ARE N NN NZ KR RR r BR y 0 ER a er REN ER ACH =. ER Kr RE = N F: HERZ, r a ER RE ER EL FEN EEE £ - 2 ORT ER DR IE AR BR TER ERTE $ % EN R Be N Ne ER ler) f A Ih & 1 x F AS ER Ä ER N en 2 OR 10 9 Be SR | N BRR EN EN RR, ws 1% N } I ai &$ vn OR ER Ko KR Lan RERKER u C] br BR RE N ! e 1% EEK BR ER 2 8% ji ex a : “ Rs N DER IR 8 Sao g OS al ER S en ER Ma Re ER N RN (RE SIR In LASER BEN AyaR. . Rn Se RR RER LTE, nn PR 2 NR N “ 2, a Sr SS RR SR EG ER . | nn R EN EUER SER RR NN IR: N ROR RER 5 BI RER N R St R BR AR N I Sr a NER ” an IR SUSE an NR ER | SEE RAN ung" n IK Br a ER Y nr WW F RSS: ER (: DR SIR Tag ) .G \ Ar u Merbge:q art . 1895 A A 2 u Mor. H,O armen 187 h Arehiv Mikroskopische Anatomie herausgegeben Max Schultze, Professor der Anatomie und Director des Anatomischen Instituts in Bonn. Zehnter Band. Mit 35 Tafeln, 2 Holzschnitten und dem Portrait Max Schultze’s. onn, Verlag von Max Cohen & Sohn. 1374. Mohr AN sh ihr & '98 wer \ 5 P ak R 7 « f nun FTPEN KR ra ur Br r 2 Brıt wi? urban R N j Ei = 1 4“ y Sa ü b9 5 i r Yin M lu 1 Yu hr I} BIN? 2 M au A 6 n N 1; * s ger f . ar vi 7 “ i % ’ j i IA ar . [er 55 gr « r * f En me | 3 n „7 « a D e“ > ’ Inhalt. Seite Maxıschultze. 'Nekrolog, von G: Schwalbe... . . ... u... I Mikroskopische Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Nieren. Von ehleıdenhain. : Hierzu, Taf T und II. 2... Sr apere 1 Pelomyxa palustris (Pelobius), ein amöbenartiger Organismus des süssen Wassers. Von Dr. Richard Greeff, Prof. in Marburg. Hierzu BREILSNTIBE IE VG Rund) VAL SEN Wet a A a. an a Eee Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. Von O. Dutsehli. Eherzu Tatsıvd und VI Ws 74 Die Structur der electrischen Platten von Torpedo. Von Dr. Franz Boll, Privatdocenten und Assistenten am physiolog. Laboratorium der Universitat Berlin. Hierzu Tat. VIH. . u. NER 37 7ER TOT Wagneria cylindroconica — ein neues Infusionsthier. Vorläufige Mit- theilung. Von Wladimir Alenitzin aus St. Petersburg. Hierzu DW OlASch alba ee Ten ee Ann ee RR Ueber eine Art fibrilloiden Bindegewebes der Insectenhaut und seine locale Bedeutung als Tracheensuspensorium. Von Dr. V. Graber, Rrotsm Graz, Hierzu Tal. DR. 0. 0 Women 124 Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. Von Dr. Ale- xander Goette, Privatdocent in Strassburg. Hierzu Taf. X. XI. XI. 145 Ueber den Bau und die Entwicklung des Eierstockes und des Wolff’schen Ganges. Von Dr. Wilhelm Romiti aus Livorno. (Aus dem anatom. Institute der Universität Strassburg.) Hierzu Taf. XII. . 200 Untersuchungen über die Ganglienzellen des Nervus sympathicus. Von Dr. Rudolf Arndt, Prof. in Greifswald. Hierzu Taf. XIV. .-. 208 Die Structur der electrischen Platten von Malapferurus. Von Dr. Franz Boll, Privatdozenten und Assistenten am physiolog. Laboratorium der Universitat, Berlin. Hierzu.-Taf. XV.: . 2... 2.0000... 242 Eine Methode, Axencylinderfortsätze der Ganglienzelllen des Rücken- markes zu demonstriren. Von Dr. Hermann Zuppinger, As- sistenzarzt an der Irrenanstalt Burghö:zli bei Zürich. Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. Von W.Flemming, a. o. Professor und Prosector an der Anatomie in Prag. Hierzu Taf. XVI. Ueber einige Erscheinungen an den Muskeln lebendiger Corethra plumi- cornis-Larven. VonG. R. Wagener. Hierzu Taf. XVII und XVII. Ueber das Verhalten der Muskeln im Typhus. Von G.R. Wagener. Hierzu Taf. XIX. XX. XXL. Rhizopodenstudien. I. Von Franz Eilhard Schulze. Hierzu Taf. XXIH und ein Holzschnitt. Ueber die Entwicklung und Proliferation von Epithelien und Endothelien. Von Dr. J. Zielonko aus Petersburg. (Aus dem pathologisch- anatomischen Institut zu Strassburg i. E,) Hierzu Taf. XXIII. XXIV. XXV. a 3 N AN a RR A ET Rhizopodenstudien. II. Von Franz Eilhard Schulze. Hierzu Taf. XXVI und XXVI. . Beiträge zur Histologie der Gelenke von Dr. Herm. Tillmanns in Leipzig. Hierzu Taf. XXVIII und XXIX. Ueber die Knospung der Ascidien. Von Prof. A. Kowalevsky. Hierzu Taf. XXX und XXXI. Beiträge zur Kenntniss des Faserverlaufs im Rückenmark. Von Dr. Schief- ferdecker, Assistenten am physiologischen Institut der Universität Strassburg. Hierzu Taf. XXXI. XXXIU und XXXIV. Ueber die Genese der Samenkörper. Von Prof. v. la Valette St. George. Dritte Mittheilung. Hierzu Taf. XXXV. Ueber active Formveränderungen am Kernkörperchen. Von Dr. Alex- ander Brandt, Privatdocent in St. Petersburg. Seite 253 257 295 sll 328 351 377 401 441 471 495 505 Max Schultze, geb. 25. März 1825, gest. 16. Jan. 1874. Nekrolog von Prof. G. Schwalbe. d »J a } he i ?, [1 . a r r RP | KIN a A ‚ara wa; ı > ‚ x fs A Mais m 97 ‘ ? j B AN Bu. ’ "IL. Ih j 5 i a h f Ind j (RS IL] \ 4 an, v [* u AyID Re , Te We N Auf der Höhe wissenschaftliehen Ruhmes, mitten im schönsten häuslichen Glück, rastlos weiter strebend und forschend, ist ein Mann der Wissenschaft seiner Familie, seinen Freunden entrissen worden, dessen stetes Sorgen es war, allen Anforderungen des Lebens möglichst vollkommen zu genügen, in seiner Wissenschaft unter den ersten Forschern, als Mensch unter den vorziglichsten Bürgern genannt zu werden. Die anatomische Wissenschaft hat in Max Schultze einen ihrer hervorragendsten einflussreichsten Führer verloren, einen Führer, der, mit der höchsten Begabung für die mikroskopische Forschung ausgestattet, mit seltenem Glück und Geschick neue kostbare und haltbare Steine dem Gebäude seiner Wissenschaft einfügte, der nicht nur mit klaren Worten Gedanken grösster Tragweite aussprach, andere erst zum Gemeingut der Morphologen stempelte, sondern es auch in hervorragender Weise verstand, seine Schüler anzuregen, unter seiner Fahne tüchtige Kräfte zu gemein- samer Arbeit zu vereinigen. Kein Wunder daher, dass die aufstrebenden Forscher der letzten zwei Jahrzehnte auf ihn ihre Blicke richteten, in ihm einen ihrer Meister verehrten, dass sie gern in den Ideen weiterlebten, die der Meister säete und seinen Ruf in ihren Kreisen verbreiteten und nährten. Kein Wunder, dass dieses Archiv für mikroskopi- sche Anatomie, dessen Erscheinen vielfach von seinen Freunden für nicht nothwendig erklärt, von seinen Gegnern gar missgünstig angesehen wurde, unter seiner aufopfernden einsichtsvollen Leitung IV bald einen nicht geahnten Aufschwung nahm, sich die Bahn brach zu dem Range einer der ersten anatomischen Zeitschriften, dass es in den zehn Jahren seines Bestehens eine reiche Fundgrube mannigfacher wissenschaftlicher Schätze geworden ist. Ein dauern- des Denkmal hat sich M. Schultze in diesem Archiv gesetzt, das seinen Namen, seine Bedeutung künftigen Geschlechtern frisch im Gedächtniss erhalten wird. Mögen diese Zeilen eines den Lehrer und Freund beklagenden Fachgenossen diesem schönen Denkmal eine bescheidene dankbar gewidmete Grabschrift sein. Max Johann Sigismund Schultze wurde am 25. März 1825 zu Freiburg i. B. geboren. Sein Vater, der bekannte Anatom C. A. Sigismund Schultze, damals Professor der Anatomie und Physiologie in jenem badischen Städtchen, folgte schon im Jahre 1830 einem Rufe an die Universität Greifswald. Hier genoss der Knabe den ersten Unterricht im elterlichen Hause, hier wurde ihm unter den Augen seiner Mutter Friderike geb. Beller- mann eine sorgfältige Erziehung zu Theil. Schon früh zeigte er neben einem grossen Eifer für das Sammeln von Naturalien ein grosses Interesse für Musik und eine gute Anlage zum Zeichnen. Letztere sollte ihm in der Folge in seinem Berufe von ausseror- dentlichem Vortheil werden; die Musik ist ihm stets während sei- nes ganzen reichen Lebens zu Zeiten grosser Arbeitslast eine an- senehme Erholung, in trüben Stunden ein schöner Trost gewesen. ‘Diese Anlagen wurden von den Eltern eifrigst begünstigt und gefördert. Auf den wissenschaftlichen Ausflügen des Vaters in die Umgebung Greifswalds erhielt der Eifer des Knaben für die beschreibenden Naturwissenschaften, besonders seine Liebe zur Zoologie neue Nahrung. Sein Zeichentalent fand ebenfalls die gebührende Berücksichtigung. Bereits in seinem 15. Jahre hatte er die Freude, eine Zeichnung, den Eehiniscus Bellermanni darstellend, in dem zur Feier der goldenen Hochzeit seines Gross- vaters von seinem Vater geschriebenen Programm: „Echinisceus Bellermanni, animal macrobioto Hufelandii affıne“ veröffentlicht zu sehen. Vom Jahre 1835 bis Ostern 1845 besuchte er das Gymnasium zu Greifswald. Mit Beginn des Sommersemesters 1845 wurde er an der Universität seiner Heimathstadt als Student der Mediein immatrieulirt und absolvirte hier grösstentheils sein Quadriennium academieum. Nur während des Wintersemesters 1846/47 verweilte v er in Berlin, wohin J. Müller’s Gestirn damals Jünger der bio- logischen Wissenschaften von nah und fern heranzog. Hier hörte er bei dem grossen Meister in der Anatomie und vergleichenden Anatomie, bei dem Schöpfer unserer modernen Physiologie eine Vorlesung über Anatomie der Sinnesorgane, er, der selbst dereinst auf diesem Gebiete die schönsten Früchte ernten sollte. Auch E. Brücke’s Vorträge über Theorie und Gebrauch des Mikro- skops, die Vorträge Schlemm’s über Splanchnologie besuchte er. Seine eigentliche anatomische Ausbildung erhielt er jedoch in den Vorlesungen seines Vaters. Besonderen Fleiss verwandte M. Schultze auf die chemi- sehen Studien; schon früh erkannte er chemische Kenntnisse als einen unentbehrlichen Apparat für die Lösung der Aufgaben der allgemeinen Anatomie und bestrebte sich, möglichst vollkommen die Methoden der chemischen Wissenschaft, die freilich für ihn nur eine Hülfsdiseiplin war und immer blieb, beherrschen zu ler- nen. Aus diesen Bestrebungen gingen zwei kleine Publikationen hervor, die mit zu seinen Erstlings-Arbeiten zählen und die Re- sultate einer Analyse eines nekrotischen menschlichen Radius und zweier menschlichen Speichelsteine enthalten (2 und 3 des Literatur- verzeichnisses). Auch später noch bearbeitete er mehrfach chemi- sche Themata: im Jahre 1849 die Einwirkung von Zucker und Schwefelsäure auf organische Substanzen, die chemische Zusam- mensetzung der Arterienhäute, 1861 die Frage über die künstliche Umwandlung des ehondrogenen Knorpels in collagenen; aber alle diese Arbeiten sollten ihm nur zu einer näheren Kenntniss der Chemie der Gewebe verhelfen, die er mit Recht nicht nur für die Beurtheilung der physiologischen Bedeutung derselben, sondern auch für deren morphologische Charakteristik für unentbehrlich hielt. Noch in späteren Jahren, als längst die Fülle der Berufs- geschäfte es dem fleissigen Manne unmöglich gemacht hatte, diese Studien seiner Universitätszeit fortzusetzen, gehörte die Beschäfti- gung mit der Chemie so zu sagen zu seinen Liebhabereien. Dank- bar hatte er ja dieser Schwester-Wissenschaft zu gedenken; denn sie war es, welche ihm bei seinem rastlosen Vordringen in die feinsten Theilchen des thierischen Körpers das anatomische Messer ersetzte, welche ihm vielfach in bequemer überraschender Weise Bilder enthüllte, deren Anblick anderen, weniger der chemischen Zergliederung kundigen Forschern, verborgen blieb. VI Doch ich bin dem Entwicklungsgange M. Schultze’s weit vorausgeeilt. Noch war für ihn die Zeit nicht gekommen, wo er noch Herzenslust seinen wissenschaftlichen Neigungen sich ganz hätte hingeben können. Die Beschäftigung mit der practischen Mediein, der Besuch der Kliniken konnte ihn allein zu dem nächst ersehnten Ziele, der Erlangung des academischen Doctorgrades führen, und so lag er denn vom Sommersemester 1847 an in Greifswald noch zwei Jahre lang mit Fleiss und Ausdauer diesen Studien ob, war darauf drei Monate Hülfsarzt im Krankenhause und wurde am 16. August 1349 von seinem Vater zum Doctor pro- movirt. Seine preisgekrönte Dissertation: De arteriarum notione, struetura, eonstitutione chemiea et vita, brachte wichtige Aufschlüsse besonders über die contractilen und elastischen Elemente der Arte- rienwand und sorgfältige Untersuchungen über den stofflichen Auf- bau derselben. Die anatomische und chemische Untersuchungs- methode reichen sich hier die Hand zur Erreichung eines weiteren Zieles, die physiologische Dignität der Arterienwandungen zu erschliessen. In dieser ersten anatomischen Abhandlung Schultze’s ist bereits die ganze Richtung seiner morphologischen Arbeiten angedeutet, aus ihr ist schon die formelle Behandlungsweise er- sichtlich, welche seine späteren Publicationen in so hohem Grade auszeichnet, sie zu einer anziehenden Leetüre macht. Nicht eine trockene Beschreibung todter Formen, — ein Verständniss der lebendigen Elementartheile, der lebendigen Gewebe und Organe ist das Ziel, auf welches Scehultze hinarbeitet. Bald sind es morphologische, bald physiologische Gesichtspunkte, durch welche er sich leiten lässt; ein Studium der Lebenseigenschaften der Pro- toplasma-Organismen bringt ihn auf die rein morphologische Frage nach der Stellung, derselben zur Zellenthorie, während ihn anderer- seits die morphologische Erforschung des Zusammenhanges zwi- schen epithelialen Zellen und Nerven nach und nach durch die Untersuchung der Netzhaut zum Studium der Farbenempfindung führt. Sehultze sucht also zu einem Verständniss der Formen auf einem doppelten Wege zu gelangen, einmal durch Anbahnung eines alle Formen umfassenden Zellenbegriffs, zweitens durch Be- rücksichtigung der physiologischen Leistungen der untersuchten Theile, also der Wirkungen der Formen. Die Frage nach der Ursache der verschiedenen organisirten Formen, nach der Abhän- gigkeit ihrer Gestalt von den innerhalb und ausserhalb derselben vu wirkenden Kräfte wird fast nirgends berührt. Es mag dies wohl zum Theil darauf beruhen, dass eine Anzahl von Gegenständen, mit denen er sich beschäftigte, wie z. B. die Leuchtorgane von Lampyris, die eleetrischen Organe der Fische, weniger durch die Frage nach ihren Entwicklungsbedingungen, als durch ihre auffal- lenden physiologischen Leistungen Interesse erregten, zum Theil wohl auch darin, dass Darwin’s Versuche, die zahllosen organi- sirten Formen darch die rücksichtslose Wechselwirkung unerbitt- licher Naturkräfte allmählig entstanden darzustellen, in eine Zeit fielen, in welcher sich Schultze’s wissenschaftliche Richtung bereits eonsolidirt hatte, sodass die IdeenDarwin’s wohl seinen Gedankengang mächtig beeinflussen konnten, nicht aber die Art seiner Arbeit. Im Winter 1849/50 war M. Schultze wieder in Berlin, um dort die medieinischen Staatsprüfungen zu absolviren. Ostern 1850 wurde er als Proseetor an der unter der Leitung seines Va- ters stehenden anatomischen Anstalt in Greifswald angestellt, und konnte sich nun, nicht mehr gestört durch die Beschäftigung mit der practischen Mediein, ganz seiner Wissenschaft widmen. Dem Antritt des Prosector - Amtes folgte schon im Wintersemester 1350 ein weiterer wichtiger Schritt: Er wurde als Privatdocent in den Lehrkörper der medieinischen Facultät aufgenommen, nachdem er am 22. Novbr. seine öffentliche lateinische Probevorlesung de theo- riis nervorum actionem explicantibus gehalten hatte. Zoologische Studien nahmen damals Schultze’s Haupt- Interesse in Anspruch. Die Nachbarschaft der Ostsee, Ausflüge nach Rügen, Kuxhaven und Helgoland verschafften ihm interessan- tes Material in Fülle und gewährten ihm unter Anderem auch die Mittel zur Ausführung einer monographischen ‚Bearbeitung der Turbellarien, jener so interessanten, scheinbar einen Uebergang von den Infusorien zu den Würmern vermittelnden Thiergruppe, zu deren Studium ihn besonders sein Vater veranlasst hatte. Seit dem Jahre 1848 war er mit diesem Gegenstande eifrigst beschäf- tigt. Eine besondere Aufmerksamkeit widmete er dem histologi- schen Bau dieser Organismen, sowie den mikrochemischen Reactio- nen ihrer Elementartheile, und wurde in seinen Bemühungen unter Anderem durch die Entdeckung von Chlorophyll innerhalb dieser Thierkörper belohnt. In einer schönen von meisterhaft ausgeführ- ten Zeichnungen begleiteten Monographie legte er 1851 seine Er- VII fahrungen über die rhabdocölen Turbellarien nieder. Eine Fort- setzung des Werkes sollte folgen, ist aber nicht erschienen, da Schultze’s ganze Kraft bald durch andere weiter führende Ge- genstände in Anspruch genommen wurde. Die ausgezeichnete Abhandlung über die Turbellarien bezeich- net einen wichtigen Abschnitt in Schultze’s wissenschaftlicher Laufbahn ; sie war es besonders, welche ihn zuerst in weiteren Kreisen bekannt machte, sie brachte ihm früh wissenschaftliche Ehren ein und verschaffte ihm die Mittel, seine Studien über niedere Thiere unter einem anderen Himmel auf Organismen zu rich- ten, welche der morphologischen und physiologischen Räthsel viele darboten, welche an der Schwelle des Lebens stehend sowohl für das Studium der einfachsten Lebensvorgänge, wie für die Frage nach dem Wesen der elementaren Bausteine des Thierkörpers, der Zellen, sich von der allergrössten Bedeutung erwiesen. In Anerkennung des Werthes seiner Arbeit über die Turbei- larien und anderer kleinerer, besonders der oben erwähnten z00- chemischen Publicationen wurde M. Schultze von der philoso- phischen Faeultät zu, Rostock zum Doctor philosophiae honoris causa ernannt: „animalium evertebratorum perscrutator sagaeissi- mus nee non de zoochemia optime meritus.* Dieser ehrenvollen Beförderung folgte im Januar 1853 eine neue Genugthuung. Die medieinische Facultät zu Berlin verlieh ihm das Blumenbach’sche Reisestipendium. Schultze wählte als Ziel seiner wissenschaftlichen Reise Italien. Mit lebhaftem Interesse nahm er die mannigfachen Ein- drücke auf, welche ihm die italienischen Städte und Sitten hinter- liessen; allein sein strenges Pflichtgefühl, die Hingabe an seine Wissenschaft liessen ihn den Zweck seiner Reise keinen Augen- blick vergessen. Bald wurde in Venedig der Lido der Zielpunkt seiner Wanderungen, bald vergass er an der Küste von Ancona die Nähe Roms. Die wunderbaren Sarcode - Organismen mit zier- lichem vielkammerigen Kalk-Gehäuse, die Polythalamien erregten sein ganzes Interesse. Der Sand des adriatischen Meeres erwies sich ausserordentlich reich an diesen Geschöpfen, deren Gehäuse zwar schon lange bekannt, deren weiche Körper und Lebenser- scheinungen aber vor Schultze nur höchst dürftig untersucht waren. Es bot sich ihm hier also die reichste Gelegenheit, sein Forschertalent zu zeigen. Mit welch seltenem Geschick, in wel- IX cher Vollendung er seine Aufgabe löste, beweist seine berühmte Abhandlung: „Ueber den Organismus der Polythalamien nebst Bemerkungen über die Rhizopoden im Allgemeinen“, durch welche er in die Reihe der Meister zooligischer Forschung eintrat. Die Bedeutung dieses Werkes liegt nicht allein darin, dass wir durch dasselbe vertraut wurden mit den eigenthümlichen Bewegungser- scheinungen lebendiger eiweissartiger Materie, dass wir in ihnen Beispiele kennen lernten, wie keine anderen geeignet, die ein- fachsten Lebensprocesse zu illustriren, — das Polythalamien-Werk hinterliess Spuren, die tief einschneiden sollten in den Bau unse- rer Kenntnisse von den Elementartheilen des thierischen Körpers, die der Vorstellung, dass die Membran ein nothwendiges Attribut der Zelle sei, ein Ende bereiten sollten. Es bildet diese Arbeit die Basis, auf der M. Schultze später seine berühmten Reformen der Zellentheorie aufführte, die seinen Namen zu einem der popu- lärsten unter den Anatomen gemacht haben. Reich mit wissenschaftlichen Schätzen beladen kehrte unser Anatom aus Italien zurück. Mit grosser Energie betrieb er die Ausarbeitung seiner Beobachtungen, sodass schon im Sommer 1854 sein Polythalamien-Werk, mit 7 prachtvollen Kupfertafeln ausge- stattet, den Fachgenossen die ganze Bedeutung des jungen For- schers verkündete. Auch auf äussere Erfolge sollte er nicht lange zu warten haben. Dasselbe Jahr, in welchem er durch jene schöne Leistung so zu sagen die Meisterschaft antrat, brachte ihm das Glück einer Stellung, in welcher er nun alle seine Talente zur reichsten Ent- faltung bringen konnte. Er erhielt einen Ruf als ausserordentlicher Professor an die Universität Halle und siedelte bereits im October 1854 dorthin über. Seine Verheirathung mit seiner Cousine Christine Bellermann vervollständigte sein Glück. Sein häus- liches Leben gestaltete sich in der angenehmsten Weise, die Ge- selligkeit Halle's behagte ihm nicht minder und zu einer reichen Wirksamkeit als Forscher und Lehrer gab ihm das rege arbeitsame Hallenser Leben, gab ihm seine Anstellung an der dortigen anato- mischen Anstalt die beste Gelegenheit. Er liess sich nicht abschreeken durch die unvollkommenen Einrichtungen der Hallenser Anatomie, deren kellerartige lichtarme Räume, deren dunkle Sammlungssäle, eingeschlossen in ein melancholisches von den schmutzigen Fluthen eines Seitenarmes der Saale bespültes Gemäuer, noch heute an die x anatomischen Anstalten alter Zeiten erinnern, an die Zeiten, wo der Anatom die Beschäftigung mit seiner Wissenschaft dem Blicke der unwissenden abergläubischen Menge scheu entziehen musste. Eine staunenswerthe Thätigkeit wurde von M. Schultze auf diesem scheinbar so ungünstigen Boden entfaltet, deren Erfolge die Energie seines Charakters, die sich nicht beugen liess durch äussere Schwierigkeiten, glänzend beweisen. Unter den Arbeiten, die in diese Zeit fallen, nenne ich hier nur die über die Entwick- lungsgeschichte von Petromyzon Planeri, welche von der Holländi- schen Societät der Wissenschaften zu Haarlem mit dem Preise ge- krönt wurde, führe ich an die Abhandlungen über die pseudoelek- trischen Organe der Rochen, über die elektrischen Organe der Fische, welch’ letztere er in den Abhandlungen der naturforschen- den Gesellschaft zu Halle, deren eifriges Mitglied er war, veröffent- lichte. Vor Allem aber fällt in Schultze’s Hallenser Zeit der Beginn der grossen Reihe von Arbeiten über die Endigungsweise der Nerven in den Sinnesorganen, die die Verbindung feinster Nervenfäserchen mit epithelialen Gebilden eigenthümlicher Art, wenn nicht sicher stellten, so doch im hohen Grade wahrschein- lich machten. Diese Reihe ausgezeichneter Untersuchungen wurde im Jahre 1856 durch eine kurze Mittheilung an die Berliner Aca- demie, „Ueber die Endigungsweise der Geruchsnerven und die Epithelialgebilde der Nasenschleimhaut“ eröffnet; ihr folgte bald (1858) die Beschreibung einer analogen Endigungsweise im Laby- rinth der Fische. Mit diesen Arbeiten betrat er eine Bahn, in welcher er in der Folge reiche Lorbeeren erringen sollte, trat er ein in die Reihe der ausgezeichnetsten Histologen. Nicht nur als einen Meister der Technik, einen Erfinder furehtbarer Methoden zeigte er sich, sein die organischen Formen umfassender Blick konnte sich nicht damit begnügen, Beschreibungen vereinzelter Beobachtungen zu liefern, er erkannte den Zusammenhang der Formerscheinungen und deckte die gemeinsamen Züge der Nerven- endigungen in den verschiedensten Sinnesorganen auf. Eine zusammenfassende Darstellung der Resultate seiner For- schungen auf diesem Gebiete gab Schultze einige Jahre später, als er bereits in Bonn war, in seinen schönen Untersuchungen über den Bau der Nervenschleimhaut. In den Arbeiten seiner Schüler A. Key, F. Schultze, Odenius und des Schreibers dieser Zeilen wurde dann das von ihm entdeckte Prineip der Nerven- XI endigung in eigenthimlichen Sinneszellen als ein allgemeineres er- kannt, wurden des Lehrers Angaben bestätigt und erweitert. Die ausgedehnte erfolgreiche wissenschaftliche Thätigkeit, das seltene Lehrtalent machten M. Schultze schnell zu dem be- kanntesten, populärsten unter den jüngeren Anatomen. Nicht lange hatte er auf einen Wirkungskreis zu warten, der seiner Bedeutung entsprach. Die durch Helmholtz’ Berufung nach Heidelberg erledigte Professur der Anatomie in Bonn wurde ihm übertragen. Bereits Ostern 1859 trat er in sein neues Amt ein, das ihm zum ersten Male als Direktor einer anatomischen Anstalt volle freie Verfügung über die Mittel derselben gestattete, ihm zugleich einen ungleich grösseren Wirkungskreis verschaffte. Hier an der blühen- den Hochschule Rheinlands, am Ufer des herrlichen Rheinstroms, umgeben von einer milden schönen Natur fühlte er sich als glück- licher Herrscher seines kleinen Reiches, glücklich im Kreise sei- ner Familie, in der Erziehung seiner Söhne. Das anatomische Institut der Bonner Universität gehörte zwar damals gerade nicht zu den am schönsten und zweckmässigsten eingerichteten, es war aber immerhin ein Aufenthalt, welcher durch seine freundliche Lage gegen die finsteren Kellergewölbe der Hallenser Anatomie einen angenehmen Contrast bildete. Hier lernte ich den Meister kennen, wie er in seinem kleinen freundlichen Arbeitszimmer mit der Erforschung der Protoplasmabewegungen beschäftigt war, hier sah ich ihn, wie er in fliessendem eleganten Vortrage das Bild des menschlichen Körperbaues seinen eifrigen Schülern entrollte. In der That eine seltene Erscheinung war M. Sch ultze als Leh- rer! Lebhaft steigt dies Bild in meiner Erinnerung auf. Wie stand er glänzenden Auges da vor gefülltem Auditorium, wie sah man ihm den Eifer an, seine Zuhörer mit demselben Interesse für seine Wissenschaft zu erfüllen, welches ihn beseelte.e Und wie einfach und schlicht war dabei die Art seines Vortrags. Nicht durch gekünstelte Redensarten, durch Aufwand oratorischer Kunst- griffe suchte er zu fesseln, — die Klarheit seines Verstandes, das hohe Interesse an dem Gegenstande verliehen seiner Zunge stets den rechten passenden Ausdruck, machten seine Darstellung zu einer durchsichtigen und fesselnden, erwarben ihm unbewusst den Ruf eines eleganten Vortrags. — Im Präparirsaale endlich, wie wusste er auch da sich als Meister zu zeigen! — Ich werde sie nie vergessen diese Stunden auf der Bonner Anatomie, dieses Xu allseitige Wirken des verehrten Lehrers, dem ich bald als Assistent der Anstalt näher trat, der in seltener Weise das ihm entgegen- getragene Interesse für seine Wissenschaft zu nähren und zu fördern wusste. Es gab wohl keine Zeit, in welcher sich M. Schultze’s Arbeitskraft nach so vielen Richtungen hin so grossartig entfaltete wie in den ersten Bonner Jahren. Gleich in seinem Antritts- Programme trat er mit einer wichtigen Untersuchung über den Bau der Retina hervor, die den. Ausgangspunkt bildete für eine Reihe glänzender Arbeiten über die Netzhaut, würdig den unver- gesslichen Leistungen H. Müller’s auf diesem Gebiet an die Seite gestellt zu werden. Daneben wurden die Untersuchungen über die Geruchsschleimhaut fortgesetzt, die eigenthümlichen kol- benförmigen Gebilde in der Haut der Neunaugen untersucht; es wurde ein Ausflug nach Paris und Holland im Jahre 1860 dazu benutzt, die Natur der seltsamen Hyalonemen aufzuklären; das Jahr 1864 brachte die Entdeckung der Stachel- und Riffzellen. Vor allen Dingen aber war es jetzt die Zelle, welehe Schultze beschäftigte. Schon längst hatte er erkannt, dass das Schwann- sche Zellenschema zwar für das entwickelte Pflanzengewebe einen guten Ausdruck des Thatsächlichen gebe, für eine ganze Reihe thierischer Elementartheile aber unhaltbar sei. Wie sollte man z. B. einen Polythalamienkörper auf Zellen mit Membran und Kern versehen zurückführen? Auch für die morphologische Auf- fassung der Intercellularsubstanzen hatten sich die Schwann’schen Anschauungen längst unzulänglich erwiesen, seit man erkannt hatte, dass die Entstehung neuer Zellen stets auf bereits vorhandene, nicht auf ein formloses Öystoblastem zurückzuführen sei. Als ein wesentliches Hinderniss für die Klärung der Ansichten erwies sich die Zellmembran, die von Sehwann nicht einmal als so wesent- lich hingestellt war, dagegen von seinen Nachfolgern, besonders Reichert, als etwas Unentbehrliches angesehen wurde. Gegen diese beschränkende Auffassung des Zellenbegriffs wendete sich nun Schultze im Jahre 1861 in seiner Epoche machenden Arbeit: „Ueber Muskelkörperchen und das was man eine Zelle zu nennen habe“. Oefter schon vor dieser Zeit hatte man zwar von Zellen gere- det, an denen keine Membran nachzuweisen sei, Niemand aber hatte vorher es gewagt, mit den alten Anschauungen gänzlich zu brechen, ' das Mohl’sche Protoplasma, die Sarcode der Amöben, Polythala- XII mien und anderer niederster Organismen als Ausgangspunkt für eine neue Zellentheorie zu nehmen, die nunmehr die Formerschei- nungen aller Organismen auf dieselben Elementartheile zurück- führte. Es ist bekannt, wie diese Reformen der Zellenlehre in den gleichzeitigen Untersuchungen E. Brücke’s eine kräftige Stütze erhielten, wie sie von Reichert und seiner Schule lange, aber vergeblich bekämpft wurden. Schultze’s und Brücke’s An- schauungen über den Aufbau alles Lebendigen aus Elementarorga- nismen sind heute in den gesicherten Besitz der Histologen über- gegangen. Auch nach einer anderen Riehtung war Schultze’s Arbeit über die sogen. Muskelkörperchen von der höchsten Bedeutung. Sie bahnte, gestützt auf entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen, eine Auffassung der Intercellularsubstanzen an, die noch heute viele bewährte Forscher zu ihren Vertretern zählt. Die Ableitung der Intercellularsubstanzen aus dem Protoplasma der ursprünglich sich berührenden embryonalen Zellen, die Zurückführung der entwickelten Gewebe auf Zellenterritorien unterwarf erst vollstän- dig auch dieses Gebiet der Herrschaft der Zelle. Durch Bemer- kungen über die Entwicklung des Muskelgewebes, sowie des fibrillären Bindegewebes wurden diese neuen Anschauungen von Schultze erläutert. Die Erkenntniss der Uebereinstimmung des Protoplasma der Rhizopoden und Pflanzenzellen führte Schultze zu einem einge- henderen Studium der merkwürdigen Bewegungen des Protoplasma, die schon vor 10 Jahren an den Küsten des adriatischen Meeres ihn mächtig gefesselt hatten. In einer besonderen Brochüre legte er im Jahre 1863 seine Erfahrungen darüber nieder, die bald darauf noch dureh die Beobachtung der Bewegungen der farblo- sen Blutkörperchen auf dem von ihm econstruirten heizbaren Ob- jeettische vervollständigt wurden. Die Vertheidigung seiner Er- rungenschaften auf diesem Gebiet gegen Reichert’s Angriffe wurde ihm nicht schwer, da er sofort die bewährtesten Forscher auf seiner Seite fand. Durch ein lateinisch geschriebenes Pro- gramm: De ovorum ranarum segmentatione quae Furchungsprocess dieitur entkräftete er auch das letzte für die Existenz einer Zell- membran bei jugendlichen Zellen angeführte Argument Reichert's, indem er eine andere befriedigendere Erklärung des Faltenkran- zes gab. XIV Der enge Rahmen dieses Lebensbildes erlaubt es nicht län- ger bei Schultze’s zellentheoretischen Arbeiten zu verweilen. Ein Bild der energischsten Thätigkeit auf den verschiedensten Ge- bieten der biologischen Forschung entrollen sie, das um so be- wunderungswürdiger wird, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Sehultze während seiner eifrigsten wissenschaftlichen Thätigkeit stets der gewissenhafteste Lehrer gewesen ist, dass er, obgleich mit keiner zu festen Gesundheit ausgerüstet, rücksichtslos gegen sich verfuhr, wenn es galt, seine Pflicht zu erfüllen. Oft genug mussten den kränkelnden Mann die Freunde bitten, sieh doch mehr zu schonen, seine Gesundheit nicht seinem Berufe zu opfern. Schon damals hatte er mit dem Leiden zu kämpfen, das den Keim sei- nes frühen jähen Todes barg. Zeitweise war seine Gesundheit so angegriffen, dass man die schlimmsten Befürchtungen hegte. Seine Arbeitskraft blieb ungebrochen. Er fand noch Zeit, junge strebsame Forscher, die zum Theil von fernher zu ihm kamen, wie A. Key, F. E. Schulze, Rudnew, Odenius in ihren Bestrebungen zu fördern, zu eigener Productivität anzuregen; und so entstanden zu dieser Zeit neben seinen eigenen Arbeiten noch eine Reihe von wichtigen Aufsätzen seiner Schüler. i Schon längst hatte er den Mangel einer Zeitschrift empfun- den, welche die in den verschiedensten Journalen zerstreuten Ar- beiten auf dem Gebiete der mikroskopischen Anatomie zusammen- fasse. Der Streit mit Reichert schnitt ihm noch dazu den Weg der Publication in dem einzigen Journale, das der Richtung seiner Arbeiten entsprach, in dem Archiv für Anatomie und Physiologie, ab. So entschloss er sich denn, ein eigenes Archiv zu gründen, dazu bestimmt, die Fortschritte sowohl auf dem Gebiete der mi- kroskopisch-anatomischen Forschung, als in der Vervollkommnung der Methoden dieser Forschung zusammenfassend aufzunehmen. Im Jahre 1865 erschien das erste Heft seines Archivs für mikro- skopische Anatomie, eröffnet durch den Aufsatz des Herausgebers: „Ein heizbarer Objeettisch und seine Verwendung bei Untersuchun- gen des Blutes“. In wenigen Jahren nahm die Zeitschrift unter seiner sachkundigen geschickten Leitung einen solchen Aufschwung, dass stets ein Ueberfluss von druckfertigem Material aus der Hand bewährter Forscher vorlag, dass das Archiv eines der gelesensten unter den fachwissenschaftlichen Journalen wurde. So gestaltete sich nach allen Richtungen hin M. Schultze’s XV Leben in Bonn in der glücklichsten Weise. Da traf ihn ein Schicksalsschlag, der lange schwer auf ihm lastete, das Glück, dessen Günstling er bisher gewesen, mit rauher Hand verscheuchte. Im Herbst 1865 besuchte er mit seiner Frau das Seebad in Ost- ende. Anstatt gestärkt und erfrischt von dem Seeaufenthalte in die Bonner Thätigkeit wieder einzutreten, kehrte er als tiefge- beugter Wittwer zurück. Seine innig geliebte Frau erkrankte und starb in Ostende am Typhus. Und es schien, als wenn er nun dazu bestimmt wäre, nur neues Leid zu erfahren. Auch seine beiden jüngsten Söhne wur- den ihm ein Jahr darauf durch den Tod entrissen. Ungebeugt war aber Schultze’s Arbeitskraft. Die Erfolge seiner Thätigkeit waren es, an denen er sich wieder aufrichtete — und immer neue Lorbeeren reihte er dem reichen Kranze seiner wissenschaftlichen Triumphe ein. Von nun an war es das Studium der Retina, dem er seinen ganzen Eifer, den ganzen Aufwand seiner mikroskopi- schen Technik widmete. Die im 2. Bande dieses Archivs nieder- gelegten Untersuchungen über Anatomie und Physiologie der Retina gehören zu den glänzendsten literarischen Leistungen Schultze’s, sowohl was inneren Gehalt als äussere Darstellung betrifft. Ein Ausbau der gewonnenen Erfahrungen, besonders mit Hülfe vergleichend anatomischer Studien, an den Augen der Mol- lusken und Arthropoden angestellt, füllte die letzten Jahre seines reichen wissenschaftlichen Lebens aus, nur einmal unterbrochen durch eine Arbeit über die Structur der Elemente des Nerven- systems, welche Resultate ergab, die durch Aufstellung der Primi- tivfibrillen als elementare leitende Theile eine willkommene Ergänzung zu seinen Beobachtungen über das Verhalten der Ner- venfaser bei ihrer Endigung in den Sinnesorganen bildeten. Ich bin am Ende der Schilderung der wissenschaftlichen ‚ Thätigkeit M. Schultze’s. Was er geleistet, was er der Wis- senschaft errungen hat, habe ich mit kurzen Worten berührt. Man würde aber nur einen Theil seiner Bedeutung kennen lernen, wenn man nicht zugleich auch erführe, wie er seine Erfolge erzielt. Mit der feinsten Beobachtungsgabe, einem klaren ruhigen Ver- stande verband er eine ausgezeichnete technische Fertigkeit, die volle Kenntniss der nutzbaren Methoden und die Fähigkeit, gestützt auf die Arbeiten seiner Lehrjahre als Meister den Apparat unserer mikroskopischen Hülfsmittel mit immer neuen zu vermehren. Mit XVI der Einführung der dünnen Chromsäurelösungen begann er früh seine Thätigkeit auf diesem Gebiete. ImJodserum, in der Ueber- osmiumsäure hat er uns in der Folge andere feine Instrumente in die Hand gegeben, geeignet den Weg zu bahnen durch die thie- rischen Gewebe. M. Schultze’s Methoden sind das Gemeingut der Histologen geworden ; sie bereiten neue Erfolge vor weit über die Grenzen seiner eigenen Thätigkeit hinaus. In unablässiger Arbeit suchte Schultze den Schmerz über seinen herben Verlust zu überwinden. Neben dem Mikroskop war es die Violine, welche als treue Gefährtin ihm Trost und Stärkung verlieh. Von Jugend auf hatte er ein grosses Interesse für Musik gezeigt und die Violine zu seinem Instrument erkoren. Die eifrige Pflege jener Kunst in dem Geburtsorte Beethoven’s, die Nach- barschaft Kölns, die niederrheinischen Musikfeste gaben seiner Liebe zur Musik neue Nahrung; musikalische Abende im eigenen Hause bildeten für ihn die schönste Erholung von seinen wissen- schaftlichen Arbeiten. Auch in seinen Kindern war er bemüht Interesse zur edlen Tonkunst zu erwecken. Wie freute er sich in seinen letzten Lebensjahren, mit ihnen zusammen musieiren zu können! — Im Jahre 1867 hatte ich das Glück, von Neuem M. Schultze’s Schüler zu werden, unter seiner Leitung meine ersten histologi- schen Arbeiten zu beginnen. Ich fand ihn so frisch wie früher, in ungeschwächter Geisteskraft. Er nahm sichtlich zu an Lebens- muth und kehrte von einem Besuche der Naturforscherversamm- lung in Frankfurt a.M. im Herbst dieses Jahres und der Pariser Weltausstellung sehr befriedigt zurück. Anfang Januar 1868 reiste er nach Greifswald, um dort am 8. Januar sich an der Feier des 50jährigen Doctor-Jubiläums seines Vaters zu betheiligen, dem er in einer ausgezeichneten Festschrift: „Ueber die zusammenge- setzten Augen der Krebse und Insecten“ ein schönes Denkmal kindlicher Liebe setzte. Wenige Monate nach diesem seltenen Feste”wurde seine Fa- milie, wurden seine Freunde durch die Nachricht erfreut, dass er sich durch seine Verheirathung mit Fräulein Sophie Sievers aus Bonn eine neue glückliche Häuslichkeit gegründet habe. Wie glücklich er sich wieder fühlte, wie er sich freute, nun wieder über die Erziehung seiner Kinder vollkommen beruhigt zu sein, ging aus seinen Briefen hervor, offenbarte sein ganzes Wesen, als XV ich einige Jahre darauf in Freiburg im Breisgau mit ihm und seiner Frau Stunden schöner Erinnerungen und schöner Pläne für die Zukunft verlebte. Es beschäftigte ihn damals der Bau der neuen Bonner Anatomie, die, von der Regierung mit reichen Mit- teln ausgestattet, zu einer Musteranstalt werden sollte und durch Schultze’s rastlose Fürsorge, durch seine einsichtsvollen Pläne und Einrichtungen in der That dazu geworden ist. Nahe vor der Vollendung dieses Zieles seiner sehnsüchtigen Wünsche trat für ihn von 2 Seiten her die Frage heran, ob er noch einmal seine bewährte Kraft erproben wolle auf einem neuen Gebiet, ob er die Vollendung seines mit aller Liebe gepflegten Anatamiebaues anderen Kräften überlassen wolle. Die Gründung der Universität Strass- burg rief aus allen Gauen des jüngst kräftig geeinten deutschen Vaterlandes Männer der Wissenschaft zum gemeinsamen Wirken herbei, die, noch in der Blüthe der Jahre stehend, mit voller That- kraft ausgerüstet, von Liebe für Alldeutschland beseelt, zu den tüchtigsten Vertretern ihres Faches gezählt wurden. Auch Sch ultze war unter den Berufenen. Er lehnte den Ruf ab, da er sich nicht entschliessen konnte, den Anatomiebau unvollendet zu lassen. Bald darauf erhielt er den Antrag unter glänzenden Bedingungen E. H. Weber’s Nachfolger an der "lühendsten deutschen Hoch- schule, in Leipzig, zu werden. Nach hartem inneren Kampfe ent- sagte er auch diesem Anerbieten, und richtete sich nun ganz ein, sich in Bonn ein Heim zu schaffen, das ihm in jeder Beziehung für alle Zukunft volle Befriedigung gewähre. Die Vollendung des herrlichen Anatomiegebäudes im October 1872 erfüllte einen sehn- lichen Wunsch. Die Erbauung eines schönen neuen Wohnhauses in der Nähe der Anatomie sollte seinen Aufenthalt in Bonn für alle Zukunft behaglich machen. Dann wollte er sich wieder ganz seinen lieben mikroskopischen Studien widmen, dann sollten aus dem neuen Tempel der Wissenschaft neue Ideen, neue Errungen- schaften hervorgehen. Mit dem neuen Jahre 1374 bezog er die ersehnte neue Wohnung. Eine freudige Ueberraschung wurde ihm und sei- ner Frau von seinen zahlreichen Freunden bereitet: ein schöner Abend in heiterem Freundeskreise beschloss den ersten Tag im neuen Hause. Schultze fühlte sich so froh, so glücklich. Zwar hatte er viele Jahre durch Bauen verloren, durch eine Thätigkeit, von der er erklärte, dass sie nicht für einen Gelehrten passe, nun aber hatte er ja Alles erreicht, was sein Herz begehrte, nun Ex XVII konnte er wieder seine volle Befriedigung im Forschen - finden. In einem schönen Toast gab er dieser Stimmung beredten Aus- druck. Ihm sei, sagte er, als empfinde er nun, was er während der Bauzeit vergeblich ersehnt, einen Augenblick, zu dem er sagen könne: „Verweile doch, du bist so schön!“ Nur wenige Tage waren nach diesem schönen Abend verflos- sen, als die Trauernachricht von M. Schultze’s Tod Bonn er- schütterte. Ein perforirendes Duodenalgeschwür hatte schnell seinem reichen Leben ein Ende gemacht. Rücksichtslos hat der Tod die Hoffnungen vernichtet, die die Wissenschaft auf ihn setzte, mit rauher Hand hat er ein glückliches Familienleben zer- stört, den Freunden einen treuen Freund entrückt. Ihm war es nicht beschieden, den schönen Augenblick inniger Befriedigung zu fesseln, auszuruhen im Vollbesitze seines Glückes. „Die Uhr stand still, der Zeiger fiel, es war vollbracht!“ Verzeichniss der von Max Schultze herausgebenen Schriften. 1) 1846. 4) 1849. Ueber die Geschlechtsverhältnisse und die Fortpflanzung der Süsswasserpolypen. In der Hornschuch’schen Uebersetzung des Buches von Steenstrup: »Ueber das Vorkommen des Hermaphro- ditismus in der Natur. p. 116 ff. Chemische Analyse eines nekrotischen menschlichen Radius. Erdmann und Marchand, Journal für practische Chemie. Bd. 29. p. 25. Chemische Analyse von 2 menschlichen Speichelsteinen. Eben- daselbst p. 29. De arteriarum notione, structura, constitutione chemica et vita. Diss. inaug. praemio ornata. c. 3 tab. Ueber die Einwirkung von Zucker und Schwefelsäure auf orga- nische Substanzen. Liebig u. Wöhler’s Annaler. p. 226. Ueber die chemische Zusammensetzung der Arterienhäute. Eben- das. p. 277. Ueber die Entwickelung des Tergipes lacinulatus. Archiv für Naturgeschichte v. Troschel p. 268. 1 Tafel. Ueber die Microstomeen, eine Familie der Turbellarien. Ebendas- p. 280. 1 Tafel. Ueber die Fortpflanzung durch Theilung bei Nais proboscidea, Ebendas. p. 293. Ueber die männlichen Geschlechtstheile von Campanularia geni- culata. Müller’s Archiv. p. 53. 1 Tafel. Beiträge zur Naturgeschichte der Turbellarien. Erste Abthei- lung. Mit 7 Tafeln. Greifswald. Beobachtung junger Exemplare von Amphioxus. Zeitschr. für wissenschaftliche Zoologie. 3. Bd. p. 146. 1 Tafel. Noch ein Wort über die ungeschlechtliche Vermehrung bei Nais proboscidea. Troschel’s Archiv f. Naturgeschichte. p. 3. 1 Taf. Ueber die Entwickelung von Ophiolepis squamata. Müller’s Ar- chiv. p. 37. 1 Tafel. 26) 1854. 1855. 1857. 1858. xXX Note sur une matiere colorante existant chez plusieurs animaux et identique avec la chlorophylle vegetate. Comptes rendus. 3. Mai. Zoologische Skizzen. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. IW.-p. 178. Ueber Chaetonotus und Ichthydium und eine neue verwandte Gattung Turbanella. Müller’s Archiv. 1 Tafel. Bericht über eine im Herbst 1855 ausgeführte wissenschaftliche Reise an einige Küstenpunkte des adriatischen Meeres. Verhand- lungen der phys.-medie. Gesellsch. in Würzburg. p. 222. Ueber den Organismus der Polythalamien nebst Bemerkungen über die Rhizopoden im Allgemeinen. Leipzig. Engelmaun. Mit 7 Tafeln. Ueber die Entwicklung von Arenicola piscatorum nebst Bemer- kungen über die Entwickelung anderer Kiemenwürmer. Abhand- lungen der naturforsch. Gesellsch. zu Halle. Bd. II. p. 213. Uebersetzt in den Annals and magazine of natural history. Ueber den feineren Bau der Gallertscheiben der Medusen. Mül- ler’s Archiv. Beobachtungen über die Fortpflanzung der Polythalamien. Eben- das. p. 165. Note sur le develloppement des Petromyzons. Comptes rendus. 18. fevr. Die Entwickelungsgeschichte von Petromyzon Planeri. Mit 8 Tafeln. Eine von der Holl. Societät d. Wissensch. zu Haarlem gekrönte Preisschrift. Ueber die Endigungsweise der Geruchsnerven und die Epithe- lialgebilde der Nasenschleimhaut. Monatsberichte der Königl. Academie der Wissensch. zu Berlin. Novbr. Beiträge zur Naturgeschichte der Landplanarien. Abhandl. der naturf. Gesellsch. in Halle. Bd. IV. (In den Annals and magazine of natural history übersetzt.) Zur Kenntniss des den elektrischen Organen verwandten Schwanz- organes von Raja elavata. Müllers Archiv. p. 193. 1 Tafel. Innere Bewegungserscheinungen bei Diatomeen der Nordsee aus den Gattungen Ooscinodiscus, Denticella, Rhizosolenia. Ebendas, p. 330. 1 Tafel. (Im Quarterly journal of microscopie. science übersetzt.) Ueber die Endigungsweise der Gehörnerven im Labyrinth. Mül- ler’s Archiv. p. 359. 1 Tafel. _ Zur Kenntniss der elektrischen Organe der Fische. 1. Abth. Malapterurus, Gymnotus. Mit 2 Tafeln. 2. Abth. Torpedo. Abhandlungen der naturf. Gesellschaft in Halle. Bd. IV u. V. Im Auszug in: Annales des sciences naturelles. IV. serie. T. XI. p. 376. 36), eo — Ss 41) 1862, Na 43) 1863. aan An — Ab) ia 47) 1864. XXI Observatienes de retinae structura penitiori. Bonnae. 1 Tafel. Sur une nouvelle espece d’eponges (Hyalonema), prise pour un polype. Comptes rendus. N. 17. Die Hyalonemen. Ein Beitrag zur Naturgeschichte der Spongien. Mit 5 Tafeln. Die Gattung Cornuspira unter den Monothalamien und Bemer- kungen über die Organisation und Entwickelung der Polythala- mien. Archiv f. Naturgesch. p. 237. Uebersetzt in Annals and Magazine of natural history. Ueber Muskelkörperchen und das, was man eine Zelle zu nennen habe. Archiv von Reichert und du Bois-Reymond p. 1. Die kolbenförmigen Gebilde in der Haut von Petromyzon und ihr Verhalten im polarisirten Licht. Ebendas. p. 228, p. 281. Taf. V u. Vl. Ueber die beste Form des Polarisationsapparates zu mikroskopi- schen Untersuchungen. Verhandl. der niederrhein. Gesellschaft £. Natur u. Heilkunde. Berliner medic. Centralzeitung N. 46. Zur Frage über die künstliche Umwandlung des chondrogenen Knorpels in eollagenen. Virchows Archiv. Bd, 20. Missbildung im Bereiche des ersten Kiemenbogens. Ebendaselbst. Bd. 20. 1 Tafel. Zur Kenntniss des gelben Fleckes und der Fovea centralis des Menschenr- und Affen-Auges. Archiv von Reichert und du Bois- Reymond. Sitzungsberichte der niederrheinischen Gesellschaft in Bonn. p. 97. Untersuchungen über den Bau der Nasenschleimhaut, namentlich die Structur una Endigungsweise der Geruchsnerven bei dem Menschen und den Wirbelthieren. Abhandlungen der naturf. Gesellschaft zu Halle. Bd. VI. 5 Tafeln. Ueber die electrischen Organe der Fische. Archiv von Reichert u. du Bois-Reymond. p. 470. Ueber Polytrema miniaceum, eine Polythalamie. Archiv für Naturgeschichte. 29. Jahrg. I. Bd. S, 81-102. 1 Tafel. Das Protoplasma der Rhizopoden und der Pflanzenzellen. Leip- zig. Engelmann. 68 Seiten. De ovorum ranarum segmentatione, quae »Furchungsprocess« dieitur. Bonnae. C. tabulis I. Die Structur der Diatomeenschale, verglichen mit gewissen aus Fluorkiesel künstlich darstellbaren Kieselhäuten. Verhandl. des naturhist. Vereins der pr. Rheinlande und Westfalens. Jahrgang XX. p. 1—42. Die Anwendung mit Jod conservirter thierischer Flüssigkeiten als macerirendes und conservirendes. Mittel bei histologischen Untersuchungen. Virchow’s Archiv. Bd. XXX. p. 263. 48) 49) 50) 51) 52) 53) 54) 55) 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62) 63) 64) 65) 66) 67) 68) 69) 70) 1864. 1865. 1866. 1868. XXll Die Körnchenbewegung an den Pseudopodien der Polythalamien. Archiv f. Naturgeschichte. 1863 p. 361. Die Stachel- und Riffzellen der tieferen Schichten der Epider- mis, dicker Pflasterepithelien und der Epithelialkrebse. Virchow’s Archiv. Bd. XXX. 1 Tafel. Das Epithelium der Riechschleimhaut des Menschen. Medicein. Centralblatt N. 25. Ueber den Bau der Leuchtorgane der Männchen von Lampyris splendidula. Sitzungsber. der niederrhein. Gesellsch. f. Natur- und Heilkunde. Ein heizbarer Objecttisch und seine Verwendung bei Untersuchun- gen des Blutes, Archiv für mikrosk. Anatomie I. S. 1. 2 Taf. Vorläufig mitgetheilt in Berliner klin. Wochenschr. 1864. N. 36. Zur Kenntniss der Leuchtorgane von Lampyris splendidula. Ebendas. p. 124. 2 Tafeln. M. S. u. Rudneff: Weitere Mittheilungen über die Einwirkung der Ueberosmiumsäure auf thierische Gewebe. Ebendas. p. 300. Die Nobert’schen Probeplatten. Ebendas. p. 305. Ueber die Bewegung der Diatomeen. Ebendas. p. 376. 1 Tafel. Echiniscus Sigismundi, ein Arctiscoide der Nordsee. Ebendas. p. 428. 1 Tafel. Vorwort zu Deiters, Untersuchungen über Gehirn und Rücken- mark des Menschen und der Säugethbiere. Brauschweig. Ueber den gelben Fleck der Retina, seinen Einfluss auf norma- les Sehen und auf Farbenblindheit. Bonn. Kleinere Mittheilungen. 1. Reichert und die Gromien. 2. Eine neue Art Objectträger. 3. Berichtigung eines Referates von Eh- renberg. 4. Beobachtungen an Noctiluca. 5. Zur Anatomie und Physiologie der Retina. Archiv für mikroskopische Anatomie. Zur Anatomie und Physiologie der Retina. Ebendas.p. 175. 8 Taf. Die neuen Steinheil’schen Loupen. Ebendaselbst p. 381. Mikroskopische Präparate (Empfehlung der Präparate von Blut- krystallen von Deecke in Lübeck). Ebendas. p. 384. Ueber Hyalonema. Ebendas. Bd. III. p. 206. Ueber Stäbchen und Zapfen der Retina. Ebendas. p. 215. 1 Taf. Bemerkungen über Bau und Entwickelung der Retina. Eben- daselbst p. 371. Ueber die Endorgane der Sehnerven im Auge der Gliederthiere. Ebendas. p. 404. Ueber secernirende Zellen in der Haut von Limax. Ebendas. p. 204. Untersuchungen über die zusammengesetzten Augen der Krebse und Insecten. Bonn. 32 Stn. 2 Tafeln. Bemerkungen zu einem Aufsatze des Dr. W. Steinlein (über Zapfen u. Stäbchen der Retina). Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. IV.p. 22. 71) 72) 73) 74) 75) 76) 77) 78) 79) 80) 81) 82) 1871. 1872. XXII Observationes de structura cellularum fibrarumque nervearum, Bonnae. C. 1 tabula. Allgemeines über die Structurelemente des Nervensystems Stricker’s Handbuch der Lehre von den Geweben. Die Stäbchen in der Retina der Cephalopoden und Heteropo- den. Archiv f. mikr. Anatomie. Bd. V. p. 1. 2 Tafeln. Ueber die Nervenendigung in der Netzhaut des Auges bei Men- schen und bei Thieren. Ebendas. p. 379. 1 Tafel, und Sitzungs- ber. d. niederrhein. Gesellsch. f. Natur- und Heilk. 3. Mai 1869. Neue Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Retina. Archiv f. mikr. Anatomie. Bd. VII. p. 244. 1 Tafel. Die Retina. Stricker’s Handb. der Lehre von den Geweben. p. 977. Ueber das Tapetum in der Chorioides des Auges der Raubthiere. Sitzungsber. der niederrhein. Gesellsch. f. Natur- u. Heilkunde. Ueber die Blut- und Lympheapillaren der Milzim normalen Zu- stande und bei verschiedenen Thieren. Ebendas. Mitgetheilt in Berliner klin. Wochenschr. N. 45. Erklärung, die Entdeckung der Schmeckbecher von G. Schwalbe betreffend. Archiv f. mikroskopische Anatomie. Bd. VIII. p. 660. Ueber die Retina der Neunaugen. Sitzungsber. d. niederrhein. Gesellsch. vom 6. November 1871. Ueber den Bau der Netzhaut von Nyctipithecus felinus Ebendas. 22. Juli 1872. Ueber die Netzhaut des Störs. Ebendas. 2. December 1872. 4 13 - N { & j 2 Bir 4 K “TER Ar ’ Dir vu u . a R YEAR r 4 u.” ‚ I Y agisif PER er ri ‚Bat. 2A Senat Aueh ® yidsak Air ige hut Antik u Sg duo N Ve enaee Te q ei E) | Seid To ee each F \ebmuiliifl zu darin ea ae Er HN uslkoroi pre Hab ortnlligeodgiryd Kir a ai sel RAINER Sg bälel ri ee Le ee sur ad a ea "ai A Ä Ära: © ERBE sedanralt.; mor aa Ale Yoahgadil’ EB EI NRET Nen anar" ni Mh PATE Ban u! u, 1.7 Shure | Se R ERBE Madamonkt.s de He je & Jets [ar ac! nA. Einiael,= Ale - / a MET HR VACER, HIER, I KRRIP ER) Pe: En eh = en 1 2727 NAT PRENMLN ve wishes A rn POWER IV AR a BEZ ar 2 77° Wie ri, ee A F a Fig. Fig. Fig. 8. Verästigte Zeltplatten aus den tub. contort. des Hundes. Dies. Vergr. 9. a tub. contort. b breiter Theil der Henle’schen Schleife. Salpeter- säure, Glycerin. Dies. Vergr. 10. Aus der Grenzschicht der Hunde-Niere. Chroms. Ammoniak, Alkohol, Hartn. V, Zeichen-Prisma. Tubus eingeschoben. Vergr. 150. 11. Desgl. aus der Rinde. bb Sammelröhren eines Markstrahles, a brei- ter Theil einer Schleife, ce und d Quer- und Längsschnitte gewun- dener Kanälchen. Dies. Vergr. | 12. Zweig einer Sammelröhre. Hartn. VII, Tubus eingeschoben. Prisma. Vergr. 300. 13. Stamm einer Sammelröhre aus einem Markstrahl. Dies. Vergr. 14. Isolirte Zellen aus derselben. Dies. Vergr. 15. Niere der Taube. ab Ende des tub. contort.;, be schmaler; ce d breiter Theil der Schleife. Salzsäure und Glycerin. Hart. V, Tub. ein- geschoben, Prisma. Vergr. 150. Tafel II. 16 u. 17. Aus der Niere des Frosches. Salpeters., Glycerin. Hart. VI, Prisma. Tubus ausgezogen. n Kapsel; a b Hals mit Flimmerepithel; b e und ed tub. contort.; de schmaler Theil der Schleife; ef brei- ter Theil derselben ; d‘ isolirte Flimmerzellen. Vergr. 210. 18. Stück des breiten Schleifen-Theiles, Frosch, chroms. Ammoniak. 19. Isolirte Stäbchen-Zellen, Frosch. VII, Prisma. Vergr. 300. 20. Desgl. Triton taeniatus. VII, Prisma. Vergr. 300. 21—24. Aus der Niere der Ringelnatter. 21 ab vas afferens, k Kapsel, ed flimmernder Hals, de Anfang des tub. contort. 22 tubulus con- tortus, ef auf den Querschnitt. e’f’ auf die Oberfläche eingestellt. 23 fg Ende des tubulus contortus, &h schmaler Schleifenschenkel, flimmernd. 24 hi breiter Schleifenschenkel, ik1 Schaltstück. Sämmtl. Fig. Vergr. 210. . 25. Malpighi’sche Kapsel einer Eidechse. . 26. Markstrahl und Nierenlabyrinth aus einer Kaninchen-Niere nach In- jeetion von indigschwefels. Natron in das Blut. Vergr. 150. . 27. Nierenlabyrinth aus der Hunde-Niere nach Injeetion von indig- schwefels. Natron. Vergr. 150. . 28. Tub. contortus der Hunde-Niere nach Injection von indigschwefels. Natron. Vergr. 440. Sämmtliche Vergrösserungen sind direct bestimmt, die Bilder mittelst des Zeichen-Prismas in die Höhe des Object-Tisches projieirt. Pelomyxa palustris (Pelobius)'), ein amöbenartiger Organismus des süssen Wassers. Von Dr. Richard Greeff, Professor in Marburg. Hierzu Tafel III, IV und V. Im Folgenden beabsichtige ich einige ausführlichere Mitthei- lungen über jenen merkwürdigen und grossen amöbenartigen Or- ganismus des süssen Wassers zu machen, den ich bereits vor einigen Jahren unter dem Namen Pelobius kurz beschrieben habe !). Ich fand ihn zuerst bei Bonn im Poppelsdorfer Schlossweiher?) und dann in einigen andern stehenden Gewässern der dortigen Gegend. Auch hier in Marburg habe ich ihn wieder angetroffen?) und zweifle nicht, dass sein Vorkommen unter den gegebenen Bedingungen ein weit verbreitetes sein wird. -Da der oben angeführte und damals von mir vorläufig gewählte Name „Pelobius“ bereits seit längerer Zeit einem Schwimmkäfer angehört, so möchte ich, wenngleich eine Verwechslung der beiden weit von einander entfernten Organismen nicht leicht zu befürchten ist, doch, dem „suum euique“ der Systematik folgend, das in Rede 1) Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der preussischen Rhein- lande und Westphalens. 27. Jahrg. 1870: Sitzungsberichte der niederrheini- schen Gesellschaft für Natur- u. Heilkunde in Bonn vom 7. Nov. 1870. 5. 198 ?) Dieses Archiv Band III. 1867. S. 400. 8) Sitzungsberichte der Gesellschaft zur Beförderung der gesammten Naturwissenschaften zu Marburg 1871, Juni, Nr. 4, S. 17. 53 Dr. Richard Greeff: stehende Wesen nun Pelomyxa nennen und die besonders von mir beobachtete Art, auf welche die folgenden Mittheilungen sich haupt- sächlich beziehen, Pelomyxa palustris. Pelomyxa palustris lebt im Süsswasser, besonders auf dem schlammigen oder moorigen Grunde stehender Gewässer. Sie findet sich in der Regel hier sehr häufig und ununterbrochen das ganze Jahr hindurch. Doch scheint ihre Entwicklung im Frühjahre und Anfang Sommer am stärksten zu sein. Sie bedeckt dann oft in grosser Menge den Boden, so dass die oberen Schichten des Schlam- mes wie besät mit Pelomyxen erscheinen. Auch in den in der wär- meren Jahreszeit durch Luftblasen an die Oberfläche des Wassers emporgehobenen und hier umherflottirenden kuchenartigen Schlamm- klumpen finden sie sich meistens massenhaft. Um aus den genannten Lokalitäten Pelomyxen mit Sicherheit zu erhalten, lässt man mit Vorsicht einiges von den oberen Schich- ten des schlammigen Bodensatzes in ein Glasgefäss laufen, und durchmustert dasselbe allmählich auf einer Glasplatte ausgebreitet. Mit einer Loupe, bei einiger Uebung schon mit blossem Auge, ge- wahrt man zwischen den schwarzen und braunen Schamnmtheilen sraue und grauweissliche Körper, meist von der Grösse eines Steck- nadelknopfes, einige bis zu 2 Millimeter Durchmesser, ja noch darüber, viele aber kleiner bis zu punktförmigen mit der Loupe kaum noch erkennbaren Körnchen. Die mittleren von ungefähr 1 Millimeter Grösse kommen am häufigsten vor. Alle diese Körper sind in der Regel Pelomyxen. Doch können bei dieser ersten ober- flächlichen Betrachtung natürlich auch andere im Schlamme liegende Gegenstände von ähnlicher Form und Färbung dafür gehalten wer- den, wie z. B. Insecten- oder Wurm-Eier (besonders von dem unter denselben Verhältnissen im Schlamme lebenden Tubifex rivulorum), Sandkörner, abgestorbene Pflanzentheile, namentlich kleine Lemna- Blättchen, Ostracoden-Gehäuse, Stückchen von Molluskenschalen ete Aber auch diese wird man bei einiger Erfahrung von den gesuchten Objeeten leicht unterscheiden können. Die in der obigen Weise direct aus dem Wasser aufgefangenen und auf der Glasplatte mit dem Schlamme ausgebreiteten Pelomyxen haben sich in Folge der mannigfachen Erschütterungen meistens contrahirt. Ihre Gestalt ist daher in der Regel kugelig oder eiför- mig, die grösseren linsenförmig abgeplattet, selten jetzt schon ein- gebuchtet, gelappt, bandförmig ete., Betrachtet man eine solche Pelomyxa palustris. 53 Pelomyxa-Kugel unter dem Mikroskope bei schwacher Vergrösserung und durchfallendem Lichte, so sieht man in der Regel nichts als einen schwärzlichen Schlammklumpen, dem man bei zufälliger Be- gegnung und ohne Kenntniss unseres Geschöpfes in den meisten Fällen keine Beachtung schenken wird. Lässt man aber das Auge aufmerksamer an dem äusseren Umfange dieses Objektes vorbei- gehen, so gewahrt man wie aus dem schwarzen Körper hier und dort eine glashelle Snbstanz blasenartig hervorquillt, bald lappen- oder fingerförmig, bald halbkugelig gewölbt und oft wellen- förmig an dem Rande umherlaufend (Taf. III, Fig. 1, vergl. auch Fig. 2 und 4). Hier wird ein Fortsatz eingezogen, dort ein anderer her- vorgetrieben, zuweilen bilden sich auch feinere Stäbchen, ja kurze faden- förmige Ausläufer mit Verästlungen, die dann wohl zu Büscheln zu- sammentreten oder wie ein dichter Zottenbesatz die Oberfläche be- kleiden. Nachdem diese wechselvollen und für unsere Pelomyxen charakteristischen Bewegungserscheinungen eine Zeit lang angehalten haben, beginnt auch im Innern eine wogende Bewegung und plötz- lich bricht dann an irgend einer Stelle ein breiterer Fortsatz nach Aussen, in den nun die Inhaltsmasse wie in einen Sack einströmt, ihn forttreibend und erweiternd. Der Fortsatz wird dadurch zu einer oft einen grossen Theil des Inhaltes umfassenden Bahn, zu einem breitsohligen Scheinfuss, mit dem das seltsame Object fort- kriecht (Taf. III, Fig. 3). Dem ersten Fortsatz folgt, durch die augen- scheinlich sich verstärkenden kräftigen Contractionen hervorgetrieben, ein zweiter und dritter und bald sehen wir die anfängliche Schlamm- kugel in einen mehrfach gelappten und eingebuchteten Körper ver- wandelt, der in breiten amöbenartigen Bewegungen dahinkriecht (Taf. 1II,-Fig. 2, 3, 5). Ein glasartiger Saum gleitet dabei in der Regel den einzelnen Fortsätzen voraus, hier und dort quillt auch wohl aus den Rändern helle Substanz hervor (Fig. 2), oft aber auch ist nichts davon am ganzen Umfange zu bemerken (Fig. 3, 5) und man sieht dann nur den schwarzen Schlammkörper (Fig. 3), der lebhaft dahinkriecht, ununterbrochen seine Gestalt verändernd in der That das vollkommene Bild eines lebenden Schlammes. Prüfen wir nun unsere Pelomyxa genauer, namentlich in Rück- sicht auf ihren Inhalt, so erkennen wir zunächst, dass die dunkle Färbung und in Folge dessen die vollkommene Undurchsichtigkeit, die die meisten derselben auszeichnet, von schwärzlichen und un- durchsichtigen Stoffen herrührt, die im Innern des Körpers ange- 54 Dr. Richard Greeff: häuft sind, und die wie in einem dickflüssigen Brei eingebettet, um- hergetrieben werden. Diese Beobachtung wird auch dadurch bestä- tigt, dass man bei weiterer Musterung auch solche Pelomyxen findet, die heller gefärbt sind, bräunlich oder grünlich, hellgelb oder end- lich weisslich (Fig. 4 ad 5, Fig. 7 und 8). Man überzeugt sich hierdurch, dass die von Fremdkörpern entblösste eigentliche Substanz des Körpers ganz farblos ist und die berührte Verschiedenheit in der Färbung der grösseren oder geringeren (JQuantität oder der besonderen Qualität der aufgenommenen Nah- rung etc. zuzuschreiben ist, die aus allerlei Thier- und Pfilanzen- stoffen wie Diatomeen und Algen, Rhizopoden-Gehäusen (Arcella, Difflugia), kleinen Krebsen ete., vor Allem aber aus einer grossen Menge von Schlamm- und Sandtheilen besteht. Diejenigen Pelomyxen, die am wenigsten Nahrungsstoffe aufge- nommen haben, eignen sich wegen ihrer Durchsichtigkeit natürlich am Besten zur Untersuchung ihres Baues. An diesen sieht man bei schwacher Vergrösserung eine grosse Anzahl glänzender Körperchen von rundlicher oder ovaler Form aus der hyalinen Grundsubstanz hervorleuchten, die in hohem Grade charak- teristisch für diesen ersten Anblick sind (Fig. 4 und 5) und auf die wir später noch näher zurückkommen werden. Bei einer stärkeren Vergrösserung erkennt man meist ohne Mühe, dass der ganze Körper zunächst aus zwei verschiedenen Sub- stanzen aufgebaut ist, nämlich: l. aus einer hauptsächlich nach aussen hervortre- tenden durchaus hyalinen und homogenen Substanz (Fig. 6a; vergl. auch Fig. 7, 9 und 10) und 2. aus einerinneren, von blasiger oder schaumiger Beschaffenheit (Fig. 6b). Was zuerst die hyaline äussere Substanz betrifft, so umgibt dieselbe den ganzen Körper mit einer bald hervortretenden, bald nur ganz schmalen Zone. Sie ist es, die wir oben aus der mit Schlamm gefüllten schwarzen Pelomyxa-Kugel hervorquellen sahen. Sie strömt bei den amöbenartigen Bewegungen, namentlich bei Entwickelung der Fortsätze, als heller Saum voraus und bildet für diese gewisser- massen die äussere Hülle, in die die Inhaltsmasse wie in einen Sack einfliesst (Fig. 1—5). Die zweite Substanz des Körpers Fült fast den ganzen Innen- yaum aus und besteht aus dicht an einander gelagerten grösseren Pelomyxa palustris. 55 und kleineren blasenartigen Räumen, die in einer hyalinen, sehr körnchenreichen Zwischensubstanz eingebettet liegen (Fig. 6). Der Anblick dieser aneinander gelagerten Blasen erinnert alsbald an den ähnlichen Bau von Actinophrys Eichhornii und anderer Rhizo- poden. Bei Actinophrys aber liegen die Blasen dichter und regel- mässiger zusammen, sie scheiden sich ferner in eine grossblasige vollkommen hyaline Rindenschicht und eine kleinblasige viele Körnchen und Kerne enthaltende Innenschicht. Bei Pelomyxa ist weder eine Ab- grenzung in äussere und innere Lage vorhanden, noch sind die Blasenräume regelmässig gelagert und gleichmässig gross, sondern grössere, kleinere und kleinste liegen neben einander. Auch findet durch die amöbenartigen Bewegungen des ganzen Körpers eine be- ständige Verschiebung und Lageveränderung dieser blasigen Innen- substanz Statt, die noch dadurch erleichtert wird, dass die Blasen in der Regel bei weitem nicht so dicht zusammengedrängt sind, dass sie sich wie Act. Eichhornii gegenseitig abplatten und den Eindruck eines zusammenhängenden Maschen-Gewebes machen. Vielmehr sind bei Pelomyxa die Blasen einzelne isolirte Räume, die bald dichter bei einander stehen, bald grössere Zwischenräume zwischen sich fassen und bei den Bewegungen des Körpers im Innern desselben lose umhergetrieben werden können. Doch ist zu bemerken, dass nach aussen gegen die hyaline Substanz hin die Blasen dichter und weniger beweglich sind, als in dem beständig strömenden Innenraum. Am schlagendsten tritt die Thatsache, dass die Blasen isolirte nicht zusammenhängende Räume darstellen, bei der genauen Be- obachtung der Bewegungserscheinungen zu Tage. Unter den in die ausgestreckten lappigen Fortsätze aus dem Innern einströmenden Körpern sieht man nämlich sehr häufig auch einzelne Blasen oder an einanderhängende Gruppen derselben einfliessen (Fig. 6 c und d). Sie lösen sich mit Leichtigkeit aus dem Verbande der übrigen ab und schwimmen gleich den andern Inhaltstheilen innerhalb der sie bewegenden Substanz in den Fortsätzen umher. Auch finden sich bei den ganz kleinen und offenbar jungen Pelo- myxen meist nur wenige Blasenräume, die gleich den contractilen Blasen anderer Amöben einzeln im Innern umhergetrieben werden. Ebenso können die Blasen in Zahl und Grösse sehr beschränkt sein bei denjenigen, deren Innenraum mit Schlamm etc. sehr dicht ange- füllt ist. Von welcher Natur sind nun die eben vorgeführten beiden Sub- 56 Dr. Richard Greeff: stanzen, aus denen der Pelomyxa-Körper hauptsächlich zusammen- gesetzt ist, nämlich die hyaline und homogene äussere und die körnchenreiche mit vielen Blasenräumen durchsetzte innere und in welchem Verhältniss stehen sie zu einander ? Fassen wir zunächst die innere blasige Substanz ins Auge, so drängen sich uns bezüglich dieser wiederum drei Fragen auf, näm- lich: 1. Werden diese hellen Räume durch wirkliche Blasen mit eignen Wandungen gebildet? 2. Welchen Inhalt haben diese Blasen- räume? und 3. Von welcher Beschaffenheit ist die körnige Zwischen- substanz in der die Blasenräume liegen, also der eigentliche Träger oder die Grundsubstanz derselben ? Rücksichtlich der ersten Frage lehrt die genaue Beobachtung (dieser beweglichen und veränderlichen Vacuolen, die sich bald durch Ineinanderfliessen vergrössern, bald durch Theilung verkleinern, dass von denselben als eignen Gebilden mit besonderen Wandungen keine Rede sein kann, diese Wandungen werden vielmehr gebildet durch die Substanz, in der die Vacuolen liegen, mit andern Worten die Letzteren sind einfache Lücken oder Hohlräume in- nerhalb dieser Substanz. Durch die Beantwortung dieser ersten Frage erledigt sich auch schon ein Theil der zweiten, da aus Jener erhellt, dass der Inhalt der Vacuolen jedenfalls anderer Natur sein muss, als die sie umgebende und sie bildende Substanz, da beide trotz gegenseitiger direeter Berührung vollkommen getrennt und ohne sich irgendwo zu vermischen, neben einander bestehen. Weiterhin lässt sich be- obachten, dass der Inhalt dieser Vacuolen durchaus wasserklar ist. Selbst bei Anwendung starker Vergrösserung nimmt man keine anderen Formelemente wahr, als hin und wieder, bei weitem aber nicht in allen Vacuolen, einzelne dunkelglänzende Körnchen, und an diesen erkennt man wiederum einen zweiten sehr wichtigen Cha- rakter dieses Inhaltes, nämlich dass derselbe aus einer leicht flüssigen Substanz besteht, denn die dunkeln Körnchen befinden sich innerhalb der Vacuolen in einer fortwährend lebhaft zittern- den und tanzenden Bewegung d.h. in deutlich ausgesprochener Molecularbewegung. In dieser Eigenschaft stimmt Pelomyxa mit Actinophrys Eichhornii und anderen vacuolenhaltigen Rhizopoden aufs vollständigste überein. Es handelt sich nun darum zu bestim- men, ob dieser Vacuolen-Inhalt Wasser ist, oder eine andere leicht- flüssige, vielleicht der Zellflüssigkeit entsprechende Substanz. Meine Pelomyxa palustris "57 hierauf gerichteten Versuche haben mich indessen bis jetzt darauf ‚geführt, dass wahrscheinlich alle diese Vaeuolen nichts als Wasser enthalten. Ich habe niemals bei Anwendung der verschiedensten Reagentien eine Gerinnung oder überhaupt nur Veränderung der wasserklaren Flüssigkeit wahrnehmen können. Was die dritte Frage, nämlich. nach der Qualität derjenigen Substanz betrifft, in der die Vacuolen liegen, so ist diese Substanz also nach den obigen Wahrnehmungen als die eigentliche Grund- substanz des gesammten Innenraumes zu betrachten, die durch die Vacuolen gewissermassen nur lückenartig unterbrochen ist. Sie ist hyalin, aber mit einer grossen Menge vou Körnchen erfüllt, einige dunkelglänzend und grösser, andere heller und kleiner bis zu den feinsten punktförmigen Körnchen, die selbst bei starker Vergrösse- rung nur wie ein leichter Staub sichtbar werden. Ausserdem ist diese Substanz die Trägerin aller anderen Inhaltstheile sowohl der- jenigen, die der Pelomyxa als eigentliche Gebilde angehören und die wir später noch genauer zu betrachten haben, als auch der von aussen aufgenommenen Nahrungstheile und sonstigen Stoffe. Betrachtet man mit Vorsicht die Bewegungserscheinungen dieser inneren Substanz, oder, wie wir sie nennen können, Vacuolen-Schicht, so erkennt man, dass die lebhaften Strömungen des Leibesinhaltes hauptsächlich den inneren Theil betrifft. Wie in einer Leibeshöhle wird die breiartige Masse unter den mannichfachsten amöbenartigen Bewegungen fliessend hin und hergetrieben. Die äusseren Vacuolen- Schichten im Anschluss an die hyaline und homogene Aussensub- stanz befinden sich dabei anscheinend oft vollkommen ruhend oder bewegen sich viel langsamer, manchmal in einer der inneren Strö- mung entgegengesetzten Richtung. Und doch ist eine Verschie- denheit des Baues und der Zusammensetzung nicht wahrzunehmen. Ob dieser Unterschied in den Bewegungserscheinungen auf einem der Consistenz und Contractionsfähigkeit der äusse- ren und inneren Vacuolenschichten beruht, möchte ich bezweifeln, vielmehr scheint mir derselbe blos durch den Einfluss der hyalinen und homogenen Aussensubstanz bedingt zu sein, die vor Allem, wie wir gleich sehen werden, als Sitz und Ausgang der Contractilitäts- Aeusserung anzusehen ist. Sehr bemerkenswerth ist die Lebhaftigkeit der Bewe- gung der in die Grundsubstanz der Vacuolen vielfach eingelagerten Körnchen und sonstigen kleinen Inhaltstheilen. et 58 Dr. Riehard Greeff: Wo die Vacuolen-Bildung eine sehr reichliche ist und dieselben wie bei Actinophrys Eichhornii dicht an einander gedrängt sind, ist die Körnchen-Bewegung wegen der hier nur restirenden geringen Zwi- schensubstanz schwer zu beobachten und auch wohl thatsächlich beschränkt. Ebenso lässt sich die freie Beweglichkeit derselben schwer beurtheilen innerhalb der stark strömenden Inhaltsmassen. Im Ruhe- zustande aber oder noch besser bei ganz kleinen Pelomyxen, bei welchen, wie oben bemerkt, die Vacuolen-Entwickelung noch gering und die Zwischensubstanz grösser ist, ist sie leichter zu verfolgen. Und hier sieht man merkwürdiger Weise oft aufs deutlichste eine zit- ternde Bewegung der kleineren und kleinsten Inhaltstheile, die zwar nicht so lebhaft ist als die der Körnchen in den wasserhal- tigen Vacuolen, aber immerhin als eine freie d. h. als eine der Molecularbewegungen ähnliche angesehen werden kann. Die Prüfung der in Rede stehenden Substanz durch Reagentien ete. ergibt aber mit Sicherheit, dass dieselbe eine eiweissartige ist und ferner, dass dieselbe sich nicht mit dem wässerigen Inhalte der Vacuolen mischt. Man sieht wohl zwei oder mehrere Blasen sich zu einer grösseren vereinigen, andere sich theilen, bis zur Bildung von sehr kleinen und kleinsten Bläschen, aber ein Verschwinden derselben resp. Aufgehen der einen in die andere Substanz lässt sich nicht beobachten. Nach der bisherigen Kenntniss haben wir diese Zwi- schensubstanz der Vacuolen als Protoplasma zu betrachten, und nichts steht dieser Vorstellung im Wege als die erwähnte Molecular- bewegung innerhalb derselben, die ich vor der Hand ausser Stande bin aufzuklären, zumal dieselbe unter gewissen Umständen in der hyalinen homogenen Aussensubstanz des Pelomyxen-Körpers, die als die eigentliche eontractile protoplasmatische angesehen werden muss, ebenfalls, wie wir gleich sehen werden, beobachtet werden kann. Was nun diese zweite Haupt-Körpersubstanz der Pelomyxa be- trifft, die, wie oben beschrieben, wellenartig nach aussen hervor- quillt, den Fortsätzen als heller Saum voraus eilt und den ganzen Körper gewissermassen umfliesst und umhüllt, so scheint dieselbe zunächst vollkommen hyalin und homogen zu sein. Die in derselben zeitweise auftretenden Körnchen und sonstigen Theile dringen, wie man sich in den meisten Fällen überzeugt, erst von innen aus der Vacuolenschicht in sie ein. In den nach aussen wellenartig hervor- quellenden Fortsätzen kann man in der Regel selbst bei stärkster Vergrösserung nichts von anderen Formbestandtheilen wahrnehmen. Pelomyxa palustris. 59 Weiterhin ist leicht zu constatiren, dass diese Substanz eine eiweiss- artige ist, und sie scheint als solehe reines Protoplasma zu sein, von der, wie schon oben bemerkt, hauptsächlich die Gon- tractionen des Körpers und in Folge dessen die amöbenartigen Be- wegungen desselben ausgehen. Ein sonst wohl bei Protoplasma- Bewegungen beobachtetes direetes und schnelles Zusammenfliessen bei gegenseitiger äusserlicher Berührung findet nicht bei der in Rede stehenden Substanz Statt. Wenn zwei sich ausstreckende Fortsätze zusammenstossen, so sieht man wie ihre Flächen sich. fest anein- ander legen, aber die Grenze zwischen beiden bleibt noch einige Zeit als vollkommene Scheidewand sichtbar. Erst allmählich wird die letztere aufgelöst, scheinbar resorbirt, und nun erst tritt eine Ver- einigung der Fortsätze zu einem einzigen ein. In Uebereinstimmung mit der Auffassung dieser Substanz als Protoplasma, die offenbar breiweich, zähtlüssig und viel fester als die eben beschriebene Innensubstanz ist, scheinen sich auch anfangs die Bewegungserscheinungen der kleinen Theilchen innerhalb derselben zu befinden. Namentlich sieht man bei der in lebhaften und ener- gischen Contraetionen sich fortbewegenden Pelomyxa, wie die kleinen, Körnchen, Stäbchen ete., die von innen in die lappigen hyalinen Fortsätze eindringen, eine gleichmässige strömende, aber keine zit- ternde und tanzende Bewegung annehmen. Hat man aber eine Pe- lomyxa eine Zeit lang unter dem Drucke des Deckglases beobach- tet, so bemerkt man, wie die breiten und kräftigen amöbenartigen Bewegungen allmählich abnehmen und es treten dann am äusseren Umfange kleinere hyaline, oft lang ausgezogene Fortsätze von der mannichfachsten Gestalt hervor, die in wechselvollem Spiel bald auf- tauchen, bald wieder verschwinden, wellenartig am Rande umher- | laufen, andere Fortsätze aufnehmen ete., ähnlich wie wir es anfäng- lich bei den frisch aus dem Wasser hervorgeholten Pelomyxa-Kugeln sahen. In diesen hyalinen Fortsätzen tritt unter den angeführten Umständen eine höchst seltsame Aenderung in den Bewegungs- erscheinungen ein. Die in diese Scheinfüsse von innen in grös- serer Menge eindringenden Körnchen, Stäbchen etc. zeigen nämlich jetzt eine deutliche zitternde und tanzende Bewegung, die vollständig das Bild einer Molecularbewegung giebt. Es ist das nicht etwa die Folge der Gerinnung oder des Absterbens, auch nicht dadurch veranlasst, dass die Fortsätze statt mit Eiweisssubstanz nun mit Wasser erfüllt seien. Beides widerlegt 60 Dr. Richard Greeff: sich durch die Beobachtung aufs Unzweideutigste. Zunächst entspricht das äussere Verhalten dieser Fortsätze durchaus demjenigen, wie wir es bei den in voller Thätigkeit und ohne Deckglasdruck dahin- kriechenden Pelomyxa sahen, sie zeigen dieselben amöbenartigen Bewegungen, ja die ganze Pelomyxa kann dadurch, dass man reich- lich Wasser zufliessen lässt und auf diese Weise den Druck des Deck- glases hebt, zu ihrer früheren Beweglichkeit zurückgeführt werden. Dass diese Fortsätze fernerhin weder mit einer abgestorbenen oder geronnenen Substanz, noch mit Wasser erfüllt sind, sondern mit einer lebendigen eiweissartigen Substanz, beweist aufs deutlichste der wirkliche Eintritt des Todes. Lässt man Essigsäure oder andere heagentien zufliessen, so erstarrt der vorher bewegliche hyaline Fortsatz zu einer dunkelkörnigen, geronnenen Masse, in der keine Spur von Bewegung mehr wahrzunehmen ist, weder innerlich noch äusserlich. Ein weiteres Zeichen gegen die Annahme, dass in diese Fort- sätze Wasser aus den Vacuolen sich ergossen habe, ist, dass ein- zelne Vacuolen, die in der oben beschriebenen Weise sich von den übrigen losgelöst haben, in diese Fortsätze eintreten, in denselben - umherschwimmen, ohne sich im mindesten in ihrer Ausdehnung und namentlich ihren Conturen zu verändern. Wie ist nun diese höchst auffallende Bewegungs-Erscheinung zu erklären? Nach der bisherigen Kenntniss vom Protoplasma er- scheint die Annahme einer Molecularbewegung innerhalb dieser brei- weichen, zähflüssigen Eiweissmasse unzulässig; selbst eine beträchtliche Consistenz-Verschiedenheit zugegeben, kann man dieselbe doch nicht so weit ausdehnen, dass sie nach der einen Seite hin der Consistenz der leichtflüssigen Substanzen gleichkomme, in welcher eine Mole- ceularbewegung zur Beobachtung gelangt. Auch die sehr nahe lie- gende Annahme, dass die Substanz der Vacuolenschicht des Innen- raumes, die allerdings, wie wir gesehen haben, von vorne herein eine geringe Consistenz besitzt, kein wirkliches Protoplasma, sondern eine dünnere der Zellflüssigkeit ähnliche Eiweisssubstanz sei, und “ dass diese in die zähflüssigere Aussenschicht eingedrungen sei, sich mit ihr vermischt oder ihren Inhalt verdrängt habe, ist zur Erklä- rung jener Erscheinung nicht ausreichend, da die fragliche Substanz, wie wir gesehen haben, nach ihren Form- und Lebensäusserungen in jedem Falle, selbst wenn die oben beschriebene Molecularbewe- gung eingetreten ist, Protoplasma bleibt. Eben derselbe Einwand Pelomyxa palustris. 61 lässt sich gegen die Auffassung erheben, dass durch den anhaltenden Druck des Deckglases der Vacuolen -Inhalt also Wasser in das Protoplasma eingetreten sei. Auch spricht hiergegen, abgesehen davon, dass eine derartige direkte Vermischung des Wassers mit dem Protoplasma bis zur Dünnflüssigkeit, aber unter Beibehaltung der Protoplasma-Charaktere den bisherigen Erfahrungen zuwider- läuft, die oben angeführte Beobachtung, dass die Vacuolen des Innen- raumes in die äusseren Fortsätze eindringen und als einzelne, deutlich umgrenzte Blasen darin umherschwimmen. Eine andere zum Theil an die obige sich anschliessende Er- klärung des Phänomens könnte von der Annahme ausgehen, dass innerhalb des Protoplasmas besondere kanalartige Räume vorhan- den seien, die mit einer von Jenem verschiedenen Substanz von dünntflüssiger Beschaffenheit erfüllt, nun anscheinend im Protoplasma selbst eine zitternde Bewegung der Körnchen gestatten. Und in der That, wenn man sieht, mit welcher Geschwindigkeit und Leich- tigkeit die Körnchen und Stäbchen etc. durch die Innenräume hin- durchschiessen, oft bestimmte Richtungen einhaltend, wird man un- willkürlich an die Anwesenheit kanalartiger Bahnen gemahnt. Doch sieht man nicht die Spur von darauf hindeutenden Conturen. Im Allgemeinen lässt sich daher vor der Hand nur sagen, dass unter gewissen Umständen das Protoplasma von Pelomyxa palustris eine so dünne CGonsistenz annimmt, dass die in demselben suspen- dirten kleinen Formbestandtheile eine zitternde oder tanzende, der Moleeular-Bewegung ähnliche Bewegung annehmen. Die Erklärung für diese Erscheinung, die, trotz der vorzubringenden und oben er- wähnten Bedenken, am meisten Wahrscheinlichkeit für sich hat, ist, dass diese Consistenz-Veränderung dadurch hervorgebracht wird, dass die von vorne herein dünnflüssigere Substanz des Innenraums in das Aussen-Protoplasma einfliesst, dasselbe zu einer dünnen haut- ähnlichen Schicht ausdehnt oder sich vollkommen damit vermischt, vielleicht auch dadurch, dass zu gleicher Zeit eine gewisse Quantität Wasser aus den Vacuolen aufgenommen wird. Noch eine andere hier sich anschliessende merkwürdige Er- scheinung wird unter den oben beschriebenen Verhältnissen beob- achtet. Den amöbenartigen Fortsätzen eilt, wie oben wiederholt an- geführt, in der Regel ein durchaus hyaliner Saum voraus, in welchem selbst bei starker Vergrösserung meist nichts von anderen Form- bestandtheilen oder nur vereinzelte Körnchen wahrzunehmen sind, 62 Dr. Richard Greeff: Ist aber eine Pelomyxa eine Zeitlang dem Drucke .des Deckglases ausgesetzt gewesen und treten nun jene finger- und zapfenförmigen Randfortsätze aus, so bemerkt man zuweilen Folgendes: Von der Basis der Fortsätze dringt eine Menge sehr feiner Körnchen in die hyaline Substanz ein, so dass von der Letzteren schliesslich nur noch ein ganz dünner Rand an der Spitze sichtbar bleibt. Auch in diesen strömt die körnige Masse allmählich ein und dann quillt plötzlich aus dem Gipfel des Fortsatzes eine neue und zwar wieder vollkom- men hyaline Welle hervor, an ihrem Ausgange eine körnige Bogen- linie, einer Scheidewand ähnlich, zurücklassend. Aus der ersten Welle springt dann oft eine zweite, dritte, vierte etc. hervor und jede ist von der vorhergehenden durch eine körnige Scheidewand abgesetzt, aber nur die oberste und jüngste ist vollkommen hyalin (Taf. IV, Fig. 7). Auch aus dieser Beobachtung scheint hervorzugehen, dass die hyaline äussere Rindenschicht und weichere körnige Innen-Substanz sich bis zu einem gewissen Grade mit einander mischen können, dass aber dann durch erneute Contractionen wiederum eine Scheidung bewirkt werde, indem das hyaline Protoplasma nach aussen hervorquillt. Fassen wir nun noch einmal in kurzen Worten den Bau des Pelomyxa-Körpers zusammen, so können wir annehmen, die Grund- substanz besteht aus Protoplasma, das in zwei Substanzschich- ten, eine äussere Rindenschicht und ein hiervon umschlossenes Innen-Parenchym sich scheidet. Die Rindenschicht ist hya- lin und homogen und von breiweicher, zähflüssiger Consistenz. Ihr scheint hauptsächlich die Contraetilität und somit die die active Bewegung erzeugende Kraft inne zu wohnen. Das ganze Innen- Parenchym ist von dünnerer Öonsistenz, reichlich Körnchen füh- rend und mit wasserhaltigen Blasen (Vacuolen) erfüllt, die oft so dicht zusammengedrängt stehen, dass die Substanz netzförmig durch- brochen erscheint (Fig. 6), ähnlich wie bei Actinosphaerium Eich- hornii. Die innere weichere und mehr dünnflüssige Masse nimmt an den Bewegungen mehr in passiver Weise Theil. Sie wird als beweglicher Leibesinhalt durch die Contractionen ihrer Aussenschicht bald nach dieser, bald nach jener Richtung hingedrängt und bewirkt so zum Theil das Hervortreiben der Fortsätze und die daraus ent- stehenden mannichfachen amöbenartigen Bewegungen. Beide Substanzen Rinden-, und Innenschicht, sind nicht scharf von einander getrennt, sondern scheinen ineinander überzugehen, Ja x Pelomyxa palustris. 63 sich mit einander mischen zu können. Hierdurch ist die unter ge- wissen Umständen eintretende sehr verschiedene Consistenz zu er- klären, die, wie oben beschrieben, besonders nach anhaltendem äusseren Druck und einem möglicherweise darauf folgenden Nach- lass der Contraetilität und Dichtigkeit der Rindenschicht in auffallen- der Weise zur Beobachtung kommt. In der so beschaffenen Grundsubstanz der Pelomyxa palustris und zwar in der Regel ausschliesslich im Innen-Parenchym finden sich nun noch ausser den Vacuolen dreierlei eigenthümliche und zur Pelomyxa gehörige Gebilde, nämlich: Werne (Miel"6, 1. Bie'9) and) FieN2aiby'eiöid,\ete., Fig. 13, a). 3. Hyaline und homogene Körper von kugeliger, ova- ler oder unregelmässiger Gestalt, die ich ihres eigenthümlichen glas- artigen Glanzes wegen Glanzkörper nennen will. (Fig.4 u. 5, a, Ber6, 1, Fig. 10, a, Fig. 11.) 3. Feine Stäbchen. 1. Die Kerne. Die Kerne bilden in sofern einen Haupt-Charakter der Pelo- myxiden, als sie immer in grosser Menge nebeneinander vorkom- men. Sie liegen im Innenraume unregelmässig zwischen den Va- cuolen zerstreut (Fig. 6, e, e), in der Mitte des Körpers am zahl- reichsten, nach aussen zu spärlicher. In den ungefähr 1 Millimeter grossen Individuen kann man immer mit Leichtigkeit einige hundert zählen. Es sind zartwandige Körper von kugeliger, selten ovaler Gestalt im Mittel von 0,012 Millimeter Durchmesser, mit einem hyalinen von dunkeln Körnchen mehr oder minder durchsetzten Inhalte (Fig. 12, b). Die Körnchen liegen in der Regel der inneren Wandung der Kugel am zahlreichsten an und erscheinen dann bei gewissen Einstellungen als innerer Kranz, ja zuweilen hat es den Anschein, als ob auch die äussere Oberfläche der Kugel mit glän- zenden Körnchen besetzt sei. Ihrer Lage, Form und sonstigen äusseren Verhältnissen nach machen diese Körper alsbald den unzweideutigen Eindruck von Zellkernen. Lässt man zu diesen Körpern Essigsäure zufliessen, so verschwindet der gesammte Inhalt wie weggehaucht und es bleibt nur noch ein zarter Umriss, so undeutlich, dass man ihn nicht er- kennen wird, wenn man den Prozess nicht an ein und demselben 64 Dr. Richard Greeff: Objecte genau verfolgt hat!). Es findet offenbar bei unseren Körpern durch die Essigsäure keine Gerinnung, sondern eine Lösung des Inhaltes Statt. Dieselbe Erscheinung erfolgt bei Zusatz von Kali- oder Natron-Lauge. Anders verhalten sich die Körper gegen Alkohol. Der Inhalt gerinnt, wird dunkler und nun treten die Kerne mit voller Schärfe und Deutlichkeit als solche aus dem Innen- raume hervor. Dasselbe tritt bei Zusatz von Jod-Tinctur ein, wo- durch sie zu gleicher Zeit dunkelbraun gefärbt werden. Zuweilen glaubt man nun auch eine zweite Contour innerhalb des Kernes zu erkennen, einen Kernkörper, aber nur selten und meistens undeutlich. Bei fortgesetzten Untersuchungen aber findet man zuweilen Pe- lomyxen, in welchen die in Rede stehenden einfachen Kerne schon im lebenden Zustande sehr deutliche und sehr bemerkenswerthe Veränderungen erlitten haben. Statt der im Innenraume vertheilten feinen oder gröberen und dunkelglänzenden Körnchen, die sich in Nichts von den auch sonst im Protoplasma vorkommenden unter- scheiden, sieht man nun eine Anzahl grösserer Gebilde auftreten (Fig. 12, e, f, g). Dieselben sind rundlich, scharf conturirt und lassen bei weiterer Entwicklung im Inneren ein feines punktförmi- ges Centrum erkennen (Fig. 12, h). Dieses Centrum vergrössert sich mit seinem Träger und erweist sich als eine Höhlung, die mit hyaliner Substanz erfüllt zu sein scheint (Fig. 12, i). Auf diesem Stadium geben die fraglichen Körper, die anfänglich einzelne einfache Kerne innerhalb der Pelomyxa darstellten, das Bild von Kernen mit mehreren verhältnissmässig grossen Kernkörpern oder, wenn man will, Zellen mit mehreren Kernen. Diese Kern-Kerne wachsen, so dass einzelne fast ein Achttheil bis ein Sechstheil der inzwischen ebenfalls grösser gewordenen Mutter- kugel einnehmen (Fig. 12, c, k, h). Zu gleicher Zeit dehnt sich die innere Höhlung der Kernkörper aus. Dieselbe erscheint schliesslich, wenn man das Mikroskop auf den Durchschnitt einstellt, von der Aussenschicht nur wie von einem schmalen Ring umfasst (Fig. 12, k, ]). Die Höhlung ist auch nicht immer mehr central, sondern liegt oft an einigen Stellen der äusseren Peripherie näher an als an anderen (Fig. 12, m). Die gemeinschaftliche Hülle des Mutterkernes scheint nun durch 1) Ich habe hierdurch anfänglich geglaubt, die dunkeln Körnchen der Kerne seien Kalkkörperchen. Pelomyxa palustris. 