortragen.

©d^illcr.

Leider kann ich dem Leser nicht den folgenden Brief Schillers vorlegen, welchen er, nach dem Kalender (S. 54), am 27. November desselben Jahres an Garve abgesendet hat

* Seit 20. Mai 1796, 8. oben S. 188 Anm. **.

Jacoby, Schiller und Garve. 137

Vielleicht hat er darin über den zweiten Theil der „Versuche" einige Gedanken mitgetheili

In diesem zweiten Theile (1796 erschienen) steht unter anderem auch ein interessanter Aufsatz über die ,, Wahnwitzigen in Shakespeares Schauspielen und über den Charakter Hamlets insbesondere". Garve hatte während der Shake- speare-Vergötterung der siebenziger Jahre Gelegenheit ge- habt^ über das nachäffen Shakespeares in Wahnsinnsscenen Betrachtungen anzustellen'*'. Aber bei dem ersten Aufsatze dieses Bandes verweile ich allein^ weil sich von neuem zeigen wird, wie der Genius Schillers durch eine sinnige Betrachtung Garves, und hier auf seinem eigentlichen Gebiete, dem der Dich- tung eine Anregung erhielt. Erinnern wir uns zunächst, dass die Ballade „der Ring des Polykrates" im Juni 1797 ent- stand;** dass Schiller dann mit diesen Worten Goethe anzeigt: „Montag denke ich Ihnen eine neue Ballade zu senden; es ist jetzt eine ergiebige Zeit zur Darstellung von Ideen!"

Garve handelt in dem Aufsätze „über zwey Stellen des llerodots" zunächst über Solons Unterredung mit Kroesus (Her. 1, 30—33), welche er wörtlich übersetzt und dann darüber seine Reflexionen anstellt (S. 1 73). Der Gang der Unter- suchung ist dieser: In den Urtheilen und Aussprüchen Solons findet Garve schon die K^ime unsrer Moralphi^osophie. Dass Solon dea Reichthum nicht für Glückseligkeit gelten lassen will, ist schon von Interesse: denn der erste Schritt von der Roheit des Naturzustandes zur bürgerlichen Verfeinerung, sagt Garve S.13, ist die Liebe zum Eigenthum,*** darauf folgt die Achtung

* Erich Schmidt, H. L. Wagner. 1875, S. 3: „Eine Wahnsinns- scene durfte kaum in einem Drama fehlen.** Ich bemerke noch, dass Goethe bei Besprechung des Theater- Almanachs von IfFiand 1807 Nicolais Worte erwähnt, „durch das Spiel eines Brockmann und Schrö- der schaue man besser in die Tiefen von Hamlets Charakter als durch die Abhandlungen darüber von Goethe und Garve an bis zu Ziegler.** Goethes Werke (Hempel) 28. (hrsggb. von Strehlke) S. 700. In der Anmer- kung zu der Stelle fehlt nur der Nachweis über Garves Abhandlung.

** Kalender S. 44: „24 Juni. Ring des P. fertig.*'

*** S. das Gedicht vom J. 1798 „das eleusische Fest", das Garve (s. unten S. 144) rühmt. ,^Bei den Anfängen der Givilisation, überhaupt dem

138 Jacoby, Schiller und Garve.

des Reichthums unmittelbar. Der erste Schritt jedoch der philo- sophierenden Vernunft ist die Anerkennung des höheren Werthes der geistigen Güter. Aber Solons Antwort ist noch merkwür- diger „als Denkmal der ältesten griechischen Moralphilosophie ^ denn der Inhalt seiner Erzählungen. Neid und Schadenfreude legt Solon den Göttern bei, welche er doch als Geber aller menschenbeglückenden Güter vorgestellt hatte. Homer und seine Zeitgenossen bis herunter auf Solon schildern ihre Götter zum Theil verächtlich und doch haben sie Ehrfurcht vor ihnen. Aus ihrer Erhabenheit nämlich und der überragenden Macht, welche die ersten Gegenstände und Gründe der Verehrung sind, folgt^ dass die Götter sich dieselben nicht nehmen lassen wollen, dass sie diejenigen Menschen hassen, welche zu einer Gleich- heit mit ihnen aufstreben. Die Götter hassen den Uebermuth, das erste Verbrechen in den ältesten Religionen, der den Men- schen nach höheren Dingen streben lässt, als seiner Natur gemäss ist oder die festgesetzte Ordnung der Dinge erlaubt.

Der Neid also, den Solon bei Herodot den Göttern zu- schreibt, ist der Unwille eines höheren gegen den Uebermuth der niedrigeren; „das ist noch die Denkungsart unbefestigter und schwacher Regenten.'^ Als jedoch die Götter nicht mehr als menschenartigje Wesen von grosser, aber doch endlicher Macht aufgefasst wurden, gieng aus dem ältesten Begriffe des Neides der spätere der Nemesis hervor. Die Griechen glaubten nun, nicht das Glück der Menschen an sich missfiele den Göttern, sondern das unverdiente, das unwürdig erlangte, das übel an- gewandte und gemissbrauchte. Nach und nach endlich wurde die Göttin Nemesis selbst gerechter und weiser: aus einer „blossen Aufseherin* über die, welche unwürdiger Weise

Uebergange vom Nomadenleben zum Ackerbau verweilte Schiüers Phan- tasie vorzugsweise gem." Wilh. Humboldt Brfw.' Yorerinnerong 18.

'^ Dass Garve Herders Aufsatz Aber die Nemesis benutzt hat, ist dentlich. 1786 erschien dieser zuerst in den „zerstreuten Bl. Zweite Samm- lang/* Ein Jahr darauf schreibt Garve an Weisse (a. a. 0. I, 270) über Herders zst. Bl. : „auch der Aufsatz über die N. gehört unter die vor- züglichsten, die Herder geschrieben hat.** Herder sagt bei „Entwick- lung des Begriffs** ebenso von der Nemesis (zur L. u. E. 1830. 19, 170 f.):

Jacoby, Schiller und Garve. 139

zum Glück gelaDgen, aus einer blossen Ausgleicherin dessen^ was in den Schicksalen der Menschen zu ungleich ist^ wurde sie die austh eil ende Gerechtigkeit'^ (S. 49).

Lange Zeit blieb es die feste und unabänderliche Meinung der alten^ dass ausserordentliche Glücksfalle die Vorboten von Unglück wären. Unter vielen Beispielen^ sagt Garve (51); will ich dem Leser nur die Geschichte des Tyrannen von Samos^ PoljkrateS; beim Herodot (III) eingedenk machen; worauf er die bekannte Erzählung genau berichtet. Allerdings, setzt er hinzu, musste in jener älteren Zeit, „wo fast jeder Reiche ein glücklich gewordener Abenteurer und jeder Fürst ein Räuber einer unrechtmässigen Gewalt war^, in diesem Zustande allgemeiner Unsicherheit das Glück der Menschen noch häufiger und noch in einem hohem Grade als zu unsrer Zeit ab- wechseln.

Zur Balladendichtung wandte sich Schiller im Mai 1797; in einem Briefe vom 2. Mai bittet er Goethe um den Text von Don Juan, „um eine Ballade daraus zu machen''. Und Goethe hofft, die „allgemein bekannte Fabel, durch eine poetische Behandlung, wie sie Ihnen zu Gebote steht, in ein neues Licht gestellt, wird guten Effect machen.'^ Darauf wurde Schiller durch Goethes „Braut von Korinth" recht fBhlbar, wie er diesem am 23. Mai schreibt, „wie auch ein kleines Ganze, eine einfache Idee, durch die vollkomnme Darstellung einem den Genuss des Höchsten geben kann.''

Zu den am 14. und 19. Juni geendigten Balladen „der Taucher'' und „der Handschuh" hatte Schiller moderne Quellen benutzt; erst 1798 suchte er, nach einem Briefe im August an Goethe, in der Fabelsammlung des Hy gin nach ergibigen Stoffen.

Schadenfreundin ist sie nicht, da sie Unrecht verhütet und den Neid zu entfernen trachtet; »e ist „strenge Aufseherin und Bezähmerin der Begierden, des Uebermasses Feindin, die das Gleichgewicht herstellt. Her- der will aber nicht leugnen, dass der Name Nemesis und noch mehr ihr Beiwort Adrastea auch in weiterer Bedeutung gebraucht wurde, sogar dass Philosophen es zur austh eilen den Gewalt des Schicksals per- souificiertcn. Garve hat mehr als Herder die allmähliche Entwicklung aus „den rohen Vorstellungen des Alterthums'* in seinem Aufsatze betont

140 Jacoby, Schiller ond Garve.

Die Leetüre des Garveschen Aufsatzes musste ihm die be- kannte Geschichte von Polykrates poetisch zu behandeln nahe legen. Die „Darstellung von Ideen^ lag damals noch ganz in seiner dichterischen Disposition, auch im y,Taucher" tritt die Idee deutlich hervor, dass die Gottheit ein freventliches überschreiten der dem Menschen gesetzten Schranken bestrafe. Kömer tadelte, dass das übersinnliche im erzählenden Ge- dichte herrschte, er vermisste im „Polykrates" wie in den zwei Monate später verfassten „Kranichen des Ibjkus^ eine menschliche Hauptfigur. Schiller aber entgegnet darauf, dass Goethe nicht dieser Meinung sei'"; „die Darstellung von Ideen, so wie sie hier behandelt wird, hält er für kein Dehors der Poesie und will dergleichen Gedichte mit denjenigen, welche abstracte Gedanken symbolisieren, nicht verwechselt wissen."

Es ist schon gezeigt worden**, dass Schiller in unserer Ballade den bei Herodot episch aus einander liegenden Stoff räumlich und zeitlich zusammengefasst hat, wie femer das Glück des Polykrates nicht als ein vollendetes und fertiges, sondern als ein werdendes vor uns sich darstellt. Darauf aber weise ich noch hin, dass in der That in den Balladen des Jahres 1797 und speciell in unserer die Personen wenig cha- rakterisiert und individualisiert, dass sie vielmehr als Träger der Ideen unbestimmt gelassen sind, so dass der Dichter auch nicht Namen nennt. Furcht und Mitleid, wie im Drama, ver- steht Schiller in uns zu erregen und aufs höchste zu steigern: wir ahnen, die Glückesfülle muss mit heillosem Unglück endigen.

Und doch tadelt den Schluss M. W. Götzinger, der in seinem Buche „deutsche Dichter"*** meines wissens allein auf Garve mit der kurzen Bemerkung hinwies, seine „scharfsinnige Untersuchung über das Verhältniss zwischen Göttern und Men- schen veranlasste unser Gedicht". Denn, meint er, „wie das Ge- dicht jetzt, so plötzlich abgebrochen, erscheint, kann es nur der verstehen, der die Geschichte aus der Darstellung des Herodot kennt." Doch, wie mir scheint, tadelt Götzinger ganz mit Un-

ßrfw. II,« 296 (27. April 1798). ** Hoffmeist^r a. a. O. 1839. III 306; Viehoff, Scfaillera Gedichte erläutert II,* 176.

♦** M.W. Götzinger, Deutbche Dichter. 5. Auflage. Aarau 1876, II, 194.

Jacoby, Schiller and Garve. 141

recht den Schluss; Goethe lobte gerade^ dass die ^Erfüllung in SMSpeiwö^ bleibt.

Polykrates, der voll üeberhebung auf sein Glück gepocht hat gestehe, dass ich glücklich bin , will sich, durch den Freund gewarnt und endlich selbst „von Furcht bewegt", der furchtbaren Gewalt, die ihm droht, allein vergeblich entziehen; staunen, entsetzen, grausen, was der königliche Gast em- pfunden, fühlt auch der Leser oder Hörer: seine Phantasie erwartet zum Schlüsse das schlimmste. Es gibt gerade das un- bestimmte, wie Schiller im Aufsatze „über das Erhabene" einmal bemerkt, der Einbildungskraft Freiheit, das Bild sich nach eigenem gefallen auszumalen; und eine Stelle in Lessings Laokoon damit ergänzend, stellt er es als ein Ingrediens des schrecklichen hin. Und ich meine, gerade die Ballade liebt dieses Helldunkel, diese von Blitzen durchzuckte Nacht, wie die Go€tiieschen zur Genüge zeigen.

Zuletzt verdient gewiss bemerkt zu werden, dass Schiller der oben angeführten Andeutung Garves folgend, uns nahe genug gelegt hat: der „vergnügte" Fürst, der auf das be- herrschte Samos, das ihm „unterthänige", hinschaut, war ein solcher glücklich gewordener Abenteurer, wie Garve sagt, der durch Bezwingung derer, „die vormals seines Gleichen waren"*, zur Macht gelangt ist.

Garve hatte von Schillers dichterischer Grösse so wenig wie von der Goethes die richtige Vorstellung, obwol er die Dichtungen beider oft lobt, so die im Musenalmanach für 1797 befindlichen**. Im Januar desselben Jahres sagt er bei der falschen Nachricht von Engels Tode***: „eine solche Ver- bindung von Dichter- und philosophischem Genie, von so viel Klarheit und Popularität mit so vielem Tiefsinne existirt jetzt in dem weiten Räume der deutschen Autorwelt nicht, so weit ich dieselbe kenne." Dass Goethe und Schiller ihre dichte- rischen Zeitgenossen weit überri^ten, war ihm wie den meisten in jener Zeit keineswegs deutlich.

* Der Bote, der den Fall des Bebellen meldet, nimmt auch „ein wolbekanntes Haupt** hervor.

** An Weisse Nov. 1797 (II, 260). Ebd. II, 240.

142 Jacoby, Schiller und Garve.

Schiller hatte ihm, wie der oben veröffentlichte Brief Garves zeigte ^ bemerkt, dass ihm seine Schriften nützlich gewesen. Aber Garve ahnte nicht, was wir nun, auf Schillers erste philosophische Arbeit, auf seine Abhandlung über naive und sentimentalische Dichtung, auf die aesthetischen Briefe u. s. w. auf die Ballade aus der Zeit seiner künstlerischen Reife zurückschauend, wissen: dass der Dichter überall aus Kiesel Feuer zu schlagen wusste.

Gegen Ende erst von Garves Leben urtheilt Schiller über ihn unfreundlicher. In den neunziger Jahren war eine voll- kommne Revolution im deutschen Leben, in Wissenschaft und Kunst eingetreten. Die ganze Periode der Aufklärung hatte einen sehr gleichmässigen Charakter der Denkweise; mit dem Höhepunct der Wirksamkeit von Männern wie Kant, Goethe, Schiller trat die lange vorbereitete Umwälzung derAn- schauungen in Kunst und Wissenschaften deutlich und' in ihrer imponierenden Reife hervor*. Garve wie Mendelssohn und andre Popularphilosophen hatten der neuen Richtung und Bildung den Boden geebnet; sie waren die Wetzsteine für andere, wie Garve selbst einmal von sich sagt, gewesen: aber die neue Zeit erkannte ihr Verdienst nicht mehr unbefangen und ganz an.

Eine besondere Verstimmung musste in beiden Dichtem Garves Urtheil über Wilhelm Meisters Lehrjahre hervor- rufen. Zwar ist dieses mir nur bekannt aus den Briefen Garves an Weisse und Tbümmel, während die Briefe Garves an Schiller, in welchen er über die Xenien gesprochen und seine zurück- gebliebenen Anschauungen dargelegt haben muss, mir, wie oben schon (S. 135) bedauert wurde, leider nicht vorliegen : aber nicht viel anders wird er sich geäussert haben. Ich hebe hier ** nur hervor, dass Garve charakteristisch genug der Roman nur schätzbar ist wegen „gewisser tief ins menschliche Herz und Leben eindringender Reflexionen^; seinen Werth mache beson- ders die Philosophie aus, welche in dem Buche verstreut sei.

* Aehnlich darüber Dilthey, Sohleiermacher 1870 I, 79. Vgl. die Charakteristik dieser litterarischen Revolution bei Wilhelm Scherer, Vor- träge n. A. 1874 S. 340.

** Näheres über Garves Stellung zu Goethe hoffe ich später »i bringen.

Jacoby, Schiller und Garye. 143

Für ein „vollendetes Kunstwerk^ kann er den Roman nicht halten; er nimmt zudem daran Anstoss^ dass Goethe die oft geschilderte Schanspielerwelt uns vorfQhre. So urtheilte man auch in Berlin; man verlangte von Goethe einen neuen Werther^ und Humboldt schreibt an Goethe*: „auch begreift man nicht^ wie Meister sich ewig mit dem Theater beschäftigen kann." Die wenigsten Zeitgenossen, selbst der feinfühlige Humboldt nicht **^ fanden den richtigen Standpunct für die Beurtheilung. Kein Wunder daher, dass im Vergleich zu den begeisterten Aussprüchen Schillers, Eomers, Friedrich Schlegels überXjroethes Schöpfung, die so tief dichterisch und menschlich weise in allen Theüen ist, Garve gar kühl sich äussert.

Die am 6. und 8. erhaltenen Briefe Garves sendete Schiller mit der Bemerkung an Goethe am 22. November 1797, dass diese ihm „auf eine andere doch verwandte Art, als der Brief des Räthselmannes, die deutsche Natur vergegenwärtigen wer- den". Und Goethe, der am 24. sie zurücksendet, wünscht, „der arme alte kranke Mann schölte noch viel ärger auf uns, wenn er dadurch nur gesund und froh werden könnte/' Man bemerke bei diesem so guten und wackern Manne keine Spur eines aesthetischen Gefühls: „es ist aber nur gut, dass Sie ihn durch drei Worte wieder versöhnt haben" (s. den Brief S. 135).

Zuletzt spottet Goethe Über die Zumuthung, dass ein Autor Zeit seines Lebens seine besten Bemühungen verkennen und sich hänseln und hudlen lassen solle. Er „soll geduldig, seiner hohen Würde eingedenk, mit über einander geschlagenen Hän- den, wie ein Ecce Homo dastehen, nur damit Herr Manso und seines Gleichen auch in ihrer Art für Dichter passiren können."

Noch den Tag darauf beklagt sich Goethe in einem an- dern Briefe bitter über die prosaischen Naturen, deren Ur- theile grob materiell seien. ^Auf alle Fälle sind wir ge- nöthigt, unser Jahrhundert zu vergessen, wenn wir nach unsrer

* Goethes Brfw. mit den Gebrüdern H., hrsggb. v. Bratranek, S. 6. ** Vgl. die Beeprechaog des obigeu Brfw. von R. Henning Ztschr. f d. Alterth. VIII, 2, 122 (Anzeiger).

144 Jacoby, Schiller und Garve.

Ueberzeugung arbeiten wollen." Weiter führt er aus, dass ,,selbst ein Mann wie Garve, der doch auch zeitlebens gedacht haben will und fQr eine Art von Philosophen galt"^ nicht die yygeringste Ahnung von dem Axiom" habe, dass die Poesie doch eigentlich auf „die Darstellung des empirisch patho- logischen Zustandes des Menschen" gegründet sei. Die folgen- den Worte zeigen, dass auch Garves Urtheil über den Meister und Goethes Dichtung überhaupt nicht frei von tugendsamer Prüderie gewesen sein wird. ,,Hält Garve", so wendet sich Goethe an seinen Freund, „Sie nicht darum nur filr einen würdigen Dichter, weil Sie sich den Spass gemacht haben, die Aussprüche der Vernunft mit dichterischem Munde vor- zutragen? was wol zu erlauben, aber nicht zu loben ist. Wie gerne wollte ich diesen prosaischen Naturen erlauben vor den sogenannten unsittlichen Stoffen zurückzuschaudern, wenn sie nur ein Gefühl für das höhere Poetisch -sittliche, z. B. im Polykrates und Ibycus hätten und davon entzückt würden."

Nicht scharfer kann die Kluft bezeichnet werden zwischen der alten Geschmacksrichtung und der Dichtung Goethes, dem die meisten, nach Schillers Wort, seine Wahrheit und tiefe Natur nicht verzeihen konnten.

Auf den Brief und die Sendung, welche Schiller von Garve am 8. erhalten, antwortete er, nach dem Kalender (S. 54), am 27. No- vember. Dieses letzte Schreiben des Dichters an Garve wird gewiss freundlicher gewesen sein als die beiden kurzen Be- merkungen Schillers über ihn, die sich von dieser Zeit an noch in Briefen an Goethe finden. Am 2. März 1798 sagt er, Mounier ein franzosischer emigrierter, der in Weimar freundliche Aufnahme fand* sei ihm ein „würdiger Pendant zu Garven, der sich auch auf ähnliche Art gegen Kant pro- stituirte."

Garve seinerseits rühmte in dem letzten Briefe, den er geschrieben, an Weisse 30. October 1798, Schillers neuen Al- manach, „den seine Freunde ihm vorgelesen"; am meisten Vergnügen, wie er sagt, machte ihm das Bürgerlied (das eleu-

* H. Düntzer, Schiller u. Qoethe. Erl&ui zum Brfw. Stuttg. 1859. S. 162.

Jacoby, Schiller und Garve. 145

sische Fest). Goethes Producte nennt er zum Theil schwer, aber doch schon.

In der Nacht vom 30. November zum 1. December starb Garve. Schiller berichtet darüber am 18. Goethe sehr kurz: „Garve hör ich, soll jetzt auch gestorben sein. Wieder einer aus dem goldenen Weltalter der Litteratur weniger! wird uns Wie- land sagen." Bitter spielt damit Schiller auf Wielands Worte an, als dieser eine noch ungedruckte Öde Klopstocks in seinen Merkur aufiiahm:^ sie sei ^von dem grossten Dichter unserer Nation an den einzigen noch lebenden (Gleim) von jenen, mit welchen sich das goldene Alter unserer Dicht- kunst begonnen hat.^ Der kleinen Anzahl von Lesern th eilte sie Wieland mit, „die in diesen Hefen des achtzehnten Jahr- hunderts noch Siim und Herz för die liebenswürdigste der Musenkünste aus einer bessern Zeit gerettet haben."

In den früher erwähnten Epigrammen hatte Garve die beiden Dichter aufgefordert, an dem ungerechten Tadler durch grosse Schöpfungen Rache zu nehmen; diesen Rath befolgten sie in der glänzendsten Weise: von Goethe erschien „Hermann und Dorothea", Schiller arbeitete an seinem grossten drama- tischen Werke, dem Wallenstein.

Garves Epigramm aber, mit welchem ich die Unter- suchung schliessen will, lautet:

Eine Bache ist süss, die nimm an dem hämischen Tadler; Kränke, wenn Du es kannst, ihn durch ein Meisterwerk todt.

Ebd. S. 141 zu Nr. 390.

Arohiy i. Litt.-Obboh. VII. 10

Zur Faust -Litteratur. Von Robert Boxberger.

Der um die Littei*atur des deutseben Puppenspiels und um die Bibliographie der Faust - Litteratur hochverdiente Concertmeister Engel zu Dresden hat neuerdings wieder zwei Werke veröffentlicht, deren eines, wenn die auf dem Titel angegebene Vermuthung zu- träfe, gewiss das schönste litterarische Geschenk sein würde, welches dem deutschen Volke aus den Geistesschätzen des vorigen Jahrhun- derts hätte dargebracht werden können. Denn es handelt sich um nichts geringeres als um die Wiederauffindung des seit mehr als hundert Jahren flir verloren gehaltenen LessingschenFaust*. Die Geschichte dieses für unsere Litteratur unersetzlichen Verlustes ist bekannt genug; neuerdings mag man sie in Hempels Lessing -Aus- gabe XI, 2, S. 579 ff. nachlesen. Hören wir nun die Geschichte seiner vermeintlichen Wiederauffindung, wie sie Herr Engel S. XXVI ff. seiner Einleitung erzählt! Er erzählt zunächst von einem „herum - spukenden dunkeln Gerüchte, als sei ein Lessin^scher Faust anonym erschienen", doch sei dies eben nur Gerücht gewesen worüber nichts weiter an die Oeffentlichkeit kam. Wie mag also Herr Engel davon erfahren haben? Zunächst brachte nun das Wiener lUustrirte Musik- und Theater- Journal (I, No. 1.) im October 1875 einen Auf- satz mit der üeberschrift: Eine Spur von Lessings „Faust", unter- schrieben: Albert Roncourt. Darin heisst es: „So wenig wahrschein- lich nun es auch ist, dass sich selbst bei den sichersten Nachweisen über das weitere Verbleiben desselben das Werk nunmehr wirklich ein- mal vorfinden könnte, so ist doch jeder Lichtstrahl, der in dieses Dunkel fällt, schon des Autors halber hochwillkommen, und so mögen denn auch die folgenden Mittheilungen theilnehmende Hörer finden. Vor Kurzem machte mir mein geehrter Freund Herr Ernst Theodor Kretschmar die überraschende Mittheilung, dass er in einem alten Theaterkalender auf Lessing's «Faust» gestossen sei, der in einem Städtchen an der Donau um das Jahr 1779 herum aufgeführt wor- den wäre. Nach beiderseitig angestelltem Suchen in dem alten Werke

* Johann Faust. Ein allegorisches Drama in fdnf Aufzügen. (Ge- druckt 1775 ohne Angabe des Verfassers.) Muthmasslich nach 6. E. Les- sings verlorenem Manuscript. Herausgegeben von Carl Engel. Olden- burg 1877.

Rob. Boxberger, zur Fanet-Litteratur. 147

fand ich in der That die berührte Stelle. Der von Beichard heraus- gegebene «Theater-Kalender auf das Jahr 1779> (Gotha, bei Karl Wilhelm Ettinger) enthält in dem «Verzeichniss einiger in- und ausländischer Theatergesellschaften» unter I. Deutsche Theater, XXXII, mehrere Daten über die Usler- und Ilgener'sche Gesellschaft In dem angeführten Personalverzeichniss nun erscheint als Debütant «Herr Waldherr mit Mephistopheles inLessing'sJohannFaust» wörtlich angeführt. Auf Seite 160 endlich findet sich unter dem «Verzeich- niss der vom Jahre 1770 an im Druck erschienenen deutschen Schauspiele und anderer theatralischen Arbeiten» ein allegorisches Drama in drei Akten: «Johann Faust», Mtlnchen 1775 (also im selben Jahre, als Lessings «Faust» verloren ging) angeführt. Leider fehlt jede Buchhandlungsbezeichnung. „Herr Engel, ein bekannter eifriger Sammler aller Faust-Schriften, hatte auch auf diesen ano- nymen Münchner «Faust» angelegentlich Jagd gemacht, und nach vielen vergeblichen Bemühungen glückte es ihm, ein Exemplar dieses seltenen Werkes aus der Dorer-Egloffschen Auction zu erstehen, und er entschloss sich es der Oeffentlichkeit zu übergeben, „es für heilige Pflicht haltend, durch die Herausgabe desselben der weiteren For- schung zu Hülfe zu kommen.^' Wir können uns damit nur einver- standen erklären, denn obgleich dieses Product durchaus keinen Les- singschen Zuschnitt hat, ist es doch immerhin ein dankenswerther Beitrag zur Faust-Litteratur aus der Sturm- und Drangperiode, und es bleibt eine interessante Aufgabe der Litteraturforschung, den Ver- fasser zu ermitteln. Unter die „Stürmer und Dränger" gehört er jedesfalls. Die dichterische Diction ist nicht ohne Schwung und Feuer; sie regt mancherlei Empfindungen und Gedanken an. Aber das, was schon Lessings früheste Producte auszeichnete, der Zuschnitt nach den Bedürfnissen des Theaters, das eigentlich dramatische, der leb- hafte fortschreitende Gang der Handlung fehlt ihr durchaus. Davon hat der, jedesfalls junge, Verfasser dieses Stückes auch nicht die geringste Ahnung. Fausts Eltern kommen und gehen drei oder vier Mal ohne alle Motivierung und ohne, dass dadurch die Handlung im geringsten fortrückt. So konnte Lessing, der seit seinen Studen- tenjahren mit dem Theater innigst vertraut war, unmöglich dichten. Auch fragt sich sehr, ob dieses Stück jemals aufgeführt worden ist. Denn nichts zwingt uns, es mit demjenigen, worin Waldherr als Mephistopheles debütierte, für identisch zu halten. Letzteres mag eher irgend ein Text des Puppenspiels gewesen sein mit Einlegung der aus den Litteraturbriefen bekannten Lessingschen Scene, wo- durch man sich fCLr berechtigt halten mochte (da ausserdem in den Theaterkreisen bekannt war, dass Lessing an einem Faust arbeitete), das Stück für Lesaingisch auszugeben und den gefeierten Namen als Aushängeschild zu benutzen. Vergebens habe ich mich in dem vorliegenden Werke nach Eigenthümlichkeiten der Lessingschen

10*

148 Fielitz, Anz. von Uhde, H. A. 0. Keichard.

Diction, die doch so leicht herauszufinden sind, umgesehen; dagegen kommen eine Menge von Ausdrücken mit vor, die Lessing gewiss nie in den Mund genommen hat. Einige Male glaubte ich Aehnlich- keiten mit einem Stücke des Grafen von Soden, des „gräflichen Salbaders^\ wie ihn Schiller nennt, zu erkennen. Es liegt mir in folgender Ausgabe vor: Doktor Faust. Volksschauspiel in fünf Akten. Augsburg 1797. Soden ist 1754 geboren, und das fragliche Stück sieht trotz seiner allegorischen Einkleidung ganz wie das Mach- werk eines zwanzigjährigen Stürmers und Drängers aus. Die Rolle des Ithuriel ist beiden Stücken gemeinsam. Aber ich bin in dieser Litte- ratur zu wenig bewandert, um auch nur eine bescheidene Yermuthung zu wagen. So viel scheint fest zu stehen: Lessings „Faust^^ bleibt nach wie vor verloren, aber die Faust- Litteratur hat durch die besprochene Publication eine dankenswerthe Bereicherung erhalten.

Die zweite, ein Jahr früher erschienene Publication des Herrn Engel* schlägt in ihrem ersten Theile gleichfalls in das Gebiet der Faust-Litteratur ein und ist zugleich eine verdienstvolle Fortsetzung seiner Bemühungen um die Eenntniss unsers volksthümlichen Dramas. Der zweite Theil derselben ist ein Räuberstück, dessen Vergleichung mit Schillers „Räubern'^ nicht ohne Interesse ist.

H. A. 0. Reichard. (1751—1828.) Seine Selbstbiographie über- arbeitet und herausgegeben von Hermann Uhde. Stuttgart. Verlag der J. G. Cottaschen Buchhandlung. 1877. 553 SS. 8. Angezeigt von Wilhelm Fielitz.

Der unermüdlich fleissige Herausgeber, der seinen Beruf und seine Neigung zur Herausgabe von Memoiren an denen der Malerin Louise Seidler und des Schauspieldirectors F. L. Schmidt bewährt hat, beschenkt uns hier mit einer neuen Gabe, die an sittengeschicht- lichem und litterarhistorischem Interesse den vorigen nicht nachsteht. „Es ist das Erbe C. A. Böttigers und A. von Nordsterns, das hiermit angetreten wird,^' denn diese Männer hat Reichard zu Heraus- gebern seiner Memoiren bestinunt, die er, wie es scheint, in seinem späteren Leben zu schreiben begann und in verschiedenen Absätzen bis in das Jahr seines Todes fortführte. In treuere Hände hätten die Papiere nicht fallen können. Der Herausgeber gibt in der An- merkung S. 529 fg. Rechenschaft über seine Thätigkeit, die sich be- schränkte auf eihe genaue, mit Gewissenhaftigkeit vorgenommene Durchsicht, auf eine vielfach mühselige Berichtigung von Daten und Buchtiteln, auf die Eintheilimg des ganzen in Abschnitte und

* Deutsche Puppenkomödien. V. Christoph Wagner. Antrascheck und Juratscheck.

FieliU, Anz. Yon Ubde, H. A. 0. Reichard. 149

auf die Streichung etlicher Längen, welche zum Theil von Reichard selbst als solche bezeichnet waren. Bei der Redactionsarbeit unter- stützte ihn der gesammte handschriftliche Nachlass des Autobio- graphen, das Stammbuch, etwa 600 Briefe an Reichard ohne die Familienbriefe, femer seine auf der Dresdner Bibliothek befindliche Correspondenz an Böttiger. Uhdes Anmerkungen, meist Nach- weisungen von Schriften, Personen oder Daten, bringen nicht selten ungedrucktes Material und bekunden aufs neue des Ver&ssers Sorg- falt und Kenntniss.

Der Kriegsrath H. A. 0. Reichard war ein gebomer Gothaer und hat mit Ausnahme seiner Studienzeit und vieler Reisen sein Leben in Gotha zugebracht und seine Dienste diesem Lande und Fürstenhause gewidmet. So ist es denn natürlich Gothaische Special- geschichte, was in seinen Erinnerungen den Vordergrund einnimmt, namentlich ist der schwache, aber menschlich so liebenswürdige Herzog Ernst II. der Stern seines Lebens und, man möchte sagen, der Angelpunct seiner Darstellung; ohne dass ers weiss und will, wenden sich vor und nach dem Tode des trefflichen Fürsten die Blicke des treuen Mannes immer wieder auf die edle Gestalt des lieben Herrn. Als litterarisch interessant hebe ich aus diesem eng Go- thaischen Gebiete seiner Erzählung hervor die Mittheilungen über das von Gott er eingerichtete Liebhabertheater, sowie über entstehen und vergehen des Hoftheaters (S. 99 1 60). Ersteres, für welches Goethe seinen „alten Götzen^^ an Gotter schickte, ist nach Reichards Dar- stellung als Wiege des gesammten Theatergeschmacks in Gotha anzusehen; es öffnete dem Director Abel Seyler und dem späteren Hof- theater die Bahn, so dass es mittelbar die Veranlassung zu der wichtigen Rolle geworden ist, welche dieses letztere in der Geschichte des deutschen Theaters fast fünf Jahre lang gespielt hat. Auch was Reichard über die Gründung des Gothaischen Hofkalenders (Almanac de Gotha) und der Gothaischen Gelehrten Zeitung^ sowie über den Gründer, den Consistorialrath Emanuel Christian Klüp fei, mit- theilt (S. 37 42), verdient die Beachtung des Litterarhistorikers. Aber das Buch greift weiter. Gotha liegt so mitten im grossen Welt- und litterarischen Verkehr, und Reichard ist durch seine schrift- stellerischen Unternehmungen, den Theater-Kalender (1775 1800), die Revolutions - Almanache, Reisehandbücher u. a., durch zahlreiche Reisen, namentlich in die Schweiz und nach Paris, durch seine Stel- lung als vertrauter und als Bibliothecar des Herzogs Ernst und endlich als angesehener Freimaurer in so vielseitige Berührung mit der Welt ausserhalb Gothas gekommen und hat sich an den gros- sen Ereignissen seiner Zeit theils anschauend, theils in seiner Weise eingreifend so lebhaft betheiligt, dass sich seine Selbstbiographie zu einem höchst anziehenden und lesenswerthen Stück Geschichte jener Zeit erweitert, woraus auch die Litteraturgeschichte manches neue

150 Fielitz, Adz. von Uhde, H. A. 0. Reichard.

in ihr Archiv aufzunehmen findet. So ist nach Iteichards Andeutung durch des Herausgebers weitere Forschung der Verfasser des seiner Zeit so verbreiteten Werther- Lied es „Ausgelitten hast Du, aus- gerungen^', das Schlosser als Knabe an der Nordsee und Weser aus allen Kehlen seiner derben, aber sentimentalen Landsmänninnen er- schallen hörte, hier S. 76 A. 2 endlich mit grosser Wahrscheinlich- keit nachgewiesen, wenn auch die Personalien des glücklich ergriffe- nen noch der Ergänzung bedürfen.

Der S. 243 von Reichard erwähnte litterarische Abenteurer und Schwindler Grossing ist derselbe, der durch Schillers Gedicht „Die berühmte Frau** zur Unsterblichkeit verdammt ist. Die Leser dieses Archivs wissen, dass er dieser Strafe mit Erfolg sich entzogen hatte, bis es Boxberger (Archiv II S. 258 fg.) gelang, ihn wieder einzufangen, worauf dann auch Düntzer (IV S. 83 fgg.) weitere Details über sein Leben zu Protokoll gab. Reichard theilt uns nun mit, dass der „Marchese Grosse (der nach Körners Brief an Schiller II, 130 Goed. auch Verfasser des Genius war), vormals Jesuit und eigentlich Grossing geheissen (nach Düntzer a. a. 0. S. 83 vielmehr eigentlich Grossinger), in Gotha etwa ein halbes Jahr lang als Se- cretär des Obermarschalls von Studnitz fungierte und dass er dort seinen „Rosen-Damen-Orden^* ausheckte. Dies scheint, wenn wir es mit den von Düntzer gegebenen biographischen Notizen (S. 84) ver- gleichen, vor 1785 gewesen zu sein, in welchem Jahre er aus Kur- sachsen (Leipzig) ausgewiesen, nach Halle und von da 1786 nach Berlin gieng. Wenn Düntzer übrigens geneigt scheint, die Ent- stehung des Schillerschen Gedichts in die Mitte des Jahres 1788 zu setzen, wo Schiller aus der AUg. Litteratur-Ztg. schon wusste, dass dieser litterarische Gauner aus Berlin flüchtig war und steck- brieflich vei*folgt wurde, so möchte ich im Gegentheil glauben, dass es, als Schiller sein Gedicht schrieb, zu diesem Ende mit Schrecken noch nicht gekommen war, dass wenigstens Schiller noch nichts da- von wusste. Seine Kenntniss von dem treiben des Mannes hatte er vielleicht gerade aus Gotha, durch Gotters oder Ettingers Erzäh- lungen. Das Gedicht ist überhaupt so concret gehalten tmd so in- dividuell gefärbt, (man vergleiche die Verse:

„Ein Leipziger dass Gott ihn strafen wollte!

nimmt topographisch sie wie eine Vestung auf) dass es zwischen den „Göttern Griechenlands*^ und den „Künstlern^' eine wunderliche Figur macht und in Bezug auf seine Veranlassung und seine persönliche Grundlage, wie mir scheint, noch sehr der Auf- klärung bedarf. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich verschie- dentlich unter den berühmten Frauen jener Zeit umgesehen habe, wer gemeint sein könnte.

Von hohem Interesse siud auch die Mittheilungen Reichards über den bekannten Baron Grimm, der vor der Revolution Gesandter

Fielitz, Anz. von Uhde, H, A. 0. Beichard. 151

des GothaiBchen Hofes in Paris war, und über seine litterarischen Monatshefte, die, anfangs karze Zeit vom Abb6 Bajnal redigiert, dann als „Feuilles du Baron de Grimm", an allen Höfen und in den ersten Kreisen Deutschlands handschriftlich circulierten und unter anderm Diderotsche Werke: Jacques le Fataliste, la Beligieuse, handschriftlich verbreiteten. Noch vor der Revolution trat Baron Grimm von der Bedaction dieser Blätter zurück und übergab sie dem Zürcher Jacques Henri Meister. Von Gotha ist aus diesen Blättern manches nach Weimar und auch in unsere Litteratur ge- drungen. So hat Goethe die Affaire der Madlle Clairon, die er zu einer der Gespenstergeschichten in den „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten'* travestierte, dieser Quelle entnommen, so cursierten in Weimar im Jahre 1780 Jacques le fataliste* (vergl. Keil, vor 100 Jahren I, 220), und 1788 Diderots Biographie, von seiner Tochter (Schiller an Kömer I, 162). Der Vermittler in Gotha war wol meist der Prinz August, jüngerer Bruder des Herzogs Ernst (vgl. Schiller an Goethe No. 128), der Freund Goethes, Herders und Wielands, über den unser Buch höchst anziehende Mittheilungen enthält S. 116 123. Als Probe sei folgender Billetwechsel mit Herder herausgehoben:

1.

Mit vielem Danke ausgerüstet,

Kommt endlich hier zurück Hr. Jacques le fataliste;

Auch kommt mit ihm anbei ein deutscher Reichsbaron,

Der mit dem Schillingsfürst auf seinem Pfenningsthron

Gar sonderbare Händel hat,

Und ziehet um sein Land, und ruft von Stadt zu Stadt:

,,Heraus, heraus, Herr Schillingsfürst!

Mich sehr nach Deinem Blut« dürst't!'*

Ha^n Ew. . . . gelesen dieses Werk, So bitt' es zu verleihen dem Herrn von Frankenberg. W. d. 13. Sept. 1780

Herder.

2.

Es eilen Bartenstein und SchillingsfÜrst zurück;

Sie bringen tausend Dank, sie wünschen tausend Glück

Dem, der so gütiglich zur Leine sie beschieden;

Doch ruft ihr blasser Mund dem Feind vom Landesfneden:

* Aus dem dem Freiherm v. Dalberg gehörigen OriginalmanuBcript übersetzte Schiller 1784 für seine Thalia das „merkwürdige Beispiel einer weiblichen Rache*^ Auch hier möchte Gotha die indirecte Quelle gewesen sein.

152 Fielitz, Anz. von üfade, H. A. 0. Reichard.

,,Steck* ein! Steck* einl Du Rittersmann! Ich todt, nicht fromm regieren kann!**

Es danket für dies Werk Das Haus von Frankenberk.

August Pz. S.-Gotha.

Derselbe joviale und witzige Prinz unterschreibt einen Brief, in welchem er von einem Pasquill berichtet, das ihn zum gar9on cor- donnier stempelte: „August der Schustergeselle**. Sicherlich werden diese Notizen Reichards und des Herausgebers Anmerkung S. 123 dazu beitragen, diese ganz eigenartige Persönlichkeit in Zukunft vor der Verwechselung mit dem Herzog August, dem Sohne Emsts IL, sicher zu stellen, einer Verwechselung, der bisher dieser Prinz viel- fach anheimgefallen ist.

Aus obigen bisher unbekannten Billets erhellt, dass auch an neuen Documenten aus dem Buche Ausbeute zu holen ist. Verse von Zach. Werner, Matthison und vier vergessene Stammbuch- zeilen von Goethe, femer Billets von Goethe an Knebel und Reichard, von Herzog Ernst, Prinz August, Herder, Lessing und Corona Schröter an Reichard, Stellen aus Briefen von Salis, Matthison, Job. V. Müller und aus dem Briefwechsel Reichards mit K.A. Böt- tiger seien hier erwähnt und zum Schlüsse der Wunsch ausge- sprochen, dass dem Herausgeber noch mehr solcher Schätze zu heben glücken möge. Bodos Nachlass liegt, wie unser Buch mittheilt, ver- siegelt und in Kisten verpackt in Stockholm in der Freimaurerloge. Sollte der Bann unlöslich sein?

Auch Bertuch scheint nach einer Andeutung Reichards eine Lebensbeschreibung mit der Absicht der Verö£fentlichung verfasst zu haben. Wenn dieselbe in die ältere Weimarer Zeit zurückreichte und noch existierte welcher Schatz!

Miscellen.

1. Ein alter maccaronischer Vers.

Zur Zeit des Schmalkaldischen Krieges 1547 wurde ein Gedicht in Umlauf gesetzt, worin sich folgendes Distichon befand :

Gottswortum uestmm nee non qui schirmere ueUet^ Turcus erat, 6 ho perfida geseUevtas [söI].

Aus diesem Gedichte erzeugte sich die Sage von einem Bündnisse der protestantischen Fürsten mit den Türken wider den Kaiser Karl V., und erzählt wurde damals: „Es kamen zum Kurfürsten Johann Friedrich nach Lochau im Namen des türkischen Reiches des jungen Königs in Ungarn Johann Weida Gesandte und verhan- delten dort alles und brachten es zum Abschluss. Darauf ist der Krieg angegangen. Der König von Frankreich ist auch mit im Bündnisse gewesen und das Abkommen war folgendes: die deut- schen Fürsten sollten auf die und die Zeit einen Lärmen anrichten wider Karl V., alsbald wollte der Türke auch hinten in Italia und sonst, wo er könnte, hinter ihm her sein; item der Franzos u. s. w. Aber konnte denn das der Weisheit Karls lange verborgen bleiben? Er hat es bald erfahren durch die seinigen. Er bediente sich also folgender Kriegslist: während unsere Fürsten sich rüsteten, schickte er Gesandte zum Türken und Franzosen, stellte sich, als wisse er nichts von der ganzen Sache und bat beide Tim lange Freundschaft und um Bedingungen eines stäten Friedens; er liess beiden seine guten Gesinnungen gegen sie und sein besonderes WolwoUen aus- sprechen und beauftragte seine Gesandten, ihr Geschäft mit aller Kunst und Klugheit in die Länge zu ziehn, damit sie in der Türkei blieben und den Türken so lange still und auf hielten, bis er selbst in Deutschland wäre und den Krieg mit den unsem zu Ende führte, lugleichen mit dem Franzosen. Und wie ihm der Posse sei ange- gangen, hat der Erfolg gezeigt. Luther wusste um das Bündniss und verhinderte es nicht, Melanthon ist darüber in grosse Ungunst gekommen."

Archiv f. Litt.-Oksch. VII. 10**

154 Miscellen.

So iu Msc. Dresil. B 193. 4io. Abraham! Bucholzeri | LIBELLVS ARCANO-|rum, multaa res arduas | explicans, qiias Philippus I Melantbon (• piae memoriae -) | priuatim declarauit | loanni Perinario,* Za- |chariae Vrsino,** mihi \ Abrahamo Buchol-\ izevo*** et alija. Blatt 18': Foedus Turcicuin (• de quo Staphylus •).

Johann Karl Seidemann.

2.

Das Gedicht auf den Oeburtötag des Hofrat hs Loder

nicht von Schiller.

Das angeblich Schillersche Scherzgedicht auf den Geburtbtag des Hofraths Loder vom 28. Februar 1799 mit dem durchgehenden Keime auf -oren wurde zuerst mitgetheilt in dem „Gedenkbuch au Schiller vom Leipziger Schiller -Verein" 1865, S. 246 f. und dazu S. 239 f. bemerkt: „An der Aechtheit dieses Gedichts wird man vielleicht versucht zu zweifeln. Angegeben jedoch wird: Böttiger, damals Bector des weimarischen Gymnasiums, habe alsbald eine Abschrift durch den Primaner Kunze nehmen lassen und diesem gestattet, das Gedicht auch für sich abzuschreiben. Kunze wurde in der Folge Lehrer an der ersten Bürgerschule zu Leipzig und übergab dem Schiller -Verein im Jahre 1843 seine Abschrift durch Vermittelung J. A. Barths, der bei diesem Anlass Zeugniss für die strenge Rechtlichkeit Kunzes als seines genauen Bekannten ab- legte. Ohnehin war Kunze allgemein als ein ehrenfester Mann be- kannt, dem eine betrügliche Mystification nicht zuz\^ trauen war. Es empfing aber auch der Verein dasselbe Gedicht noch aus einer andern Hand, nämlich von der schon gedachten Fräulein Endner" (Kömers Nichte). Somit schien allerdings das Gedicht hinlänglich als Schillerisch beglaubigt und wurde von Goedeke ohne Anstoss in die kritische Ausgabe aufgenommen (XI, S. 300 f.). Das Gepräge des- selben ist freilich nicht sehr Schillerisch; auch muss es auffallen, dass Schiller in dem Briefe an Goethe vom folgenden Tage, 1. März 1799, kein Wort davon erwähnt, obgleich er schreibt: „Meine Frau empfiehlt sich bestens; sie hat gestern der Loderischen Komödie beigewohnt und sich ganz artig amüsirt." Nun macht es aber ein Brief Loders an Böttiger, der sich auf der Dresdner Bibliothek unter Böttigers Nachlass findet, mir sehr wahrscheinlich, dass

* Album Academ. Viteb. S. 282. »* Album S. 254. •** Album S. 237.

Miscellen. 155

das Gedicht nicht von Schiller, sondern vom Uofrath Schütz her- rührt. Der Brief ist zwar vom 6. Februar 1799 datiert, doch wird man leicht ersehen, dass „Februar^' nur für ,,März^^ verschrieben ist. Es heisst darin: „Die beiden Geburtstagsgedichtchen lege ich Ihnen in origifiali bei, und erbitte sie mir am Sonnabend wieder, Das von Schütz war ein Brief, den der Schreiber in der üeirath durchs Wochenblatt versiegelt zum Einrücken bekam, in der Komödie erbrach und selbst die Mitspieler dadurch überraschte. Herr von G obren ist unser Üniversitäts-Sekretär. Das Gedicht von Paulus declamirte Frommann als Jude. Nachdem Frommann in der von ihm beinahe ganz ausgearbeiteten Bolle gesagt hatte, dass er einen Kalender herausgebe, declamirte er den Horoskop vom 28. Febr. als Probe." Diese letzten Worte beweisen, dass Lo- ders Brief erst nach dem 28. Februar geschrieben sein kann. Dass aber mit dem Gedicht von Schük das unsrige, vermeintlich Schil- lerische gemeint ist; ergibt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit aus der Erwähnung des Herrn von G obren, denn es heisst in unserm Gedichte:

Doch weil darüber schon nachrichtlich Herr von Gohren In Protokollen spricht u. s. w.

Bobert Boxberger.

3. Gedichte von Rückert

mitgetheilt von A. M. Ottow.

Friedrich Bückert hat bei Herausgabe seines „Saul und David^^ eine Beinschrift des Gedichtes sSifertigen lassen, welche zur Ueber- reichung an den König Friedrich Wilhelm IV. bestimmt gewesen zu sein scheint, aber in den Besitz von Ludwig Tieck gekommen ist, aus dessen Nachlass sie in mein Eigenthum übergegangen ist. Auf zw«i Vorsatzblätter hat Bückert eigenhändig folgende drei Gedichte geschrieben:

An meinen König. 1.

Herr, Deine Huld hat dies mir eingegeben;

So würd' ich sagen, wenn ich schmeicheln wollte,

Die Müsse doch hast Du allein gegeben.

In der die Muse dies entfalten sollte.

Gott gab es ein und hat Gedeihn gegeben,

Dass sich's in Deiner würdigem Glanz entrollte;

und welchen Buhm das Werk mir dient zu gründen,

Der diene nur um Deinen zu verkünden.

156 Miscellen.

2.

Saul und David,

gedichtet Neasesa 1842, zwischen Johannis und Jacobi.

In dieses sonnenglühnden Sommers Glut Hab' ich dies Kind empfangen und geboren, Für das der beiden Sommerheil'gen Hut, Johannis und Jacobi, war erkoren: Es ward gesäugt von künftigem Traubenblut, Das grün in Beeren schwoll noch ungegoren. Und vollerblühter Bösen Kranz umkühlte Die Stirn ihm die begeisterungsumschwülte.

3.

Dank für den Verdienstorden.

Noch nicht gedankt hab' ich Dir für den Ordeu, Den ich von Deiner Huld empfangen habe. Ein schönerer ist nie gestiftet worden; Nur zweifelt' ich, ob ich verdient die Gabe. Doch seit vor mir, auf meiner Harf Accorden, Wie einst vor Saul, gespielt Isai's Knabe Ward ich von Unmut frei, um froh aus Franken, Mich würdig fühlend, würdig Dir zu danken.

Friedrich Bückert.

4.

In Adolf Strodtmanns „H. Heines Leben und Werke", I, 326 wird ein Soldatenlied, das zuerst in Nr. 97 der „Agrippina** vom 11. August 1824 abgedruckt war, als Heinen „ohne Zweifel'^ zu- gehörig bezeichnet.

Ich habe im Jahre 1874 von gemeinen Soldaten des Göttinger Bataillons, die aus den westfölisch- hannoverschen Grenzdistricten stanmiten, die letzte Strophe:

Alsdann so wird es heissen:

Ein Vogel und kein Nest.

Nun, Bruder, hftng den Schnappsack an,

Du bist Soldat gewest

vollständig, und noch einige Verse, oft auf dem Marsche obwol nicht ganz laut singen hören. Höchst wahrscheinlich ist also Heines Bemerkung, der es jener Zeitschrift als „Volkslied , das er im Hannövrischen aus dem Munde des Volkes aufgeschrieben", ein- sandte, buchstäblich wahr.

F. L.

Jacob Wimpfelings Stylplio.

Von Karl Goedeke.

Es hat sich in den letzten Jahren ein erfreulicher Eifer für Erforschung der humanistischen Dichter vom Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts kund gegeben^ der die Schick- sale der Schriftsteller und ihre Werke in stets helleres Licht stellt. Ich darf nur an die anziehende Biographie Reuchlins von Geiger^ an die fleissigen Forschungen Hehles über Locher- Philomusus und an Wiskowatoffs Monographie über Jacob Wimpfeling erinnern, denen sich einige nicht minder dankens- werthe Arbeiten anschliessen. Die grosste Schwierigkeit; welche diese Forscher zu überwinden hatten , lag in der Zusammen- bringung der Quellenschriften; die zum Theil so selten sind; dass nur nach langem herumfragen und unter Begünstigung des Glücks ein Exemplar erreichbar wird. Diesem Umstände mag es zugerechnet werden; dass z. B. Wiskowatoff ein Werkchen Wimpfelings entgangen ist; das schon deshalb zu den interes- santeren dieses Autors gehört; weil wir darin die erste Komoedie der Humanisten besitzen. Ich meine den StylphO; der gleich mitten in die Polemik der Humanisten gegen die Unwissenheit der mittelalterlichen Pfründen&esser einführt. Es ist ein Heft von 10 BU. in Quart. Auf der Rückseite des Titels: ;,Stylpho Jacobi Vympfelingii Slestatini^ ist die Begleitschrifl; des Eu- charius Gallinarius Brethemius an den Magister der Philo- sophie Berthold Kyrsmann von Horb abgedruckt und ex spiris Kaien, septembris Anno 1. 4. 9. 4. datiert. Es heisst darin: Apologiam quandam instar Gomoediae nuper inter quae- dam Vympfelingii Sletstatini opuscula reperi; quam ipse quon- dam in Heydelbergensi gymnasio dum vicecancellarium gereret

Abohiy f. Litt.-Obboh. VII. 1 1

158 Goedeke, Wimpfelings Slylpho.

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ad licenciandos quosdam recitavit. Die conclusio ist unterzeich- net: Jacobus Yympfelingius Sletstatinus recensui Anno christi M. CCCC. LXX. Ein Exemplar bewahrt die Wolfenbüttler Bibliothek; ein handschriftliches Exemplar befand sich in Got- tingen (Dram. 5253 mspt.)^ ist aber nicht mehr zu finden. Wiskowatoff (S. 39 Anmerk. 32) kannte jene Conclusio nicht und hielt deshalb die Bemerkung Burkhards , dass fär 1470 zu lesen sei 1480; für befremdend , da eine Jahreszahl überhaupt nicht genannt sei. Sie ist jedoch ganz deutlich genannt; und dem alten Wolfenbüttler Bibliothecar durfte das schon geglaubt werden, was er als Thatsache angab. Es ist übrigens kein zwingender Orund vorhanden; mit Burkhard an d^r Richtigkeit des Datums 1470 zu zweifeln; da der yicecancellarius des Her- ausgebers Gallinarius eher auf Irrthum beruhen mochte als das Schlussdatum des Autors, der 1470 zwanzig Jahre alt war. Und zu diesem Alter passt die Eomoedie ganz gut.

Seit jenen Stücken der Hrotsuith von Gandersheim; die den eleganten Stil des Terenz retten sollten; ohne den frivolen Inhalt des römischen Eomoediendichters zu theileU; war in Deutechland keine ähnliche Arbeit in classischem Gewände aufgetreten. Terenz, dessen' Andria im 11. Jahrhundert Notker übersetzte und mit dessen Eunuchus 1486 die Bestrebungen der Uebersetzer wieder erwachten, war das ganze Mittelalter hin- durch ein vielgelesener Autor geblieben und dientC; trotz aller Verschiedenheit seines Stoffes und trotz der Unähnlichkeit sei- •ner Fabel, auch dem Stücke Wimpfelings zum Muster. Dasselbe führt zwei junge Leute vor, von denen der eine, Stylpho, als Cortisan von Rom nach Deutechland heimkehrt, versehen mit päpstlichen Anwartschaften auf Pfarren. Er vermag jedoch keine derselben zu realisieren, da er ein leichtes Examen nicht aushält. Zu nichte anderem tauglich, wird er Schweinhirt.

Schon aus dieser Notiz erkennt man Tendenz und Kern des Stücks. Die stupiden Pfründenfresser, die, wenn sie sich zu Rom in den Eselställen der Cardinale umgetrieben, nach Deutechland zurückkehrten, sich hoher Gönnerschaft; rühmten und sich einredeten, es konnte ihnen, trotz ihrer völligen Un- wissenheit; nun nicht fehlen, diese bilden den Gegenstand des Spottes. Sie, die das armseligste Examen nicht bestehen, will

Goedeke, Wimpfdings Siylpho. 159

Wimpfeling s^en^ taugen nicht dazu^ Menschen zu weiden, sondern das Vieh.

Er scheint die Züge, mit denen er seinen Helden schil- dert, der Wirklichkeit entlehnt zu haben; wenigstens macht die lebendige anschauliche Haltung des Stückes diesen Ein- druck, als sei es aus dem Leben geschöpft. Stylpho kommt von Rom zurück. Er meint, keinem seiner früheren Genossen nachstehen zu müssen, da keiner mit dem Glücke auf so ver- trautem Fusse lebt, wie er. Da ist besonders noch sein Alters- genoss Yincentius, der in Heidelberg seine Studien treibt und. allerlei nichtsnutze Dinge lernt, während er, Stylpho, seine Zeit in Rom, dem Heil und Hort der armen, besser angelegt hat. Er will Vincentius aufsuchen, um ihn auszulachen, dass er es sich so sauer werden lasse. Da kommt dieser gerade von Heidelberg in das heimatliche Dorf, um seine Eltern zu vermögen, dass sie ihm die Mittel zur AnschafiFung einiger nöthiger Bücher geben. Diesem kläglichen Schicksale gegen- über fühlt der Cortisan erst recht das ganze Gewicht seines Glückes. Er hat in Rom die Freundschaft des Bischofs von Ronen erworben und mit dessen Hilfe vom Papste vier Pfarr- anwartschaften erhalten, von denen zwei sogleich, die beiden andern hoffentlich bald zu verwerthen sind. Vergebens spricht sich Vincentius mit Entrüstung und Nachdruck gegen solche Häufung der Pfründen aus. Stylpho hört nicht darauf. Wenn nur der Pfarrherr in Offenburg bald das zeitliche segne I wenn nur der Dechant zu Haseloh bald von hinnen fahre!

Die beiden so ungleichen Jugendgenossen besuchen den Dorfpfaffen Lampertus, der, als Stylpho sich mit seinen An- wartschaften brüstet, sich mit Wolgefälligkeit erinnert, dass er ganz auf dieselbe Weise in den Besitz seiner Stelle gelangt ist, und den Vincentius, der auf die Frage, weshalb er so schweigsam sei, bescheiden den Umgang mit gelehrten und die Wissenschaft allen Reichthümem und Vergnügungen vor- zieht, mit seinem Spotte überschüttet. Was denn das lange studieren helfe? Die Wissenschaft fülle heutzutage, den Beutel nicht. Nicht die Universität, sondern Rom bezahle! Habe einer auch noch so viel gelesen und wieder gelesen, am Ende werde doch nur ein Dorfpfaffe daraus. Vincentius lässt sich

160 Goedeke, Witnpfelings Stylpho.

nicht irre machen. Er vertheidigt die Philosophen und Uni- yersitäten; wer diese wegstreiche ^ streiche Rom und den Papst weg und treibe Pfaflfen und Volk in die Irre. Was wol aus den unerfahrenen Pfarrherm werden solle, wenn die gelehrten nicht für ihre Bildung sorgen. Nur der vermöge die Wissen- schaft zu hassen, der sie nicht kenne. Der unwissende hasse die Bücher, wie die Eule die Sonne; an der Litteratur habe der Thor ein Vergnügen, wie der Bock an der Laute, und mit langen Ohren höre der Esel die Cither. Lampertus ficht das wenig an. Im Besitze alles dessen, was die Menschen als Be- dingungen eines angenehmen Lebens nennen, mit seinem Gelde und Hausrathe, mit seinem Silbergeschirre, seinem Viehstande und Weinkeller, mit seinem Gesinde und seinen gefüllten Spei- chern will er fortleben, wie er bisher gelebt; und als Vincentius ihm den Zweck seiner Reise und die Bücher (decretum et Pan- ormitanum jurisconsultissimum, Codicemque et quinqua^nta digestorum libros), die er sich mit Hilfe der Eltern anzu- schaffen wünscht, genannt hat, kann der Pfarrherr nicht Worte genug finden, um die unglücklichen Eltern zu bedauern, die nur immer hergeben müssen, während die Sohne immer noch mehr zu fordern wissen. Seiner Zeit habe er die Eltern nicht so in Anspruch genommen; zu Hilleshejm, Deventer, Zwickau und ZwoUe habe er so viel Partheken (panum portiones quas partiiecas vocant) gesammelt, dass, wenn sie alle auf einem Haufen lägen, hier auf dem Hofe der Raum dafür nicht aus- reichen würde. Vincentius fertigt ihn endlich mit der orien- talischen Wendung der Fabel von den sauren Trauben ab, die Lessing (Maltzahn 11, 250) aus der Narratiouum silva des Gilbertus Cognatus (Bas. 1567 S. 40) entlehnte, auch schon bei Poggius erzählt wird und hier so lautet: Vidit pendentes aselli testiculos vulpecula propeque casuros credidit, et diu se- cuta est praedam sperans. At postquam frustrata est (quia non cadebant testes), Ha, inquit, quam nigri sunt! nunquam illos esse potuissem!

Lampertus wendet sich wieder zu Stylpho, der seinen Eltern doch nichts abpressen, sondern sie an seinem Glücke theilnehmen lassen wolle. Es sei doch weit besser, sich um eine Pfründe als um die Philosophie zu bemühen, eine Ansicht,

Goedeke, Wimpfelings Si^lpho. 161

die Stylphos ungetheilten Beifall findet. Dieser begibt sich zum Bischof, dein er die päpstlichen Anwartschaften vorzeigt. Der Bischof erklärt, die Befehle des Papstes pflichtschuldigst ausführen zu wollen, es sei aber bisher gebräuchlich gewesen, nur solche zur Seelsorge zuzulassen, die vom Schuldirector ge- prüft worden. Stylpho möge deshalb zum Petrucius gehen und dessen Gutachten bringen. Petrucius, Stylphos ehemaliger Lehrer, freut sich ihn wiederzusehen, und will es noch mehr, wenn er in Bom die Wissenschaften nicht hintangesetzt habe. Es heisse freilich, wer in den Mauleselställen und bei den Cardi- nalen sich umtreibe, könne in den Wissenschaften nicht fort- schreiten. Löge das Gerücht nicht, so thäten die Cortisanen nichts als umherlaufen; sie gäben Boten und Zwischenträger ab und wären Köche, Metzger, Bäcker, Stallknechte, Schild- träger, Satteldiener, Hausmeister, und der heiligen Weisheit Verächter. Stylpho, der von solchen Dingen nichts wissen will, wird examiniert.

Ich setze den kurzen Dialog im Originale her, weil er den eigentlichen Kern bildet und im Referate das bisschen Witz vollends verlieren müsste.

Petrucius.

Die mihi, quodnam est Bucolici carminis apud Virgilium Caput?

Stylpho.

Tytire tu patulae recubans sub tegmine fagi.

Petrucius.

Hoc si pacto versus scandere soles, ex uno geminos mihi conficies versiculos. Opinabar Gallos sine legibus et sylla- barum mensuris effari sermonem; jam demum audio apud Italos quoque confusam et indiscretam vocabulorum pronuntiationem observari. Sed in his non vult praesul te ut pertemptem, Evangelicae magis doctrinae refert experiri quantum in te siet. Legito istuc duodecimum Lucae capitulum.

Stylpho. Accendite a frumento pharyseorum.

162 Goedeke, Wimpfelings Sfylpho.

Petrucius. Erosequere circiter medium.

Stylpho.

Sint lumbi yestri praecincti : et Inthemae ardentes in mani- bu8 vestris.

Petrucius.

Dixit, verbi huius quaenam prima est persona praesentis indicativi.

Stylpho. ' Dixo dixis.

Petrucius.

Quae est prima verbi huius narraverunt?

Stylpho. Narvo uarvas narvare.

Petrucius. Es tu de legitimo thoro?

Stylpho. Non sed sum de Laudenburga. ^

Petrucius. Quid est sacramentum? ,

Stylpho.

Est nobilissimum ydeoma ex fontibus Graecorum ortum habens.

Petrucius.

Regredere ad pontificem et simul quid de te sentiam lit- teris quas conscribam afferto.

Stylpho nimmt den Brief mit an den Bischof , der daraus ersieht; dass der examinierte sich besser zum weiden der Schweine als der Menschen eigne. Der Bischof jagt ihn fort. Der Priesterstand ist dem armen Stylpho nun verleidet; er meldet sich beim Ortsvorsteher als Küster. Die Stelle ist aber besetzt. Was soll er thuU; wenn er nicht verhungern will?

Goedeke, Wimpfelings Stylpho. 163

Da gerade ein andrer Dienst erledigt ist und da er gehört hat, dass auch Philosophen und Dichter das Landleben lieben^ so bewirbt er sich um jenen Dienst^ und diesmal nicht ver- geblich. Er wird Schweinhirt des Dorfes. Was weiter folgt, gibt Wimpfeling in der Conclusio an: ^ Welch ein wunder- barer Wechsel des Schicksals! Aus einem Höfling ein Acker- trapp! Der vertraute der Cardinale wird zum Knechte der Bauern, der aufgeblasne erniedrigt, der Seelenhirt zum Sau- hirten! Solch klägliches Ende nimmt die Unwissenheit! Vin- centius hingegen begibt sich mit der von den Eltern empfan- genen Unterstützung auf die Hochschule zurück, studiert eifrig die Bechte und wird zuerst cancellarius des Fürsten, dann mit dessen Hilfe Eanonicus und zuletzt wird er einhellig zum Bischof erwählt. Er verwaltete sein Amt mit Glück und Klugheit." Schon im Prolog hatte Wimpfeling die jungen Leute ermahnt, sich den Yincentius zum Muster zu nehmen und sich durch nichts vom Studium abhalten zu lassen. An die Väter der jungen Leute richtete der Prolog die Bitte, diese leichten Scherze günstig aufzunehmen, da man ja in dieser Zeit der Fasten sich des Ernstes entschlüge.

Jacob Wimpfeling als deutscher Schriftsteller,

Von Ludwig Geiger.

Es ist eine oft; gehörte und wesentlich richtige Behauptung, dass die deutschen Humanisten, trotz ihres Patriotismus und ihres glühenden Eifers für Verherrlichung des deutschen Namens, nur wenig in deutscher Sprache geschrieben haben. Aber dieses achtlose vorübergehen vor der heimischen Sprache hat seinen Grund nicht in der Verachtung derselben, sondern mehr darin, dass es für sie in Deutschland kein Publicum gab, zu dem sie reden konnten, dass sie daher, so sehr auch ihre Bestre- bungen dem Vaterlande geweiht waren und ihm wirklich Nutzen gebracht haben, dennoch sich genothigt sahen, in einer Sprache zu reden, die, als Weltsprache, von allen geredet wurde und deren gute Anwendung den sprechenden Ebenbürtigkeit unter den anderen Nationen sicherte. Zudem lag den gelehrten, die eine geistige Erneuerung unter den gebildeten anstrebten, eine directe Einwirkung auf das Volk ziemlich fem, weit ferner wenigstens als den Reformatoren, die eine religiöse Wieder- belebung versuchten. Wenn sie aber durch irgend eine Ver- anlassung dem Volke sich zu nähern hatten, verschmähten sie nicht der deutschen Sprache sich zu bedienen und wandten sie in einer Weise an, deren sie sich nicht zu schämen brauch- ten. Beweis dafür sind Hütten s deutsche Schriften, die, aller- dings gleichzeitig mit den ersten reformatorischen Schriften, doch als humanistische Productionen bezeichnet werden dürfen. Beweis femer Job. Reuchlins Augenspiegel, eine Schrift, die darauf berechnet war, die von Reuchlin geliebte hebräische Litte- ratur vor den Augen von ganz Deutschland zu beschützen und das Recht freier Meinungsäusserung in wissenschaftlichen Dingen

Geiger, Wimpfeling als deutscher Schriftsteller. 165

zu Tertheidigeii; Beweis sind endlich die schon in der huma- nistischen Zeit nicht seltenen deutschen Uebersetznngen lateinischer und griechischer Schriften, die für diejenigen Volks- classen bestimmt waren, die, des lateinischen unkundig, sich doch an der neuen Bildung betheiligen wollten.

Auch Jacob Wimpfeling, einer der grossten Patrioten unter den vielen und eifrigen Vaterlandsfreunden seiner Zeit, hat, so sehr er auch für seine Schriften die Anwendung der lateinischen Sprache liebte, sich manchmal der deutschen be- dient.

Jacob Wimpfeling, dessen Lebensumstände und dessen Wirksamkeit, soweit sie nicht unsem Gegenstand betreffen, nur kurz berührt werden können, wurde geboren in Schlettstadt am 27. Juli 1450 und starb ebendaselbst am 17. Nov. 1528.*

Wimpfeling dürfte mit nicht minderem Rechte als andere, deren Ruhm unangetastet bleibe, den Ehrennamen eines „Leh- rers und Erziehers Deutschlands^ tragen. Nicht bloss deshalb, weil er eine sehr grosse Anzahl Schriften für ünterrichts- zwecke geschrieben, weil er die von anderen oder auch von ihm selbst ausgegrabenen schweren Barren in landläufige leichte, auch von unvermögenden zu gebrauchende Münze um- setzte, sondern deshalb, weil er nichts schreiben konnte, ohne ein Erziehungsbuch daraus zu machen. Diese Thatsache ist um so auffallender, als seine schriftstellerische Thätigkeit nicht, wie dies in jener Zeit bei seinen Genossen fast durchaus der Fall ist, eine einseitige, bloss der Verfechtung der humanisti- schen Ideen gewidmete, bleibt, .sondern eine vielumfassende ist und ebensowol Schriften enthält, welche die Vertheidigung der classischen Studien zum Gegenstande haben, als politische Auseinandersetzungen, historische Darlegungen, religiöse Strei- tigkeiten. Trotzdem tragen alle diese Schriften, so verschieden

* Genaueres Über W. bei P. v. Wiakowatoff, Jacob Wimpfeling, Berlin 1867. Vgl. Gott. gel. Anz. 1868 St. 42, S. 1671—1680. Das nene Bach von B. Schwarz, J. W., der Altvater des deutschen Schulwesens, Gotha 1875, ist für das biographische werthlos. Vgl. G. G. A. 1876 St. 44, S. 1391—1405. Angeführt zu werden verdient auch Otto Henses Aufsatz über Jacob Wimpfeling (in diesem Archiv Bd. 2. S. 321—839), und zwar ist hier besonders auf seinen Schluss (S. 387 ff.) zu verweisen.

166 Geiger, Wimpfeling als deutscher Schriftsteller.

sie ihrem Inhalte nach sind, einen gemeinsamen^ den erzieh- lichen Charakter: alle drücken gleichmässig aus, dass ihr Verfasser weder eine besondere Freude an der Form noch an dem Stoffe hatte, dass er also weder ausschliesslich ein Künst- ler noch ein gelehrter, sondern dass er vor allen Dingen Lehrer war. Zu diesem Berufe, dem er allerdings mehr durch Schriften als durch ein wirkliches Lehramt genügte, brachte er nun alle erforderlichen Gaben mit: er verband in harmo- nischer Vermischung Strenge und Liebe, er war von echter Frömmigkeit beseelt und von wackerster Ehrbarkeit in Ge- sinnung und Wandel.

Zweimal Uebersetzungen fremder Schriften abgerech- net, * deren Betrachtung in unseren Zusammenhang nicht passen würde hat Wimpfeling deutsch geschrieben, oder richtiger lateinische Schriften gleichzeitig deutsch herausge- geben, beide Male hat der Patriotismus ihm die Feder geführt.

Betrachten wir die zeitlich spätere Schrift zuerst. Sie wurde, laut dem Vorworte, am 14. Oct. 1501 abgeschlossen, ist aber, deutsch, erst im J. 1648 von Moscherosch heraus- gegeben.'^* Aber in dieser deutschen Gestalt wurde sie den Mitgliedern des Raths, die schwerlich des lateinischen mächtig waren, gleich nach der Abfassung übergeben, trug auch dem Verfasser ein ansehnliches Geldgeschenk ein, und es ist charak- teristisch genug, dass die deutsche Ausgabe vom Verfasser nur zu einem praktischen Zwecke benutzt wurde und nur die latei- nische vor dem wissenschaftlichen Publicum erschien.

Die Schrift zerfallt in zwei Theile, die streng genommen gar nicht zusammengehören. In dem einen handelt Wimpfeling über Stadtverwaltung, in dem andern sucht er nachzuweisen, dass das Elsass niemals zu Frankreich gehört habe. Ob er zu diesem Nachweise durch eine offen ausgesprochene gegentheilige Be- hauptung gedrängt wurde, ist nicht bekannt; möglicher Weise mochte er befürchten, dass das innerlich erstarkte und nach aussen, besonders nach Süden zu, kühn vordringende franzö-

* Vgl. Wiskowatoflfa. a. 0. S. 104 A. 1.

** Der Titel laatet: TntBchland Jakob Wympfflingers von Slettstatt SU Ere der Statt Straßbnrg vnd des Binstroms. Jetso nach 147 Jahren zum Truck gegeben durch H. M. Moscherosch. Straßbnrg 1648. 24 Bll. in 4.

Geiger, Wimpfeling als deutscher Schriftsteller. 167

sische Königthum Bhein-Gelüste hege; immerbin konnte er aber auch zur Abfassung derselben durch das streben bewogen worden sein^ seiner patriotischen Gesinnung erneuten Aus- druck zu geben.

Das Deutschthum des Elsasses will er nun durch drei Dinge beweisen: durch wahrscheinliche Vermuthungen^ durch treffliche Zeugnisse, durch bewährte Schriftsteller. Nachdem er diese seine Absicht kundgegeben, spricht er als seinen Satz, für dessen Wahrheit er den Beweis antreten will, folgendes aus:

„Niemals ist ein römischer König aus gallischem Stamme hervorgegangen, vielmehr stammten dieselben, wenn nicht aus Italien, aus aiideren Provinzen de^ römischen Reiches, aus Thra- cien, Arabien, Pannonien, lUyrien, bis auf Karl den Grossen, der ein Deutscher war und das römische Reich als Erbe den Deutschen übergeben hat, welche es in ununterbrochener Reihen- folge beherrschten. Caesars Meinung, dass der Rhein die Grenze von Gallien bilde, ist eine irrige; denn zwischen dem eigentlichen Gallien und dem Rhein liegt das ganze austrasische Land und die Vogesen, welche eine treffliche Scheidewand bilden."

Dieser Hauptsatz wird zunächst durch einige Yermuthun- gen unterstützt: die Erinnerung an Pipin, den Austrasier, sei so sehr in das deutsche Volksbewusstsein und in die sprich- wörtlichen Redewendungen eingedrungen, dass er schon des- wegen unmöglich als Gallier gelten könne; Karl der Grosse sei ein Deutscher, wie die durch ihn bewirkte Benennung der Monate und die seiner Kinder, femer der Umstand, dass er in Deutschland seinen Lieblingsaufenthalt gehabt und nament- lich in Deutschland Clöster und Städte gegründet habe, hin- länglich beweisen; die Deutschen, welche vermöge ihres Hel- denmuthes von den Beherrschern des Erdkreises, von Caesar und Augustus, nicht unterworfen werden konnten, würden nie- mals französische Herrscher, die doch jenen nicht gleichkämen, über sich geduldet haben.

Doch die Yermuthungen reichen zur Feststellung der That- sachen, zur Abwehr etwaiger Bedenken nicht aus, daher wer- den Zeugnisse und Beweise, aus Urkunden und Schrift- stellern geschöpft, beigebracht: Tacitus nenne das jetzige Köln,

168 Geiger, Wimpfeling als deatscher Schriftsteller.

Speier^ Worms, Strassburg unter den Städten Deutschlands; ihm folge Ammianus Marcellinus und das Corpus juris; Karl der Grosse werde von Aeneas Sylvius und Antonius Sabellicus ein Deutscher genannt; der Papst Innocenz IIL spreche einmal in einer Urkunde aus, dass das römische Reich von den Griechen auf die Deutschen übergegangen sei, und Petrarca erzähle: „das ganze Rhein-Thal bildet einen herrlichen Theil Deutschlands'^.

Mit diesen Zeugnissen ist ihm sein Hauptsatz voUgiltig bewiesen, daher hält er sich für berechtigt, schon nach An- filhrung seiner Zeugen triumphierende Worte auszusprechen, die wir sogleich hören werden.

Nur eines stört ihn noch, nämlich der Umstand, dass Strassburg, ähnlich wie Fr&kreich, eine Lilie* im Wappen habe. Aus dieser verhängnissvoUen Uebereinstimmung könnte, wie er befürchtet, geschlossen werden und ist zu seiner Zeit vermuthlich gefolgert worden, dass Strassburg doch zu Frank- reich gehöre; aber er hält zu fest an seinem Glauben, als dass er dadurch erschüttert werden könnte: Frankreich hat drei Lilien, wir nur eine: Frankreich zeigt dieses Abzeichen auf Waffen und Fahnen, wir nur auf Münzen, während wir es doch gerade auf den Eriegsgeräthen tragen müssteiX, wenn wir es als Zei- chen ehemaliger Unterthänigkeit unter Frankreich erbalten hätten.

Darum schliesst er mit stolzem Ausdrucke: „Wir sind Deutsche, und nicht Franzosen, und unser Land muss, weil Deutsche in ihm wohnen, Deutschland, nicht Frankreich ge- nannt werden. Diese Thatsache haben die Römer schon er- kannt Denn als sie uns, die Alemannen am Rhein, unter- worfen hatten, über den Rhein zogen und nun sahen, dass die Bewohner des jenseitigen Ufers uns glichen an kühnem Muth, Körpergrösse und blondem Haare, auch in ihren Sitten und ihrer Lebensweise, da nannten sie uns Germanen, d. h. Brüder. Dass aber wir, diese Germanen, den wirklichen Galliern weder an Haarfarbe, Sprache, Gesicht, noch an Charakter und Sitte gleichen, steht fest. Und so umfasst mit Recht unsere Stadt und das ganze elsässische Land die Freiheit des römi- schen Reiches und will sie behaupten; es hütet sich, die Knechtschaft der Gallier auf sich zu nehmen, zu welcher es

Geiger, Wimpfeling als deutscher Schriftsteller. 169

manchmal Yon französischen, zum Abfall anstachelnden Send- lingen überredet werden soll; und wird inskünftige alle ab- weisen, die es franzosisch machen wollen.^

Die zweite Schrift hatte folgende Veranlassung.

Im März oder April 1490 hatte Maximilian I. durch seinen Gesandten Wolfgang von Polheim die Anna von Bretagne sich feierlich antrauen lasseo, nachdem sie schon seit 1487 mit ihm verlobt war. Da aber die grossen ihres Landes in dem Ehe- bündniss mit dem fernen, bei Lebzeiten seines Vaters unmäch- tigen und stets geldbedürftigen Herrscher keine Kräftigung für das schutzbedürftige Land erblickten, neigten sie sich den Plänen des Königs von Frankreich, Karl VlIL, zu. Dieser be- absichtigte, die Bretagne f&r sich zu erwerben und zwar da- durch, dass er die Anna heir^ithete, nachdem er die ihm seit Jahren verlobte und bei ihm auferzogene Margarethe, die Tochter Maximilians, ihrem Vater zurückgeschickt hätte. Zu diesem Zwecke griff er die Bretagne an, bekam bald das ganze Land in seinen Besitz und erliess am 15. Nov. 1491 die Be- stimmung, dass an einem festgesetzten Tage je zwölf Richter zusammentreten sollten, um über die Lage des Landes und den Streit zwischen den beiden Königen zu entscheiden, dass femer die Princesse Anna freies Geleit haben sollte, um sich zum römischen König zu begeben. Statt nun aber wirklich die Reise zu ihrem „GemahP auszuführen, gieng sie (ob frei- willig oder gezwungen, bleibe einstweilen dahingestellt) die Ehe mit Karl VIIL ein, die am 6. Decbr. 1491 wirklich vollzogen wurde; die Margarethe sandte Karl VIIL ihrem Vater zurück.

Von der grossen Aufregung, die durch diese That in Deutschland hervorgerufen wurde, geben zwei Volkslieder Kunde, die beide in der Auffassung übereinstimmen, dass Anna nichts ahnend vom König Karl gewaltsam entführt worden sei, und die ihren Hass ausser gegen den französi- schen König* besonders gegen den Papst kehren, der solche Greuel gebilligt habe.*

* Die Lieder abgedmekt bei Liliencron, Die dentschen Volks- lieder II. Band, Leipzig 1866, Nro. 179 n. 180. Dem Abdruck geht eine historische Darstellung voran (S. 292—295), die in dem obigen benutzt worden ist.

170 Geiger, Wimpfeling als deutscher Schriftsteller.

In dieser Angelegenheit nun, welche die deutschen Patrio- ten vielfach beschäftigte, wollte auch Wimpfeling nicht stumm ' bleiben. Er verfasste ein lateinisches Gedicht und schickte dasselbe mit einem Begleitschreiben an Robert Gaguin, den berühmten franzosischen Humanisten, der als Gesandter seines Königs in dieser Brautangelegenheit in England thätig ge- wesen war und nun in Deutschland weilte.* In demselben (12. Febr. 1492) wendet sich Wimpfeling an den ihm unbe- kannten Franzosen, von dem er so rühmliches gehört habe, bittet ihn, die Entrüstung des Deutschen zu verzeihen, wenn das Factum, das dieselbe hervorgerufen, wahr sei. In der Meinung aber, dass sein Gedicht einer weiteren Erörterung bedürfte, liess er dem kurzen Begleitschreiben bald einen aus- führlichen Brief folgen (Speier 14. Febr. 1492). Gaguin könne durch die Zusendung nicht beleidigt gewesen sein. „Denn die unwürdige Beleidigung, welche unser König erlitt, schien mir nicht nur unserm König, sondern ganz Deutschland und allen Deutschen greuliche Schmach und ewigen Schimpf zu bereiten. Bedenke : Wie Du als Franzose nactürlich und von Rechtswegen den Franzosen -König ehrst und liebst, so bin ich als Deutscher dem deutschen König verpflichtet und müsste als schändliches Glied betrachtet werden, wenn ich mich nicht bemüht hätte, unserm Haupte, dem eine Beleidigung widerfahren, nach mei- nen Geistesgaben Beileid und Mitgefühl auszusprechen.'' Eine ähnliche Stimmung herrschte aber auch in Italien, wie die zwei beifolgenden Gedichte bewiesen, sie müsste überall herrschen, wo man bedächte, dass die früheren französischen Könige die leidende Unschuld beschützt hätten, und den früheren Zustand mit dem gegenwärtigen vergliche. Die Gedichte sind in der That stark genug. In dem einen heisst es:

Haec papa, haec ipsi totnm qui verÜtis orbem Cardinei fertis crimina tanta viri.

Und in dem andern: «

Jura ligant miseros; summis, si credere dignum est,

Prineipibus nuUa vivere lege licet. Esse tarnen snperos coelo qui talia carent

Si verum est, properat vindicis ira Dei.

* Die Briefe und lateinischen Gedichte sind abgedruckt bei J. J. Müller, Beichstagstheatrum unter Maximilian I., Jena 17t8, S. 136—141.

Geiger, Wimpfeliog als deutacher Schriftsteller. 171

Gaguin schwieg auf diese Zusendung nicht; sondern ver- fasste gleichfalls ein Gedicht^ und schickte es dem Winipfeling mit einem Briefe zu (Heidelb. 14. Febr. 1492), in dem er mit- theilte, dass er das Wimpfelingsche Gedicht erhalten hätte, von dem er wünschte, „dass weder Du es geschrieben hättest, noch ich gelesen/' Denn es geziemte sich nicht, gegen die geheiligte Majestät eines Königs etwas zu sagen, am wenigsten wider den, dessen Gesinnung rein und unbefleckt wäre, ebensowenig Ton Seiten dessen, der sich im Besitz der Wolredenheit dünkte. Das beste würde daher sein, wenn Wimpfeling das Gedicht niemandem mittheilte, sondern dem Feuer übergäbe. In der Streitsache handelte es sich um zwei Dinge: um die Zurück- sendung der Tochter -Maximilians und um die Wegnahme der für Maximilian bestimmten Braut. Was das ersterc beträfe, so wäre Margarethe vierjährig Karl zugeschickt und noch unmün- dig von ihm zurückgeschickt, eine Handlung, die im Kirchen- recht nicht verboten und in diesem Fall noch besonders statt- haft gewesen wäre, weil Maximilian nur ungern in die Heirath gewilligt und sich mit den Feinden seines Schwiegersohnes ver- bündet hätte.* Was das letztere anginge, so wäre die Heirath zur Befestigung des Friedens mit der von Frankreich bereits eroberten Bretagne nöthig und erlaubt gewesen, weil, nach der Versicherung der Hofleute, die Vermählung mit Maxi- milian nicht wirklich, sondern nur zum Schein vollzogen wor- den wäre.

Auf eine solche Erwiderung konnte Wimpfeling nicht schweigen. In seinem Antwortschreiben (Speier 19. Febr. 1492) bemerktv er zunächst, dass wegen des Grundsatzes, die Majestät solle nicht beleidigt werden, nicht jede Unthat des Königs gebilligt werden dürfe soust wäre ja König und Tyrann dasselbe , dass über eine solche Unthat aber, wie die eben begangene, Thiere und Steine reden würden, wenn auch der einzelne Mensch schwiege. Karl schicke die Marga- rethe heim und doch habe er sie erziehen lassen, habe erst in diesem Jahre in einer Urkunde sich als Könige Margarethe

* Filia ergo qnae pacis causa futara oxor sperari potait, cum praeter bellum nihil videretur allatura, volenti patri non injuria remittitur.

172 Gei^r, Wimpfeling als dentscher SchriftatellQr.

als Eönigin unterschrieben. Die Heirath mit Anna sei aber Karl verwehrt gewesen, selbst wenn die Hochzeit nicht durch einen wirklichen Botschafter vollzogen worden sei; denn sei der Schuldner etwa berechtigt, das Geld des Gläubigers ' zurückzuhalten, weil er den Boten desselben für zu ärmlich gekleidet halte ; zur Bewilligung der Heirath genüge nicht die Zustimmung Annas und ihrer Räthe, sondern zunächst die Maximilians, der noch heute die Giltigkeit seiner Ehe be- haupte und mit dem Reichstage zu Nürnberg desfallsige Be- schlüsse fassen werde.

Gaguin hat selbstverständlich auf diesen Brief nichts mehr erwidert; war ja für ihn die Sache abgethan. Wimpfeling aber musste seinem Grimm Luft) machen. Wol gleichzeitig mit der Veröffentlichung seiner und des Gegners lateinischer Gedichte und Briefe, denen er ein Widmungsschreiben an Maximilian voranstellte*, gab er auch seine und Gaguins Gedichte deutsch heraus. Es sei gestattet, diese Uebertragung wegen der grossen Seltenheit des Druckes hier zu wiederholen.

Von dem kunigk von franckerich durch iacobum des rome- schen kuniges redner geticht.**

Durch den raup so yemerlich, der frevelich ist volendet Von dem kunig von franckerich, der frewlich zucht thut sehenden, Die lilgen edels ruchs gewest, sint welk vnd crafÜos worden,

Die lilgen welken.

Des kuniges tochter lobesam, der den adel furtb ym schylde, Hat er vormals anßerwelt, gelibt auß frawenbilde, Ym czu ejner kunigyn here begert jn elichem orden. .

Die lilgen welken.

* Vgl. Wiakowatoff a. a. 0. S. 66 A. 2. ** Eyn geticht van dem Bomeschen kanyge

Vnde dem kanyge van Franckerich. Darunter ein Bild: links der König von Frankreich, über ihm eine Lilie, rechts König Maximilian, über ihm ein doppelköpfiger Adler, zwi- schen ihnen die Tochter Maximilians, die von dem König von Frankreich mit der Hand weggestossen wird.

0. 0. n. J. 4 BU. Bückseite des Titels u. 1. S. leer; auf der yorl. nur 2 Zeilen.

Geiger, Wimpfeling als deutscher Schriftsteller. 173

Er hat yn syBem wankelmut den scheine hut abgeczogen, Czacht vnd ere vorgeßen gantz, gerechtikeit geflogen, Lobes preise vorsumet er, der hohen cristlichen wirde. Die lügen welken.

Funfif gantze yare an argen wane daz frewlyn ym behageth In gemeynschaft frolich lobesam, leyt vnmut offt Yoryageth, Hir yn ho£Pt gar tngentlych Wirtschaft czu knniges czirde. Die Hlgen nnczirlich welken.

Das frewlin yn ymbfangen hat, gekusset vnyordroßen, Geseßen bey ym adelich, fruntlich in arm gesloßen , Die hende gereicht, yn angelacht, getröstet in iamers knmmer. Die lügen welken.

Hit hoflikeit vnd gutem geberde ist keynß von yr vorhalden. Wie sie seyn hertz erweychen mögt czu liebe vnd wolgefallen. Wer kiselsteyn czulaßen wil als wachs, schafft keynen frumen. Die lilgen welken.

Vnrecht liebe des fursten groß hat cznchtige liebe vordrungen, Laster hat gewunnen den kämpf, die tugent ist vorswunden, Die vormals weyt gegoßen han guten ruch myt machte. Die lilgen welken.

Die browt, die vor behaget hat vnd wol gefallen ym herczen, Gar smelich nu vorlaßen ist in elende vnd in smerczen. Die browt des sweres behaget nu. 0 kunig des snoden wenken! Die lilgen welken.

Was vrsach mag deyu wankelmut mit eren nu vorgelimpfen, Deyn eygen browt vorlaßen hast, mit frymder wiltu schimpfen, Ich wene, Du sprichst ouß hohen mut: „ichhabesulchßmugen volenden". Die lilgen welken.

Wo kuniglich ere vnde werde sey, wo fürstlich hercze mit preise. Wo warheyt, scheme vnd tugent sey, sage kunig vnd beweyse. Wo vehster mut, messigkeit, du fürst dich ouff eyme eyße. Die lilgen welken.

Eyn antwort vff das vorgeschriben getychte durch Robertum gaguwini des kunyges von franckerich redner.

Die lilgen grünen alleczeit vnd wonniglich ouß soreyßen[!], Clerer dan des fewres glantz gar kreftiglichen gleyßen.

Archiv f. Litt.-Gbsoh. VII. It

174 Geiger, Wimpfeling als deatscher Schriftsteller.

Yn schadet der kalde wint mit nicht von norden vnd von Westen, Bewaret durch den senften wint von suden vnd von osten. Der lügen garten lustiglich ist fruchtbar freye vnd junget, Seyn huter hat yn wol bewart, geweßert vnd getunget, Eyn starken czoun darumb gefart, gar festiglich vorgraben, Seyn fynde werden abgeyaget, nicht mugen ym geschaden. Wie magstu hie mit warheit sagen: Die lilgen woln vorsmachten, Dar in so vil der adem sint in senffces lebens, woln vorsmachten. Beuchstu nycht den edelen ruch, Du nasenreicher tichter, Den das wynblat lustiglich vnd lilgen von yn fliehten? Lern des gertners meinunge wol vnd vrteil recht mit frnimen, Wege ab mit gleicher wage die sach gar billig furgenumen, Nicht acht yn als ein reuber snode, der czucht vnd ere beleide, Nicht sage das er ymandt hab mit frevel abgescheiden.

Eyn antwort dorch iacobum sletzstat vff das iczt ge- schribin geticht roberti gaguwini.

Ich acht ez für eyn fabel rede, do durch du wilt glosiren Des kuniges argk vnd missetadt vnd ym seyn kunigrich cziren. Was sal ich hie mit werten vil mich mit dir czengk vnd krigen? Die warheit noch in kurczer czeit wirt dar vor äugen ligen. War ouflf deyn redden gegründet synt, erfarung wirt belemen, Daz alder brengt vfft an den tag, daz iugent nicht mag brengen. Das lange vorholen ist gewest, vordeckt vnd vorborgen, Wirt hir nach in kurczer frist vil derer wan der morgen. Wer czweyfelt, das die lilgen sint vor loblichs ruchs gewesen. Dar ouß vil fursten togentsam gut beyspil han gelesen? Wan des kuniges geschieht vnd werck wie vor in liebe beharte. Die lilgen bliben Schadens frey mit hochen czounen bewarte. Het er mit dem swert gevolget der alden fußstapfen feste, Vor schaden blibe der lilgen gart bewart von frymden gesten. So die Wollust herschen wil vnd tugent thut vordringen. Welk vnd foul die lilgen sten, yr schon vnd ruch vorswinden. Du wenest, kein wint die lilgen möge welk machen nach vortriben, Der kunig habe sie so tief gepflantz, der saf macht sie becliben. Du wirst betrogen, merk mit fleiß, was Schadens han enphangen^ Die trost vff weinwachs han gesatz ym nesten herbst vergangen, Der erbeit, die sich hat geburt, das gantze iar geflißen, Yorhaft, sult czu gluck geradt die frucht und weinß genißen. Die stock getunget vnd wol begat, vf daz sie fruchtbar wurden, Ynd waz sich dar yn hat geburt, mit mancher erbeit bürden« Ydoch der kalde reiff vnd wint, frost, grop kisel vnde hagel Leyder han die frucht verderbet, den schaden höre ich clagen. Der milde trost ist hyn gelegt, für süßen most der herbe, Für czeytig weinber bitter frucht, der mancher muß vorderben.

Geiger, Wimpfeling als deutscher Schriftsteller. 175

Diß 80 du recht czu herczen nymest, Roberte, vnd czu synne, Gedenck, das ungewisheit stet vil na in allen dingen.

Franckreich ist gar hoch begnadt mit adel tiigentreiche , Dar czu mit werder pristerschaft, mit großem volk desgleichen, Mit steten vnd mit sloßen fest, mit dorffen wol czu preysen, Die lügen scheynen.

Tdoch vmb newe missetadt des kuniges dorch sein machte, Der in frevelin vbermut daz romesche reich vorachtet. Die lilgen, vormals czart gewest, vordorren vnd czureyßen. Die lilgen welken.

Der nebel hat der lilgen glantz so lesterUch behenget, Ir ruch in stanck gewandelt ist, die nasen swerlich czwenget, Ir czyrde vnd Inst ist hyngelegt, die du meynst ewig grünen, Die lilgen werden misgestalt.

Der großen macht berumestu dich, die achstu für dein rechte. Wie franckreich wol besloßen sey, geschicket wol czu fechten. Gedenck, got steet den rechten bey, von ym hengt schad vnd frumen, An got stehen alle dingk.

Der teutschen art vnd starken mut wiltu nicht nemen czu herczen. Die krieges leufft erfaren han, das mag dir brengen smertzen, Des adelers czweitracht, hafstu gantz, soll dir den segen heymbrengen, Des reichs czweitracht trostu dich.

Wan czwen adeler vndersich etwas czweytracht haben Vnde eyn greiff sich vndermenget, gedenckt yr einem czu schaden. Die adler beide vorsunen sich, den greiffen von yn wenden. Der fynt wirt vberwunden.

Gleubestu nicht, der adler muge gewalt vnd crafft wol vben, Die lilgen frislich vndertreten, czu reißen vnd betrüben, Ersthreke dich die frewelich czucht, die widerbracht die lilgen. Der haue dem adeler wider recht ist in sein nest geflogen, Hat ym seyn gaten abgespant vnd lesterlich entzogen, Die jungen vormals auch entfrymt, nu wider außgeyaget. Des freueis vnd des vngerechts der adler sich beclaget. Wirt dem hauen sulchß gestadt, erleybet vnd czugelaßen. Die Sperling lernen auch den wege: sie volgen snell der straße.

12

Ein zweites Exemplar des ältesten Fanst-Buclies.

Von Gustav Heinrich.

Der erste Druck des ältesten Volksbuches vom Dr. Faust stammt bekanntlich aus dem Jahre 1587 und ist eine Edition des Frankfurter Buchdruckers Johann Spies. Von diesem ersten Drucke war bisher nur ein einziges Exemplar bekannt, welches sich in der kaiserlichen Hofbibliothek zu Wien be- findet (C. Engel, Bibliotheca Faustiana. Oldenburg 1874, S. 15). Dieses Exemplar hat Dr. Aug. Kühne im Jahre 1868 (Zerbst; E. Luppe) in wortgetreuem Abdrucke herausgegeben („Das älteste Faustbuch. Wortgetreuer Abdruck der Editio princeps des Spies'schen Faustbuches vom Jahre 1587. Unicum im Besitz der kais. Hofbibliothek zu Wien").

Das Exemplar der Wiener Hofbibliothek kann heute nicht mehr als Unicum gelten, denn ich habe jüngst in der Biblio- thek der ungarischen Akademie der Wissenschaften in Buda- pest ein zweites Exemplar dieser editio princeps ent- deckt, welches dem Wiener Exemplar vollständig gleich ist und bisher wol nur aus dem Grunde keinerlei Beachtung ge- funden hat, weil das Titelblatt und scheinbar auch der Schluss des Buches fehlt. Das letztere allerdings nur scheinbar, da dem Faust -Buchie ein zweites Werk angebunden ist und die- sem der Schluss fehlt. Der Schluss des Faust -Buches selbst ist dagegen vorhanden und zeigt das Wappen der Spiesschen Druckerei, über demselben die Worte: „®cbrudft ju grandtfurt am aRa^n bc^ Sol^ann ©pic«", darunter die J'ahreszahl M. D. LXXXVIL

Leider ist das Exemplar nicht vollständig. Es fehlt nicht bloss das Titelblatt, sondern auch von der ,,S3orveb an ben

Heinrich, ein zweites ]i)xemplar des ältesten Faust -Baches. 177

ßf)riftltcl^cn Scfcr" das (unpaginierte) zweite Blatt (S. 4 und 5) und aus dem Buche selbst fehlen: S. 103 f., 105 f., 113 f., 119 f.| 121 f., 125 f., 161 f., d. h. im ganzen sieben Blätter. Die Seitenzahl 187 ist durch einen Druckfehler in 178 versetzt.

Bekanntlich ist auch das Wiener Exemplar des Spiesschen Faust-Buches nicht vollständig; es fehlt in demselben ein Blatt, nämlich S. 145 f. Kühne hat in seiner Ausgabe der editio princeps diese zwei Seiten aus der Ausgabe des Faust-Buches von 1590 ergänzt. Da unser Exemplar das Blatt in ur- sprünglicher Gestalt enthält, setze ich dasselbe in genauer Ab- schrift hierher. Die beiden fehlenden Seiten gehören zu dem 37. Capitel des Buches: „SSon brc^cn ffimcmmcn ©raffen, fo D. gauftui^, auff \\)x bcgcrcn, gen SRünc^en, auff be§ SBe^erfürften Solang ^od^jeit, bief eibige jubefel^en, in ßüfften ^infül^rete." Der letzte Satz von S. 144 schliesst mit den Worten: ba^ gefd^Qd^ am

(S. 145) Äbenb, aU man ju nac^t effen wolt. S)ann fie fonften, bur^ be§ Saufti ^unft ben ganzen Züq fold^em ^rad^t ber ^od^jeit Dnftd^tbar, t)nb ol^ne aQe ^inbernu^ jugefefien l^atten. Ate nun, wie gemetbt, jnen D. gauftu^ emfllid^ öerbotten, ben Xag mit niemanbt jureben, aud^ fo balb er fpred^en n)ürbe, toolanff, fte aUe jugteic^ an ben SRantel greiffen folten, ttJürben fie augen^^ Uxdlxä) mhtxnmb barüon tnifc^en. 3Bie nun ber $er^og Don SSe^ern mit i^nen rebet, ünb fie jme fein Äntoort gaben, reid^et man i^nen bod^ Dnter beffen baS ^anbmaffer, mnb bien)ett ba ber eine @Tafe miber baS @e6ott D. t^aufti t^un n)U, ^ebt D. g^auftud an- jufd^retien, SBotauff, balb totfc^en bie jmen ®rafen ünb D. gföuftu^, fo fid^ an ben SWantel gel^alten, barbon, ber britt aber, fo fid^ t)er= fäumet, mürbe auffgefangen, ünb in ein ®efängnu§ gemorffen. S)ie anbern fjmttn @Sraffen famen alfo umb äRittemad^t miberumb gen SEBittemberg, bie ftc^ übel gef|uben, n^egen j^red anbern

(S. 146) Vettern, barauff fte D. gauftug üertröftete, i^ne auff äWorgen fjrül^e ju ertebigen. 9lun war ber gefangene @Jraf l^öc^^ lid^ erfd^roden bnnb betrübt, bag er alfo Derlaffen fe^n {olte, Dnb barju in üerl^afftung gefd^Ioffen, ünnb mit ^fitem Derwal^rt, ba würbe er befragt, toa^ bad für ein @t[x6)t gemeft, Dnnb wer bie anbern bre^ weren, fo öerf d^wunben fe^en. ®er ®rafe gebadet, t>zu ra^te id^ fie, fo wirbt einen böfen Aufgang gewinnen. @abe berof|a(ben niemanbt !ein Antwort, alfo, ba^ man biefen Sag

178 Heinricli, ein zweites Exemplar des ältesten Faust- Baches.

nid^t« avi^ jmc bringen lonbtc, ünb »arb jm Ic^ftd^ bcr SSejd^cib, hai man \n SDIorgen pt\rA\6) fragen, Dnb n)o( jh 9ieb bringen toöDe. S)er (Sraff gebadete, üieUeic^t mid^ ü. gauftu^ ^eut no^ nit erlebiflt, mi> \6) SKorgen gepeinigt ünb geftredt »erben fotte, mu§ ii) notl^alben mit ber ©prad^ t)crau6, ®etröftet ficli boc^ immer* bar, feine ©efeUen würben Ut) D. gaufto ftardf ömm fein (Sriebigung anfiatten, tuie aud^- gcfc^a^e. I)ann e^c ber 3;ag anbrach, war

(S. 147) D. fJauftuS f^on btt) j^me u. s. w.

Die Differenzen zwischen dem hier mitgetheilten Original- text und der in Kühnes Ausgabe aufgenommenen Stelle aus dem Drucke von 1590 sind zwar grossentheils nur orthogra- phischer und sprachlicher Natur^ aber selbst als solche nicht ohne Belang; und dürfte die Auffindung und Mittheilung jenes Textes nicht bloss in bibliographischer Hinsicht, sondern auch aus dem Grunde erwünscht und erfreulich sein, weil nun eine vollkommen treue Wiederherstellung der editio princeps er- möglicht ist.

Von der ersten Spiesschen Ausgabe des ältesten Faust- Buches Yom Jahre 1587 haben sich demnach zwei (zwar un- vollständige, aber einander ergänzende) Exemplare erhalten: das eine befindet sich in der kais. Hofbibliothek zu Wien, das andere in der Bibliothek der ungarischen Akademie der Wissen- schaften zu Budapest

Unserem Exemplare des Faust-Buches ist, wie ich oben bemerkte, ein anderes Werk des XVI. Jahrhunderts beigebun- den, dessen Schluss fehlt. Dasselbe führt den Titel:

SSermanunge { t)on | S)en @c^n)arci= | tänftterifc^en Slberglauben, | bad man fid^ bafür pten foL | Sen fiieb^abern bed t)n= | üerfelfd^:: ten @ottes;bienfted ju gute | Sateinifd^ im Saläre 1575. | gef^rieben | S)urd^ ^errn 9licolaum ^emming | yiztolxi) Derbeubfc^et t)nb in j S)rud gefertiget. | Sfaiae am 8. (Sop. | 9lad^ bem ®efeg Dnb 3eug= nti^. I SBittemberg | @ebrud(t burc^ $and ^afftd @rben. | 3m 3ar 1586.

lieber dieses Buch weiss ich vorläufig keine weitere Auf- klärung zu ertheilen.

Kleine Beiträge zur Vermehrung und znr Ver- bessernng des Lessingsclien Textes.

Von Robert Boxberger.

1. Zur Vermehrung.

Wenn der Vorredner zum 2. Bande der Uebersetzung von Marignys Geschichte der Araber Recht hat mit der Behaup- tung ^ seine Arbeit an dieser Uebersetzung beginne „unge- fähr mit dem Anfange des zweiten Alphabets ^y d. h. mit S. 369, so fallen noch folgende beide „N. d. Uebers.^ auf Lessings Antheil :

(S. 338 f.) „Ueberhaupt kann man hier noch anmerken,

1) dass die Esel in den Morgenländern, wo die Pferde rar waren, weil sie die beschwerlichen Wege nicht gut aushalten koimten, nicht so verachtet gewesen, als sie in Europa sind. Daher fin- den wir im A. T. verschiedene Exempel, dass Eonige und andere vornehme Personen auf Eseln geritten. B. der Richter V, 10.

2) Ist es wahr, dass die orientalischen Esel im Felde gute Dienste gethan haben. 4. B. Mos. XXXI, 34. 2. Kön. XXI, 7.

3) Haben die Orientaler überhaupt kühne Vergleichungen, die man nicht nach der Europäischen Aesthetik beurtheilen muss. So heisst es z. B. von Christo Ofifenb. V, 5: Siehe, es hat überwunden der Löwe, der da ist vom Geschlecht Juda. Wenn demnach die Spötter der letzten Tage sich über einige unter uns [unjgewöhnliche Ausdrücke der heil. Scribenten lustig machen, so.verrathen sie bey den Kennern der Alterthümer nichts als ihre grosse Unwissenheit in der Beredtsamkeit und Dichtkunst der Morgenländer. Es ist hier gar der Ort nicht, sonst wür- den wir aus Hiob, den Psalmen, dem Hohenliede und den Pro-

180 Boxberger, kleine Lessing-Beitrilgä.

pheten Stellen anführen^ sie nach dem orientalischen Geschtbacke beurtheilen^ und darthun^ dass sie in der erhabensten Schreib- art abgefasst sind. So wie wir aber über die Orientaler lachen, so werden ihnen auch unsere Schriften verächtlich vorkommen. Die Leser werden mir diese kleine Ausschweifung zu gute hal- ten. Sie hat ihren Nutzen."

(S. 353 f.) ^Es ist kein Wunder, dass ein* zusammen- gerafter Haufe von Sclaven wider ein exercirtes Kriegsheer den Sieg behält. Sie stritten für die Freyheit, und Iblins Soldaten nur für Geld. Ueberdiess so hat Zulzimin, als ein neuer Pro- phet, gewiss gottliche Gesichte und Offenbahrungen vorgegeben. Aber alle Welt weiss, was ein fanatisches Heer für Thaten thun kann. Mahomed, Cromwell u. a. m. bestätigen diese An- merkung."

In Lessings Uebersetzung des Hutcheson, Sittenlehre der Vernunft, Leipzig 1756, I, S. 372, heisst es in der Anmer- kung: „Man sehe den Aristoteles im letzten Abschnitte des dritten Buchs seiner Sittenlehre; und den Antonin im zehn- ten Abschnitt des zwejten Buchs seiner Betrachtungen über sich selbst'.'' Das folgende kann nur Lessing angehören: „Wir wollen den Lesern diese letztere Stelle, nach Hof mann s deutscher Uebersetzung mittheilen: Wenn Theophrast eine Yergleichung zwischen den Sünden anstellt, giebt er den Ausschlag als ein weiser Mann, indem er sagt: Dass die Sün- den, die aus der Lust entstehen, grösser sind als die, so aus dem Zorn herkommen. Denn der Zornige scheint, seiner Ver- nunft, wider Willen, und mit einem heimlichen Verdrus, ent- gegen zu handeln; da hingegen der, so den Lüsten nachhängt, und von der Wollust sich überwinden lässt, weit unmässiger und weibischer in seinen Fehlem wird. Dahero gesteht er mit Recht, und der Weisheit zu Ehren, dass eine Sünde, mit Lust begangen, grösser und strafbarer sey, als die, so mit Schmerzen oder Traurigkeit vergesellschaftet ist. Gewis, ein Zorniger giebt zu verstehen, dass er beleidiget worden, und dass der erlittene Schmerz ihm die Gemüthsbewegung abzwingt. Hingegen neigt sich der Wollüstige, von freien Stücken, zur Ungerechtigkeit, um seine Begierden zu vergnügen." H, S. 714, Anmerkung: «Durch äusserliche Rechte scheint der Verfasser solche zu ver-

Boxberger, kleine Leasing-Beiträge. 181

stehn, die nicht in der Natur gegründet, aber durch eine lange Gewohnheit dazu geworden sind; oder durch gewisse For- meln, die nach der einmal eingeführten Gewohnheit, ein Recht gründen können, ihre Stärke erhalten. D. Ueb."

2. Zur Verbesserung.

Die zuerst von Lessings Bruder aus seinem Nachlasse her- ausgegebenen Aufsätze u. dgl. leiden noch vielfach an ünge- nauigkeit, die freilich leicht zu begreifen und auch zu ver- zeihen ist. Nur allmählich wird es gelingen, hier den Text sicher zu stellen, wozu die Hempelsche Ausgabe einen lobt liehen Anfang gemacht hat. Auch folgendes wird hoffentlich ein willkommener Beitrag zur Lösung dieser Aufgabe sein.

Bd. XVIII, S. 332— 337 der Hempelschen Ausgabe findet sich eine Skizze von Leibniz' Leben, mit welchem sich Lessing bekanntlich während seines Wolfenbüttler Aufenthalts viel beschäftigt hat. Der Herausgeber dieses Bandes, Herr Christian Gross, hat sich nun entgehen lassen, dass diese Skizze ein Auszug ist aus der lateinisch geschriebenen Biographie des Leibniz von Brucker im 5. Bande von dessen Histo- ria philosophiae. Jedoch schöpfte Lessing höchst wahrschein- lich nicht unmittelbar aus diesem, sondern aus dem 1. Bande von Dutens' Leibniz -Ausgabe, wo diese Biographie wieder- holt ist. Bei Hempel heisst es nun S. 333: „Zu Nürnberg lernte er auch Boineburgen kennen, welcher ihm Hoffnung machte, in die Dienste des Kurfürsten von Mainz zu kommen, weswegen er sich nach Frankfurt begab, um da in der Ruhe zu sein.** Nicht in der „Ruhe", sondern in der „Nähe" wollte er sein. Der gesperrt gedruckte Name unter dem Jahre 1668 muss nicht „Hasenthaler", sondern „Hesenthaler " lauten. Dntens I, S. LXVII f. Feller, Otium Hanno veranum, S. 2 a, 3 a, 5 a, 143. Zu dem Jahre 1671 ist zu bemerken, dass Chri- stian Knorr nicht der Verfasser der Fabulae denudatae, son- dern der Cabbalae denudatae ist. > Dutens I, S. LXXL Im Jahre 1710 schaffte er wol nicht die Gudeischen „Reste", sondern „Mste" (Manuscripte) nach Wolfenbüttel. Dutens I, S. XCIII.

Derselbe Band der Hempelschen Ausgabe enthält auch die herrlichen Freimaurer- Gespräche, über deren Text Gross

182 Boxberger, kleine Leasing-Beiträge.

in der Einleitung S. 142 folgendes sagt: „Auch Göckingk scheint in einer Bemerkung ^ die er dem Druckfehlerverzeich- nisse dieser beiden (letzten) Grespräche im «Journale von und für Deutschland» (1786, St. VII— Xu, S. 169) vorausschickt, die «Vorrede eines Dritten» für baare Münze zu nehmen. «Von diesen beiden letzten Gesprächen», sagt er, «erhielt ich damals ein Exemplar aus des sei. Lessings Händen, worin er Druck- fehler berichtigt, auch noch etwas Wesentliches hinzugefügt

hatte. Ich theile hier, was die Druckfehler betrifft,*

alles von Lessing Berichtigte mii Was ich etwan von dem hinzugefügten Wesentlichen, wenigstens noch für jetzt, zurück- behalte, ist freilich nicht weniger interessant als das Uebrige alle. Aber einer Entschuldigung von meiner Seite bedarf diese Zurückhaltung wohl nicht weiter, als dass es selbst nicht in dem Manuscripte befindlich war, welches dem Dritten in die Hände fiel.» Das ist fQnf Jahre nach Les- sing's Tode eine gänzlich hinfällige Entschuldigung; denn was bei Lessing's Lebzeiten allerdings eine Indiscretion gewesen wäre, das war nach seinem Tode eine Pflicht gegen Lessing und gegen das Publicum. Dieser unverzeihlichen «Zurückhal- tung» Göckingk's ist es zuzuschreiben, dass uns jetzt nach seiner Ansicht «wesentliche» Zusätze zu «Ernst und Falk» fehlen.^ Man kann dem Vorwurfe des Herrn Gross gegen Göckingk nur beistimmen, doch tröste ich mich mit der Annahme, dass, da Göckingk selbst Freimaurer war, er aus Lust am Versteck- spielen, die ein Gharakteristicum dieses Ordens ist, die Zu- sätze fElr wichtiger ausschrie, als sie in Wahrheit gewesen sein mögen. Wie sie aber auch gewesen sein mögen, so hat er durch deren Entziehung der Lessing -Litteratur einen Schaden zugefügt, der mit allen freimaurerischen „guten Thaten^ nicht wieder gut zu machen ist. Seine Berichtigungen des Textes sind schon von Lachmann benutzt worden; dagegen ist man bis jetzt auf eine andere Quelle noch nicht aufmerksam ge- worden, aus der ich die nachstehenden Berichtigungen schöpfe. Kurz nach Lessing's Tode schreibt Hamann an Hart- knoch (Gildemeister, J. G. Hamanns Leben und Schriften, H, 8. 342): „Weil der Abdruck des dritten Gesprächs von Falk und Ernst sehr fehlerhaft ist: so hab' ich meine Abschriften

Bozberger, kleine LessiDg-Beiträge. 183

in die hiesige (Eonigsberger) Zeitung einrücken lassen und werde auch für Sie ein Exemplar aufbewahren.^ Und im Juni: „Auf wiederholtes Verlangen übersende Ihnen alle meine letz- ten Beiträge zur Zeitung. Das letzte mögte wohl der von mir besorgte Abdruck von Falk und Ernst sein.^ Dass Hamann nicht das dritte ^ sondern nur das vierte und fünfte Ge- spräch; die 1780 erschienene Fortsetzung von Ernst und Falk meinen konnte, liegt auf der Hand und ergibt sich aus eben jenem Abdruck in der Eonigsberger Zeitung. Denn die drei ersten Gespräche sind allerdings auch, aber schon im Jahr- gange 1779 der Eonigsberger Zeitung, und wahrscheinlich gleich- falls auf Hamanns Anregung erschienen, bieten aber keine Varianten. Das Manuscript hatte Hamann durch Herder er- halten, denn an diesen schreibt Lessing den 25. Juni 1780: „Sie verlangten die Fortsetzung meiner Freymaurer-Gespräche und ich hatte die einzige reine Abschrift davon sehr weit weg geliehen. In mein Brouillon konnte ich mich selbst nicht mehr finden, geschweige dass ein anderer hätte klug daraus werden können. Endlich habe ich sie wieder erhalten, und hier ist sie. Wenn Sie das Ding an Hamann senden, so versichern Sie ihn meiner Hochachtung.^ Der Abdruck von Hamanns- Abschrift; findet sich in No. 37 f. der Eonigsberger (Eanter- schen) „Gelehrten und Politischen Zeitungen" von 1781, S. 145 S Das einzige bis jetzt bekannte Exemplar dieses Jahrganges befindet sich im dortigen Staatsarchiv als Eigenthum der Alter- thumsgesellschaffc „Prussia". Die Mittheilung desselben, sowie die Notiz über den Jahrgang 1779 verdanke ich dem Secretär dieser Gesellschaft, Herrn Philippi. Aber auch dieser Druck ist nicht fehlerfrei, und es ist nicht möglich, lediglich nach ihm den Lessingschen Text zu gestalten. Es bleibt also nichts anderes übrig als eklekfisch zu verfahren ; damit aber das Mate- rial zu künftigem Gebrauch vollständig vorliege, gebe ich alle Varianten. Ich lege die Grotesche Ausgabe VIII, S. 24 flf. zu Grunde. Die „Vorrede eines Dritten" fehlt. Besonders ist noch auf die durch lateinische Buchstaben angedeuteten, aber nicht vorhandenen, Noten aufinerksam zu machen, weil diese den Inhalt eines schon entworfenen, ims aber verloren ge- gangenen sechsten Gespräches ausgemacht haben müssen laut

184 Boxberger, kleine Leasing- Beiträge.

der „Nachricht" am Schlüsse des fünften Gespräches. Viel- leicht waren es nur einige dieser Noten, die sich in Göckingks Exemplar vorfanden, und wir können deren Inhalt vielleicht aus den von mir in der Groteschen Ausgabe beigefügten No- tizen aus den ,,Collectaneen" u. dgl. errathen.

S. 24, Z. 4: befindest du dich wohl. Z. 12: Achsel. Z. 13: Ich dich verleitet? Z. 14: Ernst. Kann sein. Z. 3 v. u.: „umgeben" ge- sperrt gedruckt. S. 25, Z. 4: sich den Bauch. Z. 10: mir Dinge vorzuspiegeln. Z. 14 f.: wie unnöthig. Z. 16: schädlich! Z. 19: der Freymäurerei. Z. 5 f. v. u.: wieder auszugehen (durch diese einzig richtige Lesart wird die Stelle erst verständlich). Z. 1 v. u.: von dem übrigen Wege mehr. S. 26, Z. 5 f. fehlt: „auf die schottische Maurer ei". Z. 12: die wissen so viel! die erwarten so viel! (Also Ausfall durch Homoioteleuton.) Z. 14 und sonst statt ***: Tem- pelherren. Z. 21: diesen Träumen. Z. 22: Würklichkeit erkenne, aus allen diesen Irrwegen sich no^^h. Z. 25 : würklich. Z. 26 : machen lässt oder nicht, gilt. S. 27, Z. 4: ohngefehr. Z. 14: Goldmacher und Geisterbeschwörer. Z. 15: freilich leichter. Z. 17: würklichen. Z. 21 f.: diese Templars -would-be . Z. 23: du eine Spötterei noch. Z. 24 f.: ebendiese sind so gewiss auf dem rechten Wege, so gewiss, oder sind von dem rechten Wege so weit ab, so unend- lich weit! dass ihnen.. S. 28, Z. 5: gnug. Z. 8: Freimaurer. Z. 9: Freimaurer. Z. 10: dass er wollte. Z. 11: sich gar wohL Z. 15 f. fehlt: „Zum Exempel? Falk" (ein Fehler der Abschrift oder des Druckes). Z. 7 v. u.: nicht diesen Augenblick. Z. 3 v. u.: nicht von mir brauchst. Z. 1 v. u. : zu holen. Sehen. S. 29, Z. 1 : diesen nemlichen Punkt Z. 5 ff.: der freye Maurer an jenem grossen Tempel auf die Tempelherren gebracht; haben sie sich nur in das rothe Kreuz auf dem weissen Mantel vergafft; möchten sie nur gern einträgliche Com- thureyen. Z. 10: doch auch noch. Z. 15: betrügen! Z. 16: der erstere. Z. 18: die Tempelherren die Freimäm*er. Z. 19 : Statt. Z. 21 : ein voller Schwamm. Z. 23': hast du mir denn sa^en. Z. 25: schlep- pen? andere, als Kinder, als Leute, die Kinder zu misbrauchen kein Bedenken tragen? Z. 26: Gnug. S. 30, Z. 3: könne, sehe (schlech- tere Lesart). Z. 5: Sondern was. Z. 8: will, unter welchen ich wül. Z. 10: Du meinst? Z. 13: erfüllte; endlich. Z. 14 f.: Modi- ficationen. Z. 18: Sie wäre noch? Wenn (bessere Lesart). Z. 27: gnug. Z. 28: Hans Sachse. S. 31, Z. 4: von einem Stande, nem- lich, von dem, den Langeweile und Bedürfnis, sich zu beschäfftigen zu einem Stande macht. Z. 5: Zeit so nicht. Z. 10: doch noch zwei . Z. 15: einen äusserlichen Wohlstand.. Z. 19: furcht ich, furcht ich. Z. 24: Pfennig zu nützen suchen. Z. 25: sich privilegiren lassen. Z. 27: Observanz sind, die man so gar zum. Z. 32: schon selbst. Z. 36 fehlt fUschlich: „für Einfluss". S. 32, Z. 8: Schema!

Boxberger, kleine Leasing-Beitrfif^e. 185

Z. 11 u. 13: FreimSnrerey. Z. 16: ^^ist^^ nnd „geheissen^" gesperrt gedruckt. Z. 6 f. v. n.: seiner Bede. Z. 4 v. n.: Schlechteste. S. 33, Z. 2 fehlt „wohl". Z. 3: nahmst. Z. 8: Sorgen! Z. 11: Stümpfel. Z. 13: des Freimaurers. Z. 21 zweimal: widersprichst. Z. 8 V. u.: Freimaurerei. Z. 3 v. u.: „gewürkt". Die folgende Pe- riode: „Wie sich umgekehrt" fehlt. S. 34, Z. 1: wenn sie die Freimaurerei neben sich blühen Hess (bessere Lesart). Z. 2 : unfehl- bare Merkmal eines schwankenden, furchtsamen. Z. 6: Denn sie be- ruht. Z. 8 f. : auf dem gemeinschaftlichen Gefühl sjmpathisirender Geister (bessere Lesart). Z. 10: sich, dem zu. Z. 15: können; und hatte. Z. 22: Gnug. Z. 7 v. u.: gemodelte. Z. 3 v. u. fehlt: „In keinem?" S. 35, Z. 3: Stellein . Z. 4: In Howers Londmopolis? •) Nicht so? Staub! Z. 6: Sechsten? ^) S. 36, Z. 2: ertheilte? *) Z. 6: £rn8t. Locke, der Philosoph. Z. 7: Pembrock. Z. 8: Hand ehedem geschrieben? ^) Z. 16: ungerügt bleiben dürfen. Z. 19: können. Gnug. Z. 21 bis S. 37, Z. 2: Geckerey unternähme; denn gerade die Verächtlichste kann eben dadurch, dass sie die verächt- lichste ist, dass sich Niemand die Mühe nimmt, sich ihr entgegen- zustellen, mit dem Laufe der Zeit (der Ausfall durch Homoioteleu- ton hat eine Beihe von Correcturen nach sich gezogen , die der Stelle bisher einen erträglichen, aber doch schiefen Sinn gaben). S. 37, Z. 4: Jahr: „Würde man das so." Z. 8: Was bist du? was bist du? Z. 12: so handgreiflich, so handgreiflich! Z. 20: vorwalte. Z. 21: syno- nymen. Z. 24: kam. Z. 25: Symbola. Z. 27: verfänglich.*) S. 38, Z. 1: doch seine Ursache. Z. 7: eine andere Frage. Z. 10: längst erwarten. Z. 27 f.: üblig sind, oder doch unlängst üblig. Z. 28: Masgenosse u. s. w. Z. 31: hatte (*). S. 39, Z. 5: eine ge- schlossene vertraute Tischgesellschaft. Z. 6 f.: Saufgelach. Z. 15: Die alten Lieder und Geschichtsbücher sind davon Zeuge (**). Z. 19: hat 0. Z. 27: Fabel nach «). S. 40, Z. 6: vertrautere. Z. 7: war**). Z. 13: Gerüchte. Z. 16 und sonst: Massonei. Z. 18: Masse- Thanes unter ihnen waren. Es wkren allem Ansehen. Z. 20: zeigte^). Z. 21: zwölften und dreizehnten Jahrhundert in grossem Rufe. Z.'22: Tempel-Massonei. Z. 23: siebzehnten. S^41, Z. 2: viel innere Merkmale. Z. 4 f.: Und was hindert, diese Tradition end- lich einmal durch schriftliche Verzeichnung zur Geschichte zu er- heben? (bessere Lesart). Z. 11: Tempel-Massonei. Z. 13 f.: ohnfern der Sanct Paulskirche, die damals neu gebauet wurde ^). Z. 20: der Paulskirche. S.42, Z.lOflF.: Kirche interessirte ganz London; und jeder, der sich einiger Begriffe von Baukunst bewusst war, um die Nach- richten davon aus der ersten Hand zu haben, bewarb sich um Zu- tritt zu der vermeinten. Z. 17: speculative. Z. 21: erhübe. Z. 25 ff.: Symbola desjenigen Handwerks versteckte, was man jetzt unter dem Worte Masony so hartnäckig zu finden glaubt: Wie, wenn ich die Masony zu einer Free-Masonry erweiterte (durch diese ein-

186 Boxberge)*, kleine Leasing-Beiträge.

zig richtige Lesart wird die ganze Stelle erst verständlich). Z. 29: ward! Z. 33: nun? Z. 37: versprochen? S. 43, Z. 3: aus- gedruckt. Z. 5: musst nach der Stadt.

Schliesslich noch einige Bemerkungen zur Kritik und Er- läuterung dieser vortrefflichen Gespräche. Sonderbarer Weise steht in den meisten mir bekannten Ausgaben, die meinige bei Grote mit eingerechnet (VIQ, S. XXVII f., Hempels Ausg. XVIII, S. 351 y Guhrauer, Leben Lessings, 11, 2, Anhang S. 36; nur die von Maltzahnsche , XI; 2, S. 230 , hat das richtige, die Einzelausgabe von Merzdorf ist mir noch nicht zu Gesicht ge- kommen) die Nicolaische Chiffre statt hinter der Ueberschrift: „Apologie" eine Zeile vorher. Nicolai hatte mit seiner Ver- muthung Recht; die beiden Notizen Lessings finden sich wirk- lich in V. Starcks 1778 anonym erschienener ,,ApoIogie des Freimaurer -Ordens" S. 100 und 116. Zur Stelle aus Her- manns von Sachsenheim ,,Morin" vergleiche man Canzlers ;, Quartalschrift für ältere Litteratur" u. s. w. I, S. 106 ff. 235 f. Die meisten übrigen Notizen dieses Entwurfes sind entlehnt aus Prestons lUustrations of Masonry; über Lessings Stellung zu diesem Buche vgl. meine Anmerkung zu VIII, S. 36. Mir hat die 14. Ausgabe desselben vom Jahre 1829 vorgelegen. Dort findet sich die erste Notiz über ^,Bruder Anderson" S. 204. Zuerst war das Constitutionsbuch nicht 1722, sondern 1723 herausgegeben worden; ebenda S. 192 f. Andersons Ausgabe von 1738, S. 199, woher die folgende Notiz stammt Der Bau der Paulskirche wurde nach Preston S. 169 und 175 1710 voll- endet. Hinter der Notiz aus „P. 190" scheint die Jahreszahl zu fehlen; nach Preston S. 187 würde sie heissen müssen: 1718. Die folgende Notiz findet sich ebenda S. 188, doch wieder mit der Jahreszahl 1720 statt 1721. Woher Lessing die Notizen über „John Entick" und über die „altem Logen" genommen hat, habe ich noch nicht ermitteln können. Die albernen An- merkungen Nicolais , des alten „Jesuitenriechers", welche dem ganzen treiben eine viel grossere Wichtigkeit geben, als es hat, würde ich in einer künftigen Auflage weglassen.

Ein unbekaniites Gedicht Höltys.

Von Karl Weinhold.

An Sangrich.

Noch wohnet Unschuld, die von der Mam' entfloh, In deutschen Mädchen. Tugend und Sanftmuth blickt Aus ihren grossen blauen Augen,

Wo sich der Engel, die Seele, spiegelt.

5 Nicht Purpurrosen, welche die Schminke schafift, Entknospen auf den Wangen der Mädchen sich; Die mögen auf den Wangen Deiner Töchter, Lutetien, sich entfalten!

Die süsse Böthe schüchterner Sittsamkeit 10 Umströmt ihr Antlitz, wenn sich der Jüngling naht, Den ihre Seelen lieben, und dann

Blicke den Blicken entgegenschmachten.

Ein freudenseelig Lächeln entschwebet oft Den Grübchen ihrer Wangen und blitzet flugs

15 Ein Eden in die Brust 0 Wonne!

Wonne dem Sänger der deutschen Mädchen!

Sie lieben deutsche Lieder, beseelen oft Klavier und Laute, giessen den Silberstrom

Des Zaubersangs darinn 0 Wonne!

20 Wonne dem Sänger der deutschen Mädchen!

Sej, Freund, ihr Sänger! Mutter Natur verlieh Dir zart Gefühl und zaubernden Harfengriflf; Es wandeln sich ob Deinen Liedern Stürme des Busens ins Westgesäusel.

188 Weinhold, ein Gedicht Höltys.

25 Besing die Wonnen, welche die Liebe giebt,

Der Tugend Schwester,. wenn sich der Geist besäuft,

Durch tausend Irren schwankt, dem offnen

Himmel der Himmel entgegentaumelt.

Lobpreis' auch Unschuld, Unschuld, den Genius 30 Der deutschen Mädchen; Sänger, Dein süsses Lied Soll einst das Mädchen wirbeln, das mich Künftig, so flüstert mein Engel, liebet;

In Blüthenlauben wirbeln, wenn Dämmerung

Beströmt mit Röthe winket Wir kosen dann

Den Abendstern ins Meer hinunter,

Kosen von Dir und unsrer Freundschaft.

Haining.

Dieses bisher unbekannte Gedicht Höltys ist in einer Ab- schrift von Voss auf einem Octav blättchen erhalten, das ich jüngst hier in Breslau von einem Antiquar erwarb, üass Voss, an den das Gedicht gerichtet ist, der Copist war, ergibt die Hand- schrift; als Gewährsmann erlaube ich mir Herrn Prof. v. Halm in München anzuziehen, dem ich das Blatt mitgetheilt habe. Die Verfasserschaft Höltys aber im einzelnen zu erweisen, wird wol den folgenden Ausführungen gelingen. «

An Sangrich ist das Gedicht gerichtet. Sangrich war Vossens Bundesname, den er Ende 1772 gegen den früheren Gottschalk eintauschte, wie er in einem Briefe vom 6. Dec. 1772 an Brückner schreibt (Herbst Voss I. 285). Wir erhal- ten dadurch einen terminus a quo für die Entstehungszeit der obigen Strophen. Höltys Bundesname Haining, aus Klop- Stocks Ode „Die Kunst Tialfs'' entlehnt, ist schon durch das als Höltysch anerkannte Gedicht „Der Bund, von Haining^ (Al- manach der deutschen Musen 1780, S. 137. Geislers Ausg. L 1. Halm 1869, S. 210. 1870, S. 56) bezeugt, welches Hölty nach dem Bundesjoumal am 16. Sept. 1772 vorlas.

In der Ode nimmt Hölty die deutschen Mädchen gegen den Vorwurf in Schutz, dass sie französischer Verderbniss ver- fallen seien und die wälschen unsittlichen Lieder deutschem Gesänge vorziehen. Er fordert Voss auf, ihr Dichter zu sein und Liebe und Unschuld zu besingen. Das Mädchen, das ihn

Weinhold, ein Gedicht Höltya. 189

einst beglücken werde, solle des Freundes Lieder vor ihm er- schallen lassen.

Schon dieser Inhalt weist das Gedicht dem Göttinger Hain zu, in welchem der üble Einfluss der französischen und fran- zösierenden Poesie auf die deutschen Mädchen zu den belieb- testen Gegenständen der jugendlichen Polemik gehörte. In seinem Gedichte an den Bund hatte Hölty selbst gesungen:

Kein blaues Auge weine die Blumen nass. Die meinen Todtenhügel beduften, falls Ich Lieder töne, welche Deutschland Schänden, Laster und Wollust hauchen.

Der Enkel stampfe zornig auf meine Gruft, Wann meine Lieder Gift in das weiche Herz Des Mädchens träufeln, und verfluche Meine zerstäubende kalte Asche! (S. 211.)*

•Und an Teuthard-Hahn sang er:

Kein deutscher Jüngling wähle das Mädchen sich, Das deutsche Lieder hasset und Buhlersang Des GalUers in ihrer Laute Tändelnde Silberaccorde tönet. (S. 86.)

Voss schleuderte seiner herben Natur gemäss den Vorwurf der Verwälschung am schärfsten den Deutschen ins Gesicht. In seinem Gedicht „Deutschland, an Fr. Leop.Graf zu Stolberg^ sang er :

Nach Wollust schnaubt der lodernde Jüngling jezt. Der Mann nach Gold; in lauer Gebüsche Nacht Lustwandeln freche Mädchenchöre, Schmachtend in Galliens weichsten Tönen.

0 dichtet ihnen, Sänger Germanias,

Ein neues Buhllied I Singet den Horchenden

Des Bosenbetts geheime Zauber

Oder die taumelnden Lustgelage!

Ein lautes Händeklatschen erwartet euch!

Ihr wollt nicht? weiht der Tugend das ernste Spiel?

Hai flieht, und sucht im fernen Norden

Eurem verbannten Gesänge Hörer!

(Musen -Almanach 1774, S. 187.)

* Wo nichts anderes bemerkt ist, citiere ich die Höltyschen Gedichte nach Halms Ausg. von 1869.

Ascmv f. LiTT.-OssCB. VII. 13

190 Weinhold, ein Gedicht Höltys.

Von bitterer Ironie erfüllt ist auch Vossens Gedicht an die Herren Franzosen, das am 3. Juni 1773 entstund und eben- falls im Musen-Almanach f. 1774 (S. 167 169) erschien.

In jener mit dem 3. Dec. 1772 bezeichneten Ode Deutsch- land glaube ich nun die unmittelbare Veranlassung meines t Höltyschen Gedichtes zu finden und setze dasselbe daher An- fang 1773« Ausser dem entsprechenden Inhalt spricht dieselbe Alcaeische Strophenform ^afür.' Möglicher Weise ist diese Ode das nach dem Bundesprotokoll von Hölty am 20. April 1773 voi^elesene Gedicht an Voss, obschon zwei andere Dich- tungen unseres Sängers, die an Voss sich wenden, um diesen Tag mit der unsern streiten können (S. 95. 97 Halm).

Für Höltys Autorschaft des Haining-Gesangs an Sangrich gebe ich nun genauere Beweise, die zugleich Beiträge für seine und des Bundes Sprache bieten.

V. 1. die von der Marn' entfloh des bunten Mäd-^ chens, das an der Marne Strand Ihr Liedchen klimpert, Hölty M.-Alm. 1773, S. 80. Andere Lesarten dieser Stelle verzeichnet Halm S. 86. Auch Voss nennt die Marne in dem Gedichte an die Herren Franzosen: bettelt um den Kranz der an der Marne sprosst, M.-Alm. 1774, S. 168.

2. Tugend und Sanftmuth blickt Aus ihren grossen blauen Augen das sind natürlich sehr geläufige Forde- rungen an die deutschen Mädchen. Ich will nur aus J. M. Millers Ideal seiner Geliebten anführen: Sanft sei ihr blaues Auge, Sittsamkeit wohne drin und Unschuld (Ged. S. 87). Elopstpck und alle seine Jünger vergessen nie die Bläue des deutschen Mädchenauges.

4. Wo sich der Engel, die Seele, spiegelt Dein grosses blaues Augenpaar, woraus ein Engel blickte, Hölty S. 130; ihr Aug' ist blau, durchstrahlt die ganze Seele S. 180.

6. Entknospen sich zu dieser reflexiven Verwendung von entknospen fehlen mir andere Belege.

8. Lutetien braucht Hölty als deutsche Form für Lutetia, vgl. S. 70. 86 (Gen. Lutetiens), ebenso Miller S. 87. Voss da- gegen bediente sich des lateinischen Lutetia: Söhne Lutetias, M.-Alm. 1774, S. 167 ; Sänger Lutetias, ebd. 169.

10. Die süsse Röthe schüchterner Sittsamkeit um-

Weinhold, ein Gedicht Höltys. 191

strömt ihr Antlitz Sittsamkeit umfloss wie Monden- schimmer Ihre Rosenwangen, Hölty 8. 60.

14. den Grübchen ihrer Wangen die kleinen Wangengrübchen, Hölty S. 130; wo sind nun die Grübchen, wo die Scherze sassen, S. 53.

17. beseelen oft Klavier und Laute, giessen den Silberstrom Des Zaubersangs darinn das Glavier war durch Voss im Göttinger Kreise ein gefeiertes Instrument. Miller sang in seinem Liede „An meine Freunde in Göttingen" (Leipzig, Jenner 1775): Vom silbernen Klavier strömt Har- monie durch Vossens Hand geleitet Euch ins Herz (Ged. S. 343). Derselbe dichtete: Das deutsche Mädchen an ihr Klavier (1772) S. 153; An Daphnens Klavier (1773), S. 267; Als Mariane am Klavier sang (1775, aus dem Siegwart), S. 366. In seinem Gedichte an Miller und Hölty (Der deutsche Gesang, 1773) hebt denn auch Voss, der beide Freunde als Wiedererwecker echt deutschen Gesanges preist, hervor: Schon singt euren Gesang rosiger Mädchen Mund, Dort in Harf und Klavier, dort in des Buchenhains Froh antwortendem Nachhall, Lyr.Ged.I,48(1802).

Die Laute und das silberne Metall waren durch Klop- stock den Barden geläufig, vgl. Klopstocks Ode Sponda: Da sang der Laute Silbergesang (S. 194, Ausg. v. 1771). Zu unserer Stelle vgl. auch Hölty S. 86, Buhlergesang des Galliers in ihrer Laute tändelnde Silberaccorde tönet; Miller S.88, Dann erschall' ein keusches Lied am Abend Lieblich ins Silbergetön der Laute.

Das Bild des strömens und giessens des Gesangs ist Hölty und den seinen geläufig: goss ich Flammen der Seele in mein zitterndes Saitenspiel, Hölty S. 108; giess nicht so laut die liebeglühnden Lieder, S. 172; und den Strom des Gesangs, welcher den goldenen Engelharfen entrauscht, trinkt, S. 73; strömt in Liedern dahi», S. 137; ströme wieder Gesang, Stolberg Ged. (1779) S. 152; und ein Strom von Harmonien; Geusst in süssen Melodien Sich in deinen Silberschall, Miller S. 268.