65 die immer mehr sich ausdehnende Kernbrut gesprengt zu werden und die letztere tritt in das Parenchym der Pelomyxa über (Fig. 12. m). Man findet sie sehr zahlreich neben den noch von den Mutterkernen umschlossenen, im Innenraume zerstreut. Hier erweitert sich die innere Höhlung immer mehr, so dass schliesslich die äussere peri- pherische Schicht vollständig verschwindet und dann ein nur ein- facher, scharf conturirter, hyaliner und glänzender Körper von kuge- liger Gestalt daraus entstanden ist (Fig. 12, n). Diese vergrössern sich innerhalb der Pelomyxa und in ihnen lassen sich durch wei- tere Vergleiche mit grosser Wahrscheinlichkeit die unter 2. ange- führten und sogleich näher zu beschreibenden Gebilde erkennen, nämlich : 2. Die hyalinen uud homogenen Körper, die ich oben Glanzkörper genannt habe und die wahrscheinlich als die Zoosporen der Pelomyxa zu betrachten sind (Taf. II, Fig. 4 u. 5, a, Taf. IV, Fig. 6, f, Fig. 8, a, Fig. 10, 11 u. 12). Die Glanzkörper liegen wie die Kerne, aber meistens in noch viel grösserer Anzahl, im Innen-Parenchym zerstreut und kön- nen, wie schon früher hervorgehoben worden ist, bei schwacher Vergrösserung als eine für den ersten Anblick charakteristische Erscheinuug unserer Pelomyxa gelten, da sie durch ihr hyalines, glänzendes Aussehen, ihre Grösse und scharfe Umgränzung in auf- fallender Weise aus dem Innern, wenn dasselbe nicht allzusehr von Schlammtheilen etc. erfüllt und verdunkelt ist, hervorleuchten (Taf. III, Fig. 4 u. 5). Die meisten Glanzkörper sind kugelig, viele aber auch oval, birnförmig, seltener unregelmässig gestaltet, gebuchtet, gelappt, ge- furcht etc. (Taf. V, Fig. 12). Zuweilen sieht man auf ihrer Ober- fläche rundliche Löcher, die jedoch, wie es scheint, die Oberfläche nicht durchbohren, sondern nur grubenartige Vertiefungen darstellen (Fig. 12, d.d). Die kleinsten Glanzkörper haben nur etwa 0,006 Mm. im Durch- messer und entsprechen in dieser Grösse den aus den Kernen her- vorgegangenen Körpern, die grössten über 0,06 Mm. Zwischen diesen Extremen findet man fast alle Grössen häufig in einer einzigen Pe- lomyxa, doch sind die mittleren von ca. 0,02—0,03 Mm. weitaus am zahlreichsten vertreten. Die Glanzkörper bestehen aus einer festen glänzenden Kapsel und einem gewöhnlich durchaus hyalinen und homogenen Inhalte. M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10, 5 66 Dr. Richard Greeff: Bei den isolirten Körpern erscheint die Kapsel häufig rauh durch anhängendes Protoplasma, Körnchen, Stäbchen, welche Letztere na- mentlich die Oberfläche oft ganz umhüllen (Taf. V, Fig. 15, Taf. IV, Fig. 6). Verdünnte Essigsäure greift diese Körper nur wenig an, bei eoncentrirter aber verschwindet bald sofort, bald später der die- sen Körpern eigenthümliche Glanz, sie verlieren ihr pralles Aussehen und fallen zusammen, der Inhalt wird getrübt und erscheint oft be- sonders nach dem Centrum zu deutlich granulirt. Dasselbe Resultat erfolgt durch Zusatz von Alkohol. Durch Jod werden die Körper intensiv braun gefärbt und durch Schwefelsäure vollständig gelöst. Wir haben oben der wahrscheinlichen Entstehung der Glanz- körper aus den Kernen der Pelomyxa Erwähnung gethan. Andrer- seits ist mir indessen durch weitere Untersuchung zuweilen die Meinung entstanden, dieselben bilden sich direct aus dem Protoplasma ohne Vermittlung der Kerne, da man häufig die kleinsten Glanzkörper frei im Innenraume zwischen den Vacuolen liegen sieht, ohne dass die Kerne irgend ein Zeichen der Entwicklung in der oben geschil- derten Richtung bemerken lassen. Doch kann das darin begründet sein, dass die Kerne vielleicht nur selten oder zu gewissen Zeiten und dann schnell und vorübergehend zur Erzeugung der beschrie- benen Kernbrut gelangen und die Letzteren andrerseits nur sehr langsam weiter wachsen. Die Glanzkörper vermehren sich im Innern der Pelomyxa durch Theilung. Man findet sehr häufig die hierauf hindeutenden Bisquit- Formen (Fig. 12, b), auch solche, die bereits in der Mitte vollstän- dig eingeschnürt und im Begriffe sind, sich zu trennen (Fig. 12, c u. Fig. 6). Nicht immer findet eine vollständige Halbirung Statt, häufig wird blos ein kleinerer Theil in Form einer Knospe abge- schnürt. Die Theilung erfolgt immer mitsammt der Kapsel, nicht bloss innerhalb derselben. Wie oben mehrfach hervorgehoben, erscheint in der Regel der Inhalt der Glanzkörper durchaus homogen und hyalin. Zuweilen aber sieht man auch in den grösseren Körpern zarte Umrisse einer unregelmässigen Figur, als ob sich die Inhaltsmasse zum Theil von der inneren Wandung der Kapsel zurückgezogen habe, zum Theil noch strangförmig mit ihr zusammenhänge, mit anderen Worten, als ob eine amöbenartige Bewegung des Inhalts Statt gefunden habe. Innerhalb dieser so geformten Substanz glaubt man auch zuweilen die zarten Umrisse eines Kernes zu beobachten. Eine Pelomyxa palustris. 67 weitere Veränderung oder Entwicklung der Glanzkörper innerhalb der lebenden Pelomyxa habe ich nicht beobachtet. Dieselben schei- nen vielmehr auf einer gewissen Stufe der Reife ausgestossen zu werden, wodurch sie sich natürlich einer weiteren sicheren Controlle entziehen. Bei grossen Glanzkörpern, die ich mehrere Tage auf dem Objeetträger in Wasser aufbewahrte und genau beobachtete, zeigte sich nicht die geringste Veränderung. Eine andere merkwür- dige Beobachtung hat mich indessen dem wahrscheinlichen weiteren Entwicklungsgang dieser Körper zugeführt. Von mehreren in einem Glasschälehen schon seit einigen Tagen beobachteten Pelomyxen brachte ich eine, die mir bereits abgestor- ben schien, behufs genauerer Betrachtung auf einen Objeetträger. Sie zeigte in der That schon ein rauhes, fast krümeliges Aussehen und war offenbar dem Zerfall nahe. Indem ich nun das Objeet einer näheren Prüfung unterziehen wollte, bot sich mir ein höchst interessantes und eigenthümliches Schauspiel. Am ganzen äusseren Rande der Pelomyxa brach eine Unzahl sehr kleiner Amöben hervor, die bald in dichten Schaaren den Mutterboden rings umgaben und so in mehr oder minder vollkommen geschlossenem Ring nach aussen vordrangen (Taf. V, Fig. 16). Die Amöben zeigten alle den- selben Habitus, dieselben Bewegungen, dieselbe Grösse. Im Inneren konnte man bei stärkerer Vergrösserung deutlich einen Kern mit Kernkörper und eine contractile Blase erkennen (Taf. V, Fig. 17). Die Letztere befand sich während der sehr lebhaften Bewegungen meistens im hinteren, oft zottenförmig hervortretenden Körperende, wurde aber auch zuweilen weiter nach der Mitte vorgeschoben. Nach ihrer deutlich wahrzunehmenden Contraction tauchten an derselben Stelle zunächst mehrere kleine Blasen auf, die allmählich sich vereimig- ten und so den ursprünglichen Umfang der einfachen Blase herstell- ten, ein Vorgang, wie ich ihn schon früher bei Amoeba terricola u.a. geschildert habe und der den meisten Amöben mit contractiler Blase eigen zu sein scheint. Der immer grösser und dichter werdende Amöbenkreis zerstreute sich ‘allmählich, und ungefähr nach Verlauf einer halben Stunde wurden auch die Bewegungen schwächer und langsamer. Statt der lebhaften amöbenartigen Contractionen des ganzen Körpers wurden nur einzelne hyaline, lappen- oder fingerförmige Fortsätze ausgestrekt (Taf. V, Fig. 18, a, b). Bei der einen oder anderen Amöbe trat nun ein Ruhezustand ein, indem sie sich kugelig oder birnförmig 68 Dr. Riehard Greeff: eontrahirte (Fig. 17, e, d). Dann wurde ein langer vibrirender Fa- den aus dem Körper hervorgestreckt und so die Metamorphose der Amöbe in eine Flagellaten-Form vollzogen (Taf. V, Fig. 18, e). Nach einigen raschen rotirenden Bewegungen schwärmten die jungen Flagellaten, mit der vorderen lebhaft schwingenden Geissel hin und her rudernd fort, ohne dass es mir gelungen wäre, ihr weiteres Schicksal zu verfolgen !). Es entsteht nun die Frage, ob die aus der Pelomyxa hervor- gebrochenen kleinen Amöben Entwicklungszustände derselben sind und zweitens, ob dieselben zunächst aus den Glanzkörpern entstan- den sind. Die Amöben sind erstlich unter meinen Augen aus dem Körper der Pelomyxa hervorgetreten und zwar in solchen Schaaren, dass es schwer wird, daran zu denken, es seien der Pelomyxa fremde oder parasitische Organismen, deren Keime vorher aufgenommen worden seien. Ausser Zweifel ist, dass bei der massenhaften Aufnahme von allen möglichen im Schlamme deponirten pflanzlichen und thierischen Stoffen auch viele Keime von solchen Organismen in den Körper der Pelomyxa eintreten, die ihre Lebensfähigkeit hier unverändert erhalten und die unter günstigen Umständen, wie in unserem Falle, wenn ihr Träger abgestorben ist, zur weiteren Entwicklung kommen. Doch erscheint diese Voraussetzung im Blick auf die ungeheuere Menge ein und derselben Form, die wir aus der Pelomyxa hervor- treten sahen, schwer zulässig. Die andere Frage, ob die kleinen Amöben aus den Glanzkör- pern sich entwickelt haben, fällt eigentlich mit der vorhergehenden zusammen. Denn wenn die Ersteren in der That die Brut der Pe- lomyxa sind, so können sie, wie mir scheinen will, fast nur aus den Glanzkörpern hervorgegangen sein. Im Innern der Pelomyxa fanden sich nur verhältnissmässig wenige dieser Gebilde, die noch ihr cha- rakteristisches Aussehen erhalten hatten, dagegen viele blassere Kör- per, die den entleerten und collabirten Kapseln der Glanzkörper ähnlich sahen. Die Amöben schienen im Innern der Pelomyxa sich 1) Sitzungsberichte der niederrhein. Gesellsch. f. Natur- u. Heilkunde in Bonn. Allg. Sitz. v. 7. Nov. 1870, S. 200. (Verhandlungen d. naturbist. Ver. der preuss. Rheinl. u. Westphal. 1870.) Denselben Vorgang, wie er oben von Pelomyxa beschrieben ist, habe ich später noch genauer und entschie- dener bei Actinosphärium Eichhornii beobachtet: Dieselben Sitzungsberichte, Allg. Sitz. vom 9, Jan. 1861. Pelomyxa palustris. 69 schon vollständig entwickelt zu haben, denn sie krochen, ohne dass ich eine weitere Veränderung wahrnehmen konnte, ausgebildet am Rande hervor. Bei stärkerer Gompression des Objeetes konnte ich sie auch innerhalb der Pelomyxa erkennen. Bezüglich der möglichen weiteren Entwicklung der kleinen Amö- ben zur Pelomyxa ist zunächst die noch vorhandene wesentliche Ver- sehiedenheit beider hervorzuheben, da die Ersteren einen einfachen Kern mit Kernkörper und eine contractile Vacuole besitzen. Beides, Kern und Vacuole, werden auch in das durch Entwicklung einer schwingenden Geissel darauf folgende neue Schwärm-Stadium mit aufgenommen. Ob aus dem Flagellat direct die Pelomyxa sich her- vorbildet oder ob dasselbe, wie mir wahrscheinlicher ist, nach einiger Zeit wieder in den Amöben-Zustand zurücktritt, kann natürlich nur durch weitere Beobachtung entschieden werden. Die kleinsten Pe- lomyxen, die ich sah, hatten nur 0,07—0,1 Mm. im Durchmesser. Sie trugen schon sämmtlich die Charaktere der grösseren Formen (Taf. IV, Fig. 10 u. 11). Jedenfalls glaube ich, vor der Hand die Glanzkörper in Rück- sicht auf ihren ganzen Habitus und ihr Verhalten zur Pelomyxa als die Keime oder Sporen derselben ansehen zu dürfen, abgesehen von ihrer wahrscheinlichen Entstehung aus den Kernen und ihrer Weiter-Entwicklung zu den beschriebenen Schwärmern. 3. Die Stäbchen. In zahllosen Mengen finden sich neben den Kernen und Glanz- körpern im Parenchym der Pelomyxa feine hyaline Stäbchen (Taf. IV, Fig. 6), bald etwas länger, bald kürzer, im Allge- meinen aber sehr kurz, im Mittel nicht über 0,006-—0,008 Mm. (Taf. V, Fig. 15, a.) Sie liegen wie die übrigen Gebilde frei zwi- schen den Vacuolen, mit welchen sie bei den amöbenartigen Bewe- gungen im Körper umhergetrieben werden, und kommen nach meiner Beobachtung in allen, selbst den kleinsten Pelomyxen, und stets in sehr grosser Zahl vor. Sehr häufig hängen sie den übrigen Inhalts- theilen an, scheinbar fest angeklebt, so namentlich den Glanzkörpern, deren Oberfläche sie oft so dicht umhüllen (Taf. V, Fig. 15, c, d, e), dass ich anfänglich vermuthete, sie nähmen von diesen Körpern ihren Ursprung. Ihre Oberfläche ist glatt und der Inhalt vollständig hya- lin. Zuweilen schien es mir, als ob im Innern ein Längskanal vor- handen sei. Ebenso glaubte ich oft nach Zusatz gewisser Reagentien (Essigsäure, Alkohol etc.) bei Betrachtung unter starker Vergrösserung 70 Dr. Richard Greeff: eine Querstreifung auf der Oberfläche wahrzunehmen, ohne indessen bisher hierüber Gewissheit zu erlangen. Beides, Längscanal und Querstreifung, muss ich desshalb vorläufig unbestimmt lassen. Die Stäbchen bestehen, wie das Verhalten gegen die betreffenden Rea- gentien zeigt, aus organischer Substanz. Aus dem Körper ent- fernt, zeigen sie alsbald eine lebhaft tänzelnde Bewegung, die indessen keine von ihnen ausgehende Lebensäusserung, sondern Molecular- Bewegung zu sein scheint, in der Kleinheit und Leichtigkeit der Kör- perchen begründet. Es ist mir ausser Zweifel, dass die Stäbchen zum Organismus der Pelomyxa gehören, ich habe indessen bis jetzt über ihre Ent- stehung und Bedeutung nichts Sicheres ermitteln können. Was die Stellung der Pelomyxa palustris im System betrifft, so erinnert dieser Organismus bei den ersten Begegnungen sehr lebhaft an die Myxomyceten, namentlich an das Plasmo- dium derselben. Das Plasmodium ist aber nur eine Entwicklungs- stufe der Myxomyceten, entstanden durch Verschmelzung der amöben- artigen Sporen. Aus ihm entwickelt sich erst der fertige, weit höher differenzirte Organismus, die Sporangien mit ihren Capillitien ete. Pelomyxa aber stellt in dem oben beschriebenen Plasmodium-ähn- lichen Zustand das vollkommen entwickelte Stadium dar, das ausserdem abweichend zahlreiche Kerne in seinem Innern trägt und dadurch schon in diesem Stadium als ein, wenn man will, viel- zelliger Organismus auftritt. Die Glanzkörper der Pelomyxa nähern sich wiederum in ihrem ganzen Habitus den Sporen der My- xomyceten, obgleich in jenen die Zellnatur nicht so deutlich hervor- tritt, auch die Entwicklung zum Schwärmer, die bei den Myxomyceten leicht und deutlich unter gewissen Verhältnissen zur Beobachtung kommt, bei Pelomyxa an andere Bedingungen geknüpft zu sein scheint. Ob die Pelomyxiden wie die Myxomyceten aus der Verschmel- zung amöbenartiger Schwärmer sich zusammensetzen, ist ebenfalls noch nicht nachgewiesen, lässt sich aber im Hinlick auf die oben mitgetheilten Beobachtungen nicht von der Hand weisen. Eine besondere Eigenthümlichkeit der Pelomyxiden den Myxo- myceten gegenüber ist das ausschliessliche Vorkommen der Ersteren im Wasser, wenigstens in Rücksicht auf die bisher vorliegenden Beobachtungen. Doch kann natürlich ein solcher Unterschied in der Lebensweise kein Anlass zur Trennung im Uebrigen verwandter Or- ganismen werden. Pelomyxa palustris, 71 Man könnte vielleicht die Pelomyxiden als Myxomyceten be- trachten, bei denen die Differenzirung in Plasmodium- und Sporan- gium-Form noch nicht Statt gefunden habe, die vielmehr noch beides miteinander vereinigen, indem die Sporen schon im Plasmodium zur Ausbildung gelangen, so dass also hiernach unsere Pelomyxa eine Vorstufe der höher differenzirten Myxomyceten-Form darstellen würde. Auf alle Fälle scheint es bis auf Weiteres geboten, Pelomyxa palustris als Vertreter einer besonderen, den Myxomyceten in mancher Beziehung verwandten, amöbenartigen, vielkernigen Organismen-Gruppe, der Klasse der Rhizopoden zugehörig, zu betrachten !). 1) Auf Grund des natürlichen Verhaltens und massenhaften Vorkom- mens auf dem Grunde der Gewässer, namentlich aber auch in Rücksicht auf den Bau und die Lebensäusserungen der Pelomyxa habe ich früher (Verhandl. d. naturh. Ver. d. preuss. Rheinl. u. Westph. 27. Jahrg. 1870, Sitzgsber. d. niederrh. Ges. f. Natur- und Heilkunde in Bonn, Allg. Sitzg. v. 7. Nov. 1870, S. 198) auf die eigenthümliche Verwandtschaft hingewiesen, die unsere Süsswasser-Bewohner mit dem wunderbaren Bathybius besitzen, der vor einigen Jahren aus den Tiefen des Meeres hervorgeholt und grosses Staunen, aber auch manches Bedenken bezüglich seiner wahren Natur erregt hat. Doch die uns vorliegende Pelomyxa hat nur eine oberflächliche Aehnlich- keit mit dem Wesen des Bathybius an sich. Ausserdem ist die Erstere ein vielkerniger Organismus, während dem Bathybius Zellkerne abgesprochen wer- den. Da mir trotz meines lebhaften Wunsches, Bathybius-Schlamm bisher nicht zu Gesicht gekommen ist, muss ich vor der Hand auf eine nähere Vergleichung resp. Zusammenstellung der scheinbar in mancher Beziehung verwandten Or- ganismen verzichten. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. w Dr. Richard Greeff: Erklärung der Abbildungen auf Tafel II, IV, V. Tafel II. (Figur 1—5 inel. in 60—70facher Vergrösserung.) Peloumyxa palustris in contrakirtem kugeligen Zustande, reichlich mit Nahrungs- und Schlamm-Theilen erfüllt. Am Umfange tritt das hyaline Rinden-Protoplasma wellenartig aus dem dunkeln Körper hervor. Ein etwas grösseres Individuum von Pelomyxa palustris ausgebreitet und in lebhafter Amöben-Bewegung. Ein ähnliches Individuum ebenfalls in lebhafter Bewegung, der Körper, ist breit-walzenförmig ausgestreckt und bewegt sich schlängelnd. die vordere Körpermasse bald nach rechts bald nach links wendend. An dem hinteren verschmälerten Körperende tritt eine hyaline scheibenförmige Erweiterung aus, die bei den Bewegungen als Stütz- organ benutzt wird. Der Innenraum ist vollständig mit Schlamm- theilen erfüllt. Pelomyxa palustris in kugelig contrahirtem Zustande, aber mit weniger Nahrungsstoffen und Schlamm. Die zahlreichen Glanzkörper (aa) treten aus dem Innern deutlich hervor. Eine ähnliche Pelomyxa in amöbenartiger Bewegung. Tafel IV. Ein Theil einer lebenden Peiomyxa palustris bei circa 400maliger Vergrösserung. aa, cd das hyaline wellenartig hervortretende Rinden-Protoplasma. In die Fortsätze cd treten isolirte Vacuolen, Stäbchen und Körnchen des Innenparenchyms ein. bb die Vacuolen des Innenraumes. ee Die Kerne. ff Die Glanzkörper. Ausserdem sieht man die im Innenparenchym zerstreuten sehr zahlreichen Stäbchen Zapfenförmiger Fortsatz der lebenden Pelomyxa palustris, in welchem die hyaline Aussen- mit der körnigen Innen-Substanz gemischt ist. Durch schnell aufeinanderfolgende fast ruckweise Contractionen wird das hyaline Rinden-Protoplasma immer auf’s Neue wellenartig her- vorgetrieben (siehe Text S. 61 u. 62). Pelomyxa palustris ohne Nahrungstheile etc. bei ca. 60facher Ver- grösserung. Bewegung wie bei 3. : Kleine Pelomyxa palustris bei 300maliger Vergrösserung, mit grossen Kernen aber nur kleinen, ohne Druck nicht sichtbaren Glanzkörpern. Am Umfange zahlreiche dünne fingerförmige Pseudopodien. Am Hinterende ein zottenförmiger Anhang von feinen Fäden. Sonst Bewegung wie bei der vorigen und wie bei 3. 1Ou.11. Junge Pelomyxen bei 300—400maliger Vergrösserung. aa Glanzkörper. Pelomyxa palustris. 73 Tafel V. Fig. 12. Verschiedene Formen der Glanzkörper. b Bisquitform, der Theilung Fig. 13. Fig. Fig. 15. Fig. Fig. Fig. 14. 16. 17. 18. vorhergehend. c Glanzkörper in der Zweitheilung begriffen, dd Löcher und Vertiefungen auf der Oberfläche der Glanzkörper. Kerne der Pelomyxa palustris und deren wahrscheinliche Entwicklung zu Glanzkörpern. a Kleinste Anfänge der Kerne. b Kerne von gewöhnlicher Grösse. c Die Körnchen im Kerne haben sich der Innenwand angelagert. d Grössere Kerne, in denen die Körnchen gruppenweise zusammenliegen. efg Auftreten der Kernkörper in den grösseren Kernen. h Die Kernkörper lassen ein punktförmiges Centrum erkennen. i Das Centrum des Kernkörpers erweitert sich und erweist sich als eine centrale Höhlung. m Isolirte Kernkörper. Pelomyxa-Zellen mit 1 und 2 Kernen (aa). Stäbchen der Pelomyxa in verschiedener Grösse. cde Glanzkörper von äusserlich anhängenden Stäbchen mehr oder minder umhüllt. f Kern von Stäbchen bedeckt. Eine abgestorbene Pelomyxa palustris bei schwacher Vergrösserung. Vom ganzen Umfange der Pelomyxa aus kriecht eine Anzahl kleiner Amöben hervor, die den Mutterboden in geschlossenem Ring um- geben. Die Amöben der Pelomyxa bei starker Vergrösserung. ce contractile Blase. b Nucleus. Verwandlung der kleinen Amöben in Flagellaten. ab die vorher lebhaften Bewegungen lassen nach, nnr einzelne lappen- oder finger- förmige Fortsätze treten am Umfange hervor. cd Ruhe-Stadium. e Flagellaten-Stadium. | Beiträge zur Kenntniss des Nervensytems der Nematoden. Von O. Bütschli. Hierzu Tafel VI und VII. Die Frage nach dem Nervensystem der Nematoden hat schon seit dem Anfang dieses Jahrhunderts den Forschungseifer der Zoo- tomen bald mehr bald weniger herausgefordert. Seit dem Beginn der Forschungen auf diesem Gebiete waren es stets zwei Betrach- tungsweisen, die gegen einander im Felde lagen. Ihre Begründung fanden dieselben in der so sehr eigenthümlichen Beschaffenheit der Leibesmuseulatur unserer Thiere, die es erlaubte, mit einem ziem- lichen Grad von Wahrscheinlichkeit gewisse Theile des Nematoden- leibes bald als zum Nerven-, bald als zum Muskelsystem gehörig zu betrachten. Wie bekannt, waren es in der neueren Zeit die Meissner’schen Arbeiten !), welche zuerst wieder die Frage nach dem Nervensystem der Nematoden eingehender besprachen. Wenn die Resultate dieser Arbeiten auf der einen Seite, so von Walter?) und Wedl®), ungetheilten Beifall erhielten und beide Forscher sich bemühten, die von Meissner bei Mermis und Gordius gefundenen Verhältnisse auch bei anderen Nematoden zu bestätigen, so wurden 1) Meissner, G., Beiträge zur Anatom. u. Phys. von Mermis albicans, Zeitschrift f. w. Zoologie. Bd. V. 1853 u. Beiträge zur Anatom. und Physiol. der Gordiaceen, Zeitschrift f. w. Zoologie. Bd. VII. 1855. 2) Walter, G., Beiträge zur Anatomie und Physiol. von Oxyurus or- nata. Zeitschrift f. w. Zoologie. Bd. VIII. 1857. 3) Wedl, Sitzungsberichte der Wiener Akademie, 1855. Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. 75 von anderer Seite die Meissner’schen Befunde, so namentlich von Schneider!), Leydig?) und Leuckart?) einer strengen Kritik unterzogen, deren Ergebnisse Meissner’s Forschungen in sehr zweifelhaftem Licht erscheinen liessen. Schneider vor Allem verdanken wir, wie in so vieler Hinsicht bei den Nematoden, so auch auf diesem besonderen Ge- biet die eingehendsten und gehaltvollsten Forschungen. Was er zuerst in einer kleineren Arbeit‘) über das Nervensystem unserer Thiere ermittelte, wurde hierauf in seiner Monographie der Nema- toden wesentlich erweitert und theilweise berichtigt, so dass er mit Fug und Recht am Schlusse des Abschnittes über diesen Theil der Organisation unserer Thiere sich dahin erklären konnte, dass nur wenige Abtheilungen des gedachten Thierreiches in Bezug auf ihr Nervensystem so ausreichend erkannt seien, als gerade die Nematoden. Leuckart hat sich in seinem Werk über die menschlichen Parasiten eingehend über das Nervensystem unserer Thiere ausge- sprochen und durch eigne Forschungen die Ergebnisse der Schnei- der’schen Untersuchungen vielfach bestätigt und etwas erweitert, doch blieb ihm und Schneider doch noch mancherlei verborgen, wie sich im Laufe dieser Abhandlung ergeben wird. Die kleineren Mittheilungen über diesen Gegenstand von Ley- dig, Claus und die gelegentlich allgemeinerer Untersuchungen über Nematoden von Eberth, Bastian und neuerdings von Marion gemachten Beobachtungen *) werden, so weit ihre Ergebnisse zur Ver- werthung geeignet sind, im Laufe meiner Darstellung besprochen werden. Meine Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand wurde haupt- sächlich durch eine längere Beschäftigung mit den freilebenden Ne- matoden erregt. Nachdem es mir trotz vielfacher Bemühungen nicht 1) Schneider, A. Ueber Muskeln und Nerven der Nematoden Arch. f. Anatomie und Physiologie 1860 und Neue Beiträge zur Anatomie und Mor- phologie der Nematoden, Arch. f. A. u. Physiologie, 1863. 2) Leydig, Haben die Nematoden ein Nervensystem? Bemerkungen zu dieser Frage. Arch. f. An. u. Physiologie 1861 u. in seinem Handbuch der vergl. Anatomie. 3) Leuckart, R. Die menschlichen Parasiten. Bd. II. 1867. 4) Eberth, Untersuchungen über Nematoden. Leipzig, 1863. — Bastian, Monograph on the Anguillulidae. Transactions of the Linn. society, Vol. XXV. p. 73. — Marion, Recherches zoolog. et anat. sur les nematoides non parasites du golfe de Marseille. Annales des sciences naturelles. Zoologie V. serie. T. XII. Art. 14 u. T. XIV. Art. 1. 76 O0. Bütschli: gelungen war, über den Bau des sogen. Nervenrings und über die Bedeutung der Zellen um den Oesophagus ins Reine zu kommen, musste ich mich nothwendiger Weise an die grösseren parasitischen Nematoden zur Lösung dieser Frage wenden. Einige Beobachtungen an Mermis nigrescens und mehreren freilebenden Nematoden mach- ten es mir ausserdem fraglich, ob die Schneider’sche Darstellung ihre volle Richtigkeit habe, sondern sprachen einigermassen zu Gun- sten der älteren Meissner’schen Forschungen. Meine Untersuchungen wurden hauptsächlich an Ascaris lum- bricoides und megalocephala angestellt, gelegentlich wurde auch noch eine Anzahl kleinerer Ascariden, wie A. osculata, labiata (?), aucta und rigida zur Vergleichung herangezogen, ohne dass jedoch durch die letzteren die Untersuchung sich wesentlich hätte fördern lassen. Von Ase. lumbricoides standen mir nur ziemlich alte Spiritusexem- plare zur Verfügung, von A. megalocephala hingegen wurden frisch in Müller’scher Flüssigkeit oder Alkohol gehärtete Thiere benutzt. Hierbei zeigte sich nun die Eigenthümlichkeit, dass die alten Spiritus- exemplare des A. lumbricoides mir bei weitem bessere Präparate, namentlich Schnitte lieferten, als die frisch und mit Vorsicht gehär- teten Exemplare von Ascaris megalocephala. Die Methode der Un- tersuchung bestand einmal in der Anfertigung von Schnitten, haupt- sächlich des Kopfes und Schwanzes. Es wurden sowohl Quer- als Längsschnitte hergestellt. Fernerhin zeigte es sich vortheilhaft zum Studium der nervösen Elemente der Längslinien, dieselben gesondert von der übrigen Leibesmasse zu schneiden, auf welche Weise sich dann auch die zartesten Schnitte erhalten liessen. Die zu schnei- denden Theile wurden in einer Mischung von Gummi und etwas Glycerin eingeschlossen und nach richtiger Härtung geschnitten. Ausser den Schnittpräparaten wurden dänn in der von Schneider beschriebenen Weise auch Flächenpräparate der Hals- und Schwanz- gegend hergestellt. Hiezu wurden jedoch nur tingirte Exemplare verwendet und hat sich mir auch hier die Behandlung mit Ueber- osıniumsäure als eine treffliche Tinctionsmethode erwiesen. Diese Säure wurde auch bei alten Spirituspräparaten noch mit Erfolg an- gewendet und gab sehr zufriedenstellende Resultate. Mangel an Material verhinderte mich, das Nervensystem im Schwanze unserer Thiere in ähnlicher Weise zu erforschen, als mir dies für das Kopfende gelang, dennoch glaube ich auch hier einen Schritt vorwärts gethan zu haben. Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. zit Der Theil des Nervensystems, welcher bei der Beobachtung unserer Thiere wohl zuerst auffällt, ist der sogen. Schlundring. Dieses zuerst von Blanchard hervorgehobene Gebilde, dessen ner- vöse Natur bis zu den Schneider’schen Untersuchungen vielfach angezweifelt wurde, besitzt nach den neueren Forschungen von Schneider, Eberth, Bastian, Marion und mir eine ganz all- gemeine Verbreitung, ich möchte bezweifeln, ob es überhaupt einem einzigen Nematoden fehlt. Dieser um den Oesaphagus laufende Faserring darf im Verein mit den mehr oder weniger zahlreichen Ganglienzellen, welche an verschiedenen Stellen seines Verlaufes mit ihm in Verbindung stehen, mit Recht als der Centraltheil des Nerven- systems betrachtet werden. Der Schlundring liegt bei den in dieser Abhandlung in Betracht kommenden Ascariden nur wenige Millimeter hinter der Kopfspitze, dicht vor dem Porus, durch welchen die Seitengefässe ihre Ausmün- dung finden. Der Schneider’schen Schilderung gemäss enthielte dieser Ring nur eine sehr geringe Anzahl von Nervenfasern, es sollen deren kaum mehr als 8 vorhanden sein. Schon die Betrachtung von der Fläche mit Berücksichtigung der von anderen Stellen her bekannten Dickenverhältnisse der Nervenfasern macht es jedoch wahrscheinlich, dass sich in demselben viel mehr Fasern finden. Die sichersten Aufschlüsse hierüber liefern natürlich Längsschnitte des Thieres in der Gegend des Rings, welche letzteren quergeschnit- ten zeigen. Fig. 14, Taf. VII zeigt uns den Querschnitt des Rings von A. megalocephala in der Nähe der Seitenlinie. Nach diesem und ähnlichen Schnitten zu urtheilen, dürfen wir die Zahl der Nerven- fasern in dem Ring wohl, ohne zu hoch zu greifen, auf 40—50 schätzen. Zu gleicher Zeit zeigt uns die Fig. 14 auch noch eine Eigenthümlich- keit, die wir bei unseren Nematoden gewöhnlich antreffen, wo wir eine grössere Zahl Nervenfasern auf querem Schnitt sehen, nämlich die, dass die Querschnitte der einzelnen Fasern meist sehr verschie- dene Dimensionen besitzen. Die einfachste Erklärung dieser Erschei- nung wird durch die Annahme einer varicösen Beschaffenheit der einzelnen Fasern gegeben und hiermit stimmt denn auch das Aus- sehen der unverletzten Fasern mehr oder weniger überein. Mit die beste Gelegenheit, sich den Anblick ziemlich isolirter Fasern zu ver- schaffen, bieten die von Schneider entdeckten Submediannerven. Dieselben entspringen aus der vorderen dem Mund zugewendeten Seite des Schlundrings, um sich von hier zur Kopfspitze zu begeben 78 O0. Bütsehli: (s. Fig. 1, Taf. VI). Es liesse sich nun der berechtigte Einwurf erheben, dass diese varicöse Beschaffenheit erst durch die Behand- lung mit Reagentien erzeugt worden wäre, hiergegen spricht jedoch das Aussehen der Nervenfasern in lebenden Thieren. Zu derartigen Beobachtungen bieten die kleinen freilebenden Nematoden die beste Gelegenheit; man sieht hier die varicöse Beschaffenheit der Fasern, welche sich vom Schlundring nach dem Kopfende hinbegeben, häufig in der schönsten Weise und habe ich in meinen heiden Abhandlun- gen über freilebende Nematoden dieser Beschaffenheit mehrfach ge- dacht und hierauf bezügliche Abbildungen gegeben !). Der in Fig. 14 abgebildete Querschnitt des Nervenrings belehrt uns jedoch noch über einen weiteren Punkt, er zeigt uns nämlich, dass der eigent- liche Nervenring von einer aus faserigem Gewebe gebildeten Scheide umhüllt wird. Diese Scheide, welche auch von Schneider beschrie- ben worden ist, ist aus denselben zarten Fasern geflochten, welche auch die Leibeshülle der Nematoden im Allgemeinen so reichlich durchziehen, namentlich die Muskelblasen umspinnen und überhaupt die inneren Organe unter einander verbinden. Wir dürfen dieses Gewebe mit Lewckart wohl als Bindegewebe bezeichnen. Wie Schneider und Leuckart schon hervorgehoben, verschmilzt diese Nervenringscheide mit den Längslinien, d. h. das Fasergewebe der- selben vereinigt sich sehr innig mit dem Gewebe der Längslinien, das ja zum guten Theil auch aus sehr ähnlichen feinen Fasern besteht. Die von dem Nervenring abgehenden und sonst frei in der Leibeshöhle liegenden Submediannerven erhalten gleichfalls eine entsprechende bin- ddegewebige faserige Umhüllung, die man namentlich auf Querschnit- 1) Eine erste Abhandlung über freilebende Nematoden des Landes und süssen Wassers wurde von mir im Anfang des Jahres 1872 vollendet und der K. Leopold. Karolin. Akademie im Mai d. J. zur Veröffentlichung in ihren Schriften übergeben. Im Augenblick, wo ich dieses niederschreibe, sind von den etwa 10 Tafeln bedingenden Abbildungen zu dieser Arbeit 4 vollendet, so dass die Fertigstellung der noch fehlenden Tafeln durch den Lithographen Herrn Schenk in Halle a. d. $., welchem die Ausführung von Seiten der Akademie übergeben ist, wohl noch 2 Jahre in Anspruch nehmen möchte. Man sieht also, dass alle Aussichten vorhanden sind, dass diese Abhandlung unter günstigen Umständen im Jahre 1875 erscheinen wird. Eine zweite Abhandlung über freilebende Nematoden, vorzugsweise der Kieler Bucht, wird in den Schriften der Senkenberg. naturforschenden Ge- sellschaft zu Frankfurt a. M. erscheinen. Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. 79 ten trefflich zu Gesicht bekommt. Im Anschluss an diese Verhält- nisse der Scheide des Nervenrings können wir auch am besten so- gleich die Eigenthümlichkeiten betrachten, welche die sogen. Muskel- fortsätze in der Gegend des Nervenrings zeigen. Schneider zeigte zuerst, dass sich vor dem Nervenring keine Muskelfortsätze finden, sondern dass die ersten derselben in der Höhe dieses Rings entsprin- gen. Sämmtliche Fortsätze eines Muskelfeldes der Ascariden sollen sich zu einem Bündel vereinigen und in den Punkten, welche den Durchschnitten der Submedianlinien entsprechen, an den Nervenring herantreten und mit dessen Scheide verschmelzen. Das soeben an- gegebene Verhältniss der Muskelfortsätze ist nun meinen Erfahrun- gen zufolge nur im Allgemeinen richtig und hängt die seitherige Verkennung des wahren Sachverhalts wahrscheinlich mit einer un- richtigen Auffassung des Verlaufes der Muskelfortsätze im Allge- meinen zusammen. Es ist richtig, dass die weitaus beträchtliche Zahl der Muskelfortsätze in den Submedianlinien an die Hinterseite des Nervenrings herantritt, fasst man jedoch den Verlauf der Muskel- fortsätze zwischen je zwei Längslinien genauer ins Auge, so bemerkt man, dass sich dieselben nach zwei sich kreuzenden Richtungen hin- erstrecken, einmal nach den Medianlinien und dann jedoch auch den Seitenlinien zu. Sie verschmelzen auch nicht in den Submedian- linien mit der Scheide des Nervenrings, sondern laufen längs der- selben hin nach den Medianlinien einerseits und den Seitenlinien andrerseits. Hier an den Medianlinien und in der Nähe der Seiten- linien könnte man wohl von einem Verschmelzen derselben mit der Scheide des Nervenrings sprechen, jedoch kann nach alien unseren Erfahrungen über das Nervensystem unserer Thiere von einer Ver- schmelzung mit dieser Scheide keine Rede sein, sondern hier findet sich sonder Zweifel ein allmähliger Uebergang der Muskelfortsätze in die eigentlichen Nervenfasern, ein Uebergang, welcher sich wenig- stens an dieser Stelle nicht direct und mit völliger Sicherheit nach- weisen liess. Was mir jedoch bei dem soeben geschilderten Verlauf der Muskelfortsätze in der Gegend des Nervenrings das erheblichste zu sein scheint, ist, dass hiedurch eine Uebereinstimmung im Ver- halten mit den Muskelfortsätzen in den auf den Nervenring folgen- den Körperregionen nachgewiesen ist. Denn der Verlauf letzgenann- ter Fortsätze ist im Wesentlichen derselbe, sie gehen nämlich nicht sämmtlich nach den Medianlinien, wie dies die bisherigen Darstel- lungen vermuthen liessen, sondern ein ziemlicher Theil derselben 80 0. Bütschli: begiebt sich in die Nähe der Seitenlinien, wo er mit seither über- sehenen Nerven zusammentritt (s. die Fig. 1, sm‘ Taf. VD. Leuckart!) gibt an, dass bei Asc. Jumbricoides im Umkreis des vorderen Pharyngealabschnittes (vor dem Nervenring) Längs- muskelfasern auf der Oberfläche des Pharynx bis zu den Lippen laufen sollen; ich habe hievon nie etwas gesehen und werde hierauf späterhin bei der Besprechung der im Umkreis des Pharynx sich findenden Ganglienzellen nochmals zurückkommen. Nach der Schneider’schen Schilderung, der sich auch‘L, im Allgemeinen anschliesst, entspringen nun von dem Nervenring nach dem Kopfende zu 6 Nerven. Einmal die Seitennerven in den Seiten- linien eingebettet verlaufend und dann die Submediannerven, welche ziemlich frei auf der Oberfläche des Pharynx hinlaufen und nur von einer bindegewebigen, faserigen Hülle umgeben sind (Fig. 1, Taf. VI, sm u. sn). Von diesen 6 Nerven sind die Seitennerven die stärk- sten, sie enthalten die meisten Nervenfasern, es mögen deren wohl bei Asc. lumbricoides gut 15—20 sein. Alle diese Fasern sind zu einem Nervenstrang ziemlich dicht zusammengepackt, liegen nicht etwa im Gewebe der Seitenlinien zerstreut, wie sich dies nach den seitherigen Schilderungen des peripherischen Nervensystems der Ne- matoden wohl hätte erwarten lassen (Fig. 10, Taf. VII, sn). Dieser Kopfseitennerv liegt in der innern Ecke der Rückseite der Seiten- linie und lässt sich von den Lippen bis zu dem Nervenring verfolgen, von seinem weiteren Verlauf nach dem Bauchganglion zu wird später- hin die Rede sein. Nur aus sehr wenigen Nervenfasern hingegen setzt sich jeder der Submediannerven zusammen. Diese Fasern entspringen direct aus der Vorderseite des Nervenrings zumeist in den Submedianlinien, einzelne jedoch manchmal ausserhalb derselben (Fig. 1) und zeigen in ihrem Verlauf vielfach varicöse Anschwellungen, die bald einen deutlichen Kern enthalten und dann als Ganglienzellen in Anspruch genommen werden müssen, bald jedoch auch eines Kerns entbehren. Die Durchschnitte solcher Varicositäten der Submediannervenfasern mögen es wohl gewesen sein, die Leuckart zu der oben erwähnten Angabe von Längsmuskelfasern im Umkreis des Pharynx veranlassten. Im Verlaufe der Seitennerven treten, abgesehen von der Gegend um den Nervenring, Varicositäten und Ganglienzellen kaum auf, 1) 1. c. p. 28. Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. 8i Beim Studium einer Serie von Querschnitten des Vorderendes einer Ascaride fällt Einem leicht auf, dass im ersten Schnitt hinter den Lippen sich um den Öesophagus eine bedeutende Zahl von Zellen findet, Zellen, die in ihrem Aussehen sich in Nichts von den ächten anderwärts vorkommenden Ganglienzellen unterscheiden und deren Fortsetzung in Fasern deutlich zu beobachten ist. In dieser Gegend ist denn auch das faserige Bindegewebe besonders reichlich entwickelt und umgibt die sämmtlichen Ganglienzellen mit Hüllen, umstrickt jedoch den Oesophagus auch ausserdem in solchem Maasse, dass es einen Ring um denselben bildet, der mit den Längslinien natürlich in innigem Zusammenhang steht. Weiter nach hinten ver- schwindet dieser Ring allmählig und mit ihm auch die Ganglien- zellen bis auf die, welche, wie schon erwähnt, mehr oder weniger zahlreich in den Verlauf der Submediannerven eingeschaltet sind. Diese Ganglienzellen um den Oesophagus dicht hinter dem Kopfende stehen nun zum grossen Theil nach hinten mit den Submediannerven in Verbindung, jedoch dürfte wohl auch ein Theil mit den Seiten- nerven in Zusammenhang stehen. Ein gutes Flächenpröparat dieser Gegend herzustellen ist mir leider nicht gelungen, so dass ich diese Frage nur ungenügend entscheiden kann. Die von den erwähnten Zellen nach vorn laufenden Fasern werden sich wohl ohne Zweifel zu den Papillen begeben. Auf die Versorgung der Papillen mit Nerven werde ich jedoch später zurückzukommen Gelegenheit haben. Verschiedene Beobachtungen machten es mir sehr wahrscheinlich, dass zwischen den Submedian- und den Seitennerven hie und da durch einzelne querverlaufende Fasern eine Verbindung hergestellt sei, auch- sprechen dafür seitliche Fortsätze, die man an den vordern Granglienzellen zuweilen wahrnimmt. Es dürfte hier die beste Gelegenheit sich bieten, ein Wort über die im’ Umkreis des Oesophagus bei vielen Nematoden sich finden- den Zellen zu bemerken. Wie bekannt finden sich diese Zellen in sehr reicher Entwicklung bei den freilebenden Nematoden, wo na- mentlich Eberth zuerst auf sie hingewiesen hat. Sie gruppiren sich immer mehr oder weniger entschieden um den Nervenring und schon hierdurch dürfte ihre Beziehung zu dem Nervensystem wahr- scheinlich werden. Ferner ist es nicht schwer, eine ziemliche Zahl dieser Zellen in Fasern auslaufen zu sehen. Nachdem wir nun so- eben gesehen haben, dass auch um den Oesophagus bei den Asca- riden sich eine ziemliche Zahl von Zellen findet, die entschieden zum M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Ba. 10, 6 82 O0. Bütschl:: Nervensystem gehören (die hinter und um den Nervenring liegen- den werden wir noch späterhin zu betrachten haben), kann es nicht mehr zweifelhaft sein, dass auch die Zellen, welche sich bei den frei- lebenden Nematoden meist so reichlich finden, Ganglienzellen sind und zum grossen Theil dem Centralnervensystem angehören. Dass hierunter auch hie und da einige Drüsenzellen versteckt sein kön- nen, habe ich schon anderweitig hervorgehoben. Wenn es erlaubt ist, aus der mehr oder minder reichen Entwicklung der Ganglien- zellen auf die Höhe der Leistungen des nervösen Apparates zu schlies- sen, so würde sich auch hier wieder die Erfahrung bestätigen, dass- die Parasiten hinter den freilebenden Vertretern einer Abtheilung in dieser Hinsicht zurückstehen. Gehen wir nach dieser Abschweifung wieder zur näheren Be- trachtung der Seitennerven zurück. Sowohl Flächenpräparate als Schnitte ergaben, dass in die Seitennerven bei der Annäherung an den Nervenring eine Anzahl Ganglienzellen eingeschaltet sind. Die- selben setzen sich nach vorn zu Fasern der Seitennerven fort, nach hinten theilweise gleichfalls, theils geben sie jedoch auch einer zwei- ten Faser den Ursprung, welche in den Nervenring eintritt. Nicht sämmtliche Fasern der Seitennerven treten nun in den Nervenring ein, sondern ein gutes Theil derselben läuft in etwas schief nach der Bauchseite gewendeter Richtung an demselben vorbei. Dieser ausserhalb des Nervenrings in den Seitenlinien vorbeieilende Faserzug wird verstärkt durch eine ziemliche Anzahl Fasern, die aus den hin- tern Theilen des Nervenrings dicht an der Rückengränze der Seiten- linie austreten (s. Fig. 2). Kurz nachdem derselbe in dieser Weise verstärkt die hintere Grenze des Nervenrings überschritten hat, schwellen viele seiner Fasern zu Ganglienzellen an, die einen Aus- läufer in der Richtung des Faserzugs weitersenden, häufig jedoch noch einen zweiten in hiezu senkrechter Richtung nach hinten ab- geben. Der besprochene Nervenfaserzug jedoch wendet sich nun nicht nur immer mehr gegen die Bauchseite, sondern er läuft auch in der Seitenlinie mehr und mehr nach der Subeuticula zu, in welche eintretend er endlich in geringer Entfernung hinter dem Nervenring die Seitenlinie verlässt. Er nimmt nun seinen Weg in nach vorn concavem Bogen ausserhalb der Musculatur in. der Subeuticula lau- fend nach der Medianlinie zu und tritt da, wo der Bauchnervenstrang aus dem Nervenring nach hinten zu entspringt, durch die Bauchlinie wieder in den Nervenring ein. Auf Fig. 3, die einen Querschnitt Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. 83 der Bauchlinie unmittelbar hinter dem Nervenring darstellt, sehen wir in die Aussentheile der Bauchlinie einige Fasern des beschrie- benen Zugs aus der Subeuticula eintreten, darin ihren Verlauf nach Innen nehmen und sich in den Ecken der Bauchlinie in der näch- sten Nachbarschaft der durchschnittenen Fasern und Zellen des Bauchstrangs verlieren. Auf diese Verhältnisse werde ich weiter unten bei Besprechung der Nerven der Bauchlinie nochmals zurück- kommen. Wenden wir vorerst unsere Aufmerksamkeit nochmals den Seitenlinien zu. Dicht bei der Stelle, wo aus dem Nervenring die Fasern ihren Austritt nahmen, welche den soeben beschriebenen Faserzug verstärkten, sieht man, etwas mehr dem Rücken zu, eine kleine Anzahl Fasern aus dem Ring in die Seitenlinie eintreten (Fig. 1 u. 2). Diese Fasern laufen dicht an der Rückengränze der Seitenlinie hin nach hinten und aussen. Verstärkt wird dieser Faserzug wahrscheinlich noch durch eine Anzahl Fasern, welche von den Ganglienzellen des ersterwähnten Faserzugs entspringen. Nach- dem sich der Faserstrang so etwas weiter wie der früher erwähnte in der Seitenlinie nach rückwärts bewegt hat, tritt er gleichfalls in die Subeuticula über, jedoch nicht wie der früher beschriebene in die Subeutieula der Bauchseite, sondern die der Rückseite. Hier läuft er eine kurze Strecke schief nach hinten und dem Rücken zu, biegt hierauf etwa in der Entfernung zweier Muskelzellen von der Seitenlinie in die Längsrichtung um und setzt in der Subeutieula seinen Lauf nach hinten fort. Ein diesem Nerv ganz entsprechender findet sich jedoch auch auf der Bauchseite der Seitenlinie; er nimmt seinen Ursprung nicht von Fasern der Seitenlinie, sondern von der Medianlinie. Sein Ursprung wird daher späterhin genauer erörtert werden. Er wendet sich gleichfalls in der Subeuticula verlaufend von der Bauchseite schief nach hinten der Rückenseite zu und biegt in gleicher Höhe wie sein Partner der Rückenseite zwischen der 2. und 3. Muskelzelle von der Seitenlinie nach hinten um. Die beiden soeben beschriebenen Nerven, welche ich die subla- teralen nennen möchte, enthalten nur wenig Fasern, höchstens 4—5. Ueber ihrem Lauf in der Subeuticula lassen die Muskelzellen eine schmale Lücke, in welche sich eine beträchtliche Zahl von Muskel- fortsätzen begeben, um hier an die Nerven heranzutreten. Es ist jedoch die von den sublateralen Nerven durchlaufene Körperstrecke nur eine verhältnissmässig beschränkte. Wie weit sie sich nach hinten erstrecken, vermag ich genau nicht anzugeben, jedoch fand 84 0. Bütsehlı: ich in der Leibesmitte von ihnen nichts mehr. Ihr Vorkommen da- gegen scheint wenigstens unter den Ascariden allgemein zu sein, da ich sie bei sämmtlichen von mir untersuchten Arten (6) dieser Fa- milie antraf. Wir sehen demnach, dass sich bei den Ascariden, wie ich oben schon vorgreifend bemerkte, nicht sämmtliche Muskelfort- sätze hinter dem Nervenring zu den Medianlinien begeben, . sondern auf eine gewisse Strecke hin ein Theil zu den sublateralen Nerven in die Nähe der Seitenlinien. Wie oben schon erwähnt wurde, geben die Ganglienzellen, welche in den Verlauf der bogenförmigen Nerven in der Seitenlinie einge- schaltet sind, theilweise noch Fasern ab, die in der Seitenlinie nach hinten verlaufen ; bald nach ihrem Austritt schwellen einige derselben zu Zellen .an, in ihrem weiteren Verlauf entschwanden sie mir zum Theil, einige treten jedoch zweifelsohne mit grossen Ganglienzellen zusammen, die in geringer Entfernung vor der Halspapille in der Seitenlinie liegen. Zu diesen Ganglienzellen treten jedoch auch einige Fasern aus dem Verlauf des rückwärtigen sublateralen Nerven in der Seitenlinie heraus. Welchen Weg die nach hinten gerichteten Ausläufer der eben erwähnten grossen Ganglienzellen nehmen, wurde mir nicht recht klar, doch schien ihre Richtung darauf hinzudeuten, dass sie zum Theil wenigstens die Seitenlinien verlassen und sich in die Bindegewebebrücke begaben, welche die Seitengefässe nach der Bauchlinie führt, wo sie dann mit den in dieser Brücke liegenden grossen, später zu beschreibenden Ganglienzellen in Verbindung tre- ten. Ist dies die richtige Deutung, so finden sich in der Gegend des Nervenrings also nicht weniger als drei verschiedene Commissuren zwischen den nervösen Elementen der Bauch- und Seitenlinien. In der Gegend der soeben erwähnten grossen Ganglienzellen der Seitenlinie vor der Halspapille wird auch eine Faser deutlich, welche sich nach dieser begibt. Diese Papille wird also nicht von einem der später zu besprechenden Nerven der Subcuticula versorgt, wie Schneider vermuthete. Ueber die Halspapille hinaus sehe ich nur eine einzige Nervenfaser in der Seitenlinie nach hinten laufen, die nach kurzem Verlauf dicht zu einer von zwei, die Seitenlinie kreuzenden Fasern der Subeuticula tritt und längs derselben nach der Rückenseite hin in der Subeuticula verläuft (s. Fig. 1). Hiermit habe ich das erschöpft, was mir über die nervösen Seitenlinien in der Kopfgegend unserer Thiere zu ermitteln gelang. Wie Schneider, habe auch ich gefunden, dass sich kein Nerven- Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. 85 faserzug, auch nicht einzelne Fasern, in der Seitenlinie nach hinten jenseits der Halspapille erstrecken. L,euckart gibt nun an, dass er in sämmtlichen Längslinien Nervenfasern etwa einen Zoll weit hinter das Kopfende verfolgen konnte, ‘jedoch scheint es mir aus mehreren Gründen wahrscheinlich, dass diese Angabe auf Verwechs- lung der eigentlichen Nervenfasern mit andern faserartigen Gebilden der Längslinie beruht. Einmal wäre es mir sonst unerklärlich, wie Leuckart diese Fasern nur einen Zoll weit nach hinten verfolgen konnte, da man die ächten Nervenfasern bis zum After in der Bauch- linie und in der ganzen Rückenlinie immer findet, aber nur in die- sen Linien. Ferner finden sich auch in der That noch Fasern in den Längslinien, auf welche die Leuckart’sche Beschreibung passt und die mich namentlich bei der Untersuchung des Asc. megaloce- phala sehr lange täuschten. Diese Fasern haben ein glänzendes, stark lichtbrechendes Aussehen, viel geringeren Durchmesser, wie die eigentlichen Nervenfasern und färben sich mit Pikro-Karmin sehr intensiv (s. die Fig. 12 u. 13), sie finden sich gleich häufig in sämmt- lichen Längslinien, halten gewöhnlich die Längsrichtung ein und dürften wohl am nächsten den sogenannten elastischen Fasern ver- wandt sein. Sehr ähnliche Fasern finden sich auch im Oesophagus- gewebe, wovon späterhin die Rede sein wird. Auch Marion will bei den freilebenden Nematoden in den Seitenlinien nach hinten lau- fende Nervenstämme gefunden haben; ich habe mich schon ander- weitig gegen diese Ansicht ausgesprochen und verzichte hier auf ein näheres Eingehen in die theilweise sehr incorreeten Anschauungen dieses Forschers über das Nervensystem der freilebenden Nematoden. Wenden wir uns jetzt zu einer eingehenderen Betrachtung der nervösen Elemente der Medianlinien. Schon die älteren Forscher haben in den Medianlinien hauptsächlich die nervösen Organe der Nematoden gesucht und die spätere Zeit hat diese Ansicht, wenn auch nicht in der von der früheren geglaubten Weise bestätigt. Meissner fand bekanntlich Nervenstränge, die in den Medianlinien nach hinten laufen, verwechselte jedoch die sogenannten Muskelfort- sätze mit Nerven, die er dann als seitliche Ausläufer aus diesen Längsstämmen auffasste. Schneider berichtigte diesen Gegenstand, hob auch hervor, dass die Medianlinien hauptsächlich die Nerven- fasern enthalten, scheint jedoch nicht zu einer klaren Anschauung dieser Fasern gekommen zu sein, da er namentlich ihren Ursprung. aus dem Nervenring nicht anzugeben im Stande ist. Von Leuckart’s 86 O0. Bütscehli: Erfahrungen über die nervösen Elemente der Längslinien ist schon das Hauptsächlichste bei Gelegenheit der Besprechung der Seiten- linien mitgetheilt worden, dass er die eigentlichen Nervenfasern nicht erkannte, ergibt sich schon daraus, dass er ihren Sitz in die äusser- sten Partieen der Längslinien verlegt, während sie, wie wir sogleich zu hören Gelegenheit haben werden, grade umgekehrt in den inner- sten Partieen der Längslinien ihren Verlauf nehmen. Was nun die ganglienartigen Elemente anbetrifft, die in der Gegend des Schlundrings in der nächsten Umgebung der Median- linien ihren Sitz haben, so giebt hiervon die Schneider’sche Schilderung ein sehr gutes Bild und lässt sich hiezu nur weniges Nähere nachtragen. Betrachten wir zuerst das Verhalten des Nerven- rings an der Bauchlinie. Man bemerkt hier, dass ein Theil der weiter nach dem Kopf zu gelegenen Ringfasern sich ohne Unter- brechung über die Medianlinien hin fortsetzt, dass jedoch ein hinterer Theil nach rückwärts in die Bauchlinie abbiegt und hier nach hinten längs verläuft. Zwischen den vordern über die Bauchlinie hin- ziehenden Fasern liegt eine auch von Schneider gefundene quer- gestreckte Ganglienzelle, die nach jeder Seite einen Ausläufer zwischen die Fasern des Rings hineinsendet; einen dritten Fortsatz, der nach Schneider in der Bauchlinie nach hinten laufen soll, habe ich nie gesehen. An der entsprechenden Stelle der Rückenlinie fand ich nichts von einer derartigen Zelle, die Schneider auch hier angibt. Auf dem gelungensten Flächenpräparat finde ich in der Rückenlinie zwei grössere Ganglienzellen, beide etwas nach hinten vom eigent- lichen Ring gelegen, schon zwischen den Fasern des sich abbiegenden Rückennervs. Die eine dieser Zellen gibt analog, wie dies auch einige der später zu besprechenden Zellen der Bauchlinie thun, nach vorn je eine Faser jederseits in den Ring ab, die andere hingegen sendet nur einseitig eine Faser in den Ring ab; eine viel kleinere Nervenzelle liegt symmetrisch mit der soeben beschriebenen und sendet eine Faser nach vorn aus, über deren Verlauf ich jedoch nicht völlig sicher wurde. Auf der Bauchseite findet man unmittelbar hinter dem Ursprung der beiden Nervenfaserbündel, die sich aus dem Ring zur Bildung des Bauchnerven nach hinten abzweigen, und um diese Bündel eine Anzahl kleiner Ganglienzellen gruppirt (Fig. 1 u. 5); es mögen deren wohl 6 sein. Zum Theil scheinen sie unipolar und senden ihren Ausläufer nach vorn in den Ring, zwei mittlere jedoch zeichnen sich durch ihren Reichthum an Fortsätzen Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. 87 aus, sie entsenden deren 4, je zwei nach hinten und vorn. Durch je einen der hinteren Fortsätze scheinen sie sich mit zwei grossen in der Mittelregion der Bauchlinie neben einanderliegenden Zellen zu vereinigen. Diese beiden Zellen (Fig. 1, x) schicken jederseits einen Fortsatz in den Nervenring und einen zweiten gleichfalls nach vorn, der sich mit dem der andern Zelle kreutzt und hierauf die schon erwähnte Verbindung mit der kleineren Ganglienzelle eingeht. Wahrscheinlich schicken die soeben beschriebenen grossen Zellen auch noch je einen Fortsatz nach hinten in den Verlauf des Bauchnerven, jedoch liess sich hiervon ein zweifelloses Bild nicht erhalten. Un- mittelbar hinter der Nervenzelle liegen höchst wahrscheinlich zwei ungefähr gleich grosse, jedoch wurde mir ein genaueres Studium derselben nicht möglich. Unmittelbar an die Zellen schliessen sich nun jederseits etwa 5 ansehnlich grosse Ganglienzellen an (y), die jedoch zum grossen Theil aus der Bauchlinie hinausgerückt in der Faserbrücke, welche die Seitengefässe trägt, liegen. Dieselben senden sowohl Fortsätze nach vorn zu dem Nervenring, als auch in der Richtung der Faserbrücke wahrscheinlich zu den Seitenlinien. Letz- tere Möglichkeit wurde schon früher bei Bespreshung der Ganglien- zellen der Seitenlinien hervorgehoben, wo gezeigt wurde, dass aus den Seitenlinien wahrscheinlich Fortsätze austreten, welche die er- wähnte Richtung einschlagen. Was nun die in den Medianlinien nach hinten laufenden Ner- venstämme selbst anbetrifft, so entspringen dieselben, wie schon er- wähnt aus der Hinterseite des Nervenrings mit zwei Armen, die erst eine kleine Strecke weit gesondert nach hinten laufen, sich jedoch hierauf allmählig nähern und mit einander zu einem gemeinsamen Strang vereinigen. Die beiden Wurzeln der Bauchnerven sind nun wohl ohne Zweifel die sogenannten rami communicantes Schneider’s, deren Fortsetzung in dem Bauchnervenstamme von ihm jedoch be- zweifelt wurde. Eine fortlaufende Reihe guter Schnitte lässt jedoch hierüber keine Zweifel. Dass die Bauchlinie reicher an Nervenfasern ist als die Rücken- linie wurde von sämmtlichen früheren Forschern schon betont. Die Zahl der Nervenfasern in den Medianlinien bei Asc. lumbricoides schien mir im Allgemeinen eine grössere zu sein als bei Asc. mega- locephala, während bei letzterer hingesen die einzelnen Fasern beträchtlich stärker sind. Ein weiterer Unterschied in dem Bau dieser Längsnerven bei 88 0. Bütschlı:: den genannten Nematoden scheint darin zu bestehen, dass bei Asc. lumbricoides die Fasern ziemlich dicht zusammengedrängt im inner- sten Theil der Medianlinien verlaufen, also einen deutlichen Faser- strang bilden, um welchen ein Theil des Gewebes der Längslinien eine sehr bemerkbare Scheide bildet (Fig. 7 bn u. rl). Bei Asc. megalocephala hingegen verlaufen die einzelnen Fasern mehr zerstreut in dem Gewebe der Medianlinien, nie sah ich sie wenigstens einen so deutlichen Strang bilden wie bei Asc. lumbricoides (s. Fig. 12, 13 u. 6). Bei der Färbung mit Pikrokarmin nehmen die Fasern bei ersterem Thier eine schwach röthliche Farbe an. Auf Quer- schnitten erscheinen sie blass, homogen oder schwach granulirt; häufig zeigen sie eine deutlich granulirte äussere Zone (Fig. 12 u. 14). Diese Zone zeigt sich auch bei der Betrachtung der Fasern von der Fläche deutlich, indem dann ein längsstreifiges, fein granu- lirtes Aussehen hervortritt, namentlich leicht zu sehen an den Sub- ceuticularfasern. Der Bauchnervenstrang ist, wie ich mich wenigstens bei Asc. megalocephala überzeugte, nicht völlig ohne Nervenzellen. Ein Flächenschnitt der Bauchlinie in mässiger Entfernung hinter dem Nervenring zeigte deutlich zwischen den Fasern eine längsgestreckte Ganglienzelle, welche nach hinten und vorn zu einer Faser auslief. Aehnliches sah ich auch, jedoch nicht mit derselben Sicherheit, bei Asc. lumbricoides. Es scheint demnach, dass einzelne Fasern des Bauchnervenstrangs hie und da zu Ganglienzellen anschwellen. Diese Längsnervenstämme in den Medianlinien sind nun von den früheren Forschern wohl gesehen und von Meissner und sei- nen Anhängern auch als solche bezeichnet worden. Nach Schnei- der und Leuckart hingegen sollen dieselben von den Muskelfort- sätzen gebildet werden. Wenn man jedoch den Ursprung dieser Stränge aus dem Nervenring auf Querschnitten verfolgt und ferner die Einschaltung von Ganglienzellen in dieselben beobachtet, so dürfte wohl kein Zweifel an ihrer nervösen Natur übrig bleiben. Auch Leydig hat diese Stränge gesehen, indem er mittheilt, dass die Bauchlinie in ihren Innenpartieen einen kleinzelligen Strang fübre ; die Querschnitte der Fasern haben hier eine Verwechslung mit Zellen hervorgerufen. Auch bei freilebenden Nematoden habe ich mich an lebenden Thieren deutlichst von dem Ursprung dieser Längsstämme aus dem Nervenring überzeugt. Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. 89 Von einem besonderen Längsstrang der Muskelfortsätze ist nichts wahrnehmbar; die Muskelfortsätze sieht man über dem Längs- nervenstrang an die Medianlinie herantreten und sich unter einan- der vielfach netzartig vereinigen. Von einem Verschmelzen derselben mit dem Gewebe der Längslinien konnte ich mich jedoch nicht über- zeugen, der Schein einer solchen Verschmelzung kann zwar leicht hervorgerufen werden durch das sich überall durchdrängende Binde- gewebe. Dagegen sieht man auf guten Schnitten der Bauchlinie in den dicht unterhalb der Anhaftungsstellen der Muskelfortsätze ge- legenen Partieen, gewöhnlich eine oder mehrere der Nervenfasern von dem Schnitt in sehr schiefer Richtung getroffen (Fig. 13). Es halten demnach die Nervenfasern in dieser Partie der Medianlinie zum Theil ihren längsgerichteten Verlauf nicht mehr ein, sondern wenden sich in schiefer Richtung verlaufend nach den Muskelfort- sätzen zu. Wenn nun auch die Vereinigung der Nervenfasern der Medianlinien mit den Muskelfortsätzen sich nicht unmittelbar beob- achten liess, so scheint mir nach dem soeben Gesagten die Annahme doch sehr gerechtfertigt, dass sich einzelne der Nervenfasern aus der Innenseite der Medianlinien zu den Muskelfortsätzen begeben und mit diesen verschmelzen. Ein derartiger Zusammenhang der Nervenfasern und Muskel- fortsätze lässt jedoch die alte Streitfrage nach der Natur der sogen. ‚ Muskelfortsätze von Neuem in einem zweifelhaften Licht erscheinen. Schon Gegenbaur!) macht in seiner vergleich. Anatomie die Bemerkung, dass, da die Muskelfortsätze doch entschieden nur als leitende Apparate zu betrachten seien, ihm die Frage, ob sie Muskel oder Nerv, noch ungelöst erscheine. Auch ich kann in dieser An- gelegenheit nur der Entwicklungsgeschichte in letzter Instanz das entscheidende Wort zuerkennen, dennoch muss ich vorerst aus der allgemeinen Beschaffenheit und namentlich auch der eigenthümlichen Art und Weise der Anheftung an die Medianlinien die Muskelfort- sätze für Theile der Längsmuskelzellen halten, die zu eigenthüm- lichen Leitungsapparaten für die nervöse Reizung geworden sind. An dieser Stelle sei es mir erlaubt, einige Worte über den Bau der Längslinien unserer Thiere einzuschalten. Das Gewebe der Längs- linien ist bei A. megalocephala und lumbricoides feinkörnig faserig und ähnelt in sehr auffallendem Grade theils dem Gewebe der Sub- l) Gegenbaur, Grundzüge der vergl. Anatomie, 2. Aufl. S. 193. 90 O. Bütschli: euticula, theils dem sogen. Bindegewebe. Dennoch herrscht einige Verschiedenheit zwischen dem Gewebe der Subeuticula und dem der Längslinien, was sich hauptsächlich durch ihr verschiedenes Ver- halten gegen Färbungsmittel kund gibt. Während sich durch Pi- krokarmin das Gewebe der Subeuticula bei Asc. megalocephala recht intensiv färbt, bleibt der grösste Theil des eigentlichen Gewebes der Längslinien schwach oder ungefärbt (Fig. 12 u. 13). Kleine Kerne, welche denen der Subeuticula recht ähnlich sehen, trifft man häufig im Gewebe der Längslinien an (Fig. 10 u. 3), dagegen war von grösseren Kernen oder Zellen bei den von mir untersuchten erwach- senen Exemplaren sehr wenig zu sehen. Nach Leuckart sollen die Längslinien eine chitinige Hülle besitzen und eine gleichfalls aus Chitin gebildete Längsscheidewand. Von einer äusseren Umhüllung habe ich jedech häufig gar nichts gesehen, sondern die inneren Umgrenzungen der Längslinien waren nicht selten gradezu unbestimmt zu nennen, indem sie mit dem sich vielfach ansetzenden Bindegewebe sich sehr innig vereinigen; an anderen Stellen hingegen zeigte sich äusserlich eine fasrige Um- hüllung, die aus Bindegewebsfasern gebildet war. An den Seiten- linien sah ich von dieser Faserhülle auch stellenweise die Längs- scheidewand Leuckart’s entspringen, die aus demselhen fasrigen _ Gewebe gebaut ist. Hie und da sind denn auch in den Seitenlinien die seitlichen Faserzüge einigermaassen deutlich, die Leuckart noch beschreibt. Unmittelbar unterhalb der Cuticula bemerkt man bei den beiden Ascariden auf Querschnitten in den Seitenlinien zwei dicht bei einanderstehende Hohlräume, die einen grossen Theil des Leibes zu durchziehen scheinen. Diese Hohlräume entsprechen wahrscheinlich ähnlichen bei einer Anzahl anderer Nematoden an der nämlichen Stelle vorkommenden, auf welche ich schon früher aufmerksam gemacht habe !). An den Medianlinien habe ich von der Leuckart’schen Scheide- wand nichts gesehen. Nach dem soeben Angeführten scheint es mir sehr wahrscheinlich, dass sich in dem Aufbau der Längslinien nicht allein die Subeuticula, sondern in hervorragender Weise auch das sogen. Bindegewebe betheiligt. Es bliebe dann noch die Frage zu lösen, wohin ihrer Abstammung nach die grossen Zellen gehören, welche bei den meisten Nematoden Zeitlebens die Hauptmasse der 1) Zeitschrift f. w. Zoologie, Bd. XXI, p. 272, Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. 91 Längslinien bilden und die auch bei unseren Ascariden im Jugend- zustand sich wohl finden, dann zu Grunde gehen, während ihre Kerne allein noch ausdauern, bis diese schliesslich auch schwinden. Ein bedeutender Theil des Gewebes leitet sich demnach wohl von diesen Zellen ab, durch deren Anordnung in zwei Längsreihen in den Seiten- linien ich mir auch den Ursprung der bindegewebsfasrigen Längs- scheidewand dieser Linien erkläre. Die kleinen Kerne in den Längs- linien gehören jedoch bestimmt einem andern Gewebe an, wahrschein- lich einem der Subeuticula entsprechenden. Bei Asc. labiata fand ich nur solche kleine Kerne, jedoch in sehr zehlreicher Menge in den Seitenlinien, auch hatten dieselben hier manchmal noch ein recht deutlich zelliges Gefüge. - Im Anschluss an die Erwähnung der Seitenlinien möchte ich kurz einer Eigenthümlichkeit der sogenannten Seitengefässe gedenken. Im Grunde genommen haben die Seitengefässe eigentlich nur wenig mit den Seitenlinien zu thun, sie sind bei den verschiedenen Asca- riden bald inniger bald loser mit den Seitenlinien verknüpft, bald nur sehr äusserlich durch Bindegewebsfasern denselben angeheftet (Asc. labiata), bald etwas mehr in dieselben eingesenkt und zwar in die erwähnte mittlere Bindegewebsscheidewand. Herr Prof. Gre- nacher theilte mir vor einiger Zeit mündlich mit, dass er bei Asc. lumbricoides gefunden habe, dass das Gefäss der einen Seite eine kurze Strecke hinter dem Porus sich in eine beträchtliche Zahl kleiner Gefässe auflöse, die jedoch bald wieder zu einem Gefäss zu- sammentreten. Diese auffallende Erscheinung habe ich an meinen Schnitten zu bestätigen vermocht und in Fig. 16 wiederzugeben ver- sucht. Es ist nicht das gesammte Gefäss, das zerfällt, sondern nur .der innere Hohlraum, indem zugleich der Querschnitt des ganzen Gefässes bedeutend zunimmt. Auffallend war mir die eigenthümliche, körnigfaserige Structur der Seitengefässe auf dem Querschnitt, wozu sich häufig ein etwas strahliges Aussehen gesellt. Schliesslich möge hier noch eine kurze Bemerkung zur Kennt- niss der Muskelstructur unserer Thiere Platz finden. Ich habe früher- hin schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die sogenannten Fibrillen der contract. Substanz unserer Thiere sich aus feinen Körnchen aufbauen und habe dies nun auch durch das Bild, welches sehr feine Querschnitte der Ascaridenmuskeln zeigen, bestätigt gefunden. Man sieht an einem derartigen Querschnitt, dass auch nach dem Innern des Muskels zu die Fibrillen sich aus solchen Körnchen aufbauen 93 O. Bütsehlıi: und bemerkt gleichzeitig recht häufig ein allmähliges Zusammen- fliessen zweier benachbarter Fibrillen. In der Mitte zwischen je zwei Fibrillen liess sich zuweilen recht deutlich eine blasse Linie bemerken (s. Fig. 15). Wenden wir uns nun zu der Betrachtung des nervösen Appa- rates im Hinterende unserer Thiere. Leider mus ich hier mehrere Punkte zweifelhaft lassen, welche ich gerne erledigt hätte, doch bleibt auch hier Einiges von Interesse nachzutragen. Sowohl Meissner als Walter wollen Schwanzganglien in der Gegend des Afterdarms sefunden haben, Schneider beschreibt hiervon nichts, dagegen hat Leuckart in dieser Gegend wieder Ganglienzellen bei Asc. lum- bricoides aufgefunden. Letzteres vermag ich zu bestätigen. Beim Weibehen und Männchen finden sich etwa auf der Grenze des After- und Chylusdarms Ganglienzellen in der Bauchlinie, beim Weibchen spärlicher, beim Männchen zahlreicher (Fig. 4 u. 5). Da der so sehr verschiedene Bau des männlichen und weiblichen Schwanzendes auch bedeutende Verschiedenheit des Nervensystems in diesen Gegen- den mit sich bringt, so möchten wir beide Geschlechter gesondert betrachten. Nach Schneider’s Erfahrungen theilt sich der Bauch- nervenstrang in der Höhe des Enddarms beim 2 in zwei Aeste, die zu den Seitenlinien laufen und die beiden seitlichen Schwanzpapillen des Weibchens versorgen sollen. Hiermit würde übereinstimmen, dass ich hinter den nervösen Ganglien in der Bauchlinie nichts mehr von Nervenfasern sah, während sich Fasern in der Rückenlinie bis zur Schwanzspitze verfolgen lassen. Dagegen gelang es mir auf Quer- schnitten nicht, die aus der Theilung des Bauchstrangs hervorgehen- den Aeste aufzufinden. Dass dieselben jedoch vorhanden sind, ist mir nicht zweifelhaft, da man in der Schwanzgegend wieder Nerven-. fasern in den Seitenlinien bemerkt, die nur von der Bauchlinie her- stammen können. Da man jedoch auch Nervenfasern in den Seiten- linien der Weibchen noch vor dem Enddarm wahrnimmt, so scheint es, dass auch hier analog den Verhältnissen beim Männchen Fasern in dem Schwanztheil der Seitenlinien nach vorn aufsteigen. Uebri- sens ist die Zahl der von mir in den Seitenlinien des Weibchens bemerkten Nervenfasern nur eine verhältnissmässig sehr geringe, auch habe ich nichts von Ganglienzellen wahrgenommen, deren Vor- handensein doch Schneider angibt. Das Vorkommen von Gang- lienzellen an dieser Stelle ist wegen der Analogie mit den beim Männchen sich findenden Verhältnissen sehr wahrscheinlich, meine Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. 95 hiehergehörigen Präparate sind leider nicht so gut ausgefallen, dass sie eine sichere Entscheidung zuliessen. Einigermaassen besser gelang es, die Verhältnisse im männ- lichen Schwanzende aufzuklären. Nach den Angaben Schneider's findet sich hier ein ansehnlicher Nerv in den Seitenlinien, der sich von dem Beginn der sogenannten Bursalmuskeln ab nach hinten verfolgen lässt, er nennt denselben den Nervus bursalis und gibt an, dass jeder derselben die Papillen seiner Seite versorge. Dieser Nerv nun ist auf Querschnitten meist sehr deutlich wahrzunehmen, er verläuft in der Bauchhälfte der Seitenlinien als ein ziemlich com- pacter Strang von Fasern (Fig. 7). Die Zahl seiner Fasern wird von Schneider nur auf 6—7 angegeben, dieselbe beträgt jedoch wenig- stens bei Asc. lumbrieoides viel mehr, wohl gut das Doppelte in dem grössten Theil seines Verlaufs. Der Rückseite dieses Nervenstrangs liegen nun eine sehr ansehnliche Menge Ganglienzellen an, die nach auswärts in die Seitenlinie Fortsätze senden, wahrscheinlich in der Subeutieula der Bauchlinie zueilen. Sämmtliche Fasern, die ich von den Seitenlinien aus in die Subcuticula eintreten sah, entsprangen von solchen Zellen (Fig. 11). Dieselben scheinen sich in der gauzen Ausdehnung des Nervenstrangs in ähnlicher Weise zu finden. Ihre in die Subeuticula eintretenden Fortsätze versorgen nun die Papillen, eine Anzahl derselben geht jedoch auch, wie Schneider hervor- hebt, direct zur Bauchlinie, um in dieselbe einzutreten, und zwar sollen solche Fasern sich namentlich dicht vor dem After zahlreich finden. Leider sind die Flächenpräparate, welche ich zur Aufklärung dieses Verhältnisses anfertigte, nicht in der gewünschten Weise aus- gefallen, so dass ich hierüber nichts entscheidendes bemerken kann. Jedenfalls hat jede der Ganglienzellen der Seitenlinien wenigstens noch einen Ausläufer, der zur Bildung des Längsstrangs beiträgt. Untersucht man die Bauchlinie des Männchens, so findet man in der Höhe des Enddarmanfangs eine recht ansehnliche Zahl von Gang- lienzellen in derselben, von welchen unzweifelhaft Fortsätze abgehen, die in die Subeuticula eintreten und zu den Seitenlinien verlaufen; es kann daher wohl als sehr wahrscheinlich betrachtet werden, dass zwischen den sogenannten Bursalnerven und dem Bauchnerven ein ähnliches Verhältniss besteht, wie dies oben für den Bauchnerven (oder Nervenring) und den Seitennerven durch Vermittlung der bo- genförmigen Commissur zu Stande kam. Es wäre hiernach, wie Schneider schon vermuthete, der Bursalnerv als ein n. recurrens 94 O0. Bütschli: zu betrachten. Immerhin bleiben zur Lösung dieser Frage noch weitere Beobachtungen nothwendig und zweifle ich nicht, dass sich auch hier mit ausreichendem Material und bei richtiger Behandlungs- weise die Lösung bald finden wird. Es blieben mir nun vorerst noch einige Worte zu bemerken über die sensitiven Fasern der Subeuticula, die Schneider gefun- den hat. Diese Fasern sind bekanntlich von Leidig für gefässartige Bildungen erklärt worden; Leuckart hat sich in seinem Parasiten- werk über dieselben nicht näher ausgesprochen. Auch ich war eine Zeit lang zweifelhaft, ob dieselben wirklich für Nerven angesprochen werden dürfen, glaube mich jedoch späterhin überzeugt zu haben, dass man es hier wirklich mit Nerven zu thun hat. Wie Schneider entgegen seinen früheren Angaben in seiner Monographie mittheilt, habe auch ich gefunden, dass die Fasern die Seitenlinien stets durch- setzen, auch habe ich deutlichst Kreuzungen der beiden gewöhnlich zusammen verlaufenden Fasern beobachtet, eine Erscheinung, die jedoch wohl ohne besondere Bedeutung ist. Die Theilung einer Faser in zwei Aeste wurde gleichfalls beobachtet. Das Aussehen der Fasern ist in guten Präparaten feinkörnig faserig, eine Eigenthümlichkeit, welche den Nervenfasern unsrer Thiere allgemein zuzukommen scheint. Wenn es mir nun auch nicht zweifelhaft ist, dass wir es hier mit Nervenfasern zu thun haben, so scheint es mir doch nicht grade sehr wahrscheinlich, dass dieselben einen wesentlichen Theil des sensitiven Nervensystems unsrer Thiere bildeten, indem wohl ziemlich allgemein bis jetzt wenigstens als sensible nervöse Elemente nur Faserenden entdeckt worden sind und nicht Nervenschlingen, wie es hier doch der Fall wäre. Da wir auch anderwärts, sowohl in der Gegend des Nervenrings als des Afters reichliche Verbindungs- stränge zwischen den Seitenlinien und der Bauchlinie in der Sub- cuticula hinstreichen sehen, so dürfte es wahrscheinlicher sein, dass diese Nervenfasern der Subeuticula nur Verbindungsfasern der Nerven- stränge der Medianlinien sind, obgleich es zwar bis jetzt schwer hält den Sinn einer solchen Einrichtung einzusehen. Das Hervortreten der Nervenfasern an die Papillen liess sich am besten an den Schwanzpapillen des Männchens studiren, ich habe mich hier wie Schneider überzeugt, dass jede Papille durch eine Nervenfaser versorgt wird. Im Allgemeinen beobachtete ich hier dasselbe, was Schneider auch schon wahrgenommen, dass nämlich der Nerv an die etwas dunkelgefärbte, feinkörnige Pulpa herantritt Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. 95 und sich in derselben auflöst. Ich muss jedoch dieses Verhalten in etwas andrer Weise verstehen, indem ich aus demselben schliesse, dass die sogenannte Pulpa das kolbig angeschwollene Ende der Nerven- faser ist, eine Art, nervösen Endorgans, welches durch die Papille zu Tage tritt. Hiezu glaube ich mich hauptsächlich dadurch berech- tigt, dass diese Anschwellung keineswegs nur auf das Innere der eigentlichen Papille beschränkt ist, sondern sich meist ziemlich weit hinter dieselbe fortsetzt, um ganz allmählig in die gewöhnliche Nerven- faser überzugehen (s. Fig. 18). Hieraus erhellt, dass das Ende des Nerven zu einem Kolben anschwillt, der mit seiner Endspitze durch die Cuticula zu Tage tritt, äusserlich nur von einem äusserst zarten Chitinhäutchen bedeckt (Fig. 19). Aehnlich scheinen die Verhält- nisse an der Halspapille zu sein, wie aus der Fig. 1, p hervorgeht. In Betreff der Mundpapillen bin ich leider nicht ins Reine gekom- men, doch muss es nach den an den Schwanzpapillen gemachten Erfahrungen für das Wahrscheinlichste gehalten werden, dass je eine Mundpapille auch nur von einer Nervenfaser versorgt wird, und fragt es sich dann sehr, welchen Zweck die zahlreichen Fasern haben, welche in den Seiten- und Submedianlinien von dem Nervenring nach vorn laufen. Einige dieser Fasern mögen immerhin noch zur Ver- sorgung des Oesophagus dienen, in welcher Weise, ist zwar bis jetzt nicht ersichtlich, eine grössere Zahl hingegen dürfte vielleicht nur den Zweck haben, die um den vordersten Theil des Oesophagus ge- legenen Ganglienzellen mit dem übrigen Theil des Centralnerven- systems in Verbindung zu setzen. Nachdem ich so dasjenige, was mir über das Nervensystem der genannten Ascariden zu ermitteln gelang, hier mitgetheilt habe, dürfte es sich vielleicht empfehlen die Grundzüge des hieraus sich ergebenden Baues dieses Organsystems nochmals in Kürze zu re- capituliren. Wir finden also um den Oesophagus in geringer Entfernung hinter dem Kopfende einen aus Nervenfasern bestehenden Ring, von welchem nach vorn 4 Nerven in den Submedianlinien entspringen, nach hinten entspringen aus ihm die Nerven der Medianlinien, von welchen wenigstens der Bauchnerv mit zwei deutlichen Wurzeln seinen Ursprung nimmt. Mit den Wurzeln des Bauchnervs entspringt 96 Ö. Bütsehli: jederseits der Bauchlinie noch ein zweiter Nerv aus dem Ring, der in der Subcuticula verlaufend sich zur Seitenlinie wendet, in dieser ausserhalb des Nervenrings nach vorn streicht, jedoch auch durch aus dem Nervenring austretende Fasern verstärkt wird. Zahlreiche Ganglienzellen sind in den Verlauf dieses Nerven in der Seitenlinie eingeschaltet, verlieren sich jedoch in geringer Entfernung vor dem Nervenring. Nach vorn lässt sich dieser Nerv bis zum Ursprung der Lippen verfolgen und seine Fasern treten sehr wahrscheinlich mit einem Theil der um den Oesophagusanfang lagernden Ganglien- zellen in Verbindung. Mit solchen Zellen verbinden sich jedenfalls auch die Submediannerven, in deren Verlauf überhaupt zahlreiche Ganglienzellen eingeschaltet sind. Um die Wurzeln des Bauch- und Rückennervs liegen eine Anzahl Ganglienzellen, mehr auf der Bauch- als Rückenseite und eine weitere ziemlich ansehnliche Zahl grosser Zellen findet sich in der Gefässbrücke. Diese Zellen senden Aus- läufer nach dem Nervenring, die ersteren wahrscheinlich auch nach hinten in die Medianlinien, die letzteren hingegen nach den Seiten- linien, wo sie mit dort befindlichen Ganglienzellen in Verbindung treten. Von den Wurzeln des Bauchnerven zweigt sich nach jeder Seite noch ein Nerv ab, der seinen Verlauf in der Subeuticula nimmt und schliesslich als der bauchständige der oben beschriebenen subla- teralen Nerven nach hinten verläuft. Der entsprechende rücken- ständige Nerv nimmt seinen Ursprung in der Seitenlinie aus dem Nervenring. Im Verlauf des Bauchnerven finden sich vereinzelt Ganglienzellen. Etwa mit Beginn des Enddarms theilt sich nach Schneider beim 2 der Bauchnerv in zwei Aeste, die in der Leibeshöhle ver- laufend sich nach den Seitenlinien wenden und in diesen nach hinten laufen. An der Theilungsstelle findet sich eine mässige Anzahl (höchstens 3—-4) ansehnlicher Ganglienzellen in der Bauchlinie. Nach meinen Erfahrungen müssen jedoch eine Anzahl l'asern der beiden Aeste in den Seitenlinien auch nach vorn laufen. — Der Rücken- nerv lässt sich bis zur Schwanzspitze verfolgen. Beim Männchen findet sich wahrscheinlich dieselbe Theilung des Bauchnerven und das an der Theilungsstelle befindliche Ganglion ist bedeutend zellenreicher. Die Aeste der Bauchnerven laufen hier jedoch in den Seitenlinien als sehr ansehnliche Nerven auch nach vorn so weit die Bursalmuskeln reichen. Diese Fasern treten mit Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. 97 zahlreichen, dem Nerv in seiner ganzen Länge aufliegenden Gang- lienzellen in Verbindung, welche Fortsätze aussenden, die sich zu den männlichen Papillen begeben. Auch beim Männchen läuft der Rückennerv bis zur Schwanzspitze. Bauch- und Rückennery stehen in ihrem gesammten Verlauf durch in der Subcuticula gewöhnlich paarweise verlaufende Nerven- fasern in Verbindung, die bald das eine bald das andere Seitenfeld kreuzen. Diese Fasern sind am zahlreichsten im Vorder- und Hinter- ende. Am Ende dieser Abhandlung seien mir noch einige kurze Be- merkungen über gewisse Bauverhältnisse des Schwanzendes und Schlundes unserer Thiere gestattet. Schnitte durch das weibliche Schwanzende hinter dem After lehren, dass hier die Leibesmusculatur eine bedeutende Reduction erfahren hat, denn nur auf der Rückseite lässt sich eine, den Raum zwischen der Rücken- und den Seitenlinien völlig ausfüllende Mus- culatur bis zur Schwanzspitze verfolgen; auf der Bauchseite hingegen bemerkt man nur mitten zwischen der Bauch- und Seitenlinie Je eine ansehnliche grosse Muskelzelle (Fig. S, z), die sich nach hinten bis in die Schwanzspitze verfolgen lässt. Eigenthümliche faserartige Fortsätze, welche sich von dieser Zelle nach der Bauchlinie begeben, vermag ich nicht zu deuten. Der Hohlraum des Schwanzes wird ausserdem jedoch von zwei Arten von Muskelfasern durchzogen, ein- mal dorsoventralen, die jederseits neben der Rückenlinie entspringen und sich neben der Bauchlinie anheften (x) und dann lateroventra- len, die von den rückwärtigen Theilen der Seitenlinien ihren Ursprung nehmen und sich etwas ausserhalb der erstgenannten Muskeln zu den Seiten der Bauchlinie inseriren. Beide Fasersysteme sind selbst- ständige Muskeln, nicht etwa Fortsätze von Längsmuskelfasern ; sie inseriren sich in der von Leuckart für diese Art von Muskeln bei unseren Thieren hervorgehobenen Weise. Es fahren nämlich an ihren Enden die Fibrillen pinselförmig auseinander, dringen in die Subeuticula ein, um sich, wie es scheint, direct an die Cuticula fest- zuheften. Marksubstanz und Kern lassen sich an diesen Muskeln nachweisen. In der Gegend des Afters und mit Beginn des sogenannten End- M. Schulzte, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10, ff 98 O0. Bütschli: darmes verschwinden die dorsoventralen Muskeln (x), während die lateroventralen sich noch verfolgen lassen, so weit der Enddarm reicht, auf dessen Rückenseite sie sich nun inseriren. Die grosse Muskelzelle, welche sich allein auf der Bauchseite hinter dem After wahrnehmen liess, kommt mit Beginn des Afterdarms auf dessen Rückenseite zu liegen; aus diesem Verhalten der Muskeln y und z zu dem Enddarm im Verein mit dessen ganzer Bauweise scheint mir, wie dies Schneider auch schon angibt, vollständig erwiesen, dass der Enddarm nichts weiter als eine Einstülpung der gesammten Haut ist. Leuckart gibt von dem Weibchen des Asc. lumbricoi- des an, dass sich ein Enddarm gar nicht finde, bei Asc. megaloce- phala, wo ich diese Verhältnisse näher studirte, ist derselbe jeden- falls in bester Entwicklung vorhanden. Von der Afterregion nach vorn zu treten mehr und mehr neue Längsmuskeln auf der Bauch- seite auf, so dass die Muskulatur der Bauchseite etwa mit dem Beginn des eigentlichen Darmes eine ebenso reichliche Entwicklung besitzt, wie die der Rückenseite. Um den Beginn des eigentlichen Darmes bemerkt man deutlich den schon von Schneider beobachteten sphincterartigen Muskel, der mit einer nach aussen liegenden Marksubstanz ausgestattet ist. Dicht oberhalb desselben beginnt jedoch ein System von Muskelfasern von sehr eigenthümlichem Verlauf. Je zwei derartige Fasern ent- springen jederseits der Medianlinien und begeben sich in ziemlich gestrecktem Verlauf zu dem Darm, an welchen sie sich mit Hülfe von Bindegewebsfasern anheften, endigen hier jedoch nicht, sondern laufen längs des Darms bis zu den Seitenlinien, um sich unter fast rechtem Winkel abbiegend an die bauch- resp. rückwärtigen Theile der- selben zu inseriren. Diese Fasern sind nicht etwa Muskelfortsätze, sondern selbstständige Muskein mit Marksubstanz und Kern: wie weit sie den Darm nach vorn begleiten, vermag ich nicht mit Sicher- heit anzugeben, jedenfalls scheinen sie bald wieder zu verschwinden. Die Längsmuskulatur des Darmes ist auf dem in Fig. 6 abgebildeten Querschnitt gut sichtbar und in Betreff ihrer scheint mir die Schnei- der’sche Ansicht, dass sie nämlich von Fortsätzen der Leibesmus- kulatur gebildet werde, die wahrscheinlichste. Nicht weit vor seinem Hinterende tritt der Darm in directe Verbindung mit den Seitenlinien. Ueber das männliche Schwanzende will ich hier nur bemerken, dass ich mit Leuckart übereinstimme, wenn er die sogenannten Bursalmuskeln des Männchens für selbstständige Muskelfasern erklärt ; Beiträge zur Kenntniss des Nervensystems der Nematoden. 99 Schneider beschreibt sie als Fortsätze der Bauchmuskulatur, was entschieden unrichtig ist (s. Fig. 7). Die Insertion dieser Muskeln geschieht genau in derselben Weise, wie dies oben schon von den Muskeln des weiblichen Schwanzendes bemerkt wurde. Von Schneider wurde schon gezeigt, dass der Oesophagus vieler Nematoden ausser den radiären Fasern, aus welchen sich derselbe hauptsächlich aufbaut, auch längsverlaufende Fasern enthält. Bei Asc. megalocephala traf er dieselben namentlich in einer Zone dicht unter der Oberfläche des Oesophagus. In den Ecken des Dreiecks des inneren Chitinrohrs sollen je zwei grössere derartige Fasern stehen. Die ersterwähnte Zone von Längsfasern finde ich nun in gleicher Weise, statt der zwei grössern Fasern, in den Ecken jedoch je zwei Reihen ähnlicher Fasern, wie in der äussern Zone. In ihrer Beschaffenheit scheinen diese Fasern sich von Muskelfibrillen beträchtlich zu entfernen, sie haben nämlich stets ein sehr glänzen- des homogenes Aussehen und färben sich mit Pikrokarmin sehr in- tensiv, während die radiären Fibrillen von diesem Farbstoff nur sehr schwach tingirt werden. Dagegen scheinen diese Längsseiten iden- tisch zu sein mit den früher erwähnten eigenthümlichen Längsfasern der Längslinien. Beide dürfen wohl zu den sogenannten elastischen Fasern gehören, deren reichliches Vorkommen im Oesophagus und den Längslinien für den Mechanismus der Bewegungsvorgänge in und am Leibe unserer Thiere von hoher Bedeutung wäre. Erklärung der Abbildungen auf Tafel VI und VII. Tafel VT. Fie. 1. Ein Theil des Leibesschlauchs von Ascaris lumbricoides aus der Gegend des Nervenrings nach Entfernung des Oesophagus ausge- breitet und von Innen betrachtet. Man überblickt die eine der Seiten- linien se, die Bauchlinie bl und die Rückenlinie rl.sn der Seiten- nerv, sm die Submediannerven, bn der Bauch- und rn der Rücken- nerv. sm’ Die sublateralen Nerven; nr der Nervenring, welcher über der Seitenlinie beim Ausbreiten gerissen ist. p Die Halspapille. Fig. 2. Querschnitt einer Seitenlinie von Asc. lumbricoides, derselbe trifft noch die hintern Theile des Nervenrings nr, zeigt den Zusammen- hang des Seitennerven mit dem Ring und eine Faser des rückwärtigen sublateralen Nerven. 100 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. O0. Bütschli: Beiträge z. Kenntniss d. Nervensystems d. Nematoden. 3. Querschnitt der Bauchlinie von Asc. lumbricoides dicht hinter dem Ursprung der Bauchnervenwurzeln aus dem Nervenring. In den Seitenpartien sieht man Fasern des Seitennervs eintreten und dicht unterhalb der Cuticula den Ausführungsgang der Seitengefässe. 4. Querschnitt durch die Bauchlinie von Asc. megalocephala Q bei der Höhe des Enddarmanfangs mit einer Ganglienzelle des Analganglions. 5. Querschnitt durch die Bauchlinie des f' von Asc. lumbricoides in der Gegend des Enddarms, Zellen des Analganglions und in die Sub- cuticula eintretende Nervenfasern zeigend. Tafel VII. 6. Querschnitt eines Q von Asc. megalocephala dicht vor dem Hinter- ende des Darms, d Darm, se Seitenlinie, be Bauch- und rl Rücken- linie. 7. Querschnitt eines 5‘ von Asc. lumbricoides in geringer Entfernung vor dem Hinterende des Darms, vd Samenleiter, mb Bursalmuskeln, ms Muskeln der Spiculi, bn Bauchnery und n Bursalnerv. 8. Querschnitt des @ von Asc. megalocephala hinter dem After. 9. Querschnitt durch Asc. labiata dicht hinter den Lippen, oph. Oeso- phagus; g das unpaare Seitengefäss, welches hier dicht hinter der Kopfspitze ausmündet. 10. Querschnitt der Seitenlinie von Asc. lumbricoides etwas vor dem Nervenring; sn der Seitennerv. 11. Ein kleines Stück des Bursalnerven von Asc. lumbricoides in der Fläche gesehen mit den ihm aufliegenden Ganglienzellen und ihren Fortsätzen in die Subcuticula der Bauchseite. 12u.13. Querschnitte durch die Bauchlinie von Asc. megalocephala in geringer Entfernung hinter dem Nervenring. 14. Querschnitt des Nervenrings von Asc. megalocephala in der Nähe der Seitenlinie. 15. Querschnitt einer Muskelzelle von Asc. lumbricoides. 16. Querschnitt des Seitengefässes von Asc. lumbricoides an der Stelle, wo sein innerer Kanal in eine grössere Anzahl kleiner Kanäle zer- fallen ist. 17. Querschnitt durch den Oesophagus von Asc. megalocephala. 18 u.19. Querschnitt durch Papillen des männlichen Schwanzendes von Asc. lumbricoides. Die Structur der electrischen Platten von Torpedo. Von Dr. Franz Boll, Privatdocenten u. Assistenten am physiolog. Laboratorium der Universität Berlin. Hierzu Tafel VIII. Seitdem durch die Entdeckung der electrischen Platte der Nachweis einer allen electrischen Organen gemeinsamen morpholo- gischen Einheit geführt worden war, sind unsere Kenntnisse über den Bau dieser räthselhaften Organe so gut wie stationär geblieben. Noch heute repräsentirt die abschliessende Monographie Max Schultze’s') den Standpunkt unseres Wissens. Ein halbes Men- schenalter lang hat die anatomische Forschung dieser Darstellung keine neue Thatsache hinzuzufügen vermocht. Die seither erschienenen Arbeiten über den Bau des electrischen Organs, so weit mir bekannt nur drei an Zahl, beziehen sich einzig und allein auf Torpedo. Von diesen beschäftigt sich die Mittheilung Babuchin’s?) allein mit der Histiogenese der electrischen Organe, ohne über die Structur derselben speciell über die feinere Anatomie der electrischen Platten etwas Neues beizubringen. 1) Zur Kenntniss der electrischen Organe der Fische. Erste Abtheilung Malapterurus, Gymnotus. Abhandlg. der Naturforschenden Gesellsch. in Halle. Bd. IV, 1858. Zweite Abthlg. Torpedo. Ebend. Bd. V, 1859. 2) Entwickelung der electrischen Organe und Bedeutung der motorischen Endplatten. Centralblatt f. d. med. Wissenschaft. 1870, S. 241. 257. 102 Dr. Franz Boll: Die Mittheilung Ciaccio’s!), welche sich ebenso wie die von Babuchin als eine vorläufige ankündigt, hat speciell die Nerven- endigungen im electrischen Organ zu ihrem Gegenstande. Auch Ciac- cio lässt, wie Max Schultze, die Nerven in dem von Koelliker?) entdeckten, die Bauchfläche der electrischen Platte überziehenden feinsten Terminalnetz markloser Nervenfasern, welches. ihm durch Goldchlorid zu färben gelang, endigen. Im Ganzen bietet seine Dar- stellung nur unerhebliche Abweichungen von der Max Schultze’s. Auch der neueste Untersucher der electrischen Organe, de Sanctis°®), der sich wie Babuchin gleichfalls viel eingehender als mit der Structur mit der Entwickelungsgeschichte der electrischen Organe beschäftigt, bleibt in der Frage von der feineren Structur der electrischen Platten bei dem Terminalnetze Koelliker’s stehen. Einige Zusätze, welche er zu der Lehre von der Nervenendigung, wie dieselbe durch Max Schultze festgestellt ist, zu machen sich sedrungen fühlt, beruhen auf offenbarem Irrthum, wie schon ein Blick auf die von de Sanctis selbst gegebenen phantasiereichen Abbildungen lehrt. Es sollen blasse Nervenfasern mit den Nerven der electrischen Platten in Verbindung, stehen und so eine Art keulen- öder knopflörmiger Endigung darstellen, die Kerne nicht nur der- selben, sondern auch benachbarter Platten sollen durch blasse Nerven- fasern netzartig mit einander verbunden sein u. Ss. w. Es ist mir im Frühlinge d. J. während eines Aufenthaltes in Viareggio gelungen, die Erkenntniss der feineren Structur der electri- schen Platten über das von Koelliker entdeckte und von Max 1) Intorno al finale distribuimento di nervi nell’ organo elettrico della Torpedine (Torpedo narke Rosso). S. Richiardi e G. Canestrini Archivio per la Zoologia, l’Anatomia e la Fisiologia, Serie II, Vol: I, Faseicolo I, 8. 1, 1870. Vergl. über diese den deutschen Fachgenossen schwer zugängliche Arbeit mein Referat im Centralblatt f. d. med. Wissenschaft 1873. 2) Untersuchungen zur vergleichenden Gewebelehre. Verhandig. der physiol. med. Gesellschaft zu Würzburg 1856. 3) Embriogenia degli organi elettrici delle torpedini e degli organi pseudo-elettrici delle Raje. Atti della R. Academia delle Scienze Fisiche e Matematiche di Napoli V. 1872, Vergl. mein Referat im Centralblatt f. d, med. Wissenschaft. 1873. Die Structur der electrischen Platten von Torpedo. 103 Sehultze genauer untersuchte Terminalnetz hinaus noch einen Sehritt weiter zu führen und ein Structurverhältniss aufzufinden» welches noch feiner ist und, um gesehen zu werden, noch vervoll- kommneterer optischer Hülfsmittel bedarf, wie das Terminalnetz Koelliker’s, welches zu der Zeit seiner Entdeckung, 1856, als an der Grenze des Sichtbaren und des Leistungsvermögens der Mi- kroskopie betrachtet werden durfte. ‚Jetzt wird das Terminalnetz bereits durch Linsen, wie Hartnack’s VII (allerdings nur in be- sonders günstigen Fällen) erkannt und bei Hartnack's Nr. VII bereits deutlich als Netz aufgelöst; bei der Linse Nr. IX (älterer Construction) wird man stets auf eine völlig befriedigende Darstel- lung des Terminalnetzes mit Sicherheit rechnen können. Aber diese Linsensysteme sind noch ungenügend, die feine Structur wahrzuneh- men, um die es sich hier handelt. Man wird zum Studium dieser Verhältnisse die Hartnack’schen Immersionslinsen nicht entbehren können. Die Systeme IX ä& immersion und X & immersion lassen die fragliche Structur bereits deutlich erkennen. Immerhin ist es nicht ganz leicht, selbst bei diesen Vergrösserungen die erste Er- kenntniss der Structur zu gewinnen. Ich selber hatte schon meh- rere Tage lang die electrischen Platten mit der Immersionslinse IX untersucht, ohne auf diese feine Structur, die sich mit ausserordent- licher Regelmässigkeit über die ganze Fläche der Platte erstreckt, aufmerksam zu werden, bis sich mir die Wahrnehmung derselben ganz plötzlich einmal aufdrängte. Auch habe ich später noch die Erfahrung gemacht, wie schwer es ist, anderen, denen ich meine Präparate demonstrirte, diese Structur zur Anschauung zu bringen, und dass es gewöhnlich längere Zeit dauert und einer längeren Uebung und Anstrengung bedarf, dieser Structur überhaupt optisch habhaft zu werden. Doch ist es auch in diesem Falle nur der erste Schritt, welcher schwer fällt. Hat man überhaupt die Struetur, um die es sich hier handelt, zum ersten Male erfasst, so gelingt es dann leicht, sie stets und unter allen, auch ungünstigeren Verhältnissen, schlech- terer Beleuchtung, ungenügenderer Conservirung u. Ss. w., zu sehen und zu studiren. Ja, man wird finden, dass die Immersionslinse IX zum Studium der fraglichen Verhältnisse eigentlich vollständig aus- reicht und dass durch stärkere Linsen, z.B. X, kaum erheblich bes- sere Bilder, geschweige denn tiefere Einsichten in das fragliche Structurverhältniss gewonnen werden. Es gelingt mitunter sogar unter besonders günstigen Verhältnissen bereits mit der trocknen 104 Dr. Franz Boll: Linse IX von Hartnack diese Structurverhältnisse zu erkennen, jedoch nur dann, wenn man vorher durch Immersionslinsen das Bild genau kennen gelernt hat und weiss, was man zu suchen hat. Doch halte ich es für unmöglich, Jemand, der bisher die Structur mit Immersionslinsen nicht gesehen hat, durch diese Linse allein eine Anschauung davon zu verschaffen. . So viel von den optischen Bedingungen, unter denen es allein möglich ist, diese Structur zu erkennen. Es erübrigt noch, von der Methode der Untersuchung und der Herstellung der Präparate zu reden. | Ich kenne nur zwei Methoden, unter denen diese Structur in wirklich befriedigender Weise wahrgenommen werden kann: Die Untersuchung im frischen Zustande und die Behandlung mit Ueber- osmiumsäure. Die Untersuchung im frischen Zustande geschieht am Besten nach der von Max Schultze angegebenen Präparations- methode in einem Tropfen Liquor cerebrospinalis. Die Ueberosmium- säure habe ich stets nur in einprocentiger Lösung angewandt, indem ich etwa erbsengrosse Stücke des absolut frischen Organs längere oder kürzere Zeit in grösseren oder kleineren Mengen der Flüssig- keit verweilen liess. Nachdem die Stückchen intensiv schwarz ge- färbt waren, nahm ich sie aus der Osmiumsäure und that sie ent- weder sogleich oder nach einem ein- bis mehrtägigen Aufenthalt in destillirtem Wasser in die von Max Schultze empfohlene concen- trirte wässerige Lösung des essigsauren Kali, in welcher die Stücke unbeschränkte Zeit verweilen können, ohne irgendwelche Veränderun- gen zu erleiden. An allen den so behandelten Präparaten ist die von mir entdeckte Structur ausnahmslos gut erhalten, — an eini- gen allerdings schärfer und klarer, an anderen weniger gut und deutlich. Im Allgemeinen sind jedoch diese Unterschiede sehr ge- ring. Dennoch sind die so erhaltenen Osmiumpräparate von sehr verschiedener Güte, wenn auch aus einem anderen Grunde und nach einer anderen Hinsicht, wie nach der Demonstration der Structur der electrischen Platte. Es gibt nämlich Osmiumpräparate, an denen das Koelliker’sche Terminalnetz schlecht oder so gut wie gar nicht zu sehen ist und solche, an denen dasselbe in vollkommener Deutlichkeit conservirt ist. An beiden Arten von Präparaten ist die unten zu beschreibende Structur der electrischen Platten in vollkommener identischer Deutlichkeit erhalten. Die wichtigen und interessanten Beziehungen der Structur zu dem Die Structur der eleetrischen Platten von Torpedo. 105 Terminalnetz, die derselben erst ihre wahre Bedeutung verleihen, kön- nen natürlich nur an denjenigen Osmiumpräparaten mit Erfolg studirt werden, an denen auch das Terminalnetz deutlich zu sehen ist. Das richtige Verständniss des Zusammenhanges beider Bildungen, des Koelliker’schen Netzes und meiner Structur, die sich gegenseitig auf das Intimste bedingen, wird eben nur an solchen Präparaten möglich sein, in denen beide Bildungen in gleicher Deutlichkeit zu sehen sind. Ich habe vergebens die Bedingungen zu ermitteln getrachtet, unter denen man mit Sicherheit neben der vollkommenen Darstellung meiner Structur, auf die man, wie gesagt, bei Osmiumpräparaten fast stets rechnen kann, eine ebenso vollkommene Darstellung des Terminalnetzes erhalten würde. Thatsache ist, dass unter 15 ver- schiedenen Stückchen electrischer Organe, die ich von Viareggio in einem Fläschchen essigsauren Kali mit nach Berlin gebracht habe, und die alle mit einprocentiger Osmiumsäure, sonst aber in Bezug auf Zeit der Einwirkung, Flüssigkeitsmenge, längeren oder kürzeren, resp. gar keinen Aufenthalt im destillirten Wasser alle verschieden behandelt waren, etwa die Hälfte nur meine Structur und von dem Terminalnetz nur ungenügende Spuren, die andere Hälfte neben mei- ner Structur auch mehr oder minder befriedigend das Terminalnetz zeigt. Auch in Viareggio selber wollte es mir nicht gelingen, eine bestimmte Behandlungsmethode zu finden, welche eine Darstellung des Terminalnetzes in vollkommener Weise garantirt hätte. Im Allgemeinen erhielt ich bessere Resultate, wenn ich die geschwärz- ten Stückchen nur ganz kurze Zeit oder auch gar nicht in destillir- tem Wasser auswusch, sondern dieselben alsbald in die Lösung des essigsauren Kali brachte. Alle anderen Methoden, die ich sonst versucht habe, (Macera- tion in den bekannten Max Schultze’schen dünnen Chromsäure- lösungen, Glycerin, Alkohol, Pikrokarmin) erwiesen sich als absolut ungenügend, meine Structur wie das Koellikersche Terminalnetz zu conserviren. Die besten Resultate ergab mir noch die Müller’sche Flüssigkeit. Stücke electrischer Organe, die ich in Müller’scher Flüssigkeit von Viareggio nach Berlin gebracht hatte, lassen noch jetzt (nach zwei Monaten) die Punktirung der electrischen Platten ziemlich deutlich erkennen, wenn auch das Bild mit den Osmium- präparaten freilich nicht verglichen werden darf. Von dem Terminalnetz 106 Dr. Franz Boll: ist an diesen Präparaten keine Spur zu sehen. Das von Ciaceio zu der Darstellung des letzteren mit solchem Erfolge angewandte Goldchlorid habe ich leider nicht versuchen können. Bei der Darstellung meiner Untersuchungen über die Struetur der electrischen Platten und die Nervenendigung in derselben kann ich in vielen Punkten um so kürzer sein, als eine Reihe der wesent- lichsten anatomischen Thatsachen, die bis dahin noch streitig waren, durch die Monographie Max Schultze’s in derartiger Weise hors de discussion gesetzt sind, dass es genügt, einfach auf diese Darstel- lung zurückzuverweisen. Nur zur Orientirung und zur Begränzung der Frage, um die es sich hier handelt, werde ich die Figg. 1 u. 2 erläutern, von denen ich nur hervorheben will, dass sie bis auf das kleinste Detail mit grösstmöglichster Treue je einem einzigen Prä- parate nachgebildet und nicht als das Resultat schematisirender Zu- sammensetzung anzusehen sind. Fig. 1 ist bei einer Vergrösserung von IV, 3 Hartnack ge- zeichnet worden und stellt das Verästelungsgebiet einer einzigen markhaltigen Nervenprimitivfaser dar, die ich — da in der Literatur über die electrischen Organe eine passende Bezeichnung für diese Fasern bisher nicht vorliegt, — als Nervenfasern erster Ordnung bezeichnen will. Diese Nervenfasern erster Ordnung gehen am Rande der electrischen Platten, wie sie zuerst Rud. Wagner beschrieben und abgebildet hat, aus breiten, einfachen, mit sehr dicker Schwann- scher Scheide versehenen Nervenfasern (die ich Stammfasern nennen will) hervor, die auf einmal in 10—20 und noch mehr Aeste aus- strahlen. Diese Aeste (die Nervenfasern erster Ordnung) verlaufen alle sehr vielfach sich dichotomisch theilend von ihrer Ursprungs- stelle am Rande der electrischen Platten aus über die ventrale Fläche der Platten hinweg, bis endlich ihre letzten, gestreckt verlaufenden Endäste in der in Fig. 1 gezeichneten Weise in eine Mehrzahl (hier fünf) kurze Fasern übergehen, die ich als die Nervenfasern zweiter Ordnung bezeichnen will. Diese Nervenfasern zweiter Ordnung bil- den nach nur sehr kurzem Verlauf eine sehr charakteristische Ver- ästelung, die grosse Aehnlichkeit mit der Verzweigung eines Hirsch- geweihes hat. Bei einer stärkeren Vergrösserung (Hartnack’sIX sec., 2) ist in Fig. 2 das totale Verästelungsgebiet einer solchen Nervenfaser zweiter Ordnung wiedergegeben. Die Struetur der electrischen Platten von Torpedo. 107 Auf beiden Abbildungen sieht man eine Anzahl von Kernen ın unregelmässiger Weise über die Fläche der Platte, die stets als von der Bauchfläche her betrachtet zu denken ist'!), zerstreut. Schon an der bei schwacher Vergrösserung gezeichneten Fig. 1 unterschei- det man deutlich zwei Arten derselben, ovale Kerne, die sich dem Verlauf der Nervenverästelung anschliessen, und runde, sehr selten ellipsoidische Kerne, die abseits von den Nervenfasern frei in der Fläche des Gesichtsfeldes liegen. Eine sorgfältige Einstellung ergibt, dass die ersteren in der That auch in der Fläche der Nervenver- ästelung, d. h. wirklich über der Bauchfläche der Platte liegen, während die letzteren stets tiefer und ausnahmslos in der Substanz der Platten selbst eingebettet sind. Mit stärkeren Vergrösserungen untersuchend erkennt man, dass die ovalen dem Verlauf der Nervenverästelung sich anschmiegenden Kerne, wie M. Schultze bereits ausführlich beschrieben und abge- bildet hat, zweierlei Formenkreisen angehören. An den Nervenfasern erster Ordnung sind es einfache Kerne, die in der Substanz der weiten, die Nervenfaser wie ein schlotteriger Sack umgebenden Schwann- schen Scheide gelegen sind und zwar dicht hintereinander, so dass sie mitunter eine fast continuirliche Reihe bilden. An den beiden Nervenfasern zweiter Ordnung, welche einer Schwann’schen Scheide entbehren, sind es wirkliche Bindegewebszellen, den Sternzellen des die Zwischenräume zwischen den electrischen Platten ausfüllenden Gallertgewebes gleichend, die in der in Fig. 2 dargestellten Weise mit ihren ovalen Kernen und dem nur sehr wenig entwickelten spin- delförmigen Zellenleibe der Längsaxe der Nervenfasern parallel an- liegen und auch oft ihre langen faserartigen Ausläufer dem Verlauf der Nervenverästelung anschmiegen. In Bezug auf die runden frei in der Fläche des Gesichtsfeldes liegenden Kerne muss ich mit Max Schultze gegen Koelliker betonen, dass dieselben ausnahmslos in der Substanz der Platten selber liegen und niemals auf der freien Oberfläche derselben vor- 1) Hieraus ergiebt sich, dass die im Laufe dieser Darstellung häufig wiederkehrenden Bezeichnungen „‚oben‘‘ und „unten“ nicht so aufzufassen sind, als ob ich mir die Torpedo auf dem Rücken schwimmend vorstellte. Vielmehr beziehen sich diese Bezeichnungen nur auf die einzelne electrische Platte, die am besten und bequemsten von der Seite der Nervenausbreitung, d. h. von der Bauchfläche her im mikroskopischen Bilde betrachtet wird. 108 Dr. Franz Boll: kommen. Dieselben sind stets deutlich doppelteontourirt und gleichen vollkommen den (gleichfalls doppelteontourirten) Kernen, die in der grauen molecularen Masse der Hirnrinde (Neuroglia Virchow’s) eingebettet liegen. Nicht selten (besonders deutlich an conservirten Präparaten) sieht man sie von einem hellen, scharfbegränzten rund- lichen Raum umgeben, dem Ausdruck eines schwächeren Lichtbre- chungsvermögens der benachbarten Zone der Grundsubstanz, welches von Max Schultze dahin gedeutet wird, dass die Kerne in wirk- lichen präformirten Zellenhöhlen liegen. Die Mehrzahl der Kerne zeigt im frischen Zustande und an Ösmiumpräparaten keine derartige Zone, sondern liegt einfach in der granulirten Grundsubstanz ein- gebettet. Während bei Vergrösserungen, wie die der Fig. 1, die Flächen- ansicht der electrischen Platte absolut homogen erscheint und keine weitere Structur zeigt, erscheint zuerst bei Objectiven, wie Hart- nack’s Nr. VII, deutlicher natürlich noch bei Nr. IX sec. (bei welcher Vergrösserung Fig. 2 gezeichnet wurde) an frischen und gut gelun- genen Osmiumpräparaten eine über die ganze Fläche der electrischen Platte sich ausdehnende Structur, welche mit Vergrösserungen, wie etwa Hartnack’s VII, betrachtet als eine zarte Chagrinirung der electrischen Platte erscheint und von ihrem Entdecker Koelliker als ein zartes Netz markloser Nervenfasern erkannt und als letzte terminale Ausbreitung der Nerven des electrischen Organs gedeutet wurde. M.Schultze, welcher im Verlauf seiner Untersuchungen über die electrischen Organe der Fische dieses Nervennetz einer genaueren Untersuchung (in Triest) unterwarf, unternahm es, eine Abbildung des Netzwerkes und des Zusammenhanges desselben mit einer stär- keren Nervenfaser zu entwerfen, die »bei Anwendung guter 400— 500facher Vergrösserung (Belthle, Schiek)« entworfen und etwa dreimal so gross wie das optische Bild gezeichnet wurde, mithin also eine Vorstellung erwecken soll, wie das Netz etwa bei 1500maliger Vergrösserung erscheinen würde. Ich kann mit Hülfe der jetzigen besten Systeme und unter Anwendung der Ueberosmiumsäure, welche M. Schultze bei seinen damaligen Untersuchungen noch nicht be- nutzen konnte und welche auch hier wunderbar klare Bilder liefert, die Uebereinstimmung der M. Schultze’schen Zeichnung mit der Natur constatiren, so dass M. Schultze’s Vertrauen, »dass dereinst die Richtigkeit der Zeichnung bestätigt werde«, ein durchaus gerecht- Die Structur der electrischen Platten von Torpedo. 109 fertigtes gewesen ist. Besonders gilt dies von der Darstellung des Ueberganges der Nervenfaser in das Terminalnetz, der in Koelli- ker’s Zeichnung nur in sehr ungenügender Weise wiedergegeben war und welchen besser zu sehen, als ihn M.Schultze bereits vor 15 Jahren gesehen hat, mir auch mit unseren jetzigen so vervoll- kommneten optischen Instrumenten nicht möglich gewesen ist. Nur das eine möchte ich in Bezug auf die Abbildung M. Schultze’s hervorheben, dass die Maschenräume niemals so quadratisch erschei- nen, wie M. Schultze sie gezeichnet, sondern durchweg verzogene und unregelmässige Rhomben mit spitzen und stumpfen Winkeln dar- stellen; auch sind die Balken des Netzes dicker und die Maschen- räume im Verhältniss kleiner, als M. Schultze sie gezeichnet hat. Die Balken sind ganz allgemein ebenso breit, wie der schmale Durch- messer der rhombischen Maschen, so dass die ganze Bildung eine hohe Aehnlichkeit mit gewissen Formen der sogenannten gefenster- ten Häute der Arterienwandungen zeigt, Netzen, in denen Substanz und Lücken ungefähr den gleichen Raum einnehmen. Diese beiden an der Idealabbildung M. Schultze’s zu rügen- den Fehler sind in der älteren und bei schwächerer (350facher) Ver- grösserung gezeichneten Abbildung Koelliker’s vermieden. Hier ist die Flächenansicht der electrischen Platte in der That genau so chagrinirt dargestellt, wie sie bei einer Vergrösserung, wie etwa Hartnack’s VII und etwas darunter, erscheint, nicht regelmässig quadratisch gefeldert, sondern unregelmässig gefleckt. Auch ist die Chagrinirung insofern naturgetreu gehalten, als die hellen Maschen- räume und die dunklen, dieselben umgränzenden Netzbalken auch die gleiche Breite zu besitzen scheinen. Gänzlich ungenügend ist die von de Sanctis gegebene bild- liche Darstellung des Terminalnetzes. Auch leidet die von demselben Forscher gegebene Beschreibung dieses Netzes an einem eigenthüm- lichen Widerspruch: er rügt einerseits an der M. Schultze’schen Zeichnung, dass die Maschen quadratisch gezeichnet sind, während sie doch rhombisch sein müssten, — was richtig ist; als einen zweiten Fehler der M. Schultze’schen Abbildung bezeichnet er, dass die Balken im Verhältnisse zu den Maschenräumen viel zu dick erschei- nen, während dieselben viel feiner dargestellt werden müssten, — was absolut falsch ist. . Nur mit Zagen wende ich mich nach diesen kritischen Erörterun- gen zu der Erläuterung meiner eigenen Abbildungen zurück, in denen 110 Dr. Franz Boll: ich eine naturgetreue Vorstellung von der hier vorliegenden Structur zu geben versucht habe. Niemals ist mir die alte Wahrheit, dass Kritisiren leichter sei als Bessermachen, so schwer auf das Herz ge- fallen, wie bei der Anfertigung der vorliegenden Zeichnungen (Figg. 2. 3. 4. 5. 7). Erst nach vielfachen vergeblichen Versuchen, zahl- losen angefangenen und liegen gelassenen Zeichnungen sind endlich diese Bilder zu Stande gekommen, von denen ich selbst vielleicht am besten beurtheilen kann, wie wenig sie mit ihren steifen Strichen dem weichen Schwunge und den zarten Linien der Natur entsprechen und wie viel, um mit Lessing zu reden, auf dem langen Wege aus dem Auge durch den Arm in den zeichnenden Stift verloren gegangen ist. Zu Fig. 2 ist das Koelliker’sche Terminalnetz nur etwa auf | einem Fünftel der Fläche der electrischen Platte durchgeführt worden und zwar so, wie es bei einer Vergrösserung von Hartnack VII oder IX sec. erscheint. Es ist diese Abbildung bestimmt, einen Ein- druck zu geben, von der vollständigen Continuität, mit welcher das Nervennetz die Bauchfläche der eleetrischen Platte überzieht und zu zeigen, wie dasselbe auch unmittelbar unter den hirschgeweih- ähnlichen Verästelungen, aus denen es sich entwickelt, noch vor- handen ist, — ein Umstand, auf welchen schon M. Schultze gegenüber Koelliker aufmerksam gemacht hat. Fig. 3 stellt bei stärkerer Vergrösserung den Uebergang einer feinen Nervenfaser in das Terminalnetz und einen grösseren Bezirk des letzteren dar. Obwohl in der Form der Maschen wie in den rela- tiven Dimensionen der Maschenräume und der Balken auf das Ge- naueste den wirklichen Verhältnissen entsprechend, vermag das Bild von der Zartheit und Eleganz der hier vorliegenden Structur doch nur eine kümmerliche Vorstellung zu erwecken. So viel von dem Koelliker’schen Terminalnetz, welches bis in die neueste Zeit als die letzte Endigung der Nerven im eleetrischen Organ, sei es definitiv (Koelliker), sei es als Vorbereitung des Ueberganges in die granulirte Substanz der electrischen Platte selber (M. Sehultze) angesehen wurde. Das von mir entdeckte Structur- verhältniss der electrischen Platte liegt unmittelbar unter diesem Ter- minalnetz, d.h. betrachtet man (natürlich mit Immersionslinsen) eine electrische Platte von der Bauchfläche und hat allmählig von oben her durch die gröberen Verästelungen der Nerven hindurch das Terminalnetz in den Focus gestellt, so genügt eine minimale Drehung Die Structur der electrischen Platten von Torpedo. 111 der Mikrometerschraube, das Terminalnetz verschwinden zu machen und an die Stelle desselben die von mir entdeckte Structur treten zu lassen. Es besteht diese Structur in einer vollkommen regel- mässigen und gleichartigen Punktirung; die ganze Fläche der elec- trischen Platte erscheint in fast gleichen Abständen von feinen run- den Punkten durchsetzt, die im frischen Präparat glänzend, im Os- miumpräparat dunkelgefärbt erscheinen. Man kann diese vollkommen regelmässige Punktirung lange völlig übersehen und unbeachtet lassen. Hat man sie aber einmal gesehen, so wird man in jedem neuen Präparate auf’s Neue über die vollkommene Regelmässigkeit und Schönheit dieser Bildung, der ich aus dem ganzen Gebiet der Histio- logje kein Analogon an die Seite zu setzen weiss, erstaunen. Wie gesagt, ich hatte schon Tage lang die electrischen Platten mit Im- mersionslinsen untersucht, ohne auf diese Structur aufmerksam zu werden, die mir plötzlich wie eine Offenbarung in das Auge fiel. Seitdem habe ich das herrliche Bild in keinem frischen und in keinem Ösmiumpräparat vermisst. Mit irgend welcher anderen Granulirung der thierischen Gewebe z. B. mit der Granulirung des Protoplasma und dem granulirten Aussehen der molecularen Masse der Hirnrinde ist die vorliegende Structur in keiner Weise zu verwechseln. Dies zeigt sich am klarsten, wenn man durch eine weitere Drehung der Schraube in derselben Richtung wie vorber nun auch das Bild dieser Structur zum Verschwinden bringt und dafür das Bild tieferer (dem Rücken näherer) Schichten der electrischen Platte einstellt, in denen diese Structur nicht mehr vorhanden ist und, welche granulirt im gewönlichen Sinne, d. h. von eben noch messbaren bis zu un- messbaren Körnchen durchsetzt erscheinen. Im Gegensatz zu diesem Bilde erscheint die unmittelbar unter dem Terminalnetz gelegene Schicht der electrischen Platte als eine an und für sich ganz homogene, klare und structurlose helle Grundsubstanz, in welcher in ungefähr gleichmässigen Abständen die ganz identischen glänzenden Punkte eingebettet liegen, so dass mitunter die Flächenansicht einer homo- genen von feinen Poren durchsetzten structurlosen Membran vorge- täuscht wird. Die Anordnung der dunkeln Punkte, die im Allgemeinen durch gleichmässige Zwischenräume getrennt sind, scheint auf den ersten Blick eines bestimmten Prineips zu entbehren, und es vergingen einige Tage, ehe ich das in dieser scheinbar ganz gleichmässigen Vertheilung der Punkte waltende Gesetz auffinden konnte, Der 112 Dr. Franz Boll: Grund hiervon lag darin, dass ich die erste Bekanntschaft dieses Netzes an solchen Osmiumpräparaten machte, an denen das Koel- liker’sche Terminalnetz nur unvollkommen und schlecht zu sehen war. Als ich mich aber dem Studium frischer und der Untersuchung besser conservirter Osmiumpräparate, an denen das Terminalnetz erhalten war, zuwandte, wurde ich alsbald auf eine höchst interes- sante Beziehung meiner Punkte zu dem Terminalnetz aufmerksam. Um es kurz zu sagen: die Anordnung der Punkte reproducirt getreu die Configuration des über der punktirten Schicht gelegenen Termi- nalnetzes, so dass die Punkte den Balken des Netzes folgen und den Verlauf derselben nachahmen. Und zwar geschieht dies in der Weise, dass den einzelnen Netzbalken in der punktirten Schicht nicht eine einzelne Reihe oder Zeile von Punkten, sondern mehrere, meist 2 oder gar 3, unregelmässig gestellte Reihen von Punkten entsprechen. Die beiden Figg. 4 und 5 mögen besser wie jede Beschreibung das einschlagende Verhältniss erläutern. In Fig. 4 ist ein Stück des Koelliker’schen Terminalnetzes dargestellt, in Fig. 5 die unter diesem Terminalnetz gelegene und die Configuration desselben getreu reproducirende Anordnung der Punkte in der punktirten Schicht. Ganz ausnahmslos schliesst sich wie in diesem gezeichneten Präpa- rat so in allen electrischen Platten die Anordnung der in unregel- mässigen Doppelreihen angeordneten Punkte dem Koelliker’schen Terminalnetz an, so dass an den Präparaten, wo das letztere erhalten ist, die Punktreihen genau die Netzform wiederholen. Hat man an diesen Präparaten diese Uebereinstimmung erst sehen gelernt und sich durch wiederholte Beobachtungen, Drehen und Zurückdrehen der Mikrometerschraube, erst überzeugt, dass das Terminalnetz und die Pünktchenreihen *) sich deckende Bildungen darstellen, so gelingt es dann auch, an solchen Osmiumpräparaten, an denen das Terminal- netz nur undeutlich oder gar nicht zu sehen ist, sich die gleiche Ueberzeugung von der netzartigen Anordnung der zuerst scheinbar gleichmässig durch die homogene, klare Schicht verstreuten dunkeln Körnchen zu verschaffen. Auf Grund dieser Bilder gelangte ich gleich beim Beginn meiner 1) Zwischen den beiden Bildern, dem des Koelliker’schen Terminalnetzes und dem der Pünktchenreihe erscheint beim Drehen der Mikrometerschraube stets noch ein drittes Uebergangsbild, in welchem beide Structuren sichtbar sind, aber weil sie beide in einander verschwimmen, nur undeutlich erscheinen. Die Structur der electrischen Platten von Torpedo. 113 Untersuchungen zu folgender Vorstellung über den Zusammenhang beider Bildungen, des Terminalnetzes und der von mir entdeckten Pünktchenreihen. Die einzelnen Balken des flächenhaft die Bauch- seite der electrischen Platte überziehenden Terminalnetzes tragen an ihrer unteren (d. h. dem Rücken des Thieres zugekehrten Seite) ein System zarter stiftförmiger Fäserchen, welche senkrecht in die Substanz der electrischen Platte eindringen und somit alle frei auf- hören. Ich deutete mithin die Pünktchen als Querschnitte feinster Fäserchen. War diese Voraussetzung richtig, so müssen dieselben durch die Querschnittsbilder bestätigt werden. Es müsste auf dem Querschnitt der der Bauchfläche (dem Terminalnetz) zunächst gelegene Theil der Platte eine feine Längsstreifung senkrecht auf die Ebene der Platte zeigen. In der That schien es, als ob die Thatsachen diese meine Voraussetzungen bestätigen wollten. Das Querschnittsbild der electri- schen Platte (Fig. 6), welches viel besser wie an künstlichen Durch- schnitten an gefalteten Rändern der einzelnen isolirten Platten unter- sucht wird, erscheint constant in seinem oberen der Bauchfläche zugekehrten Abschnitt von feinen Längslinien durchzogen, ähnlich dem gestreiften Cuticularsaum der Dünndarmepithelien oder jener feinsten Streifung, die ich an den Cuticularsäumen vieler Cylinder- epithelien der Mollusken beschrieben und abgebildet habe !). Schon Remak?) scheint diese Streifung des der Bauchfläche zugekehrten Abschnittes der electrischen Platte gesehen zu haben- Wenigstens schreibt er den Falten der electrischen Platten den An- schein zu, »als wenn feine Cylinderchen die Dicke des Blättchens bis zur glashellen Membran (welche Remak als die Grundlage der Nervenausbreitung betrachtet) durchsetzen« und spricht von einer »pallisadenähnlichen Stellung feiner Stäbchen nach der Dicke des Blättchens«, bei »deren Wahrnehmung ihn seine Mikroskope bei- nahe schon im Stiche lassen«. Bedenklich ist mir bei diesen Angaben Remak’s nur der Umstand, dass er diesen gestreiften Saum auch an conservirten Präparaten findet, wo es mir niemals — mit Aus- nahme natürlich der Osmiumpräparate — ihn zu sehen gelungen 1) Beiträge zur vergleichenden Histiologie des Molluskentypus. Bonn 1869. 8. 42, Fige. 30. 31. 34. 35. 2) Ueber die Enden der Nerven im electrischen Organ des Zitterrochen. Müller’s Archiv 1856, S. 470. M. Schultze, Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd. 10, 8 114 Dr. Franz Boll: ist. Auch wäre vielleicht die Frage aufzuwerfen, ob die damaligen Mikroskope überhaupt die Wahrnehmung einer so feinen Structur gestatteten !). Wenigstens konnten weder Koelliker noch Max Schultze, weicher an erhärteten Präparaten früher etwas derart zu erkennen geglaubt hatte?), an frischen Präparaten das von Re- mak beschriebene Streifensystem wiederfinden. Auch Ciaceio und de Sanctis erwähnen dasselbe mit keiner Silbe. Die von mir gegebene Abbildung des Querschnittes der eleetri- schen Platte, so wie derselbe in allen frischen und mit Osmiumsäure ° behandelten Präparaten ausnahmslos sich darstellt, lehrt zunächst, dass das Terminalnetz einfach und ganz glatt an die Bauchtlläche der elecetrischen Platte angepasst ist, und dass demselben eine irgend- wie erheblichere Tiefenausdehnung in keiner Weise zukommt, was der etwas unregelmässige sehr schmale doppeltcontourirte Saum, der den einzigen optischen Ausdruck des querdurchschnittenen Terminal- netzes bildet, zur Evidenz beweist. Ferner wird durch meine Quer- schnittsbilder die Thatsache zur Gewissheit erhoben, dass die electri- sche Platte nicht homogen ist, sondern zwei deutlich geschiedene Schichten besitzt, von denen die obere (der Bauchfläche zugekehrte) in ihrer ganzen Ausdehnung feingestreift erscheint, während die un- tere (der Rückenfläche zugekehrte) keine Spur dieser Streifung zeigt. Diese beiden Schichten sind an Dicke sehr verschieden und zwar beträgt ganz constant die feinstreifige Schicht (nebst dem schmalen doppelten Contour, der den Ausdruck des querdurchschnittenen Ter- minalnetzes darstellt,) ein Sechstel der Dicke der ganzen electrischen Platte°). Die übrigen fünf Sechstel des Plattenquerschnitts zeigen 1) Gleichzeitig mit dieser Veröffentlichung Remak’s geschah die Ent- deckung und spielte die Controverse über die Streifung der Dünndarmepi- thelien als ein Structurverhältniss, welches damals die Gränze des optischen Vermögens der Mikroskope bezeichnete. Diese Streifung der Dünndarm- epithelien ist — verglichen mit der Streifung in den electrischen Platten ein verhältnissmässig grobes Object, welches jetzt von Mikroskopen , zweiten Ranges mit Leichtigkeit demonstrirt: werden kann, während die Demonstration der Streifung in den electrischen Platten selbst mit Hartnack’schen Immer- sionslinsen zu den schwierigen Aufgaben gehört. 2) Sitzungsber. der naturforsch. Gesellschaft zu Halle a. d. S. Novem- ber 1857. 3) Ich benutze diese Gelegenheit, hier einige mikrometrisch gewonnene Maassangaben aus der mikroskopischen Anatomie der electrischen Organe und Die Structur der electrischen Platten von Torpedo. 115 ausser einer ausserordentlich feinen Granulirung keine weitere Structur. In dieser untern (der Rückenfläche zugekehrten) granulirten Schicht sind die grossen doppeltcontourirten Kerne eingebettet, welche in unregelmässiger Vertheilung die Substanz der electrischen Platte durchsetzen und deren bei der Beschreibung des Flächenbildes be- reits zur Genüge gedacht ist. Die Kerne besitzen ziemlich genau den gleichen Durchmesser wie die eleetrische Platte selbst und es müssen daher an denjenigen Stellen, wo die Kerne liegen, die be- 'grenzenden Contouren der electrischen Platte etwas mehr wie ge- wöhnlich auseinanderweichen, um die Kerne zwischen sich fassen zu können. So zeiet die electrische Platte an den kernhaltigen Stellen buckelartige Hervorragungen, und zwar muss ich es nach meinen Präparaten als Regel ansehen, dass, wie auch in Fig. 6 gezeichnet ist, ‘die untere, freie (Rücken-)Seite ganz glatt und eben verläuft und nur allein die Bauchfläche der Platte durch den Kern hervor- gewölbt wird. An solchen buckelartig hervorragenden Stellen setzt sich stets auf das Deutlichste die feine Streifung des oberen Sechstels fort und nimmt gewöhnlich den ganzen freien Raum zwischen dem oberen Gränzcontour der Platten und dem Contour des Kernes ein. Diese Ansicht von der Zusammensetzung der electrischen Platte aus zwei Schichten ist die ursprüngliche ältere Anschauung. Remak, zwar aus zahlreichen Messungen gewonnene Mittel anzuschliessen. Es be- tragen: 1) die Dicke der electrischen Platte — 0,0096 mm., 2) die Dicke des gestreiften Abschnittes ’/;, = 0,0016 mm., 3) die Dicke des ungestreiften Abschnittes ?/;, = 0,0080 mm., 4) die Breite der Fasern des T'erminalnetzes = 0,0014 mm., 5) die Distanz der Punkte — 0,00066 mm. Es beziehen sich diese Zahlenangaben auf nahezu ausgewachsene Exem- plare der Torpedo narke Arist. von durchschnittlich 35 em. Länge. Bei einem jüngern Individuum von etwa 10 cm. Länge fand ich die dritte der eleectri- schen Platten fast nur halb so gross (= 0,0054). Diese Dimensionsvermin- derung bezog sich allein auf den ungestreiften Abschnitt der Platte (= 0,0028), während der gestreifte Abschnitt die unverminderte Dicke von 0,0016 mm. zeigte, folglich etwas über ein Viertel der ganzen Plattendicke einnahm. Auch wollte es mir scheinen, als ob an diesem jungen Exemplar die Punktirung etwas gröber sei wie bei ausgewachsenen Individuen: wenigstens vermochte ich — was mir bisher an ausgewachsenen Exemplaren unmöglich gewesen war — die feine Streifung der gefärbten Ränder an diesen Präparaten bereits mit Hartnack’s IX sec. aufzulösen. 116 Dr. Franz Boll: welcher zuerst die rauhe und die glatte Seite der electrischen Plätt- chen unterschied, fasste die electrische Platte überhaupt als aus zwei Schichten bestehend auf, einer dem Rücken zugekehrten glashellen, kernhaltigen Membran und einer der Bauchseite entsprechenden kernlosen Nervenschicht, eine Ansicht, welche von Koelliker und auch von Ciaccio!) getheilt wird. Alle diese Autoren stützen sich auf die Thatsache, dass beide Schichten sich unter den verschiede- nen Behandlungsmethoden, Maceration in Chromsäure, Sublimat, Holzessig, Glycerin (Ciaccio) leicht von einander trennen und als isolirte Membranen darstellen lassen. Diese Thatsache kann auch ich bestätigen. An Osmiumpräparaten lösen sich mit grosser Leich- tigkeit die beiden Schichten der electrischen Platte auf grössere Strecken von einander los und können mit Leichtigkeit der mikroskopischen Untersuchung unterworfen werden. In Fig. 7 habe ich ein nach dieser Hinsicht besonders instructi- ves Präparat gezeichnet, wie es mir öfter im Verlauf meiner Unter- suchungen vorgekommen ist, ein durch Zerzupfen gewonnenes Stück einer electrischen Platte, an dem die Theilung und Abspaltung der beiden Schichten von einander eingetreten ist und zwar so, dass an der einen Seite der Figur nur das obere (der Bauchseite zugekehrte) Nervenblatt der Platte erhalten ist, während das untere fünfmal so dicke (der Rückenfläche zugekehrte) Blatt fehlt, während an der anderen Seite des Präparats nur die letztere Schicht erhalten ist, indem die erstere aus dem Terminalnetz und der punktirten Schicht ?) bestehende Lage sich abgeblättert hat. Besonders charakteristisch ist an diesem Osmiumpräparat die verschiedene Tincetion der Schichten durch das Reagens, welche ich in der Zeichnung wiederzugeben Sorge getragen habe. Das mittlere Stück des Präparates, welches beide Blätter der electrischen Platte enthält, ist das dunkelste. Das nächst- dunkle ist jedoch nicht das fünfmal dickere Stück des Präparates, welches allein die kernhaltige, der Rückenfläche zugekehrte granu- lirte Schicht, die »glashelle Membran« Remak’s enthält, sondern 1) Ciaccio begeht dabei freilich den Irrthum, die runden Kerne in die Substanz der Nervenschicht zu verlegen. 2) Ganz besonders muss ich betonen, dass bei diesem Zerfall der elec- trischen Platte in zwei Blätter ganz ausnahmslos die punktirte Schicht dem Koelliker’schen Terminalnetz folgt und niemals die Spaltung der electri- schen Platte etwa zwischen Terminalnetz und punktirter Schicht stattfindet, was gewiss auf einen sehr innigen Zusammenhang beider Bildungen hindeutet. Die Structur der electrischen Platten von Torpedo. 117 das kernlose Nervenblatt, dessen Dicke nur ein Sechstel der Platten- dicke beträgt. Es erhellt aus diesem ganz constant eintretenden Verhältniss, dass die Osmiumsäure zu den in dem Nervenblatte ent- haltenen histiologischen Elementartheilen eine viel stärkere Verwandt- schaft besitzt wie zu der Substanz des unteren fünfmal so dicken Blattes. Das Studium der beiden so isolirten Blätter ergiebt nur in Be- zug auf die Structur des der Rückenfläche zugekehrten Blattes we- sentlich neue Aufschlüsse, die sich nicht auch bereits aus der Unter- suchung der electrischen Platten an und für sich hätten entnehmen lassen. Zunächst stellt sich zweifellos die Thatsache heraus, dass die doppeltcontourirten Kerne stets in der Substanz der »homogenen glashellen Membran« Remak’s und niemals in der Nervenschicht gelegen sind, wie schon Koelliker richtig angibt. Ferner lässt sich an den so isolirten Membranen eine interessante Thatsache er- härten, die für die histiologische Würdigung dieser Membran eine gewisse Bedeutung beansprucht: In der fein granulirten Substanz des der Rückenfläche zugekehrten Blattes habe ich, wo dasselbe von dem Nervenblatt befreit zu Tage lag, bei sehr starken Vergrös- serungen in der Fläche desselben sparsame, sehr feine, blasse seschlängelte Fasern vor dem Aussehen gewöhnlicher Bindegewebs- fibrillen verlaufen sehen, ein Befund, der darauf hinweist, dass das Rückenblatt doch vielleicht nicht so ganz jeder differenzirten Structur entbehrt, wie man bisher angenommen hat. Das Bild des isolirten Nervenblattes unterscheidet sich von dem gewöhnlichen Flächenbild der electrischen Platte, welches oben ausführlich genug besprochen worden ist, durch Nichts als durch seine grössere Lichtstärke, da die von dem Spiegel des Mikroskops aufsteigenden Strahlen nicht erst die fein granulirte Schicht zu durch- setzen haben, sondern unmittelbar und ungebrochen auf die punk- tirte Schicht auftreffen. Doch lässt sich auch an diesen Präparaten über das Verhältniss, welches meiner Meinung nach von nun ab den Kern der Discussion über die Structur des electrischen Organs von Torpedo abgeben wird, das Verhältniss nämlich des Koelliker’schen Terminalnetzes zu meinen Pünktchenreihen nichts Bestimmteres er- mitteln. Ursprünglich war ich, wie oben angedeutet wurde, der Ansicht, dass die Punktirung des Flächenbildes der Ausdruck eines Systems zarter stiftförmiger Fäserchen sei, welche senkrecht in die Substanz der electrischen Platte eindringen und deren optische 118 Dr. Franz Boll: Querschnitte natürlich als Punkte erscheinen mussten. Ich hatte mir vorgestellt, dass von der (der Rückenfläche zugekehrten) Unterseite der einzelnen Balken des flächenhaft ausgebreiteten Terminalnetzes feinste kurze, gerade Nervenfasern (wie von den feinsten Ausläufern einer Wurzel die Wurzelhaare) senkrecht zu denselben gerichtet ausgingen, welche eine kurze Strecke in die Substanz der electrischen Platte eindringen und alle hier in gleichen Niveau frei aufhören sollten, vergleichbar etwa den Zähnen einer Egge oder den Nadeln einer Hechel. Abgesehen von physiologischen Gründen!) glaubte ich diese Ansicht begründen zu können einmal dadurch, dass in der Flächenansicht der electrischen Platte die beiden Bilder der in Reihen angeordneten Pünktchen. sowie der Balken des Koelliker’schen Terminalnetzes sich vollständig decken, derart, dass die Punkte nur dort auftreten, wo Nervenfasern existiren und dort fehlen, wo keine Nervenfasern vorhanden sind, was gewiss auf einen innigen Zusammenhang beider .Bildungen hinweist; zweitens durch das von mir ausführlich beschriebene Bild des Plattenquer- schnittes, welcher stets in seinem oberen (der Bauchfläche zuge- kehrten) Sechstel fein gestreift erscheint. Ich verdanke es der Kritik Max Schultze’s, welcher mich brieflich darauf aufmerksam machte, dass die Streifen der gefalteten Ränder ebenso gut wie durch wirk- lich vorhandene stiftförmige Fortsätze auch bloss durch den combi- nirten optischen Effect, durch die Zerstreuungsbilder einer Mehrzahl von in verschiedenen optischen Ebenen gelegenen Pünktchen hervor- gerufen werden könnten, dass ich die oben entwickelte Vorstellung von der Natur der von mir entdeckten Punktirung nicht mehr mit derjenigen Zuversicht wie früher ?) zu vertreten wage, sondern es jetzt unentschieden lassen muss, ob die an der unteren (dem Rücken zugekehrten) Fläche der Balken des Nervennetzes in so eigenthüm- licher Regelmässigkeit angeordneten Elemente Pünktchen (feinste 1) In diesem Falle, wo jede electrische Platte einen einzigen, der Rückenfläche zugekehrten natürlichen Nervenquerschnitt dargestellt hätte, schien die Möglichkeit gegeben, den Schlag des electrischen Organs allein durch die die Innervation begleitende negative Schwankung des Nervenstroms zu erklären. Wenigstens müsste bei dieser Anordnung im Momente der Innervation die Rückenfläche der electrischen Platte positiv, die Bauchfläche negativ electrisch werden, was in der That der Fall ist. 2) Beiträge zur Physiologie von Torpedo. Reichert’s und du Bois- Reymond’s Archiv 13873, S. 101. Die Structur der electrischen Platten von Torpedo. 119 Körnchen) oder ob sie feinste stiftförmige Fäserchen sind, ob sie eine reine Kugelform oder die Form eines kurzen, mit seiner Längs- axe senkrecht auf die Fläche der electrischen Platte gestellten Oy- linders besitzen. Auch über die Art und Weise, wie diese Elemente mit den Balken des Koelliker’schen Terminalnetzes in Verbindung stehen, wage ich keine Vermuthung und will auch die transscen- dentale Frage nicht weiter erörtern, ob diese Elemente »in« oder »an« dem Nervennetz, d.h. ob sie noch in der Substanz des Nerven- netzes selbst oder bereits ausserhalb derselben an der untern Fläche des Nervennetzes gelegen sind. Auf dem engen Raume von 0,0016 mm., um den es sich hier handelt und auf welchem durch eine einzige Drehung der Mikrometerschraube die Bilder des Terminalnetzes und der von mir entdeckten Pünktchenstructur in einander schwimmen, ist für eine motivirte Entscheidung dieser Frage in der That kein Raum. Vielleicht gelingt es dereinst, durch die Untersuchung jüngerer Exemplare von Torpedo !) unsere Erkenntniss dieser Verhältnisse noch etwas zu vertiefen und über die Bedeutung der in dem Nervenblatt der electrischen Platte vereinigten Structur des Terminalnetzes und der Pünktchenreihen etwas Positives aus- zumachen ?). Es bleibt noch übrig, die Frage zu erörtern, welche Bedeutung unter diesen Umstönden, wenn wir nicht mehr mit Max Schultze eine Homogenität der electrischen Platten, nicht mehr einen Ueber- gang der Nerven in die Gesammtsubstanz derselben, sondern eine differenzirte Nervenendigung in dem Nervenblatt der eleetrischen Platte annehmen, welche Bedeutung dann den feingranulirten unte- ren fünf Sechsteln der electrischen Platte, der glashellen kernhalti- gen Membran Remak’s zukommt. Bei dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse (da wir durch Max Schultze’s sorgfältige chemische Untersuchungen wissen, dass die Grundsubstanz derselben wesentlich aus Eiweisskörpern besteht), liegen offenbar nur zwei Möglichkeiten vor: Entweder diese Substanz ist eine kernhaltige Masse zusammen- geflossenen Protoplasma’s, oder es ist eine amorphe Eiweisssubstanz 1) Vgl. oben S. 115, Anmerkung. 2) Um den Fachgenossen die Möglichkeit eines auf eigene Anschauung basirten Urtheils in dieser schwierigen Frage zu verschaffen, bin ich gern erbötig, solchen, die sich desshalb brieflich an mich wenden wollen, von dem Vorrath meiner Präparate, soweit derselbe reicht, abzugeben. 120 Dr. Franz Boll: ähnlich derjenigen, welche in vielen Provinzen der nervösen Central- organe das Stützgewebe für die nervösen Elementartheile darstellt, Der oben erwähnte Befund feinster, den Bindegewebsfibrillen ähn- licher, in diese Substanz eingelagerter Fasern würde allerdings, wenn es sich bestätigte, dass diese Fasern wirklich dem Bindegewebe zu- gehören, zu Gunsten der letzteren Alternaltive sprechen. Dennoch ziehe ich es vor, diese schwierige Frage, die in der Histiologie in den verschiedensten Formen wiederkehrend stets auf das Neue ge- stellt wird !), zur Zeit noch nicht zu entscheiden, sondern erst den Ausspruch neuer, entwickelungsgeschichtlicher und vergleichend- anatomischer Untersuchungen abzuwarten. Die Entwickelungsgeschichte wird festzustellen haben, ob die beiden Blätter der electrischen Platte aus einer gemeinsamen Anlage oder aus verschiedenen Anlagen hervorgehen, speciell ob die Histio- genese des unteren Blattes mit der Entwickelung der Bindesubstan- zen übereinstimmt oder nicht. Der vergleichenden Anatomie liegt es ob, in den electrischen Organen von Malapterurus und Gymnotus mit unseren verbesserten optischen Hülfsmitteln nach einer ähnlichen Structur zu suchen, und wenn eine solche sich finden sollte, ihre Beziehungen einerseits zu den Nerven, andererseits zu der Substanz der electrischen Platten festzustellen ?). Berlin, 9. Juni 1873. 1) Vgl. meine Auseinandersetzungen hierüber dieses Archiv VII, S. 50. Die Histiologie und Histiogenese der nervösen Centralorgane. Berlin 1873, S. 8. S. 115, Anmerkung. 2) Nachträgliche Anmerkung. Während des Druckes dieser Zeilen untersuchte ich Stücke des electrischen Organs von einem der Berliner Exem- plare des Malapterurus electricus vac. Beninensis, welche unmittelbar nach dem Tode des Thieres in eine Chromsäurelösung von !/,,°, gethan worden und in dieser Lösung bis jetzt verblieben waren. Die Untersuchung ergab, dass eine gleiche Structur, eine gleiche Punktirung, wie ich sie an den elec- trischen Platten von Torpedo beschrieben habe, auch an den electrischen Platten des Malapterurus sich findet, und zwar liegt das merkwürdige Ver- hältniss vor, dass nicht wie bei Torpedo nur die eine Fläche der electrischen Platte diese Punktirung zeigt, sondern beide (Schwanz- und Kopf-) Flächen der electrischen Platten von Malapterurus erscheinen in identischer Weise punktirt. In kürzester Zeit soll die ausführliche und mit Abbildungen ver- sehene Veröffentlichung dieser Beobachtung erfolgen. Die Structur der electrischen Platten von Torpedo. 121 Erklärung der Abbildungen auf Tafel VIH. ; Die römischen Zahlen zeigen die Nummern der Hartnack’schen Ob- jecetive, die arabischen die der Oculare an. Fig. 1,IV,3. Stück einer electrischen Platte, von der Bauchfläche gesehen und den Verästelungsbezirk einer Nervenfaser erster Ordnung ent- haltend. Fig. 2, IX sec.,2. Stück einer eleetrischen Platte, von der Bauchfläche gesehen und den Verästelungsbezirk einer Nervenfaser zweiter Ordnung ent- haltend. Das Koelliker’sche Terminalnetz ist nur auf einem Fünf- tel der Figur ausgeführt worden. Fig. 3, X Immersion, 3. Ein kleines Stück einer electrischen Platte, von der Bauchfläche gesehen, um das Terminalnetz und den Uebergang einer feinsten Nervenfaser in dasselbe zu zeigen. Fig. 4, X Immersion, 3. Ein kleines Stück des Terminalnetzes. Fig. 5, X Immersion, 5. Dasselbe Stück der electrischen Platte bei etwas tie- ferer Einstellung. Fig. 6, X Immersion, 3. Ein (gefalteter) Querschnitt einer electrischen Platte. Die Bauchfläche ist die obere. Fig. 7, IX Immersion, 2. Ein Stück einer electrischen Platte, von der Bauch- fläche gesehen. Zerzupfungspräparat. In der Mitte sind beide Schichten der electrischen Platte, links nur die Nervenschicht, rechts nur die structurlose Grundlage allein erhalten. Wagneria cylindroconica — ein neues Infusionsthier. Vorläufige Mittheilung. Von Wladimir Alenitzin aus St. Petersburg. Hierzu ein Holzschnitt. Indem ich den Schlamm vom Boden der Newa im October und November 1871 untersuchte, habe ich eine neue Form der Infuso- rien gefunden. Dieses Thier ist wegen der Eigenthümlichkeiten im Bau sehr interessant, da es nämlich einen Uebergang zwischen den zwei scharf sich unterscheidenden Gruppen Vorticellina und Trache- lina macht '!). Die Körperform ist eylindrisch, länger als breit, vorn abgestutzt und unten abgerundet. Das vordere Ende ist concav, und in der Mitte der Concavität befindet sich ein conischer Fortsatz, welchen ich das Capitulum nenne. Am Ende dieses Fortsatzes, der das Niveau des Randes überragt, befindet sich die Mundöffnung. Von der letzteren geht schief nach innen ein langer, enger und conischer Schlundapparat. Derselbe ist aus feinen Stäbchen, deren Contouren sehr undeutlich sind, zusammengesetzt. Das vordere Körperende trägt einen Kreis starker Wimperborsten, welcher dem Peristom der Vorticellinen ganz ähnlich ist, nur dass er ununterbrochen erscheint. Ein anderer Kreis von solchen Wimpern umfasst den Körper beinahe in der Mitte seiner Länge. Ausser denselben besitzt der Körper keine Wimpern und ist, wie bei den Vorticellinen, nackt. Der Nucleus 1) Ich habe zu Ehren des berühmten Zoologen Herrn Prof. Nicola Wagner die Gattung Wagneria genannt. W. Alenitzin: Wagneria cylindroconica — ein neues Infusionsthier. 123 ist ein langer Strang; der vordere Theil, der in der Art eines querliegenden, horizontalen Ringes gekrümmt ist, und der hintere Theil ist schief nach hinten gerichtet. Der contractile Behälter liegt am hinteren Körperende, wie z. B. bei Prorodon. Das beschriebene Thierchen nähert sich wegen seines nackten Körpers, der beiden Wimperkreise und der gesammten Körperform den Vorticellinen; aber es unterscheidet sich scharf von denselben durch das Vorhandensein des Schlundapparats und die Lage des contractilen Behälters, wie auch durch das Vorhandsein des Capitulums. Die- Schematische Bildung der Wagneria cylindroconica. « Mundöffnung; b Capitulum; z a ) c Schlundapparat; d vor- Ta e derer Kreis der Wimpern: N e Nucleus; f hinterer Kreis | ” IMRRRELÄNNSISESN \ r Wi; N der Wimpern; 9 contrac- tiler Behälter. NG) selben bilden die charakteristischen Merkmale der Trachelinen, wie 2. B. des Prorodon,. Enchelyodon, das Capitulum aber sehen wir 2. B. bei Lacrymaria, obgleich es hier eine andere Form besitzt. Alles dieses veranlasst uns das Thier als den Repräsentanten einer neuen Familie zu betrachten, der ich den Gattungsnamen bei- lege, nämlich Wagneria. Es ist zweifellos, dass Wagneria nicht ein Embryo ist, weil ich bei einem Exemplare desselben modificirte und getheilte Nucleus beobachtet habe. Die Länge des Thieres beträgt 0,084 Mm., und die Breite 0,06 Mm. St. Petersburg, 17. Februar 1873. Ueber eine Art fibrilloiden Bindgewebes der In- sectenhaut und seine locaile Bedeutung als Tracheensuspensorium. Von Dr. V. Graber, Professor in Graz. Hierzu Tafel IX. Wie leicht unser Auge vom Aeusserlichen der Dinge gefesselt wird, das zeigt sich auch gerade wieder beim Integumente der Ar- thropoden. Die ungemein mannichfaltigen Sculpturen und Anhänge der äussersten Hautlage der Cuticula, die allerdings in mancher Beziehung äusserst interessant sind, werden seit Langem schon mit einer fast ängstlichen Sorgfältigkeit beschrieben, während man die darunter liegenden Gewebe häufig gar keines Blickes würdigt. Einige Zoologen sind allerdings in diese terra incognita eingedrungen; allein ein künftiger Forscher, der sich einmal ernstlich dieses Ge- genstandes annehmen wollte, würde von der Mehrzahl solcher Vor- arbeiten wenig Nutzen haben, weil die überlieferten Angaben und namentlich die darauf bezüglichen bildlichen Darstellungen theils ungenau, theils zu schematisch gehalten sind. Bei unseren im Frühjahr begonnenen Untersuchungen über den Bau und die Entwicklung der wahrscheinlich mit Unrecht sogenann- ten Gehörorgane der Grillen und Laubheuschrecken kamen wir mehrfach in die Lage, das Integument dieser Thiere genauer zu prüfen, und wir erlauben uns nun die hieraus gewonnenen Anschau- ungen, als einen kleinen Beitrag zu einer künftigen Histologie des Insectenintegumentes mitzutheilen. in De an 4 Se Be TE A a Se a Dr. V. Graber: Eine Art fibrilloiden Bindegewebes der Insectenhaut. 125 I. Die Hautlagen des Integumentes, der Drüsen und Tracheen im Allgemeinen. Um die Beziehungen der zu besprechenden fibrilloiden Binde- haut zu dem benachbarten Gewebe ins Reine zu bringen, scheint es uns unerlässlich, früher unsere Anschauungen über diese letzteren zu entwickeln. Leydig betrachtete anfänglich, und thut es vielleicht heute noch, das Arthropodenintegument in seiner ganzen Dicke als eine Art Bindegewebe, bestehend aus zwei Schichten, von denen die äussere durch Chitinisirung mehr oder weniger erstarrt, während die innere Lage weich bleibt !). E. Haeckel?) hat in seiner mustergültigen histologischen Monographie des Flusskrebses im Anschluss an C. Schmidt’s?°) schon früher angestellte Untersuchungen, zuerst mit Entschieden- heit gegen die Leydig’sche Auffassung Front gemacht, indem er das „ehitinisirte Bindegewebe“ als eine von dem unter ihm gelegenen Zellepithel oder dieser analogen Schichte (Matrix, Hypodermis, chitinogene Zellschichte) ausgeschiedene homogene Cuticula erklärte. Ausser dieser der Vertebratenepidermis zu vergleichenden Schichte erkannte er dann auch eine von den früheren Forschern meist ganz übersehene und meines Wissens in keiner Abbildung ordentlich dargestellte Stützmembran (basement membrane d. Aut.), die nach ihm aus mehr oder weniger festem und homogenem Bindege- webe von verschiedener Stärke bestehen und nach Innen in con- tinuirlichem Zusammenhang mit den bindegewebigen Hüllen ver- !) Vgl. u. A. „Zur feinern Anatomie der Arthroproden in Müller’s Archiv f. Anat. u. Phys. 1855. p..378. Hier sagt er z.B. „Die unter der Schale liegende weiche Haut des Flusskrebses hat entweder die Beschaffenheit von gewöhnlichem nur etwas steifem Bindegewebe, in welchem nach Kalilauge Bindegewebskörperchen in Form von länglichen schmalen Lücken (?) häufig mit einigen Punkten im Innern aufireten, oder es bietet die Natur von gal- lertiger Bindesubstanz dar. Dann sieht man ein Maschenwerk, das in seinen Centralpunkten schöne 0.007‘ grosse Kerne besitzt und in den Hohlräu- men eine helle Gallerte einschliesst.“ Die zugehörige Abbildung findet sich in keinem Lehrbuch der Histologie. Einschlägiges enthält auch sein Werk „über den Bau des thierischen Körpers“. ?®) Die Gewebe des Flusskrebses. Müller’s Archiv f. A. u. Ph. 1857. °) Zur vergleichenden Physiologie der wirbellosen Thiere, Braun- schweig, Vieweg 1845, 8°, 126 Dr. V. Graber: schiedener Organe stehen soll '). Da nach desselben Forschers An- gaben diese Basalmembran, die Pigmentzellen, Farbekörnerhaufen, Nerven und Gefässe einschliesst, liesse sie sich, nach seiner Mei- nung, allerdings der Vertebratencutis vergleichen, während andere Forscher darunter fälschlich auch die eigentliche Matrix begreifen. Seitdem ist über die innerste Lage des Arthropodenintegumen- tes nichts wesentlich Neues mehr bekannt geworden und das mag vielleicht auch der Grund sein, warum in den meisten neueren Schriften von derselben auch gar keine Erwähnung mehr geschieht ?). Für das später Mitzutheilende ist uns gerade die erwähnte Ba- salmembran von besonderem Interesse. Nach meinen allerdings nicht sehr ausgedehnten Erfahrungen kann ich die Existenz derselben wenigstens bei den Inseeten constatiren, mich aber nicht damit einverstanden erklären, sie mit Haeckel und Anderen ohne Wei- teres für bindegewebig zu halten. Auf Grund der kargen Aufzeich- nungen über diesen Punkt vermag man sich überhaupt kein rich- tiges Bild zu verschaffen und wenn speciell Haeckel beim Fluss- krebs unsere Lage als eine weiche, trübe, feinkörnige amorphe Masse erklärt, so müsste man fast an ihrer Selbstständigkeit zwei- feln, sowie einem andererseits die bindegewebige Natur derselben fraglich erscheint, wenn man an einer andern Stelle wieder erfährt, dass sie „eine mehr oder weniger feste und homogene Lage“ sei. In der Membrana propria des Krebsmagens enthält nach H. das anderwärts ungemein dünne „homogene oder körnige Bindege- webe“ allerdings eingestreute Kerne, allein es wäre erst genauer zu constatiren, ob diese kernführende Schichte nicht doch etwas von der als homogen beschriebenen t. propria Verschiedenes sei ') Vgl.auch Kölliker’s „Utersuchungen über, secundäre Zellmembranen‘“ etc. in d. Verhlg. der physikalisch-medieinischen Gesellschaft zu Würzburg T. VII. p. 37 ff. (mir aber nur aus Gerstäcker’s Bericht in Wiegm. Ar- chiv f. Nat. 1858 bekannt). ?) Wie traurig es in der Beziehung aussieht, mag aus folgender Stelle der i.J. 1871 erschienenen Zoologie von Prof. Schmarda in Wien erhellen. Er sagt Bd. I. pag. 3 ganz allgemein: „Das Hautskelet (d. Arthropoden) be- steht aus chitinisirtem Bindegewebe in zwei Lagen. Die äussere ist verhornt und hat eine verschiedene Mächtigkeit. Die innere (matrix chi- tinogena) Schichte ist weich und besteht (immer?!) aus polygonalen Zellen.“ Schmarda sieht also auch die untere chitinogene Zelllage als chitini- sirtes Bindegewebe an! — Eine Art fibrilloiden Bindegewebes der Insectenhaut. 127 und ob überhaupt daraus Kapital für die Deutung der Basalmem- bran am Integument geschlagen werden darf. Um in dieser Angelegenheit mehr Klarheit zu erlangen, er- scheint es uns nicht unpassend, auf die Parallele hinzuweisen, welche mir zwischen den einzelnen Hautlagen der Insecten bez. Arthro- poden und jenen der Anneliden und Gephyreen zu bestehen scheint. Sehen wir uns beispielsweise das Integument einer Phascolo- soma?) an. Zwischen Cuticula und Museularis sind hier auf das Allerdeut- lichste zwei scharf getrennte Lagen zu unterscheiden. Nämlich eine als Matrix der Cuticula fungirende Hypodermis und eine diese stützende Basalmembran oder Grenzhaut. Die erstere erweist sich wenigstens stellenweise als ein wirkliches Epithelium, bestehend aus fest an einander stossenden polyedrischen Hautzellen ?), während an anderen Partieen die Zellmembranen verschwunden sind und nur mehr die Kerne persistiren, eingelagert in einer aus dem Zellstoff hervorgegangenen protoplasmatischen Schichte. Die zweite Haut, die Basalmembran, stellt sich sowohl an Flächenansichten als auch an Querschnitten als eine völlig structurlose sehr dünne glashelle Haut dar, über deren Entstehung etwas Gewisses noch nicht bekannt ist, und von der wir bloss vermuthen, dass sie vielleicht eine von der Hypodermis abgeschiedene innere Guticula vorstelle. Sie nach dem Vorgang anderer Forscher als Cutis zu bezeichnen, scheint uns vor der Hand mehr als gewagt. Das kurz geschilderte Verhalten der Unterhaut von Phascolo- soma passt Schritt für Schritt für die weiche Lage der von mir hierauf geprüften Heuschrecken (Locusta und Decticus in den auf einander folgenden Entwicklungsphasen) und speciell der Feldgrille ?). (Fig. 11 e.) !) Vgl. meine Schrift »über die Haut einiger Sternwürmer« Sitz.-Ber. d. kais. Ak. d. W. in Wien I. Abth. Jan.-Heft 1873. ®) Hautzellen und Hautkerne nenne ich, nach Haeckel’s Vorgang Zellen oder Kerne, die von einer Membran umschlossen sind. ®) Das in der vorliegenden Schrift über die Feldgrille Gesagte bezieht sich grösstentheils auf das letzte, dem Imago unmittelbar vorhergehende Entwicklungsstadium. Vgl. dies bezüglich die allerdings etwas schülerhafte Abbildung. in meiner Erstlingsarbeit »Zur Entwicklungsgeschichte der Or- thopteren (Sitzungs-Ber. d. k. Akad. d. Wissensch. in Wien). Hier böte sich eine Gelegenheit, auf die Herausforderung des ehemaligen Orthoptero- 128 Dr. V. Graber: Was speciell die Basalmembran anbelangt, so erweist sich die: selbe an möglichst feinen und durch Kalilauge geklärten Haut- schnitten der dorsalen Abdominaldecke (Fig. 11b) als eine ganz homogene, deutlich doppeltcontourirte, also selbständige bei 0.002 Mm. dicke Haut. An manchen Stellen, wo man die Matrixkerne von der Öutieula lostrennt, trifft es sich bisweilen, dass die unterste oder jüngste Lage der letzteren an der Matrix hängen bleibt, und es erscheint dann diese beiderseits von einer dünnen Haut eingeschlos- sen (Fig. 11 M). Solche Bilder sprechen in hohem Grade dafür, dass die Basalmembran in der That eine innere Cuticula vorstelle. Hier zunächst noch einige Worte über die in der Matrix ein- gebetteten Kerne; die Umgebung derselben sowie die Beschaffenheit des zwischen Cuticula und Basalmembran liegenden Gewebes über- haupt, wird dann im nächsten Abschnitt genauer besprochen werden. Um die Matrixkerne genauer zu studiren, empfehle ich ausser feinen Schnitten durch mit Müller’scher Flüssigkeit oder Osmiumsäure er- härtete Beine folgendes Verfahren. Man werfe eine Grille oder Heuschrecke für einen oder zwei Tage in absoluten Alkohol. Es lässt sich dann mit Leichtigkeit die gesammte Matrix von der Cuticula als eine zusammenhängende Haut ablösen. Hierauf tingire man die isolirte Hypodermis mit Haematoxylin oder Pikrokarmin und zerzupfe eine Partie derselben so fein als möglich. Bei genauer Musterung des Präparates wird man dann immer einigen völlig isolirten Kernen begegnen, von welchen ich einen in Fig. 5 möglichst getreu abzubilden versuchte. Man erkennt hier auf das Unzweideutigste eine 0,0004 Mm. dicke (bei mittlerer Einstellung doppelteontourirte) glashelle Membran und den von dieser an einer Stelle etwas zurückgewichenen und vielleicht durch Flüssigkeit getrennten Inhalt. Der Umriss der Kern- hülle erscheint gewöhnlich kreisrund, seltener (Fig. 5) breit ellip- tisch; bisweilen (Hautschnitte von-Decticus und Locusta) hat er logen und gegenwärtigen Freiburger Prof. Fischer in den Verhandl, d. zool. bot. Gesellschaft in Wien, Jahrg. 1872, Etwas zu erwidern. Statt dessen rathe ich dem beleidigten Herrn nicht bloss die von ihm erwähnte, sondern auch meine früheren Schriften über den Bau und die Entwicklung d. äusseren Geschlechtsorgane d. Orthopteren zu lesen und neuerdings in Lacaze-Duthiers’ Werk nachzuschauen, ob der Locustiden-ovipositor weiter Nichts als »quadrivalvis« ist, oder ob er auch einen zweigespaltenen Lege- stachel besitze, im Ganzen also aus 6 Blättern bestehe. Eine Art fibrilloiden Bindegewebes der Insectenh aut. 129 auch eine keulenartige Form. Der Inhalt der Kerne besteht aus sehr feinen matten Körnchen. In ihrer Mitte liegt constant ein bläschenartiges bald kreisrundes, bald mehr ellipsoidisches Kern- körperchen, das sich durch Karmin viel intensiver als die Umge- bung röthet, In den seltensten Fällen macht der Nucleolus den Ein- druck eines homogenen Gebildes, öfter lässt er eine Zusammen- setzung aus gröberen Körnchen unterscheiden. Die Matrixkerne der genannten Thiere gleichen in vieler Hinsicht jenen der sog. Fettzellen. Nur sind die letzteren verhältnissmässig grösser und lassen häufig 2 bis 4 Nudeoli unterscheiden. ) Untersucht man die isolirte weiche Hautlage einer längere Zeit in conc. Oxalsäure-Lösung gelegenen Grille oder Laubheuschrecke, so fallen einem sogleich die in regelmässigen Abständen in derselben eingestreuten ganz hellen bläschenförmigen Gebilde auf, deren Durch- messer bei der Feldgrille ungefähr 0.08 Mm. beträgt. Im grobkör- nigen Inhalt derselben bemerkt man in der Regel zwei in Grösse und Aussehen an die Matrixkerne erinnernde Nuclei. Das Verhalten dieser Körper zu den benachbarten Schichten zeigt sich am Besten an Querschnitten (Fig. 4 D). Sie nehmen fast die ganze Dicke der zwischen Cuticula (ec) und Grenzhaut (b) befindlichen fibrillären Zwischenlage ein und zeigen hier (von der Seite betrachtet) eine zwiebelartige Gestalt, indem sie gegen die Cuticula zu in einen papillenförmigen Fortsatz übergehen, der in die Wurzel der hohlen, haarförmigen Cuticularanhänge eindringt. In dieser Beziehung sowie in ihrem Verhalten zum umgebenden Gewebe haben sie eine frap- pante Aehnlichkeit wit den sog. flaschenförmigen Körpern im Oeso- phagus der Anneliden !). Als Drüsen wie die Letzteren kann ich sie aber desshalb nicht ansehen, weil die betreffenden Haare ent- schieden blind endigen und auch nicht, wie bei gewissen Raupen, bei der Berührung abspringen und ihren ätzenden Inhalt entleeren ?). Ich glaube vielmehr, dass es weit näher liegt, dieselben mit der Haarerzeugung in Verbindung zu bringen, sie also kurzweg für mehrkernige Trichogen-Zellen anzusprechen. Inwieweit diese mit den primären Hypodermis-Zellen übereinkommen, kann ich augen- 1) Vgl. meine Arbeit über die Gewebe und Drüsen d. Anneliden-Oeso- phagus. Sitz.-Ber. d. kais. Ak. d. Wissensch. in Wien. 1873. 2) Vgl. in Leydig’s Lehrbuch d. Histologie die Darstellung über die Hautdrüsen von Bombyx rubi pag. 115. M. Schulzte, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10, 9 130 Dr. V. Graber: blicklich allerdings nicht sagen, wahrscheinlich scheint es mir aber, dass sie diesen (namentlich betrefis der Zahl ihrer Kerne) nicht vollständig gleichen, sondern dass sie sich behufs ihrer besonderen Function weiter differenzirt haben. Für unsere Auffassung, dass die Basalmembran des Integu- mentes nicht in die Gruppe der Bindegewebe zu stellen sei, spricht gerade auch das Verhalten derselben zu den mehrzelligen Hautdrü- sen, deren einzelne Schichten als continuirliche Fortsetzungen der drei Integumentlagen sich darstellen !.. Nun wird aber die der Basalmembran entsprechende t. propria der Drüsen überall als eine homogene kernlose Haut beschrieben, so dass ich mir nicht erklären kann, warum man trotzdem für diese Schichte so häufig das Epi- theton bindegewebig verwendet ?). Unseren Bemerkungen über die Histologie der Körperdecken müssen wir auch Einiges über den feineren Bau der Tracheen an- schliessen. Da diese schon längst als Einstülpungen der äusseren Haut erklärt worden, so sollte man a priori erwarten, dass auch die ein- zelnen Hautschichten derselben mit jenen des Integumentes in Ueber- einstimmung gebracht würden. Das scheint nun aber nicht allgemein zu geschehen. Denn während an der äusseren Haut gewöhnlich drei Lagen, Cuticula, Matrix und Basalmembran unterschieden werden, denkt man sich die Tracheen gewöhnlich nur aus zwei Schichten zusam- ınengesetzt, nämlich aus einer chitinisirten Intima (= Cutiecula d. Integumentes) und einer „diese nach Aussen umhüllenden Bindege- websmembran“ (Peritonaeum), in der regelmässig die kernartigen‘ Gebilde sowie sehr häufig auch Pigmente eingebettet sind *)? Speciell über die Tracheenblasen der Corethra-Larve lässt sich Leydig>) beiläufig folgendermassen aus: Sie bestehen aus zwei 1) Vgl. u, A. Claus »Ueber die Seitendrüsen der Larve von Chryso- mela populi. Zeitschrift f. w. Zoologie 11. Bd. pag. 309. 2) Vgl. hierüber auch Pflüger’s Artikel über die Speicheldrüsen in Stricker’s Handbuch der Gewebelehre p. 307. ®) Vgl. hierüber z. B. Gerstaecker’s Darstellung inBronn’s Classen und Ordnungen d. Thierreiches Bd. 6 p. 127 ff. und die derselben zur Grund- lage dienende Beschreibung in Leydig’s Lehrbuch d. Histologie p. 386. *) Anatomisches nnd Histologisches über die Larve von Corethra plu- micornis. Zeitschrift f. w. Zoologie T. 3 p. 4355 ff. Eine Art fibrilloiden Bindegewebes der Insectenhaut. 131 Häuten, aus einer äusseren zarten Membran, die ziemlich weit von einander abstehende kleine Kerne und Pigmenthaufen besitzt, und zweitens aus einer innern Chitinhaut. Die äussere Haut bleibt zuletzt noch übrig, nachdem die Intima zurückgeblieben ist und geht continuirlich (wie eine echte Cuticula!) in die Membran verzweigter Zellen über. Zu einem im Wesentlichen ganz Ähnlichen Resultate über den Bau und auch über die Entwicklung kam Weissmann in Seinen Arbeiten über die Entwicklung der Museiden. Er sagt (Zeitschrift f. w. Z. Bd. 14) pag. 306: „Wir beobachten bei Musca vier ver- schiedene Bildungsweisen der Tracheen. Einmal (die übrigen Fälle citiren wir nicht) bilden sich Stämme im. Ei und in der Puppe aus soliden eylindrischen Strängen kugeliger Zellen, die in ihrer Axe ein Lumen bilden, gegen diese hin eine elastische Intima ausschei- den (also wahre Chitinogenzellen sind) und miteinander zur Perito- nealhaut verschmelzen.“ „Die Letztere besteht (pag. 203) aus einer hellen mit Körnchen mehr oder weniger durchsetzten Grundsub- stanz, in welcher die Kerne (Reste der primären Zellen) eingestreut sind. Die Kerne besitzen im Allgemeinen eine bedeutende Grösse und liegen in den grösssren Räumen dichter, in den kleinen ent- fernter von einander. Nach Aussen wird die Grundsubstanz von einer structurlosen Membran begrenzt, die man für eine cuticulare Bildung halten möchte, liesse sich nicht ihre Entstehung aus ver- schmolzenen Zellmembranen nachweisen“ (vgl. die Entwicklung d. Dipteren im Ei S. 193). Ich erkenne bei den meisten Insecten (speciell bei der Feldgrille und den Laubheuschrecken) gleich W eiss- mann, an den gröberen Tracheen der ausgebildeten Insecten und speciell der Feldgrille so gut, wie am Körperintegument drei scharf zu unterscheidende Lagen, nämlich eine Intima (Cuticula) (Fig.8c), ein chitinogenes, meist pigmentführendes Epithelium (e) und ene homogene Basalmembran. Hinsichtlich der Intima mache ich nur darauf aufmerksam, dass man sehr häufig zwischen ihren reifenartigen Verdickungen ein System feiner paralleler secundärer Streifen beobachtet. Die chitinogene Matrix finde ich ganz und gar identisch mit der des Integumentes. Das dort, namentlich !) In Fig. Se wurden die Kerne absichtlich (um die Intima nicht völ- lig zu verdecken) viel spärlicher gezeichnet. 132 Dr. V. Graber: betreffs der Kerne, Mitgetheilte passt Wort für Wort auch für die Formbestandtheile der Tracheenmatrix: Es sind also kugelige oder ellipsoidische oft ganz hart aneinanderstossende Kerne mit einem sehr schön durch Karmintinetion oder Osmiumsäure-Behand- lung zu demonstrirenden aus zahlreichen Körnchen gebildeten bläs- chenförmigen Kernkörperchen !). Die äusserste Umhüliung der Tracheen besteht aus einer glas- hellen ziemlich leicht isolirbaren bisweilen zart längsstreifigen Haut, welche continuirlich in die Basalmembran des Integumentes und, gleich dieser, in die homogene Grenzhaut gewisser innerer Organe, namentlich auch der Fettzellencomplexe übergeht. Die Formbestandtheile der Matrix sind also nicht, wie man nach Leydig’s und Anderer Darstellung vermuthen möchte, in dieser Haut eingebettet, sondern derselben innerlich, und ganz lose, auf- gelagert. Hinsichtlich ihrer Entstehung sind wir ebenso im Ungewissen wie beim Integument. Wenn Weissmann, wie wir schon vernommen haben, bei den Dipteren unsere Basalmembran aus einer Verschmelzung von Mem- branen der primären Chitinogenzellen ableitet, so scheint uns Sol- ches nur in dem Sinne verständlich, dass die Haut dieser Zellen auf der freien Peripherie des aus ihnen zusammengesetzten Hohl- cylinders eine ihr anfänglich allerdings eng anliegende dünne Schichte absondert, die, mit den secernirten Lagen der Nachbarzellen ver- wachsend, später, unter gleichzeitiger Absorption der Zellenmem- branen, als eine zusammenhängende Haut, also als eine wahre Cuticula sich loslöste. Zum Schlusse dieses Abschnittes erlauben wir uns eine sche- matische Zusammenstellung der für die besprochenen Hautlagen bisher gebrauchten oder etwa zu empfehlenden synonymen Benen- nungen zu geben. !) Am Schnellsten kann man sich hierüber auf folgende Weise be- lehren. Man tingire eine der grösseren Tracheen (einer noch lebenden Grille) mit Haematoxylin und versuche dann mit einer feinen Glasnadel das sog. Peritonaeum derselben freizulegen. Gelingt dies nicht, so quetsche man die Trachea sehr stark zusammeu. En u ne Eine Art fibrilloiden Bindegewebes der Insectenhaut. 133 Integument Tracheen Haut- (u. andere) Drüsen. (Aeussere) Cuticula . . . == (Innere) Cuticula 1 BSEemal. 2 el arte er = Intima — Intima “ Oberhaut Chitinisirtes Bindegewebe BEREITEN ENER ARER NEE ST RSS UMALTIR = Drüsenepithel Hypodermis . (Chitinogenes) Epithelium Chitinogene Membran nicht chitinisirtes Bindege-' LO webe ! Peritonaeum Basalmembran „ (Homogene) Grenzhaut . .| = Grenzhaut = homogene ” Gutis t. propria. Innere Cuticala . . . .° = Aeussere Cuticula. Ich würde ganz allgemein die Bezeichnungen Cuticula, Matrix (wo sie aus deutlichen Zellen besteht Epithel resp. Drüsenepithel) und Basalmembran empfehlen und speciell die Ausdrücke Perito- naeum, Cutis und t. propia, weil sie leicht zu schiefen Auffassungen führen können, fallen lassen. I. Bau des fibrilloiden Integumental-Bindegewebes. Wir haben bisher das zwischen der Cuticula und der Basal- membran liegende Gewebe kurzweg als Matrix bezeichnet. Dieselbe stellt sich in den meisten Körperstellen der uns hier zunächst in- teressirenden Orthopteren als eine weiche mit (meist röthlichgelben) Pigmentkörnchen durchsetzte protoplasmatische Schicht dar, deren Kerneinlagerungen wir als die persistirenden Ueberreste der primären einschichtigen Hypodermiszellenlage ansehen. An gewissen Leibestheilen, z. B. an den Extremitäten, zeigt indess die hier in der Regel mächtigere subcuticulare Schichte ein Verhalten, welches sich keineswegs so einfach auf eine solche Hypo- dermiszelllage zurückführen lässt. Wir sehen hier nämlich zunächst eine oberflächliche Schichte von in Pigment ganz eingehüllten Kernen (Fig. 4, e) und dann eine zweite tiefer gehende, von der ersteren keineswegs scharf getrennte, an Pigmenten im Allgemeinen ärmere Lage von ausgesprochen faserigem Charakter (f), in welcher zahl- 134 Dr. V. Graber: reiche bläschenartige Hornbestandtheile zu bemerken sind.” Die er- . stere, oberflächliche Schichte betrachten wir als die Matrix im engeren Sinne, und unterscheiden die andere, unmittelbar mit der Basal- membran zusammenhängende Lage wegen der angedeuteten fibrillä- ren Structur, als Fibrosa. Zur möglichst raschen und doch sehr instructiven Demonstra- tion dieser Letzteren empfehle ich zunächst folgende Methode. Man lasse beispielsweise eine Feldgrille, auf die wir uns hier zumeist beziehen, entweder ein Paar Tage in absolutem Alcohol — eine 4°/, Kali-Bichromieum-Lösung leistet beiläufig dasselbe — oder 4 bis 5 Stunden in 0,5°/, Osmiumsäure-Lösung liegen, isolirt, was man wohl auch früher thun kann, die Vordertibia und schneidet aus ihr theils sehr dünne, theils zur besseren Uebersicht etwas dickere Scheibchen !). Die für unseren Zweck brauchbarsten Theile bekömmt man aus jenen (Juerschnitten, welche durch die Tympanum-Gegend geführt werden. Die einzelnen Schnitte lege man theils in mit Essigsäure versetztes Glycerin, theils in 35°/, Kalilauge, wo sie namentlich in letzterer, rasch aufquellen und die wünschenswerthe Helligkeit erlangen. Fig. 1 stellt einen solchen durch Glycerin aufgehellten Quer- schnitt aus der Tympanum-Region vor und zwar nach Entfernung der den Hohlraum (H) desselben einnehmenden Muskeln, Nerven, Blutkörperchenklumpen und Antheile des sogen. Corpus adiposum. Am dicksten erscheint hier das faserige Gewebe (f) an der Vorder- oder Kopfseite des Beins, also mit anderen Worten unter dem kreis- runden Tympanum (Fig. 4, mn), gerade gegenüber dem hinteren oder ovalen Tympanum (t), wo übrigens die Dicke unserer Fibrosa ein zweites Maximum erreicht. Die gesammte Fibrosa der Tibia bildet mit anderen Worten einen nach Aussen unmittelbar der Matrix (e) anliegenden Hohl- cylinder, dessen Wandungen vorne und hinten bedeutend anschwellen. Die Innenfläche dieser beiden Wülste ruht auf der in der Oentral- 1) Zum genannten Zwecke muss ich den Einschluss in gutes Flieder- mark, wobei man das Bein ziemlich stark comprimiren kann, weit mehr als in Flemming’scher Seife, die für weichere Präparate, z. B. Quallen, ganz ausgezeichnet ist, empfehlen, sowie ich anderseits, hier wenigstens, der Erhärtung durch Alcohol jener durch Chromsäure oder Kali bichr. den Vor- zug gebe. Chromsäureschnitte müssen auf alle Fälle in Kalilauge eingelegt werden. | Eine Art fibrilloiden Bindegewebes der Insectenhaut. 135 axe des Beins verlaufenden Trachee (T)!) auf, oder richtiger diese wird von der Fibrosa umspannt. Ich muss gleich hier ausdrücklich hervorheben, dass die Fibrosa den gesammten Umfang des Beines überzieht, also nicht bloss ein locales, lediglich im Dieuste der Tracheen stehendes Gewebe ist. An der Ober- und Unterseite des Beines erreicht sie allerdings nur eine verhältnissmässig geringe Dicke, sinkt indess selten unter jene der Cuticula (hierbei 0,015 Mm. betragend) herab. Eine im Ganzen ziemlich beträchtliche und gleichmässige Dicke zeigt diese Lage bei- spielsweise unter dem Kniegelenk. Was den grossen Wulst der Fibrosa an der Vorderseite der Tibia anlangt, so nimmt derselbe gegen das obere und untere Ende an Dicke zu und ist am Femur dieses Beins, sowie an den Mittel- und Hinterbeinen überhaupt sehr wenig ausgebildet. Die grösste Entfaltung zeigt er am Tympanum selbst, ohne dass ich vorläufig über die etwaigen Beziehungen des- selben zum »Gehörorgan« Etwas anzugeben wüsste. Dass unsere Hautlage ein Fasergewebe ist, fällt an den be- zeichneten Schnitten allsogleich in die Augen. Bei den in Rede stehenden (Querschnitten erkennt man schon bei geringer Vergrösse- rung ein System radiärer theils gerader, theils etwas gekrümmter der Centralaxe des Beins zulaufender Fasern, welche (Figg. 2 u. 4, 5 u. 6) mit ihrem äusseren Ende (zum Theile wenigstens) unmittel- bar der Membran der Chitinogenzellen, z. B. aber auch, wie es scheint, der Cuticula ansitzen und mit ihrem inneren Ende auf der sehr dün- nen, ganz homogenen und scharf hervortretenden Grenzhaut (b) aufruhen. Bei stärkerer Vergrösserung erscheinen die Fasern als ho- mogene Fibrillen von kaum 0,0012 Mm. Breite, die in der Regel mit zahlreichen Körnchen besetzt sind. Solcher Körnchen gewahrt man zweierlei. Einmal solche von röthlicher bis gelber Farbe, wie sie auch in der nächsten Umgebung der Matrixkerne vorkommen (in - der Zeichnung Figg. 11 u. 5 f. die tiefschwärzen Ringelchen und Kreis- fiecke), und zweitens farblose Eiweissmolecüle, bisweilen von streifen- artiger Anordnung. Die Durchsichtigkeit der beiden Grillentympana, welche beim 1) Die kleinere Trachee der Kopfseite (am Querschnitt) ist nur eine bogenförmige Ausstülpung der Haupttrachee. Oben an der kleineren Trachee liegt die sogenannte Gehörleiste, welche man auf unserm Querschnitt zu sehen bekommt. 136 Dr. V. Graber: Imago am grössten ist, rührt von dem Umstande her, dass in den aufeinanderfolgenden Entwicklungsstadien die Zahl der Pigmentkörn- chen in der subeuticulären Schichte der Tympana stetig abnimmt. In dieser Region fehlen auch, wenigstens in den allerletzten Stadien, die haarförmigen Cuticularausstülpungen und die damit in Verbin- dung stehenden Trichogenzellen. Hinsichtlich der Deutung unserer Fibrosa scheinen uns die darin vorkommenden bläschenartigen Hornbestandtheile ein beson- deres Interesse zu verdienen. Ein Prachtobject zu deren Studium verschafft man sich auf folgende Weise. Man schneidet vom Femur des dritten Beinpaares die obere und einen schmalen Streifen der unteren ganz mit Muskeln erfüllten Hälfte herab und zerzupft vorsichtig die übrig gebliebenen Theile. Man wird dann alsbald einer grösseren Trachee (Fig. 5, T) gewahr, längs welcher ein dicker Nervenstamm und ausserdem, an beiden Seiten derselben, in unmittelbarer Verbindung mit der Matrix des Beinintegumentes ein blassgelblich weisses dünnes Band herabläuft, das aber, wie wir gleich bemerken wollen, keineswegs, gleich gewis- sen reticulären Fettkörpergebilden !) in continuirlicher Verbindung mit der Basalmembran der Trachee steht, sondern die Letztere nach Art des ligamentum suspensorium lentis umschliesst, indem sich die zwischen dem Integument und der Trachea ausge- spannte Haut in unmittelbarer Nähe der Letztern in zwei Blätter spaltet, wobei es jedoch zu einer linearen Verwachsung an den Seitenröhren der Luftröhre kommt). Um den feineren Bau dieses Tracheensuspensorium, wie wir es nennen wollen, zu studiren, ist keine weitere Präparation erfor- lich. Man legt es nur in eine conservirende Flüssigkeit (z. B. Jod- 1) Vgl. Leidig’s Abbildung in seiner Histologie Fig. 200 und in’ “meiner Abhandlung „über den propulsatorischen Apparat der Insecten“ (Max Schultze’s Archiv f. mikr. Anat. 9. Bd.) Fig. 11*. Nach Leidig’s Dar- stellung würden die Kerne seines Tracheen-Peritonaeums denen des netzför- migen Fettkörpers homolog sein, was ich für meinen Theil in Abrede stelle. 2) Versucht man die Trachee des Suspensoriums zu entfernen, so bleibt letzteres an den Seitenrändern der Trachee hängen. Reisst man es hier gewaltsam los, so bleiben gewöhnlich Stücke der Basalmembran sowie ein- zelne Kerne davon zurück, was hingegen an anderen Tracheastellen niemals geschieht. Eine Art fibrilloiden Bindegewebes der Inseetenhaut. 137 serum) und bringt das Präparat in die feuchte Kammer. Am Besten wird man sogleich stärkere Systeme in Anwendung bringen. Auf dem frischen Gewebe fallen einem zuerst Myriaden win- ziger, dem Integument angehöriger Pigmentkörnchen auf, welche eine ausserordentlich lebhafte tanzende Bewegung zeigen, welche oft stundenlang, auch in Müller’scher Flüssigkeit, anhält. Von einer fibrillären Structur ist am frischen Gewebe wenig oder gar Nichts zu bemerken. Man sieht, so lange man sich nicht genauer orien- tirt, nur einen matten, gelblichen, mit zahlreichen Körnchen über- säten Grund, von dem sich bläschenartige Gebilde, gewöhnlich um ihre eigene Lange von einander entfernt, abheben (Fig. 9, k). Prüft man längere Zeit eine grössere Anzahl solcher Gebilde, so wird man immer einzelne wenigstens finden, an welche sich in der Richtung ihrer Längsaxe beiderseits zarte, bisweilen mehrfach verzweigte Pro- toplasmastreifen (x) ansetzen, die, zum Theile wenigstens, wie ich das in Fig. 9 möglichst treu wiederzugeben versuchte, untereinander netzartig verschmelzen. Am Allerbesten studirt man dieses Verhalten an mit Haematoxylin tingirten Hautstücken der verhältnissmässig sehr dünnen Suspensorium-Lage, welche das Luftrohr umspannt. Die früher erwähnten bläschenartigen Formbestandtheile erwei- sen sich also nach dem Gesagten als Kerne im Allgemeinen lang- gestreckter vorherrschend spindelförmiger Nacktzellen von ganz ähn- lichem Aussehen, wie sie im fibrillären Bindegewebe der Vertebraten beobachtet werden, wesshalb man wohl mit gutem Grund unsere Fibrosa in die Reihe der Bindegewebe stellen darf. Da das Suspensorium eine beträchtliche Dicke hat, so sind selbstverständlich mehrere Bindegewebszelllagen übereinander ge- schichtet und es dürften ohne Zweifel die nicht in das Protoplasma- streifennetz der oberflächlichsten Lage einzureihenden Körnchen den Protoplasmasäumen tiefer gelegener Bindegewebskörperchen ange- hören. Das Verhalten der Kerne unserer Bindegewebszellen wird gleich- falls am Besten am frischen Gewebe studirt. Die Conturen dersel- ben treten hier bei mittlerer Einstellung und entsprechender Beleuch- tung äusserst scharf hervor. Zum grösseren Theile sind die Kerne breit, seltener länglich elliptisch, nicht selten übrigens auch stäbchen- artig. Der längere Durchmesser ist ganz ausnahmslos jenem der Fasern parallel. An der Mehrzahl der Kerne sehe ich auf das Bestimmteste zwei scharfe parallele seltener stellenweis eingekerbte Ränder, * 138 Dr. V. Graber: so dass ich unseren Kernen eine wirkliche homogene Membran zu- schreiben muss. Bisweilen ist allerdings der homogene Kernrahmen durch einen aus feinen Körnchen gebildeten perlschnurartigen Saum ersetzt. Aber auch in diesem letzteren Fall haben wir es mit einer vom Kerninhalt differenzirten, wenn auch nicht homogenen Hülle oder Rinde zu thun. Es sei nämlich gleich bemerkt, dass sich die anfänglich mehr gleichmässig vertheilte, aus gröberen und feineren Körnchen bestehende Kernsubstanz nach einiger Zeit klumpenartig von der nun scharf hervortretenden Membran, beziehungsweise Rinde zurückzieht. Fast noch besser erkennt man dieses Verhalten an Präparaten (Fig. 10), die längere Zeit in einer Composition von Glycerin und Alcohol lagen. Hier ist der Kerninhalt fast ausnahms- los in einen, scheinbar oft ganz homogenen Klumpen zusammengezo- gen, der von einem hellen, doppelt conturirten Hof umgeben wird. Sehr häufig, wenn auch nicht constant, sieht man innerhalb der körnigen Nucleusmasse ein grösseres Körnchen oder, was das Ge- wöhnlichere ist, deren zwei oder drei. Es sind diese Nucleoli-artigen ' Gebilde im Allgemeinen von einer dem Kernumriss entsprechenden Gestalt, ganz homogen und stark lichtbrechend (Fig. 10, kk). Was wir an Präparaten, die, durch Karmin oder Goldchlorid tingirt wurden, von unseren Bindegewebszellen zu sehen bekommen, ist in der Regel keineswegs der ganze Kern, sondern bloss der zu- sammengeschrumpfte Inhalt desselben (Fig. 8, 9). In der eben beschriebenen Natur der Zellgebilde des Suspen- sorium spricht sich ein sehr wesentlicher Unterschied gegenüber dem zuerst von mir genauer untersuchten Bindegewebe des Pericar- dialseptum, sowie einiger anderer. Organe aus,‘ wo, wenigstens bei reifen Thieren, durchaus nur nackte Kerne zur Beobachtung kom- men, ein Umstand, den auch Haeckel hervorhebt, indem er vom hautartigen Bindegewebe des Flusskrebses sagt: »Die Formelemente sind aber nicht, wie die Bindegewebskörperchen der Wirbelthiere, Zellen, sondern Kerne,« an denen er, wie an anderer Stelle zu lesen ist, niemals eine Zellenmembran oder einen kleinen Hohlraum um den unzweifelhaften Kern nachweisen konnte. In der Beziehung wäre also wohl das Tracheensuspensorium der Feldgrille von einigem Interesse, Hinsichtlich der nahen Beziehungen, welche. man in jüngster Zeit zwischen den sogen. weissen Blutkörperchen und gewissen Binde- gewebszellen der Wirbelthiere erkannte, muss ich ausdrücklich er- Eine Art fibrilloiden Bindegewebes der Insectenhaut. 139 wähnen, dass hier an etwas Aehnliches nicht gedacht werden darf. Die Blutkörperchen (Fig. 9, B) unterscheiden sich auf den ersten Blick sowohl durch ihre Form, als auch ganz besonders durch das eigenthümliche Verhalten ihres oft schwer nachweisbaren Kernes und das stärkere Lichtbrechungsvermögen der vergleichsweise groben Eiweisskörnchen. Was die faserige Grundsubstanz unseres Bindegewebes anlangt, so wurde schon erwähnt, dass an frischen Präparaten davon wenig zu sehen ist und dass es oft fast den Anschein hat, als ob die stellen- weise zur Beobachtung kommenden faserartigen Gebilde nur ver- 'Jängerte Zellschwänze wären. Dass’ aber die letzteren von den eigentlichen Fibrillen zu unterscheiden sind, zeigt sich theils nach Kalilauge-Behandlung, wo jene sehr zurücktreten, indessen die Fi- brillen sich schärfer abheben, theils nach längerer Einwirkung von Kalkwasser oder auch Alcohol (Fig. 10). An den freien Rändern solcher Präparate kann man oft, ohne dass ein Zerzupfen nöthig wird, isolirte Fibrillen auf lange Strecken verfolgen, und sich auch überzeugen, dass sie unverzweigt sind. Eine Gruppirung derselben in bündel- oder strangartige Gebilde konnte - ich niemals wahrnehmen. Ueber das chemische Verhalten des Suspensorium können wir nur wenig sagen, doch geht daraus hervor, dass eine nähere Verwandt- schaft desselben mit dem fibrillären Bindegewebe der Wirbelthiere durchaus nicht besteht, wesshalb ich, um Zweideutigkeiten zu vermei- den, für dasselbe den Namen fibrilloides Gewebe vorschlagen möchte. _ Ausschlaggebend scheint mir da namentlich der Umstand, dass sich dasselbe durch mehrstündiges Kochen in Wasser, sowie bei län- gerem Liegen in kalter Kalilauge nicht auflöst und auch die faserige Structur dabei vollkommen erhalten bleibt. Nach Zusatz von Sal- petersäure schrumpft es allerdings etwas zusammen und zeigt, wie das echte fibrilläre Gewebe, im Gegensatz zum Pericardialbinde- gewebe, kaum eine Spur von Xanthoproteinsäurereaction. Karmin und Haematoxylin färben hingegen die frische Fibrosa ziemlich rasch, wenn auch selbstverständlich minder intensiv als seine Kerne, An- dererseits darf aber das Suspensorium-Gewebe nicht als eine chiti- nisirte Membran betrachtet werden, da sie sich in heisser Kalilauge sehr schnell löst, während in derselben, wie ich seinerf Zeit nach- wies, das Pericardialbindegewebe gewisser Insecten, z.B. von Osmia, lange Zeit unversehrt bleibt !). 