19. darinn diese idiotische Wortform, welche Hölty auch im Misogyn uncorrigiert von Boie brauchte (M.-Alm. 1773, 8. 31) ist Beweis, dass Voss eine treue Abschrift der Ode ge- macht hat. In seiner Hölty-Ausgabe von 1781 hat er im Weiber- feind darinn in darein gebessert, S. 58.

13*

190 Weinhold, ein Gedicht Höltys.

Von bitterer Ironie erfallt ist auch Vossens Gedicht an die Herren Franzosen^ das am 3. Juni 1773 entstund und eben- falls im Musen-Almanach f. 1774 (S. 167 169) erschien.

In jener mit dem 3. Dec. 1772 bezeichneten Ode Deutsch- land glaube ich nun die unmittelbare Veranlassung meines « Holtyschen Gedichtes zu finden und setze dasselbe daher An- fang 1773. Ausser dem entsprechenden Inhalt spricht dieselbe Alcaeische Strophenform \^afür.* Möglicher Weise ist diese Ode das nach dem Bundesprotokoll von Holty am 20. April 1773 vorgelesene Gedicht an Voss^ obschon zwei andere Dich- tungen unseres Sängers , die an Voss sich wenden, um diesen Tag mit der unsern streiten können (S. 95. 97 Halm).

Für Holtys Autorschaft des Haining-Gesangs an Sangrich gebe ich nun genauere Beweise , die zugleich Beiträge fOr seine und des Bundes Sprache bieten.

V. 1. die von der Marn' entfloh des bunten Mäd-^ chens, das an der Marne Strand Ihr Liedchen klimpert, Holty M.-Alm. 1773, S. 80. Andere Lesarten dieser Stelle verzeichnet Halm S. 86. Auch Voss nennt die Marne in dem Gedichte an die Herren Franzosen: bettelt um den Kränz der an der Marne sprosst, M.-Alm. 1774, S. 168.

2. Tugend und Sanftmuth blickt Aus ihren grossen blauen Augen das sind natürlich sehr geläufige Forde- rungen an die deutschen Mädchen. Ich will nur aus J. M. Millers Ideal seiner Geliebten anführen: Sanft sei ihr blaues Auge, Sittsamkeit wohne drin und Unschuld (Ged. 8. 87). Elopstock und alle seine Jünger vergessen nie die Bläue des deutschen Mädchenauges.

4. Wo sich der Engel, die Seele, spiegelt Dein grosses blaues Augenpaar, woraus ein Engel blickte, Hölty S. 130; ihr Aug' ist blau, durchstrahlt die ganze Seele S. 180.

6. Entknospen sich zu dieser reflexiven Verwendung von entknospen fehlen mir andere Belege.

8. Lutetien braucht Holty als deutsche Form für Lutetia, vgl. S. 70. 86 (Gen. Lutetiens), ebenso Miller S. 87. Voss da- gegen bediente sich des lateinischen Lutetia: Söhne Lutetias, M..Alm. 1774, S. 167; Sänger Lutetias, ebd. 169.

10. Die süsse Röthe schüchterner Sittsamkeit Um-

Weinhold, ein Gedicht Höltys. 191

strömt ihr Antlitz Sittsamkeit umfloss wie Monden- schimmer Ihre Rosenwangen, Hölty 8. 60.

14. den Grübchen ihrer Wangen die kleinen Wangengrübchen, Hölty S. 130; wo sind nun die Grübchen, wo die Scherze sassen^ S. 53.

17. beseelen oft Klavier und Laute, giessen den Silberstrom Des Zaubersangs darinn -— das Clavier war durch Voss im Gottinger Kreise ein gefeiertes Instrument. Miller sang in seinem Liede „An meine Freunde in Göttingen" (Leipzig, Jenner 1775): Vom silbernen Klavier strömt Har- monie durch Vossens Hand geleitet Euch ins Herz (Ged. S. 343). Derselbe dichtete: Das deutsche Mädchen an ihr Klavier (1772) S. 153; An Daphnens Klavier (1773), S. 267; Als Mariane am Klavier sang (1775, aus dem Siegwart), S. 366. In seinem Gedichte an Miller und Hölty (Der deutsche Gesang, 1773) hebt denn auch Voss, der beide Freunde als Wiedererwecker echt deutschen Gesanges preist, hervor: Schon singt euren Gesang rosiger Mädchen Mund, Dort in Harf und Klavier, dort in des Buchenhains Froh antwortendem Nachhall, Lyr.Ged.I,48(1802).

Die Laute und das silberne Metall waren durch Klop- stock den Barden geläufig, vgl Klopstocks Ode Sponda: Da sang der Laute Silbergesang (S. 194, Ausg. v. 1771). Zu unserer Stelle vgl. auch Hölty S. 86, Buhlergesang des Galliers in ihrer Laute tändelnde Silberaccorde tönet; Miller S.88, Dann erschalV ein keusches Lied am Abend Lieblich ins Silbergetön der Laute.

Das Bild des strömens und giessens des Gesangs ist Hölty und den seinen geläufig: goss ich Flammen der Seele in mein zitterndes Saitenspiel, Hölty S. 108; giess nicht so laut die liebeglühnden Lieder, S. 172; und den Strom des Gesangs, welcher den goldenen Engelharfen entrauscht, trinkt, S. 73; strömt in Liedern dahia, S. 137; ströme wieder Gesang, Stolberg Ged. (1779) S. 152; und ein Strom von Harmonien; Geusst in süssen Melodien Sich in deinen Silberschall, Miller S. 268.

19. darinn diese idiotische Wortform, welche Hölty auch im Misogyn uncorrigiert von Boie brauchte (M.-Alm. 1773, S. 31) ist Beweis, dass Voss eine treue Abschrift der Ode ge- macht hat. In seiner Hölty-Ausgabe von 1781 hat er im Weiber- feind darinn in darein gebessert, S. 58.

13

192 Weinhold, ein Gedicht Höltys.

21. Mutter Natur verlieh Dir zaubernden Harfen griff vgl. Hölty S.51; mancher der mit kühnen Saitengriffen dich besungen hätte.

24. Westgesäusel Hahn brauchte Westgelispel M.-Alm. 1773, S. 177, und Lispel des Wests, ebd. S. 204.

25. Die Liebe Der Tugend Schwester zu der Liebe, der Tugenden schönsten, Elopstock die künftige Geliebte (1771, S. 282).

26. wennsichderGeist besäuft, Durchtausendirren schwankt, dem offnen Himmel der Himmel entgegen- taumelt — ein Hölty -kundiger Freund, dem ich eine Abschrift des Gedichts mittheilte, schrieb mir: „trotz Ihrer zierlichen Schrift kann ich nicht lesen, wer sich da besoffen hat. Heisst das Subject Geist? Ich bitte um ein erklärendes Wort über den Säufer". Ja, lieber C. Chr. R., ich kann nicht helfen; mit fester Yossischer Hand steht da: „wenn sich der Geist besäuft". Schlagen Sie nun Ihren Yossischen Musen-Almauach von 1776, S. 70 auf, da lesen Sie denselben Gedanken, wenn auch we- niger studentisch uiid bardenhölisch:

Jede Seele trinkt aus Bächen der Seraphim

Weilt und trinkt und weilt und schwanket im Labyrinth.

(Hahn S. 107.)

Zwischen der trinkenden und trinkenden und dann im Laby-

rinth schwankenden Seele und dem besoffenen Geist^ der durch

tausend Irren schwankt und dem Himmel entgegentaumelt, ist

eben kein Unterschied. Dasselbe, nur zierlicher, singt Hölty

in dem Liede an eine Quelle (Halm 125): „Hier ist der Platz,

wo jüngst der erste Funken Der Lieb' in meinen Busen sank.

Wo jüngst mein Geist so wonnevoU, so trunken Den ersten

süssen Taumel trank.'' Also der Text ist nicht zu bezweifeln.

Die Stelle wird wol aber*dar^j^ gewirkt haben, dass Voss

unser Gedicht von der Ausgabe ausschloss, wie die gleiche

Wirkung der schönen Stelle in dem „Bund von Haining^

beizumessen ist: „Verlasstmich, Freunde, dass mir die trockne

Brust Im kühlem Taumel brenne." Unser Hölty hat manche

unreife Phrase sich zu Schulden kommen lassen, vgl. Halm

S. 58, 9-11. 63, 11. 86, 26. 111, 25—28. 114 (No. 58, 1. 2.).

154, 18. 164, 21 -24. 168, 12.

Weinhold, ein Gedicht Höltys. 193

Irre für Labyrinth war durch Klopstock empfohlen, vgl. Grimm D. Wbr. IV. 2, 2162. Unter andern brauchte es auch C. Fr. Gramer: in den kreiselnden Irren, M.-Alm. 1773, S. 52.

entgegentaumelt Holty liebt taumeln und Taumel in seinen Gedichten: Dann trink ich wie ein Götterkind Die volle Flasche leer, Dass Gluth mir durch die Adern rinnt, Und tauml und fordre mehr, S. 189; es taumelten Blüthen Auf mein lispelndes Spiel herab, S. 108; trägt uns zum taumelnden Brocken, S. 195; birg die purpurne Wange! sonst ersink' ich dem Taumel, S. 201; trinke den Taumel der Erdenwonne, S. 105; wo jüngst mein Geist so wonnevoll, so trunken Den ersten süssen Taumel trank, S. 125; in dem Feuer deines Taumels glüht, S. 151 (1870); und trink aus meinem Taumelkrug, S. 169 (1869); tausend übervolle Taumelschalen, S. 151 (1870).

29. Unschuld, Unschuld die Doppelung der Worte gehört zum Stil Höltys: Thränen, Thränen des Herzens, S. 57; Wonne, Wonne, 73; Wonne mir, Wonne mir, 79; so freundlich, so freundlich, 75; weile, weile, 76; Lauren, Lauren, 78; Immjer, immer, 81; wecke, wecke, 84; Trümmer, thürmende Trümmer, 85; süsser, süsser Silberklang, 145; es bricht, es bricht, 158; so komm, so komm, 166; o komm zurück, o komm zurück, 174; zum Mahle, zum Mahle, 176; beglückt, beglückt, 199, 202.

Unschuld, Den Genius der deutschen Mädchen Unschuld, die Minnerin dieser friedlichen Schäferflur, Führt ein Mädchen am Arm, Hölty S. 73; leitet, ihr Tugenden, Wie eine Schaar von Schwesterengeln Sie durch die Pfade des Erden- lebens, S. 105.

30. Dein süsses Lied Soll einst das Mädchen wirbeln vergebens wirbeln mir die Vögel Melodie, Hölty S.48; lieblich wirbelst du hier, Zauberin Nachtigall, 103; Nachti- gallen, die wirbeln goldene Träume der Liebe, 192; Nachtigallen- musik wirbelt Schlummer, 137; Büsche wirbeln ihre Lieder, 194; wo der Wechselgesang wirbelnder Harfen scholl, 77; in das Ge Wirbel der Harfe, 211.

31. Das Mädchen das mich Künftig liebet die du mich künftig liebst, Elopstock die künftige Geliebte.

33. In Blüthenlauben wirbeln die Laube ist Klop- stock und den seinen die vertraute Stätte der Liebe und, Freund-

194 Weinhold, ein Gedicht Höltys.

Schaft; vgl. Eilet Winde mit meinem Verlangen zu ihr in die Laube, Klopstock künftige Geliebte; wenn der Abendstem schon am einsamen Himmel heraufgeht Und aus dämmernden Lauben den Weisen, ihn anzuschaun, herwinkt, Messias I, 543; itzo hatten sie häufig die schimmernden Lauben verlassen, I, 686. Vgl. femer Vossens Gedicht Die Laube, M.-Alm. 1778, S. 134; Millers Gedichte S. 92, 220, 274, 278; aus Höltys Gedichten: Deine Blüthenlauben, wo Nachtigallen Maienlieder flöteten, S. 81; Lauben klingen yon Gläsern, Lauben rauschen von Küssen Und von frohen Gesprächen Und vom Lächeln der Liebenden, S. 192; rauscht die Laube vom Eussgelispel, S. 105; Küsse flüstern aus den Lauben um die Abenddämmerung, S. 140; es grüne die Laube, die Küsse yerschliesst, S. 177; nah ist die Laube kühl und grün, noch schmecket in der Abendlaube Der Kuss auf einen rothen Mund, S. 203.

33. wenn Dämmerung Beströmt mit Böthe winket rötheres Abendroth strömt durch die Blätter, Hölty S. 105; strömet das Abendroth durch die schimmernden Blumen hin, 118; und vom rothbeströmten Himmel Dämmerung hernieder wallt, Miller S. 267.

34. Wir kosen dann Den Abendstern ins Meer hin- unter — Schäferin und Schäfer kosen manche goldne Stunde hin, Hölty 140; sinkt sie nie mit der Dämmerung Stern mir an die bebende Brust?, Klopstock künftige Geliebte. Wer etwa an der harten Construction Anstoss nimmt, wolle sich durch folgende Blumenlese überzeugen, dass sie dem Höliyschen Odenstil sehr wol sich anfügt: Scene, welche vor mir lieget, giesse Wehmuth mir zum Busen, S. 49; wenn dein Moos schon begonnen ist^ S. 58; immer Folger seiner Tugend seyn, S. 62; die Seelen der Abende, die wir yerkost, S. 92; geudete für und für neue Freuden auf uns herab, S. 94; kein Sturm düstert die Seelenruhe des Beglückten, S. 96; die Stunde flügelt plötzlich den Schritt, S. 92; flügle dich schnellen Flugs an meinen Busen! ach du strömest mir in die bebenden offenen Arme, S. 210; Ein süsser Schlaf sinkt auf ihr keusches Bette, Wie auf die Lauben Edens sank, S. 201.

Ich denke durch diese Ausführungen bewiesen zu haben, dass die Ode Hainings an Sangrich von Hölty gedichtet ist.

Zn Schillers Uebersetznngen ans dem £uripides

und dem Virgil.

Von

Fritz Jonas. I.

I

Die Königliche Bibliothek in Berlin besitzt zwei Einzel- ausgaben der Schillerschen Uebersetzung der Iphigenie^ deren in der historisch -kritischen Ausgabe von Goedeke nicht ge- dacht ist. Die eine erwähnt schon Tromel in der „Schiller- Bibliothek'^ unter No. 211 als eine Separatausgabe aus dem „Theater von Schiller^. Der Titel lautet: Iphigenie in Aulis. Uebersetzt aus dem Euripides. Von Schiller. Tübingen in der J. G. Cottaschen Buchhandlung 1807 (8^°, 108 Seiten; die „Anmerkungen^ nach dem Texte sind nicht mit abgedruckt). Wenn aber Trömel am angegebenen Orte behauptet, diese Aus- gabe sei der erste Einzeldruck, so widerlegt ihn der zweite Einzeldruck der Berliner Bibliothek, dessen Titel vollständig lautet: Iphigenie in Aulis. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Aus dem Griechischen des Euripides. Uebersezt von Schiller. Köln am Rhein 1790. Gedrukt und verlegt in der Langen- schen Buchhandlung (8^^, 95 Seiten; die Anmerkungen'^ nach dem Texte sind nicht mit abgedruckt; statt der Schlussnote stehen unter dem letzten von Schiller übersetzten Verse die Worte: Ende des Trauerspiels). Auch diese Ausgabe bietet für die Kritik keine Ausbeute. Sie ist ein elender Nachdruck des Textes aus der Thalia, in dem nicht einmal die klarsten Druck- fehler verbessert, wol aber neue Druckfehler hinzugekommen sind.

So steht in Vers 168 Gehorsam st, Glauben. V. 190 den

196 Jonas, zu Schillers UebersetzuDgen.

st. dem. V. 513 fehlt das eine „wen". V. 563 gingen st. ginge. V. 636 fehlt „Du*'. V. 653 von st. vom. V. 782 fehlt „es". V. 790 die st. diese. V. 811 Lekken st. Becken. V. 935 Spart's st. Spartas. V. 970 erwalte st. erwarte. V. 1033 fehlt der erste Halbvers. V. 1259 fehlt „Lebe". V. 1400 fehlt die erste Hälfte. V. 1472 Götker st. Götter. V. 1561 Wink st. Werk. V. 1606 gepfltigeltem st. geflügeltem. V. 1754 meine st. meiner.

Die übrigen Verschiedenheiten betrefifen nur die Ortho- graphie.

Wichtiger als diese Erwähnung der beiden Einzelausgaben, die nur der Vollständigkeit halber in der historisch-kritischen Aus- gabe aufzuführen gewesen wären, ist der Nachweis, den Goedeke selbst in „Schillers Geschäftsbriefen^ S. 53 gegeben hat, dass Schiller bei seinen Uebersetzungen aus dem Euripides ausser der lateinischen Uebersetzung des Josua Barnesius und der französischen vom Pere Brumoy auch die deutsche Ueber- setzung von J. J. Steinbrüchel aus dem zweiten Bande „des tragischen Theaters der Griechen" (Zürich 1763, 2 Bde. 8^^) zur Hand gehabt habe. Da nun Goedeke eine Vergleichung dieser beiden deutschen Uebersetzungen in den Geschäftsbriefen nicht geben konnte, auch dort den Wunsch aussprach, dass ein anderer jüngerer Freund Schillers diese Vergleichung ein- mal anstellen möge, so habe ich Veranlassung genommen dies zu thun.

Als Resultat dieser Vergleichung stelle ich die Behaup- tung auf, dass Schiller sicherlich die Steinbrücheische Ueber- setzung gekannt, dieselbe aber nur für wenige Stellen seiner Uebersetzung genutzt hat. Schillers Uebersetzung ist durch- aus frei und selbständig, und nur selten verhältnissmässig stim- men die Ausdrücke beider deutscher Uebersetzer so überein, dass wir auf die Abhängigkeit Schillers von Steinbrüchel schliessen müssten. Denn auch dem Zufall und der natür- lichen Nothwendigkeit muss bei übereinstimmenden Ausdrücken zweier Uebersetzer Rechnung getragen werden.

Ich halte es daher nicht für meine Aufgabe, hier mit Vollständigkeit alle Uebereinstimmungen beider Uebersetzer zu verzeichnen; es genügt, so denke ich, wenn ich zum Be- weise meiner Behauptung nur einige Stellen geltend mache,

Jonas, zu Schillers UebeiBetzuhgen. 197

an denen eine Abhängigkeit Schillers von Steinbrüche! ent- weder sicher vorhanden ist oder doch näher liegt als die vom Josua Bamesius oder vom Pere Brumoy.

Schill. Iph. V. 60:

Trankopfer giessen auf den flammenden Altar.

Steinbr. Bd. II, S. 99:

Trankopfer auf den flammenden Altar giessen.

Barn. V. 59 60:

et per ardentes victimas Libationes demitterent.

P. Brumoy T. VII, S. 126:

ä faire des libations sur les victimes brülantes.

Schill. V. Ö47 548:

Mein Bruder, lass mich deine Hand ergi'eifen. Da hast du sie.

Steinbr. S. 124:

Mein Bruder, lass mich deine Hand ergreiffen. Da hast du sie.

Barn. V. 471 472:

Frater, da mihi, ut tuam dextram contingam. Do.

Brumoy S. 156: Souflrez, mon fröre, que je touche votre main en signe de paix. -^ J'y consens,

Schill. V. 798—799:

wo du An deinen Vater denken wirst.

Steinbr. S. 138:

wo du an deinen Vater denken wirst.

Barn. V. 667:

ut sis memor patris. Brumoy S. 174:

alors vous pourrez vous souvenir d'un pöre,

Schill. V. 802 803:

Also willst Du in ein fremdes Haus mich bringen lassen.

Steinbr. S. 139: Also willst du mich in ein fremdes Haus bringen lassen, mein Vater.

Barn. V. 670:

An igitur in alias aedes me coUocabis, pater.

Brumoy S. 174: J'entends votre pens6e; vous me destinez un hymen ailleurs.

198 Jona«, zu Schälers üebersetzimgen.

Schill. V. 811 812:

So werden Wir einen Beigen um den Altar ftlhren?

Steinbr. S. 139: Werden wir denn Beigen um den Altar führen, Vater?

Barn. V. 676:

0 pater, faciemusne chorum circa aram?

Brumoy S. 174:

Y chanterons-nous des hymnes?

Schill. V. 1029:

Vielleicht, dass wir nicht beide uns betrügen.

Steinbr. S. 163: Vielleicht, dass wir uns nicht beyde in unseren Beden betriegen.

5arn. V. 846:

Nam fortassis non mentimur ambo verbis, quae facimus.

Brumoy S. 191:

car nous ne cherchons pas ä nous tromper mutuellement.

Schill. V. 1384:

Im schwarzen Blute röchelnd fallen sollen.

Steinbr. S, 177:

alles ist in Bereitschaft, auch die Binder, die vor der Hochzeit im schwarzen Blute röchelnd der Diana zum Opfer fallen sollen.

Barn. V. 1114 1115:

et iuvencae, quas ante nuptias oportet mactari deae Dianae, nigri sanguinis halitus, exundationes.

Brumoy S. 213:

et les victimes dont le sang doit couler en l'honneur de Diane avant Thymen dlphig6nie.

Schill. V. 1410 1411:

Frage was sich ziemt, So kann ich dir antworten, wie sich's ziemet.

Steinbr. S. 179: Frage, was sich geziemt; und ich will dir antworten, wie sich's geziemt.

Barn. V. 1136:

Si tu interrogayeris convenientia, convenientia audies.

Brumoy S. 216: Madame, faites des questions moins Stranges et je vous repondraL

Schill. V. 1665:

Die zur Gemahlin mir bestimmt gewesen.

Steinbr. S. 196:

Die mir zur Gemahlin bestinunt gewesen.

Jonas, zu Schillers Uebersetzuugen. 199

Barn. V. 1364:

quae esset fatura mea coniunx.

Brumoy S. 231:

Celle qui devoit dtre mon 6pouse.

Schill. V. 1687:

Das wird dies Schwert alsdann entscheiden.

Steinbr. 8. 198: wenigstens soll es dieses hier (er zeiget auf sein Schwerdt und seine Soldaten) entscheiden.

Barn. V. 1368:

sed tarnen ad hoc veniei.*

Brumoy S. 233:

(montrant son 6p^e ou ses soldats) Voici qui me repondra d'elle.

Schill. Phöniz. V. 681:

Wo wird dein Posten sein vor diesen Thürmen?

Steinbr. S. 272:

Wo wird vor diesen Thürmen dein Posten seyn?

Barn. V. 624:

Ubinam stabis ante turres.

Brumoy tome V, S. 202:

Quel sera votre poste?

Brumoy tome V, S. 318:

sera ta place au devant des tours?

Ich will sogleich an dieser Stelle die Bemerkung ein- schieben, dass ich keinen Grund einsehe, warum Goedeke zur Vergleichung mit Schillers Bruchstücken aus den Phönizierin- nen nur die Analyse des Dramas aus dem fünften Bande des theatre des Grecs par le P. Brumoy herangezogen hat und nicht auch die in demselben Bande der von Goedeke citierten Ausgabe befindliche vollständige französische Uebersetzung. Goedeke muss diese übersehen haben. Sie ist aber wichtig, da sie in Verbindung mit Steinbrüchel die Schlussnote Schil- lers zu seinem letzten Vers aus den Phönizierinnen erklärt. Schiller theilt diesen Vers dem Polynices zu und fügt in der Note hinzu: „Andere Ausleger geben diese Rede dem Eteocles, weil sie ihnen dem sanfteren Character des Polynices zu wider- streiten scheint. Es kann ein Fehler des Abschreibers seyn,

* Yergl. die Anmerkung des Barn.

200 Jonas, zu Schillers Uebersetzungen.

aber warum es eiuer seyn muss, sehe ich nicht ein; und man raubt dem Dichter vielleicht eine Schönheit, um ihn von einem anscheinenden Widerspruch zu befreien." An diese Note reiht Goedeke die Bemerkung: „Weder Barnes noch Brumoy theilt diesen Vers einem Andern als Eteocles zu und keiner von Beiden erwähnt einer andern Zutheilung." Hier ist erstens in Goedekes Sinn falschlich Eteocles gedruckt anstatt Polynices, und zweitens hat Brumoy in der vollständigen Uebersetzung tome V, S. 319 in der That diesen Vers dem Eteocles zuge- theilt und in der Note hinzugefügt: „J'ai suivi ici dans la distribution des personnages les deux derniers editeurs de cette tragedie." Auch Steinbrüche! legt die Worte dem Eteocles in den Mund mit dem bemerken: „Alle Ausgaben geben sonst diese Worte dem Polynices, so sehr sie auch im Gharacter des Eteocles sind." Auch die Schlussnote Schillers zur Iphi- genie: „Hier schliesst sich die dramatische Handlung. Was noch folgt, ist die Erzählung von Iphigeniens Betragen beim Opfer und ihrer wunderbaren Errettung" geht zurück auf eine Anmerkung des Brumoy vor der zunächst folgenden Scene tome 7, S. 246: „Celle scene a tous les caracteres d'un inter- mede. L'action visible cesse; la scene suivante est donc le commencement d'un sixieme acte.''

Femer treffen auch in einzelnen eigenthümlichen Wen- dungen beide deutsche Uebersetzungen bisweilen so auffallend überein, dass es wahrscheinlich ist, Schiller habe Steinbrücheis Uebersetzung vor Augen gehabt Ich will auch dafür einige Beispiele« anfuhren und wähle solche, bei denen nicht etwa auch Brumoys Ausdruck Schiller auf den seinigen gebracht haben kann:

Iph. V. 12: Gezelt (tentorium); V. 84: ferne Triften (Idae bovilia procul a patria); V. 121: um das Geheimniss wissen (scimus, quomodo se habeant haec); Y. 194: am thauenden Bach (ad rorem fontanum); V. 755 756: Was du sagst, gilt von uns beiden (ex aeqno utrisque convenit, quod dicis); V. 995: Heilige Schamhaftig- keit (o veneranda verecundia); V. 1658: Hand an dich zu legen (attingere tuum corpus); V. 1669: ich ward überschrien (vincebar clamore); Phöniz. V. 55: das Verhängniss fttgt's (forte) und dergl. mehr.

Endlich erwähne ich noch, dass das verlängerte Citat

Jonas, zu Schillers üebersetznngen. 201

aus dem Cicero in Schillers Anmerkung zu Vers 550 der Phönizierinnen sehr wol aus Steinbrücheis Anmerkung zu der- selben Stelle entnommen sein kann und wahrscheinlich auch entnommen sein wird. Ebenso verdanken auch wol Schillers Anmerkungen nach der Iphigenia ihr entstehen meist der An- regung irgend welcher Bemerkungen des Barnes , Brumoy oder SteinbrQchel ^ und namentlich die sechste^ zehnte und elfte der- selben könnten wol in Bezug auf Steinbrücheis Anmerkungen unter dem Text zu den entsprechenden Stellen geschrieben sein. In der Form freilich zeigen sie mehr Verschiedenheit von ihnen als Aehnlichkeit.

Zum Schluss füge ich diesen Notizen die Bitte hinzu^ die- selben nicht so aufzunehmen, als sollten sie einen Tadel ent- halten über Goedekes Arbeit in dem betreffenden Abschnitte seines grossen Werkes , der historisch-kritischen Ausgabe der Schriften Schillers. Das liegt mir fem, und eher, meine ich, wirkt es beschämend, Goedekeschen Arbeiten gegenüber zu er- kennen, wie er überall aus dem vollen gearbeitet hat und wie geringe Nachträge und Besserungen im einzelnen hinzuzufügen

bleiben.

II.

Im 47. Bande der Neuen Bibliothek der schönen Wissen- schaften und der freyen Künste (Leipzig 1792 Dyckische Buch- handlung) liest man über das erste und zweite Stück der Neuen Thalia Schillers eine ausführliche Recension, in welcher beson- ders die ersten zwölf Strophen der Schillerschen Uebersetzung des zweiten Buchs der Virgilschen Aeneis genau durch- gesprochen und eine Reihe einzelner Ausdrücke Schillers ge- rügt werden. Ich glaube die Aufmerksamkeit der Forsqher deswegen auf diese Recension lenken zu sollen, weil die spä- teren Verbesserungen Schillers es wahrscheinlich machen, dass er diese Recension gekannt und genutzt hat, weim er auch nicht alle Ausstellungen als berechtigt anerkannte oder auch nicht für alle Mängel eine bessernde Abhilfe wusste.

In der ersten Strophe rügt« der Recensent die Worte: Hingegossen auf hohen Polstersitz anstatt des „simplen^ Aeneas hub von seinem hohen Sitz also an". Ferner sei die Wen- dung: „Wunden wieder bluten machen" französisch und der

202 Jonas, zu Schillers üebersetzungen.

Ausdruck „in Feuerfluten vergehen" zu sichtlich nur des Rei- mes wegen gewählt. Auch Trojas Stadt sage man für Troja so wenig wie für London Londons Stadt, und endlich könne man wol das Opfer der Gefahr jverden, nicht aber meistens ihr Opfer sein. Alle diese wol mit Recht gerügten Fehler schaffte Schiller in der ümdichtung der ersten Strophe fort und übernahm in der zweiten Zeile den „simplen" Ausdruck^ den der Recensent empfahl.

Die zweite Strophe erklärt dieser für besser als die erste, nur könne man das Praedicat der Umschattung vom Arme nicht gebrauchen und er wette ferner, dass der Dichter, ohne von „schauem" geleitet zu sein, sicherlich nicht „betrauern", sondern, wie die Natur der Sache es wolle, „hören" gereimt haben würde. In der That hat Schiller in der Ümdichtung den ersten Ausdruck vermieden und an der andern Stelle „hören" eingesetzt.

In der dritten Strophe hat Schiller die Ausstellungen des Recensenten im Übrigen nicht beachtet; nur die letzte Zeile, die jener als die tadelns würdigste befunden: „und eisern ist sein Eingeweide" (armato milite complent), verbesserte er in: „und Waffen sind sein Eingeweide*'.

Die getadelten Stellen d^r vierten Strophe und einige der fünften hat Schiller unverändert gelassen und nur das vom Recensenten heftig getadelte „hier donnerte das Handgemenge'' gemildert und geschrieben: „hier tobete".

Die geringen Ausstellungen in den vom Recensenten ge- lobten beiden folgenden Strophen haben Schiller zu keiner Aenderung veranlasst. Dagegen kürzte er, ohne Aufforderung des Recensenten, den zweiten Vers der sechsten Strophe, in- dem er statt „beim wunderbaren Bau" „beim Wunderbau" schrieb, wie er auch im zweiten Verse der vierten Strophe anstatt „Eönigsstadt" „Stadt" gebessert hatte. Der Dichter fühlte wol später, dass die Freiheit, welche er nach Wielands Beispiel sich genommen, den einzelnen Versen der Stanzen verschiedenen Umfang zu geben, seinen Stanzen nicht zur Zierde gereichte, und kürzte die überlangen Verse, wo sich die Kürzung mit geringer Aenderung bewerkstelligen liess.

Die ihm in der achten Strophe vorgeworfene Unklarheit

Jonas, zu Schillers üebersetzttngen. 203

im Ausdruck hat Schiller yermuthlich nicht empfunden , wenig- stens hat er kein Wort in derselben geändert; wol aber suchte er den in der neunten Strophe mit Recht vom Recensenten beanstandeten, gesuchten und unschönen Ausdruck ^^yollge- stopfte Grüfte*' zu verbessern und schrieb ;,Yollgestopfte Wände" und setzte des Reimes halber dann auch für ,,Hüfte'' das Wort ;, Lende*' ein.

Den bescheidenen Rügen des Recensenten zur zehnten, elften und zwölften Strophe endlich hat Schiller keine Folge gegeben.

Gräfin Agnes zn Stolberg.

Von ihr und über sie.

Von Karl Weinhold.

Die Einfalt.

Die Einfalt leite Deinen Fuss,

Die Unschuld sej in Deinem Kuss,

Die Freude webe schön und mild

Den Schleier um der Liebe Bild,

Bis sie sich selbst Dir einst enthüllt

Und ganz die reine Seele füllt.

Dann tön' um Dich der Wonne Elan^

Wie süsser Nachtigallgesang,

Die Seele athm' in reiner Luft

Wie Nektar süssen Blumendufb!

Ein wenig Gram, ein wenig Schmerz

Ist oft auch heilsam fdr das Herz,

Es scheine Dir wie Mondenlicht,

Wenn's sanft durch Morgenwölkchen bricht!

Der grosste Gedanke.

Wann er die Seele mir einnimmt,

Der einzige grosse Gedanke,

Wie sie im Taumel der Wonne dann schwimmt!

Wie mir ein Feuer die Adern durchglimmt!

Wie ich bald steh und bald wanke,

Wenn ich denke in Freud' und in Noth:

Der HErr ist Gott! Der HErr ist Gott!

Seh' ich mich um in der Natur,

Seh' ich in jeglichem Wesen,

0 seh^ es im Feld, auf blumiger Flur,

Im Wald und in Wiesen seh' ich die Spur

Vom höchsten unendlichen Wesen.

Weinhold, Agnes zn Stolberg. 205

Es danke Dir, HErr, wer stammeln kann, Ich bete auf ewig, o Vater, Dieb an!

0 fülle doch inftier die Seele mir so Wie jetzt, wenn ich Dich denke, Grösster Gedanke! Dass freudig und froh, ' Wann mir die Seele zur Zukunft entfloh, Ich es zum Tröste mir lenke. Lass immer mich handeln so, dass ich dann Bey jeder Handlung beten kann !

Diese beiden bisher nicht veröffentlichten Lieder der Gräfin Agnes zu Stolberg entnehme ich einer Abschrift^ welche ihr Gatte Friedrich Leopold Stolberg eigenhändig für eine Nichte (Schwestertochter von Agnes) gemacht hat. Auf der ersten Seite des in Quart gebrochenen Halbbogens steht das in Vossens Musenalmanach für 1788, S. 204 gedruckte Lied, dort mit Psyche unterzeichnet, in meinem Stolbergschen Auto- graphon „Lied von Agnes für ihreu Stolberg" überschrieben, in den Gesammelten Werken der Brüder Stolberg, I, 352, als Ode von Agnes bezeichnet* Jedem der beiden oben mitge- * theilten Gedichte ist unter der Titelzeile beigefügt (: von Agnes:).

Von Gräfin A. Stolberg sind bekanntlich ausser dem Lied noch gedruckt ein Wiegenlied im Yossischen Almanach für 1789, S. 197, mit Melodie von Abr. Schulz, Psüche unter- zeichnet;** femer Aura. Eine Erzählung von Psüche, in dem zweiten Buch der Insel von F. L. Gr. zu Stolberg (Leipzig 1788, S. 210 236).*** Dieser einfachen Geschichte der Liebe zwischen Aura und Rinaldo sind ein- und angelegt ein Lied, die Wasser- nymphe (Libelle), ferner ein Gesang Rinaldos in fünfund- zwanzig Hexametern, ein Liebeslied Rinaldos inachtvier-

* In den Ges. Werk, folgt darauf (S. 363) als Erwiderung an Agnes Fr. Stolbergs Ode „Warum an meinem Auge" etc.

** Agnes hatte es für ihre Schwägerin, die Gräfin Auguste Bem- storff gedichtet, welche sich von Abr. Schulz eine Melodie dazu erbat In J. A. P. Schubses Liedern im Volkston, 3. Theil, Berlin 1790, S. 6 steht es mit Agnes unterzeichnet. Vgl. Herbst, Voss, II, 275.

*** „Meine Agnes ist die Psüche in der Insel; von ihr ist die Er- zählung, welche der Psüche zugeschrieben wird", Stolberg an Bürger d. 3 Oct. 1788, bei Strodtmann, Briefe von und an G. A Bürger, III, S. 200.

Abchiy f. Lxtt.'Gbbob. VII. 14

206 Weinhold, Agnes zu Stolberg.

zeiligen reimlosen Strophen^ und ein Lied der Freude und Liebe an das glücklich vereinte Liebespaar in secbs fünfzei- ligen reimlosen Strophen. ^

Ausserdem glaube ich auch das in Vossens Almanach für 1784; S. 89; mit Schulzes Composition unter F. L. Stolbergs Namen gedruckte Gedicht Sie an ihn^ Auf der Reise als Agnes Eigenthum ansprechen zu dürfen. In der Familie galt es für ein Agnes -Gedicht; eine von da stammende mir gehö- rige jüngere Abschrift trägt die genauere Ueberschrift: ^^Sie an ihn auf der Reise von Tremsbüttel nach Eutin 1782^', und be- zeichnet es mit Agnes Namen.

Keinem kann entgehen, dass Gräfin Agnes Stolbeig zu ihren dichterischen Versuchen durch ihren Mann angeregt ward, mit dessen Leben sie auf das allerinnigste sich verwoben hatte. Durch ihn ist sie in das geistige und künstlerische Reich über- haupt eingeführt worden. Agnes von Witzleben (geb. 9.0ct. 1761) hatte auf dem väterlichen Gute Hude die gewöhnliche Er- ziehung der Töchter des damaligen Landadels erhalten und war früh verwaist als Hoffräulein in die geistig träge Olden- burgische Hausluft verpflanzt worden. Li Eutin lernte sie der Oberschenk Graf Friedrich Leopold Stolberg kennen; im Juni 1781 hatte sie schon seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen durch ihr äusseres wie durch unschuldige Heiterkeit und leben- dige Natürlichkeit.* Rasch entwickelte sich in den Herbst- monden ihre Liebe; Stolberg fand in ihr das Ideal verwirk- licht, das er nach seiner täuschungsvollen Schwärmerei für ein englisches Fräulein 1776** gezeichnet hatte:

Suchet ihr mir und bald unter den freundlichen Töchtern Deutschlands ein Mädchen aus, Blau die Augen, ihr Haar golden und schlank ihr Wuchs, Sanfb die Seele, den AugQu gleich.

* Janssen, Stolberg bis za seiner Rückkehr, 123.

** Gedichte, S. 148 (Ausg. von 1779). Brief an seine Schwester Katharine bei Hennes^ F. L. Stolberg und Herzog P. v. Oldenburg (1870), S.148, wieder gedruckt inHennes, Aus F. L. Stolbergs Jugendjahren (1876), S. 169. (Die unüberlegte Bnchmacherei des Herrn Hennes muss auch hier gerügt werden.)

Weinhold, Agnes zu Stolberg. 207

Anfang November 1781 verlobten sie sich und am 11. Juni 1782 wurden sie auf dem Schloss zu Eutin getraut.

„Meine Braut ist ein Mädel von 19 Jahren," schrieb Stol- berg den 27. Dec. 1781 an Voss; „ihr Wuchs ist schön, ihr Gesichtchen allerliebst, ihr Haar golden, ihre Augen gross und sanft und liebevoll ihr Blick, ihr Herz rein und edel und lie- bend und sanfl, ihr Verstand ist sehr schnell und sehr sicher und sehr fein, lässt sich aber doch immer von der warmen und weichen Hand ihrer Empfindung leiten."* Und an seine Schwägerin Luise, des Bruders Christian Frau, schrieb er den 23. Dec. 1781 : „Es ist ein süsses Mädchen, so sehr Natur, dass die meisten Männer sie würden bilden wollen. Ich aber ehre und liebe die Spuren Gottes im Walde, im Strom und im Mädchen, und werde da keine Schneiderscheren ansetzen, um Hecken zu schneiteln, wo der freundliche Busch mir Schatten und Eühlang und Nachtigallentone anbietet." ** Aus den Schil- derungen des Freundes nahm auch Voss seine Farben zu Agnes Bild in seinem Fest-Carmen, das er zur Hochzeit aus Ottem- dorf schickte:

Siehe wie Stolbergs Braut geschmückt mit der Blume der Schönheit Dort in dem glänzenden Saal unter den Feiernden schwebt!

Eine Hirtin der Flur, und im Hause des Fürsten bewundert; Stolz wie der Tannen Wuchs, mild wie die Böse des Tbals.

Sonnenschein ist ihr Lächeln und Frühlingsodem die Bede Ihres Mundes, ihr Laut holder wie Nachtigallton.***

Wer die Briefe liest, welche Agnes als Braut und als Frau an die neuen verwandten schrieb,! erkennt die Wahr-

* Herbst, J.H.Voss, II, 1, 267. Aehnlich schildert St. die Braut seinem Freande E. v. Haugwitz; Janssen, Stolberg bis zu s. Rückkehr, 124. ** Hennes, Stolberg u. P. v. Oldenburg, 151 f. Aus St. Jugendjah- ren, 174.

*** Voss, Musenalmanach f. 1783, S. 138. Gedichte von Voss (1785) 1, 220. Geändert in den Sämmtlichen Gedichten (1802) 3, 115.

t Bei Hennes, Stolberg und P. v. Oldenburg sind gedruckt Briefe von Agnes an Graf Christian S. 152, 326, 335, 337, 369, an Gräfin Katha- rine S. 156, 156, 181, 194, 197, 204, 226, 227, 230, 233, 243, 249, 250, 274, 275, 292, 343, 368, 374, an Gräfin Luise S. 156, 175, 223, 225, 256, 258, 264, 278, 301, 304, 305, 307, 323, 334, 361, 365, 370.

14*

208 Weinhold, Agnes zu Stolberg.

heil des ürÜheils ihres Bräutigams über ihre geistige Anlage. Sie hatte einen klaren Verstand , war klug und voll natür- licher Gaben, die sie zu bilden föhig und willig war. Sie durfte nicht scheu hinter ihre geistig bedeutenden Schwagerin- nen Kaiharine und Luise zurücktreten, hatte aber vor ihnen vor- aus, was ihr Bräutigam Taubeneinfalt und Kindessinn nannte* und was wir etwa umschreiben können als Harmonie der Seele, kindliche unberechnete Hingabe an das, was sie liebte, Zauber der unschuldigen Anmut. Wenn Gerstenberg bald nach der Verlobung ihren Namen Witzleben witzelnd in Geniusleben änderte,'*'* so hatte er etwas wahres gefunden, denn Agnes vrar Yon dem Genius angehaucht, durch den ihr zufiel, was Talente mit aller Mühe nicht erreichen. Schon hat ihr Wesen Goethe geschildert, als er von ihrem wunderbar Termittelnden Ein- fluss auf Stolberg und Voss sprach:*** „Ich habe mich selbst in ihren blühendsten schönsten Jahren an ihrer anmuthigsten Gegenwart erfreut'' (es war im Mai 1784 bei der Durchreise des Stolbei^schen Pares durch Weimar) „und ein Wesen an ihr gekannt, vor dem alsobald alles Misswillige, Missklingende sich auflösen, verschwinden musste. Sie wirkte nicht aus sitt- lichem, verständigem, genialem, sondern aus freiheiterem, per- sönlich-harmonischem Uebergewicht. Nie sah ich sie wieder, aber in allen Relationen als Vermittlerin zwischen Gemahl und Freund erkenn' ich sie vollkommen. Durchaus spielt sie die Rolle des Engels Grazioso in solchem Grade lieblich, sicher und wirksam, dass mir die Frage blieb, ob es nicht einen Calderon, Meister dieses Faches, in Verwunderung gesezt hätte.'' Die Gräfin Agnes Stolberg kann schwerlich nach ihren wenigen und kleinen Gedichten eine Stelle auf dem deutschen Pamass beanspruchen, wenn sie auch im Vossischen Musen- almanach auftrat und bei Abr. Voss, Deutschlands Dichterinnen (S.150), verzeichnet steht. Sie hat selbst solchen Ruhmes nicht begehrt. Aber sie ist mit ihres Mannes und auch mit Vossens

* Heimes a. a. 0. 154. ** a. a. 0. 162.

*** Biographische Einzelheiten 1820. Hempelsche Ausg. der Goethe- schen Werke 27, 337 f.

Weinhold, Agnes za Stolberg. 209

Leben unlösbar vereint und gebort mit Ernestine Voss und Gbarlotte v. Schiller zu den weiblichen Gestalten unserer Geistesgeschichte^ die ihrer Männer Leben wärmten und er- leuchteten und an dieser reinen Flamme ein kleines eigenes poetisches Licht entzündeten.

Klopstock war für den holsteinischen Adel der heilige Sänger, dessen Verse in Stunden der Erhebung über das ge- wöhnliche von aller Lippen tönten. So hat auch Agnes in Klopstock gelebt. Als sie auf ihrer Hochzeitreise IQopstock in Hamburg kennen gelernt hatte, schrieb sie*: „Mir däucht, ich bin nicht auf Erden, wenn ich an Klopstocks Seite gehe, sondern schwebe schon den Seelenflug in himmlischen Lüften.^ Als das Ehepar mit Schwester Käthchen auf der Eopenha^ener Reise im grauen eines Noyembermorgens (1784) über die Rendsburger Heide fuhr, sagte Stolberg Cramers Psalmen, Käthchen den Gesang Deborahs aus dem Messias und noch eine schöne Stelle, und Agnes Gesänge aus Klopstocks Liedern**. Bei der schwer empfundenen Trennung, als Stolberg wegen des plötzlichen Oldenburgischen Regierungswechsels in ausserordent- lich^ Sendung im September 1785 an den Petersburger Hof musste, übergab Agnes dem geliebten Manne eine Abschrift des Klopstockschen Liedes Stärkung:***

Ach wie hat mein Herz gerungen, Wie gefleht am Gnadenthron etc.

Sie schrieb folgende Worte dahinter, die ich mich nicht ent- halten kann, als Zeuguiss ihres kindlich frommen liebenden Herzens mitzutheilen:

„Ich habe Dir dies schöne Lied abgeschrieben, Du bester: ich weiss, es wird Dir lieb seyn, ein Gebet mit mir zu

* Janssen, Stolberg bis zu seiner Rückkehr, S. 126. *♦ Hannes, Stolberg u. P. v. Oldenbarg, 266.

*** Geistliche Lieder. Zweyter Theil. Kopenhagen und Leipzig bey Friedr. Christ. Pelt. 1769, S. 101—106. Dieser von Ooedeke nicht ver- zeichnete 2. Theil der Klopstockschen geisÜ. Lieder trägt des Dichters Namen nur unter der Vorrede, nicht auf dem Titelblatte. In die gesamm. Werke ist jenes zehnstrophige Lied nicht aufgenommen. In dem Schluss der zehnten Sta:. „Nichts, was jetzt und künftig ist, Scheidet mich von Jesu Christ'* änderte Agnes mich in Uns.

210 Weinhold, Agnes zu Siolberg.

beten. 0 Gott wolle uns starken und uns ftir einander er- halten! Mir ist es eine unaussprechlich süsse Idee^ in un- serer schrecklichen Trennung mit einander zu beten! Ach, dass ich es immer wissen konnte, wenn Du diess Gebet beten wirst.

Gott segne, stärke und erfreue Dich. Lass uns suchen, immer mehr und mehr fromm vor ihm zu leben. Er der unser Herz durchschauet, der unsem Willen sieht, dass wir gut seyn wollen, Er wird uns dazu helfen, um seines ge- liebten Sohnes Willen, Amen! Sein genädiger Wille geschehe von nun an bis in Ewigkeit Amen, Amen!*

Als sie auf ihrem letzten Lager lag, sagte sie selbst „in Augenblicken des Nichtbewusstseins Sprüche der Bibel und Lieder von Elopstock in so yernünftiger Verbindung und mit so feiner Anspielung und so erhabener Anwendung^ her, dass ihr Fritz erstaunte.**

So ist es denn sehr natürlich, dass auch das fromme Lied, das wir oben mittheilten, Erinnerungen an Klopstock gibt. „Der grösste Gedanke'' lehnt sich an Elopstocks Aufsatz von der besten Art über Gott zu denken im 25. Stück des Nordischen Aufsehers von J. A. Gramer (I, 310—321) und namentlich an die dort angeführte Rede Henochs, welche die Worte hat:

Der beste Aller Gedanken, der grosse Gedanke, vom ersten der Wesen.

Auch sonst gibt es darin Elopstocksche Anklänge, so das wiederkehrende „der HErr ist Gott".

Neben Elopstock war Holty der Lieblingsdichter von Agnes. Schon als „Landmädchen" in Hude hatte sie für ihn geschwärmt, dann in Eutin bei den Berathungen über die Aus- gabe, welche der hastig zugreifende Voss, als Boie nach Ge- wohnheit zauderte, mit Zuziehung Stolbergs veranstaltete, neben

* Eine alte Abschrift dieses Beisesegens von der Hand einer Nichte von Agnes liegt vor mir. Vergleiche aach den Brief von Agnes an Grr. Katharine v. 22. Sept 1785 bei Hennes a. a. 0. 292, und Janssen, Stol- berg bis zu 8. Rückkehr, S. 171. Die Worte, welche Stolberg seiner Agnes beim Abschied in ihr Gedenkbnch schrieb, stehn nun bei Janssen, Stolberg bis zu s. Bückkehr, S. 169. ** Hennes a. a. 0. 356.

Weinhold, Agnes zu Stolberg. 211

Emestine Sitz und Stimme gehabt* Freilich beherrschte hier der Schulrector die drei Beisitzer so durchaus , dass nur ein Yossisch corrigierter Holty das Tageslicht erblickte, an dem der pedantische Bothstift später noch weiter corrigiert hat.'*'* Die Höltyschen Tone hat er aber aus Agnes nicht heraus corrigieren können und dieser harmonischen reinen Seele gegenüber war er überhaupt weich und liebenswürdig.*** In dem liedmässig gehaltenen Gedichtchen von Agnes klingt der Höltysche Ton. Auch formell werden wir daran erinnert: die beiden reimlosen, aber nicht in antikisierendem Mass gehalte- nen Lieder in der Aura klingen an Höltysche Formen an, nament- lich das Lied „Unter den Thränen hervor^ an den Bau des Höltyschen Mailiedes von 1772 „Heil dir lächelnder Mai'', das V^oss wegliess (bei Halm S. 136, Ausg. von 1869; bei Geisler I, 56).

Wenn wir in der Aura auch einen Versuch in Hexametern finden, so überrascht dies bei der gelehrigen Schülerin eines Friedrich Leopold Stolberg nicht. Gerade in Sophrons poeti-

_ ^

sehen Beigaben zu der Insel herrscht der Hexameter. Was Wunder, dass Psyche zum erproben dieses Verses aufgefordert ward, den Stolberg zwar später als sein Bruder Christian ver- suchte, seit 1776 aber, nachdem er seine Ilias-Uebersetzung durch Klopstocks Zweifel gereizt in Hexametern begonnen, auch in kleineren Dichtungen gern verwante.

* Voss, Bestätigung der Stolbergschen Umtriebe^ S. 156 f.

** Es genügt auf Hai ms Ausgabe und die kleine (akadem.) Schrift des- selben über die Vossische Bearbeitung der Gredichte Höltys, München 1868, zu verweisen. Aus einem Briefe Boies an Voss vom 24. Nov. 1783 will ich folgende Stelle über die Ausgabe mittheilen: „Ganz neu waren mir das Mailied 13, Das Feuer im Walde, An den Mond 79, Das Blumenlied 152, Das Mailied 156, An die Nachtigall 154, Die Laube 165, Das Mailied 172, An die Apfelbäume 178, Der Liebende 180, An die Fantasie 182. Einige dieser Stücke glaub ich zu kennen, aber sie sind mir durch Aenderungen wie unkenntlich geworden."

*** Das spricht sich aufs wärmste in dem Anhange zu der Streitschrift Bestätigung der Stolbergischen Umtriebe (Stuttgart 1820) aus, nament- lich S. 156 S. An die liebliche schickte er als Erwiderung ihres Karls- bader Briefes vom 28. Juni 1784 seine Elegie an -Agnes Qräün zu Stol- berg (Gedichte. I, 247. Hamburg 1785. Sämmtliche Gedichte , Königsb. 1802, 3, 145).

212 Weinhold, Agnea zu Siolberg.

Zu den geistigen Zügen in Agnes gehört auch ihre Be- geisterung für Rousseaus Heloise^ die sie freilich wie eine Art verbotener Frucht nur heimlich zu hegen wagte. An Schwägerin Eäthchen schrieb sie kindlich naiv:* „Ich darf Dir wol nicht sagen, was ich lese? Ach Rousseau hat mein ganzes Herz dahin, ich lese seine Heloise. Mein Gott, wie schön, wie natürlich; so bin ich noch keinem Buch in dieser Art gefolgt, er lässt auch nichts von meinem Herzen übrig, kein Fäser- chen lässt er unerfüllt; es ergreift mich offc so, dass ich weine und das Buch weglegen muss, um mich zu fassen. Verachte mich aber nicht, Katili, denn alles diss muss kein Mensch wissen wie Du, vor Andern würde ich mich schämen; ich sags auch hier niemand, wie mein Herz daran hängt.^ Die Heloise gehörte überhaupt zu den nur geheim genossenen Früchten im Kreise der Stolbergschen Frauen. Den 28. October 1779 schrieb Fr. Stolberg an seine Freundin Emilie Schimmelmann (geb. Gräfin Ranzau): „Klein Milchen, lassen Sie mich Ihnen im Vertrauen ins Ohr sagen, dass Puletchen (d. i. Henriette Bemstorff geb. Stolberg) die Heloise Kätchen vorliest."**

Das harmonische Wesen der Gräfin Agnes sprach sich auch in ihrer Liebe und Anlage für den einfachen Gesang jener Zeit aus. Vöglein und Nachtigällchen ward sie bei dem Mai- durchzug 1784 im Weimarschen Kreise rasch betitelt***; die Schulzschen Melodien zu seinen und anderer Liedern sang dem gestrengen Voss, der für Musik Sinn und Bildung hatte, kaum jemand so zu Dank wie Agnes, f

Dann zeichnete und tuschte sie auch. Sie begann mit Blumenmalerei und ward durch ihres Gatten Wunsch auch zu Versuchen in der Landschaft gebracht. ff Im Frühjahr 1784

* TremBbüttel den 8. Aug. 1785. Bei Hennes a. a. 0. 275. ** Henne«, Ans Stolbergs Jagendjahren^ S. 103. Das oben mitge- theilte ist ein Nachtrag zu dem Abschnitt „die nouvelle Heloise in Deutsch- land" bei Erich Schmidt, Richardson Rousseau Goethe, S. 114 ff.

*** Herbst, Voss, IT. 1, 29. Den Namen Nachtigällchen empfieng sie wol auch Yon ihrer Kunstfertigkeit, den Nachtigallenschlag täuschend nachzuahmen; Voss, Bestätigung der Stolbergschen Umtriebe, S. 145. t Briefe von J. H. Voss, herausgeg. von Abr. Voss, 11. 167, 169. tt Janssen, Stolberg bis zu s. Bückkehr, S. 155. Ueber ihr Talent des Zeichnens auch ebd. S. 216.

Weinhold, Ag^es zu Stolberg. 213

*

schrieb Stolberg an seine Schwester Katharina, die damals in Neapel war: „Apropos von Hackert! hier malt nun auch alles. Agnes zeichnet mit Bleistift und Tusche wirklich ^ ohne je Unterricht gehabt zu haben ^ allerliebste Landschaften; izt ar- beitet sie am Staubbach nach Alberti."* Ich besitze zwei solche getuschte Zeichnungen von ihr. Die eine kleine stellt einen weinenden Amor unter einer rosenumschlungenen Eiche dar^ mit der Unterschrift:

Nimm Dich in Acht, nimm Dich in Acht! Schlimm ist der Knabe, wenn er Dir lacht; Schlimmer noch tausendmahl, wenn er Dir weint Und wenn der Geyer ein Täubchen Dir scheint.

Agnes Stolberg.

Es ist ein Blatt für das Stammbuch ihrer Schwester Tina Witzleben, begleitet von einem andern mit den Versen:

Bein wie unsrer Wiese Quell, Wie Dein blaues Auge hell, /* Sanft wie milder Sternen Blick

Lächle Deinem Leben Glück.

Die andere ist ein grösseres in Sepia ausgeführtes Blatt, ver- irrte Kinder im Walde darstellend, unterschrie]^en „an meine geliebte Schwester und Freundin Catherine zum lieben 5*®** De- cember von Agnes Stolberg 1787." Es sind beides dilettan- tische Leistungen, aber das angeborene Talent von Agnes zeigt sich sowol in dem Baumschlag der Eiche als in den Köpfen der Kinder.

In den Gedichten F. L. Stolbergs erscheint Agnes Bild und Name häufig: bei einem so innigen zusammenleben, einem so völligen aufgehn der Frauenseele in dem Wesen des Man- nes und der zärtlichsten Erwiderung desselben konnte es nicht anders sein. Ich führe hier nur Stolbergs Gedichte an, die geradezu an Agnes gerichtet oder für sie bestimmt waren, nicht aber die, in denen sie nebenher erscheint.**

* Hennes, Stolberg und P. v. Oldenburg, S. 233. ** Am 6. Febr. 1787 schrieb Stolberg an Bürger: „Ich bin durch mein Weib ich habe sie in manchem Gedicht seit fünf Jahren ohne Schmeichelei

214 Weinhold, Agnes zu Stolberg.

Lied auf dem Wasser zu singen für meine Agnes: Mitten im Schimmer der spiegelnden Wellen ete. Voss, Alm. 1783, S. 168. Ges. Werke, 1, 319. Später von Franz Schubert componiert op. 72.

An Agnes: Warum an meinem Auge Dein Auge hängt etc.

Voss, Alm. 1784, S. 63. Ges. W. I, 353. Wiegenlied zu singen für meine Agnes: Lieblicher Knab, ich

wiege etc. Voss, Alm. 1785, S. 60. Ges. W. I, 361. Lied für Agnes, ihren Kleinen in Schlalzu singen. 1784.

Nach der Rousseauschen Melodie Que le jour me dure:

Schlaf, süsser Knabe etc. Voss, Alm. 1785, S. 110. Ges,

W. I, 406. Der Abend: Wenn der Himmel und die Erde und das Meer etc.

Voss, Alm. 1786, S. 148. In den Ges. W. I, 427 als Ode an Agnes von 1785 bezeichnet.

An Agnes. St. Petersburg, den 13. Nov. 1785: Dreihundert

lange Meilen weit von Dir etc. Voss, Alm. 1787, S. 214.

In den Ges. W. I, 440 als Epistel an A. betitelt. Dann die beiden Trauergedichte nach ihrem frühen Tode

(15. Nov. 1788): Die Bitte: Liebt ich sie mehr als Dich?

ich liebte mehr sie,*^ Darum nahmst du sie mir! etc.

Voss, Alm. 1790, S. 37. Ges. W. II, 64 Warnung: Klage nicht einer, denn des Weibes Liebe etc.

Voss, Alm. 1790, S. 88. Ges. W. H, 67.

Das Gefühl der schmerzlichen Trauer um die hingegangene**, die sehnsüchtige Erinnerung an jene Agnes-Jahre hat Stolberg nie verlassen, und er hielt ihr Gedächtniss nicht bloss bei ihren Kindern lebendig, sondern auch bei denen seiner zweiten Ehe. „Wie eine Legende, eine alte heilige Sage ist Agnes noch unter ihnen, allen täglich lebendig. Die allerliebsten kleinen locken-

nach der Natur beBchrieben so glücklich als man sein kann.** Briefe von und an Bürger heransg. v. Strodtmann III, 180.

* Das Gedicht geht ans „von dem letzten Kummer", den Agnes empfun- den, dass er sie mehr „als ihren und seinen Gott'* liebte; vgl. Stolbergs Brief an Katharine vom 16. Nov. 1803 bei Janssen, F. L. Gr. z. Stolberg seit seiner Bückkehr znr katholischen Kirche, Freiburg 1877, S. 89.

** Ueber ihren Tod genüge es hier zu verweisen auf Stolbergs Briefe bei Janssen, St. bis zu s. Bückkehr, S. 207—217.

Weinhold, Agnes zu Stolberg. 215

kopfigen Mädchen nennen sie nur die seelige Mama^'' schrieb 1816; als die Familie in Holstein zum Besuche war^ eine geist- und gemiithreiche Nichte Stolbergs, die ihn durch ihre Aehn- lichkeit mit dem unvergessenen Weibe seiner Jugend tief be- wegte, von dessen Besitz er gesungen hatte:

Glücklicher war keiner! Was ein Bettler sich träumt, ein Kaiser missbraucht, War wie schlechte fliegende Spreu bei meiner Fülle zu achten.

Denn Du warst mein, Du süsse! mein, Du Traube! Du holdselige mein mit Taubenaugen! Mein das liebevollste der liebevollen Weiblichen Herzen!

Uhland als Dramatiker.

Zu A. von Kellers gleichnamigem Buche.*

Von Robert Boxberger.

Die würdigen schwäbischen Freunde des dahingeschiedenen grossen Dichters haben seit einer langen Reihe von Jahren neben ihren übrigen gelehrten Arbeiten sich mit der dankens- werthesten Ausdauer der Herausgabe der Uhlandischen Schrif- ten gewidmet und stellen uns noch andere köstliche Früchte ihres Fleisses iu Aussicht Besonders war mir, der ich mich seither mit der Herausgabe Lessingscher und Schillerscher Dramen-Entwürfe befasst habe, das vorliegende Buch eine er- freuliche Erscheinung. Ich piuss meine Bemerkung wiederholen, dass der angehende Dramatiker aus solchen Entwürfen mehr lernen kann als aus vollendeten Meisterwerken. Hoffentlich aber wird auch jeder andere Freund Uhlandscher Dichtung und überhaupt unserer deutschen Litteratur dieses Buch will- kommen heissen, zu welchem Uhlands würdige Wittwe mit anerkennenswerthester Bereitwilligkeit und Verständniss für die Wichtigkeit der nachgelassenen Geistesschätze des verewigten dem Freunde und Amtsnachfolger desselben das Material schon vor Jahnen bei Gelegenheit der Enthüllung des Uhland-Denk- mals zur Verfügung gestellt hat. v. Keller befurchtet, die Gunst des Publicums möge nur Uhlands lyrischen Gedichten zugewandt sein, und von der Gegenwart mag dies gelten. Aber grosse Dichter wie Uhland arbeiten für Jahrtausende, und es

* Uhland als Dramatiker, mit Benutzung seines handschrifÜichen Nachlasses dargestellt von Adelbert von Keller. Stuttgart, Cotta, 1877.

Boxberger^ Uhland als Dramatiker. 217

stände schlimm um die Bildung unsers deutschen Volkes^ wenn es nicht mit der Zeit Yerständniss gewinnen sollte für die markige Sinnesart, für die heldenmüthige, aufopferungs- fähige deutsche Treue der Hauptcharaktere, für die edle Sprache, für die deutsch-patriotische Gesinnung der beiden fertigen Uhlandschen Dramen. Im Gegentheil ist zu ho£fen, dass ge- rade dieses Buch ein neuer Antrieb für unser Volk werde Uhland auch als Dramatiker zu gemessen und würdigen zu lernen, da es unsere Eenntniss seiner dramatischen Production bedeutend erweitert. Es wiederholt sich hier dieselbe Erfahrung, die man auch schon bei Lessing und Schiller hat machen können, dass man von einem grossen Dramatiker nur wenig kennt, wenn man nur seine fertigen Stücke kennt-, es kommen so viele Umstände zusammen, die die Ausführung eines dramatischen Planes hindern, dass noth wendiger Weise die wirklich vollen- deten Dramen nur einen kleinen Bruchtheil der von einem grossen Dichter ausgedachten Pläne bilden müssen. Und wie viel kann man aus solchen Plänen lernen? und wie dankbar müssen wir daher jedem sein, der dafür sorgt, dass sie der Nachwelt nicht verloren gehen! Diesen Dank aber kann man einem Manne von den anerkannten Verdiensten des gelehrten Herausgebers nicht würdiger abstatten, als wenn man ihm zeigt, dass man sich eingehend mit seinem Buche beschäftigt und sich bemüht hat auch ein Scherflein zu der Erklärung seines wichtigen Inhalts beizutragen. Ohne deshalb weitere Reflexionen über das vorliegende Material anzustellen, will ich es der Reihe nach aufzählen und meine Bemerkungen anknüpfen, wo ich deren zu machen habe.

1. Eine Uebersetzung der Senecaschen Tragoedie, Jugend- arbeit. Deutet das „wir^ in der Anmerkung zu S. 23 viel- leicht darauf, dass Uhland die Arbeit in Gemeinschaft mit einem oder mehreren Jugendfreunden unternahm? S. 23, V. 196 ist des Verses wegen „erreichet" zu schreiben. Aus demselben Grunde S. 36, V. 488: „verschmähn«, S. 56, V. 944: „Glücke trauet", S. 58, V. 1013: „meine". S. 59, die Anmerkung am Rande ist einCitataus Lessings „Theatralischer Bibliothek" II, 8. 95. Ausg. V. Maltzahn IV, S. 318. Ausg. Hempel XI, 1, S. 399. Vgl. dazu die Bibliothek der schönen Wissen-

218 Boxberger, Uhland als Dramatiker.

Schäften I, 1, S. 64. Z. 3 der Anmerkung steht bei Lessing: Er scheinet. Auch die Bemerkung auf der letzten Seite des Heftes S. 65 bezieht sich wahrscheinlich nicht auf S. 54; son- dern gleichfalls auf eine Aeusserung Lessings. Daraus, dass T. Keller auf 8. 54 verweist, schliesse ich, dass er S. 65, Z. 11 richtig bei Uhland gelesen hat: des Befehls statt des Uebels, was keinen Sinn gibt und was er bei der Correctur übersehen haben muss. y. Keller versteht nun unter diesem Befehl den des Atreus, S. 54, Y. 903 ff. (dabei sehe ich, dass Y. 905 bei V. Keller in Wirklichkeit Y. 906 ist):

Macht auf die Thüren Der Hall', ihr Diener! Festlich öffne sich Das Haus!

Aber dieser Befehl hat keinen Zusammenhang mit Uhlands Bemerkung, sondern, wie gesagt, diese bezieht sich wahrschein- lich auf den Befehl des Atreus bei Attius, den Nonius anführt:

Ne com Tyranno quisquam epulandi gratia Accumbat mensam, aut eandem vescatur dapem.

Dazu bemerkt Lessing (Theatralische Bibliothek 11, S. 107 f., Ausg. V. Maltzahn lY, S. 325. Ausg. Hempel XI, 1, S. 406 f.) : „Ich weiss nicht, ob ich der Einzige sein werde, dem es ein wenig wunderbar vorgekommen, dass Thyest bei einem öffent- lichen Mahle ganz allein von den abscheulichen Gerichten habe essen können. Haben Andere mit ihm zu Tische gelegen, und sie sind ihm nur allein vorgesetzt worden, so hat er ja natür- licher Weise müssen Yerdacht fassen. Hat ihm aber Niemand an der Tafel Gesellschaft geleistet, wie es in unserm obigen Stücke zu sein scheinet, wo nicht einmal Atreus mit ihm speiset, so hat ja diese Absonderung nothwendig auch Gedanken er- regen müssen. Diese Schwierigkeit also hatte der alte Attius vielleicht, wer weiss durch welchen glücklichen Einfall, geho- ben. Wenigstens sind die angeführten Worte ein ausdrück- licher Befehl, dass sich Niemand mit dem Thyest zu Tische legen, noch mit ihm von ebendenselben Gerichten essen solle. Eine Ursache dieses Befehls wird er ohne Zweifel auch an- geführt haben, und zwar eine solche, die allem Argwohne wegen der wahren Ursache vorzubeugen fähig war. Denn ohne

Boxberger^ übland als Dramatiker. 219

diese wäre der blosse Befehl noch weit schlimmer als das völlige Stillschweigen über den bedenklichen Umstand gewesen, wie ein Jeder auch ohne mein Erinnern leicht einsehen wird.^

2. S.66. Jüngling undMädchen. Ein lyrischer Wechsel- gesang.

3. S. 68. Frühling. Aehnliche Form wie Goethes „Ver- schiedene Empfindungen an Einem Platze ''.

4. S. 70. Achilleus Tod. Von dem Entwürfe hat sich nichts erhalten.

5. S. 71. Speerwurf. Quelle noch unbekannt. S. 73, Z. 11 muss es des Verses wegen heissen: Zu werfen.

6. S. 75. Helgo. S. 77 hätte erwähnt werden müssen, dass das von Notter mitgetheilte sich auch bei E. Mayer findet I, S. 17 f. und zwar, woraus auch Notter geschöpft hat, wieder abgedruckt aus Mayers Aufsatz im Weimarischen Jahr- buch, V, S. 36. Beide lesen Z. 20: Munds, Z. 23: fahrten, Z. 24: nicht vollbracht, Z. 26: Begraben. Die Eellerschen Lesarten scheinen die richtigen.

7. S. 79. Alfer und Auruna. Die Notterschen Lesarten sind nicht vollständig mitgetheilt, doch ist es nicht der Mühe werth, das Verzeichniss derselben zu vervollständigen.

8. S. 88. Francesca von Bimino. Als Quelle gibt Uhland selbst an S. 92: „Eine der berühmtesten Stellen der Comedia divina. (Vergl. A. W. Schlegels üebersetzung dieser Stelle. Hören, 1795. 3. St. S. 40 ffi Bouterwek, Geschichte der Poesie und Beredsamkeit, 1. Bd.)" Da Uhland letzteres Werk noch einmal anführt S. 478, so habe ich die betreffenden Bände durchgelesen und als Ausbeute eine Stelle davongetragen, die zur Erläuterung dient für eine Stelle im „Ernst, Herzog von Schwaben" IV, 3 am Schluss:

Wenn dem Aar Der Seinen eines aus den Lüften fällt, So schiesst er nieder und vertilgt's.

Bei Bouterwek I, S. 322 heisst es von einem Sonette Serafino d'Aquilas: „Er vergleicht sein Gemüth mit einem Adler, seine Gedanken mit den Jungen im Adlemeste, und seine Geliebte mit der Sonne: «So wie der Adler, dessen Blick

220 Boxberger, Uhland als Dramatiker.

auf die Sonne geheftet ist, seine Kinder denselben Blick wagen lehrt und diejenigen^ die dazu nicht Sehkraft haben^ todt aus dem Neste wirft und von ihnen nichts wissen will, so bringt die Seele des Dichters alle Gedanken um^ die nicht zu seiner erhabnen Geliebten emporblicken, und es thut ihm nicht Leid darum»." Francesca von Rimino steht ebenda S. 125. Die Scene auf S. 98: „Die Kampfrichter erkennen dem Paolo den Preis zu, der in einem goldnen Kranz aus Francescas Händen besteht. Paolo kniet vor ihr nieder, sie setzt ihm den Kranz auf. Im nämlichen Augenblick aber sinkt er in Unmacht, eine Folge des durch Lanciott erhaltenen Stosses,^ erinnert an eine ähnliche Scene in Walter Scotts „Ivänhoe". S. 108, Z. 3 muss es nach K. Mayer und auch des Verses wegen heissen: den alten Liebesbund. Nach Anmerkung 2, S. 109 scheint der Text dazu falsch zu sein, da er genau mit Mayer überein- stimmt. S. 110, Z. 4 Mayer: beiden, Z. 6: unsrem jugend- lichen. S. 113, Z. 4 y. u.: Lanciotto gebraucht ühland sowol drei- als viersylbig, auch kürzt er ab Lanciott', dreisylbig. Doch glaube ich nicht, dass er wagt den Ton auf die Sylbe ci zu legen, und möchte deshalb des Verses wegen lesen: erfreue statt freue. S. 115, Anm. 2 muss es heissen: 107. S. 116, Z. 4 v. u. muss es doch wol heissen: Li Mutterarmen statt Li Mutteraugen. 9. S. 120. König Eginhart S. 145, Anm. 1. Die Les- art von C, Perlenschlinge, scheint die richtige. Vergl. S. 216 (aus dem „Bären"):

Schaut nur ihren Hals allein Mit der Perlenschlinge.

S. 149. Zu der Stelle, zu welcher v. Keller S. 475 eine An- merkung macht, ist noch die ähnliche zu vergleichen S. 245 f. S. 166, Z. 17 steht in den Gedichten, und muss es des Verses wegen heissen: Diese st. Die. S.168. Zu dem Liede vom Tannen- baum ist besonders zu vergleichen Uhland, Volkslieder I, S. 385:

0 Tanne! Du bist ein edler Zweig,

Du grünest Winter und die Hebe Sommerzeit

Wenn alle Beume dürre sein,

So grünest du, edles Tannenbeumelein.

Böhme, Altdeutsches Liederbuch, S. 606 f.

Boxberger, üliland als Dramatiker. 221

10. S. 184 Nachspiel zum König Eginhart (näm- lich zu dem Eernerschen Schattenspiele dieses Namens). Auch hier ist es nicht der Mühe werth, noch einige Nottersche Yarianten nachzutragen.

11. S. 192. Die unbewohnte Insel.

12. S. 193. Der Bär. v. Kellers Bemerkung zu No. 11 muss ich ganz hersetzen, da ich mehreres daran anzuknüpfen habe: „üeber diese der Studentenzeit ühlands angehörige Dich- tung weiss ich nichts anzugeben^ als was Friedrich Notter (Ludwig Uhland, sein Leben u. s. w., S. 72) mittheilt: «Nicht bloss Trauerspiele, auch scherzhafte Bühnenstücke gingen aus jenem Jugendzirkel hervor. Zwei Lust- und Singspiele, der Bär oder die Bärenritter, nach einer in Karlsruhe vorgefalle- nen, von KöUe mitgetheilten heitern Begebenheit, und die un- bewohnt^ Insel, wurden, das erste von Kemer und Uhland gemeinschaftlich, das zweite, unseres Wissens,' von Uhland allein, gefertigt. Beide sind noch vorhanden und, soweit der Verfasser dieses Lebensabrisses einem, freilich nur höchst flüch- tigen Blick entnehmen konnte, beide durchgängig in Versen, besonders aber der Bär in gereimter, mitunter sehr melodischer Sprache abgefasst.» Die Handschrift soll sich in Weinsberg befinden. Meine Bemühungen, sie zur Benutzung zu erhalten, sind ohne Erfolg geblieben." Nach S. 195 ist der Inhaber dieser Handschrift jedesfalls der Sohn Justinus Kemers, Dr. Theo- bald Kern er in Weinsberg.

Es ist zu beklagen, dass er sie dem Herausgeber nicht überlassen hat, und er kann diese Handlungsweise nur dadurch einigermassen rechtfertigen, dass er selbst sie möglichst bald durch den Druck veröffentlicht, wie er dies, wofür wir ihm herz- lichen Dank wissen, mit der Handschrift des „Bären*', die er gleichfalls besitzt, gethan hat. Auch die Uebersetzung aus Kyds Spanisch Tragedie (S. 478) scheint in seiuen Händen zu sein. Proben von dem „Bären" waren schon in Schreibers „Rheinblüten auf das Jahr 1822" S. 153 ff. veröffentlicht worden. Vollständig aber liess ihn, wie schon erwähnt, Theobald Ker- ner drucken in Ludwig Seegers „Deutschem Dichterbuch aus Schwaben, Stuttgart 1864" S. 519 ff. (v. Keller, S. 196). Mir liegt dasselbe Buch, wie ich wenigstens aus der Ueberein-

Abchiv f. Litt.-Gxsch. VII. 15

222 Boxberger, ühlaad als Dramatiker.

Stimmung der Seitenzahlen schliessen muss , unter anderm Titel vor: „Deutsches Dichteralbum mit epischen, lyrischen und dra- matischen Beiträgen von Rod. Anschütz (u. s. w. bis Gustav Zeller) herausgegeben von Ludwig Seeger. Stuttgart (o. J.).^ Seeger bemerkt dabei: ^^Eine gemeinschaftliche Jugendarbeit der beiden Dichter aus der Tübinger Studienzeit. Aus dem Nachlass Justinus . Eemers in der abgeblassteo Originalhandschrift der beiden Dichter mitgetheilt von Theobald Eemer. Herr Kücken ist eben damit beschäftigt, die Posse in Musik zu setzen/' „Leider '', fügt v. Keller hinzu, ^^st nirgend angegeben, welche Stellen von Kerner, welche von Uhland herrühren, eine für die Litteraturgeschichte wichtige Unterscheidung, welche doch nach vorstehender Angabe möglich gewesen zu sein scheint/' Ich kann mich diesem nur anschliessen und wünschen, dass Herr Kemer diese Yersäumniss bald gut zu machen suche. Auch ich bin nicht in der Lage, diese Frage zu entscheiden, sondern muss vielmehr eine bisher übersehene Notiz beibringen, die dieselbe noch mehr verwickelt. Zunächst aber ist die von V. Keller angeführte Briefstelle aus Notter, Ludwig Uhland, S. 84 ins Auge zu fassen, die erst durch Prof. Hollands Yer- gleichung mit dem Original (S. 194) verständlich geworden ist: „Er (Karl Mayer) protestirte dagegen, dass du (Kemer) sagest, der Bär gefalle ihm nicht. Uebrigens scheinst du mich für den eigentlichen Bärenvater ausgegeben zu haben, da doch die Hauptsache im Komischen von dir ist und der Text der Arien in einem Singspiel überhört zu werden pflegt und daher unbedeutend ist.'' Demnach werden wir bis auf weiteres Ker- ner für den Urheber des eigentlich dramatischen, Uhland für den Dichter des lyrischen in diesem Stücke zu halten haben. Aber sonderbarer Weise scheint Kemer, wie sich schon aus obiger, erst durch Prof. Holland berichtigter (bei Notter hatte gestanden: scheint er mich) Brief stelle ergibt, seine Autor- schaft abgeleugnet zu haben. Irgend ein unbefugter hatte Proben des Stückes in den „Bheinblüten für 1822" bloss unter Kemers Namen veröffentlicht. Dagegen erliess dieser im In- telligenzblatt des Morgenblattes 1821, S. 140 folgende bisher übersehene „Berichtigung. Unterzeichneter erklärt: dass die unter seinem Namen in den Rheinblüten für's Jahr 1822

Bozberger, ühland als Dramatiker. 223

abgedruckte «Probescene aus den Bärenrittem», einem von dem zu früh verstorbenen Knapp in Musik geseztem (sie) Singspiele^ weder von ihm verfasst ist, noch von ihm zum Ab- drucke in diese Sammlung eingeschickt wurde. Weinsperg, den Isten November 1821. Justinus Kerner." Es wird nun die Sache von Uhlands Landsleuten sein, diesem litterarischen Bäthsel weiter nachzuforschen. Zunächst wäre es wichtig, vielleicht aus AI. Schreibers Nachlass, den Einsender jener Probe in den Rheinblüten zu ermitteln. Das Stück hat einen herrlichen Humor, und es ist unbegreiflich, wie Matthisson den Text zu gemein finden konnte (v. Keller, S. 195). S. 225, Z. 19 steht bei Seeger: würde dir statt würde sie, S. 226, Z.2: spucken statt spuken, ebenso S. 251, Z. 3 v. u.

13. S. 25G. Die Serenade.

14. S. 263. Tamlan und Jannet S. 275, Z. 1 heisst es bei Notter: schimmernd statt scheinend, Z. 5: drauf scheinet statt darauf scheint. Die letzte Zeile fehlt bei ihm. S. 276, Z. 7 lässt Notter drucken: 'ringer, Z. 22: hier statt hin.

. 15. S. 289. Benno.

16. S. 309. Der eifersüchtige König.

17. S. 311. Normannischer Brauch.

18. S. 313. Karl der Grosse in Jerusalem.

19. S. 320. Konradin. Aus den Gedichten bekannt, aber S. 330 f. um ein Gespräch zwischen Konradin und Robert vermehrt. S. 337, Z. 20 steht in den Gedichten: Erles'ne statt Erhabne; S. 339 1. Z. des Textes: zankten statt zanken.

20. S. 343. Herzog Ernst von Schwaben. Erster Entwurf.

21. S. 359. Die Weiber von Weinsberg.

22. S. 378. Die Nibelungen. Zwei Entwürfe. 1(B.382). Siegfrieds Tod. 2 (S. 390). Chriemhildens Rache.

23. S. 402. Ludwig der Baier. (Vergl. ühlands Brief an Reimer in diesem Hefte S. 225 f.)

24. S. 404. Weif. Diesen Stoflf hatte sich Uhland auch in seinem Schema zur „Schwäbischen Sagenkunde^ unter den „geschichtlichen Helden des Mittelalters" notiert (Schriften VHI, S. IV).

25. S. 407. Der arme Heinrich.

16*

224 Boxberger, Uliland als Dramatiker.

26. S. 410. Otto von Witteisbach.

27. S. 427. Bernardo del Carpio. S. 451, Anm. 1 mnss es doch wol heissen: Alfonso statt Alonso.

S. 471, Z. 9 lies: 670 statt 690. Das Gedicht S. 472 ff. ist schon ohne Varianten gedruckt bei E. Mayer, Ludwig ühland I, S. 52 ff.

S. 480, Z. 4: „Adalberts^' steht schon an der angegebenen Stelle. Z. 13: Die hochdeutsche Form „Schluft^^ steht auch im ersten Druck des „Ernst von Schwaben", V. 1852: „Ein Pels- stück, das wir rollen in die Schluft'^, wo später „Schlucht" ge- lesen wird. Vergl. Meurer, Lexikalische Sammlungen aus Fried- rich Rückerts Werken (Gymnasial-Programm), Weimar 1872, S. 9. Dazu noch aus Bückert: Leben Jesu, S. 68, 157. Ge- dichte, Erlanger Ausg. I, 2. Aufl. S. 67. Weisheit des Brah- muien, 4. Aufl., S. 389. Kindertodtenlieder, S. 200. 284. Ausser- dem Schwab, Wanderungen durch Schwaben, S. 137. Eose- garten I, S. 4. 81. (Schnabel) Insel Felsenburg III, S. 306.

Briefe Ton Uhland.

Mit^etheilt von Robert Boxberge r. #

1.

Uhland an Reimer.

Stuttgart, den 9. November 1818. Sie haben, mein Theurer, bei Ihrer Anwesenheit in Stutt- gart Lust bezogt, eine dramatische Arbeit von mir in Verlag zu nehmen. Ich habe nun neuerdings aus Anlass der von der Münchner Theater Intendanz gemachten Preis Aufgabe das bei- folgende Schauspiel: Ludwig der Baier^ zu Tage gefördert. Es hat keinen Preis davongetragen, jedoch bin ich mir bewusst, es mit Ernst und Liebe ausgearbeitet zu haben. Auch werden Sie ersehen, dass es nicht far Baiem allein berechnet ist

Verschweigen will ich Ihnen nicht, dass ich diese neue Arbeit bereits den Verlegern des Herzog Ernst angeboten habe. Ich hätte gewünscht, meine Darstellungen aus der deutschen Geschichte in Einer Hand zu belassen, damit dieselben, wenn Mehreres hinzukäme, künftig um so leichter zu einer Samm- lung vereinigt werden könnten. Auch müsste mir in meinen dermaligen Verhältnissen an baldmöglicher Beziehung des Hono- rars gelegen seyn. Mohr und Winter haben mir aber Be- dingungen vorgeschlagen, auf die ich nicht antworten konnte. Für den Fall nun, dass Sie das Stück verlegen wollen, setze ich Ihnen zu Abschneidung alles umständlichen Hin- und Her- schreibens sogleich meine Bedingungen bei : 1) Der Contrakt besteht für eine Auflage von 1500 Exem- plaren.

226 Boxberger, Briefe Ühlauds.

2) Dafür bezahlen Sie mir ein Honorar von 300 fl. rhein. und übermachen mir solches noch im Laufe dieses Monats.

3) 24 Freiexemplare.

4) Sie befördern es in Bälde zum Druck, wollen Sie es aber vor dem Druck noch der Berliner Bühne anbieten, was mir ganz angenehm wäre, so geben Sie mir zu obigem Honorar noch die Hälfte desjenigen, was Sie von der dor- tigen Theaterdirection erhalten („würden" ausgestrichen). Es ist mir, wie bemerkt, um schleunige Erledigung der

Sache sehr zu thun und ich ersuche Sie daher angelegeust, wenn Ihnen meine Bedingungen nicht anstehen, mir die Hand- schrift sogleich mit der fahrenden Post zurückzusenden.

Mit herzlichem Gruss NS. Schott lässt Sie der Ihrige

vielmals grüssen. Uhland.

2.

Aus der Autographensammlung der Dorpater Universitäts- bibliothek nach der Mittheilung des Herrn F. Sintenis:

Herrn Hofrath von Eieser.

Verehrtester Freund! Da Sie eine Probe meiner Handschrift wünschen, so be- nütze ich die Gelegenheit, Ihnen einen herzlicheh Gruss zu schreiben.

Stuttg. d. 5. Aug. 33. L. Uhland.

3.

An den Präceptor Oechsle in Oehringen.*

Tübingen, den 14. Juni 1834. Entschuldigen Sie, verehrter Herr, wenn ich, nach man- cherlei Abhaltungen, Ihnen so spät erst für die gütige Ueber- Sendung des Hugdietrich meinen verbindlichen Dank sage. Hug- und Wolfdietrich hatten für mich von früher Zeit grosses Interesse und sind, wie mir scheint, bisher in der deutschen Sagengeschichte nicht genügend beachtet. Nun sehe ich jenen zum erstenmal von den Flickreimen des gedruckten Helden-

* Vgl. Goedekes Grundriss, I, S. 68.

Boxberger, Briefe Uhlands. 227

bucks befreit; denn. y. d. Hagens Hugdietrichi und Hildburg in „Altteutsche Zeit und Kunst" giebt das Gedicht in halb- erneuerter Sprache. Allerdings ist auch in der Oehringer Hand- schrift der ursprüngliche Sprachtext ziemlich entstellt und, wenn gleich der Kundige die wahre Gestalt dessenungeachtet meist wird durchfühlen können, so wäre doch zu wünschen, dass der vollständigen Ausgabe ein älterer, achterer Text zu Grunde gelegt werden könnte. Allein es ist ja überhaupt keine sehr alte Handschrift bekannt, und wenn daher unter den zu- gänglichen die verhältnissmässig beste zum Grundtext genom- men, aus den übrigen aber die beachtenswerthen Varianten beigesetzt würden, so wäre wohl den billigen Anforderungen, wenn nicht an eine kritische Purcharbeitung, doch an eine editio princeps entsprochen, in deren Besitz wir erst einmal gelangen sollten. Zur Förderung der Subscription würde ge- wiss eine Bekanntmachung in dem nach einigem Stillstand neu aufgelebten Anzeiger für Kunde des deutschen Mittelalters von Aufsess und Mone am besten dienen, da dieses Blatt den meisten Freunden dieser Studien in die Hände kommt Lite- rarische Beiträge sollen an Prof. Mone in Karlsruhe einge- schickt werden.

Mich selbst bitte ich mit 2 Exemplaren in die Subscri- bentenliste au&unehmen.

Mit grösster Hochachtung

Ihr geh. Diener L. Uhland.

Zur Erläuterung dient folgender Brief von Gustav Schwab an denselben.

Ew. Wohlgeboren ^

gütige Zuschrift würde ich längst beantwortet haben, wenn ich die Einlage nicht meinem Freunde Uhland mittheilen zu müssen geglaubt hätte, um mich bei ihm Raths zu erholen, da leider der bisher befolgte Plan des Morgenblatts und das Publicum, von welchem dieses Blatt gelesen wird, die Auf- nahme Ihrer sehr interessanten Mittheilung geradezu unmöglich machen, welcher Ansicht auch Herr Prof. Uhland isi Nach seiner Meinung sollen Sie entweder die ganze Oehringer Hand-

228 Boxberger, Briefe Uhlands.

Schrift des Hejdenbuchs abdrucken lassen oder den Hugdiet- rieh dem Freiherm von Aufsess zu Nürnberg für sein alt- deutsches Archiv anbieten, das derselbe in Verbindung mit seinen seit längerer Zeit erscheinenden Anzeigeblättem für deutsches Alterthum herauszugeben beabsichtigt

Indem ich sehr bedaure, Ihnen in dieser Angelegenheit nicht nach Wunsche behülflich seyn zu können^ freue ich mich doch zugleich Gelegenheit gehabt zu haben; einem achtungs- werthen vaterländischen Schriftsteller meine aufrichtige Hoch- achtung ausdrücken zu dürfen, mit welcher ich zu seyn die

Ehre habe

Euer Wohlgeboren

ganz ergebenster Diener

Prof. G. Schwab.

Stuttgart den 13. November 1833.

4.* Verehrter Herr Hofrath!

Von Herrn D. Theodor Kind in Leipzig erhielt ich in diesen Tagen ein Schreiben vom 4. d., wodurch er mich, in der Meinung, dass ich noch in Stuttgart wohnhaft und Mit- glied des Schillers -Comites sei, benachrichtigt, dass es ihm gelungen, auf dem Wege der Privatsammlung eine kleine Summe zu dem Schillersdenkmal zusammenzubringen, und dabei sich Anweisung erbittet, wie er diese Summe dem Schiller- Vereine übermachen solle?

Ich säume nun nicht, Sie, verehrter Herr Hofrath, hie- von in Eenntniss zu setzen, damit es Ihnen gefällig seyn möge, das Nöthige zum Bezug dieses Betrages anzuordnen, wobei ich dann bitte, dem^m. D. Kind gelegenheitlich zu erwähnen, dass der Inhalt seines Schreibens durch mich dem Schillers- Gomite bekannt geworden sey.

VerebrungsvoU mich empfehlend

Tübingen, den Ihr ergebenster

17. December 1834. L. ühland. (Ohne Adresse.)

4

* Die Originale von Nr. 4. 6. 8. 10—16. 17—19 waren im Besitze des verstorbenen Antiquars Richard Zeune in Weimar.

Bozberger, Briefe Uhlands. 229

5.

Das Probeheft des Schweizerischen Mercurs erbitte ich mir zur Einsicht. ^^

(Von fremder Hand steht auf der andern Seite: Uhland, Dr, 17/n 1835.)

6. Uhland an (?)

Stuttgart, den 20. Febr. 1838.

Empfangen Sie meinen herzlichen Dank für die gütige Bemühung, mir das alte Memorial zu ersteigern. Bei den täg- lichen Sitzungen unsrer Kammer habe ich mich noch nicht ein- mal mit Behagen in demselben umsehen können und eben damit bitte ich Sie zu entschuldigen, dass ich mit Uebersendung des anliegenden Betrags (13 f. 24 xr.) bis heute im Bückstand ge- blieben bin.

Ihrem freundschaftlichen Wohlwollen habe ich ohne Zwei- fel auch die Ehre der Ernennimg zum Mitgliede des Dürer- Vereins zu danken, worauf ich gleichfalls im Drange der Ge- schäfte mit meinem Antwortschreiben in Verzug gekommen bin. Einen der nächsten freien Tage werde ich dazu benutzen.

Mein Aufenthalt in Stuttgart wird bis in den Sommer an- dauern und es sollte mich sehr erfreuen, Sie in dieser Zeit hier zu sehen. Ueber Ostern werde ich zwar nach Tübingen gehen, da alsdann vermuthlich kurze Ferien eintreten, doch hoflfe ich, Sie werden der alten Heimath Ihren Besuch nicht so eng zumessen.

Mit aufrichtiger Hochachtung

Ihr ergebenster L. Uhland.

7.

An J. G. Fischer, damals Tübinger Studenten der Theologie, jetzt Professor an der Handelsschule in Stuttgart.

Stuttgart, den 2. Juli 38. Geehrtester Herr! Die verbindliche Zusendung Ihres hiebei zurückfolgenden Manuscripts fiel in den unruhigen Schluss des Landtags und

230 Boxberger, Briefe ühlands.

nunmehr bin ick im Begriff eine Reise von längerer Dauer anzutreten. Unter solchen Umständen war mir nur eine theil- weise und eilige Einsichtnahme möglich. So weit mich diese hiezu berechtigen kann^ mochte ich anrathen^ nicht sogleich zur Veröffentlichung einer ganzen Sammlung zu schreiten, son- dern erst etwa mit einzelnen ausgewählteren Stücken in irgend einer Zeitschrift den Versuch zu machen^ ob ein weiterer Kreis solche neu und eigenthümlich genug, auch technisch hinrei- chend durchgebildet finde^ um nach einer grösseren Mitthei- lung zu verlangen.

Hochachtend

Ihr

ergebenster L. Uhland.

8. Hochgeehrter Herr! Aus dem mir gefälligst überschickten neuesten Bücher- verzeichniss hatte ich mir durch Hn. Heckenhauer Einiges be- stellt, schon vergriffen war aber: pag. 83 No. 8609. Praetorius, de bruma etc. 1667. 4^.

Sollte Ihnen der Käufer dieser Schrift erinnerlich seyn, so würden Sie mich durch gefällige Benennung desselben ver- binden, da ich, wenn derselbe [nicht] zu weit entfernt ist, sie vielleicht von ihm zur Einsicht erhalten kann.

Hochachtungsvoll Tübingen, den 6. December Ihr ergebenster

1841. L. Uhland.

Adr. Sr. Wohlgeboren

Herrn Antiquar

W. Neubronner

in Ulm.

frei.

9. Verehrter Freund!* Ihre Zeilen vom 5. d. waren mir ein erfreuliches Zeichen, dass Sie meiner noch stets in Gutem gedenken, Dampfwagen

* Aller Wahrscheinlichkeit nach war der Adressat dieses Briefes

Boxberger, Briefe Uhlands. 231

und Dampfboot beherrschen jetzt den Reisenden so gewaltig, dass ich, seit wir uns zuletzt sahen, öfters den Rhein und die Taunusbahn besucht, ohne zugleich nach Darmstadt zu ge- langen. Unser abgelegenes Tübingen wird von Gästen noch sparsamer besucht, seit man an den raschen Flug auf den grossen Verkehrswegen gewöhnt ist.

Was den Anlass Ihres Schreibens betrifft, so entschuldigt Reyscher sein StillsclTweigen damit, dass Ihre Abhandlung sich schon im Drucke befunden und er sie jetzt bereits in Ihren Händen geglaubt habe. In einer Anmerkung sey die Zeit der Einsendung angezeigt, um dadurch etwaigem Uebel- stande des etwas verspäteten Abdrucks vorzubeugen. Reyscher äusserte zwar, dass er deshalb selbst Ihnen schreiben werde, ich wollte aber darum doch nicht unterlassen, den Ausdruck Ihrer freundlichen Gesinnungen mit herzlichem Freundesgrusse zu erwidern.

Tübingen, den 13. Juni 45. Ihr

L. Uhland.

10.

Hochlöbl. Oberpostamt Tübingen übergebe ich 1 Paket

für die fahrende Post, Manuscript, Werth 15 /I, frei, gegen

Postschein, an Herrn Dr, Gustav Klemm in Dresden.

Tübingen, 4. Sept. 1849.

D. L. Uhland.

11.

Tübingen, 12. Juli 1852.

Lieber Roser!

Du wirst mit der Bitte behelligt, beigeschlossenen Reise- pass durch den Eanzleidiener zu den Ministerien, sowie zu der

H. E. Hofmann, Advocat in Darmstadt, von welchem in der Zeitschrift för deutsches Becht und deutsche Bechtswissenschaft, hggb. von Beseler, Beyscher und Wilda, Bd. 9. Tübingen, 1845. S. 229 ff. ein Aufsatz über Zweikampf und Ehrengerichte mit der Bemerkung abgedruckt ist , dass er im Sommer 1844 den Herausgebern zugekommen und, wie es scheine, im Bückblick auf die Habersche Sache gearbeitet sei. Anm. d. Bedact.

232 Boxberger, Briefe Uhlands.

bairischen und österreichischen Gesandtschaft tragen zu lassen, auch das Honorar für den Träger einstweilen in meinem Namen auszulegen. Der Pass lautet zwar auf drei Monate, die Reise wird aber kaum so viele Wochen ausmachen; Tirol ist nur für etwa weiter gehende Reiselust beigesetzt. Am nächsten Samstag möchten wir uns Ton hier aus direct auf den Plo- chinger Bahnhof begeben, um Abends in Friedrichshafen an- zulangen. Erwünscht wäre also, wenn der Pass mit den Unter* Schriften mir bis Freitag hieher zukommen könnte.

Der Rückweg wird uns vielleicht über Stuttgart führen, wo wir Dich in gutem Befinden zu treffen hoffen.

Dir und den Deinigen die herzlichsten Grüsse.

Dein L. U.

(Von fremder Hand: „Erhalten durch die Güte des Herrn Dr. Georg Friedrich Jäger in Stuttgart empfangen am 9. März 1853. F." Dieses F. ist wieder von anderer Hand ergänzt zu: Flügel.)

12.

Herrn Erwin Schlichen, derzeit in Kreuznach

(Rheinpreussen).

Tübingen, 23, Juni 1854.

Geehrtester Herr!

Threm Auftrage gemäss habe ich Ihr am 18. März d. J. erhaltenes Gedicht Baidur heute der J. G. Cotta'schen Buch- handlung in Stuttgart überschickt mit einem Worte meiner auf- richtigen Anerkennung. Mehrseitig mit poetischen Mitthei- lungen, zum Theil grösseren Umfangs, betraut, kann. ich den Erwartungen der Zusender meist nur sehr allmählig und un- genügend gerecht werden, da ich von anhaltender Arbeit in Anspruch genommen bin, zur Schonung meiner Augen das Lesen von Manuscripten Abends vermeiden muss, auch die ästhetische Kritik mir niemals zur Aufgabe gemacht habe, und auf den buchhändlerischen Verkehr mich wenig verstehe.

Hochachtend Ihr ergebenster

L. U hl and.

Bolberger, Briefe UhlandB. 233

13.

Tübingen; den 5. Juni 1856.

Sie haben mir durch Herrn Chrn. Eisenlohr freundlich gestattet, Ihnen die Summe von 6;000 /*. zu überschicken, welche Sie bis zu anderwärtiger Gelegenheit einer passenden Anlage dieses Gapitalbetrags mir mit 4 Proc. verzinsen wollen. Der hiesigen Post übergebe ich nun heute unter Ihrer Adresse 4 Pakete mit 1,104 /!, 560 /:, 500 f. und wieder 500 f., zu- sammen 2,664 /*., und werde den weiteren Belauf in diesen Tagen nachfolgen lassen. '

Hochachtend Herrn Carl Feuerlein Ihr ergebenster

in Dr, L. ühland.

Stuttgart.

14.

Tübingen, 6. Juni 1856.

Unter Beziehung auf mein Schreiben von gesteni über- sende ich hiebei durch die Post weitere 4 Pakete mit 520 /*., 500 f.y 366 f. und 320 /!, zusammen 1,706 /!, was mit den gestrigen 2,664 /*. nunmehr ausmacht 4,370 f.

Hochachtend Herrn Carl Feuerlein Dr. L. Uhland.

in Stuttgart.

15.

Herrn Carl Feuerlein in Stuttgart.

Tübingen, 25. Mai 185T.

Mit Beziehung auf mein Schreiben vom 20. d. M., womit ich Ihnen die Summe von 3,000 f. zugehn Hess, erlaube ich mir, zu gleichem Zwecke hiebei weitere 2,102 /". 5 x. zu über- senden, welcher Posten mir in der Amts-Corporation Freuden- stadt auf den 3. Juli d. J. gekündigt war, nun aber bereits abgelost worden ist. Da ich von der Oberamtspflege richtige Einzahlung voraussetzen darf und das Paket wohl verpackt ist, so liess ich dasselbe uneröfiEaet und werde, wenn Sie den angezeigten Betrag richtig finden, genannte Stelle, deren Be-

234 Boxberger^ Briefe Uhlands.

gleitschreiben darin befindlich sein wird, für den Empfang

bescheinigen.

Hochachtungsvoll

Dr. Ludwig Uhland.

16.

Anden ComponistenHenryHughPierson,geb.inEnglandl817.

Verehrter Herr!

Die verspätete Beantwortung Ihrer verbindlichen Zuschrift bedarf sehr meiner Entschuldigung. Obgleich ein aufrichtiger Freund der Musik, bin ich doch in dieser Kunst so sehr Laie, dass ich selbst das Notenlesen niemals erlernt habe. Es stand mir auch gerade in letzter Zeit, während der akademischen Ferien, keine auf den Vortrag eines bedeutendem Tonstücks eingeübte Singstimme zur Verfügung, welche mir die räthsel- haften Elangzeichen hätte erschliessen können. Nunmehr bin ich aber veranlasst, auf einige Wochen zu verreisen, und so darf ich es nicht länger anstehn lassen, Ihnen noch vor der Abreise für die überaus freundliche Gesinnung, die Sie mir [? mit] Composition und üebersetzung, sowie durch die ehrende Widmung und gefällige Zusendung des Notendrucks bewiesen haben, meinen angelegensten Dank auszudrücken.

Hochachtungsvoll Tübingen, 24. April Ihr ergebener

1859. L. Uhland.

17.

Herrn Carl Feuerlein in Stuttgart.

Tübingen, 16. Jun. 1859. Ihre verbindliche Anfrage von gestern, bis zu welchem Betrag meines Guthabens ich mich bei dem neuen würtem- berg. Staatsanlehen ä 472 Pi^oc. durch Ihre ge£ Vermittlung betheiligen wolle, säume ich nicht damit zu erwidern, dass ich die fragliche Summe bis zu f, 12,000 bezeichne, übrigens unter dem Bemerken, dass es mir auch ganz erwünscht wäre, wenn die Capitalanlage in minderem Mass erfolgen würde.

Hochachtui^svoll

Dr. Ludwig Uhland.

Boxberger, Efriere ühlonds. 235

18.

Herrn Carl Feuerlein in Stuttgart.

Tübingen, 13. April 1861.

Auf Ihr geehrtes Schreiben vom 10/11 d. M., womit Sie mir den Empfang der von Ebm. Kaiser und Münzenmaier in Obertürkheim für meine Rechnung bezahlten 2,000 f. ge- fölligst angezeigt haben, übersende ich hiebei, laut Sortenzet- tels, die nachträglichen 500 /?., welche Herr Chr. Eisenlohr mit obigem Betrag zur Erkaufung von 2,500 f. würtemberg. Aiproc, Obligationen für mich zu verwenden die Mühe über- nehmen will. Diese Staatsschuldscheine, deren Anschaffung ich ganz in jenseitige Convenienz stelle, bitte ich auf meinen Namen eintragen imd mir seiner Zeit mit den Zinscoupons und Be- rechnung des Aufgelds gef. zugehen zu lassen.

Hochachtungsvoll

Dr, Ludwig ühland.

19. [An Buchhändler Fues in Tübingen. Ohne Datum.]

Aus dem zurückfolgenden Bücherverzeichniss «von Frank- furt wünsche ich Nachstehendes zu erhalten und habe meine höchsten Angebote beigesetzt: p, 176. No. 4165. John Bettenden Ker^ cm essay etc. [on nursery

antiquities?] 49 xr.

p. 179. No. 4213. Oesterreich. Volksmärchen etc. 24 xr.

p. 526. No. 11793. Eine Sammlung vieler alten Gedichte. Mst.

aus dem 16. Jahrh. , 9 /I 36 xr.

p. 530. No. 11967. Zwei schone newe lustige Lieder: v. e. edlen

Jüngling etc., die drey Gefangenen. Nümb. Fuhrm. 1 f. 12 xr. p. 530. No. 11975. Ein Schön Lied, Von der Kriegsleut Orden.

Nümb. Gutknecht. ' 1 f. 12 xr.

p. 530. No. 11976. Der Bauernkrieg, e. schönes lyed. s. 1. 1525.

l.f. 12 xr. p. 531. No. 11991. Ein new lied wie es in dem Frenckischen

Pawrenkrieg ergangen ist s. l. et a. 1 f. 12 xr.

Uhland.

Becueil de Chansons populaires grecques; publiees et traduites pour la premiere fois par Emile Legrand. Paris. Maison- neuve & Cie. 1873. XLIII und 376 Seiten gr. 8°.

A2:MATAKPHTIKAMETAJIZTIXSlNKAinAPOIMmN.

Kretas Volkslieder nebst .Distichen und Sprichwörtern. In der Ursprache mit Glossar herausgegeben von Anton Jeannaraki. Leipzig. F. A. Brockhaus. 1876. VIT und 380 Seiten. 8°.

Obwol die erste der beiden rubricierten Sammlungen bereits vor längerer Zeit erschienen ist, so benutze ich die mir durch die zweite gebotene Gelegenheit doch sehr gern, um auf dieselbe noch nachträglich zurückzukommen, und zwar um so mehr, als sich zwischen ihnen mannigfache Berührungspuncte finden, auf die ich weiter unten des nähern hinweisen werde. Was die Sammlung Legrands be- trifFt, so besteht sie aus sieben Abtheilungen, von denen die erste und letzte einer Handschrift der kaiserl. Bibliothek zu Wien entnom- men sind, welche Busbecq in der Mitte des 16. Jahrh. in Konstan- tinopel fOr dieselbe erwarb und in der sich jene an verschiedenen Stel- len zerstreut vorfinden. Die Stücke der ersten Abtheilung (No. 1 47) sind der Mehrzahl nach älter als das 15. Jahrh., ja eins davon, das allererste (112 Verse), stammt nach Legrands Ansicht schon aus dem zwölften. Es trägt die üeberschiift: OiXooofpia KQaöoicotiQa (philo- sophle de Tivrogne), und, da es einen Anstrich von theologischer Ge- lehrsamkeit bietet; so möchte L. es für das Product irgend eines jener zechlustigen Mönche halten, die im Mittelalter so häufig Trinklieder dichteten und sich im Orient ebenso feinden wie im Occident^ denn „la gent monachale est partout la möme*'. Der in Bede stehende „Philosoph*^ muss Übrigens ein Erzsäufer gewesen sein, denn es klingt fast wie eine Blasphemie, wenn „n'ajant pas de vin pour 6tancher la soif qui le d^vore, il feint d'ßtre prds de momir, pour qu'on lui apporte la conununion. A d6faut d*autre liquide, il aura au moins le vm eucharistique^* (V. 37 40). Doch fehlt es dem ganzen nicht an bakchischem oder vielmehr säuferischem Schwünge und Erfindungs- gabe. Das dritte Lied „'E^oot^xi^ ^ATtaxrj^*^ (la seduction) ist eins der längsten (160 Verse) imd, wie L. mit Recht hinzufügt, auch eins der schönsten der Wiener Handschrift, üebrigens sind, mit Ausnahme

Liebrecht^ zur nengriech. Volkfipoesie. 237

der Philosophie '^ alle andern derselben entnommenen Lieder der Liebe gewidmet und allem Anschein nach an einem einzigen Orte, muthmasslich Konstantinopel, gesammelt worden.

Die nun folgenden, gleichfalls meistentheils ungedrnckten Lieder sind dem Herausgeber fast sftmmtlicb von gelehrten Freunden in Grie- chenland und Frankreich mitgetheilt, und nur eine kleine Zahl verschie- denen in Athen herausgekommenen, aber im übrigen Europa wenig bekannt gewordenen Sammlungen entnommen (die des Chasiotis und Sakellarios habe ich jedoch in den Gott. Gel. Anz. 1869 S. 1581 eingehend besprochen und von den anziehendsten Stücken der letztem in vorliegendem Archiv für Litteraturgeschichte Bd. II S. 23 ff. eine Uebersetzung gegeben). Die zweite Abtheilung Legrands (No. 48 86) enthält historische und Klephten*Lieder, deren Entstehung vom Anfang des 16. Jahrh. bis zur Ermordung des Grafen Capodistrias (1831) reicht. Der Charakter der derartigen Dichtungen ist hin- länglich bekannt; zu einigen derselben^ wie auch sonst bei verschie- denen andern der übrigen Abtheilungen, gibt L. in der Vorrede oder im Text sehr willkommene sachliche Erläuterungen. Ich hebe von dieser Abtheilung nur zwei Lieder hervor, nämlich No. 48,^0 Oavtnog tov Kfoatawlvov Jgciyairi, auf den Tod des letzten griechischen Kaisers (1453), wo es am Schluss (V.23 7) mit den Worten von L.'s Uebersetzung heisst: „Et un Türe le frappa sur la töte, et le pauvre Constantin tomba de sa jument; et il resta 6tendu par terre dans la poussiere et dans le sang. Ils lui coup^rent la tdte et la plant^rent au bout d'une lance, et ils ensevelirent son coi-ps sous le laurier.'^ Legrand setzt das entstehen dieses Gedichtes erst nach der Eroberung von Konstantinopel an, „et cela ä cause du demier vers il est dit que Constantin Dragas^s fut enseveli sous un laurier, opinion qui n'a prevalu que longtemps apr^s la mort de cet empereur." Dass die Sage über das Endschicksal des Kaisers im griechischen Volke sich vielfach ausbildete, war ganz natürlich, und daher auch nicht zu verwundem, dass eine kretische Version derselben ihn in türkischer Gefangenschaft fortleben Hess, wie wir aus Jeannarakis Sammlung No. 3, 'O Kaatavrrig (6 IlalatoJioyog), ersehen, wenn sich nämlich, wie der Herausgeber annimmt, dies Fragment wirklich auf Konstantin XII. bezieht; es lautet übersetzt so: „War es nicht ein schweres Verbrechen und grosse Ruchlosigkeit (aiiyavM), den Kon- stantin mit einem Büffel zusammenzujochen in ein eisernes Joch mit stählernen Jochriemen? die oberen Riemen aber waren silbern." Fer- ner hebe ich noch hervor No. 62, Trjg 'Povfukrig to Tgayovöi (Com- plainte de la Roum61ie), welches Lied nach L. aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. stammt und eine lebendige Schilderung davon gibt, was es heisst, unter türkischem Joche leben. Uebrigens hat Passow, dem dies Gedicht, wie L. bemerkt, gleichfalls bekannt war, dasselbe nicht in seine Sammlung aufgenommen, ist also nicht der Meinung

AbOHIT f. LlTT.-OXBOH. VII. 16

238 Liebrecht, zur neugriech. Yolkapoede.

gewesen, dass es aus dem Volke hervorgegfangen, und, wie mir scheint, mit Becht; denn Gedanken imd Sprache weisen eher auf einen koyiog als Verfasser hin.

Die dritte Abtheiiung (No. 87 90) enthält Lieder aus dem Cjklus des Digenis Akritas. Schon seit langer Zeit besitzt man Volks- lieder, in denen von einem wunderbaren Helden Namens Digenis die Bede ist (s. z. B. Fassow No. 430. 491. 516; Sakellarios No. 4 und 17, Archiv f. Litt.-Gesch. 2, 27 f. 42 ß. u. s. w.), ohne dass man mit die- sem Digenis viel anzufangen wusste, bis endlich vor einigen Jahren in Trapezunt ein daselbst vor Einnahme der Stadt durch die Türken (1462), vielleicht schon im 10. Jahrh. verfosstes Heldengedicht von mehr als dreitausend politiscfien Versen entdeckt wurde, das von einem gewissen Basilios Digenis Akritas handelt, dem Sohne eines Emirs von Edessa Namens Ali und einer Tochter des griechischen Stratarchen Andronikos Dukas. Er hiess Digenis (öiysvrig von zwie- facher Abstammung) wegen seiner arabisch -griechischen Eltern; er hiess auch Porphyrios, bei den Persem Farfurius; sein eigent- licher Name scheint aber Panthirios oder Panthir, und er derselbe Feldherr gewesen zu sein, welcher nach dem Zeugniss Nestors im Jahre 941 die Flotte des russischen Fürsten Igor vernichtete. Er war mit dem griechischen Kaiser Bomanos Lekapenos verwandt nnd Oberbefehlshaber der asiatischen Provinzen. Das erwähnte Gedicht nun ist seitdem von Konstantin Sathas und Legrand herausgegeben worden (Les Exploits de Digenis Akritas, 6pop^e bjzantine du X. si^cle publiee pour la premiöre fois d'apr^s le manuscrit unique de Tr6bizonde. Paris 1875), und Legrand beabsichtigt in einem zweiten Bande den Text und die Uebersetzung aller sich auf Digenis beziehen- den weit verbreiteten neugriechischen Volkslieder herauszugeben. Zu diesen gehören nun auch die oben erwähnten bei Legrand, von denen namentlich das erste (No. 87), 'O *Ii6g xov^AvöqovIxov , mehr- mals, namentlich auch von Kind in seiner Anthologie neugriech. Volkslieder, Leipzig, 1861, S. 2 ff. No. 1 (H ^AvayvtiQuSig)^ in einer von dem ersten Herausgeber Zampelios vielfach interpolierten und sonst willkürlich abgeänderten Gestalt publiciert worden ist Der in Bede stehende Andronikos erscheint in diesem Gedichte in*thflm- licher Weise als Vater des Digenis, während er eigentlich der mütter- liche Grossvater desselben ist. Das dritte Lied (No. 88), ^O Xa(fog xal o JiyBvtig^ ist eins der oben erwähnten aus Sakellarios (No. 17), welchem auch Jeannaraki No. 276 entspricht; von Digenis handeln femer bei letzterem No. 83. 93 und, wie man aus dem oben ange- führten ersehen wird, auch Passow No. 482. Der Sagenkreis des Digenis ist übrigens auch nach Bussland vorgedrungen, woselbst in einer Handschrift des 14 15. Jahrh. ein Heldengedicht über Deu- genius Akritas vorhanden ist; s. hierüber A. Wesselofskj in der Bussischen Bevue, Petersburg 1875, IV. Jahrg. S. 539 ff.: „Bruch-

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stttcke des byzantinischen Epos in rnssischer Fassung^' nnd Alfred Ramband, La Rnssie Epique, Paris 1876, S. 421 ff.: „L'Epop6e n6o- grecqae Digenis Akritas/^

Die vierte Abtheilnng (No. 91 93) enth&lt drei sehr schöne Lieder religiösen Inhalts, und die fünfte Abtheilung (No. 94 119) Liebeslieder, über die sich ein gleiches ürtheil fKllen Iftsst. Die sechste Abtheilung (No. 120 147) enthält Gedichte verschiedenen Tnhalts. Von diesen erwähne ich einige namentlich. No. 121, 'O ^- axog y?vxoQQ€cy^^ welches L. für das älteste der Sammlung hält. No. 126, Tov XcfQov v6 Kaqußi (le navire de Charon), wozu L. be- merkt: „Cette chanson se recommande tout sp^cialement ä Tattention des personnes qui se livrent ä T^tude de la mjthologie compar6e.^' Gelegentlich dieses Liedes gibt L. eine aus^hrliche Darstellung Charons, wie er in den neugriech. Volksliedern erscheint (S. XXXVII Z. 9 V. u. 1. „la CCCCXXIII chanson de Passow*')- No. 123, 'ff xax^ Mdwa (die böse Mutter). Von der Mutter aus dem Hause gejagt, sagt der Sohn ihr voraus, dass sie sich einst nach ihm zurücksehnen und alle vorüberziehenden nach ihm fragen, dann aber nur von ihnen vernehmen würde, dass sie ihn in fernem Lande auf dem Felde ster- bend und von den Vögeln schon angefressen gefunden hätten. Hier- her gehört Pass. No. 346 9 (auch Nr. 350 ist nur eine selbständige anders gewandte Version der vorausgesagten Sehnsucht und der Klagen der Mutter), ferner Chas. S. 83 No. 18 nnd Sakell. S. 51 No. 19. In dem vorliegenden Liede bei Legrand sagt der sterbende schliess- lich: „J'6crirai ä ma m^re trois lettres de deuil; la premi^re sera pour ma m^re, la seconde pour ma soeur, et la troisi^me, la demi^re, pour mon amante. Ma mdre pleurera, ma soeur sera attrist^e, et mon amante pleurera et dira de fun^bres chansons.** Dieser Zug, dass der sterbende vor seinem Tode erst noch Trostbriefe schreiben will, findet sich nicht nur in allen angeführten neugriech. Versionen, so wie bei Jeannar. No. 261, 25 34 (welche Stelle aber eigentlich nicht zu diesem Liede gehört, sondern sich aus einer Version des in Rede stehenden Liedes hinein verirrt hat), sondern auch sonst noch, so z. B. in den Volksliedern aus Venetien, gesammelt von G. Widter und herausgeg. von Ad. Wolf, Wien 1864 (Sitzungsber. der phil.- hist. Classe der kais. Akad. der Wissensch. Bd. XL VI), No. 97, „II marinaro e la sua amorosa**, wo das ertrinkende Mädchen ruft: „Ein Briefchen will ich schreiben lassen und es meiner Mutter schicken, damit sie es lese, damit sie es höre; ich weiss wol, dass sie mich be- weinen wird/' Ebenso häufig ist in den Volksliedern der Zug, dass sterbende in artioulo mortis erst noch ihr Testament machen; s. meine Nachweise in den Gott. Gel. Anz. 1869, S. 539 f. No. 126, *0 aoq}bg IlQeaßvtfigj von der L. bereits in seiner Collection N6o- hell^nique (No. 19) eine ältere Version gegeben hat, während die vorliegende seiner Meinung nach aus dem 17. Jahrh. stammt. Es

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240 Liebrecht, zur neugriech. Volkspoeibie.

ist das l&ngste Gedicht der ganzen Sammlung (409 Y.) und behandelt einen Stoff, von dem L. bloss anführt, dass es ein orientalischer sei; näheres jedoch findet man bei Dunlop-Liebrecht, Oeschichte der Prosa- dichtiing, S. 212 nebst Anm. 282; füge hinzu A. Schiefner, Mah&kät- j^'ana und König Tshanda-Fradjota, ein Cjklus buddhistischer Erzählungen in den M^m. de l'Acad. Imp. de St P^tersb. 1875. VIT. S6rie T. XXra S. 1 f. „A^ita und Nalada", und dazu S. IV f. An- dere Nachweise übergehe ich. No. 134, Tov wxjtixav Mtcvixa i} yvvai%a (60 V.) findet sich auch bei Jeannaraki No. 1 7 (98 V.), der das Gedicht unter die historischen stellt^ so wie auch Legrand nach Mittheilung eines griechischen Freundes dazu bemerkt, dass es auf einer wahren Thatsache beruhe und der Capitftn Manetas um das Jahr 1780 in der venetianischen Flotte gedient habe. No. 138, *0 Xaqxauxviiq nun ij ^Aqsvq (138 V.). Legrand hat auph dieses Ge- dicht bereits in der angeführten Collection (No. 1 2) herausgegeben, und wegen darin enthaltener cjprischer Idiotismen, wie wegen der Erwähnung aegyptischer Gefolgsmänner des darin vorkommenden Königs will er die Abfistösung desselben in die Zeit des Königs von Cypem Jacob von Lusignan (also gegen 1460) versetzen. Ob nun die vorliegende Version des Gedichts vielleicht, wie er annimmt, eine ältere ist, will ich unerörtert lassen; jedesfalls hat L. nicht be- merkt, dass in den iVeocUi^vixa '*AviXB%xa^ Athen 1870 1872, I, 342 ff. (185 V.) eine andere Fassung mitgetheUt worden, deren Schluss freilich von dem der in Rede stehenden gänzlich verschieden ist. Zum Verständniss der letztem will ich bemerken, dass, als Arete mit ihrem Verführer, der sie auf Befehl des Königs heirathen muss, auf dem Gange nach der Earche bei dem Palast der Schwieger- mutter vorüberkommt, letztere, die nichts von dem allen zu wissen und ihre Tochter hinter sich im Palaste zu glauben scheint, dieselbe herbeiruft, um ein vorüberziehendes Brautpar zu bewundem, von dem jedoch der Bräutigam schlanker sei als die Braut (womit auf deren Schwangerschaft hingedeutet wird). Die Mutter erkennt also die unter ihrem Fenster vorbeikommende Tochter nicht Hierbei will ich beiläufig darauf hinweisen, dass Legrand die Wörter yafißQog und vvgni durch gendre und bru übersetzt und dabei Übersehen zu haben scheint, dass dieselben ganz gewöhnlich Bräutigam und Braut be> deuten (namentlich am Hochzeitstage; franz. le marie und la marine, vgl. bridegroom und bride). Da die NsoekX. ^AvaXitna weniger zugänglich sind als L.'s Sammlung, so will ich aus erstem zur Ver- gleichung mit letzterer einen kurzen Auszug des betreffenden Ge- dichtes geben, welches der Herausgeber, Politis, mit Recht als eines der besten Erzeugnisse der neugriechischen Volksdichtung bezeichnet. Konstantin bewirbt sich durch abgesandte um die Hand der Königstochter Heliogennete {AioyEwi^xfi\ die jedoch jene voll Hohn zurückschickt, ihnen aber zugleich eine von ihr selbst geflochtene

Liebrecht, zur neugriech. Yolkspoesie. 241

Goldschnnr als Lohn für die aufgewandte Mühe zum Geschenk macht. Konstantin fordert dieselbe von ihnen und begibt sich auf den Bath seiner Mutter zu einer Zauberin, welche ihn fragt, oh er nicht irgend ein von ihrer Hand gefertigtes Zeichen der Gunst Heliogennetes be- sitze, nnd dann durch die Schnur zu bewirken verspricht, dass sich jene dtes Nachts zu ihm begebe, wobei sie ihm einschärft die Hausthttre zu öffnen und die Hunde (^qux) anzubinden. In der ersten Nacht jedoch kömmt die Jungfrau auf dem Wege mitten auf der Strasse einigermassen zu Sinnen und bittet Gott um ihrer Jungfräulichkeit willen sie von der Zauberei zu befreien, was auch geschieht. Die Zauberin heisst dann den Konstantin sich in Frauenkleidem als Base jener auszugeben, welche bei ihr sticken lernen wolle. Auf diese Weise gelingt es ihm, Heliogennete, mit der er zusanmien schläft, ohne dass sie es weiss, die Jungfrauschaft zu rauben, und er erwartet sie dann kraft der Zauberei in der nächsten Nacht in seinem Hause; da er aber sehr schläfrig ist, so lässt er statt seiner seine böse Mutter im Hofe wachen, welche jedoch die Hausthttre schliesst, die Hunde los- lässt und einen Trog mit vergiftetem Wasser auf die Strasse hinaus- setzt. Als nun Heliogennete anlangt, wül die Mutter nicht eher öffnen, als bis jene das Eisen^ wie ein Hund den Knochen, benagt und das Wasser im Troge getrunken hat. Sie thut dies und fällt dann todt nieder. Am andern Morgen gibt Konstantins Mutter vor, Heliogen- nete sei gar nicht gekommen, jener aber, als er die Leiche erblickt, trinkt gleichfalls von dem vergifteten Wasser und stirbt.

Ein kleines hierher gehörendes Fragment von 18 Versen findet sich bei Passow Nr. 526 und weist auf eine dritte Version hin. In Betreff des Liebeszaubers, wodurch in beiden letztem Fassungen die Jungfrau gezwungen wird den Jüngling bei Nacht zu besuchen vgl. meine Bemerkungen in den Heidelb. Jahrb. 1868; S. 85 (wo zu lesen Z. 15 V. 0. But und prick; Z. 14 v. u. Passow No. DXXVI und Talvj; Z. 9 V. u. Paradoxogr.; die Z. 20 v. o. erwähnte Sage [nicht Harz-Sage] findet sich bei Grimm, Deutsche Sag. No. 114 „Andreasnacht'').

No. 143, Tic ivo ^Adiktpuc. Hierzu verweise ich auf andere Versionen bei Passow No. 486 7, so wie bei Chasiotis S. 95 f. No. 8 und S. 208 ff. No. 32; vgl. auch Talvj, Volkslieder der Serben 2. A. Leipz. 1853. I, 288 ff. „Die Brüder." No. 145 (ohne Ueber- schrift) gehört in den ausgedehnten Sagenkreis von dem lange ab- wesenden Ehemann, der zur Hochzeit der Frau, die sich wieder ver- heirathen will, zurückkehrt und dieselbe wieder bekömmt. S. hier- über die Nachweise zu meiner üebersetzung von Sakellarios No. 1 3 in diesem Archiv 2, 36 f. (wo es S. 36 letzte Zeile heissen muss: „Bd. I, S. 61 f." und wo S. 37, Z. 7—8 v. o. so abzuändern ist: „Hiermit bricht das Lied ab, wird jedoch ergänzt einerseits durch *AvaX. 1 , 86 No. 20, andererseits durch die bei Passow folgende No. 449, in welcher letztem ebenso, wie in dem vorliegenden Liede

242 liiebreoht, zur neugriech. Volkspoesie.

bei Sakell/' u. s. w.; Z. 17 y. o. 1. „No. 27, wo, wie in den ^AvdL 1, 85 No. 19, der Herr" n. s. w.; Z. 19 v. o. 1. ;,nacli diesen beiden Versionen^); dem im Archiv a.a. 0. angeführten Liede Pass. No. 439 entspricht auch Jeannaraki Nr. 265, vgl 264. Mit V. 17 20 des in Bede stehenden Liedes bei Legrand: „«Ya dans mon ^curie, prends le cheval iringant, mais qu'il ne te yienne pas ä Tid^e de lui donner un coup d'6peron, car il te röpandrait la cervelle k dix coad6es de profondeur.» Et Jean n' en tint pas compte; il donne un coup d'6peron au cheval; et, des montftgnes il se trouvait, il fut lanc6 dans la plaine,^* vgl« Sakellar. Y. 37 115 (meine Ueber- setzung im Archiv 2, 24, wo auch auf Passow No. 439, 6 22 verwiesen ist). No. 147, 'H lAcSliiriCig zov "Avdi^g, Dieses Lied erinnert, wie L. anmerkt, sehr lebhaft an die Geschichte Mazeppas, der wegen der Yerfllhrung der Frau eines polnischen Edelmanns auf ein wildes Boss gebunden wurde, das ihn in seine (des Bosses) Hei- mat zurückbrachte. Dasselbe ist das letzte grössere Lied (43 Y.) bei Legrand, worauf dann noch als siebente Abtheilung 93 der Wiener Handschrift entnommene Distichen folgen, welche die obligate Bei- gabe fast aller neugriech. Gedichtsammlungen bilden. Aus L/s Sammlung will ich jedoch nur das 85. Distichon anführen: ^^XQioth, xl xov oQiyoiuci xov xoxxivotfxa^ilarov, wtäxn nal gxov 9t6Qq>ov tov tov fiocxov xov aipQcixov,^*' („Christ! combien je le d^sire le jeune homme rouge ecarlate, qui porte dans son sein un frais rameau de mu8c.^') L. bemerkt zur Lesart der Handschrift ax^arov: „Cette 6pithdte ne peut guöre s'appliquer ä une plante, o^est pourquoi j'ai cru devoir lui substituer atpQotov,^^ Das verliebte Mädchen will sagen, der Busen des geliebten dufte wie reiner (unge- mischter) Moschus; von einem Zweige ist nicht die Bede und kann auch nicht die Bede sein; denn der Moschus ist keine Pflanze. Was übrigens das Wort atpQoxog betrifft, so will ich nicht unbemerkt lassen, dass man demselben allerdings die Bedeutung frisch bei- legt, so auch Passow und Jeannaraki im Glossar; und diese Bedeu- tung passt auch gewöhnlich, so bei Pass. No. 491, 3, wieder in der Yerbindung aipQccxo fiofSKo (\, e. fio0;^o), No. 535, 2 lUQißoXi itpqaxo (frischer Garten), Jeann. No. 131, 60 yaqoqmko fi^aq>Qaxo (meine frische Nelke), Aval. 1, 94 No. 30, 4 itpgix iatUt (frische Birne). Wie steht es aber mit Pass. No. 134, 4 und Jeann. No. 178, 5 itp^o fMXQfiaQol was soll hier der „frische Marmor'*? Kind, An- thologie S. 192 zu No. 15, 4 (= Pass. No. 134, 4) erklärt das Wort „von &q>Qog weiss wie Schaum" und ebenso S. 209 zu No. 20, 4 (bs Pass. No. 491, 3), wo Kind aber irrthümlich fMöxo für fio- <s%ixov (Muskatwein) nimmt.

Ausser den hier aus Legrands Sammlung angeführten Gedich- ten werde ich noch weiter unten bei Jeannaraki einige andere nam- haft machen, die bei letzterm ihre Analoga finden, und bleiben mir

Liebrecht, zur nengriech. Yolkspoesie. 243

hier nur noch folgende Einzelheiten zu erwfthnen. Was nämlich die Uebersetzung betrifft, so wiederhole ich, was L. selbst darüber sagt: „Je me suis effbrc^ de rendre ma traduction aussi litt^rale que possible, Sans cesser pourtant d'ötre compr^hensible pour les per* sonnes qui ne peuvent lire Foriginal ... II y a, dans ce recueil, des Chansons dont la traduction m'a coütö beauooup de peine. Parmi Celles qui proviennent du manuscrit de Yienne plusieurs sont fort obscures et entre autres la Philosophie de Tivrogne. Trds souvent aussi je me suis trouv^ arr^t^ court par des mots inconnus que je cherchais yainement dans les mauvais dictionnaires du grec Yulgaire que nous possddons et force m'6tait de laisser mon travail inachev6 jusqu' au jour je pouvais consulter quelque Grec de mes amis, sur la signification des termes qui m'embarassaieni II reste encore dans ce livre beaucoup d'imperfections, que Ton me pardon- nera, si Ton considdre combien est h6riss6 de difficultös, surtout pour un ^tranger, la tftche que j^ai accomplie.^^ loh habe hier zu dem mit grosser Bescheidenheit gesagten nur hinzuzufügen, dass man Legrand die kleinen ünvollkommenheiten seiner Uebersetzung gewiss gern nachsehen, ihm aber andererseits für die grosse Zahl neu zur Kenntniss gebrachter unerklärter Ausdrücke, so wie überhaupt fUr die höchst schätzbare Sammlung, überaus dankbar sein wird und zu- gleich nur dringend wünschen kann, dass er den beabsichtigten zweiten Band neugriechischer Volkslieder, welcher auch ein vollständiges Glossar enthalten soll, baldmöglichst erscheinen lasse.

Wir kommen nun zu Jeannarakis Sammlung, welche sich von der Legrands zuvörderst darin unterscheidet, dass sie von keiner Uebersetzung begleitet ist, dagegen aber ein Glossar enthält, auf das ich weiterhin noch näher eingehen werde. Ein anderer Unter- schied besteht darin, dass sämmtliche Lieder der erstem entweder von dem Herausgeber oder dem Prof. Autoniadis in deren Hei- matinsel Kreta aus dem Volksmunde gesammelt sind, also ohne Aus- nahme der Gegenwart angehören, wie sich denn auch mehrere von namhaft gemachten noch lebenden Dichtem, zum Theil Improvisatoren, darunter befinden, während andere ohne Zweifel ein höheres Alter be- sitzen. Was den Inhalt derselben anlangt, so gestehe ich, dass mir die von J. befolgte Eintheilung (ob dies eine in Kreta herkömmliche ist, weiss ich nicht zu sagen) nicht recht klar ist, theils in den Haupt- abtheilungen, theils aber auch, weil in den Unterabtheilungen man- chen Liedern eine andere Stelle als die ihnen zugewiesene zuzukommen scheint; so finden sich Lieder, die ganz denselben Gegenstand haben, in verschiedenen Haupt- und Unterabtheilungen, z. B. No. 127 und 261, No. 129 und 276. Doch würde ein näheres eingehen hierauf zu weit führen. Die erste Hauptabtheilung aber, Töij Taßlag (Tischlieder?), umfasst A/IsxoQtxi (No. 1—62). No. 1, 'O Syiog rewQy^og ist, wie man sieht, eine Legende. Dass sich der heilige

244 Liebrecht^ zur neugriech. Volkspoeaie.

der von ihm befreiten Jungfirau in den Schoss legt und von ihr lausen läset, ist, wenn auch kein historischer, doch jedesfalls ein volksthüm- lieber Zug. No. 2. To TlaQUifio xfS^ K<o<ttavtwo7toXig betrifft die Eroberung Konstantinopels durch die Türken. No. 3, 'O Xe»- Cravtrig (6 Üalaioloyog) und No. 17, O Muvixag habe ich bereits zu Legrand No. 48 und 1 34 erwähnt. No. 5, 'O Ta^a^g ist ein kleines Fragment von 7 Versen. Eine Mutter beklagt sich darin, dass Tartaris ihr alle neun Söhne raube, und fieht ihn an ihr doch wenigstens einen zu lassen. Liegt in diesem Namen „Tartaris*' ein Wortspiel mit „Tartaros" (= Unterwelt, Tod)? Die Mutter ruft aus: „2)kvAe Taqta^^ xaQOvza xmv TTcridi» fiov^'' (Hündischer Tartaris, Tod meiner Kinder). Dass nicht der Tod selbst gemeint ist, scheint aus der LocalitSt Algier (^AXixtiQti) hervorzugehen; was für ein Ort unter 'A^ui zu verstehen sei, weiss ich nicht. No. 7, 'ff Biiva be- zieht sich auf die zweite Belagerung von Wien (1683) , macht aber einen ganz komischen Eindruck. Die folgenden Lieder, von denen das letzte aus dem J. 1861 stammt, beziehen sich fast s&mmtlich auf Vorfälle auf der Insel Kreta, namentlich auf grausame Thaten der Türken, Aufstände gegen dieselben u. s. w.; so z. B. No. 23 (38 V.) und No. 24 (36 V.), 'O JaCKako-rulwi/ig (beide im Sphakiotischen Dialekt). Ich hebe diese zwei Lieder deswegen hervor, weil sich auch bei Legrand eine dritte und zwar längere Version (No. 61 in 85 Versen) vorfindet, begleitet von einer ausführlichen Einleitung (s. auch 8. XXX), aus der ich folgendes hervorhebe, weil in dem Augenblicke, wo ich dieses schreibe (Ende August 1876), ein trau- riges Seitenstück zum kretischen Aufstände von 1770 sich in Serbien und der nördlichen Türkei abspielt. „Les Sfakiotes qui ne s'etaient jamais sentis plus aguerris et plus fiers que dans le courant du si^cle demier, furent entrain6s dans la d^sastreuse exp^dition de 1770. Cette entreprise provoqu^e par Tinqui^te ambition de l'im- p^ratrioe Catherine, pompeusement annonc^eä TOccident et brillam- ment commencee, ne devait aboutir, grace ä la sötte pr6somption d* Alexis Orlof, qu^ ä d'humiliants 6checs et ä une lamentable effusion de sang chr^tien. La r^volte fut d^cid^e et conduite dans File de Crdte par un certain Maltre Jean, dont le nom et le souvenir se sont conservös dans un chant populaire que j^^crivis k Sfakia mdme sous la dict^e de vieilles femmes. Maltre Jean devait sans doute le titre que lui donne la tradition 4 quelque sup^riorite intellectuelle qu^il aurait acquise je ne sais oü.^^ Als der Aufstand der von den Bussen im Stich gelassenen Sphakioten missglückt war und Daskalo- johannis, den ihm von den Türken angebotenen günstigen Bedingungen trauend, sich ihnen in die Hände gegeben hatte, nahmen sie ihn an- fangs mit vielen Ehrenbezeigungen auf, „puis d^s qu*on fat sür de le bien tenir, on changea de ton. U fat pendu, comme brigand, et Tue entidre retomba sous an joug plus dur que jamais.^^ Nach einer

Liebrechi, zur neugriech. Volkspoesie. 245

andern Angabe nimi%9ifi dinfjuag $lg 'HQwtXiiov nal imictfi zbv imcq-

B. nXaaxci (No. 63—140). Dass No. 83 und 93 den Digenis zum Gegenstand haben, ist bereits zu Legrand No. 87 90 erwShnt. No. 84, To Sivo (der fremde) ist eine Variante von Passow No. 324. No. 96, To MlXtuiuc rai; BQiipovg (der sprechende Säug- ling). Von zwei Schwestern gebiert die reiche eine Schlange, die arme ein Kind, das man ihr aber wegnimmt und jener bringt, wäh- rend sie selbst die Schlange bekömmt. Nach drei Tagen verlangt der Säugling von der Mutterschwester weg, weil ihre Milch böse sei und er befürchte durch dieselbe um seinen Verstand zu kommen. Sprechende Säuglinge erscheinen häufig in Sagen tmd Volksliedern, s. hierüber die von mir in der Germania Bd. XXI, Heft 2, S. 254 f. gegebenen Nachweise. . No. 118, 'O MixQOKcaöxccvttvog % ^ Miyicca (der junge Konstantin und die Zauberin). Eine Variante von Pass. No. 523 und Sakellar. No. 31; s. hierüber meine üebers. des letztem Liedes im Archiv 2, 47 f. Der dort besprochene echt volksthümliche Zug, dass der ertrinkende bittet seinen Tod der Mut- ter (Gattin, geliebten) zu verbergen, findet sich femer bei Puymaigre, Chants popul. recueillis dans le pays messin, Metz et Paris 1865, S. 62 „L'Amant noj6", bei Bujeaud, Chants et Chansons popul. des provinces de Touesl^ Niort 1866, II, 210. „Le Soldat par chagrin^^ Str. X u. bei andern. No. 126, ^H Avyt^ 7tQo6ofjUvri (das ver- rathene Mädchen). Ein von einem Türken verfolgtes Griechenmäd- chen flieht in die Kirche des heil. Georg und fleht diesen um Schutz an, wogegen sie ihm eine grosse Masse Wachs, Weihrauch und Oel verspricht, so dass der heilige einen Stein aufhebt und das Mädchen sich darunter verbergen heisst. Allein auch der sie verfolgende Türke langt an und verheisst dem heiligen noch mehr Geschenke, wenn er ihm sage, wo das Mädchen sei, worauf der heilige mit seinem Munde zwar antwortet: „Ich habe das Mädchen nicht gesehen*^ allein durch einen Wink zu verstehen gibt, es sei unter dem Steine ver- borgen, so dass der Türke diesen aufhebt und das Mädchen darunter findet. Da bricht denn die verrathene gegen St. Georg in heftige Verwünschungen aus, fragt, ob man wol noch je solch* einen heiligen wie diesen gesehen, und wünscht, dass seine Kirche zusammenstürze und ein Schafstall daraus gemacht werde, in den Glocken aber Raben nisten mögen. Diese Version (50 Verse) ist vollständiger als die in den 'AvaX. 1, 94 No. 29 (17 V.) und bei Pass. No. 587 (12 V.), welche letztere übrigens auf eine weniger ärgerliche Weise damit schliesst, dass der junge Türke Christ zu werden, das Mädchen aber zu heirathen und zu einer vornehmen Dame zu machen verspricht. Was den Zug der kretischen Fassung mit dem stummen Wink des heiligen betriflt, der schon bei Aes. Cor. 127 und Babrius 50, l/ikwüri^ wA jQvtofiog vorkömmt, so findet er sich häufig wieder,

246 Liebrecht, zur nengriech. Volkspoesie.

auch in Indien, s. H. Kurz zu Burkhard Waldis* Esopus 3, 44 ; andere Nachweise übergehe ich. No. 127, 'O 'E^Ojuo^ V ^AyatTCifttMov (die Heimkehr des geliebten). Er wird erst ins Haus gelassen, nachdem er sich als der wirkliche geliebte legitimiert hat. Eine Version von Pass. No. 441 6, namentlich von No. 443; femer von Chas. S. 89 No. 28; s. überhaupt meine Nachweise in den 6ött. 6eL Anz. 1861, S. 576 zu Pass. a. a. 0.; 1870, S. 395 zu ühland No. 116; 1873, S. 204 zu Bemoni P. IX No. 1.; s. auch unten zu No. 261 und 300. No. 130, Tic xoxa ne^SQiKa (die böse Schwieger- mutter). Sie vergiftet die Schwiegertochter durch ein Gericht Schlangen. Eine Version von Pass. No. 456 7 nind von Chas. S. 51 No. 40; über die in Volksliedern häufig vorkommende derartige Ver- giftung s. meine Nachweise in den G-ött. Gel. Anz. 1870 S. 395 f. zu Uhland No. 120; vgl. auch Aigner, ungarische Volksdichtungen, Pest 1873, S. 127 flf. „Der vergiftete Knabe.'' No. 132, 'H yt'Oß^^- Tiovka (das Judenmädchen). Die Mutter will sie lieber von einem Türken getödtet als an einen Christen verheirathet sehen. Version von Passow No. 588—9 und Neoskk. 'Aval. 1, 100 No. 38.