1) Ueber den propuls. Apparat der Insecten. Dieses Archiv, IX. Bd. 140 Dr. V. Graber: Wir haben noch beizufügen, dass die Fibrosa des Integuments von zahlreichen Luftröhren durchzogen wird. Allermeist verbreiten sich ziemlich dicke Tracheenäste (Fig. 4, T‘) hart unter der Basal- membran, zum Theile mit dieser verwachsend, und senden, meist unter rechten Winkeln, ganz feine Reiser aus, welche gewöhnlich in starkgeschlängelter Richtung die Fibrosa und Matrix durchziehen und bis an die Cuticula verfolgt werden können. Von Nervenendigungen innerhalb der Fibrosa konnte ich hingegen bisher nichts bemerken. Ich denke, dass nach dem Mitgetheilten Niemand mehr daran zweifeln wird, dass unsere Fibrosa in der That alle charakteristischen Eigenschaften eines faserigen Bindegewebes an sich trägt und mit der Cutis der höheren Thiere, wenigstens betreffs seiner Function, als Stroma der dem Stoffwechsel dienstbaren Luftröhren, sowie ge- wisser drüsenartiger Einlagerungen, verglichen werden kann. (Gewisse Ansichten indess, wir denken hier speciell an den in Fig. 4 dargestellten Querschnitt der subeuticulären Schichte unter dem run- den Tympanum der Feldgrille, könnten doch bei Manchem den Zweifel wachrufen, ob nicht die von uns gezogene Grenze zwischen Matrix und Fibrosa doch eine unnatürliche sei, und ob es nicht den that- sächlichen Verhältnissen besser entspräche, die gesammte cuticulare Integumentlage, mit Ausnahme der Basalmembran, nach Leydig’s Vorgange für bindegewebig zu erklären. Eine solche Auffassung scheint uns aber aus mehreren Gründen unzulässig oder mindestens unwahrscheinlich zu sein. Einmal sind die Kerne der oberflächlichen Schichte ganz entschieden von jenen des dahinter liegenden Fasergewebes verschieden, indem, wie zum Theil schon oben erwähnt wurde, die ersteren mehrentheils kreis- rund oder breitelliptisch sind und fast durchgehends nur einen grös- seren Nucleolusg besitzen, während die Nuclei der Fibrosa häufig sehr langgestreckt und mehr spindelförmig erscheinen, sowie in der Regel auch zwei oder mehrere verhältnissmässig kleinere Kernkör- perchen erkennen lassen. Dann möchte ich auch hervorheben, dass die Kerne der eigent- lichen Matrix so ziemlich in einer Ebene liegen und stets von Pig- ment ganz eingehüllt werden, während die Kerne der Fibrosa regel- los zerstreut und niemals durch Pigment verdeckt sind. Dazu kommt noch folgendes Bedenken. Wenn man Matrix und Fibrosa als eine morphologisch untrennbare Lage ansieht, dann müssten die genann- ten Schichten wahrscheinlich doch auch in functioneller Beziehung Eine Art fibrilloiden Bindegewebes der Insectenhaut. 141 und speciell bei der Ausscheidung der Cuticula eine gleichartige Thätigkeit entwickeln, was wir aber mit der Thatsache nicht zu- sammenreimen können, dass die Fibrosa z. B. unter dem runden Tympanum der Feldgrille, wo die Cuticula weitaus am dünnsten ist, ihre grösste Mächtigkeit erreicht. Schliesslich ist uns kein Fall be- kannt, wo ein faseriges Bindegewebe die Rolle einer secernirenden Lage spielte, denn am Stammende von Priapulus, sowie bei Sipunculus z. B., wo wir es am Integumente mit einer unserer Fibrosa vielfach sleichenden Lage zu thun haben !), ist eine von der letzteren sehr scharf abgesetzte besondere Matrix vorhanden, welche am Oesophagus der Anneliden vielleicht durch eine kernlose, in die sogen. touche fibreuse (Quatrefages) sich einsenkende, bei Nereis z. B. auch pig- mentführende, Lage ersetzt sein mag.?). Vorläufig, bis uns vielleicht genaue entwicklungsgeschichtliche Studien eines Besseren belehren, halten wir an den anfangs ausge- sprochenen Anschauungen fest und unterscheiden also am In- sectenintegumente vier Lagen: Cuticula, Matrix, Fi- brosa und Basalmembran, von denen aber die dritte, nämlich die Fibrosa, häufig mangelt, desshalb aber keineswegs als eine be- sondere differenzirte Schichte der Matrix betrachtet werden darf. II. Locale Bedeutung der Fibrosa als Tracheensuspensorium. Dass das fibrilloide Integumental-Bindegewebe an den oben näher bezeichneten Stellen zu den grösseren Extremitäten-Tracheen in engster Beziehung stehe, ergibt sich schon daraus, dass es in der Nähe derselben weitaus am Mächtigsten entfaltet ist. Noch deutlicher als an Querschnitten der Vortibia zeigt sich dies an Diagrammen, welche ungefähr durch die Mitte des Hinter- femur geführt werden. Hier (Fig. 7) scheint die Fibrosa, wie das zum Theil schon aus dem früher Gesagten hervorgeht, keine das ganze Femur-Integument überziehende continuirliche Lage von er- heblicher Dicke zu bilden, sondern stellt lediglich eine quer durch das Bein ausgespannte, an der Anheftungsstelle keulenförmig ange- schwollene Haut (S, S‘) dar, die, in der Mitte sich spaltend, die Haupttrachee eng zwischen sich fasst. 1) Vgl. die oben eitirte Arbeit über das Integument der Gephyren. 2) Vgl. meine Arbeit: „Die Gewebe und Drüsen des Anneliden-Oeso- phagus, Fig. 4, Sitzber. der kaiserl. Akademie in Wien 1873. 142 # Dr. V. Graber: Dass diese Haut in erster Linie zur Fixirung der grossen Bein- trachee dienen werde, liegt wohl auf der Hand. Doch dürfte das ihr einziger Zweck nicht sein. Wir müssen uns nämlich denken, dass durch die häufigen Contractionen der der Trachee zunächst anliegenden Muskeln (Fig. 7 M) einerseits die Trachee bei Seite geschoben und wahrscheinlich gleichzeitig etwas zusammengepresst wird. Das elastische Suspensorium erschiene uns nun ganz geeignet, die Trachee wieder in ihre normale Lage zurückzuführen und im Verein mit ihrer federnden Intima wieder auszuspannen. Dazu kommt noch ein Umstand, über den ich mich allerdings sehr reservirt ausdrücken muss. An der verbreiterten Basis unseres Femur-Suspensorium, und zwar ganz vom Bindegewebe umschlossen, bemerke ich an mehreren ‚meiner diesbezüglichen Präparate einen in der Querebene des Beins liegenden Muskel (m), der möglicherweise bei den Orts- und Volum- änderungen der Trachee thätig mit eingreifen, also in gewisser Beziehung dem Ciliarmuskel ähnliche Wirkungen ausüben könnte. Wegen der völligen Undurchsichtigkeit: des Beins und der Kleinheit der in Rede stehenden Theile scheint es mir leider ganz unmöglich hier durch Reizungsversuche zu einem bestimmten Resultat zu ge- langen. Zur Unterscheidung von den sogenannten Respirationsmuskeln, deren Contraction nur mittelbar, nämlich durch Volumsverringerung der gesammten Leibeshöhle auf die Tracheen einwirkt, möchte ich, falls sich unsere Vermuthung hinsichtlich der Wirksamkeit der in der Suspensorium-Basis eingelagerten Muskeln bestätigt, diese als Tracheenmuskeln bezeichnen. Es würde dann das Suspensorium den Charakter einer Sehne haben, histologisch wohl zu unter- scheiden von den gewöhnlich so genannten Gebilden z. B. den Muskelsehnen (Fig. 7, r), welche weiter Nichts als zapfen- oder blattartige Fortsätze der von der Matrix und Basalmembran überzogenen chitinisirten Guticula sind. Fragen wir uns um den Grund, wesshalb dabei Fixations- resp. Accomodationsapparate an den Tracheen nicht auch im Rumpfe beobachtet werden, so dürfte man zunächst wohl den Grund anführen, dass hier im Allgemeinen niemals so gewaltsame Dislocirungen statt finden, als gerade an den oft fast ununterbrochen thätigen locomo- torischen Gliedmassen und demnach auch keine Ursache zur allmähligen localen Anpassung der am Rumpfe allerdings Eine Art fibrilloiden Bindegewebes der Insectenhaut. 143 noch gar nicht nachgewiesenen Integumentalfibrosa vorliegt, sowie denn auch die kleineren Tracheen in den Beinen (Fig. 7 T') solche Einrichtungen entbehren. Ohne Zweifel werden umfassendere Untersuchungen über den angeregten Gegenstand, welche ich gerne geübteren Kräften überlasse, noch manche interessante Modificationen zu Tage fördern. Graz, zu Ostern 1873. Erklärung der Abbildungen auf Tafel IX. (Sämmtliche Abblldungen mit Ausnahme der Fig. 4 beziehen sich auf das letzte Entwickelungsstadium von Gryllus campestris L Fig. 1. Querschnitt durch die Vordertibia (Tympanum-Region). e Cuticula, e chitinogenes Epithelium (Matrix), f fibrilloides (nicht leimgebendes) Bindegewebe. (Die Kerne derselben, vgl. Fig. 4, sind hier nicht gezeichnet.) b Basal- oder Stützmembran, T Tracheen, S ein von der kleineren zur grösseren Trachea herabsteigendes Suspensorium, H der Hohlraum des Beins, zum grössten Theil von Muskeln und sogenanntem Fettgewebe erfüllt, t die „Trommelfellgrube“ der Hinter- oder Analseite des Beins (ovales Tympanum), Alcoholpräparat nach Klärung mit 35°, Kalilauge. Vergr. °°/, (gezeichnet bei 500facher Vergr.). Fig. 2. Hauptstück eberdaher (beiläufig aus der Gegend f in Fig. 1). An der Cuticula sieht man oben an der Flächenansicht die’Endigungen (Mündungen?) der feinen Hautporen. Die röthlichbraunen Pigment- körnchen (dargestellt durch tiefschwarze Ringelchen) liegen grössten- theils zwischeu den Kernen der Matrix (e), dringen aber auch, zum Theil scheidenartige Ueberzüge an den Fasern bildend, in die Fibrosa ein. Verer. °°°).- Fig. 3. Stück einer isolirten Fibrosa-Faser. Die obere Partie ist mit Pigment-, die untere mit farblosen Protoplasma-Körnchen besetzt. Vergr. ?°°°/,. Fig. 4. Stück eines Querschnittes durch das vordere oder runde Tympanum einer ausgewachsenen Grill. mn Die eine Hälfte des runden Tym- panum, welches durch die Fibrosa (f) unmittelbar mit der kleineren Trachea (T) zusammenhängt. c u. c‘ Cuticula, e u. e’ Matrix mit Kernen, b u. b‘ Basalmembran des Integumentes und der Trachea. K Kernartige Einlagerungen der Fibrosa (Bindegewebskörperchen). D In der Fibrosa eingebettete mehrkernige Drüsen, resp. Haarzellen. T‘ eine mit der Basalmembran eng verbundene Integumental-Trachea von der zahlreiche feine Aestchen ausgehen, welche sich bis zur Cuti- cula verfolgen lassen, die sogenannte weiche Haut unter dem runden Tympanum (mp) erscheint blasser als in der Umgebung (po), weil in der Matrix und Fibrosa hier kein Pigment abgelagert ist. Nach einem mit 0,5%, Osmiums, behandelten Präparat. Vergr. °°0/,. . 144 Dr. V. Graber: Eine Art fibrilloiden Bindegewebes der Insectenhaut. —ı g. 9. g. 10. Isolirter Matrix-Kern nach Haematoxylin-Tinction, der Kerninhalt ist klumpenartig zusammengezogen, so dass die Kernmembran sehr scharf hervortritt. An sie setzen sich, bald strahlenförmig bald ein- seitig, die Fasern der Fibrosa an. Vergr. ?9%/,. Ein anderer Matrix-Kern mit etwas grösserem gekörneltem Nucleolus noch umgeben von einer Pıgmenthülle. Vergr. ?°%/,. Mittlere Partie eines Querschnittes durch die Mitte des Hinterfemur. M Muskeln. r Muskelsehne, d. i. ein hohler chitinisirter Fortsatz der Cuticula. S u. S’ eine quer durch das Bein ausgespannte Haut, bestehend aus fibrilleidem nicht chitinisirtem Bindegewebe, welche, in der Mitte sich spaltend, die Haupttrachea (T) umschliesst (Tracheensuspensorium), m ein Muskel, eingebettet in der Basis des Suspensorium (Tra- cheenmuskel?). Canadabalsampräparat. Vergr. ?/,. Flächenansicht eines Theils der Femur-Trachea (T) mit feinem Sus- pensorium (S, S‘), das unmittelbar von der integumentalen Matrix (e) entspringt. c Intima (Cuticula) der Trachea mit dem sogenannten Spiralfaden, e‘ Matrix derselben (die bläschenartigen Gebilde, Kerne, absicht- lich zu locker gezeichnet), b Homogene Basalmembran (sog. Peritonaeum), Canadabalsampräparat tingirt mit Karmin. Vergr. ?%,. Partie ganz frischen fibrilloiden Bindegewebes vom Tracheensuspen- sorium des Hinterfemur. Z Bindegewebszelle mit sehr grossem meist elliptischem Hautkern (4). Die Protoplasmafortsätze der Zellen bilden stellenweise ein weitmaschiges unregelmässiges Netzwerk. B Ein Blutkörperchen. Vergr. !9%],. Dasselbe nach längerem Liegen in Alcohol nach Aufhellung mit Glycerin. Von den Bindegewebszellen sind nur die Kerne, oder richtiger deren Gehalt (Ki) deutlich zu sehen. Km Membran des Kerns, KK Kernkörperchen. Die fibrilläre Structur der Grundsubstanz ist stellenweise, namentlich nacht langem Liegen in Kalkwasser sehr prägnant. Vergr. 1°°0],. Fig. 11. Querschnitt durch die Haut der dorsalen Abdominaldecke. p Matrixzellen (?) mit einem in die Basis der (abgeschnitten gezeichneten) Haare (h) eindringenden papillenartigen Fortsatz, Z ein Matrixkern mit deutlichem Nucleolinus. Die homogene Basalmembran (b) äusserst scharf von der Matrix abgesetzt. Eine besondere Bindegewebshaut (eigentliche Cutis) unter der Matrix fehlt hier, Kalilaugepräparat. Vergr. °%/,. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. Von Br. Alexander Goette, Privatdocent in Strassburg. Hierzu Tafel X, XI, XI. II. Die Bildung der Keimblätter und des Blutes im Hühnerei. Ich begann meine Untersuchungen an Eiern, welche aus dem Eileiter entnommen wurden, und von denen die jüngsten frühe Zustände der Dottertheilung in der Keimscheibe zeigten. Ein erster Abschnitt lässt sich alsdann für unsern Gegenstand passender- weise dort abstecken, wo ein guies äusseres Merkmal mit einem gewissen Abschlusse in der Entwicklung des Eies zusammentrifft °), nämlich in dem Zeitpunkte, wann das Ei den mütterlichen Orga- nismus verlässt. Die Entwicklung des Eies im Eileiter. Als Grundlage der sich später in Zellen verwandelnden Keim- scheibe bezeichnet His im reifen Ovarialei die das peripherisch selegene Keimbläschen einschliessende Schicht körniger, also nicht aus Zellen zusammengesetzter Dottermasse, welche vielmehr die vergrösserte primordiale Eizelle sei (Nr. 3. S. 17. 20). Dieser »Hauptdotter« ruhe auf dem weissen Dotter, einer aus eingewan- 1) Die Keime, welche ich an frisch gelegten Eiern untersuchte, besassen zwei Zellenschichten, welche in einem verdickten Rande zusammenflossen ; dies stimmt also mit den Angaben von Peremeschko, Oellacher, Klein überein, während His und Waldeyer schon etwas weiter entwickelte Keime in den frisch gelegten Eiern vorfanden. M. Schultze, Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 10, 10 146 Dr. Alexander Goette: derten Zellen bestehenden Masse (S. 4—6..22. 30), welche im Cen- trum der Dotterkugel zum gelben Dotter sich umbilde (S. 27), aber in deren Rinde und fortlaufend auch in der Unterlage der Keim- scheibe ihre weissen Dotterzellen behalte (S. 1. 32). Während dann nach eingetretener Befruchtung der Hauptdotter sich in Folge der »Furchung« in eine Zellenmasse verwandle, trenne sich ihr Cen- trum von seiner Unterlage, indem, wie His glaubt, dazwischengela- gerte Vacuolen, eine Umbildungsform der weissen Dotterzellen, zusammenfliessen und so die Keimhöhle bilden (S. 27. 31). Unterdess d. h. während des ganzen Aufenthalts des Eies im Eileiter soll sich nach His der weisse Dotter nicht verändern (S. 38), und werden daher von ihm sowohl die Elemente des Keimhöhlenbodens und seiner Fortsetzung, der Unterlage des Keimrandes (Keimwall), als auch die bekannten grossen Dotterelemente am Boden der Keim- höhle bereits gelegter Eier stillschweigend mit den weissen Dotter- zellen identificirt, auf welchen der noch ungetheilte Hauptdotter des reifen Eierstocks ruht (S. 1. 10). Am frisch gelegten Ei wird noch eine centrale Verdickung des weissen Keimhöhlenbodens erwähnt, welche die breite Basis des centralwärts verlaufenden Fortsatzes (Dottercanal aut.), einer gleichfalls aus weissen Dotterzellen beste- henden Bildung darstelle (S. 2. 11). — Den zelligen Keim beschreibt His an den von ihm untersuchten frischgelegten Eiern, welche aber, wie schon bemerkt, offenbar weiter entwickelt waren als diejenigen der meisten andern Beobachter, als eine Scheibe, welche mit ihrem Mitteltheile über der Keimhöhle ausgespannt, mit ihrem Rande auf dem Keimwalle ruhe und aus dem festeren, gegen den Rand ver- dünnten oberen Keimblatte und den von dessen unterer Fläche abgehenden subgerminalen Fortsätzen bestehe (S. 1. 9). Diese werden nur als »Vorgebilde des unteren Keimblattes« bezeichnet (S. 12). Die eingehendsten Untersuchungen über die Entwicklung des Eies im Eileiter hat Oellacher angestellt. Vor dem Beginn der Dottertheilung liege an der Stelle, wo dieselbe später auftritt, in einer entsprechenden Vertiefung des durch seine glänzenden Körner charakterisirten weissen Dotters eine Schicht feinkörniger Dotter- masse von biconvex linsenförmiger Gestalt, welche aber ohne scharfe Grenzen in den weissen Dotter übergeht (Nr. 5. S. 2. 5. 6). Die frühesten Bilder der Dottertheilung, welche Oellacher beobachtete, ergaben, dass dieselbe anfangs nur den oberen centralen Theil jener Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 147 feinkörnigen Schicht zerklüftet (S. 7. 9), während sie später bis zum srobkörnigen weissen Dotter vordringt und dann die gesammte Masse der Dottertheilstücke von demselben sich ganz scharf scheidet, ja bis auf den äusseren Rand durch eine spaltförmige Höhle (Keim- höhle) getrennt wird (8.9. 10). Da in jenen Formelementen, welche aus der feinkörnigen Substanz hervorgingen, später ebenso grosse Dotterkörner wie im weissen Dotter sich befinden (S. 10. 11), so müssten sie aus dem letzteren dorthin eingewandert sein. Wenn in dem weissen Dotter »ausnahmsweise und oberflächlich« selbst- ständige Organismen angetroffen werden, so geschieht dies doch nur nach der Dottertheilung, und müssen dieselben daher aus der Masse der Dottertheilstücke nachträglich in den weissen Dotter, welcher an der Zellenbildung keinen Antheil nahm, gelangt sein (S. 16). Ueber den sich theilenden Keim macht Oellacher noch folgende bemerkenswerthe Angaben. Bis nach der Bildung der Keimhöhle behalte er die Lbiconvex linsenförmige Gestalt, besitze also eine dickere Mitte und einen verdünnten, zugeschärften Rand (S. 10); später verdünne sich der erstere zusehends, so dass an frischgelegten Eiern die dem weissen Dotter aufliegende Keimperipherie einen verdickten Keimrand darstelle (S. 15). Während dieser Umbildung sondere sich der Keim ganz allmählich in eine obere festgefügte Schicht (oberes Keimblatt) und eine untere (unteres Keimblatt), welche von lockerem Zusammenhange ist, die grösseren Formele- mente enthält und später allein die Randverdiekung des Keims bildet (S. 9. 10. 13). Ihre ansehnlichsten Elemente treten abwärts aus ihr hervor und indem sie zugleich den Baden der Keimhöhle berühren, tragen sie den Keim wie die Pfeiler einer Brücke (S.12). Später liegen sie theilweise frei auf dem Keimhöhlenboden und müssen alsdann als ein besonderer Theil des Keims betrachtet werden (S. 17). Waldeyer beschreibt den Keim des frischgelegten Eies wie His (Nr. 6. S. 162), Peremeschko (Nr. 4. S. 8-9) und Klein (Nr. 10. 25—26) wie Oellacher. Das früheste Stadiam der Dottertheilung im Hühnereie, wel- ches ich zu Gesicht bekam, folgt unmittelbar auf das von Oellacher beschriebene »zweite Furchungsbild« (Nr. 5. 8. 8. 9. Fig. 5). Eine linsenförmige Scheibe sehr fein granulirter Substanz, welche in den 148 Dr. Alexander Goette: grobkörnigen weissen Dotter eingesenkt war, erschien in wechselnder Mächtigkeit, aber immerhin nur im oberen Theile zerklüftet, so dass unter den Dotterstücken, zwischen diesen und dem grobkör- nigen Dotter noch ein Theil der feinkörnigen Dottersubstanz unver- ändert übrig blieb. Ein zweiter, schon weiter entwickelter Keim bildete eine im allgemeinen gleichmässig starke, gegen den Rand zugeschärft auslaufende Schicht von Dottertheilstücken, welche an der unteren Seite, wo sie unregelmässig vorsprangen, und im Keim- rande am grössten waren (Fig. 1). Unter diesem zerklüfteten Keime, welcher durchweg so dick war, wie einzelne Stellen des vorigen, lag aber noch immer eine dünne Schicht ganz feinkörniger Dottermasse, welche ganz allmählich in die grobkörnige überging. Aus dem Vergleiche beider Bilder geht hervor, dass die Dotter- theilung nicht von Anfang an die ganze zu zerklüftende Dotterlage durchdringt, sondern, wie es bereits Oellacher dargethan hat, allmählich in die Tiefe vorschreitet. Auf dem in Rede stehenden Bilde scheint nun ihre untere Grenze definitiv abgesteckt zu sein. Bei stärkeren Vergrösserungen fand ich aber in der feinkörnigen Schicht dicht unter den Dottertheilstücken einzelne freie Kerne von demselben Aussehen wie die in den Dottertheilstücken eingeschlosse- nen. Im Umkreise einiger dieser freien Kerne waren Andeutungen von Spalten zu sehen, welche vom Umfange der darüberliegenden Dotterstücke ausgehend die jene Kerne einschliessenden Dottermasse noch nicht vollständig, sondern erst in gewissen kleineren oder grösseren Strecken von ihrer Umgebung trennten (Fig. 2). Gewiss ist dies nur als eine weitere Fortsetzung der Dottertheilung anzusehen; die weiteren Untersuchungen haben mich aber gelehrt, dass diese sehr spät und sehr langsam sich bildenden tiefsten Dotterstücke einen von den übrigen abweichenden Entwicklungsgang einschlagen, wesshalb auch ihre Entstehung eine besondere Erwähnung verdient. An einzelnen Stellen ragten sie bereits in die Dottersubstanz hinein, welche den Uebergang von der feinkörnigen zur grobkörnigen ver- mittelt, so dass die Dottertheilung nicht durchaus auf die erstere beschränkt oder durch sie ausschliesslich bedingt erscheint. Noch auffallender tritt dies in den folgenden Entwicklungsstufen hervor, indem alsdann in allen aus der Dottertheilung hervorgehenden Formelementen, welche anfangs feinkörnig waren, sich ebenso grosse Dotterkörner entwickeln, wie sie früher nur die darunter liegende Dottermasse auszeichneten. Der Erklärung von His und Dellacher, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 149 dass diese Körner vom weissen Dotter her in jene Elemente ein- wandern, kann ich nicht beitreten; denn sonst müssten dieselben in grossen Massen frei zwischen den einzelnen Dottertheilstücken angetroffen werden, was nicht der Fall ist, und ferner jene Ein- wanderung noch nach der Bildung der Keimhöhle, zu welcher Zeit die genannte Umbildung noch nicht vollendet ist (vgl. Oellacher’s Fig. 6 A), auf dem sehr beschränkten Wege durch den Keimrand, also erst recht auffallend erfolgen. Wenn ich aber desshalb jene Annahme von His und Oellacher für unwahrscheinlich halte, so scheint mir die locale Entstehung der grossen Dotterkörner durch die Erfahrung genügend begründet, dass sie in den jungen Eifolli- keln zuerst ganz ausschliesslich im Innern, nicht aber an der Peri- pherie erscheinen, also dort offenbar neu entstehen (Nr. 7. 8. 58). Die nächsten von mir untersuchten Keime hatten an Ausdeh- nung gewonnen, waren aber in ihrem Mitteltheile bedeutend ver- dünnt, wogegen ihr Rand verdickt und nach unten gegen seine Unterlage, den in späteren Stadien sogenannten Keimwall, bauchig vortretend erschien (Fig. 4). Während aber dieser Randwulst auf dem Keimwalle ruhen bleibt, hebt sich der Mitteltheil des Keims von seiner Unterlage ab und bildet dadurch die Keimhöhle. Dieselbe ist aber anfangs so flach, dass die untersten und grössten der Formelemente des Keims, welche aus der übrigen Masse nach unten vor- ragen, den Boden der Keimhöhle noch berühren und nach dem passenden Bilde Oellacher’s die auf ihnen ruhende Zellenmasse wie Brücken- pfeiler unterstützen. Sobald die Keimhöhle weiterhin an Höhe ge- winnt, bleiben diese tiefsten Dotterkugeln an ihrem Boden liegen, trennen sich also von der ührigen Zellenmasse, welche zur Bildung der Keimblätter bestimmt ist, mehr oder weniger deutlich ab, um in dieser Sonderung noch im Anfange der Bebrütung zu verharren. Es erhellt, dass diese längst bekannten Dotterkugeln des Keim- höhlenbodens zunächst aus jenen späten und trägen Dottertheilungs- acten hervorgehen, welche ich vorhin beschrieb; da sie aber nach dieser ihrer Entstehung und ihrem ersten Auftreten anfangs nur in spärlicher Anzahl vorhanden sind, während sie später sich ansehn- lich vermehren und auch kleinere Zellen sich ihnen zugesellen, so müsste man, wenn man mit Oellacher annimmt, dass der Keim- höhlenboden niemals organisirte Formelemente erzeugt, jene Zunahme darauf zurückführen, dass, so wie jene ersten grossen Dotterzellen von dem einheitlichen Ganzen der Dottertheilungsproducte sich ab- 150 Dr. Alexander Goette: sonderten, auch ihre spätere Vermehrung auf demselben Wege erfolge. Nun habe ich aber gefunden, dass der Keimhöhlenhoden, welchen Oellacher vom ersten Erscheinen der Höhle an für den vom Keime scharf geschiedenen, von der Dottertheilung ausge- schlossenen weissen, bez. Nahrungsdotter erklärt (Nr. 5. 8. 9. 15), — dass dieser Keimhöhlenboden von seiner ersten Entstehung an bis in die Brutzeit hinein neue kernhaltige Dotterelemente erzeugt. Zuerst mache ich auf die in Fig. 3 abgebildeten vier Vorragungen des Keimhöhlenbodens aufmerksam, welche ebenso viele Stufen der bezeichneten Zellenbildung darstellen. Die erste ist kegelförmig ohne jede Spur einer beginnenden Ablösung vom Mutterboden, was in der zweiten bereits gerundeten Vorragung zu sehen ist; den Umstand, dass die Kerne unsichtbar blieben, wird Niemand, der sich selbst davon überzeugte, wie relativ selten diese Centralgebilde in den Dottertheilstücken des Hühnereies zur deutlichen Ansicht kommen, gegen meine Deutung anführen wollen. Die zwei folgenden mit sichtbaren Kernen versehenen Vorragungen lassen aber den Abspaltungsprocess ganz unzweideutig erkennen ; die grössere von ihnen verräth ausserdem durch die zwei Kerne und eine zwischen ihnen bestehende leichte Einsenkung den Beginn einer Theilung Zur Unterstützung meiner Ansicht will ich noch anführen, dass diese Vorragungen theils ganz frei lagen, theils nur mit ganz kleinen zelligen Elementen in Berührung standen, so dass auch die Mög- lichkeit, sie seien durch den auf ihnen ruhenden Keim in den Keimhöhlenboden eingedrückt worden, ausgeschlossen erscheint. Nach solchen Ergebnissen wird man gewiss geneigt sein, die so häufigen und ohne besondere Aufmerksamkeit leicht wahrnehmbaren Vorkommnisse, dass nämlich die am Keimhöhlenboden befindlichen Dotterkugeln in entsprechenden tieferen oder flacheren Einsenkungen desselben eingebettet liegen, nicht als Folgen eines auf jene Körper ausgeübten Druckes, sondern als die letzte Stufe ihrer Ablösung vom Keimhöhlenboden aufzufassen. Wenn aber auf diese Weise die selbstständige, vom übrigen Keime ganz unabhängige Vermehrung der am Keimhöhlenboden befindlichen Elemente nachgewiesen ist, so bleibt zu erörtern übrig, in welchem gegensätzlichen oder ver- wandten Verhältnisse diese Zellenbildung zu der vorangegangenen Dottertheilung stehe. Dazu verweise ich einmal darauf, dass ich die erstere schon gleich im Anfange des Bestandes der Keimhöhle bemerkte, also im unmittelbaren Anschlusse an jene oben beschrie- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere, 151 benen Dottertheilungsacte, welche kurz vor dem ‚Erscheinen der Höhle unter den schon vorhandenen Dottertheilstücken dem Bestande derselben ganz neue Elemente einverleibten. Den Verlauf dieses letzteren Vorgangs wie überhaupt der ganzen abwärts bedeutend verzögerten Dottertheilung, kann man 'bei den heutigen Kenntnissen über die Theilung kernhaltiger Elementarorganismen sich nicht anders vorstellen, als dass bei der, jeder Dottertheilung vorange- henden Kernverdoppelung die nach unten verdrängten Kernhälften oder neuen Kerne die Absonderung der sie umgebenden Dotter- masse viel langsamer bewirkten als es in den oberen Abschnitten geschah, und dass folglich neue Theilungen dieser Kerne und wei- tere Verschiebungen der neuen Tochterkerne vor dem Abschlusse jener Absonderung erfolgen konnten. Eine solche Annahme scheint mir nicht unbegründet und jedenfalls derjenigen einer fortdauernden spontanen Neubildung von Kernen vorzuziehen, seitdem man weiss, dass auch in dem sich vollständig zerklüftenden Batrachierei die ersten Dottertheilungen in ihrem Fortschritte gegen den unteren Pol eine Verlangsamung erfahren; und ich habe in meiner Ent- wicklungsgeschichte der Unke es zu erklären versucht, wie diese Verlangsamung der Spaltung mit der Grösse der den Kern umge- benden Dottermasse wächst, so dass bei den grossen meroblastischen Wirbelthiereiern die Spaltung in ihrem Fortschritte gegen den re- lativ riesigen Nahrungsdotter endlich ganz erlahmen müsse. Daher gibt es im Hühnerei höchst wahrscheinlich in jeder Periode der Dottertheilung freie Kerne in den unteren Regionen ihres Bezirks, wie ich sie unmittelbar vor der Bildung der Keimhöhle auch that- sächlich sah. Bei dem Eintritt dieser Bildung hebt sich die Masse der fertigen Dottertheilstücke von ihrer Unterlage, also auch von ‚den unvollständig abgesonderten, bez. der Lagerstätte der freien Kerne ab, welche folglich als Abkömmlinge des ursprünglichen Dotter- theilungsprocesses im Keimhöhlenboden zurückbleiben und dann jene Erscheinung hervorrufen, die ich eben als die Entwicklungsstufen der grossen Dotterzellen beschrieb. — Der Umstand, dass die bisher unbe- kannte Vermehrung der letzteren eine einfache Fortsetzung der Dotter- theilung des Keims ist, erklärt auch gewisse Eigenthümlichkeiten ihrer Entstehung. Wenn man die Bildung der Keimhöhle nicht willkürlich aus einer Verschmelzung einer ganzen Lage von Vacuolen hervorgehen lässt, wiees His ohne jede Veranlassung thut, sondern auf Grund der thatsächlichen Befunde als einfache Folge der (viel- 152 Dr. Alexander Goette: leicht durch angesammelte Flüssigkeit hervorgerufenen) Abhebung der fertigen Dottertheilstücke betrachtet, so erhellt, dass die zurück- bleibende Unterlage nicht eine glatte Oberfläche haben kann, son- dern ein der unebenen Unterseite der abgehobenen Zellenmasse entsprechendes Relief von rundlich eckigen Vorsprüngen aufweisen muss. Da diese ursprünglich zwischen die fertigen Dottertheilstücke mehr oder weniger vorragten, also im allgemeinen die denselben nächsten Theile der noch unzerklüfteten Unterlage ‚waren, so soll- ten sie auch vorherrschend die aus den ersteren abstammenden freien Kerne enthalten. Dies gibt nun die gewünschte Erklärung, warum wenigstens in der ersten Zeit des Bestandes der Keimhöhle die grossen Dotterzellen aus Vorragungen ihres Bodens hervorgehen und warum sie vor der kugeligen Zusammenziehung der sich ab- sondernden Dottermasse häufig eine annähernd kegelförmige Gestalt haben: diese ist eben der Ausdruck dafür, dass die Vorragung früher den unteren Zwischenraum zwischen benachbarten runden Dottertheilstücken ausfüllte. Eine passende Illustration dazu habe ich in einem schon mehrere Stunden bebrüteten Ei gefunden (vgl. Fig. 7), wo zwei grosse in den Keimhöhlenboden leicht eingesenkte Dotterzellen eine solche Vorragung zwischen sich fassen. Wollte man solche Vorkommnisse nur durch Druck erklären, sei es dass derselbe von aussen auf die Zellen wirkte oder in ihrer eigenen Schwere zu suchen wäre, so bliebe es unverständlich, dass solche Ursachen zu einer bestimmten Zeit nur ganz vereinzelte Zellen treffen, während ihre nächsten Nachbarn davon unberührt bleiben. Andererseits scheint es mir ganz natürlich, dass sobald eine Dotter- zelle sich von ihrem Mutterboden vollständig abgelöst hat, die Un- ebenheit des letzteren sich allmählich ausgleicht, also stets die Mehrzahl jener Elemente auf einer ebenen Unterlage ruhen. End- lich darf ich zu bemerken nicht unterlassen, dass durch die voran- stehende Darstellung die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit nicht ausgeschlossen werden soll, dass auch nicht vorragende kernhaltige Theile des Keimhöhlenbodens sich zu Dotterzellen absondern, welche dann ebenso wie die weniger tief eingesenkten durch die sich aus- gleichende Fläche ihrer Unterlage in den freien Raum der Keim- höhle gehoben werden. Vergegenwärtigt man sich namentlich diese letzte Modification der Dotterzellenbildung, so drängt sich der Ver- gleich mit der Zellenbildung durch sogen. Knospung, welche an den Eiern verschiedener Wirbellosen beschrieben wird, ganz unwillkür- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte‘ der Wirbelthiere. 153 lieh auf. Ich selbst habe an mir unbekannten Schneckeneiern die Dottertheilung verfolgt und dabei gefunden, dass an den ausser- ordentlich grossen unteren Dotterkugeln gleichzeitig an mehreren Stellen sich Körperchen erhoben und abschnürten, welche aber von Anfang an Kerne enthielten. Ein nur scheinbares Hinderniss des bezeichneten Vergleichs ist der Umstand, dass die Knospe aus ihrem Mutterboden hervorwächst, jene Dotterzellen aber sich einfach von demselben ablösen, und wenn sie in ihn eingesenkt waren, durch die nachträgliche Ausgleichung dieser Unebenheit an seine Ober- tläche gehoben werden. Dieser Unterschied ist aber nur ein äusser- licher und hängt theilweise mit den verschiedenen physikalischen Eigenschaften des Stoffes, also der beiderlei Dottersubstanz, theils mit den verschiedenen Grössenverhältnissen zusammen. Je zäher die Masse und je geringer die Grössendifferenz zwischen den sich absondernden Theilen und ihrem Mutterboden ist, desto mehr über- wiegt die Erscheinung einer Abschnürung, im umgekehrten Falle aber diejenige einer blossen Abspaltung; wie schon die allbekann- ten Vorgänge der Dottertheilung diese zwei Erscheinungsformen unterscheiden lassen, ohne dass man bisher der Zerklüftung oder Spaltung des Hühnerkeims und den fortdauernden Abschnürungen der Dotterkugeln des Säugethiereies ein verschiedenes Wesen zu- schrieb. In beiden Fällen sind es gleicherweise die mit der An- wesenheit des Kerns zusammenhängenden Zusammenziehungen des sich ablösenden Theils, welche die Trennung herbeiführen. Wenn aber die bezeichnete äussere Erscheinung einen durchgreifenden Unterschied beider Dottertheilungsvorgänge nicht enthält, so ergibt sich auch in allen übrigen Stücken ihre wesentliche Uebereinstim- mung. In beiderlei Eiern wird die untere Dottermasse träger und in grössere Stücke getheilt als die obere Masse, und wird dadurch in ersterer der eigenthümliche Zustand herbeigeführt, dass zur Zeit mehre Kerne in einer grösseren Dottermasse frei eingebettet. liegen, ehe die zugehörigen Dottertheile sich um sie absondern. Wenn dies in den Schneckeneiern unter dem Bilde einer Knospung ge- schieht, welches dem Hühnerei fehlt, so berührt doch dieser Unter- schied nicht das Wesen der Dotterabsonderung um gegebene Cen- tralgebilde; und ebenso wenig massgebend für die Unterscheidung ist ein anderes Moment, welches bisher eine gewisse Bedeutung be- anspruchte, dass nämlich der grössere Theil des meroblastischen Hühnereies sich nicht theile, sondern unorganisirt bleibe. In den 154 Dr. Alexander Goette: Eiern der beiden genannten Thierformen unterscheiden wir grosse untere Dottermassen, welche mit regellos zerstreuten Kernen gefüllt, nicht wohl als einfache Elementarorganismen bezeichnet werden können. Während nun im weiteren Entwicklungsverlaufe jene Massen des Schneckeneies in die an ihrer Peripherie sich beständig neu bildenden Dotterzellen vollständig aufgehen, bleibt von dem entsprechenden Theile des Hühnereies in Folge seiner Grösse, wel- che, wie ich glaube annehmen zu dürfen, die nothwendigen endos- motischen Vorgänge '!) aufhält, die bei weitem grössere Masse un- verändert im früheren Zustande bestehen und sondert sich dadurch endlich vollständig von den an ihrer Peripherie entwickelten Dotter- zellen. In dem ersten Falle gestatten also die Grössenverhältnisse den allmählichen Uebergang der ganzen unteren Dottermasse in organisirte Elemente; im andern Falle unterbricht die excessive Grösse dieser Masse den Nlortgang der Entwicklung. Die soge- nannte »partielle Furchung« unterscheidet sich also von der »tota- len« Dottertheilung nicht dadurch, dass von vornherein ein sich theilender Abschritt der Dotterkugel von einem indifferent im frü- heren Zustande verharrenden sich trennt, sondern dadurch, dass der beiden Dottertheilungsformen gemeinsame Entwicklungsvorgang in seiner Ausbreitung vom oberen zum unteren Pole ganz allmählich, also weder in einem bestimmten Zeitpunkte, noch an einer bestimm- ten Grenze erlahmt und endlich ganz aufhört. Wenn ich aber bis- her das Schneckenei zum Vergleiche heranzog, weil dessen untere Dottermassen, obgleich später total zerklüftet, in ihrer ersten Ent- wicklung den homologen Theilen des Hühnereies am meisten ent- sprechen, so will ich jetzt noch einmal auf das Batrachierei hin- weisen, welches in der systematischen Thierordnung dem letztge- nannten näher stehend, ebenfalls wenn auch nicht so auffallende Anknüpfungspunkte für den betreffenden Vergleich bietet. Denn der allmähliche und abwärts sich verlangsamende Fortschritt der ersten Dottertheilungen ist im Batrachiereie ebenfalls vorhanden, und die totale Zerklüftung wird nur in Folge der geringen Grössen- differenz zwischen oberer und unterer Dottermasse gewährleistet. Andererseits wird aber der Umstand, dass dabei wenigstens nach meinen Erfahrungen niemals mehr als zwei Kerne gleichzeitig in einer noch ungetheilten Dottermasse bestehen, während diese Zahl 1) Vgl. meine Entwicklungsgeschichte der Unke. Abschnitt II. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 155 in den oben besprochenen Eiern weit bedeutender ist, keinen we- sentlichen Unterschied hegründen können, wenn man Sich erinnert, dass Kern- und Dottertheilung nicht zusammenfallen, sondern die letztere als Folge der ersteren früher oder später eintreten kann. Als allgemeines Ergebniss der voranstehenden Betrachtungen können wir also verzeichnen, dass der Unterschied zwischen totaler und partieller Dottertheilung nur ein in engen Grenzen re- lativer ist. Im besonderen ist aber für das Hühnerei hervorzuheben, dass die Theilung durchaus nicht an der Oberfläche des Bodens der eben entstandenen Keimhöhle ihre Grenze findet, sondern in dem- selben bis in die Brutzeit hinein fortgesetzt wird. Aber allerdings beginnt mit der Entstehung der Keimhöhle eine Sonderung der gleicherweise aus der Dottertheilung hervorgegangenen zelligen Elemente in: die oberen, vor jenem Zeitpunkte gebildeten Schichten, welche die schneller getheilten, also kleineren Elemente enthalten und sich später zu den Keimblättern umbilden, und in die träge entwickelten grossen unteren Dotterkugeln. Diese füllen anfangs in spärlicher Anzahl die ganze Höhe der spaltförmigen Keimhöhle aus, bleiben später durch den von unten her gelieferten Nachschub ansehnlich vermehrt am Boden der sich erweiternden Höhle in lockerer Ansammlung zurück und werden so von der fester ge- fügten Grundlage der Keimblätter mehr oder weniger deutlich ge- trennt. Beide Theile will ich schon von jetzt ab durch besondere Namen unterscheiden und zwar nach Analogie mit den, wie ich weiter unten zeigen werde, entsprechenden Theilen des Batrachier- eies den letzteren als Keim, den anderen als die Dotterzellen bezeichnen. Die Elemente des Keimes wären also im Gegensatz zu den letzteren ‘die eigentlichen Embryonalzellen. Alle diese That- sachen wurden bisher, weil die betreffenden Entwicklungsvorgänge übersehen oder verkannt wurden, durchaus irrthümlich gedeutet. Dass His die Entwicklung des Hühnereies_ während der ganzen Wanderung desselben durch den Eileiter so gut wie gar nicht ver- folgt hat, geht aus seinen Angaben unzweideutig hervor. Seine durchaus unbegründete Vermuthung, über die Bildung der Keim- höhle habe ich schon erwähnt ; ebenso wenig zutreffend ist seine Beschreibung des} Dottercanals '). Wichtiger ist, dass. His alle 1) Die Masse desselben ist nicht eine einfache Fortsetzung des weissen Dotters vom Keimhöhlenboden, sondern besteht aus scheinbar durchaus ho- 156 Dr. Alexander Goette: zelligen und zellenähnlichen Bildungen, welche am frischgelegten oder schon bebrüteten Ei ') ausserhalb des Keims sich befinden, also die Dotterzellen und die späteren Elemente des Keimwalls mit denjenigen Zellen identificirt, aus denen der weisse Dotter oder die Unterlage des feinkörnigen Primordialeies im reifen Eierstockseie ausschliesslich zusammengesetzt sein soll. Dass es überhaupt sol- che mit Zellen zu vergleichende Bildungen im reifen Eierstocksei gebe, wird mir aus den Untersuchungen Oellacher’s zweifelhaft, welcher dort den weissen Dotter ebenso fand wie während des Aufenthaltes des Eies im Eileiter, nämlich bloss als eine durch erosse Dotterkörner charakterisirte Masse (Nr. 5. 8.2.5.6). Davon habe ich mich aber selbst überzeugt, dass von frühen Stadien der Dottertheilung an bis nach dem Verlaufe der ersten Brutstunden nirgends in der Umgebung des Keims und der Dotterzellen eine Spur zellenähnlicher Bildungen verkommt, wie solche später im Keimwalle auftreten. Und darin, dass die Dotterzellen nur Producte der Dottertheilung sind, muss ich Oellacher vollkommen bei- stimmen, sodass ich in der Darstellung von His nur eine durch keine einzige Thatsache unterstützte Vermuthung sehen kann. Ferner kann ich aber auch die Ansicht, welcher His, Waldeyer (Nr. 6. 8. 162) und Oellacher gemeinsam huldigen, dass der, weisse Dotter von der Zerklüftung ausgeschlossen sei, auf Grund meiner Untersuchungen nicht theilen. Als die grobkörnige Unter- lage der feinkörnigen Schicht geht der weisse Dotter ganz allmäh- lich in dieselbe über, sodass von einer bestimmten Abgrenzung beider niemals die Rede seinkann. Zuletzt wird selbst die annähernde Grenze durch das allmähliche Auswachsen der feinen Dotterkörn- chen ganz aufgehoben, und bleibt man alsdann dabei, dass der Keimhöhlenboden weisser Dotter sei, so nimmt dieser eben an der Zerklüftung Theil. Es sind daher die Dotterzellen allerdings vom mogener Substanz, welche unter jenem Boden sich in Gestalt eines flachen Trichters ausbreitet, in welchem jener scheibenförmig ruht. Allerdings dürfte es schwer fallen, diesen Befund an frischen oder gekochten Eiern festzustellen, da es selbst an gehärteten Objecten nicht ausnahmslos glückt, einen voll- ständigen Durchschnitt jenes Trichters mit seinem unteren, gewöhnlich nicht ganz senkrecht gerichteten Fortsatze zu erhalten. (Fig. 1, 5—8). 1) Ich bemerkte schon, dass die von His untersuchten frischgelegten Eier denjenigen meiner Objecte entsprechen, welche bereits einige Stunden bebrütet waren. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 157 weissen Dotter abzuleiten, aber nicht, wie His annimmt, als ur- sprüngliche Elemente desselben, sondern als Neubildungen in Folge der durch die Befruchtung hervorgerufenen Entwicklung. Wal- deyer lässt es freilich unentschieden sein, ob die Dotierzellen aus dem weissen Dotter abstammen (Nr. 6. S. 161), schliesst sich aber insofern His an, als er die Producte der Dottertheilung den etwaigen des weissen Dotters entgegenstellt und jene allein als »primäre Abkömmlinge der Eizelle« betrachtet (8. 162). Diese irrige Auffassung, welcher auch Oellacher, wie wir sahen, sich anschliesst, entsprang offenbar der Deutung, welche Waldeyer den einzelnen Eitheilen mit Bezug auf ihre Genese gab (Nr. 7. S. 60—63. 82. 83). Wie His unterscheidet er an allen Wirbel- thiereiern einen Haupt- und einen Nebendotter; und wenn er auch von dem letzteren, also auch von dem weissen Dotter gewiss mit Recht behauptet, «dass derselbe keine Zellen enthalte, wie es His lehrte, sondern aus dem Zerfall des Follikelepithels hervorgehe, so hält er doch an der Zellennatur des Hauptdotters als der einfachen primordialen Eizelle fest. Ich habe diese Theorie bereits an einem andern Orte zu widerlegen versucht !); hier will ich nur darauf hinweisen, dass, wenn schon die Grenze jener beiden in ihrer Genese und Bedeutung angeblich so grundverschiedenen Dotterabschnitte am reifen und befruchteten Hühnereie unbestimmt erscheint und endlich sich völlig verwischt, ihr ferneres Verhalten jene Scheidung ebenso wenig rechtfertigt: »Eizelle« und »Nebendotter« verwandeln sich durch den Dottertheilungsprocess in durchaus gleicher Weise in zellige Elemente. Allerdings habe ich unter den letzteren nach Lage und Anordnung, namentlich aber mit Rücksicht auf die spä- tere Bedeutung zwei Gruppen unterschieden, von denen die eine, die Embryonalzellen, im grossen und ganzen unzweifelhaft aus der feinkörnigen Dotterschicht oder der »Eizelle«, die Dotterzellen da- gegen aus dem weissen Dotter abstammen. Diese Vertheilung ist aber eben nur eine annähernd genaue und wird bloss durch eigen- thümliche, mit der Dottertheilung von Anfang an verknüpfte Raum- verhältnisse herbeigeführt. Ebenso wenig wie in den Batrachier- eiern, welche doch alle Erscheinungen mit aller wünschenswerthen 1) In meiner Entwicklungsgeschichte der Unke habe ich jene Lehre für die Batrachier ganz direct zurückweisen können; für die anderen Wir- belthiere schien mir selbst unter Zugrundelegung der Waldeyer’schen Beob- achtungen meine Auffassung wenigstens wahrscheinlicher als die Waldeyer’s. 158 Dr. Alexander Goette: Klarheit darbieten, ist es am Hühnerei möglich, Embryonal- und Dotterzellen von Anfang an genau zu unterscheiden; Ja es ist durch- aus nicht unwahrscheinlich, dass sie freilich nur im Anfange ihrer gegenseitigen Abgrenzung einzelne Elemente mit einander austau- schen. Die Keimhöhle des Hühnereies ist nämlich anfangs so niedrig, dass die auf ihrem Boden ruhenden Dotterzellen oben an den Keim anstossen; in dem letzteren erscheinen nun häufig grössere Zellen, welche allerdings in der Regel vom Randwulste, wo solche Elemente längere Zeit aufgespeichert liegen, herstammen, in einzelnen Fällen aber von unten her sich einschieben mögen, wie andererseits von dem den Keimhöhlenboden mittel- oder unmittelbar berührenden Keime sich einzelne Zellen ablösen und den Dotterzellen beigesellen können. Ein strieter Beweis ist weder dafür noch dagegen zu lie- fern; für die Wahrscheinlichkeit meiner Annahme spricht aber das ähnliche Verhalten des-Darmblattes, also des untersten Keimtheils und der Dotterzellenmasse im Batrachierei: eine Scheidung dieser beiden Theile ist von einer gewissen Zeit an nur ganz im’ allgemei- nen möglich, im einzelnen aber mögen einige Darmblattzellen die späteren Schicksale der Dotterzellen theilen, einzelne der letzteren in das definitive Darmblatt übertreten. Das Ergebniss dieser Ueberlegung fasse ich dahin zusammen, (dass die Dottertheilung im Hühnerei sich über einen gewissen Ab- schnitt der Dotterkugel erstreckt, ohne Rücksicht auf eine etwaige Zu- sammensetzung desselben aus zwei genetisch verschiedenen Theilen; und dass ferner ebenfalls mit Vernachlässigung dieser angeblichen Zusam- mensetzung die Producte der Dottertheilung erst später in zwei voll- ständig geschiedene Gruppen, die den eigentlichen Keim zusammen- setzenden Embryonalzellen und die Dotterzellen auseinandertreten. Wie weit diese Scheidung geht, wird sich aus der folgenden beson- deren Entwicklungsgeschichte beider Zellengruppen ergeben, wobei ich natürlich mit dem Keime beginnen muss, da die eigenthümliche Thätigkeit der Dotterzellen erst nach eingetretener Bebrütung anfängt. Wenn man von dem Keime vor der Bildung der Keimhöhle spricht, so ist nach dem Voranstehenden darunter nicht das ganze Gebiet der Dottertheilung, sondern nur die grosse Masse der Dotter- theilstücke mit Ausnahme der untersten, ıneist erst unvollständig abgesonderten zu verstehen. Und nach dem Erscheinen der Keim- höhle umfasst der allein als Keim zu bezeichnende Theil die oberen fester gefügten Schichten der Dottertheilstücke, während die tiefste Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 159 Lage mehr oder weniger isolirter und grosser Elemente, auf denen der Keim anfangs wie auf einzelnen Stützen ruht, die Dotterzellen darstellen. Wenn auch, wie gesagt, an der Grenze beider Zellen- oruppen die Zugehörigkeit der einzelnen Elemente bisweilen nicht entschieden werden kann, so lässt sich immerhin die allgemeine Form des Keims mit genügender Genauigkeit bestimmen. "Ich finde nun in Uebereinstimmung mit Oellacher, dass vor der Bildung der Keimhöhle die ganze Masse der Dottertheilstücke und nach Abzug der noch ausserordentlich spärlichen Dotterzellenanlagen auch der eigentliche Keim eine linsenförmige Gestalt hat und gegen den and verjüngt und zugeschärft ausläuft (Fig. 1). Gleich nach der Bildung der Keimhöhle beschreibt Oellacher den Keim noch ebenso, weil er darin die Gesammtmasse der »Furchungselemente« begreift; seine Fig. 6 zeigt aber deutlich, dass, wenn man die grösseren isolirten Dotterzellen unberücksichtigt lässt, die compaete Masse der Embryonal- zellen zum Rande hin dicker ist als in der Mitte. Und dies stimmt durchaus mit meinen Erfahrungen; schon zu der Zeit, wenn der dem Keimwalle aufliegende Randtheil noch die auffallend grösseren Dotter- theilstücke enthält, ist der ganze über der Keimhöhle ausgespannte Centraltheil des Keims gegen früher nicht nur bedeutend ausgedehnt, sondern auch entsprechend verdünnt, so dass der noch unveränderte Randtheil als Randwulst bezeichnet werden kann (Fig. 4). Zugleich finde ich an demselben Keime bereits eine, wenn auch nicht scharfe Son- derung in zwei Schichten, wie sie Oellacher erst an einem often- bar älteren, weil der grossen peripherischen Dotterstücke bereits er- mangelnden Keime (Nr. 5, Fig. 8) erscheinen sieht!). Oellacher nimmt an, dass diese Schichtung, wie die bisher übliche Auffassung lautet, durch allmähliche Sonderung an Ort und Stelle erfolge. Ich kann dieser Auffassung trotz des Mangels an nur wenig Jüngeren Keimen nicht beitreten, und zwar mit Rücksicht sowohl auf einige Einzelheiten der Beobachtung, als auch besonders auf homologe Vor- 1) Der Umstand, dass Oellacher in den Fig. 7 und 8, aiso an Keimen von »Eileitereiern«, keinen Randwulst abbildet, spricht nicht ohne weiteres gegen die Anwesenheit eines solchen. Wenn ich die dargestellten Durchschnitte mit den entsprechenden meiner Präparate, an denen die peripherischen gros- sen Dottertheilstücke gleichfalls geschwunden sind, vergleiche, so kann ich sie nur für äussere, vom grössten Durchmesser des Keimes entfernte halten; an solchen lassen sich aber die Vorsprünge des Randwulstes natürlich nicht erkennen. 160 Dr. Alexander Goette: gänge in anderen Wirbelthierkeimen. Bei näherer Untersuchung des bezeichneten Keims ergibt sich, dass die obere Schicht ansehnlich dicker ist als die untere, zwei Zellenlagen in ihrer Dicke hält und ziemlich fest gefügt ist. Die untere Schicht ist von den darunter liegenden Dotterzellen nicht deutlich zu trennen; berücksichtigt man daher nur die Stellen, wo dieselben fehlen, so zeigt sie sich als eine im allgemeinen dünne und lockere Lage von grösseren und kleine- ren Zellen und von wechselnder Mächtigkeit. In der Mitte ist sie am dünnsten und nicht einmal continuirlich; sie enthält dort nur eine Zelle in der Dicke und zeigt kleinere und grössere Lücken im Zusammenhange ihrer Elemente. Gegen die Peripherie erscheint sie fester und dicker, indem an einigen Stellen Zellen über einander liegen. An der inneren Grenze des Keimwalles angelangt fliessen beide Schichten ungetrennt im Randwulste zusammen, welcher noch aus groben Dotterstücken besteht. Während der ferneren Entwick- lung bis zum Anfange der Bebrütung sind die Veränderungen des Keims nicht sehr auffallend, aber doch für die Erkenntniss der Schichtung bemerkenswerth. Bei einer mässigen Ausdehnung des ganzen Keims hat die Mächtigkeit der oberen Schicht bedeutend ab- genommen, indem dieselbe nur noch aus einer Zellenlage besteht, welche sich auch am ganzen, Randwulste abgesondert hat (Fig. 5). Dagegen ist die untere Schicht fester, vollständig zusammenhängend und im Ganzen mächtiger geworden, indem sie häufiger als früher zweireihig erscheint. Auch hat sie sich durch eine Erweiterung der Keimhöhle von den Dotterzellen deutlich getrennt. Durch die Ab- sonderung der oberen Schicht bis an den äussersten Keimsaum fällt die grosse Masse des Randwulstes der unteren Schicht zu; ihre gros- sen Dotterstücke sind bis auf einzelne Ausnahmen in klemere Zellen zerfallen. Diese im Randwulste zurückgebliebenen grossen Dotter- kugeln für eingewanderte Dotterzellen zu erklären, liegt kein Grund vor; vielmehr spricht der Umstand dagegen, dass die Zahl der Dotter- zellen, deren Vermehrung, wie ich schon erwähnte, sehr langsam vor sich geht, gegen früher zugenommen hat. Wenn man nun überlegt, dass die Zellenmasse des Randwulstes, welcher nunmehr in seiner Hauptmasse der unteren Keimschicht angehört, während der ersten Zeit der Bebrütung in dem Masse schwindet, als die aus jener Schicht hervorgehenden Anlagen an Masse zunehmen, so darf man schliessen, dass die Zellen des Randwulstes gegen die Mitte des Keims auswandern (Fig. 4—3). Ist aber das spätere Wachsthum Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 161 der unteren Keimschicht durch Einwanderung ihrer peripherischen Zellen zu erklären !), so darf auch wohl dieselbe Ursache für die bezeichnete Vervollständigung derselben Schicht in jenen noch im Eileiter befindlichen Eiern angenommen werden. Ich glaube aber, (lass wir alsdann mit dieser Erklärung noch weiter gehen können. Auf der jüngsten Entwicklungsstufe der unteren Keimschicht, die ich untersuchte, bestand dieselbe in der Mitte aus isolirten, flach ausgebreiteten Zellengruppen, welche erst gegen die Peripherie hin in eine continuirliche Lage und unter Verdickung der letzteren in die Masse des Randwulstes übergingen. Ist es nun gewiss, dass die spätere Verdickung und Verdichtung der ganzen Schicht auf einer centripetalen Verschiebung ihrer peripherischen Zellen und derjenigen des Randwulstes beruht, so ist die Annahme, dass über- haupt die ganze Schicht demselben Vorgange ihre erste Entstehung verdanke, nicht weniger berechtigt als diejenige, dass es durch Ab- spaltung von der oberen Schicht geschehe. Denn für letzteres liegen noch keine Beobachtungen früherer Entwicklungsstufen vor als die von mir beschriebenen; Vellacher’s Fig. 8 entspricht, wie gesagt, einem älteren Keime, dessen untere Schicht bereits eine continuirliche, meist nicht mehr einreihige Zellenlage darstellt. Wenn es mir aber nicht gelang, die erstere Ansicht durch direete Beobachtungen zu be- gründen, so wird sie dafür durch meine Befunde an den Wirbelthier- eiern, welche nach den bisherigen Untersuchungen den Hühnereiern am nächsten stehen, nämlich den Eiern der Knochenfische (Forelle), wesentlich unterstützt. In dem ersten dieser meiner Beiträge (Nr. 11) habe ich nachgewiesen, dass der Forellenkeim anfangs aus einer Schicht (primäre Keimschicht) bestehe, welche durch ein nach innen und unten gerichtetes Auswachsen ihres verdickten Randes (Rand- wulst) die zweite secundäre Keimschicht bildet. Nimmt man dazu, dass nach meinen Untersuchungen auch die Batrachiereier sich ebenso verhalten. ja dass selbst die Säugethiereier, wie ich es schon vor- läufig anzeigte (Nr. 12), davon keine Ausnahme zu machen scheinen, so wird man zu derselben Auffassung :beim Hühnerei sich um so eher entschliessen können, als derselben keine widersprechenden Be- £ l) Waldeyer kennt eine solche Einwanderung ebenfalls (Nr. 6, 8. 162), welche aber durchaus von derjenigen zu unterscheiden ist, welche His, Pe- remeschko, Oellacher undKlein annehmen, da sie dieselbe auf Elemente zurückführen, welche den Keimschichten ursprünglich nicht angehören. Ich komme darauf weiter unten zurück. M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. Ir 162 Dr. Alexander Goette: obachtungen und Angaben entgegenstehen. Bis auf Oellacher, welcher aber solche Angaben nicht vorbringt, haben eben alle Em- bryologen ihre Untersuchungen am frisch gelegten Ei begonnen, welches beide Schichten ganz unzweifelhaft bereits vollständig be- sitzt; und da die Ansicht von der Entstehung der letzteren durch allmähliche locale Absonderung sich einmal ais Dogma eingebürgert hatte, so kehrt es trotz scheinbarer Abweichungen überall als das- selbe wieder. Denn ich sehe keinen wesentlichen Unterschied darin, dass His und Waldeyer (Nr. 6 S. 162) die von der oberen (pri- mären) Keimschicht deutlich abgesonderte untere als subgerminale Fortsätze der ersteren bezeichnen, die sich erst in zweiter Linie zu einem unteren Keimblatte umbilden, während alle übrigen Beobachter von Anfang an von zwei Blättern reden. Hötten His und Waldeyer ihre Keime im Zusammenhange mit dem Dotter und nicht nach vor- hergegangener Ablösung von demselben untersucht, so hätte auch an ihren Präparaten die secundäre Keimschicht nicht die auffallen- den, nach meinen Untersuchungen gewiss nicht natürlichen Falten gezeigt !), welche die Einführung jener, wie ich glaube, überflüssigen neuen Bezeichnung veranlassten. Wenn übrigens His wirklich der Ansicht sein sollte, seine subgerminalen Fortsätze seien Auswüchse, Producte der ursprünglich einzigen Keimschicht, des oberen Keim- blattes, so hätte er diesen einfachsten Zustand des Keims aus eige- nen oder fremden Untersuchungen erweisen sollen, was er aber unterliess. Nachdem ich bereits die Uebereinstimmung des Dottertheilungs- processes im Hühnerei mit demjenigen anderer sogenannter holobla- stischer Wirbelthiereier dargethan, glaube ich auch für die Keini- schichtung dasselbe Resultat gewonnen zu haben. Bei den Batrachiern, den Vögeln und Säugethieren und, wie ich noch für die Fische nach- weisen werde, auch bei diesen, sondert sich ein Theil der aus der Dottertheilung hervorgehenden Zellen .Zu einer primären Keim- schicht ab, welche bei ihrer Ausbreitung sich verdünnt, dabei einen 1) Ich muss hier dem Einwande begegnen, als könnten die Falten nicht ein Artefact sein, weil sie bei derselben Untersuchungsmethode später nicht vorkämen. Der ganze Keim ist vor der Bebrütung und im Anfange dersel- ben viel weicher als später, sodass auch an der oberen Keimschicht, welche bei der Erhärtung des ganzen Eies allein dem unmittelbaren Einflusse des Erhärtungsmittels ausgesetzt ist, Faltungen unvermeidlich sind, welche aber alsdann am Darmblatte nicht vorkommen, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 163 dickeren Rand erhält und darauf von diesem durch eine Art von Umschlag nach unten und innen die secundäre Keimschicht erzeugt '). Mit diesem zweischichtigen Keime kommen die Hühner- eier zur Bebrütung; mit seinem Randwulste ruht er auf dem Keim- walle, sein grösserer Mitteltheil ist frei über der Keimhöhle ausge- spannt, deren Boden von den sich allmählich vermehrenden Dotter- zellen bedeckt wird. Wenn nun aber nach meiner Darstellung die beiden Keimschichten des frischgelegten Hühnereies nach ihrer Ent- stehung den gleichnamigen Theilen anderer Wirbelthiereier entspre- chen, so bestände doch ein sehr wesentlicher Unterschied in der weiteren Entwicklungsgeschichte beider Gruppen, wenn alle neueren Untersuchungen darin Recht hätten, dass die Dotterzellen oder an- dere ausserhalb des Hühnerkeims gelegene Gebilde denselben erst nachträglich vervollständigen und ergänzen. Denn in den Fisch- und Batrachiereiern liefern die beiden Keimschichten alle morpholo- gischen Grundlagen des Embryo, und finden sich keine ausserhalb derselben liegenden Theile, welche nachträglich zu derselben Leistung herangezogen würden. Die Lösung dieses Widerspruchs glaube ich nun in der folgenden Entwicklungsgeschichte des bebrüteten Hühner- eies liefern zu können. Die Entwicklung des bebrüteten Hühnerkeims. Wie ich bereits in meiner Entwicklungsgeschichte der Unke auseinandergesetzt habe, war schon v. Baer der Erkenntniss, dass der zweischichtige Keim durch eine Spaltung der unteren Schicht sich in einen dreiblätterigen verwandele, näher gewesen, als es Re- mak annahm, der diese Ansicht bestimmt aussprach (Nr. 1, S. 6) und ihr bis in die neuere Zeit Geltung verschaffte. Den ersten Widerspruch erfuhr diese Lehre durch Dursy, welcher nach dem Vorgange Reichert’s geneigt war, das unterste Keimblatt, das 1) Es ist klar, dass bei einer solchen Auffassung die Keimhöhle des Vogel- und des Fischeies eine verschiedene Bedeutung hat vor und nach der Bildung der secundären Keimschicht: zuerst entspricht sie der Keimhöhle der Batrachier, später deren embryonaler Darmhöhle. Diese Homologie verliert ihr . Auffallendes, wenn man überlegt, Gass die sogenannte Keimhöhle der Fische und Vögel zuletzt mit dem ganzen Dottersacke in den Darm des fertigen Thieres übergeht. Doch hielt ich es nicht für geboten, den einmal eingebür- gerten Ausdruck abzuändern, da die eigentliche vor der Bildung der secundären Keimschicht bestehende Keimhöhle gerade am Hühnereie bisher unbekannt blieb. 164 Dr. Alexander Goette; Darmblatt, erst im Verlaufe der Bebrütung zum zweischichtigen Keime vom Dotter her hinzutreten zu lassen, sodass also der erstere in seinen zwei Schichten nur das obere und das mittlere Keimblatt enthielte (Nr. 2, S. 15. 16). Ferner lenkte Dursy die Aufmerk- samkeit ganz besonders auf den seit v. Baer’s Untersuchungen bekannten, aber von Remak nur flüchtig behandelten Primitivstreif, welcher nach diesen beiden Embryologen als axiale, etwa die hin- teren zwei Dritttheile der Keimhöhlendecke durchziehende Verdickung und Verschmelzung der Keimblätter die erste Anlage für die ge- sammten Axengebilde des Embryo sein sollte» Dursy suchte aus einer Reihe von Flächenbildern der fortschreitenden Embryonalent- wicklung darzuthun, dass die eigentlichen Embryonalanlagen vor dem Primitivstreif und theilweise aus ihm heraus entständen, dieser aber im Schwanztheile zurückbleibe und endlich verkümmere (Nr. 2, S. 38. 45. 66). Die näheren Angaben über diesen Vorläufer der Embryonalentwicklung beschränken sich darauf, dass er in einer Kejmverdickung bestehe, in welcher jede Schichtung fehle, indem dort beide Keimschichten vollständig verwachsen seien (S. 19. 26. 32); dass ferner in Folge einer Verdickung seiner Seitentheile zwischen ihnen die »Primitivrinne« entstehe, deren Boden aber die ursprüng- liche Dicke behalte und bloss durchsichtig werde (8. 27. 32). Eine vollständig neue Darstellung erfuhr die Entwicklungs- geschichte des Hühnereies durch His, indem er den Nachweis zu führen versuchte, dass schon bei den ersten Sonderungen des Kei- mes, also beim Ursprunge der einzelnen Embryonalanlagen nicht so- wohl einfache morphologische Momente, sondern der physiologische Werth der aus den ersteren hervorgehenden Gewebe bestimmend sei. Während die beiden Keimblätter sich von einander absondern, sammeln sich die sie noch verbindenden Zellen zu einer Zwischen- masse an, welche namentlich in der hinteren Hälfte der Keimaxe oder in dem Axenstreife (Primitivstreif v. Baer's) eine feste und dauernde Verbindung beider Keimblätter erhält, sodass His zu- letzt drei Grundanlagen des Keims aufzählt: die beiden Keimblätter und jene axiale, hauptsächlich vom oberen Keimblatte abstammende Verbindungsmasse, den Axenstrang (Nr. 3, S. 43. 61—64. 67. 69. 225). Dieser anfangs auf die hintere Keimhälfte, den Axenstreif beschränkte Strang wächst später über dessen Vorderende hinaus in die vordere Keimhälfte hinein. In den Seitentheilen scheidet sich die Zwischen- masse zufolge ihres Ursprungs von beiden Keimblättern in zwei Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 165 Platten (obere und untere Neben- oder Muskelplatte), welche als- dann den zugehörigen äusseren Schichten der Keimblätter oder den Grenzblättern (Sinnes- und Darmblatt) anliegen (S. 43. 72. 74). Im vorderen Körpertheile verschmilzt jedoch die untere Muskelplatte wieder mit dem Darmblatte und an ihre Stelle tritt eine neue Schicht der oberen Platte (S. 73. 91). In den Bestand der zwischen beiden Grenzblättern befindlichen Anlagen, welche man gewöhnlich als mitt- leres Keimblatt bezeichnet, dessen selbstständige Bildung His aber in Abrede stellt (S. 39), treten nach seiner Darstellung ausser den schon genannten Muskelplatten und dem Axenstrange nachträglich noch weitere Theile. Erstens der Zwischenstrang, welcher zu beiden Seiten des Centralnervensystems vom oberen Keimblatte sich ablöst, um die Spinalganglien zu bilden (S. 87. 105. 106. 117); ferner der seitliche Axenfortsatz des Axenstranges, welcher zwischen die media- len Abschnitte der Muskelplatten hineinwachsend die Urwirbelkerne bildet, und welchen His auf Zellenmassen zurückführt, die nach- träglich aus dem geschlitzten Boden der Medullarfurche in den Axenstrang einwanderten und denselben dadurch verdickten (8. 81. 94. 157). Endlich gehört dazu noch der Nebenkeim (Keimwall). Indem die über dem Keimwalle gelegenen subgerminalen Fortsätze denselben netzförmig durchwachsen, schliessen sie endlich dessen weisse Dotterzellen vollständig ein, worauf sich die obere Lage die- ser neuen Bildung als Gefässschicht abhebt und unter die untere Muskelplatte auswächst (S. 44. 75). Die weissen Dotterzellen lösen sich zum Theil auf, theils verwandeln sie sich in knotige Zellen- ansammlungen, die Blutinseln, und die sie verbindenden Zellenstränge werden die Anlagen der Gefässe. Letztere werden darauf hohl, neh- men den Inhalt der Blutinseln in sich auf und wachsen durch Spros- sen in den übrigen Keim hinein; während aber diese anfangs nur zu Gefässen werden, verwandeln sie sich später zu den alle Zwischen- räume der übrigen Anlagen ausfüllenden Bindesubstanzen (S. 76. 95 —-99. 102. 175—176). Für die specielle Entwicklungsgeschichte der ersten Embryonalanlagen verdienen noch besondere. Erwähnung die beiden Hauptrinnen, nämlich die axiale, welche ım Axenstreife vertieft (Primitivrinne), vor demselben bedeutend flacher ist und später am Grunde der Medullarfurche liegt, und die Querrinne, welche die erstere unmittelbar vor dem Primitivstreifen schneidet (S. 44. 65. 66. 86). Der vor der Querrinne, also auch vor dem Axenstreife gelegene Keimtheil soll die Anlagen des Kopfes enthalten ($. 44. 66. 166 Dr. Alexander Goette: 81). Damit stimmen die Angaben überein, dass aus der Querrinne, an der Kreuzungsstelle derselben mit der longitudinalen Zwischen- rinne das Ohrbläschen entstehe und dass die Querrinne vor dem ersten Urwirbel liege (S. 107. 108). Im offenbaren Widerspruche damit behauptet aber His an anderen Stellen, dass die ersten Ur- wirbel vor dem Axenstreife, alsdann aber doch auch vor der Quer- rinne entständen (S. 80. 81). Peremeschko findet bis zur siebzehnten Brütstunde nur zwei Keimblätter, welche zuletzt vollständig getrennt und durch ihre Zellen bestimmt charakterisirt seien, sodass das darauf erscheinende mittlere Keimblatt von ihnen nicht abstammen könne. Das untere Keimblatt bestehe alsdann aus einer einzigen Reihe platter Zellen, welche gegen den Rand hin in grössere runde auf den Keimwall hinüberreichende Elemente übergingen (Nr. 4, S. 9. 10). Darauf erscheinen zwischen beiden Blättern grosse, runde Bildungselemente, welche in die klei- neren Zellen des mittieren Keimblattes zerfallen und zwar zuerst in der Mitte des Keimes. Diese Elemente identificirt Peremeschko mit den am Boden der Keimhöhle gelagerten Kugeln, welche im An- fange der Bebrütung zunehmen und dann durch den Keimwall in den Keim einwandern. Auf diese Weise sei das mittlere Keimblatt bereits am Schlusse des ersten Brüttages vollendet und unter der Primitivrinne mit dem oberen Keimblatte verschmolzen, während das untere Keimblatt davon unberührt bleibt, aber nur noch bis zum Rande des Keimwalles reicht, mit dem es sich verbindet (8. 11. 12). Jene Bildungselemente der Keimhöhle glaubt Peremeschko jedoch vom weissen Dotter nicht ableiten zu können (8. 14). Oellacher bestätigt die Angaben Peremeschko’s betrefis der Bildung des mittleren Keimblattes, nachdem er die fraglichen Bildungselemente als Endglieder der Dottertheilung nachgewiesen (Nr. 5, 8. 18). Waldeyer unterscheidet am unbebrüteten Keime ein oberes Keimblatt und eine untere, noch nicht blattartig fest gefügte, son- dern lockere Schicht (subgerminale Fortsätze His Nr. 6, S. 162). In Folge der Bebrütung tritt eine Zellenwucherung in der Axe die- ser beiden Theile ein, und die beiderseits neuerzeugten Elemente bilden gleichzeitig und zu gleichem Antheile sowohl den Axenstrang, in welchem die Schichten ungesondert zusammentliessen, als auch die dicke Platte des unteren Keimblattes, in welchem ebenfalls noch verschiedene Embryonalanlagen ununterscheidbar vereinigt sind (Nr. 6, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 167 S. 163. 166. 170). Dieser Vorgang, welchen Waldeyer später die primäre axiale Wucherung genannt hat (Nr. 7, S. 112), vollendet die drei von His aufgestellten Uranlagen des Embryo, die beiden Keimblätter und den Axenstrang. Ausserdem sollen aber zwischen beide Keimblätter vom Keimwalle ber Zellen einwandern, welche theils von den peripherischen subgerminalen Fortsätzen, theils von den am Boden der Keimhöhle liegenden Elementen abstammen, wobei der Antheil des weissen Dotters zweifelhaft bleibt (Nr. 6, S. 161. 162). Da der von Anfang an durch die ganze Länge des Fruchthofes verlaufende Axenstrang vorn flacher ist, so erzeugt er nur durch seine hintere dickere, ausschliesslich dem Rumpfe angehörige Hälfte das Bild des Primitivstreits (Nr. 6, S. 172. 173. 175). Auch . die ebenso weit continuirlich verlaufende Primitivrinne scheint im Flä- chenbilde nur desshalb, weil sie vorn breit und flach wird, auf den Primitivstreif beschränkt zu sein (S. 171). Von der centralen Quer- rinne (His) hat Waldeyer nur eine unregelmässige kurze Einsen- kung gesehen (S. 172). Im oberen Keimblatte erkennt er nur die Anlagen des Uentralnervensystems und des Hornblattes (S. 167); das untere Keimblatt dagegen soll in das Darmdrüsenblatt und die Muskelplatten (Seitenplatten Remak) zerfallen (S. 165—167), der Axenstrang endlich durch eine neue, secundäre Wucherung das Material zur Bildung der Urwirbelplatten, der Chorda, der Mittel- platten und zur Verdickung der Medullarplatten liefern (Nr. 7, S. 112). Da, wie schon Klein hervorhebt, Afanasieff seine ersten Angaben über die Blut- und Gefässbildung im Hühnerembryo (Nr. 8) in einer späteren Arbeit (Nr. 9) ganz wesentlich modificirte, so er- wähne ich dieselben nur ganz kurz. Die zur Gefässbildung beitra- genden Theile seien 1. Blasen mit zelliger Wand, 2. die zwischen denselben befindlichen netzförmigen Zwischenräume. . Die letzteren seien die Gefässräume, in welche die Blutkörperchen von den bezeich- neten Blasenwänden hineinwüchsen ; endlich verwandelten sich diese auch in die röhrigen Wände der von ihnen eingeschlossenen, anfangs wandlosen Bluträume. — Später jedoch hat Afanasieff die Ge- fässe des Fruchthofes aus einfachen Lücken des mittleren Keimblattes abgeleitet. In Betreff der Bildung der Keimblätter schliesst sich Klein im Allgemeinen durchaus an Peremeschko an (Nr. 10, S. 25—-29) ; ich erwähne daher nur die besonderen Angaben über die peripheri- schen Theile des mittleren Keimblattes. Nachdem dasselbe im Frucht- 168 Dr. Alexander Goette: hofe fertig geworden, wandern zu Anfang des zweiten Brüttages die noch übrigen Bildungselemente vom Boden der Keimhöhle zwischen den Keimwall, welcher durch eine Ausdehnung der Keimhöhle vom übrigen Dotter abgehoben werde, und das auswachsende obere Keim- blatt ein, um den peripherischen Theil des mittleren Keimblattes zu bilden. Derselbe besteht alsdann aus grossen, theils grobkörni- gen oder vielkernigen und aus kleineren Zellen, breitet sich pe- ripherisch aus, wird aber nur in der hinteren Keimhöhle ansehnlich dicker als der centrale Abschnitt desselben Blattes (Nr. 10, S. 29. 30). Dieser Randtheil des mittleren Keimblattes bleibt von den grossen, mannichfaltig zusammengesetzten und oft zellenähnlichen Elementen des Keimblatts stets geschieden, umspinnt sie weder mit einem Zel- lennetze, noch nimmt er einzelne derselben in sich auf, wie es His lehrte (S. 31. 33). Zu einer gewissen Zeit beginnt aber in ihm eine Sonderung in zwei Schichten, welche in die bekannten zwei Platten des mittleren Keimblattes im Fruchthofe sich fortsetzen (S. 46). So- lange jene beiden Schichten noch durch vielfache Zellenbrücken zu- sammenhängen, erscheinen in den zwischenliegenden Maschen die Anlagen des Blutes und des Endothels der Gefässe. Sobald aber die obere Schicht (Hautmuskelplatte — Parietalblatt) sich vollstän- dig abgesondert hat, werden jene Anlagen in die untere Schicht, die Darmfaserplatte (Visceralblatt) eingeschlossen und von dem Keim- walle durch eine besondere Zellenlage getrennt (S. 47. 48). Sie ent- stehen im Fruchthofe ebenso wie im Gefässhofe aus Elementen des mittleren Keimblattes und zwar in dreierlei, jedoch nur äusserlich verschiedenen Formen (S. 35—41). Erstens erhalten einzelne Zellen helle Vacuolen, durch deren rasches Wachthum sie in Blasen (Endo- thelblasen) verwandelt werden, deren protoplasmatische Wand den ursprünglichen Kern enthält. Nachdem aus dem letzteren mehre hervorgegangen, die sich in der Wand gleichmässig vertheilen, ist dieselbe bereits als Anlage des Endothels anzusprechen, aus welchem gekörnte Zellen in den Innenraum hineinsprossen, um ihn nach ihrer Ablösung als Blutzellen auszufüllen. In anderen Fällen verwandeln sich grosse Bildungselemente des mittleren Keimblattes, ohne die Zwischenstufe der Vacuolenbildung unmittelbar durch endogene Zel- lenbildung in mit Bluttzellen gefüllte Endothelblasen. An denselben findet Klein nicht selten fadenförmige Fortsätze mit wechselnden, oft kernhaltigen Anschwellungen, welche wahrscheinlich auch zu Endo- thelblasen werden, während die freien Enden gegen benachbarte Blasen Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 169 sich verlängern und mit ihnen verschmelzen. Endlich beschreibt er noch grosse, mehr oder weniger verästelte Zellen, welche in ihrem Körper ebenfalls durch endogene Zellenbildung Blutkörperchen er- zeugen und sich im Uebrigen wie die anderen Blut- und Gefässanla- gen verhalten. Wie alle jene Fortsätze entstehen, wird nicht an- gegeben. — Dadurch, dass die Endothelblasen sich schlauchförmig ausdehnen und ausbuchten, theilweise unmittelbar mit einander ver- schmelzen, theilweise durch die dünnen und von ihren Ursprungs- stellen allmählich sich aushöhlenden Zellenbrücken verbunden wer- den, entsteht das ganze Blutgefässnetz des Frucht- und Gefässhofes (8. 42. 45). — Die weiteren Mittheilungen von Klein liegen nicht mehr in den Grenzen dieser Arbeit. Wenn man nur eine genügende Anzahl von Keimen vor und nach dem Beginn der Bebrütung an Quer- und Längsdurchschnitten vergleichend durchmustert, so ergibt sich der Ursprung und die Ent- wicklung der Keimblätter, wie mir scheint, ohne alle Schwierigkeit. — Dass die obere Keimschicht während der Ausbreitung und Ver- dünnung ihres Randtheils in ihrem mittleren, dem Fruchthofe ange- hörigen Theile sich nicht nur relativ, sondern auch thatsächlich ver- dickt, ein immer festeres Gefüge erhält und in dieser Form zum oberen Keimblatte wird, will ich als eine oft beschriebene That- sache nicht näher ausführen. Dass diese Schicht früher oder später | in irgend einer Weise an der Bildung des mittleren Keimblattes theilnehme, muss ich durchaus bestreiten. An der unteren Keim- schicht lässt sich noch durch längere Zeit der auf dem Keimwalle ruhende Randtheil von dem über der Keimhöhle ausgespannten Mitteltheile unterscheiden. Umgekehrt wie in der oberen Keim- schicht, ist der erstere als der überwiegende Theil des ursprüng- lichen Randwulstes bedeutend dicker als das Centrum. Seine gros- sen Dotterstücke sind zum grössten Theil in kleinere Embryonalzellen zerfallen; in der compacten und verhältnissmässig mächtigen Schicht dieser Zellen sieht man aber noch während der ersten Hälfte des ersten Brüttages einzelne grosse Dotterstücke als Reste des [rüheren Rand- wulstes fest eingeschlossen (Fig. 5. 