R Tov XaQo xal tov NiSri (^^^ ^®™ Tode und der Unterwelt No. 141 153). No. 142 und 146, 'O Xa^g xal 6 Niog (der Tod und der Jüngling). Sie ringen mit einander, und der Tod siegt, indem er den Jüngling wie alle seine Opfer bei den Haaren zu Boden wirft. Der Ringkampf findet nach dem Vorschlage des Jünglings auf einer eisernen Tenne statt (V. 13) und ebenso in No. 276 (V. 12), femer bei Legrand No. 89 (V. 23); bei Passow No. 432 (V. 7) ist es eine marmorne ; alles dies erklärt sich aus dem bei Jeannar. No. 142 folgenden Verse (14): „Damit die Berge nicht bersten und der Boden nicht einsinke.*^ Lieder ähnlichen Inhalts bei Passow No. 426 8; vgl. GGA. 1861 S. 575 f. (wo zu lesen Grimm No. 177). No. 147, *H KoQti elg tov Nadfi (die junge Frau in der Unterwelt). Eine junge Frau will zwei aus der Unterwelt entfliehende Jünglinge, die dem Charos die Schlüssel entwendet, begleiten, wird jedoch zurück- gewiesen und bittet, daim wenigstens ihrer Mutter gute Verpflegung ihres Mannes, ihrer Kinder und ihrer Dienstleute anzuempfehlen. Aehnlich bei Passow No. 420 3. Ich will bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam machen, dass no^ im neugrieoh. wie im alt- grieoh. auch ,ounge Frau** bedeutet, ebenso altgriech. ^nv^divo^, lat puella und virgo, engl. girl. No. 148, 'O XaQog. „Die gestrige Nacht brachte ich in der Unterwelt als Grast im Hause des Todes zu. Als er nun des Nachts bleich und abgemattet nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau (XccQovzuföa): «Ich rieche Menschen 1 oder scheint es mir nur so?» [Da antwortete die Frau:] «0 Charos, von der Schlachtbank» . . . /* So lautet das Fragment dieses Liedes, wel- ches sich wahrscheinlich auf ein Märchen gründet, ähnlich dem bei Grimm No. 29 „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren" und andenu

Liebrecht, zur neugriech. Volkspoesie. 247

in diesen Kreis gehörigen. Wir sehen übrigens hier, dass dem Charos auch eine Frau beigelegt wird, ebenso wie in einem andern neu- griech. Liede, das Legrand S. XXXYII anführt ^ wo er auch auf Passows Lied No. 423 (nicht 432) verweist, in welchem Charons Sohn erwähnt wird. Von seiner Mutter ist die Bede bei Legrand No. 88, 3 (Sakell. S. 46 No. 17, 3; s. Archiv 2, 42).

J. W 'Ayan^g (LiebesUeder. No. 164—173). £. Ukvfiivi {gnomische Gedichte. No. 174— 186).— 2T.^A«9>oea(No. 187—248).

Z. Oixstand (Scherzlieder. No. 249 260). No. 2bl/Ht (u^- (tiQuiig (die Säuferinnen). Seitenstücke hierzu bei Chas. S. 50 No. 37 u. 38. No. 254, 'O 0afuyiog (der Diener). Wir sehen aus die- sem Liede, dass die Ansprüche und Bedingungen des Dienstvolkes in Kreta ganz ebenso gross sind wie in dem übrigen Europa und also auch bei uns zu Lande. No. 258, 'O Katrig iuxl ol MnovttKoC (die Katze und die Mäuse). Die Katze thut, als ob sie im sterben läge, und bittet die um sie versammelten Mäuse sie zu begraben. Plötzlich aber fällt sie über die ahnungslosen her und frisst deren, so viel sie kann. Üeber diese weit verbreitete Fabel s. die Nach- weise von Kurz zu Burkhard Waldis' Esopus 2, 92 und Oesterley zu Kirchhofs Wendunmuth 7, 172 (Litterar. Verein).

Die zweite Hauptabtheilung ist überschrieben Tori Seq>avtmaig (Unterhaltungslieder). A. Tarj Zx^xag (Wegelieder. No. 261 276).

No.261, 'O 'AvayvcDQiaiwg, Version von No. 127. No. 264, 'O ÜKlaßog und No. 265, 'O viiitctvtQog Ihüiaßog (der neuvermählte^ in der Sklaverei); s. oben zu Legrand No. 145. Nr. 266, 'H JSkv- kofucva (die hündische [böse] Mutter); s. zu Legrand No. 123. No. 267, 'O fjMictBfifUvog ^AdsQq>6g (der treue Bruder). Von zwei Brüdern, die lange Jahre in grosser Eintracht gelebt, verliebt sich endlich der jüngere in die Frau des altem, welche ihm auch ent- gegenkommt und ihn sogar zum Mord des Bruders antreibt; dies jedoch dünkt ihn zu arg, und er ersticht sie. Eine Variante von Pass. No. 466 7. Chas. S. 141 No. 13. No. 268, 'O »ovtbg TiovTovröixog (der junge Mann). Aus Noth verkauft er seine Frau an einen Schiffscapitän, der aber dann in ihr seine Schwester er- kennt imd sie dem Schwager zurückgibt, ihm zugleich den Kauf- preis überlassend. Version von Pass. No. 483 und Chas. S. 140 No. 12. No. 269, 'H lUgdiiut Kai to Kogaaio. Ein Judenmädchen will ihr heimlich auf dem Felde geborenes Kind umbringen und, da sie von einem Bebhuhn dafür ausgeschmäht wird, welches, wie es sagt, zwölf junge ernährt und auch noch mehr ernähren würde, so steht sie von ihrem vorhaben ab und lässt sogar das Kind taufen. Version von Pass. No. 495. No. 271, ^H Fwaina tov IlQmrofMi' cxoQu. Da beim Bau einer Brücke die Wölbung nicht halten will, so wird zur Festigung derselben die Frau des Baumeisters in den Grund eingemauert. Variante von Pass. No. 511 2. Ein bekann-

248 Liebrecht, zur nengriech. VollEspoesie.

ter Sagen- und Volksliederstoff, der aber auf einer alten Sitte be- ruht; s. meine Anzeige von Tylors Culturgeschichte in Bastians und Hartmans Zeitschr. für Ethnol. 1873, Y, 90 f.; s. auch 'Gerland in Waitz' Anthropol. VI, 163. 164 f. 650. No. 272, 'H i&uöfävfi ^ji^ovtonovXa (die verarmte Königstochter). Eine Princesse wird an einen Prinzen verheirathet, der aber so sehr verarmt, dass er als Hirt dienen, sie aber spinnen muss. Endlich kehrt sie unerkannt in ihre Heimat zurück, und dort erkennt ihre Mutter sie erst an ihrer kunstreichen Nähterei. Variante von Pass. No. 459 und anscheinend auf einem Märchen beruhend. No.273, To IIovlaKi (das Vögelein). Eine Princesse beneidet ein Vögelein van seine Schönheit und seinen Gesang, wird aber von demselben belehrt, dass sie sich in einer viel günstigeren Lage befinde und keinen Grund zum Neide habe. Variante von Pass. Nr. 497 9, Legrand No. 141, ^AvdL 1, 93 No. 28. No. 275, ^H yi läyantitiiua tov üidaßov (die geliebte des Sklaven) ist nur eine Variante von No. 129, ^H doligfi ^AyurntittKi^ (die unglücklich liebende), wo ein Mädchen ihren früheren geliebten aus der Sklaverei loskaufen will, da derselbe dies aber nicht an- nimmt, vor Kummer stirbt (oder nach No. 275 sich ersticht). No. 276, 'O Jtyeviig sccrl ^ Mavuv xov (Digenis und seine Mutter). Di- genis kämpft in Gegenwart seiner Mutter mit dem Tode. S. zu Le- grand No. 88; vgL Jeannar. Nr. 142.

B. Tw Xo^v (No. 277—286). No. 278, 'H XtiQa (die Wittwe). Nach zwölfjährigem Dienst bei einer Wittwe verlangt der Knecht seinen Lohn, und, da er alles andere zurückweist, gibt sie sich ihm endlich selbst, lässt aber auf das Kopfkissen so viel Moschus thun, dass er am tuidem Morgen re infecta aufsteht und seinen Lohn ver- langt, worauf sie jedoch sagt: „Ich habe dir den Acker zum besäen und ernten gegeben; du hattest aber einen schlechten Pflug und eine stumpfe Pflugschar." Variante von Pass. No. 477, Chas. S. 81 No. 14 und S. 205 No. 27, wo indess überall der Schluss fehlt, nämlich die Einschläferung des Knechtes. VgL über diesen Stoff meine Be- merkungen in den GGA. 1870 S. 393 zu ühland No. 101 (Z. 8 v. u. L Heid. Jahrb. 1867 S. 182); s. auch Arohiv 2, 34.

r. TViJ KovkXovQug (beim Rundtanz^No. 287—301). No. 288, 'H Avy€^ KXignrig (^^ Mädchen als Klephte). Zwölf Jahre lebt ein Mädchen unerkannt unter den Klephten, bis endlich einmal beim Fechtspiel und steinewerfen ein platzendes Knopfloch ihren Busen sehen lässt und sie sich so verräth. Variante von Pass. No. 174 6. S. über den hierher gehörigen ausgedehnten Lieder- und Sagenkreis Widter-Wolf, Volkslieder aus Venetien, zu No. 79 und meine An- fahrungen in den Heidelb. Jahrb. 1870 S.874 (zu Ferraro No.33). No. 292, 'O "A^og % r, yi *A^6vzaaa (der Edelmann und die Edeldame). Ein Edelmann sagt zu seiner Frau, er wolle eine andere Frau heirathen und sie solle bei derselben die Brautjungferstelle

Liebrecht, zur nengrieoh. Yolkapoede. 249

übemeluneii. Als sie dann aber wirklich in der Kirche erscheint^ ist der Glanz ihrer Schönheit so strahlend, dass ihr Gatte sich mit ihr selbst wieder trauen lässt. Variante van Passow No. 436 8, Le- grand No. 135, 'AvttX, 1, 90. 94, No. 24 und 30. Die beiden letz- ten Verse bei Legrand gehören nicht zu dem Liede; sie lauten: ij^iv fi&sXa To dovtuc <roi; ytaXav%uc g%aig €evXaig (iov , vor naßaUI- %ovv X Sloya^ av Shv^ tuxI xovg yaiöa^ovg'' („Je ne voudrais pas tes dents en guise de pieux dans mes cours, pour j attacher les chevaux et les ftnes^^). Aehnliche Verse finden sich passender in den *AvaX. 1, 343 (V. 33 4); die entsprechende Stelle in dem Fragment bei Passow No. 526, 3 4 lautet: „^cv ij&eXa ra Sovria rov tcccXovkim gviiv orvAif fiov Na JtaXovntSvw x SXoyo va x^diy^ xb (payl (tov''^ (»Ich wollte seine Zähne nicht als Pflihle in meinem Hofe um das Pferd daran anzubinden, wann es mein Futter frisst^^). Hinsichtlich der gewal- tigen Wirkung, welche die Schönheit der Heldin obigen Liedes in der Kirche auf die ministrierenden Geistlichen hervorbringt (bei Pas- sow und Legrand, bei welchem letzterm es heisst: „Quand le pretre Taper^ut, il se tromprai et le diacre fut poss6d6 du diable**), s. meine Nachweise im Archiv 2, 30. Auch in einem neapolitanischen Liede aus Stumo (Principato ulteriore) heisst es:

Pari 'na luna quandu va a la missa,

Lu populu di tia s'annamurau.

E quandu pigghi Tacqua beneditta,

Parsi ca tutta la chiesa tremau;

Lu sacerdoti, chi dicia la missa,

Vitti tanta bellizza e si votau;

Dicendu: „0 chi bellizza! o chi bellizza!

Sia benedettu diu, chi la criau!'^

(„Du scheinst ein Mond, wenn du zur Messe gehst; Das Volk ver- liebte sich in dich. Uud als du das Weihwasser nahmst, schien die ganze Kirche zu beben; Der Priester, der die Messe sagte, wandte sich ab, als er so grosse Schönheit sah, Und sprach: «0 welche Schönheit! o welche Schönheit! Gesegnet sei Gott, der sie geschaffen hat!»^^) Canti popolaii delle provincie meridionali. Baccolti da Antonio Casetti e Vittorio Imbriani. Boma 1871. I, 200. No. 293, 'O Kaxaxaväg (das Gespenst). Ein Lied aus dem Kreise, dem auch die Leonoren-Sage angehört, ebenso wie Pass. No. 517 9. Vgl. meine Nachweise in den GGA. 1861 S. 579 f., 1867 S. 273 ff. Die ganze Vorstellung ist wahrscheinlich aus der Sitte entstanden, dass die Frauen in alter Zeit mit ihren gestorbenen Ehemännern begraben wurden oder sich begraben Hessen, und, wenn dies nicht geschah, als von ihnen schliesslich geholt gedacht wurden. No. 294, To axoCxfifJux xov BaütXia aal xov MavQUtvov (die Wette des Königs mit Maurianos). Maurianos rühmt gegen den König die Tugend sei-

250 - ' Liebrecht, zur nengriech. Volkspoesie.

ner Schwester und setzt auf dieselbe in einer Wette mit ihm seinen Kopf gegen das Beich des Königs. Die Jungfrau jedoch , zu welcher der König sich begibt, schiebt ihm eine Zofe unter, und dieser schnei- det er in der Nacht einen Finger und das Haar ab, die sich dann als nicht von Maurianos* Schwester kommend erweisen , so dass seine Täuschung zu Tage kömmt und er ihr Sklave wird (76 V.). Ebenso bei Passow No. 474 (61 V.), in den 'AvdL 1, 80 No. 16 (76 V.) und in kürzerer Fassung bei Legrand No. 136 (23 V.) und Chas. S. 142 No. 14 (26 V.). Hinsichtlich des Stoffes s. GGA. 1861 S.578 zu Pass. a. a. 0. No. 296, 'H yi ^AnaQvrjfiivri (die verlassene). Eine junge Frau, die am Seeufer ein Klagelied singt, erzählt einem vorüberfahrenden Schiffer, der durch ihren Gesang herbeigezogen wird, dass, während sie für ihren schwerkranken Mann ausserge- wohnliche Heilmittel suchte, er eine andere Frau genommen hätte. Variante von Pass. No. 380 1 (wo jedoch der kranke nicht untreu wird, sondern stirbt). Verwandt ist das Bruchstück bei Pass. No. 513. No. 297 /H &ala66wtvi(ifjJvri (die im Meere ertru kene Jungfrau). Da sich ein Schiffer gegen eine mit ihm fahrende Jungfrau unge- bührliche Freiheiten herausnimmt, so fällt sie vor Scham in Ohn- macht, weshalb jener sie für todt hält und ins Meer wirft. Dieses spült sie aber bei den Bhamnianischen Quellen (^Pa^Lviava Ttriyccdia) ans Land, wo die Wasser holenden Bhamnierinnen ihre Schönheit be- w andern. Ob sie schon todt ist, bleibt unklar, ebenso wie in der fast gleich lautenden Version bei Pass. No. 476, wo jedoch ein Mwqucvov Ttfiyaöi genannt wird und die Lippen der schönen blutig sind, wovon nach und nach sich das ganze Meer roth färbt; vgl. über diesen Zug ühland, Schriften zur Geschichte und Sage 7, 224. No. 300, 'O XccQog nQafi(AatsvTi]g (der Tod als Kaufmann). Version von No. 127, jedoch mit abweichendem Schluss; denn, als die treue Gattin am andern Morgen aufwacht, findet sie statt des Mannes den Tod neben sich im Bette.

J. Taii Bkoyag (Hochzeitlieder. No. 302—6). Die dritte Hauptabtheilung KaXcnna enthält drei Lieder, näm- . lieh No. 307, Tcc Kakavza (ein Sylvesterabendlied); Nr. 308, To Navagiafia (ein Wiegenlied), und Nr. 309, 'O KX'qöovag (ein Gesell- schi^tsliedchen^ das gelegentlich eines die Zukunft betreffenden Orakels am Johannistage gesungen wird.) -* Die vierte Hauptab- theilung enthält rririfiiucrcc (Bäthsel. No. 310—7); die fünfte Mav- xivadsg (Distichen, 255 an Zahl), und endlich die letzte IlaQoifUaigy 201 Sprichwörter, von denen Jeannar. die Mehrzahl theils durch die entsprechenden deutschen oder altgriechischen, theils durch deutsche Umschreibung erklärt. Ich füge noch folgendes hinzu (wobei ich der Kürze wegen die Originalfassung auslasse). No. 11. „Der rotz* näsige verlacht den geifernden '^ 77 der Mohr spottet über unsere Schmutzflecken'' „die Schildkröte nennt die Binder schleppfüssig;'^

Liebrecht, zur nengrieoh. Yolkspoeue. 251

deutscb: „Ein Esel nennt den andern Langohr (SaoktrSger)." No. 54. ,,Die Zunge hat keine Knochen und zerbricht Knochen;^' deutsch: „Die Zunge hat kein Bein, schlttgt aber manchem den Rücken ein." No. 73. „Besser sind zwei Feiglinge als ein tapferer;** d.: „Viele Hunde sind des Hasen Tod." No. 74: „Besser fünf in der Hand als zehn in Aussicht;" d.: „Besser ein Sperling in der Hand als ein Kranich auf dem* Dach." No. 76: „Wie Mutter und Vater so Sohn und Tochter"; d.: „Der Apfel föUt nicht weit vom Stamm." No. 81. „Ein Rabe hackt dem andern nicht die Augen aus;" deutsch tritt statt des Raben die Krähe ein. No. 93. „Wie der Lehrer, der dich lehrt, so die Dinge, die du lernst;" d.: „Sage mir, mit wem du umgehst, und ich werde dir sagen, wer du bist." No. 96. „Durchnfisste Braut, glückliche Braut;" dazu der Herausg.: „Felicis sponsae gremium perfunditur imbre. Der glücklichen Braut fällt der Regen in den Schoss." Hierzu bemerke ich, dassauch nach einem deutschen allgemein yerbreiteten Aberglauben, wenn es der Braut in den Kranz regnet, die Ehe mit Reichthum und Kindern gesegnet wird; s. A. Wuttke, der deutsche Volksaberglaube. 2. A. Berlin 1869, S.184, §.266. No.lOl. „Gott ist langmüthig, ver- gisst aber nicht," wozu J. anführt: „Zev^ xcctsIöb %&6vtog sig tag Si- 90^^^;" entsprechender ist der Sibyllinische Vers: „oiffh OeiSv äXiovai fAvloi, iXiovöi Sh iU^rra." No. 108. „Auch wenn der Wolf alt wird und das Haar ttndert, Sndert er doch weder den Sinn noch den Kopf;" d. : „Wolfes Muth Ward ninuner gut; Jahre nehmen ihm die Haar, Aber nicht die Bosheit gar." Simrock, Deutsche Volks- bücher 5, 562, No. 11809, vgl. 11810. No. 111. „Vorn ein Ab- grund und hinten das Meer;" d.: „Zwischen Angel und Thür." No. 142. „Ein leerer Sack steht (özivexM verdruckt für tfilxerat) nicht aufrecht." J. erklärt dies durch ^fivdslg Ttstv&if xaka adet," womit zu vergleichen : „Hungriger Bauch singt einen bösen Alt." Simrock a. a. 0. No. 5094. No. 146. „Nimm den Schuh aus deinem Orte, wenn er auch geflickt ist," wozu J. anführt: „Tiyi/Jc ftaUata yafutvj fjrig öi9ev iyyv^i vuluf vgl. hierzu: „Wer sich freit ein Nachbars- kind Der weiss auch, was er findt." Simrock No. 7239, vgl. No. 7328. No. 175. „loh sag's dir, Schwiegermutter, damit die Schwiegertochter es höre;" ebenso ital.: „Dico a te, suocera, peroh^ tu, nuora, intenda," und span.: „A ti te lo digo, suegra, entiendelo tu, mi nuera." No. 176. „Der grosse Fisch frisst den kleinen;" deutsch fast ebenso Simrock No. 2469. No. 179. „Du siehst die Schlange und suchst den Arschschlepper?" wozu J. anführt: j^Aqktov jucQovdfig ric Ixvtj fi^vfr^;" Ebenso: „Du suchst den Bären und stehst vor ihm." No. 180. „Der Stock ist aus dem Paradies gekommen" entspricht dem fliegenden Worte: „Welchen der Herr liebet, den strafet er." Sprüche Salom. 3, 12. No. 186. „Bei dem klugen thu den Mund nur halb auf, bei dem dummen sprich dich deutlich

250 - ' Liebreoht, zur nengriecfa. Volks»*'

ner Schwester und setzt auf dies«»'* ^^ '' ya. 197. „Tausend

Kopf gegen das Beich des K** ^^ "ll^jwr^^i^'" ^^^ ^ schade";

der König sich begibt, <- ' j^^ ^/ ^^'j,C^^ o^^^^^Y-i^*' ^^^' Simrock

det er in der Nac>^' ^-^.^'fj^ '

als nicht von Ms' •-' /»^/'"^ ''"' - ron welchem ich zuerst die

^ .^IaSS»^.'

Täuschung zu . ,'1 ' *• * ^^ ^»'^^ ^aren- allerdings mehrere, und

bei Passow ' ' ''z .' /r^''^ii»*^^,r<,iistÄndigkeit, indem eine sehr

und in ;. ,::^::^^ fj;^; so z. B.^ gleich aus No. 3, 1

S. 142 N ^ ^^^^Tsr^^ ißöf 10 «yv^f VW zurückkehren; itnXav

zu Pas- ./^ '/> J^^»' '^^^^' 9. 10 = ^Ivy erilvTu Knopfloch;

Eine .-■^'^ i^^^^^^' ^\t A^ffVO Mftssigung; unter iloyoiiitiytQo

vor* "^'^^ "^.^^^ -en dieses aber fehlt. Doch wozu noch wei-

w"* jܻf^' ^tft^'^ ^^Ilfl ^* ^^^ deren nur zu viele darbieten und

^^^> ^^^um so auffälliger ist, als viele altgriech. Wör-

^ ^fiinsl^^^tüng behalten haben, aufgenommen sind, wie z. B.

**^y^jA^ / * ßff^S* 9i6<sxivovj lAcivXiarrig etc. Andere Wörter

^o^^' Aer^'^^ worauf ich weiter unten zurückkomme, und,

^aßg^^ glogien betrifft, so sind sie gar oft nur sehr wenig

ifss ^'^ ^"^ßesonders fühlbar ist endlich auch die Abwesenheit

aßsp'^^^phischen Index, wie ihn Passow und Chasiotes so voll-

eio^^ .^^^^ zvL so vielfachem Nutzen gegeben haben. Ich gehe nun

^tjui*^ g ^ Glossar über; so kann inovttanviQm 272, 41 nicht

•*** ^. ^j-e bedeuten; ßaaiXivym untergehen (von der Sonne) hat mit

^^h 9B»re nichts zu schaffen; vgl. Orimm, Myth. 2. A. 702 ; ßlösxtog

h 's ex tu 8) unheilbringend, hat letztere Bedeutung wol nur in Folge

mes Aberglaubens, wie er auch in Deutschland herrscht; s. Wnttke,

der deutsche Volksaberglaube 2. A. §. 105 ; auch in Frankreich findet

er sich, wo der bissexte sogar zu einem bösen Oeist geworden ist;

^ ßXi^tto hat auch die Bed. hüten (eine Heerde), z. B. 259, 1.

272, 19 (wo nach ßkinsi statt des Fragezeichens ein Punct zu setzen

ist); ßvy die Frauenbrust, ist verwandt in gleicher Bed. mit dem

deutschen Bietz; xavo bedeutet auch aushalten *\ 96, 9 und

„werth sein**, 68, 6; TuxTtvoTclvto rauchen (Tabak), ich führe dies

Wort nur an um zu bemerken , dass man ehedem auch im Deutschen

so sagte: „Monsieur Polier . . . hatt noch seine zahn, ob zwar gar

schwartz wegen daß vielle tabackdrincken.'* Briefe der Herzogin

Elisabeth Charlotte von Orleans. Zweite Sammlung. Stuttg. 1867,

S. 274 (Litterar. Verein) ; luxQfiavioka das Fallbeil, die Guillotine;

J. vergleicht hiermit xa^or, manus und camifex; allein das neugr.

Wort ist offenbar das frz. carmagnole, jener berüchtigte Tanz der

Revolutionszeit; man sagte aber faire d ans er la carmagnole ä

qqn. in der Bed. „hinrichten"; (inaXathuc Patrontasche; das dabei

erwähnte it. palascio bedeutet Palasch, Säbel, und jenes Wort

hängt wol eher zusammen mit fiTraiUr, it. palla, Kugel; fiJtQoöKciia

Hinterhalt, Versteck, ist nicht entstanden aus ifiit^g %a&lim^ son-

Rochholz, Anz. von Baechtolds und Vetters Bihliothek. 253

dem ist das it. imboscata, frz. embuscade; nqoüBQivoq pro- visorisch, augenblicklich, aber 272, 14. 22 ist von einem Schwieger- vater und einem Gatten die Bede. Jedoch ich höre auf, einzelne ünvoUkommenheiten des Glossars hervorzuheben und will dasselbe jetzt lieber von seiner verdienstvollen Seite ansehen, da es jedesfalls trotz seiner Mängel eine sehr willkommene und nicht bloss sprach- liche Hilfe gewährt, indem es auch mancherlei sachliche Erklärungen bietet und überhaupt die Kenntniss des neugriech. Sprachschatzes be- deutend vermehrt. Was die von J. mitgetheilten Lieder betrifft, so enthalten sie zwar mancherlei unbedeutendes, indess der bei weitem grössern Mehrzahl nach sind sie doch in mehr als einer Hinsicht sehr anziehend, und habe ich mir in obigem besonders angelegen sein lassen namentlich auf die Verwandtschaft mit andern neugrie- chischen Liedern hinzuweisen, weil es einerseits an sich wichtig ist, verschiedene Fassungen eines und desselben Stoffes kennen zu lernen, andererseits aber auch, weil dies oft zu wechselseitiger Vervollstän- digung dient, zumal wenn es sich um Bruchstücke handelt; dabei jedoch versteht es sich von selbst, dass auch unter den hier nicht erwähnten Liedern sich nicht wenige finden, die an und füi* sich interessant sind, oder solche, zu denen sich vielleicht auch verwand- tes, was mir unbekannt geblieben, finden mag. Jedesfalls also hat sich Jeannaraki um die neugriechische Volksliederkunde kein geringes' Verdienst erworben und den Freunden derselben eine sehr willkom- mene Gabe dargebracht.

Lüttich. Felix Liebrecht.

Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz und ihres Grenzgebietes, herausgegeben von Jakob Baechtold und Ferd. Vetter. Erster Band. A. u. d. T. Die Stretlinger Chronik. Ein Beitrag zur Sagen - und Legendengeschichte der Schweiz aus dem XV. Jahrh. Mit einem Anhang: Vom Herkom- men der Schwyzer und Oberhasler. Herausgegeben von Dr. Baechtold. Frauenfeld. Verlag von J. Huber. 1877. Vor- wort und Einleitung: LXXXV, Text 202 SS. 8^. Mit einem Titelbild in Farbendruck und einer Stammtafel der Herren von Stretlingen. Angezeigt von Ernst Ludwig Rochholz.

lieber Einrichtung und Umfang des neuen Sammelwerkes, des- sen erster Band hiemit vorliegt, erklärt sich ein besonderer Prospec- tus. Ihm zufolge sollen die £Llteren Schriftwerke der deutschen Schweiz, vorzugsweise der sog. schönen Litteratur angehörende, theils nach Handschriften, theils nach älteren Drucken kritisch bearbeitet und erläutert, in einer zwanglosen Beihe von Bänden, deren Zahl

iSiOBIT t LXTT.-OlgOH. VII. 17

254 Rocbholz, Anz. von Bacchiolds und Vetters Bibliothek.

vorläufig auf Tierzebn angegeben ist, als ein Bild des geistigen wirken s und Besitztbums der Scbweiz und ibres Grenzgebietes den Facbleuten und gebildeten vorgelegt werden. Es wird darum an die bekannten grösseren Litteraturperioden Deutscblands erinnert, deren eifriger Tbeilnebmer die Scbweiz jeweilen gewesen ist, da z. B. die St. Galler ' Möncbe unter Notker dem Deutseben an der Bibel, an den Römern und an dem deutseben Heldenliede zugleich arbeiteten; da zur Zeit der böfiscben Dichtung auch die Schweiz ihre Minnesänger, Kunst- epiker, Legendendichter und Dichterpatrone stellte; da dann im 14. Jahrb. die Didaktik "unter Boner und Ammenbausen, ebenso die Mystik unter Suso und den Gottesfreunden sich geltend machte; da das geistliche Drama zu Muri im 13. Jahrb. besteht und im 16. in den reform ationsfreundlicben Städten zum bflrgerlicben Schauspiel unter RueflF und Manuel grosswächst. Gleichzeitig treibt hier auch das historische Volkslied besonders reiche Blüten. Endlich knüpft sich an die Namen Haller und Bodmer der Untergang der Schul- dichtung und die erste Vorahnung vom nahen unserer modernen Classik. Aus solchen Hauptmomenten geistiger Productivität wer- den die Herausgeber je ein charakteristisches Schriftsttlck publicieren, bei dessen Auswahl jedoch sie sich durch die politische Grenzlinie, wie dieselbe nun zwischen Deutschland und der Schweiz läuft, nicht bestimmen lassen wollen. Sie beanspruchen vielmehr die innere Be- rechtigung geistiger und sprachlicher Zusammengehörigkeit mit ihren deutschen Grenznachbarn, von denen Theile des Landes erst vor einigen Jahrzehnten politisch abgeschieden worden sind, und erblicken in der neuerlich einmal versuchten Benennung ,^Nationallitteratur der deutschen Schweiz" Missverstand und falschen Patriotismus. Darum werden sie für die zu veröffentlichenden Werke, wenn mass- gebende Beweggründe vorliegen, auch in das stammverwandte Grenz- gebiet hinübergreifen und z. B. einen Rudolf v. Hobenems, ob- wol er ein Vorarlberger, und ebenso einen Suso, obschon er ein üeberlinger ist, mit unter die ihrigen aufnehmen. Vor der Hand sollen in den nächst folgenden fünf Jahren erscheinen, 1878: die Schauspiele des Nikiaus Manuel; 1879: Elsbeth Stagel und Heinrich Suso, zwei Bände; 1881: Schweizerische Volkslieder; 1882: der Gottesfreund im Oberland und Geistesverwandte ausderSchweiz. Der Subscriptionspreis pro Band von je 20 Bogen ist zu fünf Franken berechnet.

Die Stretlinger Chronik, mit der sich unsere Anzeige nun beschäftigt, ist die imaginäre Geschichte des Freiherrengescblecbtes von Stretlingen, von deren gleichnamiger am westlichen Ufer des Thunersees gelegener Burg noch ein gevierter Thurm übrig ist. Be- nachbart sind das mit in diese fabelhaften Historien verflochtene alte Kirchlein von Einigen und das Schloss Spiez. Das Geschlecht der Stretlinger, das schon in seinem ersten urkundlichen auftreten die

Hochholz, Anz. von Baechiolds und Vetters Bibliothek. 255

Zeichen des Verfalls an sich trägt , erlosch 140l, nachdem das Stamm- schloss seit 1332 durch die Hemer zerstört und die Herrschaft käuf- lich an das Hemer Geschlecht der Hubenberge gekommen war. Nicht leicht sind über ein zweites Djnastengeschlecht der Schweiz irrigere Nachrichten verbreitet als über dieses. Sie rühren aus der Stret- linger Chronik her, einem Sagen- und Legendenwerke, das Eulogius Kiburger verfasst hat, der im Dienste Heinrichs von Bubenberg bis 1456 als Pfarrer zu Einigen stand. Das Original liegt im Berner Staatsarchiv. Ein gegen Ende des 16. Jahrhunderts daraus gefer- tigter Auszug hat bis um Mitte des vorigen Jahrhunderts Anlass zu weiteren fünf Copien gegeben, deren Inhalt, weil von den Ortspfar- rem zu Einigen und Spiez unterzeichnet, selbst bei den Historikern bis auf Job. v. Müller Glauben fand. Den Zweck und Charakter der Chronik schildern wir mit des Herausgebers Worten (S.LI): „Ein im Laufe der Zeiten herab gekommenes Gotteshaus , dessen Ursprung zwar keineswegs, wie hier glaublich gemacht werden soll, ins 3. Jahrh. hinaufreicht (urkundlich wird Einigen 1228 zum ersten Mal genannt, während die Tochterkirchen Spiez and Scherziingen schon im 8. Jahrh. auftauchen), das aber, wie der Basilikenbau beweist, zu den älte- sten Kirchen des Oberlandes gehört soll durch erhöhte und schrift- lich fixirte Tradition im Ansehen wieder zunehmen; namentlich macht hier ein ärmlich dotirter, aber, wie aus dem angeführten ürkunden- material hervorgeht, habsüchtiger Priester durch ein litterarisches Product, in welchem er seinen kargen Pfarrkindem eindringlich vor- stellt, was dem Kirchherm eigentlich von Bechts wegen zukäme, den Versuch, seine Einkünfte besser zu gestalten. Endlich soll durch die Stretlinger Chronik einer grossen Lücke, die sich in der Geschichte dieser Alpenthäler befindet, nachgeholfen werden. Desto höher iät der Werth dieses Werkes als Sagensammlung anzuschlagen. Ab- gesehen von der gelehrten Erfindung und der Compilation, abge- sehen von den ermüdenden Wundergeschichten, wird uns hier eine Beihe von Sagen in zwar nicht ursprünglicher, doch anmuthigster Fassung überliefert, die der Stretlinger Chronik stets eine hervor- ragende Stellung in der Sagengeschichte der Schweiz verleihen wird." Bevor näher auf die vorliegenden Sagen eingegangen wird, soll erst an des Chronisten eigenen Worten gezeigt werden, dass Lügen kurze Heine haben, denn Kiburger verschnappt und widerlegt sich nicht selten in seinen gewagten Behauptungen. Wenn er z. B. von den reichlichen Renten und vielen Landgütern erzählt, mit denen der Ritter Arnold von Stretlingen die neu erbaute Kirche bewidmet, so fühlt er die Gefahr, er könne wegen der von ihm namentlich angeführten Liegenschaften, die doch nicht der Kirche, sondern eines andern Eigenthum sind, strafrechtlich haftbar gemacht werden. Er beinift sich daher auf eine lateinische Quelle, die ihm vorgelegen habe, die er aber nicht weiter und genauer ausschreiben wolle: „das

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256 Bochliplz, Anz. von Baeditolds und Vetten Bibliothek.

ich hie zu tütsch nit schriben umb argwans wegen, der hie erdacht möcht werden. Aber wer das (zu wissen) begert, der laß im das erlütem und ze tütsch sagen, so fint er das luter in der latin^^ (S. 36). Dass nun aber diese lateinische Quelle nichts anderes war als das Anniversarium oder Jahrzeitbuch der Orts- kirche, dies ist vom Herausgeber (S. XLYIII) hinreichend erwiesen. In dem vorerwähnten Capitel tritt sodann Kiburger aus Ruhmredig- keit seiner eigenen Angabe in den Weg. Kaum hat er der gross- artigen Ausstattung seiner Leutkirche mit Glocken, Kelchen, Altar- büchern und einem Tauf stein gedacht, so versichert er (S. 38): „ich Elogius Kiburger, kilchherr der kilchen des Paradises, ließ (in dem Jahr 1446) darzu ouch machen einen toufstein, wann ouch zu den selben ziten der touf in einer holzinen standen oder kübel was."

Die wirklichen Quellen nun, welche ^burger ausgeschrieben und deren Mirakel er mit veränderten Namen der Helden und hei- ligen auf landesübliche schweizerische übertragen hat, sind nachfol- gende: Caesarius von Heisterbach, Dialogus Miraculorum, ge- schrieben zwischen 1219 und 1222; die Chronik des Gnesner Bischofs Martinus Polonus, f 1278; die Legenda aurea des Jacobus de Voragine, f 1298; das Passionale, ein Beimwerk aus dem 13. Jahrhundert; mittelalterliche Marienlegenden (Ausgabe von Franz Pfeififer); schliesslich auch Justingers Bemer Chronik«

Der Herausgeber. war mit Erfolg bestrebt die aus diesen eben genannten Werken in Kiburgers Chronik entlehnten Einzelheiten wiedei: aufzufinden und hat sie auch meist wortgetreu nachgewiesen. Die dagegen gar nicht oder nicht hinreichend einer Erklärung unter- zogenen Einzelsagen wollen wir hier näher besprechen.

Der Bau der StreÜinger £arche soll in einer Matte am Ufer des Thunersees, wo es heisst Unter dem Ziel, begonnen werden; allein, was da die Werkleute den Tag über an der Gnmdlage aus- gegraben hatten, das fand sich über Nacht immer wieder eingeeb- net. Die Kirche wird dann auf der Engel Weisung fernab von da an dem Orte aufgeführt, welcher ehedem das Paradies hiess (S. 31), nun aber Einigen genannt ist (S. 173). Dies ist die Sage von den Wandelkirchen , deren schweizerischem Sagenkreise ia meinem Aar- gau er Taschenbuche von 1862 ein besonderer Abschnitt gewidmet worden ist. Die Geschichte der Gründung des Stiftes Embrach im Ct. Zürich, die in eine vorhistorische Zeit zurückreicht, stützt sich auf dieselbe Sage.

Die Weihe der Kirche zum Paradies soll eben vom Lausanner Bischof vorgenommen werden, als St Michael erscheint und erklärt, er habe die Kirche bereits durch sich selbst geweiht und befehle daher, dass man hier nun alljährlich das Fest der Engelweihe nach- feiere (S. 43 u. 59). Eben hieraus erklärt sich erst der Name der Kirche, Paradies; denn laut Petrus Lombardus , f 1 164, ist St. Michael

Bochholz, Anz. Ton Baechtolds und Vetters Bibliothek. 257

als der Seelenherr Praepositus paradisi geheissen. Dasselbe Mi- rakel findet indess bei der Weihe der weit älteren Closterkirche zu Einsiedeln statt, weshalb das grösste Fest daselbst heute noch das der Engel weihe ist.

Dietrich von Stretlingen, belehnt mit der Landschaft um den Thunersee, erbaut sein Schloss Spiez und nennt es zum Goldenen Hof, weil es auf der luftigen und gesunden Anhöhe steht, die zur Goldenen Luft geheissen hat. Dies erinnert an die von Fr. Rück er t besungene Mainzer Sage:

In Mainz ist eine Strasse, Die Goldne Luft genannt.

Als einst von Gasse zu Gasse Die Pest die Stadt durchrannt

Und, was darin gewohnet. Hinraffte in die Gruft,

Da blieb allein verschonet, Sagt man, die Goldne Luft.

Als die Gemeinde Einigen weder ihrem Kirchherrn, noch ihrem Kirchenheiligen Michael mehr gehorchte, schlug dieser die Einwoh- ner mit der Plage der Dickhälse, Kröpfe und Höcker (S. 135, 20). Der Herausgeber erinnert hiebei an die Bündner zu Trimmis, denen , nach dem Bericht ihres frühesten Chronisten Ulrich Campell, seit dem zweiten Jahrhundert schon der Kropf an den Hals ge- wünscht worden ist, als sie den heiL Lucius bei seinem Bekehrungs- werke verspotteten. Auch den Elsässem zu Ammers weih er, die den heil. Deodat aus seinem Besitzthum vertrieben, wurden darauf nur kropfige Kinder geboren. Die dortigen Weiber begeben sich daher kurz vor ihrer Niederkunft jenseits des Dorfbaches, d. h. ausserhalb jener Deodatschen Besitzgrenze, um hier makellose Kinder zu ge- bären. Bettberg, Kirch.-Gesch. 1, 525. Derlei Sagen sind insofern von Belang, als sie eingestehen, an Ort und Stelle sei der Creti- nismus schon seit der Heidenzeit endemisch.

Herr Diebolt von Stretlingen beraubt seine eigene Kirche; seine Seele werfen darum die bösen Geister in das am See gelegene Hell- mos (S. 103). Hier scheint die Sage zunächst aus dem blosseiF Localnamen geschöpft, dennoch aber beruht sie auf dem Rechts- brauche, Verbrecher lebend in Sümpfe zu versenken: infames coeno ac palude, injecta insuper crate, mergunt. Germania c. 12.

Sowol die den Text begleitenden Noten als auch das zum Schlüsse angehängte Glossar lassen nachfolgende Namen, Wörter und Wortformen unerklärt: gebresten 33,25: Mangel; lidenklich 40, 20: lediglich, ausschliesslich (die vom Herausg. beigesetzte juri- dische Deutung „ohne Einsprache eines Andern" findet hier keine Anwendung); ein u fr echter herr 12, 19 ist hierkein gerade gewach- sener, sondern ein in seinen Ehrenrechten verbleibender Mann , gleich- wie ufrechtenklich (17, 27) die rechtlich erworbenen Kirchengüter bezeichnet; St. Michel, der zeichentrager (77, 30): signifer; große töden (94, 10; 96, 32) bezeichnen pluraliter Lanileeuchen. Fol-

258 Rochholz, Anz. von Baechtolds und Vetters Bibliothek.

gende Localnamen (S. 37) sind im Ortsnamenregister übergangen: Gundels öig, d. i. Gundoltis augia; Zwiselberg, d. i. Purka; Krum- men lachen: die Lähe, die in Grenzbtiume eingehauene Marke. Die Stulmatta zu Latterbach bezeichnet das Landstück, darauf dem Vogte zum Gerichtstage gestühlt wird. Hans Zworlouf (111, 12) trägt den Namen Tom Wohnorte zu Worblaufen. Der Berg Gumpelsmad (117, 9) und die Gumpelstuden (164, 14) sind benannt nach ihrem Besitzer Guntbold; wie aargauisch Gumpelsfahr an der Beuss ur- kundlich Conpoldisfar heisst (Argovia IX, 106). Von den Priester» heisst es S. 47: „durch ir heiigen wichung und der wirdigen ämptern so sind sie geheißen gött und darumb hat si gott der herr begäbet mit dem primitzzechenden.*' Hier ist die Pluralform gött eine be- rechtigte, besonders von dem Berner Fabeldichter Boner gebrauchte, z. B. Fabel XXIT:

Sich an min grozen erebeit,

und bit die götte, da; si sich

wellent erbarmen über mich.

die muoter sprach, min liebej kint,

die götte vast erzürnet sint,

du hast erweckt der götten zorn.

Von Seite XX bis XXVI sind die Lieder des Minnesängers Hein- rich von Stretlingen abgedruckt, dessen Lebensperiode hier aus Wahrscheinlichkeitsgründen in die Jahre 1258 1294 verlegt wird; auch die den Dichter darstellende Bildtafel in dem Berliner (Nag- lerschen) Bruchstücke, publiciert in den Abhandlungen der Berliner Akademie 1852, ist hier in verjüngtem Massstabe wiederholt. Ab- gesehen davon, dass jene Lied texte bereits durch von der Hagen und durch Bartsch ediert sind , wird man dieselben hier deshalb am unrechten Orte finden, weil der Prospectus der Bibliothek den „Schweizerischen Minnesingern'' einen besondem Band zu widmen verspricht, in welchem man dann j6ne Lieder gar noch zum vierten Male zu lesen bekäme.

Im Anhange des Bandes folgt, zum ersten Male gedruckt, der Tractat Vom Herkommen der Schwyzer und Oberhasler, nach der von Hartmann Schedel, dem berühmten Nürnberger Arzte und Chronisten, im Jahre 1497 gefertigten, auf der Münchner Staatsbibliothek liegenden Handschrift. Bekanntlich wird darin die Abstammung der Schwyzer und Haslithaler auf die Nordgermanen zurückgeführt, und zwar mit denselben fabelhaften Beweismitteln, mit denen der Verfasser der Stretlinger Chronik den Ahnherren der Stretlinger zur Zeit des Kaisers Hadrian aus Rom nach Kleinburgund gelangen und am Thunersee seine Stammburg erbauen lässt. Lange, bevor man von Eulogius Kiburgers Chronik wusste, war dieser Trac- tat den deutscl^n Historikern bekannt, ja schon der Tübinger Canz-

Rochhob, Anz. von Baechtolds und Vetters Bibliothek. 259

1er Nauclerus, fl510, bezeichnet, indem er denselben wahrheits- widrig und nicht erwähnenswerth nennt, als dessen Verfasser einen gewissen Eulogius. Diesem kurzen Worte: „haec refert q^uidam Eulogius'* dachte der feinsinnige Forscher Albert Rilliet nach und bemerkte in seiner Schrift: Les Origines de la Confederation Suisse (Genöve 1869) Seite 381: „S'agirait-il d'Eulogius Kyburger, auteur de la Chroiiique, dite de StrStUngen?^^ Es liege ihm bis jetzt ein blosser Auszug aus genanntem Tractat vor, fährt Ril- liet fort, und so könne er diese Frage nicht entscheiden. Darauf- hin hat der Berner Staatsarchivar Moritz von Sttlrler im Anzeiger für Schweiz. Gesch., VII. Jahrg. S. 239, dieselbe Vermuthung in bestimmterer Gestalt ausgesprochen, während sie jetzt durch Baech- told zu unumstösslicher Gewissheit erhoben ist. Das Baechtoldische Beweisverfahren ist jedoch so umständlich und so sehr mit der ganzen Schweiz. Historiographie älterer und neuerer Zeit verknüpft, dass hier auf dessen Wiedergabe, obschon ungern, verzichtet werden muss. Ein Beweissatz sei gleichwol angeführt. Eulogius Edburger überträgt schon in das erste Capitel seiner Stretlinger Chronilr das Mate- rial-zu zweien Stellen wörtlich aus der Chronik des Martinus Polo- nus, und auf eben diese Chronica Martiniana als auf seine Quelle beruft er sich auch im Herkommen der Schwyzer, S. 190. Hiemit ist denn ein neuer schlagender Beweis geliefert zu den sonst schon vorhandenen, dass und wie man im 15. Jahrhundert anüeng Schwei- zer Geschichte zumachen. Auf Kiburger zunächst folgte der Ob wald - ner Landschreiber Schälly mit seiner Chronik des Weissen Buches, geschrieben um das Jahr 1472; nächstdem, dass er die Einwan- derung der Schweden nach Schwyz als eine unzweifelhafte Thatsache berichtet, ist er zugleich der früheste Chronist, der die ganze Teilen- Sage erzählt, also eine ebenfalls aus dem germanischen Norden im- portierte Sage. Baechtold äussert in diesem Sinne (S. LXXXV): Nach- dem durch Kiburgers Herkommen der Schwyzer die ethuographische Beziehung zwischen Nordgermanen und Waldstättem geschaffen war, vollzog die Chronik des Weissen Buches auch die mythische Verwandt- schaft. Die Stretlinger Chronik gebraucht sogar die gleichen Local- bezeichnungen für die Umgebung des Thunersees, welche das Weisse Buch als die bedeutungsvollsten am Vierwaldstättersee anführt; denn erstere nennt das Rütli, S. 113,4; die T renke, S. 37, 39; die hohle Gasse, S. 116, 13; ja sogar ein Landstück, gelegen am Täller, S. 72, 19. „Ob dies wohl Zufall ist, fragt hiebei Baechtold (a. a.O.), oder ob am Ende auch im Weissen Buche unser erfindungsreicher Eulo- gius irgendwie die Hände im Spiel hat?^^

260 Rocbholz, Hans Salat.

Hans Salat^ ein schweizerischer Chronist und Dichter aus der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts. Sein Leben und seine Schriften. Herausgegeben von Dr. Jacob Baechtold. Basel, Bahnmaiers Verlag, 1876. Vorwort XH SS., Text 308 SS. 8^. Angezeigt von Ernst Ludwig Bochholz.

Johann Salat ist in dem Luzerner Landstädtchen Sursee 1498 geboren, betreibt hier das Seilerhandwerk und trftgt davon in eignen und in amtlichen Schriften den Beinamen Seiler. Gleich seinen bei- den Brüdern wird er frühzeitig Beisläufer und steht theils als Söld- ner, theHs als Feldschreiber (Pourrier) abwechselnd bei den Truppen im Mail&ndischen, in Piemont und der Picardie. Aus Feindseligkeit gegen Zwingli, der dem schmählichen Söldnerdienste ein Ziel zu setzen suchte, wird Salat ein leidenschaftlicher Gegner der Refor- mation und fuhrt als Lohnschreiber der Partei die Feder nicht feiner als vorher die Pike. Nachdem er auf Seite der katholischen Can- tone die beiden Kappeier Feldzüge gegen Zürich mitgemacht und sich in der Stadt Luzern häuslich niedergelassen hat, erhält er hier das Bürgerrecht und rückt von der Stelle eines Gerichtssubstituts zum Gerichtsschreiber vor. Gleichwol verftillt er gleichzeitig selber der Justiz , denn im städtischen Strafbuche sowie in seinem eigenen Tagebuche stehen die wiederholten Folgen seiner wüsten Sitten ver- zeichnet. Eilf Kinder hat er bereits in zweiter Ehe, dennoch sitzt er bei den Dirnen im Frauenhause. Darüber fällt er in Schulden, er fälscht die Gutscheine seiner Gläubiger und Bürgen, wird des Amtes entsetzt und aus Gnaden nur der Stadt verwiesen, während sonst auf Fälschung Todesstrafe stand. Sein ältester Sohn entlief, sein Weib hatte ihn bereits verlassen. Nun treibt er sich über fünf Jahre an verschiedenen Orten and in verschiedenen Vagantenrollen umher, als Chirurg, Schauspieler, Litterat, Schulmeister, Notar, Soldat, immer wieder um Erlaubniss zur Heimkehr flehend, da man ihn ohne amtliche Ausweisschriften an fremden Orten nirgend lange dulde. Wenn man ihn nicht erhöre, droht er, so sei er am Ende gezwungen, statt ein handfester wahrer Christ zu sein, zu den Gegnern des katholischen Glaubens überzugehen, von wo ihm Anerbietungen zu- kommen. Luzern konnte sich, so lange er seine Gläubiger nicht befinedigt und den angerichteten Schaden vergütet hatte, nicht wei- ter mehr mit ihm befassen, Sursee dagegen gestattet ihm, wiewol erst um das Jahr 1552, die Rückkehr. Hier nun verschwindet er uns aus dem Gesicht, nachdem er wegen einer geringen an ihn ge- stellten Schuldforderung abermals einen Skandalbriefwechsel in den Druck gegeben hatte und darüber gerichtlich gebüsst worden war. Sein Todesjahr ist unbekannt.

Der Luzerner Staatsarchivar Theodor von Lieben au hatte nach den von ihm aufgefundenen Acten eine Biographie Salats bereits

Rochholz, Hans Salat. 261

vollendet in der Absicht, sie sammt einer Sammlung der Salatschen Schriften za veröffentlichen, verlor aber zuletzt den Geschmack daran und stellte sein gesammtes Material dem gegenwärtigen Herausgeber zur Verfügung. Dass nun auch diesen ähnliche Bedenken anwan- delten wie Herrn von Liebenau, dies deutet er bezüglich seines ver- wilderten Pamphletisten und dessen von Boheit und Grausamkeit strotzender Libellen an mehreren Stellen des Vorwortes und der Einleitung selber an. Er belächelt es auch, wenn die Partei, wel- cher der Sitten- und charakterlose Salat diente, ihn noch neuerlichst den „edeln und charaktervollen Salat ^^ nennt (so in Mings Leben des Bruder Klaus v. Flüe, HI, 309, und im Jahrbuch für die Lit- teratur der Schweiz. Gesch. II, 92), oder wenn derselbe gar in den Actis Sanctorum, sub 22. Martii IX, ein Plätzchen angewiesen erhält als „vir integritate ac prudentia eximius". Allein Hr. Baechtold^ der unlängst und nun neuerdings eine „Geschichte der deutschen Litteratur in der Schweiz^' zu liefern versprochen hat, meint in Salat ein hervorragendes satirisch -rhetorisches Talent zu erken- nen und wird also auf ein solches zu Gunsten seines Hauptwerkes nicht haben verzichten wollen. Wahrscheinlich wird jedoch ein Theil der Leser dieser Würdigung wenig beipflichten, ohne deshalb das Buch selbst in seinem geschichtlichen Kern geringer zu schätzen. Denn unter manchem anderm liefert es den abermaligen Erweis, dass kirchliche Gegenreformationen selten oder nie mit den Waffen des Geistes, nur gar zu oft aber mittels der „rohen Canaille^^ begonnen und durchgesetzt worden sind.

Das Buch liefert zehn verschiedene Schriftstücke «und Lieder, deren Text der Herausgeber kritisch gereinigt, orthographisch ge- regelt und mit sprachlichen und sachlichen Erläuterungen ausge- stattet hat. üeberblicken wir nun die einzelnen Abschnitte nach ihrer chronologischen Aufeinanderfolge.

Salats Tagebuch sammt einigen Briefen, hier zum ersten Male veröffentlicht, hat auffallender Weise fast gar nichts aus dem da- maligen reichen Geistesleben mitzutheilen, dagegen um so mehr Söld- nerfahrten, Mordthaten, Hinrichtungen, Missgeburten, Gespenster- geschichten. Mit schamloser Rundheit notiert Salat, wie oft er im Frauenhause oder auch im Polizeigefängnisse gelegen hat, trotz des eigenen Klopfgeistes, der ihn bei nahenden Gefahren regelmässig zu warnen pflegte.

In dem langen Spruchgedichte Tanngrotz, so benannt nach dem Tannenschoss, das die Katholiken als Parteizeichen auf die Hüte steck- ten, ergiesst er seine Galle gegen die neugläubigen, zählt alle möglichen Schimpf- und Schmitznamen her, mit denen sich der gegenseitige Haas der Cantone seit der Beformation überhäufte, und stellt hart neben diese Unzuchtsreden den Preis der Sieben Sacramente und Christi, „des ober- sten FeldhBrm^^ in diesen Putschen und Balgereien. Vorstellungs- und.

262 Rocliholz, Hans Salat.

Ausdrucksvermögen ist nicht bloss niedrig, sondern auch ärmlich, und das politische üriheil ein so weuig rafBniertes, dass er den über den Feind in der Feldschlacht errungenen Sieg nicht einmal nach des besiegten Widerstandsfähigkeit verwerthet. Er wirft dem bei Kappel geschlagenen Züricher Heerhaufen Verzagtheit vor und drückt dies mit der einfältigen Phrase aus : ,,die find' griunen (grunzten) wie die schwin'/^ Es folgt dann das Schmachlied gegen den in eben jenem Treffen gefallenen Zwingli. Hier besingt er jene ganze Schinderscene, welche der frevelnde Feind an Zwingiis auf der Wal- statt aufgefundener Leiche durch den Luzerner Henker vornehmen liess. Bern klagte wegen dieses Pamphletes auf Landfriedensbruch, und Luzern war, so sehr es sich auch strSubte, gezwungen den Poeten in den Thurm legen zu lassen. Der gefühllose Lohnschreiber berühmte sich dessen öffentlich in seiner Eeformationschronik: ,,Be- schlußent ihn sine Herren zu Lucern in Waßerthum, vergaßent siner 70 Gloggenstund darinn, damit solt der arm Man gebüost haben. Trost ihne Gott, helff der Tüfel dem Bären: dan Er ist ihme oft glichl^* Der Zürcher Historiker Heinrich Bullinger, Zwingiis Amtsnachfolger, erwiderte damals derlei Grosshansereien mit seinem „Salz zum Salat" und erklärt hier, Salats Schreiberei geberde sich, als ob sogar die Ehrbarkeit in den katholischen Landes- theilen an solchen unverschämten Lästerungen und an dem aufreissen kaum vernarbter Wunden Lust hätte, während doch jeder Bieder- mann das Gegentheil glauben muss und keine Obrigkeit so zucht- los und schlecht sein darf und kann, als der Tanngrotz ihr zumuthet zu sein.

Der zurecht gewiesene antwortete hierauf mit dem Triumphus Herculis Helvetici, worin er Zwingli zum Sünden-Hercules aller abgefallenen Priester, Bilderstürmer, Eelchdiebe und Eistenfeger macht und an ihrer Spitze zum Hexentanze auf die Matte bei Prat- t^len ausfiähren lässt. Nicht einmal des Wittwenjammers von Zwing- lis hinterlassener Frau schont hier der Barbar (S. 134). Wir be- zeichnen hier nur die Verse 51, 93 und 476 als den Ausbund pöpelhafter Rede, ohne uns weiter mit dem Stank dieses Polykako- merdicus zu beekeln.

Salats nächstes Werk war das Leben des Bruders Niko- laus von Flüe, eine meist wörtliche üebersetzung der von Wolf - lin zu Bern 1501 lateinisch verfassten Biographie jenes Einsiedlers. Die den Titelholzschnitt erklärenden Verse eignet Baechtold dem Salat mit Unrecht zu, da dieselben schon 1518 zu demselben Zwecke publiciert waren. Der Beweis hiefÜr steht in meiner Schrift: „Die Schweizerlegende vom Br. Klaus** S. 237. Ebenso unstatthaft ist Baechtolds Meinung, dieses Salat sehe Schriftchen sei ein „fried- liches Volksbuch". Es ist vielmehr ebenfalls und ganz ausschliess- lich aus derselben Feindseligkeit gegen die protestantischen Cantone

Rochbolz, Hans Salat 263

entsprungen wie alles frühere. Dies erweist schon das Vorwort, welches nicht aus Wölflin mit übersetzt ist. Hier erkeckt er sich zu folgender Capucinerfolgerung: Moses, Elias und Christus habeü^ der erste zweimal vierzig, die anderen je einmal vierzig Tage, ohne jegliche Nahrung gefastet. Der Unterwaldner Bauer Klaus dagegen habe diese drei mit seinem fast zwanzigjährigen absoluten fasteü weit übertroffen. Da er dieses Wunder aber nur mittels des heil. Altarsacramentes vermocht und letzteres darum allmonatlich in dem festen Glauben genossen habe, in der consecrierten Hostie Gottes Leib und Blut wirklich zu empfangen, so ist Klaus mit diesem sei- nen „handfesten'^ Glauben zugleich der stärkste Beweisgrund, dass die christkatholische Lehre von der bei jedem Messopfer vollzogenen Wandlung die allein echte und unzweifelhafte Christenlehre sei, wo- mit denn auch der Eidgenosse Klaus seinen neugläubigen Mitbürgern ihre Pflicht erkläre, sich mit den altgläubigen wieder zu einigen.

Büchlein nennt sich ein der Eidgenossenschaft gewidmetes Spruchgedicht, welches in breiter verwilderter Sprache alle mög- lichen biblischen und altrömischen Eigennamen aufzählt. Es eifert gegen die vornehmlich in kleinen Republiken grassierenden Leiden- schaften des Ehrgeizes, Neides, der Habsucht und Pafteiung. Auf- fallend ist dabei des gewesenen Gerichtsschreibers Versicherung, dass zu seiner Zeit das schwören von Meineiden gerade in der Eid- genossenschaft im Schwange gehe.

Das Lied vom Zug in die Picardie bleibt hier unbe- sprochen, da es bereits in Liliencrons Sammlung gedruckt steht.

Das Vorwort zu Salats Beformationschronik besteht aus fünf- zehn erstaunlich lahmen Capiteln. Es enthält abermals schnöde Ver- dächtigungen gegen alle Reformatoren, wobei dann theils Zwingiis missleben, Ketzerei und Untergang als Erfüllung einer uralten Pro- phezeiung des angeblichen Sehers Appoliney, theils der Bruder Klaus als die Säule der Rechtgläubigkeit, als der von Gott begnadete ge- schildert wird, durch welchen die Eucharistie und das Messopfer gegen die Ketzer aufrecht erhalten worden ist. Schon hier schreibt Salat seine früheren Schriften aus , er thut dies noch mehr in seiner im Auftrage der Regierung von Ob- und Nidwaiden verfassten Staats- schrift Geschichte und Verantwortung des Brünigzuges, d. h. des gegen die Regierung Berns mitten im Frieden unternomme- nen bewaffneten Einbruches der Obwaldner in das Berner Haslithal. Diese Abhandlung steht gedruckt im Archiv f. Schwz. Ref. -Gesch. (Piusverein), Bd. II, S. 101— löl.

Unter den dem Texte beigefügten Worterklärungen haben wir folgende Wörter unerklärt gefunden: Nadelbendli 128: Nadel- büchse; — das helmli abnemen 131: den kürzeren ziehen; verbunst 150, 10. 162, 32. 196, 3: Missgunst; mundfei 166, 21: Bissen; ürten 210, Zeile 952: Zeche; der Wolfmonat

264 Boxberger, Suphans Herder- Ausgabe.

(S. 33) ist nicht November* sondern December; so ist er noch an- gesetzt im Baths Erkenntniss der Stadt Zürich v. 1589; vgl. Schau- berg, Zeitschr. f. schwz. Kechtsquellen 1^ 305. Ein störender Druck- fehler ist S. 142, 19 unberichtigt geblieben: großen stein, statt stern.

Herders sämmtliche Werke. Herausgegeben von Bernhard Suphan. Erster Band. Berlin, Weidmannsche Buchhand- lung. 1877. XLIV und 548 Seiten 8®. Angezeigt von Robert Boxberger.

Es ist erfreulich, dass sich eine junge, rüstige, viel versprechende und viel leistende Kraft gefunden hat, die sich uneigennützig der wichtigen und dankbaren Aufgabe unterzogen hat, uns das werden eines schöpferischen und noch mehr zu neuen genialen Schöpfungen anregenden Geistes wie Herders in einer kritischen, möglichst chro- nologisch geordneten, möglichst vollständigen, auf die Originale zurückgeführten, mit Erläuterungen versehenen Ausgabe zu liefern. Dazu waren drei Factoren nöthig, und man weiss nicht, über wel- chen von den dreien man sich am meisten freuen soU. Der erste Dank aber gebührt entschieden dem Herausgeber, welcher voraus- sichtlich einen werthvollen Theil seines Lebens ohne beträchtliche Entschädigung ausser dem Lohne und dem Genüsse, den er in seiner Arbeit selbst findet, dieser Aufgabe wird widmen müssen. Der zweite Dank gebührt den k. preussischen Ministerien des Unterrichts und der Finanzen, welche den Nachlass Herders von dessen Erben zunächst für die Suphansche kritische Ausgabe, dann als bleiben- des Eigenthum der Berliner Bibliothek erwarben. Erst dadurch ist diese Ausgabe Überhaupt mögHch geworden. Herr Dr. Suphan bemerkt darüber S. VI: „Schwerlich kommt der Nachlass irgend eines unserer Classiker, Goethe ausgenommen, an üm&.ng und Werth demjenigen gleich, den das Herdersche Familienarchiv uns aufbewahrt hat. Zu den meisten Werken Herders, vornehmlich den bedeutenderen seiner reifsten Zeit, ist das Manuscript vollständig oder doch in beträchtlichen Bruchstücken erhalten; theils liegen die letzten, theils die für das historische Verständniss ausserordentlich wichtigen älteren Bearbeitungen vor, daneben eine Fülle von Vor- arbeiten und Studien in Excerpten- und Arbeitsheften. In ihren nn- gedruckten oder bis jetzt getrennt von den «Werken» und meist unvollkommen veröffentlichten Bestandtheilen enthält diese Samm- lung bedeutenden Zuwachs fOr die Werke, namentlich an solchen Stücken, die als Bindeglieder geeignet sind den inneren Zusammen- hang scheinbar getrennter Arbeiten erkennen zu lassen; und mit ihrer Hilfe wird es erst möglich, einen authentischen Text herzu- stellen. Die ersten Herausgeber Hessen die kritische Bearbeitung

Boxberger, Suphans Herder- Ausgabe. 265

zurückstehen hinter anderen in ihrem Sinne wichtigeren Aufgaben, an deren Ausführung sie mit redlicher Mühe gearbeitet haben. Sie haben die £b>ndschriften fast nur zur Vervollständigung der Werke benutzt, zur Berichtigung des Textes sind dieselben bis jetzt ^och nicht verwendet worden, und hierfür leisten sie, da die Originalaus- gaben vieler Schriften äusserst fehlerhaft gedruckt sind^ die wich- tigsten Dienste/' Der dritte Dank endlich gebührt dem uneigen- nützigen Verleger, der die Ausgabe so würdig ausstattet.

Der erste Band enthält, nach der chronologischen Anordnung des ganzen, Herders Jugendschriften ^ darunter zuletzt die so wich- tigen „Litteratur- Fragmente '^ Wie gewöhnlich die Jugendschrif- ten grosser Schriftsteller erst spät aus der Vergessenheit verschol- lener Zeitschriften oder aus dem Nachlass an das Licht gezogen werden, ebenso auch hier. Der Herausgeber äussert sich darüber S. XV f.: „Die Sammlung der kleinen Schriften, welche die gegen- wärtige Ausgabe zum ersten Male darbietet, verdankt ihr Entstehen zuvörderst der wirksamen Beihilfe, welche gelehrte Freunde in Königs- berg, Biga und Dorpat mir geleistet haben. Ihrer thätigen Theil- nahme gelang es, mir die seltenen, verloren geglaubten ersten Drucke zuzuführen, und so ward es möglich, auf dem Wege historischer oder philologischer Forschung vereinzeltes und verstecktes zu er- mitteln und als Herders Eigenthum zu erweisen. Auf diesem Wege boten mir B. Hayms gleichzeitige Forschungen eine höchst willkom- mene Förderung. Ich habe den Gang und die Ergebnisse meiner auf die Aufsätze bezüglichen Untersuchungen in mehreren Abhand- lungen der «Zeitschrift für deutsche Philologie» dargelegt."

Der Plan der Ausgabe ist von Moriz Haupt begutachtet und gebilligt , von Julius Zacher gleichfalls mit Theilnahme begleitet und das ganze Unternehmen durch diesen verdienten Gelehrten, Suphans Lehrer, wesentlich gefördert worden. Der Schüler hat sich seines Lehrers würdig gezeigt, denn die beiden Einleitungen, die Behand- lung des Textes, die Anmerkungen machen den wolthuendsten Ein- druck und verrathen eher die Hand eines Meisters als etwa schüler- hafte Befangenheit und Unsicherheit. Ref. wäre in Verlegenheit, wenn er Ausstellungen machen sollte» obgleich es ihm, wie es einem Re- censenten zukömmt, durchaus nicht an Lust dazu fehlt. Meist bietet die Vergleichung der von einem Autor benutzten Bücher Gelegenheit zu Textverbesserungen u. dgl. Ich habe deshalb zu Herders Anzeige von Schaws [Shaws] Reisen S. 81 flf., einem Buche, welches Her- der auch sonst vielfach benutzt hat und welches auch zur Erklärung einer Stelle bei L es sing dient, die von Herder angezeigte deutsche Uebersetzung (von Merck , wie Suphan S. 535 nachweist) verglichen, aber auch hier alles in Ordnung gefunden ^ ausser etwa, dass S. 85 Z. 8 zwischen coluber und chelydrus wahrscheinlich ein Komma stehen muss, nach S. 160 des erwähnten Buches.

2G6 Beaulien, Oldenburgs litterarische Znettlnde.

und so bleibt mir nichts übrig als die angenehme Pflicht, das [Jntemehmen dem deutschen Publicum recht warm an dos Herz zu legen und auch meinerseits sowie im Namen der deutschen Litte- raturfreunde dem erhabenen Kaiserpaare , in dessen Händen Deutsch- lands Geschicke liegen, den Dank der Wissenschaft auszusprechen, dem Kaiser für die Munificenz, mit der er dem Herausgeber die Mittel zu den umfassenden Vorarbeiten gewährt und das erscheinen der Ausgabe in einer ihrer Bedeutung würdigen Gestalt ermöglicht hat (S. X f.) ,* der Kaiserin für die Gnade , mit der sie gestattet hat, dass das Werk in Form einer Zueignung imter den Schutz ihres er- habenen Namens gestellt wurde. Der Schriftsteller , dem diese Aus- zeichnung gilt, war ihrer im höchsten Grade werth. Denn, was ein Jahrhundert später durch deutsche Heldenkraft unter Kaiser Wil- helms glorreicher Führung auf französischen Schlachtfeldern errungen worden ist, dem haben unsere grossen Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts, in aller Stille zwar, aber darum doch nicht minder bemerklich , vorgearbeitet

„So sei denn," sagt Suphan S. X, „mit dieser schlichten Rechen- schaft über das Geleistete der Grundstein gelegt zu dem Denkmale, das einem der Edelsten unsres Volkes aus seinen eigenen Schätzen aufgebaut, in seiner Vollendung ein Zeugniss sein soll von der Macht und Tiefe deutschen Geistes. Erschien es doch gerade in den Tagen der neu erstehenden Hen'lichkeit des deutschen Beiches, ein Jahr- hundert, nachdem Herder mit seinen ersten Schriften die Nation zur Pflege ihrer eigensten geistigen Art und Kraft aufgerufen, als eine Ehrenpflicht deutscher Wissenschaft, seinem Genius gerecht zu wer- den und das Erbe, das er seinem Volke hinterlassen, in völligem Bestände, in unverfölschter Form dem gegenwärtigen CTeschlechte nahe zu bringen, dem kommenden zu überliefern!*^

Oldenburgs litterarische Zustände von 1773 1811.

Ein Wanderer, der das Hochgebirge bereist, mit stets wachsen- dem Interesse die mannigfach sich ausbreitenden Höhenzüge verfolgt, mit Bewunderung zu den Riesenhäuptern hinaufschaut und sich mit ihnen durch fleissige Forschungen immer vertrauter und bekannter zu machen sucht, er wird sich in freundlichster Weise angezogen fühlen, wenn er auf seinen Wanderungen ein Thal antrifft, das mit anspruchslosem Beize zu den Füssen der hoch sich hinziehenden Grate liegt, mit denen es durch bald sanft sich erhebende, bald steiler ansteigende Bergrücken in Verbindung steht, das jedoch auch für sich eine Welt im kleinen bildet und durch Wiesengründe, Wal- desschatten, murmelnde Bäche den reisenden erfreut und ihm eine wolthuende Abwechselung gewährt nach dem Anblick der giganti- schen Bergmassen und schäumenden WasserMle.

Beaulien, Oldenburgs litterarische Zustände. 267

Dieses Bild drängte sich dem Bef. unwillkürlich auf, als er mit hoher Befriedigung ein anziehendes Buch aus der Hand legte, dessen vollständiger Titel lautet: Aus vergangenen Tagen. Olden- burgs literarische und gesellschaftliche Zustände wäh- rend des Zeitraums von 1773 bis 1811. Von G. Jansen. Oldenburg 1877. Während die deutsche Litteraturgeschichte sich im allgemeinen vorzugsweise mit unsern geistigen Heroen beschäf- tigt, sie auf Schritt und Tritt verfolgt und daneben mit Hecht den grösseren oder geringeren Einfluss abwägt, den dieselben auf Bil- dung und Geschmack gewannen, so weit die deutsche Zunge klingt, werden wir hier von dem Verf. in eine abgelegene Ecke des nord- westlichen Deutschlands geführt und mit Zuständen und Verhält- nissen vertraut gemacht, von denen wir seither nur in mangelhafter und oberflächlichster Art Kenntniss erhalten hatten, und diese Lücken sehen wir jetzt ausgefüllt durch eine Schrift, die nach Anlage und Durchführung, nach Inhalt und Form durchweg als meisterhaft an- erkannt zu werden verdient. Der Verf. verbindet mit umfassender Kenntniss der allgemeinen und particularen Litteraturentwickelung eine pietätvolle Hingebung an seinen Gegenstand und einen klaren, mitunter schwungvollen historischen Stil; aus dem confusen Wirr- warr vierzigjähriger Tagesereignisse weiss seine sichere Hand ein übersichtlich geordnetes, scharf gezeichnetes Bild zu entwerfen, auf welchem wir eine Menge wolbekannter Persönlichkeiten in treuer Aehnlichkeit gezeichnet finden, dieselben jedoch in Beziehungen und Wechselwirkungen dargestellt erblicken^ die bisher noch nicht be- kannt waren. Erwähnen wir daneben noch, dass eine nicht unbe- deutende Menge von handschriftlichem Material hierbei zum ersten Male an den Tag tritt, so bleibt über das abzugebende Endurtheil kein Zweifel.

Als der letzte Eegent der Grafschaften Oldenburg und Delmen- horst, Graf Anton Günther, im J. 1667 kinderlos gestorben war, gieng die Regierung der Erblande über an den nächsten Agnaten, den König von Dänemark, als Nachkommen des Grafen Christian von Oldenburg, der im J. 1448 zum König jenes Reiches erwähll worden war; aus einem selbständigen Particularstaat ward eine dänische Provinz. Kein Wunder, wenn im Laufe der Zeiten die Blicke der Bewohner jener Landstriche sich von Deutschland abwandten und mit vorwiegendem Interesse an Dänemark hiengen; dänische Statt- halter standen an der Spitze der Regierung, und, was man gutes zu hoffen, übles zu besorgen hatte, hieng nicht weniger von den mass- gebenden Persönlichkeiten in Kopenhagen als von den wechselvollen Phasen der dänischen Politik ab. Dazu gesellte sich die ungünstige geographische Lage, die Trennung von den Nachbarn durch die aus- gedehnten Mor- und Haidestrecken im Osten, Süden und Westen, der Mangel an allen genügenden Communicationsmitteln. Schon früher.

268 Beauliau, Oldenburgs litterarische Zustände.

noch unier Anton Günthers Regierung, hatten die verwüstenden Wogen des Dreissigj ährigen Kriegs nur in leisen Auslaufen diese ent- legenen Ufer bespült; alle späteren Ereignisse, die sich auf deutschem Boden vollzogen, bis zum Siebenjährigen Krieg und diesen mitgerech- net, berührten die oldenburgischen Interessen in keiner Weise. Statt dessen ward mit lebhaftestem Antheil alles verfolgt, was in Kopen- hagen sich ereignete, und ein günstiges Geschick fügte es, dass während der letzten Zeit der dänischen Oberherrschaft, nach dem Falle des Ministers Struensee, zwei bedeutende Männer nach Olden- burg geführt wurden, deren überlegene Welterfahrung, vielseitige Verbindungen und schriftstellerische Thätigkeit einen reichen Ein- fluss auf die dortige Bildung gewannen, Helfrich Peter Sturz und Georg Christian von Oeder. Ersterer, geb. 1736, gest. 1779, verband mit gründlicher Kenntniss der alten eine grosse Belesenheit in der modernen französischen und englischen Litteratur, ein lebendiges Verständniss für alle Gegenstände der Kunst, einen feinen durchgebildeten Geschmack, und war durch seine persönliche Stellung zu dem berühmten Minister Graf Bernstorff, sowie durch seine eigenen bedeutenden Leistungen auf dem Felde der deutschen Litteratur in nahe Beziehungen getreten zu vielen der hervon*agend- sten Schriftsteller jener Zeit. Mit Klopstock war er.eng befreundet, mit dem Historiker Schlegel, den Gerstenberg, Basedow, Claudius, Merck u. a. in regem Verkehr. Li Struensees Sturz mit verwickelt, ward er als Begierungsrath nach Oldenburg versetzt und verzehrte sich hier in Sehnsucht nach einer Verbesserung seiner äussern Stel- lung, was ihn jedoch nicht hinderte, vorzügliche prosaische Aufsätze zu schreiben, die ihm einen Platz unter unsem besten Stilisten an- weisen, wie namentlich die allerliebste „Beise nach dem Deister^^ (Vor- gebirge des Harzes), keine Beisebeschreibung etwa, sondern die Be- weisführung in dialogischer Form, dass eine gescheite Fraii ihren Mann, ohne dass dieser es ahnt, in allen Lagen des Lebens an einem unsichtbaren Leitfaden führen kann, wohin sie will, ein Aufsatz, der, wie die meisten seiner übrigen inhaltreichen, anmuthigen und feinwitzigen Schriften, in unserer Gegenwart so wenig gekannt ist, dass er sogar in der Geschichte der deutschen Litteratur von H. Kurz, Bd. 3 S. 653, als Beise an den „Dnister" (Fluss in Bussland) ange- führt werden konnte. Sein Leidensgefährte Oeder, geb. 1728, gest. 1791, hatte ursprünglich Medicin studiert, wandte sich jedoch mit Vorliebe zur Botanik und ward 1752 Professor in Kopenhagen. Als solcher unternahm er das grosse Werk der Flora Danica, wel- ches, zugleich dänisch, deutsch und lateinisch abgefasst, lange für das hervorragendste seines Faches galt. Häufige Beisen vermittel- ten die genaue Bekanntschaft mit den politischen und wirthschaft- lichen Verhältnissen des Landes und führten ihn zur Abfassung einer Denkschrift „über die Frage, wie dem Bauernstände Freiheit und

Beaulieu, Oldenburgs litterarische Zustände. 269

Eigenthum in den Ländern, wo ihm beides fehlt, verschafft werden könne/^ Obgleich dies augenblicklich keine praktischen Folgen hatte, sicherte ihm doch ^ie Bedeutung, die er dadurch gewann, eine ein- flussreiche Stellung auch nach der Entlassung des Ministers Bem- storff; er ward jedoch ohne eigene Verschuldung in Struensees Fall mit verwickelt, und man entledigte sich seiner, indem man ihm, dem Botaniker, dem Statistiker, die Stelle eines Landvogts, d. i. Direc- tors des Landgerichts in Oldenburg Übertrug, höchst charak- teristisch für eine Begierung, welche nicht die Amtsobliegenheiten, sondern nur das Amtseinkommen ins Auge fasste! Oeder blieb in beständiger Beziehung zu allen geistigen Bewegungen seiner Zeit und erwarb sich ein anerkanntes Verdienst um seine neue Heimat durch die Organisation der noch heute bestehenden Wittwencasse. Zehn Jahre später erinnerte man sich seiner auch in Kopenhagen, da die Bauernfrage sich nicht länger beseitigen liess; jetzt kam seine Denkschrift zur Geltung, und es ergieng an ihn der Ruf, in dänische Dienste zurückzukehren. Der sechzigjährige fühlte sich jedoch an die neue Heimat gefesselt und verliess Oldenburg nicht.

Beide Männer fanden in der kleinen, hässlichen, durch Wall und Graben eingeschränkten Stadt eine Anzahl tüchtiger Beamter, traten jedoch sehr bald in ein näheres Verhältniss mit einem jungen Manne, der damals Advocat war, bald aber als Mitarbeiter und Stell- vertreter des auf dem Richterstuhle sich sehr unbehaglich fühlenden Oeder in den Staatsdienst trat und sowol in dieser Stellung als auch vorzugsweise durch seine litterarischen Leistungen und durch seinen Feuereifer für die gerade in dem Jahrzehnt nach 1770 sich entwickelnde neue Richtung unserer deutschen Litteratur von un- schätzbarem und erfolgreichstem Einfluss auf das geistige Leben in seiner Vaterstadt ward. Gerhard Anton von Halem, geb. 1752, besuchte seit 1768 die Universitäten Frankfurt a. 0. und Strassburg, machte 1770 sein Doctorexamen in Kopenhagen, übernahm 1771 nach dem Tode seines Vaters dessen Anwaltspraxis und trat bald darauf, wie erwähnt, in den Staatsdienst als Assessor bei dem Land- gericht in Oldenburg. Die Schilderung der Wirksamkeit und Viel- seitigkeit dieses Mannes macht einen Haupttheil des vorliegenden Buches aus; dieselbe vereinigt eine durchdringende Klarheit mit so knapper Kürze, dass es unmöglich ist, von der anziehenden Darstel- lung im Auszuge ein Bild zu geben. Wir müssen uns mit der Er- wähnung begnügen, dass Halem ein fleissiger Mitarbeiter von Boies deutschem Museum war, mehrere Epen dichtete (Conradin, Adelheid von Burgund), viele Reisen machte, über die er ausführlich berich- tete, so mit Mendelssohn und Herder, Merck und Boie, Claudius, Moeser, Dohm, Gleim und Lessing, Wieland, Zimmermann, Oelsner, Reimarus und Knigge in nähere persönliche Berührung kam , dass er den Agamemnon des Aeschjlus übersetzte, einige Trauerspiele

Abchiy f. Lxtt.-Obbch. tu. 18

270 Beaalien, Oldenburgs litterarische Zustände.

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und mehrere novellistische Erzählungen schrieb, die einflussreichen Oldenburgischen Blätter vermischten Inhalts gründete und zehn Jahre lang redigierte, später in Gemeinschaft mit Wojtmann die Monats- schrift ,Jrene^^ und die Zeitschrift „Geschichte und Politik*' heraus- gab und besonders als historischer Schriftsteller sich bekannt machte durch die Lebensbeschreibung des Feldmarschalls Grafen Münnich, das Leben Peters des Grossen und die ausgezeichnete Geschichte des Herzogthums Oldenburg in drei Bänden, die von der Kritik begrüsst ward als „die vollständigste Geschichte, die wir von irgend einer Provinz des deutschen Eeichs besitzen*^ Doch sind es weniger seine eigenen Schriften, was ihn zum Mittelpunct des geistigen Lebens seines Wohnorts machte, als seine Begeisterung für die neue Lit- teratur und seine ununterbrochene Verbindung mit geistig verwand- ten Männern. Der Verf. macht die sehr richtige Bemerkung: „wie Boie, Nicolai und andere gehört Halem in der Litteraturgeschichte des vorigen Jahrhunderts einer Gruppe von Männern an, deren Haupt- verdienst, auch wenn sie durch eigene Leistungen sich Beifall ge- wannen, doch in der von ihnen persönlich ausgehenden Anregung und Förderung der litterarischen Bestrebungen ihrer Zeit beruht und die deshalb auf den Gang 'der Bildung derselben thatsächlich eine grössere Einwirkung geübt hat als mancher namhafte Dichter und Schriftsteller, welcher herkömmlich seine Stelle unter den deutschen Classikem einnimmt/*

Dass dieser Einfluss gerade in dieser Peiiode einen dankbaren und empfänglichen Boden fand, dazu verhalf ein gleichzeitig ein- tretendes politisches Ereigniss: Oldenburg ward von der Verbindung mit Dänemark losgelöst und trat wieder als selbständiger Staat in die Reihe der übrigen Beichsstände. Die Kaiserin Elisabeth von Russland hatte den Sohn ihrer an den Herzog Karl Friedrich von Holstein -Gottorp vermählten Schwester Anna, Karl Peter Ulrich, zu ihrem Nachfolger bestimmt, und der Einfluss dieses, schon als Gross- fürsten, war vorwiegend genug, um einen Vertrag mit Dänemark zu hintertreiben, veimöge dessen der Gottorpsche Antheil an dem Herzogthume Holstein gegen die Grafschaften Oldenburg und Del- menhorst ausgetauscht werden sollte; seit 1750 hatte man von dänischer Seite, unter wesentlicher Betheiligung des spätem olden- burgischen Statthalters Grafen Lynar, alte Streitigkeiten mit dem Hause Holstein-Gottorp in solcher Weise zu beendigen gesucht. Als jedoch nach der kurzen Regierung des Kaisers Peter III., Januar bis Juli 1762, dessen Gemahlin Katbarina allein den Thron bestiegen hatte, ward 1767 dieser Vergleich von ihr als Vormünderin ihres Sohnes Paul provisorisch abgeschlossen und von letzterem nach er- langter Volljährigkeit im Mai 1773 bestätigt Dabei ward zugleich bestimmt, dass die beiden Grafschaften nicht an Russland fallen, sondern an die jüngere Holstein -Gottorpsche Linie, repraesentiert

Beaulien, Oldenburgs litterarische Zustände. 271

durch den Herzog Friedrich August, Fürstbischof von Lübeck, ab- getreten werden sollten. Die feierliche Uebertragung fand im De- cember 1773 statt, und .ein Jahr später wurden durch kaiserliches Diplom die beiden Grafschaften zu einem Herzogthume des heiligen Römischen Reiches erhoben.

Es ist selbstverständlich, dass durch diese Regierungsänderung ein engerer politischer und geistiger Zusammenhang mit Deutsch- land angebahnt und befördert werden musste, und dies ward rasch genug sichtbar. An die Stelle der früheren Besuche Kopen- hagens traten Reisen in die deutschen Länder, die zur Anknüpfung vielföltiger persönlicher Beziehungen mit hervorragenden Männern Veranlassung gaben und schon im J. 1779, in Folge eines Besuches von Halem in Hamburg, zur Gründung einer litterarischen Gesell- schaft in Oldenburg führten, welche noch heute besteht und also in kurzer Frist ihrem hundertjährigen Jubilaeum entgegensieht. Von den selbständigen Landesherren, deren dirigierender Minister Graf Holmer bei den litterarischen Bestrebungen der Zeit lebhaft sich betheiligte, wurden wiederholt bedeutende Persönlichkeiten in den oldenburgischen Dienst berufen und solcher Weise die Verbin- dungen nach aussen immer vielseitiger und umfassender. Gramberg, Kruse, Hell wag, Ueltzen, Hennings, Mutzenbecher, Ahlwardt, Her- bart, Woltmann, Marcard, Runde, von Berger, von Türck, Brandes sind lauter Männer^ welche in engeren und weiteren Kreisen, der eine mehr, der andere weniger, einen selbständigen und nachwirken- den Einfluss ausgeübt haben. Als einer der bekanntesten tritt uns der Graf Friedrich Leopold von Stolberg entgegen. Seit 1776 waren von ihm Beziehungen zu Oldenburg angeknüpft, die durch seine Vermählung mit der liebenswürdigen Agnes von Witzleben sich immer enger gestalteten. Damals schon war er Gesandter des Fürst-Bischofs in Kopenhagen, und, da letzterer auch Herzog von Oldenburg war, ergab sich die Uebersiedelung dorthin von selbst. Im J. 1783 zum Landvogt in Neuenburg ernannt, übernahm er diese Stellung im J. 1785, wenige Wochen nach dem Regierungsantritt des Herzogs Peter Friedrich Ludwig. Dieser Regierungswechsel ver- anlasste eine vorübergehende Gesandtschaftsreise nach Petersburg. Dann fahrte er ein glückliches Familienleben, in engem Zusammen- hang mit Oldenburger Freunden, namentlich Halem, und in fleissiger Uebung der Dichtkunst. Im Herbst 1788 ward durch den Tod der lieblichen Agnes diese Existenz vollständig aufgelöst. Stolberg verliess den oldenburgischen Dienst, ward dänischer Gesandter in Berlin, kehrte jedoch schon 1791 in seine früheren Verhältnisse auf Antrag des Herzogs zurück und ward Regierungspraesident in Eutin. An der Seite einer zweiten, reichen Gemahlin trat er in diese Stellung allein nicht lange nachher machen sich lebhafte, durch die fran> zösische Revolution hervorgerufene und bis zu krankhafter Gereizt-

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272 Beaulieu, Oldenburgs litterarische Zustände.

heit gesteigerte Meinungsverschiedenbeiten mit allen seinen näheren Freunden geltend, und folgt der wesentlicb durcb den Einfluss fran- zösiscber Emigrantinnen herbeigeführte üebertritt zur katholischen Kirche. Wir haben vor kurzem in der vortrefflichen Biographie des alten Johann Heinrich Voss von Herbst eine ausführliche Dar- stellung des dadurch veranlassten Zerwürfnisses mit diesem alten Freunde und des bekannten litterarischen Kampfes erhalten; wir finden in dem vorliegenden Buche eine gleich eingehende und leben- dige Schilderung der zwischen Stolberg und Halem sich vollziehen- den Trennung. Auch das bestehende Dienstverhältniss wurde aus gleicher Veranlassung getrennt; Stolberg nahm seinen Abschied: wir haben mit Vergnügen zwei schöne Briefe wieder abgedruckt gefun- den, die der Herzog an Stolberg bei dieser Gelegenheit schrieb und die dem Buche von Hennes: ,,Graf Friedrich Leopold von Stolberg und Herzog Peter Friedrich Ludwig" entnommen sind.

Für Halem sollten nach diesem Gemüthsschmerze noch manche andere bittere Erfahruugen folgen: die französische Occupation des Herzogthums griff störend in sein Leben. Im Anfange des J. 1812 ward er als Mitglied des kaiserlich französischen Gerichtshofes nach Hamburg versetzt und , als nach Vertreibung der Franzosen der Her- zog im December 1813 in sein Land zurückgekehrt war, erhielt er die Stelle eines ersten Regierungsrathes zu Eutin. Er ver- söhnte sich jedoch rasch mit dieser Bestimmung, die Geschäfte er- füllten ihn mit Befriedigung, und der Bewegung auf dem Gebiete der Litteratur wendete er auch von Eutin aus rege und thätige Theilnahme zu bis an seinen Tod, der am 4. Januar 1819 eintrat. Wir können uns nicht versagen das Endurtheil des Verf. über die- sen bedeutenden Mann hier ausführlich mitzutheilen:

„Will man im Rückblick auf eine so mannigfaltige und per- sönliche Thätigkeit das Wesen dieses für Oldenburg so merkwürdigen Mannes, welcher als Dichter und Schriftsteller auf das geistige Leben seiner Vaterstadt einen grösseren Einfluss geübt hat, als je ein Anderer vor ihm oder nach ihm, mit wenigen Worten bezeichnen, so wird man sagen müssen, dass die starke Seite seiner geistigen Veranlagung vor allem in einer hochentwickelten Empfänglichkeit für die Ideenströmungen, welche die Zeit bewegten, in einem aus- gebildeten Sinne für poetische Form und in einer grossen Leichtig- keit der Dai'stellung bestand. Dabei kam ihm eine ungewöhnlich umfassende und vielseitige Belesenheit, die Gabe leichter und siche- rer Aneignung in den verschiedensten Gedanken- und Empfindungs- kreisen zu Hülfe, und seine litterarische Wirksamkeit war getragen von dem unermüdlichen und unerschöpflichen mit sich fortreissenden Feuereifer, welcher das Zeitalter bezeichnete. So war er den Zeit- genossen» denen er nahestand, vielleicht mehr der beredte Intei*pret des geistigen Wesens ihres Jah):hunderts in seinen ausgeprägtesten

Beaulieu, Oldenburgs litterarische Zustände. 273

Bichtusgen, als dass sich gerade seine Individualität als solche über- wiegend ihnen gegenüber geltend gemacht hätte: denn eben diejenige Eigenschaft, welche den Dichter ausmacht wirkliche Ursprüng- lichkeit der Empfindung , war ihm am wenigsten eigen, und das Gepräge frischer Natur Wahrheit, das einem Gedicht die Dauer im Munde des Volkes verbürgt, geht seinen Schöpfungen durchweg ab. Deshalb sind auch Halems poetische und bellettristische Schriften heutzutage so gut wie vergessen, und ein Versuch das Interesse an ihnen als solchen wieder aufzufrischen würde wenig Aussicht auf Erfolg haben. Aber das mindert weder das Verdienst des Verfassers noch das Urtheil über den Werth seiner Schriften für ihre Zeit und den Kreis, auf welchen sie wirkten. Als bedeutungsvoller Mittelpunkt reicher und fruchtbarer Anregung wird Halems Name in der Spe- cialgeschichte der deutschen Litteratur den Platz dauernd behaupten, welchen die Mitlebenden auch in weiteren Kreisen ihm gern ein- räumten. Für seine engere Heimath war er der Vermittler ihres geistigen und gemüthlichen Lebens mit der grossen Litteratur- bewegung des Jahrhunderts, und von seinen Werken sind nachhaltige Spuren auch in dem Geist der spätem Geschlechter zurückgeblieben. Den Geschichtschreiber Halem weiss noch heute nach seinem Werth zu schätzen auch wer den Dichter Halem nur vom Hörensagen kennt/^ Jeder Freund der deutschen Litteraturgeschichte ist dem Verf. f(ir diese ausgezeichnete Arbeit zum wärmsten Dank verpflichtet. Wenn man glaubte, dass es auf diesem zum grössten Theil so wol angebauten Felde noch Stellen gäbe, die als steril und entlegen einer Beachtung kaum werth wären, so hat er uns gezeigt, dass es nur an unsem blöden Blicken lag, wenn wir die Blumen- und Frucht - gehege nicht kannten, in welche er uns einführt. Es gibt der- artiger Stellen noch mehrere in unserm Vaterlande. Möge dies Buch Anlass und Anreiz geben zu anderweiten gleich erfreulichen For- schungen!

Karl von Beaulieu-Marconnay.

Miscellen.

1. Eine Stelle im Schiller-Goetheschen Briefwechsel.

Am 26. Juli 1800 schreibt Schiller (No. 752): „Ich lege ein neues Journal bei, das mir zugeschickt worden, woraus Sie den Ein- fluss Schlegelscher Ideen auf die neusten Kunsturtheile zu Ihrer Verwunderung ersehen werden. Es ist nicht abzusehen, was aus die- sem Wesen werden soll, aber weder für die Hervorbringung selbst, noch für das Kunstgefühl kann dieses hohle leere Fratzenwesen er- spriesslich ausfallen^' u. s.w. In Goethes Antwort heisst es (No. 754): „Zuletzt sollte ich Ihres Memnons nicht vergessen, der denn auch vne billig zu den merkwürdigen Erscheinungen und Zeichen der Zeit gerechnet werden muss/* Dass dies die Antwort auf Schillers Sen- dung des Journals sei, hat Düntzer (Schiller und Goethe S. 213) er- kannt, doch will er lesen : „Ihrer Mnemosyne'\ denn zwei Hefte einer Zeitschrift dieses Namens gab der bekannte Hennings in diesem Jahre heraus. ZuMligbinichauf das richtige gestossen. Beim durchblättern des Weimarer Journals des Luxus und der Moden von 1800 fand ich im Intelligenzblatt No. 9, September, S. CXCIII die buchhändlerische Anzeige von: „Memmon, eine Zeitschrift, herausgegeben von A. Klingemann. Ersten Bandes erstes Stück gr. 8. Leipzig bey W. Rein. 1800. 16 gr." Romantische Ansichten der Poesie zu geben, die Kunst innerhalb ihrer eigenen Grenzen darzustellen u. s. w. ist nach der Anzeige Zweck dieser Zeitschrift. Die Inhaltsangabe weist folgende Stücke auf: Memmon An Julius Religion, Poesie, Fragmente an Louise Gespräche über die Kunst Briefe über Schillers Wallenstein Poesien, darunter ein Sonett an Tieck. Der Herausgeber scheint der Braunschweigische Dramaturg August Klinge- mann zu sein, und, obgleich mir die Zeitschiift nicht vorliegt, so wage ich doch zu behaupten, dass sie es war, welche Schiller, ver- muthlich wegen der Wallenstein-Briefe, zugeschickt erhalten hatte und an Goethe sandte. Wilhelm Fielitz.

2.

Phalaecische Verse Luthers.

Luther schrieb im Jahre 1545 seinen Sarcasmus in Epicurum nieder, der anfangt:

Vitam quae faciunt suis beatam

Porcis, haec Epicurus ille tradit, (l 8 Hendekasy Ilaben) und in der Erlanger Ausgabe, Exegetica Opera

Miscellen. 275

Lat. Tom. XVII, 265 fif., aber ohne Angabe des Jahres, abgedruckt ist. Handschriftlich befindet sich dies Gedichtchen in Dr. Salomon Hirzels Msc. der Tischreden Luthers v. J. 1563, 8^°, Blatt 63', und in den handschriftlichen „Excerpta haec omnia in Menfa ex ore D. Ma : Lutherj. Anno Dni. 1. 5. 4. 0" des Germanischen Museums no. 20996, Bl. 78. Zuerst ist es abgedruckt am Ende des „Ineptus Religiosus ad mores horum temporum descriptus M. I. S. Anno 1652" (2 Bogen 12^), über welches Büchelchen L es sing eine Rettung geschrieben hat (Gotthold Ephraim Lessing's sämmtliche Schriften. Herausgegeben von Karl Lachmann und Wendelin von Maltzahn. Vierter Band. Leip- zig. 1854. S. 69—88). Lessing liess darin das Gedichtchen wieder mit abdrucken, S. 82 f., und bemerkt dazu, S. 83: „Diese Verse sind die besten nicht; und sie würden schwerlich hier stehen, wann ich sie gemacht hätte." Dass sie von Luther sind, war ihm unbekannt, und der Abdruck im Ineptus Religiosus ist fehlerhaft.

Johann Karl Seidemann.

3.

Eusdorfs Beschreibung einer Jesuitenkomoedie.

Als Johann Joachim Rusdorf, der bekannte kurpfülzische Diplomat, im Jahre 1619 eine Gesandtschaftsreise nach London unter- nahm, war er in Cöln Augenzeuge einer theatralischen Aufführung der Jesuiten, welche er in einem Schreiben an Johann Georg von Gruen, das datiert ist „Heidelbergae VÜI. Id. Junii CIOIOCXIX" und abschriftlich sich in der Sammlimg der Briefe Rusdorfs in der Casseler Handschrift Mss. Jur. fol. 47 S. 735 ff. vorfindet, folgendermassen beschreibt*:

Tridno postquam Heidelberg^ urbe egref&ä sumus, Coloniam

Agrippinam delati sumus : ibi negotiorum, quae expediunda erant, con- ficiendorum caufsä paulüm substitimus. Dum ego traducendo tempori per urbem exspatior, et collegium lesuitarum praetergredior, animad- verto comoediolam ibi ludi; curiosus novitatis in eo afsideo; video homi- nem capitonem macie et exsangui pallore sqaallidum deformi et bor- ribili adspectu inferni cujusdam Daemonis figuram prsBferentem, com- pedibus ferreis ligatum et ex Orci cancris emifsum, in theatrum trahi, et ex vinculis caufsam dicere juberi. Multa de sua noviter invent^ sectä in medium afferre, ad eam spectatores et omne genus homi- num blande^ invitare^ quoniam observatu facilior Catholic^ Romam\, nullis etiam regulis limitata aut obstricta, nuUis disciplinis, jeju- [S. 736] nijs, vigilijs, precum repetitionibus autejusmodi cultui fasti- dioi>o et defatigabili obnoxia sit; sed omnimodä libertate amabilique voluptates explendi licentiä atque privilegijs religionem sibi ex animi

* Die hier folgende Brief stelle ist erwähnt bei Friedrich Erüner, Johann [1] von Rusdorf. Halle, 1876. S. 38. —Vgl. auch Archiv für Litt- Gesch Bd. 4. S. 112 and 540.

276

Miscellen.

lubidine fingendi, cunctaque pro arbitrio faciendi gaudeat: contra jus fasque sibi vincula ixgecta et compedes: nibil mali promeritum, ob- secrare igitnr per omnes Deos Deasque ut numellis expeditis pristinaß libertati et vitae restituatur. Hsec et id genus similia edifsertabat. Postquam finierat, adolescens plenus iraimm et truci vultu prodit et complosis manibus ac pedibus acri et yirulento sermone in miserum Luthernm, (: is enim per illum captiyum reprsßsentabatur :) intonat et debaccbatur: scorto moniali natum, transfugam efse, una cum reli- gione et ordinis, cui consecratus erat, habitu pudorem etiam ac timo- rem omnem exuifse; virgines Deo dicatas vi claustris eripuifee, et per summum scelus in media luce nemine non aspectante, tanquam impudentifsimum canem, constuprafse, turpifsimarum voluptatum coeno totum coopertum eo delapsum insaniae et malitisB ut nullo sce- lere et flagitio Deum offendi pofse statuerit et docuerit. Eum tan- quam araneam in se suxifse quidquid ubique errorum et falsse doc- trinse fuerit, omnes denique hsßreses, quse ab ipso nascentis Ecclesise exordio in hunc usque diem exstiterint et invaluerint, scrutatum fuiTse, easque jam dudum sepultas ab Orco in vitam revocafse : omnium, qui unquam yixerint, hsereticorum improbitatem atque impietatem longd superafse : cum inferorum Rege intimam et indivulsam familiaritatem et communionem congrefsumque babuifse perpetuum. Hinc ipsum in libro de mifsä angulari scribere, sibi diabolum de facie notum efse, eo doctore plurima condidicifse, tam arctam denique necefsi- tudinem cum illo coluifse, ut multos modios salis, sicut in proverbio est, unä comederint, et ambo nonnisi eodem lecto, cubiculo et mensa fuerint usi. Sectam et doctrinam cerebrosi istius capitonis scelerum ac libidinum omnium fomitem efse, pacis publicse excidium, et vii*- tutum Christianarum scopulum. Tenebrionem istum primum autorem exstitifse, qui Germaniam pacatifsimam et otio gaudentem bellicis motibus, seditionibus, turbis, dedignatione parendi implerit, et con- tumaciam, rebellionem, perfidiam in animos subditorum infuderit. Ab ejus doctrin& tanquam ex impuro fönte Bohemicoruqi tumultuum |S. 737] ebuUitiones promanafse et semina traxifse. Eam enim con- temtum legitimi Magistratus et odiiim supremse potestatis invehere; subjectos ad licentiam, obnisum et oblocuüonem contra suos Prin- cipes impellere: Imperatorise Majestatis et auctoritatis jus et decus antiquare et exsibilare. Hinc certum et indubitatum efse, pacem et concordiam firmam in Europa et in Imperio nunquam futuram, nisi priüs auctoritas bestise illius Islebicsß, (:ita agnominabatur Lutherus:) penitüs convellatur et secta sectatoresque ejus funditiis exstirpentur, igne, ferro, aqua necentur: talia plura animos imperitae et affectibus indulgentis juventutis irritantia, et conceptum in nostros homines odium foventia cum ingenti applausu theatri dicta fuerunt: tandem unanimi consensu miser Lutherus orco detrusus & astemis poenis adjudicatus fiiit. Sic finita fuit fabula.

Ein schön kurtz lied von den zweien Christlichen

Fürsten * Hertzog lohann Friderich Churfursten

zu Sachsen und Philips Landgraffen zu Hessen,

als sie des wort Gottes halben von Kayser Carl

pekriegt sein worden im 1546 jar, im thonn wie

man Hertzog Georgen von Bairen singt.

Mitgetheilt

von

Wilhelm Crecelius.

Mit last so wil ich singen

letzund zu diser frist

Von new geschehen dingen,

Das letz vor äugen ist.

Got behuet uns vor der Spanier mort.,

Ins teutsch land sind sie kumen

Zuverfolgen Gottes wort.

Got tröst die frumen fursten Aus Sachsen und Hessenlandt, Nach der warheit thut sie dursten, Ist uns gar wol bekandt. Die frumen fursten hochgebom, Gottes wort thun sie peschutzen, Thut dem Bapst und Kayser zorn.

Got der herr vfirt sie pewaren Und halten in seiner huet, - Kain gut und gelt sie sparen, Sie wagen land leut und guet, Sie Wagens als gar dapffer dran, Got wirt sie nit verlassen, Wirt in sein peystandt than.

Abohiy f. Lxtt.-Obsob. YIL 19

278 Lied von Kurf. lohann Friedrich und Landgr. Philipp.

Land und leut thun sie verlasen und machen sich auff die pan, Wol auff die rechten strasen, Nun merckt ir weih und man, Was Got maint zu diser letzten zeit, Die hertzen zu probiren, Welchs pekantnus seins glauben geit.

Der herr probirt den glauben ^ An den seinen in diser weit, Die sich seins worts nit lassen peraubeh Von wegen gut und gelt, Ob das das rechte zaichen sei, Unser 1er ist recht geschaffen, Ist heillig gut und frei

Ir farsten thut haim raysen In ewr land haim zu haut, Peschutzet witwen und wajsen In ewrem vatter lant, Die weil euch aU weit zu verlon, Christus' wirt euch erhalten . In seinem ewigen thron.

Das liedlein thut peschliessen

Ein ainfeltiger Christ,

Thuts den gotlosen haoffen vertriessen,

Daran ligt im zu kainer frist.

Er ist gerust als ein kriegsman,

Die warheit wil er helffen erhalten,

Sich alzeit darpei finden lan.

Handschriftliches Blatt aus dem Nachlass Hasslers. Gleichen Anfang und Versbau hat das Lied ,;Mit Lust so will ich singen Costanz zu Lob und Ehr'' (Liliencron Nr. 573), welches aber erst ins Jahr 1548 fallt Vgl. über die Melodie Liliencron Nachtrag. S. 71 Nr. LXV. Die Bezeichnung „wie man Herzog Georgen von Baienx singt'' ist a. a. 0. nicht mit aufgeführt.

Hans 8aclis als Gegner des Markgrafen Albrecht

Alcibiades.

Von

Edmund Goetze.

Unter den von Lochner in dieser Zeitschrift (Bd. III S. 26 44) veroflfentlichten Urkunden befindet sich (S. 41) ein Bericht, der am Tage nach Hans Sachsens Tode durch einen Kathsbeamteten von Nürnberg aufgenommen wurde. Ein gewisser Veit Fesselman hatte, man weiss nicht auf wessen Antrieb und mit welcher Berechtigung, an den Bath die Bitte gerichtet, man mochte „etliche gedieht" des verstorbenen, die bis dahin noch jiicht gedruckt waren, sich von den Erben ausantworten lassen: es könnte durch eine etwaige Veröffent- lichung derselben Aergerniss entstehen. Ganz besonders hebt er „zwen pafquillos, ainen von dem fchloß Plaffenburg vnd den andern von Hohenlandfperg" hervor.

Das eine dieser Pasquille ist, wie schon Goedeke, Hans Sachs, Einleitung S. XXVI** bemerkt hat, noch erhalten. Das- selbe ist ebenso wie „ein wunderlicher dialogus, vngereimt", der in dem verlornen 5. Spruchbuche stand, in Prosa abgefasst. So sind zu den bisher bekannt gewordenen vier Gesprächen des H. Sachs in Prosa (vgl. Vier Dialoge von Hans Sachs hrsgg. von Reinh. Köhler, Weimar 1858) zwei andere nach- gewiesen. Im ganzen hatte er aber „artlicher dialogos fiben, doch ungereimet in der pros" verfasst, imd sein letztes siebentes Prosastück ist noch nicht aufgefunden; denn das in der eben angeführten Anmerkung bei Goedeke als solches bezeichnete „gesprech von der himelfart margraff albrechz anno 1557"

ist gereimt. Nach dem Generalregister steht es im 11. Spruch-

19*

280 Goetze, Sach^ gegen Markgr. Albrecht.

buche Bl. 125 S. Dort finde ich indes, dass auf der zweiten Seite des betr. Blattes wol der Anfang, die ersten 24 Verse, noch vorhanden, dass dagegen die folgenden vier Blätter, 126 129, herausgeschnitten sind. Die gestrengen Rathsherren scheinen es also mit der Vernichtung des Gedichtes sehr ernst genommen zu haben; sogar die Namen „margraff albrecht" und „die merckischen" wurden in den erhaltenen Anfangs- und Schluss-Versän ausradiert. Auf Bl. 130 nämlich stehen noch 17 Zeilen mit der Unterschrift; „anno salutis 1557 am 6 tag februarj 300 vers".

Dieses Datum nun stimmt mit demjenigen des Gedichtes überein, das Johannes Voigt in dem 2. Bande seiner Ge- schichte des Markgrafen Albrecht Alcibiades von Brandenburg- Kulmbach, Berlin 1852, S. 285 292 veröflfentlichte. Und wirklich haben wil- in demselben, wie die Vergleichung der Ueberreste zeigt, das beregte Gespräch vor uns.

Dieselbe Quelle, aus welcher Voigt schöpfte, benutzte auch Emil Well er zu dem erneuten Abdruck des Stückes in seiner Hans - Sachs - Bibliographie S. 1217-133; denn die Willsche Bibliothek, die dem ersteren SQin Original darbot, bildet ja jetzt einen Theil der Nürnberger Stadtbibligthek, aus welcher Weller seine Abschrift genommen zu haben vorgibt. Freilich ist das Heft mit dem Gespräch von der Himmelfahrt' Markgraf Albrechts (bez. Will. HI 785) nicht, wie der frühere Besitzer Will darauf angemerkt "hat, die Handschrift des Verfassers Hans Sachs. Von vornherein mussten schon Formen wie „dz^^ oder „vnnd% die wol in gedruckten Gedichten des Sachs zu lesen sind, die er selbst aber nie schreibt, stutzig machen. Der Augenschein beseitigt aber jeden Zweifel.

Man vergleiche nur einmal das Facsimile in Bechsteins Deutschem Museum N. F. 1. Bd. (Leipzig 1862) nach S. 158 und das andere in Naumanns Catalogus libr. mss. bibliothecae Sen. Lips. (Grimae 1838) Tab. IV mit dem bei Ghillany, index rariss. aliquot libr. mscr. quos hab. bibl. publ. Noriberg. (Norib. 1846) S. 18 gegebenen Stücke, und trotz der Stumpfheit des lithographischen Druckes wird man sich überzeugen, dass in den ersten beiden Nachahmungen sicher beglaubigter Sachs- Manuscripte eine g^z andere Hand sich zeigt als in dem

Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht. 281

Nürnberger Exemplare. Was dort Will als unzweifelhaft des Dichters eigene Handschrift bezeichnet, ist bestimmt nicht von demselben geschrieben, und alle Folgerungen, die aus jener Be- merkung besonders von Ghillany a. a. 0. S. 82 für andere Nürnberger Handschriften gezogen sind, werden dadurch hin- föUig. Das auch von Weller, Sachs-Bibliographie S.IX, erwähnte Manuscript der Solgerschen Sammlung (Nr. 56) ist von derselben Hand, die falschlicher Weise für die des berühmten Meister- sängers gehalten wird. Der genannte Folioband ist wegen der Fülle der sauber geschriebenen Meistergesänge, die er ent- hält, höchst werthvoU. Nur hat sie eben der Verfasser nicht selbst geschrieben.

Soweit ich gesehen, besitzt die Vaterstadt des Hans Sachs keine Zeile von seiner Hand. Es scheint, dass Gottsched bei seiner Anwesenheit in Nürnberg alles mit fortgenommen habe, was damals noch von dem Dichter geschrieben in seiner Heimath sich vorfand. Er erzählt in seiner prolusio acade- mica 1750: allicuerat me huc (nach Nürnberg, das er totius fere Franconiae ocellum nennt) bibliotheca illustris quondam viri, Godofredi Thomasii, thesauris litterariis omnis generis aevique abundans, meisque finibus inservientia multo plura subministratura, quam quos nupero anno ex eadem aere meo comparaveram; manuscripti Poetarum veterum germanicorum Codices plures quam XXX (nämlich ibi erant). Und diese wan- derten sämmtlich nach' Leipzig, von wo sie später nach Dresden und Weimar mit andern Schätzen der Gottschedschen Sammlung kamen.

Jene Pasquille und „Gedichte" nun, deren Veröffentlichung der Nürnberger Bath am Tage nach H. Sachsens hinscheiden beanstandete, beziehen sich auf das Verhältniss der Stadt zu dem Markgrafen Albrecht von Brandenburg -Eulmbach, dem seines hin und her schwankenden politischen Verhaltens wegen der Beiname Alcibiades gegeben worden ist.

Unter den Fürsten, welche Hans Sachs wiederholt in seinen Gedichten als diejenigen erwähnt, von denen dem deutschen Lande viel Unheil erwachse, und die er mit dem Worte „Schnapp- hannen" bezeichnet, erfährt Albrecht Alcibiades am meisten den herben Tadel des Volksdichters. Ohne bestimmten reli-

282 Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht.

giösen Standpunci in diesem von theologischen Streitigkeiten erfüllten Jahrhunderte und nur auf die Bedür&isse seines Geld- beutels bedacht, lieh er seinen Arm sogar den Feinden des Vaterlandes. Den PfeflFersäcken aber, wie er die Nürnberger mit Vorliebe nannte, mit deren damals mächtiger Stadt seit den Zeiten seines Grossvaters imd länger schon die Herren des Fürstenthums Ansbach in Streit lebten*, hatte er insbe- sondere tödlichen Hass geschworen, weil sie seinen Ansprüchen gegenüber fest ihre Rechte vertheidigten. Den Gesinnungen seiner Mitbürger gab Hans Sachs mehrfach derben Ausdruck; ihn durch Beschönigungen abschwächen zu wollen ist zweck- los und vergeblich, wenn gleich auch Albrecht nur aus den Anschauungen seiner Zeit heraus beurtheilt werden darf. Mit welcher Freude die Nürnberger es vernommen haben mögen, als ihr Widersacher tüchtig aufs Haupt geschlagen worden war, können wir daraus entnehmen, dass H. Sachs gleichsam als Sprecher seiner Landsleute die Zeitung, die von der Nieder- lage berichtete, in Verse brachte. Die Historia steht in seinem 9. Spruchbuche (Hds. der Leipziger Stadtbibliothek) El. 7 und lautet:

die ander fchlacht fo margraff Albrecht verloren hat anno 1553 den 11[!] feptem:

[NJach dem vnd margraff albrecht hat

zw geutten** pey praunTchweig der ftat

gehabt mit rewtem Geben fannen

hat mit gehalten nit weit von dannen

auf eim perg den vort-eil eingnumen ö

vnd hat entpotn zv im fol kumen

herzog hainrich von praunfchweig fein

da halt er vnd wöU warten fein

vnd fol fich mit im im feld fchlagen

da hat er gfunden kainen zagen 10

wan herzog hainrich hat gnumen

* Von der Fehde, welche gerade ein Jiüirhandert früher die Nürn- berger mit Albrecht Achilles auszufechten hatten, erzählen Volkslieder, von denen zwei in der Germania IV S. 361—370 bekannt gemacht worden sind. Vgl. a. Liliencron, histor. Volkslieder Bd. 1 . S . 4 1 9 ff.

** Geiteln Hortleder, Eaysserl. u. Kön. Handinngen usw. Frankfurt a. M. 1618 S. 1140, Geitelt derselbe a. a. 0. S. 1141. Der Ort heisst jetzt Geitelde.

Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrccht. 283

fein raiffig zewg ift zw im kumen alda hat Hch zv paider feit erhaben gar ein harter ftreit

von fchieitn vnd ftechn ein lawt gedös 15

von roffen ain gfchray vnd geftös pis entlich auf der lincken feiten des margraffen hauffen in dem ftreiten wurt zaghaft vnd die fluechte gab der ander dail der zueg auch ab 20

erfb hengten die Braunfchweicker nach in die flüechtigen fchos vnd ftach pis in die prannfchweickifch lantweer vnd fint der margreffifchen mer

in der fluecht vnd der walftat vnden 25

in die fechfhundert dot gefunden vnter den auch dot fanden wart klas Bemer vnd Johann pickhart* vnd andere ritmaifter mer

aus dem margreffjfchen beer 30

llnt in der fchlacht zv poden gangen auch vil gueter lewt worden gfangen Bl. 1' auf des margraffen feiten vnd

auch vil rewter hart worden wtind

doch hat aus den göüichen gnaden 35

herzog hainrichs volck wenig fchaden

in obgemelter fchlacht genumen

ift Iighaft fröli^h haimhin kumen

doch margraff albrecht wie wir lefen

ift nicht in diefer fchlacht gewefen 40

^funder auf eim perg in der neben

gehalten vnd hat zw gefehen

pald fein rewter flohen auff dem feld

da gab er auch das verfen geld

vnd auf eim leich[t]en ros pehent 45

hinein in die ftat praunfchweick rent

alfo die fchlacht in diefer frift

warhafüclich ergangen ift

got geb das gueter fried erwachs

aus der fchlacht fo wünfchet hansfachs 50

anno falutis 1553 (corrigiert aus 1525) am 25 tag nouembris.

* Hortleder a. a. 0. S. 1140 Johann Bicker S. 1141 und 1143 Joachim Bioker.

284 Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht.

Es ist die Schlacht vom 13. September 1553 gemeint^ die Joh. Voigt a. a. 0. 11 S. 128—131 beschreibt.

Unter der ersten, welche nach der üeberschrift voraus- gesetzt wird, ist wahrscheinlich die Schlacht bei Sievershausen zu verstehen, wo der „Meffias der Pfaflfen, Herzog Moritz auf- geflogen war", wie sich Albrecht drastisch ausdrückt, üeber die zweite erschien bei Georg Merckel auf dem Neubau bei der Kalkhütten, dem bekamiten Nürnberger Drucker vieler Sachsischer Schriften, eine warhafiR^ige Zeitung (Emil Weller, die ersten deutschen Zeitungen [litt. Verein 111] S. 152 Nr.201), die wirklich auch den 11. September als Schlachttag angibt. Gewiss hat Sachs nach dieser seine Verse gemacht. An man- chen Stellen stimmen dieselben fast wortlich mit dem Berichte an Carlowitz vom 13. September 1553 bei Hortleder S. 1139 f. überein. Aus solchen officiellen Schriftstücken schöpften ja die ersten Zeitimgen.

Ebenso wie dieses Stück entgieBgen* die beiden folgenden, ebenfalls gegen Albrecht Alcibiades gerichteten den nach- spürenden abgesandten des Nürnberger Rathes. Das eine be- findet sich im 9. Spruchbuche Bl. 132—138.

Ein gefprech der götter wider den aufrüerifchen

füerften margraff albrecht vnd ander

füerften vnd ftet deutfchlands.

[Ajls man zeit fanfzehundert jar

vnd vier vnd funffzig gleich als war

wider all pillikeit vnd recht

abglagter feint margraff albrecht

des pifchoff würzperg vnd Bamberg 5

vnd auch der reichftat Nürenberg

vnd fer plueturftig mit in krieget

doch fo oft man im obgefieget

erlegt vnd aus den feld in fchlueg

doch almal an langen verzueg 10

gerueftet er pald wider kam

vnd pracht ein grofes volck zufam

zw ros vnd fues üeber die mas

weil er doch rings vermüegens was

das wundert mich / vnd auf ein nacht 15

lag ich der fach lang nach gedacht

Groetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht. 285

wie folichs nur het ainen fin

in den gedancken fchlieff ich hin

mich dawcht / wie ich Tech ain gefleht

im fchlaff / wie ich mit küerz pericht 20

fraw racio

fi^w racio / die köm zw mir Tagt wol auf ich wil zaigen dir als was ZV willen dw pegerft das dw vürpas zv frieden werft

vnd pund mir die zwen flüegel an . 25

die dedalus der kunftreich man feim fan icaro het gemacht darmit flueg ich pey finfter nacht doch flog fraw racio mir for

der ich nachfolget auf dem gfpor 30

ganz YOgel fchnell an alles im Bl. 132' hinauff zumb lewchtenten geftim pis vtir den höchften fal jouis darin fach ich dar vnd gewis

jouem Uzen auf feim tron '* 35

kaiferlicher geftalt mit zepter krön als ob er halten wolt gericht nach dem daucht mich in dem geficht wie das vür den got jouem drat

minerua in fchneweifer wat 40

die göttin der weifheit alda auch kam mit ir jufticia die trueg ein wag vnd ein plos fchwert püeckten fich vor im zv der ert

Jupiter in fein zepter naiget 45

lieh ganz freuntlichn in erzaiget vnd hies fie aufften alle ped

Minerua die göttin der weifheit

da fing minerua an ir red

o Jupiter herzlieber vater

menfchlichs gefchlechtz höchfter woldater 50

wen wütw dein herzHch erparmen

doch mitailen den deutfchen armen

die doch zv dir aufrueffen ftet

mit irem opfer vnd gepet

vmb hilff in irer krieges not 55

wider den plueturftigen got

martern der in thuet grofen zwang

286 Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht.

ynd hat auch nun geweret lang

itz da / den dort / vnden vnd oben

hat er vnglüecks kngel gefchoben 60

mit grofem verderben teutfchlandt

derhalb pit ich thw im peyftandt

weil es dir vertraut alles guetz

vnd ift vnter deim schirm vnd schütz

dir vnterthon / ghorfam vnd willig 65

jufticia die gerechtikeit

juftycia fprach recht vnd pillig Bl. 133 höchfter gepieter tbueftw das pift auch fchueldig an vnterlas zw fchüetzen dein vnterthan frej

vor muetwilliger tirannej ' 70

darmit des reichs ein merer feift wie dein herlicher nam aufweilt wo gar ZV lang verzuegeftw marti dem pluthunt feheft zw

der aus mutwil zw diefer zeit 75

wider all recht vnd piUikeit teutfchlant mit aufruer verhern fo würd es dein götlichen em zw nachtail raichen vnd darfon

den menfchen kumen ain argwon 80

fam körne aus deiner verhencknüs folich / mort / raub prant vnd gefencknüs das wer deinr mayeftat ewig fchant derhalb itreck dein gwaltige hant aus vnd hilff es ift hohe zeit 85

Jupiter f [agt]

Jupiter fprach zw paider feit

hab ich ghört eur oracion

wift / ich hab lengift hilfiT^eton

tewtfchlandes pit vnd rueffent ftim

pin auch willig zw helffen im 90

hab ab gfordert martem den got

er aber veracht mein gepot

der halb wolt mit dem fchwert in zwingen

vnd in palt zw gehorlkm pringen

wo neptunus nit irret mich 95

der wider mich / hart fezet fich

mit dem ich itz zv fc^affen hab

idoch hab ich gefertigt ab

Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht. 287

den künen beiden berculem

das er Fol fein pejltendig dem 100

pekumerten hoch deutfcbem lant BI. 133' weil er vor mit beldreicber bant

die weit vnd auch das mer tbet fawbe[r]n

von mancberley mördem vnd ranbem

er würgt den wüetricb antbßum 106

Ematbionem vnd Cacum

den grewling kling BuHridem

den giawfamen gerionem

die Centauros halb ros vnd mon

bat er auch aus der weit getbon 110

den wilden eher / leben vnd tracben

auch anders gewürms ent det machen

vnd von der gleich fchedlichen pöfen

thieren det er die weit erlöfen

fecht ZV der fol mit feiner bant 115

erlöfen auch das deutfche lant

von dem pluturftigen marte

fecht / durch den ich im itz peyfte

ich hoff der fol im fchaffen rw

Minerua f

minerua fprach wie gez den zw 120

das fie noch ftez nach bilff dir fchreyen das dw He folt von marte freyen fam fte es geferlich vmb fie

Jupiter f

Jupiter fprach / wen wo vnd wie

es vmb fie fte wöl wir in werden 125

mercurj fchwing dich pald auf erden

vnd pring mir herauf berculem

erfaren wöl wir wol an dem

wie es vnden vmb teutfcblant fte

die weil es vmb bilff fchreit als e 130

mercurius

mercurius fein gflüegelt fuefklaid legt an / vnd macht kurz fein abfchaid durch die fpira der claren lueft hinunter zv der erden klueft BL 134 da er aufrichtet fein gefchick 135

vnd pracht in ainem augenplick

288 Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht.

hercules

herculem in feinr leben hawt

den ich von hertzen geren fehawt

in grabem part / der naiget fich

vor joue gar demüeticlich uo

vnd fagt 0 höchfter Jupiter

warumb haft mich perueffen her

aus fchwerem gefcheft von der erden

Jupiter

jouis fprach ich wil inen werden

ob dw pis her zv diefen ftonden 145

martern noch nit haft vberwunden

des gwalt doch gegen dir ift klain

hercnles

hercules antwort im o nayn dw höchfter gepieter groJbnechtig mars helt fich rumretig vnd prechtig 150

hab in zum virden mal gefchlagen in fampt feinem her thun verjagen er ift fraidig zw kfieges fcherz hat yür fich felb ein verzagt herz hat almal zalt mit verfen gelt .155

mit fluecht geraumet mir das feit verlafth gfchüez vnd mundicion hinter im vnd getrumpft darfon hab alfo marti dem tirannen

abgwunn in fibenzig fannen 160

fo oft ich an im gwin den fieg hoff ich es hab ain ent der krieg vnd hab in vberwunden gar zw ftund pringt er ain andre fchar mit den mus ich mich wider fchlagen 165

vnd wen ich fol die warheit fagen fo ermant mich gleich fein darmit als da ich mit der fchlangen ftrit Bl. 134' welche wol hundert haupter het

wen ich ir ains abhaun thet 170

fo wuechfen ir zwaj an der ftat

der halb ich durch ein weifen rat

die felbig fchlangn an dem ent

ins fewer warff vnd fie verprent

dardurch ich erft gewan den fieg 175

Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht. 289

ich glaub ich mues in diefem krieg marti dem got auch alfo thon

Jupiter

Jupiter antwort im lag on

hat fleh mars durch fein gros yerlueft

almal fo pajd widergerueft * 180

fam fey er des vnglüecks ein fpöter

im helffen leicht die helifchen götter

mit Yolck ynd gelt in ftewren da

plutus ynd auch proferpina

ynd ander arg helifche gaift 185

die wider mein reich lint yerpaift

yoUer mordes ynd rauberey

yol argliftiger zawberey

welche mit hagel ynd yngwiter

rtez machen menfchlich leben piter 190

durch fiEtllch pratic ynd hinterttteck

den pöfen almal halten rüeck

doch on all redlich yrfach das

aus lauter piter neid ynd has

yngunft / feintfchaft ynd yntrew 195

die Iie tragen an alle fchew

dem glüeckhaften menfchlichen gfchlecht

hercules

hercules fprach ja dw fagft recht

nit die helifchen göttr allain

funder die himliTchen ich main 200

welche pefchüezen foln dein reich

ynd auch die göttin der geleich

thuet als ynter dem korb zy stechen

Bl. 135 Jupiter f

Jupiter fagt ich mus yerfprechen

die himlifchen götter thunt fein nicht 205

es wer wider ir götlich pflicht

folt folch pös gfchray yber fie gen

wie würden fie yor mir peften

darumb fchweig nur fie thunt fein nicht

hercules

hercules fprach nem dar pericht 210

ich hab zerftört marti yil tempel da hab ich fanden zumb exempel

290 Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht.

yil mifteria vnd haimlikeit

der götter / fo mit im lang zeit

gelaichet habn / doch als auf laugen 215

fint mir guet geweft vnter äugen

den wolff nur zaiget auf dem rüeck

im helfP«n treibn yil pöfer ftüeck

o mars het fünft lengft aus gepachen

Jupiter

Jupiter fprach von diefen lachen 220

retftw den göttem zv genaw den ich in vil ein peffers traw das wer irr göttling er zv dieff

hercules legt prieff auf f

hercules legt auf etlich prieff

fprach fchaw da lies / hie findft den gi*und 225

Jupiter f

Jupiter nam die prieff zv ftund vnd fie gar haimlich vberlas darob er ßch anroten was vnd fie darnach Minerua gab

Minerua

Minerua las / erfchluchzt darab 230

vnd darnach fprach fie vberlaut wer het diefer vntrew getrawfc das die götter vnd die göttin wem fo gar verwegenes fin

das fie vnferwart irer eer 235

mars vnd feim aufrürifchen beer Bl. 135' haimlich thun fo grofen vürfchueb

hercules

ein pueb ift wie der ander pueb

fprach hercules darff weng pewem

gleich vnd gleich gfelt fich zamen gern 240

dw waift atem vnd fchlangen gfchmais

fint fich gern zam in ainem krais

fo ift mars vnd fein helffer fluechs

auch Heben hofen aiues duechs

wer redlich ift fein müefig get 245

Minerua

Minerua im antworten det

fo ÜLg mir doch aus was vrfiEUih

Goeize, Sachs gegen Markgr. Albrecht. 291

lieben fie am vaterlant räch

weliches in doch ift pefoln

das üe das felb pefchüezen foln 250

vor ander frembder nacion

hercules

wairtw nit glüeck ift neid hon

fprach hercules der neid üe plent ^

das fie dem vaterlant feint fent

weil es iz ftet in hohem gltteck 255

peweifen üe im folche düeck

wa[i]s fonlt kein vrfach difer zeit

minerua

minerua fprach wie gros dorheit die himlifchen götter pegan

das fie dem marti hangen an 260

in feiner verwegen auüruer er kriegt ie zum verderben nur aus mordifchen neidigen truetz on allen rumb / er / oder nutz

wie fein zaichen der fcorpion 265

gleich des natur ift er auch hon fampt alle den fo im anhangen auch weng nuez / er noch rumb erlangen in wirt mars entlich Ionen fchlecht gleich wie der dewffel feine^l knecht 270

BL 136 wirt rie noch felb verderben vnd freffen die poeten habn im zw gmeffen den wolff der auch frift fiech vnd lewt zw warten kainer andern pewt

das He ain dail fchon habn ein gnumen 275

die vmb leib / er vnd guet fmt kumen dem andren folchs auch noch vor ftet

jufticia

jufticia erfewffzen det

fprach Jupiter wie magftw doch

foliche vntrew leiden noch 280

fo get lieber menfchlich gefchlecht

wider all pillikait vnd recht

von marte vnd den göttem der gleich

fo doch gehören in dein reich

des wirft fampt den götem auff erd 285

pey menfchlichem gfchlecht gar vnwerd

292 Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht,

als die zumb tail helffen die zeit zw folcher yngerechtikeit vnd aufrüeriCclier tiranej

durch falfch praüc haimlicb mewtrej 290

oder aufs wengft fitzn mit rw vnd fehen durch die finger zv vnd haben des ein wolgefallen das dw fampt yns künft wol in allen wenden / wie es im grünt ift war 295

derhalb fo hilflp menfchlicher fchar vertam martem den krieges got fampt feiner plueturütigen rot die im düeckifcher weis anhangen auf das teutfchlant müeg frid erlangen 300

wo dw die hilff lenger yerzewchfb das anfehen der götter fchewcbft fo werden die menfchen fein fpöter helifcher vnd himlifcher göter

vns nicht opfern noch dinen mer 305

Bl. 136' dardurch kumb wir vmb götlich er

pej dem gantzen menfchlichen gfchlecht

Jupiter

Jupiter fprach dw fagefb recht

das üebel folt ich ftraffen pillig

vnd ich pin darzy auch guetwillig 310

doch mus ich noch martis verfchonen

fambt den götem fo im pej wonen

voraus izund zw diefer zeit

neptunus mir am wege leit

der got des mers der ift auch mechtig 315

hercules

hercules fprach pis in gedechtig

der vntrew fo mars an dir thet

dich vor fehler gar vertrieben het

mit neptuno dir det gros fchaden

den dw wider anambft zv gnaden 320

der vber die verfeung allen

wider von dir ift abgeÜEdlen

zw Nepthune derhalb ift zeit*

ZV prauchen die ftreng gerechtikeit

am marti dem argen pluthund 325

fambt allen götem fo helffen dund

der verfchon weiter nit auf erdt

Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrccbt. 293

Jufticia f "-

Justicia pot im das fchwert

fprach ift mars wider von dir gfallen

fo rtraff in fampt den göttem allen 330

die im haimlicb anghangen fein

Tambt neptuno / wir all gemein

fezen zv dir leib / guet vnd plnet

Minerua

Minerua die fprach wolgemuet

das thw Jone dw höchfier got 335

ftraflf martern vnd fein arge rot den wirt erkennen menfchlich gfcblecbt das dw pift gtietig trew vnd ghrecht Bl. 137 ein belffer der annieffenden armen

ftraffer der pöfen vn erparmen 340

darmit wirt faln der gmain argwon

den man den hat auf dein perfon <

gefchöpft aus deim langen verzueg

den wirt man tieberflüeffig gnueg

dir zwfor vnd vns götem mer . 346

thim opfer vnd götliche er

zw danckparkeit gefchehner fach

Jupiter

Jupiter darauf emftlich fprach

aus eurm vtirfichtig weifen rat

fb darff ich nun gemelte tat 360

nit lenger auf zihen difmal

ich wil ein feuring donerftral

auf erden fc[h]iecken vnd erfchrecken

martern vnd die götter aufwecken

fie forchtfam vnd verzaget machen 356

das herz nemen zv krieges fachen

wem die köpff zihen aus der fchlingen

auf das in nit thue mifelingen

(ie kennen mich wol zv dem dail

dir hercule fey gltieck vnd hail 360

martem noch fchlach vnd üeberwind

fach vnd mit ftarcken ketten pind

fein helffers belffer gwalticlich

ir tempel vnd hewfer zerprich

darzw wil ichs entfetzen mer 366

von götlichem gewalt vnd er

vnd von meinem reich gar auftreiben

AbCHTV f. lilTT.-GSBCB. VII. 20

294 Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht

auf das forthin müg ftehen pleiben vor in deutfchlant in fried vnd rw

hercules f

hercules antwort im o dw 370

hechfter got gieh mir zv erkennen Bl. 137' himlifch vnd helifch götter nennen die marti haimlich hangen on ich macht fünft etling gwalt anthon das felbig thet ich ie nit gern 375

Jupiter

Jupiter thet in pald gewem

vnd gab dem got mercuiio

ain lang gefchrieben zetel do

daran götter ynd göttin ftunden

die mit marti waren yerpunden 380

als man anfing die echter las

der pefchlues

als ich wolt neher dreten pas die namen zv hören aigentlich da fties ich an ain petpret mich

fo hart / darfon ich auferwacht 385

erfchrack vnd mir haimlich gedacht das ift ein wanderlich geßcht was das pedeut das wais ich nicht aim iden ich fein yrtail las

doch haimlich gedacht ich mir das 390

got wirt ein mal guet mitel fenden folich mutwillig aufruer zv enden das der gotlos häuf wert geftraft der fo vil ybels hat gefchaft

ein Zeitlang her im teutfchen laut 395

mit gefencknüs, mort, raub vnd prant das der arm hauff erledigt wert der nur frid vnd rechtes pegert auf das rw vnd frid wider wachs in deutfchlant das wünfghet hans fachs 400

die perfon im fpruch

Jupiter der hechft got 1

mercurius der göter pot 2

hercules der vntiberwintlich held 3

minerua göttin der weifheit 4

Goetze^ Sachs gegen Markgr. Albrecht. 295

Bl. 138 Juftieia die gerechtikeit 5

racio die vemunft 6

anno falutis 1554 ^ am 27 tag Junij

400 vers

Das nachfolgende Pasquill fällt in die Zeit^^ da nach der Uebergabe der Plassenburg die fränkischen Bundesstände sich wegen deren Schicksal an Kaiser Karl V. gewandt, hatten und sein Entscheid ^ der die Burg den Bundes verwandten zur Schleifung überwies, noch nicht eingetroffen war. Es steht das Pasquill ebenfalls im 9. Spruchbuche Bl. 143' ff. Einige von den Anmerkungen verdanke ich der immer bereiten Güte des Herrn Reinhold Köhler in Weimar. *

Ein pafquilius von dem fchlos zw Blaffenburg

[NJach dem lieh das fchlos Blaffenburg margraff albrecht des Jüngern nach langer pelQgemng ergeben hat, vnd das geruech feiner pefeftigung vnd fterk im ganzen lant ruechtpar wart / trieb mich der füerwiz wie ander lewt mer gemeltes fchlos zw fchawen / kam alfo auf den 14 tag jolij anno 1554 gar fpat wie der mon mit vollem fchein aufgangen war dahin / vnd ging den nechften* pegier- hch hinauff pis zw dem graben / vnd peschawet die ftarck werhaft pefeftigung der gepew mit Verwunderung / vnd wie ich alfo ftund fach, ich ainen langen man den perg aufgen / gleich geklaidet einem römifchen Cortifan / der ging den nechften auch pis an den ewfer- ften graben / er aber fach mich nit / ich entfezet mich aber gleich wol ob im als ich in aber recht pefach / da war es (Bl. 144) der römifch pafquilius / der reufpert üch vnd fing mit ftarcker ftim alfo on zw fchreyen

pafquilius

plaffenburg / plaffenburg fteftw den noch

plaffenburg

nach dem hört ich aus den kelem vnd gwelben des fchlos ein dieffen fewfzen aufgen doch an alle andre ftim vnd antwort pafquilius aber rueft zumb andren mal

pafquilius

plaffenburg / plaffenburg fteftw noch

* den Dechfben «— den nächsten Weg.