6.37). Dieselben auf eingewanderte Dotterzellen zurückzuführen, ist eineganz überflüssige Hypothese. Denn von der Zeit an, wann der ganze Randwulst aus solchen Dotterstücken bestand, werden sie bis näch der Ausbildung der drei Keimblätter 170 Dr. Alexander Goette: niemals vermisst, treten also wie die ganze Masse des genannten Randtheils zu keiner Zeit neu auf; und andererseits habe ich bis zum Beginn der Blutgefässbildung kein Bild angetroffen, welches für die Annahme der Einwanderung von Dotterzellen zwingend gewesen wäre. Diese sind vielmehr noch in beständiger Vermehrung begrif- fen, wie auch meine Befunde über ihre Neubildung der ersten Brüte- zeit angehören. Der Uebergang des Randtheils in den Mitteltheil unserer Keimschicht ist stets ein allmählicher, so dass die compacte Zellenmasse des ersteren sich erst in den peripherischen Abschnitten der Keimhöhlendecke verdünnt und auflockert, um gegen die Mitte so dünn zu werden, dass nur an einzelnen Stellen Zellen überein- ander liegen. Dies ist der Befund unmittelbar vor und nach dem Beginn der Bebrütung, welcher aber, wie jch schon bemerkte, bei schnellerer Entwicklung etwas weiter zurückverlegt werden muss. Während der ersten Brütstunden verändert sich das allgemeine Ver- halten der unteren Keimschicht nicht wesentlich; ihr Randtheil ist nur breiter geworden, hat dagegen zu Gunsten des Mitteltheils an Mächtigkeit bedeutend abgenommen. Ich habe bereits ausgeführt, dass diese andauernde Veränderung nur auf eine Einwanderung der Zellen von aussen in den Mitteltheil bezogen werden kann. Dann ist es auch leicht erklärlich, dass in dem letzteren auch einzelne grosse Dotterkugeln auftreten, welche dort übrigens auch schon vor der Bebrütung erschienen. Schon zu dieser Zeit beginnt eine bis- her übersehene oder falsch gedeutete Ungleichmässigkeit der unteren Keimschicht sich zu entwickeln. Der dem künftigen Kopfende!) ent- sprechende Abschnitt des Randtheils verdünnt sich am frühesten und sibt endlich alle seine Zellen dem Mitteltheile ab, dessen Peripherie in derselben Gegend ebenfalls am dünnsten wird (Fig. 7, 8, 39). Von dort aus nimmt die Ausbildung und Mächtigkeit des Randtheils gegen das Schwanzende wieder zu, sodass er in der hinteren Keim- hälfte niemals verschwindet (Fig. 40). Es zieht sich also die ganze untere oder secundäre Keimschicht einmal von den Seiten gegen die Medianebene und ferner von vorn her zusammen. Doch muss ich mit Rücksicht darauf, dass die Keimhöhle gleichzeitig eigentlich nur nach vorn ausgedehnt erscheint (vgl. weiter unten), annehmen, dass die Zusammenziehung von vorn her zum Theil nur scheinbar oder 1) Es ist bekannt, dass man die künftige Lage des Embryo schon am unbebrüteten Hühnerkeime, wenigstens annähernd bestimmen kann. er a Be a NE Zn u ne er ee Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 171 relativ ist, indem die untere Keimschicht hinter der in der vorderen Keimhälfte überwiegenden Ausbreitung der Keimhöhle und des oberen Keimblattes zurückbleibt. Dieser allmähliche Schwund des Rand- theils der unteren Keimschicht, welcher im ganzen Umfange des vor- deren Dritttheils der Keimscheibe, also auch seitlich erfolgt, ist wohl der unzweideutigste Beweis für die Auswanderung seiner Zellen in den Fruchthof, wo dadurch die ganze Zellenmasse der unteren Kein- schicht zunimmt. Schon im ersten Anfange dieses Vorgangs sondert sich die tiefste und auch wohl älteste Zellenlage des Mitteltheils der genannten Schicht dadurch von den darüber liegenden Zellen ab, dass ihre Elemente sich fest verbinden und ein hautartiges Gefüge herstellen, während die neu einwandernden Zellen auf dieser festen Unterlage sich in einer sehr lockeren, aber um so dickeren Schicht ablagern {Fig. 10, 57). Jene Zellenhaut stellt nun das unterste Keimblatt oder das Darmblatt dar, welches also schon in den ersten Brütstunden, während der Randtheil der unteren Keimschicht noch vollständig, d. h. ringförmig geschlossen besteht und von einer Embroyonalanlage im engeren Sinne noch keine Spur vorhanden ist, sich hervorbildet. Ebenso wie im Batrachierei reicht aber das Darm- blatt nur so weit, als die darunter befindliche Höhle und schliesst sich am Rande derselben dem Keimwalle an, welcher ursprünglich nur als der mehr oder weniger sich erhebende Rand des Keimhöhlen- bodens mit diesem gleichartig aus einer continuirlichen Dottermasse besteht und erst während der Ausbildung des Darmblattes räumlich und nach seiner Zusammensetzung von dem übrigen Boden sich ab- zusondern anfängt (Fig. 7, 38). Der mit dem Keimwalle verbundene Rand des Darmblattes ist gewöhnlich verdickt, enthält zwei und mehr Zellen übereinander; diese bleiben länger indifferent rundlich und dotterhaltig, als die weiter einwärts gelegenen Zellen desselben Blattes, die sich frühzeitig abplatten und ihren Dotterinhalt durch Auflösung verlieren. In seltenen Fällen habe ich diesen Rand sich zungenförmig abwärts erstrecken sehen (vgl. Fig.37). Er erscheint aber im vorderen Dritttheile des Keimes, sobald der ursprüngliche Randtheil der unteren Keimschicht verschwand, beinahe wie ein ge- meinsamer Rand des Darmblattes und der lockeren Zellenschicht, welche zwischen jenem und dem oberen Keimblatte die Hauptmasse der unteren Keimschicht darstellt, eben des mittleren Keim- blattes (Fig. 38). Im übrigen Umfange des Keimes setzt sich das letztere über die Grenzen des Darmblattes in den ganzen über deın 172 Dr. Alexander Goette: Keimwalle gelegenen Randtheil der unteren Keimschicht fort (Fig. 40), welcher ebenso wie der peripherische Theil des Darmblattes sich in seinen Elementen später verändert als die centralen Abschnitte. So finden wir also, dass das mittlere Keimblatt am Hühnerkeime _ ebenso entsteht, wie ich es bei den Knochenfischen und Batrachiern nachwies (Nr. 11), als die Hauptmasse der unteren oder secundären Keimschicht, während das Darmblatt nur eine epithelartige Abson- derung der letzteren im Bereiche der darunter liegenden Höhle dar- stellt. — Dass aber an diesem Thatbestande durch die Entstehung und weitere Entwicklung des Primitiv- oder Axenstreifs sich nichts verändert, wird aus der folgenden Geschichte dieses vielgenannten (rebildes sich ergeben. Während der ersten Hälfte des ersten Brüttages geht die Ein- wanderung der peripherischen Zellenmasse der unteren Keimschicht in deren Mitteltheil so lange fort, bis das mittlere Keimblatt nicht nur eine nahezu gleichmässige Mächtigkeit erlangt hat, sondern in der Mitte des Fruchthofs sogar dicker erscheint (Fig. 9, 10). Da dies in einer bestimmten Längsrichtung und zwar in der späteren Embryonalaxe geschieht, so kann man daraus schliessen, dass die Zusammenschiebung der Zellen vorherrschend von zwei Seiten her erfolgt, gerade so wie ich es für die Batrachier und Knochenfische nachgewiesen habe. Das Resultat ist auch im Hühnereie dasselbe, nämlich die Bildung eines Axenstranges, welcher aber viel we- niger ausgeprägt erscheint als bei den erstgenannten Thieren. Wie bei diesen fällt auch im Hühnerkeime mit der Entwicklung des Axenstranges eine entsprechende, immer mehr gegen die Median- ebene sich zusammenziehende Verdickung des oberen Keimblattes zusammen, welche gleichfalls ähnliche Erscheinungen hervorruft. Die medianwärts gedrängten Zellen verursachen eine Einsenkung des Blattes gegen den Axenstrang und eine gewisse, anfangs unbe- deutende Erbebung der jene Einsenkung seitlich einfassenden Theile. Der Axenstrang erzeugt im Flächenbilde den Primitivstreif; die Einsenkung des oberen Keimblattes, welche anfangs nur den Axen- strang von oben her eindrückt und daher verdünnt, aber verdichtet, später sogar einen unteren Kiel des ganzen Keimes hervorruft, ist die bekannte Primitivrinne (Fig. 10). Sowohl der Primitivstreif wie die Primitivrinne verlaufen nicht gleichmässig durch die ganze Länge der Keimaxe. Bei ersterem sollte man übrigens stets im Auge behalten, dass er keine bestimmte Embryonalanlage ist, sondern Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 173 eine Erscheinung, hervorgebracht durch die Gesammtheit der axialen Keimtheile, deren Zusammensetzung aber, wie ich zeigen werde, durchaus nicht eine durchweg gleichartige ist. Anfangs, solange der Axenstrang eine ganz allmählich in die dünneren Seitentheile übergehende axiale Zellenansammlung ist, durchzieht er nur etwa die hintere Hälfte des Keimes und verstreicht weiter vorn vollstän- dig. Ferner bedingt er alsdann noch durchaus keine merkliche Ver- diekung des ganzen Keimes; denn der Zwischenraum zwischen dem oberen und dem unteren Keimblatte, welcher vom Axenstrange ganz ausgefüllt wird, bleibt auch in den Seitentheilen derselben, obgleich das mittlere Keimblatt ihn dort nicht ausfüllt (Fig. 10). Jene be- schränkte Bildung des Axenstranges besteht auch noch, wann die Anfänge der Primitivrinne erscheinen; diese entsteht nicht gleich im ganzen Primitivstreife, sondern zuerst nur in seinem vorderen Ab- schnitte, während dahinter noch der Zustand des »ungetheilten Pri- mitivstreifs« besteht (Fig. 9). Sie gibt offenbar Veranlassung zu der innigen Verbindung des oberen und mittleren Keimblattes (Primitiv- rinne — Axenstrang), welche so viele irrthümliche Anschauungen her- vorrief. Denn da sie keine ursprüngliche ist, so kann ich ihre Ur- sachen nur in den gleichen Vorgängen erkennen, welche ich auch in anderen Wirbelthiereiern demselben Erfolge vorangehen sah; die von beiden Seiten gegen die Medianebene zusammengeschobenen und daher sich aufrecht streckenden Zellen des oberen Keimblattes ver- anlassen die Faltung desselben nach unten und dadurch den Druck auf den unterliegenden Axenstrang. Wenn nun die folgende Abplat- tung und Verdichtung des letzteren gewiss ganz zwanglos auf jenen Druck zurückgeführt werden kann, so erscheint die bezeichnete Ver- bindung beider Keimblätter, welche aber niemals in eine vollständige Verschmelzung unter Schwund der trennenden Grenze übergeht, als eine natürliche Begleiterscheinung jenes Vorganges. Bevor aber diese Verbindung eintritt, ist die Form der Primitivrinne nicht leicht genau anzugeben. Denn es ist bei der, namentlich durch das ausser- ordentlich lockere mittlere Keimblatt bedingten, weichen und zarten Beschaffenheit des Hühnerkeimes nicht anzunehmen, dass die erste nicht fixirte Faltung des oberen Keimblattes während einer noch so vorsichtigen Erhärtung vollkommen unverändert bleibe, sodass ich glaube, die in Fig. 10 dargestellte Primitivrinne sei zu sehr verengt oder vertieft worden. Sowie mit der zunehmenden Verdickung und Verdichtung aller Keimblätter und durch jene Verbindung der ganze 174 Dr. Alexander Goette: Keim resistenter geworden, zeigen die Durchschnitte verschiedener aber gleich weit entwickelter Keime eine solche Uebereinstimmung in der Form und Lagerung ihrer Theile, dass ich dieselbe für voll- kommen natürlich halten muss. Von diesem Zeitpunkte an will ich einige in der Entwicklung aufeinanderfolgende Reihen von Querdurchschnitten vorführen. I. Der mit einer Primitivrinne versehene Primitivstreif durch- zieht die grössere hintere Hälfte der Keimaxe; vorn geht er in eine kaum merkliche axiale Verdiekung des Keims über, welche im durchfallenden Liehte wahrscheinlich als ein leicht markirter Streif erschienen wäre !). Die Primitivrinne ist in ihrem hinteren Ab- schnitte breiter und seichter als gegen das Kopfende des Primitiv- streifs hin, wo übrigens ihre grössere Tiefe durch eine merkliche Erhebung ihrer Ränder über das Niveau der übrigen Keimober- fläche bedingt wird (Fig. 15—17). Damit hängt zusammen, dass der untere Kiel des Keims hinten stärker ausgeprägt ist, als vorn, was namentlich unter besonders tiefen Rinnen sehr deutlich hervor- tritt (Fig. 18). An dem mittleren Keimblatte lässt sich im Bereiche der Primitivrinne eine gewisse Sonderung des axialen von den bei- den lateralen Theilen erkennen. Der erstere oder die Unterlage der ganzen rinnenförmigen Einsenkung des oberen Keimblattes ist von den Seitentheilen häufig durch einen vom Darmblatte aufwärts ziehenden Zwischenraum getrennt, welcher nur eine obere Verbin- dung derselben bestehen lässt. Uebrigens scheint es mir Regel zu sein, dass diese theilweise Trennung nur auf der rechten Seite deutlich ausgeprägt, links nur mehr angedeutet ist. Wenn sie aber auch auf dieser und den folgenden Entwicklungsstufen ganz fehlt, so bestehen (doch andere beständige Merkmale der Absonderung. Jene Unterlage der Primitivrinne, welche natürlich eine in gleichem Sinne gebogene Platte ist, erscheint, wie ich bemerkte, gegenüber den Seitentheilen nicht verdickt, sondern verdünnt aber verdichtet, während die sich anschliessenden medialen Ränder der letzteren dicker als die übrige Ausbreitung sind. Ferner ist jene Platte dem oberen und dem unteren Keimblatte innig angeschmiegt, so dass man auf den ersten Blick die Scheidegrenze vermisst. Der Nachweis 1) Da ich zur Vermeidung artefacter Befunde die ganzen Eier härtete, . konnte ich einen und denselben Keim nicht zu Flächenbildern bei durch- fallendem Lichte und zu Durchschnitten benutzen. a re A u a en Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 175 derselben gelang mir aber stets, wenn ich genügend dünne Durch- schnitte aufmerksam und namentlich unter Zuhülfenahme einer schiefen Beleuchtung untersuchte. — Je nachdem man die Aus- breitung des früheren Axenstranges auf die nächste Umgebung der Primitivrinne beschränkt oder seine idealen Grenzen weiter absteckt, muss man sagen, dass der Axenstrang sich in jene besondere Un- terlage der weiter entwickelten Primitivrinne oder in diese und die verdickten medialen Ränder der Seitentheile sich gesondert habe. Beide Auffassungen sind gleichberechtigt aber auch gleicherweise bedeutungslos ; ich folge der gebräuchlichen ersteren, obgleich der Name »Axenstrang« für das in Rede stehende rinnenförmige Ge- bilde nicht ganz passend erscheint. — Kommt man bei der Durch- musterung der successiven Durchschnitte bis gegen das Kopfende des Primitivstreifs, so ändert sich die Symmetrie der genannten Axenbildungen, welche die Erscheinung jenes Streifs bedingen (Fig. 14). Der rechtsseitige Rand der Primitivrinne wird höher und fällt median- und leteralwärts steiler ab. Der Axenstrang ist auf derselben Seite deutlich abgegrenzt und reicht bis unter den Gipfel der entsprechenden Falte des oberen Keimblattes; links ist die Be- srenzung zweifelhaft aber mit Rücksicht auf die vorangehenden und nachfolgenden Schnitte weniger hoch anzunehmen. Diese Ab- weichung steigert sich in dem Kopfende des Primitivstreifs so weit, dass der linke Randwall der Rinne ganz in das Niveau der übrigen Keimoberfläche zurücksinkt, der rechte aber dadurch, dass die Masse des Axenstranges von links her sich unter ihm zu einer annähernd cylindrischen Masse zusammenzieht, zu einer aus jenem Niveau ansehnlich hervortretenden Erhebung wird (Fig. 13). Auch dort ist der Axenstrang nach rechts deutlich abgesetzt, auf der linken Seite aber nur durch den Abfall seiner Anschwellung abzu- grenzen. In dem vor dem Primitivstreife gelegenen Keimtheile nimmt die Mächtigkeit des Axenstranges und damit auch die Höhe der von ihm hervorgerufenen axialen Erhebung des Keims ziemlich schnell ab; immerhin lässt sich die letztere als unmittelbare und vollständige Fortsetzung der unpaaren axialen Vorragung des Kopfendes vom Primitivstreife noch eine Strecke weit verfolgen, bis sie auf dieser Entwicklungsstufe ganz vorn sich ebenfalls verliert (Fig. 11, 12). Das Ergebniss der voranstehenden Beschreibung ist also, dass der Axenstrang allerdings das einzige beinahe die ganze Länge des Fruchthofes continuirlich durchziehende, also auch die Embryonal- 176 Dr. Alexander Goette: anlage bestimmende Gebilde ist, aber je nach den einzelnen Ab- schnitten in seiner Form und Lage wechselt und dadurch ein wechselndes Relief an der Oberfläche des Keims erzeugt. In der hinteren Hälfte scheint seine rinnenförmige Gestalt aus einer An- passung an die vom oberen Keimblatte gebildete Primitivrinne her- vorgegangen zu sein; vorn zieht er sich strangartig zusammen und zwar unter besonderer Verdickung im sogenannten Kopfende des Primitivstreifs, wobei die Primitivrinne aber nicht einfach in der Medianebene aufhört, sondern nach links verdrängt wird, so dass sie jenes kopfende auf der linken Seite umkreist und auf derselben Seite am Fusse des nach vorn abfallenden axialen Wulstes ver- streicht. Nachdem mir dies aus den Durchschnitten klar geworden war, konnte ich in den Flächenansichten der ganzen Keime beinahe ausnahmslos eine linksseitige, das Kopfende des Primitivstreifs um- greifende Krümmung der Primitivrinne nachweisen. Ferner wurde mir daraus auch verständlich, wie bisweilen auf Sagittaldurch- schnitten, welche der Medianebene ganz nahe lagen, gerade in der Gegend jenes Kopfendes eine Einsenkung des oberen Keimblattes erscheinen konnte, deren Verlauf also von der axialen Richtung irgendwie abweichen musste; es war eben der Durchschnitt jener Krümmung der Primitivrinne, welche His irrthümlicherweise auf eine quere Rinne bezog (Fig. 7). II. Die folgende Entwicklungsstufe zeigt im allgemeinen die- selben Verhältnisse, wie die vorangehende; nur sind alle Theile stärker entwickelt und deutlicher gesondert (Fig. 19—24). Der Axenstrang ist im Kopfende des Primitivstreifs am dicksten, dort so wie eine Strecke weit davor glatt abgegrenzt und zeigt einen querelliptischen Durchschnitt. Der durch ihn erzeugte axiale Wulst sinkt mit den ihn seitlich einfassenden Theilen der ganzen Keim- haut etwas unter das übrige Niveau der letzteren, und diese seichte und breite Einsenkung ist bereits als der vordere Abschnitt der Medullarfurche anzusprechen, deren Boden also nicht rinnenförmig oder eben ist, sondern von jenem axialen Wulste gebildet wird. Derseibe erreicht im Kopfende des Primitivstreifs eine solche Mäch- tigkeit, hebt also den Boden der dort auch schon vorhandenen Einsenkung so hoch hinauf, dass der Eindruck einer Medullar- furche verloren geht, und man allenfalls von zwei seitlichen Hälf- ten einer solchen reden könnte (Fig. 21). Hinter dem Kopfende des Primitivstreifs ist der unsymmetrische Uebergang von der eben > 0 Sl cu Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 177 geschilderten Medullarfurche und ihrer Unterlage, dem runden Axenstrange, zu der Primitivrinne und dem rinnenförmigen Axen- strange länger geworden ; es werden also die beiden letzteren Axen- gebilde nach hinten fortschreitend zu der Form und Lagerung der vorde- ren Axenbildungen umgewandelt. Schon auf dieser Entwicklungs- stufe wird es aber vollends klar, dass diese Umwandlung nicht in der Weise vor sich geht, dass der rinnenförmige Axenstrang sich unter dem Boden der Primitivrinne gleichmässig ' zusammenzieht und die letztere durch einfache Erweiterung zur Medullarfurche wird. Es zieht vielmehr der erstere seine linke Hälfte unter der entsprechenden Wand der Primitivrinne und ihrem Boden ganz nach rechts hinüber, um dort eine annähernd cylinärische Masse zu bil- den und dadurch die darüber liegende, die Rinne rechts begrenzende Falte des oberen Keimblattes wulstig vorzuwölben. Dieser von dem nach rechts verschobenen Axenstrange gebildete Wulst geht aber natürlich unmittelbar in den symmetrisch axialen Kopftheil des Primitivstreifs und dessen Fortsetzung, den wulstigen Boden der Medullarfurche über, und unterscheidet sich von letzterem nur da- durch, dass er selbst schräg nach rechts verschoben erscheint. Die zu seiner Linken befindliche Primitivrinne geht daher nicht in die ganze Medullarfurche, sondern nur in deren linke Hälfte über, während die rechte nach hinter zu rechts von dem schräg gestell- ten Wulste ausläuft. Als Grund dieser eigenthümlichen Umbildung der hinteren Axengebilde lässt sich im allgemeinen nur angeben, dass eine an- fangs bestehende gewisse Ungleichmässigkeit in der gegen die Medianebene gerichteten Zusammenschiebung der Zellen des oberen und mittleren Keimblattes allmählich wieder ausgeglichen wird. IH. Die folgende Serie von Durchschnitten zeigt uns einen weiteren Fortschritt der beschriebenen Vorgänge (Fig. 25—30). Der vorderste Theil der Medullarfurche ist namentlich über dem Axenstrange ansehnlich vertieft, so dass man an ihrem Querschnitte diesen spaltförmigen Mitteltheil von den beiden flachen Seitentheilen unterscheiden kann, welche durch die unterliegenden verdickten Medullarplatten nach aussen gut begrenzt, nach hinten zu sich wieder verlieren (Fig. 25, 26). Entsprechend der Verengerung des Bodens der Medullarfurche hat auch der Querschnitt des darunter befindlichen Axenstranges bedeutend abgenommen; und es ist aus der Längenzunahme des ganzen betreffenden Keimtheils leicht zu M. Schultze, Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd. 10, 12 178 Dr. Alexander Goette: entnehmen, dass jene Verschmächtigung des Axenstranges nur die Verschiebung seiner Masse in die Länge bedeutet. In dem Maasse als diese Gestaltveränderung zunimmt, verliert sich die wulstige Erhebung des Bodens der Medullarfurche; und da diese Umbildung auch das Kopfende des Primitivstreifs betrifft, so gewinnt er als- bald das Aussehen des früher vor ihm gelegenen Bodens der Me- dullarfurche. Was er anfangs nicht schien, so lange er eine local beschränkte bedeutende Mächtigkeit besass, das bedeutet er ganz offenbar, sobald er sich gestreckt und dadurch an Dicke verloren hat. Es erklärt sich daraus, dass man seine früher hervorragende Bildung in der Reihe der Durchschnitte nicht mehr findet, und dass der Boden der vorderen Medullarfurche ganz allmählich in die rechte Wand der Primitivrinne übergeht. Es lässt sich daher auch nicht bestimmen, wie weit die beschriebene Umlagerung der unsym- metrisch verschobenen Fortsetzung des Bodens der Medullarfurche nach hinten fortgeschritten ist, also Theile des früheren Primitiv- streifs bereits in die symmetrischen Axengebilde des Embryo hin- eingezogen hat. Da aber die Streckung und Verschmächtigung des Axenstranges ebenso wie seine Umlagerung von vorn nach hinten fortschreitet, so erhellt, dass die hinteren Abschnitte der eigent- lichen Uebergangsstrecke einen dickeren Axenstrang enthalten müs- sen als die vorderen (Fig. 27—29). — In den weiter rückwärts gelegenen Theilen des Primitivstreifs erkennt man eine gegen früher merkliche Abflachung der Primitivrinne, welche offenbar mit einer Verdickung des Axenstranges zusammenhängt (Fig. 30). Diese Verdickung ist auf die noch bestehende Zusammenziehung des mitt- leren Keimblattes zurückzuführen, da der Axenstrang dort von den Seitentheilen sich noch nicht abgelöst hat. An dieser Reihe von Durchschnitten kann man ferner wahr- nehmen, dass der Axenstrang zur Anlage der Wirbelsaite wird, und dass die sie einfassenden Seitentheile des mittleren Keimblattes in zwei Schichten auseinander treten, deren mediale Ränder jeder- seits zu einer Falte verschmelzen. Diese doppelschichtigen medialen Abschnitte des mittleren Keimblattes kann man schon jetzt etwa in der Ausdehnung wie die sie deckenden Medullarplatten als Segmentplatten bezeichnen. IV. Aus der vierten Serie entnehme ich nur wenige Durch- schnittsbilder (Fig. 31—33). Das erste beweist durch die etwas unsymmetrische Lage der Wirbelsaite, dass obgleich es eine sehr a u Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 179 bekannte Darstellung der Medullarfurche bietet, es einem Keim- theile angehört, der ursprünglich hinter dem Kopfende des Primitiv- streifs lag. Das zweite Bild zeigt die Asvmmetrie noch in höherem Grade, zugleich aber eine ausserordentlich flache d. h. wenig ent- wiekelte Medullarfurche, an deren Grunde man deutlich, namentlich beim Vergleich mit den früheren Bildern, den Flächenwinkel der Primitivrinne zur linken Seite des eigentlichen leicht convexen Bodens verlaufen sieht, während der letztere nach rechts schräg aufsteigend noch beinah continuirlich in die rechte Seitenwand über- geht. Noch weiter rückwärts ist die schon auf der vorigen Ent- wicklungsstufe angebahnte Abflachung der Primitivrinne bis zu einer beinahe völligen Ausgleichung derselben gediehen, sodass da- durch eine symmetrische Lagerung der Axentheile dort früher erreicht wird, als in dem davorliegenden Abschnitte. Aus dem Uebergange dieser letzteren in jenen beinahe ebenen Axentheil oder die Dorsalschwelle (His) ist es aber leicht nachzuweisen, dass nicht der enge Boden der Primitivrinne sich zu dem Mittelstücke der Dorsalschwelle erweitert, sondern dass dieses die horizontal umgelagerte rechte Wand der Rinne darstellt, und die letztere nur in der linken, das Mittelstück begrenzenden, seichten Einsenkung zu suchen ist. Ganz deutlich wird dies aus der letzten hier be- nutzten Serie von Durchschnitten (Fig. 34—36), indem die hinter der Dorsalschwelle wieder auftretende Primitivrinne über die homo- logen Theile keinen Zweifel lässt. Ausserdem lehrt dieselbe Serie, dass die Dorsalschwelle nicht immer ganz symmetrisch zusammen- gesetzt ist, und dass auch hinter ihr der Axenstrang oder die Wirbelsaite vor ihrer vollständigen Trennung von den Segment- platten ansehnlich zunimmt. Da nun auch dort wie in allen frü- heren Entwicklungsphasen die Trennung auf der rechten Seite früher erfolgt, so liegt die Vermuthung nahe, dass der seitliche Zellen- zufluss in den Axenstrang energischer und länger von links her erfolgt, und derselbe eben dadureh nach rechts hinüber geschoben wird. Die Segmentplatten beginnen auf der durch die vierte Serie dargestellten Entwicklungsstufe sich von der übrigen Ausbreitung des mittleren Keimblattes, bez. seiner beiden Schichten abzusondern. Sie umschliessen alsdann einen deutlichen Hohlraum, der nicht von Zellensträngen, sondern nur von dünnen Fäden durchzogen wird, welche viel eher den netzförmigen Gerinnungsprodueten, wie sie in 180 Dr. Alexander Goette: andern Hohlräumen gehärteter Hühnerkeime nicht selten sind, als Zellenfortsätzen gleichen. An Sagittaldurchschnitten überzeugt man sich, dass zu dieser Zeit auch schon die Quertheilung der Seg- mentplatten begonnen hat; die beiden Schichten erscheinen in glei- chen Abständen quer und zugleich von oben und unten eingeschnürt, worauf die Einschnürung in vollständige Trennung übergeht, so dass jedes Segment eine Art von querliegender Röhre darstellt. Wenn man den an Sagittalschnitten kreisrunden Durchschnitt der Höhlen gesehen hat und ihn später scheinbar von der Mitte aus mit Zellen sich füllen sieht (Segmentkern), so ist es schwer sich der Vorstel- lung zu erwehren, dass dieselben sich frei im Innern bilden. Nach meinen Untersuchungen an Batrachiern und Fischen muss ich jedoch auch für den Hühnerembryo annehmen, dass die Segmentkerne von der unteren Schicht abstammen. Aus dem früher Gesagten ergibt sich, dass die ersten Segmente nicht unmittelbar vor dem Kopfende des Primitivstreifs entstehen; ein grösserer oder kleinerer vorderer Abschnitt des Primitivstreifs ist eben schon vorher in den Bereich der regelmässigen Medullarfurche übergegangen, und wenn daher jene Stelle, wo die Segmente zuerst erscheinen, ganz bestimmt in den Bereich des ursprünglichen Primitivstreifs fällt, so bin ich sogar der Ansicht, dass sie seiner Mitte viel näher liegt als seinem frü- heren Kopfende, dass mithin die Dorsalschwelle in seiner hinteren Hälfte sich entwickelt. Wenn es die Hauptaufgabe der voranstehenden Mittheilungen war nachzuweisen, dass die Keimblätter nur aus dem ursprünglichen Material des Keimes sich entwickeln, so wird die Nichtbetheiligung der Dotterzellen an diesem Vorgange erst recht klar werden, sobald man ihre eigentliche Verwendung zur Bildung des embryonalen Blutes kennen lernt. Es wurde schon erwähnt, dass die Dotter- zellen wesentlich am ersten Brüttage, also gerade während der, Entstehung des mittleren Keimblattes sich vermehren, und dass mir in dieser Zeit an keinem einzigen Präparate der Uebertritt von Dotterzellen in den Keim wahrscheinlich wurde. Zugleich geben sich Veränderungen des Keimhöhlenbodens und des Keimwalls zu erkennen, welche, obgleich in mehr als einer Hinsicht von Bedeu- tung, bisher beinahe ganz übersehen oder vernachlässigt wurden. Mit dem Schwunde des Randtheils des mittleren Keimblattes im vorderen Umfange des Keimes fällt eine Erweiterung der Keimhöhle zusammen; wenn wir dabei die trichterförmige Ausbreitung der Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 181 homogenen Masse des Dottercanals im Auge behalten, welche an- fangs symmetrisch unter dem Keimhöhlenboden lag, darauf aber hinten in demselben Maasse wie vorher, vorn aber gar nicht mehr über seine Grenze hinausreicht, so gestattet diess wohl den Schluss, dass die Keimhöhle sich vorherrschend in der letzteren Richtung ausgedehnt habe (Fig. 5—7). Die Verhältnisse etwas späterer Entwicklungsstufen dürfen dagegen bei dieser Ueberlesung nicht berücksichtigt und daraus jene Verschiebung für ganz zufällig er- klärt werden, weil alsdann, wie schon der erste Blick lehrt, der ganze Keimhöhlenboden nicht mehr die frühere Form und Lage behalten hat (Fig. 8). Da mit jener ersten Erweiterung der Keim- höhle eine entsprechende Vergrösserung des über ihr frei ausge- spannten centralen Keimtheils oder des Fruchthofs Hand in Hand geht, so erhellt daraus, dass der Keimwall davon nicht unberührt bleiben kann. Das eben angezogene Merkmal zur Bestimmung der Richtung, in welcher sich die Höhle erweitert, erlaubt es auch fest- zustellen, dass die frühere Unterlage des Keimrandes, der Keim- wall, nicht in dessen ganzem Umfange dieselbe geblieben und ein- fach nach aussen verschoben wurde. Jener Keimwall bildet den Rand der Scheibe körniger Dottersubstanz, welche in dem erwähn- ten Trichter ruht. Im Bereiche jener Erweiterung löst sich nun dieser Rand oder der ursprüngliche Keimwall vom Keime ab und geht dadurch in den Keimhöhlenboden über, den er entsprechend vergrössert. Während also der Keimrand in diesem Bereiche, wo er nur aus dem oberen Keimblatte besteht, auf einen Theil der von ihm ursprünglich nicht bedeckten Dotterrinde zu liegen kommt, bleibt im übrigen Umfange des Keimes der Randtheil des mittleren Keimblattes auf der früheren Unterlage ruhen; wobei natürlich an der Grenze beider Gebiete ein allmählicher Uebergang stattfindet (Fig. 7, 8, 39, 40). Eine fernere Erweiterung der Keimhöhle voll- zieht sich jedoch in ganz anderer Weise. Während der geschilderten Vorgänge hat sich das Darmblatt, wie ich es schon früher erwähnte, nachdem seine Sonderung bis zum Rande des veränderten Keim- walles vorgeschritten war, mit demselben fest verbunden, gerade so wie das Darmblatt des Batrachiereies mit der Dotterzellenmasse oder dem Nahrungsdotter verschmilzt. In Folge dessen wird die theilweise neue Unterlage des Keimrandes von demselben nicht weiter abgelöst; dagegen beginnt darauf dieser Keimwall sich von dem Keimhöhlenboden zu trennen, indem eine spaltförmige Fort- 182 Dr. Alexander Goette: setzung der Keimhöhle in einer gewissen Tiefe horizontal unter ihm sich ausbreitet (Fig. 8). Ausserdem erweitert sich die Höhle rund um den centralen Theil ihres Bodens ansehnlich, aber unregelmässig buchtig in die Tiefe, wodurch dieser, welcher vorherrschend fein- körnige Dottersubstanz besitzt, als jene runde, weisse und durch den frischen Keim durchschimmernde Scheibe hervortritt, welche allen Embryologen so wohlbekannt ist. Mit jener Ablösung des Keimwalls fällt nun eine merkwürdige Umbildung seiner Substanz zusammen, deren Enderfolg allgemein bekannt zu sein scheint, über deren Entstehung und Gegensatz zum früheren Zustande ich aber nirgends etwas erwähnt finde. Erst löst sich nämlich ein Theil der kleinen Dotterkörner auf, so dass die ganze Masse klarer wird; dann wird auch der Inhalt der grösseren Körner ganz durchsichtig oder granulirt, sodass sie namentlich durch einzelne eingestreute grössere Punkte zellenkernähnlich erscheinen; endlich wird diese ganze veränderte Dottermasse von feinen Spalten durchzogen, wel- che sich derart verbinden, dass sie dieselbe vollständig in unregel- mässig eckige Stücke vom Durchmesser der grössten Embryonal- zellen zerlegen (Fig. 33—41). Auf diese Weise bietet der Keim- wall zur Zeit, wann die bekannte Abschnürung des Embryo an dessen Kopfende beginnt, auf den ersten Anblick durchaus das Bild einer zusammengedrängten Masse von Zellen, deren Dottersubstanz eben in der Auflösung begriffen ist. Und da er in Folge der all- mählichen Ausdehnung, welche die ganze Keimregion gemeinsam betrifft, namentlich in seinen Randtheilen sich nicht unbedeutend verdünnt, so sieht er beinahe wie eine verdickte Fortsetzung des mit ihm verbundenen Darmblattes aus (Fig. 39). Die genauere Untersuchung ergiebt freilich, dass die scheinbaren Kerne in der That nur mannichfaltig umgebildete Dotterkörner sind, und die Genese und weiteren Schicksale dieser Keimwallelemente zerstören jede Illusion über ihre Zellennatur. Während nämlich der Keim- wall im Anfange seiner Umbildung durchweg einem wohlgefügten Gemäuer gleicht, beginnen alsbald seine untersten Elemente aufzu- quellen, dabei aus dem übrigen Gefüge kugelig, oft selbst gestielt hervorzutreten und endlich sich aufzulösen (Fig. 42—44). Und da dies nicht gleichmässig die ganze untere Grenzschicht betrifft, so entstehen in ihr unregelmässige Buchten, von deren zackigen Vor- sprüngen Fetzen herunter hängen und zwischen denen die noch erhaltenen, aber schon gequollenen Elemente kugelig vorspringen. a En Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 183 Diesen Zerfall habe ich unmittelbar vor und im Anfange der Bil- dung des Blutes und des Dotterkreislaufes ziemlich weit fortschrei- ten sehen, sodass jene eigenthümlichen Keimwallelemente zum Theil schon sehr bald nach ihrer Entstehung zu Grunde gingen, ohne eine einzige Lebensäusserung offenbart zu haben. Daher geht meine Ansicht dahin, dass die ganze Umbildung des Keimwalls nur verschiedene Stufen und Formen seiner gänzlichen Auflösung darstellt. Die Auflösung der Dotterkörner ist gewiss nur der erste Ausdruck der übermässigen Aufsaugung von Flüssigkeit, welche darauf zur Quellung und vollständigen Verflüssigung der Masse führt; und die Zerklüftung in die zellenähnlichen Stücke mag darauf beruhen, dass, so wie ich es bei der Verwandlung der Dottermasse in den verschiedensten Gewebsanlagen des Batrachierembryo nach- gewiesen habe, die Auflösung nicht diffus sondern in einer grossen Anzahl getrennter Heerde auftritt. Dass nun während der Auflösung der unteren Theile des Keimwalls die noch unveränderten oberen in den Keim aufgenommen werden und gar in der Weise, wie es His schildert, muss ich ebenso bestimmt wie Klein in Abrede stellen. Allerdings treten aber die Anlagen des Blutes durch den Keimwall hindurch in den Keim ein, was wohl zu dem eben bezeich- neten Irrthume von His mit beigetragen haben mag. — Die Dotter- zellen nämlich, welche bis zur Zeit, wann der Keimwall sich von dem übrigen Dotter zu trennen beeinnt, auf dem früheren Keim- höhlenboden liegen geblieben waren, verlassen darauf erst einzeln, dann in grösserer Anzahl diesen Platz und gelangen in die enge Fortsetzung der Keimhöhle unter dem Keimwalle. Sobald nun der letztere durch die beginnende Auflösung erweicht und gelockert ist, und an seiner Bauchseite kleinere und grössere Buchten aus- gefressen sind, gerathen die Dotterzellen einzeln oder gruppenweise in dieselben hinein (Fig. 43, 44). Dass sie aber darauf den Keim- wall nicht ohne weiteres durchsetzen, um in den Keim zu gelangen, schliesse ich aus folgenden Beobachtungen. An den vielen bezüg- lichen Präparaten habe ich niemals so grosse Dotterzellen den Keimwall verlassen sehen, wie sie in ihn eintreten; in seinem Innern finde ich sie jedoch meist in mehrfacher Zerklüftung begriffen, wie ich es so in der Keimhöhle niemals angetroffen habe (Fig. 43). Beides scheint mir zu beweisen, dass die Dotterzellen im Innern des Keimwalls solchen neuen Einflüssen unterworfen sind, welche eine sehr energische Zerklüftung derselben anregen und mehr oder 184 Dr. Alexander Goette: weniger ausführen, bevor die kleinen Theilstücke einzeln oder grup- penweise bis in den Keim vorrücken. Ich glaube nun behaupten zu dürfen, dass, wenn Peremeschko und die Anhänger seiner Lehre von der Keimblätterbildung die von mir beschriebene Ortsveränderung der Dotterzellen beobachtet hätten, sie dieselbe unbedenklich für eine wirkliche Wanderung jener Zellen erklären würden. Haben sie doch eine solche in einer früheren Entwicklungsperiode und zur Erklärung anderer Erschei- nungen annehmen zu müssen geglaubt, wobei Peremeschko den Nachweis, dass die Dotterzellen auf dem gewärmten Objecttische sich »einige Male« »ungemein langsam« zusammenziehen und aus- dehnen (Nr. 4, S. 14), und den Umstand, dass der Keimwall eine zähflüssige Masse ist (S. 12), zur Begründung seiner Hypothese für genügend erachtet. Da jene von Peremeschko nicht beobachtete, sondern nur angenommene »Wanderung«, wie ich noch weiter aus- führen werde, überhaupt nicht vorkommt, so will ich hier erörtern, ob sein Erklärungsversuch doch für die thatsächliche, viel spätere Ortsveränderung der Dotterzellen ausreicht. Zunächst muss ich die Beweiskraft des Experimentes anzweifeln: entsprechen die Bedingun- gen desselben den natürlichen Verhältnissen vollkommen, so sind die beobachteten Bewegungen durchaus unzureichend, um die frag- liche Wanderung auszuführen. Sollten aber die Schwäche und na- mentlich die beschränkte Dauer der Bewegungen nur der unvermeid- lichen Unvollkommenheit des Experimentes zur Last gelegt werden, so steht dem aus dem letzteren abgeleiteten Schlusse, wenigstens bis zur Beibringung besserer Beweise, die Ansicht gleichberechtigt gegenüber, dass es sich gar nicht um natürliche normale Bewegun- gen gehandelt habe. Nimmt man aber auch, abgesehen davon, an, die Dotterzellen seien vollkommene, lebende Zellen, — warum be- ginnen dann ihre Wanderungen erst in einem bestimmten Zeitpunkte, warum verfolgen sie immer denselben Weg, gelangen stets an das- selbe Ziel? Gewiss lautet die Antwort: weil immer dieselben gün- stigen Bedingungen sie dazu anregen, sie in gleicher Weise dirigiren. Nun, ich selbst glaube einen solchen die Ortsveränderung der Dotter- zellen betreffenden Einfluss, welcher zudem erst unmittelbar vorher zur Wirkung kommt, wahrscheinlich machen zu können, halte ihn aber alsdann für ausreichend, um jene Bewegung lediglich auf me- chanische Momente zurückzuführen, so dass man also den Dotter- zellen nicht mehr zuzuschreiben brauchte, als was sie thatsächlich Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 185 vorstellen, nämlich Entwicklungsstufen von Zellen. Der kurz vorher eingeleitete Auflösungsprozess des Keimwalles beruht offenbar auf einer gesteigerten Aufsaugung der Keimhöhlenflüssigkeit. Diese Steigerung kann danach bemessen werden, dass sie nicht bloss auf den Keimwall beschränkt bleibt, sondern sich auch über demselben sehr deutlich offenbart. Der Randtheil des mittleren Keimblattes, _ welcher kurz vorher in der vorderen Keimhälfte sich ganz vom Keimwalle zurückgezogen hatte, im übrigen Umfange wenigstens schmächtiger geworden war, beginnt nach dem Eintritt der Umbil- dung des Keimwalles sich wieder auszubreiten. Diese der vorange- gangenen Zusammenziehung gegen die Medianebene folgende peri- pherische Ausbreitung, also so zu sagen rückläufige Bewegung des mittleren Keimblattes habe ich ebenfalls an den Embryonen der Ba- trachier und Knochenfische, nur in einem etwas späteren Entwick- lungsstadium beobachtet. Ueberall scheint sie mir aber mit dem Zeitpunkte zusammenzufallen, wann die Embryonalzellen unter Schwund ihres Dotterinhalts in vollkommene, also sich ernährende und wachsende Zellen übergehen, sodass, wo diese Verwandlung re- lativ früher eintritt, wie im Hühnerei, auch die Massenzunahme, nicht blosse Form- und Lageveränderung der einzelnen Embryonalanlagen früher sichtbar werden muss. Während der Ablösung des Keimwalls vom übrigen Dotter vollzieht sich jene Umwandlung zuerst in den centralen und gleich darauf auch in den peripherischen Keimtheilen ; so wächst auch der Randtheil des mittleren Keimblattes merklich und breitet sich gegen das Kopfende fortschreitend wieder über den Keimwall aus, den Zwischenraum zwischen ihm und dem oberen Keimblatte mit einer dichten Zellenmasse ausfüllend. Mit dem Be- ginn der Auflösung des Keimwalls treten jedoch erst einzelne spalt- förmige, dann immer grössere Lücken in dieser compacten Zellen- masse auf, welche durch einströmende Flüssigkeit gebildet, die in- “ differente Schicht in ein netzförmiges interstitielles Bildungsgewebe verwandeln (Fig. 41—45) !). Die bedeutende und schnelle Ausbreitung des ganzen Gewebes und namentlich die Erweiterung seiner Maschen sind der unmittelbare Ausdruck für die, von dem in der Auflösung begriffenen Keimwalle her reichlich einströmende Flüssigkeit, deren Thätigkeit unter dem Keimwalle in dessen Ablösung sich kund gibt. 1) Für diesen ganzen Entwicklungsvorgang verweise ich auf meine Ent- wicklungsgeschichte der Unke, Abschnitt VII. 186 Dr. Alexander Goette: Sollte nun diese von der Mitte der Keimhöhle gegen den Keimwall hinziehende, thatsächlich wohl langsame, aber anhaltende Strömung nicht fähig sein, einen Theil der Dotterzellen allmählich dorthin zu schwemmen und endlich in die ausgefressenen Buchten des erweich- ten Keimwalls hineinzutreiben? Ich glaube dies unbedenklich bejahen zu dürfen. Innerhalb des Keimwalls finde ich aber eine weitere, von mir schon häufig angezogene Bewegungsursache von Embryonal- und Dotterzellen, nämlich die Zerklüftung der eingedrungenen gros- sen Dotterzellen, welche ich dort so energisch wie sonst nirgends erfolgen sehe. Die durch die Theilung hervorgerufenen Verschie- bungen scheinen mir genügend zu sein, um den Durchtritt der Zellen durch den Keimwall bis in den Bereich des mittleren Keimblatts zu erklären. Dort angelangt, werden die sich zerklüftenden Zellen oder bereits compacten Zellengruppen von den Zellennetzen des mittleren Keimblattes umsponnen und verwandeln sich darauf, in Maschen des- selben eingeschlossen, in die bekannten Blutinseln (Fig. 44—46). Das sie umschliessende Netzwerk hängt natürlich allseitig mit dem übri- gen interstitiellen Bildungsgewebe zusammen. Die voranstehenden Mittheilungen sind gerade so weit ausge- dehnt worden, als es mir nöthig schien, um die Frage nach dem Ursprunge und der Bildung der Keimblätter des Hühnerkeims er- schöpfend zu behandeln. Wenn ich mich dabei veranlasst sah, bis zur Entwicklungsgeschichte des ÜUentralnervensystems, der Wirbel- saite, der Segmente und des Blutes vorzugehen, so ist dies in dem Reichthum an Theorieen begründet, durch welche man jene älteste Frage der Entwicklungsgeschichte überhaupt von den verschiedenen Seiten her zu lösen versuchte. Einen vollständigen Erfolg hatte aber bisher keiner dieser Versuche, einmal weil die Untersuchung ganz einseitig und ausschliesslich auf das Hühnerei, eines der schwierigsten Objecte der Entwicklungsgeschichte, beschränkt blieb, ferner, weil namentlich die neueren Beobachter bei der so häufigen Bearbeitung dieses Gegenstandes sich offenbar der Mühe überhoben glaubten, auch bei beschränkteren Aufgaben jedesmal alle seine Theile von Neuem und umfassend zu untersuchen. Wenigstens würden mir an- derenfalls die verschiedenen Irrthümer gar nicht verstöndlich er- scheinen. Im ersten Abschnitte habe ich die Bildung der zwei Zellen- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 187 gruppen des frisch gelegten Hühnereies, des Keimes und der Dotter- zellen behandelt. Ich bestätigte zunächst Oellacher darin, dass beide aus demselben Entwicklungsprocesse, der Dottertheilung, her- vorgehen. Dagegen konnte ich nachweisen, dass dieser Vorgang weder auf einen bestimmten, genetisch unterschiedenen Eitheil, den Hauptdotter (Eizelle), noch auf die Zeit bis zur Entstehung der Keimhöhle beschränkt ist; endlich durfte ich es wahrscheinlich ma- chen, dass der zweischichtige Keim und die Dotterzellen nicht ein- fach zwei durch Spaltung (Keimhöhle) gesonderte Theile darstellten, sondern dass die Schichtung des Keimes bereits durch eine morpho- logische Umbildung hervorgerufen, dadurch aber sein früheres Ver- hältniss zu den Dotterzellen, von denen die meisten zudem erst später entstehen, wesentlich verändert werde. Aber erst mit der Bebrütung beginnen die Entwicklungsvorgänge, welche der häufigste Gegenstand der Untersuchung und der Controverse waren. Jene Darstellungen, welche ich im Eingange dieses Abschnitts wiedergab, stimmen zunächst darin überein, dass, wenn auch Re- mak’s zwei Keimschichten der unbebrüteten Keimscheibe anzuer- kennen seien, die Umwandlung derselben in drei Keimblätter, wie sie Remak freilich sehr aphoristisch angab, nämlich der Uebergang der oberen Schicht in das obere Keiinblatt und die Spaltung der unteren Schicht in die zwei anderen Blätter thatsächlich nicht erfolge. Ab- gesehen von dieser negativen Uebereinstimmung gehen aber die po- sitiven neuen Angaben nach zwei von His und Peremeschko ver- tretenen Richtungen auseinander !). Nach His sondert sich jede der beiden Keimschichten ?) in ein äusseres Grenzblatt (oberes, unteres Keimblatt) und jederseits von der Axe in eine Muskelplatte; der Axenstrang vereinige Elemente beider Schichten, um in besonderer Thätigkeit eigenthümliche Lei- stungen im Gebiete des mittleren Keimblattes auszuführen ; endlich würden in dasselbe Theile des fertigen oberen Keimblattes (Zwischen- strang) und Producte des Nebenkeims (Keimwall) als besondere An- 1) Da die Wiederholung der alten Reichert’schen Lehre durch Dursy nur unbestimmt ausgedrückt ist, so glaube ich sie hier übergehen zu dürfen. 2) Die Bezeichnung »Keimblatt« für verschiedene Keimtheile, welchen von den einzelnen Embryologen durchaus nicht die gleiche Bedeutung beige- legt wird, hat schon manches Missverständniss hervorgerufen. Ich habe daher Schichten und Blätter stets unterschieden und letzteren Ausdruck nur auf die definitiven, von den Meisten anerkannten Grundlagen des Keimes angewandt. 188 Dr. Alexander Goette: lagen eingeführt. Wir finden also bei His die Entwicklung eines einheitlichen mittleren Keimblattes und seine Umbildungen ersetzt durch die mannichfaltigen Thätigkeiten und getrennten Erzeugnisse vieler Einzeltheile, der Keimschichten, der fertigen Keimblätter, des Axenstranges, des Nebenkeimes. Diese Darstellung muss ich auf Grund meiner Untersuchungen im ganzen und im einzelnen als durch- aus verfehlt bezeichnen. Dass die Muskelplatten sich. nicht von den beiden ursprünglichen Keimschichten abspalten, hat bereits Waldeyer nachdrücklich hervorgehoben. Auch ich finde das obere Keimblatt zu jeder Zeit von seiner Unterlage scharf geschieden; und da ich die selbstständige, von jenem ersteren durchaus unabhängige Entwicklung des mittleren Keimblattes von Anfang an, wann es erst aus einzelnen zerstreuten Zellen besteht, bis zur Bildung einer com- pacten Schicht verfolgte, ohne einen Befund anzutreffen, welcher die Auffassung von His veranlassen könnte, so darf ich die letztere wohl für eine unbegründete erklären. Beide Muskelplatten, d. h. die Seitenplatten mit den Segmenten, sind nachträgliche Spaltungs- producte der einfachen Seitentheile des mittleren Keimblattes; und diese wiederum gehen aus der secundären Keimschicht, bez. aus der Einwanderung der peripherischen Zellenmassen dieser Schicht in den Fruchthof hervor. Ebenso wenig verständlich erscheinen die übrigen den Primitivstreif, dessen Zusammensetzung und Bedeutung betref- fenden Mittheilungen von His, sobald man wie billig annimmt, dass er den Keim an successiven Serien von Durchschnitten untersucht habe. Gegenüber der Behauptung, dass die beiden ursprünglichen Keimschichten in der Embryonalaxe überhaupt niemals gesondert, sondern stets verschmolzen seien (Nr.3, S. 43), muss ich ausdrück- lich hervorheben, dass, bevor die ersten Andeutungen der Axengebilde, also auch des Primitivstreifs, auftreten, die beiden Keimschichten in der Axe durchweg ebenso getrennt erscheinen, wie an jeder anderen Stelle (vgl. Fig. 37). Dass die Zellen der unteren Keimschicht oder des mittleren Keimblattes an das obere anstossen, kann doch kein Beweis ihres Zusammenhanges in dem bezeichneten Sinne sein, daher ich einen solchen auch in den Abbildungen von His selbst nicht zu erkennen vermag !). Schwieriger ist es allerdings, die Grenzscheide 1) Solche Abbildungen, wie diejenigen der Taf. III von His, an denen wegen des winzigen Massstabes die einzelnen Zellen durchaus nicht mehr zu erkennen sind, halte ich für ganz untauglich, die fraglichen Verhältnisse zu Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 189 des oberen und mittleren Keimblattes im Bereiche der bereits ent- standenen Primitivrinne zu erkennen. Darauf lässt sich der bezüg- liche Irrthum von der Entstehung des Axenstranges aus einer Ver- schmelzung beider Keimschichten ganz natürlich zurückführen. Da- gegen vermag ich nicht einzusehen, wie eine vollständige Untersuchung des Primitivstreifs und seiner vorderen Fortsetzung die eigenthüm- lichen von mir geschilderten Verhältnisse übersehen lassen und die gegentheiligen Ansichten hervorrufen könne. Dass die Grundlage des Axenstranges in der vorderen Keimhälfte auch schon vor seiner Entwicklung vorhanden sei, hat Waldeyer gleichfalls schon gegen His mit Recht behauptet. Dagegen wissen Beide von der wechseln- den Form und Lage des Axenstranges, von dem eigenthümlichen Verhältnisse der Primitivrinne zur Medullarfurche nichts und behaup- ten vielmehr, dass diese beiden eine continuirliche Einsenkung wären (centrale Längsrinne); kurz, es ist ihnen der wesentliche Unterschied der im Primitivstreife gelegenen Theile von den vorderen Axen- theilen und die auffallende Umbildung des ersteren zur bleibenden Anordnung der letzteren durchaus unbekannt geblieben. Unter sol- chen Umständen glaube ich aber behaupten zu dürfen, dass His und Waldeyer ihre bezügliche Darstellung nur auf die Befunde unzusammenhängender Durchschnitte oder einzelner Entwicklungs- stufen, also jedenfalls auf eine unvollständige Untersuchung stützen. In Folge dessen erklärten denn auch beide Forscher den vor dem Primitivstreife gelegenen Keimtheil irrthümlicherweise bloss für die Anlage des Kopfes, wobei His übrigens in mehrfachen Widerspruch mit sich selbst gerieth. Es erhellt nun aus meinen Untersuchungen, dass eine so frühe Abgrenzung von Kopf und Rumpf gar nicht vor- genommen werden kann, weil die Stelle des ursprünglichen Kopf- endes vom Primitivstreifen sehr bald unkenntlich wird; und wenn His als Grenzmerkmal seine centrale Querrinne nennt, so habe ich bereits darauf hingewiesen, dass die Annahme einer solchen Rinne nur auf einer irrigen Deutung des sagittalen Durchschnitts der vor- deren Krümmung der Primitivrinne beruht, welche sich aber natür- demonstriren. Sollten die Fig. I und VI, Taf. VI sich auch auf die Axe be- ziehen, so beweisen sie jenen Zusammenhang nicht; die Fig.1, 6, 7 der Taf. I endlich, welche trotz des grossen Massstabes das obere Keimblatt ohne jede Andeutung der zusammensetzenden Zellen als ein breites Band erscheinen lassen, kann ich auf normale Objecte nicht beziehen, 190 Dr. Alexander Goette: lich verliert, sobald das Kopfende des Primitivstreifs in die Medullar- furche aufgegangen ist. Alsdann erscheint aber die Thatsache, dass das spätere Flächenbild des Primitivstreifs nur einem hinteren Ab- schnitte seines frühesten Bildes entspricht, durch eine blosse Be- hauptung und ohne dass man den Uebergang des Primitivstreifs in die definitiven Axengebilde kannte, nicht besser begründet als die gegentheilige Darstellung Dursy’s, welcher den ganzen ursprüng- lichen Primitivstreif im Schwanzende des Embryo atrophiren liess. Besonders auffallend tritt die Ungenauigkeit der Beobachtungen von His in seinen Angaben über die Entwicklung der »Urwirbelkerne« (Segmentkerne) hervor. Sie sollen aus dem Axenstrange zwischen die beiden Schichten der Wirbelplatten hineinwachsen und der durch ihre Ablösung verschmächtigte Strang als Wirbelsaite zurückbleiben. Nun sondern sich aber die Seitentheile des mittleren Keimblattes vom Axenstrange ab und lassen ihn als Anlage der Wirbelsaite zu- rück, bevor sie in zwei Schichten geschieden sind oder gar schon die Segmenthöhlen entwickelt haben, in welchen die Kerne erst nach- träglich erscheinen. . Ferner stehen die medialen Ränder jener bei- den Schichten niemals offen auseinander, sondern ihre Verbindung ist nur der Ausdruck dafür, dass die Spaltung niemals bis zum Axen- strange durchgeht. Und wenn endlich His den seitlichen Axenfort- satz, also den Urwirbelkern auf Zellen des oberen Keimblattes, zurück- bezieht, welche aus der geschlitzten Primitivrinne sich in den Axen- strang ergossen hätten, so gelangen wir damit bereits zu den blossen Hypothesen, welche His seiner Entwicklungsgeschichte in nicht ge- ringer Anzahl einverleibt hat, und deren nähere Prüfung uns erst den richtigen Standpunkt zur Beurtheilung seiner ganzen Arbeit zeigen wird. Verfolgt man die einzelnen Angaben von His in ihren ver- schiedenen Wiederholungen, so ergibt sich sehr bald, dass sie häufig gar nicht den Anspruch machen, der einfache Ausdruck einer objec- tiven Beobachtung oder daraus abgeleiteter Schlüsse zu sein, sondern ihre hauptsächlichste Begründung in dem physiologischen Werthe suchen, welcher den Erzeugnissen der betreffenden Anlagen später zukommt. So wird der Schwund der untern Muskelplatte in der Herzgegend und ihre Ersetzung durch eine neue Schicht der oberen Platte nicht als einfache Beobachtung aufgeführt, sondern eine solche »angenommene Deutung« durch den Umstand gerechtfertigt, dass aus der unteren Platte die quer gestreifte Musculatur des Herzens 4 Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 191 und der oberen Speiseröhre, also »animale« Theile hervorgehen, welche natürlich dem animalen oberen Keimblatte angehören müss- ten (Nr. 3, S. 91). Umgekehrt muss aber diese animale Platte gleich dahinter zu Gunsten der wieder auftretenden »vegetativen Muskel- platte« verschwinden, trotzdem die Erscheinungen diese Darstellung »willkürlich« erscheinen lassen könnten, nur weil neben unbedeuten- den anderen Gründen »das schliessliche Entwicklungsresultat schwer ins Gewicht fällt«, nämlich die Bildung der organischen Muskeln der unteren Speiseröhre aus der fraglichen Platte (S. 120). Es ist klar, dass die Bedeutung der beiden ursprünglichen Keimschichten als animale und vegetative nur aus dem Nachweise abgeleitet wer- den dürfte, dass sie thatsächlich nur je animale oder vegetative Or- gane (vgl. Nr. 3, S. 43) erzeugten; aus den angeführten Beispielen, welche sich noch leicht vermehren liessen), ergibt sich aber, dass His auch bei solchen Beobachtungen, welche ihm selbst zweifelhaft erschienen, jene Bedeutung als Thatsache vorwegnimmt, welcher die Entscheidung zustehe. Selbstverständlich bedurfte er in allen ande- ren Fällen, wo ihm die Beobachtung einem solchen Schlussverfahren weniger Hindernisse zu bieten schien, jener Erörterung nicht. Diese Ueberlegung führt uns aber dahin, alle einzelnen und zahlreichen Irrthümer von His nicht einfach einer mangelhaften Beobachtung zuzuschreiben, sondern gemeinsam auf gewisse Vorurtheile von all- gemeiner Bedeutung zurückzuführen. Wenn man einigermassen mit v. Baer’s Entwicklungsgeschichte bekannt ist, so kann es nicht ent- gehen, dass His dessen allgemeinen Entwicklungsplan durchaus adop- tirt hat. Von einer allgemeinen Betrachtung des fertigen Wirbel- thieres ausgehend, welche den Gegensatz animaler und vegetativer Theile feststellt, wird eben die ganze Gliederung des Keimes auf eine entsprechende Dualität der Grundanlagen zurückzuführen ver- sucht: das mittlere Keimblatt muss daher eben zweischichtig und mit doppeltem Ursprunge entstehen, mag auch der Nachweis »bei- nahe nur mit Zuhülfenahme der Bilder aus späteren Stadien« erreicht werden (5. 73), und aus demselben Grunde wird jenes Versteckspiel beider Muskelplatten im vorderen Keimtheile eingeführt, werden die 1) Auf Seite 157 erklärt His, dass die Entscheidung über den Ursprung des Sympathicus davon abhinge, ob sympathische Nervenzellen im Rücken- marke wirklich vorkämen. Bejahendenfalls wäre die Abstammung seiner Ganglien aus dem Rückenmarke entschieden! 192 Dr. Alexander Goette: Spinalganglien vom oberen Keimblatte abgeleitet. Der Unterschied zwischen v. Baer und His ist aber der, dass Ersterer, obgleich er in der Blüthezeit der Naturphilosophie schrieb, seine schematischen Darstellungen über den Entwicklungsplan nicht zur Richtschnur seiner Beobachtungen machte, sondern, wie ich es an anderer Stelle ausgeführt habe, in diesen schon die von Remak später klarer er- örterte Dreiblättertheorie andeutete. His dagegen sucht in der Beobachtung gar zu häufig nur die Bestätigung seiner Theorie; und nicht zufrieden mit dem Prinzip der »animalen und vegetativen Sphäre«, fand er im Wirbelthierorganismus noch einen anderen Dualismus heraus, den Gegensatz der Bindesubstanzen und aller übrigen Gewebe, des parablastischen und des archiblastischen Kör- pers (S. 33—42), welcher ebenfalls genetisch begründet werden musste. So entstand die Lehre vom Haupt- und Nebenkeim, welche aber nicht erst in dem befruchteten Eie sich scheiden, sondern schon im Haupt- und Nebendotter des Eierstockseies einen getrennten Ur- sprung haben sollten. Wie sehr auch hierbei die Beobachtung erst in zweiter Reihe befragt wurde, ergibt sich daraus, dass His aus- drücklich hervorhebt, dass der Nebenkeim, also auch der Keimwall sich nach der Befruchtung nicht verändere, seine Elemente »diesel- ben sind im Eierstock, wie im gelegten Ei« (S. 41). Wenn ich nun aber sehe, dass His die eigenthümliche Umbildung des Keimwalls aus einer continuirlichen Dottermasse zu einem zellenähnlichen Ge- füge an diesem seinem, angeblich so bedeutungsvollen Nebenkeime vollständig übersah, so darf ich wohl auf Grund meiner Beobach- tungen über die Blutbildung alle gegentheiligen Angaben von His einfach als irrige zurückweisen. Abgesehen aber auch von diesem angeblichen Ursprunge aller Bindesubstanzen drängt sich hier die Frage auf, welche Mittel His besass, die parablastischen Zellen von. den archiblastischen zu unterscheiden und daraus ihre streng getrennte Fortentwicklung zu erweisen. Er selbst spricht von Vermengungen beider Zellenarten und von der grossen Schwierigkeit, ein solches Zellengemenge überhaupt nur zu entwirren (S. 172. 176); ich halte dies aber für ganz unmöglich und finde in der ganzen Darstellung vom Nebenkeime nur einen weiteren Beweis, wie His alle seine Neuerungen in der Entwicklungsgeschichte nicht der unbefangenen Beobachtung entnahm, sondern aus seinen vorgefassten Ansichten in die Beobachtung hineintrug. Obgleich Waldeyer in gewissen Punkten sich an His an- + A a re Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 193 schliesst, kommt er doch in den meisten Hauptfragen zu ganz an- deren Ergebnissen. Auch er erkennt im Anfange der Bebrütung nur zwei Keimschichten an, aber nicht als die animale und vegetative, sondern die obere wird mit Recht bloss für das obere Keimblatt in der älteren von Remak festgestellten Bedeutung erklärt, die untere für die gemeinsame Anlage des mittleren und unteren Keimblattes. Dagegen sind allerdings die Angaben Waldeyer’s über den Ur- sprung der Zellen, welche die untere Keimschicht zusammensetzen, unrichtig. Die nach meinen Untersuchungen einzig richtige Erklä- rung, dass sie vom Keimrande her einwandern, wird von Waldeyer. nur zum Theil benutzt; den gleichen Antheil an jener Bildung vin- dieirt er dem Axenstrange und den Dotterzellen. Die Betheiligung des Keimwalles an der Zusammensetzung der Embryonalanlagen wird aber, wenn auch nicht entschieden zurückgewiesen, wenigstens durchaus nicht bestätigt. In der Geschichte des Primitivstreifs folgt aber Waldeyer, wie ich es schon ausführte, wesentlich der durch- aus unzutreffenden Darstellung von His. Wenn Waldeyer Anknüpfungspunkte an die beiden Haupt- richtungen der modernen Keimblätterlehre bot, so finden wir bei Peremeschko und seinen Anhängern die unvermittelten Gegensätze zu His. Selbstverständlich handelt es sich dabei in erster Linie um das mittlere Keimblatt, dessen einheitliches Entstehen und Bestehen gegenüber der durch His versuchten Auflösung dieses Begriffes von Peremeschko ganz besonders urgirt wird. Wenn aber auch Letz- terer sich gemüssigt sah, an die Stelle der Remak’schen Darstellung eine neue ‚Hypothese in die Entwicklungsgeschichte jenes Blattes einzuführen, welche übrigens von seinen Nachfolgern als bewiesene Thatsache hingenommen wurde, so liegt dies nicht an aprioristischen Vorstellungen, sondern an einer lückenhaften oder flüchtigen Unter- suchung. Peremeschko glaubt zu seiner Annahme durch die Beobachtung gezwungen zu sein: zu einer gewissen Zeit seien die beiden Keimschichten vollständig in die beiden aus charakteristischen Zellen zusammengesetzten Grenzblätter aufgegangen, für die Bildung des mittleren Keimblattes im ursprünglichen Keime kein Material mehr vorhanden, also die Ableitung desselben von den letzten noch verfügbaren organisirten Gebilden des Eies, den Dotterzellen, gleich- sam geboten. Bloss zwei blattähnliche dünne Schichten enthält aber der Keim nur im Anfange der Bebrütung; dann ist jedoch im dicken Randwulste Material genug vorhanden zur Erklärung jeder Neubildung M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10, 13 194 Dr. Alexander Goette: im Fruchthofe (Fig. 5). Nach dem Schwunde dieses Randwulstes ist aber die secundäre Keimschicht nicht mehr blattförmig, und das mittlere Keimblatt bereits vorhanden, dagegen die Plattenform der Darmblattzellen eben in der Entstehung begriffen (Fig. 6, 37). Der Zustand des Keimes, wie ihn Peremeschko unmittelbar vor der Bildung des mittleren Keimblattes schildert, findet sich nur in den peripherischen Theilen des vorderen Fruchthofes zur Zeit, wann der Randtheil jenes Blattes sich dort einwärts zurückgezogen hat, der Primitivstreif aber schon entstanden ist (Fig. 39). Wenn man über- lest, dass Peremeschko jenen Zustand in der siebzehnten Brüt- stunde angetroffen haben will und schon aus der darauf folgenden achtzehnten Stunde einen dicken compacten Axenstrang abbildet (Nr. 4, S. 9—11, Fig. 6), so darf man wohl annehmen, dass seine Untersuchung nicht auf die ganzen Keime aufeinanderfolgender Ent- wicklungsperioden sich bezog. Seine Hypothese ist aber vollständig überflüssig; denn vor dem Erscheinen des mittleren Keimblattes ist im Randwulste ausreichendes Bildungsmaterial für dasselbe innerhalb des Keimes selbst vorhanden, und der nachweisliche, continuirliche und allmähliche Uebergang dieser Randwulstmassen in den Central- theil der secundären Keimschicht überhebt uns jeder Nöthigung, statt die Remak’sche Darstellung bloss etwas zu modificiren, uns nach vagen Hypothesen umzusehen. Die Dotterzellen, als ausser- halb des Keimes gelegene Theile, haben mit seinen morphologischen Grundanlagen nichts zu thun und werden lediglich zur Bildung des embryonalen Blutes verwandt. Von gegentheiligen Angaben liegen nur diejenigen Kleins vor'!). Er verfolgte die Blutbildung zur Zeit, wo bereits Blutinseln vorhanden waren, an Flächenbildern gan- zer Keime und entdeckte dabei Bilder, die er an Durchschnitten seibst nicht wiederzuerkennen vermochte (Nr. 10, $. 48); von der Einwanderung der Dotterzellen in das netzförmige Bildungsgewebe des mittleren Keimblattes weiss er nichts. Da ich nun Klein darin durchaus bestätigen kann, dass an Durchschnitten zu keiner Zeit eine Spur seiner wunderbaren Riesenzellen mit endogener Zellen- bildung, Endothelblasen u. s. w. anzutreffen ist, während ich dage- gen an denselben Durchschnitten die ganze Blutbildung in ganz an- derer Weise erfolgen sah, so muss ich annehmen, dass seine Unter- 1) Afanasieffs spätere Angaben beziehen sich nur mehr auf die Bil- dung der Gefässe, nicht des Blutes. \ Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 195 suchungsmethode ihn irregeführt hat. Wenn bei den von ihm be- nutzten Präparaten das durchfallende Licht die ganze Dicke des oberen und mittleren Keimblattes durchdringen musste, so konnten wohl die rundlichen, von zarten Zellen umschlossenen und theils schon mit den Erzeugnissen der eingewanderten Dotterzellen ausge- füllten Lücken des Bildungsgewebes als blasenförmige Gebilde im- poniren und so die ganze Darstellung Kleins hervorrufen. Anders weiss ich mir den vollständigen Widerspruch zwischen seinen und meinen Beobachtungen nicht zu deuten, besonders da er einen so wichtigen Vorgang, wie die Einwanderung der Dotterzellen, offenbar ganz übersehen hat. Wenn man meine voranstehenden Beobachtungen über die Bil- dung der Keimblätter und des Blutes im Hühnerei mit den Ergeb- nissen meiner Untersuchungen über die gleichen Vorgänge im Ba- trachierei vergleicht, so wird sich eine Uebereinstimmung in allen wesentlichen Punkten herausstellen. Wenn es feststeht, dass die Dottertheilung an sich, wie ich es schon ausführte, keine durchgrei- fenden Unterschiede bietet, so können wir uns hier auf ihre Erzeug- nisse beschränken. In beiden genannten Gruppen geht nur ein Theil der aus der Dottertheilung hervorgehenden Zellen in die Grundlage der Keimblätter und damit aller morphologischen Embryonalanlagen oder den Keim im engeren Sinne ein; in beiden Gruppen wird der übrige Dotter, sei es vollständig oder nur zum Theil in Dotterzellen verwandelt, theils zur Blutbildung, theils zur Ernährung des ent- wickelten Embryo verbraucht. Allerdings gelangen die embryonalen Blutzellen der Batrachier und, wie es mir daher wahrscheinlich ist, auch der Vögel in alle Körpertheile; sie haben aber dabei weder die Bedeutung des His’schen Nebenkeimes, da ihre weitere Umbil- dung auf bestimmte Gewebe nicht beschränkt ist, noch eine Ver- wandtschaft mit den Keimblättern, da sie keine einzige morpholo- gische und überhaupt keine Anlage nachweislich von sich allein aus begründen. Sie erscheinen also überall bloss als Ergänzung der ver- schiedensten Anlagen, so zu sagen als plastisches Ernährungsmittel und können somit viel eher dem Nahrungsdotter als dem Keime bei- | gezählt werden, wenn man nicht, was mir aber überflüssig scheint, eine Dreitheilung des Dotters einführen will. Wenn Oellacher die Dotterzellen des Hühnereies nur desshalb, weil sie aus der Dottertheilung hervorgingen, für einen Keimtheil erklärt, so will 196 Dr. Alexander Goette: ich nicht weiter untersuchen, mit welchem Rechte er dabei allen Fachgenossen das Dogma imputirt: was sich furcht, ist Keim, was sich nicht furcht, ist Nahrungsdotter (Nr. 5, S. 16), sondern nur consta- tiren, dass der zur Blutbildung nicht verbrauchte Rest der Dotter- zellen sowohl bei den Batrachiern wie bei den Vögeln dem Schick- sale eines wirklichen Nahrungsdotters unterliegt '). Will man also Keim und Nahrungsdotter als die zwei Haupttheile des Eies im en- geren Sinne unterscheiden, so gehören zum ersteren nur die Keim- blätter, zum letzteren aber auch die Anlagen des Blutes. Eine gute Illustration dazu liefern uns die Knöchenfische, deren Blutbildung ich daher hier kurz erwähnen will. Was Oellacher für in den Nahrungsdotter eingewanderte Embryonalzellen hält, sind, wie man sich sehr leicht überzeugen kann und ich es bereits angegeben habe (Nr. 11, S. 704), nur grosse Kerne. Diese Kerne nun vermehren sich sehr lebhaft durch Theilnng, verbreiten sich in der Rinde des Nahrungsdotters, erhalten dabei helle Höfe und werden endlich durch eine vollständige Ablösung der letzteren von ihrer Umgebung zu Zellen, welche einzeln oder gruppenweise an die Oberfläche des Nah- rungsdotters, also unter das mittlere Keimblatt treten. Dort wer- den sie alsdann als kleine Blutinseln von dem letzteren aufgenom- men. Ich weiss nicht, woher jene Kerne stammen; es liegt aber nach den vorliegenden Untersuchungen über die Dotterzellen des Hühnereies nahe, sie mit den freien Kernen zu vergleichen, welche im Keimhöhlenboden die Bildung jener Zellen hervorrufen. Mag übrigens dem sein wie ihm wolle, das glaube ich bestimmt eruirt zu haben, dass das Blut des Forellenembryo nicht im mittleren ' Keimblatte aus Elementen desselben entstehe, sondern vom Nahrungs- dotter her gleichsam importirt werde. Indem ich nochmals an die Bildung der beiden Keimschichten ‚erinnere, welche ich gleichfalls bei Batrachiern und Knochenfischen ganz offenbar übereinstimmend fand, bei den Vögeln wenigstens mit grosser Wahrscheinlichkeit auf die gleichen Vorgänge zurückführen konnte, so darf. ich mit dem Ergebnisse schliessen, dass die Embryonalentwicklung der genannten Wirbelthiergruppen in den fundamentalen Vorgängen eine durchaus gleiche, übereinstimmende ist. Strassburg i. E., Juli 1873. 1) Dass die Dotterzellen, welche noch am dritten Brüttage in der Keim- höhle angetroffen werden, noch nachträglich irgendwie zur Blutbildung her- angezogen würden, darf zunächst gewiss bezweifelt werden (vgl. Nr. 4, S. 14). > Om — 10. 11. 12. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. ler Litteraturverzeichniss. . Remak, Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbelthiere. . Dursy, der Primitivstreif des Hühnchens. His, Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelihierleibes. . Peremeschko, über die Bildune der Keimblätter im Hühnereie, aus > $) den Sitzungsberichten der k. Akad. d. Wissensch. zu Wien, 1868. . Oellacher, Untersuchungen über die Furchung und Blätterbilduug im Hühnereie, aus: Studien aus dem Intitute für experimentelle Patho- logie von Stricker I. . Waldeyer, Bemerkungen über die Keimblätter und den Primitivstreifen bei des Entwicklung des Hühnerembryo, aus: Henle-Pfeuffer’s Zeitschrift für rationelle Medicin, 3. Reihe, Bd. XXXIV. - Waldeyer, Eierstock und Ei. . Afanasieff: über die Entwicklung der ersten Blutbahnen im Hühner- embryo, aus den Sitzungsberichten der k. Akad. d. Wissensch. zu Wien, 1866. . Afanasieff, zur embryonalen Entwicklungsgeschichte des Herzens, im Bulletin de l’academie imp. des sciences de St. Petersbourg, 1868. Klein, das mittlere Keimblatt in seinen Beziehungen zur Entwicklung der ersten Blutgefässe und Blutkörperchen im Hühnerembryo, aus den Sitzungsberichten der k. Akad. d. Wissensch. zu Wien, 1871. Goette, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere in M. Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie, 1873. Goette, Zur Entwicklungsgeschichte des Kaninchens, im Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften, 1869. Erklärung der Abbildungen auf Tafel X—X1. Fig. 1. Durchschnitt durch den Keim eines dem Eileiter entnommenen Hühnereies. a die Masse der Dottertheilstücke, b die feinkörnige darunterliegende Schicht, ec) der Dottercanal mit seiner Ausbreitung. Fig. 2. Die Fortsetzung der Dottertheilung in der feinkörnigen Schicht. Fig. 3. Derselbe Vorgang am Boden der Keimhöhle, a, b, d aus Bierleiter- eiern, e aus einem bebrüteten Ei. Fig. 4. Durchschnitt durch den Keim eines Eierleitereies. a die obere Keim- schicht, b die in der Bildung begriffene untere Keimschicht, d die Dotterzellen, kh die Keimhöhle, rw der Randwulst. Fig. Fig. Fig. Fig. Dr. Alexander Goette: . 5. Durchschnitt durch den Keim eines frischgelegten Eies. Bezeichnun- gen wie in Fig. 4, ce der Dottercanal. . 6. Mediandurchschnitt durch den Keim aus den ersten Stunden der Be- brütung (vgl. Fig. 37). a das obere, b das mittlere Keimblatt, b’ das Darmblatt, kh die Keimhöhle mit den Dotterzellen, rw der Rand- wulst, ce der Dottercanal. 7. Mediandurchschnitt durch einen älteren Keim (vgl. Fig. 38). a, b, b‘, kh, rw, c wie in Fig. 6, kw der Keimwall, r Durchschnitt der vorderen Abschnürungsfalte, r‘ der vorderen Krümmung der Primitiv- rinne. 8. Mediandurchschnitt durch einen Keim im Anfange der Abschnürung. Die Einzeltheile wie in Fig. 7, r die vordere Abschnürungsfalte, kh die abwärts und seitwärts unter dem Keimwall ausgebreitete Keimhöhle. 9—36. Querdurchschnitte durch die Axentheile des Keims; in jeder Serie von vorn nach hinten folgend und in der Vorderansicht. a das obere Keimblatt, b die Seitentheile des mittleren Keimblattes, b‘ das Darmblatt, ax der Axenstrang, pr die Primitivrinne, mf die Medullarfurche, g der Boden derselben, rw die Rückenwülste. . 9, 10 aus einem Keime im Anfange der Erscheinung des Primitivstreifes. g. 11—17. Erste Serie. Fig. 11, 12 vor dem Primitivstreife, Fig. 13 Kopf- ende desselben, Fig. 14 vordere Krümmung der Primitivrinne. . 18. Tiefere Primitivrinne aus einem gleich alten Keime. . 19—24. Zweite Serie. Fig. 19, 20 aus der fertigen Medullarfurche, Fig. 21 Kopfende des Primitivstreifs, Fig. 22 Uebergang zur geraden Primitiv- rinne. .25—30. Dritte Serie. Fig. 27—29 Uebergang aus der vorderen Medullar- furche zum Primitivstreif. . 31—33. Vierte Serie. Fig. 32 unregelmässige Medullarfurche, Fig. 33 Dorsalschwelle. . 34—36. Fünfte Serie. Fig. 35 Dorsalschwelle, Fig. 36 der dahinter lie- gende Primitivstreif. .37. Ein Theil der Fig. 6 vergrössert. a oberes Keimblatt, b mittleres Keimblatt, b’ Darmblatt, rw Randwaulst. 38. Ein Theil der Fig. 7 vergrössert. b mittleres Keimblatt, b‘ ver- dickter Rand des Darmblattes, r vordere Abschnürungsfurche, d Dotterzellen, khb Keimhöhlenboden, kw der Keimwall in der Zer- klüftung und Ablösung vom Keimhöhlenboden begriffen. i | L Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 199 Fig. 39. Randtheil des Fruchthofes der vorderen Keimhöhle im Querdurch- schnitte, aus einem Keime vom Alter des in Fig. 11—17 dargestell- ten. b mittleres Keimblatt vom Keimwalle zurückgezogen, b‘ das Darmblatt im Anschlusse an den Keimwall kw. Fig. 40. Dasselbe, Uebergang zur hinteren Keimhöhle. Das mittlere Keim- blatt erstreckt sich mit seinem Randwulst rw beständig über den Keimwall. Fig.41. Der verdieckte Randtheil des mittleren Keimblattes (rw) in der Um- bildung zum netzförmigen Gewebe begriffen. kw der Keimwall, die unteren Stücke bereits aufgequollen. Fig.42. Dieselbe Bildung etwas weiter vorgeschritten. Beide Durchschnitte gehören zum Keime Fig. 19—24. Fig. 43—46. Durchschnitte durch den Gefässhof und Keimwall. Fig. 43 und 44 aus dem Keime Fig. 25—30. Die Dotterzellen d wandern in den Keimwall kw und den Randtheil des mittleren Keimblattes rw ein und zerklüften sich dabei. Fig. 45 aus einem älteren Keime im Beginne der Blutbildung. d Dotterzellen- stücke, d’ die aus ihnen hervorgehenden Zellengruppen, bi fertige Blutinsel. Fig. 46 aus einem noch etwas älteren Keime. kw Keimwall, b‘ das sich an ihn anschliessende Darmblatt, d eine sich zerklüftende Dotterzelle während des Durchtrittes durch den Keimwall, rw das Bildungs- gewebe des mittleren Keimblattes, d’ aus einer Dotterzelle hervor- gegangene Zellengruppe, bi fertige Blutinsel. Nachtrag. Leider muss ich bekennen, dass die Hinweise auf die Entwick- lungsgeschichte der Batrachier, welche in dem voranstehenden Auf- satze häufig vorkommen, zum Theil unverständlich bleiben müssen, da die betreffende Arbeit später, der gegenwärtige Aufsatz früher erscheint, als vorausgesehen war. Die desshalb vorläufig schuldig gebliebenen Nachweise hoffe ich jedoch in kurzer Zeit vorlegen zu können, Ueber den Bau und die Entwicklung des Eierstockes und des Wolff’schen Ganges. Von Dr. Wilhelm Romiti aus Livorno. (Aus dem anatom. Institute der Universität Strassburg.) Hierzu Tafel XIH. Seitdem Waldeyer!) seine Untersuchungen über das von dem Peritonealendothel verschiedene cylindrische Ovarial - Epithel veröffentlicht hat, sind neue Arbeiten erschienen von Leopold), welcher dessen Ansicht bestätigt, und von Kappf?°), welcher dem- ‘selben vollkommen widerspricht. Nach meinen Beobachtungen kann ich in jeder Beziehung u stätigen, dass der Eierstock ein eigenes, besonders geformtes und von der Zellbekleidung des Peritoneum durchaus verschiedenes Epi- thel besitzt. — Ich habe eine lange und mannichfaltige Reihe von Präparaten untersucht, und da ich nach den von Waldeyer vor- geschlagenen Methoden dieselben Resultate hatte, wie er, so werde ich hier nur von einigen Untersuchungen, die ich nach anderen Verfahrungsweisen zu machen Gelegenheit hatte, berichten. Ein vortreffliches Hülfsmittel für das Studium des Ovarial- Epithels ist die Ueberosmiumsäure. Man kann ganz frische Eierstöcke, besonders von Schweinen, Kälbern und neugeborenen Kindern in einer 0.5°/, Lösung von Ueberosmiumsäure einen 1) Eierstock und Ei. Leipzig 1870. 2) Unters. üb. das Epithel des Ovariums. Inaug.-Diss. Leipzig 1870. 3) Reichert’s und Du-Bois Reymond’s Archiv. 1872. Bau und Entwicklung des Eierstockes und des Wolff’schen Ganges. 201 halben Tag liegen lassen. Von so behandelten Eierstöcken kann man mit einer Messerklinge das oberflächliche Epithel abschaben, in Glycerin untersuchen und dasselbe ganz gut von der Fläche oder im Profil betrachten. Wenn man in derselben Weise den Versuch am Peritoneum macht, so bekommt man entweder Nichts zur An- sicht, oder platte, charakteristische Endothelzellen, ganz ver- schieden von denen des Eierstockes. Nachdem die mit Ueber- osmiumsäure behandelten Eierstöcke in Alkohol erhärtet sind, erlauben sie ein genaues Studium des Verhaltens des Epithelium zur Eibildung, respective Zeigen sie die Epithelialeinstülpungen, welche sich continuirlich in das Epithelium junger Graaf’scher Follikel fortsetzen. Die Behandlung mit Ueberosmiumsäure zeigte mir ferner eine Eigenthümlichkeit des Eiinhaltes, welche mir beachtenswerth erscheint. Der Inhalt der ganz jungen Säugethier-Eier wird zum Theile durch die Einwirkung der Säure tief schwarz gefärbt, wäh- rend der Kern und eine andere Inhaltsportion unverändert bleiben. Der gefärbte Antheil besteht gewöhnlich aus grösseren, runden Kügelchen, die meist an einer Stelle, und zwar in einem etwas unregelmässigen Halbkreise um den Kern angehäuft liegen. Der ungefärbte Antheil behält den Charakter eines. fein granulirten Zellprotoplasma, wie ihn das Protoplasma der Primordialeier auf- weist. — Discus proligerus und Zona radiata (Chorion) werden nicht geschwärzt. Es erinnern diese beim Säugethiereie erhaltenen Bilder sofort an ganz junge Vogeleier, in denen die Formation des Neben- dotters (Deutoplasma Ed. van Beneden) beginnt, und man dürfte vielleicht die in der Ueberosmiumsäure geschwärzte Portion als Nebendotterelemente deuten. Ein anderes Reagens, welches mir besonders bei kleinen Kin- dern, deren Eierstöcke man sich nur schwer in einem für die Be- handlung mit Osmiumsäure genügend frischen Zustande verschaffen kann, vorzügliche Dienste geleistet hat, ist das Haematoxylin. Die Grenze zwischen Ovarial-Epithel und Peritoneal-Endothel ist scharf; diese zeigt sich besonders bei Behandlung mit Höllensteinlösung, wie es Leopold angegeben hat. Unter den Epithelial-Zellen gibt es einige, die bedeutend grösser sind, als die anderen mit grossem Kern, kurz vollkommen ähnlich den Primordial-Eiern und zwar findet sich das besonders bei neugebornen Kindern. — Glatte Mus- kelfasern lassen sich in der peripherischen Zone des Eierstockes 202 Dr. Wilhelm Romiti: selbst mit Kalilauge und Chlorpallädium nicht nachweisen. — An den Eierstöcken von jungen Thieren, zumal der Hündinnen, der Katzen und Kälber bemerkt man eine grosse Anzahl langer, cylin- drischer Schläuche, die mit einem kurzen cylindrischen Epithel be- kleidet sind: Sie gehen von der Gegend des Hilus ovarii aus und erstrecken sich in den meisten Fällen bis zu den oberflächlichen Theilen der Eierstöcke hinauf. Das jedesmalige Auftreten dieser Schläuche, ihre Gestalt und Richtung können leicht einen Irrthum herbeiführen, indem sie für sog. Ovarialschläuche gehalten werden. Diese Schläuche gehören indessen nicht dem Eierstocke, son- dern dem Nebeneierstocke an. In Erwägung dessen, dass es mir nicht gelungen ist, Schläuche von der Gestalt und Anzahl, wie die von Pflüger !) beschriebenen zu sehen, dürfte vielleicht der grösste Theil der von und nach Pflüger aus dem Eierstocke beschriebenen langen eylindrischen Schläuche nicht dem Eierstocke, sondern dem Nebeneierstocke angehören. — Derartige lange eiführende Ova- rialschläuche habe ich nie beobachtet, vielmehr birn- oder flaschen- förmige Vertiefungen des Epithels mit dem dickeren Ende nach innen gewendet, oder runde Anhäufungen von Epithelialzellen, unter welchen besonders einzelne durch ihre Grösse und Rundung sich auszeichneten. Dieselben sind von keiner Membran umhüllt. Die Punkte über die Entwicklung des Eierstockes und der inneren Genitalorgane, die am meisten in Betracht kommen, sind die erste Anlage des Wolff’schen Ganges und das weitere Schicksal der Seitenplatten besonders in ihrem inneren Theile. Remak 2) nahm an, dass der Wolff’sche Canal beim Hühnchen aus dem inneren Rande der Seitenplatten entstände; dass der Canal anfangs eine compacte Zellenmasse, die später hohl würde, darstellte: die Seitencanäle des Wolff’schen Ganges hätten nach ihm dieselbe Ent- stehungsweise. Kölliker®) hat diese Ansicht beibehalten. Dursy*) hin- gegen leitete ihn von dem äusseren Theile der Urwirbelplatte ab: Bornhaupt’) sprach nur die Meinung aus, dass er aus dem mitt- leren Keimblatt entstehe. 1) Die Eierstöcke der Säugethiere ete. Leipzig 1863. 2) Entwicklung der Wirbelthiere. Berlin 1855. 3) Entwicklungsgeschichte. Leipzig 1861. 4) Zeitschrift für rationelle Mediein ete. 1865. 5) Entwicklung des Urogenitalsystems. Diss. Riga 1867. tee ee en Zur. (re Eee ee Be ee ee Bau und Entwicklung des Eierstockes und des Wolfl’schen Ganges. 203 Die von His!) ausgesprochene und später wieder von ihm selbst verworfene Ansicht, dass der erwähnte Canal, wie der Müller’- sche Gang, seine Entstehung einer Einstülpung des Hornblattes verdanke, wurde von Hensen ?) adoptirt, welcher dieselbe übrigens nur aphoristisch berührt hat. Waldeyer hat nur die Punkte bestimmt, an welche die erste Entstehung gebunden ist, und zwar die Mittelplatte (Remak). Er glaubt, dass der Canal durch die Schliessung eines hakenförmigen Fortsatzes sich bilde; er behauptete besonders, dass der Canal nie frei, sondern immer in direeter Verbindung mit der Mittelplatte sei. Bei anderen Wirbelthieren, bei den Batrachiern und Fischen, haben die Beobachtungen von Goette und Rosenberg gezeigt, dass bei denselben der Canal durch eine direete Ausstülpung der Pleuroperitoneal-Spalte entstehe. Wir sehen also eine bedeutende Verschiedenheit in der Bil- dung des Wolff’schen Canals bei den verschiedenen Thierclassen, eine Verschiedenheit, die mit der sonst so durchgreifenden Ueber- einstimmung in allen Entwicklungsvorgängen innerhalb des Verte- bratentypus wenig harmonirt. Desshalb schien mir eine Reihe neuer Beobachtungen nicht überflüssig zu sein. Ich kann nach ausgedehnten Studien über diesen Gegenstand, besonders bei Bufo einereus und Salmo salar (dessen Eier mir von der kaiserlichen Fischzucht-Anstalt zu Hüningen mit grösster Libe- ralität zu Gebote gestellt wurden), bestätigen, dass bei diesen Thieren die Ansicht der beiden zuletzt genannten Forscher, Goette und Rosenberg, ihre volle Richtigkeit hat. Da die Entwick- lung des Keimes bei diesen Thieren eine sehr langsame ist, so fällt es nicht schwer, ein Stadium zu beobachten, in welchem eine von der späteren Peritonealspalte ausgehende Ausstülpung der oberen Seitenplatte sich allmählich abschnürt. Beim Huhn hingegen ist die rasche Entwicklung ein grosses Hinderniss für solche Studien ; man ist oft genöthigt eine grosse Anzahl von Embryonen zu unter- suchen ohne einen Schnitt, aus dem etwas ersichtlich wäre, zu erhalten. Waldeyer hat angegeben, dass in dem Zeitraum zwischen der 40sten bis 50sten Stunde die Bildung des Canals beim Hühnchen 1) Dieses Archiv. Bd. 1. 2) Dieses Archiv. Bd. 3. 204 Dr. Wilhelm Romiti: ihren Anfang nehme; ich habe bei der Beobachtung diese Angabe benutzt und gefunden, dass Embryonen der 48sten Stunde das günstigste Material zum Studium des in Rede stehenden Vorganges sind — vorausgesetzt eine Bruttemperatur von 37—38° C. Das beste Erhärtungsmittel für diese Studien ist die Osmium- säure (1°/,); der Hauptvortheil, den dieses Reagens bietet, ist, dass es die natürlichen Verhältnisse der verschiedenen Organanlagen unverändert lässt, ziemlich gut braun färbt und erhärtet. Die mit absolutem Alkohol entwässerten Embryonen lassen sich nach der bekannten Stricker’schen Methode (Wachs und Oel), gut einbetten und schneiden. Es ist zu empfehlen, alle Schnitte zu untersuchen und um schneller zum betreffenden Punkte, von wo aus die Ent- wicklung beginnt, zu gelangen, am Kopfende anzufangen. Seither hat man den Anfangspunkt des Wolff’schen Canals beim Hühnchen immer in jener zwischen den Urwirbeln und der Seitenplatte gele- senen Zellenmasse gesucht, von welcher es schwer zu bestimmen ist, welchem Theile des Embryo sie angehören. Ich habe bereits erwähnt, dass Waldeyer gezeigt hat, dass diese Zellenmasse nie frei, sondern immer von der Mittelplatte abhängig sei (Remak). Wenn man die Bildung des Canals von oben nach unten beob- achtet,. lässt sich folgender Entwicklungsgang feststellen. Nachdem sich in der Herzgegend der Herzschlauch vor dem Vorderdarm gebildet hat, sieht man wie die Pleuroperitoneal-Höhle an ihrer inneren Seite die Form eines Halbmondes hat (Fig. 1 p); ihre mittlere concave Seite umfasst den Gefässschlauch (Herz oder Aorta 0). Von den beiden Enden ist das eine nach innen und unten (b), das andere nach oben und aussen (a) gewendet, das er- stere begegnet wachsend dem entsprechenden Ende der anderen Seite und vereinigt sich auf eine gewisse Strecke mit demselben, eine einzige Höhlung hildend ; der zweite Fortsatz hat ein abgerun- detes Ende. Bei der Prüfung der tieferen, d. h. caudalwärts fal- lenden Schnitte sieht man, wie von der inneren Seite desselben ein keulenförmiger Fortsatz ausgeht (Fig. 1 wg), der sich in das umgebende Gewebe drängt und zunächst dorsalwärts gerichtet ist. Dieser Fortsatz zeigt im Innern eine feine Spalte und communieirt mit der serösen Höhle. Da der Stiel dieses Fortsatzes sehr dünn ist, so ist die Communication mit der Seitenspalte nur schwer zu sehen. Dieser Fortsatz, oder diese Ausstülpung der serösen Höhle schnürt sich allmählich von derselben ab, und bildet einen hohlen 2 ee ee ee A u Ze Sl nn m Ze en > BE Bau und Entwicklung des Eierstocks und des Wolff’schen Ganges. 205 Canal, der aus Reihen von Zellen besteht, welche das Aussehen eines Cylinderepithels haben. Bei einzelnen Präparaten sieht man, jedesmal der am meisten nach dem Innern des Canals liegenden Wand entsprechend, einen Einschnitt (Fig. 2 a) als Fortsetzung des bereits bestehenden Canals, der als Rest der früheren Communication zu betrachten ist. Die oben beschriebene Ausstülpung ist nichts anderes, als die erste Anlage des Wolff’schen Canals; dass diess wirklich der Fall ist, beweist ihre Stellung, die sie bildenden Elemente, die Epoche während derer sie sich zuerst zeigt und schliesslich die Homologie, die ihre Bildung bei niederen Wirbelthieren aufweist. Da die Strecke, in welcher diese Ausstülpung vor sich geht, nur eine sehr kleine ist, so geschieht es häufig, dass sie sich nicht über die Dicke einiger weniger Schnitte hinaus erstreckt; im Allgemeinen kann man wohlsagen, dass sie den Raum von 2—-3 gewöhnlichen Schnitten einnimmt. Etwas tiefer geht der Wolff’sche Canal in jene bereits erwähnte und von den genannten Forschern beschriebene Zellen- masse über, so dass man, so lange die mitgetheilten Thatsachen unbekannt waren, umsonst eine Beziehung zwischen jener Zellen- masse und dem Wolff’schen Oanal gesucht hätte. Der Bilaungs- vorgang ist derselbe wie beim Müller’schen Canal (Waldeyer); mit Kappf’s Beobachtungen stimmen die meinigen nicht überein. Von Wichtigkeit ist, dass die Region der Seitenplatten-Spalte, aus welcher der Wolff’sche sowie der Müller’sche Gang ihren Ursprung nehmen, dieselbe ist. in welcher von Anfang an das Keimepithel liegt. Meine Beobachtungen über das Keimepithel stimmen vollkom- men mit jenen Waldeyer’s überein: hingegen fand ich die An- gaben Kappf’s nicht bestätigt. Ich habe am dritten Bruttage das Keimepithel immer scharf gesondert von seiner Unterlage und die ganze Pleuroperitoneal-Höhle bekleidend gesehen. In der Nähe des Mesenterium bildet das Epithel Anhäufungen von Zellen: an dieser Stelle habe ich bei Embryonen vom Anfange des dritten Tages Zellen gesehen, die vollkommen einem Primordial-Ei gleichen (Fig. 3 ee). Da Kappf dieselben nicht gesehen, so muss ich annehmen, dass er seine Präparate einer falschen Behandlung unterworfen hat (da er bemerkt, dass seine Objecte in Chromsäure Noth gelitten hätten), denn dieses Reagens wird von allen Forschern empfohlen. Beim Verfolgen der weiteren Entwicklungsstadien bemerkt man nun, dass das Keimepithel nur auf der Sexualdrüse, und ausserdem 206 Dr. Wilhelm Romiti: auf einer kleinen Strecke des Wolff’schen Canals (Fig. 3 a) zurück- bleibt. An den übrigen Stellen werden die Epithelial-Zellen nach und nach immer kleiner bis sie ganz glatt und spindelförmig in ihrem Durchschnitt erscheinen. f Am 15. und am 18. Tage kann man beim Hühnchen wahr- nehmen, wie das Keimepithel an der Eibildung theilnimmt. An den mit Carmin, oder besser mit Hämatoxylin behandelten Durch- schnitten bemerkt man schöne Einstülpungen mit genau sichtbaren Primordial-Eiern darin. Eine zur Zeit noch schwer zu deutende Thatsache ist der vorhin erwähnte Umstand, dass anfangs die ganze Seitenplatten- spalte mit einem cylindrischen Epithel ausgekleidet erscheint, wäh- rend das letztere später nur an den erwähnten Localitäten sich erhält, und in der ganzen übrigen Ausdehnung der späteren Pleu- roperitoneal-Höhle den bekannten platten Endothelzellen Platz macht. Offenbar liegen hier zwei Möglichkeiten der Deutung vor: entweder ist das Keimepithel gänzlich identisch mit dem späteren Peritoneal- endothel, und nur eine besonders ausgebildete Form desselben, oder aber, es verkümmert das Keimepithel, wie Waldeyer vermuthet hat, im grössten Theile der Seitenplattenspalte, um dem darunter sich entwickelnden bindegewebigen Endothel Platz zu machen. Zur Zeit ist es unmöglich, wie ich Kappf gegenüber hervorheben möchte, eine Entscheidung zu treffen. Jedenfalls liegt hier aber eine Frage von höchster prineipieller Wichtigkeit vor, deren fort- gesetztes Studium sehr wünschenswerth erscheinen muss. Strassburg, 20. Juli 1873. Dr 1 ee ee TE u Bau und Entwicklung des Eierstocks und des Wolfl’schen Ganges. 207 Fig. 1. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XII. Hühnerembryo von 48 Stunden. Osmiumsäure-Präparat. I, 6). n Centralnervensystem, ce Chorda, w Urwirbel, p Pleuroperitonealhöhle, h Hornblatt, d Darmdrüsenblatt, a Oberer Fortsatz der Pleuroperitonealhöhle, b Unterer „, " „ wg Wolff’scher Gang, o Aorta. Fig. 2. Embryo von 54 Stunden, dieselbe Vergr. Fig. 3. Hühnerembryo vom 4. Tag. wg | n 5 ‚, wie oben, Ss (Verick a Rest der Communication des Ganges mit der Pleuroperit.-Höhle. wg Wolff’scher Gang, m Anlage der Glomeruli, s Sexualdrüse, e Primordialeier, a Stelle wo das Keimepithel verdickt erscheint. Chromsäure-Präparat. Hartnack I, 7. Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. Von Rudolf Arndt. Hierzu Tafel XIV. Bei meinen Untersuchungen über die feinere Structur gewisser Theile des Nervensystems kam ich auch dazu, dem Nerv. sympa- thieus meine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Beobachtungen, welche ich dabei machte, bestimmten mich schliesslich eingehendere Nachforschungen über die Natur und das Wesen seiner Ganglien- körper anzustellen, und da die Resultate derselben in so manchen, mir merkwürdig erscheinenden Beziehungen von denen abweichen, zu welchen frühere Forscher gekommen sind, so erlaube ich mir sie zu weiterer Kenntniss und etwaiger Prüfung zu bringen. Zur Untersuchung herangezogen wurden die betreffenden Ob- jeete von Bellone vulgaris, Perca fluviatilis, Rana esculenta, Frin- gilla domestica, Sturnus vulgaris, Corvus cornix, Lepus cuniculus, Talpa europaea, Canis, Bos, Sus, und vom Menschen, also so ziemlich aus allen Klassen der Wirbelthiere. Die Methoden der Untersuchung waren verschieden. Meisten- theils wurden ganz frische Präparate eben oder erst kürzlich ge- tödteter Thiere benutzt, nachdem sie in Serum und Jodserum, 1/,0—1°/o Essigsäure, Y/ıo—!/s °/, Salzsäure, oder aber in einer 1°/o Lösung des einfach ehromsauren Ammoniaks zerzupft worden waren. Demnächst wurde viel Gebrauch von einer 24stündigen bis 3—4tägigen Maceration in den genannten Flüssigkeiten gemacht, und hat mir dabei namentlich das einfach chromsaure Ammoniak vortreffliche Dienste geleistet. Die bindegewebigen Elemente wurden en 0 Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathieus. 209 bei diesem Verfahren ungleich mehr als die nervösen ange- griffen und wurden vornehmlich so gelockert, dass sie dem leisesten Zuge mit Nadel oder Messer nachgaben und zerrissen und jene, welche sich dem Anscheine nach verhältnissmässig nur wenig ver- ändert hatten, gut isolirt aus sich herausschälen liessen. Die Gang- lienkörper der Säuger isolirten sich dabei ungleich leichter als die der übrigen Thiere, und fand somit Schwalbe’s Angabe betreffs dieses Punktes ihre volle Bestätigung. Sodann wurden auch mehr härtende Methoden zur Anwendung gebracht, um gelegentlich Schnitte anfertigen zu können und Behufs dessen hauptsächlich die stärke- ren Lösungen der Chromsäure und des doppelt chromsauren Kali in Gebrauch gezogen. Auch dieses Verfahren hat manche Vortheile dargeboten und insbesondere aus den regelmässig wiederkehrenden eigenthümlichen Schrumpfungen, Spaltungen und Zerklüftungen der Ganglienkörper, die bei ihm auftraten, zumal in Anbetracht sonsti- ger Verhältnisse Aufschlüsse gegeben, welche bei den früheren Ver- fahren nur schwer zu gewinnen waren. Endlich wurde auch die Behandlung der zu untersuchenden Objeete mit Ueberosmiumsäure, mit Goldchlorid und Silbernitrat vorgenommen, allein eigentlich bloss mit dem Goldchlorid etwas Besonderes erzielt. obwohl auch mit ihm nicht immer die Präparate geriethen, sondern bald zu stark bald zu schwach von ihm affıcirt waren. Da wo sie geriethen, leisteten sie meines Erachtens dann aber ganz Vortreffliches. Was zunächst die allgemeinen Verhältnisse der Ganglienkörper des Sympathicus betrifft, so fallen die Resultate meiner Untersu- chungen mit denen früherer Beobachter, einige Kleinigkeiten viel- leicht ausgenommen, so gut als zusammen. Es zeigen’ diese Körper etwas überaus Gleichmässiges, mag man sie hernehmen, woher man wolle und schliesslich auch behan- deln, wie man wolle. Sie sind von sehr verschiedener Grösse und Gestalt, aber auffallend oft flach, wie plattgedrückt und gewöhn- lich mit einer grösseren Anzahl von Fortsätzen ausgerüstet, also multipolar. Ich habe solcher Fortsätze an den grösseren Körpern der Säugethiere bis 8 gezählt und 5 2. B. an ihnen noch sehr häufig gefunden. Indessen die Mehrzahl der Körper scheint nur 3—4 Fortsätze zu haben, so z. B. unter denen der Fische die von Belone (Fig. 37). Viele haben dem Anscheine nach sogar nur 2, sind also bipolar, und die kleineren haben selbst nur 1, sind also unipolar. Die bipolaren Ganglienkörper finden sich durch die ganze M. Schultze, Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 10, 14 210 Rudolf Arndt: Wirbelthierreihe vor und scheinen namentlich bei den niederen Glie- dern derselben, den Fischen und Fröschen, die gewöhnlichen zu sein, sind aber, wie mir es vorkam, auch in den von mir untersuchten Vögeln die herrschenden Formen gewesen. Die unipolaren Gang- lienkörper traf ich auch überall an, doch in Verhältnissen und Verbindungen, welche ein eigenthümliches Licht auf die ganze Gang- lienkörperreihe werfen. Im Gegensatze zu den meisten neueren Forschern möchte ich mit Koelliker !), auch an die Existenz von apolaren Ganglienkörpern glauben. Ich vindieire ihnen aber ähnlich wie Beale?), Courvoisier°), Bidder*) und Sigmund Mayer’) nur die Bedeutung von unfertigen, und zwar rudimentären Formen, indem ich sie für Zellenderivate erachte, welche sich nur bis zu einem gewissen Grade, aber niemals bis zu Fortsatz tragenden und durch ihre Fortsätze mit Nervenfasern verbundenen Gebilden entwickelt ha- ben, und halte sie in physiologischer Hinsicht für ganz gleichgültige Existenzen, für Späne, welche abfielen, als die Natur den sonstigen Körper aus dem vollen Holze schnitzte, das ihr zu Gebote stand. Die mannichfaltige Gestaltung der Ganglienkörper halte ich für von vornherein gegeben und sehe sie nicht blos für ein Kunstpro- duet an, wie Arnold) es z. B. zu thun geneigt ist. Allerdings ist die rundliche Form, wie jener Forscher angiebt, wohl die häu- figste und in Sonderheit beim Frosche die vorherrschende; doch habe ich auch eckige, polygonale, zumal bei Säugethieren vielfach sefunden und zu meinem anfänglich nicht geringen Erstaunen in Verbindung mit einem unverhältnissmässig kleinen Dickendurch- messer. Die Körper anf der Kante stehend erschienen alsdann ganz schmal und stellten somit eine mehr oder weniger unregel- mässig begrenzte Platte dar, welche nach verschiedenen Richtungen hin F ortsätze aussandte. { 1) ) Koelliker, Gewebelehre. 5. Aufl. p. 255. 2) Beale, Onthe Structure and Formation of the so-called Apolar, Uni- polar and Bipolar nerve-celle of the Frog. Philosophie. Transacts 1863. p. 543. 3) Courvoisier, Ueber die Zellen der Spinalganglien sowie den Sympathicus beim Frosch. Dieses Arch. Bd. IV. p. 138. 4) Bidder, Die Nervi splanchniei und d. Ganglion coeliac. Arch. f. Anat. u. Physiolog. 1869. p. 472. 5) Sigmund Mayer, Das sympathische Nervensystem. S.Strickers Handb. der Gewebelehre. p. 814. 6) J. Arnold, Ueber d. feineren histiolog. Kerkilinisgs d. Ganglien- zellen in d. Sympathicus d. Frosches. Virchows Arch. Bd. XXXIL p. 3. Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathieus. 211 Die Masse, aus welcher die Ganglienkörper gebildet werden, ist eine schwer zu beschreibende. Die sämmtlichen Autoren, welche sich über sie besonders ausgelassen haben, nennen sie zäh elastisch und lassen sie aus einer Grundsubstanz und in diese eingelagerte anderweitige Substanzen zusammengesetzt sein. Allein je nachdem diese ihnen wieder erschienen sind und je nach dem Verhältnisse, in welchem sie ihnen zu jener zu stehen schienen, differirten sie dann in der detaillirten Beschreibung doch nicht unerheblich. So sagt J.San- der!) von ihr: Bei frisch isolirten Ganglienkörpern des Frosches er- scheint sie fast homogen; nur hie und da sieht man einige Körn- chen. Courvoisier2) erklärt sie für feinkörnig, von grösseren dunk- len Kügelchen durchsetzt. Anscheinend gleich fassen sie auch Frey?) und zum Theil wenigstens wohl auch Koelliker®) und Pflüger’) auf. Ob GCourvoisier aber späterhin seine Meinung nicht geändert und sich J. Sander genähert habe, muss fraglich bleiben. Indessen scheint es fast so, da er Aehnliches von den Spinalganglienkörpern berichtet °%) und diese den sympathischen doch für sehr ähnlich hält. Arnold’) sieht die Masse für feinkörnig an, erkennt in ihr aber noch ein feinstes Fadennetz, das wenigstens der Zeichnung nach in seine Knotenpunkte einen Theil der vorhandenen Körnchen auf- nimmt, und nennt sie deshalb in einer späteren Arbeit $) körnig- fibrillär. Aehnlich zeichnet sie wenigstens Max Schultze ?). Schwalbe!P) hält sie für fibrillär und erkennt diese ihre Structur 1) J. Sander, Die Spiralfaser im Sympathicus d. Frosches. Arch. für Anat. u. Physiol. 