20'

296 Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrccht.

plaffenburg nach dem hört ich ein clegliche ftim aus dem fchlos alfo Tagen / o pafquille knmbftw auch mit deinen honworten / mich zw quelen in meinem grofen vnfal / ich pin von meinem gnedigen hem verlaffen / der mich doch füer vnd füer / mit grofem verheiffnen droft (.zw retten.) aufgehalten hat doch alles fei / pin nun hart gedrenget in frembde haut des newen pundes kumen / wais nun nit wie der mit mir handien wirt

pafquillus

was folt man pillicher mit dir handeln den dich mit fewer gen himel auf fchicken

plalTenburg

aus was vrfachen was üebels hab ich gethon / das ich wie dw fagefl / mit fewer gen himel aufgefchicket werden folt

pafquillus was fragftw doch / was piftw dein lebenlang nuez geweft

plaffenburg

ich pin meins gnedigen hem vnd all der feinigen eii\ weit perüembt wolerpawt fürftlich haus geweft vor all feinen feinden pegwaltgung ein fichrer fcl^uez

pafquillus

ja ein nefk der räuber / mörder vnd aller feint feiigen vogel ainige feft vnd zwferficht vor allen redlichen vnd aufrichtign ein fchluepf- winckel

(Bl. 1440 plaffenburg

auch pin ich geweft die prandenburgifch reiche fundgrueb aller notouft [noturft?]

pafquillus

dw fagft recht ain funtgrueb wan in dir hat man gefunden allerlay kauffmans war vnd g^eter fo lange zeit hin vnd wider im lant ver- loren fint worden

plaffenburg

dw verfteft alle ding hinterüch ich vermain alfo mit den Worten ich fej die prandenburgifch fpeifkanmier mit vberflüefligem aufheben die ainem füerften wol anftet

pafquillus

dw retft recht ein fpeilkamer wan dw gar vberflüeHig aufgehaben haft auf allen fbraffen kupffer / zin / plej / duch / famut vnd feiden in vnd auferhalb dem gelaid / mit räuberej vnd plackerey das einem ftierlten üebel anftet / derhalb pifl; nie guet funder nur fchedlich geweft vnd des fewers wol wert / auf das forthin die ftras deint- halben Hehrer werd

Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht. 297

plafTenburg

o parquille ich main der dewffel red ans dir wie pitter vnd we thuet die warheit / ich kan ie nit laugen pin mit warer dat vber- zewget / ich aber wil mich peffem vnd nun forthin dem pund.vnter- thon fein / mich erlich ynd wol halten auf das ich lenger pey leben pleiben müeg wan nimerthwn ift die pefte pues

pafquillus

0 plas dw left deiner pockfpnmg nit / deiner natur vnd langher geprachten gewonheit nach / dv nömft deinem pefitzer den zaumb / vnd gingeft wider deinen grafigen weg* / wie dein art ift / vnd ich fez im fall** / ob gleich dein pefitzer / redlich frumb vnd aufrichtig plieb / fo het doch dein herr margraff albrecht fambt den feinen kein (Bl. 145) rue / funder wüert durch fouil lift pratic vnd mew- trey (.ob er gleich mit gwalt nit kirnt.) anrichten pis er dich widerumb peim zäum ergrieff als den wüerden die lezten tag erger wan die erften vnd raichet zw mercklicher Verderb [nüs?] deiner nachtpaum vnd zw grofem fpot dem pund vn(f verclainerung jyey idermon derhalben nur hinunter mit dir

plafTenburg

ach nain ich verhoff der pund werd nur mein pfeftigung ains dails prechen vnd mich als ein fürftlich haus aufriebt pleiben laffen als gar vnfchedlich dem ganzen laut zw ainer zier / vnd dem löblichen pund zw funderm nuez vnd eren

pafquillus

das wer meins pedünkens von den pundes herren vnfürfichtig ge- handelt / wen man allain dein pefeftigung prech vnd dich ften lies / wie pald wtierd mit der zeit (.die alle ding verendert.) dein pe- feftygung widerumb erpaut den würftw noch erger den vor / der- halb nur hinweck mit hawt vnd har mit dir (.wie man fpricht / ein doter man peift nimant.) fo darff man fich nit mer vor dir peforgen

plaffenburg

ich hoff ie noch man werd mein verfchonen als aines wolerpawten füerftlichen haus vnd mich nit fo jemerlich prechen funder parm- herzig fein vnd gefaften zoren güetÜch erlitzen laffen

pafquillus

fchweig vnd gedenck dir folichs nicht vrfach lies dich der pund ften / fo wüerden noch alle margraffen auf dich pochen vnd truezen vnd wüerft mit der zeit ein vrfach fein zw einem newn krig wie Cartago

* deinen grafigen weg «= verbotenen. ** fez im fall » noch jetzt in Nürnberg gebräuchlich.

298 Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht.

'der ftat rom / derhalb nur mit dir hin weil auch dein herr / vnfer- fchonet fo vil erlicher wolerpauter heuffer on alle redliche vi*fach prochen vnd aufgeprent hat / vnd dein dw raubfchlos folt verfchonet werden das wer (Bl. 145') ie ain kindifche parmherzikait von den punde& herren

plaHenburg

ich hoff aber der new pund werd fo filier margraffen vngunft / von meinent wegen nit gern auf (ich laden / funder die fach in peffern pedacht nemen

pafquillus

0 mein plaffenburg der margreffifchen gunft zw erlangen hat man fich lengift verwegen* der man pis her wenig entpfunden hat / weil dein herre Gambt leinen helffers helffem nichs vnterlaffen hat zw verderbung irer laut vnd leut / vnd man folt dein gtinfticlich ver- fchonen das würd dem erl[i]chen pund zv ein zagheit forcht vnd Verkleinerung zw gemefen werden / nicht allain fürften vnd ftet funder auch pej dota gemainen man / der hitzig vber dich das vrteil feit / wie dw gemeffn haft fol dir wider gemeffen werden

plaffenburg

mainftw aber nit ander fUerften vnd herren werden ain klain ge- fallen daran haben ain fderften alfo gar zw vertreiben von laut vnd leuten auch feine ftet vnd fchlöffer ein zw nemen vnd mich als fein hauptüchlos auch nit zw verfchonen / ich fag dir es wirt dem löb- lichen pund vil neid vnd has ainftrechen** der halb wir*** das (.als mein letzte hoffhung.) hoff ich zw mein wolfart raichen

«

pafquillus

ach mein plaffenburg ain frumer flierft aines redlichen aufrichtigen gemüetz kan folich deins herren lant fridprüechigen / aufrderifchen krieg nit pilligen / weil in kaiferlich majeftat felb in die echt ge- thon vnd im ganzen römifchen reich als ain echter f erkleret hat zumb andern kan er auch noch weneger deins herren vertreibn auch feiner ftet vnd fchlöffer einemung funderlich dein als eines raub- fchlos auftilgung / vnpilligen / derhalb ift es an gfar / vnd forg ligftw / fo ligffcw weil du aber fteft mus man (BL 146) fich der oberzelten pöfen ftüeck vnd düeck noch imer vor dir peforgen der- halb nun fchwebel puluer vnd pech in dich vnd mit fodoma vnd

* man hat fich verwegen »■ verzichtet. ^ ainibrechen od. anllrechen =s einbringen? *** wir, apokop. fflr wirt; häufig bei H. Sachs, t echter = geächteter, wie oben S. 294 Zeile 381 ; sieh das Grimm scheWb. und ächter und echter bei Lexer u. Sanders.

Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht. 299

gemorra vnd deiner fchwefter hohen lantfperg* vnd rawen kolm gen himel gefchicket / vnd ie e ie peffer

plalTenburg

o pafquille fchweig mir ftent all meine har gen perg / ob dem dar- fon dw fagft / ich hab mich des lengift verwegen** pald ich höret meiner paider fchwefter verderben / idoch fuech ich noch friftung in mancherlej weg / durch meine gaete alte gtiener zeuch auch izund die aller peHiir faitn auf das ich vor nie gethon hab / wo aber ie nichs hilflffet vnd mues ie zum dot gericht werden fo fchrejr ich räch vber den newen pund vnd üeber all meine verderber die mich vnfchuldigen fambt meinem frumen ftU'ften alfo in grünt ver- derben

pafquillus

es ift gleich das fiech wie der fbal***/faget der dewflfel läget er feiner mueter webfen in hintern ir feit paid dw vnd dein herr fo frum vnd vnfchueldig wie judas Jfcariot / derhalb entfacht wol verdinte ftraff dein herr hat vil dawfent armer leut gemacht / vnd anzal volcks verfüert vnd pluetz vergoffen hat [!] / vnd dw haft dein lant- fchaft vmb dich herumb geplündert / verprent die lewt gefangen / gefchetztf / erftochen / gehencket den löblichen pund veracht / ver- fpot / hongefprochen / vnd fein kriegfvolck hart pefchedigt / vnd fo dw nun nit weiter kauft / fo fchreyftw zeter vnd waffen Üeber ge- walt (corrigiert aus vnfchult) / fam gefchech dir gros gwalt vnd vn- recht / nun ich verlieh mich die pundes herren werden dir nicht vnrecht thon funder füerfichticHch handeln dich fchlaiffen dar mit deinem herren vnd all den feinen das hercz nemen vnd darmit den krig abfchneidn vnd den (BL 146') krieg darmit glüecklich enden amen

* Hohenlandsberg ergab sich auf Gnade und Ungnade 4. April 1554 und wurde in die Luft gesprengt, nachdem der Bauhe-Eulm schon nieder- gebrannt war. Voigt II, 185.

** mich verwegen «b ich habe mich darauf gefasst gemacht; sieh vor- her S. 298. In BetrefiP von „sich verwegen" mit seinen beiden entgegen- gesetzten Bedeutungen ist auf das mittelhochd. Wb. III, 634 zu ver- weisen, auf Lezer und auf Schmeller IV, 48, sowie auch auf den Artikel „erwegen" im Grimmschen Wb., wo das, was Sp. 1049 sub 2 gesagt ist, auch auf „sich verwegen" passt. [E.]

*** E. Höfer, Wie das Volk spricht, 8. Aufl., Stuttg. 1873, No.l917: Es ist Viehe und Stall, sprach der Teufel und trieb seiner Mutter ein Fliegen in den Hindern (Luther, Wider Hans Worst.).

No. 873: Es ist Stall wie Vieh, sagte Jener, fand ein Floh im Hin- dern. Neander. [K.]

t gefchetzt, vgL brandschatzen.

300 Goeize, Sachs gegen Markgr. Albrecht.

plaHenburg

nach dem erfewfifzet das fchlos plaffenburg mit einem dieffen feufzer / das es gleich im puecholz ein widerhal gab / vnd gab weiter kainn antwort / nach dem fchüetet paEquillus den kopff lachet vnd ginge fein ftras

alfo hab ich folich gefprech ir paider auf das aller küerzelt verzaichnet / doch nit gar nach der fcherpff wie fie es aufprachen / funder etwas milter darmit ich mich nit in vngyaden verfündet / folichs hab ich meinen gueten herren vnd freunden im pesten mitai- len wollen anno falutis 1554 am 14 tag julj

Anno falutis 1554 am 16 tag ju\j.

Das letzte gegen den ruhelosen Markgrafen gerichtete Stück ist seit einiger Zeit schon bekannt. Aber^ wie es Hans Sachsens Dichtungen schon bei seinen Lebzeiten widerfuhr^ dass sie in ganz entstellter Weise veröffentlicht wurden, so ist auch hierbei der Dichter zu Schaden gekommen. Wer Joh. Voigt die Abschrift der Himmelfahrt des Markgrafen be- sorgt hat; der hat es zu verantworten, dass bei ihiu im 12. Verse Bäht statt Buhe zu lesen ist; merkwürdiger Weise hat aber auch Weller in seinem Abdrucke des Gedichtes, trotz behaupteter Benutzung einer neuen Quelle, denselben Fehler^ obgleich schon Ghillany, index rariss. manuscr. bibl. Nori. berg. 1846, S. 16 ganz richtig Buhe schreibt.

Und ein gleicher Fall wiederholt sich V. 293, wo Voigt und Weller das unverständliche geschieht drucken lassen, wofür es heissen muss gesiclii

Zum Vergleiche der durch die orthographischen Aus- wüchse damaliger Zeit verunstalteten Abschrift mit Hans Sachsens eigener einfacher Schreibweise lasse ich die wenigen im 11^ Spruchbuche erhaltenen Verse folgen.

gesprech von der himelfart margi;aff albrechtz (ausradiert) anno

1657

[A]ls man zeit funfzehundert jar vnd fiebn vnd fünfzig als gleich war ianuarj der fibent tag

Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht. 301

ich die felb nacht gar munter lag

vnd pedacht mich hin vnde her 5

weil man hört vyl pöfer mer

vom düercken vnd andren thirannen

wie die zw rueften ir ftreitfannen

yil haimlich pratic würden gmacht

vber dewtfchlant / drob ich gedacht 10

peffer wer fterben den zw leben

fo würd doch ainem rue gegeben

in feinem grab mit fried zy liegen

vor thiranney / aufrur vnd kriegen

in den fchweren gedancken dieff 15

ich mit aim ftarcken fchlaff entfchlieff

genius

im träum mir genius erfchin

fprach wolauff dw mueft mit mir hin

ich wil dir zaigen ain kriegffüerften

den alzeit hart nach pluet was düerfben 20

welcher fchier das ganz deutfche lant

mit krieg erreckt hat durch fein haut

vnd des verderbt ein grofen daü

on nuez jm felber zw vnhail

Blatt 126—129 sind heraas^eschnitten.

Bl. 1 30 darfon ich plözlich auf erwacht

da war mein herz vnd gemüet ftecken 285

vol Wunders angft vnd forg vnde fchrecken

kunt lang zv mir felb kumen kaumb

dacht was pedewt nur diefer traumb

nach dem det man nach kurzen tagqn

im ganzen lant warhaftig fagen 290

margraff albrecht (»uiradiert) verfchieden wer

den übenden dag im jener nit wais ich ob mir das geüicht fein himelfart hat vntericht

oder ob der träum on gefer 295

die felbig nacht fey kumn her das las ich weifer leut aufprechen ich kan es felber nit aus rechen dastmir kein vngunft daraus wachs pey den mercki (»u«r»diert) fchen wünfcht hansfachs 300

anno falutis 1557

am 6 tag februarj

300 vers

302 Goetze, Sachs gegen Markgr. Albrecht.

In meinem Aufsätze über das 13. Spruchbuch (oben S. 7 ff.) wagte ich noch nicht den Schluss zu ziehen, dass alle Gedichte, die zwischen dem Anfangs- und Enddatum desselben gedichtet sein sollen und nicht in der Handschrift eingetragen sind, in den gedruckten Ausgaben falsch datiert seien. Es hielt mich davon der Umstand ab, dass Sachsens Geburtstagsgedicht über das schwere Alter das Datum des Jahres 1558 trug und doch im 13. Spruchbuche nicht aufgenommen war und dass dabei das Gespräch durch einen Sonderdruck gerade flir das angegebene Jahr beglaubigt schien. Aller Wahrscheinlichkeit nach stammt jedoch dieser Sonderdruck aus dem 2. gedruckten Foliobande des Sachs, ist also nach 1560 erschienen. Mit der Angabe des Verfassers und Verlegers, als wenn ein Gedicht, das im 2. Bande Aufnahme fand, niemals vorher veröffentlicht wor- den wäre, ist es zwar nicht so genau zu nehmen. Steht doch die Wittembergifch Nachtigall darin, die gleich nach ihrer Ent- stehung i. J. 1523 in mehreren Auflagen überallhin verbreitet wurde. Hier indessen sprechen zwingende Gründe für die An- nahme, dass das Geburtstagsgedicht zuerst in der Sammlung von 1560, und zwar mit falschem Datum erschien. Das dort angegebene widerspricht nämlich dem Text insofern, als in diesem die Zahl 1559 steht und auf dieser Zahl auch die Be- rechnung des Alters fusst. Der Schluss ferner gibt der Ver- muthung Raum, dass das Gedicht ursprünglich einem ganz andern Zwecke gedient habe, als da ausgesprochen ist. Denn

die Verse

und macht auß dem gesprech ein spruch und fing mit an das ander buch

widersprechen dem als Einleitung zum 2. Bande vorangestellten und mit dem Datum: 16. Febr. 1558 versehenen Gedichte. Das, sagt der Dichter, sei das Stück, mit dem er sein 2. Buch begon- nen. Und ausserdem gibt es noch viele Spruchgedichte aus den nächsten Monaten bis zum 5. Nov. 1558, die im 2. Bande ent- halten sind. Es liegt nahe, auch hier an eine Weiterbenutzung eines schon früher entstandenen Gredichtes zu' denken. Und in der That steht jenes Gedicht auch als erstes Stück im 12. Buche mit dem Datum: „anno falutis 1557 am 5 tag novem- bris auf mein geburttag'' und die angeführten Verse lauten:

Crecelios, Lied ans dem Anfang des 17. Jahrhonderts. 303

ynd macht aus dem gefprech den fpruch vnd fing mit an das zwelft fpruech puech.

Auch die andern Gedichte, die im 13. Spruchbuch, nicht enthalten waren und die doch ihrem Datum nach dahin gehört hätten, habe ich bis auf eines an anderer Stelle mit anderem Datum gefunden. So ist der hecker mit den drey feltzamen ftücken, den schon Goedeke, GR. 354 nr. 384 unter dem Jahre 1557 aufführt, indem er das bisherige Datum des Gedichtes mit einem Fragezeichen versieht, nach dem 12. Spruchbuche Bl. 64 am 29. December 1557 vollendet worden; Wer der vn- feligft menfch sey (Sprb. 12, 117-^118') am 10. Febr. 1558 und die Hiftoria femiramis (Sprb. 12, 273—275') am 5. Juni 1558.

Nach diesen Beispielen, die ich aus andern Spruchbüchem vermehren könnte, schwindet jeder Zweifel, dass die in den Manuscripten de3 H, Sachs durch die chronologische Reihen- folge gestützte Zeitangabe für die Vollendung eines Stückes die unbedingt massgebende ist und dass ein Stück, welches seinem Datum nach in einen handschriftlich erhaltenen Jahr- gang von Gedichten hineingehörte, welches dort aber nicht vor- kömmt, eine andere Entstehungszeit hat als die ihm beigelegte

Ein Lied ans dem Anfang des 17. Jahrhnnderts.

Mitgetheilt von Wilhelm Crecelius.

Es gieng ein Bawr in Krug hinein^ Er weit einmal fein lustig sein, Sprach guten Morgen, Wirth wolt jr borgn, Vor das Gelt dÖrflPt jhr nicht sorgn.

Der Wirth war gar ein geschwindt Mann, Er zapfft ein Tonne Covent an, Sprach zu den Gesten, thut jhr zechen, Ich wil Covent fürs Bier anrechen.

304 Lied aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts.

Der Mann goß das Bier in sein Leib, Zu dem da kam sein böses Weib, Sie sprach, ohn Zweiffl reit dich der Teuffl, Das ich maß allzeit mit dir keiffln.

Er sprach: Halts Maul du böser Tropff, Vnd nam das Weib wol bey dem Zopff, Er thet schlan, vnd ße thet beissn. Man kundt sie nicht voneinander reissn.

Seys Gott geklagt ich armer Mann, Das ich mein Weib niciit zwingen kan, Vor wehtagen muß ich nun klagn. Das mich mein Weib hat sehr geschlagn.

Dieses Lied steht in ;;SSeiber ®pxtQtt \ S)ai^ ift, | Sine luftige (So= I tnoebia öon 7. ?ßcrfoncn, ben | S^dic^cn ^au^tanb betreff I fcnbc. | »cjc^riebcn öon 1 ANDREA THAILEO Mufcovi- 1 enfi, «ßfan^crrn im ©täbttcin | fflud^olfe. | 16 [Holzschnitt] 28. | erffurbt bc^ 3;obia8 grifejii^cn."

Ob das Lied vom Verfasser der Eomoedie herrührt, oder ob dieser es sonst woher entlehnt hat, kann ich nicht sagen. Noch an einer andern Stelle kann es so scheinen, als ob auf ein bekanntes Lied angespielt werde. Auf G2* findet sich im „Männer Latein*', einer Ermahnung an die Männer, ihre Weiber ordentlich zu halten:

Geht nicht oflPte zum Bier vnd Wein, Singt nicht deß Schl&nmers Liedelein,

Besser ist ein Abend,

Alß sieben Morgen,

Ich sage tragt auff behend,

Der Wirth muß borgen.

Von Tharaeus wird in Goedekes Grundriss Bd. 1 , S. 427 die Schrift: Ein erbermliche Klage der lieben Frau Gerste vom Jahre 1609 angeführt Deren Titel ei^bt, dass der Ver- fasser um das genannte Jahr PfiEurrherr zu Frieder^dorf im Amt Storkow war.

Zu Fischarts Bildergedichten.*

Von Camillus Wendeler.

Die Beziehungen unseres grossen Humoristen zur bildenden Kunst, insbesondere zum Kupferstich und Holzschnitt, erfor- dern eine eingehende Untersuchung. Im Laufe der Zeit haben sich meine hierfür gesammelten Materialien einigermassen ge- häuft, durch die Liberalität der Vorstände grosser Bibliotheken und Kupferstichcabinette, welche eine Durchsicht ihrer oft wenig geordneten Flugblattschätze bereitwilligst gestatteten, war es mir möglich, manchen litterarisch werthyoUen Fund zu machen, manchen kostbar gewordenen und verloren geglaubten Bilderbogen aufzutreiben, den Fischart an gewissen Stellen sei- ner W^erke nachweislich vor Augen hat. Aber je mehr man bei Sttidien dieser Art der Laune des Zufalls, dem glücklichen zusammentreffen verschiedener begünstigender Umstände und in der Fremde vor allem der Gefälligkeit und Mittheilsamkeit vielbeschäftigter Beamter überlassen ist von Privatpersonen** und Kunsthändlern gar nicht zu reden ; desto weniger kanii der einzelne vor der Hand daran denken, hier auch nur der Hauptsache nach in sich abgeschlossenes zu bieten.

Im Interesse der Sache wird man es daher hoffentlich gerechtfertigt finden, wenn ich demnächst eine Zusammen- stellung meiner bisher gewonnenen Resultate versuche und dabei mit Hinweisungen auf immer noch fehlendes nicht zu-

* Hierbei ein Carton mit zwei Phototypien. ** Mit Dankbarkeit habe ich jedoch der mir von Herrn Baron von Maltzahn in Weimar bewiesenen Geneigtheit nnd Mittheilsamkeit zu gedenken.

306 Wendeler, zn Fischarts Bildergedichten.

rückhalte. Vielleicht, dass andere in litterarisch günstigerer Lage, an Orten, wo grosse Sammlungen das suchen und finden derartigen Kleinkrams erleichtem ich denke insbesondere an Wien, Paris und London sich dadurch veranlasst fühlen etwas zu ihun, was mir jetzt nicht möglich ist und fär einen fremden überdies immer schwer bleibt.

Allerdings handelt es sich hier nicht um überaus kost« bares: Fischarts Stärke liegt weniger in seinen gereimten Stücken, „die eigenthümlichste Poesie desselben ist vielmehr, wie Ludwig Uhland bei Halling S. XXYIII treffend sagt, in seiner Prosa zu suchen'^; ja vielleicht verliert unsere Zeit, wenn sie einiger seiner Bilderverse entbehren muss, verhältnissmässig wenig. Aber ich denke doch, es ist Pflicht der Wissenschaft und vor allem natürlich seines Commentators, die noch vor- handenen Mittel ihn zu verstehen eben nicht unbenutzt zu lassen.

Reinhold Eohler hat vor einiger Zeit bei Erörterung einer modernen bildlichen Darstellung der verschiedenen Stande (J. M. Wagners Archiv f. Geschichte der D. Sprache und Dichtung I, 459 Anm. **) den Wunsch nach einer eingehen- deren, möglichst weit zurückgreifenden und auch die neueste Zeit umfassenden Geschichte unserer Bilderbogen und der Bilder in unsem Volksbüchern ausgesprochen. Das Bedürfniss einer solchen Zusammenfassung drängt sich allerdings jedem auf, der einmal genothigt war das weite und unbebaute Feld der Bilderlitteratur vom litterarischen, kunsthistorischen oder sittengeschichtlichen Standpuncte aus zu betreten. Aber näher liegend und die wahrhaft fruchtbare Ausführung jenes Ge- dankens erst ermöglichend und verbürgend wäre meines er- achtens eine stofflich und innerhalb der einzelnen Abschnitte historisch geordnete, dabei ausgibig beschreibende Bibliographie jener Bilderbogen in erreichbarster Vollständigkeit und mit gewissenhaftester Angabe, wo sich die Blätter jetzt befinden. Ohne letztere besonders hätte der Forscher immer von neuem an den einzelnen Sammelpuncten den grossten Theil der Zeit auf oft unfruchtbares und darum ermüdendes suchen zu verwenden, und es verliert durch deren Mangel z.B. der schöne Anfang, welchen W. Drugulins „Historischer Bilderatlas ^ (I,

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 307

«

1863. II, 1867.) gemacht bei uns, so viel ich weiss, das ein- zige Unternehmen der Art* ein gut Stück seiner Verdienst- lichkeit: denn wo sind die reichen Flugblattschätze jenes gut angelegten Verzeichnisses geblieben? Auf eine directe Anfrage über den Verbleib einiger weniger Numern habe ich wie ich mir sage: vorläufig aus besondem Gründen nicht ein- mal eine Antwort erhalten.

Ein zweites aber, was uns für diesen Zweck zu wünschen bleibt, das wären Depots jener allmählich immer mehr vom Markte verschwindenden und darum kostbarer werdenden Blätter: meiner Erfahrung nach wird nur im Germanischen Museum unter der Leitung seiner bewährten Vorstände auch hierfür mit Um- sicht und Energie gesammelt. Sonst fristen aber die alten Jahr- marktsblätter, welche die „Hausirer, Zeitungsänger vnd sonst Prifhefter (wie) die Lider auf dem Hut" durchs Land trugen (Gargantua 1575 Bl. M 6^) ** auf unseren Bibliotheken und

* E. Weller hat Drugnlin in den Annalen excerpiert und auch sonst gelegentlich Nachweise geliefert im Anzeiger f. Kunde der Deutschen Vorzeit und ini Serapenm. Seine Yolksgemälde des 16. Jhdts. a. 1. 0. XXIV (1863) S. 46 ff. und XXVII (1866) S. 281 ff. sind aber sehr lücken- haft und sagen auch nichts Tom Aufbewahrungsort.

** In einem „Ex Bibliotheca lUustrissimi Principis . . Petri Vok, Ur- sini, Domini Domus a Rosenberg . . 1609" stammenden Sammelbande der kgl. Bibliothek in Berlin haben wir einen interessanten Kupferstich aus dem vorletzten Jahrzehnt des 16.Jhdte., einen solchen Zeitungskrämer darstel- lend. In phantastischem „zerschnittenem'' Oberkleide, auf dem Federhute neben einem Fuchsschwanz die „Neu Zeittung auß Francrich von der Erschrocklichen Mordery von Guise", in der linken Hand den „Schiffstrit oder kurts bericht von der Armada", in der rechten „Der stat Orleans (Situationsplan)" steht „Der Kramer mit der newe(n) Zeittung" am Strande des Meeres; umgehängt hat er einen Zeitungskasten dem ähnlich, wie ihn die „fliegenden Buchhändler" an den Strassenecken grosser Städte noch heute tragen. Darin sieht man viele Flugschriften, zu oberst „Eygentliche Zeytung von der Stat Bergen auf Zoom" imd „Beschrei- bung der Stat Wachtendonc" ; herab hängen eine Abbildung der „AR- MADA" und das mit zweifelhafter Gewähr (Goadeke GR. 396, 47«) Fischart zugeschriebene Blatt des Leimstänglers. unten Verse in drei

Spalten:

Ihr liebe gutte fromme Herren,

Die ihr hört Neuwe Zeittung gem.

Hie bring ich euch ein gantzen hauffen,

Die wil ich euch al bar verkauffen.

308 Wendeler, zu Fiacharts Bildergedichten.

Museen ein mehr oder weniger verachtetes dasein: in erstem werden sie meistens als eigentlich nicht zum Ressort gehörig betrachtet, und in letztern hält man sie oft nicht einmal des ordnens für werth, weil sie eben keinen Eunstweiib haben.

L

Die Grille Erottestisch Mül.

Wie ich mir bereits in Birlingers Alemannia V, 127 Anm. zu bemerken erlaubte, hätte Passavants Peintre- Graveur III, S. 457 Pischarts Freunden den Aufbewahrungsort dieses lange gesuchten und für die Erklärung einiger Gargantua- Stellen nicht unwichtigen Blatts seit 1862 verrathen können: es be-

Ist alles war vnd nichts erlogen, 5

Wirdt Euwer keiner nit betrogen. Groß wnnder sagt euch meine Zeittung,

Von der armada beider seitten, Auß Franckreich vnd auß EngeUandt,

Geb ich bericht euch aller handi 10

[Sp. 2.] Ich trag nicht briff wie andre hotten,

Die euch vexieren vnd euwer spotten, Was ich hab ist nach allem lust

Drey tag erlogen vor der post, Dieß müll ihr alles glauben ^frey^ 15

Weill alles noch ist frisch vnd new. Auch geb ich euch es wolfeil hin,

Weil ich des gelts benöttiget bin, Mein wammest ist sehr boß vnd schwach,

Ist zeit das ich ein anders mach. 20

[Sp. 3] Auff das ab gehe die Neuwe mehr

Von der [!] Hertzog von guisen sehr, Hab ich mit gantzem fleiß gethan

Mir auch frantzösisch Hosen an, Vnd das ir wüst, so wil nit ich 25

Hie bleiben stehn, lang seumen mich, Drumb so euch mein fuchs schwantz gefeit,

Eaufft ihn, das ich löß euwer gelt, Aj[i feddem ist der äugen schein.

Was ich muß för ein vogel sein. 30

Gedruckt bey Jacob Eempner.

Wendeler, zu Fischarts BiLdergedichten. 309

findet sich und zwar, so weit ich weiss, als das einzige bekannte Exemplar aus von Naglers Sammlung stam- mend, auf dem königl. Eupferstichcabinet zu Berlin.*

Auch A. Andresen hat dasselbe wie noch mehre andere unzweifelhaft von Fischart mit Versen ausgestattete Stimmersche Blätter in seinem Deutschen Peintre-Graveur III (Leipzig 1866) S. 46 Nr. 99 verzeichnet.

Von den Litterarhistorikem verweist Karl Goedeke im GR. 392, 32 auf Gervinus III, 136 (m^ 179), W. Wackemagel, J. Fischart von Strassburg S. 98 Anm. 204 irrthümlich auf Weller, die aber beide zugestandenermassen die „geistlose Mühle", wie man seit Flögel III, 378, 24 und Koch I, 165, h nach den Gitaten im Binenkorb zu sagen gewohnt war, nie- mals gesehen haben. Gervinus' Angaben setzen aber wenig- stens oberflächliche Ansicht des Holzschnittes voraus, und da die bereits von Passavant mitgetheilte Bleistiftnotiz auf der Bückseite, welche die demselben beigegebenen Verse mit Becht Fischart zuschreibt, von der Hand v. Meusebachs ist, so war vielleicht dieser selbst sein Gewährsmann. Vilmar hat in sei- nem Artikel „Fischart" bei Ersch und Gruber LI (1860) S. 185, 23 zwar die Angabe, dass die Zahl der beigegebenen Verse 90 sei, kommt aber sonst über unbestimmte Angaben nicht hinaus: er hat also auch das, wie er sagt, „aus dem litterarischen Verkehr fast völlig verschwundene Blatt" nicht gesehen.

Den mir nun vorliegenden Foliobogen nimmt fast zu zwei Drittheilen ein grober Holzschnitt ein, dessen Einfassung von doppelten Strichen gebildet wird.

Er hat gewissermassen vier Abtheilungen.

Das Mühlengebäude mit Wasserrad ist oben links sicht- bar, davor hält der Tod als Gerippe mit Wurfschaufel auf einem Klepper, vor sich einen Sack haltend andere liegen bereits auf der Erde. Eine Teufelsfratze als Müllerknecht mit schlittschuhartigen Schnabelstiefeln, von denen der rechte ober- halb wie ein Topf gestaltet ist, scheint ihm diese abgenommen

zu haben, links im untern Viertel: auf der Schulter hat er

* Herrn Director Dr. Fr. Lippmann bin ich für die freundliche Förderung meiner Studien zu besonderem Danke verpflichtet.

Abchit f. LiTT.-OagoH. yix. 21

310 Wendeler y zu Fischarts ^ildergedicbien.

noch einen Sack, aus dem glatzköpfige Pfaffen mit Rosen- kränzen hervorsehen. Vor ihm steht ein Scheffelmass oder eine Kufe mit ähnlichem Pfaffen- und Narren- inhalt, wenig- stens hängt eine Narrenmütze mit Schellen aus dem Geföss heraus. Ein weniger' teuflisch aussehender Kerl scheint mit dem Streichholz dieses Korn abmessen oder einstampfen zu wollen. Darüber am linken Rande ist die obere Oefihung des grossen Siebes sichtbar.

Auf der andern Seite im rechten oberen Viertel des Holz- schnitts erblickt man das innere der Mühle: den Stein im Kranz, darüber den nach unten sich verengenden Rumpf und dahinter einen Theil des Wasserrades. Auf der obersten der zum Rumpfe hinaufführenden Stufen schüttet stehend, den Sack auf der rechten Schulter, wiederum eine Teufelsfratze mit Klauen- fassen und Vogelschnabel, an der Müllerkappe die Bürste, das unten eingemessene oder kurz gestampfte Getreide ein: diesmal sind die Vertreter verschiedener geistlicher Orden und Würden deutlich erkennbar ein Bischof mit Krummstab und Mütze, auch der Papst mit dreifacher Krone.

Aus der Mehlöffhung rechts unten im viereckichten Unter- bau des Steins stiebt endlich allerlei phantastisches Geräth und Gethier hervor: zu oberst ein Eulenkopf, darunter ein Menschenhinterer mit Fuchsschwanz, ein Schweinskopf auf menschlichem Leib und ein Wolf in Kutte; rechts eine dicke Sackpfeife auf Pantoffeln, Hornissen, Kröten, Heuschrecken, Käfer, eine Eidechse (?) mit Jesuitenmütze etc. links ein Eselshaupt mit Schulsack, hinten in ein Reptil ausgehend.

Unten in der Ecke rechts steht der Fastenfischfresser: er hat an der Seite ein Messer, einen ganzen Fisch im Vogel- schnabel, und andere stehen ihm überall aus dem Leibe her- vor. Ihm gegenüber nach der Mitte des ganzen Holzschnittes endlich sitzt Nasus mit VogelfÜssen, den Kopf ganz in einen dreibeinigen Hafen steckend, der halb umgefallen ist: im blossen aufwärts gekehrten Hintertheil desselben steht schräg eine an- gezündete Kerze, von der der t*alg (oder wie Fischart sagen würde, das Unschlitt) auf einen Haufen Menschenkoth herabträufelt

Rechts unter den Treppenstufen zum Rumpf kauert ein Mäuslein.

Wendeler, zu Fischarts BildergMichten. 311

lieber dem HolEschnitt liest man ohne irgendwelche Ein- fassung :

Die Grille Erottestisch Mfll/zu Romischer frucht.

Wie das Korn ist, so gibt es Mal: Wie solchs bezeuget diso prob Am Korn ist hie der gröste fill Welcbe zwar nicht ist wenig grob.

Unter dem Holzschnitt folgen Fischarts Verse ohne An- deutung seiner Verfasserschaft, dreispaltig; an den beiden Aussenseiten und unten umzogen von einer gewohnlichen und oft gebrauchten Tobinschen Einfassung.

Die Verszahlen und Spaltenbezeichnungen im folgenden buchstäblichen Abdruck rühren von mir her.

DAs Korn vnd M&l, Müller vnd Knecht Die reimen sich noch alle recht: Das Korn sich nach dem Müller art, Der Müller praachts Mal angespart An seine statt, das es nicht feur: 6

So kommts ainander alls zu steur.

Doch wandert michs Mftl so fast nitt

Als nur das Korn, das man aufschütt, Das, wiwol es scheint Ffaffengaistlich Dannoch das Mal würd Affenflaischlich, 10

, Vnd da das Korn schin hailig-ehrlich.

Das Mftl doch sieht so Höllisch gförlich Vnd wiwol es ist zimmlich alt Dannoch kain besser Mal nicht fallt.

Ich glaub, wers lang gelegen noch 15

Es wer einmal ausgflogen doch: So kommts noch zeitlich auf die Mül Das man sein falsche art da fül.

Das ander scheint nicht vngefügt,

Das so vil selsam Mal hie ligt, 20

Dan wo das Korn ist mancherlai Wie kann das Mftl sein ainerlai?

Wie maint man est, das müßte sein

Die Spreier, wann die kam herein? Solchs denk ain jder selbs mit fug, 26

Ich kenn das Korn am Mal genug.

Doch, wann sie zu sehr wollen schreien

So mus die Spreier vnd die Kleien Auch noch herfür, auf das man spür. Was scheuzlich Thir die Kutt nur führ, . 30

18. man] mau,

21

312 Wendeler, za Fischarts Bildergedichten.

[Sp. 2] Ynd was für Heuchlisch Flaisch thun decken

Die Schiltkrötthütlin, mit vir ecken, Ynd welche seien Chorsackpfeiffen Die auf ymm ainen Komsack pfeiffen,

Ynd die Altarhurmaus^ HSuschrecken, 35

Die- gstochen Schwein inn langen Röcken ? Ja wann man nicht der Leut verschont, Die Mönchsgestanks nicht sind gewont,

So müßt man sie nun beuteln strack

Inn aim Römischen Beutelsack: 40

Aber es möcht den Luft vergiften, ^ Dan die Eutt nie nichts guts that stiften:

Wie solchs Papst Pius selbs bekennt

Da er sie mit den Worten nent

Der Teufel wagt nicht In der Hollen 45

Was alte Weiber vnd Mönch anstellen.

Dis hat Papst Pius selbs gered

Eh er die Schlüssel gfunden hei, Dan er merkt das an Pfaffen« München Hilft weder das Maalen noch das tünchen: 50

Die Sau, sin Sau man nennen soll,

Sie gibt je, wie ain Schaf, kain WoU: Wann ja das Mal nichts taugen will Wie kan man das Korn loben vil?

Ynd wann das Mal nichts nuzt zum prauch 55

Wünscht mans dem Müller inn den Bauch: Demselben wünscht ich auch die frucht, Es ist fOr jn ain rechte zucht:

Dan wo er nicht hinkonunen mag

Da finden die plaz alle tag, 60

31, 32. Ygl. Jesuiterhütlein Y. 688 694: Kurz, Fischarts Dich- tungen n, 259.

39, 40. beuteln Mhd. biuteln, aUhen: Lexerl, 290. Ygl. Binenkorb 1688«, Bl. 38>» ff.: (Die römische. Kirche) ist vber die Yatter ... vnd alles was von jnen geschriben worden, das heuUU sie vor, vnnd behalt daruon die schönste Kleien. Bdgl: All schnfft mus durch die Eömisch sieb vnd beutdsack. Bl. 33^: Nun müsen wir die alten Yätter auch reutem vnd heutdn, Daemonomanie 1586, S. 31: nicht weiter jhn (L in) jren vrsachen durchretUem vnd erheiUelen. Flöh Hatz 1578, Y. 8402 (Kurz II, 90): dise Maidien Die euch (sc. die Flöhe) inn die Saichkachel beuÜen. Practic 1674*, Bl. F 3^: wann man sie im gürtlersack beutUt (sc. die Frau). Gargantua 1590, S. 372: Folgends gieng er auch hin, die Lugenpriviligirte tooribeuieUge Landfarer . . zu hören.

43 ff. Ygl. Kurz III, S. LIX.

Wendeler, zu FischartB Bildergedichten.

313

[Sp. 3] Weil dis geschmais sich hat yerklaid Inn ainen schein der Hailigkait,

Vnd sint doch reissend Wolf inwendig, Bas jnen billich ist zuständig Dis, da vnser HEBB Christus spricht, Das ßolch Gesind sei Ottergzücht, Vnd gtOnchte Gräber auf den Schein, Da doch innwendig Krotien sein: Ja Wolf vnd Püchs vnd Schlangensamen: Vnd wie es nennt Johan mit Namen Das jm Bömischen Babilon Der Trach mit siben Häuptern won, Vnd voll feindselig Vögel sei, . Voll vnrain Gaister, Hurerei:

So nun die Schrift dis Volk so nennt Welchs sich von Gots Wort hat getrennt So kan ich sie nicht anders taufen, Weil sie dis vbel täglich hauffen:

Wanns schon die Nas noch sehr vertrüs Vnd noch so sehr mit Nadeln stis Ist er doch auch ain solch Gesell Wie anzaigt sein Centonovell Vnd eben der den Hafen schleckt Dem aine Eerz im Hindern steckt,

65

70

75

80

70, 71. Vgl. Binenkorb 1588% Bl. 4*: 'Johannes von Saresboren, als er ein Bach schrieb, genant OhiurgaJtarium Clericorumy der Geist- lichen Kehrab, vnd ein anders FolicraJtictM genant, darinnen er die gantze Geistlichkeit sehr jämerlich vber die Hechel herholet . . Nennet auch den Papst einen Antichrist, vnn die Statt Born die Hur von Babylon ... Ja zur selbigen zeit war . . Petrus Bloiz, welcher öffentlich schribe: „Rom were das rechte Babylon^ daruon Joannes geprophecirt hat^': vnd die Officialien oder Hofdiener des Bömischen Hofes weren TeuffeUsche Harpyen, Raubvögel oder Greiffen: Vnnd die Pfaffen recht ESJber zu Bethel, Baals Priester, Egjptische Abgötterer, vnnd das zu Born alle ding vmb gelt feyl seien.

82. Des J. Nasus 'Centonovell' sind seine Sechs Centurien Evange- lischer WarheOen : Goedeke, GB. 385, 2.

84. Bei den Mahlzeiten und Festen des Teufels war nach dem Wahn- glauben jener Zeit eine solche Beleuchtung üblich: vgl. J. Baader, Zar Ge- schichte des Hexenwesens im Anz. f. Kunde der deutschen Vorzeit 1876 Nr. 8 Sp. 228. Nasus soll hier also als des Teufels G^enosse und Leuchte im Hexensabbat der katholischen Geistlichkeit charakterisiert werden, wie V. 86 doch wol ^ySchneiderdieck^'^ zu ergänzen und damit auch auf seine ursprüngliche Profession angespielt ist: das „was er riechen soll**^ ist {ipf dem Holzschnitte wirklich zu sehen. Anders heisst es in einer Band-

314 Wendeler, zn Fischarts Bildergedichten.

Der alles was er riecht vnd schmekt 86

Macht zu aim eiteln er mags riechen !

Hirmit benasch er die Mül wol,

Der Beutelsack bald folgen soll,

Dan man mus jm stäts etwas schicken

Weil die Figuren jn erquicken. 90

Unter der mittelsten Yerscolumne, innerhalb der Einfas- sung steht:

Anno M.D.LXXVIL

Fischarts Weise und Anspielungssucht spiegelt diese ^Grille* krottestisch Mül^^ auch ohne dass seine Yerfasser-

gloase des Binenkorbs 1688*, Bl. 10*: Wan Nas in Bruder Murnars Schelmenzunft den Kübel rürt, so riecht er kein Weirauch nicht. Vgl. dort den Abschnitt „den Dreck rütlen" und v. Meusebach in d. Allg. Lit Zeitung 1829 1. Sp. 489.

* Passavant III, 467 und nach ihm Andresen III, 46 lesen „JBn7/e Krottestisch Mül*', aber der verschnörkelte Buchstab ist doch wol ein G ich ziehe obige Form vor, weil Fiächart nur so das Werkchen an- führt. Sprachlich ist beides zulässig: „ein Thalmudische AUegori odei Grille vnd Prille'^ Binenkorb 1588*, Bl. 60», „andre Prülen vnd sonst Grillen Damit heut fest das Land erfüllen Die Frifmaler'* FlOhhaz 1678: Kurz II, 117, V. 79, „wann man mich für ein guten Prt7^reißer vnd 6rrt72«9i8cheißer außschreit**, Gargantua 1690, S. 38. £rt7/enrei8Ber, Schwätzer und Possenreisser: Grimm II, 383 Diefenbach und Wülcker I, 299. Nugator, gerro . . Ein schwetzer, ein lugner, ein merlenerzeller, brillenreifzer: H. Junius, Nomenciator rerum. 8. 1683 Bl. 368*. Grille s. V. a. Fantasterei, Thorheit, Laune, vgl. Binenkorb 1688*: „alle jre grund- lose tieffe speculationen vnd wunderfremde Gr%llen^\ Ebd. Bl. 92*: „spitzfindige Crrillen aus der winkelföget boten". Ebd. Bl. 174*: „all jr Fantasten werk . . . alle jre fremden Grollen vnd GriUen^\ Hier ist aber GriUe s. v. a. phantastisches und bizarres Thierbild, grillus (genus pic- turae: Plinius, Eist. Nat. 36, 10, 37 § 114), wie Gargantua 1690, S. 26: „weinsauffende Grillos" und 638: „gemalt vnnd vergult von selsamen fantastischen Thieren vnd Grillen''; vgl. Binenkorb 1688«, Bl. 121» Bdgl.: „Die Legentenbücher vnd vite Patrum sein voll solcher griüen vnd Feg- teuffel.^' 'Krottestisch' ist dagegen eine nähere Bestimmung des grillus, welche aus V. 68 genügend erklärt wird: ob formal nur eine Ad- jectivbildung oder noch ein Wortspiel mit testis vorliegt, wage ich nicht zu entscheiden. Dieselbe Form erscheint Daemonoroanie 1686, S. 178: „Lorentzo Spirto . . neben seinem Glückrad vnd vil* Regimenten Würfeln vnd seltzamen ChriUenkrottestischen Basiliscen, Igeln, Scorpionen, Ge- pratenen Hertzen, Mörfinnen vnd Mörspinnen die Heiligen Propheten . . einfahret, welche den Fantastischen Glficksfragem . . . jreh Fall sagen

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 315

scBaft auf dem Blatte irgendwie angemerkt oder angedeutet wäre^ erkennbar wid^r. Damit aber sein Litterator künftig ohne allen Zweifel sei, gedenkt der Dichter desselben aus- drücklieh und wiederholt im Binenkorb und Gargantua. Die Stellen haben Flogel und Yilmar theils notiert^ theils wenig- stens auf sie hingewiesen.

„Dann wie in der Grillekrottestischer Geystloser Mül zur Römischen frucht steht, so will die Spreier all- zeit oben schweben*, ynd wan man das boß kom nit bald malet, so fligets doch auß. 0 wie ein gut werck thet [der] Poetisch Kornwerffer derselbigen Mül, wann er (wie er daselbs der Nasen Terheißt) den Bomischen Bentelsack bald lise außgehn, gleich wie ers jhm mit beschreibung der Efauiter schiltkrotthütlein vnd Viereckechter Cor- nuthauben hat gehalten", Binenkorb 1588*, Bl. 33^ und dazu die Randglosse: „Die Geystlos Erottestisch mül, Wie das kom ist so gibts Mal, von Pickhart beschriben." ißbenso wie die Ausgabe letzter Hand hat schon die erste Ausgabe von 1579, Bl. E 3^, nur dass in der Randglosse hier das „von Pickhart beschriben" fehlt und dem Sachverhalt gemäss der auf das Jesuiterhütlein bezügliche Passus lautet „vnd beschrib die Schiltkrotthütlin mit den vier Ecken". 1580 hat wie 1579, jedoch 1581 und alle folgenden Drucke wie 1588.

Eine zweite Stelle steht 1588, Bl.267^: „Ihr solt auch vnvergessen haben, nicht ferr vom Binenkorb Bonen, die inn jhrer blüet stehen, zu haben. Vnd so jhrs jmmer kont, solt jhr machen, das nicht ferr davon ein Mül stände. Dann [268*] sie fliegen gar gern nahe bei den Mülen herumb. Also das mich wunder nimpt, das Pickhart, so die Crotestisch Romanistisch** Pfaffenmül vor kurtzer zeit hat auß ge-

müBsen." Gargantna 1690, S. 25 ist von „Grillischen Grubengrotteschi- schen, fantastLschen Krügen*' die Rede und S. 66 wird die ,,Pantagraeli- Bche Vorsagung** eine „Krotteschische Kluft- (d.h. Höllen-) grille** genannt: das ist doch wol eine Fischartische Verdeutschung von „grottesc**?? Vgl. jedoch Weigand, D. Wtb. P, 622 und Diez, Rom. Wtb.P, 226: grotta. * Der Humorist citiert hier wol nur ungenau aus dem Gedächtniss wie oft, wenigstens steht von dieser Eigenschaft der Spreier nichts in unserer Mühle; das folgende geht auf V. 16 ff.

** EamatUstisch s. v. a. papistisch: vgl. Fischart in der ,,BeBchreibung

316 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

legt, des Römischen Bienenkorbs darbei vergessen hat. A^er gewart, heißt nicht geschenckt." Randglosse: „Krotestisch Geißloß (1. Geistloß) mül." 1579 und 1580 drücken sich genau ebenso aus^ nur verhüllt Fischart in diesen beiden Aus- gaben (BL Hh 2* und 242*) seine Autorschaft; noch^ indem er statt Tickhart' der setzt: „.. mich wunder niint, das der, so u. s. w."

In ähnlicher Weise führt der Humorist sich und sein Werk im Gargantua 1590, S. 200 (zuerst 1582, BL M 3^) bei Besprechung eines wenig decenten Blattes an, das ich auf der grossherzogl. Hofbibliothek in Darmstadt wieder zu finden das Glück hatte: „aber der Socius machts zu grob, man solt jhm das Maul . . wischen: der machts höflicher, der sie (die PfaflFen) aus verlegenem Eorn malet." Und noch weniger deutlich a. a. 0. S. 548 (1582, BL LI 2*):

„0 weit von hinnen ....

Ir Faxsüsse, Pacemküssige Paxpriester

Ir Liebverdtister, jr kirch vnd Schulverwüster

Ir Formendängier, jr from mul from, nit im hertzen,

Ir Luxmundische ArßLaternenkertzen!^^

Die Stelle erhält Licht durch V. 84 der krottestischen Mühle.

Eine dritte Anführung derselben im Gargantua ist end- lich auch für die Geschichte des mir vorliegenden Blattes von Interesse, da dieselbe beweist, dass dieses in mehr als einer Auflage vorhanden war. Bereits die Geschichtschrift von 1.5.75 sagt nämlich BL A (1582 ebd., 1590, S. 25): „Sileni ... waren etwan die wundergstalte Grillische, gruben- grotteschische, fantastische krüg, laden, büchsen vnd häfen, wie wir sie heut in den Apoteken stehen sehen, von aussen bemalet mit lächerlichen, gecklichen, ja offt schrecklichen Heu vnd Grasteufeln wie sie aus Pandore büchs fligen vnd der Römischen Mül stiben,

gesellen die im hafen schlecken

vnd haben die kerz im hindern stecken."

Die beiden hier abgesetzten Verszeilen entsprechen der 83.

d. an d. König in Franckreich begangenen Meo^helmords 1589**, Kurz III, 378, 1.

Wendeler, zn Fischarts Bildergedichten. 317

und 84. unserer Mühle^ und es wäre mehr als wunderbar, wenn sie nicht zu ihnen in der allernächsten Beziehung ständen*.

* Ich möchte mir hier die Frage erlauhen, ob irgendwo ein grösseres Blatt des 16. Jahrhunderts existiert, Pandora in der oben von Fischart geschilderten Situation darstellend, vielleicht gar aus; Bernhard Jobins Verlag, oder doch mit charakteristischen Tenfelsfratzen und deutscher, französischer oder holländischer Erklärung?? Der Qedanke „der großen Hur von Babylon Wie's Sanct Johann abmalet schon, Das sie die König äff vnd geck, Die Armen aber poch vnd schreck, Das die Fürnemsten auff der Erden Von jhrem Giffb all truocken werden** (Gorgoneum caput bei Kurz III, 114, 9 ff. Offenbarung 17, 2; 18, 3; 19, 2) könnte wol damit verbunden sein, . . . vielleicht so, wie Albrecht Dflrer dieselbe nach Offenb. 17, 4: j,rj yvvij ijv nsQißsßlTifLSvrj noQtpvQa aal %o%%iv(p ... ixovaa %(^6ovv noxriffiov iv t^ Z^^9^ avtrig yifiov ß9BXvyiiMT(ov %al d%a- ^a^tiTTog'* als Mutter der Hurerei und GiAuel auf Erden dargestellt hat : Thausing, Dürer S. 188. gchäufelins Päbstin Johanna als Babylonische Hure (Dmgulin B. A. II, 21, Nr. 115) habe ich leider ebenso wenig ge- sehen als die von Bartsch XV, 35, 1 und 2: Passavant VI, 86, 92 und 93 angeführten Blätter. Indessen befindet sich in dem von Ebert, B. L. Nr. 23880 beschriebenen Buche (vgl. Wellers Ann. I 322 Nr. 159, Weigels Kunstkatalog Nr. 12248, Archiv für Littgesch. Bd. 4. 8.405 ff.; gedruckt ist dasselbe weder in Basel noch in Zürich, wenn auch Bl. c der „Bchneiderknecht*' der Bemer Predigermönche erwähnt ist) „Zurstönmg vnnd Niderlag deß gantzen Bapstumbs** Bl. a 5^ wol ein nach Schau- fel ins Entwurf ausgeführter Holzschnitt. Bücherholzschnitte ähn- lichen Inhalts beschreibt W. von Maltzahn im Bücherschatz S. 118 Nr. 757; 153, 944; 155, 962.

An unserer Stelle scheinen „die Heu- und Grasteufel wie sie aus Pan- dore büchs stiben** in Verbindung mit denen der Grillenmühle wirklich mehr als eine gelehrte, ob wol damals vielfach nahe gelegte Bemini - scenz ich erinnere z. B. an Leonh. Culmanns sonderbare Dramatisie- rung des Stoffs von 1544: Goedeke GR. 320, 272 vgl. Tittmanns Schau- spiele des 16. Jhdts. 1,110 , mehr als ein classisches dem Humoristen etwa wie uns heute geläufiges Citat zu sein. Auch anderwärts kömmt er wiederholt darauf zurück, Podagrammisch Trostbüchlin 1577, Bl. F 7^: „vnzalbarliche geschlecht der krankhaiten sind, deren merthails aus Pandare Hechsenpüchs sind gestoben , . . . aus der Fatalischen vnglücks- püchs . . . Pandorisch vngezifer'^; femer Kurz II, 269 V. 1071 ff., wo das JesuiterhÜtlein, welches die Teufelsfratzen zurichten (vgl. das Titelbild a. a. 0. 239), die „Neue Pandorae Büchs Eyne Grundsupp alles Ynglücks** genannt wird, ebenso Y. 579 ff.

Was mich endlich auf ein solches Blatt besonders begierig macht, ist die bedeutsame Rolle, welche die „Altora** Fischartische Ver- deutschung von Pandora: man erstaunt, wie wenig Kurz III, 432 den

318 Wendeler, za Fischarts Bildergedichten.

Der Holzschnitt selbst wird, wie die meisten der von Fischart mit erklärenden Reimen ausgestatteten, seit Passa- vant und Andresen dem Tobias Stimmer im Entwürfe zu- geschrieben, ob mit Recht weiss ich nicht zu entscheiden. Es ist mir aber au£ß.llig gewesen, dass ein von 1569 datiertes Blatt des Balthasar Jenichen aus der Beigabe des auch von Fischart an die Spitze gestellten, nicht gerade yolks- mässigen Spruchs wird man wol diesen Schluss ziehen müssen -^ den nächsten Anlass zu einer „krottestischen Mühle" ge- geben hat, welches seinerseits wiederum die keineswegs glück- liche Umgestaltung eines altem, der angeblich Stimmerschen Composition näher liegenden Holzschnitts ist. Ich meine die mir leider nur aus Andresens Peintre-Graveur H, 181 Nr. 255 bekannte ,,Narrenmühle"*, die doch zweifellos nicht bloss auf

von ihm heraasgegebenen Autor yersteht, nm so mehr als dieser gleich darauf von 'Formötig' und 'Obermötig', 'Prameäiew und EpitMÜ^/em spricht (III, 88, 47 ff.) in der deutschen Bearbeitung von Babelais* yielgemartertem zweitem Capitel spielt, ohne dass die Vorlage genügen- den Anlass hierzu böte. Oder will man das „magazin d'abus*^ der letzten Zeile dafür nehmen? Sonst finde ich eben die Pandora bei Babelais als ünglücksstifterin nur noch im 3. Capitel des 3. Buchs erwähnt. Wie dem aber auch sei, durch Einfügung dieser „Altera" in seine „Panta- gruelinische Vorsagung** ist Fischart um vieles verständlicher geworden, und ich irre darum wol auch nicht, wenn ich mir aus diesem Umstände die Beigabe eines Panclora-Bildnisses zur zweiten Oargantua- Ausgabe von 1582 an einer Stelle erkläre, wo die Ausgabe von 1590 eine Lücke in der Seiten^ihlung hat: Steinmeyer constatierte Wagners Archiv I, 225 diese Thatsache ohne sie zu erklären. Diese Pandora stammt nun aber aus Martin Holtzwarts Emblematvm Tyrocinia. Straßburg b. B. Jobin 1581. 8^ hl, E 1», wo sie mit der Ueberschrift ,^on ex aspectu, sed ex effectu'* als Emblema XXV auftritt Die lateinischen und deutschen Verse dabei sagen nichts wesentliches weiter^ nur die Grülenstiebung der Heu- imd Chrasteufd dort ist eine ziemlich lebendige: wäre es da nicht mög- lich, auch hier Beziehungen zu einem grossem Blatte vorauszusetzen, wie sie nachweislich bei einem andern Emblem desselben Buchs Bl. 6 mit der Ueberschrift ,^on in verbo, sed in potestaUf* bestehen, das uns den Esel als Bichter zwischen Nachtigall und Kukuk zeigt, also Fischarts „Gauchlob" (Kurz III, 64) in nuce reproduciert?? Die Be- ziehungen unseres Dichters zu Holtzwarts Buche sind bekannt.

* Andresen lag wol das am 18. Febr. 1861 bei B. Weigel verstei- gerte Exemplar Sotzmanns (I, Nr. 866} vor. Wo dies geblieben, lässt sich nicht ermitteln, da die Protokolle der Weigelschen Auetionen, wie

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. .319

dem Sprache Salomonis Gap. 27, Y. 22 „Si contuderis stultum in pila quasi ptisanas feriente desuper pilO; uon auferetur ab 60 stultitia ejus^^ sondern auch auf dem alten Holzschnitte des an Dürers Ehrenpforte Maximilians I. mitbetheiligten Förmschneiders Hl (Hieronymus Resch? vgl. Naglers Mono- grammisten III, 544 Nr. 1394: f 1556) beruht.

Erstere beschreibt Andreseu folgendermassen :

„Das Innere einer duir^h Wasser getriebenen Mühle, deren Rad rechts* sichtbar ist. Ein Müllerknecht schüttet aus einem Kübel kleine Narren in die Mühle, die ein zweiter links im Schiebkarren herbeifahrt: doch kommen die Narren wieder als Narren aus der Mühle hervor, was einen rechts bei der Mühle stehenden Herrn Wunder zu nehmen scheint. Rechts und links durch eine Thür geniesst man Aussicht in eine Landschaft. Rechts und unten steht an einer Bandrolle:

QVALIS . GRANVM . TALIS . FARINA . GLEICH . WIE . DAS . KORN . ALSO . GIBTS . AUCH . MEHL.*

15.6.9."

Der Holzschnitt des Meisters ffi (links unten das Mono- gramm) ist mit dem alten Holzstocke abgedruckt in R. Z. Beckers Holzschnitten alter deutscher Meister in Originalplatten gesammelt von Hans Albrecht von Derschau (I). Gotha 1808, Bl. G 4; er zeigt den grossen viereckichten Raum einer Wasser- mühle mit zwei Mahlgängen, von denen aber nur der obere in Thätigkeit ist.

Links sieht man durch die Oefihungen der Wand das Wasserrad, im Fond herankommende (beladene?) Pferde und rechts vor dem weiten gewölbten Eingange einen Bauern und sein Ross (?), das Kornsäcke trägt, deren Inhalt aber durch einen hervorragenden Kopf angedeutet wird.

Die Stufen zur Brücke zwischen den beiden Mahlgängen auf der Seite des Wasserrades steigt soeben ein Müllerknecht

mir Herr C. G. Börner in Leipzig gütigst mittheilt, beim Ankauf der Handlung nicht mit erworben und wahrscheinlich verloren sind.

* Das hier wie bei Fischart wiederkehrende Sprichwort ist sonst nachweisbar in H. W. Kirchhoffs Wendnnmuth, Frankfurt a. M. 1666 Bl. 388>>: ,,Wie das Eom ist, so geit es Mehl, Kein gut Leder ein faules Fehll" Ich finde dies von v. Meusebach angemerkt

320 Wendeler, za Fiscfaarts Bildergedichten.

mit einem Eomsacke empor, aus dem wiederum ein Eopf

mit Narrenkappe sieht. Auf der Brücke steht ein eleganter Herr und der Müller, welcher die Säcke aufbindet, oberhalb des Riipipfes dagegen der Einschütter. In diesem selbst ge-. wahrt man Narren mit geistlichen Insignien, wie auf Fischarts Bilde (Kreuz, Bischofsstab, Papstkrone, Brerier u. s. w.), unten aber im grossen Mehlkasten eine Menge )ieraus^emahlener, unterwärts menschenähnlicher (?) Fratzen mit Thierköpfen, die zum Theil die frühem Abzeichen behalten haben, wäh- rend die andern vor dem Kasten an der Erde .liegen: die Papstkrone, ein Cardinalhut, eine Bischofsmütze, eine Kette mit Kreuz, Breviere u. s. w.

Um den Mehlkasten herum stehen reich gekleidete Herren, ebensolche zu beiden Seiten des Eingangs, von denen der eine ein Buch in Händen hält; alle scheinen sich zu wundem. Zwischendurch auf den andern Mahlgang zu schreiten zwei weitere Müllerknechte, wol um auch diesen in Thätigkeit zu setzen; der eine hat in einem Tragfasschen ähnliches Kom. Unten rechts in der Ecke eine Kufe, aus der Schweine fressen. Auf den Säcken wie auf den Bücken der reich gekleideten Herrn ein gezacktes Rad*.

Da sich nun meiner Meinung nach kaum annehmen lässt, dass fast zu gleicher Zeit zwei Künstler über denselben alten Stoff gerathen seien, und dass noch dazu der doch ohne ^age geistvollere von ihnen (T. Stimmer) sowol die Idee des Mei- sters Sä als deren magern Abklatsch bei Jenichen benutzt haben müsste; so möchte ich lieber den Entwurf des Fischarti- schen Holzschnitts ebenfalls dem Balthasar Jenichen zuschreiben. Ein umgekehrtes Yerhältniss, etwa dass Jenichen nach Stimmer auch seine Mühle und zwar eine bibelgetreuere als dieser hätte liefern wollen, lässt sich nicht annehmen, weil Fischarts erster Druck wegen seiner hier in vollster Blüte stehenden Beziehungen zu Nasus schwerlich bis 1569 zurückgeschoben werden kann.

Aber auch ausserdem waren unserm Humoristen Motive zur „Krottestischen Mühle" in Fülle gegeben.

* Was bedeutet diesee? Vgl. Geschichtschrift 1676, Bl. B 4»: ,,Die Pfaffensön kein glück angaht, Dans Vatters platt saigt ja das Bad, Der Mntter spatt den Nachtschad.*'

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 321

Gottes Reich im Bilde einer Mühle zu denken ist deutschen Dichtem iFrüh geläufig: so Tirol von Schotten (Ph. Wackemagel, Das deutsche Kirchenlied II [1867] S. 73, Nr. 107*), Barthel Regenboge (a. a. 0. S. 255, Nr. 419; auch in einer Wiener HS., vgl. Goedeke GR. I, 226), dem Muscatblüt (a. a. 0. S. 491, Nr. 651) und einem anonymen des 15. Jhdts. (a. a. 0. S. 699, Nrr901). Fischarts Zeit mag hiervon freilich kaum etwas gekannt haben, wol aber das auf derselben Linie lie- gende, ursprünglich zweifellos niederdeutsche schöne alte Ge- dicht in ühlands Volksliedern II, 888,' Nr. 34 Ph. Wacker- nagel theilt a. a. 0. Nr, 1067 und 1069 auch zwei hochdeutsche, bereits ühland nicht entgangene Fassungen mit , welches Johan Winnigstedte 1552 „mit einer kurtzen glosen ver- kleret vnd ausgelegt"**, und die in der Reformationspolemik als angebliches Product unmittelbarer Antheilnahme des Volks bedeutsame, freilich erst in einem spatem Drucke so genannte „Beschrybüg der Gotlich- | en Müly, so durch die gnad gots angelassen, | vnd durch den hochberümptesten aller müUe I ren, Erasmum von Roterodam, das gotlich | meel züsamen geschwarbet^ vnd von dem trü | wen becken Martino Luther gebachen, ouch | von dem strengen Earsthansen be- schirmpt, | durch zwen Schwytzer pauren zum besten^ so I dan grobem vnd ruchem volck (alß sie genent | werden) müglichen ist beschriben. | Auch ist hierjn begriffen | ein

* Daniel wnnders mergescbach: Eine starke mülen er sach, Die lag an einem wage tief, Der under stein vaste Ümbe lief, Der ober knnde stille ligen: wie3 vmbe die mülen sie getan, Das wsere mir schedelich verswigen.

Da5 rat da^ an der mülen gat, Zwen tmt aibenzec kamben e^ hat n. s. w. Gemeint ist Daniels bekannte Weissagung auf Christus Cap. 10, 24 ff.

** „Das alte gedi- | cht, welchs man nennet | das Mülenlied, wider znsamen | gelesen, Vnnd mit einer kurtzen glo- | sen verkleret, vnd aus- gelegt, wi- I der alle die, so Christliche | gesenge nicht mü- | gen lei- den. I Durch Johan Winnigstedte, | Pfarherm zu Qued- | lenburg . . . ", AI— B6i>, in 12^ Unter der Vorrede an „Frawen Annen, des freien weltlichen Stiffts Gerenrode, Ebtischen, gebomen von Eitlitz,** etc. Bl. A3b: „Quedlenburg, am tage Andreae Apostoli, Anno 1562." Ein Exem- plar in Berlin (Hymnol. 2982. 8^), ein zweites in Wien : Weller, Ann. II, 209, Nr. 462.

322 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

kurtze anred zu allen mißgiln- | stigen der Gristen- | liehen Fry- I heit" Auf der Rückseite: „Diß hand zwen schwytzer puren gmacht | Fürwar sie hand es wol betraeht." und dar- unter ein kleiner roher 16^- Holzschnitt ^ ein Mühlengebäude mit Wasserrad in gebirgiger Gegend darstdlend. 8 Bl. in 4^, die Rückseite des letzten leer. BL B 4*: „Gedruckt zu Tü- bigeü." (!)*'

Charakteristischer und unserm Zwecke naher liegend ist der in den andern Exemplaren auf dem Titelblatte unter der Ueberschrift:

Das hond zwen schweytzer bauren gemacht Für war sy hond es wol betraeht.

erscheinende ursprüngliche 4^ - Holzschnitt mit dem Mono-

4!

gramm JQt

Links schräg gestellt das Mühlenhaus am Bach, der das Rad in Bewegung setzt, darüber in den Wolken Gott Vater mit der Weltkugel. Aus der offenen Giebelwand des Gebäu- des tritt der Mühlenapparat hervor. Ueber demselben steht

Weller, Rep. typ. Nr. 1734, vgl. Ann. II, 336. Der erste Druck dürfte der von Weller mit Nr. 1741 bezeichnete sein, in Berlin in zwei Exemplaren vorhanden und abgedruckt bei Schade, Satiren der Refor- mationszeit ly 19. Nr. 1742 kenne ich nicht, Nr. 1740 aber, wenn unser Exemplar in Berlin wirklich mit Wellers identisch ist dasselbe hat die Variante: . . beschickt steht zu Nr. 1743 durch die dort als Titel verwandten Worte, welche hier auf der Rückseite des Holzschnitts er- scheinen, in den andern aber gar nicht zu finden sind, in Beziehung. Supplement (Nördlingen 1874) S. 21 Nr. 184 hat Berlin ebenfalls (Yg 7569. 4^); Typen und Randleisten ergeben mit Bestimmtheit einen Druck HansSchönspergerszu Augspurg auf dem Weinmarkt oder doch seiner Zwickauer Filiale (Zwickau, Jörg dastel), wie Herr Dr, Jul. Schrader, der um die bibliographische Bestimmung und musterhafte Katalogisie- rung unserer Schätze hochverdiente Bibliothecar , schon vor Jahren er- mittelt hat.

Auf diese „Müly" bezieht sich Wellers Nr. 1744 und 1746, abge- druckt in Schades Satiren II, 160. In Berlin befindet sich Nr. 1746, nicht 1744, wie Weller. angibt; das Gedicht selbst ist schwerlich von einem „thurgö wischen Paur" verfasst, wie es behauptet: Terenz und Hesiod werden darin citieit, vgl. Schade S. 344.

Wendeler, zu Fischarts ßildergedichfett. 323

Christus^ aus geöffnetem Sacke auf der Schulter das Korn seiner Lehre, vorauf die Taube des heiligen Geisteä, in den ßumpf schüttend, in dem bereits die Evangelisten, kenntlich gemacht durch ihre Attribute (Thiere, Schwert) sichtbar sind. Aus der Pforte des runden Steinkranzes' kommt unten das Mehl hervor als Bandstreifen *Glaub', 'lieb', *Hoffnüg', *terAe' (1. Sterke)* liest man darauf , welches Erasmus**,

(148) der sich des malens angenommen Der hayligen gschrifft müllerknecht So vns das mel leer(t) beutlen recht Mit seinen gschrifften manigfalt, Das es sein süssen gschmack behalt ....

mittels einer kurzstieligen Schaufel in einen, das schon er- wähnte Monogramm zeigenden Mehlsack thut, über dessen Oeffiiung wiederum die Taube des heiligen Geistes schwebt.

Rücken an Rücken mit Erasmus steht ein Mönch in Tonsur und Kutte, welcher aus einer Kufe mit der Inschrift „Luter'^ vor ihm das aus dem lautem Mehl der göttlichen Wahrheit gebackene Brod in Buchform nach rechts hin an einen Haufen römischer Geistlichkeit auszutheilen beflissen ist. Aber diese (unter ihnen ein Cardinal, ein Bischof, ja sogar der Papst mit dreifacher Krone und doppeltem Kreuzstab) wollen nichts davon wissen, vielmehr: „Ban ban!" krächzt über ihnen ein hinterwärts In eine Schlange ausgehender Vogel.

Jedoch in 'der Mitte des Bildes mehr nach hinten zu weiter zurück gestrüppbewachsene Felsen erscheint der Bauer***, seinen Dreschflegel gegen diese eigennützige, herrsch- süchtige, die Welt verdummende Pfaffengesellschaft schwin- gend, die den Luther zu verderben trachtet:

* Der Holzschnitt der (Berliner) Nr. 1740 ist sicher nachgeschnitten, das ergeben schon die hier kaum lesbaren Bandinschrifben, vgl. anch nachher „Earsthans'S „ban ban**. Noch mehr gilt dies von dem SchÖns- pergerflchen Druck. Uebrigens besitzt das kgl. Eupferstichcabinet anch ein einzelnes Blatt der ersten Abdracksgattung (Buchaasschnitt). *** „Era8m9" steht auf dem linken Aermel seines Talars. *** f^arsthäs'* lautet die Ueberschrift in Nr. 1741, sonst ausgeschrieben „Karaihans".

324 Wendeler^ zu Fischarts Bildergedichien.

(209) Karsthans seynen pflegel noch hat, Der die haylig gschrifft yetz auch verstat; Welt man jn betriegen wie vor, So ist er so ain grober thor Er schlüge mit dem pflegel drein n. s. w.I « Dieser Holzschnitt von 1521 athmet die ganze Kraft und

Siegesgewissheit der bis in die untersten Schichten des Volks gedrungenen^ unverbrauchte Kräfte befreienden^ aber auch nothigenfalls vor ihrer Entfesselung nicht zurückschreckenden neuen Lehre. Es ist ein Stimmungsbild^ geschöpft aus voll- ster Unmittelbarkeit; das jene aufgeregte Zeit mit ihrem Glau- benseifer, ihrer Ueberzeugungstreue, Zuversicht und Energie, aber auch die nahe Gefahr frevelhafter Missleitung und unver- ständiger Ausartung deutlich widerspiegelt.

Wir haben wol noch psdckendere Flugblätter und Schrif- ten damaliger Tageslitteratur, wenigstens volksmässigere die Verfasserschaft der beiden Bauern mochte eben etwas zweifelhaft sein , insbesondere solche, in denen zum Ernst der Gesinnung sich der Form nach auch die Komik gesellt, der vernichtende Witz der freilich nach heutigem Gefühl oft an Roheit streifenden Satire '^: aber ich meine doch, schon dieses noch allen rhetorischen Aufputzes entbehrende Stück ist geeignet den Unterschied und Abstand deutlich zu machen, welcher zwischen der Polemik der ersten Reformationszeit und der spätem wahrhaftig nicht zum Vortheil der letztem besteht. Wie frostig und kleinlich ist angesichts dieser „Pfaffenmühle'' das Allegorienspiel Fischarts in der seinigen!

Nicht dass es ihm an evangelischer Glaubensinnigkeit und Ueberzeugungstreue fehlte, nicht dass er von der Nichts- nutzigkeit und Heuchelei der romischen Kirche und ihrer Lehre weniger durchdrungen gewesen wer wollte das von dem spätem Bearbeiter des Binenkorbs behaupten? : aber die Höhe seines Standpuncts reicht nicht im entferntesten

* loh darf hier wol anf die immer noch lesenswerthen, obwol den vorhandenen Reichthnm auch nicht von fernher andeutenden Ansein- andersetzongen Karl Hagens im 2. Bande seiner Litterarischen und religiösen Verhältnisse Dentschlands im Beformationszeitalter S. 176—227 verweisen.

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichtcn. 325

an den jener angeblichen Schweizer Bauern heran, die ohne Rücksicht auf bestimmte Personen nur das Gesammturtheil einer mächtig bewegten Zeit über, Jahrhunderte lang ver- ehrungswürdig erschienene Träger religiöser Formen, wie es sich plötzlich geklärt, einfach verlautbaren, während er über den Eindruck personlicher Rancane, ja den eines littera- rischen Klopffechters, der seinem minder gewandten Frater Nasus wieder einen neuen Hieb zu unzähligen andern versetzt, nicht hinaus kömmt.

Wie also im~ ganzen, so fehlt es andererseits auch in Ein- zelheiten der Mühle Fischarts nicht an Vorbildern oder Vor- gangem. Es darf dieses um so weniger auffallen, als der Dichter sich bei seiner grotesken Schilderung der Römischen Geistlichkeit ihrem wahren Wesen nach an biblische Vor- stellungen, vornehmlich an die Beschreibung des falschen Propheten und heuchlerischen Pharisaeers in der bilderreichen, zu künstlerischer Verwerthung geradezu herausfordernden Sprache des Orients anschliesst« Sein Hauptmotiv (V.'67, 68) ist aus Matth. 23, 27 in Verbindung mit Oflfcnb. Joh. 18, 2 und 16, 13 genommen*; Kröten, diese giftigen (Daemono- manie 1586, S. 380), gierigen (Wolfs Zs. f. Deutsche Mytho- logie I, 362) und unreinen Thiere (3i Mos. 11, 29), welche im Hexenwes'en seiner Zeit als Attribute des Teufels (R. Hilde- brand im D. Wb. V, 2417, e, f) eine bedeutsame Rolle spielen, verstand Fischart wol an letzterer Stelle unter den Jtveviiara xQÜc dxa^a^a ofioia ßatQcixoig, welche aus dem Munde des Abgrundsthiers** und des falschen Propheten hervorgehen, zumal sie (16, 14) als Ttvsv^ata dac^6v(ov bezeichnet wer- den und ihm deshalb für seine „scheußlichen Thiere in der

* Zu Grillenmühle V. 61, 62 vgl. ooch Mattb. 28, 26 nnd 28, za V. 63 Matth. 7, 16, zu V. 66, 69 Matth. 23, 33, zu V. 71, 72 Ofifenb. Job. 13, 1 ff.; 17, 8, 9, zu V. 73, 74 Offenb. 18, 2; 16, 13, 14.

** Vgl. Kurz III, 118, 17: „Das gekrönt Abgrundthir, Das Stulthir, 80 Frosch speit herftlr." Kurz II, 269, 688 sagt der Teufel im Jcsuiter- hütlein: „auf dem Stul das Thier, Welchs durch mein krafft speut Frosch und Krotten . . . Daher wird auch genant diß Ghürn Schilt- Ä:ro^hütlein vnd Krottenschirm'^, sc. das Jesuiterhütlein, für dessen Ver- herrlichung Fiachart schon mindestens 1677 sich interessierte: s. Grillen- mühle V. 32.

Abchiv f. Litt.-Oxboh. VII. 22

326 Wendeler, zu FiBcharts Bildergedichten.

Kutte" (V. 30), die der Teufel auf seiner Mühle enthülste, als Gattungsbegriff besonders passen mussten.

Auf eine Erörterung über die Verwerthung der Thiere in der religiösen Polemik und Satire des 16. Jahrhunderts auf litterarischem wie künstlerischem Gebiete seit Wolgemuts Roma Caput mundi 1496"^ führt der deutsche Holzschnitt mit diesen Mitteln einen in seiner Bedeutung für die ungebildeten Massen, die nicht lesen konnten, keineswegs zu unterschätzen- den Kampf kann ich mich hier natürlich nicht einlassen; ich verweise aber darauf, dass der in der Pfaffenmühle zur Anschauung gebrachte Gedanke, welchen damals die mit dem Abschluss von Seb. Brants Narrenschiff anhebende Metamor- phose der Narren auch sonst in Bild und Wort vielfach ver- arbeitete, im speciellen vor unserm Dichter schon von min- destens zwei Künstlern zu einer Satire auf das Papstthum benutzt wurde, nämlich in Kupferstichen Melchior Lorchs und Peiter Gottlands.

Das mir aus dem königl. Kupferstichcabinet in Berlin bekannte Blatt des erstem' (Passavant IV, 182, Nr. 27) in Grossquart zeigt die in die Flammen des Purgatoriums ver- sinkende Papstfigur als grossen wilden, dabei behaarten und geflügelten Mann mit langem Affenschwanz und Thierohren, in der linken Faust einen zerbrochnen Schlüssel, in der rechten ein mit der Wurzel uusgerissenes, oben in ein dreifaches Kreuz ausgehendes Bäumchen, auf dem zottigen Menschenhaupte, das hinterwärts (die Figur ist halb en profil gestellt) in einen Katzen- oder Löwenkopf mit glühenden stechenden Augen ausgeht, die dreifache Papstkrone, zu oberst als Spitze mensch- liehe Excremente. Nach rechts hin speit dieses Ab- grundsthier (OSenb. 16, 13) in breitem flammendem Strom allerlei Ungeziefer hervor Kröten, Eidech- sen, Schlangen, Hornissen, Vögel und anderes phan- tastisches Gethier.

Unten in den züngelnden Flammen die Häupter der im Läuterungsprocess begriffenen Seelen, rechts aber, nur dem

* Auf dem kgl. Eapferstichcabinet zu Dresden; vgl. hierzu Thau- siug im Leben A. DOrers S. 185 ff.

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 327

Obertheile nach sichtbar und von der Spitze des schon er- wähnten Schwanzes umringelt, an dem auch noch, eine Bulle mit vielen päpstlichen Siegeln hängt, ein kleineres, ebenfalls zottigös Monstrum mit Armen und krummem Vogelschnabel, der aus einem runden Kranze her vorsieht (dem ÖoUenkrater?); ein Mann mit Bischofsmütze wird eben von diesem Ungethüm verschluckt, der vergebens seine bittenden Arme nach dem wilden Papstmenschen ausstreckt.

Auf der gleichfalls mit kleinen Thierfratzen be- säten Bulle liest man in grossen Buchstaben:

Hebt . evch . got . vndt menschen . ferren. Ich . vndt . tevffel sindt . die . hern.

Dagegen links oben, durchweg mit grossen Buchstaben:

AI ander herschaft ist von got Zvr hvlf dem menschen in der not On satan vnd sein bepstlich rot Seindt hern zv stiften svndt vndt todt Der babst heist recht der wilde man Der dvrch sein falsches (!) schalckes ban AI vnglvck hat gerichtet an Das got vnd menschen nicht leiden kan.

1Ö4Ö . MART . LUTHER . D .

Das Monogramm des Meisters iW steht über der Spitze des Papstkopfes.

Den Kupferstich Peter Gottlands beschreibt Passavant IV, 57, Nr. 7; ein Exemplar besass Drugulin, B. A. 11, 22, Nr. 121.

Das Christkind ist darauf als S. Georg zu Pferde im Kampfe mit dem Papstthum, das als Ungeheuer mit drei Köpfen einem Papst-, einem Türken- und einem Kinds- kopfe* — sich am Boden windet, während aus einer durch den Glaubensspeer geschlagenen Wunde Schlangen, Kröten

* Eine ähnliche Papstfigur mit drei Köpfen in der Mitte das Hanpt mit der dreifachen Krone, links ein Kinds- nnd rechts ein Türken- kopf — auf einem andern, von Passavant IV, 182, 28 flüchtig beschrie- benen Kupferstich Melchior Lorchs in Berlin (Kupferstichcabinet). Dieselbe Idee ist verwandt in einer Dichtung über das Interim: v. Lilien- cron, Mitth. a. d. Geb. d. öffentl. Meinung (IL 1874) S. 38, 6.

23*

328 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

and anderes Gewürm hervor kriechen. „A droite, une eglise renversee avec Finscription: Collapsa ecclesia Pa- pae. Dans un des caveaux de Tedifice on aperfoit plusieurs documens avec le titre de ABLAS BRIF et^ ä cote^ un moine a tete d'animal et un cardinal. Dans le fond^ la ville de Wittenberg, Ton voit une prinoesse ä genoux en priere et a cöte d'elle un agneau. A la droite, Dieu le pfere avec le Christ, puis une inscription de deux lignes: Bestia sacra triceps etc. 1552. Le chiffire est ä la droite du bas."

Schliesslich eine Frage.

E. Rosenkranz führt in seinem anregenden Aufsatze „Die Bilderlitteratur des deutschen Volkes" (Zur Geschichte der deutschen Litteratur. Königsberg 1836) S. 255 flF. als moderne Bilderbogen auch Männer- und Weibermühlen an, in welchen die Runzeln abgeschliffen werden und der ganze Mensch nach Erduldung dieser schrecklichen Procedur in Jugendfrische wieder aufersteht: „In Wagen und zu Pferde, auf Karren, an Stricken führen die Männer ihre Weiber, die Weiber ihre Männer herbei. Oben werden die Alten auf- geschüttet, unten erscheinen sie wieder verjüngt und werden mit zärtlichen Küssen und Umarmungen empfangen.^

Es wäre mir interessant und für meinen Gargantua- Commentar wichtig zu erfahren, ob diese Jahrmarktsblätter wie die meisten der Art ein älteres Vorbild, vielleicht gar schon im 16. Jahrhundert haben, etwa als Darstellung eines „Fastnachtsbutzen^, der in dieser lustigen Zeit gefallen und darum auch später noch auf Literesse rechnen konnte??

Ich kenne mehre derartige Blätter, sogar solche mit Versen des Hans Sachs, aber leider keine Mühle für die Runzeln alter Weiber und Männel:*.

* Herr J. F. Wessely, der auch auf die FlngblaitHtteratar achtende bewährte Kunstschriffcsteller, erinnert sich, wie er in der Sonntagsbeilage Nr. 23 2ur Vossiachen Zeitung vom 10. Juni 1877 (Verjüng^ngsmittel, culturgeschichtliche Studie II) erzählt, wenigstens eines alten Oelbildes im Vaterhause, welches „das Innere einer Getreidemühle vorstellte: alte Weiber wurden oben wie Getreide aufgeschüttet und kamen unten als junge Mädchen ^junggemalen' wieder zum Vorschein**. Dagegen besitzt das Gothaer Kupferstichcabinet und die Berliner Bibliothek in Libr.pictur. B. 85 Fol. einen

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 329

Was mich hier auf einen Fastnachtsbutzen bringt, ist die Datierung Fischarts unter der Vorrede seiner „Geschicht- klitterung" von 1590, S. 16: „Geben auflF den Euntzel Son- tag in voller Fantast Nacht wenn man die runtzeln mit Erbsen abreibt." Denn letzteres war doch wol eine Fast- nachtsprocedur?

Die sonstigen Variationen der „Runzelmühle" öind mir einigermassen bekaimt*, der „Jungbrunnen", der „Feuerofen"

Eupferstich des 17. Jahrhdts. Panlus Fürst JSxcud. liest man unter dem Typentext mit der üeberschrift: „Eünstliqhe Winnd-Mul: \ Auff welcher mann die Alten: sowol auch sonsten Hesßlich vnnd Vngestalten Weiber widerumb gantz Schön vnd | Sauber durchmallen, vnd herauß Beiteln kan. I " Darunter die Windmühle im Vordergrunde einer Landschaft. Rechts fährt eine Kutsche mit alten Weibern heran, links kommen solche auf Krücken und Karren. Ein Knecht trägt sie die Treppe hin- auf, ein anderer schüttet sie in den Rumpf, und die jung gemahlenen fallen durch ein Loch der Mühlenwand in jugendlichem üaarschmuck und reicher Kleidung auf die Erde, wo sie sofort von modischen Cava- liereu das Costüm ist durchaus das des 17. Jhdts. artig in Empfang genommen werden. Ein Kahn mit jung gewordenen fährt links der Stadt zn. Darunter steht: „Zu wissen sey hiemit allen Männern, so gar Alte: oder sonnsten Hesßliche Vngestalte Weiber haben, daß alhier gegenwertig an- | kommen ist Ein künstlicher Müllner, welcher mit sich hier zugegen gebracht hat Eine Künstliche WinndMüU, auff welcher | man die Alten: so wol auch sonnst Häsßlichen Yngestalten Weiber alle wider gantz schön vnd Sauber Mallen vnd herauß Beiteln | kan, daß Sie alß- dann ihren Männern wider gantz anmuttig vnd erfrewlich zugestellt werden. Welcher Man nun also ein solch | Hesßlich Weib hat, der kan sie alhier (.wie diese Figur weisset.) umb ein geringes Geldt wider schön vnd Sauber bekommen | vnd mag alßdann sein Lust vnd Freud mit Ihr nach seioeu willen haben vnd genüesen so gut er kan. Wor- | nach sich ein Jeder bedürfftiger zu richten hat."

* Jungbrunnen (vgl. über solche in Dichtungen Val. Schmidt, Märchen des Straparola (1817) S. 276 ff., Dunlops Geschichte der Prosadichtungen ed. Liebrecht S. 129»; das Gedicht des Hans Sachs vom 5. Novbr. 1557 bei von Keller IV, 441): Kupferstich aus der Schule des Meisters von 1464, Passavant 11, 26, Nr. 46 in Berlin, vgl. Passavant II, 211, 6 zu Bartsch X, 42, 6; ein italienischer anonymer Kupferstich von 1511, Passa- vant V, 227, 1; ein Gemälde Hans Holbeins in Lucem, Woltmann P, 14*2; ein Gemälde des Lucas Cranach von 1546 in Berlin, Schuchardt II, 18, 23 vgl. I, 307 ; der bekannte Holzschnitt Seb. Behams, Passavant IV, 78, 165 vgl. Rosenberg, H. und S. Beham S. 65 ff.'; 131, 272; und nach ihm Th. de Brys Kupferstich, Andresen Handbuch I, 200, 7. GM-

330 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

und die „Schmide"; auch einen grossen Holzschnitt von drei breit geklebten Blättern, das abschleifen eines Narren

Öfen, in denen Weiber oder Männer jung gebrannt werden: ausser dem von J. E. Wessely in der schon erwähnten Sonntagsbeilage beschrie- benen Blatte des kgl. Kupferstichcabinets in Berlin mit böhmischen Versen kenne ich denselben Holzschnitt in Gotha (Xylogr. 13, Nr. 88) mit deutschen Versen und ein anderes ähnliches Blatt, in dem alte Männer jung gebrannt werden, in zwei Exemplaren (ebd. Kr. 65 und 84), ebenfalls mit deutschen^ aber in den beiden Drucken etwas abweichen- den Versen des Hans Wolgemut. Die drei Gothaer Blätter tragen die Adresse des „Anthony Formschneider zu Augspurg''. Endlich die Schmidesse, in der eiu judl^er Schmid vergebens ein altes Weib jung machen will, alter Holzschnitt des 15 Jahrhunderts, links in der Ecke der Name des Künstlers: Georg klogkSdö, d. h. Glockendon. Das kost- bare Blatt befindet sich ebenfalls in Gotha «» Xylogr. 13, Nr. 176. Die beigegebenen Verse sind nicht die des Hans Folz in seinem Spruche „Von wannen die Affen kommen", Haupts Zs. f. deutsches Alterthum VIII, 537 ff., obwol sie denselben Stoff behandeln, noch weniger natür- lich die des Hans Sachs IV, 3, 69, sondern lauten:

Durch die gschrift hob ich vernommen

Von wann die äffen sein komen.

Do got vff erde mit petro ging

Vnd manche arme herberg empfing.

Eins tags kam er zu einem smit, 5

Der tet j/m schon do, liefz got nit:

Er prant dem schmid^ sein altes weip

Tn seiner efz, das gantz ir leip

Ward iung vnd starck on alles gefar,

Als ob sie were XV iar. 10

Darnach der smit sich des nam an.

In haucht, er hett gelemet schon.

Die wäre kunst von vnserm ?ierrn,

Vnd nam ein altes weip on gefern

Vnd hett sie vmb den köpf verprant; 15

So pald das weip der hytz empfant,

Do sprang sie auf vnd liefz sich schawen:

Do pey stunden schwanger frawen

Sie sahen iren anplick wild,

Dauon verkeri sich menschlich pild; 20

Ale ire kinder, die sie hciben geporen.

Sein alle zu Jungen äffen worden.

Diese Verse stehen fortlaufend ohne Abtheüung in einem durch Striche abgegrenzten Raum rechts oben quer über zwei Drittel des Querfolioblatts; ich habe nur die Interpunction hinzugethan.

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 331

darstell eüd*, fand ich unter den reichen Schätzen der her- zoglichen Bibliothek zu Gotha ^ deren Durchmusterung und monatelange Benutzung mir Herr Professor Pertsch mit liebenswürdigster Bereitwilligkeit gestattete.

Darunter die Schmide, in welcher der Schmid mit erhobenem Hammer neben dem Amboss steht, das alte nackte und überaus häss- liehe Weib in der Esse beim Fuss packend, mit der Inschrift:

Gib zu dem prennen deine gtmst:

Ich mach dich iung, mir feie dann mein kunst!

Unter dem alten Weib liest man:.

0 we das du ymmer werdest geschent! Du woltest mich haben zu ptUfer geprennt.

Links daneben steht die schwangere Frau, sich entsetzend:

Du hest die kunst nit wol geUrt,

Ir menschlich gestalt hat sich verkert!

Hechts in der Ecke: Christas und Petrus und daneben senkrecht ein Spruchstreifen in Einfassung, wie alle vorhergehenden:

Der smit hat mir gedancket nicht

Meiner kunst, darumb ym die abentewr beschidU.

In der linken Ecke spielen zwei junge Affen.

Uebrigens existiert auch von HansHechler Ein hüpsch new Spil, wie man alte weyber jung schmidet, Augspurg durch Heynrich Steyner 1540, Goedeke 6B. S. 303, 76 und dazu Weller, Annalen II, 362.

* Hie her wol mit den groben Knollen,

AU die geschliffen werden sollen. Es sey Knecht, Meyd, Fraw oder Man, Gar künstlich ich sie sMeiffen kan.

Diese Ueberschrift geht quer über den langen Streifen, darunter Gruppen in grossen Figuren: zuerst der Schleifstein von einem Knechte gedreht^ Meiftter und Gehilfen schleifen einen Narren darauf ab; dem- nächst ein Herr^ der seinen bäurischen Diener an der Bluse dem Schleifer zufuhrt, femer die Frau, welche die Magd holt, dann der alte Sauf- bruder, der den jungem Gumpan herbeischleppt, zuletzt ein alter IM^nn im Pelz, dem sein Weib einen Stoss nach vorwärts gibt. Zwischen der zweiten und dritten Grappe ein Baum, an dem eine Tafel mit dem Monogramm 1545. J. G, hängt. Die Mittheilung der darunter befind- lichen Verse behalte ich mir für eine passendere Gelegenheit vor (=» XyL 13, Nr.. 260).

332 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

IL

Kunkel- oder Rockenstube.

Die erst im 15. Jahrhundert nachweisbare^ aber sicher noch weiter zurückreichende Sitte,* dass Frauen und Mädchen ,,ymb Ersparung willep des holtz vnd Hechts, mit jrer gspunst oder andrer arbait, erbarer guter Mainung'', wie eine alte Land- ordnung treuherzig supponiert, an den langen Winterabenden auf dem Lande bald hier bald dort zusammenkamen, hat früh, eben weil sich das männlich^ Element, insbesondere das junge, davon nicht ausschliessen liess, zu allerlei Ausschreitungen und Ungehbrigkeiten Veranlassung gegeben. Schon zu Anfang des 16. Jahrhunderts glauben die Hüter der öffentlichen Ordnung in Bayern, Schwaben und Elsass nur mit generellen Verboten** der Spinnstuben dagegen aufkommen zu können, und aller- dings scheint nach dem, was wir davon erfahren, die mindestens zur Fastnachtszeit Nuditäten und Obscoenitäten gegenüber doch sehr unbefangene städtische Bevölkerung den Verkehr der Ge- schlechter, wie er sich hier bei den „Dörpern" entwickelte, denn doch mehr als frei gefunden zu haben.

Mir liegt in einer Handschrift der Berliner Bibliothek, welche der Nürnberger Kaufmann Paul Geiger im letzten Drittel des 16. Jahrh. zusammengebracht hat***, eine hierfür

* Mit dem Umsichgreifen wolfeilerer F^brikproduction kommt das spinnen immer mehr ab, und darum werden die erhaltenen Spuren jener „traulichen Dorfkränzchen'*, wie noch Schmeller sie nennt, immer spär- licher; z. B. sind die Spinnzusammenkünfte hier in der Mark fast ganz verschwunden, während sie in abgelegenen Gegenden Pommerns und in den Dörfern der Lüoeburger Heide noch in alter Weise bestehen. Bei uns vereinigt man sich höchstens noch zum „braken** (Flachs brechen). Vgl. Birlinger, VoIksthOmliches aus Schwaben II, 4S0>-4d6, und Aus Schwaben II, 353 --»373.

** S. Schmeller, Bayer. Wb. I », 924. U «, 47. Birlinger, Volkathünü. II, 466 und R. Hildebrand im D. Wb. V, 2661 u. d. W. KunkelhauB, auch V, 2668, 3».

♦** Msc. Germ. Fol. 442. Bl. 4^— 6«. Die Handschrift gehörte früher Kiefhaber, dann von der Hagen und enthält eine iSammlung interessan- ter Zeichnungen in Farben, hauptsächlich zur Geschichte des Nürnberger Schembartä, ausser den Läufern auch sg. Fastnachtsbutzen (hier „Hell"

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 333

recht instructive, wenn auch nicht sonderlich geschickte „Abbil- dung einer sogenannten Rocken- oder Spinnstube | auf dem Lande, mit Belustigungen in langen Winterabenden'^ eine 32 cm. hohe und 37 cm. breite, leider etwas beschädigte Zeich- ^ nung in Wasserfarben, vor.

Dieselbe stellt eine übergrosse Bauernstube dar. In der obem linken Seite befindet sich der grosse Kachelofen, auf dem jemand zu nächtigen scheint, wenigstens hängen zwei blosse Beine herab: darunter auf der Ofenbank kost ein junges Paar, während auf der andern Seite des Ofens auf der sich« herumziehenden Bank, das blosse Hintertheil an die Kacheln gedruckt, eine resolute Bauerdime steht und lachend den ihr zueilenden Galan abwehrt, welcher ihr beim schäkern wol eben das hintere Kleidungsstück herabgerissen.

Unter dem erstem Paar eine grössere Wanne, in die soeben zwei kleine Schweine zu steigen beflissen sind, und weiter zurück der Kükelkorb mit der Qenne davor: zwischen durch stürmen junge Bursche, zum Theil einander rittlings auf den Schultern tragend. Ganz unten in der linken Ecke ein Tisch mit trinkenden uud kartenspielenden Bauern, auch zwei Mädchen sitzen dabei, die eine in den Armen eines jungen Burschen; Brod, Messer und Licht zwischen den be- reits Buf dem Tische eingeschlafenen oder den schweren Kopf stützenden.

Rechts zunächst versteckspielende Kinder: der Knabe birgt sein Gesicht im Schosse der Mutter, das Mädchen schlägt ihn vor den Hintern; andere grössere Kinder und Burschen herum.

genannt): so findet sich Bl. 29* ein phantastisches Thier auf einer Schleppe, Bl. 46* eine Burg, Bl. 47* ebenso, Bl. 52* ein Elephant mit Eanonenthurm, Bl. 63* wieder eine Burg mit sie vertheidigenden Teufeln , Bl. 64* ein Schiff, Bl. 66* ein Basiliscus, Bl. 66* ein Narrenfresser, Bl. 68* ein phantastischer Bau, Bl.69* ein dftiköpfiges Ungeheuer, B1.60* ein Wirthshaua, B1.61* eine Wasserhöhle, Bl. 62* eine Kanone, Bl. 63* eine Mühle, Bl. 64* ein Men- schenfresser u. s. w., zum Theil dieselben Gedanken in verschiedener Aus- führung. Bl. 65^ ff. ein Schwerttanz und viele ähnliche Darstellungen, Bl. 111 ff. Turnierkämpfer, Bl. 162 ff. Nürnberger Tänze, endlich B1.166ff. schöne Wappen, die nach Eiefhabers Notiz „Veranlassung und Grundlage zu dem grossen Siebmacherschen Wappenbuche gewesen^\ Auf dem alten Leder bände der HS. ist die Jahreszahl 1683 eingepresst.

334 Wendeler, za Fischarts Bildergedichten.

Weiter nach der Ecke zu^ zum Theil abgesclmitten, ein auf der Erde liegendes Paar in bedenklicher Situation, darüber etwas entfernt ein anderes: das Mädchen ist nach links ge- fallen, die Beine hoch haltend ihr gegenüber an der Erd^ sitzt der Tänzer mit nackten Füssen , lachend dem Unglück seiner schönen zuschauend. Zwischen beiden Gruppen tanzt noch' aufrecht ein Paar und ein zweites weiter oberhalb der Mitte ZU; wo die Hauptcolonne bunte Reihe machend mit Vor- tänzer und Sackpfeifer, gerade wie schon im Mittelalter nach den Fresken des Schlosses Bunkelstein in Tirol*, etwas weniger toll „den Tanz tritt^^ Dahinter aber schwärmen noch einzelne Tänzer und Tänzerinnen, zum Theil die Rocken in der Hand, und zwischen durch stürmen ' die schon erwähnten Burschen „huckepack^^; nur ein einsames. Paar sitzt links da- neben, wie es scheint, mit Kohlrüben beschäftigt

. lieber all diesem treiben im Hintergrunde hoch an der Decke sieht man eine Schlafkammer und darin den nackten Oberkörper eines jungen hübschen Mädchens, das die aus- gezogenen Kleider über die Brüstung gelegt hat. Schnellen Schritts eilt ein schwarzjackiger Jüngling von etwas elegan- terem äussern als die andern (ein die Freuden der Spinn- stube nicht verschmähender Junker?**) die Treppe hinauf.

Unter dieser Treppe und Gallerie, im Fond der Stube, sitzt endlich die eigentliche Spinngesellschaft, wenige alte klatschende Weiber: die am weitesten rechts befindliche, welche recht hexenmässig und impertinent aussieht, ist im eifrigen Gespräch mit der Nachbarin begriffen, so dass sie nicht sieht, wie ein junger Kerl von rechts her mit der Fackel herantritt

* Die Fresken des Schlosses Rankelstein bei Bozen, erläutert von Zingerle. Herausgegeben vom Ferdinandeum in Innsbruck. Tafel XX; vgl. dazu E. Schröders Ausführungen in seinem Aufsitze „Die höfische Dor^oesie des Deutschen MA." (R. Gosches Jahrbuch I) S. 62. 63. Wir sehen also hier in unserm Bilde alte Formen. Neidhart spricht nur von der „Spüatubef* als Vergnügungsort der Bauern im Winter, s. Zamcke im Mhd. Wb. II, 2. S. 766^. „Ueimga/rUf' schon bei Berthold von Kegens- burg: Lexer Mhd. Wb. I, 1219.

** „In der kunkelstuben hat er vil geferts gehabt", erzählt die Zim- mersche Chronik U, 374, 26 von einem Bitter.

Wendeler, zu Fiscbarts Bildergedichten. 335

und ihr den Rocken anzündet^ ohne dass eine andere alte^ welche schnell und schreiend herzueilt, ihn abzuhalten vermag.

Ebenfalls von rechts her treten durch die weit geöffnete Thür noch zwei Männer ein, ein zweiter mit einer Fackel und ein Sackpfeifer. Daneben in der äussersten Ecke d^s Ge- machs ein geöffiietes Schiebefenster, zu dem ein Bursche sich hereinbeugt und lächelnd ein nicht widerstrebendes Mädchen umfasst, das erfreut den Spinnrocken sinken lässt. Ein Hund, dicht an dieser Gruppe, spitzt die Ohren und schaut aufmerk- sam ins Gewühl.

Ich denke, man wird die Ausführlichkeit verzeihen, mit der ich die sittengeschichtlich interessante Schöpfung eines Nürnberger Briefmalers hier beschrieben habe. Wieviel an derselben auf Rechnung der seit dem 15. Jahrhundert in den Reichsstädten beliebten Bauemverhohnung zu setzen ist ich verweise hierbei auf die treffUchen Bemerkungen Goedekes im GR. S. 88 und 94 ff. wie weit hier übertrieben wird, vermag ich allerdings nicht zu sagen. Und einigermassen auf- fällig bleibt es, dass z. B. Geiler von Eaisersberg, der freilich das städtische Leben mehr vor Augen hat als die Zustände auf dem Lande, meines wissens wenig von Spinnstuben zu berichten weiss, trotzdem er in seinen für die Sittengeschichte der Zeit so überaus wichtigen und interessanten Predigten mehr als einmal darauf zu kommen Gelegenheit hatte. So zeigt uns zwar „Die gaistlich Spinnerin. | nach dem Exempel der hailigen wittib | Elisabeth, wie sy an ainer gaistlichen gunckel, flachs vnd woU ge | spunnen hat Geprediget durch den wirdigen Doctor Johanne m | Gayler von Kaiserß- berg etc.j'^ am Ende: „Gedruckt zu Augspurg durch mayjster Hansen Otmar, bey sant Vrsujlen closter am Lech, Verlegt durch I den ersamen Jörgen Diemar. Anno | Tausentfünfhundert vn zehen jar" | , in dem auf der Rückseite des Titelblattes be- findlichen schönen Holzschnitte Hans Baidung Griens* eine höchst ehrbare Spinnstube, nämlich die heilige Elisabeth auf erhabenem Sitze am Spinnrocken, den Faden mit der Spindel

* Ich kenne nur die Angsburger Copie, vgl. sonst Woltmann, Ge- schichte der deutschen Kunst im Elsass. 1876. S. 282.

336 Wendeler, asu Fischarts Bildergedichten.

drehend, und ringsherum ihre Frauen zu ebener Erde in ähn- licher Situation, meist ältere, aber doch auch links in der Ecke eine jugendliche, die beinahe so anmuthig wie die heilige selbst ist. Jedoch auch bei seiner Auslegung dessen, was die heilige Landgräfin „gaistlich gespunnen hat inn wendig in jrer seel, vnd wie ain andechtige seel spinnen soll" (Bl. a 2*), bei der ernstlichen Betrachtung „gotlicher vnd gaistlicher ding nach drei gunckeln der flächsinen, hänfinen vnd kudergunckel oder vom groben werck" spricht Geiler, selbst an letzterer Stelle, nicht von der Spinnstube, trotzdem sie' gerade im Elsass seit alter Zeit unter verschiedenen Namen* wol be- kannt gewesen ist.

Immerhin kennt er aber die Freuden und Leiden der Spin- nerinnen im doppelten Sinne: „du waist wol wie dir etwann was wenn man dir sagt von ainem tantz, der da etwan auff ainer stuben solt werden; das blut begund in dir zu syeden, du mochtest nitt an ainer stat beleyben! Eurtz, so was das gantz hauß wolauf vnd darvon ...", Bl. b 3*^; „Zum andern begegnet der andechtigen seel das sy entschlaiBPt ob der gunckel'', Bl. b 4^. „Es ist auch ain andrer schlaff ... wenn du ob der gimckel sitzst vnd nit spinnen magst, als die faulen weiber thund, fahen an vnd sticken vnd machen haidnisch werck ... gut schwenck. Nun sprichstu ... wer kan all- wegen mit ernst vmbgon, solten wir nit etwan kurtzweil suchen, solten wir nit ain künigin machen vnd ettwan auch allso schympff treyben?", Bl. b 5**~*'; „Das drit das da begegnet vnser jungen tochter, so sy ob der gunckel sitzet, das ist: sy würfft die gunckel hinweg vnd laufet an die fenster oder vnder das thor vnd spielet der blinden mauß mit den knechten, vnd desselben geferts. Vnd die frawen tünd es auch etwan wenn die mann auß dem hauß komen. Solt ich

* Bockenstübe (bayer. Haimgarten, schwäbisch Hoierlois halten), ze Liecht gehn, Kunckelstuhhy Mdistubh, Kelle vnd G weite: b, A. Stöber in Frommanns Mundarten IV, 10 ff., auch Schmeller und Birlinger a. d. a. 00. 'Kunkel' ist nach Hildebrand und van Helten, Bemerkungen zu Grimms Wb. 1874 S. 74, ein nicht entlehntes, sondern altgermanisches Wort.

Wendeler, zu Fiacharts Bildergedichten. 337

denn weltlichen predigen, so würd ich die zung weitter strecken, aber es bedarflf sein nit", Bl. b 6*.

Auch die Spinnerausreden behandelt er ausführlich: „das die Spindel ofiFt in den dreck feit", Bl. c 1*, „schlottert", Bl. c 2*, „voller knöpflf vnd ägnen ist", a. a. 0.; „der gunckeln der atem stincket, besonders wenn ains schellig im kopff ist, wenn es an der eselheflft ist vnnd in vnordenlicher liebe gefangen", Bl. c 3*; „das die fliegen vnd die schnacken beissen", Bl. c6^; ebenso „die flöch", Bl. c e*' und ;,die zeittliche sorg", Bl.'c 6^; endlich Bl. c „jr ist eben alls saß sy auf eytel nesseln vnd amayßsen ... die blitz kompt sy an . . . der kluck alls die hennen wenn sie brüten wollen, so gewinnen sy den kluck vnd den pfipflfe ..."*.

Die Besprechung der „Kudergunckel" führt den städti- schen Redner hauptsächlich auf die Fastnachtstollheit „ist ain vastnacht gunckel, an derselben spinnt der vnflat", Bl. d und umständlicher auf die „schamliche lieb mit hofieren zu nachts, wie sy stond in der kirchen mit außgeschnitten klay- dem, glatten schuhen vnd erfrieren, sy möchten maletzig wer- den ... Da luget der leflFel wie er der metzen wol gefall vnd laufft jnen nach etc. wie der stier der kü, da hat sy angst vnd not wie sy sich aufmustere", Bl. e 1^,

An folgender der vorigen verwandter SteUe, Bl. e 3** ff., scheint er allein die der Eunkelstube ähnlichen Soireen der Stadt, die „Jungfrauenhöfe"**, zu 'meinen: „fahen an vmb- laufen als ein gamwind, da zu dem tantz, da zu den

* Charakteristisch für Geiler ist das Mittel, welches er hiergegen den Mannern empfiehlt in breiter Aasführung Bl. c 8^ fP. : „Wie soll man jnen aber den klück (oder pfiff) nemen ? . . . man soll jn eben tun als man ainer hennen tut . . . stoßt sy in ayn kalts wasser vnd reibt sy mit nesseln vnd berupfft sy vnd stürtzt sy vnder ain metzen." „Mitt nesseln reyben, das ist heisst es Bl. d 1* zur Erläuterung mit bengeln vnd mitt gütten stecken, vnd schleuß sy in ain kamer, vnd laß sy ain monat darinn sitzen vntz das jr der kluck vergeet . . . Als jhener seiner frawen thet die maint ye sy möcht sich nitt allain mit jrem mann begeen , sy müßt anderswo auch hausen. Do ließ er jr an allen vier adem lassen so vergieng es jr."

** S. Schmeller I' 1059, wo interessante Nachweise gegeben werden, Kriegks Deutsches Bürgerthum II S. 291 und dazu Birlinger, Schwab.- Augsburg. Wb. S. 268^.

338 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichteo.

hofen, da man [ ] den kolben gibt war ich vor den weltlichen, so wölt ich davon sagen."

Indessen, wie dem auch sei, die bereits erwähnten Polizei- verböte aus Geilers Zeit und ihre gelegentliche Erneuerung und Verschärfung später können über das eigentliche Wesen der Kunkelstuben keinen Zweifel lassen.

Darum ist es aber sicherlich nur natürlich, wenn Künstler und Satiriker dem sich hier entwickelnden bunten treiben ungebildeter Dorfbevölkerung Vorwürfe und Motive entneh- men, vor allem zu einer auch sonst in Carikierung gerade dieser Stände* sich gefallenden Zeit, und ein Litterar- historiker, welcher wie Vilmar (Göttinger Gel. Anz. 1854 S. 1358) unter diesen Umständen die von Fischart imGargantua 1590, S. 30 unter „seines Gespunsts" Büchertiteln aufgeführte „Kunkel oder Rockenstub'' von vornherein für einen Scherz des Dichters, für ein Hirngespinst finden wollender Litteratoren erklärt, bleibt einfach unverständlich.

So werfen, wie sich mit ziemlicher Sicherheit erwarten liess, schon die Fastnachtsspiele des 15. Jahrhunderts auf die Rockenstuben einiges Licht, z. B. im interessanten „Spil von der vasnacht« bei Keller I, 386, 27 S.:

Ir vil der rockenstuben remen:

Do rucken ie zwei und zwei zu samen

Und spilen eiiT weil des kleinen genesch,

Und treiben mangerlei gewesch

Mit werten über ort geschliffen.

Kumt dan der wint in das liecht g^epfiffen,

So helfens pald, das gar erlischt,

* Vgl. Geiler, GaistL Sp. Bl. c 1°: „Ain dorffmensch das in ain stat kompt, von ersten facht es an vnd thüt sich seiner dörffischen weiß vnd gebärden ab, vnd lügt wie aonderleüt thfien bei denen er wonet. Es leemet zncht, darnach leernet es in der stat stettisch reden . . . Hailiges creütz Bprichstn: Ich het nymmer mer gemaint das das mensch auß aim dorff war gewesen !'' Nicht nur der Städter findet sich erhaben über dem Baner, auch eine Landschaft über der andern: „Wenn ainer in ain ander land kompt^ zn dem ersten facht er an vnd thüt sich seiner köp- pischen weiß vnd groben gebärden ab, darnach verkehret er das knimb manl, er facht an vnd lernet das krumb maul spitzen, vnd verwandelt die schwäbische sprach biß das er hindennach gantz transformiert wirt von aim Schwaben in ain Elsässer!" A. a. 0.

Wendeler, zu Fischarts BildergedichteD. 339

und welcher dan ein enspen erwischt, Do dann sein spindel in hat räum, Der acht nicht, was dem andern träum,

und vorher 381, 29 ff.:

Einer sucht die mait, der ander die frauen, ^ Sagen in von reiben und von krauen: Do wirt einer in die oren gepfiffen, Die ander wie ein kalp begriffen, Der dritten schut man ab die ageln, Das ir die pein gen perg aufgageln, Als ob sie wolt ein paume stürzen u. s. w.

Vgl. auch I, 270, 8 ff 5 345, löff.; II, 611, Uff

Alsdann wissen die Spruch- und Schwankdichter gelegent- lich eine lustige Geschichte von einem hässlichen „Rocken- weib" (z.B. in dem Spruch „von dem Pfaffen mit der Snur" bei>. Keller, Erzählungen aus altdeutschen HSS. S. 315, 30 ff.) oder von einer „alten Gungkelmagdt" (Lindeners Katzipori 1558 Bl. Q 5^; Das ander Teil des Rollwagens oder Gartea- gesellschaft durch Jacob Freyen, Mülhausen o. J. S. 140 u. s.w.) zu erzählen^ und auq^ wol eine alte Chronik thut dasselbe.

„Nun het aber [ein] paur ein junge, ledige, gewachsne dochter, deren nichts anders dann ein schulthaiß in irem dorf manglt. Die het der knecht im haus den abendt, ehe der landtfarer kommen, in die kunkelstuben gefürt, wie dann im landt zu Schwaben also ein guter löblicher brauch ist, dardurch manichmal den jungen dochtem auch etwann zu denen Zeiten, da sie noch die eselschuch antragen, der pfiffis genom- men wurt. Umb miternacht, als die compania in der kunkelstuben verstroben, ist die guet durn mit irem Hensle, ires vatters ochsenknecht wider haimkommen u. s. w." Zimmersche Chronik ed. Barack IV, 108, 5 ff. Aber ausführlich wollte erst Michael Lindener den ihm sympathischen Stoff behandeln, wie er in den Katzipori 1558 Bl. A 8* sagt: „Es kompt bey nacht manches Mutterkindt zusamen, verstehe wann man mit dem Rogken außgehet, Do gehet es denn durcheinander vnd ist denn das: Die Weyber hupffen, die Meydlein tantzen, die Buben springen vnd die alten Müterliu gumpen, daruon ich ein andermal weiter handien will'',

340 Wendeler, za Fischarts Bildergedichten.

ohne dass ich von Ausführung dieses litterarischen Planes wüsste.*

Dagegen gibt es von Hans Sacjis^ der auch sonst dem Bauernstände im guten und bösen Sinne vielfach Aufmerksamkeit und Theilnahme bewiesen, wenngleich er ihn wol nur von den üppigen Dorffesten her oberflächlich kannte, sowol einen dialogischen Spruch „Die Geschwetzig Rockenstuben'^ (Gedichte I 451, bei v. Keller IV, 386) wie ein „Faßnachtspiel | mit 5 Personen | Die Rockenstuben genandt^' (Gedichte ÜI, 3, 7), letzteres schon vom 28.December 1536. Leider lernen wir aus beiden Stücken nur weniges über das Wesen der eigent- lichen Rockenstuben.

Im erstem belauscht der Dichter zwei Frauen, von denen die eine in Abwesenheit ihres Mannes die andere „inn ihren spinngaden zum rocken geladen'^:

Ich dacht: Was werden sie anßrichten: Etwan sagen von alten gescbicbten, Die sich vor vielen jaren verlofifen?

Aber er hört nur, wie sie Männer und Dienstboten, Nachbaren und verwandte beklatschen, Stadtneuigkei^n erzählen und ein- ander zum Schulden machen und Hausrath verkaufen anweisen:

Ich dacht: Ist das der brauch beym rocken,

Da die alten mid auch die jungen

Einander ziehen ire zungen.

Und all ir hajmligkeyt auff decken, ^

* Aehnliches lässt sich leider auch nur von andern seiner beabsich- tigten Schriften sagen, s. meine Ausführungen in der Zeitschrifk f. Deut- sches Altert'h. XXI (1877) S. 441. 442. Indessen ist L. nicht schon nm 1558 gestorben, wie dort vermuthet wird : E. Weller weist im Serapeum XXIV (1863) S. 91 Nr. 57 einen „Michael Lindnerus (sol), Poeta i/* unterzeichneten Holzschnittbogen vom Jahre 1561 nach^ „Ein vhralte vnd wunderbarliche Historia, welche sich an dem Bheinstrom, zur zeyt kaysers Conradi des Ersten, im Jar DCCCC Bey einer Reychstatt, Da- selbst eygentlich verlauffen vnd zugetragen**, den Bechtshandel eines von dem ertrinken geretteten Bauern, dem der Schiffmann dabei ein Auge ausstösst, nach Poliander behandelnd. Ein bisher nicht weiter bekanntes gelehrtes Werk L.'s, die „Loci Scholasticorum egregii per Michaelem Lindnerum (so!) poetam diligenter congesti ..., Anno 1557** befindet sich in München, s. W. Scherer, Anfönge des Deutschen Prosaromans^ Strassburg 1877, S. 23.

Wendeler, zu Fisch arts Bildergedichten. 341

Ir aygne mender mit verklecken?

Maid vnd knecht, nachpawrn ynde gfatem

Muß sich als leyden mit irm schnattern . . .

Lernen einander seltzam duck-,

Wunderbariich abgeriebne stück ...

Dacht ich: Das ist ein böse art

Jetz bey der weiber rockenfart.

Etwas instructiver ist das Faßnachtspiel^ indem gleich in der Exposition die Magdt, die erste mit Rocken eintretende Per- son sagt:

„Mein gspiel hat mir gesaget heut,

Heindt werdt hinnen die Rockenstuben:

Da werden Knecht vnd die Roßbuben

Mit Yjns mancherley spiel anfahen

Des Stocks spielen vnd öl außschlahen;

Der Schultes wirt sein sackpfeiffen bringen,

Da wöl wir dantzen vnd drein singen

Vnd haben einen guten mut,

Biß das der Han heindt krehen thut.'^

Der Knecht begrüsst sie erfreut:

„Ich wil dir schütten die agen ab!"

d.' h. die beim hecheln im Flachs noch zurück gebliebenen spitzen Theile der ursprünglichen Hülle* entfernen (ein noch jetzt in Schwaben dem geliebten der Spinnerin zu- kommendes Vorrecht, wie man aus dem Spinnstubenspruche eines Burschen in B. Auerbachs Schwarzwalder Dorfgeschich- ten 1843, S. 8 lernen kann**). Aber sie weist ihn erzürnt an „Heintz Striegels Tochter, weil du jr alle nacht thust fen- stem". Indem kommt „die Pewrin", ihre Herrin, warnt sie vor dem zudringlichen Patron und mahnt:

* Der weiß glestig flachs, der gantz fein, glatt vnd zart ist, on edle ägnen: Er ist gantz lautter vnd dar on edle knöpf: Geiler, Qaistl. Spin- nerin, Augsp. 1510, Bl. a 3^. Ueber agen s. Schmeller 1*, 47. Nieder- deutsch entspricht der Sache nach „Schevt^*: Mnd.Wb. IV, 83^ Danneil, Altmärk. Wb. S. 67* u. d. W. „Cnitz".

** Dort ist jedoch „Aegele** aus dem fälschlich gesetzten „Engele^* erst zu emendieren, wie Schmeller I^, 48 bemerkt hat. Ueber die Sitte Tgl. besonders Birlinger, Volksthümliches aus Schwaben U, 432 und Aus Schwaben II, 358 ff.

Archiv f. Litt.-Gxscb. VII. 23

342 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

„Mein Gred spin fluchs vnd loß dir schlaunen, Ftil dein Spindel denn wöl wir lannen Vnd gute Milch vnd Semel essen, Der Buben höllern nit vergessen, Wollen auch einen reien han . . ."

Ihre Rede unterbricht das eintreten des Bauern, der verwun- dert ist, Weib und Dienstboten hier und nicht zu Hause an- zutreflFen, sich aber doch mit einigen Liebenswürdigkeiten zweifelhafter Natur beruhigen lässt. Die Bäuerin spricht dann wieder zur Magd:

„Mein liebe Gredt, heb an vnd sing

Das new liedla ich künts auch gern

Vom holder trüschel vnd morgen Stern . . ."

Ein eintretender „Ziegeiner" bringt uns jedoch leider um dieses Lied, denn der Dichter benützt ihn dazu den anwesen- den vier Personen in nicht gerade zarter Weise die „Wahrheit" zu sagen und stempelt damit den aufgewandten Apparat der Spinnstube als Nebensache.

Von Fischart wird man dagegen nicht sagen können, dass ihm das Wesen der Spinnstube fremd gewesen: er kennt sie und dazu die Litteratur über dieselbe.

In der seinem Podagrammischen Trostbüchlin 1577 ein- verleibten Bearbeitung von Wilibald Pirckhaimers „Laus Po- dagrae" heisst es Bl. K 2* flf., ohne dass seine Vorlage* ihm hierzu irgendwelchen Anlass bot:

„Inn summa hie bei vnsern mit füs vnd bänden getrewen (Podagrammisten) sieht vnd hört man alles was jrgends wun- derlichs, fremds, artlichs, liblichs vnd lustigs ist. Da ist

* In der von mir bereits früher in dieser Zeitschrift erwähnten Sammlung des MichaelTozites (Michael Schütz ? Ueber seine Thätigkeit als Herausgeber des Theophrastos Paracelsus s. jetzt Fr. Mook in s. bibliographischen Studie: Th. Paracelsus. Würzburg 1876) DE PODA- GRM I LAVDIBVS DOCTO- 1 nun hominum lusus | Argentorati, Ch. Milins 1570. 8., die Fischart vorgelegen, lautet die Stelle Bl. 7*: ,^ic demnm cemere est, qaicqnid inter homines variam [ ] et delectabile habetur. Nee desunt interim qui assidue rumores afferant novos, et identidem fabulis snavissimis aures meorum impleant, ita ut Imperatomm, Regum, gentium ac cunctomm hominum, sive belli negoüa praeclare ibi expediantur . . ."

Wendeler, zu Fischart« Bildergedichten. 343

nimmer kain [E 2^J mangel an leuten^ die fremds geschrai vnnd newzeitung zutragen, sie laufen ab vnnd zu wie die Aumaisen, thor vnd ihüren gehn auf vnd zu wie die thüren in der Badstuben, vnnd können solche leut diselbige als die geschickte Poeten vnd Oratores fein mit artlichen fabulchen vnnd anmutigen Zusätzen spicken vnnd ölen. Dan

Geöltes kraut gabt hinab glatt,

Vngschmirte Räder gehn nicht satt.

Also ist alle zeitung matt,

Wann sie nicht etwas zusazs hat

Welchs glaublich macht die gschicht vnd that!

Es manet mich die besuchung vnserer arrestirten wie aine Spinn oder ßockenstub, da die Geuattern, Nachbarin vnd gespilen, wann sie lang von ernsthaften Sachen geredet haben, nämlich von jhrer haushaltimg vnd die leut ausgericht; so schreiten sie darnach per digressionem zu den märlin vnd Kunkelpredigen: wer da die best vnd kläglichst sagen kan, die trinckt das Geuatterkännlin aus vnd würd auf morgen widerum geladen.

Also auch hie, wann sie alles was hin vnd wider inn allen ecken der Welt vnd der statt geschieht herfur gesucht, erreutert vnd erbeutelt haben; so fallen sie darnach auf gute schwänck, zotten vnd bos-[K 3*]sen, die ain halben toden, geschweig ainen Podagrischen solten lachen machen.

Idoch mit diser gleichnus nicht etlichen Nasweisen Seiden- himen vrsach zugeben, das sie sagen möchten ich spott jren mit der Kunckelstuben welche doch ain ehrliche gespilschaft ist, es seien dan gäns vnnd änten kain vögel

•, so will ich sagen, das es mich an ainen Reichstag gemane, da vil Fürsten vnd herrn zusamen komen" u. s. w.

Wie es aber mit der „Ehrlichkeit" und Wolanständigkeit der Spinnstube beschaffen ist, weiss er auch:

„Ir Noppenteurliche Stifelbraune Baurenmiizlein, wie ist euch der Rucken so vol stro? jr Vimägd, Kindsmeidlein, ei wie stehet euch der büsem oüen? Danzgretlein, wie weis bein! Rockenstuben bei Roz vnd Roßbuben Walgemächt

Libertinische Finstermetten Schüleins piler*, die den

Ueber dieses naive Spiel der Rockeustube s. Birlinger, Volks-

23*

344 Wendeler, su Fischarts Bildergedichten.

stein vnder das fürtuch ausgeben! Kamerhasen*, PfaflFen- basen, Meister im langen hemd ynd kurzen laz: 0 Baurenbraut^ Stubnerin!" Practic 1574, BL F2^£F. Er kennt die „Nacht- lauren, Huren, Buben, Kuppler, Rifianer, Nachtschweifer . . . Samsonische Herculspinner"** (a. a. 0. Bl. P 1*), die da „nach dem Nachtessenn herumb gehen gassatum, Hipenspilatum, mummatum, dummatum, fenstratum, Raupenjagatum (vergl. Schmeller II*, 129), vnd sonst zu den heimlichen Klosterco- lätzlin, Jungfrawbancketlin, zum Liecht ynd zun Schlaff- trunken" (Gargantua 1590, S. 332), das „Dorffatieren" (a. a.t>. S. 91), „die Rockenfart, die Kunckelstub ... die letz, den Liechtpraten ... S. Michels Liechtgans'^ (a. a. 0. S. 92), „die leichtfartige(n) dänz, . . . verleibgaffung der Meyd- lin, lichtscheue bulerei, ehpruch vnd andere schandthaten" (Philosophisch Ehzuchtbüchlin 1578, Bl. P 7^). „Die Meidlin spinnen (aber im allgemeinen) ungern***, „wie hüpsch man auch die Kunckel mal" (Gargantua 1590, S. 247ff.t), nur wenige gibts, „die gern ihr tagwerck" (Kurz II, 91, 3448)

absolvierten, wenn die Flöhe ft sie in Frieden Hessen aber

.^■^^^^^^ •■

thümliches aus Schwaben II, 432. Eines andern Spiels gedenkt Fischart Gargantoa 1690, S. 328*: „Da zfind er jr den Rocken an^*; vgl. vorher die Beschreibung der Berliner Farbenskizze.

* Auch hier gewiss nicht s. v. a. Narr: vgl. Zeitschr. für Deutsches Alterthum XXI, 462 Anm. 3.

*♦ Vgl. Kurz III, 45, 186: „Treib wie Hercules spinwerk". Hercul- spinner hat aber oben einen Nebensinn: s. Gargantua 1590, S. 48: „Goro- pius sagt, He(r)kul trage seinen Namen von Kvllen oder Hoden".

*** VgL Gargantua S. 325* unter den Spielen: „Meydlin was hat dir die Kunckel getban**.

t Noch heut werden die Kunkeln geschmückt, vgL Birlinger, Aus Schwaben U, 357. Hauptsächlich dienten aber dazu, und zwar wie noch jetzt, ebenso im 16. Jahrhundert humoristische Thierbilder, denen die Be- ziehung zu dem phantastischen Stoff der Kunkelm&ren nicht abzusprechen sein wird. Ein derartiges an der Kunkel befindliches „Kupferstück** be- schreibt SimpUcissimus im Ewig währenden Calender, Kurz IV, 214, 7 ff., und dasselbe sowie andere der Art, welche zum Tbeil noch erhalten sind, kennt Fischart. Ich gedenke demnächst in anderer Verbindung

«

darauf zurück zu kommen.

ft „Zu dem sechßten, so beyssent sy die flöh , sy kan vor jnen nitt spinnen, sy muß aufsteen vnd muß sich floben^^ u. s. w. Geiler, Gai^tl. Spinnerin 1510, Bl. c 6^

Wendeler, zu FischartS Bildergedichten. 345

die y^bossierliche Rockenstubnarische Spil vnd Sohlafftrünck- liehe Übungen" (Gargantua 1590, S. 329) sind ihnen lieber, die Burschen, welche „newe Däntz vnd trachten erdencken . . ., den Anspin vnd Würfen treiben, ihnen die Agen schütteln vnd den Rocken anstecken" (a.a.O. 442), „die Kunkelstubische Gänsprediger"* (a. a. 0. 24) und „Rokkenstubnars Profeten" die „Rhäters zetten" (a. a. 0. 65. 329) und „ein Rocken- stubnerisch Euangelium" erzählen (Binenkorb 1588, Bl. 213»). Sie spitzen schon ihr „öhrlin, wenn man sagt ein Märlin" (Kurz III, 66, 55 ff.) von „scheutzlichen Merwundern am Himel, welche die Poeten durch jr kunckelmärlin hin- aufgehebt haben" (Practic 1574*, Bl. A 5*), „von treizehenelen- bogigen Risen, ... Patagonischen Pfalkränchen, Alzenfidler (d. h. Volker von Alzei), Asperian, Pusolt . . ., Konig Laurin ..., Amadis^ Nainchen vnd solchen Spinnenstubischen Berg- mänlin, Einhohen Kranchshelden, vierspännigen Juden inn Ara- bischen gebürgen" u. s. w. (Gargantua 1590, S. 69ff.)**

Nach der bereits ausgehobenen Stelle des Podagrammi- sehen Trostbüchlins erzählen vornehmlich alte Gevatterinnen gern, und sie habens nöthig, denn

(Die Weiber den Flöhen) zu Veracht Die Kunkelmären han erdaoht,

* Auf die Darstellungen des Gänsen und Enten predigenden Fuchses (Tgl. Uhlands Volkslieder II, 634, 8) kann ich hier nicht eingehen. Die Gans gilt als dumm: H. Sachs, Gedichte I, SOi'^: „An sinnen schwach, taub als ein gans"; Podagr. Trostbüchlin 1677, Bl. L 6^ „(Der Straus) ain kleinen Gansko^f hat Inn dem gar wenig hims hat statV*; Brants NS. 14, 9 und dazu Zarncke 8. 827* und Goedeke in s. Ausgabe S. 29. Ueber Gänsprediger D. Wb. IV, 1, 1275 ff. V, 2663, 3. Indessen ist hier Murner gemeint (s. die bei Goedeke GB. S. 203 Nr. 4 verzeichnete Schrift, auch im Karsthans: E. Hagen 11, 184) mit Rücksicht auf den Abschnitt „von hloutoen enten predigen*' in der Schelmenzunft. Blau Narren- farbe: Ztschr. f. D. A. XXI, 457, 2. Vgl. die „blauwe Schute" in Zamckes

NS. S. Lxm.

** Aehnlich sagt Beruh. Jobin in seiner auf Fischartischen Collecta- neen beruhenden Vorrede zu dessen „emewertem Stauffenberg" 1688, Bl. )•••( b*— *»: „Merlinus ein Zauberer vnd Warsager (oder vielmehr ein Märlein sager, wie sein Nam auß weißt) gewesen (ist) . . .; ,auch Artur, da er hernach durch Merlinische Kunst zum König wirdt, gleichfals durch Zauberei die mancherl^ei wunderlichste Mären oder Abentheuren treibt . . . Daruon noch viel Bockenstubnarisch geläfz vmbgeht."

346 Wendel er, zu Fischarts Bildergedichten.

Wie solcher ain längs Paternoster Ovidius beschreibt zum Muster, Die er, wie man gemainlich glaubt, In Rockenstuben hat aufklaubt: Damit man vor ernsthaftem gschwez Vnd aufhören nicht acht der pfez u. s. w.

Plöhhaz 1578, V. 3303 (Kurz II, 88).

Diese aufgeklaubten „Kunkelfusen" (R. Hildebrand im D. Wb. V, 2659) bringen uns endlich auf die Pischart bekannte Kunkelstuben-Litteratur.

„Zwen Tomi Nagelneuwer Rätbersfragen vn kunckel- stubenmärlin, zwen rechte Auge außbeisser deß Amadis von Gailungen, darzu alzeit zuerrhaten ein Mann vnd sieben Frawen gehören: zusamen geordnet durch den Erw. safftigen Herrn Crispin Dummelich" führt sein Catalogus Catalogorum perpetuo durabilis. 1590, Bl. A 6* an. Ihm schwebte^ bei dieSem von ihm selbständig erfundenen Titel also einmal un- zweifelhaft das in spätem Drucken auch „Rockenbüchlein"* genannte Strassburger Räthselbuch vor, das sein§ Bestimmung** anzudeuten in manchen Ausgaben z. B. in der mir gerade vorliegenden: „Das Rätersch | Büchlin. | ... | 1562 | in 8^, am Ende: „Getruckt zu Straßburg am Kornraarkt!" schon auf dem ersten Blatte eine Spinnstube zeigt; nach Wellers An- nalen II, 299 und J. M. Wagners Beschreibung im Serapeum 1862, S. 90 existiert sogar zu Ulm „Eyn newe Spin8tub| oder Räterschbüchlin | ... | Getruckt zu Strassburg bey M Jacob Gam- 1 merlandem von Mentz", 24 Bl. in 4. Dann aber kannte er, wie auch Citat« im Binenkorb*** ergeben, das Aberglauben

* Das alte Ratbüchlein ist beachrieben Serapeum XXI II, 88, das l?ocX:enbüchlein Anzeiger f. D.Vorzeit 1865 Sp. 317. Serapeum XXXI, 352. *♦ Räthselartig wol auch der Spruch von dtfi drei Bockenmaidcn in der Weimarer HS. Q. 42 Bl. 16, vgl. v. Keller, Erzählungen S. 481. FSp. III, 1455. In Cammerlanders „Spinstüb", ebenfalls mit Holzschnitt (zwei Frauen mit Spinnrädern und ein spinnendes Liebespaar), „man wol in allen ehren kurtzweil machen kan", wie es A 2' heisst.

*** „Dann hett sie (sc. die katholische Kirche) die Fabuln von Esopo oder Eulenspigel, das Euangelium vom Spinrock vnd Fortunatusseckel . . . annemmen wollen, . . . wer wölt sie daran gehindert haben?" 1588, Bl. 29^. „Sintemahl es so klar als das Kunckd Euangelium ist", ebd. BL 72**. „Es ist fÜrwar ein grosse Kurtzweil vnd Zeitkürtsung jhnen zu-

Wendeler, zu FiBcharts Bildergedichten. 347

alter Weiber enthaltende Buch Les Evangiles des Que- nouilles, yerfasst um die Mitte des 15. Jahrhunderts und zuerst c. 1475 bei Colard Mansion in Bruges gedruckt; neue Ausgabe durch P. Jannet, Paris 1855. Wie ins englische und niederländische ; so wurde dasselbe auch früh ins deutsche übersetzt: ,,De8 Eunckels odder | Spinrockens Euangelia von Mon-|tag an, biß auff Sambstag, mit sampt den 61o-{sen, zu ehren den Frawen beschriben", darunter ein Holzschnitt, sechs Frauen und einen schreibenden Mann in einer Spinnstube dar- stellend, mit der Unterschrift: „Gedruckt zu Collen bey Sant Lupus. I 1557"*, 28 Bl. in 4., bezeichnet A 2— H 3, das letzte leer, aus v. N agier s Sammlung auf der kgl. Bibliothek in Berlin.

Das Evangelium des Aberglaubens will wirklich „in Eunkelstuben aufgeklaubt sein'', und zwar aus dem Vortrage sechs weiser Frauen, „die wa die not erfordert hette den blauen Teuflfel zu beschweren (conjurer un bleu dyable) oder aufif ein küssen zu binden, waren sie geschickt vnnd erfaren genüg dazu''; was es enthält, ist altüberliefertes Gut, dem der Autor nur einige humoristische Züge, besonders in der Cha- rakteristik der sprechenden eingefugt.

Wer die Arbeitsweise Fischarts kennt, wer weiss, wie er all- und überall nur in der Ausgestaltung fremder Gedanken original ist wer sich einmal in die uns schwer fallende Vor- stellung hineingelebt, dass ein Humorist von seiner Bedeutung nie etwas ohne Vorbild geschaffen und spät ausgeführtes bei ihm wiederum lange Schatten vorauswirft; der wird es ange- sichts der im vorstehenden erörterten Momente** begreiflich

zuhören. IiiDSonderheit für die Andächtigen Fräwlein, die mit der Bibel . .. nit wol verwart sint, Sonder lieber nach der Lugenpfeiff vnd dem Pfaffen gethön dantzen, oder lieber ein Bockemtuhnerisch Euangelium erzählen hören", ebd. Bl. 213». S. R. Hildebrand im Archiv f. LG. I, 107 f. nnd im D. Wb. V S. XXXI.

* Aeltere dentsche Ausgabe von 1537, auch eine von 1568: J. Grimm im D. Wb. I, S. LXXXVIII. Die Reihe der französischen Drucke s. bei Jannet S. XII ff., in der Vorrede auch über die HSS. Unsere deutsche Uebersetzung v. 1557 sagt in den Schlussversen: „Darumb hat es auff das new gedruckt Zu Collen Hans von Achen."

** Die Bedeutung der Kunkel im Recht war dem Juristen Fischart natürlich auch bekannt; vgl. Gargantua 1590, S. 133: „Eunckel^räfin^',

348 Wendeler, zn Fischarte BildergediohteD.

finden ; wenn ich bei der „Kunkel- und ßockenstub" unter seines Gespunsts Büchertiteln nicht mit Vilmar an einen Seherz des Dichters^ sondern an ein mindestens ernst geplantes Werkchen glauben mochte.

Ob es aber auch ausgeführt oder gar noch irgendwo unter einem der vielen Pseudonyme Fischarts vorhanden ist diese Frage vermag ich leider nicht mit Bestimmtheit zu beantworten.

Zunächst lag es wol in der Richtung des imaginären Titels seines Gatalogus Catalogorum, zu suchen nach einem Büchlein^ das „Rockenstubnarrische Spil . . . sampt eim gantzen Wald mit Rhätersch", etwa nach dem Muster der „newen Academien der Intronater vnnd Illustrater zu Siene vnnd Gasale^' (Gargantua 1590^ S. 329), enthielt, d. h. nach einer Fischartischen Bearbeitung des in den Spielregistem sei- nes 25. Gargantua-Gapitels bereits benutzten „Dialogo de' givo- chi" des Girolamo Bargagli* oder der „Civil Conversatione" des Stefano Guazzo, Gentilhuomo di Casale, welche allerdings schon im 16. Jahrhundert in verschiedene Sprachen übersetzt wurde. Aber mein forschen nach diesem Spielbuche, das der

S. 631: „Eunckellehen" ; Ebezuchtbüchlin 1578, B1.Q5^: ,,Hatte8tu nicht . . . eyn Rocken oder kunckel zur band an statt des spieses?" u. s. w.

* Sein Gesellschafksname ist „II Materiäle Intronato'*. Er war Jurist und ist 1586 gestorben: Adelung zu Jöcher I, 1430. Neben der Eomoedie ,,La Pellegrina** verfasste er den oben genannten Dialogo de' givochi cbe nelle veggbie sanesi si usano di fare. In Siena 1572. 4., 1574 in 8., 1681. 1592. 1598: Brunei IP Sp.666. Graesse, Tresor I, 292. Eine detäsdie Uebersetzung ist mir nicht bekannt. Die Akademie der Intronati wurde 1625 durch Antonio Vignali zu Siena gegründet: Tira- boschi VIP, 160. Ed. Glider, Notice sur Tacad^mie Italienne des Intro- nati. Bruxelles, C. Mucquardt 1864, 8. gibt keine Ausbeute für unsern Zweck. Fischart (ob in Siena gewesen? Kurz I, 101. 1. Ich glaube es nicht) erwähnt auch Gargantua S. 362 „die Senisch Academy ä Tintro- nato*' und dachte 1582, Bl. A4^ bei den „Theses im FraueneimmeT zu diS" piUiren (fürgelegt 1590)" wol an eine Bearbeitung des Dialogo oder einer ähnlichen Schrift der Intronati: vgl. Gatalogus Gatalogorum 1590, Bl. G 5*^: „Theses de Puellamore, disputatae in Äcademia Senensi, per Madonnam Gamillam, in offenem Frawenzimmer freiopponentisch^^ . St. Guazzo, t 1593, gründete 1566 die Akademie der ,ylllustrati" zu Gasale: Jöcher II, 1242. Tiraboschi VIP, 200. Ersch u. Gruber II, 16 S. 232^ lieber, die Ausgaben und üebersetzungen s. Givil conversatione 1574 etc. Brunet IP Sp. 1781 flF. Graesse, Tresor III, 170.

Wendeler, za Fiscbarts Bildergedichten. 349

Humorist auch sonst verheisst (a. a. 0. ,,WaDn jhr . . . nicht alle diese Noppenteurlichkeit wie sie inns werck zurichten ver- stehet^ sc. die Spiele^ so laßt es mich nur bei der Reinaui- schen Post wissen . . ., alsbald will icii mit meiner ge- mälartlichen Hand fertig sein, euch dieselbige für zu reissen^'), blieb leider resultatlos.

Ebenso wenig wollte es mir mit den „Kunkelstubenmärlein^^ gelingen: denn man konnte ja meinen, er habe nach Anleitung des ,,Eunkeleyangeliums'^ den Aberglauben des Volks, von dessen Eenntniss und schärfster Beobachtung fast jede Seite des Gargantua, der Practic, der Daemonomanie, des Feldbau- buchs u. s. w. zeugt, behandeln und dabei vielleicht auch einige „Fabulen vnd Märlin der Romanisten auß der Nonnenklöster Kunckelstub" (Binenkorb 1588, BL 209^) verwerthen wollen.

Da fiel mir eines Tages auf ^der 8uche nach andern Rari- täten im Museum zu Karlsruhe (Portef. 112 Nr. 60) ein grosser Holzschnitt auf zwei aneinander geklebten Bogen in die Hände, der sofort die Vermuthung nahe legte, Fiscbarts Rockenstube sei ein Bildergedicht gewesen. Es ist derselbe, welchen Passavant lY, 83 Nr. 196 trotz des fehlenden Monogramms, aber wol mit Recht (vgl. Naglers MGr. HI, 631, 71. Rosen- berg, H. u. S. Beham S. 131 Nr. 265. Drugulin, Histor. Bilder- atlas I, 40 Nr. 947) dem Hans Sebald Beham zutheiit, jedoch wiederum recht ungenügend beschreibt.

Leider hatte das Blatt keinen Text und ebenso wenig ein zweites, welches ich durch die Güte des Herrn Director A. Essenwein aus den Sammlungen des Germanischen Museums nach Berlin zur Benutzung erhielt: ja es muss zweifelhaft bleiben, ob Exemplare mit Versen existieren, wie dies bei ähn- lichen Darstellungen aus dem Bauernleben von der Hand des- selben Künstlers bekannter Massen der Fall ist. Vielleicht fehlen Verse deshalb, weil Hans Sachs, der die Reime zu jenen z. B. zur Megelsdorflfer Kirchweyh: Nagler, MGr. HI, 631, 74 und V. Keller, H. Sachs V, 279 gemacht zu haben scheint, in den Spinnstuben, wie wir gesehen, wenig bewandert war und ein Michael Lindener später nicht dazu kam! Endlich ist dieser Mangel gar für Fischarts Absicht und Plan die nächste Ursache gewesen? Ich möchte es fast glauben und ebenso: dass

350 Wendeler, za Fischarts Bildergedichten.

ein Holzschnitt oder Kupferstich nach dem Blatte Beham« aus den letzten Jahrzehnten des 16. Jahr- hunderts mit Versen Fischarts wirklich existiert

Was mich in dieser Annahme einigermassen sicher macht, ist der Umstand^ dass ich selbst einen schönen Kupferstich der Art aus einer Nürnberger Officin kenne, die Reproductio- nen Fischartscher Bilderbogen im 17. Jahrhundert verbreitet zu haben scheint, einen Stich, der nach Drugulin noch dazu von dem Schüler eines Künstlers herrührt, der allerdings bei Peter Isselburg die ursprünglichen Blätter T. Stimmers nach- gestochen haben kann.

Das herzogliche Kupferstichcabinet in Gotha* (und wie ich nachträglich durch die Güte des Herrn J. E. Wessely er- fahre, auch das Berliner) besitzt einen Kupferstich in Folio mit der üeberschrift: ,

,yKurtze Beschreibung der wunderbarlichen Art Ynnd£i-| genschafften, auch Nutz vnd Gebrauch der Hochberümbten ynd Wolbesetzten gebürlichen Spinn- {stuben, wie es alda gemei- niglich pfleget zuzugehen, auch was an solchen Orthen practi- eiret, geübet vnnd | ins gemein denckwirdig gehandelt wird."

Das Blatt stellt in feiner Ausführung (vgl. hinten die Nachbildung) den Holzschnitt Hans Sebald Behams von der Gegenseite dar: es nimmt hier etwa die Hälfte des Folio- blattes ein. Oben sind die Balken der Stube sichtbar, links der grosse Kachelofen darüber hängt auf einer Stange Zeug, in den Kachelnischen liegen Aepfel. Rechts ist die Thür. Im Hintergrunde zwei jkleine Fenster, von denen das rechte halb geöffiiet ist.

Im Vordergrunde nach rechts schreitend auf der Vor- lage H. S. Behams entwickelt sich die Situation, wie gesagt^ nach rechts hin ein Tänzerpaar Kunz und Grete, ersterer (A) Tcrliert bei seinen hohen Schritten die Hosen; dahinter nach links ein zweites Paar, Glas mit seiner Basen (B): sie hält in der linken Hand den Spinnrocken, er erhebt, den

* Dankbaren Herzens habe ich, wie früher des Herrn Professor Pertsch, so hier des Herrn Professor Schneider zu gedenken, dör mir mit aufopferungsvoller Liebenswürdigkeit seine wenig bekannten Schätze zeigte.

Weudeler, zu Fischarts Bildergedieb ten. 351

Schlapphut auf dem Kopfe, jauchzend die rechte Hand. Dicht hinter diesen nach links gewandt und halb das Knie beugend Hänsigen (D), welcher die Pfaffenmagd (C), die tief gebeugt über ihren verschütteten Rüben und Kohlköpfen steht, unter- halb des ihm zugekehrten Gesässes fasst, um sie vorwärts zu stossen. Noch unter den Rüben und Kohlköpfen liegt dann das Haupt von Schultzens Martha (E), die eben hingefallen ist, die nackten Beine hoch haltend und den Rock anstandsvoU um den Hintern ziehend; ihr recht dumm aussehender Buhle Fritz (F) sitzt daneben auf der Erde und starrt zwischen den Füssen hindurch man denkt unwillkürlich an ein bekanntes Berliner Witzwort. Ein wenig oberhalb von dieser Gruppe sitzt links am Ofen auf einer Bank der Schultz (G), das müde Haupt mit dem Elenbogen auf den Rand eines Wasserkübels stützend; hinter ihm und dem Ofen, an der Wand bläst Frantz Biedermann (H) die Sackpfeife.

Vor dem Ofen sich wärmend stehen Matz Kaltenberger (I), hinter ihm oben links in der Ecke sind drei Liebespaare : vorn auf der Erde umarmen und küssen sich zunächst Grein und ihr Gevatter Koch* (K), hinter den Ofen drüTjkt sich Kurt Seltenfroh und Elßchen (L), und davor stösst Veit Schnützer seine Base Klara. (M) zur Erde, dass ihr die Spindel entföUt und ihre Beine zwischen die seiuigen gerathen. An der Wand von ihrem Spinnrocken her sieht die alte Marreth (N) in- digniert auf diese Scene.

Ein Tisch mit vier Personen in der andern Ecke der Stube. Fritz Trinckauß (0) bringt seiner Braut (P) den Deckel- krug dar, aber schon langt seine Schwieger (Q) begierig zu, denn sie hat sich wol die Zunge trocken gesprochen; Franz Wochendölpel (R) ist neben ihr vor Müdigkeit und Langerweile eingeschlafen, während über dieser Gruppe Dietz Guckuck (S) durch. das Schiebefenster sehnsüchtig in die Stube schaut.

Im Eingang rechts daneben kriecht Sebald Scheutzlich (T) seiner lieben Bärbel (V) entgegen, dass sie über ihn stolpert, während hinter der geöfi&ieten Thür Base Appel (X) den Holz-

* Den „Köchen" haftet nach der Vorstellung des Mittelalters viel lächerliches an: s. Weinhold in Goschcs Jahrbuch I, 26.

352 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

hacker Ulrich Flegel caressiert und eilig ihr Licht löscht. Da- vor sitzt die alte Elisabeth (Y) am Rocken; im Schreck zu dem noch auf ihrer Bank befindlichen Paare gewandt, auf welches auch das schon beschriebene erste Paar (A) hinweist: Gangolffs Hans (Z) greift des Schreiners Basen vor den Bauch, dass sie auf- schreiend fast hinten überfallt, ihm mit dem Rocken die Mütze abschlug und den davor stehenden vollen Weinkrug umstiesä. Der gut componierite, aber grobe Holzschnitt H. 8. Behams ist in diesem Kupferstich zu eleganter Feinheit ausgearbeitet, jedoch sonst überaus getreu copiert; bei Beham fehlen nur die Buchstaben und die zwei Aepfel in den Ofenkacheln, auch die Stiefel der weiblichen Figuren sind schwarz ausgefüllt. Dass der Gothaer Kupferstich, wie Herr K. Koelitz in Karls- ruhe anzunehmen geneigt war, als er denselben in einer Photo- graphie auf meine Bitte zuerst mit dem von Passavant Beham zugeschriebenen Blatte verglich, das Original und dieses die Copie sein könnte, mit andern Worten: dass der Holzschnitt gar nicht aus dem 16. Jahrhundert wäre, wird sich meines erachtens schwerlich beweisen lassen. Der Holzschnitt ist durchaus im Stile Behams, wie sich durch Vergleichung mit seinen andern zahlreichen Darstellungen aus dem Bauemieben, besonders seinen Bauemtänzen, unzweifelhaft ergibt, und es will dagegen nicht viel sagen, wenn Herr Koelitz geltend macht*, dass der damit verbundene Text gleichzeitig mit dem Bilde entstanden zu sein scheine.* Letzteres ist durchaus nicht nöthig, denn der Holzschnitt ist auch ohne diesen Text

* Ich bin dem verehrten Manne und geschätzten Kenner, der mir in liebenswürdigster Weise durch Herrn Gallerieinspector Richard seine Beobachtungen mittheilte, hier wol eine wörtliche Anführung schuldig; er schreibt: „Da Ihr Stich in der Art und Weise, wie der Text damit ver- bunden (indem nicht mehr Gruppen und Darstellungen als Buchstaben des Alphabets vorhanden sind, also sicher beides gleichzeitig und von demselben Künstler gemacht wurde) jedenfalls das Original zn sein scheint, so ist unser Schnitt eine zwar rohe und derbe, aber doch nament- lich in Behandlung des Gesicbtsausdrucks der Gestalten charakteristische Copie desselben. Dafür spricht auch schon die Anordnung im Gegen- sinn. Unser Holzschnitt ist jedenfalls von einem Jüngern Meister, auch nach der technischen Behandlung des Details. Dass der Stich aus dem 16. Jahrhundert stammt, ist wohl unbestreitbar" u. s. w.

I

Wendeler, za Fischarts Bildergedichten. 353

jedem verständlich, und letzterer kann recht gut später erfun- den sein. Die Benutzung einer alten Platte im 17. Jahrhundert bei dem Kupferstiche aber andererseits anzunehmen, wie man im Falle der Priorität des Gothaer Blattes mit Text doch wol müsste schon des Costüms wegen, das nicht das des 17. Jahr- hunderts ist lässt einmal die Schärfe der mir bekannten Abdrücke und femer der Umstand nicht zu, dass es noch eine zweite Abdrucksgattung des Stiches mit der Adresse des Nürn- berger Kunsthändlers Paulus Fürst und, wie es scheint vgl. Drugulin, Historischer Bilderatlas I, 102 Nr. 2574 sogar mit der Angabe des Künstlers „P. Troschel" gibt. Oder ist dieser Künstler von Drugulin a. a. 0. nur supponiert? Ich möchte dies glauben. Denn das vermuthlich mit Drugulin Nr. 2574 identische Blatt des kgl. Kupferstichcabinets in München (Fliegende Blätter, Portef. II: Caricaturen, Satiren): „Kurtzweilige Beschreibung der löblichen Spinn- vnd| Rockenstuben, vnd was darinnen gemeinglich denck- würdiges | practiciret vnd gehandelt wird, etc." | zeigt unter der Leiste nur die Adresse: „Zu finden in Nürnberg bey Paulus Fürst Kunsthändlern | etc.", sonst aber denselben Text und, wenn mich mein Gedächtniss nicht trügt, auch den- selben Kupferstich wie das Gothaer, möglicher Weise beschnit- tene Exemplar. Letzteres hat auch nicht die Einfassung des Münchner Stichs.

Der mehr erwähnte Text lautet nun in drei Spalten unter dem Kupferstich:

MEin Lieber Leser, steh hier stlLl Hör was ich kurtz erzeblen will Von einer feinen Compagnj, Wie du dann sihst.vor Augen hie: Wie es vor zeitten vnd fortan, . 6

Auf Spinn Stuben pflegt zuzugahn. Hett dir es auch viel Artlicher

Viel besser und viel stattlicher Nicht können thun, als ich wolan

Mit dieser Figur hab gethan. 10

Da thut [pflegt?] es (wolst mich recht verstehn)

Vber vnd vber zuzugehn. Dann etlich Schlaffen, etlich singen, Etliche Tantzen oder Springen,

354 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

Etliche mit einander Schertzen, 15

Küssen, Lieblen, sich freundlich Hertzen:

Etliche Schlagn vnd Schraeissen drein, ,

Etlich verschütten Bier vnd Wein,

Hergegen etlich frölich Trincken,

Einander mit den Augen wincken. 20

A. Nachbar Cuntz Tantzt mit seiner Gretn,

Thut drüber bald sein Hosn verzetn.

B. Clas spring ins Feld mit seiner Basen

Tantzt, sie wil nicht vom Bocken lassn.

C. Deß Pfaffen Magd hats glücket nit, ^6

Dann sie hat Rübn vnd Kraut verschütt.

D. Darzu ist Hfinsigen wol auff,

Will sie noch stossen vbern hauff.

E. Deß Schnitzen Mart, wie ich versteh,

Feit vnd kehrt die Bein in die Höh. 30

(Sp. 2) F. Das gfelt jhrm Buhl dem Fritzen nicht,

Drüber vergeht jhm sein Gesicht. G. Der Schultz im Dorff sich nicht viel regt.

Beim Wasser 'Kübel sitzt vnd schlttfft. H. Mit seiner Pfeiff Frantz Biederman 35

Der thut nicht weit vom Offen stahn. I. Matz Kaltenbergem friret sehr,

Drumb stelt er sich zum Ofen her. K. Die Gvatter Grein jhm Gvatter Koch

Nimbt in die Aim vnd küst jhn noch. 40

L. Curdt Selten&oh wil sich verkrichn.

Mit Elßgen hindern Ofen schliefih. M. Veit Schnützer der mutwülig Gsell

Macht Baß Ciaren ein Vngefell, Das jhr die Spindel thut entfallen: 45

N. Baß Marreth thut solchs nicht gefallen. 0. Fritz Trinckauß, mit seim schönen Crantz,

Sitzt bej seim Schatz, ist nicht beym Tantz.

F. Dann er Trinckt es zu seiner Braut,

Drumb ist er auch eine gute Haut. 50

Q. Sein Schwiger sitzt auch bej dem Tisch,

Het sies nur bald, so trSnck sie frisch. R. Frantz Wochendölpel, jhr Gvatter Man,

Schiäfft, kan nicht auff den füssen stahn; S. Ditz Guckguck schawt zum Fenster hnein, 55

Wolt auch gern bey der Gsellschafft sein. T. Shebald Scheutzlich, der gschickte Man

Der wil das An- und Einsehn han.

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 355

V. Darzu sein Liebe Bärbel gut

Mit einem Liecht jhm Leuchten thut. 60

(Sp. 3) W. Virich Flegeln gefeit der Strauß,

X. Baß Appel lescht jhr Licht bald auß. Y. Deß Hirtten Mutter Lisabeth

Dieser Handel zu Hertzen geht. Dann sie weiß noch wol Zeit ynd Tag, 65

Daß sie auch so zu Leben pflag, Denckt auch noch wol der gutten Zeit,

Darinn sie hett gar manche Frewdt. Z. Gangolifs Hans, der vnruhig Tropff

Was kompt jhm nur in seinen Kopff, 70

Daß er Vrsul deß Schreiners Basn

Mit frieden nicht will Spinnen lassn. Verschütt darzu den gutten Wein,

Das mag mir wol ein Tölpel sein. Es bemüht sich der Arme Tropff, 76

Daß jhm der Hut auch fält vom Kopff. Deß Schreiners Vrsel wehrt sich sehr,

Schlegt mit dem Rocken, vngefehr Entf&lt jhr Würtel vnd die Spindl:

Mich deucht, es sey ein fein Gesindl? 80

Wie könt diß Gsindel feiner sein,

Ist doch darbey die gantze Gemein Im Dorff, so wohl oben als yndn?

Drumb sein sie Lustig zu den stundn Den Abend sowol als den Morgn, 85

Laßn den Pfaffn sein Köchin versorgn, Versorgn sich vntr einander auch,

Dann bey Spinnstubn ein solcher Brauch, Wie ich jtzund gezeiget an.

Von Knechten, Mägden, Weib vnd Man: 90

Ade, ich hab das mein gethan!

Muss mir nach den oben über das Münchner Exemplar der zweiten Abdrucksgattong des Gothaer Sfichs gemachten Mittheilungen gestattet sein die von Drugnlin behauptete Ur- heberschaft Peter Troschels* an demselben vor der Hand zu bezweifeln und unter Berücksichtigung der sonst dargelegten Momente den Stich vielmehr noch ine 16. Jahrhundert zu wei- sen — in München selbst setzt man die zweite Abdrucks-

* Was ich sonst von Blättern Peter Troschels gesehen, trägt auch einen andern Charakter.

356 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

gattung; wie eine Bleistiftnotiz auf dem Exemplar mich be- lehrte, um 1590 ; so glaube ich trotz gewisser, keüieswegs dawider streitender Sprach- und Versbaueigenthümlichkeiten und selbst orthographischer Kleinigkeiten Fischart doch nicht für den Autor dieser Verse halten zu dürfen. Dagegen spricht meines erachtens am meisten die Abwesenheit aller Wortspiele, denn die zum Theil recht glücklich erfundenen Bauernnamen können als ein unserm Humoristen ausschliesslich zukommen- des Charakteristicum nicht reclamiert werden, da sie in Deutsch- land schon den Fastnachtspielen* mehr als geläufig sind und später von Lieder- und Schwankdichtern mit Vorliebe ange- wandt werden. Auch meine ich, dass Fischart das Bild wol noch farbenreicher gestaltet und sich seiner sonstigen Gewohn- heit gemäss nicht nur auf Erklärung des Kupferstichs be- schränkt hätte, ob wol wir in den kürzern Fassungen des „Kuttenstreits" und des „Medusenkopfes" ja auch hierfür Bei- spiele haben. Endlich vermisse ich speciell elsässisches Colorit, da z. B. immer von Spinn- und Rockenstube gesprochen wird, nicht auch einmal von den auf alemannischem Sprachgebiet üblicheren Bezeichnungen (Frommanns Mda. IV, 10 ff.), vor allem von der „Kunkel" (s. Hildebrand im D.Wb. V, 2653,1a). Indessen befinden wir uns nach V. 73 in einem Weinlande, und die Verse sind für einen gewöhnlichen Bilderreim zu fiiessend und glatt, der Sinn greift aus einer Beimzeile in die andere über, Flickwörter fehlen, aber unreine Reime werden nicht gescheut, klingende und stumpfe gemischt, tieftonige mit hoch- tonigen gebunden, ja das Ende des Gedichts mit dreifachem Reim geziert . . . alles nach Fischarts Weise.

Jedesfalls wird sich die Frage, ob wir in dieser Kunkel- stube ein Product Fischartischer Muse vor uns haben, nur auf Grund weiteren Materials entscheiden lassen, und wir wollen hoffen, dass unergründete Kasten und Mappen öffentlicher oder privater Sammlungen unter anderm für die Kenntniss unseres Humoristen werthvollem auch noch einmal diese oder eine

* S. Weinhold in Qosches Jahrbuch I, 10 ff. N. Manael, Lindener u. a. bieten vor Fischart ebenfalls charakteristische Namen, vor allen aber das humoristische Volkslied des 16. Jahrhunderts.

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 357

andere „Rocken- oder Kunkelstub" mit einem Pseudonym oder Änagramm heraus geben^ das die jetzt bleibenden Zweifel un- möglich macht wie z. B. das „In Forchten gehts Mittel" auf dem uns bis jetzt auch nur in einem Jüngern Blatte Peter Isselburgers erhaltenen „Gauchlob".

Wie die „Mühle", ebenso spielt die „Spinnstube" in dA: spätem Bilderlitteratur, ja- auch sonst in der polemischen eine gewisse RoUe^ die zeigt^ wie hartnäckig der einmal erfundene Rahmen festgehalten und für den wechselndsten Stoff im Laufe der Jahrhunderte immer wieder passend gemacht wird; ich glaube hier wenigstens das hauptsächlichste kurz zusammen stellen zu sollen.

Zunächst in derFlugblattlitteratur des Dreissigjährigen Krie- ges. ,,ABrieß einer Wunderseltzamen, mehr dann Sathanischen | Spinnenstuben, von dem Sauitischem Ottergeschmeyß, zu Vnterdruckung in vielen vornehmen | Ländern vnd Provincien Reiner Evangelisehen Religion erdacht, aber von dem Könige aller Königen | zu nichte gemacht. | " Kupferstich darüber, unten in drei Spalten deutsche und am Schluss lateinische Verse „An den Vnpartheischen Lesern'*. „Gedruckt zu Sich dich für, Durch Christianum von Warenhausen, vnd Traw jnen nit vil. MDC XX." Grossfolioblatt, reproduciert bei Scheible, Die Fliegenden Blätter, Stuttg. 1850, S. 203 Nr. 52; Exemplare in Ulm, Nürnberg und in meinem Besitz: Drugulin, B. A. II, 130, 1452; Weller, Ann. I, 375 Nr. 498; ebd. S. 443 und Lie- der des Dreissigjähr. Krieges 1855 S. XVI noch eine frühere Ausgabe von 1619 (?) erwähnt.

„Spanische Spinnstuben oder Rockenfahrt" „Im Jar 1620", ebenfalls bei Scheible a. a. 0. S. 151 Nr. 39: Weller, Ann. I, 378 Nr. 518; Drugulin II, 130 führt unter Nr. 1453 und 1454 zwei verschiedene Ausgaben an.

„Jüngst verwichene Zusammenkunfft, des Generals Tilli vnd seiner Rathgeber der Jesuiten in einer RockenStuben der weitberühmten Stadt Ach". Am Schlüsse: „Gedruckt im Jahr 1632'*. Kupferstich mit Versen in Meiningen. Eine zweite Ausgabe o. J. unter dem Titel: „Der Jesuiter Sampt des General Tilly Newliche Zusammenkunft in einer Kunckel- stuben zu Ach", in Ulm: Weller, Ann. I, 168 Nr. 870.

AbOBIV f. LITT.-OSSOH. VII. 24

358 Wendeler, zu Fiscliarts Bildergedichien.

Beide Blätter besass Drugulin II, 17& Nr. 1991 und 1990, letzteres ist auch auf der k. Bibliothek in Berlin.

Eine ebenfalls politische Schrift ist:

„Turgäwische Kunckelstuben Oder Gantz Vertrüwlich vnd Nochberlich Gespräch Zwischen Jockle vnd Barthel, einem Buren vnd Wiirth im Thurgöw. Betreffendt Den jetzigen Lauff vnnd Zustandt Hochlöblicher Eydtgenosschafffc. In dem Jofar M . DC . LV." 4 Blätter in 4., mit Titelholzschnitt, zum gröss- ten Theile abgedruckt in Titus Toblers Alten Dialektproben der deutschen Schweiz. St. Gallen 1869, S. 19 ff. vgl. S. 9.

An das bereits als Quelle Fischarts besprochene „Kun- kels oder Spinnrockens Evangelium", und zwar in der deutschen Bearbeitung, knüpft wörtlich an die „Astronomia Teutsch . Himmels lauff . . . Getruckt zu Franckfurt am Mayn bey Sigismundo Latomo, in Verlegung Vincentij Steinmeyers M. DC. XH" Bl. 104» ff. mit dem Abschnitte: „Der alten Weyber Philosophey," den Fr. Pfeiffer in der Zeitschrift für Deutsche Mythologie III (1855) S. 329 ff. zum Abdruck gebracht hat; es entspricht demselben in „DesEunkels odder Spinnrockens Euangelia, Collen 1557" das VI. Cap. u. d. ff. Bl. B 2^ == Jannet S. 18 ff., jedoch mit Auslassung der Glos- sen und beliebiger Abschnitte.

Weniger direct steht mit dieser „alten Weyber Philoso- phey" die „PHILOSOPHIA | COLÜS | oder | Pfy, lose vieh der I Weiber | darinnen gleich hundert allerhand ge- wöhnliche Aberglauben des gemeinenMan- | nes läche- rig wahr gemachet I werden: | die kurtze Zeit zu verlängern, vnd die lange Zeit | zu vertreiben, auffgesetzet | durch MIci PSaM: I Regem Numidiae. | Leipzig | In Verlegung Johann Barthol Dehlers. | Arnstadt | Gedruckt bey Caspar Freyschmie- den I M. DC. LXII", 4., in Verbindung, das nicht unbekannte Buch des 1680 zu Leipzig gestorbenen Johann Praetorius (d. i. Schulze) aus Zettingen in der Altmark (Goedeke GR. I, 499), worin dieser auch sonst durch den volksmässigen und sittengeschichtlichen Inhalt seiner Werke überaus inter- essante Satiriker hundert Numern des Teuflischen Aber- glaubens der Weiber den Krieg macht: „das Weiber -Volck, in gemein, glaubet entweder zu wenig mit dem Thoma oder

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 359

zu viel mit den Juden". ,,Noch mustu wissen: daß ich in dieser Kurtzweil bonorum virorum exempla habe: was also dem Pinckio* gelüstet hat, die papistische Lugenda in cen- turia sua aus zu mustern, und durch zu hebeln, daß hat mir ebenfals beliebet: und ich vermeine noch grossem Fug zu haben; so ferne ich meine Landesleute hoffe zu verbessern". Gleich bei dem „Canon L" citiert er dann auch Herrn ßi ech- tem in seinem „Calender auff.das Jahr 1661". Das Schrift- chen hat, was bis jetzt den Bibliographen nicht bekannt zu sein scheint**, eine zweite Auflage erlebt unter dem Titel: „Taudel- und Zaudel- 1 hafftiger | Spin-Rocken, | zu | Welchen so alte, so junge Zatschen, des A- 1 bends aufen Dörffern | und in kleinen Stä- j ten hinschlentern, und wie Wahnwitzige Gänse beschnat- 1 tern und tröschen: Alhier aber ziemlich gepanzer- feget, I und mit starcken Hanff angeleget, an stat des ver- { stockten Wercks, und verroste- 1 ten Flachses. | durch Hoff- meister Spinn- Stuben*** | ... | Zippelzerbst | Gedruckt durch Flachslanden 1 Im Jahr 1678", 4., in Berlin in zwei Exem- plaren vorhanden. Desselben Verfassers „DULC- AMARÜS | ANCILLARIOLUS: | Das ist | Der suß-wurtzligte und saur- ampferigte | Mägde-Tröster | Erzwingend, | Daß die Mägde bes- sere Thiere | seyn, als die sogenanten | Jungfern | .... | Im Jahre, | Laß Die Mägte hier Vn Vernichtet." (d. i. - 1663, Vor- titel: 1664) in 8., ist, wie es schon auf dem Titel heisst „Aus Phy-lo-loch-ischen Samen gezeuget".

Des Praetorius „Philosophia Colus" wurde endlich Vor- bild für den in der Nähe von Arnstadt, dem Druckorte jener, geborenen Autor der „gestriegelten ( Rocken- | PHILO- SOPHIA, I Oder Auffrichtige Untersuchung | derer | Von vielen super -klugen Weibern | hochgehaltenen | Aberglauben

* Gemeint ist hier Caspar Finck, der 1618 ff. das Fischart wol- bekannte Buch des Hieronymus Rauscher, die 3 Centurien außer welter Papistischer Lögen (zuerst 1562 1566) neu herausgab und um hundert vermehrte: „Legendorum Papisticorum Centuria, Üas ist Hunderfc auß- erlesener ... Papistischer Vnwarheiten ... widerlegt. Frankfurt 1618** 8. (in Berlin).

** Doch 8. Katalog d. Bibl. Fr. Haydingei-s I, 2. (1876) S. 55 Nr. 828- *** D. h. i/ans 5'chu1ze Äedlingius.

24*

360 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

an das Licht gestellet von dem, | der einem jedweden die Wahrheit | Ins Gesicht Saget | . . . | Chemnitz, bey Conrad Stösseln, 1709", in 8.: s. hier im Archiv I, 105 ff. die schone Ermittelung Hildebrands mit B. Köhlers Nachträgen. Der- selbe hiess Johann Georg Schmidt. Exemplare haben wir hier in Berlin von der „gestriegelten Rockenphilosophia'^: das 1. und 2. Hundert von 1709, das 3. und 4. von 1707; das 1.— 6. Hundert von 1718, resp. 1722 und das 1.— 6. Hundert in der fünften Auflage von 1759.

Die letzte im Rahmen der Spinnstube sich bewegende Schrift, welche ich hier zu nennen wüsste, ist ein gereimtes Flugblatt, aus von Naglers Sammlung auf zwei Quartblät- tern: „Der I Frantzösischen Lilgen | Neu-eröfinete | Spinn- Stube, I oder Curiose Vorstellung! des | Jetzigen Krieges-Staats. | Hört, was die Wahrheit spricht: | Die Liljen spinnen nicht. | Matth. VI, V. 28. | Anno 1734." Das ganze stellt sich als ein Dialog zwischen Russland, Franckreich, dem Papst, Don Carlos, Sardinien, dem Duc de Fleury, dem Printzen Eugenius und Stanislaus (Lesczinski) dar, die Spitze ist natürlich gegen Frankreich gerichtet.

Printz Eugenius u. a. sagt:

Die Liljen spinnen nicht: Daß muß ich frey gestehen, Drum möcht ich hertzlich gern die Rocken-Stube sehen, ' Die sich der Liljen Stamm zur Spinnerey erwehlt Ich weiß, daß gantz gewiß es noch am besten fehlt

Franckreich:

Was solte, Grosser Held, der Booken-Stube fehlen? Ich will Italien vorerst darzu erwehlen, Und trifft das facit nur mit meiner Rechnung ein So soll am Ehein- Strom dann die erste Bleiche seyn.

Printz Eugenius:

Halt Franckreich, halte an! denn hier ist Bley und Degen,

Die in den Klauen sich des Grossen Adlers regen,

Ich komme, seh und steh, und thue meine Pflicht:

Halt Franckreich, halte an! Die Liljen spinnen nicht!

Wendeler, zu Fischarte Bildergedichten. 361

in.

Audienz des Kaisers.

In seiner bekannten Becension des Hallingschen Buches bezeichnete von Meusebach, Allgemeine Hallische Litteratur- Zeitung I. 1829, Sp. 443, als gewiss vorhandene, aber noch nicht zum Vorschein gekommene Fischartiana: „1. Gemäl des Malchopapo 1578; 2. Audienz des Keysers, vor 1575 er- schienen, in Versen, vermuthlich ein Holzschnitt- bogen; ebenso 3. die 10 Alter der Weiber, vielleicht gar aus 10 Holzschnittbogen zusammen gesetzt; 4. von König Masinissa, gleichfalls in Versen; 5. Tratzfatzbrief, 1574 oder kurz zuvor erschienen. Wenn die Besitzer und Vorsteher alter Holzschnittsammlungen ihre Mappen jetzt durchsehen wollten, wie manches Werklein Fischarts könnte noch zur Entdeckung kommen!"

Diese Bitte ist wol niemals von denen gelesen worden, an welche sie gerichtet war. Auch heute noch entbehren wir jener Stücke mit Ausnahme des „Malchopapo", den E. Weller in Zürich fand: Neue Original-Poesieen Fischarts 1854, S. 17. 78 flf.; ein zweites Exemplar davon, kann ich hinzufügen, be- findet sich auf dem kgl. Kupferstichcabinet in München. Wird ein ähnliches ansuchen meinerseits an die Kunstforscher um ein wenig Interesse für unsem grossen Humoristen ebenso erfolglos bleiben wie das vor beinahe 50 Jahren? Die Er- füllung jener Bitte wäre ja so leicht, sie wäre sogar zum Theil schon erfüllt, wenn der verdienstvolle Bearbeiter des Deutschen Peintre-Graveur uns nur öfter hätte sagen wollen, wo er von ihm beschriebene seltene Blätter der Art gesehen!

Was nun zunächst die „Audienz des Keysers" angeht, so liegt bei diesem Blatte die Sache einigermassen günstig. Andresen verzeichnet III, 48 Nr. 104 eine solche des Kaisers Maximilian H. aus dem Jahre 1570 mit der Adresse des Strass- burger Buchdruckers Bernhart Jobin, des Schwagers und Ver- legers unseres Humoristen. Exemplare davon fand ich auf dem kgl. Kupferstichcabinet in Dresden und unter den Schätzen

362 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

des Germamschen Museums in Nürnberg*: aber Fischarts Verse stehen nicht darauf ^ vielmehr solche des Heinrich Wirrich.

Einen Ulrich Wirry von Arow lernten wir als Concur- renten Fischarts beim Strassburger Schiessen von 1576 kenneu (vgl. Birlingers Alemannia V, 123, 5), ein älterer Bruder oder verwandter desselben ist Heinrich Wirrich (auch Wirry, Wirre, Wire geschrieben), bürtig von Araw, wonhaft zu Solothurn", später zu Zürich, dann „oberster Britschenmeister in Schweitz und Oesterreich", eine auf Schiessen, fürstlichen Hochzeiten und Reichstagen stets sich einstellende Person, der auch sonst den Kaiser mit seinen Versen behelligte und nebenbei schreck- liche Wundergeschichten, Himmelszeichen, Mordthaten u. s. w. besang: Goedeke GR. 294, 24. E. Weller im Anzeiger f. Kunde d. D. Vorzeit 1860, Sp. 367 ff. 439 ff., auch Annalen I, 59. 227. 228. 319. 329. H, 358.

Es kann gar nicht zweifelhajFb sein, dass dieser Holz- schnitt, nach einer Zeichnung T. Stimmers- von einem rech£ mittelmässigen Formschneider gefertigt, noch in zweiter Ausgabe mit andern Versen existiert, beziehentlich existiert hat, und diese Verse sind dann von Fischart

Dafür bürgt die Adresse Jobins auf unserm Blatte.

Unter diesen Umständen wird man es gerechtfertigt finden, wenn ich wenigstens Heinrich Wirrichs „Audienz** hierher setze.

Etwa die Hälfte des grossen, von Job in scher Einfassung umzogenen Folioblatts nimmt der Holzschnitt ein.

In einem weiten Gemache, dessen Wände mit reich ge- musterten gewebten Tapeten bedeckt sind, wol der Audienz- stube des Rathhofes in Speier, sitzt rechts in der obem Ecke auf einer Estrade, den linken Arm auf einen behängten Tisch gestützt, und unter einem Thronhimmel der Kaiser in Mantel und Federhut, nach links gewandt und, wie es scheint, Bitt- schriften armer Leute entgegen nehmend. Ein ganzer Trupp solcher Bittsteller, auch Frauen darunter, steht links noch bereit.

Seit Jahren hatte Weller, Annalen I, 329 Nr. 194 das letztere nachgewiesen; es liegt mir durch die Güte des Herrn Director Dr. Essen- wein vor.

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 363

Den Vordergrund nehmen die Trabanten und dahinter eine Reihe Hofleute ein, rechts unter dem Fenster die kaiser- lichen Räthe, anscheinend recht unaufmerksam und in Privat- unterhaltung begriffen^ links auf den Stufen zur Thür der Thürsteher, einem sich entfernenden Hofmann die Thür öffiiend.

Alle Personen ausser dem Kaiser sind entblössten Haupted.

Ueber dem gut componierten Holzschnitte liest man:

. Audientz

Des aller Großmechtigsteu Durchleüchtigsten Vn- überwindtlichsten Römischen Eeysers | Maximilian, des Andern vnsers aller gnädigsten Herren, wie die durch jhr Maiestet | zu Speyr auff dem Reychßtag ist gehalten worden. Im Jar 1570. |

Darunter stehen Verse in drei Spalten mit abgesetzten Anfangsbuchstaben, welche folgendes Anagramm ergeben:

Got erhalt Maximilian

Ein auserwelter Kaiser schan,

Die weil ist gstanden 's Remisch reich,

Was im an dvgent kainer gleich.

Diese selbst lauten:

G ott den HErren ruffen ich an,

0 b er mir weite hie bej stan

T hurch seine Heyligen namen drey

* E rzelen durch die Silben frey

R echte tugent Maximilian 6

H arab jm gsant von Gottes Tran

A Is einem Haupt der Christenheit

L ustig vnd lieblich zu bereit,

T as ja außsprechen kan kein Mund,

M ir auch nit miglich zu der stund, 10

A Is er gyriß ist ohn allen spott

X albett* von dem höchsten Gott

1 n gerechtigkeit desgleich tugent, M it derselben er von jugent

I st da vmb gangen alle zeyt, 15

L ast si von jm nit dreiben weit. I n gutem frid er gsellschafft leist

gs . . . . , also gsalbet.

l

364 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

A Is in den lehrt der Hejlig Geist.

N achdem es nit wol möglich ist

* E im solchen Haupt zu jeder frist 20

I n tugent vnd ohn all beschwer

N ach eins jeden Menschen beger

A ntwort zu geben jeder man,

V on Gott muß er den segen han:

S onst wer es mit dem Fleisch verlorn, 25

E ist die warheit- gwiß, kein zorn

B egiert in jr Mayestet gar nit:

W ie diß Figur hie kundtschafift gibt

E igentlichen vnd auch behentz

L ieblich vnd freündtlich audientz: 30

T ie jr Mayestet, ich gesehen hab,

E im jeden Arm vnd Reichen gab,

B ed ich, zu Speyr in disem Jar,

K an ich bekennen, es ist war:

[Sp. 2] A rm vnd Reich die wurdend gehört, 35

I r keinem ward die Thtir verspert,

S ein sach mocht er wol zeygen an,'

E r thet freündtlich antwort entpfan

R echt tugentlich, muß ich jehen,

S olchs ich vor nit mehr gesehen. 40

C lar vnd lauter ist das, sag

H abs nit erfahren all mein Tag.

A 11 jr Glider, Fürsten vnd Herrn,

N ach ewerm Haupt solt jhr euch kern,

D as jhr daruon auch nemend lehr, 45

I st euch warlichen kein vnehr.

E im Glid es warlich wol an sthat,

W ann es geht zQ dem haupt zu rhat,

E rlangt es tugent vnd auch ehr,

I n Göttlicher forcht vnd auch lehr, 50

L and vnd sein Leüt haben in hut

I n frid'vor des Feinds vbermüt:

S o aber die Glider an jedem end

T em Haupt* so gar üit folgen wend,

G eth es, wie man das sieht gar vil, 55

S 0 jeder jm selbs folgen wil,

T hut es die lenge nimmer gut,

A Is vns die Schrifft auch lehrnen thüt,

N ach will sich niemandt daran kern^

D as er von seinem Haupt wöl lehrn: 60

E s sey ein Reich, wie starck es wöU,

N ach dem es kombt in vngeuell,

Wendeler, zu Fischarts Bildergedicfaien. 365

S 0 mags die lenge nicht bestan,

B icht sich darzu, es muß zergan:

E in Beich, das sich zusamen halt, 65

M ag widerstabn eim grossen gwalt,

I st es vnder jhm selbs zertrent^

S o wert nit lang sein Begement:

[Sp. 3] C lein ist sein gwinn, das sag ich dir,

H ab rhat vnd nimm die lehr von mir, 70

B icht sicli einer nach seinem Hopt,

E s ist im ehrlich, würt drumb glopt:

J a wer sein eigen Haupt nit Ehrt,

C lag vnd straff ist jhm beschert:

H at Christus vns nit bscheid drumb gebn, 75

. W ie wir sollend gehorsam lehn,

A Is Paulus schreibt in seinem Biich

S ein lehr zun Bömeren man such,

I u dem drejtzehenden Capitl:

M ein nam hat aber kleinen Titl, 80

A ch Gott darumb würd ich nicht gacht,

N ach meinem rhat gar wenig tracht,

D em befilch ichs, so im Himel ist,

V nd seinem Son HErr Jesu Christ^

G leichfals auch dem Heyligen Geyst, 86

E r vns sein gnad mittheil vnd leist

N ach seiner milte vnd auch güet,

T urch sein groß krafft er trewlich bhüet

E eyser Maximilian gut,

A Is ein .gar Christenliches Blut, 90

I n aller tugend hoch geziert,

N ach Gottes wort sein Schwert er fiert,

E in zier der gantzen Christenheit,

B icht vnd sieht nach der Einigkeit:

G Ott wöll jm geben glück darzü 95

L ang zu leben in guter rhu,

E in steten frid Maximilian,

I m setzen auff des lebens kran,

C hristi Jesu durch deines Blut

H alt vns in hut den Keyser gut, loo

Das er mög bleiben lang gesund,

Wünscht Heinrich Wirrich von hei*tzen grund.

Unter der mittelsten Verscolumne:

Getruckt zu Straßburg, Durch Bernhardt Jobin Pormschneider. Anno M. D. Lxxi.

Links: Mit Bö. Key. May. Freyheyt,

366 Wendeler, zu Fischarta Bildergedichten.

Das Urtheil des alten Pritschenmeisters über Maximilian, dessen gutherzige Biederkeit und wolwollende Fürsorge für alle Interessen seiner Unterthanen so wie für die Grösse und Machtstellung des Reichs ^ wird man billigen können, auch das was er von der Zerfahrenheit des deutschen Fürstenstandes, der geringen Eintracht aller Reichsstände und dem wenig patrio- tischen ankämpfen aller gegen heilsame Reformen und Erfolg vorheissende Pläne des Kaisers trotz der Nähe der Gefahr sagt*; aber sonst sind seine Verse herzlich schlecht und lassen erkennen, weshalb Jobin sich für die zweite Ausgabe seines zum Ruhme des Kaisers unternommenen Blatts nach einem andern Interpreten umsah. Dass der Patriotismus seines Schwagers dabei in eifriger Antheilnahme am Geschicke der Hugenotten und Niederländer andere Wege einschlagen und etwa wegen Maximilians anscheinender Lauheit gegen diese zur Verkennung der Intentionen des Kaisers sich könnte hin- reissen lassen, brauchte er bei dem eminent praktischen Sinne Fischarts, seinem scharfen Blicke für die Mängel der hei- mischen Institutionen und seiner Begeisterung für die allmäh- lich immer mehr entschwindende Herrlichkeit des deutschen Reichs und die Tüchtigkeit der Altvordern nicht zu fürchten.

Und wirklich lassen auch die erhaltenen Proben jener Fischa»Uschen „Audientz des Keysers" deutlich erkennen, wie wenig er der Sache nach die Fussspuren Heinrich Wirrichs verlassen hat.

Gargantua 1575, Bl. Y 1** sagt Ulrich Gallet: „Aber ain König ist wie die Vnrhu inn der Vr, ja wie das Schiff auf dem Mör, das die Wind Vnd Wellen jz dahin jz dort hinaus stosen, darum haißt es ain »schwaifend Wetterhaus: Vnd da- rum reimt der (1582.1590: ein) Poet Ifgem inn der Au- dienz (1582,1590: des Keysers) sehr wol:

Das man vil rauher Wind auf hohen Bergen

als im thal find, im hohen Mör gebs gröser Gwitter, als im Bein

vnd stürzt vm grÖser Güter:

* Es ist das ja auch im wesentlichen das Urtheil der modernen Geschichtschreibung: s. z. B. M. Koch, Qaellen zur Geschichte Kaisers Maximilian II. II (1861) S. 185 ff.

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 367

Wervil versieht,

denselben vil sorg anficht, wer gros verricht,

auch groses pricht, wer vil besizt,

auch vil beschüzt, wer höher vnd näher der Sonnen sizt,

auch meher schwizt: Was deiten vil Trabanten,

als vil gfärlichait forhanden? Was deiten vil Knecht,

als vil gefecht? . . . Besoldte Freund besorgte Feind: vil Volcks vil wachen, vil Rhät vil Sachen? müsen andere beschützen,

vnd selbs inn sorgen sitzen; Sorgen auf borgen,

vnd borgen auf sorgen!"

Selbst die Warnung fehlte hier ebenso wenig wie bei Wirrich:

„Gedachter Reimist (schreibt) recht:

die gute Rhät haben der Prophetin Cassandre glück, deren der Apollo die gab ve.rlih war zu sagen, aber bei dem Volk nicht war zu glauben: Darum wer gut das Phoebus selber rhatet vnd warsaget, diweil er nach niman fraget!" A. a. 0. Bl. Y 2*.

Ich denke, es kann nicht zweifelhaft sein, dass der Bogen dieser „Audienz", wenn er sich findet, den sonst bekann- ten Zeugnissen Fischartischer Vaterlandsliebe ein neues hinzu- fügen wird; freilich hat der treue Eckart auch hier seine Stimme vergebens erhoben.

Uebrigens ist es nach der letzten Stelle möglich, dass das Blatt Prosa und Verse gemischt zeigt.

Von der historischen Audienz habe ich sonst nichts gefunden. Weder Fr. D. Häberlin in seiner Neuesten Teut- schen Reichs -Geschichte VIII (1779) S. 174 flF., noch M. Koch im IL Bande seiner Quellen (S. 55 flF. ausführliches Referat über den Reichstag) gedenken ihrer. Man darf annehmen, dass diese Berücksichtigung der armen und bittenden bei Gelegen-

368 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

heit der Hochzeitsfeierlichkeiten der ^Töchter des Kaisers statt hatte, der Princesses Anna und Elisabeth: s. Häberlin 436 S. Hieran schloss sich am 23. October ein Schiessen mit der Zielbüchse auf der Bichlipfelau " nach drei Scheiben und zum Theil recht kostbaren Preisen der geringste war ein fettes Schwein : und dazu ist sicher der Pritschenmeister Heinrich Wirrich gekommen, denn vorher durften nach aus- drücklicher Verordnung des Kaisers (s. Koch a. a. 0. 57) „Frei- harten, Schalcksnarren, Sprecher und Spielleute un- verlangt nicht erscheinen".

Auch von Pischart darf man annehmen, dass er 1570 in Speier sich einfand. Das zusammenströmen armer gelehrter wie niedriger fahrender bei Gelegenheit der Reichstage, da sich Bekanntschaften mit hochgestellten Personen hier am leichtesten einleiten Hessen, war eine Folge damaliger Ver- kehrsverhältnisse. So wissen wir, dass Melissus gelegentlich des Reichstags zu Speier mit Kurfürst Friedrich HL von der Pfalz bekannt wurde (Taubert, P. Schede S. 12); dass Nico- deraus Frischlin dem Kaiser Maximilian H. zu der schon er- wähnten Hochzeit seiner Tochter Elisabeth dort einen Hyme- naeus überreichte (Strauss, N. Frischlin S. 47 ff. 93); endlich dass Michael Toxites „Spirae ex comitiis X. Galend. Octob. 1570" seine mehrerwähnte Schrift De Podagrae Lau- dibus dem reichen Georg Ilsung von Tratzberg widmete: „equiti aurato: vtriusque Sueviae praesidi: ac Neoburgi ad Rhenum praefecto, Caesareae majestatis et archiducum Austriae a con- silijs D. et amico^.*

IV.

Die zehen Alter.

Seit von Meusebach an der schon erwähnten Stelle die Existenz der „zehen Alter der Weibör" constatierte, haben sich insbesondere Goedeke und Vilmar mit ihnen beschäftigt.

* Dieser Freund des Toxites ist derselbe, welcher sich den Frater Nasus als Prediger nach Augsburg erbat: Anzeiger f. Kunde der deut- schen Vorzeit 1866 Sp. 21.

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 369

ohne den Gegenstand zu erschöpfen. Ersterer verwies zuerst in den Elf Büchern Deutscher Dichtung 1849, S. 159 Nr. 11 und deutlicher im Pamphilus Gengenbach 1856, S. 582 auf die bei Bartsch, Peintre-Graveur IX, 338 beschriebenen Holzschnitte T. Stimmers in der k. k. Hofbiblipthek zu Wien, und Vilmar machte dagegen wiederholt, zuletzt in der zweiten Auflage seiner Schrift Zur Litteratur Johann Fischarts 1865, S. 50 gel- tend, dass diese Blätter nicht die im Philosophischen Ehe- zuchtbüchlin 1578, Bl. M 5*~^ erwähnten sein könnten, da sie nicht die dort angeführten Verse aufzuweisen hätten.

Gegen diese Ausführung Hess sich nichts begründetes einwenden; dennoch dürfte Goedeke der Sache nach Recht be- halten.

Andresen führt nämlich in seinem Peintre-Graveur III, 39, Nr. 45 49 jene fünf Folioholzschnitte T. Stimmers, welche die Altersstufen des Weibes, und fünf andere, Nr, 50 54, welche die Altersstufen des Mannes darstellen, „mit dreispaltigen sechszeiligen Versen von J. Fischart in Typendruck im untern Bande eines jeden Blattes'^ an.

Jene Wiener Blätter haben den untern Typentext nicht, wie sich aus Bartsch abnehmen liess und mir Herr Dr. Fr. Schestag auf directe Anfrage' freundlichst bestätigte.

Demnach dürfen wir annehmen, dass die schönen Verse des Ehezuchtbüchlins entweder unter einem der fünf die Weiber behandelnden Blätter stehen oder aber und letzteres ist mir wahrscheinlicher auf einem grossen Bogen unter jenen zu einem Friese oder zu einer Wandkalender- decoration zusammengefügten Blättern.

Kalender der Art mit Darstellungen der Lebensalter, frei- lich in kleinerem Format, sind mir mehrfach begegnet.

Dass die Verse der von Andresen verzeichneten Blätter wirklich von Fischart sind wir erfahren leider nicht^ ob . der Name darunter steht geht mit Bestimmtheit für jeden kundigen aus der nachfolgenden Probe hervor, welche der Nr. 52, leider der einzigen mir vorgekommenen, entnommen ist.

Das Exemplar befindet sich in der Kupferstichsammlung des verstorbenen Königs Friedrich August von Sachsen. Ueber dem gut colorierten Holzschnitte, welcher zwei Männer in

370 Wendeler, zu Fiflcharte BUdergedichten.

laugen Barten darstellt und das Monogramm des Formschneiders ^^«M zeigt, steht:

tJ L jar still stahn,

Lx jar ge'hts alter ahn.

Unten in drei Tafeln: -

IZund am höchsten stat die Sonn Nun ist vollkommen gar der Mon:

Iztint des Alters Herbstzeit ist,

Die Trauben slnt jz reif vnd frisch. Aber gleich wie die Sonn am höchsten 6

Dem Nidergang ist gleich am nächsten, [Sp. 2] Der Mon abnimt, wan er voll sieht,

Vnd das reif abfalt eh maus pricht: Also wans Menschlich Alter raicht Zum höchsten, es auch wider weicht lo

Vnd wies mit müh allgmach aufsteigt,

Also mit müh es sich auch naigt. [Sp. 3.] Drum wie man fangt all arbait an Wann die Sonn anfangt aufzugan,

Also all weil man noch nimt zu, 15

Soll man sich rüsten zu der rhu, Vnd weil man noch ist wol vermöglich, Samlen dem Alter, welchs komt träglich.

Ich habe nur die Abkürzungen aufgelöst und die Inter- punction etwas gebessert.

Neben diesem Bruchstücke der ganz unbekannten ^ Alter der Männer" mag auch die im Ehezuchtbüchlin von 1578, Bl. M 5* aufbehaltene Probe von Fiacharts „Altern der Wei- ber" noch einmal stehen*:

,, . . . Kinderzucht ist das best werck. Vnd wann es solche Spötter lang machen (sc. der Weiber), so kan man sie doch mit dem eynigen spnich beschlagen, der dort vnler den Zehen altern der Weiber steht, Nämlich

All die, so je die Weiber schölten Vnd on dieselben leben weiten:

(Wie eyner dAn schreibt on all scheuen

Das sie der Welt Notübel seien.

Weil man on sie nicht leben mag 5

Vnd gleich wol sint dem Man ejn plag)

* S. HOUät Vilmar, zur Litt. Fischarts "^ S. 50 ; Kurz Hl, 287.

Wendeler, zn Fischai-ts Bildergedichten. 371

Die mußten doch das Maul zuhalten Wann die leut jr 6[indheyt jn vorstalten,

Sie ermanten, wie sie wem erzogen,

Zwar mit vil angst, sorg, müh vnd plogen. lo

Wer het aber die gröste müh Mit jnen, dan die Weiber hie ?

Beydes mit ängstlichem gebären

Vnd auch mit sorglichem ernehren? Derhalben man sehr weislich hallt 15

Das Mutermilch keyn Eind vergelt,

Vnd das vonwegen eynes Weibs,

Nämlich der Muter, vnd jrs leibs, Jeder all Weiber hie soll ehren, [Bl.M5^]Weil sie des Maus ehr heysen vnd seinen Namen

mehren!"

Das auffinden dieser Blätter wird wahrscheinlich am wenigsten Mühe machen.

V.

König Masinissa.

Ich bekenne nicht zu wissen, aus welchen Gründen von Meusebach und nach ihm alle Litteratoren die Existenz eines besondem Werkchens, wie es scheint auch eines Bilderbogens, über König Masinissa angenommen haben. So weit ich sehe, spricht Fischart nur an zwei Stellen von diesem Numidischen Könige, beide Male zuerst in der zweiten Ausgabe des Gar- gantua und zwar im 27. oder richtiger: 26. Capitel, bei Schil- derung der körperlichen Erziehung seines Helden.

1) Bl. Y 2*: „Mit diser weiß gewöhnet er sich dass er nicht alleine stärcker ward, sondern mit der stärcke auch jünger: wie König Masinissa, der durch gleiche weiß sich erjun- get wie ein Adler, daß er auch neuntzigjärig einen Son er- zielet: vnd kont 14 tag Postlauffen.^

2) Bl. X 4^: „Man kont auch von jm sagen, wie eyner vom König Masinissa schreibt:

kein Reg jn darzu bracht noch kalt, daß er sein haupt je decken wollt, vnd war sein Leib so trucken doch.

372 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

als ob er all sein hitz hett noch; auch neuntzigjSrig gieng er so sehr, daß er keins Rosses achtet mehr, ynd wann er ritt, stieg er noch ab, als ob er müd wer worden drab."

Wie „einer" schreibt: soll und muss dieser eine wirklich nur Fischart sein? Wol citiert sich dieser öfter so; vgl. oben S. 366: „wie ein Poet Ifgem (d.i. Johann Fischart ge[nant] Menzer) schreibt"; Gargantua 1590, S. 251: „wie der im Flo- hatz den Weibern mit den Flöhen rhatet"; ebd. S. 387: „wie jener gut Freund vom neuen Hanenpropheten vom Gugel- kam reimet"; XV Bücher vom Feldbaw 1587, S. 9; „Dann wie einer, so in Schiffart der Züricher die arbeit rhümt,

reimet:

Die Arbeyt hat die Berg durchgraben

Vnd das Thal inn die höh erhaben.

Hat dem Lufft seinen paß verbawet u. s. w.^^

Aber muss das allemal so sein?? In dem Falle oben S. 370 (X Alter d. W. 3) doch gewiss nicht.

Wenigstens hätten wir sonst noch manchen Fund zu er- warten. Z. B. steht in der Vorrede zu den Neuen Künstlichen Figuren Biblischer Historien, Kurz II 282: „wie ain Poet

schreibt

Mißprauchen schSntlicher ain Bild

Als Pjgmaleon, ders erstlich bildt u. s. w.**.

Phil. Ehezuchtbüchlin 1578, Bl. G 2*: „Dan jener schreibt

recht

Was nutzt die hüpsch vnd vberschönet Wann sie die vnfrommkeyt verhönet u. s. w.**

Kurz II 279.

Ebd. G 2* (Kurz a. a. 0.): „Auch praucht einer dise

gleichnus

Wie an einem Bild ist kein meh gnad

Wan man den köpf abgschlagen hat u. s. w."

Und wenn auch Fischart wirklich der Urheber der oben ausgehobenen Verse über Masinissa wäre, was ich vor der Hand gar nicht einmal bestreiten will: können dieselben nicht eine gelegentliche Ausführung in irgend einem seiner noch nicht entdeckten Werke sein? Etwa ein Gleichniss, wie er so viele hat?

Wendeler, zu Pischarts Bildergedichten. 373

An ein eigenes „Wercklein" zu denken^ sei's auch nur ein Bilderbogen; scheint mir trotz der Autorität Meusebachs in diesem Falle gewagt; aber natürlich mit Vergnügen lasse ich mich belehren.

VI. Faztrazprif.

Unter seines Gespunsts Büchertiteln nennt Fischart schon in der ersten Ausgabe des Gargantua von 1575 diese Numer, und an ihre einstige Existenz glaubt auch Vilmar, denn mit Recht macht er schon bei Ersch und Gruber I, 51 S. 181, 9 und dann Zur Litteratur J. Fischarts^ S. 49 auf Practic 1574, Bl. E 7^ aufmerksam, wo es von dem unter dem Planeten Mars geborenen heisst: „(ist) zu erkennen an dem hohen, weiten, offenen, eingebissenen Drüssel, breiten Rübenzänen, rotem feurigen krausen har, dann kraus ist grausam, spiz- mäusigem schelmenschelben gesiebt ... Er macht sich zu den Frauen zudappisch ...: Derhalben wird er nicht alt, diweil jn die Weiber hinrichten bald, vnd jm der gäbe treck- nahe zorn das herz abstoset. Ich rat jr gäuchzornige (d. h. also hier: ihr von blinder Liebesnarrheit* und jähem

* Vgl. „Herein komm auch kein eiferiger Frawengauch, Die fremhs naschen vnd jr eygnes andern lassen, Die auß dem Hanß beißt der Xan tippe rauch, Vnd nemmen fürs Weibs bauch ein vollen Bauch: auß mit euch befrantzosten . . . nasen!** Gargantua 1590, S. 649. „Ir Geuch- stecher, Blindmeuß vnd Hülinspiler . . . Bulerbürstlein, das hin vnd wider ymbschilet, vnd nach dem Holz stincket ... Ja kurtzumb du Gänch- hornigs vnd weichzornigs Haußvergessen Mann vnd Weibsvolck" a. a. 0. 24.

Es ist an unserer Stelle nicht, wie unzweifelhaft an andern (z. B. a. a. 0. 236: ,ßaiich ein guter Man'^, 207: „man die Gäuch Herman gut Schaf nennt'*; a. a. 0.: (wolt nicht) Sinian heissen, weil man .. . den Weiber beherschten 6^auc/iey erbrütlern also ruffet'S 472: „nam auch die geil Venus den hinckenden gaitch Vulcan*'), der Hahnrei, sondern der verliebte Narr gemeint, dessen Arten Mmrner in seiner „Geuchmatt** sammelte und verhöhnte. Ich darf hier auf B. Hildebrands schönen, auch mit reicher Berüc^ichtigung Fischarts gearbeiteten Artikel „Gauch*' im D.Wb. IV, 1. Sp. 1624 ff., besonders 1627, c, d; 1536: Gäuchin; 1686: Gäuchmatte u. s. w. verweisen.

AbOBIV f. LiTT.-GiBOB. VII. 26

374 Wendeler, zu FischartB Bildergedichten.

Zorn geplagte) stisen euch an den gesellen ^ der binden am Trazfazbrif seinen geschrundenen Wolfgerittenen*, Ret" tidbgeplozten** Ars plaget. Dann eilen bringt dem Esel die faulen vnd dem Ars die heilen. Derhalben binden nach . . . ".

Es kann hiernach: gar nicht zweifelhaft sein, dass der Fatz- trazbrief einmal wirklieb erschienen imd zweitens auch mit einem Holzschnitte oder Eupfersticb ausgestattet ist; denn dort war eben „binden" jener Gesell zu seben, der von über- grosser unsinniger Eile Beulen bekommen. Femer wird deut- lich, was er enthielt: eine Satire auf Liebesnarren und jähzornige (eifersüchtige?). Endlich: dass er wahrscbein- lich nur ein kleineres Werk, ein in Mandatform gedrucktes scherzhaftes Blatt mit Bild gewesen ist uud sein Vorbild in Michael Lindeners „vnhörtem ynd scharpfem Miandat des großmäcbtigen Königs Yolnarri vber die, welcbe die gut- ten leütb zu vexieren pflegen, die es nit lenger leyden noch dulden künden^' im Rastbücblein von 1558, S. 155 ff. ge- habt bat.

„Brief' ist zunächst s. v. a. Urkunde, Frei- oder Geleits- brief, Sicherbeitsbrief : Grimm D. Wb. II, 379.

Selbst gegen den Teufel und seinen Zauber, gegen Gefahr im Kriege, Krankheit und Tod hatte man „Briefe'^: warum nicht auch gegen Spötter?

Der Priester strihte im umb sin swert einen hrief^ der gab im vesten muot: für elliu zouber was er guot.

Wigalois 4428 ff. vgl. 7335. Mhd. Wb. I, 247^

Str. 5 des alten Flöhenliedes in meinem Neudrucke von Fischarts Flöbhaz (Halle 1877) S. 64:

Ynd köndt ein Mönch verbannen Die Flöh so vngeheur,

* Wolf, Hautentzündung zwischen den Beinen: Weigand IP, 1134. Vgl. Gargantua 1590, S.260: AratooZ/reuter; 127: ^, TToZ/f^lendenschleiffig*'. ** Vgl. Grargantua 1590, S. 97: „Bütten voll geplatzter Rettich vnd gekotzter Mörrettich auß dem Elsaß*'; 181: „Nach der Specksupp hab ich verlangen . . . Den Gumpost her inn Essich geplotsf'; Practic 1574, Bl. F 8b: ,,Rättichplotzer, Gumposteider"; J 4b: „yil Bättich vnd Rüben zu Strasburg'^ Plötzen^ stossen: Grimm D.Wb. II, 153. Vgl. Gargantaa 1590, S. 75: „phtzt vnnd klopft*^

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 375

Mit hrieffen treiben dannen Diß Weiber Fegefeur ....

Gargantua 1590, S. 448:

. . . meinten als es wer ein vermumpter . . . Teuffei. Vnd einer . . . zog alsbald sein Horasbüchlin auß dem Latz . . . vnd andere griffen vnter den Arm nach jhren Wund- segen mit Fledermaußblut gescbriben.'^

Practic 1574, Bl. B 8»»:

„Kurzum die Weiber werden zu diser Jarzeit (d. h. im Som- mer) ein grose vnrü anrichten . . . o jr Flöh weichen! . . . dan sie haben neulich im Flohazbüchlein vom FloGanzler ein Neue freiheit ausgebracht, euch Maulkorb anzulegen . . . Ir libe geyattem kein nüzlicher Büchlein ist für euch nie aus- gangen, auch nicht Albertus Magnus* als der Flohaz Wei* bertraz, darinn finden jr den schaz, wie man die Floh faz ynd kraz: dasselbige ist euer Traz md Fazbrlf, den jr alzeit inn warmer gestalt, solt vnder dem linken arm tragen, so kan euch kein yngeheur plagen!'^

Aehnlich heisst es in dem JJinleitungsgedicht der zweiten Bearbeitung des Flöhhazes (Kurz II, 3 ff.):

„. . . jderman dis Buch will han,

Vnd prang(t) bei andern Büchern frei, Ynd hat so gros Authoritet, Das es gleich be3rm Katchismo steht.

Ich rhit jn, das sies lisen binden 26

Gleich an jre Betbüchlin binden, Oder an Albert Magni Buch:

Dan schönes tuch, das zirt ain pruch.

Ich hör auch, es hab ain dis Büchlin

Gebunden inn ain seiden Tüchlin, 30

Ynd warm auf blose haut gebunden, Da hab sie kain Floh meh empfunden!*^

„Fatzen" heisst Schimpfwerk treiben, yerspotten, scherzen, „tratzen" zum Zorn reizen, trotzen. „Ge- spött ynd l^a^jsrwerk", Binenkorb 1588, S. 231; „ehe sie den

* Gemeint ist hier und in der Stelle des Flöhhazes das lateinisch und deutsch oft gedrackte Buch „De Secretis Muliemm".

26*

376 Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten.

feind antraffen, hatten sie mit einander jhr gefatz^y Gargan- tua 1590, S. 495; „dieweil ich kein Satyrische weiß, reden vnd terminos ... in dieses Wercklein bringe: Sonder alles facete falzender gestalte Eulenspiegel Reimensweiß s. L BI. ? 4*5 „der spötisch treibt sein /ä^rwerck wunderlich", H. Sachs I, 414^; „wollen jederman fatzen, Wans jn gschicht, müssen sie kratzen", Hier. Bock, Der vollen Brüder Orden s. 1. 4^ Bl. B 3»; „dises jFa^^büchlein", Katzipori 1558, Bl. A 4»; „fienge auch ihn mit allerley Fatz vnnd Vexierworten an zu reitzen", Maynhincklers Sack 1612, Bl. A4*: s. Grimm D.Wb. III, 1363 flF.; Schmeller P, 780; Zamcke z. NS. 86, 4 u. 98, 33.

„Spatzen vnd katzen, Die gern kratzen vnd tratzen^y Dominici Leben, Kurz I, 213: Lexer II, 1498; Schmeller P, 681 ff. „Den Hennen vnnd Weibern zu trotz*', Gargantua 1590, S. 201; „solche schmach vnd tratz von dir ... zu er- faren", a. a. 0. 418; „sing jnen zu tratz ein lied''. Kurz II, 20, 652; „dicht sonder Lehr demselb zu' trotz*'', a. a. 0. I, 171, 1499; „dem Himd lan seinen Trotz**, a. a. 0. III, 49, 65; „Grimm vnd BsLrentraz**, a. a. 0. IH, 60, 125. Nebenher gehen auch die Formen Truz' und 'Troz': „det Teufel solt sie plen- den, Wa sie in nicht den troz vertreib". Kurz II, 39, 1399; „zu trost der Frauenweis vnd zu troz dem Flöhgeschmais^^, a.a.O. 67; „nemt dis süs büchlin an zu Nuz Aller sauren Arznei zu truz**, Podagr. Trostbüchlin 1577, Bl. B 3\

Also Faztrazbrief dürfte weiter nichts als ein Freibrief gegen fatzen und tratzen sein.

„\^r sich vexieren nicht wil lan, DarfUr ein Vexierbrieff mus han^^

meint auch ein Nachahmer Fischarts, Burkhart Mangold im Marckschiffs Nachen 1597, Bl. A 3^

Aid Probe hebe ich zum Schluss einige Stellen aus Lin- deners schon erwähntem Mandat aus.

„Wir Volnarrus von Pirimiri* Sabera Schamia schala, der letzt vnter den trunckenpoltzen in der nachzech ... in Schlampampen, Schlauraffenland, vnd im grossen Königreich Narragonien, da das Edel geschlecht die Fantasten [152]

* S. Zeitschrift f. D. Alterthnm XXI, 485 Anm. 1.

Wendeler, zu Fischarts Bildergedichten. 377

wachsen, Juncker zum Thorenstein vnd Grillenberg, auch ein Vogt zu Taubenheim ynd Muckendorff, Cantzler der gantzen Narrenzunft vnd Geckenwerck:

Entbieten allen vnsern vnnd jeden in sonderheyt vnder- thanen, als Narren, Fantasten, Gecken, Elepeln, Dremel(n), Dülpeln, Flegeln, Knöpfen, stocken, Pengeln, Sewrüsseln, Knö- belbeynen, Ejrumbsteltzen, Langnasen, Flatzenmeuler(n) vnd Rotfüchsen, denen diser vnser Brief vorkompt, 'sehen oder hören lesen, ynsern guten gnädigen willen ....

Nachdem wir inn yerschinen Jaren, nemlich der rinder Zagel Tausent, fünffhundert Bratwurst vnd acht vnd fünfftzig pfundt Saurmilch, die man sonst Putter vnd Dum- pelmilch heyßt, etliche madatat vnd verbot, die böse schnöde arge rau-[154]che weyß des spottens vnd vexierens belangendt, außgeschriben: So befindt sich doch, das ye lenger ye mehr vnangesehen vnser emstlichs verbot, solche laster vber handt oder faust nimpt, welches vnserm reich vnd Perlament nit zu kleinem abbruch dienet ....

Derhalben . . . mit vrlaub der Narrenzunft wir allen vnd einem yeden in sonderheyt verbietten, bey verwirckung des kopfs vorm hindern . . . das keiner den andern, der disen Brieff bey jm hat änderst dann mit Worten vexieren Narren oder speyen soll, bey einer GeltstrafiF ...: In sonderheyt aber vnser liebe getrewen, die vnter dem wörtlein Doctor begryffen seind ....

Disen (disem) BriefFszeyger der vns klagendt angezeygt, wie sie nyrgent vngeuexiert oder gespottet mögen sein noch bleyben, vnd sie [157] es von natur nit gerne haben noch leyden . . . geschieht vnbillich.

Dann nach dem er auß dem Gegkenkrieg, als ein DüUppel söldener auflf dem Narren Schiflf . . ., zu landt vnd Vfer kom- men, hat er sich allwegen vnserem befelch vnnd Mandat [159] nach gemäß vnd gehorsam gehalten, vnd also gelebt das yeder man mit Fingern auf jn gezeiget, seinen Narrenzynß guttlich vnd von hertzen gern erlegt . . ., darumb er auch maacht hat für andern, wo er ein Tauben oder Mugken näft weißt, die jungen jm allein zu behalten u. s. w.

Gegeben vnnd versigelt mit vnserm [170] Secret des leibs

378 Wendeler, zu Fischarta Bildergedichten.

. . . inn der yralteu vnd weit berümten Stat Gegkenhausen da die narrenzunft wonet^ den erften tag des schalckmonats, vnsers Regiments in der blü der Tauben vnd Hätzen Jar^ da nyemandt mehr weyß wirdt.

Stolprianus könig

in Narragonia . . /'

Dieses letzte Stück des Rastbüchleins gehört zu den wirr- sten Fäbricaten Michael Lindeners : nicht selten geht der Faden der Gonstruction in der UeberfüUe der Zwischensätze gänzlich verloren, und von der Fraegnanz der Katzipori-Schwänke findet sich hier kaum eine Spur. Indessen kann an seiner Autor- schaft gar nicht gezweifelt werden.

Die erwähnten Mandate aus dem Jahre 1558 mögen mit Nr. 100 und 102 der Eatzipori identisch sein; das erstere, Bl. R 7^, ist „Ein herrlich Testimonium eines armen alltfressen Studenten, der seiner vernunfft nit ganz waJ, von der Vniver- sitet zu Frybuig im Brißgaw gegeben", das andere eine Fort- setzung des ersten, und beide behandeln nicht ohne Witz die Einfalt des in Ingolstadt zum Dr. simplicitatis promovierten Narren Wolfgang Hagner (resp. Hafiher).

Dass Fischarts „Fatztrazbrief ' diesen Mustern noch etwas mehr als die Anregung verdanken könne, scheint mir un- denkbar.

Zu Schillers „Teufel Amor".

Von

Heinrich Düntzer.

Von diesem Gedichte wissen wir bekanntlich nur durch den guten Streicher , dem Schiller es auf seiner Flucht vor- gelesen zu haben scheint; gewiss ist, dass er es in Frankfurt an einen Buchhändler verkaufen wollte. Streicher selbst be- merkt; es sei ziemlich lang gewesen; aber über den Umfang desselben können wir noch etwas bestimmter durch den von Schiller geforderten, vom Buchhändler gebotenen Preis urthei- len, der in der historisch -kritischen Ausgabe (III, 162) nicht hätte übergangen werden sollen. Wenn der Dichter 25 Gulden Honorar verlangte, von denen der Buchhändler 7 abdingen wollte, so muss er den Umfang des Gedichtes auf mindestens drei Bogen geschätzt haben, da er doch wol, trotz seines durch die Räuber erlangten Namens, und wir wissen nicht einmal, ob er seinen Namen zur Verö£Fentlichu3;ig hergeben wollte, nicht mehr als einen Ducaten für den Bogen gefor- dert haben wird, welches Honorar ein Tübinger Buchhändler, worauf Schiller sich in einem Briefe vom 15. April 1781 an Petersen beruft, für Stäudlins Gedichte gezahlt hatte. In dem- selben Briefe erklärt er sich zufrieden, wenn Petersen ihm für die 12 oder 13 Bogen seiner Räuber 50 Thaler ver- schaffe; was er mehr dafür erhalte, solle für ihn abfallen. Sein „Venuswagen*' auf 24 Seiten enthält 65 Strophen zu vier Versen. Wir können den Umfang von Teufel Amor dar- nach wenigstens auf das doppelte anschlagen. Die beiden einzigen aus dem Gedichte angeführten Verse:

Süsser Amor, verweile Mit melodischem Flug,

380 Düntzer, zu Schillers „Teufel Amor".

zeigen ein kurzes Mass; möglich^ dass das Gedicht aus Strophen von zwei solchen aufeinander reimenden Yerspaaren bestand^ die für ein launiges Gedicht nicht unpassend gewesen sein wür- den, während beim streng strafenden „Venuswagen" längere Verse an der Stelle waren. Schon in meinen „Erläuterungen der lyrischen Gedichte" (I, 53 zweiter Ausgabe) ist die Ver- muthung ausgesprochen, das Gedicht habe die Qual der Liebe in heiterm Tone geschildert. Eine sonstige Aeusserung über das Gedicht ist mir nicht bekannt, ausser dass Goedeke (in der historisch-kritischen Ausgabe III S. XIU) bemerkt, das in die Stuttgarter Zeit fallende Gedicht scheine „eine Art Gegen- stück zu dem Triumphgesang der Hölle gebildet zu haben" und es habe wol mit einem Märchen von Cazotte, das den- selben Titel führt, nichts zu thun. Den „Triumphgesang der Holle" soll Schiller noch auf der Akademie gedichtet haben; er wird als eine „regellose Ode" bezeichnet, „worin Satan alle seine Erfindungen aufzählt vom Anfange der Welt an bis auf heute, um das Menschengeschlecht zu verderben, und die übrigen Teufel mit blasphemischen Chören einfielen" (Goe- deke I, 126). Ich gestehe darin keinen rechten Vergleichungs- punct mit Teufe lAmor zu finden, welcher auf eigene Hand handelt, wonach dieser als ein Gegenstück zur „Metze Venus" sich darstellt, die im Venus wagen ihre Strafe empfängt. Das 1771 und 1772 erschienene Märchen von Cazotte hiess Le diable amoureux; es ist freilich kaum als Unterlage des Schillerschen Gedichtes anzunehmen. Die von 0. Reichard in Gotha herausgegebene „Bibliothek der Romane" brachte in den Jahren 1779 und 1780 im dritten bis fünften Bande eine Episode aus dem Cazotteschen Märchen, von Meyer unter dem Titel „Teufel Amor" übersetzt. Daraus wird Schiller, dem jene Bibliothek unmöglich unbekannt geblieben sein kann, die Bezeichnung „Teufel Amor" genommen haben, die, soviel ich weiss, hier zum ersten Mal vorkommt. Freilich sagt der Teufel am Anfange von Le Sages Le diable boiteux, er sei der dieu Cupidon der Dichter, aber dies ist doch noch von der namentlichen Bezeichnung „Teufel Amor" ver- schieden. Anderer Art ist die Ballade The Daemon Lover. Schiller las schon in Wielands Oberon (1780) XH, 6:

Duntzer, zu Schillers „Teufel Amor". 381

So flüstert ihr aus einer Zofe Mund Der kleine Dämon zu, den ihr mit vollem Köcher Gebietrisch sitzen seht auf diesem Erdenrund! Der alle Welt aus seinem Zauberbecher Berauscht und den, wer ihn nicht besser kennt, Zur Ungebühr den Gott der Liebe nennt! Denn jeder jungen unerfahmen Dame Zur Nachricht sei es kund! Asmodi ist sein Name.

Vgl. meinen Faust-Commentar S. 446 Anm. 3 der zweiten Ausgabe. Erst nach dem Schillerschen Teufel Amor fallt Wielands „Legende aus dem zwölften Jahrhundert" Clelia und Sinibald, deren zweiter Theil (Teutscher Merkur 1783 Februar) beginnt:

Der Dämon, der in tausend Truggestalten Muthwillen treibt mit Jungen und mit Alten; Bald wie ein lächelnd Kiiul um Hebes Busen spielt, Bald fröhlich-wild, gleich einem rohen Knaben, Den Bogen spannt und gar nach Göttern zielt; Bald bloss durch tausend artge Gaben Den Nymphen sich zum Zeitvertreib empfiehlt, Doch, eh' sie sichs zu ihm versehen haben. Hier einen Euss und dort ein Herzchen stiehlt: Mit einem Wort der Schalk, den die Poeten (Ein leichtes Volk!) so reizend schön und hold. Mit Bösen um die Stirn und Flügelchen von Gold Uns vorzimialen nicht erröthen, Wiewohl ein Ehrenmann, der ihn bei Lampenlicht In puris putis einst gesehen,

Aus seinem eignen Mund ganz anders von ihm spricht*: Kurz, mit dem Wort einmal herauszugehn, Asmodi, der gar selten unterlässt Zur Mettenzeit in Kirchen und Kapellen Auf gutes Glück sich heimlich einzustellen.

Teufel-Amor kommt im Verlaufe des Gedichts mehr- fach vor. Die Vorstellung der Kirchenväter, dass alle Götter des classischen Heidenthums eigentlich Teufel seien, liegt hier ganz fern, die Bezeichnung als Teufel soll eben nur die

* Mit der Anmerkung: „S. das erste Capitel von Le Sages hin- kendem Teufel/'

382 Dünfczer, zu Schillers „Teufel Amor".

verderbliche Gewalt der Liebe bildlich bezeichnen. Vgl. da- selbst n 187 flf.

Und dies wird Schiller in seinem Teufel Amor auf heitere Weise weit ausgeführt haben. Dass gerade diese einen leichtern Ton anschlagende Dichtung verloren gegangen, ist ausserordentlich zu bedauern; wir hätten lieber dem derbem Yenuswagen entsagt, der noch ins Jahr 1781 fallt, wo- gegen unser Gedicht nach der Vollendung der Anthologie entstanden sein muss.

Zwei ungedruckte Briefe von Schiller

an 6. J. Göschen.

Mitgetheilt

von

Haus Graf Yorck von Wartenburg.

I.

Jena, den 6. März 91. Vielen Dank lieber Freund für die gütige Besorgung des Pelzes; er ist glücklich angelangt und hat meinen ganzen Beyfall. Fertig ist er auch schon, und nunmehr kann ich aller Witterung Trotz bieten*. Für das Geschenk der Thüm- melischen Reisen** habe ich Ihnen von meiner Lotte recht

* Auffallend ist, dass Schiller schon nach wenig mehr als zwei Jahren wiedenun an Göschen Auftrag zur Besorgung eines Pelzes gibt, wie man aus des letzteren Brief vom 26. Juli 1793 ersieht: s. Goedeke, ^^Geschäftsbriefe*' S. 92. Bei dieser Gelegenheit sei erwähnt, dass in der genannten Sammlung, in welcher sich 36 Briefe von Schiller an Göschen finden, in dem Briefwechsel beider grosse Lücken noch auszufällen sind. 26 Briefe Schillers allein (unter denen drei von der Hand Lottes ans Rudolstadt während der Krankheit des Dichters geschrieben) an seinen Freund nnd Verleger stehen in den „Grenzboten*' 1870. II, S. 370 u. ff. Sie datieren aus den Jahren 1789, 1791 nnd 1794.

** y^Reisen in die mittäglichen Provinzen von Frankreich" erschienen

Schiller an Göschen. 383

yiel verbindliches zu sagen; nur das einzige soll ich Ihnen vorwerfen, dasd Sie uns den lieben Freund, der so schone Sachen schickt und so freundlich an uns denkt, nicht selbst zeigen.

Schreiben Sie mir doch gelegentlich, ob es wirklich an dem ist, dass Sie den Calender* haben müssen neu auflegen lassen, weil derVorrath nicht für die Bestellungen zugereicht habe. Hier und in einigen anderen Orten, hör ich, sollen es die Buchhändler behauptet haben, aber glauben kann ich es nicht.

Beruhigen Sie doch Crusius, wenn Sie ihn sprechen, dar- über, dass er so lang auf die Fortsetzung des Abfalls d. Nieder- lande warten muss**. Er ist empfindlich darüber, dass ich ihn Ihnen nachsetze, wie mirs vorkommt, weil ich für Sie arbeite, und die Niederl. Geschichte liegen lasse. Aber er irrt sich wenn er glaubt, dass er desto eher Mscrpt. erhalten würde, wenn der Calender nicht wäre: auch ohne das würde ich die Fortsetzung der Niederl. Geschichte bisher verschoben haben und noch verschieben. Ganz zuverlässig wird sie vollendet, aber ich übereile mich nicht und es ist um des Werkes willen und um meiner selbst willen, dass ich die Ausarbeitung ver- zögere. Leid thäte es mir, wenn er sich von mir hintangesetzt glaubte, denn ich wünsche ihm das besste Glück mit meinen Schriften, weil ich ihn kenne und schätze. Haben Sie Ge- legenheit lieber Freund, so sagen Sie ihm das oder lassen es ihm sagen. Leben Sie recht wohl. Ewig der

Ih];ige

Schiller.

bei Göschen von 1791—1805. In einem Briefe an Körner vom Datum des obigen nennt Schiller dies Werk mit Recht „flach nnd seichVS

* „Calender für Damen". Er enthielt den ersten Theil von der „Geschichte des dreissigj ährigen Krieges *^ Der Absatz des Kalenders war bedeutend: s. TrÖmel, „Schiller -Bibliothek" 1791.

** Der erste Theil war 1788 erschienen. Erst 1801 bei der zweiten Auflage erschien als Fortsetzung „des ersten Theiles zweiter Band": s. Schillers Brief an Crusius d. d. 8. Oct. 1791 in den „Geschäftsbriefen" S. 72.

384 Schiller an Göschen.

n.

Jena den 7. Nov. 1791.

Hier, mein theurer Freund, die Stanzen* nebst noch einem kleinen Aufsatz**. Das erste Stück der Thalia*** ent- hält nichts, was die Leipziger Censur zu fürchten hat, aber schon das zweytef, und in der Folge dürfte der Fall sehr oft vorkommen. Ich bin also sehr dafür, dass die Continuation hier gedruckt wird, da doch soviele andere Zwecke dabey zu- gleich erreicht werden.

Dass Sie lat. Schrift nehmen, freut mich recht und ich denke, es wird sich der Mühe schon verlohnen.

Was werden Sie mit dem Umschlag machen?

Eine geschmackvolle Einfassung auf buntem Papier wäre freilich schön, aber ich fürchte, sie läuft Ihnen zu sehr ins Geld, da die Menge der Hefte es nothig machen würde, sie oft aufstechen zu lassen. Den Umschlag selbst wollen wir so wenig als möglich überladen, wenigstens die Seite, worauf der Titel steht. Bloss den Titel: Thalia, dann den Jahrgsmg, meinen Nahmen, und die Zahl des Hefts. Kein Yerzeichniss des Inhalts, oder wenigstens nur auf die eine Seite ff. Ueber die Bogenzahl schreiben wir uns keine strengen Gesetze vor;

* Der Beginn von Schillers Bearbeitung der Aeneide, welche in der im Jahre 1792 beginnenden „Neuen Thalia" erschien.

** Schiller selbst lieferte fär das erste Heft ausser den Stanzen nach Yirgil den Aufsatz „Üeber den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen". Ob dieser, oder ein Aufsatz aus fremder Feder gemeint ist, ist nicht zu bestimmen. ♦** Eben der „Neuen Thalia".

t Es ist nicht recht ersichtlich, warum Schiller für das zweite sowol als spätere Hefte Censurschwierigkeiten befürchtete. Wahrscheinlich dürfte er nur haben eine Pression auf seinen Verleger ausüben wollen, damit derselbe den Druck in Jena besorgen liease. Es war dies beque- mer für Schiller und geschah . auch in der Folge. Uebrigens hatte Schiller schon früher (26. Jan. 1789) Göschen gegenüber Klage geführt über die rigorose Leipziger Censur: s. Grenzboten a. a. 0.

tt „Der Umschlag der einzelnen Hefte, gestochen von Lips, zeigt auf der Vorderseite als Vigpictte den Kopf des Sokrates, darüber: Thalia imd darunter die Jahreszahl und die Zahl des Heftes; auf der Rückseite drei Grazien": s. Trömel, „Schiller-Bibliothek" 1792. Die Inhaltsangabe ist auf dem Vorsetzblatt. '

Schiller an Göschen. 385

doch am Anfang müssen die Stücke reichhaltig ;werden; dies macht zuweilen einige Bogen über die gewöhnliche Zahl nöthig*.

Ob ich das nächste Jahr durch keinen Ueberrest der Krankheit werde verhindert werden, den 30jährigen Krieg ganz zu endigen, dies liebster Freund kann ich jetzt freilich noch nicht wissen, aber mein völliger Ernst mein fester Ent- schluss ists, mit der dritten Lieferung auöh den Krieg zu be- schliessen**. Luthern und die Reformation in dem nähm- lichen Jahr zu liefern, setzt eine vollkommene Gesundheit voraus. Habe ich diese gegen Ende Februars, so will ich Ihnen alsdann gewiss versprechen, dass auf den Nov. 1792 Beides fertig ist. 'Jetzt aber wäre dieses Versprechen zu un- sicher; desto gewisser aber engagire ich mich auf das Jahr 1793 die Reformation zu liefern. Dies ist alles was ich über diesen Punkt vor der Hand bestimmen kann***. Adieu, lieber Freund. Die verlangten Stücke der Thalia, das 8. und drey Stücke vom zwölften bitte ich ja nicht zu vergessen, f

Ewig Ihr

Schiller.

Beide Briefe befinden sich in der gräfl. Yorck-von-Warten- burgschen Autographensammlung zu Schleibitz bei Huntsfeld in Schlesien.

* Dieser Passus bietet einen recht hübschen weiteren Beleg zu P. Lindaus Aufsatz: „Schiller als Redacteur", Gegenwart VUI Nr. 47.

** Die „Calender für Damen" für 1792 und 1793 enthalten Fort- setzung und Schluss des Werkes.

*** Der Plan, die Lebensgeschichte Luthers und die Reformation ähnlich wie den Dreissigjährigen Krieg zu bearbeiten, findet sich meines Wissens hier zuerst erwähnt, üeber denselben ist mir aber auch ausser dieser Briefstelle keine andere Aeusserung Schillers bekannt als in einem zweiten Brief an Göschen , welcher nur drei Wochen später geschrieben ist als der obige (28. Nov. 1791) und worin es heisst, „es sei ja nach Vollendung der Geschichte des grossen Krieges noch immer Zeit, sich über die Reformation zu entscheiden": s. Grenzboten a. a. 0.

t Schiller an GOschen am 3. Nov. 1791: s. Grenzboten a. a. 0.

Canti popolari di Noto. Studii e niccolta di Corrado Avolio. Noto. üflf. tip. di Fr. Zammit 1875. 391 Seiten. 8.

Die Sammlungen sicilischer Volkslieder mehren sich, und den bisher erschienenen von Vigo, Salomone-Marino, Pitr^, Lizio Bruno und noch anderen mehr schliesst sich die vorliegende an, die ihrem Inhalte nach ganz denselben StofF bietet, wie die genannten, da erzählende Volkslieder bis jetzt in Sicilien nur höchst wenige zum Vorschein gekommen sind, die übrigens fast nichts als Legenden bieten. Sie finden sich bei Pitr^, der auch über die Natur und Ge- schichte des sicilischen Volksgesanges in der Einleitung seiner Samm- lung, so wie in den Studi di poesia popolare erschöpfend ge- handelt hat; s. Gott. Gel. Anz. 1870 S. 997ff. 1872 S. 1701 flf., wo ich eine Uebersicht dieser Arbeiten gegeben habe, so dass ich hier auf diese Gegenstände nicht zurückkommen darf. Selbstverständlich also beziehen sich die von Avolio mitgetheilten Lieder, die er aus etwa 2000 ausgewählt, beinahe sämmtlich auf die Liebe, während die übrigen (no. 629 656) Prigioni, Mafia (Räuberwesen) und Ninne-nanne (Wiegenlieder) .zum Gegenstand haben. Der Heraus- geber hat sich aber angelegen sein lassen seiner Sammlung ausser dem aesthetischen und psychologisohenWerth auch noch einen speciell wissenschaftlichen zu verleihen; denn ausser dem Glossar, welches nicht nur das Verständniss der Lieder erleichtem, sondern auch das grosse Werk Trainas (Nuovo Vocabolario Siciliano-Italiano. Paler- mo 1868) vervollständigen soll, bietet Avolio auch noch ein Studio comparativo del sottodialetto diNoto colla lingua italiana, so wie eine Nota zu demselben, welche einen ethnographisch-histo- rischen Versuch über die Provinz Noto enthält Alle drei Beiträge sind dankenswerth und bieten mancherlei belehrendes; nnd da der Verf. selbst sich nur einen Dilettanten nennt, so wie namentlich meint, er hätte die Etymologien besser weggelassen, so wäre es nicht am Orte, wegen seiner etwaigen Versehen streng mit ihm ins Ge- richt zu gehen. Ich wende mich daher zu einigen andern Puncten, welche namentlich den Glauben und Brauch des Volkes von Noto betreffen und von Avolio theils im Glossar theils in den Anmerkungen zu den Liedern erwähnt werden. So heisst es in ersterm u. d.W. Cri- vigghiögghiu, eine Art grobes korbförmiges Sieb: „Li Noto c' d il costume, anche nelle dassi agiate, di raccogliere il neonate fino

Liebrecht, Anz. yon AvoliOi canti popol. di Noto. 387

all* espnlsione della placenta sopra un crivigghiögghiu pleno di paglia 6 coperto da un pannolino/' Die ursprüngliche Bedeutung dieser Sitte weiss ich zwar nicht, allein dass die Erklärung derselben: ,,si vuole in tal modo far atto di umiltä e si fa la conunemorazione delle povere condizioni in cui nacque il Bedentore" eine erst später entstandene ist, lässt sich kaum bezweifeln« Luciana nennt man ein Brod in Form einer Puppe mit in die Seite gestemmten Armen, wie sich gleichgestaltete Gebildbrode auch in andern Ländern finden, die ursprünglich Götterbilder darstellten; daher ist gewiss die von Avolio voran gestellte Bedeutung des Wortes^ „donna pettegola^ auch nur die später entstandene figürliche. Aus der Yolksmythologie er- wähnt Avolio den fato, das Masculinum von fata (auch die Nea- politaner kennen den fato, vgL oben Bd. VI S. 602"); den aria oder ärilu, eine Art fato, über den aber Avolio nichts weiter an- merkt; die mammatraj (fem. mammatraje d. i. mamme draghe, woraus das Masc. moviert scheint), riesenhafte, monströse, übel thätige, Menschen fressende Wesen, die, wie mir scheint, den neu- griechischen Draken und Drakaenen entstammen; die nnicci-nnei, über die nichts bekannt ist^ als dass sie in weiter Feme an den Grenzen der vuvitini wohnen; letztere aber haben ihre Heimat bei den Antipoden, sind so hoch wie ein Vorderarm (vüvitu, it. gomito) oder wie eine Spanne (spanna, also = Ttvyiuttoi) und zahllos wie der Sand am Meere; nach dem was man von ihnen berichtet, vergleicht sie Avolio ganz recht mit den nordeuropäischen Zwergen. Die ronni di casa (donne di casa) sind meist übelthätige Hausgeister, zuweilen jedoch auch freundlich, spielen dann gern mit den kleinen Kindern und flechten ihnen die Weichselzöpfe, die man nicht abschneiden darf, da sie sich sonst durch Krankheiten rächen würden (vgL Grimm, Mjth. 433). Die Gesichtsrose (risibula, erisipela) ist ein böses Wesen, das man nicht nennen darf und daher auch bloss durch brutta bestia bezeichnet. Auch die Gelbsucht (itterizia) gilt für ein solches Wesen, welches aus dem Duft der Bohnenblüten ent- steht, jedoch mit Namen genannt werden darf, wenn man dazu mit dem Munde schnalzt. Ich bemerke hierzu, dass diesem schnalzen (gr. nomitv^eiv) auch bei den alten eine besänftigende Wirkung zuge- schrieben wurde; s. zu Ar. Yesp. 626 „xav aaxQailtoa lumnvtfyvci^ und PL H.N. 28,2(5): „fulgetras poppysmis adorare, consensus gen- tium est" Die Kröten darf man nicht tödten; wer es -dennoch thut, dem sterben die Eltern, oder in Ermangelung dieser stirbt er selbst eines bösen Todes. Deshalb auch hängt, wer eine solche findet, die- selbe vorsichtig mit einem Beine an einen Bauln und lässt sie lieber so verhungern, als dass er sie gewaltsam tödte. lieber sonstigen si- cilischen Volksglauben in Beti'efF der Kröten s. meine Anzeige von Pitrös Studi in den GGA. 1872 S. 1704. Wer eine giftige Schlange (scorzone), Viper oder Natter sieht, muss an St. Paul ein

388 Liebrecht, Anz. von Avolio, canti popol. di Noto.

Gebet richten, das er in der Nacht des Namenstages dieses heiligen (29. Juni) von den ciaräuli gelernt hat, d. h. von den Schlangen- beschwörern und Wahrsagern, über die Avolio bemerkt: „Questi sacerdoti dell'Apostolo delli genti sono nomini dal ceffo sinistro, ayanzi di galera, i quali fomiscono il miglior contingente alla mafia e al malandrinaggio. Come gli Zingari, percorrono le cittä siciliane, quivi aprono suUe piazze alla cnriositä dei fanciulli an armadio, zeppo d' immagini di santi, che ö una tenerezza a vederle. C d una Madonna, dice il ciurmadore, la quale ha pianto; imEcce-homo, il quäle diede un nianrovescio ad im eretico che gli rideva dinanzi; un S. Fran- cesco di Paola, il quale alz6 il bastone sopra un ragazzo che faceva discolorie. . . . Ma non ^ in citt4 che dispiegano tutta la loro impo- stura questi parassiti sociali. Le loro scorrerie piü luorose le fanno in campagna. . . Questi buoni campagnuoli, che son semplid come i fiemciulli, gli (nttmlich dem ciar4ulo) danno una misura di fru- mento o di legumi; non perchö abbia prestato loro un' servizio, ma perchd temono che disgustato, faccia piovere la gragnuola sul loro campo e la formica sulle fave; credendolo financo capace di scatenare i venti, come Eolo, e i mal anni, come Pandora. In compenso han ricevuto un immagine di S. Paolo, che par fatta col carbone; mo- struosa figura dagli occhi spavaldi e minacciosi, dall' immane spadone al fianco, e dai mille serpenti, draghi e colubri striscianti ai suoi piedi e ai suoi fianchi. I contadini affiggono quell' immagine sulla botte che ha dato sempre vino spunto e cercone, o su quegli alberi che, per cattiva coltura, fioriscono due volte il secolo, come il La- tano/' Schliesslich will ich nach Avolio auch noch folgende Stelle aus Bonannis Siracuse illustrate anführen, die zur Erklärung einer Anspielung in einem nach des erstem .Meinung aus dem Sjra- cusanischen stammenden Liede dienen soll und den Ursprung des darin geschilderten Volksfestes auf die Feier des Sieges der Sj- racusaner über die Athener unter Nikias (413 v. Chr.) zurückführt. „La guerra si 1;ermin6 presso le rive di questo fiume (l'Asinaro) con la presura dei nemici Capitani e con Tintroduzione di nuove feste, le quali continuate di mano in nlano, come raccontano imaggiori, insino ai giomi nostri pompöse e celebri si fanno; imperocchd nello stesso mese di Maggie, quasi nella settimana stessa delFAscensione, la gioventü siracusana parte a piedi e parte a cavallo rappre- sentando la medesima yittoria e trionfo dei cittadini, viene armata dalla campagna, portando dietro legati i vinti nemici colle loro anni e insegne e appresso conducendo un fronzuto alber o, e grande, carco di spade, di scudi e d'altre spoglie, tirato da un carro, di- visa in molte squadre entra con quello a suon di tamburi nella cit- tä, spettacolo invero non men vago che degno e onorevole. Questa festa d chiamata dell' Albero.^^ Mir scheint es ganz klar, dass es sich hier nicht um ein altes Siegesfest der Sjracusaner handelt^

Liebrecht, Anz. von Avolio, canti popoL di Noto. 389

sondern um einen Kampf zwischen Sommer und Winter und den Sieg des erstem, wie er ja in zahlreichen nordeuropäischen Volksfesten im Monat Mai durch den Mairitt gefeiert wird, wobei der Mai- baum von bewaffneten Jünglingen zu Fuss und zu Pferd auf dem Mai wagen eingeholt wird; Mannhardt, Wald- und Feld- kulte 1, 347 ff. Ein schwacher Ueberrest dieses früher gewiss all- gemein italienischen Volksfestes findet sich noch in dem pflanzen des Maibaums (piantar il maggio), welches auch spanische Sitte war: „Decien que avie Ector plantado mal mayuelo.** Poema de Alexan- dro copla 604.

Man sieht, wie schätzbar die Anmerkungen Avolios^ sind, die ausser dem angeführten auch noch manche andere Beiträge zur Kenntniss des Lebens und der Sitte seiner Heimat enthalten. In sonstiger Beziehung dünkt mich unter anderm die Bemerkung interessant, dass in den sicilianischen Volksliedern von Pomeranzen und Citronen so die Bede ist, als wären sie etwas gar seltenes, und namentlich beim Vergleich eines schönen Frauengesichts mit den. genannten Früchten, was heutzutage geradezu lächerlich scheinen würde, so dass Avolio deshalb annimmt, derartige Vergleiche stammten aus der Zeit, wo jene in Sicilieu eingeführt wurden und wegen ihres Dufts und Wol- geschmacks besonders köstlich erschienen ; zur Zeit Wilhelms I. gab es aber bereits unermessliche Pomeranzen- und Citronenwälder in Si- cilien. Indess auch in neugriechischen Volksliedern findet sich sehr häufig der Vergleich von schönen Weiberbrüsten mit Citronen , z. B. Passow Nr. 597 v. 6; Nr. 577* v. 9 11.

^jKaxaöTtQo Xaiftb^ ßv^uc <sitv xa Xeiiovia . . . ." „X*' anXcoae tcc ^eqoxbqu ^ov agyvQO (lov noqtpo, Tov ficit vie TCiaörig xriv ÖQOdia ta'jCQlh xa lovXovöui^ Na TtiaiSjig ovo (unQa ßv^ia Üuc fik dvo kifiovia,'^

Auffallend ist namentlich an letzteim Orte die Zusammenstellung des silberweissen Busens und der citronengleichen Brüste, welcher Ausdruck also stehend und hergebracht scheint.

Noch will ich erwähnen, dass Avolio auch eine wortgenaue üebersetzung von etwa 40 Liedern seiner Sammlung in das gewöhnliche Italienisch beigefügt und dadurch das Verständniss der übrigen be- deutend erleichtert hat, so wie endlich zum historischen Studium des sicilischen Dialekts auch noch der Abdruck eines Codice volgare noticiano (Vita di S. Corradu) aus dem 14. Jahrh. gehört, weil, wie Avolio bemerkt, aus demselben hervorgeht, dass selbst nachdem der toscanische Dialekt zur Nationalsprache Italiens geworden war, die Sicilianer doch noch immer in ihrer eigenen Sprache schrieben und zwar in der gemeingiltigen, in' welcher auch, abgesehen von einigen Noticismen, die in Bede stehende Vita abgefasst ist.

Wir sehen also, dass Avolio alles in seinen Kräften stehende

Abohxv f. LiTT.-OasOH. YII. 20

390 Boxberger,« Anz. von Schaefers Grundriss d. d. Litteratiir.

gethan hat, um seine Sammlung im Hauptstoff wie in den Beigaben so anziehend und nutzbringend als möglich zu machen, und deshalb volle Anerkennung verdient

Lüttich. Felix Liebrecht.

J. W. Schaefer, Grundriss der Geschichte der deutschen Litteratur. Zwölfte, verbesserte Auflage. Berlin, Oppenheim, 1877.

Für ein Schulbuch bleibt die Zahl der Auflagen immer die sicherste Gewähr der Brauchbarkeit, da jeder Neudruck Gelegenheit gibt, wahrgenommene Unebenheiten und Unvollkommenheiten auszu- gleichen und zu verbessern. Dies hat denn auch der bekannte Verfasser gethan und also das seinige geleistet, um auch die neue Auflage der Gunst des Publicums zu empfehlen. Auch sind die Bio- graphien der Schriftsteller und die Bibliographie bis auf die neueste Zeit fortgeführt. Dass auch die hervorragendsten wissenschaftlichen Werke in den Kreis der deutschen Litteraturgeschichte aufgenommen sind, wird manchem willkommen sein; ebenso einige synchronistische Tabellen. Für die Möglichkeit, sich auf Grundlage dieses Compen- diums in der deutschen Litteratur selbständig weiter umzusehen, ist durch die jedem Paragraphen beigefügte sorgfältige bibliographische Auswahl bestens gesorgt. Eine „Zeittafel*^ am Schlüsse des Buches erleichtert wesentlich die üebersicht.

Robert Boxberger.

Materialien zu Gotthold Ephraim Lessing's Hamburgischer Dramaturgie. Ausführlicher Commentar nebst Einleitung, Anhang und Register zusammengestellt von Wilhelm Cosack. Paderborn, Schöningh, 1876. V und 451-^ SS. 8.

Der im 51. Bande von Herrigs Archiv versprochene Commentar zu Lessings Dramaturgie ist erschienen, doch ohne den dort mit an- gekündigten kritisch revidierten Text. Letzteren fallen zu lassen ist dem Verf. um so schwerer geworden, je geringer seine Meinung von den vorhandenen Ausgaben, auch von der Lachmannschen, ist Bef. kann diese Meinung nicht theilen. Warum nicht, wird er nachher begründen. Das beeinträchtigt aber nicht seine Dankbarkeit für die reichhaltigen „Materialien^^ eine Frucht vieljähriger Arbeit, deren Vorwort mit Fug und Becht das Motto trägt: „Seines Fleisses darf sich Jedermann rühmen^^ Der Verf. ist, wie er sich ausdrückt, „dem gelehrtesten und belesensten unserer Autoren in seine geistige Werk- stätte** gefolgt und hat allem nachgespürt, was jenem „Grundlage oder Gefäss für die Schöpferkraft seiner reformatorischen Thätigkeit auf dem Gebiete dramatischer Kritik und Dichtung geworden ist.**

Grosse, Anz. von Cosack, Mat. zu Leasings Hamb. Dram. 391

£r bat alles gelesen, was Lessing in der Dramaüirgie benrtheilt oder woran derselbe anknüpft, und gibt den Inhalt dieser Werke unter HinzufÜgnng von biographischen und bibliographischen Bemerkungen an. Dieselbe Mühe haben auf die Dramaturgie gleichzeitig Friedrich Schroeter und Richard Thiele in Wesel verwendet, deren Commen- tar mit dem Texte nach sehr gesunden Principien, vgL Wissen- schaftliche Monatsblätter 1877 No. 3 in der Waisenhausbuch- handlung zu Halle bald nach Cosacks Materialien erschienen ist. Vergebens ist die doppelte Mühe in keinem Falle aufgewandt, wenn sich auch beide Commentare im ganzen dasselbe Ziel stecken; denn „für die speciellen Zwecke der Wissenschaft", wie Schroeter und Thiele vemiutheten, ist Cosacks Arbeit nicht bestimmt. Er hat keinen „gelehrten Commentar'* schreiben wollen, sondern unter Zurück- weisung der jüngst ihm gemachten Einwendungen den Kreis, für welchen er erklärte, „recht '^^it*' gezogen und „alle Gebildete", ähn- lich wie die erstgenannten und wie er selbst in seiner Laokoon- Aus- gabe — so viel elementares wie in derselben erklärt er hier aller- dings nicht , im Auge gehabt. Von anderem abgesehen kann die verschiedene Erzählung des Inhalts die Vorstellung von den betr. Stücken nur fördern und vervollständigen, z. Th. berichtigen.

Zaire z. B. soll nach Schroeter und Thiele (S. T.) sich so sehr von Orosman bestricken lassen, dass sie „den durch eine Sklavin in sie gelegten christlichen Ideen untreu wird und sich dem Islam zu- wendet". Wer das Stück noch nicht gelesen hat, bekommt dadurch leicht eine falsche Vorstellung. Bei Cosack (C.) heisst es richtiger S. lOl«: „Zaire ist zwar von christlichen Eltern geboren, aber in der muselmännischen Religion erzogen und hört deshalb nicht auf die Vorstellungen ihi'er Freundin Fatime, welche sie an ihre Herkunft erinnert". Und S. 102: „deshalb bestürmt sie ihr Bruder Nerestan, zunächst die Christenweihe zu empfangen und dann ihr Schicksal zu entscheiden," wodurch der Satz zwischen jenen beiden: „sie hat frei- lich den Christenglauben schmählich aufgegeben" einigermassen vor Missverständniss geschützt bleibt. Gegen Ende der betr. An- merkung bei S. T. S. 91 ist noch ein Fehler: „Als die Beiden er- scheinen, stürzt er sich aus dem Versteck hervor und ersticht Zaire". Unter den beiden können nur Zaire und Nerestan verstanden sein; Nerestan erscheint doch aber erst nach Zairens Ermordung.

Hier wie bei der Alzire, Nanine, Bodogune u. a. ist C. ausführ- licher und gibt eine lebhaftere Vorstellung vom Inhalt; ein ander Mal gewinnt man sie durch S. T. , z. B. von den zu Abschnitt 26 be- sprochenen Stücken, vom Polyeuct des Corneille u. a. Bei weniger wichtigen Stücken begnügt sich der eine Commentar öfter mit kurzen Andeutungen, während der andere auch da ausführliche Angaben macht, wie z. B. C. über die Belagerung von Calais St. 18 oder die Mütterschule des Nivelle de la Chaussee St. 21. Surrogate natür-

26*

392 Grosse, Anz. von Cosack, Mat. zu Lessings Hamb. Dram.

lieh bleiben alle solche Inhaltsangaben. Dann lasse man sich also durch diese Commentare anregen die Producte selbst kennen zu lernen. Karl Frenzel hat neulich gesagt, alle Theaterkritiker bewundem Lessings Hamb. Dram., aber nicht der zehnte Theil von ihnen hat die Stücke gelesen, die darin recensiert werden. Ich glaube der Procent- satz ist noch grösser und nicht bloss bei „Theaterkritikern^S Nicht wenige dieser recensierten Stücke können aber die meisten Leser auch beim besten Willen gar nicht mehr lesen. Sie verlieren wenig dabei, denn die ,jDramaturgie'' versteht man ohne die Eenntniss dieser unbedeutenden Stücke. Wer verlangen nach ihnen trftgt, wird unseren Commentatoren für ihre Mittheilungen dankbar sein. In zwei Fällen ist es übrigens selbst Cosack trotz aller Bemühimgen nicht gelungen, der von Lessing besprochenen Stücke habhaft zu werden: .Heufelds Julie oder Wettstreit der Pflicht und Liebe (St. 8) und Pfeffels Schatz (St. 14). Mit dem ersten waren S. T. glücklicher. Sie theilen den Inhalt mit. Ihre litterarischen Notizen über Heufeld weichen von denen Cosacks beigem Liebhaber nach der Mode, 1766 oder 1766?, und beim Geburtstag, 1766 oder 1767?, ab. Cosack lässt Heufelden nur bis 1786 leben, er starb aber am 23. Mttrz 1795. Einen Hinweis auf H. M. Richters Geistesströmungen ^^ 2. Aufl. Berlin 1876, in welchen Heufelds Bedeutung S. 145 ff. imd 274 erörtert wird, vermisst man in beiden Commentaren. Auch für andere Stellen der Dramaturgie hätte dies Buch, auf welches in dieser Zeitschrift schon wiederholt aufmerksam gemacht ist, benutzt werden sollen. Pfeffels Schatz haben auch S. T. für ihre Ausgabe nicht erlangen können, obwol sie bei 21 Bibliotheken, darunter den bedeutendsten Deutschlands und Oesterreichs, angefragt«» Nachträglich ist die Hebung dieses „Schatzes** gelungen. Prof. Scherer besitzt ein Exemplar. Noch einige andere Kleinigkeiten sind in beiden Commentaren un- erledigt geblieben: das Citat aus Voltaire St. 14 ist noch nicht nach- gewiesen, und über C6rou, den Verfasser des Lustspiels „der Lieb- haber als Schriftsteller und Bedienter" St. 14 konnten keine Notizen beigebracht werden.

Die Anmerkungen der beiden Bücher ergänzen und controlieren sich gegenseitig vielfach in erwünschter Weise. St. 1 ist es z. B. für C. S. 21 „kaum ersichtlich," woher Lessing meint, dass Tasso die Episode aus Virgil (Nisus und Eurjalus) im Auge gehabt habe. S. T. finden die Nachbildung „unzweifelhaft" und geben auch die Stellen, welche Lessingen hauptsächlich vorgeschwebt haben werden, an: Verg. IX 425 ff. Tasso III, 28. St. 6 halten S. T. an der Nach- richt von Schütze (Schütz ist dort und anderwärts verdruckt), dass J. J. Dusch der Verfasser des Prologs und Epilogs sei, fest, Cosack hält Löwen dafür; indess der angeführte innere Grund gegen Dusch erscheint nicht zwingend. Eiselein nennt, nach Boxberger, Hagedorn. Derselbe war 1754 gestorben! Zu St. 8 heisst es S. 53, die Ueber-

Grosse, Anz. von Cosack, Hat. zn Lessings Hamb. Dram. 393

setzang der Melanide stehe nicht im 2. Theile der theatralischen Bibliothek des Diodati. Nach S. T. muss dies doch wol der Fall sein. Oder in einem anderen Bande? Betreffs der neuen Heloise Bousseaus in demselben Stück widersprechen sich die Commentatoren in Be- urtheilnng dessen, was dieselbe mit der Geschichte Abftlards und Heloisens gemein hat; nach C. nur, dass Abälard seine Schülerin, Julie d'Etange, liebte, und dass diese Liebe für ihn und sie die Quelle schwerer Seelenleiden wurde; nach S. T. gleichen sich die wirkliche und erdichtete Liebschaft in sehr vielen Puncten der Handlung, der einzige wichtigere Unterschied sei, dass die geschichtliche Helois« nicht in der Ehe, sondern im Closter tugendhaft und fromm werde. Man wird C. Becht geben, der hier auch einen Irrthum Lessings berichtigt: Die Härte des Vaters wird keineswegs „beim Bousseau nur kaum berührt*^, sondern Julie schildert die brutale Scene aus- führlich ihrer Freundin I, Brief 63.

St. 9. Cecchis Lust8i»el La Dote lassen S. T. 1585 im Druck erscheinen. Wenn es das älteste Stück von demselben, kann das un- möglich richtig sein. C. gibt 1550 an.

S. 60 Anm. ist Moliöres Geburtsjahr verdruckt für 1620. Bichtig wird auf derselben Seite bemerkt, dass der Plural „seine Masuren" erst seit Lachmann in den Text gekommen ist. Neben der Originalausgabe hat den Singular aber nicht bloss die Ausgabe von 1805, sondern auch die von 1794 und 1825. Hinzuzufügen war hier oder St. 13 v. Loepers Bemerkung über die Wahl des Wortes: zu Goethes Dichtung und Wahrheit Nro. 196. Sehr schade, dass überhaupt auch dies Buch nicht für die Commentare benutzt wurde. Die zwei ersten Bände waren doch schon längere Zeit erschienen. Namentlich war auch aus der „Textrevision'* viel zu lem^i. Ebenso sind nicht benutzt Heblers Lessing- Studien, die man in keiner Schrift über Lessing unerwähnt lassen sollte. Sogleich beim Gespensterglauben im folgenden Stücke war Anlass dazu vgl. S. 139 derselben.

St. 14 macht C. darauf aufmerksam, dass der zweite Absatz eine ziemlich woiiigetreue Paraphrase des Anfangs des Aufsatzes im Journal 6tranger über die Sara sei, er bezweifelt aber mit Guhrauer S. T. sind der Ansicht Danzels , dass Lessing Diderot als den Verfasser der Kritik kennzeichne. „Denn sonst hätte L. gewiss nicht im 5. Absatz «der erstgedachte Kritiker», sondern ganz bestimmt (?) «Diderot» gesagt". Dieser Grund überzeugt mich nicht. Das natürlichste ist und bleibt, dass, wenn L. erst von einem fran- zösischen Kunstrichter" spricht, dann eine Stelle Mar montels citiert, darauf „die Diderots und Jiarmontels" sagt, endlich auf den ersten zurückkommt; unter diesem Diderot verstanden wird, mögen die Plu- rale die Diderotö und Marmontels im 4. Absatz immerhin „die Schule repräsentiren, welche sich der alten Boutine gegenüberstellt".

St. 15. Von den angeblichen Versschlüssen der Acte in „Phaedra",

304 Grosse, Anz. von Cosack, Mai. zu Lessings Homb. Dram.

„Cato", „Cleopatra" hat Cosacks unermüdlicher Fleiss einen wirklich entdeckt, in Drydens Tragoedie All for Love. Bei Ben Johnson ist die Jahreszahl bei S. T. verdruckt, 1573 für 1574. Erheblich ist eine Differenz St. 16. Der Graf Gozzi, welcher die Zaire über- setzte, ist nach Cosack Carlo Gozzi, der Verfasser von Turandot, nach S. T. sein ältester Bruder Gasparo Gozzi. In ähnlicher Weise irrt sich Cosack in dem Namen Pfaff St. 42, wegen dessen Unkennt- niss er die neueren Herausgeber S. 256 tadelt, gemeint sei Johann Christian Pfaff, Prof. in Tübingen, gest. 1720; die Ausführungen ^nS.T. lassen keinen Zweifel, dass es Christoph Matthaeus Pfaff ist, 1686 1760.

Die üebersetzung des Lustspiels von L'Affichard, „Ist er von Familie?" ist nach S. T. „wol Bühnenmanuscript geblieben," wenigstens war es ihnen nicht möglich, eine solche unter jenem Titel aufzutreiben. Ausserdem sprechen sie von zwei anderen deutschen Uebersetzungen von 1746 und 1749. Aus Cosacks Anmerkung er- gibt sich aber, dass es sich nur um eine einzige, auch in Schönemanns Schaubühne Bd. 4 gedruckte Üebersetzung handeln wird^ deren Titel verändert ist für „die Familie". Ein Anhalt zur endgiltigen Entschei- dung liegt in Lessings Schlussbemerkungen. Die Daten über den Dichter weichen ab von einander. L* Affichard, geb. zu Pont-Flö (Floh S. T.), gest. 1744 (1733?) oder 1753? Der in demselben Stück vorkommende Schauspieler La Thorilliöre soll nach S. T. 1671 zum ersten Male die Bühne betreten und bis 1693 in Paris gespielt haben, Cosack lässt ihn 1662 aus dem Theater des Maraiszur Moliöre- schen Truppe kommen und im Hotel de Bourgogne bis 1679 spielen.

Die Stelle, in welcher Kallipides erwähnt ist im 18. St., wird durch die Citate von S. T. aus Ciceros Briefen und Sueton verständ- licher als durch Cosacks Bemerkung. Die Zahlenangaben über den Bartolus St. 18 weichen von einander ab, ebenso über Richardsons Pamela St. 21, über Gellerts Geburtsjahr St. 22 S. T. 1716 wie Goedeke, C. 1715 wie Lindner und a. , über die Schlacht bei Speier St. 21 u. s. w. u. s. w. Man sieht, für eine zweite Ausgabe ist vieles nachzuprüfen und zu berichtigen. Aufmerksam möchte ich nur noch darauf machen, dass in nicht wenigen Daten der Abriss, welchen C. von Voltaires Leben gibt S. 25, mit Strauss, Vorträge über Voltaire, nicht übereinstimmt. Vergl. zu Geburtsort und - zeit Strauss S. 11, zu den 6 Monaten in der Bastille S. 44 f., zu der Dauer des Aufenthalts in England S. 46. 53, zu „Sirven, den er von schmählichem Tode rettete" S. 215. Femer stimmen die Commenta- toren in der Uebersicht Über das Leben des Grafen von Essex St. 22 wieder nicht überein. Cosack sagt S. 167, Essex habe sich um die Statthalterschaft in Irland beworben und sei von der Königin mit so grossen Machtvollkommenheiten ausgerüstet, wahr- scheinlich in der Absicht, damit er sich selbst ins Verderben stüi'ze.

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Da er eine schnelle Entscheidung in Irland nicht herbeizuführen ver- mocht, habe er sich schliesslich genöthigt gesehen Waffenstillstand mit Tjrone zu schliessen. Nach S. T. hat Essex die Statthalterschaft von vornherein als eine Verbannung angesehen und sich bemüht sobald als möglich nach England zurückzukehren, deshalb Tjrone „vermocht" einen Waffenstillstand mit ihm zu schliessen. So stellt das Ranke nicht dar.

Ich komme zu den allgemeineren Fragen, welche in der Drama- turgie behandelt werden. Auch diese begleiten die Commentatoren, sich gegenseitig ergänzend, mit mehr oder weniger ausführlichen Bemerkungen, so S. T. die Vertheidigung des Prologs St. 49, C. das so wichtige Capitel vom Gegensatz zwischen historischer Treue und poetischer Wahrheit. Hierbei wäre wol ein Hinweis auf die Verfechter mit Lessing nicht übereinstimmender Meinungen ange- messen gewesen, zumal der neuste derselben, B. B ollmann, in seinen Anmerkungen zu Lessings Hamburgischer Dramaturgie in der Fest- schrift zu der dritten Saecularfeier des Berlinischen Gymnasiums zum grauen Kloster 1874 S. 4 3 ff. sich ausdrücklich gegen Cosacks Materialien in Herrigs Archiv wendet. Ich darf daher hier einiges daraus nachtragen.

Im Eingang nennt Bollmann unter denen, welche abweichend von Lessing mit Entschiedenheit- auf unverbrüchliche Treue gegen die Geschichte gedrungen, Hettner. Cosack beruft sich auf eben- denselben Gewährsmann für Lessings Ansicht, und Guhrauer er- wähnt ihn in der Biographie Lessings II, 1, 191 in ähnlichem Sinne. Die Darstellung Hettners, „das moderne Drama" S. 41 ff. und diese meint doch auch .wol Bollmann erscheint mir gleichfalls höchst Lessingisch. „Was geht uns denn in der Poesie die Geschichte an?" „Auch im historischen Drama fragen wir nur nach Poesie, und einzig nach dieser" (S. 48). „Der Dichter ist nicht der Geschichte dienst- bar, sondern umgekehrt, die Geschichte wie das ganze Weltall einzig dem Dichter" (S. 49). Das sind Hettnersche Worte, Lehren Lessings. Wenn Hettner nichts desto weniger S. 53 und das wird Bollmann hauptsächlich vorschweben die Frage: „Ist der Dichter streng gebunden an die geschichtliche Ueberlieferuug, oder darf er sie ändern imd modeln nach seinem Belieben und Bedürfniss?" dahin beantwortet: „Die strengste Sachlichkeit liegt unverbrüchlich im Wesen der histo- rischen Tragoedie", so scheint mir das mit Lessing nicht im Wider- spruche zu stehen. Denn der unmittelbar dort folgende Satz ist wieder durchaus Lessingisch: „Der Dichter fühlt sich ja nur darum von diesen oder jenen Charakteren und Ereignissen ergriffen und zu ihrer dichterischen Wiedergeburt begeistert, weil sie ihm in Wahr- heit wahlverwandt sind, d. h. weil er in ihnen seine eigensten Ge- danken und Gefühle vorgebildet und zu voller Thatsächlichkeit ver- körpert anschaut." Das ist doch nur eine andere Form des vorher

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von Hettner selbst citierten Lessingschen Oedankens: „der Dichter braucht eine Oeschichte nicht darum, weil sie geschehen ist, sondern darum, weil sie so geschehen ist, dass er sie schwerlich zu seinem gegen- wärtigen Zwecke besser erdichten könnte^' (St. 19). Nur dann ist ein Widerspruch vorhanden, wenn man jenen Satz im 24. Stück „so weit er will'^ ausserhalb des Zusammenhanges in seiner ganzen Allgemeinheit nimmt. Ist man dazu berechtigt? Lessing hat nicht gelehii:-, wie BoUmann S. 45 annimmt: „Der Dichter darf sich von den historischen Thatsachen so weit entfernen', wie er will, nur die historischen Charaktere müssen ihm heilig sein^\ Dieser Satz ist bei ihm das Glied einer Hypothese. Wenn es die Charaktere sind, warum der Dichter diese Geschichte w&hlt, so darf er von der histo- rischen Wahrheit in allem, was nicht die Charaktere betrifft, abgehen, so weit er will, und in der Wiederholung des Satzes im 33. Stück heisst es nur, dass die Charaktere dem Dichter weit heiliger sein müssen als die Facta. Nicht auf „blosses erdichten" wird von Lessing das Gewicht gelegt, sondern auf „zweckmässiges erdichten'^ (St 3 2), d. h. auf das durch den Zweck der Tragoedie, welcher das erste und letzte sein muss, gebotene.

Goethe und Schiller nennt BoUmann. Vor allen aber Shakespeare^ wie verfuhr denn er? „Auch hier ist wieder Shake- speare das unbedingte Muster,^* sagt Hettner S. 55, sicherlich unter aller Zustimmung , und rühmt sein festhalten an den gegebenen Thatsachen, seine „keusche Enthaltsamkeit." Sind ihm trotz dem nicht allezeit die Charaktere heiliger gewesen als die Facta? Ist das falsch, was Gervinus zu Anfang seiner Besprechung der historischen Stücke sagt? Dann verfuhr aber auch Shakespeare nicht anders, als Lessing zu verfahren lehrt. Ist Bichard III nicht ein voUgiltiger Beweis für die Wahrheit des Aristotelisch -Lessingischen Satzes, dass die Poesie philosophischer ist als die Geschichte? (Vgl. Kuno Fischer, Shakespeares Charakterentwickelung Bichards III, Heidelberg 1868, S. 34.) Wie viel hat Shakespeare da an den historischen Fact-en geändert! Allerdings hat er nie seiner poetischen Organisation eine erfundene Haupthandlung, wie Schiller, eingeflochten, aber davon lehrt auch Lessing nichts. Denn das ist meines erachtens ein Haupt- fehler BoUmanns, dass er ,,historische Facta" mit der Haupthandlung identificiert. Die Beispiele, an welche Lessing seine Bemerkungen anknüpft, berechtigen keineswegs dazu. Und so kam es auch, dass es Bollmann befremdet (S. 47), wie Lessing an jenen Stellen ein so grosses Gewicht auf die Charaktere legte, während doch nach Aristotelisch -Lessingscher Ansicht in der Tragoedie die Handlung das wichtigste, die Charaktere das unwichtigere, das zweite seien. Die Handlung bleibt die Hauptsache, die „Facta^^ sind nur unterge- ordnete Theile derselben.

Ein anderer Fehler BoUmanns ist, dass seine Einwendungen

Grosse, Anz. yon Cosack, Hat. zu Leasings Hamb. Dram. 397

zur Voraussetzung haben, es handle sich in den von ihm angezogenen Stellen um Lessings Ansicht von der Geschichte. Lessing spricht von der Geschichte als solcher gar nicht, sondern nur von der Ge- schichte als Stoff zur Tragoedie, als Mittel zur Erreichung des Zwecks dieser Dichtungsart. In diesem Sinne ist die Geschichte dem Dichter nur ein„Bepertorium" von Namen zur Individualisierung seines Stoffes. Auch das billigt Hettner, und zwar mit Worten Hebbels: „die Geschichte ist für den Dichter nur ein Vehikel zur Verkörperung seiner Anschauuligen und Ideen, nicht aber ist der Dichter der Aufer- stehungsengel der Geschichte/* Damit behaupte ich nicht, dass Lessing sonst der Geschichte an sich gerecht geworden wäre. Wes- halb er das nicht konnte, weshalb insbesondere das historische Drama für ihn den von BoUmann verlangten Werth nicht haben konnte, wenn auch dem Dichter der Minna von Bamhelm gegenüber solche Worte, wie auf S. 46 hei Bollmann stehen, gewiss ganz ungerecht erscheinen, das liegt in dem, was bei Hebbel folgt, angedeutet : „Nicht deshalb nimmt das historische Drama jetzt einen breiteren Baum ein als früher, weil wir jetzt eine tiefere Ansicht von dem Begriff der geschichtlichen Entwickelung haben, sondern einzig des- halb, weil wir Alle, und also auch unsere Dichter, jetzt bis in das innerste Mark hinein bewegt sind von politischen Kämpfen. Wo aber fände das politische Pathos naturgemässere Nahrung als in den grossen Spiegelbildern der geschichtlichen Vergangenheit?"

Endlich macht Bollmann S. 5 2 ff. den Fehler, dass er in dem Aristotelisch -Lessingschen Satze: „^<o Kai q)docoq)meQov xal (Sitov- daioxBQOV TCoCrjCig tatoqlag iuxlv' f (iiv yccg noltjötg fiäkkov xa aa&6~ Xov^ fj ii UsxoqUi xa xa<&' ^7uc(fxov XiyBi" das ftaUov gänzlich ausser Acht lässt, einen Fehler, vor dem üeberweg in einer Anmerkung seiner Uebersetzung also vergeblich gewarnt hatte. Wer ihn ver- meidet, wird Vahlen vollkommen beipflichten, mit jener Ansicht werde der Geschichte nicht zu nahe getreten.

Für die Anmerkimgen über die Definition der Tragoedie ist Cosack die Abhandlung von Hermann Baumgart entgangen: „der Begriff der tragischen Katharsis" in Fleckeisens Jahrbüchern 1875 S. 81 118, sowie desselben Schrift „Pathos und Pathema im Aristo- telischen Sprachgebrauche" (Koenigsberg 1873). Danach würde sich vieles in jenen Anmerkungen anders gestaltet haben, vor allem, dass die Katharsisfrage in der S. 353 angegebenen Weise „zum Abschluss" gebracht sei.

Doch ich muss diese Bemerkungen abbrechen um noch für die schon angedeutete Texbfrage und einiges die Sprache Lessings betreffendes Baum zu behalten.

In der Einleitung entwirft C. zunächst ein Bild von dem ringen und kämpfen des deutschen Theaters in der ersten Hälfte des 18. Jahr- hunderts und schildert die Verhältnisse des neuen Theaters zu Ham*

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bürg. S. 8 wird' ein Datomzeiger fUr die von Leasing besprochenen 52 Aufführungen znsammengestelli Da Sonnabends und Sonntags aus kirchlichen Rücksichten nicht gespielt wurde, so Mit die Vorstellung am 4. Juli (St. 37) auf. Redlich hat im 19. Bande der Hempelschen Lessing -Ausgabe S. 641 mitgetheilt, dass sie wegen der Anwesen- heit des Königs von Dänemark stattfand. Derselbe erklärt auch, weshalb im Juni 1767 nur achtmal gespielt werden konnte. Es war Trauer wegen des ablebens der -Kaiserin. Am Schluss der Einleitung steht dann eine Geschichte des Textes der Dramaturgie. Schon in Herrigs Archiv hatte C. sein Urtheil über die Textbehand- lung abgegeben und behauptet, Lachmann habe keine „wirklich correcte Ausgabe geliefert," „allerdings mit peinlicher Genauigkeit einen Abdruck der Originalausgabe veranstaltet," aber auch „sämmt- liehe Druckfehler und Irrthümer^^ derselben mit abdrucken lassen. Meine Zweifel hierüber habe ich schon in 0. Schades Wissen- schaftlichen MonatsblSttem 1874 No. 9. S. 186 auszusprechen mir erlaubt und bemerkt, dass dies sehr schlecht stimme zu dem, was Lachmann selbst von seiner Ausgabe gesagt (M. Hertz, Karl Lach- mann. Beilage B. S. XIX): „die Originaldrucke sind genau, selbst in Orthographie und Literpunction wiedergegeben. Druckfehler der alten Ausgaben mögen hier und da übersehen sein; viele sind ver- bessert, manche, die mehrfache Besserung gestatteten, absichtlich stehen geblieben.^' Seitdem habe ich Lachmanns Ausgabe der Drama- turgie wiederholt, mit der ersten Ausgabe, mit dem Nachdruck u. a. verglichen und bin zu demselben Resultate gekonmien wie a. a. 0. beim Laokoon. Es ist auch bei diesem 7. Bande so, wie Lachmann gesagt, durchaus nicht so, wie Cosack behauptete. Jenen Vor- wurf „philologischer Einseitigkeit*' wiederholt letzterer in unserer Einleitung allerdings nicht, er hebt nur dort und in den Anmerkungen hervor, dass die eigentliche Aufgabe späterer Herausgeber „nicht lediglich in dem blossen Wiederabdruck der Originalausgabe be- stehen könne." „An etwas anderes aber scheinen (?!) die beiden zunächst folgenden Ausgaben von 1794 und 1805 nicht gedacht zu haben. Sie geben mit unbedeutenden (?!) und wohl nur zu- fälligen (?!) Abweichungen den ursprünglichen Text wieder. Im Grossen und Ganzen (? ! ! ) hat dies auch Lachmann gethan und somit bei- getragen, dass sich die angedeuteten Irrthümer und Nachlässigkeiten der Originalausgabe bis auf den heutigen Tag erhalten haben", und S. 182 heisst es: „die bisherigen Ausgaben der Dramaturgie haben für die Correctheit des Textes wenig gethan und nur dazu beige- tragen, Druckfehler zu verewigen". Ein sehr hartes Urtheil! Wilhelm Scher er hat neulich in einem Auf satze über „Goethe-Philologie" in „Im neuen Reich" gesagt, es gäbe kein undankbareres Geschäft als Commentare zu schreiben. Gleich undankbar scheint es, gute Ausgaben zu machen. Lachmanns Sorgfalt verdanken wir es, dass wir von Lessings

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Werken sehr viel früher einen reinen Text bekommen haben als von unsem andern Classikern. Michael Bemays rühmt in der Einleitung zum ^, Jungen Goethe" Lachmanns ,,edlen Vorgang" hierin und spricht von dem durch Lachmann „wiederhergestellten Lessing", sein Bild habe er in allen Zügen deutlich hingestellt und zugleich allen ferneren Unter- suchungen über ihn die sicherste Grundlage gegeben. Wenn Cosack richtig urtheilt, dann hätte ja aber Lachmann auch nur mit zur Verderbniss Lessings, in der Dramaturgie wenigstens, beigetragen. Nein! Ohne Lachmann hätten wir bis in die neuste Zeit einfach den Text der Dramaturgie nach der Ausgabe von 1794 immer wieder aufgelegt erhalten, wie das bis zum erscheinen seiner Ausgabe der Fall gewesen. Dieser Text von 1794 aber enthält nicht „unbedeutende" und „wohl nur zufällige Abweichungen" von ursprünglichen, sondern die allerbedeutend- gten und allerabsichtlichsten. C. kaim sie nur sehr flüchtig angesehen haben, sonst müsste sein Urtheil anders lauten. Die Modernisierung d. h. Verunstaltung der Sprache Lessings beginnt keineswegs erst in den „neuem Ausgaben", sondern in der zweiten Ausgabe der Dramaturgie von 1794 (B). Ihr Text ist überraschend modern. Das tonlose e wird wie von den heutigen Herausgebern ge- wöhnlich behandelt d. h. in den Verbalformen und den Endungen der Substantiva ausgestossen, ihComparations- und anderen Adjectivformen eingeschoben, das ohn- in ohngeachtet und ähnlichen Wörtern wird in un- verwandelt (S. Wissenschaftliche Monatsblätter 1877 No. 3 S. 41), für itzt wird jetzt geschrieben, für fodern fordern, für die starke Form des Adjectivs in Verbindungen wie diese neue Ver- wickelungen die schwache gesetzt u. s. w., bisweilen das ältere über- sehen (im ganzen ist die Ausgabe sorgfältig), in manchen Fällen aber auch, namentlich bei den zuletzt angedeuteten wol absichtlich noch bei- behalten. Auch die Orthographie nähert sich der unserigen sehr, die Composita werden mehr lyd mehr zusammengezogen, bloss st. blos, Miene st. Mine, nämlich st. nehmlich, Freundin st. Freundinn u. s. w. geschrieben; sie ist consequenter als die der ersten Ausgabe, und alle Schwankungen darin sind hier sicherlich als Druckfehler anzusehen, während dies bei der Originalausgabe schwerlich der Fall sein dürfte, weil Lessings eigene Orthographie schwankt. Das y wird 1794 noch ungefähr so wie 1767 gebraucht, der Hauptunterschied: beide schreibt dieerstere Ausgabe, beyde die zweite mit wenigen Ausnahmen, auch Meynung bisweilen. Von den Veränderungen der Worte und des Ausdrucks lasse ich Beispiele folgen.

S. 4, 2 V. u. ed. L. Neuheit habe: N. hätte. 8, 2 jeder Rasen- der: j. Basende. 8, 30 Erleuchtesten: Erleuchtetsten, und so in ähn- lichen Fällen. 9, 7 physikalischen Welt: physischen Welt; ebeiiso an den übrigen Stellen. 11, 8 v. u: des Olints: des Olint, und so in ähulichenFäUen; umgekehrt53, 20 des Knoten (A): des Knotens. 27, 24

400 Grosse, Anz. von Cosack^ Mai zu Lessings Hamb. Dram.

eines Gecks: eines Gecken. 12, 14 v. u. Gemurmle: Gemurmel. 18, 3 V. u. bey weiten: bey weitem, und so auch sonst; die erste Ausgabe hat meistens bey weiten. 19, 8 Er gebrauchte sich: Er bediente sich; ebenso 247, 6 v. u. 20, 2 bis in das Mahlerische damit gehen: bis an das Mahlerische damit gehen. 20, 18 und 20 wann: wenn. 21, 10 V. u. Madame Henseln: M. Hensel; auch sonst, doch auch öfter beibehalten. 22, 17 Welches Feuer, welche Inbrunst beseelten: beseelte. 26, 8 alle das Ausdrückende: alles das A.; ähnlich 247, 3 V. u. 341, 3. 28, 3 mit alle dem Anstände: mit allem dem A., und nachher: mit aller der Wärme; ähnlich 66, 7 u. o. 36, ^ v. u. wäss- rig: wässricht. 37, 14 ausdruck&higsten: ausdrucksföhigsten. 37, 2 y. u. alsdenn: alsdann. 38, 1 bestünden: beständen. 38, 7 hin- schlupft: hinschlüpft. 39, 17 wenig guten: wenigen guten. 39, 5 V. u. dessen ürtheils ich erwähnet: Urtheil; 191, 20 keiner (Stadt) erwähne: keine. 45, 6 Annales: Annalen; 61, 6 v. u. Autores: Au- toren; 96, 29 Andromacha: Andromache; hübsche Phrases ist bei- behalten, aber für Phrasesdrechsler 359, 3 y. u. Phrasendrechsler gesetzt. 58, 14 des Hm Professor Gottscheds: Professors Gott- sched; 66, 13 des Herrn Pfefifels: Pfeffel. 63, 1 dem menschlichen Herze: Harzen. 67, 2 wollte (A): wolle. 67 extr. Eanzeliste: Kanzelist; 194, 1 Gebiete: Gebiet; 248, 3 in Ernste: in Ernst, 251, 6 v. u. ins Gesicht u. 0. 69, 1 öftrer: öfter,wie 99,* 7 v. u. und sonst. 69, 21 Geiste, in welchen er geschrieben hat: mit welchem. 74, 3 v. u. und 295, 22 in einer Monloge: einem. 82', 22 Bärfellen: Bärenfellen; Todbette dagegen 100, 4 v. u. ist beibehalten, auch Lebszeiten 268, 18. 90, 12 V. u. mit mehrerer Würde: mit mehr W.; 341, 11 mehrere Dinge: mehr. 96, 5 v. u. Trotz alles Mitleids: Tr. allem Mit- leid, und 382, 8 v. u. Trotz aUem Ernste. 96, 3 v. u. bey Speyem: Speyer. 97, 3 v. u. nur immer: inrnier nur. 101, 17 einsähe: ein- sah. 102, 12 y. u. wiederrufte: widerrief. 105 extr. wovon wir keine Ursache geben können: angeben. 112, 10 v. u. nur keine Elisabeth nicht: nur eine E. nicht; 359, .15 Kein* Tragisches gewiss nicht: Ein. 135, 3 V. u. Medea ist gegen ihr tugendhaft: gegen sie; 329, 6 V. u. ist sich neben ihr zu stellen beibehalten, abBr 338, 3 v. u. ohne dem Mitleid, imd ohne ihr verändert, auch 389, 11. 143, 14 von dem unsere Vorstellungen zurückbeben: vordem. 194, 24 hiesse: hiess. 164, 22 Der Posse: Die Posse. 200, 5 an ein besonderes Klotz: an einen besonderen Klotz. 206, 1 mit der ersten besten Lügen: Lüge. 206, 7 ihrer erwarte: warte; 354, 7 unsrer erwarte: unser warte. 207, 23 simplifiiren: simplificiren; personifirenunddialo- giren wird beibehalten. 243, 20 vor diesesmal: für diesesmal; 307, 2 vors erste: fürs erste. 245, 33 Darwider: dawider. 253, 17 Pun- donor: Point d'honneur. 254, 6 wahrscheinlich hätte machen können: hätte wahrscheinlich machen können. 259, 4 wenn ich in dem Aus- drucke meine Schuldigkeit gefehlet habe: meiner Seh. gefehlt h.