1866. p. 398. 2) Courvoisier, Beobachtungen über d. sympath. Grenzstrang. Die- ses Arch. Bd. II. p. 36. 3) Frey, Handbuch d. Histiolog. u. Histiochem, 4. Aufl. 1873. p. 321. Fig. 302. 4) Koelliker, Handbuch d. Gewebelehre. 5. Aufl. 1867. p. 248 ff. 5) Pflüger, Die Speicheldrüsen. $. Striekers Handb. d. Gewebe- lehre. p. 322. Fig. 92. 6) Courvoisier, Ueber d. Zellen d. Spinalganglien u. s. w. l.c. p. 132. 7) J. Arnold, 1. c. p. 28. -- Fig. 6, demnächst 2. 4. 5. 8) Jd. Arnold, Ein Beitrag zu d. feineren Structur d. Ganglienzellen. Virchows Arch. Bd. XLI. p. 203. 9) Max Schultze, Ueber d. Structurelemente d. Nervensyst.. Stri- ckers Handbuch 1868. p. 128. Fig. 27. a. b. 10) G. Schwalbe, Ueber d. Bau d. Spinalganglien ete. Dieses Arch. Bd: TV. p459. 212 Rudolf Arndt: vorzugsweise gegen den Austritt der Nervenfaser hin, am besten an den multipolaren Körpern der Säuger. Sigmund Mayer!) lässt sie aus einer homogenen Grundsubstanz bestehen, in welche feine Körnchen reichlich eingestreut sind und daneben gar nicht selten auch noch feine Fäden in ziemlicher Zahl. Beale?°), Kollmann und Arnstein ?) sehen sie dagegen wieder in ziemlich derselben Weise wie Arnold an, unterscheiden jedoch in einer Anzahl von Ganglienkörpern zwei Hauptformen, und erblicken in einer bestimm- ten Abtheilung derselben eine moleculäre, kernführende Masse, die von dem eigentlichen Protoplasma, das den charakteristischen Kern und das Kernkörperchen trage, durchaus zu trennen sei. Sie neh- men somit gewissermaassen an, dass die ganze Ganglienkörpermasse aus zwei Abtheilungen gebildet werde, und zwar eine obere, die man bisher vorzugsweise beobachtet habe, und eine untere, deren genaue Structur noch wenig aufgeklärt sei. Beinahe ebenso spricht sich auch Bidder*) aus, welcher die Masse an und für sich fest- weich und feingekörnt nennt, und an dem zugespitzten Ende des Körpers noch einen Appendix von auffallender Zerklüftung erkennt, der durch eine scharf markirte quer laufende Grenzlinie von dem grösseren Theile der Zellsubstanz getrennt sei. Bidder sieht in ihr jedoch nicht die Anhäufung einer moleculären Subst anz, sondern den optischen Ausdruck einer oder mehrerer höchst zarter Fasern, die mit Kernen besetzt sind, in einigen dicht gedrängten Touren den Zellen- fortsatz umkreisen und zwischen sich eine amorphe Füllmasse haben, Auch nach meinen Erfahrungen besteht die Ganglienkörper- substanz aus einer Grundsubstanz und in diese eingesprengten ander- weitigen Substanzen. Die Grundsubstanz besteht aus einem schein- bar homogenen Gewebe, ist matt perlgrau mit einem bald mehr bald weniger ausgesprochenen Stich in das Gelbliche und hat etwas Glasiges, leicht Opalisirendes. Sie ist sehr zäh und elastisch, kann deshalb einerseits nur schwer getrennt werden, und giebt anderer- seits wieder sehr leicht jedwedem Drucke nach, um mit dessen Verschwinden wieder in die alten Formen zurückzukehren. Die 1) Sigmund Mayer]. c. p.811—12. 2) Beale.l. c. 3) Kollmann u. Arnstein, Die Ganglienzellen d. Sympathieus. Zeit- schrift für Biologie. Bd. II. p. 287. 4) Bidder, Weitere Unters. über d. Nerven d. Gland. submaxil, des Hundes, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. p. 13 u. 14. Ferner: Die Endigung d. Herzzweige d. Nerv. vagus beim Frosche. ibid. 1868. p. 27 u. ff. Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathiceus. 213 anderweitigen Substanzen bestehen aus einer Masse grösserer und kleinerer Kügelchen und Körnchen, welche unregelmässig in die rundsubstanz eingestreut sind, und aus einer Menge von strich- oder fadenförmigen Bildungen, welche sich theilweise unter einander, theil- weise aber auch mit jenen Kügelchen und Körnchen innig verbinden. Die Grundsubstanz lässt manche Eigenthümlichkeiten erkennen je nach den verschiedenen Agentien, welche man auf sie einwirken lässt. Verdünnte Säuren und Alkalien greifen sie nur wenig an, hellen sie aber meistens so auf, dass sie beinahe glänzend durch- sichtig wird. Den Unterschied, den Arnold in ihrem Verhalten zu Essigsäure und Chromsäure gefunden zu haben angiebt, dass sie durch jene aufquillt, durch diese zusammenschrumpft, habe auch ich erkannt. Doch hängt sowohl der Quellungs- als auch der Schrumpfungsgrad, wie das auf der Hand liegt, von dem Concen- trationsgrade der Säuren ab und ist der Unterschied bei sehr dilu- irten Lösungen der Säuren, wie sie zur Herstellung von Zerzup- fungspräparaten benutzt werden, kaum zu beobachten. Aehnlich der Chromsäure verhalten sich auch ihre sauren Salze, während die neutralen, zumal das einfach chromsaure Ammoniak, soweit ich habe erkennen können, sie in dieser Hinsicht kaum beeinflusst. Ueberosmiumsäure zu Y/ıo °/» lässt die Substanz, wie es aussieht, intact. Eine stärkere Lösung derselben, sowie stärkere Säurelö- sungen überhaupt, lassen in ihr ein charakteristisch körniges Ge- füge erkennen, das sonst nur schwach angedeutet erscheint und erst nach grösserer Uebung wahrgenommen zu werden pflegt. Dieselbe Wirkung haben auch die doppelt chromsauren Salze, ferner Alko- hol, eine Verdünnung von Chloroform, Benzin oder Aether. Werden die letztgenannten Flüssigkeiten rein zugesetzt, so löst sich ein Theil der Substanz nach und nach in ihnen auf und eine Menge von grösseren, hellen Körnchen, jene, welche das besagte Gefüge bedingten (?), werden in mehr oder weniger angegriffenem Zustande frei. Silbernitrat bräunt resp. 'schwärzt die Substanz, Goldcehlorid färbt sie erst röthlich oder röthlich-grau, dann röthlich-violett und endlich dunkel purpurn. Beide der eben genannten Reagentien bringen sie gleichzeitig zum Schrumpfen und zwar im Allgemeinen um so mehr, je länger und kräftiger sie eingewirkt haben. Alle die Rea- gentien, welche die Grundsubstanz zum Schrumpfen und ihr körniges Gefüge zur Anschauung bringen, zerklüften in stärkerem Grade und durch längere Zeit angewandt sie schliesslich auch in ziemlich 214 Rudolf Arndt: regelmässig rundliche oder länglich ovale Körperchen, und alte, in Glycerin aufbewahrte Ganglienkörper sehen deshalb aus, als ob sie aus lauter kleinen Sphäroiden und Ellipsoiden zusammengesetzt wären. Diese Zerklüftung ist aber nicht allerorts gleich und erfolgt z. B. an der Peripherie und vornehmlich in der Nähe mancher Fortsätze leichter, als anderwärts. Durch Jod färbt sich die frag- liche Grundsubstanz gelb, durch Carmin, Indigcearmin, Anilin in den entsprechenden Farben, doch durch manche mehr, durch manche weniger, bei gleichem Concentrationsgrade der Färbemittel. Von den in die Grundsubstanz eingesprengten Körnchen und Kü- gelchen können bei einer 800—1000fachen Vergrösserung meh- rere Arten unterschieden werden. Erstens erkennt man der Haupt- masse nach solche, welche zwei, drei, auch vier feine wimper- oder strahlenartige Fortsätze aussenden, die sich mit solchen von ande- ren herstammenden scheinbar verbinden und damit in toto ein Netzwerk vorspiegeln, das in die Grundsubstanz eingelassen ist und in seinen Knotenpunkten eben die Körnchen aufgenommen enthält. Zweitens erkennt man in untergeordneter Zahl solche, die frei von jedem Appendix‘ sind, und je nachdem noch diese oder jene Eigen- schaften an den Tag legen. Inder ersten Grüppe können unschwer wieder zwei Formen unterschieden werden, kleinere, mattgraue, schwach lichtbrechende, über den grössten Theil der Grundsubstanz verbreitete und grössere, je nach der Einstellung schwärzliche oder hell glänzende, nur auf bestimmte Bezirke verbreitete. Diese Bezirke sind indessen in den einzelnen Körpern sehr verschieden und be- greifen bald so ziemlich die ganze Oberfläche, bald nur eine um- schriebene Partie derselben, z. B. nur eine Seite des Ganglienkörpers, oder auch, wie bei manchen bipolaren Körpern, z. B. denen des Frosches, die sogenannte untere Abtheilung derselben, also die, von welcher aus die Fortsätze abgehen. Von der zweiten Gruppe, die sämmtlich grösser sind, als die eben erwähnten, habe ich bis jetzt drei Formen unterscheiden können: erstens wieder kleinere, schwärz- liche, beziehungsweise hellglänzende, also stark lichtbrechende, über die ganze Körperoberfläche verbreitete, zweitens grössere, matt glänzende, zart, doch scharf contourirte, nur ganz zerstreut vor- kommende und drittens gelb gefärbte,in unregelmässigen Häufchen lagernde, das bekannte gelbe Pigment bildende. Die Kügelchen der ersten Form sind nur wenig grösser als die grösseren der ersten Gruppe. Die der zweiten Form dagegen haben einen ganz ansehn- Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 215 lichen Umfang und etwa die Grösse der noch zu erwähnenden Kernkörperchen. Diese sämmtlichen Gebilde, mit Ausnahme des gelben Pig- ments, das unter ihnen eine Sonderstellung einnimmt, ausserordent- lich resistent zu sein scheint und von mir nur bei Rana beobach- tet worden ist, verhalten sich gegen die verschiedenen Reagentien , welche man auf sie einwirken lässt, ziemlich gleich. Von Spiritus, Aether, Chloroform, Benzin, werden sie nicht angegriffen, von Ueber- osmiumsäure werden sie gebräunt, von Silber und Gold geschwärzt. In Carmin und Anilinfarben nehmen sie eine tief dunkle, beinahe schwarze Farbe an, die indessen immer noch erkennen lässt, wie etwa die einwirkende gewesen. Durch die eigenthümliche, klärende Wirkung verdünnter Säuren und Alkalien auf die Grundsubstanz werden sie deutlicher und treten schärfer markirt hervor. Sie sind also keine Fettkügelchen, für die man sie im ersten Augenblicke wegen ihres stärkeren Lichtbrechungsvermögens halten könnte, sondern Körperchen albuminöser Natur, Proteinsubstanzen, doch von vorläufig noch unbekanntem näherem Charakter. Die Kügelchen und Körnchen der ersten Gruppe sind von Anfang an in der Substanz der Ganglienkörpermasse vorhanden und sehe ich sie in jedem frischen Präparate, selbst wenn es so rasch und schonend als möglich hergerichtet worden ist. Ebenso sind auch die grösseren Kügelchen der zweiten Gruppe schon von An- fang an in der Ganglienkörpermasse vorhanden; aber sie sind sehr häufig erst nach eingreifenderen Manipulationen, z. B. stärkerer Compression und Auseinandertreibung der Masse zu erkennen. Hingegen kommen die kleineren Kügelchen der zweiten Gruppe in frischen Präparaten nur ausnahmsweise in grösserer Menge vor. In ihnen finden sie sich nur sparsam. Aber in älteren Macerations- präparaten sind sie darum um so zahlreicher und lassen den be- treffenden Ganglienkörper an seiner Oberfläche nicht selten wie von einem dunklen körnigen Pigmente bestreut erscheinen. Die Kügel- chen und Körnchen der ersten Gruppe, sowie die grösseren der zweiten Gruppe halte ich für der Ganglienkörpermasse substantiell zugehörige. Es sind wesentliche Bestandtheile derselben. Die kleineren Kügelchen der zweiten Gruppe indessen halte ich für mehr zufällige und daher für die Ganglienkörpermasse als solche unwe- sentliche Bestandtheile. Es sind meiner Meinung nach Zersetzungs- producte, Umbildungsproducte derselben und damit gleichbedeutend 216 Rudolf Arndt: mit den Courvoisier’schen Degenerationskügelchen !), Und zwar halte ich das für um so gewisser, als ganz ähnliche Umbildungs- producte sich bei den betreffenden Präparaten auch in homogenen Bindegewebsbildungen einstellen und z. B. als grössere oder kleinere sehr resistente Kügelchen auch die Nervenscheiden und deren Kerne durchsetzen (Fig. 3. 4. 38). Es kann sich hier nun die Frage auf- drängen, ob danach nicht auch die Körperchen der ersten Gruppe, da sie sich chemisch doch nicht gerade verschieden von den letzt besprochenen zeigen, als solche Degenerationskörperchen aufzufassen seien, und die Möglichkeit, sie bejahen zu müssen, kann nicht so ohne Weiteres von der Hand gewiesen werden. Allein dann ge- hörte es zu den Eigenthümlichkeiten der Ganglienkörpersubstanz, sehr rasch der entsprechenden Degeneration zu verfallen, schon in Folge des Absterbens, und das würde sie dann wesentlich von an- dern Substanzen, also auch, was uns besonders interessirt, von den begleitenden Bindesubstanzen unterscheiden, weil diese, obwohl sie einen ganz ähnlichen Degenerationsprocess eingehen können, selbigen doch erst nach längerer Zeit und stärkerer Einwirkung gewisser Verhältnisse erkennen lassen. Viel wahrscheinlicher jedoch ist es mir, dass die fraglichen Körnchen und Kügelchen schon im Leben die Grundsubstanz durchsetzen und Differenzirungen des Proto- plasma sind, das jene bildet, beziehungsweise gebildet hat. Wenden wir uns jetzt zu den strich- und fadenförmigen Bil- dungen, so können wir bei den oben angegebenen Vergrösserungen ebenfalls mehrere Gruppen derselben unterscheiden, und zwar ge- lingt es unter Herbeiziehung der verschiedenen Präparationsmethoden wenigstens ihrer drei festzustellen. Die erste Gruppe begreift die wimper- oder strahlenartigen Fortsätze der dunklen Körnchen und Kügelchen, deren wir eingehend bereits gedacht haben. Die zweite und dritte Gruppe kommen meistens erst unter besonderen Verhältnissen zur Anschauung. Wenn man die Stückchen eines Ganglienkörpers, der in Se- rum oder Jodserum, in einer Lösung der Chromsäure von 1: 3000 — 2000, des doppeltchromsauren Kali von 1: 15001000, oder nach einer vorgängigen Behandlung mit Ueberosmiumsäure von 1: 1000—500 in concentrirter Lösung des essigsauren Kali zer- zupft worden ist, einer genaueren Besichtigung unterwirft, so er- 1) Courvoisier, Beobachtungen über d. sympath. Grenzstrang. 1. c. p. 36. f Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 217 kennt man in seiner glasigen Grundsubstanz die beschriebenen dunklen mit wimper- oder strahlenartigen Fortsätzen versehenen Körnchen, aber jedes derselben, sammt den Fortsätzen eingeschlos- sen in ein wohl abgemarktes helles Kügelchen der Grundsubstanz selbst, so dass der Anschein erweckt wird, den wir auch schon unter andern Verhältnissen hervorgehoben haben, dass die scheinbar homogene Grundsubstanz aus einer Anhäufung von solchen hellen Kügelchen gebildet wird, in deren Innerem eben die dunklen mit wimper- oder strahlenartigen Fortsätzen versehenen kleineren Kü- gelchen und Körnchen eingeschlossen sind (Fig. 39). Die hellen Kü- gelchen der Grundsubstanz hängen fest unter einander zusammen, entfernen sich auf Druck von einander und nähern sich wieder, wenn derselbe nachlässt. Sie sind also unter einander durch eine elastisch dehnbare Masse verbunden. Diese Masse nun, oder vielleicht auch blos die Begrenzungen der Kügelchen in ihrem gegenseitigen Ver- hältnisse, sehen wir als dunkele Linien und Pünktchen, je nachdem zwei oder drei der letzteren gerade zusammenstossen. Die zweite Gruppe der fadenförmigen Bildungen wird somit bedingt durch die bald schmaleren, bald breiteren Räume und deren Füllung, welche zwi- schen den kugelförmigen Segmenten der Grundsubstanz gelassen sind. Betrachtet -man auf der anderen Seite möglichst unversehrte Ganglienkörper, zu deren Isolirung man sich des Serum und Jod- serum, des einfach chromsauren Ammoniak oder auch des carmin- sauren Ammoniak bedient hat, so sieht man, dass die Substanz der Ganglienkörper sich vielfach in länglich-ovale Körperchen spaltet, die fest unter einander zusammenhängen, aber bei jedem Druck sich ebenfalls von einander entfernen, um mit seinem Nachlassen wieder zusammenzurücken und sich somit ähnlich verhalten, wie die Kügel- chen seiner Grundsubstanz. Die betreffende Spaltung erfolgt indes- sen nicht überall gleichmässig, das eine Mal über die ganze Ober- fläche des Körpers, das andere Mal nur an einzelnen Stellen dessel- ben, an einer Seite, in der Nähe eines oder des andern Fortsatzes. Wenn man genau zusieht, so gewahrt man in jedem der Spaltkörperchen, welche sonst im Grossen und Ganzen die Charaktere des Gesammtkör- pers tragen, nur homogener aussehen, weil sie von weniger und beinahe blos den grösseren Körnchen der ersten Gruppe durchsetzt sind, wodurch in grösserem Verein sie etwas mehr Solides und zugleich doch auch stärker Zerklüftetes erhalten, ein grösseres oder auch zwei grössere helle Kügelchen aus unserer zweiten Gruppe, also von 218 Rudolf Arndt: denen, die wir mit den noch zu erwähnenden Kernkörperchen ver- glichen hatten (Fig.30, 31, 32). Behandelt man die Ganglienkörper mit stärker wirkenden Agentien, wie wir deren weiter oben gedacht haben, so zerfallen sie unter immer stärkerem Hervortreten der be- züglichen Begrenzungen ganz und gar in solche Spaltkörperchen. Allein während diese hie und da, bisweilen an der ganzen Peripherie die letztbeschriebene Form haben, länglich oval, also Ellipsoide sind, sind sie an anderen Orten, zumal mehr im Centrum, kleiner und mehr gerundet, also Sphäroide. In den Ellipsoiden kommt immer ein helleres Kügelchen oder auch einmal deren zwei vor, die dann gleichsam wie Kerne desselben erscheinen. Auch in den Sphäroiden sieht man öfters eine hellere Stelle. Es ist dieselbe indessen nicht immer so begrenzt, dass sie als der Ausdruck eines besonderen Kör- perchens angesehen werden könnte, das in sie eingelassen ist. Manche der Sphäroiden scheinen deshalb den Ellipsoiden ganz gleich zu sein, dieselben Körper unter anderer Form. Andere dagegen scheinen etwas ganz Heterogenes darzustellen und sind zumal in alten Prä- paraten aller Wahrscheinlichkeit nach nichts mehr und nichts we- niger als die Kügelchen der Grundsubstanz, welche wir oben beschrie- ben haben. Die Zwischenräume nun zwischen den Ellipsoiden, vor- nehmlich an Tinetionspräparaten, und unter diesen ganz besonders an den Silber- und Goldpräparaten wieder (Fig. 19) sehen wir als die dritte Gruppe der strich- und fadenförmigen Bildungen. Sie stellt in toto ein verhältnissmässig weitmaschiges Netzwerk dar, das haupt- sächlich an der Oberfläche der Ganglienkörper sich ausbreitet, des- sen ungeachtet aber, wie das nach unserer Darlegung klar geworden sein wird, vielfach auch mit dem Netzwerke communicirt, welches von der vorigen Gruppe dargestellt wird und das ganze Innere des Ganglienkörpers durchdringt. Es fragt sich nun, welche Bedeutung haben wohl die sämmt- lichen faden- und netzartigen Bildungen? Die erste Gruppe dersel- ben stellt, wie schon mehrfach angedeutet und theilweise sogar aus- gesprochen worden ist, nur ein scheinbares Netzwerk dar. Die wimper- oder strahlenartigen Fortsätze der dunklen Körnchen und Kügelchen treffen nicht zusammen. Sie sind abgeschlossen mit jedem zugehörigen Körnchen in dem kugelförmigen Segmente der Grund- substanz, in dessen,Innerem sie liegen. Was sind sie? Ich denke mir, dass sie der Ausdruck spaltenförmiger Fortsätze des Hohlrau- mes sind, in welchem das Körnchen albuminöser Substanz liegt, von Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 219 dem sie dem Anscheine nach ausgehen, und die ganze Grundsubstanz würde danach von einem System verzweigter, jedoch nicht commu- nieirender Hohlräume durchsetzt sein, in denen eine von ihr differente Substanz abgelagert ist. Diese difierente Substanz ist möglicher Weise bereits als ein Zersetzungsproduct, eine postmortale Affeetion derselben anzusehen, ganz so, wie wir das schon gelegentlich mit- getheilt haben; sie kann aber ebenso wahrscheinlich auch als ein normaler Bestandtheil der Grundsubstanz gelten und ein blosses Differenzirungsproduct derselben sein, geradeso wie gewisse albumi- nöse Kügelchen in dem Bindegewebe, obgleich deren eine nicht ge- ringe Anzahl auch bereits als postmortale Zersetzungsproducte be- trachtet werden müssen. — Andererseits ist aber in Erwägung zu ziehen, dass man nicht selten diese dunklen Körnchen auch wie an einem dunklen Faden aufgehängt an dem Rande eines lädirten Prä- parates hin und her schwanken sieht (Fig. 13, 14), und dass diese Fäden damit doch auch noch etwas Anderes, als der blosse Aus- druck feiner Spalten sein und wirklich solide Fäden repräsentiren können. Freilich wäre es daneben auch denkbar, dass selbst in einem solchen Falle noch immer eine zarte Protoplasmahülle die betreffen- den Gebilde umgäbe und im Zusammenhang mit dem Uebrigen erhielte, so dass in der That auch hier noch die fadenartige Bildung nichts weiter als der optische Ausdruck einer leeren oder gefüllten Spalte wäre. Allein es ist das eben nur denkbar; beweisen kann ich es nicht. Und wirklich machen denn auch manche Bilder den Eindruck, als ob dieser oder jener Fortsatz eines Körnchens re vera solide wäre, und sprechen dafür auch manche anderweitige Befunde, wie z. L. das Vorhandensein solcher mit Fädchen versehenen Kügelchen in der Hülle emhryonaler Nervenfasern und in der Scheide gewisser sym- pathischer (Fig. 37). Die zweite Gruppe stellt ein Netzwerk einer Masse dar, welche von der übrigen, in Kügelchen auftretenden Masse der Grundsubstanz verschieden ist. Was haben wir uns darunter zu denken? Nach meinem Ermessen nichts Anderes, als eine Form des Protoplasma, aus dem sich der Ganglienkörper bildete, die weniger different ge- worden, als jener Theil desselben, welcher sich zu kleinen Kügelchen verdichtete. Mit einem Worte: ich denke mir, dass, während ein Theil des ursprünglichen Protoplasma, aus dem der Ganglienkörper hervorging, sich zu Kügelchen differenzirte, in deren Innerem dann noch weitere Differenzirungen vorkamen, ein anderer Theil dessel- 220 Rudolf Arndt: ben an dieser Differenzirung nur wenig Antheil nahm, sondern auf der ursprünglichen Stufe, oder doch einer dieser nahen, stehen blieb und als ein weiches, aber elastisch-zähes Netzwerk die Kügelchen umhüllte. Es ist dieses daher der gewissermaassen jugendlichste und reactionsfähigste Theil der Ganglienkörpermasse und darum wieder, wie wir noch sehen werden, der aller Wahrscheinlichkeit nach phy- siologisch leistungsfähigste. Die dritte Gruppe der fraglichen Gebilde verhält sich ähnlich. Auch sie stellt ein Netzwerk einer weichen und elastisch dehnbaren Masse dar, welche die Zwischenräume zwischen den festeren Ellip- soiden einnimmt, die wir unter gewissen Verhältnissen als Spaltkör- perchen der Ganglienkörper auftreten sehen, und die damit jedes einzelne dieser letzteren umhüllt. Da nun aber diese Ellipsoiden offenbar auch nichts Anderes als differentere Theile des sogenannten Protoplasma der Ganglienkörper sind, so ist esnaheliegend, jene dem veritablen Protoplasma näher stehenden, auch als ein weniger differen- zirtes, also ebenfalls ein gewissermaassen jugendlicheres und darum vielleicht auch wieder reactions- und leistungsfähigeres anzusehen. Die Netze bildenden Lineamente in der Grundsubstanz der Ganglienkörper würden danach aufzufassen sein nicht als der Aus- druck präformirter Fäden, also fester Bildungen, wie das von Beale, Arnold und deren Nachfolgern angenommen worden ist, sondern vielmehr als Züge eines weichen, weniger differenzirten, aber durch Sil- ber, Gold ete. mehr weniger erstarrenden Protoplasma inmitten einer Anhäufung von dichteren, weil stärker differenzirten Theilen desselben. Die Erscheinung der Substanz der Ganglienkörper ist darum eine oit recht verschiedene. Bald tritt sie ganz gleichförmig durch den ganzen Körper hindurch auf, so namentlich in frischen Präpa- raten (Fig. 5—11, 12—14). Dann wieder zeigt sie sich wie aus Zwei verschiedenen Substanzen zusammengesetzt, einer dichteren, sehr fein- körnigen etwas dunkler, besonders intensiver gelb gefärbten, und aus einer mehr zerklüfteten, weil von grösseren Spalträumen durchsetz- ten, dabei zugleich aber mehr hellen, ja mitunter sogar leicht glän- zenden. Ganz besonders schön habe ich das bei Rana, Talpa, Sus und zum Theil auch Fringilla (Fig. 16, 17, 19, 24) sehen können und die bezüglichen Angaben von Kollmann und Arnstein und, Bidder finden darin mit einiger Modification ihre volle Bestätigung. Die erstere der beiden Substanzen bildet immer den Hauptbe- standtheil der Ganglienkörpersubstanz. Die letztere ist derselben Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 221 bald seitlich angelagert (Fig. 16, 24) bald umgibt sie dieselben mantelartig, wie einen festeren Kern (Fig. 17, 19). In der letzteren Weise präsentiren sich insbesondere die Ganglienkörper aus Macera- tionspräparaten, und habe ich sie derartig sowohl bei den niederen wie bei den höheren Thieren gefunden. Manchmal erscheint die sanze Ganglienkörpersubstanz auch in Macerationspräparaten in Spaltkörper zerfallen und hat dann etwas Maulbeerartiges (Fig. 15, 18). Ganz vorzüglich jedoch habe ich das in Goldpräparaten gese- hen und dabei die sonst dichtere Hauptsubstanz aus kleineren und dunkleren Körperchen zusammengesetzt gefunden, die Nebensubstanz aus grösseren und helleren, zum Theil nur schwach röthlichgrau ge- färbten, den ellipsoiden Spaltkörperchen, die wir oben beschrieben haben. In einem solchen Falle von Sus (Fig. 19) sah es daher aus, als ob jene, welche gewissermaassen den Kern des Ganzen bildete, von dieser wie von einem zarten duftigen Schleier umhüllt wäre. In den Fällen, wo mantel- oder schleierartig die Hauptmasse der Ganglien- körpersubstanz von der Nebenmasse umgeben wird, sieht es biswei- len aus, als ob die erstere von einem mehr oder weniger regelmäs- sigen Kranze lichter Sterne umgeben wäre. Es sind das dann die hellen Kügelchen, die in allen Ellipsoiden vorkommen, nur zufällig durch regelmässigere Anordnung dieser selbst eine regelmässigere Anordnung in dem Ganzen erfahren haben und allem Anschein nach identisch mit den von Langerhans!) entdeckten, aber nicht näher bestimmten glänzenden Körperchen sind, welche unter ähnlichen Ver- hältnissen angetroffen werden sollen. Kurzum es herrschen in Betreff der Erscheinung der fraglichen Substanz eine ganze Menge von Modalitäten. Für manche derselben werden wir zum Theil we- nigstens noch andere Gründe kennen lernen; allein im Grossen und Ganzen lassen sie sich doch unschwer auf die dargelegten Verhält- nisse zurückführen und finden in ihnen ihre vorläufige Erklärung. Jedem Ganglienkörper kommt zum Mindesten ein Kern zu. In manchen finden sich auch ihrer zwei. Nach Guye?°) soll letzteres für Lepus euniculus und nach Schwalbe?) für Cavia cobaya die Regel sein. Die erstere Angabe kann ich wenigstens insofern be- stätigen, als in der That bei diesen Thieren sich Ganglienkörper mit 1) P. Langerhans, Ein Beitrag z. Anat. d. sympathischen Ganglien- zellen. Habilitationsschrift. Freiburg i. B. 1871. 2) Guye, Die Ganglienz. d. Sympathicus b. Kaninchen. Med. Centralbl. 1866, Nr. 56. 5) G. Schwalbe l. c. p. 63. 222 Rudolf Arndt: zwei Kernen (Fig. 13) in überraschender Menge finden. In Bezug auf die letztere habe ich keine Erfahrung. Aber bei Lepus euniculus kommen auch Ganglienkörper mit vielen Kernen, 6, 8, 10, vor (Fig. 14) und ich glaube, es werden sich solche auch anderweit finden, wenn man nur sein Augenmerk erst mehr darauf gerichtet haben wird. Dabei will ich gleich noch bemerken, dass ebenso wie bei Lepus cuniculus und angeblich bei Cavia cobaya auch bei Talpa Körper mit zwei Kernen existiren und sogar ziemlich häufig zur Ansicht kommen. Den etwaigen Einwurf, dass mir hiebei eine Verwechse- lung mit den von Schwalbe beschriebenen Vacuolen !) begegnet sein möchte, weise ich von vornherein von der Hand. Die Kerne der Ganglienkörper stehen mit ihrer Grösse in einem auffallend proportionalen Verhältnisse zur Grösse der Ganglienkörper selbst, so dass in grossen Körpern die Kerne gross, in kleinen klein sind. Ihre Substanz erscheint zwar für gewöhnlich sehr dicht, fast homogen, lässt aber doch bei starken Vergrösserungen auch gar nicht selten ein leicht körniges Gefüge mit der bereits von Koelli- ker?) und Schwalbe?°) beschriebenen radiären Anordnung der ein- zelnen Elemente erkennen. Sie scheint sehr quellungsfähig zu sein und eine grosse Affinität zu allerhand Farbstoffen zu besitzen, und färbt desshalb der Kern unter allen mir bekannten Verhältnissen vom ganzen Ganglienkörper sich am intensivsten. Die Form der Kerne ist die einer sehr flachen Linse, oder auch, wie Courvoi- sier*) angibt, ganz flachen Scheibe, und aus diesem Grunde, wie aus einzelnen der vorherigen sind sie selbst nur wenig lichtbre- chend und desshalb in den Körpern ganz frischer Präparate meist nur undeutlich zu sehen. Wenn härtende oder aufhellende und färbende Reagentien eingewirkt haben, werden sie glänzender und dunkler und sind dann leichter zu erkennen. Die Kerne sind mir immer membranlos und völlig glatt erschienen, ohne irgend welche ihnen eigenen Anhängsel. Ich sehe sie bei der nach meiner Mei- nung genauesten Einstellung nur einfach contourirt, bei einer min- der genauen aber hin und wieder auch doppelt contourirt. Es will mir scheinen, als ob der doppelte Contour durch einen Falz zu Stande gebracht werde, der längs des Randes hinzieht und bei iso- lirten, auf der Kante stehenden Kernen trotz der mannichfachen 1) G. Schwalbe l. c. p. 60. 2) Koelliker l, c. p. 254. 3) G. Schwalbe l. c. p. 60. 4) Courvoisier, Ueber d. Zellen d. Spinalganglien u. s. w. l. c. p. 133. Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 223 Verbiegungen, die sie bereits erfahren haben mögen, doch noch als eine entsprechende Vertiefung wahrgenommen werden kann. Jeder Kern enthält wenigstens ein seiner Grösse entsprechendes Kernkörperchen. In grossen Kernen kommen aber deren auch zwei und selbst mehr vor. Bei Bos, Sus, Fringilla domestica, Sturnus vul- garis fand ich in blossen Serumpräparaten ihrer 3 und bei Belone nach Essigsäureeinwirkung ihrer 4 und 5. Andererseits kommt in sehr grossen Kernen auch nur ein einziges, aber dann ebenfalls sehr srosses Kernkörperchen vor und in diesem dann wieder eingeschach- telt ein noch kleineres Körperchen, der Mauther’sche Nucleolulus, über dessen Natur als Vacuole oder Nicht-Vacuole wir uns indess nicht weiter verbreiten wollen (Fig. 5—11). Andere Bildungen am Kernkörperchen habe ich nicht heraussehen können, und muss ich mich in Sonderheit gegen etwaige Fortsätze desselben aussprechen, wie sehr deren Anwesenheit auch von den gewichtigsten Seiten her plausibel gemacht worden ist. Ich stehe betreffs dieser Frage ganz auf dem Standpunkte, den ich schon vor mehreren Jahren den cen- tralen Ganglienkörpern gegenüber eingenommen habe!) und verhalte mich zu ihr geradezu negirend. Wenn nur ein Kern vorhanden ist, so liegt derselbe immer in der Hauptmasse der Ganglienkörpersubstanz, also in der mehr dich- ten, feinkörnigen, nur aus kleinen Sphäroiden gebildeten. Nie habe ich ihn in der aus den zusammengesetzten Ellipsoiden gebildeten Nebensubstanz gefunden. Wie es sich da verhält, wo zwei Kerne vorhanden sind, weiss ich nicht. Doch möchte ich viel eher glauben, dass es sich da um eine Art Doppelkörper handelt, von denen jeder nach dem Typus der einfachen gebaut, aber mit seinem Gespan ver- schmolzen ist, als um eine besondere Centralisation auch der aus Ellipsoiden gebildeten Nebensubstanz. Denn man sieht diese unter manchen Umständen ebenso wie anderwärts mehr weniger deutlich über den ganzen Körper verbreitet und keinesweges bloss auf die Region eines einzigen Kernes beschränkt, was doch sein müsste, wenn eine solche Annahme Sinn haben sollte. Wie es bei den Körpern mit vielen Kernen liegt, weiss ich noch weniger. Indessen was von ihnen etwa zu halten ist, werden wir anderweit noch erfahren. — Zuweilen liest der Kern umgeben von einer helleren Substanz, wie 1) Studien über d. Architektonik d. Grosshirnrinde d. Menschen, II. Dieses Archiv Bd. IV. p. 476 u. ff. 224 Rudolf Arndt: in einem lichten Hofe. Hensen!) hat darüber schon vor längerer Zeit berichtet. Ich habe ein ähnliches Verhalten auch bei den cen- tralen Ganglienkörpern beobachtet ?), enthalte mich aber gegenwär- tig darüber aller weiteren Reflexionen, weil die Thatsache nur ver- einzelt dasteht und darum nicht von durchgreifender Bedeutung sein kann. An einem anderen Orte jedoch komme ich wohl aller Wahr- scheinlichkeit nach noch auf sie zurück. Die Fortsätze, welche aus den Ganglienkörpern heraustre ten; scheinen mir ebenso wie vorlängst Rem ak °) und neuestens Bidder%), Schwalbe°), Sigmund Mayer°) nur einfache Ausstülpungen oder Verlängerungen ihrer Substanz zu sein. Sie erscheinen deshalb auch, geradeso wie er, aus einer mehr gleichmässigen Grundsubstanz und eingesprengten Kügelchen und Fädchen zu bestehen. Von Bedeutung dabei ist aber sicherlich, dass diese letzteren, mögen sie nun sein, was sie wollen, Spalten oder wirkliche Fäden, wie auch Schwalbe?) bereits seiner Zeit angegeben hat, schon im Ganglienkörper nach den Fortsätzen zu m eine mehr parallele Richtung sich anordnen und diese letztere in jedem Fortsatze selbst so einhalten, dass da- durch eine deutliche Parallelstreifung und Punktirung desselben zur Erscheinung kommt. Allerdings kommen hiervon auch manche Ab- weichungen vor und der eine oder der andere Fortsatz sieht mehr granulirt als streifig aus; oder er zeigt auch ein mehr homogenes Gefüge und in Folge dessen einmehr hyalines Aussehen (Fig. 8, 9, 11, 19). In markhaltige Nervenfasern habe auch ich indessen ebenso- wenig wie Courvoisier?), Bidder®), Schwalbe) die Fortsätze je übergehen sehen, und alle Angaben von Markscheiden, welche ihnen zukommen sollen, kann ich meinen Beobachtungen nach dess- halb nur als nicht zutreffend erachten. Dagegen habe ich sehr häufig eine Theilung der Fortsätze wahrgenommen und zwar nicht bloss eine einmalige, sondern eine wiederholt mehr oder weniger dichotome. Die A) Hens en, Untersuchungen zur Physiolog. d. Blutkörperchen, sowie über d. Zellennatur derselben. Zeitschrift f. wissenschaftl. Zoologie. Bd. XI, p. 271. 2) Studien über die Architektonik d. Grosshirnrinde d. Menschen. Iu. I. Dieses Archiv Bd. III u. IV, p. 465 u. ff. 3) Remak, Observation. anatom. et mieroscop. de hyst. nerv. struct. Berol. 1838. 4) Bidder I. c. p. 11—12. 5) G.Schwalbel. c. p. 67. 6) Sigmund Mayer]. ce. 817. 7) Courvoisier, Beobachtungen über d. sympath. Grenzstrang. |. c. p. 23. Ueber d. Zellen d. Spinalganglien u. s. w. l. c. p. 129. 8) Bidder |. c. 1867. p. 11—12. 9) G. Schwalbe l. c. p. 68. TE Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 225 Theilung, welche auch Max Schultze!) Schwalbe?), Bidder°) Sigmund Mayer‘) u. A. gesehen haben, betraf aber in allen Fällen nur einzelne Fortsätze. Einer, der etwas starrer und hyaliiner aussah, war, so weit er zu verfolgen, stets ungetheilt. Die Fortsätze nehmen ihren Ursprung aus beiden Substanzen der Ganglienkörper, doch so, dass aus der Hauptsubstanz, die wir wegen ihrer Beziehungen zum Kern, als präsumtiven Mittelpunkt des Ganglienkörpers überhaupt. »Centralsubstäanz« nennen wollen, sich immer nur einer, wenn mehrere Fortsätze vorhanden sind, die übrigen sich aus der Nebensubstanz, »Lateral«- oder »Seiten- substanz« entwickeln. Und je nachdem diese letztere nun in Bezug auf die erstere gelagert ist, zeigen die Fortsätze manche höchst merk- würdige Verhältnisse zu einander. Liest z.B. die Centralsubstanz in der Mitte des Ganglienkörpers, so dass sie von der Lateralsubstanz mantel- oder schleierartig umgeben wird, so entspringt der Fortsatz (jener aus der Mitte des Ganglienkörpers in der Nähe des Kernes Fig. 17, 19). Und wenn der Kern nun in einem helleren Raume liegt, so kann der Anschein erweckt werden, als ob er vom Kerne oder gar aus dem Kerne selbst seinen Ursprung nehme. Das sind, wie ich glaube, die Fälle, in denen auch von den Autoren, welche sonst nicht gerade dem Zusammenhange von Nerv, beziehungsweise von dess®n Axencylinder mit dem fraglichen Kerne und seinem Kern- körperchen das Wort reden, die Beobachtung gemacht worden ist, dass ein Fortsatz des Ganglienkörpers sich manchmal bis weit in die Substanz desselben verfolgen lasse, um erst in dieser in unbe- kannter Weise oder in der Nähe des Kernes, anscheinend sogar erst des Kernkörperchens zu enden. Liegen die beiden Substanzen neben einander, so dass die Lateralsubstanz der Centralsubstanz nur auf einem circumseripten Raume angelagert ist, so tritt je nach der Art und Weise, wie das geschehen, ein grosser Wechsel der Erschei- nung ein. Sendet jede der Massen ihren oder ihre Fortsätze nach der Richtung aus, welche ihrer Lage gerade entspricht, also z. B. nach rechts, wenn sie auf der rechten Seite liegt, nach links, wenn sie auf der linken Seite liegt, so bekommen wir die einfach bipolaren oder multipolaren Ganglienkörper, wie sie für gewöhnlich sich uns zeigen und z. B. in Fig. 30, 8, 9, 11 abgebildet sind. Sendet dage- 1) Max Schultze,l. ce. 2) G. Schwalbel. ce. p. 70. 3). Bidder, l. ce. 8. p. 4) Sigmund Mayer, |. c. p. 814. M. Schultze, Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd. 10. 15 226 Rudolf Arndt: gen die Centralsubstanz ihren Fortsatz nach derselben Richtung wie die Lateralsubstanz aus, so bekommen wir, wenn von letzterer nur ein Fortsatz abgeht, jene bipolaren Körper, die erst durch Arnold und Beale in ihrer Bedeutung erkannt worden sind. Es sind das jene Körper, an denen die Fortsätze, wie in Fig. 6, 17 und beson- ders 27, 29 so dicht neben einander verlaufen, dass, liegen sie in ein und dieselbe Bindegewebsscheide eingeschlossen, wie das so ge- wöhnlich der Fall ist, sie auch wie ein einziger aussehen, damit einen unipolaren Körper vortäuschen und thatsächlich auch bis in die neueste Zeit dafür gehalten worden sind. Durchbohrt in einem solchen Falle der Fortsatz der Centralsubstanz noch die Lateralsub- stanz in der Weise, wie wir das von den Ganglienkörpern kennen gelernt haben, bei denen die letztere die erstere mantelartig umgibt, so bekommen wir noch insbesondere jene eigenthümlichen bipolaren Ganglienkörper, die von Arnold als Glocken und von Beale, Kollmann und Arnstein, sowie endlich Bidder als jene Merkwürdigkeiten beschrieben worden sind, deren wir oben bei Beschreibung der Grundsubstanz Erwähnung thaten. Diese höchst interessanten Körper kommen am schönsten bei Rana vor und zeich- nen sich dadurch vor allen anderen aus, dass an einem dichteren, unregelmässig kugelig gestalteten Körper, welcher mit einer flache- ren, zuweilen selbst ausgehöhlten Basis auf einem dicken derben Stiele aufzusitzen scheint, sich an dieser Basis ein anscheinend ziem- lich zerklüfteter und kernführender Appendix befindet, der von einem zweiten, aber zarteren und dem ersten oft so dicht anliegenden Stiele getragen wird, dass es aussieht, als ruhe der ganze Körper nur auf einem einzigen. In beiden Fällen kann es sich ereignen, dass von den beiden dicht aneinander gedrängten Fortsätzen sich der eine um den anderen in seinem weiteren Verlaufe spiralförmig herumdreht, und dann haben wir die Spiralfaser der Autoren vor uns. Auch sie findet sich am schönsten bei Rana, wo sie bisweilen so dick und derb, wie die umwundene Faser ist, kommt aber auch bei den Vö- geln, z. B. bei Fringilla domestica, Corvus cornix, bei den Säugern, z. B. bei Bos und Canis (Bidder)!) und endlich beim Menschen (Fraentzel) ?) vor. Allein wie und wo sie auch auftreten möge, sie entwickelt sich stets aus der Lateralsubstanz der Ganglienkörper, während die umwundene, mehr gerade Faser aus der Centralsubstanz 1) Bidder, |. c. p. 15. 2) O0. Fraentzel, 1. c. p. 551. Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 227 desselben ihren Ursprung nimmt (Fig. 27, 29). Die Fälle, in denen sie oder die ihr äquivalente mehr gerade verlaufende Faser, gleich nach ihrem Ursprunge aus dem Ganglienkörper für sich allein hin- zieht, wie in Fig. 28, beweisen das unwiderleglich. Die Spiralfaser, die noch immer etwas Geheimnissvolles hat, ist darum als gleich- werthig den Fasern anzusehen, weiche auch sonst ihren Ursprung aus der Lateralsubstanz nehmen, also unter anderen nach Obigem auch der Summe aller Fasern minus einer der multipolaren Ganglienkör- per der Säuger. Hiernach tritt an uns ganz von selbst die Frage heran, ob es möglich sei, vielleicht -unter Umständen wenigstens erkennen zu kön- nen, auf welche Weise etwa die Entwickelung der Fortsätze aus den Ganglienkörpern sich mache, und da muss ich antworten: Ja, und zwar leichter als man glaubt. In frischen wie in Macerationsprä- paraten sieht man insbesondere unter Anwendung eines leichten Druckes die Fortsätze der Lateralsubstanz sich formiren aus den Pro- toplasmazügen, welche zwischen den Ellipsoiden derselben eingeschal- tet ist und dieselben gewissermaassen verkittet (Fig. 31, b). In man- chen Macerationspräparaten, noch besser an Goldpräparaten sieht man etwas ganz Gleiches auch an dem Fortsatze der Centralsubstanz (Fig. 15, 18). Auch er sammelt sich aus den zarten Protoplasmazügen, welche jene netzartig durchziehen, und die sämmtlichen Fortsätze stehen somit durch das weiche Protoplasmanetz der Grundsubstanz des Ganglienkörpers in Verbindung. Wir kommen somit im Gros- sen und Ganzen auf Arnold’s und diesen verwandte Anschauun- gen zurück, aber mit dem allerdings bedeutungsvollen Unterschiede, dass Arnold, wenn ich ihn ganz richtig verstanden habe, das Netz aus Fäden, also bereits Producten des Protoplasma und damit viel- leicht blossen Leitungen bestehen lässt, während ich das Netz für ein noch ziemlich ursprüngliches Protoplasma erachte, zum wenig- sten für denjenigen Theil desselben im Ganglienkörper, der die ge- ringste Veränderung erfahren hat und damit am ersten noch Träger eigener und selbstständiger Leistungen zu sein vermag. Die Wich- tigkeit des Unterschiedes, so unbedeutend er auch im ersten Augen- blick sich ausnehmen mag, liegt näher besehen, auf der Hand, unü ich betone ihn um so mehr, als auch noch in anderen Gegenden des Nervensystems bei gewissen Theilen desselben sich der nämliche Bau findet und aus ihm desshalb auch gewisse Schlüsse auf Natur und Function derselben gemacht werden können. 228 Rudolf Arndt: An diese Frage reiht sich sodann eine zweite, nämlich die über die etwaige Bedeutung des Protoplasma in den einzelnen Regionen des Netzes, mit anderen Worten die Frage: Ist es möglich, einen Unter- schied zu statuiren zwischen dem weichen Protoplasma der Central- substanz und dem der Lateralsubstanz, und auch darauf muss ich antworten: Ja! Was das weiche Protoplasma der Centralsubstanz sei, haben wir oben schon auseinandergesetzt: der am wenigsten differen- zirte Theil des Protoplasına, das in sich die Sphäroiden differenzirte. Ebenso haben wir aber auch gesagt, dass das weiche Protoplasma in der Seitensubstanz der am wenigsten differenzirte Theil des Pro- toplasma sei, welches einstmals die Ellipsoiden differenzirte. Die an- geregte Frage würde sich demnach also wohl am besten lösen las- sen, wenn es gelänge, den Unterschied zwischen Sphäroiden und Ellipsoiden festzustellen. Dass ein Unterschied zwischen unseren Sphäroiden und Ellip- soiden trotz mancher Aehnlichkeiten und scheinbarer Uebergänge bestehe, haben wir bereits gesagt. Wir haben die Sphäroiden als einfache Verdichtungen des Protoplasma beseichnet, die Ellipsoiden zwar auch als eine Art Verdichtungskörper angesehen, aber doch nicht für so einfacher Natur wie jene. Wir fanden sie ja bis zu einem gewissen Grade deutlich zusammengesetzt aus Sphäroiden und dann noch immer ausgestattet mit einem oder sogar auch zwei hel- len Kügelchen, wie einer. Art Nuclei oder Nucleoli. Wissen wir daher, was die Ellipsoiden sind, dann wissen wir auch das Uebrige. Die Ellipsoiden sind bis jetzt noch von keinem Forscher als wesent- liche Bestandtheile der Substanz sympathischer Ganglienkörper aner- kannt worden, obwohl sie bereits manchem begegnet und von ihm als etwas Auffälliges befunden worden sind. So hatsie J. Sander!) sicher gesehen und durch sie sich z.B. verführen lassen, an jene schlichten Zerklüftungen der Ganglienkörper zu glauben, welche die Anfänge der Spiralfaser vortäuschen sollten und ihm so viel und harten Tadel einge- tragen haben. So hat sie offenbar auch Fraentzel?) gesehen, aber ihre Begrenzungen für Abdrücke der Kittsubstanz eines Zellenlagers ge- halten, das nach ihm die Ganglienkörper als eine besondere Hülle umgäbe. Auch Beale®°), Kollmann u. Arnstein?®), Courvoisier®), Bidder°®), Sigmund Mayer°) haben sie gesehen, aber sie für | 1) I. Sander, l. c.p.401. 2) O. Fraentzel, l.c.p. 555. 3) S. oben. 4) Courvoisier, Ueber die Zellen d. Spinalganglien u. s. w. 1. c. p. 144. 5) Sigmund Meyer, l. ce. p. 817. Fig. 267. u. Beobachtungenu. Re- r Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 229 blosse, wenn auch absonderlich geartete Kerne erklärt. Schwalbe!) sind sie auch vorgekommen; aber einmal hat er sie für Kunstpro- ducte angesehen, hervorgerufen durch Einwirkung schrumpfender Reagentien, und das andere Mal sie mit dem Epithel Fraentzel’s in Zusammenhang gebracht. Kurzum gesehen sind sie schon wieder- holt und sind keinesweges neue Schöpfungen, welche vorläufig nur noch geglaubt werden müssten ; indessen sie sind nicht für das er- kannt worden, was sie nach unserer Meinung sein dürften. Sehen wir zu, was dies wohl wäre, und ob wir in unserer Deutung glück- licher sind, als unsere Vorgänger. | Bei der Entwicklung der Ganglienkörper und Nervenfasern der Centralorgane eines Hühnchens aus den entsprechenden Bildungs- zellen kann man bereits am Ende des ersten, sicher vom Anfange des zweiten Bebrütungstages an sehen, wie das bis dahin sehr spärliche Protoplasma dieser Zellen an Masse zunimmt. Die klei- neren und grösseren rundlichen, vielfach scheinbar kernkörperchen- losen, meist aber mit 2—3 Kernkörperchen ausgestatteten Kerne umgeben sich mit einem mächtigeren Protoplasma. Dasselbe besteht aus einer hellen, glasigen, elastisch dehnbaren Grundsubstanz, welche bei sehr starken Vergrösserungen (HartnackX, 4) wie aus lauter Kügelchen zusammengesetzt erscheint, in deren Mitte dunkle Körn- chen mit strahlenartigen Fortsätzen eingebettet sind, und die dane- ben noch von einigen fadenförmigen Bildungen durchzogen wird, deren näheres Verhalten jedoch nicht genauer zu erkennen ist. Aus den Zellen mit grösseren Kernen gehen die Ganglienkörper, aus de- nen mit kleineren Kernen die Nervenfasern hervor und zwar im Allgemeinen in der Weise, wie ich das schon vor einer Reihe von Jahren vom Menschen in einer anderen Lebensperiode be- schrieben habe ?). Nur wenn der Bildungsprocess ein sehr rascher ist, dann hat es den Anschein, als ob die Nervenfasern direct aus dem Protoplasma der Bildungszellen, gleichsam durch blosse Verlän- gerung desselben, hervorwüchsen, ohne dass dieses erst eine Differen- zirung erfahren hätte. Ein genaueres Zusehen und ruhigeres Prüfen der vorhandenen Thatsachen wird nichtsdestoweniger auch hier die- selbe erkennen lassen und vor dem sonst leicht zu begehenden flexionen über Bau u. Verrichtung d. symp. Nervensyst. Wien. Akad. Berichte 1872. Bd. LXVI. — Nach Schwalbe’s Referat. 1) 6. Schwalbe, Il. c. p. 56 u. 58. 2) Studien über die Architektonik d. Grosshirnrinde d. Menschen. Dieses Archiv Bd. IV, p. 486 u. ff. 230 Rudolf Arndt: Irrthum schützen, der soeben angedeutet wurde. Bei der Ganglien- körperentwicklung kommt dergleichen, soweit meine bisherigen Er- fahrungen reichen, wohl nicht vor und sind entsprechende Irrthümer kaum zu begehen, es sei denn, dass eine’besondere Sympathie zu ihnen dennoch Veranlassung gäbe. Zu den Differenzirungen, welche das Protoplasma der Bildungs- zellen eingeht, ehe sie zu Ganglienkörpern sich umbilden oder Ner- venfasern produeiren, gehören eigenthümliche, längliche oder rund- liche, ziemlich scharf contourirte Körperchen, welche in ihrem Inneren öfters ein, auch zwei hellglänzende Kügelchen enthalten und darum ein kernähnliches Aussehen haben. Sie liegen zu ein, zwei oder auch zu mehreren Anfangs dem Zellenkerne dicht an, entfernen sich danach aber mehr und mehr von demselben und liegen sehr bald an einem Fortsatze der sich bildenden Ganglienkörper oder einem der in Entstehung begriffenen Axencylinder und verleihen beiden ein leicht knotiges, sogenanntes varicöses Aussehen. Diese Körperchen tragen alle Charaktere des sonstigen Protoplasma nervöser Zellen an sich, scheinen aus hellen Kügelchen zusammengesetzt, in deren Innerem sich ein dunkles Körperchen mit dunklen, wimperartigen Fortsätzen eingebettet findet. Sie unterscheiden sich dadurch wesentlich von den Kernen, auch den kleinsten, da diese viel homogener sind und nichts von den dunkeln Körperchen zeigen, kennzeichnen sich aber eben dadurch auch wieder als blosse Verdichtungen des Protoplasma, als Knoten desselben, denen besondere Verrichtungen obliegen. Aber welche? . Vielleicht den Zellenkern auf entlegenen Punkten zu ersetzen? Gleichviel! Zur Zeit wollen wir diese Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Die Existenz dieser bis jetzt theils übersehe- nen, theils nicht recht gewürdigten oder mit wirklichen Kernen ver- wechselten Körperchen genügt uns im Augenblick für unseren Zweck vollständig und das Uebrige wollen wir einer anderen Zeit überlas- sen. In Betreff der Ellipsoiden in der Substanz der sympathischen Ganglienkörper können wir uns nun denken, dass sie einem ana- logen Vorgange ihr Dasein verdanken, und einfache Verdichtungen, gewissermaassen Rnotenpunkte des Protoplasma einer Zelle seien, aus welchem der Ganglienkörper hervorgegangen, und die Züge jenes weichen Protoplasma, das zwischen ihnen liegt und uns gegenwärtig vorzugsweise beschäftigt, hätten danach keine andere Bedeutung, als die weichen Protoplasmazüge im übrigen Körper selbst, also auch in der Öentralsubstanz. Es wäre dasselbe nichts weiter, als ein Theil Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 231 dieser selbst, und nur durch locale Verschiedenheiten in seiner Er- scheinung selbst verschieden. Allein es gibt noch eine andere Art, dieses Protoplasma aufzu- fassen und danach seine etwaige Bedeutung zu beurtheilen. Um jedoch das zu können, müssen wir nothwendig etwas weiter ausholen und uns die Ganglienkörper noch einmal ganz im Allgemeinen, dieses Mal aber mehr in ihrem Neben- und Durcheinander besehen. Die Ganglienkörper des Sympathicus liegen in den Knoten oder sogenannten Ganglien desselben zu dichten Haufen zusammen, die vielfach, doch hier einmal mehr, dort einmal weniger von Nerven- fasern durchzogen werden. Mehr vereinzelt kommen sie aber auch in seinen strangförmigen Bildungen vor und zwar bald in kleineren Gruppen, bald auch ganz allein. Jeder Körper hat seine besondere, bald dünnere und zartere, bald dickere und festere bindegewebige Hülle, die mit einem meist deutlich erkennbaren Endothel ausgeklei- det ist und, wie es scheint, sammt diesem auf die abtretenden Fort- sätze übergeht. In Macerationspräparaten, welche durch Jodserum, einfach chromsaures oder auch karminsaures Ammoniak gewonnen worden sind, kommt das Endothel öfters auch ganz allein zur An- schauung und tritt als grössere oder kleinere Fetzen zusammenhän- sender grosskerniger Zellen in die Erscheinung (Fig. 1, 2). Nach längerer Maceration, 3—4 Tage, zeigen die Zellen sich dabei zuwei- len in ganz eigener Weise verändert. Ihre Contouren sind gänzlich verschwunden. Sie scheinen mit benachbarten in Eins verschmolzen zu sein und so durch und durch von Kügelchen einer eiweissartigen Masse erfüllt, dass es aussieht, als ob man ein ganz ungeformtes von Kernen und fremdartigen Körperchen durchsetztes Gewebe vor sich habe (Fig. 3). Die bindegewebige Hülle erscheint bald mehr homogen, bald mehr streifig und zumal nach Essigsäurebehandlung von derberen, deutlichen Fibrillen durchzogen. Diese letzteren aber haben bald eine mehr quere Richtung, indem sie zu der der abtre- tenden Fortsätze senkrecht verlaufen und deren Scheide wie mit Zirkeltouren umschnüren (Fig. 27), bald haben sie eine zu diesen mehr parallele Richtung und verlaufen sogar auf kürzere oder wei- tere Strecken in ihnen als mehr oder weniger deutlich geschlängeltes Band. Wenn ein solches Band sich aus mehreren feinen Fibrillen zusammensetzt, die ihren Ursprung aus den Theilen der Hülle neh- men, welche über dem Ganglienkörper liegt, dann kann dasselbe sehr leicht als vom Ganglienkörper selbst ausgehend und für eine 232 Rudolf Arndt: Nervenfaser, eventuell die Spiralfaser angesehen werden (Fig. 38). Schwalbe !) hat auch schon hierauf hingewiesen und in der That scheinen solche Bilder den Beobachtern begegnet zu sein, welche die Existenz der Spiralfaser zwar nicht bestritten, aber ihr die nervöse Natur abgesprochen haben und sie nur für eine Bindegewebs-, be- ziehungsweise elastische Faser erklärten. In den Knoten des Sympathicus liegen die Ganglienkörper ein- gebettet in ein bindewebiges Stroma, das, wie Arnold?) zuerst ge- zeigt hat, vom Perineurium herstammt. In den strangförmigen Bil- dungen liegen sie frei zwischen den Nervenfasern, meistentheils wohl in den Verlauf einer derselben eingeschaltet. Und je nachdem sie nun einzeln oder in Gruppen liegen, liegen sie an den betreffenden Stellen noch jeder für sich allein oder mit ein, zwei anderen wieder zu einer besonderen Gruppe, etwa einem Träubchen, vereinigt in einer ebenfalls noch besonders wieder existirenden Hülle oder Scheide (Fig. 20), so dass erst eine ganze Anzahl Bindegewebe zu zerreissen und zerstören ist, bevor man die Ganglienkörper für sich zu sehen bekommt, und es klar wird, warum ihre Isolirung so schwer gelingt. Unter ganz gleichen Verhältnissen stösst man jedoch auch auf solche besondere Ganglienkörpergruppen, bei denen die Sache sich ein we- nig anders verhält.; Man sieht zwei grössere oder auch einen grös- seren und einen kleineren Ganglienkörper eingeschlossen in eine ge- meinsame Hülle; aber ob sie in dieser durch ein Septum derselben getrennt liegen, oder ob sie unmittelbar zusammenstossen, ist schwie- rig, vielleicht auch gar nicht zu entscheiden (Fig. 21). In noch an- deren Fällen dagegen ist es offenbar, dass dieses Septum fehlt und beide Körper ohne Weiteres aneinander gelagert sind und zwar bis- weilen so dicht, dass es so obenhin aussieht, als ob sie zu einem einzigen verschmolzen wären. Doch lässt eine genauere Besichtigung in solchen fast immer noch ihre Sonderung erkennen und namentlich auch noch dieselbe in Bezug auf ihre Fortsätze feststellen (Fig. 22). Was bisher zwei Körper thaten, das thun in andern Fällen auch ihrer drei und bisweilen noch mehr (Fig. 25). Allein wo letzteres geschieht, da gewahrt man, dass beinahe immer nur ein einziger Körper zu gehöriger Entwicklung gekommen ist, dass die übri- gen auf einer sehr tiefen Stufe der Entwicklung zurückgeblieben sind oder gar auch einen anderen Entwicklungsmodus eingeschlagen ha- 1) G. Schwalbe. 1. e. p. 69. 2) J. Arnold, 1. ec. Bd. XXXI p. 7. Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 233 ben. Nur jener eine Körper ist von einer gewissen Grösse. Nur er allein besitzt einen Kern mit Kernkörperchen und einen deutlich erkennbaren und nur für sich bestehenden Fortsatz. Die übrigen Körper sind klein geblieben, haben auch keinen eigentlichen Kern, sondern nur ein helles längliches oder rundliches, etwas glänzendes Kügelchen, das diesen quasi vertritt, und entbehren ordentlicher, deutlicher Fortsätze. Dafür aber geben sie jeder für sich ein dün- nes, zartes Fädchen ab, das mit dem des Nachbarn verschmilzt und so durch allmählige Verschmelzung mit allen Nachbarfäden endlich auch zu einem dickeren, stielartigen Gebilde wird, das dem Fortsatze des grossen Körpers gleicht (Fig. 26). Wir haben auf diese Weise durch Zusammensetzung aus mehreren Körpern eigentlich nur einen einzigen bipolaren Ganglienkörper erhalten, und wenn wir uns die- sen noch genauer ansehen, so finden wir, dass einer seiner Fortsätze aus dem grossen wohlentwickelten Körper hervorgeht, den wir be- schrieben haben, der andere sich aus den zahlreichen kleinen sam- melt, welche in ihrer Entwicklung zurückgeblieben und jenem nun- mehr nur angelagert sind. Was haben wir uns darunter zu denken? Ganglienkörper zu mehreren in einer Scheide sind schon wieder- holt beobachtet und beschrieben worden. Krause), Auerbach?), Bidder°), Sigmund Mayer®)u. A. haben sogar eine ganz besondere Art und Weise ihrer gegenseitigen Lagerung unter solchen Verhält- nissen bekannt gemacht, die von Auerbach sogenannte »opponirte Stellung«, in welcher zwei Körper mit einer breiten Basis an ein- ander gelagert sind und ihre Fortsätze, je einen, von ihrem zugespitzten Ende in entgegengesetzter Richtung ausschicken. Da handelte es sich aber in Wirklichkeit um zwei ganz gleichmässig entwickelte Körper, Doppelkörper, wie wir sie auch kennen gelernt haben (Fig. 21. 22), nicht aber um die merkwürdige Complication einer Anzahl ver- schieden entwickelter Körper, wie wir sie zuletzt vorgehabt haben. Dagegen hat Courvoisier’) von Ganglienkörpern berichtet, 1) W. Krause, Ueber d. Drüsennerven. Zeitschrift f. ration. Med, 1864. Bd. XXI, p. 90, Fig. 3. 2) Auerbach, Fernere Mittheilung über d. Nervenapp. d. Darmkanals. Virchow’s Archiv Bd. XXX, p. 458. 8) Bidder, 1. c. 1867. p. 10. 4) Sigmund Mayer. S. Stricker’s Handbuch p. 815. 5) Courvoisier, Ueber dieZellen d.Spinalganglien. l.c.p. 136 u. 138 u. f. 234 Rudolf Arndt: welche aus einem wohl entwickelten und aus mehreren kleineren, un- regelmässiger geformten, oft nur als blosse Kerne erscheinenden Kör- pern zusammengesetzt seien, und diese entsprechen vollständig den in Frage gezogenen Gebilden. Courvoisier nannte die kleinen Körperchen Beizellen, liess ihre Bedeutung im Allgemeinen proble- matisch, erinnerte aber daran, dass sie den von Beale beschrie- benen und als frühere Entwicklungsstadien wohlgebildeter Zellen gedeuteten Körpern ganz ähnlich wären. Er ist nicht abgeneigt sie für nicht mehr functionirende, abgelebte Ganglienkörper zu halten, sah sie jedoch nicht ganz selten mit dem »Spiralfasernetze« durch feine Fäden in Verbindung stehen. Ausserdem hat er, wie schon vor ihm auch Beale'!) und Koelliker ?) seinen Beizellen ganz ähnliche kleine Zellen in grösseren Complexen und zwar öfters in eine gemeinschaftliche Kapsel eingeschlossen, angetroffen und ist wohl gewillt, dieselben mit den Beizellen selbst in einen näheren Zusammenhang zu bringen; allein das Wie bleibt nichtsdestoweniger unerörtert. Ebenso wenig geschieht etwas Derartiges auch von Beale und Koelliker und müssen wir uns daher vorläufig damit genügen lassen, dass beide die fraglichen Zellen für nervös halten, Koelliker sogar in so weit, als er sie für apolare Ganglienzellen erklärt. Können uns für unseren Zweck diese Befunde etwas nüt- zen? Sehen wir zu. Vielleicht gelingt es durch sie den erwünsch- ten Aufschluss zu erhalten. Zwischen den Ganglienkörpern und Nervenfasern der sympa- thischen Nerven stossen wir zumal bei jüngeren Thieren, aber auch noch bei völlig ausgewachsenen sehr gewöhnlich auf Ansammlungen von Zellen, welche bald mehr als diffuse Haufen, bald mehr als ein abgeschlossenes Ganze uns entgegen treten. Diese Zellen bestehen aus einem mittelgrossen, blassen, heller oder dunkler contourirten Kerne, in den gewöhnlich zwei, drei, auch noch mehr Kernkörperchen eingelassen sind, und aus einem spärlichen, glasig hellen Protoplasma, das von dunklen Körnchen und Pünktchen durchsetzt ist (Fig. 33). Was sind diese Zellen? — Wir schliessen uns in ihrer Deutung durchaus an Koelliker, Beale und Courvoisier an, be- sonders da in neuerer Zeit auch Sigmund Mayer?) und Law- 1) Beale, I. c. Fig. 7, 8, 12, 43. 2) Koelliker, Gewebelehre 5. Aufl. p. 255. 3) Sigmund Mayer. $S. Stricker’s Handbuch I. c. p. 819. — Wien. Akad. Ber. ]. c. Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 235 dowsky!) für dieselbe eingetreten sind, und halten sie für Zellen nervöser Natur, obgleich wir aus ganz besonderen Gründen zugeben wollen, dass diese oder jene unter ihnen auch dem Gewebe der Binde- substanz angehören möge, das ja in den betreffenden Gebilden in reiehem Maasse vorhanden ist, und in mannichfachen Formen zur Erscheinung kommt. Der Umstand jedoch, dass bei foetalen Hunden, bei neugeborenen Kaninchen, bei jungen Sperlingen und Staaren diese Zellen in der trautesten Gemeinschaft mit Ganglienkörpern vorkommen und alle möglichen Uebergänge zu denselben erkennen lassen, muss uns doch zuvörderst den Verdacht einflössen, dass wir es in ihnen hauptsächlich mit Verwandten, ja vielleicht mit blossen Vorstufen jener und darum denn natürlich auch mit nichts An- derem als nervösen Bildungszellen zu thun haben. Und zur Ge- wissheit wird dieser Verdacht, als in der That es sehr häufig ge- lingt, Gruppen dieser Zellen, wie das Koelliker, Beale, Cour- voisier bereits angedeutet, Sigmund Mayer und Lawdow- sky aber geradezu ausgesprochen haben, in Verhältnissen aufzu- finden, in denen wir sonst nur Ganglienkörper anzutreffen gewohnt sind, nämlich eingeschlossen in eine bindegewebige Hülle, die aufge- rissen öfters eine deutliche Auskleidung mit grosskernigen, endothe- lialen Zellen zu erkennen giebt und hin und wieder sich fortsatz- artig über anscheinend mit den Zellenhäufchen zusammenhängende Gebilde hinzieht (Fig. 33. 35. 36)., ‚Wir finden also bisweilen Gruppen nervöser Zellen, resp. Bildungszellen, welche sich ganz und gar wie Ganglienkörper verhalten und vielleicht diese auch ersetzen, und diese Thatsache bietet uns endlich, wie ich glaube, den Schlüssel, dessen wir unseren Mittheilungen gemäss zum Ver- ständnisse der sympathischen Ganglienkörper überhaupt nöthig haben. Aus solchen Zellengruppen geht nämlich meines Erachtens ein grosser Theil der beregten Ganglienkörper hervor und zwar dadurch, dass eine dieser Zellen sich vorzugsweise entwickelt, wäh- rend die anderen zurückbleiben, oder auch eine andersartige Bildung einschlagen. Aus jener wird die den grossen Kern führende Haupt- oder Centralsubstanz; aus dieser gehen die angelagerten Bildungen hervor, zunächst die kleinen unipolaren Ganglienkörper, welche wir bereits kennen gelernt und z. B. in Fig. 22. 23 abgebildet haben. Geht die Entwicklung dieser Zellen indessen noch nicht einmal so l) Lawdowsky, die feinere Structur u. d. Nervenendigung. d. Frosch- blase. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1872. — Nach Schwalbe’s Ref. 236 Rudolf Arndt: weit, sondern bleiben dieselben auf einem ihrem ursprünglichen Zustande noch näheren stehen, so bekommen wir auch die noch kleineren, den einfachen Zellen näher stehenden, unregelmässig ge- stalteten; nur mit einem feinen Fädchen als einzigem Fortsatz aus- gestatteten, ebenfalls unipolaren Körperchen, die stellenweise zu Haufen einem grösseren angelagert sind, stellenweise sparsamer liegen, und die wir in Fig. 26 zu zeichnen versucht haben. Anderweitig können diese Zellen aber auch noch eine besondere Umwandlung er- fahren und namentlich in Bezug auf ihre Kerne eine Art regressiver Metarmorphose eingehen. Die Kerne verkleinern sich dem Anschein nach, werden dabei länglich, dünn, durchscheinend, weniger markirt, bekommen statt ihrer 2, 3, oder noch mehr Kernkörperchen nur ein einziges, in selteneren Fällen auch ihrer 2, und werden da- durch zu den Ellipsoiden der Ganglienkörpersubstanz und in ihrem Verein durch Verschmelzung ihres Protoplasma zu der Neben- oder Lateralsubstanz mit den eingestreuten, hellen, kernkörperchen-ähn- lichen Kügelchen. Das pflegt nun, wie ich glaube, der gewöhnliche Fall zu sein, und die uns zur Zeit vorwiegend beschäftigenden Proto- plasmazüge der Lateralsubstanz sind danach aufzufassen als ein von mehreren Zellen herrührendes, zusammengeflossenes Protoplasma, das, wenn schliesslich auch mit dem der Centralsubstanz verschmolzen, von diesem genetisch dennoch vollständig zu trennen ist. Uebertragen wir nunmehr diese Ergebnisse unserer Untersu- chungen und Betrachtungen auf die Ganglienkörper des Sympathi- cus selbst, so stellt sich heraus, dass dieselben zum grossen Theil sehr zusammengesetzte Gebilde sind. Sie sind, so weit die letzten Punkte auf sie zutreffen, und das geschiehtin Bezug auf alle mitmehreren Fortsätzen ausgerüsteten Körper, keine einfachen Zellen oder Derivate dersel- ben, sondern sie sind ganze Zellenlager und zwarin mehr oder minder weit gediehener Umbildung und Or- ganisation zu bestimmten Zwecken. Halten wir dieses fest, so werden uns, wie ich ferner glaube, auch Hoch manche Besonderheiten der Ganglienkörper verständlich, die wir gelegentlich kennen gelernt haben. Entwickeln sich in einer solchen Zellengruppe z. B. statt einer Zelle zwei in gleichem Maasse, so bekommen wir die Ganglienkörper mit zwei Kernen, welche bei Kaninchen, Meerschweinchen die Regel zu bilden scheinen und beim Maulwurf. wenigstens sehr häufig vorkommen. Findet dabei ein Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 237 vermehrtes Wachsthum des Körpers nach einer Richtung hin statt, so kann derselbe eine ganz beträchtliche Längenausdehnung erfah- ren und die beiden Kerne können weit aus einanderrücken. Und wenn dabei die Substanz zwischen den Kernen verschmächtigt wird, so kann es aussehen, als ob zwei Ganglienkörper durch eine breite Brücke mit einander in Verbindung stehen. Wenigstens lassen sich so wohl am ehesten noch die Anastomosen zwischen zwei Körpern erklären, die ab und zu in den Präparaten aufstossen und von denen eine in Fig. 34 abgebildet worden ist. Findet dagegen bei einer solchen Entwicklung einmal eine vollständige Trennung der Gruppe in zwei Abtheilungen statt; oder entwickeln sich von vorn- herein zwei ihrer Zellen mehr selbstständig, während die übrigen zu Grunde gehen, oder weil von Anfang an nicht mehr vorhanden waren, so bekommen wir die Doppelkörper, bestehend aus unipolaren Ganglienkörpern, deren wir gedacht haben und die gelegentlich einmal als Körper in opponirter Stellung auftreten können. Und ähnlich verhält es sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch wohl in den Fällen, in welchen wir statt zwei auch einmal drei oder vielleicht noch mehr ziemlich gut entwickelte unipolare Körper in ein und derselben Hülle antrefien, wie z. B. in dem Falle, der durch Fig. 25 wiederzugeben versucht worden ist. Entwickeln sich ferner einmal mehrere Zeilen einer solchen Gruppe gleichzeitig bis zu einer gewissen Höhe, ohne dass dabei eine Trennung oder Ab- schnürung in einzelne Theile erfolgte, dann entstehen die Ganglien- körper mit mehreren oder vielen Kernen, wie wir sie beim Kanin- chen kennen gelernt und in Fig. 14 abgebildet haben. Bleibt die Entwicklung endlich noch tiefer stehen, verharren die Zellen auf einem dem embryonalen ähnlichen Zustande, vielleicht auch gar in demselben, dann bekommen wir auch im erwachsenen Thiere die Zellenkapseln und Zellenschläuche, wie sie Fig. 35 u. 36 darstellen, und die Koelliker als mit apolaren Ganglienzellen erfüllt betrachtet. Will man jede Nervenzelle auch eine Ganglienzelle nennen, so ist nichts dagegen einzuwenden. Anders ist aber doch davor zu warnen, weil gar zu leicht Missverständnisse erwachsen können und Dinge zusammengeworfen werden, welche, wie auch aus Obigem hervorgegangen sein wird, in der Natur ziemlich weit aus einander stehen. Nicht alle nervösen Zellen fanden wir indessen zu Gruppen vereinigt in eine besondere Hülle eingeschlossen. Eine beträchtliche 238 Rudolf Arndt: Anzahl, vielleicht die ungleich grössere Mehrzahl lag anscheinend frei in unregelmässigen Haufen, und unter diesen zumal trafen wir sehr viel solche an, welche durch eine gewisse Grösse und Form sich den eigentlichen Ganglienkörpern so näherten, dass sie gleich- sam den Uebergang von den einfachen Bildungszellen zu ihnen ver- mittelten. Da nun aber diese Körper wir ebenso wie die vorhin genannten Zellenschläuche auch noch in älteren Thieren fanden, also unter Verhältnissen, unter denen wir nicht mehr annehmen durften, dass sie sich noch weiter entwickeln möchten, so mussten wir der Vermuthung Raum geben, dass sie überhaupt erreicht hätten, was von ihnen zu erreichen war, und dass sie, ebenfalls wieder wie jene, in der Entwicklung stehen gebliebene Exemplare darstellten. Diese Gebilde nun waren es, welche wir vornehmlich im Sinne hatten, als wir weiter oben von apolaren Körpern redeten. Sie sind leicht zu finden und kann sich ein jeder sehr bald von ihrem Vorkommen überzeugen. Woher es kommen mag, dass sie anscheinend frei liegen, lassen wir dahingestellt sein. Doch kann man daran denken, dass ebenso wie sie, auch die Zellen der Bindesubstanz, welche, um mich so auszudrücken, bestimmt waren, für sie die Hüllen zu liefern und bei den Zellenschläuchen sie auch wirklich lieferten, dass auch diese in ihrer Entwicklung stehen blieben, einen dem embryonalen Zustande ähnlichen und damit von den Nervenzellen kaum zu unterscheidenden bewahrten und so weder eigentliches Bindegewebe noch Endothel lieferten. — Wenn also die Entwicklung der nervösen Zellen keinen bestimmten Typus ein- schlägt, sondern blos in einfacher Massenzunahme besteht und auf einem gewissen Punkte angelangt inne hält, dann bekommen wir die von den kleinen Nervenzellen unterschiedenen sogenannten »apolaren Ganglienkörper.« Dieselben haben indessen mit wahren Ganglienkörpern nichts gemein, sind keine zu bestimmten Zwecken modifieirten Nervenzellen oder Zellenlager, sondern Gebilde, welche sich nur so nebenher machten, ohne dem Ganzen zweckent- sprechend sich einzufügen. Sie sind gewissermaassen das Resultat einer Formatio luxurians und, wenn ich so sagen darf, ohne zu weiter gehenden Missverständnissen Veranlassung zu geben, hyper- trophirte doch nicht organisirte Nervenbildungszellen. Fassen wir nun endlich die Ergebnisse unserer Untersuchungen in Kurzem zusammen so findet sich, dass 1. alle mit mehreren Fortsätzen ausgerüsteten Ganglienkörper Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 239 des Nerv. sympathicus, also alle bipolaren und multipolaren, ganzen Zellencomplexen entsprechen und Abkömmlinge solcher Complexe sind, . alle unipolaren Ganglienkörper dagegen einfachen Zellen entsprechen und aus solchen hervorgegangen sind, . alle sogenannten apolaren Ganglienkörper, sind sie grös- ser, anomale Entwicklungsformen der ursprünglichen Bil- dungszellen darstellen, sind sie kleiner, solche Bildungs- zellen selbst noch sind. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIV. Die Zeichnungen sind nach einer Vergrösserung von ce. 1000 mal. (Gundlach Fig. Fig. Fig. NUT; „10. Kal: mi2: 13. syst. IX mit entsprechendem Oculare) entworfen. Endothelium aus der Hülle eines Ganglienkörpers des Ganglion cervicale supr. des Menschen. — Chromsäure-Präparat mit Carmin gefärbt. Endothelium einer Ganglienkörperhülle aus einem Ganglion thora- cicum des Rindes, frisch in 1°/, Essigsäure isolirt. Endothelium einer Ganglienkörperhülle von Belone in 1°/, Essig- säure macerirt. Nervenscheide von Rana in 1°/, Essigsäure macerirt. Grosser bipolarer (verstümmelter?) Ganglienkörper aus einem Gang- lion thoracicum des Rindes in 1 °/, Essigsäure isolirt. Grosser bipolarer Ganglienkörper mit nach derselben Richtung ver- laufenden Fortsät#en. Ebendaher. Unipolarer (verstümmelter?) Ganglienkörper mit einem grossen 2 Kernkörperchen haltenden Kerne. Ebendaher. .8u.9. Kleine multipolare Ganglienkörper mit je einem starreren Fort- satze a. Ebendaher. Kleiner unipolarer, unverstümmelter Ganglienkörper. Ebendaher. Grosser multipolarer Ganglienkörper mit mehreren, sich wiederholt theilenden Fortsätzen und einem einfachen starreren a. Ebendaher. Grosser multipolarer Ganglienkörper mit mehreren, durch wieder- holte Theilung zuletzt 5 Fortsätzen auf der einen und einem einzigen anscheineud ungetheilten Fortsatze auf der anderen Seite. Aus dem Plexus coeliacus des Hundes in ?/, °/, Chromsäure macerirt. Multipolarer Ganglienkörper aus dem Bauchsympathicus des Kanin- chens mit zwei Kernen und Fig. Fie. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. .. 14. ‚48. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32, Rudolf Arndt: Desgl. mit mehreren Kernen. Beide in 1°/, Lösung des chrom- sauren Ammoniak isolirt. Stück eines Ganglienkörpers aus kleinen sphäroiden Körpern gebil- det. Aus dem Sympathicus des Maulwurfs in Jodserum macerirt. . Ganglienkörper aus dem Bauchsympathi@us des Maulwurfs frisch in Jodserum zerzupft. Neben der dichten feinkörnigen Centralsubstanz a, eine hellere anscheinend mehr zerklüftete Lateralsubstanz b, aus welcher sich der Fortsatz e entwickelt. . Ganglienkörper aus dem Bauchsympathicus des Maulwurfs. Die dichtere Centralsubstanz, aus welcher der Fortsatz a entspringt, von der weniger dichten Lateralsubstanz, aus welcher der Fortsatz b entspringt, mantelartig eingeschlossen. Theil eines Ganglienkörpers aus sphäroiden Körpern gebildet, aus einem Brustganglion des Schweines. Goldpräparat. Multipolarer Ganglienkörper aus einem Brustganglion des Schweines. Aus der aus Sphäroiden gebildeten Centralsubstanz entspringt der starre Fortsatz a; aus der aus Ellipsoiden gebildeten, die Central- substanz mantel- resp. schleierartig umgebenden Lateralsubstanz entspringen die drei zarteren Fortsätze. Ganglienkörpergruppe aus dem Bauchsympathicus des Frosches. Jodserumpräparat. Desgl. Doppelkörper von ebendaher. Kleiner, unipolarer Ganglienkörper von einem Doppelkörper des Frosches. Ganglienkörper aus dem Bauchsympathicus des Frosches, aus der dichteren Centralsubstanz mit dem Fortsatze a und der mehr zer- klüfteten Lateralsubstanz mit dem Fortsatze b gebildet. Macerirt in Jodserum. Ganglienkörpergruppe in einer einzigen Hülle vom Sperling. Serum- präparat. x Zusammengesetzter Ganglienkörper vom Sperling. Serumpräparat. Ganglienkörper mit Spiralfaser aus dem Bauchsympathicus des Frosches. Macerirt in 1°/, Essigsäure. Ganglienkörper mit sehr hoch entspringender der Spiralfaser ent- sprechenden Faser. Ebendaher. Ganglienkörper mit Spiralfaser vom Sperling. Serumpräparat, Bipolarer Ganglienkörper vom Sperling mit Fortsatz a aus der Central- substanz und Fortsatz b aus der Lateralsubstanz. Serumpräparat. Bipolarer Ganglienkörper vom Sperling mit‘ Fortsatz a aus der Central- und Fortsatz b aus der Lateralsubstanz, welche aus Ellipsoiden ge- bildet wird. Serumpräparat. Ganglienkörper vom Sperling, theilweise in Ellipsoiden zerfallend, Serumpräparat. Untersuchungen über die Ganglienkörper des Nervus sympathicus. 241 Fig. 33. Nervenzellengruppe in bindegewebiger Hülle vom Sperling, in Serum präparirt. Fig. 34. Eine Ganglienkörper-Anastomose aus dem Sympathicus des Sperlings. Serumpräparat. Fig. 35 u. 36. Nervenzellengruppen in bindegewebiger Hülle — Zellenschläuche, Zellenkapseln — aus einem Ganglion thoracicum des Hundes. In 1/15 °/o Chromsäure macerirt. Fig. 37. Ganglienkörpergruppe mit drei verschiedenen Nervenfasern aus dem Sympathicus von Belone. Jodserum. Fig. 38. Ganglienkörper aus dem Sympathicus von Perca mit !/,, °/, Essig- säure behandelt. Hülle mit bandförmigen Verbindungen, welche eine Spiralfaser vorzutäuschen im Stande sind. Fig. 39. Ganglienkörpersubstanz. (Hartnack. X. 4). M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. 16 Die Structur der electrischen Platten von Mala- pterurus. Von Dr. Franz Boll, Privatdocenten u. Assistenten am physiolog. Jaaboratorium der Universität Berlin. Hierzu Tafel XV. Nachdem an den electrischen Platten von Torpedo der Nach- weis eines bisher noch unbekannten und einzig in seiner Art daste- henden Structurverhältnisses geführt worden war !), erschien es nunmehr im höchsten Grade wünschenswerth, die electrischen Or- gane auch der beiden anderen Fische, des Malapterurus und des Gymnotus mit Rücksicht auf das bei Torpedo aufgedeckte Structur- verhältniss einer erneuten Untersuchung zu unterwerfen. Das mir zu diesem Zwecke zu Gebote stehende Material bestand in einem kleinen in Spiritus aufbewahrten Stück des electrischen Or- gans von Gymnotus (unbekannter Herkunft) und in mehreren grös- seren Stücken des electrischen Organs von Malapterurus. Dieselben stammten von den im J. 1858 im Berliner physiologischen Labora- torium verstorbenen Exemplaren des Malapterurus electricus var, Beninensis und waren unmittelbar nach dem Tode der Thiere präparirt und in ein grosses wohlverschlossenes Glas voll Chrom- säurelösung gethan worden. Die Lösung enthielt '/;, Gran trockner Chromsäure auf die Unze Wasser, hatte mithin eine Concentration von 1: 960. 1) Die Structur der electrischen Platten von Torpedo. Dieses Archiv 8. 101. Die Structur der electrischen Platten von Malapterurus. 243 Da meine mit dem electrischen Organ von Torpedo angestell- ten Versuche ergeben hatten, dass die Punktirung der electrischen Platten durch Alcohol sich nicht conserviren lasse, so bot schon von vorne herein die Untersuchung des in Spiritus aufbewahrten Organs von Gymnotus kaum irgendwelche Aussicht auf Erfolg. Es ist mir in der That auch nicht gelungen, in dem — übrigens nur in einem sehr schlechten Erhaltungszustande befindlichen — Präparate irgend etwas zu sehen, was dem neuentdeckten Structur- verhältniss bei Torpedo entsprochen hätte. Auch werden die hier- nach angestellten Untersuchungen wohl schwerlich eher Erfolg haben, ehe nicht Stücke des Gymnotus-Organs in anderen conservirenden Flüssigkeiten als Alcohol nach Europa und in die Hände der Histio- logen selangt sind. Bessere Aussichten boten die in Chromsäure gehärteten Prä- parate von Malapterurus. Da es mir gelungen war, an Organen von Torpedo, welche mit Müller’scher Flüssigkeit behandelt worden waren, meine Structur wiederzufinden, so konnte ich mit einiger Wahrscheinlichkeit erwarten, dass die bei Malapterurus angewandte erhärtende Chromsäurelösung von etwa !/ıo °/, die fragliche Structur — wenn eine solche vorhanden — nicht zerstört haben würde. In der That zeigte mir gleich das erste Präparat, welches ich an- fertigte, in überraschender Deutlichkeit ein Bild, in welchem ich nichts anderes als die vollkommene Analogie der von mir bei Tor- pedo entdeckten Structur wiedererkennen konnte. Die Pünktchen sind bei Malapterurus ganz identisch vorhanden wie bei Torpedo; am besten fällt die vollkommene Gleichheit beider Bildungen in die Augen, wenn man die Chromsäurepräparate von Malapterurus nicht mit den in Osmiumsäure, sondern mit den in Müller’scher Flüssigkeit erhärteten Präparaten von Torpedo vergleicht, Der blosse Hinweis auf Max Schultze’s Monographie ') vermag mir alle einleitenden Bemerkungen über die Anordnung und die schon bei schwächerer Vergrösserung erkennbaren Eigen- thümlichkeiten der electrischen Platten zu ersparen, und ich kann alsbald mich der Erklärung meiner Fig. 1 zuwenden, welche einen reinen Querschnitt einer ganzen electrischen Platte darstellt. Der Schnitt ist nicht durch den geometrischen Mittelpunkt der nahezu 1) Zur Kenntniss der elecetrischen Organe der Fische. Erste Abtheilung. Malapterurus. Gymnotus. Abhandl. der Naturf. Gesellsch. in Halle. Bd. IV. 1858. 244 Dr. Franz Boll: kreisrunden eleetrischen Platte, (welcher mit der Nerveneintritts- stelle zusammenfällt) geführt worden, sondern entspricht vielmehr einer nicht sehr langen Sehne, welche vielleicht nur ein Zehntel der Kreisfläche abgeschnitten hat. Die natürlichen Enden (oder vielmehr die beiden Querschnitte des Randes) der electrischen Platte (welche durch in der Zeichnung nicht wiedergegebene Bindegewebszüge an das die Hinterfläche anderer electrischer Platten bekleidende Binde- gewebe angeheftet sind) sind erhalten. Ich fand sie an meinem Präparat ausnahmslos etwas von hinten nach vorn gebogen wie der Rand eines flachen Tellers, nur unregelmässig. Mit Leichtigkeit ist an den querdurchschnittenen Platten — auch wenn sie isolirt und ohne orientirenden Zusammenhang mit dem übrigen Präparat sind, auch wenn keine durch den Schnitt getroffene Nerveneintrittsstelle einen Fingerzeig abgiebt — Vorderseite und Hinterseite zu unter- scheiden. Die vordere (dem Kopf des Thieres zugekehrte) Fläche ist stets frei; der hinteren Fläche liegen stets mehr oder minder dichte Züge fibrillären und gefässhaltigen Bindegewebes an. Auch sind die (auf dem Querschnitt als Einschnitte erscheinenden) Thäler und Furchen, welche mit Erhöhungen abwechselnd die unregelmässig wellenförmige Oberfläche der electrischen Platte bedingen, stets viel tiefer und ausgesprochener auf der vorderen und viel seichter und schwächer auf der hinteren von dem Bindegewebszug bedeckten Fläche. Mit stärkeren Objeetiven untersuchend — zu dieser Wahr- nehmung ist bereits die trockene Linse Nr. IX von H artnack völlig ausreichend — erkennt man sofort an der Vorderfläche der electrischen Platten eine Schicht, welche ganz der von mir bei Torpedo beschriebenen punktirten Schicht entspricht. In den Quer- schnittsbildern entspricht dieser Structur eine feine senkrechte auf den Rand der Platte gerichtete Längsstreifung, die bei Malapteru- rus sehr viel deutlicher und leichter zu sehen ist wie bei Torpedo (Vgl. die Abbildungen Figg. 1, 5—9, besonders aber die bei stär- kerer Vergrösserung gezeichnete Fig. 2). In den Flächenansichten entspricht dieser Structur das Bild der Fig. 3, welches ganz an die Flächenansicht der electrischen Platten von Torpedo erinnert, mit dem einzigen Unterschiede, dass die bei dem letztgenannten Objekt durch das Koelliker'sche Terminalnetz bedingte netzförmige Anordnung der Pünktchen bei Malapterurus nicht existirt, sondern die Pünktchen in einer eines jeden bestimmten Anordnungsprineipes Die Structur der eleetrischen Platten von Malapterurus. 245 entbehrenden Homogenität über die ganze Fläche ausgesäet sind. '). Um dieses Bild zu erhalten, bedarf es durchaus nicht der Anferti- gung besonderer Flächenschnitte des Organs. In den reinen Quer- schnitten des Organs legen sich häufig die aus den einzelnen Plätt- chen ausgeschnittenen Stücke derart auf die Seite, dass mehr oder minder schräge Flächenansichten der elecetrischen Platten fast in jedem Präparate zu Stande kommen. Auch bringt es die ungleich- artige, wellenförmig unebene Fläche der eleetrischen Platte mit sich, dass oft auch an reinen und vollkommen richtig gelagerten Quer- schnittsbildern neben der feinen Streifung des Randes noch ein Stück . der Plattenoberfläche mit in dem Gesichtsfelde liegt. Derartige Bilder (vgl. Fig. 2) kommen oft vor und geben die sicherste Ueber- ‘zeugung, dass hier in der Punktirung des Flächenbildes und in der feinen Streifung der querdurchschnittenen Ränder sich ein Structur- verhältniss ausprägt, welches mit der an den electrischen Platten von Torpedo nachgewiesenen Structur auf das Genaueste überein- stimmt. Sehr viel später, als auf diese Punktirung der freien vorderen Fläche der eleetrischen Platten, wurde ich darauf aufmerksam, dass die identische Punktirung auch an der von Bindegewebszügen be- deckten Hinterfläche der electrischen Platten gleichfalls vorhanden ist. Eben diese Bindegewebszüge erschweren ihre Wahrnehmung ausserordentlich, und ich ward derselben zuerst an solchen Stellen gewahr, wo sich das Bindegewebe von der Hinterlläche der elec- trischen Platte abgelöst hatte und die Fläche selbst frei zu Tage lag (vgl. Fig. 2), die dann ganz ebenso wie die Vorderfläche eine feine Streifung zeigte. Später vermochte ich diese Streifung auch dort nachzuweisen, wo das Bindegewebe der Hinterfläche un- mittelbar anlag. Sie ist hier, manchmal mehr manchmal weniger deutlich, stets vorhanden und entzieht sich dem Auge nur dort, wo das Bindegewebe zu dicht und mächtig ist (vgl. Figg. 1, 5—9). 1) Um die Uebereinstimmung der beiden Structuren auch im Bilde zu veranschaulichen, habe ich in Fig. 10 noch das Flächenbild der electrischen Platte von Torpedo wiedergegeben und mit dem Flächenbilä von Malapterurus -(Fig. 3) zusammengestellt. Diese neue Zeichnung (Fig. 10) ist mir besser gelungen und verdient bei weitem den Vorzug vor der ersten von mir ver- öffentlichten Abbildung (dieses Archiv X Tafal VIII. Fig. 5.), die von dem Lithographen dazu noch in sehr unbefriedigender Weise wiedergegeben worden ist. 246 Dr. Franz Boll: Auch auf den Flächenbildern (Fig. 4) gelingt es, die der Streifung ent- sprechende Punktirung durch die Bindegewebszüge hindurch wahr- zunehmen. An dem Rande der electrischen Platte (Fig. 5) gehen die beiden Punktirungen, die der freien Vorderlläche und die der von Binde- gewebe überzogenen freien Hinterfläche continuirlich in einander über, so dass es sich hier offenbar um ein und dieselbe Structur handelt, welche Vorder- und Hinterfläche der eleetrischen Platte gleichmässig überzieht. An den electrischen Platten von Malapte- yurus ist mithin eine eigenthümlich structurirte, dieselbe ganz umschliessende Hülle von einem Inhalt zu unterscheiden '). Die ın der Hülle enthaltene Hauptsubstanz der eleetrischen Platte erscheint an meinen Präparaten auch bei den stärksten Vergrösserungen einer besonderen Structur zu entbehren. In dieselbe sind eingebettet doppeltcontourirte rundliche Kerne (mitunter auch Doppelkerne vgl. Fig. 1), über deren Vertheilung wie über die Form der Platten überhaupt ich Bekanntes nicht wiederholen will; um die Kerne herum, besonders mächtig an ihren beiden den freien Plattenflächen zuge- kehrten, Polen findet sich eine Ansammlung körniger Masse (Proto- plasma), welche an den dicken Stellen der Platte wie zu einem langen Faden oder Faser ausgezogen erscheinen kann, sodass das Ganze den Eindruck einer kernhaltigen spindelförmigen Zelle macht. (Vgl. Fig. 1.) Ausserdem erscheint in meinen Präparaten die ganze Substanz der Platten durchsetzt von kleinen hellen Bläschen von nahe- zu ganz gleicher Grösse. Ich willnicht entscheiden, ob hier ein prä- formirtes Structurverhältniss odereine Einwirkungdes Reagens vorliegt. Es war nunmehr von hohem Interesse zu untersuchen, wie sich die beiden Constituenten der electrischen Platte von Malapte- rurus, die, punktirte Hülle und der kernhaltige „structurlose* In- halt, im Centrum der electrischen Platte an der Eintrittsstelle der Nerven verhalten. Hierüber konnte Folgendes festgestellt werden. (Vgl. die Abbildungen Figg. 6—9.) An der freien Vorderfläche der eleetrischen Platte ist die ganze eomplieirte Bildung des sog. Nervenknopfes (M. Schultze), die vulcanartig gestaltete Er- höhung nebst der kraterförmigen Vertiefung auf ihrer Spitze con- 1) Schon Bilharz (das electrische Organ des Zitterwelses, Leipzig 1857. S. 34) lässt die Oberfläche der electrischen Platte von „einem äusserst zarten structurlosen Häutchen‘‘ überzogen sein, Die Structur der electrischen Platten von Malapterurus. 