Grosse, Anz. von Cosack, Mat. za Leasings Hamb. Dram. 401

262, 12 diese günstige Gedanke: diese günstigen Gedanken; 292, 1 nur eine Gedanke: nur einen Gedanken; 330, 11 v. u. eine einzige übergetragene GFedanke: ein einziger übertragener (|.; übergetragen ist an anderer Stelle beibehalten. 262, 21 Sein Name flob vor deinen. Flotten vorher: flog; vgl. aber Grimm Wb. III 1780f. S. 262, 22 hatte Öfters schon: hatte schon. 265, 8 Leidenschaften, deren jeder seine eigene Beredsamkeit hat: deren jede ihre eigene B. h. 269, 24 für Schrecken: vor Schrecken. 271, 10 v. u. güldne Kette: goldene. 287, 11 dem Hülfsmittel: den Hülfsmitteln. 289, 14 erhieben: er- hüben. 298, 10 morgen des Tages: morgendes Tages. 302, 2 mir das Angesicht sehen lassen: mich. 328, 30 wetterlftunisch : wetter- launisch. 342, 13 anzüglicher: anziehender. 342, 22 dem Funke: Funken. 352, 30 in nichts anders beruhet: anderem. 371, 5 auf sie beruhen lassen: ihnen. 355, 10 v. u. derenwegen: derentwegen. 362, 10 gerSumlichere Bühne: geräumigere. 369, 24 schwanken Charactere (vgl. Laokoon Absch. 11): schwankenden. 377, 2 wenig- sten: wenigstens. 395, 15 verschleidert: verschleuderi 395, 18 Trümmern: Trümmer. 395^ 5 v. u. insulirt: isolirt; vgL Laokoon g. E. der letzten Anmerkung dieser Insul. 402, 8 v. u. diese Periode: dieser Periode; Mascul. sonst bei Lessing und seinen Zeitgenossen üblicher. 426, 6 Deutschlandes: Deutschlands; vgl. Andresen, über die Sprache Jacob Grimms S. 73 Anm. 1. 454, 4 v. u. mag man: man mag, wie der Nachdruck 1769.

Mit der Ausgabe von 1794 stimmt die von 1825 ff. (nicht Schinck besorgte sie, wie bei Goedeke steht, er schrieb nur eine Biographie Lessings für dieselbe) überein. Ein blosser Abdruck ist aber auch sie nicht, sondern sie geht noch weiter in den Aenderungen des tonlosen e; Formen wie gespielet, anderen, Gesichten, s. w. kommen fast gar nicht mehr vor; jene hatte noch mit dem| Gestu, neben ihr 329, 6 v. u., unversiegene Quelle 262, 22: auch diese letzten Beste werden jetzt getilgt (Gestus, neben sie, unversiegende); wo noch ähnliches bleibt, geschieht es nur aus Versehen. Selbst „Erbarmen sollte Könige schimpfe n^^ S. 261 Ittsst man Lessingen nicht (in den Rettungen des Horaz kommt es mehrfach vor), sondern setzt beschimpfen. Die Ausgabe von 1805 steht mir nicht zu Gebote, ich weiss daher nicht, ob auch sie schon die von B begonnene tiefgehende Aenderung der Sprache Lessings fortsetzt oder ob sie nur eine Wiederholung der zweiten Ausgabe ist.

Lachmann kehrt zur ersten (A) zurück. An folgenden Stellen verbessert er:

S. 2, 11 Abnfthmer: Abnehmer (?). 12, 18 vortreflich: vortreff- lich; ebenso 47; 15 u. ö., aber nicht richtig, glaube ich. 17, 11 V. u. Leidenschaften: Leidenschaft, wie B, doch ohne zureichenden Grund. 17, 9 v. u. im Gang: in Gang. 21, 9 Jugend sich: J. oft. 23, 7 V. u. simpatkisiren: sympathisiren. 25, 7 v. u. unsere Angen

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und unsere Ohren: noch u. Ohren. 30, 6 Germaniem: Germanien (?). 30, 2 V. u. Priester Grimme: Priester -Grimme. 38, 15 aus den Herzen: a. dem H. 40, 11 gesuchterer: gesuchter; vgl. jedoch in den neuerem S. 448, 15, ausser öfterer und mehrerer S. 90, 25, die Besserem des Volks in § 15 der Erziehung des Menschen- geschlechts, eine lebhafterere üeberzeugung Y 386, 4, auf einigen älterem (Steinen) VIII 84, 7, und auch Niemand hatte mehr Kecht, wegen eines solchen Geschwieres bekannter zu sein als Philoctet VI 388, 7 y. u.; mit Ausnahme der letzten änderte man allerdings auch diese Stellen. 40, 27 unter diesen St. Preuz: diesem; ebenso 80, 2 V. u. unter fremden Namen: fremdem, 134, 7 v. u. unter den andern: dem; nicht richtig, S. 242, 4 behält Lachmann selbst „unter fremden Namen*^ bei. 46, 2 sein Masuren: seine Masuren, irrthüna- lieh, vgl. 58, 11 v.u. 46, 9 folget: folgte. 47, 7 reitzendsten: reitzend- ster. 47, 12 zu statten: zu Statten (?). 48, 10 Er spricht und man glaubt: spricht, und m. gl. 53*, 20 des Knoten: des Knotens; falsch^ vgl. 433, 1. 55, 22 Marizo: Marzio. 55, 26 Jumalisten: Journa- listen; unrichtig; Lessing schreibt Fremdwörter vielfach, wie er sie spricht, Takener, Gossin, Frenj u. s. w.; 456, 3 hat Lachmann selbst Jumalisten beibehalten. 56, 5 v. u. fehlt das Komma in A. 57, 5 Lieben: Liebe. 61, 24 dergleichung: dergleichen. 63, 1 u. 31 Mor- montel: Marmontel. 67, 2 wollte: wolle; unnöthig. 67, 9 v. n. mit der: mit denen. 67, 3 v. u. gemässenste: gemessenste. 71, 7 Pfeiffe: Pfeife. 72, Anm. Z. 5 cnideli: crudeli. 74 Anm. Treuerspel! Treurspel. 75, 19 offenbar: offenbare (?). 77, 18 jugendlichen: jugend- liche. 86, 20 verstechende: vorstechende. 86, 24 ein Wink: einen. 87, 7 zu förmlichen Unsinne: formlichem; nicht richtig, 87, 10 jenen aufhelfen: jenem, wie 353, 11 es den abhelfen; falsch; Lessing verbindet helfen sowol mit dem Acc. als Dativ ^ S. 203 kommt beides nebeneinander vor. 87, 10 brauchte: brauchet. 90, J 7 öffende: öffnende; das erstere ist beizubehalten, vgl. das von Sander» citierte : Musst sich der Himmel offen aus Burkhard Waldis. 90, 24 Semikolon nach Orphise. 91, 3 Dorimont: Dorimond. 92, 12 von der einen: vor. 100, 15 Geschichtschreiben: Geschichtschreiber. 101, 24 Nach sitzen Semikolon. 103, 13 lächerlichen: lächerlich- sten. 107, 2 gehören nicht unter meinem Text: meinen. 107, 15 achtzigjährige: acht und sechzigjährige. 112, 8 v. u. meine: mejne; nicht richtig. 114, 13 Beyde: Beide, ebenso 140, 3 und 4. 119, 23 Mustere: Muster. 122, 10 ersten: erst (?). 125, 11 werden: worden. 125,25 Wielt't: Wiel't; ebenso 126, 11. 125, 32 ik met: mot. 136,

10 dem: deren (?). 138, 26 Feindin: Feindinn. 143, 14 von dem unsere Vorstellungen zurückbeben: vor dem; irrthümlich, vgl. ein anderes Beispiel aus Engel bei Sanders. 149, 10 v. u. ihn auch: ihm. 153,

11 hätte: hatte; falsch, vielleicht auch nur Druckfehler. 162, 12 bey seine: seiner. 164, 14 v. u. der Posse: die Posse; nicht richtig.

Grosse, Anz. von Cosack, Mat. zu Lessüigs Hamb. Dram. 403

169, 17 den Dichter: dem. 183, 19 ihn den Kopf spalten: ihm. 185, 3 y. u. come: comme. 186, 9 einen solchem M. k. kostbarem: solchen kostbaren. 186, 13 Voltairen: Voltaire. 194, Trat- tenere: Trattener. 202, 3 trockes: trocknes. 214, 4 unter ihren: ihrem; nicht richtig. 236, 2 v. u. in die Händen: Hände. 241, 6 Progresse: Progressen; ersteres ist beizubehalten, denn vorbehalten verbindet auch z. B. Heine (s. Sanders) mit dem Accusativ. 247, 5 in den Tower: dem. 253, 20 wem ihn der K.: ihm. 254, 6 hätten: hätte. 271, 6 Auftritten: Auftritte. 271, 16 verbirgt ihn: ihm. 271, 21 duiffce: dttrfte. 279, 18 in den Garten: dem. 329, 1 den ihn ihr Vater: den ihr ihr V. 331, 10 die Art: die andere Art. 343, 24 sie ihm: ihn. 351, 6 AUerelendensten: Allerelendesten. 353, 20 nähern: nähren. 355, 3 v. u. seinem kleinen: seinen. 361, 11 ist das Punctum für Fragezeichen hinter hervorbrächte und S. 370, 6 V. u. das Semikolon für Kolon nach klar nicht richtig. 370, 5 v. u. kann sehr, sehr gut: kann sehr gut wie B.? 403, 1 adore: odore. 410, 2 V. u. schnurstracks: schnurstraks; warum? 433, 13 diesem warne: diesen. 436, 3 v. u. sich so sträflichen emancipirenden: sträflich (?). 441, 10 Geliebte: Geliebten. 443, 13 Hagestolze: Hagestolzj wol nicht richtig. 448, 15 neuerem: neueren; vgl. oben zu 40, 11. 448, 8 V. u. den Lahmen hilft: dem Lahmen; falsch. Nicht mit aufge- führt habe ich ungeföhr 50 der offenbarsten Dioickfehler in A; in Lachmanns Ausgabe kommen so gut wie gar keine Druckfehler vor. Welches sind denn nun aber die Irrthümer und Nachlässigkeiten der Originalausgabe, welche sich bis heute durch Lachmanns Schuld erhalten haben? Cosack führt folgende an:. St. 1 EHsinde muss es heissen st. Elesinde, St. 7 und 14 Brawe st. Brave, St. 14 Brueys st. Bruegs, St. 15 Falkener st. Fakener, St. 16 Gaussin st. Gossin, St. 16 Sainte- Albin st. Saint- Albine, St. 18 De Belloi richtiger als Du Belloy, ebenda wird 1763 für 1736 verdruckt sein. Ferner muss es heissen St. 20 Montags, den 25. May (so steht auch in der Hempelschen Ausgabe) st. Freytags, ebenda u. ö. Weisse st. Weiss, St. 22 Andrienne st. Adrienne, St. 23 Cobham st. Cobhan, St. 28 Krüger st. Krieger, Bodogune st Ehodogune, St. 32 1646 st. 1644, (St. 36 October 1738 st. Januar), St. 46 encor ce crime st. encore, St. 55 1582 st. 1682, St. 70 Frey tags, den 12 Julius st. 17, St 73 Anm. quae cum aliis evenerunt (vielmehr quaecunque simulac aliis) st. quaecunque aliis, St. 77 das nämliche 8. Capitel st. 9., St. 96 S. 428, 5 V. u. raisonniren st. resoniren, St. 97 die Perser des Aeschy- lus st. Perserinnen. Ausserdem erwähnt Cosack noch, dass Ekhof die richtige Schreibweise sei, dass es eigentlich Olind, nicht Olint heissen müsse, dass St. 22 S. 99 Danzig irrthümlich genannt werde als Hippels Wohnort, endlich tadelt er die wenig sorgfältige Be- handlung der französischen und spanischen (auch der griechischen, setze ich hinzu) Citate. Das ist alles? Was ist bedeutend darunter?

404 Grosse, Anz. von Cosack, Mat. zu Lessiogs Hamb. Dram.

Nichts als der falsche Name Bruegs und das über die Citate be- merkte. Nur wemi Cosacks Belege zu seinen Ausstellungen eine Blume niese aus einer Masse ähnlich unverzeihlicher Fehler wie der unglückliche Bruegs wäre, dann könnten sie Beweiskraft gegen die Richtigkeit der Ansichten von Bemavs, Bedlich u. a. über Lach- manns Ausgabe haben. Schwerlich aber wird ein kritischer Heraus- geber der Dramaturgie viel mehr zu verbessern finden am Texte von A, als angedeutet ist, ja bei den Namen wird er nicht einmal so weit gehen dürfen, wie Cosack auch zugibt, denn Lessing selbst schrieb sie falsch, d. h. so wie er sie sprach. Lnmer natürlich Bruegs ausgenommen! Auch Brawe, wie schon in B verbessert ist, darf man, glaube ich, nicht in den Text setzen, wiewol so im 81. Litteratnr- briefe geschrieben steht, v. Loeper hat Anm. 222 zu Goethes Dichtung und Wahrheit noch heute Brave, üebrigens ist es auch Cosack passiert, dass er einen Namen falsch geschrieben hat. Der Sklave in Plautus' Amphitruo St. 21 heisst nicht Sosias, sondern Sosia. Ausserdem vgl. das obige über Pfaff. und gerade an der Stelle, wo er am strengsten über „die bisherigen Ausgaben^' urtheilt S. 182, ist sein Beispiel unglücklich. Dass „seit der 1. Ausgabe in allen St. 28 S. 126 Arlequis statt Arlequin steht*\ ist aus der Luft ge- griffen, weder in der Ausgabe von 1794, noch von 1825 steht es. Auf das schwankende in Lessings Orthographie bezieht sich das vorher angeführte Wort Lachmanns ganz besonders. Ich glaube, dass er auch in dieser Beziehung das verfahren vorgezeichnet hat, welches ein kritischer Herausgeber nicht wird verlassen dürfen. Selbst r e - sonire'n S. 415 wird man vielleicht beibehalten müssen nach der von C. selbst gemachten Beobachtung, dass Lessing Fremdwörter oft so schrieb, wie man sie spricht. Dass raisonniren dicht daneben steht, beweist nichts; gerade das liebt Lessing auch in anderen F&llen.

Endlich führe ich noch an, wo Lachmann aus Versehen von A abweicht: S. 8, 9 v. u. ist zu verbessern gespielet st. gespielt, 21, 15 erfordern st. erfodem, 25, 9 erfodem st erfordern, 37, 10 die ersten Takte st erste, 44, 5 v. u. zurück geführet, 45, 9 ver- borgene st. verborgne, 62, 8 v. u. in unsere st. unsre, 68, 5 ohnge- ffthr st. ohngefehr, 69, 16 eignen st. eigenen, 86, 11 Welch gering- fügige Ursachen st. Welche, 86, 22 Komma vor gewesen zu tilgen, 155, 2 muss es heissen rechtschaffenen st. rechtschaffnen, 241, 17 mehrerm st mehrerem, 269, 1 Füße st Füsse, 272, 4 v. u. den Vor- zug selbst, wollte, 333, 22 Diese Furcht st Die, 374, 7 v. u. fehlt Komma hinter Frejtags.

Ich schliesse mit einigen Zusätzen zu den sprachlichen Be- merkungen, welche unser Commentar enthält, ohne dass er die ein- zige Monographie über diesen Gegenstand, A. Lehmanns For- schungen über Lessings Sprache, Braunschweig 1875, berücksichtigt Wenn sich auch durch meine obigen Angaben über die Ausgaben

Grosse, Adz. von Cosack, Mai zu Lessings Hamb. Dram. 405

Yon 1794 und 1825 noch klarer herausgestellt hat, als es in den Wissenschaftlichen Monatsblättern 1877 No. 3 S. 41 angedeutet wor- den, wie unzulänglich nothwendiger Weise eine Schrift über Lessings Sprache sein muss, welche einen geflissentlich veränderten Text dieses Schriftstellers zur Unterlage hat, so ist ein ignorieren des Buches doch um so weniger gerechtfertigt, als es eben ein erster Anfang auf diesem Gebiete ist. So wird S. 417 des Commentars für den Accus, c. Inf. nur Brandstäter, die Gallicismen der deutschen Schrift- sprache, ciüert. Lehmann hat über sein vorkommen bei Lessing ein eigenes Progranmi geschrieben und widmet dieser Erscheinung einen ganzen Abschnitt der Forschungen, zu welchem 0. Apelt in der Zeitschrift für deutsche Philologie 8, 1 S. 118 ff. werthvoUe Zusätze und Berichtigungen gegeben hat.

S. 114. Wäre nicht die ganze Tragödie darüber in dieBilze gegangen? „^ir schreiben Pilze und brauchen überhaupt nicht diese Bedensart^ sondern sagen: in die Rüben gehen «= verloren gehen, verschwinden.'' In die Buben gehen habe ich nie gehört, oft in die Pilze gehen und, was Sanders zur Yergleichung anführt, in die Wicken gehen. Letzterer erklärt: „In die Pilze gehen, sie suchend, sammelnd, auch (vgl. in die Nüsse gehen) «= verloren gehen, versch\ynden." Die Deutung befriedigt nicht. Treffender scheint, wie mir der Ausdruck erklärtest: „Pilze wachsen an feuchten, modrigen Orten, wo gutes nicht fortkommt. Und Wicken sind gleichfalls nicht viel werth, überwuchern leicht besseres, die Ackerstücke, auf denen sie stehen, sind verhältnissmässig auch verloren.'' Oder: „entartendes, verfaulendes lässt vielfach Pilze aufschiessen."

S. 200. Medea ist gegen ihr tugendhaft „s=: im Verhält- niss mit ihr. Die Präposition gegen findet sich auch bei Luther mit dem Dativ, aber dann in der Bedeutung von gegenüber." Statt dessen war zu erinnern, dass ehedem und noch im 17. Jahrhundert gegen den Dativ regiert hat und dass unsere Stelle ein Best dieses Gebrauchs ist.

S. 201. Misshelligkeit gehört nicht zu St. 30, sondern 31, S. 138, 6: Die Misshelligkeit, in der diese Bache also mit ihrem Charakter steht. UndS. 263 extr.: „Er ist so gemein und kostbar, so

kriechend und so hochtrabend, dass er zum Muster dieser Art

von Misshelligkeit dienen kann." Nach Cosack soll das Wort „in diesem Sinne von Missverhältniss, Mangel an Einklang, Gegensatz sich bei einem anderen Schriftsteller kaum vorfinden." Das Wort scheint mir bei keinem anderen Schriftsteller eine andere Bedeutung zu haben oder haben zu können als den des Mangels an Einklang, und Sanders sondert daher mit Becht die Lessingsche Stelle, welche er anführt, nicht von den übrigen Belegen. C. scheint den Mangel an Einklang auf Ansicht, Meinung einschränken zu wollen.

S. 256. Saalbader, vgl. Monatsblätter 1877 No. 3 S. 44.

S. 266. Er wiederhole seinen Antrag und vielleicht giebt sie

AbOHX ilTT.-OBSOH. YU. 27

406 Orosse, Anz. von Cosack, Hat. zn Leasings Hamb. Dram.

es nSher. „Eine auffällige AuBdrucks weise, bei welcher man viel- leicht an eine Steigerung von nachgeben (nach, näher) denken und das ^es^ als pleonastisch erklären möchte. Brandstäter in seinen (jallicismen führt dagegen auch andere Stellen an, wo es geben «= sich so und so benehmen gebraucht wird, z. B. Er giebt^s verzweifelt vornehm (Holtey) hier würde es auch auf den Sinn von nach- geben oder Annäherung gestatten heraus kommen/^ Ein Blick in Sanders' Wörterbuch und die reiche Stellensammlung II, 1, S. 383 erste Spalte unter 6^) lehrt, dass die Redensart vom Kaufmann ent- lehnt ist (s. auch Grimm Wb. IV, 1 Sp. 1683. 8®)) \md s. v. a. wol- feiler, billiger geben bedeutet. Unsere Stelle ist dort angeführt sowie XII S. 342 ed. L., auch ein anderer Gebrauch von näher geben YIII 450: sein eigenes Exempel giebt die Sache näher <= deutlicher zu erkennen, fehlt dort nicht.

S. 275. Leser, die den Rummel einer Tragödie nicht recht verstehen „=» hergebrachte, handwerksmässige Routine derselben, ein neuer Beweis von der volksthümlichen Ausdrucksweise Lessings.^* Zu eitleren war die bekanntere Stelle aus Minna v. B. III, 2: mein Herr versteht den Rummel. Niemeyer erklärt dort nach Weigand, dass die Redensart vom Piketspiel hergenommen sei, wo Rummel eine Anzahl Karten von gleicher Farbe bedeutet, anf deren Eriangung es für den Spieler ankommt, also «= k^nnt seine Karten, weiss die Sache anzufangen. Sanders führt das Wort auch so an^ stellt aber unsere Redensart nicht dazu, sondern zu Rummel =: allgemeine Be- zeichnung für etwas mit allem im besonderen dazu gehörigen (vgl. Kram, Geschichte, Zeug, Ding).

S. 304. Sentenzen und Blasen and ellenlange Worte. Neben Aufgeblasenheit hätte eine Stelle aus Luther bei Grimm gut gepasst : für grossen hochmüthigem Schwulst und Blasen der Gottlosen.

S. 364. Verzierungen = Decorationen. Vgl. Apelt a. a. 0. Wie Lessing bemüht sich Goethe vielfach deutsche Wörter für fremde einzabürgem« v. Loepergibt in seiner Textrevision von Dichtung und Wahrheit zahlreiche Beispiele.

Zu S. 426 Anm. passt noch eine Stelle bei Kant, Anthropol. Didactik § 13 Bd. 7, 2 S. 43 ed. Schubert: Mit Gewalt ist wider die Sinnlichkeit in den Neigungen nichts ausgerichtet, man muss sie überlisten und, wie Swift sagt, dem Wallfische eine Tonne zum Spiel hingeben, um das Schiff zu retten. Hocken und stören sind nicht bloss provincielle Ausdrücke : s. Grimm und Sanders und Goethe Dicht, und Wahrh. 22 S. 63, 20 ed. Loeper. Die unmittelbar voran- gehende Bemerkung ist dahin zu berichtigen, dass nicht die Original- ausgabe, sondern der Nachdruck die Druckfehler bei Lachmann a. a .0. vermieden hat.

Memel, Mai 1877. Emil Grosse.

Boxberger, Anz. von SeuflFert, Maler Müller. 407

Dr. Bernhard Seaffert, Maler Müller. Im Anhang Mittheilungen aus Müllers Nachlass. Berlin, Weidmann, 1877.

Es ist begreiflich, dass jetzt, nachdem ungefähr ein Jahrhundert nach dem höchsten Aufschwung unserer Litteratur und ein Jahrzehnt nach unserm grossen nationalen Aufschwung dahingegangen sind, sich die gelehrten Forschungen auch Dichtem zweiten Banges, die schon durch ihre vielfachen Verbindungen mit unsern Classikern interessant sind, mit Liebe zuwenden, und wir verdanken dieser ThStigkeit schon eine Menge vortrefflicher Monographien, denen sich die vorliegende würdig anreiht. Freilich liegt, wie dies auch Seufferts Lehrer und Vorbild, Erich Schmidt in der Vorrede zu seinem H. Leo- pold Wagner ausgesproohen hat, die Befürchtung nahe, der Verfasser möchte aus Vorliebe für einen Dichter, mit dem er sich mehrere Jahre lang beschäftigt hat, diesem eine übertriebene Wichtigkeit und Grösse beilegen ; aber beide sind dieser Gefahr mit gleicher Besonnen- heit ausgewichen; auch Seufferts Buch bewährt volle Objectivität der Forschung. Den geringsten Theil desselben nimmt die eigentliche Biographie des Dichters ein, es belehrt uns weit ausführlicher über den Charakter seiner Werke und gibt uns endlich einen höchst dankenswerthen Beitrag zu dem Texte des Dichters durch Verglei- chung der Originalausgaben und durch Mittheilung des Berliner handschriftlichen Materials. Der Biographie schickt der Vf. in einer Einleitung eine Uebersicht sämmtlicher erreichbarer und von ihm mit Fleiss und Umsicht gesammelter und benutzter Quellen voran, eine Methode, die sich zur Nachahmung sehr empfiehlt. Dazu äussert er S. 7, indem er von Lessings Briefen an Müller spricht, die uns erst durch Schönes Ausgabe des Lessingschen Briefwechsels mit seiner Frau recht bekannt geworden sind: ^Li Müllers Nachlass mussten sich weitere Lessingsche Briefe finden. ^ Dem ist allerdings so, und es wird den verdienten Verfasser interessieren, zu erfieihren, dass ein Brief Lessings vom 24. März 1777 noch erhalten, aber im Besitze eines Sammlers und also vor der Hand für die Wissenschaft nicht da ist. Lessing selbst erwähnt ihn in einem Briefe von demselben Datum an Schwan bei Schöne, S. 502 504 und in der Groteschen Lessing-Ausgabe VIII, S. 575 mit den Worten: „Was Ihre Neugierde davon wissen möchte, kann Ihnen unser Müller sagen, dem ich Bei- geschlossenes zu geben bitte. ^

Ich scheide von dem Verfasser mit dem Ausdruck meines herz- lichsten Dankes.

Eobert Boxberger.

Miscellen.

Zu Schiller.

1.

£b ist meines wissens noch nicht angemerkt worden, von wem die folgenden Verse gedichtet sind, welche Schiller in dem Briefe an Kömer vom 20. April 1786 anftthrt:

y,ünd ich Armer muss allein trauern und verlassen sein, blicken nach den Sphären! Will mich keine Charitin, Muse, Nymphe, Schäferin, will mich keine hören?"

Nachdem diese Verse sogar als ein Gedicht Schillers in dieHempel- sehe Schiller-Ausgabe (Gedichte 2. Buch S. 93) aufgenommen sind, ist es, glaube ich, der Erwähnung werth, dass dieselben ein Citat sind aus Heinses Laidion (W. Heinses sämmtliche Schriften von Laube V S. 179). Statt des Wortes „trauern^' steht bei Ueinse „wachen.^'

Fritz Jonas. 2.

.Zu Seite l^f. dieses Bandes.

Dass das Gedicht auf Loder nicht von Schiller, sondern wirk- lich von Schütz ist, ergibt sich mit Evidenz daraus, dass es sich in einer Abschrift unter SchtStz' Briefen an Böttiger findet, unter welche Böttiger selbst geschrieben hat : „S c h ü t z. Wurde von Hr. Dr. Wolter als eine Annonce fürs Wochenblatt in der «Heirath durchs Wochen- blatt> vorgelesen.** Auch das Gedicht von Paulus (S. 155) findet sich daselbst in Abschrift mit Böttigers Bemerkung: „Der Buch- händler Frommann sprach es als Jude in einer Rolle, die er in die Heirath durchs Wochenblatt selbst hineingedichtet hatte." Offen- bar hat sich der Primaner Kunze duich Schütz* sehr undeutliche Handschrift verführen lassen, da* seine Namensunterschrift wirklich fast wie „Schiller** aussieht

Bobert Boxberger.

Zur GescMchte der mittellateinisclieiL Dichtang.

Von Rudolf Peiper.

I. PMlippus Cancellariüs Parisiensis.

Ueber Philippus de Greve, Canzler der Pariser Univer- sität, diesen energischen Bekämpfer der Dominicaner im zweiten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts, die Anfeindun- gen, die er durch hervorragende Vertreter jenes Ordens, Tho- mas Gantipratanus, den ^ berühmten Verfasser des Buchs de apibus und des noch nicht herausgegebenen Werkes de natura rerum, und dessen Lehrer in der Theologie, Albertus Magnus zu Lebzeiten wie nach seinem Tode erfahren, die Fabel, die der erstere über die Veranlassung seines Todes und wie er nach demselben dem Bischof Wilhelm von Paris erschienen sei, in Umlauf gesetzt, hat nach G. E. Du Boulays Historia universitatis Parisiensis* und weiteren eigenen Forschungen am ausführlichsten gehandelt Gasimir Gudinus**; aber auch diesem war es nicht vergönnt, erschöpfend über seinen litte- rarischen Nachlass zu berichten: gerade die Leistungen, durch die Philippus auch auf spätere Zeiten noch von Wirkung gewesen ist, seine dichterischen Erzeugnisse, sind ihm, wiaden früheren und denen, die nach ihm Lebensnachrichten über den Mann zusammenstellten, unbekannt geblieben. In dieser Be- ziehung wollen die folgenden Blätter eine Ergänzung ver- suchen. Es liegen uns zwei kurze Zeugnisse von Zeitgenossen über seine Wirksamkeit als Prediger in Wort und Schrift vor. Zuerst im Ghronicon Alberici S. 561 (ed. Leibnitii,

* Bd. III (Paris 1666) S. 154 und 164—166, und im angehängten Catalogus illustrium virorum S. 705. Auf ihm fusst auch Gerard Dnbois, Historia ecclesiae Parisiensis, Paris 1710, II S. 342-— 345.

** De scriptoribus ecclesiasticis III S 120—126. Aus ihm geben nur die allerdürftigsten Notizen, und auch diese nicht mit der erforderlichen Genauigkeit, Cave, de scriptoribus eccl. ed. Basil. 1745, II 3. 194 und Fabricins, bibi. med. aevi V S. 292.

Akchiy f. LiTT.-OxscH. vn. 28

412 Peiper, zur Gesch. der mittellatein. Dichtung. I.

Diese Sammlung findet sich im cod. Germanensis 577. Die Sammlungen^ welche unter dem Titel Summa *, Summa ser- monum**, Summa sermonum de tempore ac de san- ctis erscheinen (von letzteren fuhrt Oudin fünf Hdss. aus Cistercienser-Clostem an), dürften damit identisch sein. Ein- zelne Theile erscheinen aber auch wol für sich: von den Psal- mensermonen dürften wir es schon aus Henricus Gand. und jenen Drucken schliessen; Oudin fand aber auch Commentarios seu sermones in psalmos in den Bibliotheken dreier franzö- sischer Cistercienser-Clöster.*** Von den Sermones dominicales nennt er als eine gute Hds. unter dem Titel Sermones festi- uales den codex S. Victoris Paris. Q. Q. 21; denselben Titel führt Paris. 3544 (ehemals Colbertinus).

IL Unter jener Summa scheinen nicht einbegriffen seine Sermones super euangelia (ine. Cum appropinquasset Jesus ), ein Commentar in Form von Sermones, welchen die Hdss. Colbertinus 2790, Cantabrigiensis domus S. Petri 103 bieten, f Bemerkenswerth ist der Reichthum der Sorbonne an Handschriften der Sermones des Philippus allein und an „Ser- mones variorum"ft, wo einzelne seiner Reden vermischt mit

* Bei Hänel Sp. 753 eine Hds. von Bruges Nr. 99 : Summa Philippi Cancellarii ParisiensiB, ebenso Paris 16387 (Sorbonne). Auch Sermones allein findet sich: Hänel Sp.424 (Ronen 632), sodann Paris 12416 (St. Ger- main), 16469 und 16470 (beide Sorbonne).

** Paris. 3280 und 3281, beide ehemals Colbertini; den einen nennt Oudin als Colbertinus 2843.

^** Die Sdrbonne besass davon einst die heut in der Nationalbiblio- thek befindlichen Hdss. 16467 und 16468, beide s. XIU.

t Welche von beiden Sammlungen die Pariser Hdss. 3543 (einst im Besitz des Philibert de la Mare) und 3545 (einst einem Phüippe Drouin gehörig) enthalten, ist bei der kurzen Bezeichnung des Katalogs „Ser- mones" und „Sermones varii" nicht ersichtlich. „Expositiones euange- liorum dominicornm" des Philippus finden sich im Paris. 18175.

tt Letztere Handschriften (Paris. 15951. 55. 59; 16471. 488. 507) ent- stammen, wie wol die meisten den Philippus betreffenden, dem s. XIII der Angabe der Delisleschen Inventaires zufolge (welche im Sonderab- druck aus der Bibl. de T^coIq des Chartes in Paris bei A. Durand und Pedone-Lauriel 1863—71 erschienen und von Nr.8823 bis 18613 reichen). Sie selbst einzusehen, dazu reichte bei meinem vorjährigen Aufenthalt in Paris leider die Zeit nicht hin.

Peiper, zur Gesch. der mittellatein. Dichtung. I. 413

solchen der berühmtesten Redner seines und des früheren Jahrhunderts^ besonders wie es scheint solcher, die selbst an jener Hochschule gewirkt, erscheinen. Die Namen der letzte- ren sind in den yorhandenen Verzeichnissen oft falsch ange- geben. Anführen will ich nur den oben genannten Wilhelm Bischof von Paris, ferner Wichard von Laon, Nachfolger des Philippus im Canzleramte und Bischof von Cambrai (f 1248), den Cardinal Odo (f 1273), Richard von St. Victor, der gerade hundert Jahr früher (1173) starb, Heinrich den Deut- schen (t um 1234), Jacob von Vitry (f 1244).

Mit anderweitigen Schriften des Philippus unbekannt fügt Trithemius zu dem von Henricus citierten Werke, ohne seine Quelle zu nennen, eine Summa theologiae. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir diesen Titel auf ein Versehen des Abtes von Hirsau zurückführen: er hat sich durch die nicht ungewöhnliche Aufschrift Summa des Hauptcorpus der Ser- mones, die ihm bekannt wurde, ohne dass er den Inhalt des Werkes näher zu prüfen Gelegenheit fand, zu dieser Erwei- terung, die so wenig das richtige trifft, verleiten lassen.

Zum Jahre 1233 gedenkt Albericus S. 543 eines anderen Werkes: De sancto clauo apud Sanctum Dionysium perdito et iterum reinuento mirabiliter et de miraculis [&] contingen- tibiis circa hanc inuentionem gestis scripsit optimam ilarra- tionem Magister Philippus Cancellarius Parisiensis.*

Es liegt nahe, diese narratio als einen der sermones de sanctis et Parisiensium ecclesiarum singularibus patronis an- zusehen, zuinal die Pariser Handschriftenkataloge von einer solchen Einzelschrift keine Andeutung enthalten: die Entschei- dung darüber wird Pariser gelehrten leicht sein.

Von poetischen Producten dieses Mannes ist überall keine Rede, P. Leyser führt seinen Namen nirgend an. um so erfreulicher sind die gelegentlichen Notizen über Dichtungen dieses Mannes, die uns Salimbene gibt. Derselbe schildert S. 64 f. das Leben und wirken des Henricus Pisanus ex or- dine fratrum minorum und bemerkt dabei folgendes:

* Von der Bestürzung, die der Verlust dieser Reliquie im J. 1232 in Paris hervorrief, berichtet Du Boulay 111 S. 147.

414 Peiper, zur Gesch. der xuittellatein. Dichtung. I.

Multas cantilenas fecit frater Henricus et multas sequen- tias. Nam litteram fecit et cantum:

Christe deus, Ghriste meus, Christe rex et domine etc. ad uocem cuiusdam pedissequae quae per maiorem ecclesiam Pisanam ibat cantando:

E tu no curo de me^ e no curaro de te. Item illam cantilenam fecit^ litteram cum triplici cantu, scilicet:

Miser homo cogita facta creatoris etc. Item cantum fecit in illa littera magistri Philipp i Gan- cellarii Parisiensis, scilicet:

1 Homo quam sit pura mihi de te cura etc.

Et quia cum esset custos et in conuentu Senensi in infirmi- torio iaceret infirmus in lectO; et notare non posset; uocauit me et fui primus^ qui eo cantante notaui illum cantum. Item in illa alia littera^ quae est Gancellarii, similiter cantum fecit, scilicet :

2 Grux de te uolb conqueri, et:

3 Virgo tibi respondeo, et:

4 Gentrum capit circulus, et:

5 Quisquis cordis et oculi, et in illa sequentia:

Jesse uirgam humidauit (er versichert von dieser, dass sie den Richard de Sto. Victore zum Verfasser habe und dass ein schon vorhandener Gantus dazu rudis et dissonus gewesen*)

6 Item in hymnis sanctae Mariae Magdalenae quos fecit praedictus Gancellarius Parisiensis, scilicet:

Pange lingua Magdalenae cum aliis sequentibus hymnis cantum delectabilem fecii Item de resurrectione domini fecit sequentiam, litteram et cantum, scilicet:

Natus passus dominus resurrexit hodie.

* Der Ver&sser war bisher nicht bekannt: Mone (Lat. Hymnen des Mittelalters) IT Nr. 583, J. Kehrein (Lateinische Sequensen des Mittel- alters. Mainz 1873) Nr. 198. Bei Salimbene ist humi Dauit gedruckt. Von den eigenen Erzeugnissen des Henricus Pisanus wie anderer, z. B. des Thomas de Capua (die Seqnenz Virgo parens gaudeat, Salimbene S. 66 und 194, vgl. Eehrein Nr. 570) gewinnen wir gleichermassen erst dorch den Chronisten Kunde.

Peiper, zar Gesch. der mittellatein. Dichtung. I. 415

Und auf S. 224 führt er zum Jahre 1250 an :

Item uitam praelati bene describit magister Phylippus cancellarius Parisiensis sub metaphora membrorum cor- poris.

Ich hebe hervor ^ dass Henricus und Salimbene Brüder desselben Ordens und Zeitgenossen des für den jungen Orden so kräftig gegen die sich überall eindrängenden Dominicaner auftretenden Canzlers Philippus sind: die Aussagen des Chro- nisten machen darum durchaus auf Glaubwürdigkeit Anspruch.

Mit Nr. 6 bezeichnet Salimbene offenbar einen ganzen Cyklus Yon Magdalenen-Hymnen : wir erfreuen uns des Besitzes, wenn nicht des ganzen Kranzes , doch einiger der schönsten Blüten aus demselben in den Hymnen, die Mone III Nr. 1055, 1056, 1058, 1059 mittheilt und Morel* in einer Freiburger und mehreren Einsiedler Hdss. fand, und zwar geben diese Hdss. zwei von einander abweichende Reihen: die Preiburger Hds. Nr. 56 sowie eine mir bekannt gewordene Wiener Nr. 883 ** ver-

* P. Gall Morel, Lateinische Hymnen des Mittelalters. Einsiedeln 1868. S. 273.

«

** Ich will die Abweichungen dieser Hds. von Mones Text hier mit- theilen. Vorauf geht: 1053 marie magdalene. 1,4 maria . . . pfiilgida (Lücke zwischen beiden Worten) . 3,i Hec sacras ihü lacrimis 4 uitu tenebras' 4,8 nobis deposce ueniam. Str. 5 (V. 17—20) fehlt: dafür der Schluss, den Mone aus C anführt (aber V. 3 sanctoque sit spiri- tui). 1055 Item 1,4 de concentu 2,2 turbam 3,8 riuo fons immaduit 4 in ipsum 5 dedit terre 6 celum terra 4,8 in unguenti. Str. 5 fehlt: ohne Unterbrechung folgt 1056. . 1,8 haec] hunc aus haue gemacht. 6 prenuncia 2,1 ortulanum 6 mouit. Str. 4 fehlt: es folgt als Fortsetzung 1058. 1,5 mentem c. mentem s. 2,4 mente 6 ncscit 3,8 nee illttdis 6 sed includis quos excludis. Statt der Verse 20 und 21 bei Mone folgt als Schluss die Schlussstrophe von 1056 (V. 2: spes nite s speratse coscribi, co ist durch Puncte getilgt und von erster Hand pre übergesetzt).

Im Anhange sei es gestattet , zwei jüngore Magdalenen-Hymnen, die noch unbekannt, mitzutheilen.

Die Lesarten des Bernardinus-Textes sind bei Mone nicht genau auf- geführt; ich gebe das fehlende, mit Einschluss der Druckfehler, nach der Ausgabe von 1650:

3,1 latuit 6 coelam 4,i sanat ergo medicum. Als fünfte Stro- phe ist zwischen V. 24 und 25 die erste Strophe von 1056 eingeschoben. Hier wird V. 6 praenuncia gelesen. Amen fehlt hinter V. 30. 1056 be<

416 Peiper, zur Gesch. der mittellatein. Dichtang. I.

binden 1055, 1056, 1058, in den Einsiedler Hdss. wird 1055 weggelassen, und es folgen aufeinander 1056, 1058 und 1059. Alle vier Hymnen aber verbindet in einer Reihe, welcher noch Nr. 1060 in einer abweichenden Strophenform angefügt ist, ein Anhang zu dem 46. der Sermones feriales des heiligen Bernardinus von Siena*. der de ardentissimo amore Sanctissi- mae Magdalenae handelt. Schwerlich danken sie ihre Stel- lung daselbst, dem heiligen selbst: Verwandtschaft des Gegen- standes hat einen Abschreiber bewogen sie in der Hds. seinem Sermon anzufügen.*'*' Dass sie sämmtlich eines Dichters Eigenthum sind, hat Mone bemerkt (zu Nr. 1058), und seiner Bemerkung gibt jener Anhang zum Bernardinus, der auf authentischer Quelle zu beruhen scheint, sichere Gewähr; dass wir sie ihrem Verfasser zurückgeben können, dazu setzt uns Salimbene in Stand; wir werden auf Grund der Sammlung bei Bernardinus auch Nr. 1060 demselben Dichter zuweisen dürfen.

Das erste und vierte der bezeichneten Gedichte entzieht

*

sich meiner Kenntniss, das dritte ohne Namen des Verfassers angeführte ist die Antwort des Kreuzes auf den Planctus der Maria, den das zweite darstellt; und es dürfte möglicher Weise auch Nr. 4 und 5 nur durch Ungenauigkeit des Ausdrucks nicht direct dem Philippus zugewiesen sein. Das zweite Lied kenne ich bisher aus zwei Hdss.***, von denen die eine gleich-

ginnt Extimauit hortulanum. Str. 2,3 seminauit ei granum. Str. 4 (V. 19 24) fehlt; es folgt ohne Unterbrechung als Fortsetzung desselben Gedichtes 1058; 2,6 nescit uerbi ueritas. V. 19. 20 fehlen, ohne Unter- brechung folgt 1069 ; 2,5 quaeris (nicht quaeres) 3,5 quaeris (nicht quae- ras) 4,1 nescisti 5 raboni 5^2 fronte Iota gratia 5 resurgentem 6 con- sortem 6,s inuitanti. 1060 wird in 4 Strophen getheilt. 4,i(i9) gaudo quae nunc sublimaris. 5(8S) uera hinter 6(24): Amen.

* Minorit, Mitte des 15. Jahrhunderts. Das nöthigste über ihn gibt Fabricius I 217 M.

*• Op. ed. Lugduni 1660 II S. 299-306.

*** Die YortrefPliche Hds. Rehdigeranus S IV 3 a 48 membr. s. XIV f. 39' gibt keinen Verfasser an, das thut die offenbar weniger gute Hdti. Vindobonensis 883 membr. s. XIV (olim monasterii Campensis Golonien* sis dyoc. Nr. 507) f. 79 ▼. Die letztere ist durch verschiedene Mitthei- lungen Wattenbachs und des Verfassers selbst (Zachers Z. f. deutsche Phil. V 166) bekannt, aus der ersten, ehemals der Breslauer Dombiblio-

Feiper, zur Gesch. der mittellatein. Dichtung. I. 417

falls den Philippus als Verfasser nennt, das fünfte gibt Th. Wright im I Walter Mapes nach mehreren Hdss. und einem Druck in Cambdens Remains S. 301 * , und gleichfalls ohne Ueberschrift fand ich es in dem unten bezeichneten Behdige- ranus. Wir haben also ein sicher bezeugtes; ich bin im Stande y ein zweites diesem zuzugesellen, welches in einer Breslauer Hds.** die Ueberschrift „Dyalogus fidei et rationis conpositus a Phylippo Cancellario Parisiense" trägt. Die Ver- gleichung der nun bekannten Gedichte des Philippus mit dem Liede Nr. 5, die ich durch meinen Abdruck zu ermöglichen wünsche, dürfte genügenden Anhalt geben für meine Muth- massung, dass das letztere identisch sei mit dem von Salim- bene 8.224 angeführten Streitgedicht: damit wäre auch über den Verfasser Yon Nr. 4 entschieden. Sollte man aber dieser Ansicht nicht beistimmen und die Vergleichung selbst über Echtheit oder Unechtheit ein entscheidendes Urtheil nicht er- möglichen — und Vorsicht ist ja besonders bei diesen mittel- alterlichen Dichtungen so sehr von Nöthen , so hoflPe ich doch eine Anregung geboten zu haben weiter nach Erzeug- nissen unseres Philippus zu forschen, der solche Theilnahme wol verdient, und zunächst nach den uns noch unbekannten Liedern 1 und 4.

thek vor ihrer Vernichtung durch die Schweden gehörig, bin ich im Begriff anderwärts einige interessante Stücke zum .Druck zu bringen. Auch in cl m 676 s. XIII--X1V f. 123 soll dies Gedicht stehen. Eine Bearbeitung desselben Gegenstandes von einem späteren Dichter, die Eenntniss unseres Gedichts verräth (die Antwort des Kreuzes beginnt V. 61: Virgo tibi respondeo: pro mundo Jesum teneo; hunc tibi non restituo, ut mundum morte perimat) theilt J. F. Mone, Schauspiele des Mittelalters I S. 87—41 aus einer in Florenz geschriebenen' Hds. vom Jahre 1439 in der Hofbibliotbek zu Karlsruhe mit.

* y. Le Clerc (Hist. litt, de la France XXII S. 163) fand dasselbe in der Pariser Hds. Ancien fonds latin. Nr. 8433 Bl. 46 mit der Ueberschrift „Disputatio inter cor et oculum*^ mit musicalischer Notation. Er be- zeichnet das Gedicht als eine schwache Wiederholung der bekannten visio Philiberti.

** UniversitHtsbibl. I Q 102 mcmbr. s. XIY (aus Closter Heinrichau) f. 116'.

418 Peiper, zur Gesch. der mitiellatein. Dichtung. I.

I (Disputaiio beate uirginis Marie et saucte crucis.)

1 Crux, de te uolo conqueri:

quid est quod in te repperi

fructum non tibi debitum, fructum, quem uirgo peperi? nil debet Ade ueteri

fnictum gustauti uetitum; intacti fructus uteri tu US non debet fieri,

culpe non habens meritum.

2 Cur pendet, qui non meruit?

quid quod te non abhorruit,

cum Bis reis patibulum? cur soluit que non rapuitV cur ei, qui non nocuit,

es penale supplicium? ei, qui uitam tribuit mortique nichil debuit,

moilis propinas poculum?

3 Te reorum flagiciis,

te culpavum suppliciis

ordinauit iusticia. cur ergo iustum inpiis, cur uirtutem cum uiciis

sociauit nequicia? redditur pena premiis, offensa beneficiis,

honori contumelia.

4 Beis inde pendentibus,

homicidis, latronibus

inflicta maledictio. iusto pleno uirtutibus, ornato karismatibus

debetur benedictio.

B =1 codex RehdigeranuB, V => Vindobonensis.

Ob memoriam Crucifixi Scribo hanc disputationem Quam composnit Cancellarius Philippus inter matrem ipsius Crucifixi et crucein. Unde primo loquitur Mater ad crucem V 1,2 quia nuue in te F 4 fructus

V 7 iatactus V 2,s quid est q t. n obrnit V i--6 fehlen V 9 morti

V 3,4 cum inpiis V 6 sociante V

Feiper, zur Gesch. der luittellatein. Dichtung. I. - 419

ergo quid ad te pertinet,

cur uita mortem sustinet,

habitus fit priuacio?

(Sequitur responsio saluifice crucis.)

5 Üirgo, tibi respondeo,

cum tibi totum debeo

' meorum decus palmitum, de tuo flore fulgeo, de tuo fructu gaudeo

redditura depositum. dulce ponduB siistineo, dulcem fructum possideo

mundo, non tibi genitum.

6 Christus mortem non meruit.

quid ei mori disposuit,

ut mortem morte ioUeret? ligno lignum opposuit et soluit que non rapuit,

ut debitores liberet. in Adam uita corruit, quam secundus restituit,

ut uita mortem germinet.

7 TJlmus uuam non peperit;

quid tamen uiti deperit,

quod ulmus uuam sustinet? fructum tuum non genui, sed oblatum non respui,

ut pena culpam terminet. a te mortalem habui, immortalem restitui,

ut mors in uitam germinet.

8 Tu uitis, uua filius.

quid uue competencius,

quam torcular quo premitur? cur pressura fit purius, nisi quia iucundius

uinum sincerum bibitur?

4,9 Sit B? fit F Str. 4, 8, 9, 10 sind au den Rändern von Bl. 79V von andrer Hand geschrieben V Sequitur etc. F, fehlt in R

6,2 Me tibi V '/ ^ •/ l B cum tibi? 6,i qui si mortem V 3 morte mortem V 6 Exsoluit quod V 7,6 nee pena V 9 uitam

transeat V

420 Peiper, zur Gesch. der mittellatein. Dichking. I.

quid uua passa dulcius^ quid Christo passo gracius, in cuius morte uiuitur?

9 Multi 86 iustos simulant,

filium a te postulant

et ad me non respiciunt; sed postquam mihi creditus et apud me depositus,

extra me non inueniunt. querant in meo stipite, sugant de meo palmite

fructum tuum quem siciunt.

10 Respondeas ypocritis:

,,filium meum queritis,

quem cruci dudum credidi? iam non pendet ad ubera, pendet in criice, uulnera

corporis monstrat liuidi. eum in cruce querite, guttas cruentas bibite,

emulatores perfidi!"

II Djalogus fidei et rationis conpositus a Phylippo Cancellarip Parisiense

1 Phebus per djametrum luna fugiente Vix Indos aspexerat Aurora cedente, Nox, que tela gesserat, tauro fugiente Diem dabat geminis cancro sujocedente.

2 Consurgens diluculo, pulso iam sopore, Beuoluebam plurima disquirentis more, Que i:erum materies uel quo sint auctore, Et uidi, quod singula plena sunt stupore.

3 Ecce cum disquirerem leges in Piatone, Disputantem audio fidem cum ratione; Disputabant fortiter tamquam in agone, Tamquam spe proposita palme uel corone.

4 Fides uerecundior et minus arguta Obmissis subtilibus non querit acuta; Silogyzat ratio argumentis tuta; Ipsa fidem primitus sie est allocuta:

5 B. „Quenam te presumptio facit disputare

Contra naturalia? nam uis delirare,

9,5 apud V 8 snggtint R 10,6 monstrans V U {H » Heinrichauer Hds.) l,s centauio H

Peiper, zur Gesch. der mitiellatein. Dichtung. I. 421

Dum uel partum uirginis audes predicare, Uel in tribus unicum deum adorare.

6 Ista sunt similia monstris documenta, Que non fidem dixerim, sed deliramenta. Que credenda predicas, noua sunt figmenta;

Ad scrutandum grauis es, ad querendum lenta/'

7 Fides ad hec retiüit paulisper commota: F. „„Que figmenta predicas, non sunt tibi nota.

Longe a sacrario nostro es remota; Non nosti celestia nee rotam in rota/^"

8 i2. „Immo mei iuris est approbare scita.

Ego celos penetro sciens infinita, Tua uero paruitas nil scrutatur ita; Nam si scires tradita, esses digna uita/^

9 F. ,n>Tu in cunctis fluetuas mundo conturbato,

Quem nunc longum predicas, nunc parem quadrato. Solus seit qui condidit formam cum formato: Errat Aristotiles, errat tuus Plato.""

10 B. „Plato mundi asserit creatorem deum;

Nescio si legeris diligens Tymeum; Set tu satis &iuole sie refutas eum, Quasi non exuperet Lucam uel Matheum/'

11 F. „„üestri uestrum principes commendant primatum;

Zeno prouidentiam adorat uel fatum, Epicurus predicat quoduis casu natum; In se quod diuiditur erit desolatum/^^^

12 B, „Error in phylosophis quiddam est preclarum;

Terra, mare patet hiis et motus stellarum: Tu contenta modicis, studiosa parum, Tantum laudas sompnia uana prophetarum/^

13 F. „„Blasphemantem doleo te sie insanire;

Namque reputaberis inter uasa ire,

Dum contempnis legere uates et hos scire,

Paulum atque modulum dauitice lire/^"

14 B. „Stultum est quod laceras ueterum primates,

Quibus mundus gratias, quibus debet grates. Tu pastores rusticos dicis esse uates: Nostri sunt Carneades, P]ato et Socrates/*

15 F, „„Nil ceiie credidimus illos sompniasse,

Quorum alter alten scitur obuiasse. Tome [?] probe fateor illum sompniasse, Qui de yle loquitur naturalis masse.

7,4 Ezech. 1, 16. 10, 10 8,4 uon esses H 10,2 intelligens H s Et tu H 11,1 principem H 12,i quidam II 13,2 Rom. 9, 22 16,s Tome fateor probe fateor i. s. H

422 Peiper, zur Gesch. der mittellaiein. Dichtang. I.

16 Tua quidem fateor uia sublimatur, Dum creantis abdita nipiis admiratur. Si tarnen uelocium cursus mensuratur, übi fides preuolat ratio nioratur/^^^

17 R. Hiis commota ratio contumeBcit ira,

Questiones obicit, uult probai*e mira. Solis querit ambitus, spera sit an spira, Quare, quando occidant Plyades aut lira.

18 Querit quid occeonum terminet profundum, Quando idem ceperit, quod sit supra mundum; An quadratum predicet esse uel rotundum, Multaque preterea intellecta nondum.

19 F. Fides ad hec: ^^„Talia übet ignorare;

ünum tarnen onmium rerum scio, quare Tenebris latibulum uoluit signare, üt suum defenderet factor singulare.

20 Si scirentur singula mira conditoris, Minus inde meriti esset uel stuporis. Ergo sie creata sunt omnia,>ne noris, Que sit rerum facies, natura decoris/^^'

21 B. „Cur sie ignorantiam laudas secretorum?

Honor est artificis decus cognitorum, Intellectus hominum est et angelorum; NuUa nobis posita meta sciendorum.

22 Uide quam sit ardua nostra celsitudo: Celi deprehensa est per nos altitudo, Nobis patent maria, terre latitudo;

Infra mentis ambitum quicquid est recludo/'

23 F. ,, „Tolle excellentiam, pone hunc tumorem!

Solum credas omnia nosse creatorem. Apponens scientiam dedit et dolorem: Hanc sciendi nouimus uiam potiorem.

24 Tu es nobis scandalum, per te irrepserunt Que nostram uulpecule uineam carpserunt, Qui uel sumptum hominem a deo lusenmt üel in trino simplici scalas posuerunt/^*^

25 R, f,Immo tu confusa es, tu tibi ruina,

Credens quod res eadem simplex sit et trina. Fluctuans et friuola talis est doctrina; Sic fingunt heretici uel qui potant uina.

26 Dum personam diuidis rem unam credendo, Fantasiam incidis rem ipsam fallendo.

Hinc ui silogistica firmiter defendo:

Si est unus, trinus non idem permanendo."

19,s Ps. 17 (18), 12 4 Creator H 24,s dinisernnt H

Peiper, zur Gesch. der mittellatein. Dichtung. I. 423

27 F. „„Singularis trinitas, totum unum esse;

Spiritus, paternitas, flos de uirga Yesse Per personas inditas creduntur expresse, üt sit unum, deitas trina unum esse.

28 Idem esse tribus est consubstantiale; Nichil ibi dispar est, nichil inequale. Quoduis ti'ium unum est, quoduis trium quäle Tres sunt, tribus sed abest omne numerale/^*^

29 R. „Quid quod matrem abnegat pei-fidus ludeus

Et fiorem fantasticum iurat Manicheus?

Vix ergo cognomiuis quis eorum reus,

Cum tot moustra incidat tnus ille deus.

30 Ambulas in tenebris, longo es a uia, Dum falso diuiditur monas trias dya: Dum se per tot spatia fort allegoria, Non est ewangelium sed falsigraphia.

31 Dum trinum mirabile moues discretiue Et naturam simplicem iungis diuisiue, Spiritus principium non est substantiue, Qui tameu principium rei transitiue/*

32 F, „,,üirgo mater facta est noua nouo miro.

Dum circumdat innuba uirum sine uiro; Natus est de femiua maior coli gyro, Naturale quomodo nullum hie requiro.

33 Sanctus dei Spiritus, deus dei donum, Fouet, regit celitus mare, rura, tronum, Hie est dei digitus leixans omne pronum, Föns, panis, paraclitus, per quem omne bonum.

34 , Hii Spirant perhenniter pater et sophya;

Est enim equaliter unus deus tria, Et cum regnet pariter genitus Maria, Tribus hiis concorditer compar est usia.'

35 B. „Hoc credendi genus est simile furori,

Ut sit homousion natus genitori.

Non patrem, sed filiom dum contendis mori,

Non patri antiquitas datur ut priori.

36 Hinc oborta questio creuit arriana, Hoc monstrum abhorruit plebs sabelliana; Uide quam sacrilega uel quam sit insana: (Jos diuina fingitis monstra, non humana.

37 Bes omnes create sunt quadam honestate, Deus fecit quodlibet satis ordinate. Tu rem unam diuidis ita desperate,

27,4 sint ? 29,3 cognoueris ? 31,4 tu J7 32,s moior H

UU

424 Peiper, zur Gesch. der mittellatein. Dichtmig. I.

Quod in nostra fingitur moustrum deitate.

38 Si res una deus est ter, affirmas trinum, Cur, si tres persoue sunt, unum est diuinum? Hie errasse fateor tuum Augustinum; Questionis melius hunc enoda sinmn/'

39 F, „„Pater, uerbum, spiritus tres sunt in personis;

Natus crucem patitur non exclusus tronis: Hinc speratur amplior palma cum coronis, Quo hinc nil humanum est nisi rationis.

40 Miror ignorantiam, qua sie excecaris, Dum more mortalium diuina scrutaris.

« Trina est diuinitas, est et singularis:

Si deus mirabilis, cur hoc admirarisV

41 Mnltum est heb nouitas nobis collatura, Quod hinc stupet ratio, miratur natura. Cedet tandem speculum, tolletur figura, Deum deorum in Syon quando sum uisura.

42 Dum sit firma ueritas, satis enodatur; Leta in tripudio pugna terminatur, Turris Dauit fortibus tota exarmatur/' *^ Yicta cedit Ratio, Fides coronatur.

III (Disputatio inter cor et oculum.)

1 Quisquis cordis et oculi non sentit in se iurgia, non nouit qui sunt Stimuli, que culpe seminaria; causam nescit periculi, cur- altement conuicia, cur procaces et emuli replicent in se uicia.

2 Cor sie affatur oculum: „Te peccati principium, te fomitem, te sümulum, te mortis uoco nuncium. tu domus mee ianitor hosti non claudis hostium; familiaris proditor ^ cur foues aduersarium?

3 Nonne fenestra diceris, qua mors intrat ad animam? nonne quod uides sequeris ut bos ductns ad uictimam? cur non saltem quas ingeris sordes lauas per lacrimam? aut quare non erueris mentem fermentans azimam?^*

37,4 uestra? 41,4 Ps. 88, 8 uidebitor deus deorum in Sion R » Rehdigeranus W Th. Wrights Ausgabe C Cambdens Ausgabe ca^ ca* Codices Cantabrigienses h = Codex Harleianus

1,1 Si quis W quisquis RCca^ 8 altemant W 4 replicant ff^ replicent Bh repliunt C 2,2 fontem C s ostiuni W 4 cur foues] admittis W 3,i intrahit h s non fehlt R Saltem sordes quas inge- ris cur non lauas Cca^ 4 exueris ca^

Peiper, zur Gesch. der mittellatein. DichtuDg. I. 425

4 Cordi respondet oculus: „Iniuste de me qüereris; tibi sum seruus sedulus, esequor quicquid iusseris.

nonne tu mihi precipis sicut et membris ceteris?

non ego, ta te decipis: nuncius sum, quo miseris.

^ 5 Cur dampuatur apertio corpori necessaria, sine cuius obsequio . cuncta languent officia? quod si fiat irreptio, cum sim fenestra peruia, si quod recepi nuncio, que putatur iniuria?

6 Addo quod nullo puluere quem immittam pollueris, nuUum malum te ledere potest nisi consenseris.

de corde mala prodeunt: inuitum nichil pateris uirtutes non intereunt. nisi culpam admiseris/^

7 Dum sie uterque disputat soluto pacis uinculo, Batio litem amputat diffinitiuo calculo;

reum utrumque reputat, sed non pari periculo:

nam cordi causam impatat, occasionem oculo.

Amen.*

Bei Gelegenheit dieses Liedes will ich auf ein Werk des Petrus de Cyperia aufmerksam machen^ welches Fabricius (V 262 M.), der überhaupt nur eine sehr ungenügende Kennt- niss von diesem Manne aus Du Gange hat^ übergeht. Die oben genannte Breslauer Hds. Universitätsbibl. I Q 102 gibt Bl. 2' bis 34^ einen Tractatus moralis de oculo, mit folgender Subscriptio:

Explicit über de morali oculo propositus a magistro Petro de Cyperia Lemonicensis dyocesis vnde versus: Huius lux oculi si clarius inspiciatur, Mentis lux oculi per eam satis irradiatur.

4,2 seruas sum tibi TT * s et ceteris membris h Str. 5 nach, 6 in W, die obige Ordnung geben ECca^ 6,i corporis ca^ s obse- quio jB ca*ca' officio W s quo W quod Eca* \ irrepio W \ per me fenestra ca* 6,i V adde übergeschrieben in E und so h \

immitto C inmittem ca 8 nihil inuitum W i intereunt EW in- troeunt ca^ \ cotnmiseris W und V con ist übergeschrieben in E 7,1 Dum E ca^ Cum W \ uinculo E V osculo übergeschrieben in E und so TT 2 definitiuo W s utrumque, reum Cca^ca^ 4 cul- pam ca\ I Amen fehlt W

Abchiv f. Litt. -Gbsch. yxx. 29

424 Peiper, zur Gesch. H»»- - "

pjvM»''^' ^■

2

. ^ memoriA, O qaam *^^ /o uitiis

ffec e«* ^^^** Magdalena clsjie orta parentibus, sed peccatis foit plena carnis abntens sensibns.

Sed lacrimaruin flumine 3 dum compuncta resoluitur,

sancto peruncta numine a peccatis absoluitur.

Et Borori preficitur deuotionis studio,

quo mens ardens afficitur dulcedinis tripudio.

5 Hec Lazarum ab inferis

suis reduxit precibus,

quia Christum pre ceteris

suis placauit fletibus.

6 Quem düexit feruentius

sub cruce stans intrepida, et quesiuit feruentius in sepulcro non tepida.

7 Et sie uidendo dominum

uite tulit letitiam, sicut seductrix hominum Ena seuit tristitiam.

8 Suis ergo nos precibus

a uitiorum estibus Christo coniunge cetibus sanctorum in celestibus.

9 Trinitati laudatio

in unitatis gloria sit ei par ueneratio in etema memoria, etc.

>

Peiper, zur Gesch. der mittellatein. Dichtung. I. 427

Voraus geht ein Hymnus de beata uirgine et sanctis Omnibus uirginibus, mit dem Anfang: Gaudeamus pariter etc. unterschrieben von dem^ der das meiste und beste in dieser Sammlung geschrieben hat: scriptum per manus fiis Jo. Zue- tingh de Lejden.

II. Ans der Hds. des Nicolaus von Czaslau Bl. 31'.

Marie Miigdalene.

(w') Felici peccatrici

Christique amatrici post spine scrupulum w' Decet symphonisare,

dum meruit beare amoris caiculum. B^ 0 peccatorum spes.

w' Exemplar desperatis

Magdalena gratis a deo facta es . . .

(w*) * Te Lucas peccatricem, sed ego amatricem uiii^utum iudico. w* Phariseus dum spemit,

te deus mire cemit, munda a yicio. 0 peccatorum spes.

w' Marsilie apostola

euoluis hostis iacula, tu cum sodalibus. w* Ej hinc post statum gratie

assumis lumdn glorie apta celestibus. (R**) 0 peccatorum spes.

w' Christicole colentes

hunc diem, uenerantes dulci cum iubilo, w" Trino in personis

modulemur sonis celorum domino. (R^) 0 peccatorum spes.

29*

428

Peiper, zur Gesch. der mittellateio. Dichtung. II.

6 [Cristicole nos classe

precamur et non casse

fibris pro aenia, ut tua per sufiragia relaxentur uicia

benedicendo domino.]*

Nicolaus de Cosil (Czaslau) schrieb die Hds. der Bres- lauer Universitätsbibliothek I Q 466 in den Jahren 1417 23. Aus ihr und über ihren Schreiber hat Hoffmann von Fallers- leben zuerst Mittheilungen gemacht in der Monatsschrift fiLr Schlesien II 738 ff.

IL Aus der Schule des Thomas von Aquino.

Carmina in obitum Thomae Aquinatis.*'^

Vox Bacheiis planctum pangit, tristatur ecclesia;

plebs fidelis tota plangit, gemit Bome curia;

mors crudelis Thomam frangit, mundo dat suspiria:

Luminare maius tangit umbrosa molestia;

Thomas clare iam non clangit, praedicantum gloria.

Jerusalem deploratur leremie carmine, nostra Syon obfuscatur suo carens lumine, nostra Rachel nunc orbatur filiali germine: Magnus dolor cumulatur praedicantum ordine, frater Thomas dum priuatur clericali culmine.

Hie ut Stella matutina, ut solaris radius, uerbo, uita et doctrina prefulsit Parisius; cura dedit hunc diuina uelut iubar clarius: Hie fit mundi mediciua, salutaris nuncius, seruat fratres a ruina, magister egregius.

Hie fnit hereticorum singularis malleus, Promoter praedicatorum, ecglesie clipeus, gemma morum, flos doctorum, mente uir ethereus: Hie pudoris uas decorum, scripturarum puteus, exemplar philosophorum, tronus regis aureus.

1

fit eclipsis nimia.

pressa mortis turbine.

in mul-

tis uti-

lius.

fulgens

orbis

cereus.

* Diese Strophe ist von andrer Hand am Bande zugesetzt. •* Aas der Rehdigerschen Hds. S IV Sa 48 Bl. !▼.

Peiper, zur Gesch. der mittellatein. Dichtung. II.

429

8

10

Alumpnus philosophie ex Aquino nobilis, lucema theologie scriptis admirabilis; explanauit nocte die libros Aristotilis: Bonis foit mentis pie malisqiie terribilis, seruus uirginis Marie, quem mors rapit flebilis.

Hie quatema ui supema monstrat animalia, huic pennata sunt monstrata qnatuor celestia, explanauit, lucidauit sancta ewangelia: Nam sanctorum dictis herum posuit insignia, plurimorum aliorum docens mirabilia.

Ars hunc luget triuialis arsque mathematica, ars hunc deflet naturalis atque metaphisica, doctrina spirituaJis meret, theologica: Mesta sedet ars moralis, monstran& mores ethica; sie machine mundialis lesa dolet fabrica.

Fundamentum, documentum tocius ecclesie, fulcimentum, ornamentum doctorum milicie dat talentum^ dat augmentum, fortis stans in acie: Fit lamentum, detrimentum, fractum mortis rabie ut argentum est inuentum, datum celi curie.

Hie Piatonis, Ciceronis libros uerbis ^uperat, Gedeonis et Sampsonis uirtutibus imperat, Salomonis fulgens donis naturas considerat: Babilonis, Pharaonis populos depauperat, multis bonis racionis luce cecos it«rat.

Multis signis illustratur ipsius egressio; Stella cadens demonstratur de celi fastigio; que per duas eleuatur Stellas de discidio: Surdus, claudus reparatur: per quod fit ostensio, quQd Thomas glorificatur in regni palatio.

uir

cimctis

amabilis.

ffultus dei fin*atia.

dat

doloris

cantica.

uas diuine gratie.

res

occultas

reserat.

ceco datur uisio.

n

Epitaphium.

uertuntur, flent et amare sidera, terra^ mare.

Berum natura stupet hinc, quod mors sua iura fregit, mors dura, mors impia, mors peritura.

0 f rater Thoma, te plangunt Francia, Roma; aurea dans poma fragrasti sicut aroma*

In luctu cithare extincto iubare

*430 Peiper, zar Gesch. der mittellatein. Dichtung. II.

4 Parisiusque, ferens eclipsim, stat modo merens;

mors, fera dampna gerens, est bona nostra terens.

5 Aquini natus, generosus, honestus, amatus,

castus, honoratus transit ad astra datus.

6 Hie iubar ethereum, retinens ex earne tropheum,

mente ferens oleum, predicat ore deum.

7 Dux patrie, dux ecclesie fit doctor honoris,

militie constans acie fit gemma pudoris.

8 Doctor amabilis et uenerabilis inuia pandit;

germiue nobilis, omnibus utilis ardua scandit.

9 Aula Sophie, preco Marie morte grauatur,

Philosophie, theologie hix tumulatur.

10 Forma fit hie gemini iubaris, sed cellula uini,

manne diuini debuit ergo sini.

11 Stella fuit morum, sol mundi, dux populorum;

ergo stpernorum debet habere chorum.

12 Stat lacrimosa scola, sapiens stat concio sola;

dupla Gristicola fulget hie aureola.

m

M. Henricus Hytalicus:

Leges qui binas hausit fontemque Rophie, clarus progenie Thomas hie dormit Aquinas.

Dahinter folgt eine Grabschrift des bekannten Juristen am Hofe Friedrich IL, Roffredus Bntiensis (Fabricius VI S. 116 M). Sein Name ist seitwärts angegeben von andrer Hand; die Ueberschrifk nennt, wie beim vorausgehenden^ den Verfasser.

(Domini Rofridi.)

Benedictus Dominus Legum.

Imperii, regni, patrie fios, lux Beneuen ti

Hie iacet atque tacet, non dat responsa petenti.

Ich lasse noch ein bisher nicht bekanntes Gedicht von einem unbekannten Verfasser über die Engel folgen, welches derselben Hds. entstammt; vgl. dazu die Bemerkungen Mones zu I 308 S. 443. Ist es nicht von Thomas von Aquino

Peiper, znr Gesch. der mittellatein. Dichtang. IL 431

selbst^ der in der That besseres geleistet hat, so scheint es doch aus seiner Schule hervorgegangen zu sein.

(Dictamen de angelis.)

1 luga Bethel mens conscende,

supemorom comprebende

que sit distribucio, quam distinxit thearcbia triplici sab ierarchia

gradu nouenario.

2 Igne dei sunt ardentes

Seraphin, sed excellentes

Cherubin scientia. tronus dei nominatur, in quo celi rex locatur

decernens iudicia.

3 tres flores ierarchie

iuncii diue monarchie

sunt sine distancia; diidnum sunt agalma diuineque mentis alma

pre cunctis thünagia.

4 Dominantes dicuntur,

qaorum nutu disponuntur

actus ministrantium. horum nempe subiectorum uicem agit ministrorum

circa nos collegium.

5 Cetus inter quos uirtutum

supra phisim est, ad nutum

Signa qm exhibeat. potestatum est arcere nequam onme, ne nocere

quantum uellet ualeat.

Cod. Behdig. S IV da, 48 BI. 3'. fris bti dictam flüchtig über- geschrieben; das Gedicht ist fortlaufend geschrieben, von drei zu drei Versen ein grosser Bachstab.

3,4 agalma] Glosse: exemplar and eine zweite: . i . speculum

siue signacalam 6 diainaj Hds, 6 thimagia] Glosse: bonus odor. 6,3 qai] Rds,

432 Peiper, zur Gesch. der mittellatein. Dichtang. II.

6 Habent teme personatns

limitare principatas

et iura decemere; submouere superborum sedes ducum et bonorum

hiis datur statuere.

7 Mistica consiliorum

eruditi diuinorum

nmiciant archangeli. dignitas est animarum specialis ut earum

sint cnstodes angeli.

8 Sic omatus supemi

distributi sunt ter temi

secundum officia. assistunt superiores, circa nos inferiores

agunt ministeria.

9 Purgant prelati subiectos,

illuminant et perfectos

fonti lucis uniunt. uerbis, sono nil difiPüso, fantur, tarnen inconfuso

sensu se percipiunt.

10 Ex hiis habet Michaelem

primatem et Raphaelem

medicum ecclesia, Gabrielem robur dei, per quem prima dantur ei

salutis eulogia.

11 Tantis lesu nos athletis

ducibus et atlothetis

dona semper protegi. assint nobis in agone, consequende sint corone

tuis archistrathegy. Amon.

11,8 adothetis Hds,

Peiper, zur Gesch. der mittellatein. Dichtung. ITI. 433

ni. Simon Fidatus de Cassia.

Ueber ihn s. Fabricius VI 187 M., der von Gedichten nichts weiss. Er war Augustiner-Eremit in Florenz und starb 1348. Das vielverbreitete^ oft und zuletzt im Anzeiger des Germanischen Museums herausgegebene Gedicht* Dolus mundi, mit dem Anfange Viri fratres^ serui dei (wofür andre Hdss. Cari fratres oder Eia fratres** bieten) weist die Hds. der Breslauer Universitätsbibliothek IV Q 126 chart..8. XV Bl. 273^ ihm zu in folgender Ueberschriffc:

Incipit pres^ns libellus „summa ueritatis perSimonem de Cassia'' intitulatus ad euidendum experigenciam omnium compositus.

Dies Zeugniss dürfte ohne triftige Gründe nicht anzu- fechten sein; mit den bei Fabricius erwähnten Schriften ist^ soweit man aus blossen Titeln schliessen darf; der Gegenstand des Gedichts verwandt; da niemand sagt, ob die einzelnen in Prosa verfasst oder poetische Producte seien^ so könnte unter einem dieser Titel wol unser Gedicht sich verstecken.

* Ueber Handschriften und Ausgaben s. Wattenbach, Die Anfönge lateinischer profaner Rhythmen des Mittelalters in Haupts Zeitschrift f. d. A., N. P. m 505.

** So in clm 3661 s. XV Bl. 217.

Micliael Lindener als Uebersetzer Sayonarolas und Herausgeber theologischer nnd historischer

Schriften.

Von Camillus Wendeler.

Im Anschluss an meine Bemerkung auf S. 340 Anm.^ dass Mich. Lindener mindestens noch 1561 litter arisch thätig war, da er in diesem Jahre die Erklärung zu einem aller Wahrschein- lichkeit nach auch Fischart* nicht unbekannt gebliebenen Bilderbogen verfasste, hatte der Herausgeber des „Archivs^ mit bekannter Liebenswürdigkeit*"^ die Güte, mich auf ein Büchlein in der an allerlei Seltenheiten überaus reichen Dresdner Biblio- thek (Polit. 1835) aufmerksam zu machen, das sich zu meiner Freude auch in Berlin, hier sogar in zwei Exemplaren, vor- fand und sofort auf die Entdeckung weiterer ähnlicher, dort ebenfalls bewahrter Leistungen desselben Autors führte. Diese zeigen uns den Verfasser der zotenreichsten Schwankbücher des 16. Jhts. auf einem ganz neuen Gebiete, wo ihn wol schwer- lich jemand gesucht hätte denn seine Versicherung in den Eatzipori Bl. P 2^: „Derselbig Poet war fromm; aber wenn er ein trunck het, war er ein vnflat" hielt bis heute wol nie- mand, wenigstens in ihrem ersten Theile für wirklich ernst gemeint nämlich als Interpreten und begeisterten Verehrer

* Vgl. Geschichtschrift 1576 61. cc 4^: „tröst sie, das besser sei ge- fangen als gehangen, besser im Schifipruch jm mit aim haken den arm durchstechen ynd sich so retten lasen als ersaufen: wiwol ainmal ain vndankbarer Gauch ainen drum verklagt.*'

** [Wie der Herausgeber selbst es auffasst, in richtiger Würdigung der Pflichten seines bibliothecarischen Berufes.]

Wendeler, Lindener als Uebersetzer Sayonarolas u. s. w. ^435

SavonarolaS; des durch den tiefen sittlichen Gehalt und die Strenge seiner Anschauungen berühmten italienischen Vor- kämpfers und Märtyrers reformatorischer Gedanken.

Der Titel des mir zuerst bekannt gewordenen Buches lautet :

„Grund vnd bericht, | Vom gewalt | vnd ansehen der Obrig- keit I vnnd schuldigen gehorsam der | Vnterthanen^ gegen Geist- lichen I vnd Weltlichen, der gestalt zuuor | nie gesehen noch an tag kommen, | sehr nutzlich zu wissen, vnd new- 1 lieh durch M, L, in Druck | geordnet. | AVTHORE | Jeronimo Sauano- rola. (!) I Sambt den fümemesten vnter- 1 scheiden, zwischen reiner Christlicher Lehr, | Euangelij, vnd der abgöttischen | widerwertigen, an Hertzogen | Heinrichen von Sachsen | durch Phil. Mel. I weiland ge-| stellet. | Anno. 1561. | " in 8^. Bogen A— N 6^ . Bl. N 5^: „Gedruckt zu Nürmberg, bey | ChristoflF Heußler. | 1561. | " Bl. N 6*: Holzschnitt, wol das Signet des Druckers, Ein Weib am Meeresstrande auf einem Netze stehend, in dem sich Seethiere befinden, die ein Meermann betrachtet; ein anderes grosses Netz bläht der Wind in die Luft, seine Seile hat das Weib um den Leib gewunden und scheint so empor getragen zu werden.

Die Rückseite dieses Blattes, wie vom die des Titels ist leer. Bl. A 2* beginnt die „Vorred. Den Ehrwürdigen vnnd [ Wolgeachten Herren, Herren | Decano, vnd andern Ca- nonicis, | vnnd mitgenossen, des lobwürdi-| gen Se- nats vnd Capituls, des vr-| alten Stiffts Onoltzbach, sei-|nen günstigen Patronen vii | Förderern. | "

„. . . reuerentz vnd ehrerbietung alle zeit beuor. Ehrwürdige, wolgeachte, großgünstige Herren vn [A 2**] Patronen. Nach dem ich bißher ein frey Person, das ich mit diensten niemand verhafft, noch vnterworffen gewesen, hab ich auch nichts anders gethan, dann allein meinen studijs außgewartet, vnd denselben mit fleiß vnd lust obgelegen, vnnd bißweilen durch reisen, bey gelerten leuten vnd in Libereyen etliche antiquitates Histo- riarum gesucht, vnnd die mit grosser mühe zusammen getragen, auch viler Fürsten vnd Herren Genealogias

436 Wendeler, Lindener als üeberseizer Savonarolas o. s. w.

VND STEMMATA beschriben, vnd etliche vebsiones in FACULTATE Theologica publiciert, vnd an tag geben.

Seintemal ich aber jetzu^d, alte Historien^ welche zuuor nie [A3*] gesehen^ zugericht^ vn ein Opus Chbo- NICORUM für der faust habe^ darinn Ewer Würden vnd Herrligkeyten Stiffts auch gedacht, vnnd sonderlich des Patrons S. Gumperti, Hab ich mit disem Wercklein ein occa- sion genommen ; damit solliches mit E. W. vnd H. willen ge- schehen mocht, vnnd dameben die alten fundationes be- käme, E. W. vnd H. dasselbige dedicirt vnd zugeschriben. Nach dem es ein sehr alt stifft ist, (vnnd jhm zu einem sonnder- liehen lob gereichet) wie ich etwan auß den Würtzburgischen annalibus vernommen, weiches einer grossen Autoritet vnd eestimation bey den vorfarn [A 3^] gewesen, das auch Ecclsesia Onoltzbachiana post Herbipolensem, vel ut volunt Historici Arctaunensem, secundina sey genannt worden.

Derhalben auch ein ehrwirdiger Decanus deß ChorstifiPtes Onoltzbach allezeit in synodis, conuentibus oder sonst Tagen der nechste zu der rechten handt deß Bischoffs von Würtzburg gesessen, solche herrligkeiten vnd priuilegia sampt andern Jurisdictionen hat das Stifft Onoltzbach gehabt; vnd ist ein stattlich ding vor alter gewesen, das man jetzund Anspach nennet, doch corrupte, das da geschieht [A 4*] vitio linguse apud vulgus, wirdt doch inn alten diplomatibus Onoltzbach gefunden, quasi am Holtzbach: wie zu seiner zeit in dem Tractetlein von dem yrsprünq vnd Namen der Stette in Germania genugsam sol erkleret vnd gehandelt werden, das in kurtzen Tagen verfertigt gesehen wirdt, vnd vil herrlicher gelehrter Leute begeren zu lesen, vnd desselbigen außgangs warten etc.

Wiewol ich mich dem Herrn Decano vor vergangener zeit hab angezeigt, wie ich die Version auß dem Griechi- schen inn das Latein Antiocheni, declamatoris olim Graecise et [A 4^] D. Chrysostomi Prseceptoris, vollendet vnd dem Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten Georgen Priderichen (ein werck seinen P. G. zugeschriben) vberantwortet,* dieselbe

Im Oris^mal: vberantworte), auch vorher hinter 'vollendet' eine Klammer.

Wendeler, Lindener als üebersetzer Savonarolas u. s. w. 437

einem ehVwirdigen Senat vnnd Capittel zu dediciren: darüber ein besehwerung der Sprach vorgewendet wardt, vnnd ist etwan nit recht verstanden worden etc. Hab ich doch nit vnterlassen wollen, damit ein ehrwürdig Capittel deß Stiflfls Onoltzbach nit gar inn Vergessenheit käme, vnd wer vil herr- licher schöner Historien vnd antiquiteten vorhanden, dasselbige mit meinem fleiß vnd arbeit wie ein Chronicus wollen zu ei- [A 5*] nem gedechtnus zieren vnd gleich renouiren.

So hab ich meinen gnedigen . . . Herrn, zu einem vor- sprung vnd von der obgemelten vrsach wegen disen grund vnd bericht vom gewalt vnd ansehen der Obrigkeit, beyde Geistlichen vnd Weltlichen, der gestalt zuuor nye gesehen, munere Poetico offeriren wölln .... [A 5^] ... . Welliche vor- ehrung vnd munus E. W. vnnd H. zu einem glückseligen newen Jar wollen . . auffhemen, vntertheniglich bittendt, wollen mir darzu als einem vnbekandten nichts verargen: das ich nicht nutzes oder gaben halbn gethan, sonder der edelen vnd heiligen warheit zugefallen, die jetziger zeit vndter der

banck ligt [A 6*] . . .

MICHAEL LINDNER

Poeta L. et Chro."

Bl. A 7* J 2*: „Grund vnd bericht. Vom gewalt vnd ansehen der Obrigkeit" u. s. w., die Uebersetzung der gegen die Missbräuche der katholischen Kirche, die Autorität des Papstes in Sachen des rechten Glaubens und Lebens (Bl. B 2* flF.), gegen den „Geistlichen Wucher vnd ob der Babst* sich billich anmasse der Teutschen pfründen zu uerleihen''

* Bl. C 1^ : „ist ein grosser vbermut vond ein thorecht ding, das der Babst zu Rom aller weit Stiffb, almosen [Bl. C 2*] vnd pfründen auf sich ^zenhet . . . Das er sie aber ansleyhet, vnnd auff nachgultig, geltsüchtig Lent vmb dienst, geschenck oder geldes wüln verwendet . . . heist götliche vnnd geistliche sachen vnd händel dem glück, dem Mammon oder Mum Mum vnd copisten schreibein beuelhen . . . (ist) ein wäre an- zeigung, wie wenig dem Babst vnd andern Romanisten, das ist bösen Christen ... an Gottes des Almechtigen ehm gelegn sey . . . Wer das nit glauben wil, der lese vonn den Römischen misbreuchen, das ander Büchlein . . . Basler Constitution, des heiligen Babsts Leonis Satzung vnd concordata principum . . . mus er doch mit sehenden Augen blindt sein, dieweil es auch die Pawern greiffen etc."

438 Wendeler, Lindener als üebersetzer Savonarolas u. s. w.

(B 8** flf.), den Tand menschlicher Satzungen (Bl. C 3* ff.) u. s. w. entschieden vorgehenden Schrift des italienischen Reformators nach lateinischem (?) Original^ welche dem geistlichen wie welt- lichen unterthanen das Recht selbständiger Entscheidung ge- wahrt wissen will. Z. B. heisst es.Bl. C 7*: „Vnd ist ein satter verstand hoch von nötn wider den blinden gedichten glaubn; der Hirt sol waidn^ das sein ampt ist die Herdt aber ist dem Hirtn vnterworffn^ doch nit gar: darumb hat sie jhr Vernunfft, damit si es prüfen sol, was gut oder nicht gut sey, vnnd hat ein hohem vnd oberen Herrn, von welchem dem Hirten die Schaf beuolhn " Ausfuhr- lich erörtert das 18. Capitel: „Wie die Vnterthanen ettwan der Oberkeit schuldig zu widerstehn, vnd sie zu vertrei- ben seindt"

An diesen Hauptbestandtheil des Buches schliesst sich die schon auf dem Haupttitel angekündigte Schrift Phil. Melan- chthons „Von Christlicher vnd Abgottischer Leere (Unterschieden)" BL K P— L 6^ eingeleitet (BL J ff.) durch eine Vorrede des Herausgebers, welche den Leser mit der Ver- anlassung derselben bekannt macht.

Herzog Heinrich von Sachsen -Freiberg, „ein Liebhaber vnnd forderer aller warhait vnnd Tugendt, der nicht ohne vrsach Heinrich* geheissen", ein humaner, gütiger und from- mer Fürst „darumb er noch heut bey Tag zu Freyberck bey der alten Burgerschafft ein grosses lob vnd ewiges ge- dechtnuß hat", setzt der in Sachsen geborene Autor BL J ö*

* „welliches ein Teutecher Name ist, Vnnd heist so vil als inn- [Bl. J 4*] wendig vnnd daheimen reich, ein guter, getrewer Hauß- natter vnnd Hanßhalter, vnnd ist eben inn Latein, von dem Heyligen Mann Gottes Martino Luther eben dergestalt Beschrieben, Das Hein- rich Sächsisch, auff Hoch Teutsch Heinreich, Als daheimen innwenndig Reich, der ein gut Gewissen habe, heisse. Auff die Ebrehische Sprach Abraham, der ein Yatter eines grossen Hanßgesindes gewesen." Das angezogene Büchlein Luthers (? vgl. B. v. Raumer, Geschichte der German. Philologie S.32 Anm.): „ALIQVOT | NOMINA PROPRIA | Germanorum ad Priacam | Etymologiam re- | stitnta | . . . j VITEMBERGAB | 1537 | '', in 4^ am Ende: „Lnpressum Wittembergae per Nicolaum Schirlentz 1537'S in Berlin. Auch Ausgaben dort von 1554, 1570, 1611, 1663, 1674.

Wendeler, Lindener als üebersetzer Savonarolas u. s. w. 439

hinzu, welcher sonst dem „Johannes Schleudanus *, dem trefP- liehen Cronicus" folgt trat. 1539 das Erbe seines älteren Bruders, Heraogs Georg von Sachsen -Dresden, an und führte sofort, wie er schon 1537 in Freiberg .gethan, nun auch in den übrigen Ländern der Albertinischen Linie die Reformation ein, vornehmlich in Leipzig.

„Es wardt auch der Mann, welchen Hertzog Georg . . . auffs hefiFtigst gehasset vnd veruolget, nem- [Bl. J 7^] lieh . . . Luther vonn dem new^n Fürstn gen Leiptzig beruffen, daselbst thet er ettliche Predigten, vnd machet der waren reinen Christlichen Lehr anfang, das den alten Colligaten vnd Stubenhunden der vniversitet alda wenig gefiel, daran jm nicht vil gelegen; denn er ein Mann war, der ohn alle schew die warheit saget vnd kein blatt vor das Maul namb Gott geh, Gott grüß: es gefiel wem es wolte.

Von disem wardt begert, das er Hertzog Heinrichn zu Sachsen die fürnembsten vnterschid der Christlichen

reinen Lehre, [Bl. K 1*] deß Euang:elii, vnd der

widerwertigen aduersarien stellen solt .... hat ers dem Herrn Philippo Melancthoni zu thun beuolhen."

„Aufif das jhr nit gar vergessen wurden, (hab ich sie) hieher in Truck geordnet", Bl. J 3*.

Bl. L 8* N 5*, endlich folgen eigene, von frommer Sal- baderei überfliessende Ausarbeitungen des Herausgebers, über- schrieben: „Antwort: | Michaelis Lindnebi (!) Poete | L. vnd Chronici, Auff drey pro- 1 positiones, die jm ein Vasall, deß I H. Römischen Reichs, auff einer raise vorgege-| ben hat. | Die 1. Proposition. | Ist vonn der dritten Bitt deß I heiligen Yatter vnsers |

Hoch vnd wolgebomer Herr | Graf. Ich gedenck noch oft I ewrer gnaden Proposition, De vo-|luntate Dei ..." Bl. M 6**: „Die ander pro- 1 position. | Ob ein Christliche Oberkeit die I Ynterthanen | zu der waren Re-|ligion treiben vnnd zwin- 1 gen möge oder solle . | ''

Bl. N 2**: „Die dritte Pro- | position. | Besprenge mich HERR, mit | Isopen, das ich rein werde, vn | wasche mich, so wird ich | vber den Schnehe | weisser. | "

* loa. Sleidanus, De statu religionis et rei publicae etc.

440 Wendeler, Lindener als üeberseizer Savonarolas n. s. w.

Angesichts dieses Buches war gewiss der Zweifel berech- tigt/ ob der sich hier wiederholt und pomphaft nennende Her- ausgeber wirklich der uns vom ^ Rastbüchlein" und den „Katzi- pori" her bekannte^ dort in Schmutz und Rohheit bis zum üeberdruss herum witzelnde, freilich nicht talentlose und för die Litteraturgeschichte des 16. Jhts. unwichtige Michael Lindener sei, der Gorrector der Daubmannschen Officin -in Nürnberg. Denn es streifen im Munde dieses Mannes doch Ausführungen wie die folgenden an Blasphemie, ja machen den Eindruck indirecter Selbstironisierung.

„Wann ich durch die Liebe (Christus) eingeleibt werde, wann ich seinem Fustappen der nidrigkeyt volgen thue .... Als denn werde ich rein, von allen meinen Sünden: du wirdst mich waschen mit meinen threnen, die aus hertzlicher Liebe . . . von meinen Augen fliessen, dann werde ich müde vom seufftzen ynnd schwemme mein Pett die gantze Nacht, vnnd werde netzen mit meinen threnen mein Lager, dann wirdest du mich waschen, das ich schnee weis werde! Der Schnehe ist weis vnnd kaldt [N 4^], also bin ich vorwar auch, wann du mich mit ysopen besprengest u. s. w."

Aber alle Zweifel an der Autorschaft Lindeners müssen vor der Thatsache schwinden, dass die stilistischen und sprach- lichen Eigenthümlichkeiten dieses Buches, besonders an den Stellen, wo sich der Autor frei und ohne Vorlage bewegt, im „Rastbüchlein" wie in den „Eatzipori" genau ebenso hervor treten. Dahin gehört u. a. der an Anakoluthen überreiche, dabei oft bis ins unabsehbare sich dehnende Satzbau, verbun- den mit Praegnanz des Ausdrucks, Anschaulichkeit, Bilderfülle. Femer hier wie dort die Neigung zu sprachlicher Verdeut- lichung: Häufung von Synonymen, Umschreibungen der man- nigfachsten Art, Erklärungen mit „das ist^ oder „auf Teutsch^, etymologische Spielereien; dann das einstreuen lateinischer Brocken^ meist zugleich mit üebersetzung, endlich als ent- scheidendstes Moment der Gebrauch gewisser Liebliogs- wendungen und Lieblingsworter.

Z. B. im fahl das s. v. a. denn, weil (vgl. meine Be- merkung in d. Zsch. f. Deutsches Alterth. XXI, 435 4nm. 2): „gibst du aber zu vnd nach, das ein Babst im fal das er

Wendelcr, Lindener als Uebersetzer Savoziarolas u. s. w. 441

auf dem sessel Petri sitzt vnd die Schlüssel . . hat, jrren mag^, B 3^; ,,der Babst, im fal das er der Obriste Principal ist", B 3^; „Gott wil, im fal das wir nicht thun . . was er . . haben will", M 2*; „wartet mein, im fahl das ich nit komb noch will", M 2^ Femer: satt s. v. a. ausreichend, vollkom- men, wie G 7^: „mit fleis, verstandt vnnd auch satter erbar- keit" u. ö.; hell s. V. a. klar, deutlich, wie H 4^: „sagt Hie- ronymus mit hellen wortn" u. ö.; D 2*: „Zaffmagdt vnd Schlepsack"; B 2^: frei quit ledig gezelet"; M 7*: „vbel vnnd vnzifer"; E 3*: „kein ander paßfart haben." Formeln und Redensarten: „vest vnd steiflf" fl 5^; „werden toll vnd voll", F 6*; „einem vollen tollen trunckenboltzen . . glauben", G 8»; „das wir (das wortlein) so weit deneten vnnd spanneten, vnnd ein Labarinth (!) daraus machten", M 2^; „ist denn das nitr den Schlüssel in das recht schloß stecken, so weis ichs nicht", B 2^; „mus er doch mit sehenden Augen blindt sein, dieweil es auch die Pawren greiffen", C 2**; „kein blat vor das maul namb", A 8^ und J 8^; „muß doch endtlich herfür, es hilfiFt da kein pantzer für den stich, die spitz ist so scharpf", B 3^; „Welt ist vnd bleibt des Teufels, da hilft kein pantzer für", G 1^; „das habe ich . . . schreiben wollen, das ich aus kheinem lären hafen gethan", M 6*; „seintemal ich aber jetzund ... ein Opus Chronicorum für der faust habe", A 3**; „ein gifftige ketzerey, hies auch auflf Teutsch : die Menschen Gott dem Herrn fürgezogen", B l*; „(Petrus,) der ein edler Babst gewesen vnd Teutsch geredt hat, das ist: die Warheit auff seine Sprach", H 3*; „blinde verstockte Leut, das ist: narrenfresser", E 6^; „das heist zum ziel geschossen vnd das schwartze pletzlein getroffen", M 5^ u. s. w.

Jedoch nicht nur formales spricht an unserm Buche für den Verfasser der „Katzipori" und des „Rastbüchleins": hier wie dort das prunken mit angeblicher Gelehrsamkeit und Sprachkenntniss, die Neigung von sich zu reden, der „seines handwercks ein Doctor" (Katzipori Q 5*), die Ankündigung immer neuer noch nicht geschriebener Werke, die doch ge- lehrte Leute, zu denen er sich mit Bewusstsein rechnet, dringend

* Vgl. Zscb. f. Deutsches Alterth. XXI, 436 Anm. Abohiv f. Litt.-Gbsoh. VII. 80

442 Wendeler, Lindener als Uebersetser Sayonarolas u. s. w.

von ihm begehren, das herandrängen an Standespersonen, „die gelehrten Leuten wol gewegen" (Rastbüchlein A 2^) u. s. w.

Selbst Anwandelungen zu Moralisationen und frommer Beredsamkeit hat er in den „Katzipori", z, B. Bl. K 4* ff., M l^ M 5^ N 2^ R 3^ freilich öfter mit komischer Wendung (ebd. 0 1*), weiss über schamlose Edelleute zu reden (K 5^), Weltklugheit (Q 7') etc., ja disputiert in der 37. Geschichte (G 8**) mit einem Juden über Christus; vgl. auch Rastbüch- lein S. 22, ö. 29 ff. u. s. w.

Endlich das Opus Chronicorum, das er nach der oben ausgehobenen Stelle der Vorrede A 3* „für der faust hat", die „alte Historien, welche zuuor nie gesehen" eine Anpreisung, welche der im Buchhandel bewanderte Schrift- steller fast immer auf die Titel seiner Werke setzt ist doch ohne Frage mit der im „Rastbüchlein" A 2^ (Zeitschr. f. Deut- sches A. XXI, 442) verheissenen „Ghronick für den gemeinen Man vnd einfeltigen Leyen .... mit vberauß schönen Figuren, dergleichen nye gesehen . . von anbeginn der weit" iden- tisch, von der er sagt, dass „sie noch nit auf f gelegt, vnnd etwas darmit verzogen ist worden"; vgl. auch Rastbüch- lein A 4^.

So müssen wir also die in den Vorreden unseres frommen Büchleins niedergelegten Thatsachen auf Michael Lindener, den Verfasser der Schwankbücher, beziehen und gewinnen da- durch, in Verbindung mit dem, was die Vorbemerkungen der beiden gleich zu bezeichnenden weitem Uebersetzungen des- selben Autors eigeben, für die Litteraturgeschichte ein ziem- lich deutliches Bild jenes physisch wie moralisch wenig säubern Menschen und seiner litterarischen Thätigkeit

Die erste der beiden andern mir bekannt gewordenen Uebersetzungen Michael Lindeners ist:

„Der kurtze vnd | güldine griff, der gantzen | Heyligen Schrifft der Bibel, | einem jeden Christen hoch | von nöten, vnnd sehr I tröstlich zu wissen. | | AVTHORE. | Hieronymo Sauanorola. | Anno . M.D.LX. | " in 8®, Bogen A G 7*, am Ende: „Gedruckt zu | Nürmberg bey, | Christof Heusler. | 1560. 1" Rückseite von G 7^ und G 8*-^ leer.

Bl. A 2* ff. die Widmung : „Dem Hoch vnd Wolge- 1 bornen

Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas u. s. w. 443

Herrn, Herrn, Ladiß-| lawen, Grauen zum Hag, vnd Her-|ren zu Frawenberg vnd Bruii, | seinem Genedigen Pa- I tronen etc.

Gottes gnad vnnd Barmhertzigkeit, inn seinem geliebten Son, Edler, Wolgebomer Herr Ladißlawe, Nach dem ich vor verschiener zeit, mit Ewern Genaden vnd Herr- ligkeiten bekandt, der ich auch allzeit zu willfaren mich verheissen, hab ich nit wollen vnderlassen, E. G. vnd H. Dises klein Tractetlin zu Dediciren, Dieweil Ich weiß vnd selb von E. G. vnd H. Offt ver- [A 2^] standen, das sie Gottes Wort wolgewegen vnnd nach allem fleiß dasselbige zu fürdern, inn Vorhabens sein .... [A 3'] ... die Heilige Biblia recht zu- uerstehen, darzu man ein kurtzen bericht vnd Methodum haben muß, welliches diß klein Büchlein eins ist, von einem wichtigen Hochgelerten, tieffen, verstendigen Mann zusamen getragen, vnd ein rechter sem vnd Jungkfraw hönig, auß den besten blumen der Göttlichen schrifft gesogen, das E. G. vnd

H. zu einem glückseligen Newen Jar genedigklich

annemen [A 3^] ... Anno 1560. E. G. vnd H. Williger

Michael Lindener

Poeta L. et Chron."

Der aus gehäuften Bibelsprüchen bestehende Inhalt des Buches gab M. Lindener wenig Gelegenheit Eigenheiten seines Stils zu zeigen; um so interessanter ist die folgende mit Katzipori-Lettern* gedruckte üebersetzung:

„Syben schöner, | tröstlicher Predig, von dem | saligen vnd heiligen man Hierony- | mo Sauanorola in Latein gestellt, I Vnd yetzundt auffs Erste durch | Michaeln Lin- denern poe- | ten, allen Christen zu | nutz vnd Trost | ver- teütscht. I Darihn der Welt elendt, | jamer vnd noth abgemahlet. I Darzü wie man Büß thün | soll, vnd selig werden. | Wit- tenberg! 1557. |" in 8®, Bogen A L 8", die Rückseite leer.

Bl. A 2*: „Vorrede. | Den Edlen, Ve- | sten, fürsichtigen, Ersamen | vnd wolweysen Herren, Burger- | meystern vnd Rathmannen, auch | yeden Räthen vnd Raths verwand-

* Z. B. das verochnörkelte M des Titelblattes hier Bl. G 5^: s. jedoch weiter unten.

80*

444 Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas u. s. w.

I ten, des heyligen Bömischen Reichs j Statt Vlh. Meinen günsti- | gen gebietenden Herren | vnd Patronen. |

Edle^ Yesste; fürsichtige Gottes gnad . . . beneben

meinen vndterthänigen diensten allezeyt beuor. [A 2^] Nach dem ich vor etlichen Jaren E. H. V. vnd F. E. W. von ainem wol vnd hochgeachten Mann durch schrifften, mich in diensten zu fordern vnnd vnderhalten be- folhen vnd Commendiert. Wie ich dann auch der vrsach wegen, von den Achtbaren vnnd wolgelerten Herren, Magistern Johann Risenzaun vnd Hessen, Su- perintendenten vnd Kirchendienern bespracht, vnnd Examiniert bin worden, vnd darzü ain klaines vnnd geringes pröblein, souil Gott gnade verlyhen, gethan: Hab ich vndter andern von E. H. V. vnd F. E.W. vil guttes vnnd grosse wolthaten empfangen, vnd darneben ainen herrlichen abschidt bekommen. Darumb ich mich bey dem Er- barn vnnd namhafftigen Herrn N. Rodten [A 3^] domals hab vernemen lassen, das ich des genaigten willens ynd gütthaten . . . mit der zeyt wolle jngedenck sein, vnd mich danckbar erzeygen.

Dieweyl ich aber etliche Exemplar des hayligen maus Hieronymi zu verdolmetschen für die faust ge- nommen, der ich auff dißmal eines, welches Namen ist, Syben schöner tröstlicher Predigt vollendet. Dasselbige E. H. V. vnd F. E. W. dediciert vnd zugeschriben. Das in di- sen Landen nye gesehen, auch mit grosser mühe vnd vn- kosten, sampt andern seinen wercken zu wegen bracht, darinn man eip reichen vnd hohen fleyß vnd geyst . . . spüret vnd sihet. Deren [A 3*"] er fast in die acht vnd zwentzig ge- macht, vnnd vil gewaltiger Predigten, in Wälscher spraach zu Florentz . . . gethan. Darumb er ... zu dem Todt vnbillich verurtheylt ist worden ....

Herr Magister Ciriacüs [A 4*] Spangenberg (hat) newlich des säligen Märtyrers historia, auß glaubwürdigen Scribenten, die er alle mit nanien nennet, zusamen getragen, vnnd in Truck öffentlich . . außgehen lassen.* Welche geschieht auch

* ffHisTOBiA. I Vom Leben Le- | re vnd Tode, ^Hierony- | mi Saaona- role, Anno | 1498. zu Flo- | rentz verbrand. | (Holzschnitt: Savonarola)

Wendeler, Lindener als üebersetzcr Savonarolas u. b. w. 445

in dem vierdten theyl der Märtyrer vnd bekenner Christi des herrii DoCTORis Rabi,* von wort zu wort, wie er selber mel- det, verfaßt sein. . . . (Savonarola) saget war- [A. 6*] lieh der wellt in disen Predigten die lauttere warhayt . . . Wie dann gleiches fahls Johann Husß . . . mit trucken Worten verkün- diget, wie das wörtlin Cygnua in der zal befunden. In Summa, das wir in letzten füßstapffen der wellt getretten vnnd ge- fallen seind, wie Martinus Luther, säliger gedächtnus, offt vnd vil gesagt, wie ichs ausz seinem mundt gehört . . . Zudem, daß sieh nach seinem todt seine Mitbriider sehr ärgern vnnd [A 6^] stossen wurden, vnd kein färbe halten, wie es sich dann warlich also befunden hat . . . welcher verderben vnd vntergang der Comet, im sechß vnnd fünfftzigsten Jar gesehen, hart dräwet . . .

Dises Büchlein . . ich E. H. V. vnnd F. E. W. auß ob-

Wittenberg. | 1556. | " in 8°. Bogen A H 3% Bl. H 3*: „Gedruckt zu Wittenberg, | Durch Peter Sei- | tzen Erben."

Bl. H 3^—6^ : „Die Historia | Hieronymi Sauona- 1 role, kiirtz reim weise gefast, { aus dem Buch M. Cyriaci Span- 1 genberg, von zwei- hundert, I vnd etlichen mehr Hie- 1 ronymis", anfangend:

DAs dritte Bild ein ernst Person

Sach ich in einer Kappen stan,

Hieronymus Sauonarol, etc. Das von Lindener erwähnte Quellenyerzeichniss steht auf der Rück- seite des Titelblatts; die Vorrede: „Hansen, Graffen zu | Mansfeld etc. meinem | gnedigen Herrn" ist unterzeichnet Bl. A 4*: „Geben im Thal Mansfeld. 1556 . . . M. Cyriacus Spangenberg". Dieser, der Sohn des Eislebener Generalsuperintendenten und Vater des Wolf hart, war damals in Mansfeld Schlossprediger, vgl. Goedeke GR. 185, 95. Bl. B 1», Rgl. gedenkt er des 51. und 80. Psalmen Sauonarolas, die sein „lieber Vater seliger gedechtnis, M. Joh. Span, verdeutscht, vnd in druck geben, Anno 1541". Diese wie das Leben Savonarolas (=» Cs 6081. 8) in Berlin.

* Auch Cyr. Spangenberg sagt in der vorhin erwähnten Schrift Bl. A 3^: „thut auch . . . Doctor Ludwig Rabus wol vnd Christlich, das er jtziger zeit vieler fromer heiligen Gottes Historien in etliche Tomos ziisamen gefasset." Der hier gemeinte Verfasser des Lebens der heiügen ist der Vater des Apostaten Johann Jacob Rabus, welchen Fischart im „Nachtrab" angreift: s. meinen Aufsatz in R. Picks Monatschrifb fär rheinisch - westfölische Geschichtsforschung IIl (1877), S. 534 ff. Ueber Ludwig Rabus s. Adami Vit. Germanorum theol. S. 462. Weyermanns Nachrichten v. Gelehrten aus Ulm S. 428 ff.

446 Wcndeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas u. s. w.

gemelten vrsachen vberantworte, dieweyl ... E. H. V. vnnd F. E. W. gelerten leuten vnd guten künsten genaigt vnnd wol gewegen . . . Geben zu Wittenberg im Jar 1557. am tag Philippi vnd Jacobi Apostolorum.

E. H. V. vnd F. E. W.

gantz williger D.

Michael Lindener, Poeta.**

Dieser „Sünders Spiegel", wie die „Syben schönen tröst- lichen Predigen" in spätem Ausgaben überschrieben sind,* bietet mancherlei Anklänge an die Redeweise der „Katzipori",** wie eine „Erinnerung an den Christlichen Leser" Bl. L 8* schon vermuthen Hess, worin es heisst:

* Die erste Ausgabe von 1567, in deren Vorrede der Comet des Jahres 1556 erwähnt ist, haben wir in Berlin in zwei Exemplaren (Cs 6670 und in Cs 4801. 8^, andere von 1574 und 1582 (Franckfurt a. d. Oder, Joh. Eichom in 12^) sind nach freundlicher Mittheilung des Herrn Dir. Dr. K. Frommann in Nürnberg: erstere auf der Stadtbibliothek, letztere im Germanischen Museum; in Berlin endlich noch Drucke von 1597 und 1630. „Deß Sünders | Spiegel. { Sieben schö- |ner Trostpredigt, von I der Welt Elendt, Jam- | mer vnd not. Darzu wie | man Büß thun sol, I vnd selig werden. | Durch | Hieronymum Sauona- { rolam außgelegt | Leiptzig, I Gedruckt vnd verlegt, durch | Abraham Lamberg, 1597. | mit Churfürstlicher Sachs. Freyheit | " in 16^ Titel und Text mit schönen Bandleisten. Unveränderter Abdruck, ebenso der Vorrede mit Unterschrift. Bhr Titel der Ausgabe von 1630 „Nürnberg, In Verlegung I Wolffgang Endters." lautet fast ebenso, nur hat er hinter „Durch H. Savonarolam*^ „in Latein gestellt, | Vnnd durch M. L. P. auff das | fleissigst verteutschet." ^

** Vgl. „Fürwar du bist ein vnflätiger befleckter saame vnnd zunichter wüst in dem ayter des fleyschs, inn dem stanck der begird, in der hitz der vnzucht vnd gaylhait . . . empfangen", B 2*; „Ein dreckfaß, aytter putz, voller stank, wüst vnd Grewel etc.", B 4*; „Du aber gibst von dir Nisß, leuse, flöhe vnd gewürm etc.", B 5*; haußhalterin, Zafmägt etc.", C 2^; „Aber der grosse hauff . .'. gehen den weyten weg, do Petcel Thorhüter ist etc.", G 2^; „ist alles letzlich nichts, vnd wird lohröl darauß vnd wasser*', H 2^; „Wo . . fehret aber der Reich hin, der jme das mawl auif sperren leßt? dem teufel in hindern, da man kistcn preet", H 3^ ff. ; „sie jren Bauch vol füllen, das er strotzet vnd thönet etc.", H 4^ u. 8. w. Bl. H. 5* ff. wird auch recht erbaulich über die Freuden der „Katzipori" gehandelt, z. B. „Jr verwüstet euwern leyb vor der zeyt etc." „Woher kommen so uil krankheyten" etc.

Weodeler, Lindenör als Uebersetzer Savonarolas u. s. w. 447

„DJweyl in dem Lateynischen Exemplar ettliche Wälsche worter eingemischt gewesen, die der heilige mann Gotes ge- braucht, vnd sehr scharpff vnnd spöttisch, doch auß ainem eyfer Gottes, yon den Gotlosen vnd verdampten geredt. Hab ich sie auff vnser arth gebraucht vnd lauffen lassen, wie du dann wol spüren wird st, das ich dich will trewlich erin- nert haben."

Das interessanteste sind aber jedesfalls darin die Angaben des Uebersetzers über seine Thätigkeit im Dienste der Stadt Ulm, um so mehr als er sich in der Vorrede zur ersten hier be- sprochenen Schrift freilich aus leichtverständlichen Gründen ^bißher als ein frey Person, das mit diensten niemand verhaflFk noch vnterworffen gewesen", aufspielt, . . . und man wüsste gern, womit er in Ulm eigentlich zu schaffen gehabt hat. Leider wollte es mir aber bis jetzt nicht gelingen, hier- über näheres zu erfahren.

Am wahrscheinlichsten ist immer noch, dass man es mit ihm, yielleicht zur Aushilfe, als Schulmeister versucht hat.

Bis zur Uebersiedelung Ludwig Babes von Strassburg nach Ulm im Jahre 1556 waren allerdings in dieser Stadt schon mehrfach Versuche gemacht das dort früher sehr verwilderte * Schulwesen zu verbessern, insbesondere hatte sich Gregor Lienbart aus Wurzach (s. A. Weyermann, Nachrichten von Gelehrten aus Ulm 1798 S. 377 ff.) als Rector grosse Ver- dienste um den gelehrten Unterricht erworben; aber erst unter Einwirkung des neuen Superintendenten, dem die Strassburger Akademie unter Johann Sturms Leitung vorschwebte, ist die Wendung eingetreten, welche auch die Ulmer Schule zu einer berühmten taachte.**

* S. das Acteostück „Schulmaisters beschwerden" in G. Veesep- meyers schönem Programm ,,De Scholalatina Ulmana.'* Ulm 1818. 4. 8. 19. Weniger eingehend ist W. Eapffs Programm „Zur Geschichte des Ulmer Gymnasiums** 1858 oder gar das alte Buch von Goess, Organisation des Ulmer Gymnasiums. Ulm 1810.

*"' Die Begründung der Lateinschule in fünf Glassen geschah eigent- lich erst durch das am 10. Novbr. 1557 vom Ulmer Rathe bestätigte, am 17. Octbr. dess. Jahres übergebene ,,Bedenken** Ludwig Rabes: s. Kapff a. a. 0. S. 7 ff. 17. Auch dieses umständliche Schriftstück ist culturhistorisch nicht ohne Interesse. ¥gl. Crusius, Annales Suevici II, 701.

448 Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas u. s. w.

Es wäre daher immer möglich, dass man vorher, etwa während der durch Lienharts zeitweilige Abwesenheit und durch die Einführung des Interims hervorgerufenen neuen Schulcalamitäten unseru, von einem „liochgeachten Mann" em- pfohlenen Poeten mit einer Locatenstelle betraut hätte und dass er dann, als jener energische Theologe seine durchgrei- fende Regeneration begann, seinen „herrlichen abschidt" er- hielt. Die Zeit, welche er in Ulm zubrachte, lässt sich ziem- lich genau bestimmen: der eine jener „achtbaren vnd wolge- lerten Herren", von denen er nach seiner Angabe „bespracht und examiniert" wurde, der Magister Johann Risenzahn ist .ohne Zweifel mit dem erst 1553 als Oberprediger am Munster nach Ulm gekommenen M. Johannes Reissenzahn aus Hasfurt identisch, der auf Rabes Betrieb Zwinglischer Lehren wegen schon 1559 entlassen wurde,* und da Rabe nicht zu Lindeners Examinatoren gehorte, muss dessen Beschäftigung im Dienste der Stadt zwischen 1553 und 1556 fallen. In seiner Widmung von 1557 konnte also der Poet mit Recht sagen „vor etlichen Jaren".

Die beiden andern genannten Persönlichkeiten, Hesse, „Superintendenten und Kirchendiener" und den „Erbarn vnnd namhafftigen Herrn N. Rodten", kann ich in der mir zu Ge- bote stehenden Litteratur nicht nachweisen, aber sicherlich ohne Schaden für die Sache. Von den bei Jöcher und Ade- lung verzeichneten Theologen Hess oder Hesse ist keiner in Ulm gewesen, der berühmte Breslauer Reformator Johann Hess starb schon 1547.** N. Rodt, etwa Kirchen- oder Schulpfle- ger, gehört ohne Frage der bekannten Ulmer Patricierfamilie .an, welche Kaiser Karl V. am 29. October 1552 mit sechzehn andern zu rittermässigen und turnierfähigen erhob, s. Crusius, Annales Suevici II (1596), S. 684 flF. Im Jahre 1548 waren drei Mitglieder dieser Familie mit städtischen Aemtern betraut: Johannes, Augustinus und Erasmus Roht a. a. 0. S. 666.

* t 1673 als erster Prediger in Speier: Weyermann, Neue Nach- richten von Gelehrten etc. in Ulm 1829. S. 412 ff.

** [In einer handschrifbl. Chronik von Ulm (Dresdner Hds. H 7 Bl. 886) kommt Johann Haaß als Superintendent jener Zeit vor.]

Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas u. s. w. 449

Die sonst in Lindeners Widmungen genannten Personen sind:

1) in der nach W. Scherer, Anfange des Deutsch. Prosa- romans 1877 S. 23 in München befindlichen, mir im übrigen nicht weiter bekannten Schrift ,JLoci Scholasticorum egregii per M. Lindnerum poetam diligenter congesti . . . A** 1557": Marquard von Stein, Ecclesiae Augustensis praepositus;

2) in den ,,Katzipori 1558": Hans Greuther, Bürger vnd Papyrer zu Landsperg, auf der Mühle da man Lumpen macht ;

3) im ,,Ra8tbüchlein 1558"*: Herr Anthoni Baum- gartner zu Baumgarte^i (bei Burgau);

4) im „güldinen griff der gantzen Heiligen Schrifft der Bibel 1560": Herr Ladißlaw, Grave zum Hag vnd Herr zu Frawenberg vnd Brunn;

5) im „Grund vnd bericht Vom gewalt . . . der Obrigkeit 1561": Decan vnd Canonici des Senats vnd Capituls des Stifftes Onoltzbach.

üeber die zweite Persönlichkeit hat sich M. Lindener mehr als genügend in den „Katzipori" ausgesprochen,** über die dritte sieh meine Auseinandersetzung in der Zeitschrift f. D.- Alterthum XXI, 442 ff.;*** über die erste klärt uns P. Corbin.

* Das ,,Ba8tbüchlein" dürfte später als die „Eatzipori" ausgegeben sein, da im erstem Bestandtheile der letztern citiert werden: s. hier im Archiv S. 378, jedoch auch Bobertag VI, 140 Anm.

** Gemeint ist die Stadt am Lech in der Nähe Augsburgs. *** Demselben Augsburger Patricierssohne widmete ein Jahr vor dessen Hochzeit .der seit 1536 in Marburg als Professor der Astronomie, Mathe- matik und Medicin thätige Johann Dryander (Eichmann: s. Jöcher und die Allg. D. Biographie V, 440) seine „SPHERAE MATERIALIS | Sine globi coelestis (Das ist) | Des bymels lauff gründtliche außlc- | gung so vil zur anleytung der Astro | nomie dienet .. . | durch JOHAN DRY AN- DERN, genent | Eychman . . . von newen ver- | deutscht vnnd ann tag bracht | . . .^S am Ende: „Getruckt zu Marpurg, Sub | Rectoratu Joannis Dryandri, Anno | M.D.XXXIX. Junij 30. | " in 4^ Bogen A— H4^ (in Berlin Oi 1082. 4). Bl. A 2*—^ die durch Angabe persönlicher Verhältnisse interessante Widmung „Dem Erenuesten vnnd wolachtbam Herr (!) Antonio Paungartner (!) zu Augspurg der sieben freien künsten liebhaber, seinem günstigen herm, Wüntsche ich Johaii Dryander vil heyls. FReündtlicherr lieber herr Antoni, Dieweil ich... in vnser

450 Wcndeler, Lindener ala UeberaeiEer SaTonarolas u. s. w.

Khamm, Hierarcliia Augastana chronologica tripartita 1 (Au- gastae 1709. 4), S. 532 ff. in wünschenswerthester Vollständig- keit aufy Ober die vierte Wiguleus Hund, Bayrisch Stammen Buch I (Ingolstadt 1585), S. 67 ff.

angebornen deutschen apracbe diß new büchlin ... an tag hab wollen brengen, ynd nnn mehr, was grosser belöstignnge, liebe vnd fleissiges nachdencken, jr ettwan inFranclcreichsnBcBois, inn der löblichen Tniuersiteten, alda ich des mala auch zu- gegen, inn gleicher beherbergung ynd kosten mit euch was, an disen Astronomischen ynnd besondern der Musica knnsten. gehebt habt, behertzige . . Hab ichs nit können oder wollen vnder- lassen, ewer gemüt . . dessen vorigen fleisses za ermanen, euch diese meine arbeyt ... zu dedi [A 2^] ciren . . . das jr ye spüren vnnd ver- mercken soltet, das ich die vergangnen (!) zeit, so vns beyden- deßmals bei ejnander wonenden, ettwan lieb vnd leyd, glück vnd vnglück za banden stand, keynes wegs inn veigeß gestellet habe, sonderlich do wir das grausam sterben der pestilentz flohen, vns aoß der statt ins dorff begaben, vnnd ettwan der gelegenheyt nach vns behelffen musten . . . Datum Marpurg, den ersten tag im Meyen Anno H.D.XXXIX.** In einem spätem, vom durch ein Register und hinten durch 29 neue Abschnitte bereicherten, sonst aber wörtlichen Abdruck „Durch Mattheum Nefen . . . Landtmesser | inn Ober vnd Nieder | Schlesien | M DJiXXXI. I ", am Ende: „Gedruckt zur Neyß, auff dem Kalden- | stein, bey Johann Creutzinger.^* | , ebenfalls auf der kgl. Bibliothek in Berlin, fehlt diese Vorrede, ebenso eine Schlussschrift Dryanders, welche sich noch einmal an „Antoni Panngamer(!)" wendet Von Antoni Paum- gartner wissen wir also, dass er vor 1536 in Bourges war ▼ielleicht 1535 mit seinem jungem- Bruder David zusammen, welchen Hans von Hartlieb in diesem Jahre dort antraf (s. B. Greiff, Tagebuch des Lucas Rem. Augsburg 1861 S. 109) und dadurch gewinnt meine in der Zeitschrift fQr D. Alterthnm XXI, 443 Anm. ausgesprochene Vermuihung an Wahrscheinlichkeit, dass sein Praeceptor in Frankreich neben dem Philologen Hieronymus Wolf auch dessen Bruder Heinrich gewesen, der in dem im ArchiT VI, 502 besprochenen Buche BL X 2* ausdruck- lich sagt, dass er u. a. auch in „Bouiges in Bery** sich aufhielt Ueber Heinrich vgl. noch G. Adam Michel, Oettingische Bibliothek UI (1768), S. 174 ff., wonach er u. a. 1546 als Informator in Strassbnrg war. Dort wird auch noch eine medicinische Schrift von ihm erwähnt. Inter- essanter sind jedoch Michels Mittheilungen ans einem 137 Bogen um- fassenden Fol.-Manuscr. , welches „aus der Bibliothek des berühmten D. Thomasius in Nürnberg durch einen Gelehrten in Altdorf an ihn ge- kommen war," Henr. Wolfii, Med. Norimberg. commercium epistolicum ad Fratrefu et alios coffivos. Ab A. 1556 1578, in seinen Beiträgen zur Oettingischen Geschichte 11, 1 (1774), S.^195 IL

Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas u. b. w. 451

^Marquardus de Stain J. V. D. S. C. M. Consiliarius, Oanonicus Augustanus anno 1485. Decanus anno 1517. Erae- positus ibidem anno 1519. Praepositus Bambergensis anno 1509. Canonicus et Summus Custos Elvacensis anno 1516. Canonicus Moguntinus anno 1510. Praepositus ibidem anno 1530. Canonicus Prisingensis anno 1551. Vir qualitatibus naturalibus, virtutibus et bonoribus magnus, sibi ipsi suisque oculis parvus, Archiepiscopatu, aliisque Episcopatibus nitro oblatis repudiatis, obiit Augustae hoc epitaphio in parva Sacristia Sacelli 3. Agnetis parieti infixo honoratus«

D. 0. M.

Marquardo de Stain Praepos. trium Insignium Germaniae Ecclesiarum Moguntinae annis XXIX. Bambergensis L. et Au- giistanae Praeposito XXXX. ac in eadem Decano II. Canonico LXV. Trium Imperatorum Maximiliani, Caroli Y. et Ferdinandi^ Consiliario^ non tam Summitate quam pietate, prii^ntia^ hospi- talitate^ omnique virtutum genere NobilissimO; ex hujus sae- culi aerumnis ad vitam beatiorem evocato ob memoriam et gratitudinem Haeres ex F. M. H. F. C. Vixit annis LXXXIII. Mensibus XI. diebus XXVI. desiit esse Mortalis anno a Christo nato M.D.LIX. XIX. KL. Febr. . . ."

„Graf Leonhart (vom Hag), Graf Leonharts* Sun... mit seim Brüder Graf Laßl der Regierung ynd Theüung halb der GrafschafiPt grosse jrrung gehabt, darüber etliche Eeyser- liche vnd Eönigkliche Vertrag am Hof vnd zu Ynspruck auflf- gericht; etc. Ist letstlich . . ledigs Standts verstorben, damit Graf Laßl allein Herr worden.

Graf Ladislaus der elter Bruder, hat sich jung vmb die zwainzig Jar seines Alters hinauß than, in der Schlacht zu Paphia ein Hauptmanschafft gehabt, Gleichwol darnach, nit weyß ich auß was Bewegnuß, zum Eonig von Franckreich gefallen, derhalb Eeyser Carl jhme seinen halben theil der GrafschaSt einziehen lassen, . . . aber . . . wider außgesöhnet . . .

Der Brief Schreiber tritt uns hier im lateinischen Gewände weit anders als aus seinen deutschen Schriften entgegen. Ein Brief Joh. Posthii an Heinr. Wolf von 1671 auch in Erlangen: vgl. Irmischer, HSSkatalog S. 316.

* „Starb Anno 1611 oder 1612": a. a. 0. S. 66.

452 Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas n. s. w.

Graf Ladißlaus namb erstlich zu einer Gemahel Fraw Maria Salome, Marggraf Ernsts von Baden Tochter, het Hoch- zeit zu München . . .

Lang darnach namb er ein Welsche Gräuin Fraw Emilia^ deß Geschlechts de Piis vnd Carpi, sein Hochzeit vnd Beyligen zu Ferrär gehalten, aber sich vber etlich wenig Wochen mit jhr, jhrer Mutter vnd FreundtschafiFk zertragen, sonderlich bey Hertzog Hercules von Ferrär dermassen in Vnwillen vnd Vn- gnad gerahten, das sie von jhme in ein Closter gangen, nim- mer zu jhme gewolt, Er also wider herauß in Teutschlandt ziehen müssen, mit Fürgebung, wie man jhme vergeben wollen, dagegen sagt man kein ander Gifft verbanden gewesen sej, dann das er vor seiner Heimbfßhrung in Teutschlandt 15000 Kronen, vermog der Heurats Abred, zu Ferrär erlegen oder verporgen sollen ...

Er hat ^it den Fürsten von Baym, als Hertzog Wilhalm vnd Ludwig, nachmalen mit Hertzog Albrechten grosse Irrung vnd Rechtfertigung gehabt von wegen der Grenitz .... Dammb, er Anno, etc. 1557 zu München in Verstrickung kommen, deren er mit Abtrag einer nambhafften Summa Gelts wider ledig worden. Endlich Anno, etc. 1567 zum Hag ohne Kinder mit todt abgangen ... Es haben . . die Erben . . . vermeynt, einen grossen Schatz an Gold vnd Gelt zu finden, wie er sich dann in sein Lebzeiten wol also vernemmen lassen, aber es ist ein schlechte Parschafit nach jhme gefunden . . . (Ist) wol zu glauben, das es vmb jne ein blosser Rhum ge- wesen . . .

Mit disem Graf Ladißlaen vom Hag, der sonst ein alter, wol erfahrner, dapferer Kriegßmann, auch ein beretter Herr, gleichwol eines seltzamen Kopffs gewesen, ist dise Lini der Fraunberger vom Hag (zu Prunn) abgestorben.''

W. Hund handelt a. a. 0. 52 ff. ausführlich über diese Grafen vom Hag, über die Fraunberger von Fraunberg später U, 70 ff. So viel geht jedesfalls mit Sicherheit aus seinen Angaben hervor, dass dieser Patron unseres Poeten, welcher auch mit dem „Herr Graf" angeredeten „Vasallen deß H. Römischen Reichs" in den drei theologischen „Propositiones" M. Lindeners identisch sein dürfte, diesem selbst dem Charakter

Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas u. s. w. 453

nach ziemlich ähnlich gewesen ist; vor allem aber in der Frömmigkeit.

So bleibt uns noch der Decan des Stiftes Onoltzbach übrig.

üeber die von Lindener für seine historischen Arbeiten begehrten Karolingischen Urkunden des ursprünglichen Bene- dictiner-Closters, nachherigen Collegiatstiftes des h. Gumbert in Ansbach hat sich in neuester Zeit ein litterarischer Streit erhoben, ihre Echtheit ist aber anscheineud siegreich, obwol mit vielem Aufwand von Rhetorik im 9. Jahresberichte des histor. Vereins .für Mittelfranken 1839 S. 107 S. von Huscher gegen Dr. Bensen verfochten. Die Originale, jetzt verloren, waren bei der Saecularisation des Stifts durch Markgraf Georg Friederich, den Sohn Georgs des Frommen, 1563, ja noch 1585 vorhanden: s. Jahresber. d. h. Vereins f. Mittelfranken 1868 S. 131.* Der letzte katholische Decan, also derselbe, an wel- chen sich Lindener 1561 wol erfolglos wandte, war nach J. S. Streb^ls Historie des S. Gumprechts- Stiftes** zu Onoltzbach 1738 S. 17: Wilhelm Tettelbach. Die Reformation hatte seit 1524 in Ansbach festen Fuss gefasst, die Chorherren wussten sich jedoch bis 1563 im Besitze ihrer reichen Ein- künfte zu behaupten. Ein verwandter des letzten Decans, Christophorus Tetelbach de Anspach dioec. Herbipol. liess sich aber schon am 17. Juni 1527 in Wittenberg immatricu- lieren: s. C. E. Förstemann, Album acad. Vitebergensis (Leipzig 1841) S. 130*.

Soll ich nun die vorstehend erörterten Thatsachen mit

* Vgl. Hascher a. a. 0. 113. Bensens Ausführungen in seinen Histor. Untersuchungen über die ehemal. Reichsstadt Botenburg. Würzburg 1837. ** lieber die Geschichte des Gumprechts-Stifts vgl. ausser Strebeis Schrift in G. S. Esenbecks Erneuertem Gedächtnuß Der . . . Gumbert- Stiffts - Kirchen In . . . Onolzbach (Schwabach 1741) auch Veit Er. Ho ß maus Eurtze Beschreibung S. Gumprechts -Stifft . . . Gedruckt zu Onoltzbach, durch Paulum Böhem, 1612. 4. Dieser Autor sagt A 3^ wie Lindener von sich: „(^abe) nunmehr etlich Jahr dem studio historico et antiquitatum . . . obgelegen, daß ich den fiindationibus Monasteriorum, et investigationibus familiarum nobiHum in Franconia . . . auß etlichen historicis, alten Büchern vnnd monumentis nachgetrachtet etc." In Berlin befindet sich auch das Msc. dieses Büchleins zu einer zweiten Auflage.

454 Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas u. 8. w.

den früher bekannten zusammen fassen und dabei einfügen, was sich mir ausserdem noch bei Benutzung gerade verfüg- barer Hilfsmittel ohne sonderliche Mühe ergab, so dürfte über Lindeners Lebensgang etwa folgendes fest stehen.

Geboren wurde er bald nach 1520, und zwar aller Wahr- scheinlichkeit nach in Lindenau* bei Leipzig.

Sein dort angesessener Oheim hiess Tiburtius Muck. Leider hat sich an Ort und Stelle** über beide nichts ermit- teln lassen, da die Kirchenbücher nur bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen und sonstige Acten nicht vorhanden sind. Ein altes Erbzinsverzeichniss von 1527, sowie einige andere Lin- denauer Actenstücke im Leipziger Rathsarchiv ergaben eben- falls keine Ausbeute, selbst nicht über jenen Muck.

Ob der Name Lindener der wirkliche Familienname un- seres Poeten war, muss dahin gestellt bleiben: die von mir

* Zeitschrift f. deutsches Altertham XXI, 436 ff.; vgl. auch dort Anm. 1. In noch zu erwähnenden Unter- und üeberschriften bezeichnet er sich wiederholt als Lipsensis, ebenso nennt ihn die Matrikel der Universität Leipzig so, wie W. Scherer, Anfönge des Deutschen Prosa- romans, Strassbnrg 1877, S. 96 zuerst nachgewiesen hat. Wenn er sich jedoch Katzipori Bl. A 4* „Jungkher Michel yon L/* schelten läset (vgl. ebd. H 7*: „Wann wir in ein herberge kämmen, drat er auff siben- fiöldt herein, vnd ließ sich ein Junckern schelten*'), so muss hier Lindenau, wo sein „alwern Ohem gesessen war*\ gemeint sein, nicht Leipzig. Das „zu hauß** a. a. 0. Bl. C 6^ könnte allerdings auf Leipzig gehen. Wenn es dagegen ebendort Bl. S 7^ heisst: „Zu Leipzig war ein sehr Beicher mann ... er ist mir auff der lingken seyt befreündt ynnd meinLandtsmann**, so kann doch gewiss dieser reiche Mann ,,wie sein Landtsmann^*, der Poet nicht in Leipzig geboren sein. Uebrigens war Lindener anscheinend seit frühester Jugend, sicher aber lange vor seiner Immatriculation, in dieser Stadt, und da femer das nahe gelegene Dorf sich schon seit 1627 im Besitze derselben befand (0. Moser, Die Umgebung Leipzigs, 1868, S. 46), so hat das Lipsens. der Matrikel genügenden Grund, auch wenn man darin nicht die Be- zeichnung des Geburtsortes sucht. In ähnlicher Weise nennt die Baseler Matrikel Johann Fischart Ahoentoratensis , während er doch nach eigener wiederholter Versicherung aus Mainz stammt, was nebenbei bemerkt schon durch seinen Beinamen (dictus Menzer) erwiesen ist. ** Herr Prof. W. Braune in Leipzig hat mit liebenswürdigster Be- reitwilligkeit auf der Pfarre zu Lindenau UQd in Leipzig selbst Nach- frage gehalten. Aehnlich zu Danke verpflichtet bin ich Herrn Staats- Archivar Dr. Ermisch in Dresden.

Wendeler, Lindener als üebersetzer Savonarolas u. s. w. 455

a. a. 0. geltend gemachten,- bereits früher wie ich nach- träglich sah von W. Wackemagel angedeuteten Momente sprechen dagegen^ so wie das bestreben Lindeners, Gewohn- heiten* damaliger gelehrter nachzuahmen und sich dadurch schon äusserlich als „Mann vom Fach^ zu erweisen: Anderer- seits ist der Name in jener Zeit ja ein gewöhnlicher, auch in Leipzig vorkommender,** und selbst eine etymologisierende Ausdeutung, wie die bereits erwähnte (Lindener s. v. a. von Lindenau) ganz im Geschmack unseres Poeta laureatus et Chronicus.

In Leipzig war der arme Bachant („ich armer Teuffei" „Katzipori" Bl. H 2*) noch vor 1540 Famulus des Hierony- mus Dungersheim von Ochsenfurt, da dieser schon am 2. oder 3. März jenes Jahres daselbst im grossen Fürstencolle- gium starb (Seidemann in der A. D. Biographie V, 478 ff. und Böcking, Hutteni opera: Suppl. II, 359 und 752), und sog hier mit dessen in Wasser aufgelösten Bierschaumresten den Hass

* Dass das Beispiel Dungersheiros, ofb schlechtweg ,fir. Ochsenfart** genannt^ seinem Famolns besonders nahe lag er nennt ihn ja Katzi- pori Bl. H 2^ selbst so habe ich mit andern Beispielen a. a. O. 488 Anm. 2 bereits hervorgehoben. Vgl. ferner ,4^eronymu8Gebwiler Schul- meister zn Schietstadt. HIeronymns ist in dem Elsas zu Gebwiler im 1474 jar erboren, vnd von seinem Vatterland här, nach diser zeit gebrauch mit dem zunammen geheissen worden. Dergestalt warde Roterodamus, Glareanus, Bhenanus vnd andere genennet" u. s. w. : Heinr. Pantaleon, Teutscher Nation Heldenbuch 1667 Ul, 43. Ans diesem Buche wären Beispiele leicht zu häufen. Wie Künstler z. B. noch Martin Schongauer , so ahmen diesen Brauch der gelehrten ins- besondere auch Drucker nach: Pamphilus Gengenbach, Hans Grie- ninger er hiess eigentlich Hans Reinhart: Weltmann, D. Kunst im Elsass S. 263 u. a.

** Ich erinnere hier an den 1474 in Leipzig zum Magister promo- vierteii Dominicaner Joh. Lindner, gewöhnlich der Pirnische Mönch genannt: Jöcher H, 2462. R. Naumann, Cat. libr. MSCpt. in bibliotheca Senatoria civitatis Lipsiens. S. 136 Nr. 426. G. W. A. Fikenschers Ge- lehrtes Fürstenthum Baireut V (Nürnberg 1803) gedenkt dieses Mannes und noch zweier anderer, darunter des ältesten bekannten Vogtland!- sehen Geschichtschreibers, f bald nach 1624. J. W. Rotermund führt in seiner Fortsetzung zu Jöcher III, 1880 ff. viele Lindener an, in Bezug auf den Caspar Lindener aus Leipzig verweist mich Herr Prof. R. Nau- mann auf Albrechts Sächsische Kirchen- und Predigergeschichte (Lpz. 1799) I, 197.

456 Wendeler, Lindener als üebersetzer Savonarolas u. s. w.

gegen die „alten CoUigaten vnd* Stubenhunde der yniversitat alda^ ein: „ich domals sein Famulus war vud fleyssig auff jn wartet", sagt er in den „Katzipori" Bl. H 2% „es rewet mich aber noch ynd mein lebenlang". Erst zum Sommersemester 1544 ist er in der Matrikel der Universität inscribiert (W. Scherer a. a. 0. S. 96), war jedoch zum Wintersemester desselben Jahres, wie es scheint, schon wieder in Wittenberg wenig- stens finde ich im Album Academiae Vitebergensis ed. C. £. Forstemann (Lipsiae 1841) S. 216* zum Jahre 1544 Mense Octobri zuerst inscribiert:

Michael Tilianus Schuebutzensis. „Schuebutzensis" weiss ich leider nicht zu erklären, auch nicht Schue bützensis, wie nach freundlicher Beantwortung mei- ner Anfrage durch Herrn Oberbibliothecar Dr. Hartwig im Album steht: Schwibus kann der Heimatsort dieses Michael Tilianus « übrigens des einzigen Michael * Lindener im gan- zen Album bis 1559 nicht sein, da gleich der folgende Christophorus peutlerus, der aus dieser Stadt war, „Swibu- sianus" genannt wird. Man hat hier wol einen Fehler des Abschreibers zu constatieren: die Namen der immatriculierten wurden damals nicht wie heute von ihnen selbst geschrieben, sondern vom Decan in eine vorläufige Liste eingetragen, welche nachher copiert wurde; das Album bietet mehrfach Correcturen von der Hand des zeitweiligen Decans oder Rectors.

Meinerseits eine Conjectur zu geben halte ich im Grunde fQr müssig indessen könnte man vielleicht an Scherbitz denken, ein Dorf in der Nähe von Schkeuditz, wo der von unserm Autor verherrlichte „gute Groll", der so schöne ma-

* 1523 FranciscuB lindener de Hane, Vratisl. dioec. S. ll?**; 1531 Wolfgangus a lindenau, Misnens. dioec. S. 142^; 1535 Thomas Lindner Bolislauiensis Silesius S. 156**; 1535 Joannes Lindener a Dorffer bauarus S. 158^; 1536 Hieronymas Lindener Hallens. S. 163*; 1538 Andreas Lin- dener Mittwedensis ex dicecesi Misnensi S. 172*; 1540 Vitus Lindener de Detschen S. 185*; 1544 Wolffgangus Lindener Hallensis S. 214^; 1549 Wenceslaos Tilianus Anspachius S. 252^; 1554 Joannes Lindtnerus Gor- lizensis S. 293^ ; 1555 Johannes et Wolfgangus a Lindenau, fratres nobiles S. 309*; 1557 Wilhelmus et Abraham nobiles a Lindenau, fratres S. 330*; 1557 Martinus Lindnerus Lipsiensis S. 339^; 1558 Andreas Lindener Dresdensis S. 347.

Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolaa u. s. w. 457

caronische Klipfeiverse gemacht hat, „Schülmeyster gewesen" (Zeitschrift f. D. Alterthum XXI, 437).

Jedesfalls war Lindener vor Luthers Tode (18. Febr. 1546) in Wittenberg, da er (vgl. oben S. 445) „offt vnd vil . . . auß seinem mundt gehört", was Luther von den Ereignissen nach seinem Tode prophezeiet hatte; denn dass hierbei Luthers vorübergehender Aufenthalt im Jahre 1539 in Leipzig gemeint sein könne, ist doch schwerlich anzunehmen. Von dem Apo- theker von Nürnberg sagt der Herausgeber der „Katzipori" aus- drücklich Bl. H 7*: „reyset mit vnns von Wittemberg gehn Leiptzig"; auch die dritte Geschichte dieses Schwankbuches, Bl. B 7*, handelt von einem Wittenberger Studenten.

Wenig später finden wir Michael Lindener is\ Süddeutsch- land, zunächst, wie es scheint, auf einer zwecklosen W^anderung begriffen, die ihn bis Innsbruck* und vielleicht noch weiter führte, dann aber zu Nürnberg als Corrector in der Officin Hans Daubmanns in der Judengasse (Zeitschrift f. D. Alter- thum XXI, 440 und 441) und bald auch als Vertrauensperson und beauftragten seines „gnädigen Herrn ^ auf der Frankfurter Messe. Damit war aber seine Thätigkeit bei diesem betrieb- samen Buchdrucker noch nicht erschöpft: der „zimliche Poet" machte, ihm auch biß wey lein ein Carmelein vnd Tractetlein, wie sie es nennen" (Katzipori Bl. P ff.), ja verschmähte es selbst nicht, seine Kunst an gereimte Erklärungen wenig sau- berer Bilderbogen zu wenden (a. a. 0. Bl. P 2*). Wie lange er in dieser Stellung war, lässt sich wiederum einigermassen ermitteln zwar nicht durch einige in den „Katzipori" ge- nannte Personen, wie ich anfangs hoffte: denn aus Nürn- berger Archiven habe ich bis jetzt nicht erfahren können, wann der Teutsche Rechenmeister Hans Betz wegen Schulden

*, Vgl. Katzipori D 8* : „ZV Ynßbruck . . auff dem Sähfeldt iin Würdtshawß"; H 6* ff.: „Avff einem Gegew im Yntal . . war ein reicher Birg- [H 6^J bawr . . . kompt einmal in die Stat Hall zu einem Poeten, den er vermeint ein Doctor zu sein" u. s. w.; M 6^: von Hall biß gen Ynsprngk . . . das nur ein weg einer meyl lange ist'*; Y 7*: „Zu Zyrl in dem Ynthal" u. s. w. Es scheint so, als wenn Lindener sich eine Zeitlang in der tyrolischen Stadt Hall aufgehalten hätte. . Die Stelle, wo er von seinen Reisen zu Wasser und zu Lande spricht, vgl. nachher S. 470.

Abcuiv f. Litt.-Gbsch. VII. 31

458 Wendeler, Lindener als üebersetzer Savonarolas u, s. w.

aus Nürnberg flüchtig* wurde, jener Eüsterssohn aus München, der „andere Teutsche Schreyber veracht" (Zeitschrift f. D. Alterthum XXI, 444 flf.), noch weniger, wann der „fromme ein- faltige Gesell zu Nürnberg in einer Truckerey . . Antoni" (Eatzipori D 4^ und D 5*) bei Daubmann war oder in seine Heimat zurückkehrte.** Aber bei diesem Drucker erschien noch 1552 in Nürnberg, kurz vor seiner Uebersiedelung naöh Königsberg*** ein Schriftchen, das auf dem Titel eine Em-

* Die 1646 „zu Nürmberg durch Georg Wächter^* gedruckte „Co- medi'* desselben hat am Schlüsse der Vorrede „Datum Nüremberg den VI. Aprilis, Anno M.DXLVI*': v. Maltzahns BSch. S. 183 Nr. 1113. Seine Verse zum Bilde des Hans Sachs „Tm MDXLVI Jar Ge- druckt durch Hans Guldenmundt^' (Weller, H. Sachs S. 106; eine spätere Ausgabe von 1568 „Zu Nüremberg, bei Hans Weygel, Formschneider*': Drugulin, B.-A. H, 31 Nr. 212, Andresen, Deutscher Peintre-Grayeur IV, 96, 4) sind schon von 1545, dagegen die in Wien befindlichen „Sechs andechtige Hauß vnd Schul Gepetlein . . . (von) Johan Betz. Gedruckt zu Nürenberg durch Johaii Daubman,^^ 8^, leider ohne J&hreszahl.

** Ich nehme hierbei an, dass der Antoni der 14. Geschichte, welcher immer „bald sich zu betth schraubt, wann er ain Trunck het*^ nnd dem der Corrector Lindener dies auf eine sonderbare Weise abgewöhnte, weil „sein trefflich gut zu lachen war", mit dem „Setzer auff der Truckerey zu Nürnberg*' in der 62. Geschichte identisch ist, jenem eifrigen Ehe- manne, der (Bl. M 4*) ,jetzundt im Engelland arbeyt, ist ein Stro- schneyder worden, vnd verzert alda die (!) vbrigen schaaff die Woll, aber erkaufit sonst vnd vertrinckt das gelt in Bayrischen Weyn, der gut ist vnd schier dem Essig gleycht.*' Joseph Baaders Beiträge zur Kunst- geschichte Nürnbergs in v. Zahns Jahrbüchern für Kunstwissenschaft I (1868) höchst interessante Mittheilungen auch über Briefmaler, Formschnei- der , Buchdrucker u. s. w. , welche dem Bibliographen der Allgemeinen D. Biographie entgangen zu sein scheinen führen S. 238 auf: „1527 . . Jobst Gutknecht und sein Setzer Antoni von Wallas; 1531 . .Hanns Peter (Joh. Petrejus), seine Setzer Antoni von Walles nnd Michel Perger; 1540 . . . Hansen Guldenmunds Weib, ihr Setzer Antoni Wal- les.** Ich denke, dieser schon seit 1527 in Nürnberg arbeitende Antoni wird der von Lindener verherrlichte sein. J. Baader nennt a. a. 0. zum JaUe 1550 bei Hans Daubmann als „seine Setzer Endres Birsch von München und Jacob Pach von Bochlitz."

*** S. Zsch. für Deutsches Alterthum XXI, 441, Anm. 1. Ein Nürn- berger Druck J. Daubmanns aus dem Jahre 1552 ist auch der deutsche Hecastus de« Laurentius Rappolt: Goedeke GB. S. 318, k; v. Maltzahns BSch. S. 183 Nr. 1116; A. Cohns CXV Catalog 1877 S. 10 Nr. 108; ein früher Herrn v. Meusebach gehöriges Exemplar in Berlin Yp 9161. 8,

Wendeler, Liodener als Uebersetzer Savonarolas u. s. w. 459

pfehlung und als Anhang ein lateinisches Gedicht -unseres Poeten enthält : EXEMPLAR | ILLVSTRIS ET POLITAE ORA-|tionis de effigie Equitis D: Georgij, | Militis Christiani. I AVTHORE I Johanne Feurelio Rotensi. |

M. TILIVS* POETA | Ad Lectorem. ] Qusb sit in hac

(Widmting an „Herr Hansen Hang vonn Parsperg vnnd Lupparg, ]^itter, Römischer Keiserlicher Maiestät, vnd des heiligen Römischen Reichs Schultes zu Nürnberg", dem Rappolt für „fleissige bitt im C ar- theu ser kloster schul zu halten*' verpflichtet war; bei der Aufführung der lateinischen Eomoedie des Georgius Macropedius 1560 hatte ein Sohn des Ritters, mitgewirkt, der auch „zwey jar lang bey mir in lehr vnnd kost gehalten^*; hinter der interessanten Vorrede Bl. A 4^ ff. das nament- liche Verzeichniss der andern Theilnehmer.) Vielleicht war aber Daubmann 'selbst noch 1563 und mit ihm Lindener in Nürnberg, denn aus diesem Jahre hat Herr Dr. J. Schrader vor längerer Zeit einen Druck des erstem in Händen gehabt, und zwar einen Nürnberger. (Diese Annahme bestätigt eine mir nachträglich gewordene Mittheilung des k. Ereisarchivs zu Nürn- berg, aus welcher auch hervorgeht, dass Daubmann trotz seiner intimen Beziehungen zu L. Culmann, dem Vertreter Osianderscher Lehren, Anti- Osiandersche Schriften druckte: s. am Schlüsse dieses Bandes.) Eelchner in der Allg. D. Biographie IV, 769 kannte Erzeugnisse der Officin dieses Druckers nur von 1546—48 aus Nürnberg und von 1664 1673 aus Eönigsberg, wohin er 1553 berufen wurde. E. Weller führt in den Annalen U, 303 nach der Bibl. Schadeloock eine Ausgabe von S. Francks Laster der trunckenheyt „Nürnberg, Joh. Daubraann 1531 .4" auf; dieses Druckjahr ist aber zweifellos falsch und beruht höchstens auf Conjectur. Dass aber Daubmann mindestens seit 1546 druckte, geht ans den von Baader a. a. 0. 225 ff: erzählten Thatsachen hervor: innerhalb der letzten drei Jahre habe er an Hans Grym keine verbotenen Blätter verkauft, ver- sichert er 1549. Ausser den im Text genannten und noch zu nennen- den Nürnberger Producten Daubmanns die mir vor Augen gekomme-' nen fliegenden Blätter sollen in anderm Zusammenhange besprochen werden verweise ich auf seine Bergkreyen von 1547: ühland, Volksl. S. 976; Böhme, Altd. Liederbuch (Leipzig 1877) S. 797 Nr. 6, aber nicht, wie dort angegeben, in Berlin; v. Maltzahns BSch. S. 74 Nr. 503 und Goedekes GR. S. 124 Nr. 18, vgl. S. 234 Nr. 52. Ferner auf „Ein Elag- liedt vom Fall Adams vnnd Heua . . Gestellet durch M. Johann Eymsaus. Gedr. zu Nürnberg, durch Johan Daubman 1550/* 8: Goedeke a. a. 0. 198, k. Endlich auf die „Chronica. | Des Durchlenchtigen, | Hochgebor- nen Fürsten vnd Herrn, | Herrn Friderichen, Landgraffen in Düringen, | Marggraffen zu Meychssen etc. . . Nürnberg. M.D.XLVI." in 4", am Ende: „Gedruckt zu Nürnberg | durch Johann | Daubman | M . D . L .'* Vgl. nachher S. 478.

* Diese Latinisierong wählte der eitle Herausgeber wol, um schon

31*

460 Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas n. 8. w.

orationis forma siue genere | dicendi uenustas ac elegantia, uerborum | Jucunditas et splendor^ sententiaruznque | pondus atque memoria singulatim indica- 1 bunt. |

NEROBERGAE. Elaboratum sub praslo Johannis Daubmanni.

ANNO. 1552. 12Bir. in A% A— C 4^ die letzte Seite leer. Ein Exemplar, jetzt in meinem Besitz, werde ich der k. Bibliothek in Berlin überweisen.

Bl. A 2* S, die Widmung des Joh. Feurelius, „Datae Vuite- bergee 19 Octobris. Anno 1551" . . . . Principi ac Domino, Domino Georgio Friderico, Marchioni Brandenburgensi, Stettini et Pomeranise Duci, et Burgrauio (!) Noribergensi, Domino suo clementissimo. Der eigentlichen Oratio de imagine divi Georgii, in welcher der dem Markgrafen Georg Friedrich von Ansbach, wie seinem Vater Georg dem Frommen für Ge- währung der Mittel zu seiner Ausbildung verpflichtete jugend- liche Autor nicht ohne Geschick eine Parallele zieht zwischen der segensreichen Thätigkeit des letztem als Wolthäters seines Volkes mit der philosophisch gedeuteten Gestalt jenes christ- lichen Ritters, lasst der Herausgeber Bl. C 2** C 4* ein Epinicion adjdoctis. virvm, ervditio-|ne ac pietate praestan- tem Leonardum Cul- | manum apud Noricos Euauge- | licse veritatis professorem folgen.

Gibt uns das Datum dieses Büchleins also einerseits die Gewissheit^ dass Michael Lindener bis zur Verlegung der Daub- mannschen Officin von Nürnberg nach Königsberg in dieser beschäftigt war, so mag es andererseits eine Andeutung liefern, wer der ;yWol vnd hochgeachte Mann" gewesen ist, der ihn nach Ulm hin empfohlen hat, wo wir ihn zwischen 1553 bis 1556 antrafen: wahrscheinlich Leonhard Culmann,'^ der heftig angefeindete Hauptvertreter der Osianderschen Lehren

mit seinem Namen an den des französischen Historikers Jean du Tillet (Tilius, ävSque de Meauz, f 1570) zu erinnern, dessen 1549 zuerst er- schienene kurze Chronik nachher in die gprOssere seines Bruders ange- nommen ist: Brunet IP, 923.

* S. über ihn die Allg. D. Biogr. IV, 639. Goedeke GR. S. 320; 281, 39 und 282, 43. J. A. Vocke, Geburts- und Todten-Almanach Ans- bachischer Gelehrten I (1796), S. 154 fi. mit Schriften rerzeichniss.

Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savo^arolas u. s. w. 461

seit 1552 in Nürnberg, dessen Freund er sich in den noch mitzutheilenden Versen mit Emphase nennt. Culmann hatte in Ulm,* wie es scheint Verbindungen wenigstens wurde er 1558 im Gebiete dieser Reichsstadt trotz seines Osiandris- . mus zu Bemstatt angestellt, nachdem er 1555 in Nürnberg auf Veranlassung Melanchthons entlassen war. Vielleicht dass bereits 1552 die Haltung seiner Gegner in Nürnberg ihm un- bequem wurde und dass deshalb Lindener ihn in unserm an Markgraf Georg Friederich gerichteten Büchlein empfehlen wollte, zumal er aus Crailsheim in Ansbach stammte und so- gar Messner in der Residenz dieses Fürsten gewesen war; die Beigabe des Epinicion wäre sonst ganz unmotiviert.

Empfehlungen spielen überhaupt in Culmanns wechselvollem Leben eine Rolle: wie ihm der schwäbische Reformator Johann Brenz bei dem Grafen Michael von Wertheim (s. den Brief in der ZeitJiichrift d. histor. Vereins f. d. wirtemberg. Franken VIII, 1. 1868 S. 82ff.) noch 1555 und später bei der Stadt Rothen- burg a. d. Tauber und dem Grafen Ulrich von Helfenstein solche zu Theil werden liess, ebenso hatte Lindener schon 1551 an den erstern:** „Ad Michaelem generosum Cömitem ä Vvertha- mio Dominumque Preiburgi [d. h. Breuberg], Heroem nata- lium claritudine illustrem et conspicuum, Mecsenatem suum" im Interesse Culmanns ein CARMEN COMENDATORIVM gerichtet, das freilich mehr als schülerhaft ausgefallen ist.

NOBilis es patriae dum fama propaginis Heros

PrsBcipuumque graoi stirpis honore caput, Vt tuus excelssB splendor sab imagine laudis:

* L. Culmanns mir vorliegende NOVA LO- 1 CORVM COM- | munium con- 1 genes. | . . . | FRANCFORDIAE AD MOENVM, | excudebant Vuy- gandus Gallus , et Ge- { orgius Cominus. { M.D.LXl. | in 8*^ ist gewidmet „Georgio Besserer, inclytffi Reipublicse Senatusque Vlmae Ciuitatis Consuli et Senator! supremo, Domino suo obsernantissimo /* datiert aus Bernstat 1661, „ut tua in me atque omnes Studiosos humanitas meae doctrinae, studii et diligentiae testimonium haberet, me scilicet in do- cendo Gregem mihi commissum non sequi fanaticos uUos aut Spiritus erroneos" etc. 14^.

** 1556 starb der Graf als letzter seines Stammes: über ihn J. Asch- bach, Geschichte der Grafen von Wertheim I (1843), S. 312 ff., vgl. II, 384. Graf Michael hatte von 1544 an in Wittenberg und nachher in Leipzig studiert.

462 Wendeler, Lindener als UeberBetzer Savonarolas n. s. w.

Lucet ApoUinese te decus esse domus. Vnde vir astifero tibi mittit ab axe salutem« 6

Quo sub arenosi sunt sita rura soli Hinc ubi nempe fluunt ipsae Pegnesidos yndae

Noridos humectant ac simul vrbis agros, [c 2^J Quae jacet ornatis opulenta potenter in aruis

Iste ruinosi quse situs orbis habet. 10

Haec abit ia<>ignem Phoebi sine fraude Patron um,

Pastor Apostolici qui solet esse gregis : Francia quem propriis Culmannum nominat oris,

Cuius et in multas gloria sparsa piagas. Hunc tibi commendo, quoniam bene velle paratus 15

Musis, vt praesens indicat artis opus. Quo te Pieridum Comitem modo munere donat

Et rogat ut lepida sumero fronte velis. [c 3*] Non ego praistantem tibi laudo volurainis vsum

Qui tarnen authoris nomine clarus erit, 20

Illius omnigenas dum scripta vehuntur ad oras

Quas habet in varijs mundus vbique locis; Non minus vtque suis illum virtutibus ornem

Adjeci celebris Carmen amore viri, Postquam non leuibus tractat mendacia verbis 25

Qua3 pascunt animum, non sine labe, pium. Ergo Nou'enarum non iniima cura sororum

Illud ab egregio pignus habeto -viro, [c 3^1 Quo tuus Aonio splendebit nomine fulgor

Et bona post obitum fama superstes erit! 30

Diese „Michael Lindenerus Lipsensis" uuterscliriebe- nen Verse sind dem THESAVRVS | LOCORVM \ COMMVNI VM CO-IPIOSISSIMVS, EX VETERI ET | nouo Testamente... I JAM PRIMVM CONSCRIPTVS I . . . a Leonardo Cul- manno | Chreylßheimense. ] NEROBERGiE | In Officina Joan- nis Daubmani | imprimebatur. | M.D.LI. | in 8^ (= Cw 7964 in Berlin) beigegeben, welcher auch von der Hand des Autors eine Widmung: „die Jacobi Apostoli 1551" an den Grafen Michael von Wertheim enthält, ohne dass dieselbe et- waige Nebenzwecke verräth. Vielmehr lesen wir hier Bl. b 8^: „Hunc autem Thesaurum tibi, eiccellentissime Comes, inscri- bere et dedicare uolui, tum propter generis tui claritatem; tum etiam propter innatam clementiam, humanitatem atque bonita- tem erga omnes praecipue studiosos, quorum amator et fautor optimus es, deinde quia eruditione atque singulari doctrina

Wendeler, Lindeuer als Uebersetzer Sä.vonarolas u. s. w. 463

'atque uirtute ornatus a teneris, sicut mihi certo retulit Vene- rabilis atque Doctissimus uir Michael Hoferus, tuae cle- mentise GoncionatorTheologus eximius^ qui mihi facti hujus autor fuit, cujus etiam humanitate et familiaritate plurimum delectatus sum, cum hie apud me erat." Wie sehr Gulmami jedoch damals bereits angefeindet wurde , zeigt u. a. ein kurzes Schlusswort, worin es heisst : ,,Habes lector optime primam par- tem Thesauri locorum communium, . . . quibus studiosis sacrse scriptursB lectoribus inseruire uoluimus, nasutis arbitris hel- leborum optamus, ne inuidia eorum ilia rumpantur.

Für M. Lindener selbst ist die Antheilnahme an Culmann, wie 1556 sein Fortgang aus Ulm nach dem eintreffen Ludwig Rabes charakteristisch: die strengen Lutheraner sind ihm offenbar wenig sympathisch gewesen.

Die Entwicklung seiner Beziehungen zu diesem vielschrei- benden Tlieologen lässt sich übrigens an den Beigaben zu andern Werken desselben, so weit sie mir hier vor Augen gekommen sind, noch weiter rückwärts verfolgen ' er war seit seiner Ankunft in Nürnberg eben sein Corrector bei Hans Daubmann und vorher bei Valentin Neuber.

Die DISPVTA- 1 TIONES SEV AR- 1 gumentationes Theo- logi- 1 cse .... I coUectae per Leonhardum | Culmannum Crayls- hei- 1 mensem ac deuuo ab | ipso auctae et re- { cognitse. | Norimbergse apud Joannem | Daubman, | M.D.L.I | 8^ (in Berlin = Bc 4312), in beiden Theilen „Sebastiano Groß, senatori atque patritio Numbergensi suo Mecenati charissimo^ gewidmet „Die altero a nato Christo 1551" mit der obligaten Mahnung: „(hujus muneris) tu genius ac defensor esse uelis contra morsum inuidorum, qui cum nihil prseclari faciant, aliorum tamen prseclare factis inuident, detrahunt, et quoquo modo possunt ea obsturare [!] conantur% zeigen auf den Rück- seiten der Titelblätter je ein Gedicht Lindeners.

L: MICHAEL LINDENErus H. P.* Lipsicus ad ministrum Euangelij. ** Hoc quicunque sacras ofifert libamen ad aras Vt cupiat domini pascere fidus oues,

* D. h. Historicus Poeta. ** ^,Eccle8ia3 Sebaldinse minister" anterzeichnet Culmann.

464 Wendcler. Lind euer als Uebersetzer Savonarolas u. s. w.

Ssppius heec animo Culmanni scripta reuoluat

Qaae perhibent aditus, non sine luce, uiam: Pura quibas aerse spargiintur uerba salntis, 5

Qq8b sunt expressis ti*adita certa modis u. s. w. FobUx ergo nimis sit terque quaterque beatus 17

Qui pastoris onus l%tus obire studet, Omnibus ut ueniam donet, simul omne remittat

Quod peccatori forsan obesse uelit! 120

Vt tarnen hoc faciat studii uiilute sacerdos,

Huc habet ex omni, seu loca, parte typos, Cum quibus implicitos poterit dissoluere nodos

Huius quos autor disputat aHe libri.

IL: MICHAEL LIND. H. P. Lipsicus ad Lectorem.

MAxima sepe sacris oritur contentio rebus

Quse solet ex uerbi uoce uenire ma]i: Cuius adhuc aptum non hie intelligit usum

Ponens artifici singula sensa modo, Dum neque simpliciter seruat conamen eorum 5

Quorum scripturse lectio clara locis. Vnde tot honibiles ueniunt ita dogmatis artus

Quos hodie falsse turba cohortis amant^ Qui cruciant sine fine pios ac omnia miscent

Ne maneat purum Relligionis opus u. s. w. 10

Cuius Honorifico semper süb nomine crescent

Quo fruetus habeat posteritate genus. 20

War also Lindener mindestens schon „die Jacobi Apostoli 1551^ (25. Juli) in der Officin Hans Daubmanns beschäftigt, so scheint er zu Anfang dieses Jahres und vorher wenigstens nebenbei wenn nicht ganz Corrector- und Poetendienste bei Valentin Neuber geleistet zu haben.

L. Culmanns Schrift DE CON- | VIVIIS LICITIS | et illicitis de fugienda et uitan | da crapula atque ebrietate | deque uino recte utendo | pia et Christiana insti- 1 tutio coUecta ex uer- | bo Dei . . . . | Impressum Norimbergse apud Yalentinum Neuberum, am Ende: .... Anno M.D.LI. (8" = in Berlin Xf 6001 Nr. 5), ein durch Vorrede und Text für den spätem Verfasser der „Katzipori^ gewiss höchst interessantes Büchlein, ist „integerrimo uiro Johanni Kessler Themarensi, ciui Norico domino ac amico suo familiarissimo ... MenseJanuario

Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonurolas u. s. w. 465

1551"* zugeeignet und bewahrt auf der Titelkehrseite ein geharnischtes Epigramm mit der Ueberschrift:

Michael LindoDeras.

Omne uenenosis obseruat Momus ocellis

Quicquid in eximio mundus honore locat, Cum tarnen obscura noctis caligine natus,

Cuios ob id somnus dicitur esse pater. Quid nocet? ae grauium taxet monunienta airorum, 5

Dum rudis ingenij nil ualet aura sui. Sed dabit horrisono pcBnas Acherontis in amne,

Ista malae tandem prsemia sortis erunt.

Darunter:

Autor ad malignum zoilum.

I, ride zoile et tu rideberis! Quod non potes, alios non uis facere: Canis foenum non commedens in prsesepi Nee pateris boues alimento suo uesci!

Femer haben zwei Drucke Valentin Neubers aus dem Jahre 1550 einleitende Gedichte von Lindener. Nämlich die ^Domino Arsatio nobili prosapia ab Hirshayd nato pio Abbati et fideli Oeconomo in monasterio Vuey ssenah" gewidmete ADHOR-ITATIO AD CON-|CORDIAM PIA ET VTILIS ] Ecclesiasticis, Politicis et Oecono- 1 micis personis ... con- 1 gesta, per | LEONARD VM CVLMAN-|NVM. . . | Norimbergae apud Valentinum | Neuberum, Anno | M.D.L (8^ = in Berlin Xf 6001 Nr. 6) Bl. A 1^ folgendes

EPIGRAMMA

Michaelis Lindeneri H. P. Lipsici

in commendationem libri:

Sancta quid efficiat cunctis concordia rebus Omni qusB stabilis debet inesse gradu,

Eine andere „zu Nürnberg durch ValentiD Neuber" ebenfalls 1551 gedruckte Schrift L. Culmanns: „Wie man die | krancken trösten, yii | den sterbenden vor be|ten sei . . .** (in 8^ = Es 2510 in Berlin) ist leider ohne Datum unter der an „Herrn Johan New der ff er, Burger vnnd ge. trewen erfamen Lehrmayster der JQgent in dem schreyben vnd rechnen zu Nürnberg | meinen . . . geuatter** gerichteten Zuschrift und hat keine Zugabe Lindeners.

466 Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas u. s. w. -

Hoc tibi perspicais tradit rationibus aator

lUius ut rectum monstrat acumen iter: Debita qao placidae tractantur uincula pacis

Caius res ualida publica crescit ope, Ac honiines apto tueantur ut ordine cuncti u. s. w.,

20 Verse.

Ebenso hat die Schrift Culmanns: AN CRVX | EXPEDIAT VEL I NOCEAT INSTRVCTIO CON- 1 solatoria de dicto Christi Jesu JoaD. 16. | Expedit uobis ego uadam, contra moe- I stitiam . . ., am Ende: Norimbergae apud Yalentinum Neuberum (S\ = in Berlin Xf 6001 Nr. 4) Bl. A 1»> ein y, Carmen in expositionem L. Culmani de dicto Christi JO. 16" mit der Ueberschrift:

Michaelis Lindeneri H. P.

Quas habet hsBC scelerura, cemis, natura procellas?

In quibus est misere commaculatus homo, Quem Dens in primo diuinum condidit seuo

Esset ut angelicis, addita fama, choris. Quem Sathan astuta serpentis fraude fefellit, 6

Deinde quod et coeli fruge priuatus erat: Solus quem Stygio reuocauit ab inguine Christus u. s. w. Disce mori quoniam nihil est durabile mundi 19

Omnis ut humanis actio rebus habet, Qu8B vix aetemi respectu durat ad horam

Tam cito mortaUs uoluitur ordo rei: Nulla quod istius tandem sit mansio uitse

Qu8B cum perfecto splendida flore cadit..

Die Vorrede dieses „uiris* Wolfgango Christophero Reckio ciui Norinbergensi et filio ejus dilecto Georgio Fridell, Do- minis et amicis suis familiaribus" zugeeigneten Buches schrieb Culmann „mense Junio lööO'', und da ich kein früheres mit Vorstücken Lindeners kenne, so wird vor der Hand die An- nahme erlaubt sein, dass er erst 1550 nach Nürnberg gekom- men ist.

* „Quid enim Christophorc cbarissime, nobilius genere Reckio apud Swobachenses? ... Deinde celebri ... memoria dignus Joannes Fri- dell parens tuus mi Georgi, qui . . . titulo . . . suae probatse yitse et eru- ditionis a celebri Academia Lypsica donatus, professor olim pooticee in schola apud Noricos frequentissima spiritus sancti (erat)'* a. a 0. Bl. A 5^

Wendeler, Lindener als üebersetzer Savonarolas u. g. w. 467

Die erste meines wissens bei H. Daubmann gedruckte Schrift Culmanns: EXAMEN | THEOLOGICVM | ... | Jam de- nn o ... I . . recognitum . . . | Norimbergae apud Johan | Daub- man XLVIIL, an Philipp Hyrsching und Johannes Hoffman in Crailsheim gerichtet, enthält natürlich nichts von unserm Miniaturpoeten vielmehr leitet dieselbe Hieronymus Licius Oetingensis mit 31 Distichen ein , aber auch in Neuber- schen und andern Nürnberger Drucken vor 1550 habe ich mich bis jetzt nach Lindenerschen Producten vergebens um- gesehen. Z. ß. ist auch die Gulmaunsche Schrift: INSTRÜ-| CTIO CONSO- j latoria de parentum | liberorum . . . peccatis | , am Ende: Impressum Norinbergae apud | Valentinum Neu- berum. | 1550 | , 8", welche die Berliner Bibliothek noch besitzt, ohne irgend welche Beigabe Lindeners. Nur vorübergehend wurde er also von diesem Drucker beschäftigt.

Nach seiner Ulmer Zeit hat dagegen unser Poet ein fah- rendes Gelehrtenleben geführt, allein wie er uns oben er- zählt — „seinen studiis außgewartet, vnd denselben mit fleiß vnd lust obgelegen, vnd biß weilen durch reisen, bey gelerten leuten vnd in Libereyen etliche antiquitates Historiarum ge- sucht". 1557 und vielleicht schon das Jahr vorher war er in Augsburg, wo er dem Marquard von Stain seine Loci schio- lasticorum egregii widmete, noch im selben Jahre schrieb er jedoch „am tag Philippi vnd Jacobi Apostolorum" (= 1. Mai) seine Vorrede zu der Uebersetzung der „Syben schönen tröst- lichen Predigen Savonarolas" aus Wittenberg, und 1558 nennt er sich zum ersten Male unter der Widmung des „Rast- büchleins" an Herrn Anthoni* Baumgartner zu Baumgarten Poeta L(aureatus).

Wer gab ihm den Kranz? Der Kaiser natürlich nicht, aber wol auch schwerlich der in dieser Widmung als Patron genannte dritte Sohn des schon bei Kaiser Maximilian L, dann bei Karl Y. und König Ferdinand I. in hohem Ansehen stehen- den Juristen „Hans Paumgartner von Paumgarten, Freiherm zu Hohen Schwangau vnd Erpach" (sieh P. v. Stetten, Ge- schichte der adlichen Geschlechter in Augsburg. Augsb. 1762, S. 425, vgl. 195 flf.). Dass Anthoni das hierzu nöthige kleine

468 Wendeler, Lindener als üebersetzer Savonarolas u s. w.

Comitiv eines kaiserlichen Hofpfalzgrafen* besessen^ habe ich wenigstens nicht ermitteln können; so muss man sich wol eine andere hohe dem „Poeten" bekannte Person als Verleiher

* Die Dissertatio de poetis rituque eos coronandi, tum antiquissimo tum hodiemo ... sub pisesidio M. Johann. Schultzens, Alienburg. Misn. Poet. Laureat. Caesar, (sistit Joh. Christ. Geier). Jenae 1677. 4^ (in Berlin Xa 424), ein von grosser Belesenheit zeugendes Schriftchen, sagt Bl. E 2^: ... hodie jus coronandi Poetas . . . Imperatores et qui horam vicarii sunt, Comites Palatini exercent . . . Qua de causa autem hoc jus ad Majestatem Imperatoriam accesserit, consule JCtos. Bl. £ 3^ flP. einige historische Daten, insbesondere auch über Verleihung des Comitivs an gewisse Universitäten. Bl. E 4^ ff. über das dort gehandhabte Reglement. Bl. E 4^: Memorandum, quod jus Poetas coronandi, olim quibusdam Aca- demiis concessum, hodie Imperatorum Vicarii ezerceant, quos Comites Palatinos, Comites Sacri Palatii . . . Germ. Reichshoffgrafen, EeyberUche Pfaltzgrafen , Keyserliche Pfaltz- vnd Hoffgrafen vocant, qui de juribus seu Reservatis Imperatoriis qusedam communicata possident u. s. w. Bl. F 1* über gekrönte Dichterinnen. Bl. F 2*: Specialia, quse in coro- natione observant Comites Palatini sunt: Primo ante coronee imposi- tionem post ezamen juramento adstiinguntur, ne quid blasphemum con- tra Dcum, ne quid culpabile contra S. C. Majestatem Sacrumque Roma- norum Geimanicum Imperium, ne quid Satyricum contra proximum, ne quid obscoenum contra bonos mores etc. scribant. Bl. F 2^: Post jura- mentum annulo aureo digitus cingitur; post annulum Corona launa ca- piti imponitur; tandemque Privilegiis et prseeminentiis ornatur et quasi munitur u. s. w. Bl. F 2^ ff. druckt Joh. Schnitze als Bei^ipiel sein ihm von Volckmar Happe „JCtus, Sacri Palatii CsBsarei et Consistorii Imperialis Comes, Vice-Cancellarius Saxo-Vinariensis, Supremiqne quod ibidem est, Consistorii Prseses*' ausgestelltes Laureatendiplom ab, datiert Vinari» d. 7. April M.DC.LXXV. Weniger instructiv ist die Dispu- tatio ... de poetarum corona ... in academia Lipsiensi sub preesidio . . . Friderici Rappolti... M.DC.LXIIX« (sistit autor J. Fr. Hekelius, Geranus) in 4" (= Xa 2 Nr. 4 in Berlin), vgl. jedoch Bl. A 3*> § 3 - 5, Bl. B 3* § 1 —5, An ersterer Stelle heisst es u.a.: Etiam Universitates nonnullee jus Coronandi Poetas illud solenniter exercent, prssprimis qvod sub initium repurgatse a situ tot seculorum LauresB Poeücee nihil aliud erat Poetam facere, qvam qvintse cujusdam Facultatis Magistrum pronunciare^ uti Politico- rum Princeps Conringius Dissert. IV. de Antiq. Academ. p. 135 testatur. Als Universitäten mit diesem Rocht nennt eine Anmerkung „Viennensis, Argentoratensis, Altdorfina pluresque aliee". Reliqu» vniversitates jus re- nunciandi Poetas illud prorsus recusarunt, prseprimis qvod ita Poetss qvon- dam odio proseqvebantur, ut a non paucis pro hsereticis haberen* tur u. s. vir.! Die Erlangung des Laureatendiploms von den Hofpfalz* grafcn mit Errichtung des Reichsgerichts wurde dieses Amt zum

Wendeler, Lindener als Uebersetzer SavonarolaB n. b. w. 4G9

jener Auszeichnung denken^ oder doch einen von Anthonis Brüdern. *

In und bei Augsburg hatte Lindener auch sonst bekannte. „ZV Augspurg inn der werden Stat ward ein gut Gesell an der Herren Faßnacht zu gast geladen, vnd der het sich ver- seumbt vnnd kam doch zu einem küchlin vnd trüncklein . . , weißt jn ein frommer Kautz, mit namen H. M.** in ein kuchen . . . Also auch der gute H. weyl er zu Landtsperg gütte Assche, Forhen, Rupen, Hecht, Karpflfen, Grundel isszt (zu sich spricht, als er Bratwurste im Rauchfang sieht); wa- rumb woltest Du nit ein Wurst stehlen ? . . . stieß die (aller groste) in ein Styfel, vnnd trug sie gehn Poppin g, het der Wurst vergessen. Wie jm aber sein heyliges Sacrament die Styfel abzog, fiel die wurst auß . . . Also bleybet nichts ver- schwigen." Eatzipori 1558, P 4^ 5^ Dieser „außerwolte schnudelbutz als Wurststehler" ist wol der „Ersame vnd nam- hafftige Hans Greüther, Bürger vnd Papyrer zu Landsperg, auf der Mühle da man Lumpen macht", derselbe „Maister Hans" (a. a. 0. Bl. A 2* und 8*), dem die „Katzipori" gewidmet

leeren Titel, oft führten letztem ganz gewöhnliche Juristen: s. die bei Pfitter, Litteratur des Tentschen Staatsrechts III (1783), S. 805 ff. ange- führten, der Mehrzahl nach in Berlin vorhandenen Schriften war eine wenig schwierige, z. B. wissen wir, dass der Franstädter Jurittt Qeorg von Schönbom 1637 den Hauslehrer seiner Kinder, den bekannten Dra- matiker Andr. Gryphius zum Dichter krönte und sogar adelte. Vinc. Lancetti, Memorie intorno ai Poeti Laureati d'ogni tempo e d'ogni nazione (Milano 1838. 8°), nennt Michael Lindener nicht.

* Ausführlich handelt über Johann und seine Söhne C. Aug. MufiGät, Beschreibung und Geschichte des Schlosses Hohenschwangau (München 1837) S. 103 ff. Von unserm Anton heisst es S. 106, dass er „für sich und seine Erben gegen ein jährliches Leibgeding auf alle väterlichen und mütterlichen Erbfölle in Lehen und Eigen verzichtete*'. Somit ge- hörte ihm auch Baumgarten nicht, vielmehr wurde dieses Schloss 1561 von seinem Bruder David verpfändet: a. a. 0. 110, vgl. 115. 126. Anm.

** Hans Müller, Buchfürer in Augsburg? vgl. Maier, Buchdrucker- kanst in Augsburg, 1840, S. 27. Der im Lande hin und wider ziehende Briefmaler Hof er, von dem Bl. T 2^ eine sonderbare Praxis erzählt wird, ibt vielleicht ebenfalls mit dem von Maier a. a.'0. genannten Buchiührer „Hans Hofer*' identisch. „Getruckt zu Augsburg durch Hans Hofer Briefmaler, im kleinen Sachssen geßlin** eine Schrift bei Weller, Ann. I, 354 Nr. 342.

470 Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas u. s. w.

sind und von dem auch sonst die 73. (Bl. 0 P) und die 80. (P 5^) Zote zu handeln scheint.

„Wie vor ettlichen Jaren Künig Ferdinandus .... zu Augspurg einreit . . . stünden ettliche gute Brüder bei ein- ander, zu den auch trat Hans iüi Kittel (ein Kramer)" Bl. G 7*— 8».

„Es wäre (e)in Parmasan käß . . . einem Handelßman gen Augspurg vonn Potzen ... zugeschickt ... Von dem- selben redeten wolgewanderte Gesellen, vndter welchen auch war der geborne Franzoß . . . Fing der . . an, vnd sonder- lich iiir Schweytzerland wären die bessten (Käß), die auch vber die Böhemischen vnnd Engelländischen wären. Darauff einer, der auch Landt vnnd Leut gesehen, vnd sich zu Wasser vnnd Landt hat gebrauchen lassen (Linde- ner?) saget: Mein lieber Franzoß, ich bin auch drey mol hinder dem Backofen gesin, vnd das Schweytzer oder Sche- witzer Landt gesehen . . . Mümpelkäß vnd Almkäß, die haben einen schmack wie pantoflPel holtz oder püflFelsläder u. s. w." (Der Franzose verlegt Holland nach der Schweiz) Bl. 0 4^ 6*.

„Es war ein freuntlichs mädchen zu Lechhawsen . . . mit welchem ich bißweylen begundt zuschertzen dergestalt, wann mein weib sterben solt, so wolt ich es zum hay- ligen Sacrament der Loröl* nemen vnd zu jr heyraten, wel- ches alles sie inn windt bließ . . . Nach dem aber sein äncl drein redet vnd saget: wie kündst du besser heyraten? du bekombst dein lebenlang nit ein solchen Mann, es wirdt dir auch nimmermehr so gut!" u. s. w. Bl. E 4**.

Berücksichtigt man ausserdem die an mehreren Stellen der „Katzipori" deutlich hervortretende Ortskenntniss** Lindenersin

* Vgl. A 5»: „Torgisch Bier vnd rostige Häring . . . zuuor ehe man schlaffen gehet, ruhet einer trefflich sanfft; daranff, als wann man ein Marcipan, drißnet, loröhl oder wurmsaamen eynneme n. s. w."

*• Z. B. „vngef&hr biß von Augspurg gen Oberhawscn, ist ein kleine vierteil meyl von Sant Virichs kirchen, vnd nit von der Stattmawren, sonst gillt es nit", BL a 4^; „von Landssperg biß gehn Augspurg das Leckfeldt" Bl. b u. s. w. Auch das Bl. A 6»» erwähnte „Eselbad" („hat der Eselbader yetzund alte knechte") gehört wol nach Augsburg? Dagegen spielt die 6. Geschichte (Bl. C 2») „zu Nürnbergk im Sand-

Wendeler, Lindener als üebersetzer SaTonarolas u. s. w. 471

Augsburg und seiner nächsten Umgebung, femer die verhält- nissmässig grosse Zahl der in dieser Stadt spielenden Ge- schichten* und endlich, dass es in der Vorrede an den Lands- berger „Papyrer" heisst (Bl. A3^): „nachdem ich vor et- lichen TAGEN mit ewern leüten guter ding gewesen, jn von wegen meiner gutten bekandten gesellschafft gelaystet vnnd nit der letzte im spyl gesein bin"**; so kann"wol nicht bezweifelt werden, dass er seine „Katzipori" in Augsburg voll- endet und also vorher (1558 ist das Druckjahr dieses Schwank- buches) einige Zeit dort zugebracht hat.

Hier oder wahrscheinlicher noch in Ulm verheirathete er sich auch, die vorhin ausgehobene Stelle lässt wenigstens über das Factum keinen Zweifel. Wenn er Bl. P 1* sagt: „Es war ein leyden guter Compan mit namen Jungkherr Michel von L., ein zitillicher Poet. Es soll sich nyemand selber loben, dann

bad'*. „Sandbad", „Sandmühle" : s. Nopitsch, Wegweiser durch Nürn- berg S. 148 und (Lochner) Abeeichen Nürnberger Hänser. Nürnberg 1866, S. 21—23. Es war auf der Sebalder Seite Nr. 1077.

* Vgl. ausser den schon angezogenen die 28. Bl. F 3*: „Ein Poe tische tawbe, zu Augspurg einem Sawrsenffer gerissen, ^a ist der brauch, das in der Stat Augspurg die leut senff außschreien ... Geht aber einsmals ain allter . . . inn der Becken^ssen vor ainem Würdts- hawß'* u. s. w. ; ferner die 85. schnagke von einer Diemen . . . zfi Augspurg inn der Reychstatt" Bl. G 6^ die 102. ,^laubwirdige Historia von einem Sawrsenffer, der ein alltes Trampelthier nam vnd ein junger Rotzaff war zu Augspurg" Bl. T 6^, die 120. „Ein gute bewerte artzney einer Magdt zu Oberhawsen von einem Balbierer eingegeben" Bl. Z 1^ Auch die „artige antwort auf ein frage eins namhaffcigen Burgers an der Brugk" Bl. N 2^—3* gehört wol nach Augsburg: der „g&tte Herr vnd freundt", der „ein grosse Gasterey bei 600 Tisch ohn die Gackels- leutlein" hatte, könnte wol einer der yerschwenderischen Paumgartner sein. Den hierbei genannten „Westermaier", „hinder" dem Lindener (?) seine „frombkeit anlegen" wollte, vermag ich leider niefat nachzuweisen: eine Familie dieses Namens existierte jedoch in Augsburg, s. Dan. Prasch, Epitaphia Augustana Hl (1626), S. 90. Andere Namen, mit denen ich nichts anzufangen weiss, sind Bl. D 6^: zu Eoburck Hans Lats, Bl. V 7*: Clauß von Batzenhofen, der Oppele Schäffer, Hansen Sehäffers Tochter zu Perching „getrost", Bl. P 1»: Zu Bamberg .. Valentin Strasser u. s. w.

** Später Bl. Z 6* heisst es: „wer mein benötigt, der verschraube sich zu mir in Maister Cüntzen Kellers gäßleiu: ich bin zu finden!'*

472 Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas n. s. w.

der, welcher vntrewe vnnd bo&e Nachtbawm hat das mir nit ist, Gott hab lob: dann ich waiß das mir die Schleyf- ferin wol gewegen ist, Vnnd wann jr Mann stirbt, hat sie mir verheyssen, daß sie mich zur Ehe nemen wolle, wann ich will, dann es an mir auch [Bl. P 2*J gelegen ist so ich ein lust bekomme mit der zeyt, yetzundt aber ist es nichts ..."; so löst sich der scheinbare Widerspruch, wenn man annimmt, einzelne Theile der „Katzipori'^ seien früher ent- standen*, — wie denn die hier angezogene 77. Geschichte, die- selbe in welcher sich Lindener als Gemälpoet vorstellt und das noch unauf gefundene Blatt des „Fräuleins mit der Kachel, der ein Bott einen Brief bringt^ (Zeitschr. f. Deutsches Alter- thum, XXI, 441) beschreibt, zuverlässig noch in seine Nürn- berger Zeit fällt. Auch E 3** spricht er von seiner Schwyger, „ainem frommen einfältigen Weib zu München iin Beierlandt^ und kann damit doch kaum etwas anders als eine verwandte seiner Frau (seine Schwiegermutter?) meinen.

In Wittenberg, wo er 1557 am 1. Mai die Vorrede zu seiner Uebersetzung der „Syben trostlichen Predigen" Savona- rolas unterzeichnete, hat sich Lindener kaum länger als ein Jahr aufgehalten. Die ebenfalls dort, wie die Typenver- gleichung bestimmt Qirgibt, gedruckten, aber zu Augsburg ge- schriebenen „Katzipori" mit der Jahreszahl 1558 auf dem Titelblatt bezeugen zwar einigermassen sicher seine Anwesen- heit in dieser allmählich einer ziemlichen Verwilderung an- heimgefallenen** Stadt bis zum Anfang jenes Jahres^ aber

* Auch sonst zeigen die „seltzame zotten'*, welche hier „zusammen in ein büchlein verordnet vnd gebracht'* sind, deutliche Spuren einer allmählichen Entstehung, ja einzelne Stücke, insbesondere die hier als Anhänge gegebenen, mögen bereits vorher gedruckt sein: z. B. die „War- hafftige newe zeytung von einem gar vnerhörten grossen Mann auß Calabrien bracht'* Bl. Z 4*, die Lieder, die oben S. 378 erwähnten Scherztestimonia Bl. K 7^ und S 3^ (<» Nr. 93 und 95; die dort gegebene Zählung ist irrig) u. a.

** Ich verweise hier auf von Medems Schrift „Die Universität^ahre der Herzoge Ernst Ludwig und Barnim von Pommern (in Wittenberg 1663—1566). Anklam 1867", S. II ff. und dazu S. 112, insbesondere was über Martin, Luthers erstgeborenen, seine Verkommenheit und Lieder-

Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas u. s. w. 473

das „Rastbüchlein" und vielleicht auch eine andere mir nur aus J. A. Vockes Geburts- und Todten-Almanach Ansbachi- scher Gelehrten I (Augsburg 1796), S. 157 Nr. 25 bekannte Schrift* „Zeugnis aus Gottes Wort und Schriften christlicher Lehrer, Dr. Mart. Luthers, Urb. Regius, Joh. Bugenhagen, Geo. Majors, Philipp Melanchthons: was der Menschen Gerechtigkeyt sey, und wie der Gottlose vor Gott soll und .kann gerecht werden, auctore Michael Lindnero, 4. 1558" stammt doch wol schon wieder aus Augsburg. Bestimmt lässt sich das wenigstens von einer historischen des folgenden Jahres sagen, welche G. Ad. Michel im I. Theile seiner Oettingischen Bibliothek (Anspach 1758) S. 3 folgendermassen beschreibt:

„Antiquität und Ursprung des uralten und sehr edlen Stamms der Hoch- und Wohlgebdhrnen Herrn und Grafen

lichkeit im Hause des toten Reformators S. IV, 29, 31, 44 auf Grund der Berichte Christians von Eüssow erzählt wird.

* Eifi Exemplar dieser Schrift befindet sich nach freundlicher Be- nachrichtigung des Herrn Dr. Markgraf auf der Breslauer Stadtbibliotbek mit dem erheblich in der Schreibung abweichenden Titel: Zeugknuss | Aus Gottes wort vn Schrifften der Christenlichen lehrern etc. o. 0. 1668. Die Vorrede und Empfehlung von „M. Lindener, poeta L.** mit wich- tigen Notizen ist an Graf Ulrich von Helfenstein gerichtet und „Gegeben auff den 26. Martii afi MDLVIII". Der Herr Herausgeber des „Archivs** wird die Güte haben am Schlüsse [S. 482 ff.] näheres über dieses Buch nach einem zweiten in Dresden befindlichen Exemplare mitzutheilen und zugleich über eine weitere Entdeckung berichten, nach der unser Poet 1667 auch den Herzog Christoph von Württemberg belästigte. Graf Ulrich von Helfenstein ist derselbe, welcher L. Culmann 1666 auf Verwendung des milden Brenz in dem von Württemberger und Ulmer Gebiet um- schlossenen Wiesensteig anstellte vgl. über ihn und seinen Bruder G. Veesenmeyers schönen Aufsatz Von den Schicksalen der Evangel. Religion in Wiesensteig in der Sammlung zur Kirchen-, Litteratur-, Münz- und Sittengeschichte. Ulm 1827. S. 7 fT. 11, und H. F. Kerler, Ge- schichte der Grafen von Helfenstein. Ulm 1840. S. 142 ff. und Zeichen der Antheilnahme Herzog Christophs an Culmann finden sich wiederholt in der Brenziscben Correspondenz: s. Th. Presseis Anecdota Brentiana (Tübingen 1868) S. 416 ff. Nr. 226. 227 und S. 463 Nr. 267. Der -letzte Brief vom 22. Novbr. 1668 scheint sich auf unser Büchlein zu beziehen. Ein anderer, a. a. 0. S. 420 Nr. 232 bestätigt, dass Culmann schon am 12. April 1666 in Wiesensteig war.

Abchiy f. Litt.-Ob8CH. VII. 32

474 Wendeler, Lindener als üebersetzer Sayonarolas n. s. w.

yon Oettingen^ wie alt und wes Herkommens sie endlich seyn, auch wie sie im Heil. Rom. Reich gestiegen^ durch MiCHAELEM LiNDNERUM; poctam laur. et antiquitatis studiosum; aus alten Scribenten und Historien fleißig zu- sammen getragen. August. Vind. 1559. 4*®.

Dieses alte imd rare Tractätlein wird von vielen neuem Geschichtschreibem als eine Oettingische Pie9e recensirt, die viel fabelhaftes enthalte; es muss aber dieses nach der -Beschaffenheit damaliger Zeiten beurtheilet werden, darinnen man sich ein Vergnügen machte, den Ursprung der deutschen Häußer bey den Römern zu finden."

Ergänzend sagt Michel im H. Theile (1762), S. 1:

^ ,, Gedachter Lindner ist einer von denen ältesten deut- schen Historicis. Er hat noch mehrers geschrieben. Unter andern sind mir seine Loci Scholasticorum egregii, aureis uersibus et sententiis referti, insignibusque dictis scatentes 1557. 12. zu Gesicht* gekommen; ich besitze auch selbst einige von ihm ins Deutsche übersetzte opuscula Hier. Sauanarolae, die sehr rar sind: Von seinen Lebensumständen aber habe keine besondere Nachricht er- halten können."

Als Polemiker gegen Lindener wird S. 3 noch ein Leon- hard von Berkenstein, in einem MSC. von 1570 auf dem „Hochgräfl. Oetting. Baldr. Archiv" namhaft gemacht, welcher- ,,gar artig und umständlich'^ beweise, dass ^^es ein rechtes Ge- dichte, wann einige und Lindner zumalen vorgeben wollen^ das Haus Oettingen stamme von den Römern ab'^

1560 setzte Lindener seine Uebersetzung Savonarolas fort: zu „Nürnberg bei Christof Heusler" erschien in diesem Jahre sein oben besprochener ,,guldiner griff der gantzen Heiligen Schrifft" und 1561 bei demselben der ,,bericht Vom gewalt vnd ansehen der Obrigkeit".

Als er zuerst „etliche Exemplar des hayligen manns Hie- ronymi (Savonarola) zu verdolmetschen für die faust nam'^, 1557 oder kurz vorher, war er dazu zweifelsohne veranlasst

* Wol in München^ wo W. Scherer die Schrift- gesehen.

Wendeler, Lindener als Uebersatver Savonarolas u. s. w. 475

durch das Beispiel des ,,Bartholomeus Amantius*^ bejder rechten Doctor vnd Kayserlichen Poeteii; Auch ChurfQrstlichen Pfälzischen vnd Marggräflichen Radts, der zeit zu Laugingen^', welcher ,^er Durchleuchtigen ... Frauwen Aemilia^ Matg- gräfin zu Brandenburg . . . Im hauß Onoltzbach wonende Witwe" u. 8. w. die „Kurtzeliche, | doch grundtliche außle- j gung deß heiligen Vatter vn- 1 sers . . . durch . . . Sauo- 1 naro- lam ... I M.D.LVI. | '* 8®, am Ende: „Getruckt zu Laugingen, durch I Michael Mayer.** |*' widmete. Dieser Fürstin Sohn, den Markgrafen Georg Friedrich, hatte Lindener ja schon 1552 mit der Schrift des Feurelius behelligt*** und dann vor 1561, nach seinen Auslassungen in der Widmung an den Decan die „Ver- sion auß dem Griechischen, inn das Latein Antiocheni, declamatoris olim Graecise, et D. Chrysostomi Prae- ceptoris" zugeschrieben, „. . . darüber ein beschwerung der Sprach vorgewendet wardt, vnnd ist etwan nit recht ver- standen worden": er hat sich also hier wol um Gunst- bezeugungen ä la Amantius bemüht ob mit Erfolg, bleibt fraglich. In den „Katzipori" Bl. K 8^ klagt er: „yetzundt zu

* „Ich (bin) vor acht verschinen jaren durch E. F. 6. Herren Sun, Marggraff Georgen Friderichen zu Onoltzbach, mejnem Gnedigen Fürsten . . . mit einem ErHchen Järlichen Stipendio von Feuchtwang herrierend, mein lebenlang . . . begabt", sagt er a. a. 0. Bl. A 2^ ff. „Bin also bewegt worden die außlegung des . . . Vatter vnsers so . . . Sauo- narola ... Lateinisch gemacht, ... in die teutsche sprach zu uer- keren**, Bl. A 7*. „(Ich) bin von . . . Philippo Melanchthone , meinem . . . praeceptore . . . ermant worden, dise in den druck zu geben . . . hat sich biß hero nit wollen schicken, biß ich gehn Laugingen kummen, vnd alda ein drucker auß gnaden des . . . Oiho Heinrichen Pfaltzgrafen bey Bein . . . erlangt", 61. B 1*. Ueber diesen aus Landsberg stammenden, nicht unbedeutenden Mann s. Joach. Dellingers Gelehrte Männer aus Landsberg (Aus d. Oberbayer. Archive XIV), München 1853, S. 18 ff. ** Cs 6630 in B^lin; dort auch eine zweite Ausgabe von 1661. *** Interessant sind die dem Hofmeister der beiden Pommerscben Fürstensöhne 1663 mitgegebenen Instructionen wegen der Zudringlich- keit der Autoren, s. von Medem a. a. 0. S. 17; über Geschenke an Pro- fessoren und deren Grund a.a.O. S. 37 ff. 41. Erwähnenswerth ist auch, dass die studierenden Jünglinge zu Ehrenrectoren gewählt wurden (a.a.O. S. 65 ff 57 ff.), wobei es doch hauptsächlich um Abdankung und Schmaus zu thun war: a. a. 0. S. 75 ff.

32*

476 Wendeler, Lindener als üebersetzer Savonarolas u. s. w.

ynsern zeyten die kunst nacli Brot ynnd schier bätein geht, deutsch daruon zu reden! "

Die unberücksichtigt gebliebene Schrift kann doch wol nur eine üebersetzung des Rhetors Libanius sein z.B. heisst es auf dem Titel eines Lindener wol nicht unbekannten Buches: „Libanii greci declamatoris disertissimi beati Johan-|nis Chrysostomi pr^ceptoris epistolg: cum ad- iectis Jo { hannis Sommerfeit argumentis et emendatioe et ca- 1 stigatione clarissimis. | Hexastichon Johannis Speiser forhe- mensis | in Libanii anthiocheni declamatoris epVas | ...'', unter der Widmung J. Somerfeldts (!) an „Mathias drebicius regni Poloni^ ..: vicecancellarius": „Cracouie ... Anno ... 1504", in 4®* , umsonst aber habe ich mich nach ihr auf Bibliotheken und in bibliographischen Handbüchern umgesehen. Da man auch Werke im Manuscript um ihre Drucklegung zu ermöglichen damals noch zu dedicieren pflegte, wie die vorhin erwähnte üebersetzung des Amantius von 1556 mit einer Dankepistel der Markgräfin Aemilia für „Ewer schreiben sampt einem Büchlin der außlegung deß Heiligen Vatter vnsers . . . jetzo in Teutsche sprach von euch tranßferiert, mit einer Vorrede vns zugeaygent vnnd vberschickt" vom 13. Decbr. 1554 beweisen mag von einer früh er n Ausgabe ist wenig- stens nichts bekannt** ; so mag das Opus Lindeners unge- druckt geblieben sein, zumal „dasselbe etwan nicht recht ver- standen worden", der Autor auch schwerlich des Griechischen genügend kundig war. Im „Rastbüchlein" Bl. A 6^ gesteht er jti offenherzig: „ich den Aristotelem gestudirt vnd gefressen, aber nit verdeüet het".

Ausser dem gleich Anfangs erwähnten fliegenden Blatte von 1561 ist mir sonst nichts weiter von Lindenerschen Pro-

* => Vy 5920. 4 in Berlin. Ueber die Ausgaben des Libanius han- delt Hoffmann, Bibliogr. Lezicon IP, S. 518 ff.; Fabricius, Bibliotheca Graeca. üeber ihn selbst s. G. B. Sievers, Das Leben des Libanius. Berlin 1868; über seine Beziehungen zu Johannes Chrysostomus dort S. 316. Vgl. auch A. Neander, Johannes Chrysostomus P S. 14 ff. 17.

** Ein absolut sicheres Beispiel bietet dasMsc. von Lindeners Namens- vetter auf der Leipziger Stadtbibliothek mit Dedication von 1529: n. Naumann a. a. 0. S. 136^.

Wendeler, Lindener als üebersetzer Bayonarolas u. s. w. 477

ducten bekannt: auf die im „Rastbüchlein" und in den „Katzipori" erwähnten oder verheissenen Schriften habe ich in der Zeitschr. für Deutsches Alterthum XXI S. 441 (Anip. 2) und S. 442 hin- gewiesen, vgl. auch Bobertag im ^Archiv" VI S. 135 und 136. Die „Dieta und Methodus fiir die guten Schlucker", welche er lateinisch „mitler zeyt in druck zu fertigen entschlossen war", wird aber kaum, wie hier vermuthet wurde, medicinische, sondern eben Sauf- Vorschriften enthalten haben nach Art der ,^Regulae potatorum AVTORE EBERHARDO potatore maximo, qui fuit Schweinhardi frater" am Schluss der „Katzi- pori" Bl. b 6*. Auch das ebendort Bl. b 3^ fiF. meines wissens zuerst vorkommende „gute Magenpflaster für die, welche eine durstige Leber haben ", das nicht unbekannte Lied „Vi- num quse pars Verstehst du das" (Hoifmann von Fallersleben, In Dulci Jubilo ^ Hannover 1861, S. 105 Nr. 44-, Fischarts Gargan tua 1590 S, 171) dürft;e eine Probe daraus und also von Lindener sein. Allerdings citiert er medicinische Schrift- steller, z. "B. a. a. 0. A 5^ S. „den heyligen Propheten Galenus vnd seine liebe Schwester Hypocras, der einen Bawren fraß, vnnd Auicenna" aber ebenso auch Juristen, wie (A 7**) „den frommen Baldus, den Vocabularium vtriusque Juris" u. a., und wer in dieser Beziehung die Sitte seiner Zeit kennt, wird daraus keine Schlüsse ziehen. Freilich hat man wegen seiner medicinischen Arbeiten vor nicht zu langer Zeit selbst den Juristen Fischart noch für einen Mediciner gehalten!

Ueber die mögliche Identität der „Chronica für den ge- meinen Man vnd einfaltigen Leyen . . . von anbeginn der weit", so noch nicht aufgelegt, mit dem „Opus Chronicorum" ist bereits oben gesprochen; damit stehen sicherlich auch die in der Widmung an den Decan des Stiffts Onoltzbach er- wähnten „Antiquitates Historiarum, die er mit grosser mühe zusammen getragen" und die „Genealogiae et stemmata* viler

* Ich kann mir nicht versagen hierbei auf eine Stelle von (C. Gea- neri) Bibliotheca . . . amplificata per Johannem Jacobum Frisiam Tiguri- num (Tigvri 1583. 2°) in der Appendix S. 834» hinzuweisen, wo es heisst: Joannes Fischabtus dictusMenzerJ.V.D. Et autiquitatum diligen- tissimus indagator Genealogias omnium fere principum Germa- nisB conscripsit^ nondum quod sciam editas. . . . Scripsit item alia

478 Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas u, s. w.

Fürsten vnd Herren" in Verbindung, von welchen die von Michel besprochene ,,Antiqmtat und Ursprung der Grafen von Oettingen'^ eine Probe sein mag.

Dass die gleichfalls bereits angezogene ^, Chronica. | Des . . . I Herrn Friderichen, Landgraffen in Duringen, | Marg- graffen zu Meychssen etc. . . . | des ersten ehrliche Geschieht vnd thaten. | Durch Johann Gerson von 6ono-|nien . . . | . . . beschriben, vnnd volgendt | verdeutscht ... | Nürnberg. M.D.XLVI.'' I in 4^, am Ende: „Gedruckt zu Nürnberg, | durch Johann | Daubman*. | M.D.L. | " auch eine Arbeit Michael Lindeners sei, wie ich lange Zeit glaubte annehmen zu müssen, wird schwerlich richtig sein. In der an „Johann Friderich, Hertzog zu Sachsen . . . Churftirst, Landgraff inn Düringen vnnd Marggraff zu Meychsen ..." gerichteten Vorrede sagt zwar der unbekannte Uebersetzer, er habe „Verwunderung ge- tragen", dass das Büchlein des Johann Garzon „bey vns Meychßnern" (A 2^) „nicht auch bekanndt sein solt vnnd demnach mit dem . . . Georgio Spalatino**, Superattendenten vnd Pfarrherr zu Aldenburg, rede vnd handelung gehabt": dieser habe jedoch die Uebersetzung abgelehnt und ihn dazu aufgefordert, „obwol sonsten diser zeyt gelehrter leut genug, die solchs baser vnd schickerlicher, dann ich thun mögen" (A 3*). Aber Spuren Lindenerscher Eigenthümlichkeiten habe ich nirgends gefunden, und was mir besonders dagegen zu sprechen scheint die Berliner Bibliothek besitzt noch eine

plura, quse aut euppresso sao nomine aat permntato edita sunt. Wenn vielleicht nach Lindeners oben genannter Schrift gesucht wird, bitte ich FiscHARTB gedruckte oder handschriftliche Geihsalooien nicht zu vergessen. Ich vermuthe, die von Frisius gemeinten werden zur deutschen Bearbeitung von des Wolfg. Lazius Schrift De Gen- tium migrationibus gehört haben, von der W. Crecelius in Birlingers Alemannia I, S. 113 ff. die Wolfenbütteler Fragmente herausgegeben.

* =B Sr 1410 in Berlin, auch auf dem Germanischen Museum in Nürnberg. Ich will hier noch bemerken, dass die Typen dieses Drucks mich früher bestimmt haben, die Eatzipori von 1568 als Erzeugniss der Daubmannschen Presse anzusehen.

** Dieser hatte bekanntlich eine „Chronica . . . des lobl. Haus zu Sachsen'^ 1641 zu Wittenberg herausgegeben: s. Eichsfeld, Wittenberg. Buchdruckerjubiläum S. 108.

Wendeleiy Lindener als Uebersetzer Savonarolas u. s. w. 479

frühere Ausgabe derselben Uebersetzung ^,Des Durchleuch- tigen, I ... I Herrn Fridrichen, Landtgraffen inn Düringen | . . . thaten. | . . . vol- 1 gent verdeutscht , . . | Nürnberg M.D.XLVI | *', ebenfalls in 4*^, am Ende: ^^Getruckt zu Nürmberg, durch Johann vom | Berg, vnd Virich Neuber, wonhafft auffm | Newenbaw bey der Ealckhütten^^ welche den Druck Daub- manns von 1550 als Nachdruck kennzeichnet und nicht einmal die .Möglichkeit bestehen lässt, dieser aus Torgau in Sachsen gebürtige. Drucker, welcher auch sonst historische Arbeiten für seine Officin selbst ausführte, sei der Uebersetzer. Als Beispiel einer solchen nenne ich seine „CHRONICA. | Eurtzer Außzug I der Preussisch^i Chronicken, | von dem Jar 1200. bis auflF die jetzige | vnsere zeit ... Im Druck verfer- 1 tigt, durch jrer F. D. Buchdruckern | Johann Daubman, 1566.{'' in 4^

Aufgemuntert hat Daubmann aber jedesfalls Lindener zu seiner „Chronica für den gemeinen man vnd einfeltigen Leyen^' die bei ihm in Königsberg 1569 erschienene, einen ähn- lichen populären Zweck verfolgende „Chronica. | Das ist | Beschreibung der | fümembsten gedechtnuswirdigen | «storien . . . Anfangs der | Erschaffung aller sichtbarlichen dinge, biß auff diese vnsere gegenwer-jtige letzte zeit ... in artli-|che Teutsche Reimen gebracht j Durch i Johann em Hasen- tödter . . .", in 4?, will nach der Vorrede Bl. ? 3** ,',allein für den gemeinen Mann vnd die schlechten Leyen, die es nicht besser haben können, verfertigt vnd an den tag geben '^ sein.

Eaum gedruckt ist endlich das von Lindener noch 1561 verheissene Tractetlein „voun dem Vrsprung vnd Namen der Stette in Germania'^, das nach seiner Angabe „vil herrlicher gelehrter Leute begeren zu lesen". Der 1543 in Wittenberg inscribierte Wolfgang Jobst, später Dr. med. und Professor zu Frankfurt a. 0. (s. Förstemann, Album Vit- tebergense S. 205^), widmete aus dieser Stadt „dinstag nach Thome Apostoli Anno 1562", also etwa ein Jahr nach Lin- deners verlautbarter Absicht, den „Herren Bürgermeistern vnd Radtman der Löblichen Stadt Lünenburgk" ein ähnliches Schriftchen: „CHRONOLOGIA | Von erbawung vnd an-|i.unfft

480 Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas u. s. w.

etlicher namhaffifiger Stedt^ | Schlosser ynd Kloster vor vnd nach der | geburt Christi , kürtzlich vor- 1 zeichnet vnd zusam-| men gezo- 1 gen. | Durch Wolffgangum Jobs- | ten, D. | Anno 1563." in 4°, am Ende: „Gedruckt zu Leiptzig, Durch Ja-|cobuni Berwaldt", ohne weder in der Vorrede noch BL M 1* im Register der Scribenten seines etwaigen Vorgängers Lindener zu gedenken. Das Buch scheint viel gelesen zu sein; 1564 erschien eine zweite in 8^ und 1575 sogar eine dritte Ausgabe^: auch Fischart hat dasselbe fieissig ausgezogen. Lindener ist also wol mit dem seinigen nicht zu Staude ge- kommen^ und i^ir erfahren vielleicht auch noch einmal warum, wenn ein glücklicher Fund den Schleier von seinen letzten Lebensjahren zieht.

Zum Schluss lasse ich hier als grossere Probe seiner wenig ansprechenden lateinischen Poetasterei das mehrer- wähnte Epinicion ad Leonhardum Gulmanum aus dem einzigen mir bekannt gewordenen Exemplar folgen.

INter honoratos uir non reticende patronos

Norica quos apto rura decore colunt, Uic* ubi uempe fluunt humidsB Pegnesidos undsa

Atque suis omant fluctibus urbis agros, QusB uiget extremis animosa potenter in oris , 5

Iste rainosi quas sitae orbis habet. Talis enim semper, si qais modo secla reuoluat,

Qualis et in simili nee fuit ulla st&tu: Qu8B multis etiam reliquis est dotibus aucta,

Quo celebri cunctis nota sit arte plagis. 10

Insignes ideo genuit uirtutis alumnos

Quorum Palladise fama probata Dese; Qai uariis ipsam celebrarunt laudibus urbem,

Posset ut illustri uix minor esse scbola. Nostris idcirco fertur clarissima terris, 15

Cujus causa rei non aliunde uenit: Sedula fautores nisi quod pietate colendos

Thespiadum solida fouit amanter ope. Vnde per omnigenas huins laus fulgida gentes,

Nulla qusB poterit fraude perire mali. 20

Quam uates alti descripsit nominis Hessus

Primus ApoUinei qui solet esse Chori,

* Sämmtlich in Berlin.

3—6: vgl. vorher 8. 402 V. 7 ff. Lindener benutzt sich selUt!

Wendeler, Liodener als UeberBetzer SavoDarolas u. s. w. 481

Cujus ego modulando sequor uestigia cantus,

Illius ut didici psallere Tyro modis: [B1.C3^] Quum me praeteritis docuit prseceptor in annis, 25

Cui debet tenerum quicquid acumen habet. Sed saus est, alio meditabor id omine rerum,

lam loquar oraatum pastor amande tuum. Et cito perficiam, de quo breue scribere Carmen

Hactenus incaepi, quod tibi munus erit. 30

Quäle Nouenarum cupiunt dare turba sororum

QuaB Sacra pamassi limina montis amant, Quse grauium recitant adeo monumenta uiroruni,

Omnibus ut fiant hsec manifesta locis: Ex harum fluidos ego lambi fönte üquores, 35

De quibus hsec modici gutta saporis erit. Quam tu Pierias uir semper alende per artdis

Velles arbitr\j mente uidere tui, Dum tua sit (veluti nosco) sine labe uoluntas,

Quse bene Castalio uelle parata gregi. 40

Quem uerum potero Nympharum dicere patrem,

Cum iuuat Aonias pronus ubique domos: Vt sua testantar studii primordia passim

Quse florent ipso magna sub axe satis Ac alios uigili taceo sudore labores, 45

Quos plus in uerbi dogmate pastor agit! Ssepe quod explanat melionbus undique scriptis,

Omnia doctrinae sint ut aperta phrasi, In quibus auxilio rudibus solet esse ministris

Qui minus heec proprio cemere marte queunt. 50

Viuito Nestoreos igitur Culmanne per annos,

Nobile qui Pindi culmen in ore geris! Vnde tuum primae puto nomen originis ortum,

Si quadrant satis singula uerba suis. Quod probat euentus, mihi si quis credere nollet, 55

Hujus quique rei testis adesse ualet. [Bl.C3^]Vt Momi faciunt, fera quorum iingua uagatur

Atque nihil laudat ni quod amare cupit: Turpiter ex omni ludit quse parte quod exstat.

Cujus et a morsu nemo nee hospes abest. 60

25. DasB Eobanns Hesse etwa sein Lehrer gewesen, wird hieraus nicht zu Bchliessen sein: dieser starb schon 1540 zu Marburg. In den Katzipori gedenkt er übrigens des „trefflichen Poeten" ebenfalls Bl. 0 6^ ff. Meister Cüntze, der gute Groll, der nachher „zu Scheüditz Schül- m'eyster gewesen", legte ihm in Nürnberg (Bl. 0 7») seine Klipfei- verse vor.

482 Wendeler, Lindener als Uebenetser Savonarolaa u. a. w.

Quid prodest autem res carpere clade bonoram

£t Rhodiis Phoebi ponere dona focis? Qui facit hoc similis ThersitsB dicitor esse,

Optans ingenio cuncta ferenda suo. Pro quibns ecce graues maleiactis improbe poenas, 65

Crede mihi, stygio captus in amne dabis! Mores ergo stude monitus uitare caninos,

Nam malus his semper spiritns author adest. Pestiferam potius memini damnare Mephitim

Molliter effrsBnis quam quoque Bachus alit, 70

Et Veneris Paphio sandtam carmine Pompam

Lubrica quam summo terra fauoi*e tenet. Sed ualeat Bauius ueterom quem secula damnant,

M(a)euiu8 in cuius foedere prauus erat: Nobis inuideant loca dum sublimia Solis 75

Foelices etiam sorte uolente petant! Interea niteat doctorum fama uirorum,

VUa quae nescit cum ratione mori Hornm maius enim snrgit post funera nomen,

lila quod eximio tempora fiore ferunt! 80

Sic Studium nuUoque tuum uiolabile pacto

Crescet, nt hac semper laude perenne micet: Quam nee liuor edax potis est consumere, quanquam

Cuncta Theonino rodere dente putat! Quid nocet humanse reor esse propaginis usum, 85

Qui solet altemas ssBpe notare uices? Quilibet at nostrum fugiat contagia prolis

Qu8B uult egregios Isedere falsa gradus! [B1.C 4*] Impetus ex imo discedat corde furoris

Nilque uenenoso deuoret ore boni! 90

Lingua mali quamnis est inuitabile uirus,

Peius et affectse uulnere camis hiat: Erga quod fortes utemur Apollinis hasta

Istos qua tuti uincimus inde dolos! At mihi tu uita Leonarde propinquior omni, 95

lUud amicitiae pignus habeto mese! Quo tua Musa canit gracili prseconia plectro,

Clio tibi longos quse dedit ante dies Quo memor esse potes Lindnbri metra canentis,

Permessi donec fiuminis unda meat! 100

Zusatz L Nach dem Exemplar in der Dresdner Bibliothek fdge ich hier den Titel einer oben (8. 473) angeführten 8chrift bei, deren wörtlich mitzutheilende Vorrede sofort auf weitere Sporen von

Wendeler, Lindener als Uebersetzer Savonarolas n. e. w. 483

Michael Lindeners litterarischer ThStigkeit, und zwar aus der Zeit seines Wittenberger Aufenthalts 1557, führt.

3cüö!ttui I Äug ®otte§ tüort ün ©^rifftcn ber S^riftctilit^c lel^rern, i S). aKartin Sutl^er^, SSrban Slcgii, 3foI|ann | Sugcn^agcn, (Scorgctt 3Koior§, 5ß]^ili^)s|<)cn SWelan&totig flc^ogen, 833o^ bc^aJlcn^l f(f|cn qerecEitiöf cit fc^, önnb tüie ber ®ot= | log für ®ott föB froin önnb ßcrcci^t I tüerbcn: StDen froincn et)rt-|ftcn gut Sel^r önnb | mtfe gc^ ftettct. I ®ur(f| Sconl^arbt ©utman | öon ©räil§t)aim. | Gallat. 2. | SBir toiffcn, bag ber SKcnfc^, biird) | bic totxi bc^ ®fet§, nit geredet h)irt, I ©onbcr burcf}. ben glauben in Sefum | S^riftum. | 1558. (Ohne Ort oder Namen des Druckers. Sign. Stij Siij 4^.)

^ Die Vorrede lautet: „Dem Edlen Wolgebomen Herren, herren Vlrichen, Grauen von Helffenstein, vnd Freyherren zu Gul- delfingen [!], meinem gnädigen Herrn. EDler wolgeborner Graue, Gnädiger Herr, Ewren gnaden sein Gottes barmhertzigkeit, in sei- nem geliebte Son Jesu Christo, beneben meinen vnderthänigen vnd gantz willigen diensten alle zeyt beuor. Nachdem vor flirgangener [!] zeyt, der achtpar vn gelehrt Herr Leonhardt Culman, mein allter Patron, vnd wolbekandler frettndt, von dem ich vil guts wil- lens vnd wolthaten weylandt zu Nürnberg empfangen, ein Man der Ehren vnd Lehr mänigklich wol bekandt vnd erkandt (der zu Eegens- purg sage was er wolle) E. G. yetziger zeyt Superintendens vnnd Theologus, mir ein sehr schön bekantnus Gottes worts vbersendet vn schriftlich zugeschickt, das auß hochwirdigen vnd gelehrter leüten Schrifften vnd' zeügknussen mit fleiß zusamen geordnet, Wel- ches, nach dem ich es vberlesen, vnd auch andere hohe wichtige Leute vnd Theologos hab sehen vnd Judicieren lassen, eie vor gut geacht, dasselbige zu publicieren, vnnd öffentlich in Truck zu- uerfertigen. Wiewol der gute Herr vor langen Jaren vil schö- ner Bücher geschriben, die der Jugendt vnd Kirchen dienen, vnnd sehr nutz sein, der wir etlich vil tausent gedruckt, vnd wol verkauft haben, die gantz Teütschlanden auch wol beVafldt, vnnd das wercMein meines Cöraendierens mit nichte bedürfft,

Sij Hab ich

Hab ich aber nicht wölln vnderlassen, ein Vorrede in das zustellen, vnd am meysten von der vrsach wegen, auf das ich E. Gnaden be- kandt wurde, wie ich dann diß Jar darumb meinen weg auff Wy- sensteg genomen, da ich dem durchleüchtigen hochgebornen Für- sten vnd Herren, ,herren Christoffen von Würtenbergk, das Betbüchlein des hochlöblichen seligen Churfürsten von Sachs sen, zugeschriben vn vberantwort habe, E. G. geschlechts vnd Stams Antiquiteten vnd vrsprung züerkunden, ¥rie ich mich dan doinals bey dem aUten Herren Wellero fleyssig befragt, wel- cher nachdem er mit kranckheit belade, mir nichts gewiß hat kün- nen anzeygen, vn mich allein in das Thurnier buch gewisen/ der

484 Wendeler, Lindener als Uebersetzer Sayonarolas u. s. w.

ich wol bedÜrfftS) vnd mir in meinem fürhabenden werck dienstlich wären, vn nit vbel zierete, des Titel ist, Volumen historiarum de principibus et Heroihus Germaniae. Derhalbe Edler wolgeborner Graf, gnädiger Herr, so etliche allte Monumenta, E. 6. Stam be- langen, auch zuuor in Büchern oder Antiquiteten gedacht, noch ver- banden wären, wollen E. G. mir dieselbigen gnädigklich mitthejlen, vn bey dem Herren Leonhardt Culman vbersenden lassen, Das will ich vmb E. G. allezeyt willig widerumb wol wissen zuuer- dienen.

E. Gnaden sein in den schirm des aller höchsten in seinem Sone befolhen. Gegeben auff den 25. Martij, Anno M.DXviu.

E. G.

williger

Michael Lindener Poeta L. Das Bnch:

©cbötl^ I S)®g ipod^IöbIi(^cn | ©^urfürftc, faliöcr gcbed^tnuä, So.- l^an gribcridie | ^erfeog ju ©ad)ffcn, önb | fcin^ E^urfürft. ©mal^cl^ I aud^ jrcr @önc, \ampi an= | bcrn ®^riftli(f|cn ^ßfalmcn, 1 bic fic iin braud^ gehabt | jüböt^cn. Surd^ | 6incn SBoIgcIc^rtcn j 5ßoctcn, ^cfeuubt nctülid^ in | %x\xi gcorbnct. | aRat^. vij. | 83ittct, fo toirt cud^ gegeben. | @u(^et, fo inerbt jr finbcn. | SBittenberg, 1Ö57. (Ohne Namen des Druckers; Sign. Stij ^v 12^) enthält eine an Herzog Christoph zn Würtenberg gerichtete und „M. L. P." unterzeichnete „Vorred", in welcher man erföhrt, dass der Verfasser ein ander Mal von gewissen leichtfertigen Pro- phezeiungen, sonderlich von den Prophezeiungen zur Zeit Constantini, des grossen Eeysers, die vor 1249 Jahren gestellt worden und zuvor nie gesehen und an tag kommen seien, handeln und schreiben wolle, und dass er Sr. Fürstlichen Gnaden „als ein vnbekanter vnd frembder, dises Bethbüchlin hab wollen zuschreyben vnd dediciern", „nach dem'* S. F. G. „der waren erkändtnus der Beligibn in dem Son Gotes beistehn, dieselbigen fördern vnnd lieben, vnd darumb von allen Gelerten leüten weyt vnnd brayt hoch gerüh- met werden". Dieselbe Vorrede findet sich mit der Unterschrift „M. L." in dem Drucke derselben „Gebet", welcher zu Nürnberg bei Katharina Gerlachin vnd Johanns vom Berg Erben 1581 in 12^ erschien, unter einem Titel, der im übrigen gleichlautend ist^ aber an die Stelle der Worte: „Durch einen Wolgelehrten Poeten" u.s.w. setzt: ;,mit fleiß zusammen getragen".

Schnorr von Carolsfeld.

Zusatz II: s. in don Nachträgen am Schlüsse dieses Bandes.

Aus G. Kestners Briefsammlung.

X.

Lessing. Neb*t einem Anhange Goethe und Goue

betreffend.

Mitgetheilt von Robert Bozberger

Wolfenbüttel, den 16. December 1776 * Vor allen Dingen, liebfter Freund, danke ich Ihnen und Ihrer lieben Frau für den gütigen Antheil, den Sie an meiner Veränderung nehmen. Meine Frau empfiehlt fich Ihnen auf das Herzliehfte. Und nun, um nur gefchwinde auf den übrigen Inhalt Ihres Briefes zu kommen, muß ich Ihnen geftehn, daß, wenn ich mir nur im Geringften vorftellen können, daß Ihr Mißvergnügen in Dresden fo groß fei, Ich Ihnen fchon längft von mir felbft Eröffnung über die Manheimer Angelegenheit gemacht hätte. Ich habe fie ganz allein in Händen gehabt und habe fie noch fo in meiner Gewalt, daß ich boffen darf, daß Ihre Anträge nicht umfonft fein foUen, Mutatis mutan- dis (denn in Parenthefi gefagt, an unferm Hof ift nichts zu thun, weil man für inftehende Meffe fich wieder mit Bur- telli eingelaffen, wie Sie dort wohl werden gehört haben). Nur zwei Dinge müßte ich Ihnen wegen Manheim voraus- fagen 1) daß fich die Sache müßte bald thun laffen, denn, da das Haus nun fertig iftj fo möchte man auch gern fobald als möglich Schaufpieler darin. 2) aber durchaus ieine mufi- califche; denn da man nunmehro auch da angefangen, deut- fche Opern aufzuführen, fo bleiben die muficalifchen Schau-

* [Diese Abschrift hat der Schauspieldirector A. Seyler in einem Briefe vom 24. December 1776 aus Dresden dem Schauspieldirector Groß mann mitgetheilt.]

486 Aus Kestners Briefaammlung. X.

fpiele gänzlicli für das Opemtheater. Inwieweit Ihnen nun diefe Punkte anftändig fein können, mochte ich gern von Ihnen im Voraus wiffen, ehe ich Ihnen Tagen konnte , was weiter dabei zu thun fei. Freilich dürften Sie deßwegen Ihre muficalifchen Acteurs nicht gehen laffen, und wer weiß, was lieh für ein Medium deßfalls treffen ließe. Indeß will ich doch mit erfter Foft (ich bedaure nur, daß es nicht ehender als künftigen Donnerftag gefchehen kann) an Herrn Groß- mann in Frankfurt fchreiben und ihm einen Brief an den erften dortigen Finanzminifter Baron y. Hompefch, auf den alles ankommt, beifchließen, und Sie vorläufig darin auf das AUerbefte empfehlen. Alle andern Adreffen würden Ihnen nichts helfen. Ich reife mit Ausgang diefes Jahres ganz gewiß noch felbft nach Manheim und von da aus können wir um fo viel gefchwinder Alles aufs B'Cine bringen.

Leben Sie indeffen recht wohl, befter Freund, und fein Sie verfichert, daß ich mich freuen werde, das Geringfte zu Ihrer Zufriedenheit beitragen zu können.

Ihr Freund

Leffing.

Anhang.

Zur Goethe-Biographie.

Goethe erzählt in „Wahrheit und Dichtung" von seinem Wetzlarer Aufenthalte (Hempelsche Ausgabe XXI, S. 82): „In dieses Ritterwesen verschlang sich noch ein seltsamer Orden, welcher philosophisch und mystisch sein sollte und keinen eigentlichen Namen hatte. Der erste Grad hiess der üeber- gang, der zweite des Uebergangs üebergang, der dritte des Uebergangs üebergang zum üebergang, und der vierte des uebergangs üebergang zu des uebergangs üebergang. Den mystischen Sinn dieser Stufenfolge auszulegen war nun die Pflicht der Eingeweihten, und dieses geschah nach Massgabe eines gedruckten Büchelchens, in welchem jene seltsamen Worte auf eine noch seltsamere Weise erklärt oder vielmehr amplifizirt waren.'' Da auch der gründliche Goethe-Kenner

Aus Kestnera Briefsanunlung. X. 487

T. Loeper in seinem vortreflFlichen Commentar zu ^Wahrheit und Dichtung" (Hempelsche Ausgabe XXI, S. 326) über dieses Büchelchen schweigt, so wird es den Goethe -Freunden will- kommen sein, eine Mittheilung über das in Ge. Eestners Be- sitz befindliche Exemplar zu erhalten. G. Kestner bemerkt, dass es Yon t. Gou^ verfasst sei, und citiert dazu: cf. „Gelehrtes Hannover" von Botermund. Das B&chelchen ist in Sedez und führt den Titel:

Der hoeere Ruf.

(Vignette.)

Gedruckt bei Georg Ernst Winkler.

(1. Blatt.) Visu carentem magna pars veri latei

Seneca.

(2. Blatt.)

(Vignette.)

Der üibergang.

Wee dir, wann du keinen üibergang kenneft. Einen«

kauft du nicht vermeiden, aber difen haft du mit iedem Tor

gemein. Wann dir in der Feme ein Zirkelzuindiger Stral

leuchtschimmert und du zurückpraffelft, dann find alle er[d]klos-

ftralende Steine brodkruimigte Atome in den Ozean geftamft. G.

(S. 7.) Des üibergangs Üibergang. Gee uiber! und wohin? zittre Torenmaefiger dich zu ent- wickeln. Du geft uiber Menfchgebildeter. Was hilft es dir, wann du nicht wider deine fchlaffe Nerven durch iene aro- matifche Befeftigungen erhebft und ftark wirft, dich in den Sturm eingehauchter Strudel zu ftuirzen, aus dem du ins Ganze gezogen wirft. G.

, (S. 9.)

Des Üibergangs üibergang zum üibergang. Du kanft ein Adler fein; die ftralenhauchende Wolken naeer kennen als alle andre tifer in die Atmosfaere geblafene Klumpen, in deren Bezirk ein raßlender Feuerball fich wael- zend bestaubet. Es bleibt etwas fuir dich aufgeftemmei Wag es enzuindungsYoll das Hoeere einzuatmen. Was denkft du von dem Feuerduft? kannft du in gewoenen? dann, dann

488 Aas Kestners J

lachft du des Staubes. Nicb du bald wirft kennen lernen, gang zu des Uibergaugs l

Dann folgen in demselbe zeichnete Sachen.

Auch das nachstehende G ist wahrscheinlich von 6ou< larischen Papieren erst später

(Ein Octavblatt, gebroche Herr Bräutigam

Zum letztenmal grüß diel fchaffner Junggefellen. Was Fällen? Ich wills in Dein wünfchen, was Du willft. N Freundes Wunfeh erfüUft, dei voll Ungeduld entgegen fchaui Geh, frage Deine Braut; . •wohl verftehen.

Unter die in Kestners ,,6o der 2. Auflage mitgetheilte S geschrieben:

Lotte gu Am 17. J

Ilngedruekte Briefe von Wieland.

Mitgetheilt von

Ludwig Hirzel.

Die hier folgenden Briefe Wielands stammen aus dem Nachlass Salomon Gessners und sind als eine Ergänzung der Züricher Sammlung von Wielands Briefen zu betrachten, diiB seiner Zeit in der Meinung veranstaltet wurde ; dass das geschäftliche, die Entstehung wie die äussere Herstellung von Wielands Schriften betreffende ohne Bedeutung und ohne Interesse für die Nachwelt, für die Freunde des Dichters wäre. Den veränderten Anschauungen der gegenwärtigen Zeit ent- sprechend bringe ich aus einer Menge von Briefen^ welche von Wieland in der Gessnerschen Familie noch vorhanden sind, gerade die geschäftlichen zuerst hier zum Abdruck. Dem- jenigen, der sich mit Wieland ernstlich beschäftigt, werden sie von Werth sein; wie sie denn auch in keiner andern Ab- sicht veröffentlicht werden als in der, zu einer noch zu schreibenden würdigen Biographie Wielands neues Material herbeizubringen. Die in Klammem eingeschlossenen Zahlen geben die ursprüngliche Numerierung der Briefe und Acten- stücke, nach welcher diese in der Gessnerschen Buchhandlung aufbewahrt wurden, und zeigen zugleich, dass auch die vor- liegende Correspondenz Wielands nicht mehr vollständig er- halten ist.

I. Geschäftsbriefe.

1. (1.)

A Messieurs Messieurs Orell, Gessneret Compagnie celebres Libraires k Zürich, franco.

Meine hochgeehrtesten Herrn und wehrteste Freunde,

Ohngeachtet ich darüber besorgt bin, dass ich von der Aus- fertigung des 1. Tbeiles meiner poetischen Werke noch keine Nach- richt habe, so verlasse ich mich doch so gewiss auf dero Zusage,

Axomy f. Litt.-Gsbcr. VII. 33

490 Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hirzel.

dass ich biemit die Freyheit nebme Sie zu ersuchen, von denen mir zuständigen 160 Exemplaren 22 an Hm. Bronne r Buchhändler in Frankfurt und 100 an Hm. Beich in Leipzig, in meinem Nah- men, franco. (auf meine Rechnung) mit den Messwaren abzuschicken. Sejn Sie so gütig und lassen Sich die Beschleunigung davon angelegen seyn; ich meines Orts bin Zeit her, wegen der unglücklichen Division, in die unsre ganze kleine Republic über eine Prediger -Wahl ge- rathen, und der unendl. Chicanen, die uns xmser Gegentheil noch bis diese Stunde macht, mit Arbeiten, Pro memoria, Decreten, Pro- tocollen, Berichten nach Stuttgardt, und Wien, Bepliquen und Dupliquen so überladen gewesen, dass ich kaum Atfaem holen konnte. Dessen ungeachtet werde ich Ihnen in Kurzem eine Probe geben, dass ich unser engagement nicht aus den Augen lasse. Ich habe die Ehre mit ausnehmender Hochachtung zu seyn, meine verehrtesten Herren und Freunde

Dero Biberach, den 4. Sept. 1761.

ganz ergebner Diener

Wieland.

P. S. Wenn Sie Gelegenheit haben etwas nach Stuttgardt zu schicken, so belieben Sie unter der Addresse des Hm. Prof. Volz auch 10 'Exemplare franco dahin zu senden; wo nicht so schicken Sie mir die nach Abzug der Frankfurtischen und Leipzigischen an 160 übrigen Exemplare gelegenheitl. hieher.

2. (2.)

Hoch geehrteste Herren

Mit äusserstem Missvergnügen warte ich von Woche zu Woche, Ihrem so oft widerhohlten Versprechen nach, endlich etwas von meinen poetischen Werken zu sehen, ohne diese Stunde jemals zu erleben. Da ich nun nicht sehe warum Sie in diesem Stücke privi* legirt seyn sollten, so wäre ich allerdings befugt die Bedingungen unseres gemachten Contracts ebensowenig zu erfüllen. Ich will aber hoffen, dass Sie endlich «elbst anfangen werden zu begreiffen, dass es weder billig noch anständig war, mich durch eine Reyhe von Versprechungen, die nicht gehalten würden, in die unangenehmsten Schwierigkeiten zu verwickein, die ich durch nichts hätte ausweichen können, als wenn Ich Ihren so positiven Versprechungen nicht ge- trauet hätte. Ich sende also nichts desto weniger den 1. Theil mei- ner prosaischen Werke und bitte dagegen nur durch den Constanzer Bot^n mir unverzüglich ein Exemplar meiner Moralischen Briefe zu schicken, indem ich hier keines auftreiben und also desselben Coirection nicht vornehmen kann. Vom Shakespear wird die

Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hirzel. 491

Fortsetzung folgen, wenn ich wegen des 1. Th. meiner poet. W. gewiss wissen werde woran ich bin. Glauben Sie indessen, dass die Klagen ,' die ich über Ihre Compagnie zu führen gezwungen bin, der- jenigen Hochachtung und Freundschaft nichts benehmen, womit ich gegen jedes einzelne Glied derselben stets beharren werde

Dero

Ergebenster

Wieland. Biberach den 23. Oct. 1761.

3. (6)

Mein welirtester Freund!

Könnten Sie nicht mit dem Hrn. Wolf einen accord treffen, kraft dessen Sie ihm für einen jeden Druckfehler, den er stehen liesse, etwan eine piecette abzögen? Er würde dadurch entweder sorgfältiger oder sein Antheil an den Vortheilen Ihrer Handlung würde sehr gering werden. Anstatt ein paar Blätter umzusetzen hielte ich ohne Maassgab für besser in aller Eile bejgelegtes Ver- zeichnis der hauptsächlichsten Erraten abzudrucken und dem 1. Theil beyzulegen. Doch könnte beydes geschehen, und in diesem Fall in dem Verzeichnis der Druckfehler die nöthige Aenderung gemacht werden. Ich habe nunmehr wegen der Fortsetzung des Shake- spears meine letzte und unabänderliche resolution genommen. Die viele Zeit und die ausserordentliche Anstrengung die diese Un- ternehmung erfordert, macht es ebenso nothwendig als billig dass der Vortheil den ich davon habe in einiger proportion mit der Arbeit stehe. Da nun Ihre Handlung meine letztmals gemachte Forderung der 5 Louis für jede Piece zu oneros befunden, so habe solche ab- geändert und bin zufrieden, dass Sie mir, ausser den 12 Louis für jeden Theil k 3 Stücken , noch 50 Exemplare in albo abgeben. Auf diesen Fuss habe ich den Contract eingerichtet, den ich Ihnen hier- mit überschicke und welchen ich von Ihrer Societät unterschrieben zurück erwarte. Meiue feste Entschliessung ist, es bey den Condi- tioneU; die ich darinn mache, für bestäutlig bewenden zu lassen, aber auch auf weniger mich nicht einzulassen. Nur muss ich noch beyfügen dass der Punct der 12. Louis sich bereits auf den 2. Theil und die 50 Exemplare auch auf den ersten extendiren sollen. Das ürtheil, das Sie, mein Freund, von dem Agathen fällen, ist für meine Eitelkeit allzuschmeichelhaft. Aber was werden Sie dazu sagen, wenn Sie den Agathen oder vielmehr seine Tugend der be- zaubernden Verführung einer Danae unterliegen sehn werden. Es würde freylich der strengen Sittenlehre gemässer und an sich selbst erhabner, heroischer, Grandisonischer seyn, wenn er den Sieg er- hielte; allein ich wollte kein idealisches Modell machen. Obgleich

33*

492 Briefe von Wieland mitgetheilt von L. HirzeL

Agathon ein sonderbarer Mensch ist, so ist er doch ein Mensch; und diese Tagendhelden, die keine Schwachheiten, keine Begierden und kein Fleisch und Blut haben, sind bloss abstracto Wesen. Die Moralisten werden Über mich schrejen und ich werde ihnen unter die Nase lachen. Ich wundere mich nicht, dass etwas davon tran- spiriert ist, dass ich an einem Roman arbeite und dass er Agathon heissen werde. Es ist schon genug wenn meine Freunde thun als ob sie nichts davon wissen und wenn mein Nähme nicht vor das Buch kommt. Dieses ist alles was ein Autor nöthig hat um inco- gnito bekannt zu werden. Womit beschäftigt sich Ihre Muse, mein wehrtester Freund? Ich vergeh es Ihnen nicht, wenn Sie nicht fort- fahren Schauspiele zu machen. Es hängt nur von Ihnen ab, unser la Chaussee und unser Saint Foix zu seyn.

k propos, das Englische Wort, dessen deutsches aequivalent ich nicht habe finden können, ist nicht spider, sondern Spinner, spider ist bekannt und heisst eine gemeine Spinne. Spinner aber bedeutet, wie ich glaube, eine Art von ungifbigen Spinnen, die einen kleinen aschfarbnen Leib und sehr lange Beine haben und bey uns in Schwaben Zimmermftnnchen genannt werden. Ich habe im Linneus nichts davon gefunden. Der Hi*. Canonicus Gessner aber wird Ihnen vermuthlich die Auskunft darüber geben können.

Den beygelegten Accord erwarte unfehlbar bewilligt und unter- schrieben zurück. Ich will nicht viele Worte darüber machen, der Success des Werks ist keinem Zweifel unterworfen, und es ist billig dass der Vortheil nicht bloss auf derjenigen Seite sey, welche am wenigsten dazu arbeiten muss.

Ich bin wÜrkUch an Uebersetzung der Tempest begriffen, wo- von Sie bis Ausgang des October* das vollständige Msst haben sollen.

Inzwischen bitte ich Sie mich dero Hrn. Associ^s zu empfelen und der voUkomnen Freundschaft versichert zu seyn womit ich alle- zeit seyn werde

Dero

ergebenster

B. den 30. Sepi 62.

Wieland.

4. (6.)

P. P. Meine hochgeehrtesten Herren und wehrteste Freunde.

Ich übersende Ihnen hiemit Vier Aufzüge von dem Sturm oder der bezauberten Insel unsers Shakespears; der fünfte Aufzug soll nächstens folgen.

* W. hatte zuerst „Novemb.** geschrieben, was ausgestrichen ist.

Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hirzel. 493

Ich habe anierdessen den Gedanken gehabt, ob wir, insofern Shake- spear wohl aufgenommen werden sollte, und Sie Ihre Bechnung dabey finden, nicht künftig mit den schönsten Stücken von Ben-Johnson^ Fletcher, Sir John Sukling und andern von dieser Art, welche theils seine coaetanei gewesen, theils bald auf ihn gefolgt, und so wenig sie in Deutschland bekannt sind, so sehr es zu seyn yerdie^ nen, ein gleiches versuchen wollten. Sie können sich hierüber be- denken, da wir Zeit genug dazu haben, und wenn Ihnen dieser Ein- fall gefällt, Anstalten machen, dass ich von vorgedachten Scribenten die besten Ausgaben zur Hand bekomme.

Wenn Sie denken, dass es avantageuser für Sie sej, wenn der Shakespear schneller zu Stande kommt als nach meinem neulichen Vorschlag, so kan ich vielleicht wohl versprechen alle Jahre drey Theile zu liefern.

In dem dritten Theile, wovon Sie noch in diesem Jahre mehr als die Hälfte erhalten sollen, werden der Kaufmann von Vene« dig, Timon der Menschenfeind, und die h. Drey -Königs -Nacht oder Was ihr wollt erscheinen.

Weil der Termin vor der Thür ist, woran Sie vor einem halben Jahre sich anheischig gemacht, sowohl die übrigen 50 fl. für die übernommenen 100 Ex. meiner Poet, Werke, woran jedoch die an Hrn. Meister für mich bezahlten 11 fl. 18 xr. abgehen, als die aocor- dierten 12 Louisd'or für den 2. Theil Shakespear an mich zu Übermachen, so habe Hm. Faber und Comp, zu Mörspurg eine mit dem Termin Martini dieses Jahrs zahlbare Assignation auf 6 Louis neufs an dieselben zugestellt, welche seiner Zeit zu berichtigen, mir Selbst aber die übrige 6 Louis nebst denen restierenden 38 fl. 42 xr. wo immer möglich noch in diesem Monat und längstens bis auf den 3 Novemb. zuzusenden , angelegentlichst ersucht haben will.

Seyn Sie auch so gütig sich an unsre übrige seit einigen Jahren aus der Acht gelassene Angelegenheiten zu erinnern. Sie wissen, dass ich Ihnen bey meiner Abreise nach Bern einen beträchtlichen Bücher-Conto schuldig war, dessen Betrag ich aber nicht mehr weiss. Nachher machten wir wegen Araspes und Panthea einen accord, vermöge dessen Sie mir 6 Louis neufs baar bezahlten und 6 Louis sollte ich an Büchern von Ihnen empfangen. Seit meinem Hierseyn hab ich wieder eint und andere Bücher von Ihnen erhalten. Ich wünschte also dass Sie so gütig seyn und eine Bechnung hierüber machen möchten, damit ich wüsste, ob und wieviel ich von Ihnen allenfalls noch über die ged. 6 Louis an Büchern empfangen habe.

Ungeachtet ich Ihren Entschluss wegen meines letzthin über- sandten accord noch nicht weiss, so zweifle ich doch nicht, dass er meiner Erwartung gemäss seyn wird. Es müste nicht mit natür- lichen Dingen zugehen wenn der deutsche Shakespear nicht einen starken und immer zunehmenden Abgang fände, da schwerlich in

494 Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hirzel.

der Welt jemals ein amüsanteres Bucli existiert hat und dieses ins- besondere so beschaffen ist, dass es nach dem Geschmack bevnahe aller Leute ist. Es wird also der Yortheil auf Ihrer Seite allezeit ungleich grösser seyn als anf der meinigen. Nun weiss ich wohl, dass ein Scribent auch die reputation, die er sich bej dem Pablico erwirbt, für etwas rechnen muss, allein da diese reputation eine zu subtile Nahrung für unser corpus organicum ist, so kan ein Autor, der mit der Fortuna so sehr brouillirt ist, wie ich, so gleichgültig gegen die solideren Vortheile nicht sejn als ich es seyn zu können wünschte. Fünfzig Exemplar mehr oder weniger sind für Sie ein kleines Object, für mich aber ganz beträchtlich; ich hoffe also dass dieses uns nicht aufhalten wird. Dem sej wie ihm wolle, so ersuche ich Sie inzwischen Befehl zu ertheilen, dass mit guter Gelegenheit an die Mademoi seile Bondely, fille ain^e de feu Mr lavoyer de Bertou, Ein Exemplar von dem 2. und zwey von dem 3. Theil meiner Poet. Werke nebst einem Exemplar vom Shakespear ver- sendet werde.

In Erwartung baldiger Antwort habe die Ehre mit besonderer Ergebenheit zu seyn

Meiner hochgeschätzten Herrn und Freunde

B. den 14. Octob. 62.

gehorsamster Diener

Wieland.

P. S. Melden Sie mir doch auch wie weit Sie mit Shakesp. 2. Theil im Druck gekommen sind.

5. (9.) [Fragment.]

wie er sich in seinem apostille an mich gezeigt hat, nipht viel auf sich; allein es ist doch wider alle Anständigkeit, dass an Briefe, die Sie an mich schreiben lassen, solche postscripte angehängt werden.

Ich widerhole nochmalen die Versicherung dass ich nichts mehr von Ihnen fordere, und mit allem zufriden seyn will was Sie gni ünden mir zu geben. Die üebersetzung soll nichts desto minder von statten gehen, und da ich, wegen einiger Hindemisse, in dieser Woche bis auf ein paar Blätter mit dem Tempest nicht fertig wer- den konnte, so verspreche ich, Ihnen den 5. actum in künftiger gewiss zu schicken, sodann aber sogleich den Kaufmann von Vene- dig vor die Hand zu nehmen, und mein möglichstes zu thun, dass

Briefe yon Wieland mitgetheilt von L. Hirzel. 495

Sie keine Unehre von mir erleben mögen. Hiemit habe ich die Ehre zu seyn

Meine hochgeachtetsten Herren Dero

gehorsamster Diener den 20. Oct. 62.

Wieland.

P. S. Wider Verhoffen ist der 5te Actus hiemit complet und zu dero Diensten.

T. s'il V. pl.

P. S. Mich däucht nach üeberlesung meines Briefs dass ich wohl ein gutherziger Narr bin. Ich fange an gewohnt zu werden, dass jedermann mit mir anfangt was ihm beliebt, weil ich den Frie- den liebe, so lass ich es gut seyn. Alles meine Herren, nur keinen Brief von Herrn Samuel Wolfen mehr; ich bin kützlicht und habe eine abscheuliche Antipathie gegen Flohstiche. Weil wir von nun an keinen debat über das meum und tuum mehr haben werden, sondern ich mich geduldig wie ein frommes Schaf dem Juri fortioris unterwerfe, so kan künftig Hr. Weber gar wohl der Int^rpröte Ihrer Willensmeinungen gegen mich seyn; denn so wahr ich die Ehre habe Uebersetzer in dero Diensten zu seyn, so schicke ich auf den ersten Anblick der Handschrift des Herrn Wolfen den Brief wieder zurück und weise Sie mit dem Shakespear an den Uebersetzer des Bolingbroke, oder gar an Hrn. Magister Schwaben zu Leipzig. Lachen Sie nicht, es ist mein Ernst; bey Trinculo^s Flasche 1

6. (7.)

Endesunterschriebene, Orell, Gessner und Compagnie Buch- händler in Zürich, verpflichten sich hiermit gegen Herrn Wieland d. Z. Canzley-Director zu Biberach, demselbigen, zu Folge eines unter ihnen getcpffenen Accords, für die von Ihnen Herrn Wieland über- nohmene, und vorbenannten Orell, Gessner und Comp, zum Verlag überlassene theatralische Werke des Shakespear, nachstehende Conditionen einzugestehen und getreu zu erfüllen; als:

1^ Engagiren sich Endesunterzeichnete ihm Herrn Wieland pro Honorario für jeglichen Theil, den Theil zu 3 Stücken gerechnet 10 Exemplar, und 12 Louisd'or neufs en especes richtig zu be- zahlen und einzuhändigen, und zwar dergestalt, dass

2tens Die Bdzahlung dieser zwölf Louis neufs jedesmal nach Empfang des ganzen Manuscripts eines jeden Theiles erfolgen, die zehn Exemplare von selbigem aber von ihnen Verlegern, sofort nach- dem sie aus der Presse gekommen, franco bis nach Ulm, an eine von ihm Herrn Wieland anzuweisende Addresse Übermacht werden sollen.

Wogegen dann Er, Herr Wieland, gegen mehr benannte Ver-

496 Briefe Ton Wieland mitgeiheilt Ton L. HirteL

leger seiner Uebersetzung des Shakespear sich auf das Verbind- lichste anheischig macht:

1^ Unter vorstehenden Conditionen, ihnen, Orell, Gessner und Comp, mehrbenanntes Werk dergestalt zu überlassen, dass er sich alles Bechts, selbiges entweder selbst oder durch andere, ander* wertig nachdrucken oder auflegen zu lassen, gänzlich begeben haben wilL

2^ Jedes Jahr, von Anfang des künftig 1763 an gerechnet, 2 Theile richtig zur Presse zu liefern.

Zu ürkund und rechtsgültiger Bekräftigung dessen, ist dieser gegenwärtige Accord sowol von Hm Canzley-Director Wieland, als von uns den Verlegern eigenhändig unterschrieben worden.

Zürich, d. 15. Octob. 1762.

Orell, Gessner und Compagnie.

[Von Wielands Hand :] Toum6s s'il V. pL

[Bückseite, ebenfalls von Wielands Hand :]

Unter den Conditionen, dass

I. Für den nunmehr yoUständig eingesandten 2. Theil ebenso- wohl wie ftlr die folgenden 12 Louis neufs bezahlt werden, und

U. statt der benamsten 10 Exemplare, 15, zwej allezeit an mich hieher, 1 an Mademoiselle Bondely zu Bern, imd 12 an meine ordre francö nach Ulm geschickt werden sollen,

Uebrigens aber unter Voraussetzung einer genauen Erfüllung vorstehenden Tractats benebst den so eben angefügten Bedingnissen, und einer künftig zu veranstaltenden sorgfiLltigen Correctur

unterschreibt diesen Tractat und ratificiert solchen hier- mit an seinem Theil Biberach den 21. Octob. 1762.

Wieland.

7. (14.)

Mein theurester Freund.

Ich hoffe Sie werden sich in der Hofnung des guten Successes Ihres dermaligen Verlages nicht betrogen finden; ohne Ihnen oder mir Selbst wegen des Antheils so wir dabey haben, zu schmeicheln, ist schwerlich eine Bachhandlung in Deutschland, die in Absicht der Güte ihrer Verlags -Werke ihnen den Vorzug streitig machen könnte.

Sie erkundigen Sich nach dem Agathen, mein Freund, und interessieren Sich für sein Schicksal. Meine Intention ist, ihn zu vollenden und dieser Sommer ist dazu bestimmt; zwey Theile davon liegen würklich fertig und die übrigen liegen ganz ausgewickelt in meinem Kopf. Aber Alles stösst sich nur an Einem. Sie wissen dass meine Umstände mich nöthigen, das talent das ich nun einmal

.*

Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hirzel. 497

habe, tel qu'il soit, so gut ich kan, zu meinem Yortheil gelten, zu machen. Ich sehe den Agathon als ein Buch an, das kaimi anders als einen grossen Success in der Welt haben kan; es ist für alle Arten von Leute, und das solide ist darinn mit dem ergötzenden und interessanten durchgehends vergesellschaftet. Ich denke ein solches Buch sollte dem Verleger und dem Autor Yortheile bringen. Ihrer Sooietät habe ichs nicht wagen wollen es anzutragen , weil ich wusste, dass Sie mit Verlag überhäuft sind, und mir einbildete, Sie würden sich deswegen ein Bedenken machen, sich noch mit einem solchen ziemlich weitläuffigen und beträchtliche expensen er- fbrdeniden Werke zu chargiren. Auf der andern Seite bin ich so gesinnt, dass ich, wenn Ihre Societät den Verlag des Agathons wünschte, Ihnen den Vorzug vor allen Buchhändlern der- Welt geben möchte, um so mehr da ich mich bej Ihnen darauf verlassen kan, dass die Einrichtung des Drucks meinem Geschmack entspricht. Es käme also darauf an, ob Sie Lust zum Agathon hätten und ob Ihnen meine Bedingungen anständig wären. Meine ehemaligen Schriften können nicht zum Maasstab genommen werden, um den success derjenigen zu beurtheilen, die ich nunmehr und inskünftige ediren werde. Wenn die ersten einen ziemlichen success gehabt haben, so darf ich mir von den andern einen grossen versprechen, da sie sowohl weit mehr nach dem allgemeinen Geschmack, als an sich interessanter und vollkoramner seyn werden. Agathon ist das erste Buch das ich für die Welt schreibe, alles vorige war nur für mich und etliche gute Freunde oder Freundinnen geschrieben. Ausser dem Agathon habe ich noch den Entwurf zu zween andern Werken gemacht, womit ich mich einen Theil meines künftigen Lebens durch zu beschäftigen gedenke. Einer wird in einer Sam- lung vermischter Abhandlungen aus der Philosophie, Hi- storie und Litteratur bestehen, wozu ich die interessantesten Sujets habe, und die nach und nach in mittelmässig starken Bänden erscheinen sollte. Das andere wird Atlantide heissen und wie Agathon eine Art von philosophischem Roman seyn, worinn die Auf- lösung des Problems: „Welches die möglichst beste Legislation sey und durch was für Mittel und Gradationen die Menschen zu einem so vollkommenen Wohlstand, als die Natur erlaubt, gelangen könnten ?" theils in einer Unterredung zwischen zween Philosophen, theils in einer Geschichte der Atlantide versucht werden soll. Angenehm war es mir, wenn ich für den Agathon sowohl als alles was ich künftig schreiben werde, mit einem einzigen Verleger über- ein kommen könnte und wenn es eben diejenigen wären, die es von meinen vorigen Schriften gewesen sind.

Der Agathon soll nach meinem Ueberschlag gedruckt zwischen 4 und 5 Alphabeten betragen. Ich wünschte dass die beyden ersten Theile zuerst edirt würden und die übrigen entweder auf einmal

498 Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hirzel.

oder paArweis erst ein halbes Jahr darauf nachkämen. Es konunt nun darauf an ob Ihre Societät, wofern sie überhaupt Lust haben, mein Verleger zu sejn, den gedruckten Bogen von dem Agathon mit einem Louis neuf bezahlen wollen. In Frankreich wird der mittelmässigste Autor um die Helfte stärker bezahlt. Wenn Sie diese Conditionen nicht eingehen zu können glauben, so wollen wir von dieser Sache abstrahiren, nur wünschte ich bald darüber be- nachrichtiget zu sejn, weil mir von Buchhändlern in Deutschland bereits Anträge gemacht worden, worauf ich antworten muss. Kennen Sie mein Freund die Histoire des filles i^elebres du XVIU Siecle, worin die Geschichte der Suzette so interessant ist? Der Autor davon ist seit einiger Zeit mein Nachbar und mein Freund. Er hat Lust Ihrer Societät etwas von seiner Arbeit, viel- leicht eine Fortsetzung jenes ganz historischen l^mans, in Verlag zu geben und wenn Sie Lust dazu haben, so werd ich Ihnen viel- leicht in kurzem das Nähere davon berichten. Meine Uebersetzung des Shakespears ist in einer Englischen Zeitung mit Beyfall an- gekündiget worden. Haben Sie es etwan veranstaltet? Für das Griechische Theater danke ich verbindlichst. Es wird Hm. Stein- bruch el und unserer Sprache grosse Ehre machen. Empfehlen Sie mich diesem würdigen Freund und versichern ihn meiner lebhafte- sten Hochachtung. Den Hm. W egelin bedaure ich sehr und seine Kinder noch mehr. Gott behüte alle ehrlichen Philosophen vor sol- chen Hausmüttern. Ich bin von -ganzem Herzen Ihr ergebenster Biberach den 28 April 1763.

Wieland.

8. (13.)

Copia des Tractats de 20 May 1763. mit Hm. Wieland, über die Geschichte Agathon in 2 Bänden.

1^. Werden wir den Agathon in 4 Bänden in dem Formate der poet. Schriften auf gleiches Papier und mit gleicher Schiift drucken und vor den gedruckten Bogen 1 neuen Louisd'or oder 10 fl. bezahlem

2^. Soll das Mscpt von den 2 ersten Bänden, die mit einander herauskommen sollen, an uns cplt ausgeliefert werden, ehe und be- vor wir den Anfang des Drucks machen.

3^. Die Bezahlung des Werks betrefend: so behalten wir uns vor, von den 2 ersten Bänden, welche in circa 50 Bogen ausmachen, die Hälfte von 50 Louisd'or neufs, nämlich fl« 250 nach Verfluss 9 Monatheh (von der Zeit an gerechnet da der Anfang des Drucks gemacht worden) und dann die übrigen fl. 250 Drej Monathe darauf zu bezahlen. Einen gleichen Termin behalten wir uns auch auf die zwey letzten Bände vor.

r

Briefe von Wieland mii^etbeilt ▼€» L. Hirzel. 499

9. (20.)

I

Monsieur Monsieur Gessner, ä Zuric. In dem Orell-Gessner und Comp. Buchladen abzugeben.

Biberach den 20 Febr. 1764.

Theurester Freund.

Ich bedaure dass dero Societät gut befunden hat, meine Ach- tung für sie auf eine so harte Probe zu setzen, als es in der Erklä- rung geschehen ist, so ich dd. Sten Homungs erhalten habe. Es läge nur bey mir dieselbe so aufzunehmen als ob sie selbst des Agathon loss zu seyn wünschten und überhaupt sich wenig oder nichts daraus machten mit mir in weiterer Connexion zu stehen. Ich will aber, so lange sie mir das nicht ausdrücidich sagen eitel genug seyn und nichts solches präsumiren, sondern statt alles an- dern was sich auf das letzte etwas unglimpfliche Schreiben sagen Hesse, über diese Sache meine letzte Erklärung geben. Feme sey es von .mir, dass ich Ihnen unsere bisherige Connexion so oneros machen wollte, dass sie genöthiget wären, sich derselben zu ent- schlagen. Es. war auch letztmals meine Absicht gar nicht, mehr als den stipulirten Louis neuf f. gedruckten Bogen zu verlangen, son- dern nur in dem Zahlungstermin eine Aenderung zu machen und auch dieses überliess ich gewissermassen ihrer Willkühr. Nach un- serm ersten Tract. sollte das Werk 4 Theile haben, und allemal 2 und 2 succesbive herauskommen, u^^d die Zahlung in gewissen Ter- minen dergestalt erfolgen: dass bey Empfang der beyden letzten Bände; die ersten beyden bezahlt würden. Nun hat sich dieses so- weit abgeändert, dass auf Ostern 1765 das ganze auf einmal heraus- kommen soll; also ist der Punct wegen des Zahlungstermins nun unausgemacht. Für zehen Bogen haben Sie schon in vergangenem Jahre vorausbezahlt; und diesen Sonmier werden Sie die andre Hälfte des ersten Theils und sodann zu rechter Zeit alles übrige erhalten. Würden sie mir nun den übrigen Betrag dessen was der erste Theil ausmacht, bis Martini zum ex. in gegenwärtigem Jahr, bis Ostern 1765 die Hälfte des 2. Th. u. dann Ausgangs desselben Jahres den Rest entrichten, so wäre ich völlig wohlzüfrieden. Sollten ihnen aber ihre Handlungsumstände angelegen machen, die Bezahlung an- ders einzuiichten, so will ich ihnen dieses Ümstands halber keine vexen machen und bleibt also nun alles Ihrer Convenienz überlassen, doch so, dass ich mir hierüber eine Antwort ausbitte.

Hr. Albrecht Friedrich Bartholomaei junior in Ulm, der die Geschichte des Don Silvio in Verlag hat, wünschte mit Ihrer Societät bekannt zu werden und wegen der Exemplare, die etwan in der Schweiz davon debitirt werden mögen, mit ihnen in Unterhand- lung zu treten. Die Kenntniss, die er durch mich und etwa per

500 Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hirzel.

bonam vestram famam, von der, bej den Hm. Buchhändlern leider ungewöhnlichen, Bechtschaffenheit Ihrer Societät hat, macht es, dass er lieber mit Ihnen als einem andern, von dem er etwa Nach- druck zu besorgen hätte, zu thun haben möchte.

Ich habe also die Frejheit nehmen wollen,' ihn bestens zu re- commandiren und überlasse es Ihnen, ob wir und auf was Condi- tionen Sie eine Anzahl Exemplare allenfalls von ihm annehmen wollen, als worüber Sie, beliebigen Falls, selbst an ihn schreiben lassen werden. Das, wofür ich Ihnen stehen kau, ist, dass er den Ruhm eines sehr ehrlichen Mannes hat und zu behaupten sucht und dass sein Vater, der würklich im Begriff ist, aus dieser Welt zu gehen, für einen Mann von ansehnlichem Vermögen passirt.

Uebrigens habe die Ehre mit der vollkommensten Hochachtung zu bleiben

Theurester Freund

Dero

ergebenster

Wieland,

10. (15.)

Messieurs Messieurs Orell, Gessner et Compagnie

Negocians Libraires ä Zürich Franche Stockach.

Messieurs et tres hanor^s amis.

huit J'ai rhonneur de Vous aviser par la presente que les 8 iouis neufs, avec votre lettre du 12 cour. m'ont diä bien remis par le messager ordinaire de Constance.

Mr. Gaum pressant extremement lextradition du V. et VI. tome deShakespear,je vous prie de iui en envojer les 12. ExempL qui m'appartiennent avec la premiere occasion

Je ne cesserai jamais d'etre avec la plus parfaite consideration,

^®^«^®^^« Votre tres humble Sr

et devou6 ami ä la hate. B. le 19 8bre 1764. Wieland.

11. (22.)

Biberach, den 18. Januar 1765. Meine hochgeehrtesten Herren und Wehrteste Freunde.

'Das Schreiben vom 12. huj., so ich den 16. Nahmens Dero Handlung erhalten habe, bezieht sich auf ein anderes, so mir in den

Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hirzel. 501

letztverwiclienen Wochen von Ihnen zugeschickt worden seya soll, welches ich aber nicht erhalten habe. Niemand kan mehr als ich selbst bedauern, dass die Vier Erzählungen, welche Sie von mir in Händen haben alles sind was ich vielleicht jemals in dieser und jeder andern Art von Versen werde componieren können, wenigstens so lange mein Geschick mich zu dem mühseligen und den Geist der Musen gänzlich dämpfenden Beruf, in welchem ich würklich als ein Galeeren-Sclave rudere, verurtlieilen wird. Von dem zugleich glück- lich und imglücklichen' Tage an, da mich ein kayserliches Conclusum auf die' honorabelste Art in die gänzliche Activitas meines weit- schichtigen und eine Menge verschiedener Obliegenheiten in sich be- greiffenden Amtes eingesetzt hat, bin ich bis anhero so sehr mit Haths und Cantzlej- Geschäften überhäuft und davon jeden Tag so sehr erschöpft worden, dass mir kaum eine Erhohlungsstunde übrig blieb. Ich machte Ihnen und mir selbst Hofnung, dass es etwan in ^en verfiossnen Ferien möglich werden würde, einen kleinen Be- such von der scherzhaften Muse zu erhalten, aber da ich sechs Wochen vorhero in einem fort durch Geschäfte« die ihre natürliche Widrigkeit durch nichts compensiren, hier angebunden gewesen war, so nöthigte mich die Pflicht sowohl als die Nothwendigkeit mich in etwas zu erhohlen, den grössten Theil der Ferien meinem alten würdigen Gönner, dem Grafen von Stadion zu Warthausen zu widmen, der von den vorigen Zeiten, da ich noch in gewisser massen mein eigner Meister war, so sehr daran gewöhnt ist mich um sich zu haben, dass er mir nicht verzeyhen würde, wenn ich ihm nicht die wenigen Tage im Jahr schenkte, die in meinen itzigen Umständen mein bleiben. Es ist nun also nicht anders zu machen; die Comischen Erzählungen werden vor dieses Mal nicht mehr als das Urtheil des Paris, den Endymion, den Ganymed und die Aurora enthalten. Weil ich Ihnen aber Hofnung gemacht, dass wenigstens noch zwey Stücke dazu kommen würden, und ich Sie auch nur für diese ohne meine Schuld falsch gewordene Hofnung gerne so viel an mir ist entschädigen möchte, so erlasse Ihnen hiemit dasjenige, was mir kraft unseres accords für die Aurora noch gebührte, und nehme die für die drey ersten Stücke schon empfangnen 8 Louis als die Bezahlung für alle 4 Stücke an, und hoffe Sie werden sich mit dem was Sie schon haben, um so eher begnügen können, da es doch gegen zwölf Bogen ausmachen wird. Hingegen erhalten Sie hiemit den grösten Theil Mspt. zum 7. Band des Shakespear, nehmlich Bomeo und Juliette, und Othello, zwey der schönsten und zugleich der schwierigsten Stücke dieses unvergleichlichen Schrift;- stellers. Beyde waren schon fertig als ich in letztverwichenem September durch ein Schreiben im Nahmen Ihrer Handlung sehr dringend ersucht wurde, alles anzuwenden, damit sie auf nächste Frühlings-Messe 2 neue Bände vom Shakesp. liefern könnte. Nun

502 Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hirzel.

bepchteten Sie mich zwar etliche Wochen darauf, dass es damit keine Eile hätte, indem Sie ihren Arbeits-Plan gänzlich verändert und auf nächste Messe gar nichts von Shak. liefern wollten; weil aber bald darauf auch meine Einsetzung erfolgte nnd diese dem kurzwähren- den poetischen Taumel, worinn ich im Frühling und Sommer vori- gen Jahres gewesen war, ein betrübtes Ende machte, so wusst ich die kleinen Zeitabschnitte, die mir das Bathhaus und die Canzlej übrig Hess, nicht besser .anzuwenden , als den Bomeo und Othello zu revidiren und noch ein Stück, (welches -nebst einem Schreiben an die Verfasser der Bibliothek der schönen Wissenschaften in 8 Tagen folgen soll) indessen, zu Ausmachung des 7. Theils hinzu- zuthun; wodurch ich verhoffentlich nichts Ihnen unangenehmes ge- than habe.

Nimmehr erlauben Sie, dass ich mit Ihnen über unsere künftige Einrichtung zu Bathe gehe. Bei meinen nunmehr, und so lange ich diesen Canzlej -Karren ziehn werde, auch künftig von einem Tag zum andern ununterbrochen fortgehenden Geschäften, bleiben mir zu andern Arbeiten nur einzelne Abende oft und einzelne Stunden übrig; und in diesen Stunden, nur ein ermüdeter zerstreuter oder occupierter Kopf, der zu anderweitiger Anstrengung unfähig ist. Was wollen Sie in solchen umständen von mir erwarten? wenig genug, meine Freunde. Indessen bin ich sowohl wegen des Shake- spears alsAgathons mit Ihnen engagirt. Bejde zugleich fort« zusetzen ist schlechterdings unmöglich. Es fragt sich also nur, welchen Sie von beyden fortgesetzt [wünschen]. Vom Shakespear sind Überhaupt noch acht oder 9 gute Stücke unübersetzt, und xmter diesen sind nur fünf oder sechse Yortre flieh. Wollen Sie nun diese alle auch noch haben, so bin ichs zufrieden; wollen Sie aber beym 7. oder auch beym*8. Theil still stehen, so ist mirs sogar angenehm; denn ich gestehe, dass mich diese Uebersetzung mehr Mühe kostet als irgend eine eigene Composition. Im ersten Falle müsste also Agathen stille stehen; und da ohnehin in denen acht schon gedruckten Bogen, nebst einer gewissen Note unter dem Text die mir ärgerlich ist, etliche starke Druckfehler eingeschlichen sind, und ich im Text selbst manches gerne verändern möchte, so wollt ich Ihnen, sofern Sie sich verbindlich machen wollten, das ganze Werk seiner Zeit von Neuem umzudrucken, meines Orts hiemit willig offerirt haben, mir zu ihrer Indemnisation von der künftigen Bezahlung des completen Mspts soviel als Sie vor billig hielten ab- zuziehen. Dass ich den Agathen fortsetzen wolle daran dürfen Sie nicht zweiffein; nur müsste dieses noch auf Jahr und Tag hinaus verschoben werden, wofern Sie nicht für gut finden, den Shakespear entweder mit dem 7. Bande gar zu beschliessen, oder doch auf ein paar Jahre ruhen zu lassen.

Alles dieses belieben Sie nun in üeberlegung zu ziehen und

Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hirzel. 503

mir Ihre Gedanken und Convenienz hierüber zu wissen zu machen, üeberhaupt' ersuche ich Sie mich nach meinen Umständen zu be- urtheilen und einen Theil der Geduld, die ich tSglich haben muss, auch mit mir zu haben. Der Tod eines einzigen siebenzigjährigen Bösewichts kan eine grosse Veränderung in meiner Situation machen und mir von jeder Woche wieder drey oder yier Tage schenken, da ich izt nicht einmal an den Bcmntagen Buhe habe. Ich werde in- dessen, en Situation quelconque alles mögliche anwenden meine schon Contrahirten engagemens zu erftUlen; aber Himmel und Erde sollen mir Zeugen sejn, dass ich gewiss die Tage meines Lebens in keine neue von dieser Art treten werde, da ich je länger je mehr erfahre, wie wenig ein Mann der für andre existiren muss für sich selbst repondiren kan. Der Bogen ist voll und ich habe kaum so viel Platz übrig , mich Ihnen bestens zu empfehlen und Sie der er- gebensten Hochachtung zu versichern, womit ich bin

Dero ergebenster Diener

Wieland.

12. (24.)

Herrn Herrn Orell, Gessner und Compagnie, Buchhändlern in Zürich.

Messieurs.

Da ich nicht weiss was Sie für Ursachen zu diesem unbegreif- lichen Stillschweigen, welches Sie gegen mich beobachten, haben mögen, so hoffe ich doch wenigstens auf die Frage: ob der erste Theil des Agathen gedruckt sey oder nicht? einer Antwort ge- würdiget zu werden. Sollte das erste seyn so bitte mir nebst 2 Exemplaren von der neuesten und schönsten Edition der Gessne- rischen Werke zwey oder drey Exemplare des Agathon auf künf- tige Abrechnung aus und bin in deren Erwartung

Messieurs

Votre tres humble Serviteur Biberach den 10. May 1765.

Wieland.

13. (25.)

Herrn Herrn Orell, Gessner und Compagnie, Berühmten Buchhändlern in Zürich.

Biberach den 11. Julii 1765.

Es sind bereits etliche Monate, dass ich von Ihnen auf ver- schiedene Briefe mit keiner Antwort beehrt worden bin. Sie wür-

504 Briefe von Wielaod mitgetheilt von L. EUrzel.

den mich verpflichten, wenn Sie so geneigt sein wollten, mir wenig- stens auf diesen und dessen Inhalt eine baldige und bestimmte Ant- wort zu geben.

Ich wünschte zu wissen, ob Sie den ersten Theil des Agathon schon haben drucken lassen oder nicht Im ersten Falle bitte ich mir ein Exemplar, im andern aber soviel als davon gedruckt ist imd das übrige an meinem Manuscript bald möglichst zu Übersenden, weil ich sonst nicht fort&hren kan.

Ohne Zweifel wird Ihnen angenehm sein, wenn das Werk ge- endiget ^ird. Ich will mein möglichstes thun, um es zu beschleu- nigen und zu dem Ende den Plan beträchtlich zusammen ziehen. Was den Shakespear betrifft, so vermuthe ich, dass Sie geneigt seyn werden, mit dem 7. Theil aufzuhören;* sollte ihnen aber ja ein anderes belieben, scerwaii^e darüber Ihre Erklärung.

Ich höre von einem Hrn. Füssli, der zu Schinznach durch eine B-ede über den Patriotismus eine von den glänzendsten Ver- sammlungen, die jemals in Helveziea gesehen worden, in Rührungen gesetzt habe, welche den Stolz eines Pericles hätten befriedigen können. Seyn Sie so gütig mir zu melden, ob dieser Hr. Füssli ein Sohn des Mahlers ist, und mir seine Rede zu überschicken, wenn sie gedruckt wird.

In Erwartung dero beliebiger Antwort und des 1. Theiles von Agathon, gedruckt oder im Mscpt habe die Ehre mit ausnehmender Hochachtung zu seyn

Meiner hochgeachteten Herrn

Ergebenster

Wieland.

14. (28.)

Messieurs Messieurs Orell, Gessner et Compagnie Libraires ä Zürich. Fraiico Constance.

Meine wehrtesten Herrn und Freunde.

Die übersendeten 10 Louis neufs p. Abrechnung habe samt 6 Exemplaren vom 1. Theil Agathous richtig zu einer gez. Danks- Erstattung erhalten. Es ist bedauerlich, dass solche Druckfehler, da der Setzer sich die Freyheit genommen ein Wort für das andere, zum Exempel Reitzungen ftlr Neigungen etc. etc. zu setzen, so häufig sind, dass die Leser an mehr als Zwanzig Orten glauben müssen, der. Autor habe selbst nicht gewusst, was er sagen wolle. Ich bekenne, dass es mich recht empfindlich kränkt, dass ich die

* Unten am Rande steht, unzweifelhaft hieher zu beziehen, aber ohne irgendwelche Bemerkung: Hamlet.

Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hinel. 505

Satisfaction nicht erleben kann, nur ein eintziges meiner Werke ohne beträchtliche Druckfehler za sehen. Ich arbeite würklich an der Fortsetzung zu Shakespears leztem Bande. Zu Ausfüllung des Vacni werde ich Hrn. Thomas Bowe Nachrichten von Shakespears Leben und Schriften beyfügen.

Belieben Sie mir durch den Boten mir [!] 2 Exemplare von Thomsons ins Deutsche fibersetzten Werken zu überschicken, ingl. ein Exemplar von den Oomischen Erzählungen, denn ich habe die meinigen längst verschenkt. Von dem Agathon belieben Sie, sur mon compte und in meinem Nahmen dem Hm. D. Zimmer- mann in Brugg und der Mademoiselle Bondely Tain^e jedem ein Exemplar zuzufertigen.

Dem versprochenen Schreiben des Hrn. Gessners sehe ich mit Sehnsucht entgegen. Es ist Unglück genug für mich , dass ich den persönlichen Umgang des schönsten Genies unserer Nation auf immer verlohren habe, auch allen schriftlichen Umgang mit ihm zu. verlieren wäre zu viel.

Ich habe die Ehre mich Ihnen insgesammt zu empfehlen und mit unveränderlicher Ergebenheit zu sejn

Dero

gehorsamster Diener

Biberach den 4 April

1766. Wieland.

15. (29.)

Meine hochgeehrtesten Herren und sehr wehrten Freunde.

Endlich bin ich im Stande Ihnen auch den Rest des 8. Th. von Shakespear zu übersenden. Ich wünsche Ihnen und mir selbst zu dem erreichten Ziel dieser weitläufigen . Unternehmung Glück. Ich habe dabej geleistet , was (zumal in den Umständen, in denen ich war, noch bin und so lang ich lebe bleiben werde, ohne Freunde, ohne einen Rathgeber, ohne einen Aristarch) möglich war. Ich schaudere selbst wenn ich zurücksehe und daran denke, dass ich den Shakespear zu übersetzen gewaget habe. Wenige können sich die Mühe, die Anstrengung, die oft zur Verzweiflung und zu man- chem Fluch (der doch die Pferde nicht besser ziehen macht) trei- bende Schwierigkeit dieser Arbeit vorstellen. Ich sehe die Unvoll- kommenheit dessen was ich gethan habe; aber ich weiss es, dass Bichter von ebensoviel Billigkeit als Einsicht mit mir zufrieden sind. Genug, diese Herculische Arbeit ist nun gethan, und, bey allen Göttinnen des Parnasses, ich würde sie gewiss nicht anfangen, wenn sie erst gethan werden sollte. Indessen hab ich doch sie nicht Bchliessen wollen, ohne ein paar Wörtchen mit den Berliner Kunst- lichtem zu sprechen, welche ebenso boshaft als dumm über unsi*e

AxcHiT f. Litt.-Obsch. VII. 34

506 Briefe von Wieland mitgetheilt von L. HirzeL

Uebersetzung geartheilt haben. Ich hoffe, das Publicum soll nun mit mir zufrieden sejn; denn von Lessingen und seinen Freunden hab ich doch weder Grnade noch Gerechtigkeit zu erwarten.

Ich habe die £hre, meine Herrn und Freunde, mich Ihnen zu empfehlen und mit alter unveränderlicher Hochachtung zu seyn

Dero

ergebenster Dr. Biberach den '8 May

1766. Wieland.

«

16. (31.)

An Herrn Orell, Gessner und Compagnie,

P. P.

Hochgeehrteste Herren,

Sie haben mir zwar den Empfang des lezten Mscpts womit der 8te Theil des Shakespears und das ganze Werk beschlossen wird, nicht gemeldet, ich hoffe aber Sie werden Ihn erhalten haben; und wünsche zu wissen, bis wann selbiger aus der Presse kommen soll. Ich ersuche Sie nun, da ich selbst und zu meinem eignen Gebrauch würklich weder von meinem Shakespear noch yon den Comischen Erzählungen ein Exemplar übrig habe, (indem ich was ich be- kommen habe alles nach und nach habe verschenken müssen) mir von allen Theilen des Shakespears und der Com. Erzähl. Ein Exemplar, welches ich für mich selbst zu behalten geschworen habe, jedoch NB so dass ich solches bezahle, und also auf Abrechnung, nächstens zu übersenden.

In dieser Erwartung habe ich die Ehre, mit ausnehmender Hochschätzung, wie allezeit zu sejOi

Dero Biberach den 21 JuL 1766

ergebenster Diener In Eil. Wieland.

17. (32.)

Hochgeehrteste Herren und Freunde.

Der Gonstanzer Bote hat mir 3 Exemplare von Shake- spears Stem Band und 12 louis neufs für selbigen richtig über- bracht, wofür verbindlichst danke und die verlangte General -Quit- tung anschliesse. Herr Gessner wird Ihnen aus meinem leztem Schreiben gemeldet haben, dass ich lieber gesehn hätte, wenn der 2te Theil des Agathon noch Anstand bekommen hätte. Wofern es aber ratio Status Ihrer Handlung schlechterdings erfordert, dass solcher auf die Ostermesse 1767 erscheine, so gilt es mir endlich

Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hirzel. 50?

gleich; denn ich habe die Materialien davon so gut im Kopfe, dass ich, wenn es andere Geschäfte znliessen, sie in 8 Wochen in ge- hörige Form gebracht haben wollte. Ich erwarte also dero Ent- schliessung mit der nächsten Post Is sie fUr die Fortsetzung, so müssten Sie Sich gefallen lassen , das Mscpt nur Stückweise und den Anfang erst in 4 Wochen zu erbalten; folglich auch Ihre andern Einrichtungen darnach zu modificieren. Ich gestehe indessen, dass ich lieber sehen würde, wenn (olÄie dero Nachtheil) zugewartet werden könnte.