247 tinuirlich von der punktirten Schicht überzogen. Ebenso pflanzt sich von der Hinterfläche der electrischen Platte die Punktirung ohne jede Unterbrechung oder Aenderung ihres Verhaltens auf den rundlichen unregelmässig gestalteten kernhaitigen Fortsatz fort, der hier von dem Centrum der electrischen Platte ausgeht und die Substanz der letzteren mit dem Nerven in unmittelbare Continuität zu bringen bestimmt ist. Die Thatsache, dass die für die electrischen Platten in so hohem Grade charakteristische Structur sich auf die ganze Lönge dieses Fortsatzes fortpflanzt (welcher Fortsatz an und für sich schon die höchste Uebereinstimmung. mit der Structur der electrischen Platte zeigt, von der er sich eigentlich nur durch die geringeren Dimensionen seiner Kerne unterscheidet) beweist bis zur Evidenz, dass dieser vom Oentrum der electrischen Platte ausgehende Fort- satz nicht als eine — nur mehr oder minder modificirte — Nerven- faser, sondern als ein echter Fortsatz der Substanz der eleetrischen Platte mit allen Eigenthümlichkeiten der letzteren ausgestattet, anzusehen ist. Der Uebergang des Nerven oder wenn man will die Endigung des Nerven in der eleetrischen Platte ist mithin nicht im Centrum der electrischen Platte, sondern an dem äussersten Ende des von diesem Centrum ausgehenden rundlichen Fortsatzes (in der durch a bezeichneten Stelle der Fig. 9) zu suchen. Hier befindet sich eine spindelförmige Anschwellung, welche die Verbindung zwischen dem beschriebenen Fortsatz einerseits und einer einfachen starken markhaltigen Primitivfaser andererseits vermittelt, und welche ganz constant und in einer sehr characteristischen Weise die Stelle bezeichnet, an welcher die -Markscheide der Primitivfaser aufhört (M. Schultze). Hier ist es, wo künftige Forschungen festzustellen haben werden, wie der Uebergang des Axencylinders in die Substanz der electrischen Platten erfolgt und wie sich bei diesem Uebergang die beiden erkannten Bestandtheile der electri- schen Platte, Hülle und Inhalt, verhalten. Eine Entscheidung die- ser wichtigen Frage wird jedoch wohl nur an frischen Präparaten möglich sein. An meinen Chromsäurepräparaten verhinderten die in der spindelförmigen Anschwellung reichlich angesammelten Ge- rinnungsformen des Nervenmarks jede bestimmtere Erkenntniss, und meine Vermuthung, dass die Hauptsubstanz der electrischen Platte eine Ausbreitung der centralen Masse des Axeneylinders, die punktirte Hülle die Ausbreitung einer peripheren Schicht, einer Art 248 Dr, Franz Boll: Membran des Axencylinders sei, liess sich nicht einmal auch nur zu einem geringen Grade von Wahrscheinlichkeit erheben. Für jetzt lässt sich über die Nervenendigung im electrischen Organ von Ma- lapterurus nicht mehr aussagen, als was schon Bilharz wusste, und was schon die einfache Betrachtung eines jeden Querschnitts der Nerveneintrittsstelle lehrt, dass „die electrische Platte als eine flächenhafte Ausbreitung des Axencylinders des zu ihr gehörigen Nerven anzusehen ist“ (Bilharz). Vergleichen wir die an den electrischen Platten von Torpedo und Malapterurus gewonnenen Thatsachen mit einander, so ergiebt sich als das wichtigste Resultat, dass diesen beiden eine Structur sui generis zukommt, eine Bildung, die im Gebiete der mikrosko- pischen Anatomie ebensowenig ein Analogon besitzt, wie die elec- trischen Organe in der Naturüberhaupt besitzen, undirreich wohl nicht, wenn ich dieser Structur, die so ganz eigenthümlich ist, eine ge- wisse Beziehung zu den ebenso ganz abnormen physiologischen Leistungen der electrischen Organe zuschreibe. Welcher Art diese Beziehung sei, vermögen wir zur Zeit nicht zu sagen, ja wir ver- mögen nicht einmal zu vermuthen, welcher Art diese Beziehung möglicher Weise sein könnte. Leider kann auch eine andere, z. Z. sehr viel näher liegende und leichtere Frage noch nicht mit Gewissheit beantwortet werden. Noch viel weniger als an den electrischen Platten von Torpedo, die ich doch in absolut frischem Zustande und mit den besten Metho- den wochenlang untersuchen konnte, wage ich an den Chromsäure- präparaten von Malapterurus zu entscheiden, ob diese den electri- schen Platten eigenthümliche Zeichnung auf der Existenz von „Pünktchen“ d. h. Kügelchen oder auf der Existenz kleiner Cylinderchen beruht, speciell ob die feine Streifung, welche die Querschnitte der electrischen Platten von Torpedo und von Mala- pterurus übereinstimmend zeigen, reell oder ob sie eine Täuschung ist, ob die deutlich sichtbaren Streifen der Ausdruck wirklich vor- handener, senkrecht zur Oberfläche der Platten gestellter Cylinder- chen oder ob sie nur der Ausdruck einer von Punkten, d. h. klei- nen Kugeln ausgeübten Diffraction sind. Ich will hier nur bemerken, dass die fragliche Structur bei Malapterurus etwas deutlicher und wohl in etwas grösseren Dimensionen ausgeprägt zu sein scheint, Die Structur der electrischen Platten von Malapterurus. 249 wie bei Torpedo. Es ist daher zu hoffen, dass der erste Forscher, welcher Gelegenheit haben wird, Malapterurus frisch oder unter Anwendung der Osmiumsäure zu untersuchen, in dieser schwierigen Frage Klarheit schaffen wird. Von dieser wesentlichen und principiellen Uebereinstimmung des Besitzes der identischen Structur abgesehen, erscheinen nun aber die electrischen Platten von Torpedo und Malapterurus so verschieden gebaut wie nur denkbar ist. Zu der electrischen Platte von Torpedo tritt eine Anzahl von Nervenfasern, welche, indem sie in der Platte endigen, sich in ein dichtes Netz auflösen. Zu der electrischen Platte von Malapterurus begiebt sich nur eine einzige völlig unverästelte gewöhnliche Nerven- primitivfaser. Bei Torpedo zeigt die electrische Platte ihre eigenthümliche Structur nur an einer Seite. Bei- Malapterurus ist dieselbe Struc- tur an beiden Seiten vorhanden. An den Platten von Malapterurus lassen sich Hülle und Inhalt unterscheiden; an den Platten von Torpedo zwei Schichten. Bei Torpedo besteht ein bestimmter nachweisbarer Zusammen- hang zwischen der letzten netzförmigen Ausbreitung der Nerven und der Pünktchen; ein solcher ist bei Malapterurus überhaupt undenkbar, da hier gar keine netzartige Nervenausbreitung vor- handen ist )). Bei Torpedo findet sich eine ganz bestimmte Beziehung der Structur zu der Seite des Nerveneintritts und zu der Richtung des Schlages; eine solche besteht bei Malapterurus nicht, ja die Ver- hältnisse liegen hier so, dass von einer solchen hier überhaupt nicht die Rede sein kann. Ich muss diesen letzten Punkt etwas ausführlicher berühren und den eigenthümlichen Wechsel recapituliren, den unsere anato- mischen Vorstellungen schon in dieser Frage durchgemacht haben und noch weiter durchzumachen haben werden. Nachdem anatomische und physiologische Untersuchungen bei 1) Da die Pünktchen bei Malapterurus wie bei Torpedo offenbar iden- tische Bildungen sind, so dürfte der Umstand, dass dieselben bei ersterem in keiner Beziehung zu einer etwaigen Nervenausbreitung gedacht werden können, auch dagegen sprechen, dass sie bei Torpedo als feinste, kurze Ner- venfasern anzusehen sind. 250 Dr. Franz Boll; Torpedo und Gymnotus übereinstimmend ergeben hatten, dass die- jenige Fläche der electrischen Platten, in welche die Nerven eintre- ten, im Momente des Schlages die negative sei, und als alle Welt die gleiche Uebereinstimmung bei Malapterurus erwartete, ergab die anatomische (Bilharz) und physiologische (Ranzi, E. Du Bois-Reymond) Erforschung des Malapterurus-Organs die That- sache, dass bei Malapterurus im Gegentheil die Nerven an die im Momente des Schlages positive Seite herantreten, und schuf so einen Widerspruch, der die anatomisch-physiologische Harmonie der Lehre von dem electrischen Organe in der empfindlichsten Weise stören musste. Diesen Widerspruch suchte Max Schultze in das Gegen- theil, in eine die Regel nur bestätigende Ausnahme zu verwandeln dadurch, dass er nachzuweisen suchte, dass die Nerveneintrittsstelle einer Durchbohrung der electrischen Platte gleichzurechnen sei, dass mithin der Nerv allerdings scheinbar von der positiven Seite her- antrete, dass er aber alsdann die Platte durchbohre, frei an der negativen Seite zu Tage trete und dann erst in Form und vermit- telst strahlig sich ausbreitender Leisten in die vordere — negative! — Fläche sich einsenke. Im Gegensatze hierzu behauptete Hartmann'), dass eine derartige Annahme rein willkürlich sei und dass der Nerv sich nicht bloss scheinbar, sondern auch virtuell in die im Momente des Schla- ges positive Seite einsenke. Die ganze hieran sich knüpfende Controverse ?) vermag nun- mehr wohl kein Interesse mehr zu beanspruchen, da durch die vor- liegenden Untersuchungen das Fundament der ganzen Frage ein wesentlich anderes geworden ist. Mit dem Nachweise, dass das fragliche Gebilde, welches den Nervenknopf in der Mitte der elec- trischen Platte bildet, keinenfalls mehr als Nervenfaser angesehen werden darf, vielmehr bereits mit allen Kennzeichen electrischer Plattensubstanz ausgestattet ist, verliert dieFrage, ob der »Nerven- knopf« in die vordere oder in die hintere Fläche der electrischen 1) Bemerkungen über die electrischen Organe [der Fische. Reichert’s und Du Bois-Reymond’s Archiv 1861. S. 646. 2) M. Schultze, Ueber die electrischen Organe der Fische. Rei- chert’s undDu Bois-Reymond’s Archiv 1862, S. 470. — R. Hartmann, Bemerkungen über die eleetrischen Organe der Fische. Ebenda 1862. 8. 762. Die Structur der electrischen Platten von Malapterurus. 251 Platte übergehe, ihre Bedeutung. Auf die Frage: Geht die Nervenfaser bei Malapterurus in die positive (hintere) oder negative (vordere) Seite über, ist weder mit Bilharz undHartmann: in die hintere noch mit Max Schultze: in die vordere zu antworten, sondern die richtige Antwort heisst: in keine von beiden. Der im Centrum der eleectri- schen Platte befindliche Fortsatz ist kein heterologes Ding und geht als solches weder in die vordere noch in die hintere Fläche der electrischen Platte über, sondern es ist ein Ausläufer der Substanz der electrischen Platte selbst, mit allen Kennzeichen dieser Substanz versehen. Zuerst ist dieser Ausläufer noch unregelmässig gestaltet, formt sich jedoch bald zu einem drehrunden, kernhaltigen Strange electrischer Plattensubstanz, der auf seiner ganzen freien Oberfläche von der punktirten Hülle der electrischen Platte überzogen wird und geht dann sich mehr und mehr verschmälernd in den Axen- eylinder einer Nervenprimitivfaser, die in demselben Augenblicke ihre Markscheide verliert, über. Unter diesen Verhältnissen wird man, obwohl der von der electrischen Platte ausgehende Fortsatz stets nach der hinteren Fläche gerichtet ist, doch nicht eigentlich von einer Beziehung der eintretenden Nervenfaser zu der hinteren Fläche sprechen dürfen, mit derjenigen Bestimmtheit, wie man bei Torpedo und auch bei Gymnotus (?) davon zu sprechen berechtigt ist. Sondern indem die electrische Platte mit allen ihren Attributen, mit Hülle und Inhalt sich in ihren Oentralstiel, wie ich in Erman- gelung einer besseren Bezeichnung diesen Fortsatz nennen will, fortsetzt, ist an diesem der Unterschied zwischen Hinter- und Vor- derfläche als verwischt zu betrachten und die in diesen Central- stiel übergehende Nervenfaser kann mit keiner — weder der vorde- ren noch der hinteren — Fläche, sondern einzig mit Hülle und Inhalt der electrischen Platte in Beziehung gebracht werden. Es hat die vorliegende Untersuchung allerdings die schöne Uebereinstimmung gestört, welche durch die von Max Schultze gelehrte Auffassung der electrischen Platten von Malapterurus zwischen den anatomisch-physiologischen Eigenschaften der drei electrischen Organe bestand. Andrerseits ist durch dieselbe doch nicht wieder jener unerquickliche und so zu sagen unlogische Zustand hergestellt worden, der vor Max Schultze’s Arbeit über Mala- pterurus in der Lehre von den electrischen Organen herrschte, und welcher das electrische Organ des letzteren in einen directen Gegen- satz zu Torpedo und Gymmnotus setzte. Mit der Entdeckung der 252 Dr. Franz Boll: den electrischen Organen eigenthümlichen Structur ist die Lehre von diesen räthselhaften Organen nunmehr in eine neue Phase ge- treten, welche, wie ich zuversichtlich hoffe, trotz der augenblicklich bestehenden Schwierigkeiten und Widersprüche zur Erkenntniss des wahren Structurprincips dieser Organe führen wird. Zur Zeit sind die Widersprüche, die in der Structur der beiden genau untersuch- ten electrischen Organe bestehen, allerdings noch gross und schein- bar unübersteiglich. Doch glaube ich zuversichtlich, dass die For- schung nunmehr den rechten Weg betreten hat, und dass schon die nächste genauere Untersuchung des electrischen Organs von Gym- nctus uns den Schlüssel zum Verständniss des Baues der electrischen Örgane von Torpedo und Malapterurus geben wird. Ist doch jetzt — um ein berühmtes Gleichniss zu gebrauchen — der Stand der Frage einer Aufgabe vergleichbar, in welcher drei Unbekannte durch zwei Gleichungen bestimmt werden sollen. Erst dann wird das den electrischen Organen zu Grunde liegende Structurprincip mit Sicherheit festzustellen sein, wenn erst durch eine genaue Untersuchung des electrischen Organs auch von Gymnotus die dritte Bestimmungsgleichung gegeben sein wird. Den für die Structur der electrischen Organe sich specieller interessirenden Fachgenossen bin ich gern erbötig, ebenso wie von Torpedo auch von Malapterurus, aus dem Vorrath meiner Präpa- rate abzugeben. 27. August 1873. Die Structur der elecetrischen Platten von Malapterurus. 253 Nachträgliche Anmerkung. Bei den motorischen Endplatten von Lacerta, die in °/4 pro- centiger Kochsalzlösung untersucht wurden, zeigt die sog. »granu- lirte Sohlensubstanz«, die »Plattensohle«, das »Protoplasmapolster« (W. Kuehne), die »anscheinend feinkörnige Masse« (W. Krause) eine Structur, die ich keinen Anstand nehme, mit der von mir an den electrischen Platten von Torpedo und Malapterurus entdeckten Punktirung für identisch zu erklären. Hierdurch erhält die Auffas- sung W. Krause’s, welcher die motorischen Endplatten der Mus- keln für kleine electrische Platten erklärt, eine neue und entschei- dende Stütze. Die ausführliche und mit Abbildungen versehene Veröffent- lichung dieser meiner Beobachtungen, die ich ursprünglich unmittelbar an die Publication der vorstehenden Abhandlung anzuschliessen be- reit war, sehe ich mich seit Kurzem veranlasst, noch auf einige Zeit hinauszuschieben, da mir durch meine Berufung nach Rom die baldige Gelegenheit geboten wird, meine etwas lückenhaften Beobachtungen über die Endplatten von Torpedo, Raja und anderer Selachier (Vgl. Reichert’s und Du Bois-Reymond'’s Archiv 1873.8. 97) zu ver- vollständigen und im Zusammenhange mit den Beobachtungen über die motorischen Endplatten von Lacerta herauszugeben. Berlin, 25. October 1873. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XV. Die römischen Zahlen zeigen die Nummern der Hartnack’schen Objective, die arabischen die der Oculare an. Fig. 1. IX sec. 2. Querschnitt durch eine ganze electrische Platte von Ma- lapterurus. Fig. 2. IX Immersion, 3. Ein Stück eines Querschnitts einer electrischen Platte von Malapterurus. Fig. 3. IX sec. 3. Punktirung der vorderen Plattenfläche. Fig. 4. IX see. 3. Punktirung der hinteren Plattenfläche. Fig. 5. IX sec. 3. Querschnitt des Randes einer electrischen Platte. 254 Dr. Franz Boll: Die Structur d. electrischen Platten von Malapterurus,. Fig. 6—8. IX sec. 2. Querschnitte durch das Centrum der electrischen Platte. Fig. 9. IX sec. 2. Querschnitt durch das Centrum einer electrischen Platte nebst Nervenendigung. Fig. 10. IX Immersion, 3. Punktirung der electrischen Platte von Torpedo. Druckfehler in dem Aufsatz über die electrischen Platten von Torpedo in diesem Bande. Seite 102 Zeile 3 von oben lies Nervenendigung statt Nervenendigungen. ODER ION enmtene.e RiISso „ Rosso. BET FE He si „ Pphysikal. „ Physiol. „ 113 „10 ,„ oben „ musste dieselbe „ müssen dieselben. dinnlar Klaus ssllls, „musste „ müsste. la On rplane „ glatt. » „ib, .. 1), unten, Dicke „ dritte Bellen: a0. » „» . gefalteten „ gefärbten. AO aD Ka ” „var. nn vacı Eine Methode, Axencylinderfortsätze der Ganglien- zellen des Rückenmarkes zu demonstriren. Von Dr. Hermann Zuppinger, Assistenzarzt an der Irrenanstalt Burghölzli bei Zürich. Da die Tinetion mit Carmin und Goldchlorid bei Präparaten der Nervencentren die Fortsätze der Ganglienzellen nur schlecht und auf kurze Strecken erkennen lässt, so versuchte ich nach einan- der mehrere andere Methoden, theils einzeln, theils combinirt. Ich kam aber zu keinem andern Resultat, bis ich mit in Wasser lös- lichem Anilinblau operirte. Die mit diesem Farbstoff gewonnenen Präparate zeigen die Faserverläufe und die Zellenfortsätze viel schöner, als ich sie zuerst gesehen habe. Allerdings wird das feine Fasernetz, das bei der Behandlung mit Goldchlorid sichtbar wird, so nicht deutlich. Die Carminpräparate dagegen haben jedenfalls vor den Anilinpräparaten nichts voraus als ihre grössere Dauerhaftigkeit. Während ich zum Beispiel in 100 Carmin- und Goldpräparaten vom Rückenmark kaum einen deutlichen Axencylinderfortsatz finden konnte, kommt auf 3 mit Anilinblau tingirte Rückenmarksschnitte mindestens 1 solcher- Fortsatz; ich habe in einem einzigen Präparat bis fünf Axencylinderfortsätze gesehen. Die Methode, die ich anwandte, ist folgende. Die Schnitte von in Kaliumbichromat gehärtetem Hirn oder Rückenmark wurden mit angesäuertem Wasser ausgewaschen, in eine mit Essig- oder Salzsäure schwach angesäuerte Lösung des käuflichen in Wasser lös- lichen Anilinblau gebracht und vor Lichteinwirkung geschützt stehen gelassen, bis die Schnitte ziemlich dunkelblau sind. Ist die Färbung 256 Dr. H. Zuppinger: EineMethode, Axeneylinderfortsätze zu demonstriren. nur eine grüne geworden, so müssen die Schnitte noch in der Tinetionsflüssigkeit liegen bleiben. Zu bemerken ist noch, dass die Schnitte sich nirgends decken dürfen, da sonst die Färbung ungleichmässig wird. Sind die Schnitte genügend tingirt, so werden sie mit angesäuertem Wasser abgewaschen. Mit Alcohol lassen sie sich jetzt aber nicht in der gewöhnlichen Weise entwässern, weil der Alcohol das Anilin auszieht. Man übergiesst daher die Schnitte nur mit wenig absolutem Alcohol, um das an- hängende Wasser wegzunehmen, giesst möglichst schnell wieder ab, und setzt sogleich weisses wasserfreies Kreosot zu. Die Schnitte hellen darin rasch auf, ohne von ihrer Farbe etwas abzugeben. Dann schliesst man wie gewöhnlich in Canada- oder Damarrhbalsam ein. Im Kreosot darf man die Schnitte nicht länger als ein paar Stunden lassen, und muss sie auch darin vor dem Lichte schützen. Bekanntlich blassen die Anilinfarben im Sonnenlichte sehr stark ab; doch haben sich Präparate, die ich vor mindestens einem Vierteljahr angefertigt habe, ganz gut gehalten, wenn ich sie in einem Kasten einschloss; im diffusen Tageslicht aber verlieren sie bedeutend und zwar in kurzer Zeit. Das Fuchsin und eine violette Anilinfarbe, die „Dahlia“, eignen sich für die obige Methode nicht, da beide Farben im Kreosot sich lösen und verändern. Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. Von W. Flemming, a. o. Professor und Prosector an der Anatomie in Prag. Hierzu Tafel XVI. Seit längerer Zeit mit Arbeiten über Oogenese und Entwick- lung der Lamellibranchiaten beschäftigt, lege ich hier einige Resul- tate derselben vor, die mir für die allgemeine Entwicklungsgeschichte verwerthbar erscheinen. Sie sollen nur den Charakter einer vor- läufigen Mittheilung beanspruchen, die ich nicht länger verzögern möchte, weil die eigenthümlichen Schwierigkeiten des Gegenstandes, neben äusseren Gründen, eine Ausfüllung der Lücken und eine Durch- arbeitung auch der späteren Stadien wohl noch Jahre lang hin- ziehen können. Da ich die Structur der Ovarien und die: Oogenese der bi- valven Mollusken bei anderer Gelegenheit zu behandeln hoffe, mag darüber und über die Befruchtungsvorgänge hier nur im 1. und 2. Abschnitt Einiges Platz finden, welches geeignet ist, das bisher Be- kannte !) zu ergänzen oder zu berichtigen, und den etwa weniger mit dem Object vertrauten Leser für das Nachfolgende zu orientiren. 1) Besonders: C. G. Carus, neue Untersuchungen über die Entwick- lungsgesch. unserer Flussmuschel. Nov. act. phys. med. Leopold., Bd. 16, 1852. 1. Keber, de spermatozoorum introitu in ovala. Königsb. 1853. v. Hess- ling, einige Bemerkungen zu Dr. Keber’s Abhandlung (s. o.), Zeitschr. M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10, 17 258 A W. Flemming: Eierstock sei. Das reife Eierstocksei der Anodonta (piseinalis, cellensis und anatina, so weit überhaupt von verschiedenen Species die Rede sein kann) hat ungefähr 0,240—0,250 Mm. Durchmesser und besteht aus der dünnen aber festen, bei starker Vergrösserung doppelt contou- rirt und structurlos erscheinenden Membran, einem flüssigen Inhalt, dessen Eiweissgehalt durch seine ziemlich starke Färbbarkeit in Pi- krocarmin, Anilinen und Jod bezeugt wird, und dem undurchsich- tigen kugligen Dotter, welcher kaum etwa !/; des von der Membran umschlossenen Raumes einnimmt (Fig. 1). Der Dotter haftet, was früheren Beobachtern entgangen zu sein scheint, mit einem Pol an der Membran und zwar an der Mi- kropylenstelle derselben !); es ist das der Pol, welcher, so lange das Ei festsitzt, der Ovarialschlauchwand zugekehrt liegt. Die Substanz des Dotters ist ein blasses, zähes, frisch fast gar nicht durch Farb- stoffe tingirbares Protoplasma, dicht durchsetzt von einer grossen Menge feiner, und einer geringeren Anzahl gröberer Körnchen oder Tröpfchen, welche letzteren in ziemlich regelmässigen Abständen vertheilt sind. Gegen den angehefteten Pol zu liegt der Kern ?), etwa 0,060—0,080 Mm. im Durchmesser, zusammengesetzt aus einer beim Zerdrücken ganz unzweifelhaften zarten Hülle, einem hellen, nur feine Molecüle enthaltenden Inhalt, welcher zähflüssige Consistenz, doch geringere wie der Dotter zeigt, und sich in Carmin rosenroth f. w. Zool. Bd. 5. p. 332. Derselbe: Die Perlmuschel und ihre Perlen. La- caze-Duthiers, Organes genitaux des acöphales lamellibranches. Ann. d. sciences nat. 1854, Zool. T.2. p. 155. — Weiteres ist unten eitirt. R 1) Keber, wie auch v. Hessling (l. c. p. 413) lassen den Dotter sich normal von der Mikropylenstelle ablösen und frei im Eiweiss schwimmen. Eine derartige Ablösung kann freilich schon durch den mechanischen Insult beim Anschneiden des Ovarium, sowie durch Deckglasdruck erfolgen. Der beste Beweis dafür, dass der Dotter im Leben der Mikropylenstelle anhaftet, ist wohl dadurch geliefert, dass bei befruchteten Eiern (s. u.), wo dieses An- haften weniger leicht zerstört wird, der Dotter stets in der von mir angege- benen Lage gefunden wird. 2) Ich brauche, wie es ja mehr und mehr in Aufnahme kommt, stets die Ausdrücke Kern und Kernkörperchen statt Keimbläschen und Keimfleck. Den Heroen und Pionieren der Entwicklungsgeschichte, deren Namen ohnehin auf jedem Blatt derselben eingeschrieben stehen, thäte es wahrlich keinen Ein- trag. wenn einzelne von ihnen unglücklich gewählte Bezeichnungen in Weg- fall kämen. Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 259 tingirt; und dem durch Letzteres intensiv sich röthenden Kernkörper, dessen Grösse (Länge 0,020—0.025 Mm.) wohl die aller sonst be- kannten Nucleolen übertrifft. Der Kernkörper hat schon in den jüngsten Eiern die seltsame Form einer Doppelkugel !) (Fig. 1, 2); deren beide, verschieden grosse Theile mit je einem Pol fest an ein- ander haften. Bei jüngern Eiern sind beide oft annähernd gleich, bei den gereiften stets der eine viel kleiner; die Längsaxe der Dop- pelkugel liegt schräg gegen den Durchmesser des Eies, welcher senk- recht auf der Mikropylenstelle steht. Der kleinere Theil ist stärker licehtbrechend, auch etwas stärker tingirbar, und beim Zerdrücken resistenter als der grosse; Beide zeigen sich hierbei als eine homo- gene, zähe Masse (Fig. 2). Dass die eine Portion (die kleine) sich gegen Essigsäure resistenter verhält wie die andere, welche dadurch quillt und erblasst, bemerkt schon v. Hessling. Zuweilen, doch selten, hängt an der kleinen Kugel noch ein kleineres Buckelchen. Gewöhnlich enthält die Erste eine bedeutendere central gelegene helle Vacuole (dem sog. Schrön’schen Korn oder Nucleololus ent- sprechend), der grössere Theil deren mehrere kleine, ebenfalls in der Mitte; undeutlich wahrgenommen. schon von Lacaze-Du- thiers (p. 187)und v. Hessling (p. 416), der sie richtig als Löcher erkannt hat, aber mit einer physiologischen Auflösung des Keimflecks in Verbindung bringt. Es könnte sein, dass diese Vacuolen schon eine Veränderungserscheinung sind: in der beschriebenen Art zeigen sie sich aber gewöhnlich an frisch zerdrückten grossen Eiern jeder Jahreszeit — ohne Druck lässt sich der Kernkörper nicht genauer studiren; zuweilen konnte ich auch keine finden. Bei längerm Liegen unter dem Deckglas und Tränkung mit Wasser, sowie in abster- benden Muscheln durchsetzt sich der Kernkörper allmählich dicht mit künstlichen Vacuolen, und zerfällt auch wohl ganz. Diese eigenthümliche Doppelgestalt des Kernkörpers, welche den Eiern aller Najaden und Unioniden zuzukommen scheint ?), hat mehr- fach Anlass gegeben, dass man statt eines zusammenhangenden Doppel- 1) Zuerst von R. Wagner bemerkt; vgl. dessen Handw. d. Phys., Leu- ekart’s Artikel »Zeugung«, p. 800. 2) Aber keineswegs allen Acephaleneiern; die meisten haben runde Kern- körper. Tichogonia polymorpha hat die merkwürdige Form der Fig. 4: auf einem blassern Körper sitzt wie eine Kappe ein stärker lichtbrechender auf- gestülpt, welcher wohl offenbar dem ebenfalls glänzenderen, kleinern Kugel- theil bei den Najadenkernkörpern entspricht. 260 W. Flemming: kernkörpers zwei getrennte darstellte, und scheint auch Keber (p. 3, 4 u. a.) und v. Hessling (p.411)!) zu der Ansicht gebracht zu haben, dass der Keimfleck sich theile, und dass diese Theilung eine Vorbereitung zu den späteren Entwicklungsvorgängen des Eies darstelle. Wollte man das annehmen, so müsste man diese Thei- lung mindestens ein Jahr lang dauern lassen; denn auch in den jüngsten Eiern findet man die beschriebene Kernkörperform, wie es auch v. Hessling (Fig. 151.c.) bekannt war. Bei Unio (v. Hess- ling’s Object) finde ich wirklich um Mitte Winters in vielen reifen Eiern die beiden Portionen getrennt oder nur ganz leicht zusam- menhaftend. Bei Anodonta scheinen mir ausserhalb der Fortpflan- zungszeit die beiden Theile normal zusammenzuhängen. Durch Druck kann oft die Verbindung gesprengt werden. Kurz vor Eintritt der Befruchtungszeit gewahrt man viele (aber nur reife, grosse) Eier, an deren Kernkörpern eine wirkliche Theilung vorgegangen ist: aber in der Art, dass der kleinere Buckel stückweise abgesprengt wird, so dass man dann einen grossen Kernkörper hat, ganz rund oder nur mit einem kleinen Buckel, wie in der Fig. 3, und daneben eine oft grosse Anzahl viel kleinere rundliche. Ausser den beschriebenen Theilen enthält das reife Anodontenei kurz vor Anbruch der Befruchtungsperiode (August) keinerlei Form- bestandtheile.. Um Ende Winters aber bis in den Frühling findet sich in den meisten grösseren Eierstockseiern, frei im Eiweiss schwebend, der eigenthümliche Nebenköper, der bisher allein bei v. Hessling (l. ec. p. 413, F. 25) erwähnt worden ist: eine verschieden grosse, ziemlich stark, etwa wie der Kernkörper lichtbrechende, färbbare Kugel, beim Zerdrücken eine zähfeste Masse darstellend, fast immer von zahlreichen, regelmässig vertheilten Vacuolen durchsetzt, die zu- weilen in Form einer ganz regulären Hohlkugel nahe der Peripherie des Körpers geordnet liegen (Fig. 5a), zuweilen auch nur auf einen (6c) Pol des Körpers kuppenartig vertheilt sind. Andere Formen zeigen einen Körper im Innern (d). Bei Unio sah ich ihn ebenfalls öfters im Herbst; zuweilen finden sich mehrere. v. Hessling, der über eine bestimmte Zeit seines Vorkommens nichts erwähnt, stellte die Theorie auf, dass der Dotter des halbwüchsigen — die Membran noch ausfüllenden — Eies mit Eintritt der Eiweissbildung eine birn- 1) Auch Lacaze-Duthiers sagt l. c. p. 486: »Souvent on en voik deux«. Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 261 förmige Gestalt annehme !), dass sich der anfangs kleinere, hellere Theil der Birne ablöse und nun zu dem eben besprochenen freien Körper werde oder auch zu mehreren solchen zerfalle (vgl. 1. c. Fig. 19—25). Ich glaube, dass die Körper aus dem Dotter ge- drängte und später veränderte Massen sind, Umwandlungsproducte aus seinem Stoffwechsel. Unzweifelhaft findet man zuweilen mittel- grosse, doch auch ganz grosse Eier mit Dottern von geschnürter oder unregelmässiger Form, welche auf physiologische Contractionen gedeutet werden können. Die Mehrzahl der von v. Hessling ver- wertheten Bilder aber, die ich wie jeder Untersucher der Najaden- eier (Keber, O. Schmidt Il. i. c.) kenne, dürften sehr vorsichtig aufzufassen sein: denn während sie in Masse auftreten, wenn die Eier lange unter dem Deckglas lagen, oder der Imbibition mit Wasser oder Muschelblut, oder der Verdunstung ausgesetzt waren, sind sie sehr viel seltener an Eiern, welche man frisch aus dem Ovarium eines eben frisch gefangenen Thieres nimmt, und ohne Zusatz un- tersucht. Jedenfalls habe ich nie die zu postulirenden Ueber- gangsformen zwischen dem hellen Theil eines so veränderten Dotters und dem viel kleinern, glänzendern Nebenkörper beobachtet. — We- nig glücklich war jedenfalls der Versuch v. Hessling’s, den frag- lichen Körper auch mit den Richtungsbläschen anderer Thiere in Vergleichung zu bringen, deren ganze Literatur er dafür an jener Stelle (1. ec. p. 413—4) anführt: bei Letzteren handelt es sich ja um ein Phänomen, und um ein für die Entwicklung bedeutungsvolles, am befruchteten, die Furchung beginnenden Ei, während der Hessling’sche Nebenkörper ein halbes Jahr vor der Fortpflanzungs- zeit im Eierstocksej auftritt, von dort an aber (bei Anodonta wenig- stens nach meiner zweijährigen Erfahrung vom Mai bis August), gerade vor der Befruchtung fehlt. Eine besondere zarte Membran der Dotterkugel im Najadenei, welche diese nach Carus und Keber gegen das Eiweiss abgrenzen sollte, ist durch v. Hessling (l. c. p. 403) mit vollem Recht ge- leugnet worden; später trat OÖ. Schmidt nochmals für ihr Vor- handensein ein (Wien. Sitzb. Bd. 23. p. 316). Durch Kunstmittel wie die angewandten — Natronlösung, Wasser, Verdunstung -— kann man 1) Befremdender Weise zog v. H. hierbei die von Loven (s. u.) beob- achteten Dotterveränderungen bei Modiolaria an, welche sich doch auf das befruchtete, die Furchung beginnende Ei beziehen. 262 W. Flemming: hier wie anderswo den Anschein einer Hülle vortäuschen; eine Be- trachtung des frischen in der Ovarienflüssigkeit schwimmenden Eies mit einem guten starken System lässt aber keinen Zweifel, dass es sich um eine hüllenlose Plasmakugel handelt, in deren äusserster Peripherie sich deutlich die Dotterkörnchen in die gemeinsame, ho- mogene Masse eingelagert zeigen. Die einzige und wahre Dotterhaut ist die oben schon be- sprochene Eimembran; eine Membrane vitelline im Sinne E. van Beneden’s auch wohl nach ihrer Entstehung, die ich, wie die Oogenese überhaupt, hier nur flüchtig berühren will! Lacaze- Duthiers nennt freilich die Membrane »une enveloppe qui ne fait pas partie des el&ments de l’oeuf« (p. 1901. e.); nach ihm (p. 188—190) entwickelt sich das Ei in einer Epithelzelle des Eierstockschlauchs, und tritt mit seinem Wachsthum in das Lumen desselben hinaus: wobei Lacaze-Duthiers es unentschieden lässt (p. 190) ob die Membran ein Rest der Mutterzelle sei, oder ob das Ei beim Heraus- treten aus dem Niveau der Epithellage eine besondere dieser auflie- gende Membran — »qui tapisse les parois« — mit sich nehme. La- caze-Duthiers zeichnet in Pl.7. Fig. 13 eine »Coupe theorique« eines Eierstockschlauchs von Unio, in welcher allerdings eine be- sondere Cuticula der Epithelzellen nicht angegeben, aber die Mem- bran des Eies an dessen Stiel in die Substanz der Epithellage selbst übergehend dargestellt ist !). Ein solches Verhalten wäre überhaupt histiologisch unverständlich. Der von Lacaze-Duthiers gezeich- nete Schnitt ist übrigens wirklich »theoretisch«, denn das mehrschich- tige Epithel, welches er hier im Profil darstellt (und in der leider in Bronn’s Werk aufgenommenen Fig 5 en face) ist in natura nicht zu sehen ?2). Die Innenwand der Eischläuche wird vielmehr von einer Schicht bekleidet, welche zwar gewiss einem Ovarialepithel homolog ist, welche ich aber in einzelne Zellen nicht zu scheiden vermag und 1) p. 189: »L’oeuf, en faisant saillie dans la cavit& de l’acini, reste en- veloppe par une membrane qui, en adherant & la paroi du tube seereteur, cause le pedoncule. 2) Dagegen zeigt die Versilberung, dass die Eierstocksschläuche aussen eine aus platten Zellen bestehende endotheliale Decke haben, und zeigt die Injection, dass sie in Gefässräumen liegen; was ich schon an anderm Orte (Ueber Bindesubstanzen und Gefässwandung bei Mollusken, Habilitationsschrift Rostock 1871) vorläufig mitgetheilt habe. Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 263 die ich nicht besser zu bezeichnen wüsste, als mit dem Ausdrucke - E. van Benedens: »Un protoplasma commun & noyaux«. Ausser diesen anscheinend freien Kernen enthält sie in viel grösserer Masse die eigenthümlichen glänzenden Körperchen und Körnerkugeln, welche Lacaze-Duthiers in seiner ÖOvariumarbeit unerwähnt lässt, v.Hessling dagegen (p. 408) schon genauer beschreibt. Auf Näheres darüber und über die Eibildung will ich hier nicht eingehen; der Auffassung v. Hessling’s von der Letztern (l. c. p. 408—10, nach welcher das Ei einen 'Ausgangspunet von einem der freien Kerne nimmt) kann ich mich in der Hauptsache anschliessen und betone namentlich, dass die Eihaut sich schon an den jüngsten, eben als runde Zellchen individualisirten Eiern als ein ganz zarter, der Zell- substanz eng anliegender Saum darstellt. Mag sie ein Product die- ser Letzteren, oder doch eine Auflagerung von Seiten der umgeben- den Plasmamasse sein, jedenfalls vertragen sich Lacaze-Duthiers Ansichten nicht mit diesen Bildern. . Als besonderste Eigenthümlichkeit der Eihaut bei den Najaden und einer Anzahl anderer Mollusken, im Vergleich mit den Eiern anderer Thiere, verdient hervorgehoben zu werden, dass sie schon während des Kierstockslebens so weit, durch eine so grosse Masse von Eiweissflüssigkeit, vom Protoplasma der Eikugel abgehoben wird. Jetzt noch Einiges zur Kenntniss der Mikropyle des Na- jadeneies — denn mit diesem von dem Entdecker Keber gebrauch- ten Namen kann man fortfahren ganz passend den hohlen Eistiel zu bezeichnen, wenn auch Keber’s Theorie über dessen Entstehung ein Traum, und seine Bedeutung als Eintrittspfad für die Sperma- tozoen einstweilen eine Hypothese ist. Die weiteren Angaben jenes Forschers (l. c.) über die Befruchtung, nach welchen längere Zeit hindurch, bei Unio von September bis November, Spermatozoen im ÖOvarium anwesend seien, dort ihre Schwänze verlieren, durch die Mikropyle je eines in je ein halbwüchsiges Ei eindringen und, nach einiger Lagerung am Eingang, sich mit dem Dotter in eigenthüm- licher Weise vermischen sollten — sind durch Bischoff"), v. Hess- ling (l. ce.) und Funke?) längst hinreichend widerlegt, und haben 1) Widerlegung des von Dr. Keber bei den Najaden und von Nel- son bei den Ascariden behaupteten Eindringens der Spermatozoiden in das Ei. 1854. 2) Schmidt’s Jahrb. Bd. 80, p. 118, und Lehrbuch der Physiologie. 264 R W. Flemming: nur noch das historische Interesse, die Anregung für eine Menge fruchtbarer Arbeit gewesen zu sein !). 1) In neuester Zeit hat freilich Keber (»Zur Controverse über die Be- fruchtung des Flussmuscheleies.«< Arch. f. Anat. u. Phys. 1869, p. 284) eine Aufrechthaltung seiner Ansichten versucht, bei deren Lectüre man nur be- dauern muss, dass ein so eifriger und begeisterter Untersucher sich so lange auf einem verlorenen Posten abmüht. Die Fachgelehrten, welche Keber p: 286 als Zeugen aufführt, haben nichts Anderes bezeugt und wollten gewiss auch nichts bezeugen, als dass der Körper in der Mikropyle unter Umständen zu sehen sei und andere Male nicht. Dafür aber, dass derselbe ein Sperma- tozoid oder Spermatozoenkopf sei, oder bei Keber’s früheren Beobach- tungen hätte sein können, findet sich in dem neuen Aufsatze kein neuer Be- weis. Da der Verf. übrigens besonders hervorhebt, dass »eine positive Be- obachtung — wie die von ihm früher mitgetheilte — mehr wiege als hundert negative« — die seiner Kritiker, so will ich beiläufig erwähnen, dass ich zwar nicht wie Keber unzählige, aber doch nach und nach gut 400 bis 500 weibliche Muscheln bezüglich der Ovarien untersucht habe: Unionen wenig- stens von September bis December, also gerade in den nach Keber günsti- gen Monaten, Anodonten zu jeder Jahreszeit; und dass ich dabei nie in der Flüssigkeit, die den angeschnittenen Ovarien entnommen wurde, noch in Schnittpräparaten derselben, Samenfäden der Muscheln gefunden habe, wo nicht das Thier ein Zwitter war. (Solche kommen — bei Anodonta wenigstens, bei Unio habe ich sie bisher noch nicht gesehen — einzeln vor, wie auch Keber bekannt war.) Auf p. 297 berichtet der Verf. nun allerdings — es ist das einzige Beweisartige, was sich in seinem Aufsatze findet — dass er »im September und October in den Ovarien weiblicher Unionen (nicht Zwit- ter) theils geschwänzte theils ungeschwänzte Spermatozoen aufgefunden und sich von ihrer Natur durch Strychn. nitr. überzeugt habe«e. (Dies Reagens Keber’s ist in der That vortrefflich, um Muschelsamenfäden in lebhafteste Bewegung zu bringen.) Bei den völlig entgegengesetzten Erfahrungen An- derer und meiner selbst kann ich dieser Angabe aber so lange keinen Be- weiswerth beilegen, als Keber nicht Garantie giebt, dass Verunreinigung ausgeschlossen und dass die Thiere wirklich nicht Zwitter waren; das Letz- tere konnte natürlich nur durch Härtung der Geschlechtsdrüsen und nach- folgende mikroskopische Controle von Schnitten aus möglichst vielen Theilen derselben geschehen. Die zwei Hörnchen, welche Keber am Kopfende der Muschelsamen- fäden beschreibt, sprach v. Hessling schon mit Recht als Täuschung an. Da eine genauere Abbildung des Objects nicht existirt, gebe ich sie in Fig. 8. Ich habe in der Ovarienflüssigkeit von Anodonten und Unionen sehr häufig, zu jeder Jahreszeit, kleine gewundene Körper mit lebhaft schlängelnder Bewegung gefunden, welche meine Fig. 9 veranschaulichen mag. Mit Muschelspermatozoen haben sie gar nichts gemein; Fachzoologen, denen Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 265 Die Wand der Mikropyle, die ich ganz wie v. Hessling als directe Fortsetzung der Eimembran und mit dieser als genetisch und stofflich gleichartig ansehe, sitzt, jedoch nur an jungen und halb- wüchsigen Eiern, jener Membran auf wie ein dünnwandiger, glatt- eylindrischer, oben caraffenartig geöffneter Schornstein (Fig. 7). Ge- runzelt, wie v. Hessling will, habe ich die Wand nicht finden können. In ihrer Innenmündung, oft auch etwas gegen den Aus- gang hinaufgerückt, findet man nun vielfach den Körper, welchen Keber für einen Spermatozoenkopf gehalten hat und welcher dann durch v. Bischoff und v. Hessling für ein Trugbild, vom Letz- teren geradezu für den vorspringenden inneren Rand der Mikropyle erklärt wurde. Er ist aber damit nicht aus der Welt geschafft, son- dern existirt wirklich, wie das seitdem schon OÖ. Schmidt erkannt und in einem besonderen kleinen Aufsatz (Wien. Sitzb. 1857 p. 514) vertreten hat. Nur weil auch diese Angaben und ihre Abbildungen über Gestalt, Wesen und Deutung des Körpers im Dunkeln lassen, setze ich Genaueres darüber hinzu. Der Körper findet sich nicht, wie man nach Keber annehmen müsste, nur in gewissen Monaten, sondern bei Anodonta wenigstens das ganze Jahr hindurch, doch in sehr wechselnder Häufigkeit: manch- mal, so besonders in und nach der Fortpflanzungsperiode (denn auch dann enthält das Ovarium halbwüchsige und selbst noch einzelne reife Eier) an nur sehr wenigen, zu andern Zeiten oft an fast allen kleinen und mittelgrossen Eiern. Er stellt meist eine ungenau biconvexe oder planconvexe Scheibe dar (Fig. 7a—e) — es kann also von einem »Querliegen« desselben nicht die Rede sein, welches Keber annahm und welches von seinen Kritikern nicht eigentlich widerlegt ist; gewöhnlich ist die stärkere Convexität dem Dotter zu- gekehrt. Er ist nicht glatt, wie ihn die bisherigen Abbildungen ga- ben, sondern von unregelmässig rauher Oberfläche und auch im In- nern körnig, dabei dunkler und stärker lichtbrechend wie das Ei- protoplasma. Zuweilen ist das Scheibchen auch biplan oder bicon- cav, ja öfter sah ich es in der Mitte durchbrochen, als Ring (Fig. 7e). ich sie demonstrirte, wussten darüber so wenig Rath wie ich selbst; wahr- scheinlich sind es Dinge parasitischer Natur. Ich halte es nun für möglich, dass Keber mobile Körper dieser Art gesehen und für Samenfäden ange- sprochen hat: ich fürchte nicht, durch diese Vermuthung zu erzürnen, denn eine solche Verwechselung würde noch lange nicht so viel besagen, wie die eines Keber’schen Mikropylenkörpers mit einem Spermatozoenkopf. 266 W. Flemming: Bald hängt es am Dotter fest (f), bald liest es von ihm durch einen Zwischenraum getrennt. Zuweilen ist es viel massiger, dann zugleich schwächer lichtbrechend, reicht dann auch weiter in den Dotter hinein und setzt sich gegen diesen nicht scharf ab. (Fig. 7g, vgl. auch OÖ. Schmidt’s Fig. 3a.) Das Herausdrücken des Körpers aus der Mikropyle ist nur selten erreichbar, wie es auch ©. Schmidt nur einmal gelang. — Alle jene Formeigenschaften sind sehr leicht festzustellen, wenn man sich die kleine Mühe nimmt, beim Zer- drücken und Flottirenlassen mit der einen Hand die Nadel zu führen, während die andere consequent an der Schraube arbeitet. Bei stär- kerem Druck zeigt sich der Körper viel resistenter wie der Dotter, oft so fest, dass auch starkes Quetschen auf das Deckglas ihn nicht zu zersprengen vermag (Fig. 7d); der Verdacht, dass die von mir beschriebenen Formen etwa künstlich durch den Druck hervorge- rufene seien, muss also fortfallen. Nach allem Aufgeführten, mit Rücksicht auf das Wechselvolle in seiner Form, Beschaffenheit und vor allem in seinem Vorkommen überhaupt, ferner mit Hinblick auf seine Lage an der Mikropyle, durch welche die Eizelle mit ihrem Mutterboden in Verbindung steht und durch welche sie wohl die Hauptmasse ihres Wachsthums- materials aufnehmen wird: — ist es wahrscheinlich, dass der Ke- ber’sche Körper ein Phänomen ist, welches zu der Aufnahme und Umsetzung von Nährsubstanz des Eies in Beziehung steht. Nimmt man an, dass diese Aufnahme nicht continuirlich, sondern mehr schubweise erfolgt, so würde sich daraus eine Erklärung für die Ver- schiedenheiten in Grösse und Gestalt, und für das oftmalige Fehlen des fraglichen Gebildes gewinnnen lassen. — Bemerkt sei hierzu noch, dass sehr oft die Masse, welche das Rohr der Mikropyle in situ füllt und meist an dem Epithel-Protoplasma draussen anhaftet, eine Längsstreifung zeigt (Fig. 7bg). Noch in einer anderen Hinsicht ist Keber Unrecht geschehen. v. Hessling greift dessen Behauptung an, dass die Mikropyle sich schliesse und verschwinde, er giebt an »sie bleibe unverändert durch das ganze Eileben, auch dann noch, wenn das Thier (Embryo) die Hülle verlasse« (p. 412 ]. c.). Dies entspricht der Wirklichkeit nicht, das Schicksal des Eistieles ist in der That Folgendes: während das Ei, unter Zunahme der Flüssigkeit um den Dotter, sich vergrössert und die Schale sich ausweitet, verkürzt sich der Mikropylencylinder, geht schliesslich ganz ein, indem er in die Fläche gespannt wird, und es Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Eı der Teichmuschel. 267 bleibt beim ausgewachsenen Ei nur ein flacher Ring, dann ein Loch in der Schale, innen fest verlegt durch eine Masse, die allmählich zu einer harten, schüsselförmigen Scheibe anwächst, an der in situ der Dotter haftet. Wahrscheinlich ist diese Masse ein Umbildungs- product des Keber’schen Körpers. Löst man durch Druck den Dot- ter von ihr ab, so präsentirt die alte Mikropyle sich in der Form meiner Fig. 6a, mit einem — auch bei v. Hessling angegebenen — Kranz von zarten Spiralfalten der Eihaut um sie her. So auch noch bei Kiemeneiern, die schon rotirende Embryonen enthalten. Durch Drücken und Rollen kann man bei solchen den schüsselförmigen Körper nach innen abstossen (Fig. 6ed) und als Rest der Mikropyle zeigt sich dann ein rundliches, rauh gerandetes Loch von einem ringför- migen kleinen Feld umgeben, das dem flachgespannten früheren Cylin- der entsprechen dürfte (Fig. 6b). — Das Loch ist also beim gereiften Ei wirklich verschlossen, wenn auch nicht wie Keber wollte, verschwunden. Eier von den hier als reif beschriebenen Formen finden sich, neben den jüngern, in jeder Jahreszeit vom Januar bis August in den Ovarien von Anodonta, und die seit lange allgemein verbreitete, wenigstens nicht widerlegte Ansicht, dass dieselben sich nur zu einer bestimmten Zeit entwickeln sollen !), ist nicht zutreffend und beruht wohl darauf, dass man nicht dieselbe Art das ganze Jahr hindurch untersucht hat. Nur nach der Brunstzeit, im September und Octo- ber, fehlen reife Bier ganz oder fast ganz in den Ovarien, wie schon v. Baer?) angab; ihre Menge nimmt nur allmählich zu, bleibt bis zum Frühjahr geringer wie nachher, und ist im Juli allerdings am grössesten. — Es wird also der Anbruch der Brunst — dessen Ter- min nach meinen bisherigen Erfahrungen von Anodonta fast skla- visch eingehalten wird — hier so wenig wie wohl anderswo in einem plötzlichen massenhaften Reifen von Eiern, sondern in anderweitigen physiologischen Verhältnissen seine nächste Ursache haben. Befruchtung. Hinsichtlich der Befruchtungsart der Najaden und der Ueber- siedelung ihrer Eier in die Kiemenbruttasche ist die Frage noch nicht 1) Vgl. Carus, I. c. p. 25 und Bronn, Cl. u. Ordn. der Weichthiere p- 403 ff.; Bronn giebt sogar an, es seien ausserhalb der Fortpflanzungszeit Hoden und Ovarien nicht zu unterscheiden! 2) Ueber den Weg, den die Eier unserer Süsswassermuscheln nehmen, um in die Kiemen zu gelangen. Arch. f. Anat. und Phys. 1830, p. 315, T. 7. 268 W. Flemming: geschlichtet: ob die Eier einer Muschel auf dem durch v. Baer er- mittelten Wege (l. ce.) in die Kieme eben desselben Thieres gelangen, und unterwegs in den Kiemengängen oder in der Kieme die Sper- matozoen antreffen: oder — auf diese Eventualität hat v. Hess- ling !), übrigens mit aller gebotenen Reserve, hingewiesen — ob Eier wie Sperma aus dem After nahe beisammensteckender Thiere entleert, draussen vermischt und von einer anderen nahen Muschel aufgesogen und in die Kieme genommen werden ?), so dass also die Befruchtung frei im Wasser vor sich ginge. A priori spräche Nichts gegen diese Möglichkeit. Keber findet es zwar in seinem neueren Aufsatze (l. ec. p. 295) ganz unnatürlich, dass die von Aussen kom- menden Geschlechtsstoffe dabei erst wieder in die Nähe der Ovarien- öffnung gelangen müssten, ehe sie in den Kiemengang träten: indess, wenn Keber der Natur nicht einmal solchen kleinen Umweg ge- statten will, was muss er dann z. B. zu der Befruchtung der Orchi- deen sagen! — Ich bin jedoch auf einem anderen, nur etwas Con- sequenz erfordernden Wege selbst dazu gelangt, die Ansicht über den Eiertransport, welche v. Baer’s bewundernswerther Scharfblick schon so früh aus der blossen Anatomie erschloss, für die richtige zu halten, Es wurde einfach an allen Anodonten, die ich von Anfang bis Ende August fing, nach vorsichtigem Oeffnen und vor dem Anschnei- den der Aussenkieme und der Keimdrüse, die Flüssigkeit, welche in der ganzen Länge des inneren Kiemengangs bis zur Cloake ent- halten ist, mit einer reinen Pipette aufgesogen und untersucht. Auch der äussere Kiemengang lässt sich dabei mit Vorsicht anschneiden, so dass sein flüssiger Inhalt mit geprüft werden kann, ohne dass 1) Zeitschr. f. wiss. Zool. 1860, X, 358. Die dort mitgetheilten Beob- achtungen beziehen sich jedoch nur auf Unio margaritifera, die ich nicht kenne; die Möglichkeit des Vorgangs bei diesem Thier w'rd durch die Be- funde bei Anodonta nicht ausgeschlossen. 2) Der Weg dabei kann nach der Strom- und Flimmerrichtung nur folgender sein: hinein durch den Kiemensipho, zwischen Fuss und Innenkieme entlang bis in die Nähe des Mundfühlers, wo die Keimdrüse mündet, von da auf dem v. Baer’schen Wege: im inneren Kiemengang nach hinten bis zur Cloake, hier in den äusseren Kiemengang und in die Aussenkieme. Diesen Weg hat ein so gründlicher Kenner des Muschelleibes, wie v. Hessling, jedenfalls gemeint, wenn auch nicht speciell erwähnt; und wenn Keber (l.c. p. 213-5) ihm eine andere Ansicht supponirt, so hat er ihn missverstanden. UDeber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 269 etwa in der Kieme enthaltene Eier mit austraten. — Nie fand ich nun darin bei Weibchen — ebensowenig bei Männchen — ein Ge- misch von Spermatozoen und Eiern, überhaupt niemals Eier. Dagegen fanden sich bei fast allen Weibchen aus der genannten Zeit im inneren Kiemengang agile Samenfäden von Ano- donta in wechselnder Zahl. In der Aussenkieme dagegen habe ich niemals Spermatozoen gesehen. Alles dies bezieht sich sowohl auf Weibchen mit zur Bruttasche vorbereiteter, aber noch eierleerer Kieme, als auf solche mit noch ungefurchten Kiemeneiern, als end- lich auf Muscheln mit gefurchten Embryonen. (Ueber die Zahl der Untersuchten s. das Verzeichniss in der Anm. weiter unten.) Ich denke, das Vorkommen der Samenfäden im Kiemengang bei noch kiemenbrutlosen Weibchen beweist schon, dass es sich nicht um eine gemeinsame Aufnahme der draussen gemischten Zeu- gungsstoffe handeln kann. Denn wo wären dann die Eier hinge- kommen? Die Spermatozoen sind jedenfalls für sich, und auf dem einzig möglichen, wenn auch von Keber perhorrescirten Wege (s. Anm.) in das Weibchen gewandert. — Und auch bei den Thieren mit Kiemenbrut wäre es nicht verständlich, warum gerade immer Samenfäden, niemals Eier im Kiemengang zurückbleiben sollten ; denn es lässt sich kein Mechanismus denken, der nur Letzteren den Ein- tritt aus den Gängen in die Aussenkieme gestatten und den Er- steren, viel kleineren verbieten sollte. Es wäre nun allenfalls noch denkbar, dass Eier wie Sperma je für sich von den Thieren ausgeworfen und von anderen benach- barten aufgesogen würden. Aber auch dann bliebe zu fragen: Wa- rum fand ich denn niemals Reste eines Eierschubes im Kiemengang, und Spermatozoen so häufig? Sollte die Flimmerbewegung im Stande sein, die schwereren Eier so rasch zu beseitigen, warum dann nicht auch die Samenfäden ? Nimmt man hingegen an, dass die Kiemeneier stets aus dem gleichen Thier stammen, so erklärt sich ihr Fehlen im Kiemengang weit leichter: es ist in diesem Fall nicht die Flimmerbewegung, son- dern es sind, wie v. Baer schon ausführlich erörtert hat !), will- 1) L. c. p. 325 fi. Ich möchte hinzusetzen, dass mir die Annahme un- nöthig scheint, es müsste (p. 328) dabei ein Theil der Eier in der Oloake zurückbleiben und, beim Wiederöffnen der Schalen, in’s Wasser verloren ge- hen, Denn die Cloakenöffnung hat ihre eigene starke Musculatur, kann will- kürlich geschlossen und bis dicht an den hintern Schliessmuskel retrahirt werden. 370 W. Flemming: kürliche oder wehenartige Contractionen der Fuss- und Schliessmus- eulatur (und auch wohl noch anderer Muskeln) als das Hauptmoment anzusprechen, welches die Eier aus der Keimdrüse durch die Gänge und in die Bruttasche drängt. Dieser Vorgang muss sehr rasch ab- laufen, stets nur in einigen kurzen Intervallen wiederholen !); man würde also Eier in den Kiemengängen nur finden können, wenn man das Glück hätte ein Thier gerade in tlagranti zu fassen. Die Sper- matozoen aber kommen continuirlich, nur durch den Flimmerstrom hinein, daher ihre Anwesenheit auch in den Wehenpausen. Einen Befruchtungsvorgang habe ich nie beobachten können. In den Kiemen fand ich, wie gesagt, keine Samenfäden; auch nicht in Gesellschaft von Eiern, welche noch ungefurcht waren (s. u. Ano- donta 1 nnd 2) oder gar in solchen Eiern, und halte es also für wahrscheinlich, dass eine Befruchtung hier nur im Kiemengang und etwa kurz nachher in der Kieme stattfinden kann. Jedenfalls kann 1) Als Beweis dafür Folgendes: Die zuverlässigsten Autoren (sov. Baer l. e. p. 330) geben an, dass um die Brunstzeit die Eier »sich allmählig aus den Ovarien verlieren und ebenso in den Kiemen ansammeln« — wonach man, wie ich lange that, an mehrere, in längern Pausen erfolgende Schübe denken müsste. Dafür schien eine Beobacktune zu. sprechen, welche auch wohl die Vorgänger geleitet hatte: je später in dem betreffenden Monat, desto stärker geschwellt erscheint die Kieme. — Trotzdem würde diese Annahme zu einem unlösbaren Räthsel führen. Es finden sich nämlich alle Kiemeneier bei demselben Tkier ganz oder fast ganz im gleichen Entwicklungs- stadium. Wo sich seltene Ausnahmen davon finden, liegen sie nicht locali- sirt, sondern zwischen den übrigen Eiern vertheilt. Es ist nun doch nicht denkbar, dass die Eier eines ersten Schubes beim Eintritt eines neuen so lange in der Entwicklung still stehen sollten, bis ihnen die neuen nachgekommen sind. Die Sache scheint nur so erklärbar: Die Eier kommen in bald auf ein- ander folgenden Schüben oder selbst auf einmal in die Kieme. Wenigstens dürfte dies die Norm sein, Ausnahmen mögen vorkommen. — Die zunehmende Schwellung der Kiemen aber beruht auf mehreren anderen Factoren: einmal wächst die Menge des Schleims, in den die Eier später gebettet liegen; sodann verdickt sich die Wand der Kieme durch Epithelwucherung; es treten später zahllose amöboide Blutzellen auf, welche in Winterkiemen massenhaft auf den Embryonen umherkriechen; endlich, doch dies macht am wenigsten aus, die Eier selbst nehmen mit dem Wachsthum, um Einiges an Grösse zu, Allerdings fand ich bei Anodonta 1 (s. u.), welche noch ungefurchte Eier hatte, die Kieme auffallend schwach gefüllt. Ich erkläre mir dies so, dass das Thier durch den Fang gerade in den Wehen unterbrochen war, und unter den Bedingungen der Gefangenschaft das Geschäft nicht fortgesetzt. hat. Ueber die ersten Eintwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 271 ich behaupten, dass von dem Zeitpunkt an, wo das Kiemenei seinen Kern verloren hat und sich zur Bildung des Richtungskörpers an- schickt, keine Samenfäden oder Reste von solchen im Ei oder in der Kieme anzutreffen, und wahrnehmbare Befruchtungserscheinungen dann abgelaufen sind !). Die äussere Kieme wird von Ende Juli ab, unter Verdickung und Veränderung ihres Epithels, zur Bruttasche umgewandelt und mit Blut, oder doch mit einer Flüssigkeit gefüllt, in welcher massen- haft kriechende Zellen vom Habitus der Najadenblutkörper vorkom- men; die histiologischen Vorgänge dabei übergehe ich hier. Erste Eientwickluue. Einzelne der Anfangsstadien des Najadeneies aus den Kie- menbruttaschen sind. so viel ich finde, bisher von C. E. v.Baer, C.G.Carus?), Leuckart(s. u.), v.Hessling (Perlmuschel, p. 280) und vielleieht von Bronn gesehen worden 3); die nähere Kenntniss dieser Phasen bei Lamellibranchiern überhaupt ist bisher nur durch eine, dafür aber um so werthvollere Arbeit von Loven #) vertreten. O0. Schmidt, dem wir die erste genauere Schilderung der späteren 1) v. Hessling (die Perlmuschel p. 279) berichtet dagegen, in den Kiemen und auch in Kiemeneiern solche gesehen zu haben, und zeichnet solche (Taf. 7, Fig. 2) in einem schon dreifach gefurchten Ei. 2) Neue Untersuchungen über die Entwicklung unserer Flussmuschel. Nov. act. phys. med. Ac. Leop. Carol., Bd. 16, 1832. 3) Wenigstens finde ich in der mir oftenen Literatur — es ist die bei Bronn, Cl. u. Ordn. d. Weichthiere, p. 323 eitirte, die in E.v. Beneden’s Werk: Rech. s. l. constitution et 1. signification de l’oeuf, angezogene, und die seither in den deutschen Journalen und den Annal. and Magaz. for nat. history enthaltene oder referirte — nichts Einschlägliches mitgetheilt. Von den Aufsätzen, die etwa Verwerthbares enthalten könnten, war mir nur der von v. Beneden sen, über Anodonta (bei Bronn eitirt, Bullet. Acad. Brux. 1844, XI, 377—-85) unzugänglich; da er aber kurz, ohne Abbildung ist und da 0. Schmidt (l. i. c.) der 12 Jahre später arbeitete, ihn nicht erwähnt, sondern lediglich die Angaben von Carus als brauchbarste erwähnt, so erlaube ich mir ein Gleiches. Sollte ich doch Jemanden ignorirt haben, so mag es mit der Schwierigkeit entschuldigt sein, hier in Prag ausserdeutsche Werke zu erhalten. 4) Öfversigt af Kongl. Vetenskaps-Acad. Förhandl. 5 Ärg. Stockh. 1848. — Sie war mir nur aus der augenscheinlich sehr genauen Uebertragung Creplin’s (Arch. f. Naturg. 1849) zugänglich. 272 W. Flemming: Stadien verdanken !), stellt zwar ein noch ungefurchtes Ei von Unio (p. 190, Fig. 8) skizzirend dar, es fehlen dann jedoch die Folge- formen bis zu weit vorgeschrittener Furchung. Die Spärlichkeit ein- gehender Beobachtungen über diese Stadien mag aus der Anmer- kung ?) begreiflich werden, welche zugleich über die Methode und die Hindernisse der Untersuchung Aufschluss giebt. 1) Wien. Sitzungsber., math. nat. Cl., Bd. 19, 1856. p. 183. Zur Ent- wicklungsgeschichte der Najaden. 2) Der Beginn der Fortpflanzungszeit bei den Najaden hat zunächst geographische und wohl auch sonstige Schwankungen. Bei den Anodonten Norddeutschlands fand ich ihn stets in den August fallend. Vor dem 20. Au- gust 1872 traf ich unter den Anodonten der Warnow bei Rostock noch keine Kiementrächtige; ich beeilte mich an den Schweriner See zu gehen, wo die Thiere leichter und reichlicher zu erhalten sind, fand aber am 23. August und weiter hier alle gefangenen Weibchen hoch kiementrächtig, nirgends mehr Eier in den ersten Furchungsstadien. Bei der Rückkehr nach Rostock war es wieder zu spät, auch hier alles schon weit abgefurcht. Ich brachte also 1873 den August fast ganz in Schwerin zu. Die ersten zwei Fangexcursionen (zwischen dem 10.—17. August) brachten einige 20 Weibchen mit vorberei- teten, aber stets leeren Kiemen. Die dritte Fahrt, 19. August, 15 Weibchen, darunter 3 (Nr. 1, 2 u. 3, s. unten) mit noch ungefurchten oder eben fur- chenden Kiemeneiern, 5 mit schon weiter gefurchten, die übrigen mit leeren Kiemen. Folgende Fahrt, 23. Aug., 13 Weibchen, 8 davon trächtig, alle Embryonen schon weit abgefurcht. Fünfte Fahrt, 24. Aug., 24 Weibchen, eins noch mit 4fach gefurchten Kiemeneiern. 3 ınit leeren Kiemen, alle ande- ren mit schon sehr weit gefurchten Eiern. Weiter fand ich dann nur noch Eier von letzterer Beschaffenheit. Man sieht aus dieser Liste, dass in der Freiheit die frühsten Stadien sehr rasch ablaufen müssen; und dass sie bei den meisten Weibchen dessel- ben Fundplatzes nahezu gleichzeitig vorkommen. So drängt sich die Zeit, in der man die meiste Chance hat sie zu erhalten, auf wenige Tage zusam- men, und diese variiren noch nach den Fundorten. Ferner zeigen fast alle Kiemeneier derselben Muschel das gleiche Ent- wicklungsstadium (s. o. Anm.), man darf also nicht hoffen die verschiedenen Entwicklungsformen nebeneinander zu finden. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass es nicht gelingt, die Thiere in Aquarien zur Befruchtung zu bringen; eine noch schlimmere darin, dass ein Weibchen, dessen Kieme man einmal angeschnitten hat, sei es auch noch so schonend, die darin enthaltenen Eier nicht viel weiter zur Entwicklung bringt. Manchmal um einige Stadien weiter: aber immer beginnen dann bald unregelmässige, verkrüppelnde Abschnürungsformen an den Eiern auf- zutreten. Die feuchte Kammer hat mir in dieser Hinsicht weit bessere Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 273 v. Baer’s Beobachtung wird weiter unten angemerkt werden. — Die für die Zeit ihres Erscheinens (1832) vortreffliche Abhand- lung von Carus bietet für die Kenntniss der ersten Furchungs- Stadien begreiflicherweise wenig heute Verwerthbares; die optischen Mittel reichten dafür eben nicht aus, und die Deutungen sind ver- alte. Carus hat ungefurchte Kiemeneier von Unio vor sich gehabt (Taf. II Fig. 2, pag. 281. c.), zeichnet und beschreibt sie aber ganz gleich den reifen Eierstockseiern, deren Keimbläschen er für eine an der Oberfläche gelegene »Cicatricula« gehalten hat. Uebergänge von jenen zu weit gefurchten Embryonen sind nicht gesehen oder be- rücksichtigt worden. — Die’ kurze Darstellung v. Hessling’s, Unio margaritifera betreffend, zeigt uns Taf. 7 Fig. 1 c.d. zwei Kiemen- eier, deren Dotter in 3 resp. 5 runde, ganz gleich grosse, ganz gleich aussehende Kugeln getheilt ist. Der Leser wird aus dem Folgenden ersehen, dass meine Ergebnisse an Anodonta (wie auch Lov6n’s an Modiolaria) durchaus andere waren. Da bei so nah verwandten Arten wie Unio und Anodonta wohl keine fundamentalen Verschieden- heiten im Furchungsact bestehen werden, und da ich gewiss nicht annehmen möchte, dass v. Hessling seine Fig. 2 ganz schematisch gezeichnet hat, so vermuthe ich, dass ihın Zustände vorlagen gleich denen, welche ich unten pathologische genannt habe, und deren knolligen Abschnürungsformen seine Zeichnungen ziemlich genau ent- sprechen. Spermatozoen, wie siev. Hessling in dem Ei 2c sicher Dienste geleistet, wie die Kieme des verletzten Mutterthieres. — Hauptsäch- lich bleibt man also immer darauf angewiesen, grosse Massen von Muscheln zu opfern und die gefundenen Formen möglichst frisch zu vergleichen. Natürlich habe ich auch die künstliche Befruchtung versucht. Eierstocks- eier von August-Muscheln mit vorbereiteter Kieme wurden frisch mit frischem Sperma in Muschelblut, oder auch ohne Zusatz, direct beobachtet, oder in der feuchten Kammer, oder unter Luftzutritt, aber vor Verdunstung geschützt, hingestellt; die Spermatozoen blieben halbe Tage lang beweglich, aber nie drangen sie in ein Ei, nie entwickelte sich ein solches. Um eine künftige Controle meiner Angaben zu erleichtern, mache ich noch auf die merkwürdige Constanz aufmerksam, mit der sich die Fortpflan- zung an je einem Ort an den bestimmten Jahrestermin knüpft. Nach den 1872—3 beobachteten Stadien zu urtheilen, hat in beiden Jahren die Eier- ausstossung aller Schweriner Anodontenweibchen zwischen dem 17. und 25. Au- gust stattgefunden, ja bei der grossen Mehrzahl von ihnen muss sie beide Male auf die 2 Tage vom 18.—20. August beschränkt gewesen sein. M. Schultze, Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 10, 18 274 W. Flemming: gesehen zu haben angiebt, habe ich wie gesagt in oder an Anodon- teneiern nicht mehr vorgefunden. Ferner hat Leuckart (Handw. d. Physiologie, »Zeugung«, p. 501) sphärische »gelegte« Eier von Najaden erwähnt; näheres über sie und ihre nächste Fortentwicklung findet sich nicht angegeben. Die Angaben bei Bronn endlich (Cl. u. Ordn. d. Weichth. p. 458), welche von allen noch am Meisten über die ersten Vor- gänge auszusagen scheinen, geben dieselben keines Falls richtig wieder und sind sehr geeignet, Verwirrung anzurichten. Es heisst dort: »Die Eier — — besitzen eine hervortretende Mikropyle, in der sich bei Beginn der Dotterklüftungen in den Kiemen das licht- brechende bewegliche Körperchen, das Richtungsbläschen zeigt. Die anfangs kuglige Dottermasse unterscheidet sich in zwei ge- rundete ungleiche Hälften, von welchen die eine hell, die andere dunkel ist. Diese ist bei Anodonta zugleich die kleinere dem Rücken entsprechende, durch welche die Gesammtform etwas birnförmig wird, während sie bei Unio apfelförmig bleibt. Der Em- bryo rotirt« u. s. w. — Bronn erwähnt hier zuerst das Richtungs- bläschen des Najadeneies; da seine Citate keinen Aufschluss geben, von wem sonst die Beobachtung stammen könnte, so vermuthe ich, dass er aus eigener Erfahrung sprach. Der Leser wird sich nun aber aus Obigem errinnern, dass die Mikropyle des Kiemeneies durch jenen eigenthümlichen, flachen Körper (Fig. 6) verschlossen ist, wel- chem der Dotter anhaftet, und wird aus dem Folgenden ersehen, dass der Richtungskörper gerade am entgegengesetzten Pol des Dotters hervortritt. Es hat sich also wohl bei Bronn’s Beob- achtung um jenen, etwa durch. Druck abgelösten, schüsselförmigen Körper gehandelt. Die fernere Angabe Bronn’s, der Dotter theile sich in zwei ungleiche Hälften, ist zwar ganz richtig, aber sie entspricht gar nicht mehr dem ersten Theilungsstadium, sondern Bronn (der hier offenbar schon nach Carus eitirt) beschreibt darin . einen schon weit abgefurchten Embryo; was daraus ersichtlich ist, dass er den dunklen, dem Rückenpol entsprechenden Theil den klei- neren nennt: so ist es in der That nach der Abfurchung, bei der ersten Theilung aber ist dieser Theil bei Weitem der grössere. Meine eigenen Beobachtungen sind folgende: Bei der Anodonta Nr. 1, untersucht d. 20. August, waren beide Kiemen mit Eiern ge- füllt, welche die Formen der Fig. 10 und 11 zeigten. Der undurch- sichtige, ganz dem des Eierstockseies gleichende Dotter hing überall Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 275 fest an der Mikropylenstelle der Eihaut; constant an dem dieser Stelle entgegengesetzten Pole trat bei vielen ein heller blasser Kör- per (r) aus der Dotterkugel hervor !). Nirgends zeigten sich zwischen oder in den Eiern Spermatozoen oder Reste von ihnen. Portionen dieser Eier wurden alsbald, mit dem einhüllenden Schleim der Bruttasche, in mehrere feuchte Kammern gebracht. Leider war keine für Gaswechsel eingerichtete zur Verfügung, über- haupt nur eine geräumigere, in welcher allein sich die Eier, unter öfterem Luftwechsel, mehrere Tage lang normal, aber wahrschein- lich verlangsamt fortentwickelten. Die nächsten Veränderungen bis in den Anfang der Furchung liefen auch noch an den Eiern in der Kieme der aufbewahrten Muschel normal ab. Austreibung des Richtungskörpers. Eine Anzahl von Dottern sah noch völlig rund aus; andere wie in Fig. 10: an dem Pol, welcher von der Mikropyle am entferntesten lag — ich will ihn hier gleich den unteren nennen — zeigte sich ein über die körnige Dottermasse vorspringender, hyaliner Saum (Fig. 10); an anderen hob derselbe sich bucklig hervor ?2). Beiden Meisten war ein Zapfen hervorgedrängt, welchen die Figuren 16a—e und ihre Er- klärung besser alseine Beschreibung veranschaulichenkönnen. Anden Anfangsformen (Fig. 16) zeigten sich an der verjüngten Spitze des Körpers vielfach kurze, pseudopodienartige Fortsätze, an denen ich aber nie eine active, raschere Bewegung wahrnehmen konnte. In der Mitte des Körpers, oder unter der verjüngten Spitze, pflegt eine Schicht Körnchen zu liegen, gleich den kleinern Dotterkörnern. Die ganzeHervordrängung desZapfens konnte ich nun an einzel- nen, markirten Eiern auch successiv verfolgen: sie lief nie plötzlich, son- 1) Die Lage desselben liefert zugleich das beste Beweismittel, dass der Dotter immer an der Mikropyle sitzt. Man sieht natürlich auch Eier en face — d. h. in solcher Lage, dass der Dotter in der Mitte der Eihauthöhle zu liegen scheint (Fig. 17), und nicht immer gelingt es sie ins Profil zu drehen: aber an solchen Eiern ist nun niemals ein Richtungskörper zu sehen — na- türlich, weil er dann immer unter oder über dem dunklen Dotter liegt und verdeckt wird. 2) v. Baer (de ov. anim. et hominis genesi) beschreibt, wie er an Eiern von Anodonta das Keimbläschen gleich einem Hügel unter der Eihaut pro- miniren gesehen habe. Wahrscheinlich hat dabei das Stadium der Fig. 10 vorgelegen. 276 W. Flemming: dern sehr langsam ab, in der feuchten Kammer in Zeit von 2—3 Stunden, in der todten Kieme oder unter dem Deckglas weit lang- samer. Der Dotter wechselte dabei periodisch zwischen den Gestalten Fig. 10 und 11, und bei Ausbildung der Letzteren er- schien der Richtungskörper stärker hervorgedrängt. In keinem der Eier enthielt der Dotter einen Kern. Da er ganz die gleichen Körnermassen besass, wie das Eierstocksei, so war er freilich gleich diesem zu dunkel um den Einblick zu gestat- ten; doch wie dort, so braucht es auch hier nur einen Deckglasdruck (nicht etwa totale Zerquetschung), um die sichere Entscheidung zu fällen, ob ein Kern, oder sonst ein begrenzter Theil im Innern liegt. Dagegen enthielt der Dotter oft eine hellere Stelle, die auch am freiliegenden Ei bei sehr schwacher Vergrösserung schon durch- schimmerte (Fig. 17); in Fig. 10 und 11 ist sie so dargestellt, wie leichter Druck sie zeigt. Sie war dabei gegen die körnige Dotter- masse nicht abgegrenzt oder nur abgesetzt, auch keine Höhle, sondern ihre Substanz glich bei stärkerem Zerdrücken der Grund- masse des Dotters, nur dass sie eben wenige und kleinere. Körnchen enthielt. Sie lag nicht ganz central — so erschien sie nur in der en-face-Lage des Eies — sondern, wie das Profilbild (Fig. 10) ergab, mehr nach dem unteren Pol gerückt, dem Richtungskörper nahe, und war bei Dottern von der Form dieser Figur länglich gestaltet, die Längsaxe vom Bauch- gegen den Rückenpol gerichtet, bei Eiern der contrahirten Form dagegen rundlich (Fig. 11). Nicht in allen Eiern war sie erkennbar. Der Richtungskörper sitzt in diesen Stadien, und auch noch später, mit seiner Basis am Dotter fest. Er tingirt sich, wenn man ein solches Ei mit Fuchsinlösung färbt, intensiv, die helle Stelle im Dotter und die Grundmasse des Letzteren dagegen viel schwächer; die Dotterkörnchen gar nicht oder nur in geringerem Maasse. Zerdrückt man den Dotter ganz, so zeigt sich, dass der Richtungskörper jetzt der resistenteste Theil des Eies ist, denn auch bei stärkerem Drücken und Reiben erhält er sich noch in seiner Form, wenn das Eiprotoplasma schon ganz zergangen ist, und wenn man auch ihn zerquetscht, zeigt er sich doch zäher wie jenes; doch nicht so fest und teigig, wie z. B. der Kernkörper des Eierstockseies. Auch ist er lange nicht so stark lichtbrechend wie dieser. Er besitzt, ausser den schon erwähnten Körnchen, die nicht etwa Vacuolen sind, im Innern keinen erkennbaren geformten Theil; Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 277 ebenso wenig hat er irgend eine Hülle, und sein Grenzeontour in meinen Zeichnungen ist nur deshalb ein Strich geworden, weil sich das blasse und helle Aussehen des Körpers in der Eile der Beobach- tung schwer auf andere Weise wiedergeben liess. Das weitere Schicksal des Körpers mag hier gleich besprochen sein. In der Folge, noch vor dem Zweitheilungsstadium des Keims (s. u.), treten statt desselben (Fig. 16f. 2) zwei, anfangs zusammen- hängende auf. Ich konnte zwar noch nicht entscheiden, ob es sich dabei um eine Abschnürung, oder um den Nachschub eines weiteren Stückes aus dem Dotter handelt, weil der Vorgang sehr langsam ab- läuft und die Zeit auf Beobachtung anderer Dinge vertheilt werden “musste; doch sprechen viele Bilder mehr für Ersteres. Allerdings ist oft einige Volumszunahme des verdoppelten gegenüber dem ein- fachen Körper bemerkbar, doch dies kann ebensowohl auf einer Auf- quellung, wie auf einem Nachschub beruhen. Ausschliessen möchte ich jedenfalls, dass etwa die ganze helle Stelle im Dotter nur einer später nachfolgenden zweiten Portion des Richtungskörpers ent- spräche. — Später trennen sich die zwei Theile des Körpers ganz, lösen sich vom Ei, quellen zu Kugeln auf, bekommen dabei oft eine markirtere Rindenschicht oder Hülle, und zeigen im Inneren Körner und glänzende Körper von bald runden, bald eckigen Formen. Dann gehen sie unter; in Eiern, welche 4fach abgefurcht waren, fanden sie sich nicht mehr vor. Wegen der Membranlosigkeit des Gebildes, die schon Rathke') erkannt hat, habe ich den gebräuchlichen, von F. Müller einge- führten Namen Richtungsbläschen hier einstweilen in Richtungs- körper geändert, bis ein besserer zu machen sein wird. Für seine umfangreiche Literatur erlaube ich mir der Kürze wegen aufv. Hess- ling?), E. v. Beneden (l. c.) und Oellacher?) zu verweisen. Nachdem F. Müller die Lagebeziehung dieser Körper bei Schnecken zum Furchungsvorgange richtig erkannt, aber ihnen auch für das fol- gende Eileben eine allzuweitgehende Rolle zugeschrieben, hat man sienach Rathke’s Vorgang lange als »bedeutungslose Dottertropfen« registrirt, und auf Grund dieses Dogma’s die genaueste Beschrei- 1) Für Gasteropoden (Pontolimax): Wiegm. Arch. 1848, 187. 2) Zeitschr. f. wiss. Zoologie 1854 p. 414. 3) Beitr. z, Geschichte des Keimbläschens im Wirbelthiereie. Dies. Arch. Bd. 8, p. 22 ff. 278 W. Flemming: bung ihrer Genese, die schon seit 25 Jahren vorliegt, die von Lo- ven (l. ce.) gegebene, bis auf die neueste Zeit vernachlässigt. Robin!) und E.v. Beneden (l.c.) schenkten ihnen zwar wieder Aufmerksamkeit und Letzterer erkennt ihnen aus ihrer Constanz eine offenbar wichtige Rolle zu ; einer Deutung jedoch über ihr Wesen haben sich beide enthalten, auf eine solche hat erst in neuester Zeit die interessante Entdeckung Oellacher’s geführt, welche bekannt- lich auf das Beredteste dafür spricht, dass im Fisch- und Vogelei noch vor der Befruchtung der Kern (Keimbläschen) aus dem Keime ausgestossen wird. Oellacher hat danach sofort und mit Glück versucht, die verschiedenen Angaben über Richtungsbläschen und Polarkörper mit seinem Befund in Beziehung zu setzen, indem er jene Körper überall für ausgestossene Keimbläschen ansprach, und so nimmt er auch für Lovens Beobachtungen an, dass »der dort ausgetretene Körper das wenn auch veränderte Keimbläschen gewesen sei.« Die »Bedeutungslosigkeit« der fraglichen Körper dürfte wohl schon damit ihr Ende erreicht haben; bedeutungslos ist ohnehin niemals ein Phänomen zu nennen, das in einer bestimmten Periode des Eilebens constant in fast allen Thierklassen beobachtet wurde, — Zunächst möchte ich nichts weiter, als den Thatbestand präci- siren. Nach Oellacher’s Befund wird am Fischei der ganze Kern an die Oberfläche des Keims befördert, gesprengt und sein Inhalt ausgestossen. Loven beschreibt in seiner sehr genauen, offenbar nicht subjectiv gefärbten Schilderung einen Körper, der aus dem sichtbaren Kern ausgetrieben wurde, und giebt an, dass die Umhül- lung des Kerns dabei zunächst noch im Keim kenntlich blieb; er sprach den Körper, doch mit Vorsicht, für den Keimfleck an. Nach meinen Beobachtungen ist ein Körper ausgestossen worden, der eben- falls nicht die Merkmale des Kerns selbst hatte, welcher letztere um diese Zeit überhaupt nicht mehr in kenntlicher Gestalt vorhan- den war. Es ist also bei den Acephalen nicht das Keimbläschen, 1) M&moire sur les globules polaires de l’ovule. Journ. d. I. physiol. de l’homme et des animaux, 5 avr. 1862. Das Original blieb mir bis jetzt unzugänglich, was ich um so mehr bedaure, als aus v. Beneden — dem ich dies Citat entnehme — zu ersehen ist, dass Robin auch bei Mollusken die fraglichen Körper studirt hat. Es lässt sich aber aus dem dort Gesagten schliessen, dass er über ihr Wesen zu keinem Resultate gekommen ist. Ueber die ersten Entwieklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 279 ebenso wenig der Keimfleck, was ausgestossen wird. Aber Lo- ven schildert des Gebildes Austritt aus dem Kern; die von mir angeführten Eigenschaften — ich hebe besonders die starke Tinctionsfähigkeit hervor — weisen entschieden auch hier auf den Kern als seine Ursprungsstätte hin, und so liegt die Annahme wohl am nächsten, dass das Eliminirte hier bei den Mollusken ein Um- wandlungsproduct des Kerninhalts und des Kernkörpers ist. Der Hauptsache nach kommt das selbstversändlich ganz mit Oellacher’s Ansicht überein, wie am Schluss noch berührt werden soll. Theilung. Wenn ich Eier, an denen einige Stunden nach Be- sinn der Beobachtung der Richtungskörper in derForm der Fig. 16e voll und schön ausgebildet war, durch Druck auseinander trieb, so zeigte sich vielfach auf’s Deutlichste der gepresste Dotter in der Gestalt, welche Fig. 19 wiedergibt. Der Theil, an welchem der Richtungskörper hing, und der seiner Lage nach der vorher erwähnten lichten Stelle entsprach, grenzte sich dabei als ein viel hellerer, rundlicher, fein- körnigerer Ballen scharf von der übrigen, dunklerkörnigen Masse ab. EinKern war in keinem von beiden Theilen. Wenn man diese Bilder mit den weiter unten beschriebenen (Fig. 20) zusammenhält, so kann man den Gedanken nicht abweisen, dass um diese Zeit die zweite Zelle gewissermassen im Körper der ersten angelegt sein und also nicht rein »abgefurcht«, sondern aus dem Körper der ersten herausgeschnürt werden mag. Die Beobachtung der Eier in der feuchten Kammer war von der vollen Ausbildung des Richtungskörpers an etwa 2 Stunden lang unterbrochen worden; nach dieser Zeit zeigten sie alle schon die Form der Fig. 12: eine grosse dunkle, an der Mikropylenstelle fest- sitzende Kugel mit langsamem Formwechsel, an welcher, schräg neben dem Richtungskörper, eine kleine mit etwa halb so grossem Radius hing. Der Uebergang in dieses Stadium konnte leider nicht beob- achtet werden, da die Eier der übrigen feuchten Kammern und die in der Kieme belassenen sich äusserst langsam und später abnorm entwickelten, und die Keime der einzigen noch weiter gefundenen Muschel, bei welcher das vorhergehende Stadium der Fig. 10 u. 11 vorhanden war, dasselbe grade während der Nachtzeit verliessen. Die Eier von der Form der Fig. 12 zeigten auf Druck grossen- theils in jeder Partie einen Kern, mit 1—3 runden Kernkörpern, dessen Grösse mit der seiner Zelle proportional war. Der Kern der grossen Zelle lag für gewöhnlich nicht im Centrum, sondern einseitig 280 W. Flemming: gegen die kleine Zelle hinaufgerückt. — Die Eier gingen nun sehr allmählig, unter kaum verfolgbaren Formänderungen, in dem Zeit- raum von 5—9 Uhr Abends in die Form der Fig. 13 über: die kleine helle Zelle nahm an Umfang etwas zu, wurde gleichmässiger feinkörnig, und ging dabei in die Gestalt einer Halbkugel über, die mit der Basis an der grossen dunklen Zelle hing und von ihr durch eine lichte Schicht getrennt war; — diese entsprach, wie das Zer- drücken ergab, keiner Höhle, sondern einer körnerfreien Substanz. Diese Beschaffenheit behielten die Eier der feuchten Kammer, — unter gleichzeitig erfolgender Verdoppelung des Richtungskörpers, die ich oben schon vorweg beschrieb — bis Mitternacht bei. Am andern Morgen 8 Uhr waren alle Embryonen bereits vierzellig (Fig. 14). Aus der hellen, unteren halbkugligen Zelle waren nach höchster Wahrscheinlichkeit die drei neuen kleinen entstanden; denn diese verhielten sich in Bezug auf die Menge und geringe Grösse ihrer Körnchen ganz wie jene, während die grosse obere Zelle noch wie früher grobkörnig und sehr dunkel, und von derselben Grösse war wie im zweizelligen Stadium. Vollends sprach dafür, dass un- ter den Eiern vom gleichen Habitus, weiche die später gefundene Muschel Nr. 5 hatte, einzelne gefunden wurden, bei denen die 3 kleinen Zellen eine zusammenhängende Masse mit drei Kernen bildeten, die wie eine Kappe über der grossen Zelle lag. Dies zeigt zugleich, dass die Kernbildung der Zellentheilung hier vorangeht. — Die drei kleinen Zellen hatten aber jede eine ganz bestimmte Form: die eine (2. Fig. 14), war die grösseste und im Profil schief-viereckig, die entgegengesetzte und nächstgrosse (4.) ganz flach ausgebreitet, die mittlere (3.) weniger flach wie sie. Der Embryo ist also in diesem Stadium nicht bloss nach der Bauch-Rückenaxe, sondern auch schon in einer anderen Dimension seiner Form nach orientirt. — Häufig zeigten sich die drei Zellen von der grossen durch eine helle Zwischen- partie getrennt. Die Körnchen, welche die Zellen enthalten, ähneln ganz denen des Eierstockseies; in den drei kleinen Zellen fanden sich nur mitunter einige grössere, von starkem fettartigem Glanz (Fig. 28); die dunkle grosse Zelle enthält deren viele. Eier von diesem Habitus enthüllten auf Druck in je einer Zelle einen hellen, mit Hülle versehenen, rundlichen Kern mit 1—2 runden Kernkörpern (Fig. 15), dessen Grösse mit der der Zelle in Propor- tion stand. Der Kern der grossen Zelle 1 lag dabei constant in der Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 281 Partie derselben, welche an den Körper der Zelle 2 grenzte. Wei- tere Ermittelungen über die Kernbildung werde ich unten mittheilen; hier sei nur bemerkt, dass es unmöglich ist an diesem Object den Vorgängen dabei durch fortlaufende Beobachtung zu folgen, weil die Zellen im Profil (wie es die Figur giebt) zu undurchsichtig sind: und wenn das Ei en face liegt, so verdunkelt die grosse Zelle 1 das Ganze völlig. Auch die jetzt folgende Vermehrung der 3 kleinen Zellen ist hier schwer zu verfolgen, einmal wegen der Opacität, und dann, weil sie sehr langsam, niemals ruckweise abläuft. Unter lange an- dauernder Aufmerksamkeit liess sich so viel sehen, dass sich zu- ‚nächst ein Theil einer der kleinen Zellen, und zwar wie es schien immer der gegen die grosse Zelle 1 gerichtete, etwas verdunkelte und leicht bucklig hervorhob (Fig. 23), darauf in der Substanz der Zelle sehr allmählig eine körnchenfreie, helle Grenze ausbildete, welche die Abmarkung der neuen Zellkörper darstellte. Ich bin nicht zur Sicherheit darüber gekommen, ob stets eine bestimmte, und welche der drei Zellen die Vermehrnng beginnt. Am Abend des 2. Tages hatten auf diesem Wege die meisten der Eier 4—S untere kleine Zellen, während die grosse noch unverändert war; am nächsten Mor- gen fanden sich überall 6—9 kleine Zellen, welche nun zusammen einen grösseren Raum umgreifen wie Zelle 1. Der Kern dieser letz- teren zeigte sich jetzt beim Zerdrücken nicht mehr an einer Seite hinabgerückt, wie in Fig. 15, sondern mehr nach dem oberen Pol zu gelegen. Vielfach ist aber auch schon vor diesem Stadium — wie unten zu besprechen sein wird — die grosse Zelle Kernlos; und ebenso eine oder die andere der Zellen 2, 3, 4 Fig. 14 und ihrer Abkömmlinge. Das Zerdrücken ergiebt auch, dass die kleinen Zellen jetzt einen Raum überspannen, welcher entweder Flüssigkeit, oder doch eine Masse von viel minderer Consistenz enthält wie das Plasma der Zellen selbst. Der verdoppelte Richtungskörper trennt sich schon vor diesem Stadium vom Keim und seine beiden Theile lösen sich unter den oben beschriebenen Veränderungen im Eiweiss auf. Oefter findet man in diesem jetzt noch Körner oder Tropfen, die wohl Residuen von ihnen sind (Fig. 15). — Der Embryo selbst erscheint von nun an von der Mikropylenstelle gelöst. Von jetzt an begannen die Em- bryonen der feuchten Kammer abzusterben und zu zerfallen. — In der Form der Fig. 23 ist der Keim nun also erst in dem 282 W. Flemming: Stadium, welches Bronn (vgl. oben) als birnförmiges Anfangssta- dium beschrieb. Es ist jetzt in der That der dunkle Obertheil der kleinere und bleibt es zunächst. Natürlich konnten für die vielfach gebotenen Zerdrückungen nicht viele Eier aus der feuchten Kammer geopfert werden. Mate- rial dazu und zu sonstiger Vergleichung boten theils die Kiemeneier der bedeckt hingelegten Muschel, theils die dreier anderer, in- zwischen gefundener Thiere, über die ich zunächst das Nöthige berichte. Nr. 2 hatte Eier von ganz gleicher Form und Be- schaffenheit wie in Fig. 10. Bei Nr. 5 (wie die letztere mit Nr. 1 zusammen am 19. gefangen, erst am 21. Morgens untersucht) war die grosse Mehrzahl der Eier von der Form der Fig. 13, mit eben sich verdoppelndem Richtungskörper; eine geringe Zahl zeigte da- gegen reine Biscuit- oder Doppelsemmelform, wie in Fig. 2le. Ein kleiner Theil der Keime dieser beiden Thiere, welche theils in impro- visirten feuchten Kammern, theils in der Kieme weitergezogen wur- den, entwickelten sich nun ganz wie die Eier, deren Verhalten in der feuchten Kammer bisher beschrieben ist, bis zum Vierzellen- stadium. Nur hatten bei ihnen die drei kleinen Zellen dann mei- stens schon nicht mehr die bestimmten Formen der Fig. 14, sondern waren rundlich (wie in Fig. 21c) !). Bei dem grössten Theil der so behandelten Eier aber — wie auch bei der in der todten Kieme gelassenen Brut von Nr. 1 — traten nach Ausbildung der Form Fig. 13 Abschnürungszustände ein, die ich pathologische nennen will. Sie sind in den Skizzen Fig. 2la—e wiedergegeben. Meistens theilten sich die Dotter in mehrere ungleich grosse, nach keinem bestimmten Modus zusammenhängende Kugeln (a, b), manchmal schnürten sie sich in viele solche auseinander (d); einzelne aber furchten sich auch in zwei gleiche Hälften, so dass die Biscuitform Fig. 21e vorlag, welche, wie eben erwähnt, auch au einzelnen, frisch der Kieme ent- nommenen Eiern der Muschel Nr. 3 vorhanden war. — Alle diese Eier sowohl, ‘wie auch die zu der regelmässigeren Form Fig. 2le ent- wickelten, brachten es dann zu nichts Normalem ‘mehr; ein Theil starb ab, andere zerschnürten sich noch weiter in kleinere runde, un- gleichgrosse, auseinanderfallende Kugeln, — Die Theilungsabschnitte 1) Den Uebergang vom Stadium der Fig. 13 zu 14 habe ich auch hier nicht verfolgen können, da ich die kostbare Zeit lieber auf Beobachtung der normalen, als der wahrscheinlich abnormen Eier verwenden wollte. Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 283 aller dieser Formen enthielten bald Kerne, bald lichte Stellen, bald keins von Beiden. Bei einer weiteren, ganz frisch nach dem Farg am 23. unter- suchten Muschel befanden sich alle Kiemeneier genau in dem Vier- zellenstadium, welches bei denen von Nr. 1 in der Kammer erzogen worden war. Sie entwickelten sich grossentheils wie die Letzteren bis zu dem Stadium der Fig. 23; weiter liessen auch sie sich nicht bringen. Endlich wurde ein Thier (Nr. 5) mit Embryonen gefunden, welche aus einer oder zwei bis drei grossen dunklen, und 20—30 unteren kleinen Zellen bestanden (Fig. 24—27); ausserdem nur noch ‚einige solche, bei denen schon S—12 obere dunkle Zellen vorhanden waren; noch eins mit den Stadien Fig. 25—27, und dann nur noch weiter abgefurchte. Bei Nr. 5 war grade die grosse dunkle Zelle 1 in Theilung begriffen. Sie und ihre Abkömmlinge zeigten dabei äusserlich Fermen, Formveränderungen, Ein- und Abschnürungen, wie sie von furchenden Eiern vielfach bekannt sind, wie ich sie also nicht länger beschreiben will. Der Entwicklungsmodus, der hier beschrieben wurde, zeigt nicht wenig Eigenthümliches. Zunächst ist darin von einer gleichmässigen anfänglichen Abfurchung in gleiche Kugeln — wie sie v. Hessling für das Perlmuschelei annahm — keine Spur zu finden, die Thei- lung geht noch über das Vierzellenstadium hinaus ganz unregel- mässig vor sich. Aber das besagt heute nicht viel mehr: wissen wir doch schon von den Eiern so vieler Thiere, dass sie keine »gleich- mässige Furchung« durchmachen, und es wird der Glaube an eine solche vielleicht überhaupt zu verlassen sein. In der vergessenen Evolutionstheorie steckt neben allem Absurden ein Theil Wahrheit; wenn der Homunculus auch nicht im Ei liegt, es müssen doch schon in der Eizelle Vorgänge thätig sein, welche von vorn herein einzel- nen Theilen ihrer Substanz eine bestimmte künftige Entwicklungs- bahn anweisen; und das passt nach unsern heutigen embryologischen Kenntnissen schlecht in den Rahmen einer völlig gleichmässigen Abfurchung. Vielleicht wird sich noch manches früher beschriebene Bild von einer solchen als pathologisch herausstellen. — Auch be- sitzen wir ja namentlich aus neuester Zeit schon eine Reihe von Be- obachtungen, nach welchen bei den Eiern der verschiedensten Thiere — 284 W. Flemming: Würmer, Rotatorien, Nacktschnecken u. a. — ein zweizelliges An- fangsstadium existirt, in dem die eine Zelle kleiner und von ande- rer Beschaffenheit, wie die andere ist '). — Das Auffallendste an meinen Resultaten liegt vielmehr für mich in ihrer Verschiedenheit von denjenigen, welche Loven über die Furchung bei Modiolaria und Cardium mitgetheilt hat — den einzigen verwerthbaren Angaben, die wir bisher über die ersten Entwicklungsvorgänge bei Lamelli- branchiern besassen. Nach Loven’s detaillirter und offenbar auf sorgfältigster Beobachtung fussenden Schilderung (l. s. ce.) tritt der Richtungs- körper (bei L. der Keimfleck) am oberen Theil des Dotters heraus, welchen Theil Loven mit Rücksicht auf seine Producte den peri- pheren nennt. Dann bekommt auch hier der Dotter eine Birnform, mit hellem, kleinen, unteren Theil; dieser letztere aber (centraler Theil L.), wird nicht der zunächst weiter furchende Theil, sondern es scheidet sich nun der obere, dunklere Theil in zwei ungleiche Partien; die grössere derselben (linke L.) bezieht darauf die untere, helle (centrale) Partie in sich hinein, schnürt sich von der kleineren (rechten L.) ab und bekommt wie diese einen Kern: so dass jetzt zwei Zellen da sind, von denen die eine (linke) halb aus dunklen, halb aus hellen (per. u. centr.) Dotterbestandtheilen, die andere nur aus dunklen besteht. Darauf theilt sich sowohl diese letztere, als der obere dunkle Theil der linken, in je zwei Zellen; indem die helle untere Partie sich wieder von jener ablöst: jetzt giebt es vier Fur- chungszellen, nebeneinander in einer Ebene liegend, am oberen Pol der Vereinigungsstelle der Richtungskörper, gegenüber am unteren Pol die helle (centrale) Kugel, welche zunächst noch kernlos bleibt. In ähnlicher Weise geht es weiter und wird dann die am spätsten abfurchende helle Partie von der dunklen überwachsen. Für das Nähere verweise ich auf das Original. — Wenn man nun das eben eitirte mit dem Verhalten bei Anodonta in irgend eine Homologie bringen will, so wird man annehmen müssen, dass der helle, zuletzt abfurchende Theil am Modiolarienei gerade dem dunklen, oberen Theil am Najadenei entspricht; und ich bezweifle nicht, dass es so ist, da ich weit entfernt bin in Lov&n’s musterhaft genaue, und 1) Ausser Loven’s o. a. Schilderung mögen nur einige eitirt sein: Kowalevsky (Mem. de l’acad. de St. Pet. Tom. 16. 