10 Exemplare vom 8. Th» des Shakesp. belieben Sie an Hm. Stettin in Ulm, der des Hm. Gau ms Handlung übernommen hat, einzusenden ; die übrigen 3 Exempl. an gewöhnL Behörde. Ich habe die Ehre nebst meiner höflichen Empfehlung mit vollkomner Hoch- achtung zu sejn

Dero

ergebenster Biberach den 4ten Septemb. 66.

Wieland.

18. (34.)

Dass ich zu Ende unterschriebener von Tit. Herrn Orell, Gessner und Gompagnie zu Zürich, für die denenselben von mir zum eigenthümlichen Verlag überlassene und würklich in 8 Bänden ans Licht gestellte Uebersetzung von Shakespears Theatralischen Werken, vermöge unter uns getroffenen accords, für jeden Theil 12 Louisd'or neufs, somit in allem fClr das ganze bemeldte Werk 96 Louis neufs oder Neunhundert und Sechzig Gulden (den Louis d'or neuf zu 10 fl. gerechnet) würklich, baar und vollständig zu meinen sichern Händen empfangen, desshalben auch wohlbemeldte Herren Grell, Gessner imd Gompagnie für mich und meine Erben in bester Form Bechtens hiermit quitürt haben wolle, und würklich quittire: Solches bescheiniget durch gegenwärtiges mit eigner Hand, Unterschrift und gewönlichem Petschaft, Biberach, den 4ten Septemb. 1766

C. M. Wieland, Siegel. Canzleyverwalter

[ein halber aufsteigender Löwe.] allda mpp.

19. (33.)

Hochgeehrteste Herrn und Freunde.

Ich habe die Ehre Ihnen die Fortsetzung des Agathon hierait zu übermachen. Gehäufte Geschäfte meines Amts, welche in diesen Monat zu fallen pflegen, haben mich aufgehalten. Künftig aber,

34*

508 Briefe yon Wieland mitgetheilt von L. Hirzel.

hoffe ich, dass es hurtiger gehen soll. Wir haben wegen der spSten Ostern keine Gefahr, nicht noch zu rechter Zeit fertig zu werden. Ich reconimandire nochmal die gute Besorgung der Correctur, und habe die Ehre mit stetiger Hochschätzung zu yerbleiben

Mhgtsten HHrn

ergebenster Biberach den 31 8bris

1766. Wieland.

20. (35.)

Biberach den 5ten Dec. 66.

P. P. Hochgeehrteste Herren und Freunde,

Ein hartnäckiger Bhume, den mir die zeitherige Witterung zu- gezogen, hatt unvermutheter Weise einen Stillstand in die Arbeiten meines Geistes gemacht, welcher, in ein dickes Gewölk von Phlegma eingehüllt, die demüthigende Einschränkung an Fleisch und Blut gefesselt zu seyn in ihrer Beschwehrlichkeit fühlte ohne in acht Tagen etwas henrorbringen zu können, das einem Gedanken ähnlich sah. Nunmehr hoffe die «Schuld der Natur für diesen Winter bezahlt zu haben und Ihnen ganz zuverlässig yersprechen zu können, dass ich bis zu Ende des künftigen Februars mit dem Agathon fertig seyn werde, ob ich Ihnen gleich dermalen nur etwas weniges yon der Fortsetzung übei*senden kan.

Ich ersuche Sie mir baldmöglichst durch die Boten alles, was ▼on dem 2ten Theil bereits gedruckt ist, nebst der Nachricht, wie das Werk von Statten geht, ingleich die Calliope des Hm. Prof. Bodmers, nach der ich sehr begierig bin, zu übersenden.

In diesem Jahr werden Bie von dem Agathon nicht-s mehr, hingegen in der ersten Woche des Januars 67 eine desto stärkere Partie Manuscript erhalten. Inzwischen wünsche dieses Jahr gesund und glücklich zu beschliessen und rerharre ohnabänderlich Meiner hochgeehrtesten Herrn und Freunde

geh. und ergebenster

Wieland.

21. (36.)

Hochgeehrteste Herren und wehrteste Freunde.

Sie erhalten hiemit eine abermalige Fortyetzung des Aga- thons, welche bereits um ein merckliches über die Hälfte des zwejten Theiles hinausgeht. Ich ersuche Sie, mir von Zeit zu Zeit die aus der Presse kommenden Bogen, (wovon ich erst A, B, C, D habe) tu übersenden, ünserm theuren Herrn 0 essner flüstre ich im Vor-

Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hinel. .509

beigeben ins Ohr, dass ich mit dem Humor meines lezten Schrei- bens an Ihn, gar nicht zufrieden bin; indessen bitte ich doch um eine baldige Antwort, sie mag lauten wie sie will. Die Calliope unseres ehrwürdigen alten Freundes und poetischen Vaters hat mir recht vieles Vergnügen gemacht; wollte der Himmel er könnte ebenso zufrieden mit den Prodactionen eines seiner poetischen Söhne seyn, den er vielleicht (wiewohl mit mehr Schein als 'Wahrheit) mit dem Verlohrnen in eine Classe sezt. Ich bin zwar, aus Grün- den, kein Freund der Hexameter mehr; aber das hindert mich nicht den ganzen innerlichen Wehrt der epischen Gedichte unseres alten Freundes zu empfinden, und ich bin gewiss, dass sie diesen Wehrt auch bey *der spätesten Nachwelt nicht verliehren werden. Wenn Sie, meine Herren, mir eine hübsche Ausgabe von The Worcks of Spencer ingl. The Worcks (or Po^ms) of Joseph [John?] Gay, verschaffen wollten, (wozu Sie mehr Gelegenheit haben als ein hie- ländischer Buchhändler:) so würden Sie mich unendlich obligiren. Inzwischen habe ich die Ehre, unter Anwünschung alles Wohler- gehens und Vergnügens, mit Hochachtung und Ergebenheit zu be- harren

Dero

geh' Diener Biberach den 22 Januar 67.

Wieland.

22. (41.)

Hochgeehrteste Herren,

In den übersandten Bogen Q und B habe ich keinen Fehler gefunden, welcher des Bemerckens wehrt wäre, und da ich nicht zweifle, dass die übrigen Bogen ebenso sorgfUltig corrigirt werden, so will ich mich deshalb lediglich dem Hm. Correctori überlassen. Sie haben also nicht nöthig mir die übrigen Bogen eher einzuschicken, biss das ganze Buch fertig ist. Auf Gays Poems verlangt mich sehnlich Hm. Webers Postscript in dero lezterm Briefe be- richtet mich der Promotion des Hrn. Gessners zu der Würde eines Bathsherm der Stadt Zürich; Erlauben Sie, meine Herrn, dass ich mit Ihnen mich Über eine Begebenheit erfreue, welche keinem gleich- gültig seyn kan, der die ganze Familie, welche hiedurch einen neuen Zuwachs von Ansehn erhält, so sehr hochschäzt wie ich. Auch die Bepublick Zürich überhaupt steht in so gutem und dauckbaren An- dencken bey mir, dass ich ihr von Herzen glückwünsche einen recht- schaffenen Mann mehr in ihrem Senat zu haben. Denn in Repu* blicken komt oft alles darauf an, ob ein einziger wohldenkender Mann mehr oder weniger zu den Sachen zu reden hat. Ich bezeuge Ihnen also den freundschaftlichen Antheil den ich hieran nehme, von

510 Briefe Ton Wieland mit^etheilt von L. Hirzel.

ganzem Hertzeu und habe die Ehre besonders dem erwählten Herrn Bathsherm mich zu geneigtem Andencken zu empfelen. Einschluss bitte ich an Hm. G essner, den Dichter, nicht den Bathsherm, zu bestellen. Ich bin mit voUkomner Ergebenheit

MHGHerm

geh' Diener Biberach den 27. März 1767.

Wieland.

23. (42.)

Hochgeehrteste Herren

Der Gedanke des berühmten Fieldings, den er in seiner Amalia dem Booth irgendwo in den Mund legt^ „dass eine gute Eng- lische üebersetzung der Werke Lucians ein unschätzbares Werk wäre^\ ist in Anwendung auf unsere Sprache und Nation schon lange der meinige. Lucian ist der sinm-eicheste, witzigste, und vielleicht auch der gescheidteste und brauchbarste Autor, der uns aus dem griechischen Alterthum übrig geblieben ist er ist seither das Modell aller satyrischen Geister unter den Neuem gewesen, und seine Werke empfelen sich noch überdiss durch eine Manchfaltigkeit, welche den Geschmack aller Arten von Leser unterhält. Aber so schön dieser Autor, so schwehr ist es ihn gut zu übersetzen und ebenso gewiss ist es, dass wir noch keine gute noch vollständige Üebersetzung von ihm haben. Da ich zu gleicher Zeit meine Neben- stunden auf eine mir angenehme Art zu beschäftigen und mich um die Liebhaber der schönen Litteratur in Deutschland verdient zu machen glaubte, wenn ich eine solche üebersetzung unternehme, so habe ich mich solchergestalt dazu entschlossen, dass ich die sämtl. Werke Lucians nach und nach in etlichen Theilen heraasgeben wollte. Jeder Theil sollte in klein 8.^ niedlich und mit Geschmack abge* druckt etwan 18 Bogen ausmachen und das Ganze würde ungefehr 6 dergleichen Theile geben; von den[en] der erste auf die Oster- messe 1768 und fort jedes folgende Jahr ein Theil bis zum Schluss des Werks erscheinen sollte. Die Verhältnisse, worinn ich mit MHG. Herren za stehen die Ehre habe, verbinden mich Ihnen von diesem meinem Vorhaben Nachricht zu geben, und zu vernehmen, ob Sie Lust haben, den Verlag dieser Uebersetzan|^ der Wercke Lu- cians auf obige Art zu übernehmen, in welchem Falle sich dann weiters fragt, wie es einzurichten, dass diese ohne Zweifel zum Ver- gnügen und Nutzen des deutschen Publici dienende und vermuth- lich eine gute Aufnahme zu gewarten habende Unternehmung auch Ihnen und mir den möglichsten Vortheil bringt.

Ich erwarte hierüber dero Gedanken um so bälder, als im Falle Sie Lust dazu haben, gat seyn wird, eine Ankündigung dieses

Briefe von Wieland mitgetbeilt von L. HirzeL 511

Werckes in die Mess-Catalogos einzui-ücken. Inzwischen habe die £hre zu beharren

Meiner hochgeehrtesten Herren

Ergebenster Biberach den 30 Mftrz 67.

Wieland. P. S. Gestern erhalte ich von der Post dero Schreiben vom 21. die Angelegenheit des Herrn Hessens betreffend. Sie glauben mir, wie*ich hoffe, ohne dass ich viel Worte mache, dass mir nichts an- genehmers seyn könnte, als jemandem zu dienen, welchen Sie mir empfelen. Der blosse Nähme eines Zürchers hat ein Becht an alle mir mögliche Diensterweisungen. In dieser bedauerlichen Sache aber kan ich dem guten Herrn Hess (der, wo ich nicht irre, ein Ver- wandter des rechtschaffenen Hm. Pfarrer Hess, meines alten Freun- des und mir also auch hoc titulo

[Die Fortsetzung fehlt.]

24. (43.)

Messieurs Messieurs Orell, Gessner et Compagnie, Libraires k Zürich. Frauco Constance.

P.P.

Meine Hochgeehrteste Herren^

Hiemit habe die Ehre, den richtigen Empfang der mir unterm 25. passato übersandten 15 Louis neufs, mit gez. Danck zu accu- siren. Ich habe also nunmehr, unserm vor mehreren Jahren wegen des Agathon getroffenen accord gemftss, in dreymalen malen [sie], erstlich zehen, sodann zwölf und nunmehr fünfzehn, also zusammen 37 Louis bereits empfangen. Da nun das ganze Werk, dem An- sehen nach 47 biss 48 Bogen hab^n wird, so kämen mir pr. zehen Bogen noch 10 Louis zu gut, wogegen dieselben eine Abrechnung verschiedner Sortiments und Verlagsbücher, so von Ihnen empfangen habe, zu machen haben. Da wir aber vermuthlich, es sey nun we- gen einer Uebersetzung des Lucian oder wegen andrer Sachen, in kurzem einen neuen accord treffen werden, und ich dermalen an Hm. Samuel Kirch berger in Bern, den Sohn des ehemaligen Hrn. Stadtschreibers Kirchberger daselbst, einiger von selbigem für mich übernommener Bestellungen halber, eine Zahlung von 10 Louisd'or zu machen habe, an deren baldiger Berichtigung mir viel gelegen ist; so werden meine hochgeehrtesten Herren mich ganz be< sonders verpflichten, wenn Sie eine assignation per dix Louis neufs, welche ich ihnen an dero Handlungscompagnie zugestellt habe, zu saldiren belieben und die Berichtigung meines Bücherconto dermalen

512 Briefe von Wieland mitgetheilt von L. HirzeL

noch aufgestellt sejn lassen wollten. Es kernt mich hart an, Ihnen soviel auf einmal zuznmnthen; indess hoffe ich doch, dass Sie mir diese GeflQligkeit, an der mir einer besondem Ursache wegen ge- legen ist, nicht versagen werden. Ich werde mich hinwieder be- mühen, jede Gelegenheit begierig zu ergreiffen, wo ich Ihnen werde beweisen können, dass ich mit unveränderlicher Hochachtung und Freundschaft sey,

Dero

Ergebenster Diener

Biberach den 3. April 1767. ^. , ' ,

*^ Wieland.

25. (44.)

Mein Theurester Herr und Freund,

Unsere kleine Bepublick befindet sich seit etlichen Wochen in einer crisi, welche entscheiden wird, ob es sich mit ihr bessern, oder ob sie unter den Händen ihrer Aerzte und Operateurs den Geist auf- geben wird. In diesen Umständen bin ich mit mühseligen Geschäften überladen, und genöthigt meine beste Zeit übel zuzubringen, es wäre dan dass ich Hofnung hätte, meiner armen von etlichen un- ruhigen Köpfen unleidentlich misshandelten Vaterstadt dadurch nütz- lich zu seyn und dieses zu hoffen habe ich keine Ursache. Ich würde Sie bitten mich zu bedauern, aber das könnte mir doch nicht helfen; ich erwähne meiner Umstände nur, damit Sie mich entschul- digen, wenn ich auf Ihren angenehmsten Brief vom 14 huj. nur mit etlichen Zeilen antworte. Ich danke Ihnen verbindlichst für den geschickten Apologisten, den Sie mir erweckt haben, und sehe sei- nem Mscpt mit Verlangen entgegen. Ich gestehe mit Beschämung, dass ich gegen das, was man von mir sagt und drucken lässt, empfind- licher zu werden anfange als ich jemals war; und dass der Beyfall der Besten nicht hinlänglich ist, mich zufrieden zu stellen, so lange ein jeder anonymus ungestraft feinen Muthwillen an mir ausüben darf, so arg als es ihm beliebt. Hr. V. kan mir also einen wahren Dienst thun, insofern ihn nicht etwan (welches ich sehr verbeten haben will) ein allzafreundschaftlicher Eifer zu einem Panegyristen macht. Harscher gährt noch, wie Sie sagen er muss noch jung seyn er wird mit der Zeit sehr gut werden, insofern er nicht noch vorher ins Tollhaus komt, eh er ausgerast hat. Hier, mein liebster Freund, ist Musarion, so gut als ich sie civiles inter flnctus habe vollenden können. Ich überlasse dieses Gedicht Ihrem Urtheil, Seyen Sie so gütig, xaad sagen mir aufrichtig, was Sie anders wünschten.

Weil Sie doch darauf bestehen, dass ich Vorschläge thun soll, 80 will ich sie thun und hoffe, Sie werden angenonunen werden können. Ich überlasse der Societät das Mspt von Musarion für 16

Briefe von Wieland mii^theilt von L. Hirael. 513

Spec. Ducaten, und den Idris für Vierzig louisd'or, unter der fer- nem Bedingung, dass nach Verfluss von sechs Jahren von Ostern 1768 gerechnet, eine neue Auflage aller meiner neuem poetischen Wercke (von den co mischen Erzählungen anzufangen) gemacht und mir oder meinen Erben alsdann in convenabeln Fristen für jeden gedruckten Bogen, den diese Samlung enthalten wird, ein halber Louisd'or bezahlt werde. Sollte es aber nach Verfluss dieser sechs Jahre der Societät nicht gefällig seyn, diese neue Auflage zu machen, so soll mir oder meinen Erben erlaubt seyn, die comischen Erzählungen, den Idris, Musarion und was sonst noch binnen sechs Jahren *dazu>kommßn mag, und worüber wir, seiner Zeit, beson- ders tractirt haben werden, in einer Samlung wo und bej wem wir wollen auflegen zu lassen.

Mich verlangt sehr zu wissen, wie Sie mit dem 4. und 5. Ge- sang des Idris zufrieden sind. Unter uns, gestehe ich Ihnen, dass ich diese Ausgeburt meiner launischen Muse mit mehr complaisance ansehe, als ich vielleicht sollte -*— und dass mich die Kunstrichter höse machen werden, wenn sie mich ftlr einen elenden Nachahmer des Ariost erklären und ich wollte nicht davor stehen, dass sie es nicht thun.

Leben Sie wohl, mein Bester und Liebster Freund! Empfelen Sie mich, wenn ich bitten darf, gelegentlich, unsem würdigen alten Freunden, Br. u. B. welche noch einmal von Angesicht zu sehen mich recht herzlich verlangt und Hrn. Was er und besonders dem neuen Herrn Bathsherm Orell, an dessen bestverdienter Er- höhung ich besondem Antheil nehme. Ich bin mit der vollkommen- sten Hochachtung

Dero

ergebenster Biberach den 19 August 1767.

Wieland.

26. (45.)

A Monsieur Monsieur Gessner, Seigneur Conseiller de la Bepublique de Zuric, 4 Zürich.

Mein theurester Herr und Freund

Gute Würckungen der Bade -Cur! Auch eine minder wichtige Ursache würde mehr als hinlänglich seyn, Ihr Stillschweigen bey einer so geduldigen Creatur, als ich zu seyn, entschlossen bin^ zu entschuldigen.

Ich bin weit entfernt, mein Liebster Freund, unwillig darüber zu seyn, dass Sie meine neulich vorgeschlagenen Bedingungen nicht acceptabel finden; aber darüber möcht ich gern ein wenig ungehalten seyn, dass Sie mir meine Manuscripte zurückschicken. Doch, die

514 Briefe von Wieland mitgetheilt Ton L. Hirzel.

Ursache, die Sie davon angeben, rechtfertiget auch dieses. Sie stellen mir frej, ob ich es mit andern Buchhändlern versuchen wolle. Dass es mir an Verlegern nicht fehlen würde, werden Sie mir gerne auf mein Wort glauben; und vielleicht könnte ich den Idris und meine künftige Gedichte überhaupt gut genug anbringen, da sich ehdem einer gefunden hat, der unvorsichtig genug war, mir für ein Wercklein wie Don Silvio ist, 500 fl. zu bezahlen. Allein ich bin dieses unedeln trafics von Herzen müde und satt. Ich will keine andern Verleger als Ihre Gesellschaft. Ich habe Sie soviele Jahre lang als rechtschaffene ^Snner und gute Freunde erfahren. Ich traue Ihnen mit bestem Grunde, zu, dass Sie jeder Zeit als solche gegen mich handeln werden. Wenn meine leztmali- gen Conditionen übertrieben sind, so kam es aus erraneis suppo* sitis her, die mir als einem der Handlung unkundigen zu übersehen sind. Es scheint, dass Sie Selbst noch immer wünschen, meine Verleger zu bleiben; unsere Gesinnungen stimmen also hierin voll- ständig überein. Sie sollen es bleiben, wenn Sie wollen, und ich überlasse es lediglich Ihrer Billigkeit, den Preiss meiner Manuscripte zu bestimmen. Das einzige, was ich mir ausbedinge, ist, dass mei> nem leztgethanen Vorschlag gemäss, die neue Ausgabe der Comi- schen Erzählungen mit Musarion und den fünf Gesängen des Idris durch den allgemeinen Titul , Comische Gedichte, verbunden und in 2 Bändchen klein 8. auf nächste Frühlingsmesse herausgegeben werden möchten. Ist Ihnen, mein liebster Freund, dieses gefällig, so sende ich Ihnen meine Mspte unverzüglich zurück, und Sie geben mir dafür, was Sie wollen. Sie können es am besten bestimmen, da Sie alles wissen und calculiren können, was dabey in Betrach- tung kommen muss. Ich widerhohle es, dass ich nicht den minde- sten Zweifel in Ihre Billigkeit setze und Sie würden mir unrecht thun , wenn Sie mir hierin eine Art von Schüchternheit sehen Hessen, welche voraussetzte, dass ich gewinnsüchtiger sej als ich bin, und zu viel aus meinen Sachen mache. Ich ergötze mich an den Musen und verlange mich ebensowenig durch Sie zu bereichern, als ich nöthig habe von ihnen zu leben. Sie denken aber selbst zu edel, als dass Sie verlangen sollten, dass aller Vortheil nur auf der Ver- leger Seite sejn sollte. Die Nachdrücke lassen sich durch wohlfeile editionen verhüten und in diesem Falle kan in einigen Jahren die Menge ersetzen, was an dem geringeren Preiss des Exemplars ab- geht; denn das ist doch ausgemacht, dass die Zahl der Lesenden immer grösser wird. Erlauben Sie mir, dass ich bey dieser Gelegen- heit sage, wie ich mich schon oft gewundert, warum Ihre Societät so gerne Ausgaben in gross 8. macht. Agathon würde sehr ver- muthlich weit schneller verkauft werden, wenn er in bequemerm Format und mit kleinern Schriften gedruckt wäre.

Ich erwarte nunmehr baldmöglichst Ihre Erklärung, ersuche

Briefe von Wieland mitgetheilt von L. HirzeL 515

Sie aber künftig ja keine Complimente mehr mit mir zu machen. Zugleich bitte ich auch um Nachricht, ob die 10 Louisd'or, an welche Hr. Kirchberg er in Bern eine Assignation hat, bereits an ihn oder seine Ordre bezahlt worden oder nicht.

Ich dancke Ihnen recht sehr, für das mir communicirte ürtheil des mir sehr schäzbaren Verfassers der Versuche über die Ita- liSnischen Dichter. Vor wenigen Tagen ist mir ein Auszug aus einem Schreiben des Herrn Moses Mendelssohn an Hm. Bathsh. Iselin in Basel communiciert worden, worinn dieser liebenswürdige Philosoph von dem Agathen wie mich dftucht, richtig, obgleich mit zu vielem Lob und von mir selbst freundschaftlich urtheilt Ich zweifle nicht dass sogar Herr Nicolai, und Hr. L es sing dem Agathen sein Becht anthun werden aber was der närrische Kerl Harscher dazu sagen wird? Das wird nun allenfalls nicht viel zu bedeuten haben; aber es kau uns doch was zu lachen geben.

Was sagen Sie, mein liebster Freund, von einer gedoppelten Fortsetzung, welche ich künftig dem Agathen geben werde, wovon die eine Danae, und die andere Archytas heissen wird. Ich habe mich dazu bereits vorläufig gegen das Publicum anheischig gemacht; und ich gedenke, so der Himmel will, mein Wort zu halten.

Empfelen Sie mich, wenn ich bitten darf, dem Herrn Vöge- lin — Ich erkenne seine günstigen Gesinnungen für mich mit der lebhaftesten Dankbarkeit. Nur bitte ich Sie dafür zu sorgen, dass er nicht zu viel Rühmens von dem Agathen mache, damit der Neid der Deutschen nicht. etwan erst dadurch gereizt werde. Denn es fällt doch ziemlich in die Augen, dass diese Herren auf uns andre Nachbarn der Alpen ein wenig eyfersüchtig sind. Leben Sie wohl, mein bester Freund. Ich bin so lang ich athme, mit der vollkom- mensten Hochachtung und zärtlichsten Freundschaft

Ihr

ergebenster Biberach den 8. Octob. 1767.

Wieland.

27.

[Undatiert.]

ä Monsieur Monsieur S. Gessner, Seigneur Conseiller de La Republique de Zürich ä Zürich.

Mein theurester Hen* und Freund,

Es kan nichts simpelrs seyn, als dass Leute wie wir sind (mit Erlaubniss unsrer Demath) sich durch ein bisschen mehr oder weni- ger meum et tuum in ihrer Freundschaft nicht irre machen lassen. Es erfreuet mich, mein unschäzbarer Freund, dass Ihnen mein lezter Brief angenehm gewesen ist; wenn die Art wie ich mich darinn

51 & Briefe von Wieland mitgeiheilt von L. Hinel.

erklärt habe, freundschaftlich ist, so ist es die Ihrige in Dero Schrei- ben vom 18. huj. (das ich diesen Morgen erhalte) nicht weniger; und 8<i werden wir dann. leicht mit einander eins werden.

Sie bieten mir 250 Exemplare als den vierten Theil der Auf- lage, welche Sie von den Comischen Gedichten zu machen ge- denken, mit der Bedingung an, mir selbe sobald die giinze Auflage k 1000 Exemplare abgesezt seyn werde, in dem gewöhnlichen Ver- kaufspreiss zu bezahlen; hingegen sollen die Erzählungen, Idris und Musarion, so compre^s abgedruckt werden, dass Sie nur einen massigen Band in mitÜer 8^^ ausmachen, das wäre ungeülhr 20—24 Bogen wie mich däucht; welches doch immer einen ziemlich dicken Band macht.

Offenherzig zu sprechen, mein bester Freund, wäre mir freylich sehr lieb gewesen, wenn ich binnen 2 oder 3 Monaten etwan die Hälfte dessen, was Sie mir f(lr die Gedichte en question hätten ac- cordiren wollen , praenumerirt bekommen hätte. Wenn es aber ohne dero und der Societät üngelegenheit nicht seyn kan, so muss ich sehen, wie ich mich sonst arrangire. Ich nehme also Ihr Aner« bieten willig an, und überlasse Ihnen, als jdie von solchen Dingen die beste Kenntniss haben, den ordinären Preiss des ganzen Buches 2a bestimmen; doch däucht mich unter einem Beichsthaler oder halben Cronenthaler sollte er nicht gesezt werden. Leztem Falles würden Sie mir also, zu seiner Zeit, pr. 2öO Exempl. 125 fl. gros EcAs oder diy^ Louis neufs bezahlen. Wie wäre es denn also, wenn wir eine runde Zahl nehmlich 30 Louis sezten, denn woniger werden doch 250 Exempl. von einem Buch, das ein Alphabet beträgt, nicht ge- rechnet werden können? Nun seze ich voraus, dass Sie l) bey einer solchen Ausgabe, wie Sie zu machen gedencken, keinen Nach- druck risquiren und 2) dass es, allem menschlichen Ansehn nach, bey dieser Ausgabe nicht bleiben, sondern mit der Zeit davon noch mehr folgen werden; welches als ein futurum contingens zwar nicht gewiss, aber doch, wie ich glaube, höchstwahrscheinlich ist Dieses beydes vorausgesezt, dächte ich, dass Sie allerdings, ohne sich wehe zu thun, und mit hinlänglichen Vortheilen auf Ihrer Seite sich en- gagiren könnten, mir für diese Comischen Gedichte 30 Louis, zu geben; und zwar 15 praenumei-ando noch in diesem Jahr; für die Übri- gen 15 L. oder 150 fl. geben Sie mir einen auf Ihre Societät ge- stellten Wechselbrief in einem gewissen Termin z. Ex. a dato in l'/^ oder 2 Jahren zahlbar. Dieser Vorschlag scheint mir von dem Ihri- gen wenig zu differiren und würde mir hingegen , gewisser umstände wegen, imgleich convenabler seyn, als der Ihrige, wobey ich viel- leicht zwey Jahre warten müsste. Belieben Sie diese Sache noch- mals in Erwägung, zu ziehen. Können Sie mir mit der bemeldten Praenumeration (-.welche per assegno an einen dasigen Freund ge- schehen würde:) zu Gefallen seyn, so wäre mirs sehr Üeb, und wollte

Briefe von Wieland mitgetheilt TOn L, Hirzel. 517

ich solchenfalls, wenn es nicht anders seyn könnte, den Wechselbrief statt 150 fl. lieber auf 125 sezen lassen wo nicht, so bleibt es bey Ihrem Vorschlag; insofern Sie den Preiss eines Exemplars nicht geringer als 1 Yj fl. ansezen. Vergeben Sie, mein theurester Freund, dass ich Sie dieser Sache wegen noch einmal bemühe. Ich erwarte Ihre endliche Erklärung sobald als möglich und werde sodann die Mscpte ohne Anstand wider einsenden üebrigens sähe ich doch gerne, wenn Sie aus diesen Gemischen Gedichten zwey Theile machten; wer Liebhaber von dicken Bänden ist, könnte Sie dennoch in einen Band binden lassen.

Hr. Vögel in macht so lange, dass ich bald auf seine Geschäfte fluchen werde.

Dieser Tage meldet man mir, dass der seltsame Mensch, der die Fragmente über die N. L. geschrieben hat, Härder heisse, und, mit Verlaub, Conrector der Schule zu Riga sey: Der Himmel sey seinen Schulknaben gnädig!

Agathon wird, wie ich hoffe, von Hru, Moses Mendelson recensirt werden, welches mir angenehm seyn sollte und noch angenehmer, wenn Sie mir längstens in 2 Jahren schreiben können, dass Sie eine neue Auflage machen wollten. Denn ich habe, sonder- heitlich am Styl des 2ten Theiles bey einer kürzlich vorgenommenen Durchblätterung vieles zu verbessern gefunden. Ein dritter Thell wird, wenn ich sehe, wie die beyden ersten aufgenommen werden, unfehl- bar folgen. Es ist wahr, Ihre Aufmunterung allein sollte mir mehr als genug seyn; aber ich muss Ihnen meine Schwachheit gestehen; lieber will ich müssig gehen, als mein Gehirn für eine ganz unem- pflndliche und undankbare Nation aufzehren. Leben Sie wohl, mein theurester Freund. Ich bin mit der vollkommensten Hochachtung

Ihr

ganz ergebenster

Wieland.

28. [Aeussere Adresse:]

An Herrn Orell, Gesner, Fuseli et Compagnie in Zürich

[Inwendig oben:]

Züiich Orell, Gessner, Fuessli und Compagnie.

Weimar den 14 May 1773. Hochedle Hochzuehrende Herren,

Die verlangten 40 Exemplare des deutschen Merkurs, nebst 4 für Provision, sind mit der heutigen Post, in einem Päckgen, 0. G. F et C. gezeichnet, franco Nürnberg abgegangen. Den Be-

5J8 Briefe von Wieland mitgetheilt von L. Hirzel.

trag von 20 Louisd'or dafür werden Euer Hoched. mir indessen gut zu schreiben und gegen dcts, was ich Ihnen schuldig hiny auszu- gleichen* belieben. Ich bin übrigens mit aller ifoc^ Achtung und Freundschaft, die Sie kennen

Eur. Hoched.

gehorsamst ergebenster Diener

Wieland. P. S. Durch Hm. Beich werden E, E, den Best meiner Schuld mit rthl, 224 erhalten. Ich habe itzt unmögl, Zeit zu berechnen ob Sie zu viel oder zu wenig erhalten; genug ich verlasse mich mit völliger Sicherheit und Buhe darauf, dass Sie rechnen und mir weder zu Viel noch zu wenig fordern werden.

* Nur das so im Druck bezeichnete ist von Wielands eigner Hand.

Zu Herders Gedichten.

Von

Heinrich Düntzer.

Wielands Merkur vom Jahre 1782 beginnt mit sechs Gedichten ; von denen das letzte dessen Neujahrsglückwunsch an die Herzogin Mutter ist; an zweiter und vierter Stelle stehen kleine E. unterzeichnete Stücke: „Das Mädchen und die Rose" und „Freundschaft und Liebe"; die übrigen mit der Chiffre J. bezeichneten sind von Herder. Das zweit«: „Hannibal. Aus dem Italiänischen" findet sich in Herders Gedichten. Das erste ist eine Uebersetzung der Einleitung von Saadis „Rosen- garten", die Herder später in seinen „Blumen aus morgen- ländischen Dichtem" ganz verändert in Hexametern gab. Vgl. meine Bemerkung in der Hempelschen Ausgabe VI S. 20. Die wol in das Jahr 1781 fallende Uebersetzung lautet:

Lobgesang nach dem Persischen des Sadi.

Lob sei dem Ewigen! Gehorchen ihm, ist näher zu ihm gehn: Mit Dank von ihm empfangen, Heisst: mehr erlangen.

So oft der Athem in uns zeucht, Erneut er unser Leben: So oft der Athem von uns fleugt, Erfreut er unser Leben. Li jedem Athemzug ist zwiefach seine Huld Und unsre Schuld.

Doch wessen Hand vermag Dem Höchsten Dank zu bringen?

520 Düntzer, zu Herders Gedichten.

Ich trete jeden Tag Als Knecht vor meinen Herrn Und Sprech': „Ich möchte gern Und kann dich, Herr, nicht singen/'

Der Regen seiner Huld ergeusst sich überall: Auf seinem weiten Erdesaal Steht milde Tafel aufgedeckt.

Da kommt sein Knecht, der warme Ost, und streckt Den weiten smaragdnen Teppich hin Zum Freudenmahl;

Und Er, der Hausherr, winkt der Amme-Frühlingswolke, Die zarten Kinderchen, der Erde Grün, Wie Säugling' in der Wiese zu erziehn: Er kommt jedwedes Jahr ' Und bringt den Bäumen neubelaubt Und ihrer jungen Kinderschaar, Den Zweigen, Blütchen auf ihr Haupt* Der Mächtige verwandelt durch sein Wort Hier dürres Schilf in hellen Zucker, dort Mufis aus der Erd' ein Kern aufgehn Und jung und schlank ein Palmbaum vor uns stehn. 0 du mildreicher Gott, der seinen Schatz aufthut Und sättigt Gläubige und Heiden Mit Gut und Freuden, Mit reichem Gut!

Nein! er entzeucht uns nicht um nnsrer Sünden Schuld Die Decke seiner Huld, . Er reisst den Ehrenteppich nicht, Der lang auf unsern Fehlern lieget; Und wenn ein Reuiger sich vor ihm schmieget Und tritt vor sein Gericht

Und sucht die Gnadenthür und hört nicht auf zu flehn, Wollt' auch sein Herr von dannen gehn Und thät', als hört' er nicht; Demüthig hält er an, bis dass der König spricht: ,Jhr Engel, freilich ist mein Knecht Nicht meiner werth; Doch weil er Huld begehrt. Sei ihm verziehn!

* Die Perser feiern das neue Jahr, wie es sich auch eigentlich ziemt, im Frühlinge. Die Blüten der Bäume werden hier mit Mützchen verglichen, die der Hausvater der Natur den jungen Sprossen, die ihr erstes Leben gemessen, zum Nenjahrsgeschenk mitbringt. (Anm. des Uebersetzers.)

Dünizer, zu Herders Gedichten. 521

Verüess' ich ihn,

Wen hätt' er ohne mich?"

0 Nachtigall, die mit so starkem Triebe Des Höchsten Lob zu singen wagt: Sieh jene Mücke, die verzagt und liebekühn sich um die Flamme schwingt Und in sie dringt: Und schweigt und stirbt für Liebe.

Der Stolze, der von Gottes Tiefen Viel wissen will, bleibt ohne Wis8ej;ischaft; Wem je gegeben ward von seiner Kraft Ein Fünklein zu erblicken, Verstummet im Entzücken.

Ein Forscher wollte kühn Sich auf das hohe Meer Der Grösse Gottös wagen: er Verhüllete sein Haupt und schien Im Denken wie versunken. Zuletzt kam er wie trunken Aus tiefer Tief empor. „Ich war an Gottes Thor, In Gottes Garten", sprach er, „hatte vor, Am ersten Eosenbusch das Kleid mir ganz zu füllen. Und meinen Brüdern zu- enthüllen, Was ich gesehn. Ich stand davor, Und sieh, vom Dufte trunken, War mir die Hand gesunken. Ich Hess mein Kleid mit allen Den Bösen fallen."

Unendlicher I weit über allen unsem Sinn, Gedanken, Witz und Geist und Sprach' und Meinung hin Ist, was Du bist. Wir höreten und lasen, Was unsre Väter sich gesagt. Was alle Wesen sich gefragt Von Dir, von Dir: Was hörten wir? Und ob wir täglich für und für Fort denken über Dir, Des Menschen Leben ist am Ziel, Eh' er es weiss; am Ende sieht er frei, Dass er am Anfang sei, Und dass die Weisen allzusammen Studiren nur an Gottes Namen.

Arohiv f. Litt.-Gzsoh. VII. 36

522 Büntzer, zn Herders Gedichten.

Höchst anziehend ist die Yergleichung mit der spätem, durch den Zwang des Hexameters manches verwischenden Fas- sung und mit dem zu Grunde liegenden Olearius. Noch bedeutender aber ist für uns Herders erste ganz verschollene Legende. Sie lautet also:

Sanct Johannes.

WiUt du lang was treiben, treibs nicht immer; Sonst ersinket deine matte Seele: Euh, und Arbeit wechsle, dass die Arbeit Treu dir sei und deine SeeF erquicke.

Sanct Johannes, nun im hohen Alter, Lebete zu Ephesus, und ruhte Nach und zwischen seines Amts Beschwerden, um ihn spielete ein zahmes Bebhuhn, Dem er täglich Trank und Speise reichte, Das in seinem Schoosse schlief: er streichelt Freundlich sein Gefieder, redet mit ihm Und es horcht ihm, zwitschert Dank ihm freundlich.

Einst tritt aus dem Wald ein fremder Jäger Blutig ihm vors Antlitz. Um die Schulter Hing sein Köcher, an dem Arme hing ihm Der entspannte Bogen. Lange wünscht' er Diesen Heiligen zu sehn, imd saH ihn ^

Spielend mit dem Rebhuhn. Hoch verwundert Stand er vor ihm, rief unwillig endlich: „Heiliger Johannes! fem gekonunen, Einen Göttlichen zu sehen, seh' ich Einen Menschen, der die Zeit vertändelt.''

Und der Greis antwortet' ihm so milde: „Guter Fremdling, warum dass dein Bogen Da entspannet hängt?*' „Entspannet'', sprach er, „Dass er tauge, wenn ich ihn nun wieder Zielend spanne. Kann des Bogens Senne Immer straff sein, dass sie nicht erschlaffe ?*' Spricht Johannes: „Kann des Lebens Senne Stets gespannt sein, dass sie nicht erschlaffe?^ Lerne von mir Ruhe nach der Arbeit, * Sanfte Ruh, den Reiz zu neuen Kräften, Und denn sage frei, dass ein Apostel, Dass Johannes dich die Ruhe lehrte."

Hier steht „erschlaffte".

Düntzer, zu Herders Gedichten. 523

Als Herder im Jahre 1796 seine Legenden sammelte, scheint ihm diese entgangen zu sein. Auch seine Gattin fand sie wol nicht vor, als sie den Nachlass zum Zwecke der Aus- gabe der Werke durchgieng, da der Herausgeber sie sonst auf- genommen haben würde. Die Geschichte findet sich in des Baptista Fulgosus (Fiegoso) Factorum dictorumque me- morabilium libri IX (VHI, 8 de otio), woraus spätere sie geschöpft. Gelegentlich sei hier bemerkt, dass Herders Legende „Das Teufelchen mit dem verbrannten Daum", dessen Quelle ich früher nicht nachweisen konnte, wol durch die Auszüge veranlasst wurde, die Wieland im Merkur 1777 H, 154 160 aus des Jesuiten Angelin Gazee (Gazey) Pia Hilaria nach der franzosischen Uebersetzung, Les pieuses Becrea- tions (Ronen 1647) gab, auf die neuerdings auch Dunlop hingewiesen. Die betreffende Geschichte steht dort S. 156 f. Vgl. Wielands Werke in der Hempelschen Ausgabe XXXV, 402 f., wo ich bereits auf Herder Bezug genommen habe.

36'

Pfeil.

Von Karl Goedeke.

Wir alle, die wir uns mit Goethe beschäftigen, wissen, dass in „Dichtung und Wahrheit" mancherlei Irrthümer alsThat- sachen mitgetheilt sind, entweder weil die Erinnerung verblasst war oder weil Goethe andrer Zwecke wegen absichtlich ein späteres mit einem früheren yertauschte. Daneben sind noch die Theile zu berücksichtigen, die mehr Dichtung als Wahr- heit enthalten. In der Prüfung jedes einzelnen Punctes ist Behutsamkeit und Vorsicht geboten, da man im allgemeinen annehmen darf, Goethe sei, besonders was Personen betrifft, deren er gedenkt, besser imterrichtet gewesen als wir.

Bekanntlich wird im Siebenten Buche (1812; 2, 131) als Mitglied der Leipziger Tischgesellschaft ein „Hofmeister, Hof- rath Pfeil, Verfasser des Grafen von P., eines Pendants zu Gellerts schwedischer Gräfin" genannt. Das Personenverzeich- niss zu Goethes Werken nennt diesen Pfeil Johann Gott- lob Benjamin und bezeichnet ihn als „nachmals freiherrlich Friesenschen Justizbeamten zu Rammeisburg". Als ich in den Einleitungen zu Goethes Werken dieser Nachweisxmg folgte, während, ich im Grundriss 1, 628 Johann Gebhard Pfeil als Verfasser der Geschichte des Grafen von P. genannt hatte, war mir wolbekannt, dass Meusel im Lexikon verstorbener Schriftsteller (1810; 10, 394) andere Angaben macht, indem er dem Magdeburger Prediger Joh. Gebh. Pfeil nicht nur die Geschichte des Grafen von P., sondern auch die von mir ge- nannten Moralischen Erzählungen imd das Trauerspiel Lucie Woodwil zuschreibt, aber vorsichtig hinzufügt: „diese Schriften werden hier und da z. B. noch zuletzt von Ernesti dem fol- genden Pfeil (Joh. Gottlob Benjamin) beigelegt". Schon 1786, S. 489 hatte er gesagt: „Die dem J. G. B. Pfeil bey gelegte Geschichte des Grafen von P., die moralischen Erzählungen und das Trauerspiel sollen zuverlässig nicht von ihm her-

Goedeke, Pfeil. 525

rühren^ sondern von dem verstorbenen Job. Gebhard Pfeil." Er verweist dabei auch auf Weidlichs biographische Nach- richten von den jetztlebendea Eechtsgelehrten. Th. 4. Halle 1785^ S. 157 ff. Trotz dieser Bemerkungen Meusels hat es W. Frhr. v. Biedermann (Goethe und Leipzig. 1855; 1, 71 f.) doch vorgezogen^ Goethe und Emesti zu folgen^ indem er den J. Gottlob Benjamin für den Goetheschen Pfeil erklärt und demselben ^^einen Roman, einige Erzählungen , ein Trauer- spiel" u. s. w. zuschreibt. Erst G. v. Loeper (Goethes Werke. 21. Thl. Dichtung und Wahrheit. Berlin, Hempel. S. 280 f.) ist gegen Goethe, Emesti, Biedermann und mich zu dem Irrthume Meusels zurückgekehrt. Er schreibt: „Nun gibt es noch einen andern erheblich altern Pfeil , einen Magdeburger, Johann Gebhard mit Vornamen, Prediger in Thüringen, Magdeburg, Pommern, Günstling Baumgartens in Halle, seit 1740 Ueber- setzer theologischer Schriften aus dem Englischen und zuletzt in Berlin verschollen. Dieser Pfeil war der Verfasser der «Geschichte des Grafen P**» 1755, welche mehre Auflagen erlebte und eine ephemere Berühmtheit erlangte, ferner der «Versuche in moralischen Erzählungen> 1757 und des bürger- lichen Trauerspiels «Lucie Woodwill», welches Gervinus 5, 339 anführt. Die altern literarischen Handbücher schrieben diese letztgedachten drei Schriften dem Bammelburger Pfeil zu, bis Meusel dies berichtigte. Goethe, der sich sowol eines Pfeil als jener Geschichte des Grafen P. erinnern mochte, liess sich durch jene Handbücher zur Annahme verleiten, der von ihm gekannte Pfeil sei der Verfasser dieses Romans gewesen."

Das klingt recht sicher. Und ebenso sicher tritt Düntzer (Goethes lyrische Gedichte erläutert. Leipzig 1874, oder wie der Umschlagstitel angibt: Leipzig 1877; 1, 464) in den Zusätzen und Berichtigungen auf. Im Texte selbst 1, 20 hatte er Goethe noch geglaubt. Nun lesen wir: „Goethes Freund Pfeil war nicht, wie dieser selbst annahm, der bedeutend ältere Verfasser der Geschichte des Grafen P**, Johann Gebhard Pfeil, sondern der am 10. Nov. 1732 zu Freiberg geborne Johann Gottlob Benjamin Pfeil, der sich an den letzten Bänden der zu Leipzig bis 1760 erscheinenden «Erweiterungen des Erkenntnisses und des Vergnügens» betheiligte."

526 Goedeke, Pfeil.

Leider, ist das unrichtig. Bei den widersprechenden An- gaben beschloss ich den Johann Gottlob Benjamin Pfeil, den ich schon vor zehn Jahren befragt hatte, nochjnals zu ,,inter- viewen", um die für mich längst abgemachte Sache auch für die übrigen Goethe -Freunde zu erledigen. „Die Geschichte des Grafen von P. Leipzig, in Lankischens Buchhandlung. 1756^', 4 BIL u. 360 SS. 8®, die ich besitze, gibt über den Autor keinen Bescheid. Das Vorwort: „Der Herausgeber an den Leser^' unter- scheidet zwischen des Verfassers, der eben der Graf von P. selbst sein soll, da er seine Verirrungen direct erzählt, und des Herausgebers Person, natürlich nur zum Scheine: „Die Verachtung der Bewunderer des Sopha oder des Angola wird der grösste Lobspruch für den Verfasser und den Her- ausgeber der folgenden Geschichte seyn. Der letztere wünscht seinen Lesern .eben die Unpartheylichkeit, mit der Graf von P. sein eigenes Herz beurtheilt, die wahre Hoheit der Seele, mit der er seine eigenen ^Schwachheiten gesteht, und den Eifer, mit dem er eine verlorne Tugend wieder zu gewinnen gewusst hat.^* Er spricht von dem Glück der letzten Lebensjahre des Grafen von P. „Ich bin ein persönlicher Zeuge davon ge- wesen. Seinem Beispiel habe ich es zu danken, dass mein Herz den Werth der zwey kostbarsten Güter des Lebens zu schätzen gelernt hat. 0 Freundschaft und Liebe!" Der Roman selbst gewährt keinerlei Anhaltspuncte. Die übrigen Schriften des Verfassers, die Moralischen Erzählungen und das Trauer- spiel Lucie Woodwil, das im dritten Bande des Theaters der Deutschen, Königsberg 1769, nachgedruckt ist und 1787 noch- mals in Leipzig nachgedruckt wurde, lassen die Person des Verfassers gänzlich im dunkeln. Die Erzählungen erschienen anonym zu Leipzig 1757 bei Lankischens Erben, also in gleichem Verlage wie der Roman. Das Trauerspiel hat in dem Theater. der Deutschen keinerlei Namen eines Verfassers. Aus allen drei Schriften, die, beiläufig bemerkt, von den Litte- ratoren immer zusammen genannt und alle drei immer ent- weder dem einen oder dem andern Pfeil beigelegt sind, kann keine Losung der Zweifel geholt werden. Wol aber gibt das „Journal von und für Deutschland. Herausgegeben von S. Frhrn. von Bibra." 1787 (Vierter Jahrgang, S. 92—93) die

Goedeke, Pfeil. 527

vollständigste Gewissheit, dass Meusel, Loeper und Düntzer sich geirrt haben.

Im „Journal" steht eine „Berichtigung und Entdeckung des Plagiats eines französischen Schriftstellers" unterzeichnet: „Rommelburg am 31sten Januar 1787. D. J. 6. B. Pfeil" was Doctor Johann Gottlob Benjamin Pfeil bedeutet. Aus dieser Berichtigung hebe ich, da sie keinem Goethe-Forscher bekannt zu sein scheint, das wesentliche hervor.

Die AUg. Lit.-Ztg. 1786 Nr. 255 Sp. 167 hatte eine An- kündigung gebracht, dass eine üebersetzung von Merciers komme sauvage in Hamburg zum Preise von 14 Gr. Gold er- scheinen werde. „Dieser komme sauvage^\ sagt Pfeil, „ist nichts mehr und nichts weniger, als die von mir in meinem Jung- , lingsalter vor 30 Jahren aufgesetzte Erzählung: Der Wilde, welcher sich in den bey Lankischens Erben 1757 von mir herausgegebenen moralischen Erzählungen befindet. Herr Mer- cier hat Plan der Erzählung und Behandlung des Gegenstandes gänzlich von dem deutschen Original genommen imd er hat von dem Seinigen nichts hinzugefügt, als dass er dem nackten Wilden bisweilen ein französisches Gewand umgehangen und ihn das hat denken und sagen lassen, was er nicht hätte denken und sagen sollen. Nur zweymahl ist Herr" Mercier von der deutschen Erzählung abgegangen in Kleinigkeiten und jedesmahl ohne Grund. Herr Mercier g^b zuerst 1767 zu Paris bei der Wittwe du Chesne Vlwmtne sauvage traduit rf' ' heraus, aber das traduit d' blieb in der Ausgabe dieser Schrift zu Neuchatel 1784 weg, vielleicht, weil Herr Mercier nicht die Schwinde haben wollte zu übersetzen, am wenigsten aus dem Deutschen. Eben dieser Herr Mercier hat in seinem Bonnet de Nuit S. 35 der deutschen üebersetzung: Das Ge- sicht des Mirza, welches in eben diesen 1757 von mir herausgegebenen moralischen Erzählungen S. 1 ff. steht, unter dem Titel: Die beste Welt, Traum, mit veränderten Namen der handelnden Personen, als seine Arbeit, eingerückt."

Pfeil sagt dann, er habe im „Wilden" keine geringere Absicht gehabt als die eigentliche Grenzlinie der natürlichen und geoffenbarten Religion, nicht nach den Grundsätzen der philosophischen Systeme, sondern nach den Zeugnissen der

528 Goedeke, Pfeü.

Erfahrung zu bestimmen. „Eine Unternehmung, welche die Kräfte eines Jünglings von einigen zwanzig [25] Jahren wohl weit übertraf." Er habe wol Lust, falls seine gegenwärtige Lage es zulassen solle, die, Sache einmal neu und besser auf- zunehmen. ,,6is dahin kann man bey JuniusMn Leipzig das- jenige noch mit anderer lesbarer Waare für 12 Gr. haben, was der üebersetzer ftir 14 Gr. ankündigt." Er erwähnt wie- derholter Auflagen, derentwegen er von dem „buchhändlerischen Eigennutz" nicht begrüsst war und die er der Fehler wegen kaum noch für seine Arbeit anerkennen könne. Als Ver- fasser der Erzählungen steht also der Rommelburger Pfeil fest. Auch als Verfasser des Trauerspiels gibt er sich zu erkennen.

„Ich ergreife diese Gelegenheit", sagt er, „zu erklären, dass ich das Trauerspiel Lucie Woodwill, welches Schneider zu Leipzig, leider! im Jahr 1786 aus einer längst vergessenen Monatsschrift wieder abdrucken lassen, für nichts als unreifes, längst verdienterweise vermodertes Product meiner Jugendjahre erkenne und an diesem Abdruck nicht den geringsten Antheil habe. Da ich in verschiedenen literarischen Nachrichten als der Verfasser dieses Trauerspiels genannt bin, so bin ich, da ich freilich diese Autorsünde auf meinem Gewissen habe, diese Erklärung dem Publicum und mir schuldig.*^

Von der Geschichte des Grafen von P., die seit 1765 nicht wieder gedriijkt war, sagt er nichts, weil er sie wol auch zu den längst vermoderten Producten rechnete und hier, wo es ihm nur auf „Anzeige franzosischer Freibeuterej gegen deutsche Autoren und des sonderbaren Speculationsgeists deut- scher Buchhändler" ankam, keinen Grund hatte davon zu reden. Da aber bisher noch niemand eine Theilung der in Frage kommenden drei Producte (Graf P., Erzählungen, Trauer- spiel) unter zwei Pfeile versucht hat,* so darf man sagen, dass mit der sichern Unterbringung zweier dieser Schrifben auch die dritte steht und fällt und dass Goethes Tischgenoss Johann Gottlob Benjamin Pfeil Verfasser der Geschichte des Grafen von P." ist. Auf seine Aussagen gestützt schrieb ich den Passus meiner Goethe-Biographie, der freilich zu weiterem nachforschen keine Veranlassung geboten hat, weil ich meine Quelle nicht ausdrücklich nannte.

Goethes Lothringische Reise.

Von

6. von Loeper.

Der Ritt, welchen Goethe als Student Ton Strassburg ins untere Elsass und bis Saarbrücken unternahm, ist bisher in den Sommer 1771 gesetzt worden. Goedeke hat neuerdings in einem obige Aufschrift führenden Artikel in Lindaus ,,Gegen- wart" (1878, Nr. ly zu beweisen versucht, dass die Reise schon in den Juni und Juli 1770 falle. Ich glaube, man wird seiner Ansicht beitreten können.

Für die Aufklärung der kurzen und doch so einflussreichen Strassburger Periode des Dichters ist in neuester Zeit unter der Gunst der gegenwärtigen dortigen Verhältnisse viel ge- schehn. Die nach Form und Inhalt etwas sonderbare Schrift von A. Baier, „Das Heidenröslein" (Heidelberg 1877) enthält manches unbekannte über die ehemaligen Strassburger Uni- versitätsverhältnisse und die neueste des Pfarrers Lucius zu Sessenheim über Friederike Brion fasst die reichen Ergeb- nisse langjähriger Forschungen zusammen. Dazu die Mitthei- lungen von Erich Schmidt in zwei Artikeln des vorjährigen Jahrgangs der Zeitschrift „Im Neuen Reich" gleichfalls über Friederike Brion und über 0' Feral, einen von ihm ent- deckten Genossen des Goetheschen Kreises, sowie über andre Mitglieder desselben. Was Lenz betrifft, so hat sein Strass- burger Aufenthalt durch sein im vorigen Jahre durch Urlichs in Druck gegebenes Tagebuch vom Jahre 1775 neues Licht erhalten; von Suphans und Hayms Arbeiten über Herder ist das gleiche auch für die den letztem betreffenden Partien von „Dichtung und Wahrheit" zu erwarten.

530 V. Loeper, Goethes Lothringische Reise.

Nun bringt Goedeke auch die Frage betreffend die Zeit der Lothringischen Reise zur Erörterung. Er stützt seine neue Annahme hauptsächlich auf die Darstellung in Jung-Stillings Leben, woraus Goethes Anwesenheit in Strassburg zu Ende Juni 1771 und daher die Unmöglichkeit einer gleichzeitigen Reise nach Saarbrück klar folge. Müsse man dann sein Brief* concept an „Fränzchen" aus Saarbrück vom 27. Juni dem Jahre 1770 zuweisen, so werde jener freundschaftliche Erguss erklärlicher, da der Briefsteller erst ein Vierteljahr vorher von „Fränzchen", d. h. nach Goedekes Annahme Francisca Cres- pel zu Frankfurt, Abschied genommen, womit dann das October- datum und der Inhalt des ferneren Briefes an dieselbe aus dem Jahre 1770, sowie die Einordnung des Reiseberichts in „Dichtung und Wahrheit^' sich bequem verbinden.

Alles dies unterstützt Goedekes Annahme, scheint mir jedoch nicht zwingend. Die Stelle bei Jung wäre es, wenn sie etwa aus einem gleichzeitigen Briefe stammte. Die Schil- derung seines Lebens ist aber im einzelnen nicht authentisch, will es nicht einmal sein, und beruht zumeist auf oft täu- schender Erinnerung, nicht auf Documenten aus der Zeit. Vieles kann man jedoch auf Treu und Glauben annehmen, und dazu gehört vielleicht jene Zeitbestimmung, weil sie den Schluss von Jungs Hochzeitsreise betraf und diese mit allen Neben- umständen wol fest in des Verfassers Erinnerung haftete.

Als das entscheidende Zeugniss möchte ich dagegen Goethes eigne Darstellung von der Reise ansehn. Sie konnte in solcher Ausführlichkeit und Genauigkeit nur auf Grund gleichzeitiger schriftlicher Aufzeichnungen gegeben werden, wie auch die fast wortgetreue Wiederholung einer Stelle aus dem Brief- concept an Fränzchen vom 27. Juni in „Dichtung und Wahr- heit" beweist. Zu Anfang des Zwölften Buchs dieser Lebens- geschichte spricht Goethe auch selbst von „Reisebemerkungen" der Art, die ihm 1812 vorgelegen haben müssen. Dann aber wird auch seine Darstellung das Gepräge der Zeit, und zwar das ganz bestimmte Gepräge des Jahres 1770 in ofhen oder versteckten Zügen tragen, und es käme nur darauf an, solche Züge herauszufinden, welche die Physiognomie dieses Jahres von der des folgenden unterscheiden. Ein derartiges Charak-

V. Loeper, Goethes Lothringische Reise. 531

teristikon des Jahres 1770 scheint mir in der Erwähnung der „drohenden Hungersnoth" anlässlich des Sonntagbesuchs in Pfalzburg vorzuliegen. Ergibt sich, dass dort nur im Som- mer 1770 und nicht im folgenden von einer drohenden Hun- gersnoth die Rede sein konnte , so ist der Beweis für das erste Jahr erbracht.

Man spricht zwar allgemein von den Hungerjahren 1770 und 1771, und so könnte es den Anschein gewinnen, jene Worte fänden gleichmässig auf beide Jahre Anwendung. Da indessen Hungerjahre durch Missemten entstehn, so könnten in jedem der beiden Jahre verschiedene Monate gemeint sein, in dem ersten vorzüglich die Monate von der fehlgeschlagenen Ernte oder von da an, wo sie als solche erkannt wurde, bis zum Jahresschluss, in dem zweiten die Monate vom Jahres- anfang bis zur neuen Ernte. Meine Materialien reichen nicht aus, um ganz klar hierüber zu werden. So 7iel ich jedoch ersehn kann, traf die Missernte, wenigstens im südlichen Deutsch- land, in das Jahr 1770, hervorgerufen durch ein vom April bis zum October währendes regnerisches Wetter. Nach einer Notiz in den Mittheilungen der Frau Belli-Gontard (VI, S. 3 und 6) regnete es zu Frankfurt in diesem Zeitraum an 134 Tagen. Dieser Regen zerstörte alle Hoffnungen auf den Emte- segen, und so konnte schon zu Ende Juni 1770 in Pfalzburg eine Hungersnoth drohen. Die grosse Theurung hatte dieselbe Quelle y und dazu noch andre; denn schon bei der Reise der Dauphine, Marie Antoinette, durch das Elsass im April 1770 war die allgemeine Noth bemerklich. Auch in Goethes Reise- bericht fehlen nicht Symptome der Regenzeit. In der Region der Saar und Mosel „fing der Himmel an sich zu trüben*', und in dem erwähnten Briefconcepte steht: „Heute regnet's." Frei- lich wechseln in jedem Sommer Regentage mit hellen. Aber alles zusammengenommen gibt den Eindruck eines andern Jahres als des später im Eilften Buche geschilderten, wo „uns Monate lang ätherische Morgen beglückten" und die Wolken ^Tage, ja Wochen lang" über den Bergen standen, „ohne den rei- nen Himmel zu trüben", Schilderungen, die nur auf den Frühsommer 1771 passen. Ebenso drückt die in demselben Buch erzählte Reise ins obere Elsass einen Gegensatz zu dem

532 y- Loeper, Goethes Lothiingische Beise.

Bericht von dir Lothringischen aus; denn die dort erwähnten „Hymnen an Ceres", der „Verbrauch so vieler Früchte" und die Erörterung der Ausfuhrverbote deuten klar auf eine . er- gibige Fruchtemte. In demjenigen Jahre, worin die jungen Leute solche Hymnen dichteten, konnte zu Ende Juni nicht eine Hungersnoth „drohen". Beide Reisen gehören nothwen- dig in verschiedne Jahre.

Zu demselben Resultat gelangt man durch Folgerungen aus Engelbachs Theilnahme an der ersten Reise, wenigstens bis Buchsweiler. Dieser, am 7. September 1744 geboren, da- her 1770 schon im 26. Lebensjahre stehend, befand sich im nächsten überhaupt nicht mehr in Strassburg. Um Johanni 1771 konnte er an einem Ritte von Strassburg nach Pfalzburg und Buchsweiler sich nicht mehr betheiligen. Li der einzigen gleichzeitigen Spur, die sich von Groethes Bekanntschaft mit ihm erhalten hat, in Goethes Brief an ihn vom 10. September 1770, erscheint Engelbach als ein soeben aus dem Strass- burger Kreis ausgeschiedener („Der ganze Tisch grüsst Sie"), und wenn Goethe darin „seiner Freunde", mithin seiner Buchs- weiler Freunde gedenkt denn der Brief ist nach Buchs- weiler gerichtet , so wird man diese Bekanntschaften nicht aus andern, 'unbekannten, Reisen Goethes nach Buchsweiler, sondern aus der uns bekannten Lothringischen erklären, diese also vor jenen Brief an Engel bach setzen müssen. Die son- stigen Briefe Goethes aus diesem Sommer, die an die beiden Hetzler, an Trapp, an die Klettenberg, enthalten aller- dings keine Anspielungen auf Reisen der Ait, aber ihr Lihalt widerspricht auch nicht. Sein „unstätes Leben" in dem an Trapp vom 28. Juli und das in dem vom 14. Juli hervor- gehobene längere stillschweigen lassen auf längere Abwesen- heit vom Orte schliessen.

Dazu noch folgende Erwägung. Da der Dichter im Herbste 1770 sich einer juristischen Prüfung zu unterziehen hatte, so bliebe für die Vorbereitungen genügend Zeit disponibel, auch wenn in die Johannisferien vorher die Lothringische Reise ge- setzt würde. Grade in der ersten Zeit fühlt man Beruf sich in einem neuen Lande weiter umzusehn. Dagegen käme man mit den doch unvermeidlichen Vorbereitungen zur Doctor-

y. Loeper, Goethes Lothringische Reise. 533

promotion zu Anfang August 1771 sehr ins Gedränge , wenn für die vorhergehenden drei Monate ausser der ganz sichern mehrwochentlichen Abwesenheit zu Sessenheim und der Reise ins obre Elsass auch noch diejenige nach Lothringen anzusetzen wäre. Eine solche ist unwahrscheinlich, fast unmöglich. Dem bereits zweiundzwanzigjährigen Dichter darf man bei aller seiner Genialität doch eine richtigere Zeiteintheilung zutrauen. Man kann sogar noch weiter gehn und die bisher unaus- gefüllte ZeiÜücke zwischen der Doctorpromotion vom 6. August und der Ankunft zu Frankfurt in den letzten Tagen dieses Monats dadurch erklären, dass der Dichter das Elsass nicht sogleich verliess, sondern die Zwischenzeit nach absolvierter Promotion zu der vergnügten Fahrt ins obre Elsass benutzte. Denn dass er in diesem Jahre wirklich solche Reisen unter- nommen, beweist wiederum sein erster Brief an Herder aus Frankfurt, worin er den Liederertrag aufzählt der „noch«, also nach Herders Abgange von Strassburg (April 1771) im Elsass gemachten „Streifereien^^

Wie es sich auch mit der letztem Reise verhalte, jedes- falls folgt aus der Verweisung der erstem in das Jahr 1770, dass dann unter der Person der Ueberscbrift des Sessenheimer Gedichts: „als ich in Saarbrücken war", in dessen zweiter Strophe gleichfalls eine Regenzeit erscheint, nicht Goethe ver- standen werden kann, es müsste denn nachgewiesen werden, dass seine erste Bekanntschaft mit den Brions schon vor den Herbst 1770 falle. Dass innere Gründe die Autorschaft Goethes bedenklich machen, ist meine Ansicht Die Situation des Gedichts verlangt ein verreisendes Mädchen und einen an dem gemeinschaftlichen Wohnorte verbleibenden Liebhaber als Dichter. Nach beiden Richtungen fehlen alle Anhalts- puncte, sobald in dem letztem Goethe erblickt wird.

Zum Schlüsse bemerke ich jedoch, dass die ganze Hypo- these von einer früheren Datierung der Lothringischen Reise in nichts zusammenfällt, sobald sich ergeben sollte, dass das Concept zu dem Briefe an Fränzchen vom 27. Juni jünger sei als das zu dem Briefe an dieselbe vom 14. October. Hieiv über kann nur Einsicht der Handschrift Aufklärung geben.

Goethes Tanzlelirer in Strassburg und das „Princessclieii" in Neapel.

Von Woldemar Freiherrn von Biedermann.

In seinem vortrefflichen Commentar zu „Dichtung und Wahrheit" (Goethes Werke. Berlin, G.-Hempel. XXI, 380) hat Herr Dr. v. Loeper die Tanzmeister aufgeführt, welche, wenn nicht schon, als Goethe in Strassburg studierte, so doch 1781, also ein Jahrzehent später, dort thätig waren; sie hiessen Beck, Carl, Deborde, Du Camp, Fran9ois, Leconte, Lepi und Sauveur. Uns andern bleibt nun die Aufgabe, zu ermitteln, ob und beziehentlich welcher unter diesen Goethes Lehrer war. Zu diesem Zweck haben wir uns zunächst die Stellen des Neunten Buchs, in denen Goethe von seinen Tanz- stunden erzählt und welche die Person des Lehrers betreffen, zu vergegenwärtigen. Nachdem er von dem langem Zeitraum gesprochen, während dessen er aus der Uebung des tanzens gekommen war, führt er die Umstände an, die in Strassbui^ ihn zur Wiederau&ahme bewogen, und fährt dann dabei fort: Ingleichen waren auf den Landhäusern Privatbälle, und man sprach schon von den brillanten Bedouten des zukommenden Winters. Hier wäre ich nun freilich nicht an meinem Platz und der Gesellschaft; imnütz gewesen; da riethmir ein Freund, der sehr gut walzte, mich erst in minder guten Gesellschaften zu üben, damit ich hernach in der besten etwas gelten könnte. Er brachte mich zu einem Tanzmeister, der für geschickt be- kannt war; dieser versprach mir, wenn ich nur einigermassen die ersten Anfangsgründe wiederholt und mir zu eigen ge- macht hätte, mich dann weiter zu leiten. Er war eine von den trockenen, gewandten franzosischen Naturen und nahm mich freundlich auf.*' Wie hier der Mann als Franzose bezeichnet ist, so wird auch weiterhin von seinen Töchtern bemerkt:

y. Biedermaim, Goethes Tanzlehrer in Strassburg. 535

„Sie sprachen nur franzosisch." Sind nun aber auch demnach die beiden oben zuerst genannten Tanzmeister, offenbar Deut- sche^ ausgeschlossen^ so bleiben doch nach den Namen zu urtheilen? immer noch sechs, aus denen Goethes Lehrer her- auszusuchen ist, wenn er sich überhaupt darunter befindet.

Goethe hatte die Absicht, sich durch die Tanzstunden für „die besten Gesellschaften" zu bilden; er wird also an den- jenigen Tanzmeister sich gehalten haben, der für den vor- nehmsten galt und daher für die beste Gesellschaft zu bilden verstand, wie er ja sich ohnehin stets bei der Wahl seiner Lehrmeister an die Spitzen hielt. Sollte sich der als erster geltende Strassburger Tanzlehrer jener Zeit erforschen lassen, vielleicht sogar derjenige, der in Goethes Ereis bekannt war, so würden wir der Lösung unsrer obigen Aufgabe schon sehr nahe gerückt sein.

Beides geht nun aus einer Stelle des 1776 erschienenen Trauerspiels von Leopold Wagner: „Die Kindermörderin" hervor. Erinnern wir uns, dass Wagner gleichzeitig mit Goethe in Strassburg lebte und zu dessen Umgang gehörte, dass Goethe ihn beschuldigte den Plan des genannten Trauer- spiels aus seinen vertraulichen Mittheilungen über „Faust" entwendet zu haben, endlich dass Wagner für sein Stück an- gibt: „Der Schauplatz ist. in Strassburg", sowie dass es in der damaligen Zeit selbst spielt, so werden wir von vornher- ein auf eine Aufklärung gespannt sein dürfen, die wir dort- her erhalten. Die gedachte Stelle findet sich im ersten Act und lautet, wie folgt

„V. Gröningseck. . . . Aber eins, Evchen, musst Du mir, wenn wir wieder auf den Ball fahren, versprechen: dass Du mir keinen Deutschen mit jemand anders, als mit mir tanzest; Gontretänz' so viel Du willst. Frau Humbrecht. Geltl Sie kann nichts? Hat's eben wieder verlernt. v. Grön. Nicht doch! Sie tanzt nur zu gut, macht ihre Figuren, Wen- düngen, Stellungen mit zu viel gräce, zu reizend, zu einneh- mend. Ich kann's ohne heimlich eifersüchtig zu werden nicht mit ansehn. Fr. Humbr. Ei, Sie belieben halt zu scher- zen! Sie hat zwar drei Winter hintereinander beim Sauveur Lection genommen. v. Grön. Beim Sauveur? Pardieu! Da

536 ▼• Biedermann, Goethes Tanzlehrer in Strassborg.

wundert's mich nicht mehr. Ich hab' auch bei ihm repetirt- C'est un excellent maitre pour former une jeune personne! . . . Aber; comment diable! kamen Sie an den Sauveur? Der hat ja immer soviel mit Grafen und Baronen zu thun. Evchen. Es waren auch drei Barone und ein reicher Schweizer^ die beim Herrn SchaSher neben uns logirten, und weil sie noch Frauenzimmer brauchten^ so luden sie mich ein. v. Gron. Wie lang' ist's her? Fr. Humbr. Schon fOnf Jahr, glauV ich. Evchen. Ja, so lang' ist's gewissl wenn's nicht gar sechse sind,"

Diese Zusammenstellung und insbesondre die in dem Trauerspiel aus der Gegenwart von 1776 gemachte Zeitangabe, dass Evchens Tanzstunden vor 5 6 Jahren stattgefunden haben, also gerade zur Zeit von Goethes Aufenthalt in Strass- bürg, fahrt mit höchster Wahrscheinlichkeit zu dem Schluss, dass Sauveur am Broglie-Platz Goethes Tanzlehrer in Strassburg war. Darf man femer annehmen, dass die Vornamen seiner Töchter von Goethe in „Dichtung und Wahrheit" ebensowenig willkürlich geändert worden sind, wie die von Friederike, Lotte und Lili, so mag man nur unbedenklich bis auf besseren Nach- weis künftig unter den Frauengestalten aus Goethes Leben auch nennen: Lucin de und Emilie Sauveur.

Weiteres mögen die Strassburger ausforschen!

Aber welchen Fürstennamen trug „das lockere Princesschen" in 'Neapel, Filangieris Schwester? (Hempelsche Ausgabe von Goethes Werken XIX, 55. XXIV, 186 f. 190 flf. 309 f.) JedesfaUs Belmonte; denn niemand anders als eben sie kann jene JVtnct- pessa Bdmonte gewesen sein, welche in Neapel in einer Gesell- schaft bei der Herzogin Amalie von Weimar 1789 zu dieser sagte: Altezza mia! io passo la vita mia coUe tre cose: un poco di mtisica, un poco di pittura e an poco di pcuszia. (Aus Tischbeins Leben und Briefwechsel. Herausgeg. von F. v. Alten. S. 94 f.)

Anmerkung. Eine nicht erwünschte Bestätigung für die Richtigkeit seiner Vermuthung bezüglich Sanveurs war für den geehrten Vf., dass ihm, wie er nachträglich bemerkte, Dr. von Loe- per (Dichtung und Wahiheit ITI S. 28ö) dieselbe unter kurzem Hinweis auf „die Eindermörderin^' vorweg genommen hat.

S. V. C.

Ungedrnckte Gedichte Ton Goethe ans Hirzels Sammlung.

Von Woldemar Freiherm Ton Biedermann.

Je unzugänglicher der reiche Goethe -Schatz in Weimar ist; um so eifriger ist dafür Sorge zu tragen ^ dass alle zu- gängliche Goethe-Sachen der OefiPentlichkeit eigen und nutzbar gemacht werden. Nachstehend werden daher ein paar kleine Dichtungen abgedruckt^ welche sich in Hirzels Sammlung ab- schriftlich befinden. In dem „Neuesten Yerzeichniss einer Goethe-Bibliothek'' sind sie Seite 219 und 235 aufgeführt. Das an letzterer Stelle ebenfalls eingereihte Distichon ^^Eva, yer- ziehn sei die Schuld'^ hat sich bei Uebergabe der Sammlung an die Universitätsbibliothek zu Leipzig nicht TOi^efunden.

Bezüglich der B>echtschreibung hat man sich an die der vorliegenden Abschriften nicht gehalten^ da fUr deren Genauig- keit keine Gewähr gegeben war.

1. Edelknabe und Wahrsagerin.

Das unter dieser Ueberschrift entworfhe Gedicht in antiker Form ist in der hier angedeuteten Gestalt nicht ausgeführt worden ; sondern hat eine ganz andre in der IV. Romischen Elegie erhalten, die mit den Worten „Fromm sind wir Lie- bende" beginnt und zuerst im 6. Heft der „Hören" 1795 er- schien. Mehrere Verse sind jedoch aus diesem Entwurf in jene Elegie übergegangen. Da das Versmass nur in der ersten Zeile ein ausgeprägt hexametrisches und da in der vorliegen- den Abschrift nicht die Einrückung von Pentametern kenntlich

Abchit f. Litt.-Gbsoh. VU. 36

538 V. BiedermanD, Gedichte von Goethe aus Hirzels Sammlung.

gemacht ist, so lässt sich daraus nicht entnehmen, ob Goethe eine Dichtung im elegischen oder im heroischen Versmass, worin er z. B. damals seine ,, Episteln ^^ geschrieben hat, beab- sichtigt hatte.

Kennt ihr die Dirne mit lauerndem Blick und raschen Geberden?

Die Schalkin, sie heisst Gelegenheit; lernt sie nur kennen!

Sie erscheinet euch oft, immer in andrer Gestalt.

Gern betrügt sie den Unerfahrenen, den Blöden,

Schlummernde neckt sie stets, Wachende flieht sie eilends,

Und die Unschuld bethört sie, der kömmt sie am leichtsten.

Einst erschien sie dem Knaben, ein bräunliches Mädchen, die Arme,

Nacken und Busen und Leib nicht allzusittig verhtQlt.

Zukünftges deutend zeigte ihr Finger nach oben,

Bog ihren Hals sie nach vorn;

Ungeflochtnes Haar krauste vom Scheitel sich auf;

Lockend war ihre Miene, doch schaute der Bube nicht auf.

Wie sehr sie sich mühte des Harmlosen Auge zu fangen,

Er hört sie nur halb.

Dacht' an sein Lieb. Doch stille! Die Dirne ist weg

Degen und Schärpe verschwunden, die ihm die Liebste gab.

Die übrigen Abschriften enthalten nur kleinere ^im- gedichte und zwar zunächst

2. ein ohne Eenntniss der Veranlassung kaum recht zu deutendes:

Er ist noch weit vom Schluss entfernt, Er hat das Ende nicht gelernt.

Weimar am 7. Januar 1814. Goethe.

Die folgenden drei Reime sind insgesammt datiert „Berka, d. 21. Juni 1814'* und ebenfalls mit „Goethe" gezeichnet

3.

Logogryph.

Das erste gibt mir Lust genug, Das zweite aber macht mich klug.

Da die Bedeutung des ganzen nicht mit angegeben ist, so ist die Auflösung dieses Sylben- oder Worträthsels un- möglich oder vielmehr, es sind unziOdige Lösungen mögUch. Die richtige wird nur dem offenbar gewesen sein, dem sie

V. Biedermann, Gedichte von Goethe ans Hirzels Sammlung. 539

galt oder der doch mit den veranlassenden Umständen be- kannt war.

4.

Seit einigen Tagen Machst du mir ein bös Gesicht: Da denkst wol^ ich soll fragen, Welche Mücke dich sticht?

5.

Dass ich bezahle Um zu verführen, Das gilt in Westen, Das gilt in Osten; Dass ich bezahle Um zu verlieren, Das sind, ich dächte. Sehr schlechte Kosten.

Man konnte hierbei an ein Spiel, vielleicht Lotterie denken.

Endlieh gehört noch zu diesen Abschriften

6. mit dem Datum ,, Weimar d. 10. Jan. 1814'^ und gleichfalls mit der Unterschrift „Goethe" das Sprichwort:

Wen Gott betreuget, Der ist wol betrogen.

Goethe amplificierte dasselbe bekanntlich in seiner Weise, in- dem er die Zeile vorsetzte:

Sogar dies Wort hat nicht gelogen.

Der so gebildete Beim steht zuerst 1815 im 2. Bande von Goethes Werken.

Zum Schlüsse sei an die werthvoUe Gabe Burkhardts im n. Bande dieses ,, Archivs^ erinnert, worin sich Seite 512 ebenso Aufzeichnungen Goethes aus Weimar vom Januar 1814 und aus Berka vom Juni desselben Jahres finden. In Berka schrieb Goethe damals auch das in Riemers „Briefen von und an Goethe '^ zuerst veröffentlichte Gedicht „Der Bing'^, sowie das in Hempels Goethe- Ausgabe V, 261 zuerst gedruckte „Liebe".

36

Zweite Fortsetzung der Nachträge zu Hirzels „Nenestem Verzeiclmiss einer Goethe - Bibliothek".

(Archiv f. L. VI, 179—214. 667—671.)

Von Woldemar Freiherm von Biedermann.

Schon als die erste Fortsetzung obiger Nachträge in die Oeffentlichkeit trat, war Salomon Hirzel picht mehr unter den lebenden; nachdem ein Staarleiden die letzten Jahre seines Lebens verbittert hatte, nahm die Operation am 9. Februar 1877 einen todtlichen Ausgang. In ihm schied ein litteratur- freund, der mehr als irgend ein anderer für die Goethe -For- schung gethan hat. Obwol er selbst ausser einigen Recen- sionen keine selbständige Schrift Ober Goethe verfasst hat, vielmehr das, was er zum Druck beforderte, nur eben das Yerzeichniss seiner Goethe-Bibliothek und eine Anzahl kleiner Hefte war, durch welche letztere er ungedruckte oder doch verschoUne Gedichte, Briefe und sonstige Schriften Goethes befreundeten mitstrebenden mittheilte, so war doch seine auf einen bestimmten wissenschaftlichen Zweck gerichtete Samm- lung ein Halt für alle, die über Goethe schrieben, und zahl- reiche Bände der Goethe-Litteratur wurzeln mehr oder weniger in ihr. Er muss als Begründer der Goethe-Litteratur auch insofern anerkannt werden, als er zuerst lehrte sie in ein System zu bringen und dabei das wesentliche von dem aller- hand zu scheiden. Er ordnete das Chaos etwa wie Werner einst in der Mineralogie. 'Die Selbstbeschränkung, die Hirzel sich zu diesem Zweck auferlegen musste, lag weniger nahe, als es jetzt scheinen mag. Kommt es doch heute noch vor, dass man unter dem vielversprechenden Namen „Die Goethe- Litteratur'' eine Schrift angekündigt findet, die bei Lichte be-

y. Biedermann, zu Hirzela Goethe-Bibliothek. III. 541

sehu ein planloses Zusammengestopple und daher nur theure Maeulatur ist.

Hirzel war durch das alles ein Mittelpunct für die Goethe- Litterafcur geworden ^ dem sich manches selbst imgesucht ent- gegentrug; es wird andern nicht sobald gelingen, als Erben seines Bufs das Yerzeichniss einer Goethe-Bibliothek in der gleichen Vollständigkeit fortzusetzen. Nur die grössere Publi- cität, die diese Nachträge im „Archiv" erhalten^ mag viel- leicht zur Folge haben^ dass man den Schreiber derselben zum Zwecke thunlicher Annäherung an Vollständigkeit auf Veröffentlichungen hinweist^ die sich dem Auge des Sammlers leicht entziehen; derselbe hat schon die Freude gehabt^ einige werthvolle Einzeldrucke zugeschickt zu erhalten^ von denen er ohne die freundliche Aufmerksamkeit dei; Spender nichts er- fahren hätte.

Die gegenwärtige zweite Fortsetzung der Nachträge zu Hirzels neuestem Verzeichniss setzt sich zusammen aus Nach- trägen zu den früheren Jahren und aus den Erscheinungen des Jahres 1877.

1775. In diesem Jahre liess Goethe selbst besage der „Lite- rarischen Correspondenz. Herausgegeben von H. A. Stöhr" Nr, 1 Leipzig den 10. März 1877 drucken

Herr Nicolai auf Werthers Grabe. 1 Bl. gr. 4. Mit Vignette.

1776. Nur ria-ch der Bibliotheca Haeberliniana s. unten 1877 führe ich an:

Erwin und Elmire^ ein Schauspiel mit Gesang von Goethe; in Musik gesetzt^ und seinem gnaedigsten Landes- herrn dem Durchl. Fürsten von Isenburg u. Büdingen , unter- thaenigst zugeeignet von Andr^. Offenbach a. M. bey dem Verfasser und sonstigen Musikadressen. 1776. fol. 37 Seiten. Ciavierauszug.

1782. Laut Goethes Brief an Knebel vom 3. Februar 1782 war das Gedicht zum 30. Januar 1782^ Die weiblichen Tugenden^ auf Bändern gedruckt worden.

542 V. Biedermann, zu Hirzels Goethe-Bibliothek. III.

1794. Flora. Teutschlands Töchtern geweiht. Eine Monats- schrift von Freunden und Freundinnen des schönen Ge- schlechts. Zweeter Jahrgang. Erstes Bändchen. Drittes Heft. März. Tübingen 1794. In der J. G. Gottaischen Buchhandlung. [S. 302 f. Inschriften im Park zu Weimar^ abweichend vom Druck in den Werken^ aber auch nicht originaltreu.]

1802. Ohne eigne Einsichtnahme nenne ich:

Dramaturgisches Journal für Deutschland. Nr. 8 (Fürth) den 26. Februar 1802. 8. [Das Gedicht „Wenn von der Ruhmverkünderin'' u. s. w. zu dem Maskenzug von 1802, hier mit der Ueberschrift „Zum 30. Januar 1801".]

1808. Zeitung für die elegante Welt. 83. Dienstag den 24. May 1808. [S. 663. Das Gedicht „Guter Bath'' mit abweichenden Lesarten, zwischen der Form von 1776 und der von 1789 stehend.]

1809. Archiv für Theater und Literatur. Herausgegeben von Carl Reinhold. Erster Jahrgang 1809. Hamburg, bey Fried- rich Hermann Nestler. Nr. 2. Mittwoch, den 5. July 1809. Gr. 4. [„Johanna Sebus".]

1817. Denkschrift über Lord Elgins Erwerbungen in Griechen- land. Nach der zweiten englischen Ausgabe be^irbeitet. Mit einem Vorwort von G. A. Böttiger und Bemerkungen der Weimarischen Kunstfreunde. Nebst einem Kupfer. Leipzig und Altenburg, F. A. Brockhaus. 1817. Gr. 8. [S. 61—76. Nachträge, unterzeichnet W. K. F.]

1828. Nach der „Zeitung für die elegante Welt" 1837 S. 388 erwähne ich:

Frankfurter Telegraph. 1837. [Brief G.s an N. Borchardt V. 1. Mai 1828.]

1840. Nach Dr. Uhde in der „Beilage zur Allgemeinen Zeitiing^ Nr. 33 1878 ist hier einzuschalten:

y. Biedermann, zu Hirzels Goethe-Bibliothek. III. 543

Nümberg'sche Denkblätter oder Stimmen der (jregen* wart und Vergangenheit über Nürnberg, zur Beherzigung für Einheimische und Fremde. Nürnberg, Druck der Campe'- schen Offizin. [S. 156. Schreiben G.s an d. Magistrat etc. Nürnberg, 21. Apr. 1828.]

1842.

Neuer Nekrolog der Deutschen. entflohen dem

Erdball, lebt ihr Geist und Gemüth spätem Geschlechtern noch fort. Mahlmann. Achtzehnter Jahrgang, 1840. Ers^^r Theil. Mit einem Portrait. Weimar 1842. Druck und Ver- lag von Bemh. Friedr. Voigt. [S. 15. Brief G.s an Jul. Heinr. Glieb. Schlegel.]

1847. Erinnerung an Karl Kaaz, nebst einem bisher unge- druckten Schreiben von Goethe an Kaaz. Dresden 1847. [Separatabdruck aus dem Dresdner Album.]

1848. Nach „Maler Müller*' von B. Seuffert verweise ich auf die erste Veröffentlichung des 1869 in der „Neuen Preussischen Zei- tung*' wieder abgedruckten Goetheschen Briefs an Müller im Frankfurter Conversationsblatt 1848. Nr. 323 u. 324.

1849. Zu Goethes Jubelfeier. Studien zu Goethes Werken. Von Heinrich Düntzer. Denn bei den alten lieben Todten etc. Elberfeld und Iserlohn. Julius Bädeker 1849. [S. 375—385. Neudruck des Gutachtens über die Unterdrückung von Okens Isis. VergL1846.]

1850. Morgenblatt für gebildete Leser. Vierundvierzigster Jahrgang. 1850. Stuttgart und Tübbgen. Verlag der J. G. Gotta'schen Buchhandlung. [Nr. 128 145. Aus G.s Brief- . Wechsel mit Graf Reinhard vor dem erscheinen des Buchs.] Mit Bezugnahme auf „Hamburger Nachrichten'^ 1877| Nr. 57 ist zu erwähnen ein Brief G.s an Langer in Deutsche Beichszeitung. 1850. Nr. 1.

1852. Antiquarische Bibliographie der J. E. Hofmeister'schen Buch- Kunst- und Antiquarhandlung in Ronneburg (Herzog-

544 V- Biedermann, zu Hirzels Goethe-Bibliothek. III.

thum Sachsen-Altenburg). Heft IL Autographen-Katalog II. [S, 11. Data verschiedener Briefe Ton 1778—1819.]

1854. No. XVn. Bulletin de librairie ancienne. Gatalogue VlI. etc. Verzeichniss einer Sammlung von Manuscripten, Docu- menten^ Autographen, Portraits etc. von J. A. Stargardt etc. Berlin 1854. [S. 17. Data «tc. von Briefen.]

1855. Nach gefällter Mittheilung von Dr. Weisstein führe ich auf:

Leipziger Bücher -Auction den 15. October 1855. Ver- zeichniss der von den Herren Ihling in Leipzig und Hof- rath Dr. Joh. Pet. Eckermann in Weimar nachgelassenen

Bibliotheken, Kunst- und Autographen -Sammlungen

Druck von L. P. Melzer in Leipzig. 1855. [S. 48. Widmung an Gräfin Hopflfgarten. S. 51. Brief an Peucer. S. 159. Zwei an Eckermann. S. 211, 221 u. 222. Bruchstücke aus Briefen und Dichtungen.]

1856,

Dresdner Album. Herausgegeben von Elfriede von Müh- lenfels. Zweite umgearbeitete und mit neuen Beiträgen ver- sehene Auflage. Zu Unterstützung der durch die üeber- schwemmungen an der Weichsel und am Rhein Verunglückten, sowie für eine schon bestehende wohlthätige Stiftung. Berlin. Nicolaische Buchhandlung, 1856. .[Erste Abtheilung S. 75 f. G.s Brief an Kaaz; S. 78 f. Neudruck zweier Briefe an Zahn.]

1859. Nach A. Diezels Verzeichniss der Briefe Goethes führe ich an: Stargardt's Auctionskatalog für den 12. November 1859. [Data und Adressen von Briefen.]

1861. Neue Goethestudien. Von Heinrich Düntzer. Nürnberg,. Bauer und Easpe. 1861.* [S. 74— 86. Neudruck einer altem Gestalt des Triumphs der Empfindsamkeit Vei^l. 1849.]

1862. Gatalogue d'une excellente collection de lettres auto- graphes, documents et livres illustres. No. HI. 1862. Ver- zeichniss einer ausgezeichneten Sammlung von Autographen

y. Biedermann, zu Hirzels Goethe-Bibliothek. III. 545

etc. von der Buch- und Antiquarhandlung von Otto August Schulz. Leipzig etc. [S. 14. Stellen aus e. Brief G.s an Merck.] Gatalogue d'une excellente collection de lettres auto- graphes^ manuscrits, miniatures et livres rares. Verzeichniss et<5. von Otto August Schulz. Leipzig, [S. 5. Neudruck der Stelle e. Briefs an Merck v. 16. Sept. 1776.]

1864. Nach gütiger Notiz des Dr. Weisstein ist zu erwähnen: Aus alten Stammbüchern von Siebenbürger Sachsen. Sylvestergabe für Gönner und Freunde von Johann Karl Schuller. . . . Hermannstadt 1864. Druck und Verlag von Th. Steinhäusser. [S. 24. Einzeichnung ins Stammbuch von Michaelis vom 28. Nov. 1777.]

1865.

Gatalogue d'une collection de lettres autographes^ pa- tentes etc. ayant appartenu ä Mr. J. de Reichel. St. Peters- bourg^ en vente ä la librairie de la cour imperiale H. Schmitz- dorflf. (Ch. Roetger.) 1865. [S. 29. Inhalt e. Briefs an Unzel- mann v. 11. Nov. 1802.]

Bücher- und Kunst- Aue tion in Dresden, den 1. November

1865. Verzeichniss etc. durch Karl Gotthelf Bautzmann etc. Dresden. [S. 162. Unterschrift d. Briefs an Bergschr. Schmid V. 10. Jan. 1828.]

VI™® Gatalogue d'une excellente collection de lettres autographes etc. zusammengestellt von Otto August Schulz. [S. 6. Briefdatum von 1790.]

1866. Bücher- und Kunst-Auction in Dresden, den 7. März

1866. Verzeichniss etc. durch Karl Gotthelf Bautzmann etc. Dresden. [S. 129. Notizen über Briefe von Goethe.]

Verzeichniss einer Sammlung sehr interessanter Auto- graphen sowie Kupferstiche und Oelgemälde^ welche Don- nerstag den 7. Juni 1866 etc. versteigert werden sollen durch Karl Gotthelf Bautzmann. Dresden. [S. 5. Nachricht üb. Brief an Hess von 1821.]

Bücher -Auction in Dresden, den 27. August 1866. Ver- zeichniss etc. durch Karl Gotthelf Bautzmann etc. Dresden.

546 V. Biedermano, zu Hirzels Goethe-Bibliothek. III.

[S. 98. Nachricht über Brief an Riemer von 1821 aus Marienbad.]

1868.

T. 0. WeigeFs Bücher -Auction. 14. December 1868. Dorer-EglofiE's Bücherschatz etc. [S. 110. Nachricht über e. Brief v. 13. Jan. 1832.J

1869.

In meinem Verlag erschien so eben J. W. v. Goethe in seinem 81. Lebensjahre etc. Gotha^ December 1869. J. G. MüUersche Buchhandlung. -Franz Conrad. [Diese Buchhänd- leranzeige über ein Goethe- Bildniss theilt einen Brief G.s an Schmeller von 1829 mit.]

Catalog einer bedeutenden Sammlung von Autographen und Stammbüchern^ welche Montag^ 28. Juni 1869 zu Leipzig etc. im Auctions-Locale der Herren List & Francke durch etc. Hennann Francke etc. versteigert werden wird etc. Leipzig; 1869. [S. 10. Anfang einer zahmen Xenie u. Brief- angaben.]

187L

Goethe zu Strassburg. Ein Beitrag zur Entwicklungs- geschichte des Dichters von J. Leyser. (Mit Abbildungen und Facsimilen.) Neustadt^a. d. Haardt. Verlag von H. A. Gottschick-Witter's Buchhandlung. 1871. [Beilage zu S. 183. Facsimilierter Brief G.s an Salzmann , wol auch revidierter Neudruck aller Briefe an Salzmann.]

1872. Das Frommannsche Haus und seine Freunde. Von F. J. Frommann. Zweite vermehrte Auflage. Jena, Druck und Verlag von Fr.- Frommann. 1872. [Berichtigter Neudruck von G.'s Briefen an Frommanns S. 54—66.]

1874. De Nederlandsche Speotator. Gedrukt bij G. A. van Reyn te 'sGravenhage. 1874. Nr. 50. 12. December. [G.s Brief an van Goens v. 31. Dec. 1794 französisch.]

1875. Briefwechsel und Tagebücher des Fürsten Hermann von Fückler-Muskau. Herausgegeben von Ludmilla Assing-Grimelli.

y. Biedermann, zu Hirzels Goethe-Bibliothek. III. 547

Siebenter Band. Berlin. Wedekind und Schwieger. 1875. Gr. 8. [S. 388. G.s Brief an Pückler.]

Die deutsche Dichtung des 19. Jahrhunderts in ihren bedeutendsten Erscheinungen. Populäre Vorlesungen von Karl Julius Schroer. Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel. 1875. Gr. 8. [S. 437. Anfänge von 8 Briefen G.8.]

1876. Hier ist zu berichtigen, dass das im vorigen Bande des „Archivs" S. 570 unterm Jahr 1875 aufgeführte XI. Heft des „Salon" ins Jahr 1876 gehört.

Zwei Goethe -reliquien, zum Jahreswechsel in druck ge- geben fUr herrn Dr. Salomon Hirzel von seinem aufrichtigen Verehrer Gotthilf Weisstein. Marhui^, December 1876. [Brief und Gedicht von G., letzteres beginnend: „Wage der gewandte Stehler".]

1877.

Hamburger Nachrichten. Morgenausgabe. Begründet 1792. Herausgegeben verlegt und gedruckt von Hermann's Erben. Ghefredacteur: Emil Hartmeyer, Dr. jur. in Hamburg. Nr. 57. Hamburg; Donnerstage den 8. März 1877. [5 Briefe G.S an verschiedne, mitgetheilt von Uhde.]

-^ Nr. 59. Hamburg, Sonnabend, den 10. März

1877. [14 dergl.]

Nr. 60. Hamburg, Sonntag, den 11. März 1877. [11 dergl.]

Nr. 61. Hamburg, Dienst^, den 13. März

1877. [10 dergl.]

Greizer Zeitung. Erscheint täglich mit Ausnahme der Montage. Verantwortlicher Redacteur: V. J. Schlossmacher in Greiz. Nr. 59. Dienstag, den 13. März 1877. 6. Jahrg. [Briefe G.s an Gonta und wahrscheinlich an Herzog August von Gotha, da das Original Archivrath Dr. A. Beck in Gotha besass; mitgeth. v. Diezel.]

Allgemeine Zeitung. Nr. 120 (ohne Beiläge). Augsburg, Montag, 30. April 1877. [S. 1822 f. Briefe G.s an Kanzler V. Müller, mitgeth. v. Uhde.]

Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Nr. 259. Sonntag,

'■ \. Biedermana, so Hirsels Goethe- Bibliothek. III.

6. September 1877. [S. 3898 f. Brief G.8 an v. Voigt v.

7. Fbr. 1816.]

Die Gegenwart. Wocheaschriffc für Literatur, Kunst und ffentliches Leben. Herausgeber: Paul Lindau in Berlin. Verleger: Georg Stilke in Berlin. Nr. 24. Berlin, den 16. uni 1877. XL Band. [S. 387. Brief G.a an Kanzl. v. Müller . 8. Mai 1820, mitgeth. v. Uhde.]

Die Presse. Nr. 166. Wien, Dienstag, den 19. Juni 877. [Brief G.s an Rosette Schädel.]

Nr. 171. Wien, Sonntag, den 24. Juni 1877.

Forts.]

,. Nr. 185. Wien, den 8. Juli 1877. [Schluss.]

Der'*J't*''ari8che Verkehr. Litetaturblatt. Unter Mitwir- ing Ton GÄtl Ulrich Baudissin etc. Nr. 14. Juli 1877. III. Jahi^ng.~[Sr-i!it6. Brief G.s au Kanzl. v. Müller v. }. Nov. 1824.] ^'^ .

Wissenschaftliche Beilage dei^I^eipziger Zeitung. Nr. 60. jnnt^, den 29. Juli 1877. [S. 361. Stellen A«8 G.s T^ebuch.] Zwar nach genommener Einsicht, aber clt^ das Blatt vor mir zu haben, gedenke ich der ^s,^

Nationalzeitung. Berlin, den 5. September 1877jS worin in einer Besprechung des Goethe-Zimmers im Pano)!i^ cum zu Berlin neben mehreren nur aus völliger Sachunkund9\, Goethen zugeschriebenen Sachen auch einiges wirklick von G. herrührendes angeführt ist.

Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst. XXXVI. Jahi^ang. II. Semester. Nr. 38. Ausgegeben am 13. September 1877. Inhalt: Zwei ungedruckte Goethe- briefe. Burkhardt. Seite 441. Leipzig, 1877. Friedrich Lud- wig Herbig (Fr, Wilh. Grunow). [An Voigt.]

Im neuen B«ich. Wochenschrift für das Leben des deutschen Volkes in Staat, Wissenschaft und Kunst. Heraus- gegeben von Dr. Konrad Keichard. 1877. Nr. 37. Inhalt etc. Zwei noch ungedruckte Briefe Goethe's, mit^etheilt von £. Zais. Leipzig, Verlag von S. Hirzel 1877. [An Lehne.]

Nr. 41. Inhalt etc. Ein noch angedruckter Brief Goethe's. Veröffentlicht von K. Kehrbach S. 564. [An Voigt.]

V. Biedermann, zn Hirzels Goethe-Bibliothek. III. 549

Blätter für Autographen- und Portraitsammler. Heraus- gegeben und redigirt von Dr. Alfred ' Moschkau , Gohlis- Leipzig. Erster Jahrgang, Nr. 4. 1877. [Neudruck der Briefe G.S an die Gebr. BÄmann von 1801, 1810, 1816.] i

Goethe's Werke. Nach den besten Quellen revidirte Ausgabe. (Goethe's Wappen.) Dreiundzwanzigster Theil. Dichtung und Wahrheit. Mit Einleitung und Anmerkungen von G. V. Loeper. Vierter Theil. Berlin. Gustav Hempel. [S. 157 u. 177. Stellen aus Briefen G.s an Fr. v. La Roche.]

T Dreiunddreissigster Theil. Zur Morphologie. Zur Mineralogie und Geologie. Herausgegeben und einge- leitet von 8. Ealischer. Berlin. Gustav Hempel. [Mehrere ungedruckte geologische Schriftstücke von G. enthaltend.]

Goethe's Briefe an Soret. Herausgegeben von Hermann Uhde. Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1877.

H. A. 0. Reichard. (1751—1828.) Seine^ Selbstbiogra- phie überarbeitet und herausgegeben von Hermann Uhde. Stuttgart. Verlag der J. G. Gotta'schen Buchhandlung 1877. [S. 123, 397 flF. Briefe G.s an Knebel und an Reichard.]

Briefwechsel zwischen Goethe und Marianne von Wille- mer (Suleika). Herausgegeben mit Lebensnachrichten und Erläuterungen von Th. Creizenach. Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1877. .

Goethe und das sächsische Erzgebürge. Nebst Ueber- blick der gesteinkundigen und bergmännischen Thätigkeit Goethe's. Von Woldemar Freiherm von Biedermann. Stutt- gart. Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1877.

Goethe -Briefe aus Fritz S^hlosser^s Nachlass. Heraus- gegeben von Julius Frese. Mit Goethe's Bild nach Eügelgen (1810) und mit H. P. Schlosser's Portrait nach Goethe's Zeichnung von 1775. Stutigart. Verlag von Carl Krabbe. 1877.

Goethe's Leben. Von J. W. Schaefer. Zweiter Band. Dritte Auflage. Leipzig. Friedrich Brandstetter. 1877. [S. 404. Dritter Neudruck der Rede bei Stiftung des Falkenordens.]

Goethe an Goschen. Am 28. August 1877 mitgetheilt. H. G. Y. V. W. [Aus der Gräfl. Yorck-von-Wartenburgschen Fideicommissbibliothek zu Schleibitz.]

550 V. Biedermann, zn Hirzels Goethe-Bibliothek. lU.

Allerlei von Goethe zum 29. December 1877 für Frau Professor Steinthal herausgegeben von Gotthilf Weisstein. Stuttgart. Druck von Emil Müller. 1877. [Reime und Briefe.]

Bibliotheca Haeberliniana. Verzeichniss der von den Herren Dr. Ernst Mich. u. Dr. Conrad H. Haeberlin dahier hinterlassenen werthvoUen Bücher^ welche zu den beigesetzten billigen Preisen bei Ludolph St. Goar Buchhändler u. Anti- quar in Frankfurt a. M. Zeil 30 zu haben sind. Dritte Ab- theilung: Verschiedene Wissenschaften. (Hie mortui vivunt, hie muti loquuntur.) ' Antiquarisches Verzeichniss Nr. 43. Frankfurt a. M. Februar 1877. [S. 201 f. Bruchstücke aus Briefen von G.; der 2. imd 3. wahrscheinlich an Gebier^ ht. an J. F. Frh. v. Fritsch.]

Catalogue des livres la plupart rares et precieux; des manuserits et des aiitographeS; composant la biblioth^ue d'un amateur. La vente aura lieu ä Berlin Jeudi le 11. Octobre 1877 etc. Verzeichniss' einer werthvoUen Samm- lung von Werken ; Manuscripten und Autographen etc. Rud. LepkC; Auctionator etc. [Unterschrift u. Datum e. Briefs an Biemer v. 1829.]

Vente d'une importante coUection de lettres autographes et de documents historiques ä Berlin, le 26. F^vrier 1878 et jours suivants. Katalog der Sammlung von Autographen und historischen Documenten des im J. 1861 verstorbenen Herrn F. H. W. Wagener, Bankier und K. Schwed. u. Norweg. Konsul in Berlin etc. [S. 88 ff. Bruchstücke v. Briefen u. Gedichten G.s.]

Blätter fttr Autographen- und Portrait-Sammler. Her- ausgegeben und redigirt von Dr. Alfred Moschkau. Gohlis- Leipzig. Erster Jahrgang. Nr. 4. 1877. [S. 13 f. Neudruck V. Briefen an Ramann.]

Nach Diezels Verzeichniss von Goethe -Briefen verweise ich auf die mir noch nicht zugegangne

Hallische Zeitung. Zweite Beilage zu Nr. 56, 8. März 1877. [Brief an Sprengel v. 24. Sept. 1824.]

Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur des XVL und

XVII. Jahrhunderts von Dr. Hermann Palm. Mit einem

Bildnisse von M. Opitz. Breslau. E. Morgenstern. 1877. 302 SS. 8.

Der durch seine Arbeiten über unsere Nationallitteratur rühm- lichst bekannte Verfasser bietet hier 6 oder genauer gezählt 11 Aufsätze, die er grösstentheils in -früherer Zeit an verschiedenen Orten veröffentlicht hat und von denen der älteste vor 23 Jahren erschienen ist. Ein sehr lobenswerthes Unternehmen, nicht allein weil diese Aufsätze für viele nicht leicht zugänglich waren, sondern auch weil sie hier in vermehrter und verbesserter Bearbeitung vor- liegen. Was uns als Hauptvorzug der „Beiträge^' namentlich von Nr. HI an (Paul {"leming und Georg Gloger, IV. Das deutsche Drama in Schlesien bis auf Gryphius, V. Martin Opitz, VI. Daniel Czepko von Beigersfeld) entgegentritt, ist die ausser- ordentlich breite und sichere Grundlage, welche Palms Forschungen in der „schlesischen^^ Litteratur durch seine Arbeiten über die Geschichte seines Heimatlandes gewonnen haben. Man kann wol sagen, dass aus' allein litterarhistorischen Studien solche litterarhistorische Ab- handlungen nicht hätten hervorgehen können, und wenn vielleicht die provincialhistorischen Arbeiten des Verfassers die Schuld daran tragen, dass wir von ihm noch nicht eine vollständige Biographie Opitzens haben, so haben sie doch andererseits zu dem beigetragen, was' die hier vorliegenden 6 Opitz -Aufsätze beweisen, dass nämlich schwerlich bald ein zu einer Opitz -Biographie besser als Palm be- rufener und vorbereiteter Mann kommen wird.

Die besonderen Themata, welche unter Nr. V zusammengefasst sind, lauten: l) Zur Opitz-Litteratur. Mit 1 Beilage. 2) Opitz und Ludwig Camerarius. Mit 1 Beilage. 3) Martin Opitz im Verkehr mit Janus Gruterus und in Siebenbürgen. Mit 3 Bei- lagen. 4) Opitz im Hause des Kammerpräsidenten Karl Hanni- bal von Dohna 1626—32. Mit 3 Beilagen. 5) Opitzens Erhe- bung in den Adelstand. Mit 1 Beilage. ' 6) M. Opitz im Dienste der Herzoge von Brieg und Liegnitz. Mit 7 Beilagen. Anhang. Zum Titelbilde. Hieraus ergibt sich, dass das biographische Interesse bei Palms Opitz -Forschungen stets das massgebende war, und dies tritt auch in den anderen Abhandlungen hervor, ohne dass, wo es

552 Bobertag, Anz. von Palm, Beiträge z. Gesch. d. d. Litt

die Sache erfordert, die Würdigung des poetischen Werthes und des Inhalts der Werke überhaupt dadurch beeinträchtigt würde. Wer da weiss, wie geringe Ansprüche man im XYII. Jahrb. an das, was wir poetischen Werth und Ideengehalt nennen, überhaupt machen muss, wenn man nicht an der Litteratur dieser Zeit einen die Be- schäftigung damit hindernden Ekel empfinden will, der wii*d die Milde und Anspruchslosigkeit, welche Palm namentlich Christian Weise entgegen bringt, angemessen und wolthuend finden, wenn ich auch gestehen muss , dass mir die Geschmacklosigkeit und der Man- gel an poetischem Schwünge aus der Leetüre der Weiseschen Schrifben selber denn doch noch um ein bedeutendes crasser entgegen getreten sind als aus Palms Abhandlung. Ein Punct, welcher noch der Untersuchung bedarf, scheint mir die Frage betreffend Weises Eenntniss Yon und Beziehungen zu den Haupt- und Staatsactionen zu sein, allerdings weiss ich nicht, ob sich darüber wird genügendes fest- stellen lassen. Wenn der Verfasser S. 102 von Bebhun sagt, dass er „das Übel im herrschenden versbau nicht allein erkannt,8ondern auch das richtige gegenmittel gefunden" habe, so möchte ich damit nicht ganz übereinstimmen, da Rebhun nicht allein in zu grosser Abhängigkeit von den alten steht, sondern auch zu wenig Einsicht in das Wesen des deutschen Versbaues besitzt, um mit seinen Beformen organisch an das schon vorhandene anzuknüpfen. Seite 109 nennt Palm irrthümlich Bartas, Sidney und Sann^zar Neulateiner, wozu die Strophe Flemings

Unser wird, was Andern war.

Tass' Torquat, Petrarca weichen.

Unsem Deutschen mag nicht gleichen

Bartas, Sidney, Sannazar.

Wenn Eatz, Heins' und Opitz singen,

so will ganz nichts Fremdes klingen keine Veranlassung bot. Vergl. Lappenbergs Fleming 11, 371 und die Anm. dazu.

Ich nehme schliesslich Gelegenheit im Auftrage des Verfl fol- gende Druckfehler zu yerbessem:

S. 150 Anm. 2. Distichon 4 lies: habitant für habitent, und Distichon 7 lies: Odera Bheno für Odero Rhenus.

S. 183 Z. 18 Muraenas für Maraenos. Ueber die Bedeutung vergl. Plinius bist. nat. IX. 39.

S. 238 Z. 5 Ues 1636 ftlr 1630. .

Einer Verbesserung bedürfen auch S. 139 die Worte: „jenes ..... codicillum epistolarum'*.

Breslau, December 1877.

Friedrich Bobertag.

Boxberger, Anz. von Heinr. Rückerts Schriften. 553

Heinrich Rückert in seinem Leben und in seinen kleineren Schriften dargestellt von A. Sohr und Dr. AI. Beifferscheid. Erster und zweiter Band: Heinrich Rückerts kleinere Schriften, erster und zweiter Theil. Weimar, Hermann Bohlau. 1877.

Der zu früh für die Wissenschaft; aus dem Leben abgerufene würdige Sohn unsers grossen Dichters hat in den beiden Heraus- gebern des vorliegenden Buches zum Glück zwei pietätvolle Hüter seines litterarischen und persönlichen Nachruhms gefunden, die da- für Sorge getragen haben, dass die Früchte seiner wegen seiner äusseren Lebensbedingungen meist zerstreuten litterarischen Thätig- keit in ihren wichtigsten und würdigsten Producten in ein kleines Corpus gesammelt und so der Vergessenheit entrissen würden. Heinrich Rückerts Geisteskraft und energischer Fleiss reichten hin zwei grosse Gebiete menschlichen wissens in seiner amtlichen und litterarischen Thätigkeit zugleich zu umfassen und durch grössere und kleinere Geisteswerke zu befruchten: die Geschichte und die deutsche Litteratur, denn für beide war er bekanntlich in Breslau angestellt. Als Geschichtslehrer wird man ihn in den beiden vor- liegenden Bänden besonders zu würdigen wissen als den Banner- träger deutscher Cultur gegenüber slavischer und particularistispher Anmassung und Borniertheit (vertreten u. a. durch Hanka, Onno Klopp und Vilmar); die Leser dieser Zeitschrift aber werden sich mehr an seine Forschungen über deutsche Litteratur halten, die be- sonders der zweite Band bietet. Zwei dieser Aufsätze: „üeber Hartmanns Iwein" und „üeber das Epos von Gudrun" er- scheinen übrigens hier zum ersten Male gedruckt. Von seinen sämmÜichen , auch den nicht aufgenommenen Arbeiten gibt ein durch die sorgsamen Bemühungen beider Herausgeber zu Stande gebrachtes bibliographisches Verzeichniss Rechenschaft

Der dritte Band, welcher hofifentlich nicht allzu lange auf sich warten lässt, wird uns das Leben Heinrich Rückerts und den werth- voUsten Theil seines Briefwechsels, darunter auch viele Briefe seines Vaters bringen. Robert Boxberger.

ABOHiy f. LiTT.-OasoH. YII. 37

Verbesserungen und Nachtrage.

Bd. 4. S. 271. Das Gedicht „ErmanuDg an die kaiserliche Majestät'* wird von Weller, Hans Sachs, eine Bibliographie, Nürnberg 1868^ S. 29 f. Hans Sachs zugeschrieben.

Bd. 7. S. 1 5. Das Verzeichniss der Büchersammlung von Hans Sachs ist bereits in dem Anzeiger für Bibliographie und Bibliotheks- wissenschaft^ herausgegeben von Julius Petzholdt, Jahrgang 1853, Halle 1864, S. 242 245 veröffentlicht worden.

S. 10, Z. 11 lies per statt pauer.

S. 11, Z. 7 lies IX statt VI.

S. 11, Z. 8 lies Hafen statt Hasen.

S. 134, Z. 10 V. u. lies Ernst und Liebe statt Lust und Liebe.

S. 176—178. Dem Herausgeber ist eine vom 30. Nov. 1877 datierte Nr. von y,ös8zeha8onlit6 Irodalomtört^nelmi Lapok. Zeitschrift für ver- gleichende Litteratur etc.**, gedruckt in Eolozsvär (Elausenburg) , zu- geschickt worden, welche zwei Artikel (Sp. 379 und 383 f.) enthält, die dem Verfasser des Aufsatzes „Ein zweites Exemplar des ältesten Faust-Buches** das Verdienst bestreiten, das in Budapest befindliche Exemplar des Faust -Buches „entdeckt** zu haben. Indem ich mich zu dem Empfang der Sendung an dieser Stelle bekenne, füge ich nur hinzu, dass Herr Gustav Heinrich, Professor an der Universität zu Budapest, auf befragen die Richtigkeit seiner Angaben aufrecht erhalten hat.

S. V. C.

S. 178, Z. 7 V. u. lies uerfelsch- statt verfelsch-.

S. 310, Z. 12 V. u. Schulsack] oder Decretalienbuch?

S. 350, Z. 8 V. u. lies links statt rechts.

S. 358, Z. 13: Astronomia Teutsch 1612.

Die von Franz Pfeiffer benutzte Ausgabe ist nicht die erste. Seit kurzem befindet sich in meinem Besitz : „ASTRONOMIA | Teutsch. | Himmels Lauff | Wirckung vnnd Natürliche | Influentz der Planeten vnnd Gestirn, | Auß grund der Astronomei, nach jeder Zeit, Jar, Tag vnnd { Stunden Constellation. In Natiuiteten, zur Artznei, wolfart, vn al-|lem leben der Menschen zu wissen von nöten. Mit sampt Astronomischer vn Ma-| thematischer Instrument, als Astrolabien, Quadranten, Compäst, Sonnjvhren, vnd Noctumal, Künstlicher

Zurichtung vnd nützli-|chem gebrauch | 15 (Mondtafel) 71. | Getmckt

zu Franckfort, Bei Chr. Egen. Erben. | ** in 4^ 2 Bogen Vorstücke (Ealen> der und Register) und Bl. A 1»— Z 4*» + a 1»— d4» Text. Der letztere ist höchst mannigfaltig und stellenweise nicht ohne Interesse. Z. B. Bl. L 1*: „Das Noctumal oder die Nachtuhr, Durch H. Jacob Eöbeln zü- gericht**. BL M 3^: „Von Aspecten Jo. Justinger**. Bl. 0 1**: „Vier Zeiten des Jars**. Bl. 0 3*: „Vier Elemente** und „Vier Complexionen der Menschen**. Bl. P ff: Diaetetische Regeln, u. a. Bl. P S^: „Vom

YerbesBerungen und Nachträge. 555

Baden^ Schrepfen" u. s. w. Bl. P 4*: „Der sieben Planeten Natur": Bl. R 4»: „Von den 12 Zeychen". Bl. V «: „Die 36 Bilder des Himels". Bl. Y 3* ff: „Was in jedem Zeychen zu thun oder zu lassen sei". Bl. Y 4^ ff: „Regiment Hippocratis der 12 Monat", zum Theil gereimt und. wie auch sonst, mit Holzschnitten. Bl. Z 4* ff: „Von dem Aderlassen". Bl. a 4> ff: „Cisio Janus för die Leyen". Bl. b 2^ ff: „Wetterbüchlin oder Bauren Practica", endlich Bl. c 4^— d 4*: „Der alten Weiber Philosophei". C. W.

S. 372, Z. 11 V. u. lies III statt II.

S. 378, Z. 14 lies Nr. 93 und 95; das Original hat keine Z&hlung.

S. 459. Wie bereits oben S. 459 Anm. in Kürze gesagt ist, erhielt ich nachträglich vom kgl. Ereisarchiv in Nürnberg durch die Herreu DDr. Heinrich undMummenhoffin ausfuhrlicher Beantwortung meiner Anfrage folgende Auskunft.

Beiden Herren Archivaren spreche ich hiemit zugleich öffentlich meinen ergebensten Dank aus.

„Üeber Michael Lindener und dessen Beziehungen zum Nürn- berger Buchdrucker und Buchführer Hans Daubmann konnte nichts aufgefunden werden. Bezüglich des Letztem sind jedoch in den Raths- verlässen, dieser Fundgrube für die mannigfaltigsten cnlturhistorischen Verhältnisse und mehr oder weniger für die Geschichte aller hervor- ragenden wie unbedeutenden Persönlichkeiten, die zum Nürnberger Rath in irgendwelche Beziehung traten, höchst interessante Notizen enthalten.

Daubmann stand mit dem Schulmeister Joachim Heller bei S. Egidien in Verbindung, auf dessen Veranlassung er das Büchlein des Magisters Röting gegen Andreas Osiander ohne Wissen und Erlaubniss des Raths druckte. Er wurde deshalb in den Thurm gesperrt.

Das Vorgehen des Raths gegen Hans Daubmann war, wie aus weitem Rathsverlässen hervorgeht, infolge kaiserlichen Auftrags geschehen. Der Rath wies daher alle Gesuche desselben um Beschränkung seiner Haft mit dem Hinweis, sich an den Kaiser zu wenden, zurück. So konnte er nicht- nach Leipzig ziehen, wo er höchst wahrscheinlich den Bücher- markt besuchen wollte. Es wird ihm bemerkt, er solle was er dort aus- zurichten habe, durch Andere bestellen ein Rath wolle ihm gern ver- gönnen, sich deshalb mit seinem Weib und Andern zu unterreden.

Weiterhin wird er noch im selben Jahre (1551) von Rathswegen beschickt und befragt, ob er ein Büchlein von Erasmus Sarcerius unter dem Titel einer „Warnung, wie man sich vor der alten papistischen groben und tolpischen und der neuen listigen und täuschenden Lehre hüten soll etc." gedruckt oder sonst verkauft habe? wie es ihm zugekommen, oder auf wessen Befehl es geschehen?

1553 wird er wegen Verkaufs von Schmähliedern abermals mit einer achttägigen Thurmstrafe belegt.

Ebenso sind über Hans Betz am selben Orte einige kleinere Mit- theilungen enthalten."

37*

556 VerbesseruDgen und Nachträge.

Das mir nicht weiter bekannte Buch des Magisters Böting* „Testimo- nium optimi viri et doctissimi, D: Mich. Rotingi, unins ex populo Ec- clesiastico contra falsam Andr. Osiandri de justificatione sententiam, quam in Pmssia libellis et propositionibus spargit'^ 7 Bll. in 4 s. 1. et a. (s. W. Möller, Andreas Oslander. Elberfeld 1870. S. 663 Anm. 104; wie es jedoch scheint, in zwei Ausgaben vorhanden: Will-Nopitsch III, 414 undVII, 326) eröffnete den Kampf des Lutherthums gegen Oslander. Als Schüler und Freund Melanchthons sah dieser Schulmeister in der Lehre des letztem „die letzte satanische Anfeindung der evangelischen Grundposition der Rechtfertigung allein aus dem Glauben". Möller hat a. a. 0. S. 464 ff*, interessante Zeugnisse zusammengestellt über die damals durch Oslander an verschiedenen Orten hervorgerufene Erregung der Gemüther, insbesondere auch in Nürnberg, wo ihm viele Freunde unter Bürgern und Handwerkern geblieben waren. Er stand sogar in Corre- spondenz mit einigen derselben und erkundigte sich am 9. Septbr. 1661 bei Hans Fürstenhauer, in Antwort auf dessen und „etlicher ehrbaren Frauen Elageschreiben" direct, „wie ein Ehrbarer Rath gegen Röting gesinnt sei, der das henkermäßig Lästerbuch wider mich meuchlings hat lassen ausgehen". Man begreift, weshalb dem Rath unter diesen Um- standen die Publication einer neue Erregungen hervorrufenden Schrift unangenehm war und warum er andererseits doch wieder nur den armen Drucker dafär verantwortlich machte.

Fürstenhauers Antwort vom 18. Octbr. gedenkt ebenfalls der Bestra- fung desselben^ aber auch der des Schulmeisters zu St. Aegidien Joachim Heller.

„Roting bekenne sich jedoch zu der Schrift Dazu stärken ihn sonder- lich Euer A. W. Eidam (Besold) und die andern zween (Wolf gang Waldner und Michael Bessler?). Roting werde übrigens von meinen Herrn ehrlich gehalten, wie vor in seinem alten Amt", a. a. 0. S. 466 ff.

Oslander hat dem Magister wie vielen andern in einem Quartbande geantwortet, überschrieben: ,, Schmeckbier. | Aus D. Joachim Mörleins Buch. I Aus M. Michael Rötings Buch. | Aus des Nürmbergischen Vhu Buch. I Aus Justi Menij Buch. | Aus Mathiae lUirici, vnd Nicolai Galli Buch. I Aus Johannis Policarij Buch. | Aus Alexandri Halesii Buch. | Aus Nicolaj Amsdorffs Buch. | Aus Johannis Enipstro Buch. | . . . aus denen man leichtlich Iren Gaist, Glauben vnd | Kunst kan pruefen, Gleich wie man aus einem Trunck, | was im Faß für Bier ist, kan schmecken. | Andreas Oslander. | . . . | Eonigsperg in Preussen. | MDLH. |" (In Berlin =±= Dm. 900. 4.)

„Mit was bösem gewissen Michel Röting, ein Schulmaisterlin zu Nurmberg, wider mich geschriben hab sagt er darin Bl. C 2^ff. ist aus disen stücken zu mercken. Erstlich das er Lateinisch schreibt, so er billicher vmb des Armen gemeynen hauffens willen solt deudsch

* Ueber ihn s. Will-Nopitsch, Nürnberg. GeL-Lexicon lU, 410 ff. VII, 326 ff. Vm, 469.

Verbessernngen iind Nachträge. 557

gescbriben haben. Zum andern, Das er sein Latein so kraus, so finster, so verwickelt hat gemacht, das es kein gemeiner Priester verstehen kan, ja das noch mer ist, man hats an vilen orten versucht, aber nimand gefunden, ders wolle deudsch machen, glaub auch nicht das ers selbs deudsch machen könn, darzu haben seine g^tte freund vnd Pundgenos- sen . . . bekent, sie wissen nicht, was er sagen wöl" u. s. w.

„Ich hett jhm auch zwar nichts geantwortet, wann er nicht ein Schulmaister were, vnd die aller geschicktesten Knaben vnd jüngling, zu Nürmberg mit seiner gotlosen schwirmerey verfürete . . .** „Ich mein lebtag kein lügenhafftigere, gifitige, mördischere schrifit gelesen hab" u. B. w.*

Ueber den als Mathematiker bekannten Joachim Heller aus Weis- Bcnfels, den Veranlasser der Rötingschen Schrift, und sein Leb^n er wurde 1563 aus Nflmberg vertrieben verweise ich ebenfalls auf Will- Nopitsch II, 84 ff. und VI, 57 ff. Seine Schriften enthalten, soweit sie mir erreichbar waren, keine Vorstücke von der Hand Michael Lindencrs, trotzdem mehrere Neubersche Drucke von 1549 sich darunter befinden. Den von letzterm erwähnten Cometen von 1556 hat er in seiner „Practica, auf das M.D.LVII. | Jar, sampt Anzeygung vnnd erclerung. Was | die erscheinung, vnd bewegung, des vergangenen vnnd | zuuor angezeygten Cometen Im sechs vnd funfiftzigsten | Jar gewesen, vnd bedeutet habe" (19 bedruckte Bll. in 4<') behandelt.

Ganz unerfindlich bleibt endlich, wie man Daubman für den Dnick der Sarcerischen Schrift verantwortlich machen konnte. Sie ist in Berlin in zwei Exemplaren vorhanden (B. Diez. 4. 1843 vnd Dg 5232): „Ein wamung buch- lein, wie man sich für der alten Pa-|pisten groben vnd dölpischen, | vnd vornemlich für der | newen listigen vnnd | teu- sehenden lejren hüten | sol. | Durch Erasmum Sarcerium beschrieben, I des jars | M.D.LI. |*' und nach der Schlnssschrift „gedruckt zu Leipzig, durch I Jacobum Berwaldt. | In der Nickels Strasse". Die Dedication an ,^Herren Wolffen, Fürsten zu Anhalt" trägt das Datum „zu Leipzig des jars 1551. Den vierden Junij. Erasmus Sarcerius, Pastor zu Leipzig". C. W.

* Ob die an dritter Stelle behandelte Schrift „des Nurmber- gischen VHV" Bl. D l^ff. auch von Daubman gedruckt ist, weiss ich nicht. Oslander sagt: „Es hat ainer zu Nürmberg ettliche Spruch aus der heyligen schrifft zusamen geraspelt, vnd zaigt nicht an, warumb oder zu welchem end, vnd an die selbigen D. Luthers Außlegung, vber das 53. cap. JesaisB gehenckt^ sampt andern wenigen Sprüchen Lutheri, Vrbani Rhegii, vnd Johann Brentii . . . Vnd wiewol mir von vilen zu- geschriben wirt, es habs Wol ff Waldner gethon . . ., will ichs . . . von wegen seiner zwen buchstaben W.W. den Nürmbergischen VHV nennen" u. s. w.

Register.

Die Zahlen weisen anf die Seiten.

Affen, von wann die,

sein komen 330. Alberti, L. B. 29 f. Albrecht Aicibiades

279 ff. Amantius, Barthol. 475. Angelis, Dictamen de

431 f. Astronomia Teut8ch554. Avolio , C. 386 ff.

Baechtold, J. 263 ff*.

260 ff.

Bargagli, Qirol. 348. BeaulieU'Marconnay, C.

Frhr. v. 266 ff. Beham, H. S. 349 ff. Ben- Johnson 493. berliner Handschrift

332 ff. Bei-tuch, F. J. 162. Beschreibung der Art

der Spinnstaben 360 ff. Beschrybung der 6öt-

lichen Müly 321 ff. Betz, Hans 467 f. 666. Biedermann, W, Frhr.

V. 634-649. Blamauer, J. AI. 32. Bobertag, F. 660 f. Bode, J. J. Ch. 162. Bodmer, J. i. 608 f. Böttiger, E. A. 148 f.

164 f. 408. Boie, H. Ch. 42. 47. 69 f.

Brief von Sturz an B.

76 ff. Briefan Voss 211. Bondeli, Julie 64. 494.

496. Boxherger ^ Bob, 24 ff.

146 ff. 164 f. 179 fi".

216—236. 264 ff. 390

407 f. 486 ff. 663. Breslauer Hdss. 418 ff.

427 ff. 433. Briefe, schleswigsche,

über die Litterakir 36. Brooke, Fr. 63. Bucholzer, Abr. 164. Bürger, Q. A. 82.

Casseler Hds. 276 f Cazotte, J. 380. Cosack , W. 390 ff. Crecdiua, W. 303 f. Grespel, Franci8ca630ff. Culmann,L. 460ff. 480 ff.

Daubman, Jo. 468 ff.

479. 666. Dichterkrönungen 468 f. Diderot, D. 161. Disputatio Mariae et s.

crucis 418 ff. Dolus mundi 433. Dorat, Cl. J. 74. Dorpater Hds. 226. Dresdner Hds. 163 f. s.

a. Böttiger, E. A. Dryander, Joh. 449 f. Düntzer,H, 379 ff. 619 ff.

Engel, C. 146 ff. Euripides 196 fL Evangelia, des Eunckels

347. Evangiles des quenouil-

les 347.

Fabeln 160. 247. Fato 387.

Fanst-Litteratur 146 ff. 176 ff.

Feuerofen 329 f.

Feurelius, Jo. 459 f.

Fielitz, W. 148 ff. 274.

Fischart, Jo. Bildergo- dichte 306 ff. Grille Erottestisch Mül 308 ff. Römischer Beutelsack 314 f. Pandore büchs 316 ff. Jesuiterhütlein 326. Eunkel- oder Bockenstub 388. 348 ff. 356. Spielbuch 348. Verse zu H. S. Beham

360. Audienz des Eai- sers 361 ff. Malchopapo

361. Die zehen Alter der Weiber 368 ff. der Männer 369 ff. Eönig Masinissa 371 ff. Faz- trazprif 373 ff. Genea- logiae principum Ger- nianiae477. kennt Mich. Lindener 434.

Fletcher, J. 493. Folz, H. 6. 330. Fridell, Jo. 466. Füssli 604. Fulgosus, B. 523.

Gaguin, R. 170 ff. Garve, Ch. 95 ff. Gazey, A. 523. Geiger y Ludtc. 164 ff. Geiger, P. 332. Geiler von Eaisersberg,

Jo. 335 ff.

Geliert, Ch. F. 394. Gessner, Sal. 489 ff. 492.

606. 608 ff.

Register.

559

Glutofen 329 f.

Qöckiogk, L. F. G. v. 182. 18i.

Goedeke, K. 1 ff. 93 f. 167 ff. 524 ff.

Goethe, J. W. v. Loth- ringische Reise 529 ff. Tanzlehrer in Strass- borg 534 ff. in Wetz- lar 486 ff. zu Lettens Silhouette 488. das Princeaschen in Neapel 536. Nachträge zu Hir- zels Goethe-Bibliothek 540 ff. Briefe an Frau von Stein 93. Billets an Knebel und Rei- chard 152. Brfw. mit Schiller 274. unge- druckte Gedichte aus Hirzels Samml. 537 ff. zu G.B Gleichnissen 93 f. Unterhaltungen deutscher Ausgewan- derten 132. 151. Xenien 133 f. Ganre über Wil- helm Meisters Lehr- jahre 142 f. Stamm- buchzeilen 152. Wahr- heit und Dichtung Buch 7 S. 524 ff. Buch 9 S. 534ff. Buchl0 8.529ff. Buch 12 S. 486 ff. ita- lienische Reise 586. Sprüche in Prosa 536.

Goetze, Edtn. 7 ff. 279 ff.

Gottland, P. 327 f.

Gouö, A. F. 487 f.

GrÄvemeyer, Frau v. 54 ff. 65.

Grimm, F. M. Baron 150 f.

Grosse, Em. 390 ff.

Grossing, F. R. y. 150.

Guazzo, Stef. 348.

Hagedom, Fr. v. 28. Haining 188. Halem, G. A. v. 269 ff. Haller, A. v. 103. Hamann, J. G. 182 f. Harscher 512. 515. Hechler, H. 381. Heine, H. 156. Heinrich, G. 176 ff. 554. Heinrich von Stretlingen 258.

Heinse, W. 408.

Hemming, Nicoi. 178.

Henricus Hytalicus 430.

Henricus Pisanus 414.

Herder, J. G. v. Suphans Ausgabe der Werke 264 ff. Billetwechsel mit Prinz August von Sach- sen-Gotha 151. an Rei- chard 152. Vorzüge der alteu und der neuen Dichter 109. über die Nemesis 138 f. Frag- mente über die d. Litt. 517. Gedichte im Mer-* kurl782S.519ff. Lob- gesang nach dem Per- sischen des Saadi 519 ff. Legende Sanct Johan- nes 522 ff. das Teufel- chen mit dem ver- brannten Daum 523. Sturz über H. 64.

Hessus, Eoban. 480 f.

Hirzd, Ludw. 489 ff.

Hirzel, S. aus dessen Sammlungen 118 ff. 135 f. 537 ff.

Hölty, L. H. Ch. 187 ff. 210 f.

Hofer, Hans 469.

Holtzwart, M. 318.

Hören 116 ff. 120. 132 f.

Hugdietrich 226 ff.

mfacohy , Dan. 95 ff. Jansen, G. 267 ff. Jeannaraki, A. 236 ff. Jesuitenkomoedie 275 f. Jonas, F. 196 ff. Jungbrunnen 329.

Keller, A. v. 216 ff.

Eemer, J. 222 f.

Kestner, Ge. aus dessen Briefsammlung 485 ff.

Kestner, J. Ch. 488.

Kiburger, Eulog. 255 ff.

Klipfelverse 457. 481.

Klopstock, F. G. Por- trait 52. Geistl. Lieder Th. 2 (1769) S. 209. Sprache und Stil 190 ff. Sturz über K. 34 f. 64. 77.

Köhler, Beinh. 24 ff.

Kunkelstuben 332 ff.

J&., JP. 156.

Lavater, J. C. 65 f. 76. 78. 81. 83 f. 92. Sturz an L. 86 ff.

Le^nd, Em. 236 ff.

Leipziger Hdss. 282 ff. 284 ff. 295 ff. 537 ff. .

Leisewitz, J. A. 79 f.

Leonoren-Sage 249.

Lessing, G. £. L. und Sturz 39. 42. 64. Wie- land 506. 515. Sturz an Lessing 88 ff. an Reichard 152. an Maler Müller (24. März 1777) S. 407. an Seyler (16. Dec. 1776) 485 f. an Grosemann 486. an Ba- ron yon Hompesch 486. zur Vermehrung und Verbesserung des Les-' singschen Textes 179 ff. Sinngedichte 24 ff. Eine Gesundheit 27 f. Frag- ment an den Herrn Marpurg 28 f. Nathan 29 ff. Grabschrifb auf einen Gehenkten 32. Laokoon 88 ff. Faust 146 ff. Fabel von den sauem Trauben 160. Noten zu Marignys Gesch. der Araber 179 f. zu Hutchesons Sitten- lehre 180 f. Skizze von Leibniz' Leben 181. Ernst und Falk 181 ff. viertes, fünftes (sech- stes) Freimaurer - Ge- spräch 183 ff. über die Schrift „Ineptus Reli- giosus" 275. Hambur- gische Dramaturgie: Ausgabe vom J. 1794 S. 399 ff. vom J. 1825 S. 401. Lachmanns Ausgabe 398 ff. 401 ff. Cosacks Materialien 390 ff. Commentar von F. Schroeter und R. Thiele 391 ff. R. Boll- manns Anmerkungen 395 ff. Sprache und Orthographie 399 ff. 404 ff.

Lichtenberg, G. Ch. 78. 86.

560

Register.

LkhrecM, F. 236 ff. 386 ff.

Lieder: vom Kurf. Jo- hann Friedrich und Landgraf Philipp(1646) 277. vom Hz. Georg von Baiem 277 f. „Mit Lust 80 will ich singen Costanz" 278. „Es gieng ein Bawr in Krug hin- ein** 803 f. „Besser ist ein Abend alß sieben Morgen" 304. „Liedla vom holder trüschel vnd 'morgen Stern*' 342. „Vinum quae pars Ver- stehst du das" 477.

Lindener, Mich. Leben 454 ff. in Wittenberg 445 f. 456 f. 467. 483. in Nümberg457ff. 466.

' 556 ff. in Ulm 444 ff. 460. in Augsburg 467 ff. Poeta laureatns 467 ff. Verheiratung 471 f. die in den Widmungen sei- ner Schriften genann- ten Personen 448 ff. 473. 475. 483. Schrift von Rockenstuben 339f. Holzschnittbogen 340. Loci scholasticorum 340. 474. Mandat des Königs Volnarri im Rastbüchlein374. 876ff. Rastbflchlein 449.

Katzipori 443. 449. 472. 478. Uebersetzer Sa- vonarolas 434 ff. 442. Genealogiae und Stem- mata 435 f. 477. 483 f. Antiquität des Stamms der Grafen von Oet- tingen 473 f. 478. Opus chronicorum 436. 442 ff. 477. Tractetlein von dem Ursprung und Na- men der Stette in Ger- mania 436. 479. Ger- don, Chronica. Fride- richen, Landgr. in Dü- ringen Geschieht 478. Gebäth des Churf. Jo- hann Friderich 483 f. Versiones in facultate theologica4d6. Version aus dem Griechischen

Antiocheni und Chry- Bostomi 436. 475 f Epi- nicion ad L. Culroanum 460. 480 ff. Carmen commendatorium für denselben 461 f. Bei- gaben in dessen Schrif- ten 462 ff. 483 f. Dieta und Methodns für die g^ten .Schlucker 477. Prophezeiungen 484. Stil und Sprache 440 f.

Loeper, G. t?. 529 ff.

Lorch, Melch. 326 f.

Lucianus 25. 510 f.

Luther, Mart. 274 ff.

Maccaronische Poesie 153 f

Männer- und Weiber- Mühlen 328.

Märchen 246. 248.

Magdalenen - Hymnen 426 ff.

Maifeste 388 f.

Manso, J. Ch. F. 134 f.

Martialis 24 f.

Melanchthon, Phil. 438 f.

Menagiana 24 ff.

Mendelssohn, M. 88. 515. 517.

Mercier, L. S^b. 527.

Merck, J. H. 68. 265.

Merzdarf, J. F, L. Theod. 33 ff.

Mittellateinische Dich- tung 409 ff.

Moser, J. 57 ff.

Molifere, J. B. P. de 26 f.

Moscherosch, H. M. 166.

Müller, Fr. (Maler) 407.

Narrenmühle 318. Narrenschleifen 330 f. Nasus, J. 310.313f.368. Neudörffer, Jo. 465. Neugriechische Volks- poesie 236 ff. Nicolai, F. 135. 515.

Oldenburger Hdss. 72 ff'. 86 ff. OtUm, A. M, 155 f.

Palm , H. 550 f. Paumgartner, Ant. 449 f. 467 f.

Veipcr, litul. 409 ff. Petrus de Cyperia 425. Pfeffel, G. K. 392. Pfeil, Jo. Gebh. 524 ff. Pfeil, Jo. Gottl. Benj.

524 ff. Philippus cancellarius

Parisiensis 409 ff. Praetorius, Jo. 358 f. Pritschenmeister 362.

Bätersch Büchlin 346. Rappolt, Laur. 458 f. Reichard, H.A. 0.148 ff. Reifferscheid , A. 552. Richardus de S. Victore

414. Richter, Jean Paul Fr.

55. 62. Bocltholz, E.L. 253-264. Rockenbüchlein 346. Roffredus Butiensis 430. Rousseau, J. J. 86. 212. Rückert, F. 155 f. 224.

257. 553. Rückert, H. 553. „Ruf, der hoeere*' 487 f. Runzelmühlen 328 f. Rusdorf, Jo. Joach.275f.

Saadi 519 ff.

Sachs, H. seine Bücher- sammlung 1 ff. 554. Ausübung seines Hand- werks 8 Anm. erhaltene eigenhändige Hdss. 5. neuntes Spruchbuch 282 f. 284 ff. 295 ff. elftes 300 f. dreizehn- tes 7 ff. 302 f. acht- zehntes 5 f. die in Nürnberg aufbewahr- ten, Sachs zugeschrie- benen Hdss. nicht von seiner Hand 280 f. Summa seiner Gedichte 4. zur Datierung eini- ger Gedichte 8 ff. 302 f. Anzaigung d er Schlacht 1558 S. 13 ff. Pritschen- gesänge 17 f. der pur- ger Danz 19 ff. ein gantz gereimbte Kar- ten 21 ff. Schriften ^e- gen Albrecht Alcibia- des 279 ff. von der himelfart Markgr. Al-

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