12) für Euaxes; Nä- geli, Salensky (Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 22, 456) für Brachionus ur- ceolaris; Langerhans (ebenda Bd. 23, 171) für Acera bullata. Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 285 an so durchsichtigem Object gewonnene Schilderung Misstrauen zu setzen. — Aber es bleiben auch dann noch Abweichungen genug aufzuklären. Der Leser, der etwa nicht allen Einzelheiten meiner obigen Darstellung gefolgt ist, wird vielleicht daran denken, es könnten grade die Formen die ich als normale der Beschreibung zu Grunde legte, die Formen der in der feuchten Kammer gezogenen Eier, — ab- norme, pathologische gewesen sein; es könnten vielmehr etwa die Doppelsemmelformen (Fig. 21), welche so sehr an anderweitig Be- kanntes erinnern, die natürlichen sein. — Das wird aber durch fol- sende Erwägungen gänzlich ausgeschlossen : 1. Haben die Eier der feuchten Kammer ganz die gleichen Sta- dien (Fig. 10—13) durchlaufen, welche sich in den Kiemen- eiern der frisch geöffneten Muscheln Nr. 2 und 3 fanden. 2. Haben sie ferner das gleiche Stadium erreicht (Fig. 14, 22) welches die ganz frisch nach dem Fang geöffnete Muschel Nr. 3 in den Kiemen hatte. 3. Sind die Eier von den zum Theil gleichmässig, meist aber sehr ungleichmässig abgeschnürten Formen (Fig. 21) ganz unzweifelhaft ohne weitere normale Entwicklung geblieben. 4. Sind die Biscuitformen Fig. 2l1e bei einer eben geöffneten Muschel nur einmal (Nr. 3) gefunden worden, neben jenen der Form Fig. 13, welche die grosse Mehrzahl ausmachten. Diese Muschel hatte aber bei der Eröffnung schon einen Tag und 2 Nächte mit anderen, in der Wasserschüssel gelegen. Es ist denkbar, dass unter diesen Umständen bei ihr schon ein kleiner Theil der Eier anfing sich pathologisch zu ent- wickeln. Ich will jedoch zur Vorsicht die Möglichkeit offen lassen, dass die Bisceuitform Fig. 2le ein normales, rasch vorübergehendes Stadium zwischen Fig. 13 und 14 sein kann, da mir der Uebergang zwischen diesen Beiden während der Nachtstunden entging. Die Schilderung der auf meine Fig. 27 folgenden Stadien und ihres histiologischen Baues unterlasse ich einstweilen. Im Groben ist die bisher vorhandene Lücke durch das hier Gegebene ausgefüllt; denn jenes Bild entspricht offenbar schon der Fig. 7 Taf. 3 bei Carus und steht wenig entfernt von O. Schmidt’s Fig. 2. 286 W. Flemming: Zur Kenntniss der Kernneubildung. Diese hatte, wie gesagt, an den opaken Objecten nicht unmittelbar beobachtet werden können. Durch Anwendung des Druckes erhielt ich indessen einen unerwarteten Aufschluss darüber. Es ist oben mitgetheilt, dass an vierzelligen Embryonen (Fig. 14, 22) oft die eineoder die andere Zelle sich auf Druck als kernlos er- gab. Bei einer grossen Zahl solcher Cytoden aber fanden sich dafür zwei helle, ziemlich central gelegene Flecke, ohne Körner; von ihnen aus fast regelmässig radiär gerichtet, gingen Strahlen ebenfalls körnerloser Substanz gegen die Peripherie, so dass die Körnchen, die zwischen diesen lagen, ebenfalls in regelmässig strahligen Reihen angeordnet waren. Oefter fanden sich auch Zellen, bei denen nur ein solches Radiärsystem, also mit einfachen hellen Centren, vor- handen zu sein schien; ich vermag aber nicht zu entscheiden, ob dies vielleicht nur darauf beruhte, dass eins der zwei Centren das andere deckte; denn durch Umrollen konnte ich mich nicht von dem Sachverhalt überzeugen, weil bei solchen Versuchen immer dieCytode gleich litt und das ganze Bild zerstört wurde. Die Beachtung. dieser Structur fordert überhaupt eben eine nur leichte und vorsichtige Pression. Da man dieselbe bei gleichem Druck immer nur an einem Theil der grade vorhandenen Cytoden sieht, während an den an- dern weder die Radiärsysteme noch sonst ein Kernrest zu finden ist, so ist wohl anzunehmen, dass es sich nur um ein Uebergangsstadium handelt und dass vor, oder nach demselben überhaupt mit unsern bisherigen Mitteln keine Spur des Kerns erkennbar ist. Niemals fand ich solche Radiärsysteme oder Aehnliches in Zel- len, welche einen Kern besassen, obwohl, wie begreiflich, eine möglichst grosse Menge controlirt wurde. — Auf dieses Sta- dium folgt ein Anderes, in welchem die Zelle 2 Kerne hat, aber noch nicht getheilt ist (Fig. 29). Die in den Kiemen von Nr. 4 hatten z. B. am 23. Abends (einige Stunden nach dem Fang) alle die Form Fig. 22; in den späten Nachtstunden aber fan- den sich einige, und am nächsten Morgen viele, die in der Zelle 1 statt der strahligen Figur zwei Kerne besassen (Fig. 29). Aehn- lich später mit den grossen Zellen von Nr. 5 (Fig. 24). — Gar nicht zu denken ist daran, dass die Radiensysteme etwa aus Zersprengung eines Kerns entstanden wären: diese verlangt einen viel stärkeren Druck, bei welchem die radiäre Structur in benachbarten Zellen schon längst verwischt ist. Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 287 Das Beschriebene wurde constatirt an Eiern der Anodonta Nr. 1 und 4 (Form Fig. 14), an den Eiern von Nr. 2 und 3, welche sich zu ähnlichen, nur schon etwas knolligen Formen (Fig. 21e) entwickelt hatten, und auch an abnorm gefurchten Eiern verschie- dener Formen, endlich an Embryonen von Nr. 51), welche schon weiter gefurcht waren. Da Nr. 4 und 5 bei der Untersuchung ganz frisch aus dem See kamen, so ist der Verdacht ausgeschlossen, dass es sich etwa um abnorme Vorgänge in den Zellen gehandelt haben könnte. Die verschiedenen Typen der bei letzterer Muschel ge- fundenen Bilder ergeben sich besser, wie aus längerer Beschrei- bung, aus den’Skizzen Fig. 24—27. — Da das unzerdrückte Ei eben absolut keinen Einblick gestattet, so war es unmöglich diese Ver- änderungen direct ablaufen zu sehen. Sehr nahe liest nun die Vermuthung, dass eine ähnliche strah- lige Structur auch in dem Körper der. beiden ersten (Fig. 12. 13) und der ersten (Fig. 10. 11) Embryonalzelle vorhanden gewesen sein mag. Wenn ich sie bei diesen nichtibeobachtet hatte, so könnte das daran liegen, dass je grösser die Cytode noch ist (wie in Fig. 24), desto leichter die Radiärzeichnung durch stärkeren Druck verwischt wird und desto schwerer bei der noch immer bleibenden Opaeität zu erkennen ist; doch besonders wohl daran, dass ich bei der Be- obachtung jener frühen Stadien auf dies Verhältniss noch nicht auf- merksam geworden war. Leider standen dieselben nachher dann nicht mehr zur Verfügung. Es ist mehrfach angegeben und mannichfach bestritten wor- den, dass die Kerne der Furchungszellen zeitweis verschwinden 2). 1) Da bei diesen neben 20—30 kleinen Zellen zum Theil erst eine, offenbar jetzt die Furchung beginnende obere Zelle zu finden war, und da doch auch schon bei Nr. 3 (vierzellige Form) diese letztere Zelle schon viel- fach kernlos war oder Radiensysteme hatte, so wird anzunehmen sein, dass die Abfurchung dieser Zelle bald etwas früher, bald etwasspäter einsetzt und lange dauern kann. Nach der Eniwicklungsdauer in der feuchten Kammer gerech- net, hätten die Formen Fig. 22 und 24 mindestens um einen Tag auseinan- der gelegen; es ist aber wahrscheinlich, dass die Vorgänge in der Freiheit viel rascher ablaufen. 2) Bei den Pflanzen ist das Schwinden und die freie Neubildung von Kernen bekannte Thatsache. — Für die umfangreiche Literatur des Keim- bläschens und der Furchungskerne erlaube ich mir hier einstweilen auf die eitirten Arbeiten E. van Beneden’s und Oellacher’s zu verweisen, 288 W. Flemming: Die genaueste, mir bekannte Beschreibung des Vorganges hat Lo- ven in seinem schon mehrfach angezogenen Aufsatz geliefert; eine radiäre Structur in den Zellenkörpern erwähnt er nicht, vielleicht war sie bei seinen Objeceten nicht erkennbar. — Seitdem ist aber wieder mancher Einspruch erfolgt; so von Seiten E.v. Beneden’s. Ihm sind zwar bei seiner reichen Erfahrung die Bilder von perio- discher Kernlosigkeit der Furchungszellen nicht entgangen; aber ge- stützt auf andere Beobachtungen, die hm an manchen Eiern die Entstehung neuer Kerne durch Theilung des alten dargethan haben, vermuthet er, dass jene Bilder scheinbare sein und nicht auf einem Untergang, sondern nur auf einem Unsichtbarwerden der Kerne durch periodische Verdichtung in den Zellenkörpern beruhen mögen '). Dem gegenüber hat Oellacher (l. e. und Stricker’s Laborato- riumheft 1870) in den ersten Furchungskugeln des Vogel- und Fischeies keine Kerne gefunden. Was ich hier geschildert habe, erweist nun wohl, dass 2 Fur- chungszellen des Anodontenkeims wirklich bei ihrer Vermehrung Stadien durchmachen, in welchen sie kernlos sind; und ferner, dass hierbei ein Zustand eintritt, in welchem in ihnen eine eigen- thümliche, strahlige Anordnung der Zellsubstanz um zwei Centren vorliegt, welche — woran wohl ein Jeder denken wird — wahr- scheinlich als die Bildungscentren der beiden neuen Kerne anzu- sehen sind. Man könnte einwenden, dass die Kerne doch da sein mögen, und nur eine zeitweilige Veränderung erlitten haben, in welcher sie durch den angewandten Druck gleich zerstört werden; oder, man könnte das Radiärsystem selbst einen Kern nennen wollen. — Ich würde erwidern, dass der Name Kern sich für uns einstweilen an bestimmte Merkmale knüpft: eine Membran oder eine scharfe Absetzung nach Aussen, einen von der Umgebung verschiedenen In- halt und meistens einen Kernkörper. Wenn man nun unter ganz denselben Druckbedingungen in hunderten von Fällen in den einen Zellen einen so beschaffenen Kern trifit, welcher auch einem weiter foreirten Druck noch lange widersteht, in andern Zellen dagegen gar keinen geformten Innentheil, und in den dritten ein Radiärsystem: so nenne ich eben die letzteren beiden Zellenarten 1) Recherches sur la constitution et la signification de l’oeuf. Mem. cour. de l’acad. belg. 1870 t. 34. Vgl. z. B. p. 39 über Udonella. Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 289 kernlos. Die Substanz des nicht mehr sichtbaren Nucleus wird jeden- falls in irgend einer Form in den Zellen noch vorhanden, vielleicht sogar localisirt sein; aber wer sie in diesem Zustand Kern nennen wollte, der würde mit gleichem Recht die Auflösung eines Koch- salzkrystalles als einen Krystall bezeichnen können. Auf der anderen Seite stimmen meine Beobachtungen bei Ano- donta wiederum völlig mit denen von v. Beneden und Bischoff am Säugethierei, wonach dasselbe vor der ersten Furchung schon zweikernig ist ') und wonach die zwei ersten Furchungszellen schon Kerne enthalten (Fig. 20). Die Kerne sind da, nur waren sie vor- her nicht da. Wenn nun also die Furchungszellen hier ein kernloses Stadium durchmachen, so wird auch wohl die Eizelle selbst ein Gleiches thun können; und damit kommen wir zu der alten vielumstrittenen Car- dinalfrage nach Schwinden oder Persistenz des Keimbläschens. Nach dem, was schon oben über die Austreibung des Richtungskörpers bemerkt wurde, ergibt sich, dass ich in der Hauptsache für das Anodontenei die Ansicht Oellacher’s durchaus bestätigt finden muss, und E. v. Beneden’s Vermuthung, nach welcher der Kern der Eizelle überall persistent bleiben und die Mutter aller künftigen Zellkerne sein könne, nicht allgemeine Tragweite beimessen kann. Wenn auch nach Loven’s und den hier mitgetheilten Er- gebnissen bei Acephaleneiern nicht der Kern als solcher, wie nach Oellacher beim Fisch- und Vogelei, ausgestossen wird, so zweifle ich doch nicht, dass das Ausgetriebene auch hier eine Umwandlungs- form, sei es des Kerninhalts, sei es des ganzen Kerns, darstellt. Doch auch ganz abgesehen davon: der directe Beweis ist damit ge- geben, dass es eben Stadien giebt (Fig. 10 und 11 vgl. o.), wo in Eiern, die sich später normal entwickelten, kein Kern vorhanden war, sondern bei Vielen kein wahrnehmbarer Theil im Inneren, bei andern nur eine lichte Stelle, welcher die Merkmale eines Kerns fehlen und also auch sein Name nicht zusteht. Die Vermuthung jedoch, welche Oellacher auf .der einen, und v. Beneden auf der andern Seite hegt: »es möchte das Ver- halten des Keimbläschens in den Eiern aller Thiere das gleiche sein«, 1) Dies habe ich allerdings nicht am ungetheilten Ei, aber doch an der grossen Zelle im Vierzellenstadium (Uebergang von Fig. 22, 1 zu Fig. 29) constatiren können. M, Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 10. 19 290 W. Flemming: will ich damit noch nicht unterschrieben haben. Denn a priori lässt sich nichts gegen die Möglichkeit einwenden, dass die einen Thiere als Zellen, die andern als Cytoden ihr Leben beginnen mögen. Die Hauptergebnisse mögen zum Schluss kurz zusammenge- fasst sein. 1. Die Eizelle (Keim) von Anodonta macht vor ihrer ersten Theilung ein Stadium durch, in welchem sie kernlos ist. 2. In diesem Stadium wird unter Gestaltveränderungen des Keims ein Körper (Richtungskörper, Richtungsbläschen F. Müller, Polarkugel Robin) aus ihm hervorgetrieben, welcher nach seinem Verhalten wahrscheinlich ein Umwandlungsproduct des Kerninhalts, vielleicht des ganzen Kernes ist. Die Kernmembran ist in diesem Stadium verschwunden. Der Richtungskörper tritt am untern, von der Mikropyle abgewendeten Pol der Eikugel, also dem Centrum der Eihautkugel zugekehrt, hervor; verdoppelt sich, und geht später unter. Bald nach seinem Hervortreten findet sich in dem (noch kern- losen) Keim gegen den untern Pol zu eine in sich abgegrenzte, rund- liche Masse, welche, abgesehen von dem noch fehlenden Kern, in Grösse und Beschaffenheit der späteren zweiten Theilungszelle (Fur- chungszelle) ähnlich ist. 3. Diese zweite Zelle (2. Fig. 12) tritt seitlich (schräg) neben dem Richtungskörper auf und ist viel kleiner und heller (feinkör- niger) wie die erste (1. Fig. 12). Beide haben jetzt Kerne. 4. Die zweite Zelle theilt sichzunächst alleın weiter und zwar wahr- scheinlich direet in drei kleinere Zellen (2,3, 4 Fig. 14), von denen jede ihre bestimmte Form hat. Auch weiter theilen sich zunächst diese und werden zur grösseren, unteren, helleren Partie des Embryo, während die Theilung der grossen Zelle 1 jetzt zwar auch ansetzt, aber viel langsamer fortschreitet. 5. Bei diesen Theilungen erfolgt zunächst der morphologische Untergang des Kernes; darauf erscheinen 2 Kerne in je einem Zellen- körper, welcher sich erst dann selber theilt. Abschnürungsformen von Kernen, welche auf directe Kerntheilung zu deuten wären, wur- den nie beobachtet. 6. Zwischen dem Verschwinden eines Kernes und dem Auf- Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 291 treten von zwei neuen liegt ein Stadium, in welchem im Innern der Zelle zwei helle, nahe beisammen liegende Centren von körnchen- loser Substanz bestehen, von denen aus Radien ebensolcher Substanz gegen den Umfang zu geordnet liegen. 7. Die Befruchtung bei Anodonta erfolgt nicht frei im Wasser, sondern höchst wahrscheinlich in den Kiemengängen oder auch noch in der Kieme; die Eier gelangen in diese auf dem durch v. Baer angegebenen Wege. 8. Der v. Hessling’sche Nebenkörper im Eierstocksei existirt bei Anodonta im Frühling, nicht aber in oder vor der Befruchtungs- zeit (Hochsommer) und ist mit den Richtungskörpern am furchenden . Ei nicht zu verwechseln. 9. Der Keber’sche Körper in der Mikropyle des Eierstockseies existirt als Körper (0. Schmidt); er ist körnig, von scheiben- oder linsenförmiger, doch sehr wechselnder Form, und hat mit den Be- fruchtungsvorgängen nichts zu thun, sondern ist mit den Ernährungs- vorgängen des Dotters in Beziehung zu bringen. Prag, 15. October 1873. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVE. Fig. 1. Reifes Eierstocksei von Anodonta (März); die Stelle der verstrei- chenden Mikropyle nach oben gerichtet. Kern und Kernkörper so gezeichnet, wie sie leichter Druck sichtbar macht. Im Eiweiss ein v. Hessling’scher Nebenkörper. Hartn. VI. Oe. 1. Fig. 2. Kernkörper eines mittelgrossen Eierstockseies derselber, Sommer, a frisch, b carminisirt und zerdrückt. IX. 3. Fig. 3. Kernkörper von reifen August-Eierstockseiern (vgl. Text). IX. 2. Fig. 4. Kernkörper aus Ovarieneiern von Tichogonia polymorpha, a frisch, b zerdrückt, VII. 1;c: IX. 3 und noch vergrössert dargestellt, d sche- matischer Durchschnitt. Nebenkörper aus Frühlingseiern von Anodonta, verschiedene Formen (s. Text). IX. 3. Fig. 6. a Mikropyle eines Kiemeneies mit jungem Embryo, geschlossen, von oben: Flächenbild des innen anlagernden Körpers, hier von reiner Schüsselform. b Mikropylenloch (Hals verstrichen) nach Abspren- gung des Körpers, welcher in ce im opt. Durchschnitt, in d von der Fläche gez. ist. VII 3. {ud 1 Fig. 292 W. Flemming: Ueb. d. ersten Entwicklungsersch. a. Ei d. Teichmuschel. Fig. 7. Fig. Fig. AU; . 23, . 28. . 29, Mikropyle eines halbwüchsigen Eierstockseies von Unio mit Keber’- schem Körper, a en face, b en profil, ce der Körper herausgedrückt, d derselbe isolirt und zerdrückt, biconcav, eringförmig, fganz dem Dotter anklebend, g in grösserem Zustand. In b und g längsge- streifte Substanz im Hals der Mikropyle. VII. 2 und 3. Alle folgenden Abbildungen von Anodonta. Samenfaden aus dem Kiemengang eines Weibchens von Mitte Au- gust. IX. 3. Eigenthümliche spiralige, agile Körper, welche in der Ovarienflüs- sigkeit zu verschiedenen Jahreszeiten gefunden werden. IX. 3. Ei aus der Kieme von Anodonta Nr. 1, 11h. Vormittags, mit An- fang desRichtungskörpers unten. Feuchte Kammer. IV. 3, wie die meisten übrigen Figuren. . Ebensolches, andere Form. . Erstes Theilungsstadium. 5/,;b- Abends. . Spätere Form desselben. 9h. Abends. . Vierzelliges Stadium, am nächsten Morgen 8b. . Ein Ei dieser selben Form von Anodonta Nr. 4, leicht gedrückt. . Bildung des Richtungskörpers an Eiern der Formen 10—13: abce eontinuirliche Reihenfolge. d besonders unregelmässige (selten be- obachtete) Form. fg Verdoppelungsformen. VII. 3, u. VII. 1. Ei des Stadium Fig. 10 u. 11, von oben gesehen, schwach vergr. . Spätere Form einer schon abgelösten Richtungskörperhälfte. . Ei des Stadium Fig. 11, zerdrückt. Stadium Fig. 12—13, zerdrückt. . Verkrüppelte, pathologische Formen von Eiern aus todten Kiemen oder zu engen feuchten Kammern, schwach vergr. skizzirt. . Ei von Anodonta Nr. 4, frisch aus der Kieme, leicht gedrückt: dop- pelte Radiärsysteme. VI. 1. Ei von Nr. 1 aus der feuchten Kammer, ein nach Fig. 14 folgendes Stadium. . 24—27. Eier von Anod. Nr. 5, grosse Zelle 1 in Theilung begriffen: z. Th. mit Radiärsystemen. Eine der 3 kleinen Zellen eines Eies vom 4zelligen Stadium (s. Fig. 14) im kernlosen Zustand vor der Theilung, Radiärsysteme. VII. 3. Grosse Zelle 1 eines Embryo von der Form Fig. 22, der um meh- rere Stunden weiter war als der Fig. 22 gezeichnete. 2 Kerne statt des doppelten Radiensystems. IV. 3, Ueber einige Erscheinungen an den Muskeln leben- diger Corethra plumicornis-Larven. Von G, BR. Wagener. Hierzu Tafel XVII und XVIM. In einer Mittheilnng (dieses Archiv 1873 Bd. 9 pag. 712) habe ich die Durchgängigkeit der feinsten Muskelfibrille für die eontractile Substanz nachzuweisen versucht, der Anschauung gegenüber, welche die Muskelfibrille in eine Menge von gegeneinan- der abgeschlossenen Kästchen zerlegt, von denen jedes isotrope und anisotrope Substanz enthalten soll. Mein Beweis stützte sich auf das Vorhandensein einer feinen, leicht zu übersehenden Querstrei- fung innerhalb der s. g. Muskelkästchen bei den Säulen der Thorax- muskeln von Insecten, und den bedeutenden Verschiedenheiten in der Grösse der anisotropen Abtheilungen bei ein- und demselben Thiere!). Zugleich wurde auf die Unmöglichkeit, einen Charakter für die angenommene Scheidewand aufzustellen, hingewiesen, welche schon dadurch hervortritt, dass zwei so ausgezeichnete Beobachter, wie Hensen und Krause, sich nicht im gegebenen Falle ver- ständigen konnten, obgleich beide Forscher die Existenz der Scheide- wand vertreten. Dass die feine, schon von Brücke wahrscheinlich gesehene Querstreifung nicht, wie Dönitz meint, auf Interferenz beruht, er- gibt sich aus dem Verhalten anderer, in demselben Gesichtsfelde sich befindender Säulen, welche, obgleich unter genau denselben Bedin- gungen der Beleuchtung stehend, doch keine Linien zeigten. 1) Brücke Wiener Acad. Abh. Bd. XV 1858 pag. 70 u. f. 294 G. R. Wagener: Was die Isotropie und Anisotropie der Fibrillen anbelangt, so ist die Beobachtung Merkel’s für den Werth dieser Erscheinung an Muskeln von grosser Wichtiekeit. Er bemerkte, dass die Iso- tropie von der Anisotropie nicht streng geschieden ist, beide viel- mehr allmählich in einander übergehn. Es gibt eine sehr schwache Anisotropie an Stellen, wo das äussere Aussehn (der Fibrille auf Isotropie schliessen lässt. Möchte man dieser Thatsache gegenüber nicht daran denken, dass durch das grelle Licht der anisotropen Theile im: dunklen Gesichtsfelde das Auge unfähig gemacht wird, die schwache Polarisation der isotropen wahrzunehmen ? Ich wenigstens glaube bei vorschriftsmässig zubereiteten Präparaten und äusserster Aufmerksamkeit, isotrop scheinende Stellen als sehr schwach aniso- trop zuweilen erkannt zu haben, indem mir die isotrope Stelle des Inseetenmuskelbündels, nach möglichster Abhaltung des auffallenden Lichts vom Objeete und vom beobachtenden Auge, sehr schwach weisslich gefärbt erschien, so dass ich den Rand des Muskelbündels ununterbrochen verfolgen konnte. Die bei diesen Beobachtungen nicht zu vermeidende grosse Anstrengung des Auges verbietet leider eine häufige Wiederholung der Prüfung dieses Verhaltens der für sewöhnlich als isotrop bezeichneten Abtheilungen des Muskelbündels '). Die jetzt mitzutheilenden Beobachtungen sind an den überaus durchsichtigen Larven von Corethra plumicornis gemacht. Die Lebenszähigkeit dieser Thiere, welche dieselben drei Stunden, und bei frisch eingefangenen, wohl noch länger für die Beobachtung taug- lich erhält; die das Licht nur schwach brechende Flüssigkeit, welche die Organe umspült; der isolirte Verlauf der Muskelbündel, der bei anderen Larven von Mücken nicht in der Art vorkommt, machen das Thier zu einem unerschöpflichen Gegenstand für den Beobachter. Die Organe, welche sich dauernd bewegen, sind der Darm und namentlich das Herz. Ohne hier auf die Details der Anatomie ein- zugehn, da Leydigund Weismann sich damit besonders beschäf- tigt haben, verdienen doch gewisse Erscheinungen am Herzen, dem Circulationsorgane, einige Berücksichtigung. 1) In meiner angezogenen Mittheilung ist bei Fig. 22 als Vergrösserung 920mal angegeben. Eine Zeichnung bei dieser Vergrösserung ist aber in dieser Figur 5mal vergrössert. Es muss also dort 920 x 5 heissen. Aus Fig. 21 ergibt sich diese Angabe von selbst. Erscheinungen an den Muskeln lebendiger Corethra plumicornis-Larven. 295 Das Herz bildet einen langen, feinhäutigen Schlauch, an dessen Seiten sich in regelmässigen Abständen feine Muskelfibrillen in Form von Büscheln ansetzen, welche mit grossen grünlich glänzenden, ovalen, etwas körnigen Körpern in Verbindung stehn. Beider Contraction zieht sich der Schlauch der Länge nach zusammen, und es entstehen feine Falten. Dabei werden auch Kerne leichter wahrnehmbar, welche bei sich wieder füllendem Organe nur schwer sichtbar sind. Vom Gehirn erhält das Herz, an der Stelle, wo es sich über demselben befindet, einen starken, in mehrere Aeste sich zersplitternden Nerven, dessen Endigungen sich aber sehr rasch der Beobachtung entziehn. Es läge, da es mir bis jetzt durchaus nicht gelang, weitere nervöse Organe an dem Herzen zu finden, hier ein Fall vor, welcher nach der Engelmann’schen Darstellung sein Analogon im Ureter fände (Pilüger’s Archiv Bd. II 1869, pag. 246). Bei diesem lassen sich Ganglienzellen innerhalb des Organes so wenig, wie beim Her- zen der Corethra nachweisen. Ferner würde, die wenigen leicht zu übersehenden Kerne ausgenommen, deren histiologische Bestimmung fraglich bleibt, dem Corethraherzen auch eine „contractile Substanz“ zuzuschreiben sein, welche optisch durch die ganze Länge des Or- ganes „ein Continuum bildet“ (l. c. pag. 248). Selbst beim Abster- ben der Larve vermochte ich keine contractilen Elemente in dem Herzen nachzuweisen, ein Umstand, der beim Ureter nach Engel- manns Darstellung nicht eintrat, indem hier die glatten Muskel- fasern, isolirt durch Zwischengevwrebe, wahrzunehmen waren. Engel- mann nennt nun diesen Zustand, wo er an dem Ureter nichts von getrennten Muskelelementen sah, den „physiologisch frischen Zustand des Organes.“ Hermann in seinem Grundriss der Physiologie pag. 370 übersetzt wohl richtig diese Aeusserungen Engelmanns in den einfachen Satz: „Die spindelförmigen Muskelzellen sollen nicht praeexistiren, sondern erst beim Absterben auftreten. (Engelmann).“ Dass dieser Satz nicht zu widerlegen ist, aber auch nicht zu be- weisen, liegt wohl zu Tage. Im Uebrigen verweise ich auf die An- merkung (dieses Archiv Bd. 9. pag. 716) meines Aufsatzes. Die Muskeln der Corethra-Larve treten in Form von Platten, Bündeln und kleineren Fibrillencomplexen auf. Man findet auch häufig Formen, welche aus zwei, an ihrem einen Ende innig ver- einigten Muskelbündeln bestehn, eine Vereinigung, die zuweilen den grössten Theil der beiden zusammentretenden Hälften trifft. Man begegnet auch Entwicklungsformen der Muskeln. Das kernreiche, 296 G. R. Wagener: höchst‘ durchsichtige Protoplasma unter dem Chitinskelet führt zu- weilen feine, eng aneinander liegende Streifen in Form schmaler Bänder; welche von einer Gliedgrenze des Thieres zur andern gehn, und zwar an Stellen, die später von Muskeln eingenommen werden !). Von Muskeln mit langen Chitinsehnen finden sich nur ein Paar am Kopfe. Die Sehne setzt sich, wie immer, schief an das Muskel- fleisch, und bei ganz jungen Thieren, die sich häuten wollen, lässt sich ein Protoplasma-Ueberzug aussen auf der Sehne wahrnehmen, ganz in der Art, wie es A. Baur an der Kaumuskelsehne des Flusskrebses beschrieben hat. Die Sehne erscheint hohl, und bei jungen Thieren noch weich. Die Muskeln, welche sich am Herzen ansetzen, sind kurze, schmale Bündel. Siehaben die Breite von Säulen aus dem Thorax von Insecten. Sie fahren in der Nähe des Herzens pinselförmig in feinste Fibrillen auseinander, und stehn mit jenen eigenthümlichen, grünlich glänzen- den, körnigen Körpern in Verbindung, deren oben gedacht wurde. Die Fäden lassen an ihrem Ursprunge aus dem Bündelchen noch deutliche Querstreifen erkennen, welche bei der Erweiterung des Herzens, also ihrer Contraction, wie feine Runzeln erscheinen. Je näher dem Herzen um so undeutlicher werden sie, ganz so wie die feinsten Fibrillen des sich verzweigenden Muskelbündels in der Froschzunge es aufweisen. 1) Sie sind nicht mit Nerven zu verwechseln, von denen Weismann (Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 16. 1866 pag. 68 Taf. V. Fig. 21) redet. Es geht nämlich von den Bauchganglien ein Nerv ab, der sich theilt. Er zeigt in seinem Innern ein Bündel feiner, von der Wand abstehender Streifen. Eine Abtheilung derselben geht mit dem einen Zweige, die andere mit dem, zum Protoplasma unter der Haut gehenden ab. Kurz vor der Theilung werden die Streifen eine kurze Strecke dicker, nehmen darauf aber wieder die frü- here Stärke an, und lassen sich nun bis ins Protoplasma hinein verfolgen, wo sie sich mehr und mehr von einander lösen, und nach allen Seiten hin aus- strahlend dem Blicke sich entziehn, immer feiner werdend.. Weismann hat die Streifen nur bis zur Nerventheilung verfolgt. s. Fig. 21 Taf. V. loc. c. Sie gehn in die Haut, und nicht zu den Borsten. Ich muss noch gegenüber der Weismann’schen Schilderung des Sachverhaltes hervorheben, dass die An- schwellungen der Streifen nicht so wie er sie abbildet (Fig. 21) erschienen, sondern als ein Bündel von Anschwellungen der einzelnen Streifen. Es ist möglich, dass W.’s Darstellung eine Entwicklungsform betrifft, welche der von mir berührten voraufgeht, Erscheinungen an den Muskeln lebendiger Corethra plumicornis-Larven. 297 An diesen kleinen, säulenartigen!) Muskeln des Herzens wäre noch hervorzuheben, dass die anisotropen Theile sich zuweilen stark über den Rand des Bündels hervorwölben. Diese Erscheinung könnte dahin ausgelegt werden, dass das Sarkolemm hier sich in Form von ringförmigen Blasen erhoben hätte. Abgesehn von anderen Grün- den lässt diese Anschauung sich nicht festhalten, da beim Zerfall des Muskels, wenigstens in den von mir beobachteten Fällen, hier nie ein Sarkolemm als festes Gebilde erscheint, und die Ringe sich so verhielten, wie zerfallende, contractile Substanz. Das Verhalten der Muskeln zu ihren, die Sehne vertretenden bindegewebigen oder protoplasmatischen Theilen lässt sich an Bün- deln, wie dem schleifenförmigen im Nacken der Larve, sehr klar nachweisen. Wie die, an das Herz sich ansetzenden feinsten Fi- brillen ganz allmählich in einen structurlosen, (wenigstens für unsere heutigen Vergrösserungen) feinen, lichten Faden übergehn, so geht auch an dem genannten Nackenmuskel das Fleisch ganz allmählich in eine, zuweilen einen Kern zeigende, gewöhnlich aber Körnchen- haltige, structurlose, feine Platte über, an deren Innenrand sich zu- weilen noch wenige quergestreifte Fibrillen fortziehn, welche die Verbindung mit dem anderen Schenkel der Muskelschleife herstellen. Die Nervenendigung an den Muskeln zeigt das schon oft und zuletzt von Arndt in diesem Archiv geschilderte Verhalten. Der Nerv bildet im Profil dreieckig erscheinende, etwas platt gedrückte Kegel, welche lichte Körnchenhaufen, auch wohl seltener Kerne, oder gewöhnlicher, wenn auch nicht häufig, einen Kern enthalten. So erscheinen diese Organe bei lebensfrischen Thieren. Ist die Larve eine Zeitlang der Beobachtung ausgesetzt gewesen, so treten fol- gende Veränderungen ein. Das Sarkolemm, dessen Existenz nur die Kerne verriethen, die auf der Oberfläche des Bündels lagen, hebt sich vom Bündel allmählich, aber gleich in ganzer Ausdehnung ab. Bei diesem Vorgange treten kleine Kügelchen in den, zwischen Muskelbündel und Sarkolemm befindlichen Raum, die glashell sind und an Zahl und Grösse zunehmen. Die Mukelsubstanz selbst hat nicht ihre innere und äussere Gestalt verändert. Ebenso wenig hat sie ihre Contractionsfähigkeit, weder total noch partiell, eingebüsst, 1) Ueber das, was man bei niederen Thieren »Muskelsäule« zu nennen hat, s. die klare Auseinandersetzung A. Schneider’s Zeits. f. wiss. Zool. Bd. 19 pag. 286. 298 G. R. Wagener: wie starke Zusammenziehungen beweisen, die sich erst bei gänzlicher Erschöpfung der Larve nur auf die später zu erwähnenden Con- tractionswellen oder Knoten beschränken, während sich zuerst nur Zusammenziehungen, denen sich erst später Knotenbildung zugesellte, wahrnehmen liessen. Zuletzt verändern die glashellen Kugeln und Kügelchen ihr Ansehn. Sie werden dunkler; eine doppelte, etwas rauhe Umwandung fasst sie ein. Ich wage nicht zu entscheiden, ob physikalische Vorgänge die Grenzschicht erst erzeugt oder nur sichtbar gemacht haben. Das Nervendreieck zeigte sich anfangs bei irischer Larve als directen Fortsatz des Sarkolemms, in welchen das Nervenrohr gewissermassen einmündete. Der Rand des Muskel- bündels erschien am Nervenansatz wie verwaschen. Er stach auf- fällig gegen den freien scharfen Rand des Bündels ab. Bei Auf- treten der oben geschilderten Veränderungen verhielt sich das Dreieck ganz wie das Sarkolemm. Seine Körnchen verschwanden allmählich, als ob sie aufgelöst würden, der etwa vorhandene Kern wurde deutlich. Das ganze Dreieck füllte sich mit den glashellen Kugeln und sein Umriss zeigte sich von dem des Sarkolemms in Nichts unterschieden. Andre, und zuletzt Arndt heben als beson- ders bemerkenswerth hervor, dass die Gontractionen des Bündels vom Nervenansatz ausgehn. Bei der in Rede stehenden Larve war dies weder bei der allgemeinen noch theilweisen Contraction (Kno- tenbildung) der Fall. Geht wirklich der Nerv mit seiner Substanz, wie es den Anschein hat, in das zwischen den Fibrillen befindliche Protoplasma über, so erscheint es durchaus nicht wunderbar, wenn von dem Protoplasma im Muskel ein Reiz auf die contractile Sub- stanz übertragen wird. Die amöboiden Körper. Sie kommen in allen Larven vor, aber in sehr verschiedener Anzahl. Bei einigen waren sie in ungeheurer Menge vorhanden, ohne dass sich in dem Befinden der Larve Störungen zeigten. Sie waren in diesen Fällen durch die ganze Leibeshöhle, im Darm und selbst im Herzen zu finden. Die Bewegungen der Körper waren sehr lebhaft, und einige bräunliche Pigmentkörner, welche sie meist enthielten, liessen sie selbst in Or- ganen leicht finden, deren Lichtbrechung ihnen ziemlich gleichkam. Da die Erscheinungen an diesen Körpern schon von Lieber- kühn eingehend erörtert worden sind, so wäre nur hier das Ver- hältniss der Amöboiden zu den Organen der Larve in Betracht zu ziehn. — Man begegnet diesen Körpern häufig auf Muskelbündeln. Erscheinungen an den Muskeln lebendiger Corethra plumicornis-Larven. 299 Sie kommen auf die Oberfläche derselben, ohne dass die contractile Substanz sich regt. Sie verändern dort durch rasch hervorgescho- bene Fortsätze ihre Gestalt, gehn dabei auch vor- oder rückwärts, senken auch einen Fortsatz nach unten, dem allmählich aber doch schnell der Körper nachfolet. Mit dem Focus ihnen nachgehend, kommt man mitten in das Bündel. Dort sieht man sie sich so be- wegen, wie auf der Oberfläche des Bündels, oder wie m der Flüssigkeit der Bauchhöhle. Durch ihre Fortsätze ziehn sie den Körper überall hin, und schliesslich treten sie auf der anderen Fläche des Bündels aus. Manchmal blieb beim Verlassen desselben noch ein Fortsatz in der unteren Fläche des Bündels stecken, an welchem das Amöboid hing oder sich wie mit einem Arme festhielt, während das Spiel der anderen unausgesetzt fortdauerte. Von Oeffnungen war so wenig, wie von Gängen in dem Bündel etwas wahrzunehmen, selbst mit den stärksten Vergrösserungen. Zuweilen liess sich ein Amöboid auf den Nervendreiecken nieder. Der Muskel pflegte dann sich mehreremale hintereinander zucontrahiren, dann aber lange Pausen zu machen, selbst wenn der Iymphoide Körper seine Fortsätze dauernd in Bewegung erhielt. Es kann auch vorkommen, dass das Amöboid über dem Dreiecke schwebt, ohne dasselbe zu berühren, und doch glaubt man, dass es dem Nerven schon aufsitzt. Die Querstreifen der Muskeln sind ungemein fein, so dass die Isotropen, gänz im Gegensatz zu den meist zur Untersuchung verwandten Insectenmuskeln, verschwindend klein erscheinen, wie bei den Wirbelthieren. Man hat gewöhnlich, da die Muskelbündel durch ihre Helle und Durchsichtigkeit anfangs der Beobachtungen nur wie sehr feinkörnig erscheinen, bei 7 Hartnack Mühe, das gewohnte Muskelbild wiederzufinden. Dann erscheint die Zeichnung wie durch feine, über einander gelegte Drahtgitter erzeugt. Bald aber kann man bemerken, besonders wenn nach längerer Beobachtung derselben Larve die feinsten Fibrillen deutlich geworden sind, dass jede derselben aus einer Längsreihe von Knötchen besteht, welche entweder gleich‘ gross sind, oder als kleine und grössere, in regel- mässigem Wechsel alternirend, die Fibrille zusammensetzen. In Betreff der Bedeutung enger und weiter Querstreifen für die Contraction des Muskels kann ich mich nur der Brücke’schen Ansicht anschliessen. Veränderungen im ruhenden Muskel. Abgesehn von den auftälligen Contractionen des Muskels gehn innerhalb des Bün- 300 G. R. Wagener: dels noch Veränderungen vor sich und zwar in einzelnen Fibrillen. Für diese Erscheinungen ist es durchaus gleichgültig, ob die feinsten Fibrillen deutlich sichtbar geworden sind, oder ob sie mit ihren Nachbarn, wie zu einer Masse verschmolzen erscheinen. Die Larve muss nur noch starke Bewegungen machen können oder anders aus- gedrückt, das in Rede stehende Bündel muss sich zusammenziehen können, was auch bei deutlich gewordenen Fibrillen geschieht. Ja eskann vorkommen, dass ohne irgend eine vorgängige Zusammenziehung, die Fibrillen plötzlich oder allmählig sichtbar werden, und darauf wieder mit ihren Nachbarn zu einer Masse zu verschmelzen scheinen, ohne dass indess eine genauere Beobachtung eine überaus zarte Längsstreifung gänzlich vermisst. Eine nicht seltene Erscheinung, namentlich an den platten Kopfmuskeln, besteht darin, dass einzelne ganze Fibrillen oder nur Theile derselben sich der Länge nach aneinander zu verschieben scheinen. Gewöhnlich findet sich diese Bewegung nur an einem oder an wenigen Orten. Sehr selten ist sie über den grössten Theil des Muskels verbreitet, wenn auch nicht isochronisch, doch in schneller Aufeinanderfolge hier und da auftretend. Die Bewegung hat ihren Grund in der Zusammenziehung an einer oder auch mehreren Stellen der Fibrillen. Dort wird die Fibrille glänzender für gewöhn- liches und polarisirtes Licht; die Querstreifen werden schärfer und enger. Dafür verdünnt sich an anderen Stellen die contractile Sub: stanz, und die Querstreifen werden undeutlicher. Es kann sich diese Zerrung bis zum Zerreissen der Fibrille steigern. Die jetzt zu erwähnenden Erscheinungen in den Muskeln fehlen in ihren Anfängen selten bei frisch eingefangenen Thieren. Sie‘ sind indess gewöhnlich bei Larven, die längere Zeit aufbewahrt wurden, und unter den Augen des Beobachters entwickeln sie sich aus sehr kleinen punktförmigen Anfängen, an Orten, welche noch vollständig normal waren. Es sind dies Spalträume zwischen den Fibrillen, und durch Zerreissung einzelner Fibrillen entstanden un- regelmässig geformte Lücken, beide mit klarer Flüssigkeit gefüllt. Kann man sich auch der Meinung nicht verschliessen, dass ihre Ausbildung gleichen Schritt mit der Ermattung des Thieres hält, so hat sie doch auf die Energie der Muskelcontraction keinen sicht- baren Einfluss. Erst wenn jene oben erwähnten hellen Kugeln aus- geschieden werden, und das Sarkolemm sich abhebt, verlieren die Zusammenziehungen der contractilen Substanz an Kraft, und die Erscheinungen an den Muskeln lebendiger Corethra plumicornis-Larven. 301 später zu erwähnenden Knoten laufen langsamer über das Bündel hin. — Diese Lücken und Spalten haben für die Beurtheilung patho- logischer Muskeln Interesse. Es kommen derartige Erscheinungen auch in den Muskeln von Typhuskranken vor. Richtet man längere Zeit hindurch seine Aufmerksamkeit auf eine Stelle der platten Kopfmuskeln, und fixirt einige Knoten in dem Verlaufe einer Fibrille, so wird man sehn, dass die Grösse dieser Gebilde wechselt. Hatte man gleichgrosse vor sich, so än- dern sich diese in alternirend grosse und kleine um oder auch um- “ gekehrt. Gewöhnlich ging dieser Wandlung jenes scheinbare Auf- und Abgleiten der Fibrillen an einander vorher. Zuweilen liess sich dergleichen nicht wahrnehmen. Hier muss noch eine Erscheinung erwähnt werden, welche nur wenigemale hat beobachtet werden können. Das Ansatzende eines Muskelbündels bei einem schon längere Zeit der Beobachtung unter- worfenen Thiere, dessen Lebensenergie noch wenig gelitten hatte, wie seine starke Bewegungen deutlich zeigten, liess in seinem Innern eine Bewegung wahrnehmen, die die Bildung eines Knotens an einem central gelegenen Fibrillencomplexe erwarten liess. Die Querstreifen wurden dort stark ausgeprägt, die contractile Substanz glänzender. Plötzlich hörte die Bewegung auf, die Querstreifen wurden matter, während der Glanz noch zuzunehmen schien. Verwaschen gingen die Umrisse des „wachsartigen“ Fleckes in die Umgebung über. Von den Rändern fing allmählich an ein Verschwinden des Glanzes zu beginnen, das zunahm, bis schliesslich auch der centrale, übrig gebliebene Fleck mehr und mehr verlosch. Der Muskel sah nun wieder ganz unversehrt aus. Ich habe über die etwaigen Grössen- veränderungen der einzelnen Fibrillenknötchen nichts wahrnehmen können. : Hiermit sind alle von mir beobachteten wichtigsten Erschei- nungen aufgeführt, welche der Muskel der lebenden Corethralarve in seinem Innern zeigt, wenn er keine Bewegungen der Glieder oder der Organe des Thieres ausführt. Ich habe dabei zwei Bewegungen nicht erwähnt, die durch die grosse Schnelligkeit ihres Ablaufes keinen Einblick in die Art, wie sie zu Stande kamen, gestatteten. Die eine Bewegung bestand in seitlichen Schwingungen eines langen dünnen Muskels unter dem Nacken der Larve, die ungemein rasch ausgeführt wurden, und der wurmförmigen Bewegung eines anderen, dessen stark entwickelte Gliedertheile, welche den Decken der von 302 G. R. Wagener: einigen Autoren vertretenen Muskelkästchen entsprechen würden, durch gegenseitige Annäherung eine Erscheinung hervorriefen, welche an die Wellen des am Glase oder an der Oberfläche des Wassers kriechenden Fusse einer Planorbis oder Helix erinnerte. Beide Be- wegungen veränderten nicht die Lage der Theile, denen sie ansassen. Die totale Zusammenziehung des Muskelbündels. Zieht sich ein Bündel zusammen, so wird es breiter, die Quer- streifen erscheinen enger, die Längsstreifen deutlicher und das Licht- brechungsvermögen der Muskelsubstanz ist gesteigert. Sie selber wird dabei dunkler. Bei lebenskräftigen Thieren haben diese blitz- ' ähnlichen, heftigen Contractionen keine weiter bemerkbare Folgen für die Fügung des Bündels. Ob die Fibrillenknötchen dabei Ver- änderungen in ihren Grössenverhältnissen erleiden, ist der vorauf- gehenden und darauffolgenden Unruhe des Thieres wegen, nicht mit Sicherheit zu beobachten gewesen. — Haben indess sich dergleichen Zusammenziehungen öfters wiederholt, so stellen sich Spalten und Lücken ein, letztere meist von verhältnissmässig grossen Knötchen der zerrissenen Fibrillen begrenzt. Zuletzt treten stark glänzende Spindeln im Verlauf einzelner Fibrillen auf, an denen jede Quer- streifung zu Grunde ging (s. dies. Arch. Bd. 9 Taf. 29A Fig. 17. 18.8). Die Fibrillen selber lösen sich von einander ab. Es scheint die sie verbindende Substanz verändert zu werden. Die kleinen, glas- artigen Kügelchen schwimmen in der Flüssigkeit, welche das Sarko- leam abhob, und die Fibrillen von einander trennt. In diesem Zu- stande ist der Muskel noch contractionsfähig als Ganzes durch die noch unversehrten Fibrillen, wenn auch die Energie der Zusammen- ziehung schwächer und langsamer ist, und die Verkürzung nicht mehr das frühere Maass erreicht. — Unter solchen Verhältnissen kann das Muskelbündel von seinem Ansatze oder in seinem Verlaufe quer ab- und in der Mitte entzweireissen. Dieser Vorgang wird später besprochen werden. Die platten Muskeln im Kopfe der Larve zeigen bei der totalen Contraction Erscheinungen, aus denen mit Sicherheit die so vielfach in neueren Zeiten angefochtene Präexistenz der Fibrillen im ganz lebensfähigen Thiere hervorgeht. Es besteht jede dieser Platten besonders in jüngeren Thieren, wie ich glaube mit Sicherheit sagen zu können, aus einer einzigen Fibrillenlage, welche sich an der Oberlippe (Weismann) ansetzen. Schon Weismann hat ihre Contraction beobachtet, und aus den dabei vorkommenden Er- Erscheinungen an den Muskeln lebendiger Corethra plumicornis-Larven. 303 scheinungen die Existenz der Fibrillen behauptet. Aus seiner Ab- bildung (l. c. Taf. V. Fig. 20) geht aber hervor, dass er nicht Fi- brillen, wohl aber kleinere Fibrillencomplexe gesehen hat, wie sie öfters an diesen Muskeln deutlich werden. — Für das Aussehen der Muskeln im Ruhezustand gilt das schon oben angeführte. Sie er- scheinen dem oberflächlichen Anblicke homogen, nur hie und da sind Längsfurchen schwächer oder stärker ausgeprägt, deren Zahl bei genauerer Betrachtung wächst. Zuweilen erscheinen schliesslich auch feine Längslinien, welche die Andeutungen der Fibrillengrenzen sind. Oefters sind die Fibrillen so angeordnet (in Säulen), wie sie in der citirten Figur Weismann’s abgebildet sind. — Sowie aber - die Contraetion eintritt, erscheint jede feinste Fibrille an beiden Sei- ten in ihrer ganzen Länge mit einem hellen Streifen von Flüssigkeit, die bei dem plötzlichen Aufhören der Contraction sofort verschwindet. Der dadurch erzeugte rasch vorübergehende Glanz erinnert den Be- obachter unwillkürlich an Wetterleuchten. — Die Querstreifen treten bei diesem Vorgange, wenn sie vorher kaum sichtbar waren, scharf hervor. Sie erscheinen enger, die Fibrillen dagegen dicker gewor- den, und zugleich dunkler und glänzender, dem s. g. »wachsartigen« Zustande näher gerückt. Die Knotenbildung!) an den Muskelbündeln. Diese Form der Contraction tritt an einer beliebigen Stelle des Muskels auf, und geht auf ihm in Form einer ein- oder allseitigen Anschwel- lung, eines Knotens oder Ringes bis zu seinem Ende hin. Das Vor- kommen derselben bedeutet nicht, dass die totale Contraction, wel- che sich mit einem Male über das ganze Bündel verbreitet, von diesem Muskel nicht mehr ausgeführt werden kann. — Beide For- men können miteinander abwechseln. Grosse Ermattung des Thieres lässt indess die Knotenbildung fast nur allein zu. Man wird durch sie an das Sehnenhüpfen Sterbender erinnert, denn ihr Ortsverände- rungsvermögen ist für das, dem so arbeitenden Muskel anvertraute Organ nur sehr gering, eine Wirkung, welche natürlich von der 1) Sie wurde schon von Bowman in den Philos. Transact. 1840 kurz an isolirten Muskeln beschrieben. Bei disser Gelegenheit mag eine Erklärung der auf Pl. XIII. gegebenen Figuren Bowman’s Platz finden : Fig. 5, 3—6,8 sind Muskelsäulenfelder. Fig. 7 Zwischensubstanz der Säulen an den Berüh- rungswinkeln hervorgequollen, auch schon in Fig. 6 erscheinend. — Lav- dowsky schildert Centralbl. 1871, Nr. 49 denselben Vorgang bei isolirten Schneckenmuskeln, die Verlängerung bei der Knotenbildung erwähnend. — Ferner s. Brückol, c. 304 G. R. Wagener: Grösse der sich bildenden, und ablaufenden Anschwellung durchaus abhängig ist. Wie die Grösse der Knoten sehr wechselt, so sind auch die Formen der contractilen Substanz innerhalb der Anschwellung sehr mannichfaltig. Die Lebensenergie des Thieres scheint auch hier von Einfluss, desgleichen die Jugend oder das Alter der Larve. Tritt die Knotenbildung an noch recht lebenskräftigen Thieren ein, was leicht geschieht, wenn durch Zufall, wie durch ungeschickte Focaleinstellung das Gehirn eine Quetschung ohne auffällige Zer- störung erlitt, so sieht man eine Verschmälerung und Verlängerung des Muskelbündels entstehen. Zu gleicher Zeit erscheint dicht dabei ein Wulst mit meridionalen und äquatorialen Streifen. Die ersteren sind breit, nach oben und unten zugespitzt und ganz hell. Es ist Flüssigkeit, welche die Säulen von einander trennt. - Die andern betreffen dagegen die Querstreifen der contractilen Substanz. Sie sind sehr scharf ausgeprägt, im Verhältniss zu dem noch ruhenden Theile des Muskels. Da vergleichende Messungen ihrer Abstände auf beiden Seiten nicht auszuführen waren, so konnten nur Schätzungen gemacht werden, nach welchen auf einen Querstreifen des dunkel und glasig erscheinenden Knotens wenigstens zwei des ruhenden Bündeltheils kamen. Die Isotropen, in Form von Einschnitten, waren hell und sehr fein. Durch sie wurde die einzelne Säule gewisser- massen in kleine Würfel zerschnitten. — Nach beiden Polen des Knotens wurden die meridionalen und äquatorialen Streifen immer weniger ausgeprägt, und gingen so allmählig in die gewöhnliche Querstreifung des ruhenden Muskelbündels über. In dieser Form lief der Knoten ab. War durch zufällige La- gerung der Larve ein Bündel um seine Axe gedreht, so ging die Anschwellung wie ein Schraubenring in Form einer Spirale über den Muskel hin und ihre Längseinschnitte waren den Lagen der Fibrillen entsprechend, also schief zur Bündelaxe. Bei matten Thieren war der Knoten niedriger. Näherte sich die Form des vorhin beschriebenen einer Kugel, so war diese ein EI- lipsoid. Die Querstreifen waren feiner und dichter, schwächer oder stärker ausgeprägt. Die Anisotropen waren wohl nur wenig kleiner wie im ruhenden Theile des Muskels, und die Isotropen weniger tief eingeschnitten und schmaler. Dabei war das Lichtbrechungsver- mögen der contractilen Substanz weit weniger verändert. Aber auch die Querstreifen können gänzlich fehlen, oder nur Erscheinungen an den Muskeln lebendiger Corethra plumicornis-Larven. 305 unter den günstigsten Bedingungen sehr schwer sichtbar sein. In diesen Fällen bildet der Wulst meist einen breiteren oder schmaleren Ring, der hell glänzt und das Licht stark polarisirt. Zuweilen erscheinen die Säulenabtheilungen noch auf ihm in regel- mässig von einander abstehenden, seichten Einschnitten, als ob der Ring aus Perlen zusammengesetzt sei. Die Art, wie die Wellen ablaufen, ist sehr verschieden. Ging eben ein Knoten von oben nach unten, so kann gleich darauf eine Anschwellung am anderen Ende des Bündels entstehen und den Weg in umgekehrter Richtung zurücklegen. Manchmal entstehen zwei Wellen zu gleicher Zeit, deren Entstehungsort entweder ihren Lauf - mit- oder gegeneinander bestimmt. Im letzteren Falle erlöschen sie bei ihrer Begegnung, oder in seltenen Fällen setzt die stärkere ihren Weg fort, indess die andere verschwindet. Der Knoten kann sehr stark beginnen, und schwächer werdend an irgend einer Stelle des Bündels sein Dasein beschliessen. In solchen Fällen tritt er gern von der Oberfläche des Muskels in die tiefer gelegenen Fibrillen, immer weniger derselben umfassend, wobei er gewöhnlich sein Aus- sehen in einer der vorher angegebenen Weisen ändert. Zuweilen entsteht dann in den dicht neben ihm gelegenen centralen Fibrillen- complexen ein neuer kleiner, der, grösser werdend, schliesslich auf die Oberfläche tritt, und regelrecht bis zum Ansatz des Bündels ver- läuft. Für alle diese Gangarten ist es gleichgültig, ob die Anschwel- lung einseitig, oder ob ein mehr oder weniger abgeschlossener, schma- ler Ring, oder ein starker Knoten zuerst oder nachher entstand. Während des Verlaufes können diese drei Formen ineinander über- gehen, oder eine Form mit oder ohne Uebergänge an die Stelle der anderen treten, mit dem Wechsel der oben geschilderten Verände- rungen im Aussehen der contractilen Substanz. Zerreissen der Bündel kann nach heftigen Contractionen des Muskels oder auch ohne solche Vorgänge eintreten. Am häu- figsten lösen sich die Bündel von einem ihrer Ansatzpunkte ab. Selten tritt eine quere Trennung in der Mitte auf. An den platten Kopfmuskeln wurde ein theilweises Zerreissen des Muskels, namentlich am Rande, so dass die isolirten Fibrillen wie todtenstarr in die sie umgebende Flüssigkeit hineinragten, häufig von mir beobachtet !). 1) Diese Muskeln haben in jugendlichen Thieren kein s. g. Sarkolemm im gewöhnlichen Sinne, d. h. eine feste Membran, sondern eine weiche Pro- toplasmahülle. M. Schultze, Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 10, 20 306 G. R. Wagener: Das Zerreissen kann ein totales sein. So wie der Muskel von seinem Ansatz sich gelöst hat, wird sein Sarkolemma deutlich. Eine klare Flüssigkeit füllt sofort den freigewordenen Raum. Einen Zeitraum, wo sie nicht vorhanden wäre, gibt esnicht. Sie folgt dem sich zurückziehenden Bündel, wie das Wasser dem weichenden Spritzen- stempel: die contractile Substanz schnurrt zusammen. Je weiter sie zurückgeht, um so enger wird die Querstreifung und um so undeut- licher. Sie bleibt endlich nur noch in Andeutungen übrig, oder wird mit der Längsstreifung ganz unsichtbar, während die Muskelsub- stanz während dieser Vorgänge immer dunkler und atlasglänzender wird, bis eine s. g. wachsig entartete Masse daraus geworden ist, welche den einen Theil des Sarkolemms ausfüllt. Das Zurückweichen des Muskels kann langsamer und schneller vor sich gehen. Beide Rhythmen können abwechseln, ja selbst augen- blickliche Stillstände können eintreten, die den Eindruck machen, als sei ein Hinderniss erst zu überwinden. Aber nicht immer fällt der ganze Muskel der Wachsentartung anheim. Gewöhnlich sogar werden die atlasglänzenden Stücke durch feine quer- und längsgestreifte Theile des Bündels mit einander ver- bunden. Auch zeigen die entarteten Stücke nicht immer ein ganz gleichartiges Aussehen. Es finden sich helle Spalten mit Flüssigkeit in ihnen, welche an die Abtheilungen in Säulen erinnern. Gewöhn- lich wird das etwas zusammengefallene Sarkolemm durch den Muskel- stumpf ausgedehnt. Die theilweise Zerreissung des Muskels besteht darin, dass die zurückweichenden Fibrillen des Bündels noch gespannte Streifen hinter sich lassen, welche sich nicht von der Ansatzstelle des Muskels losgelöst haben. Feine schwach lichtbrechende Fäden, welchen zuweilen auch noch kurze, sehr dünne Streifchen wachsig entarteter, contractiler Substanz anhaften, vermitteln die Verbindung des Ansatzes mit dem Stumpfe. Ueber beide geht das mit Flüssig- keit: und kleinen, zarten, glashellen Kugeln (welche Molecularbewe- gung zeigen) erfüllte Sarkolemm hin, und umschliesst das Ganze. Ist die Larve noch sehr jung, so sieht man diese Erscheinung in etwas veränderter Form. Im unverletzten Bündel sieht man deut- lich die Fibrillen. Nach ihrer Loslösung ziehen sie sich langsam zurück. Sehr feine Fasern bleiben übrig, welche während des Zu- rückganges der contractilen Substanz auch von ihrem Ansatze ab- lassen und sich lockig, wie Bindegewebsfibrillen krüämmen. — Die Erscheinungen an den Muskeln lebendiger Corethra plumicornis-Larven. 307 Muskelfibrillen nehmen, je mehr sie sich ihrem Festigungspunkte nähern, mehr und mehr an Dicke zu mit feiner, aber auch deut- licher werdenden Querstreifen. Hat das Zurückziehen ein Ende ge- funden, so glaubt man statt feiner Fibrillen Säulen vor sich zu haben, so dick sind die Fibrillen geworden. Zugleich hat sich die anfangs so feine und enge Querstreifung in eine verhältnissmässig grobe um- gewandelt. Betrachtet man die Grenze zwischen den lockigen Fasern und den sich zurückziehenden Muskelfibrillen näher, so sieht man die letzteren häufig deutlich abgesetzt gegen die lockigen Fasern; zu- weilen aber gehen sie auch ganz allmählig in einander über, so dass nur die allmählig verlöschende Querstreifung das Urtheil bestimmt. In den lockigen junger und in den gespannten feinen Streifen älterer zerreissender Muskelbündel glaube ich die isolirten Fibrillen- scheiden, oder auch die Protoplasmaüberreste nach der Bildung con- tractiler Substanz zu erkennen. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVII u. XVII. Fig. 1. Ursprungsstück eines platten Kopfmuskels, der zur Oberlippe (Weis- mann) geht. 330 :1. a. Nerv mit seinem Ansatzdreieck, auf dem b. ein amöboider Körper sitzt, c. helle Längslücken im Verlaufe der Fibrillen, d. Chitinhülle des Larvenkörpers, e. die darunter liegende Protoplasmaschicht. Fig. la. Feinste Fibrillen F mit den hellen Zwischenräumen während der Contraction. 920: 1. Fig. 2. Muskelbündel mit einem Knoten. Die Richtung des Pfeils zeigt seine Gangrichtung an. Der eine Theil des Bündels, auf welchen der Knoten übergeht, erscheint dünner. 330: 1. F. der Knoten. Die meridionalen und äquatorialen Streifen sind in der Natur hell, hier aber als dunkel gezeichnet. c. Unregelmässige, klare Flüssigkeit enthaltende Lücken im Bün- del selbst. Fig. 3. Ein eben gebildeter Knoten mit Streifung. Es ist die Einschnürung vor demselben zu beachten. 330 :: 1. d und e wie in Fig. 1. 308 Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7. Fig. 8. Fig. 9. Fig. 10. Fig. 11. Fig. 12. G. R. Wagener: Einer der Muskeln, welche zum Herzen gehen. 330 : 1. Es sind hier nur zwei seiner Arme gezeichnet. Sie verjüngen sich, je näher ihrem Ansatze, und die Querstreifung hört allmählig auf. i. Die structurlose Platte zwischen den Armen. F. Der vielleicht zwei Fibrillen enthaltende quergestreifte freie Rand der Platte. Der Stamm des Muskels. 920 :1. h. Die Anisotropen, doch hellen Wülste. g. Kern an der Muskelsäule. Ein ablaufender, stark glänzender Ring mit noch deutlicher Fibrillen- abgrenzung. Die Querstreifen in der Nähe des Ringes treten stärker hervor. 330 :1. Sehr schmale Ringe structurlos ohne Querstreifung und Fibrillen- andeutung. 330 :1. Total zerrissener Muskel 330 : 1 in seiner Scheide; k. Wachsartiger Knoten mit c. meridionalen hellen Lücken, l. eng quergestreifter, anscheinend normaler Theil, m. mit Flüssigkeit erfülltes Sarkolemm. Theilweis zerrissener Muskel. 330 :1; k. wachsartig gewordener Theil mit sehr engen, aber undeutlichen Querstreifen, m. Sarkolemm, n. sehr kleine, helle, glasartige Kügelchen, o. die zurückgelassenen gespannten Streifen, welche ich glaube auf die Schejden der Fibrillen (Protoplasmaüberreste) beziehen zu müssen. Etwa darin zurückgebliebene Muskelsubstanz zeich- net sich durch ihren Glanz aus. Muskelbündel einer sehr jungen Larve zerrissen. 920 ::1. Die Fi- brillen zogen sich in diesem Falle langsam zurück und hinterliessen o. lockige, feine Fäden, deren Bedeutung in der vorigen Figur bezeichnet wurde. Die Querstreifung verlor sich allmählig in ihnen. Bündel ebendaher 920: 1 mit ellipsoidischem Knoten, der feine stark ausgeprägte Anisotropengrenzen (Querstreifung) zeigte. Feinste Fibrillen nach der Zerreissung ebendaher. 920 :1. Nachdem das Zurückgehen der Fibrillen ganz aufgehört hatte, zeigten die Fi- brillen die gezeichnete Stärke. Der Muskel war etwa fünfmal länger als die Abbildung. Die Anisotropen sind sehr lang, stark und glän- zend geworden, nachdem sie vorher so gross wie in Fig. 11 waren. In diesem Falle, da der Muskel schon entwickelt war, blieben keine lockigen Fäden zurück. Erscheinungen an den Muskeln lebendiger Corethra plumicornis-Larven. 309 Fig. 13. Fig. 14. Fig. Fig. Fig. 15. 16, ads Nervendreieck am noch contractionsfähigen Muskel während der Ausscheidung von glasartigen, durchsichtigen Kügelchen. 500 :1. a. Nerv, b. sein Ansatz, p. Muskel, n. die glashellen Kügelchen, welche im Nervendreieck und zwischen Sarkolemm und Muskel sich allmählig mit Flüssigkeit einfinden. n’ dasselbe mit dunkler rauher Doppelcontur, welche nach längerer Existenz der Kugel sich allmählig einstellt. Schema der Anordnung der Anisotropen in der Fibrille. Es sind Formen, wie sie zuweilen im ruhenden Muskel eine aus der anderen entstehen. Sämmtliche Figuren sind nach Formen in der lebendigen Co- rethra-Larve gezeichnet. Dasselbe betrifft die folgenden Abbildungen, welche von leben- den Froscehlarven, und zwar deren Schwänzen entnommen sind. Die Larve blieb leben, und wurde täglich mit Nr. 9 Hartn. untersucht. Da sich unter der Haut eine Schicht eiweisshaltiger Flüssigkeit vorfindet, welche die Bilder matt und feine Details undeutlich, ja unsichtbar macht, so darf man aus dem Mangel derselben in den Fi- guren nicht auf deren Nichtexistenz schliessen. Es handelte sich in den vorliegenden Fällen nur um die Formen der Zerstörung und der darauffolgenden Wiedererzeugung, die sich durch Aufsuchen der Tags vorher beobachteten Formen leicht an einem Muskelbündel in ihren Phasen verfolgen liessen. Ein Muskelbündel freiwillig zerrissen. Die obere Fibrillenschicht zeigt die als Muskelkastenreihe angesehene Fibrillenform m‘. m. Die darunter liegende sehr feine, aber aus gleich grossen Ani- sotropen bestehende Fibrillenschicht, 8. Sarkolemm in feine Falten gelegt. Ein zerrissener, zusammengeschnurrter Muskel mit abwechselnd wach- sig entarteten und noch aus deutlichen, gleich grossen Anisotropen bestehenden Abtheilungen. S. Zusammengefallenes Sarkolemm, gefüllt mit Körnchen und glas- artigen Kugeln. Regenerirtes, jugendliches Muskelbündel mit ungleich grossen Ani- sotropen. Die dunklen Querlinien entsprechen den Isotropen. k. Kerne des Sarkolemms, S. Sarkolemm, m. Protoplasmamasse in Form einer Knospe mit Kernen. . 18a. Zerrissenes Bündel mit kleinen Anisotropen (feine Querstreifung) und wachsig erscheinendem Knoten w. 18b. Fast wachsig entartetes Muskelbündel mit Spuren von Querstreifen q und Längsstreifen. 310 G.R. Wagener: Erschein. a. d. Muskeln leb. Corethra plumicornis-Larven.. Fig. 19. Wachsig entartete Ueberreste eines zerfallenen Muskels; Fig. Fig. : Fig. Fig. Fig. S. Sarkolemm. Je frischer der wachsig entartete Theil des Muskels ist, d. h. je näher seiner Enstehungszeit er sich befindet, um so stärker polari- sirt er das Licht, je näher dem Zerfall, desto schwächer. Schliess- lich verliert die Muskelsubstanz diese Eigenschaft. . Zerfall der Muskelsubstanz im Sarkolemm in glänzende wurstförmige Stücke untermischt mit Körnchen, glashellen Kügelchen und Zellen- kernen (Muskelzellenschläuche, Waldeyer). . Ein Stück mit deutlichen Kernen K. . Sarkolemm ganz mit Körnchen gefüllt. Kerne nicht mit Sicherheit darin aufzufinden. . Sarkolemmschlauch mit sehr wenig gekörnter, sehr durchsichtiger Substanz erfüllt. . Sarkolemmschlauch mit eben solcher Masse erfüllt, welche Körper wie Kerne und Adern von körniger Substanz enthielt. Beide Figuren liessen schon Fibrillen in der Anlage als glashelle structurlose Fäden vermuthen. Doch war vielleicht durch die sub- eutane Flüssigkeit die Erscheinung derselben verdeckt. . Ein Sarkolemmschlauch mit Flüssigkeit erfüllt und Spalten zerfallener contractiler Substanz. Die Massen an der Wand des Schlauches scheinen schon neu gebildete Muskelsubstanz zu sein, wenn auch aus den angegebenen Gründen weder Fibrillen noch Kerne sichtbar waren. Die Analogie aber führt darauf. Sarkolemmschlauch mit körnigem Inhalt und deutlichen Kernen K. Dies ist wahrscheinlich der Beginn der eb der die Muskelfibrillenbildung folst. . Muskelbündel mit durch Flüssigkeit getrennten Säulen, deren kleinere Anisotropen noch untereinander zusammenhängen. . Das vorhergehende Stadium dieser Erscheinung. Die grösseren Ani- sotropen der Säulen sind schon durch kleine Flüssigkeitsansamm- lungen stellenweis getrennt. . Capillare mit schaumigem Zustand des Protoplasma. . Nerv mit Trennungen im Verlaufe des Muskels. . Nerv mit Vacuole v. 15—31 enthalten Beobachtungen, welche Prof. Lieberkühn zuerst vor mehreren Jahren gemacht hat. Schliesslich sei noch erwähnt, dass einige der hier mitgetheilten Beöb- achtungen in Nr. 8. Aug. 1873 der Sitz.-Berichte der nat. Gesellsch. in Mar- burg veröffentlicht wurden. Marburg, Anfang October 1873. Ueber das Verhalten der Muskeln im Typhus. Von G. BR. Wagener. Hierzu Tafel XIX, XX, XXI. Seit Zenker’s!) Untersuchungen weiss man, dass die Primi- tivbündel der Schenkeladductoren und der Bauchmuskeln bei Typhus- kranken einem Zerfall und darauffolgender Neubildung unterliegen. Waldeyer?), Hoffmann°),, Neumann), Erb) vervollstän- digten die Beobachtungen Zenker’s. Dass bei Typhuskranken zugleich mit dem Zerfall auch Neubildun- gen vorkommen, darüber herrscht nur Eine Meinung. Zenker ver- legt die Neubildung ins Perimysium internum, Waldeyer betont dagegen die innerhalb des Sarkolemms, ohne die andere Meinung abzuweisen. Beide Untersucher finden aber in den zwischen den zerstörten Bündeln vorkommenden Protoplasmamassen die Bildungs- 'stätte der contractilen Substanz. Die an diesen Orten vorhandenen Zellen von mancherlei Gestalt sind dagegen noch Gegenstand der Verhandlung. Man kann nicht angeben, welche Zellen zum Binde- gewebe, welche zur Muskelsubstanz werden. Ausgenommen sind na- türlich die, welche schon Höfe oder Anhängsel von quergestreifter Masse an oder um sich haben. Neumann dagegen glaubt, die Muskelneubildung finde durch Knospung an den zerrissenen Primitivbündelenden statt. Durch die 1) Ueber die Veränderung der willkürlichen Muskeln im Abdominal- typhus. Leipzig 1864. 2) Virchow’s Archiv 1865. Bd. 34, pag. 473. 3) Ebenda 1867. Bd. 40, pag. 505. 4) Archiv für Heilkunde 1868, p. 364. 5) Virchow’s Archiv 1868. Bd. 43, pag. 108. 312 G. R. Wagener: Gewaltsamkeiten der Präparation erklärt er alle Protoplasmahaufen mit Kernen für losgerissene Muskelknospen. Den Antheil des Sarkolemms und der s. g. Muskelkörper an der Neubildung ist von allen Untersuchern dahin bestimmt, dass letztere durch Theilung und durch Protoplasmawucherungen im er- steren wieder thätig werden. Schon Zenker hatte auf die Aehnlichkeit der bei Verwun- dungen sich einstellenden Veränderungen der Primitivbündel, wie sie C.O.Weber!) darstellte, mit den Funden bei Typhuserkrankungen hingewiesen. Waldeyer, Neumann), Colberg?°) und Fied- ler *) führten diesen Vergleich noch weiter, und dehnten ihn noch auf die Trichinose aus. In der That ist es nicht möglich, an einem Primitivbündel, welches die in Rede stehenden Veränderungen zeigt, eine sichere Diagnose auf Typhus, Trauma oder Trichinose zu stellen. Die Reihenfolge, in welcher im Nachstehenden die Beobach- tungen mitgetheilt werden, soll nur andeuten, dass man in dieser Weise sich die Thatsachen ordnen kann. Sie erscheint nur als die wahrscheinlichere, und soll nicht dem zukünftigen, zwingenden Be- weise vorgreifen. Durch die, in dem vorigen Aufsatze niedergelegten Beobachtungen glaube ich den Beweis geführt zu haben, dass die s.g. wachsartige Entartung der Muskeln im Leben vorkommt. Somit enthebt mich der Leser wohl einer weiteren Auseinandersetzung über diese, von früheren bewährten Forschern vielfach besprochene Erschei- nung. Was nützlich für diese Frage noch erscheint, mag in einer Anmerkung seinen Platz finden. Die Querstreifen von Bündeln aus der Umgebung zerstörter Muskeln. Schon Zenker zeigte, dass die Degeneration der Bündel heerdweise auftritt. Die verwüsteten Stellen sind durch nor- male Muskelsubstanz von einander getrennt. In der Nähe der degenerir- ten Stellen sind die Anisotropen der Muskelsubstanz dick und gross. Die Hensen’sche Mittellinie ist meist vorhanden. Die Krause’sche Kasten- membran erscheint einfach oder doppelt, d.h. es findet sich ein, oder zwei kleine Knötchen contractiler Substanz (anisotrope) übereinander, durch eine feine, isotrope, schwarze Linie sowohl von den grossen Anisotropen als auch von einander getrennt. Die benachbarten Ani- 1) Centralblatt 1863 Juli, Virchow’s Arch. 1867. Bd. 37, pag. 216. 2) Schultze’s Archiv 1868. pag. 323. 3) Deutsche Klinik 1864 Mai pag. 188. 4) Virchow Bd. 50, pag. 461. Ueber das Verhalten der Muskeln im Typhus. 313 sotropen in der Länge der Fibrille sind wohl zwei- bis vierfach grösser als die kleinen zur Kastenmembran (nach Krause) gehö- rigen Anisotropen. Auch fanden sich Fälle, wie Merkel (d. Arch. Bd. IX, Taf. 15, fig. 4) einen abbildet. Zuweilen fehlte selbst der dunkle Streifen, welcher die beiden Glieder trennte, oder eine schwache Andeutung desselben lief quer über die verschmolzenen Anisotropen. Eine andere, von Zenker schon hervorgehobene Querstreifung zeichnet sich durch ihre grosse Feinheit aus. Sie besteht aus sehr kleinen Anisotropen, welche nicht von grösseren unterbrochen werden. Zwei bis vier von ersteren würden auf eine der letzteren, wie sie mir gewöhnlich vorkamen, gehen: oberflächliche und tiefe Einstel- lung gab immer dasselbe Bild. Bei anderen Bündeln aber veränderte sich der Anblick je nach der Einstellung auf die Oberfläche, oder auf das Innere. Die peri- pherischen Fibrillenlagen zeigten eine normale Querstreifung, die inneren dagegen hatten ungleich grosse Anisotropen. Die Säulen des Bündels und die Fibrillen schienen in Unordnung gerathen zu sein. Die Züge der Querstreifen bildeten unregelmässig gebogene, oder geknickte Linien, deren einzelne Theile gewöhnlich in verschie- denen Ebenen lagen. In anderen waren normale Fibrillen nur noch in dünner Lage auf der Oberfläche des Bündels sichtbar. Im Innern aber fehlte das die Fibrillen trennende Protoplasma, d. h. die Fibrillenscheide an vielen Stellen. Dadurch waren die Fasern theilweis mit einander verklebt; sie erschienen schief gegen die Bündelaxe gelagert, wie ' lose Stäbe durch einander gerüttelt in einem Rohre. — Zuweilen blieben noch hie und da Inseln von klar ausgeprägten Querstreifen erhalten, oft scharf abgegrenzt, oft allmählig in das Durcheinander ihrer Umgebung übergehend. Diese eben besprochene Form ist die des beginnenden Zerfalls und führt zu den folgenden über. Die körnige Entartung. Sie ist bei der Trichinose von Colberg erwähnt. Man findet Sarkolemmschläuche, welche auf den ersten Anblick mit Vibrionen vollgestopft erscheinen. Indess Stücke oder Inseln quergestreifter Substanz, welche an den Rändern ebenfalls in Körnchen zerbröckeln, so dass die Fortsetzung ihrer Querstreifung gewissermassen allmählig in kleine Körperchen sich auflöst, lassen keinen Zweifel darüber zu, dass man s. g. Sarcous elements vor sich hat. — Beim Typhus, wenigstens in dem mir zu 314 G. R. Wagener: Gebote stehenden Materiale, war diese Form des Zerfalls, welche ausser bei Trichinose auch besonders an den Schwanzmuskeln sich verwandelnder Froschlarven vorkommt, durch geringere Schärfe und Schwärze in der Contur der einzelnen sarcous elements von der Tri- chinotischen verschieden. Es können ferner quere knopflochför- mige, oder spindelförmige Lücken mit klarer Flüssigkeit ge- füllt auftreten. Die begrenzende Muskelsubstanz zeigt wachsartigen Glanz an vielen Stellen. Die Anisotropen sind klein und schwach ausgeprägt. Es finden sich die Löcher heerdweis über ein Muskel- bündel zerstreut, zuweilen an einem, zuweilen an vielen Orten, in verschiedenen Zuständen der Entwicklung. Sie beginnen stets klein in den, der Axe des Bündels nahe gelegenen Theilen, sich vergrös- sernd, und unter Auftreten neuer kleinerer SBSDIETeREEE rücken sie bis zur Oberfläche des Bündels vor. Schliesslich fliessen die benachbarten Hohlräume zusammen, nachdem die oberflächliche Fibrillenschicht auch in den Zerstörungs- prozess mit hineingezogen wurde. Die, die Flüssigkeitsräume von einander trennende continuirliche Substanz wird immer glänzender. Eine schwache, nie fehlende Längs- und Quersteifung, nur bei grosser Aufmerksamkeit und guter Beleuchtung sichtbar, bleibt. Nach voll- ständiger Trennung erscheinen die Wände der Höhlungen als die bekannten »wachsartigen« Pröpfe mit der sie umgebenden Flüssig- keit innerhalb des Sarkolemmschlauches !). 1) Erb l. e. formulirt seine Untersuchungs-Resultate über die s. g. Wachsentartung der Muskeln in zwei Sätzen, in welchen einem diese Form als Leichenerscheinung in pathologisch veränderten, sonst unverletzten Fasern bezeichnet wird. Die einzige, mir bekannte postmortale Wachsentartung ist die durch äusseren Druck. Alle anderen muss ich für im noch lebenden Muskel entstanden ansehn. Dass nach dem Tode des Individuums die Muskeln noch lange Reizbarkeit haben, ist bekannt. Die Aeusserungen derselben wer- den immer träger und langsamer, bis sie ganz allmählich erst aufhören, hier bei einem Bündel, dort bei einem anderen. Auf diese Weise kann eine »wach- sige« Stelle zu ihrer Entstehung Stunden gebrauchen. Ich weiss nicht, wie man den Augenblick bestimmen will, wo ein Muskelbündel zu leben aufhört. Die allgemeine Starrheit des Muskels beweist nur die Todtenstarre einer An- zahl von Bündeln, zwischen denen vielleicht noch ein grosser Theil zuckungs- fähiger zerstreut ist. Eine aufmerksame Betrachtung möglichst lebendiger Herzmuskeln drängt dem Beobachter diese Meinung so unwiderstehlich auf, dass er selbst die durch äusseren Druck entstandenen wachsentarteten Stellen als an noch nicht vollständig abgestorbenen Muskeln erzeugt ansehen möchte. Ueber das Verhalten der Muskeln im Typhus. 315 Wie später erwähnt werden soll, beginnt während dieses Vor- ganges gewöhnlich schon eine Neubildung. Dadurch kommt die von Waldeyer!) in Muskelwunden des Frosches beobachtete Form zu Stande, die er Muskelschläuche nennt. Stuart?) gibt eine Figur, die eine nicht zu verkennende Aehnlichkeit mit dieser Form im unge- pressten Zustande hat. In letzterem sieht sie einem Strunke nicht un- ähnlich, dessen dicht aufeinander sitzende Blätter abgerissen sind. Bei- läufig sei erwähnt, dass dieselbe Form der Entartung an sich verwan- delnden Froschlarven vorkommt, sowohl am Bauch wie am Schwanze. Wenn an den Muskeln lebendiger Thiere diequere Zerreis- sung des Muskels sich mit den an anderem Orte angeführten Er- - scheinungen plötzlich einstellte, so wird beim Typhus in solchen Fällen dieser Vorgang durch eine allmählige Entartung der con- tractilen Substanz eingeleitet, wie solche eben geschildert wurde. Es leuchtet ein, dass eine leichte Zerrung schon genügen muss, um die durch Lückenbildung und theilweise Wachsentartung gestörte Continuität des Muskels zur vollständigen Zerreissung zu steigern. Man findet aber auch Bündel, in welchen nur wenige Fibrillen zerrissen sind. Es entstehen dann unregelmässige Hohlräume, welche eine klare Flüssigkeit enthalten. Man wird durch sie an die glei- chen Erscheinungen, welche vorher an der lebenden Corethralarve beschrieben wurden, erinnert. — Dort wie hier zeigen die begren- zenden Fibrillenenden stärker angeschwollene Anisotropen. Die iso- trope Stelle hatte der Riss getroffen. Zuweilen finden sich in den grösseren Holräumen dieser Art eine oder mehrere Zellen. Ob die Höhlen zuerst entstanden, oder ob die Zellen durch ihre Einwanderung oder Entstehung dieselben bedingten, blieb unentschieden. Hoffmann?) giebt in Fig. 3 eine gute Abbildung spindelförmiger Vacuolen, die zwischen den Fibrillen lagern, und ebenfalls einen klarflüssigen Inhalt haben. Sie finden Ich war meines Wissens der erste, der auf diese Veränderung der contractilen Substanz nach Druck zuerst eingehend hinwies, und bin schliesslich zu der eben mitgetheilten Ansicht gekommen, da ich bis jetzt an mit Spiritus und anderen Reagentien behandelten Muskeln diesen Zustand nicht zu erzeugen vermochte. 1) L. c. Fig. 5, Taf. X bildet er sie ab, wie sie aussieht, wenn Druck auf das Präparat wirkte. 2) Schultze’s Arch. 1865, Bd. 1 pag. 415, Taf. 25. 3) Virchow Bd. 40, Taf. 13. 316 G. R. Wagener: sich häufig bei Oedem. Diese Bündel erscheinen auffällig schlaff, ohne sehr durchsichtig zu sein. Das Perimysium internum. Es ist schon früheren Beob- achtern die auffällige Vermehrung der Bindegewebsmassen bei Trauma, Trichinose und Typhus in den Muskeln aufgefallen. Querschnitte von normalen Muskeln erwachsener Thiere zeigen Bündel an Bündel dicht gedrängt. Nur zwischen den grösseren Abtheilungen im Muskel findet sich mehr Bindesubstanz. Bei jüngeren Thieren richtet sich die Masse des Perimysium internum durchaus nach dem Wachs- thum. Ist dasselbe in vollem Gange, so giebt es viel Protoplasma und Bindegewebe zwischen den Bündeln; hat dagegen das Wachs- thum aufgehört, so ist auch das Perimysium internum in seiner Masse verringert. — Bei erkrankten Muskeln — sei es in Trichinose, Trauma oder Typhus — sind die Bündel durch reifes und unreifes Bindegewebe oft weit von einander getrennt. Es streckt Ausläufer tief zwischen die gesunden Bündel hinein. Die Hauptmasse desselben lagert aber um die erkrankten Stellen. In ihr ist meist vor den Fi- brillen die embryonale Form und kernhaltiges Protoplasma vorwaltend. Mit dem Protoplasma hängen die Sarkolemmschläuche eng zusam- men. Querschnitte zeigen die letzteren noch als selbständige, doppelt- conturirte, lostrennbare Gebilde, obgleich die Verbindung beider innig ist. Namentlich tritt diese Erscheinung an denen hervor, welche veränderte Muskelsubstanz — zerfallende oder werdende — enthalten. Neumann erwähnt in diesen Bindegewebsmassen Körperchen, durch Glanz und feine Fortsätze ausgezeichnet. Nach meinen Be- obachtungen kann man diese Körper wie die in der Corethralarve wohl für Amöboide halten. — Bei Trichinose sind sie sehr deutlich durch ihren Glanz und fehlen nie. Leuckart bildet sie in seinen Untersuchungen über Trichina spiralis Fig. 8. 13. 14 Tafel II ab. — Ausser diesen kommen noch spindelförmige, wohl dem jungen Bindegewebe angehörige Zellen vor. Seltner verhältnissmässig sind rundliche Kerne mit feinkörnigen, sonst structurlosen Protoplasmahöfen. Oefters findet sich in diesen eine sehr feine, parallele Streifung, welche zuweilen sogar feine Quer- linien zeigt, woraus man ihre Zugehörigkeit zur Muskelbildung fol- gert. Ob sie zum Perimysium internum zu zählen sind, bleibt des- halb fraglich, weil man dem Einwande Neumann’s, dass sie durch die Gewaltsamkeiten der Präparation von ihrem Entstehungsort ent- fernte Muskelknospen seien, nicht begegnen kann. Ueber das Verhalten der Muskeln im Typhus. 317 Man hat aus der verschiedenen Gestalt dieser Zellen auf Un- terschiede in der Abstammung geschlossen. Es ist aber unmöglich, nach dieser Richtung hin durchgreifende Scheidungsmerkmale auf- zuweisen. Die Gleichartigkeit des Protoplasma für unsere Hilfsmittel, das Entstehn von Bindegewebe, elastischen und Muskelfasern in ein und demselben Protoplasma zu gleicher Zeit, wie es die Beobachtung einer embryonalen Aorta lehrt, macht jeden Versuch vergeblich, em- bryonales Bindegewebe von dem muskelerzeugenden Gewebe zu un- terscheiden, vorausgesetzt, dass, sei es bei Krankheit oder Gesund- heit, der Entwicklungsgang dieser Gewebe immer derselbe bleibt, vielleicht mit nur unwesentlichen Modificationen. Natürlich bezieht . sich dies nur auf Zellen mit einfachen Protoplasmahöfen. Die Ge- stalt der Zellenhaufen hat dabei keinen weiteren Werth, so wenig wie die des Kerns. Die „wachsartigen“ Formen des Muskels erreichen ihre höchste Entwicklung nach dem vollkommen queren Zerfall der Bündel. Es wurde schon der Anfang dieser Erscheinung bei dem Auftreten der Querspalten erwähnt. Sie polarisiren das Licht sehr stark. Mit dem allmählichen Beginn der weiteren Verwandlung der- selben wird die Polarisation schwächer und schwächer. Schliesslich muss man die äusserste Aufmerksamkeit anwenden, um den schwachen Lichtschein wahrzunehmen. Zuletzt gelingt auch dies nicht mehr. — An allen diesen Massen habe ich stets, mehr oder minder leicht, feine, gleichlaufende Längs- und Querlinien gesehn, ganz so wie an den entarteten Stellen in den Muskeln der lebenden Corethralarve. Ich glaube diese Streifen als letzte Andeutung der Quer- und Längsstreifung ansehn zu müssen. Waldeyer!) gibt eine Figur, welche als Beispiel der von ihm angenommenen Zerstörung des Sar- kolemms an kranken Bündeln dienen soll. Leider bietet sie kein Mittel um den Einwurf Neumanns zu entfernen, dass hier eine Folge der Präparation vorliegt. Die „Wachspfröpfe“* unterliegen einem körnigen Zerfall. Er beginnt in dem Mittelpunkte derselben. Eigenthümliche, “wie Falten aussehende Spalten in ihm, werden an den sich berührenden Punk- ten körnig. Ob letzteres nach dem Erscheinen der ersteren auftritt oder umgekehrt, bleibt unentschieden. — Die aus diesem Processe hervorgehenden Körnchen sind zart, blass, verwaschen umgrenzt. 1) L. c. Fig. 15 Taf. X. 318 G. R. Wagener: Trotz dieses Umstandes liegt hier derselbe Vorgang vor, wie in der oben angeführten Form des Zerfalls, der an Vibrionen erinnernd, häufig bei Trichinose sich findet. Die feinen Längs- und Querlinien sind die Grenzen der Sarcous elements an den „Wachspfröpfen.“ Die wachsige Entartung ist nur eine eingeschobene Form vor der Zertrümmerung, welche dem vibrionenartigen Zustande nicht vorher- sing. Auf beide folgt eine Verflüssigung des Sarkolemminhaltes, wie die Beobachtungen am Schwanze lebender Froschlarven unter anderem lehren. Das Sarkolemm und die Muskelneubildung. Es gelingt bei einiger Geduld aus Muskeln Typhuskranker 2 oder auch mehr Uentimeter lange Bündel zu isoliren. In bunter Reihe folgen: dunkle breite Muskelstücke, ganz unversehrt erscheinend, mit „wachsartigen Pfröpfen“, neu gebildeter Muskelsubstanz, Strecken von klarer Flüssigkeit, zelligen Haufen und blassen quergestreiften, eng vom Sarkolemm umschiossenen Abtheilungen abwechselnd. Jede vorstellbare Veränderung in der Anordnung dieser Stellen ist durch ein Präparat zu erhärten. Das Sarkolemm vereinigt alle diese zu einem Ganzen, das zuweilen, namentlich zwischen sehr durchsichti- gen Muskelstücken zu einem Faden zusammengefallen ist. Das Sarkolemm liegt den noch normal gebliebenen Bündelthei- len eng an. Wo der Zerfall beginnt, steht es dagegen mehr oder weniger ab. An diesen Stellen erscheint es häufig etwas verdickt, als ob eine Ablagerung sich dort gebildet hätte. Genauere Unter- suchung liess hier eine feine Längsstreifung bei oberflächlicher Ein- stellung wahrnehmen, welche lebhaft an die anfangende Bildung von Fi- brillen beim Hühnerembryo erinnerte. — Wo „Wachspfröpfe“ lagen, war das Sarkolemm durch diese ausgebuchtet; wo Flüssigkeit sich vor- fand, war es prall gespannt; wo diese fehlte, war es zusammenge- fallen und strangförmig geworden. Lagen Neubildungen in ihm, so richtete sich das Sarkolemm ganz nach der vorhandenen Flüssig- keitsmenge, welche die Neubildungen umgab. Dass die im Sarkolemm vorhandenen Zellen theils Neubildun- gen theils Einwandrer sein können, darüber wird wohl kein Zweifel sein. Zu bestimmen aber, welche Zellen sind an Ort und Stelle neugebildet, welche sind eingewandert? ist zur Zeit unmöglich. Da diese Zellen in den Sarkolemmschläuchen als die Vermittler der Muskelneubildung anzusehen sind, so ist es nützlich, einen Blick auf dievonRemak ausgesprochene, und von den meisten Forschern Ueber das Verhalten der Muskeln im Typhus. 319 getheilte Vorstellung über die Muskelgenese zu werfen. Denn gegen die Remak’sche Begründung dieser Ansicht, dassjedes Muskelbündel sich aus einer Zelle entwickelt, lassen sich nicht unerhebliche Bedenken geltend machen, indem die Wirbelplatte, der er die dotterhaltige, die Muskeln erst bilden sollende Zeile entnahm, ausserdem noch Nerven, Bindegewebe u.s. w.zuerzeugen hat. Es könnten die Anhänger dieser Lehre sich also noch auf die Muskelbildung im Typhus stützen, wo diese verdun- kelnden Umstände fortfallen. Es lassen sich dort Kerne mit Proto- plasmahöfen, in denen sich Fibrillen sowohl mit als ohne Querstrei- fen nachweisen lassen, mit Leichtigkeit isoliren. Leider ist hier der Einwand Neumanns geltend zu machen, dass die Isolirung nur . Folge der Präparation ist. Eckhard !) wies beim Herzen des Hühnermbryo und ich in den Wirbelplatten den Ursprung der Muskeln aus einem kernreichen Pro- toplasma nach. Man könnte nun, der Erinnerung A. Schneiders?) eingedenk, annehmen, dass, wie Lieberkühn beim Schwamm die scheinbar gleichförmige, kernreiche Masse wieder in einzelne Zellen auseinander gehn sah, so auch das muskelbildende Protoplasma aus einzelnen Zellen bestände, deren Grenzen unsichtbar geworden, dennoch - stets vorhanden seien. Selbst wenn dies der Fall wäre, so würden die entstehenden Muskelfibrillen durchaus keine Rücksicht auf die Ab- grenzungen in ihrem Geburtsorte nehmen. Selbst nach 24stündiger Be- brütung erscheinen sie als eine einfache Lage feiner, von einem An- satzpunkte zum anderen direct hingehender, blasser Streifen. Die Diagnose von eben fertig gewordenen und schon lange existiren- den Muskelbündeln, die ein und dasselbe Sarkolemm umschliesst, lässt sich durch folgende Erwägungen begründen. Muskelbündel ganz junger Thiere sind stets wenig oder gar nicht gefärbt, weich und sehr durchsichtig. Bei alten Thieren erscheinen sie dagegen stark rothgelblich, fester und nicht sehr durchsichtig. Die helle Farbe, welche Kalbfleisch für das blosse Auge hat, ist bekannt. Beim Typhus wird von einer dem Lachsfleisch ähnlichen Färbung der erkrankten Muskeln berichtet. Dass zwischen diesen verschie- denen Graden sich Uebergänge finden müssen, liegt in der Sache selbst. Es kann also nur von den äussersten Endgliedern dieser Reihe die Rede sein, welche indess, so viel ich habe finden können, 1) Henle u. Pfeuffer Bd. 29, pag. 62. 2) Unters. über Platyhelminthen 1873 pag. 17. 320 G.R. Wagener: noch von keinem Forscher berücksichtigt worden sind. — Hält man die Durchsichtigkeit als Kriterium junger Muskeln fest im Gegen- satz zur Dunkelheit schon länger bestehender, so muss man anneh- men, dass auch die Neubildungen, zum wenigsten die eben fertig gebildeten Muskeln zerfallen und zwar genau in derselben Weise, wie die älteren. — Hierbei mussman sich aber in Erinnerung bringen, dass möglicher Weise die Erkrankung alten Muskeln an diesen und jenen Stellen das Aussehn jugendlicher Formen durch Zerstörung der Färbung und Erweichung ihrer Substanz verleihen kann. Das Protoplasma des Perimysium internum bildet auch das Sarkolemm. Es ist nur eine fester gewordene Schicht desselben. Waldeyer vergleicht es mit der Grundmembran der Schleimhäute, und will ihm desshalb keine Kerne zuerkennen. Die im Ver- hältniss zum Sarkolemm immer sehr dicken Kerne bedingen stets ein Hervortreten über die Contur des Schlauches, wodurch man immer im Zweifel bleibt, ob der Kern aussen oder innen liegt. In beiden Fällen lässt er sich als etwas fremdes, dem Sarkolemm gegen- über, betrachten, Der Entstehung nach gehört aber der Kern zum Sarkolemm, wie ich nachgewiesen habe. Bei Muskeln Typhuskranker, selbst wenn sie schon Spuren des Zer- falls zeigen, sind die Sarkolemmkerne häufig so beschaffen, wie man sie an gesunden Bündeln von ausgewachsenen Thieren zu finden gewohnt ist. Zuweilen aber sehn sie nicht spindelförmig, sondern rundlich oder oval aus, undsind, wie bei sich entwickelnden Muskeln, mit einem Proto- plasmahofe umgeben. Man kann mit Waldeyer und Anderen anneh- men, dass die alten Kerne sich verjüngt haben, oder aber man kann sie für neugebildet und eingewandert, oder auch bloss für das erste ansehn. Beweise für das eine oder andre lassen sich nicht beibringen. Mit dem Erscheinen dieser Zellen treten auch die ersten An- deutungen neugebildeter Muskelfasern auf. Der Kern, in dessen Protoplasma man als dicht bei einanderliegende feine, glatte Streifen die ersten Anfänge der Muskeln wahrnimmt, soll sich nach allge- meiner Annahme durch Theilung (oder vielleicht auch durch Knos- pung, wie es zuweilen scheint,) vermehren. Genauere Angaben kann man darüber nicht machen. Sicher ist nur, dass eine nicht gewöhn- liche Anzahl von Kernen in und auf dem Bündel sich nachweisen lassen, von denen viele dicht beisammen liegen, in einer Weise, die die mitgetheilten Ansichten erklärlich macht. Oberflächliche Focal- einstellung auf solche Bündel lassen dicht unter dem Sarkolemm Ueber das Verhalten der Muskeln im Typhus. 321 häufig eine feine, parallele Längsstreifung wahrnehmen, die man auf Neubildung von Muskelfibrillen beziehn kann. Gewöhnlich ist in diesen Fällen ein geringer Abstand des Sarkolemms von seinem In- halt bemerklich, der die Form eines feinkörnigen lichten Streifens hat, der sich zwischen Sarkolemm und Muskelsubstanz wie einge- schoben zeigt. Ist das Bündel schon in Wachspfröpfe und deren Derivate zer- fallen, so lassen sich dicht unter dem Sarkolemm, ihm eng anliegend, einzeln oder in Gruppen, Kerne wahrnehmen, welche eine dünne parallel und fein längsgestreifte Umgebung mit unregelmässiger, schwer sichtbarer Begrenzung haben. Dieselben Formen kommen auch einzeln in Gestalt von kurzen Bändern und Streifen in den napfförmigen Vertiefungen vor, welche durch Umschlag der Riss- flächenränder des Pfropfes nach innen entstehn. Dort finden sie sich auch zu solideren Massen angehäuft vor. Immer wurden unter ihnen einzelne Zellen mit den schon oft erwähnten glatten, feinen Parallelstreifen gesehen, die den embryonalen Muskelfibrillen im Aussehn gleichen. Die Querstreifung bildet sich nicht durch Reihen- aufstellung der feinen, dunklen Protoplasmakörnchen (Zenker). Diese sind bei der Herstellung der Querstreifen ganz unbetheiligt und bleiben immer so lange wie das Protoplasma. Sie entsteht vielmehr durch Gliederung in der etwas dunkler und vielleicht auch dicker werden- den Fibrille. Fragen, die diese Beobachtungen anregen, wie: Sind die vereinzelten Zellen ursprünglich vorhanden, oder verdanken sie der Präparation ihre Isolirung, wie letzteres Neumann meint, oder hat der Krankheitsprozess sie von ihrem Entstehungsorte abgelöst? sind nach dem heutigen Stande der Dinge nicht zu beantworten. Von Neumann wurden Erscheinungen in ausgiebigster Weise verwerthet, welche von andern Beobachtern erwähnt, aber nicht weiter berücksichtigt sind. Er fand Bündel mit zugespitzten oder abgerundeten !), sehr kernreichen Enden, die. durch mehr oder weniger tiefe Einschnürungen von dem quergestreiften Theile des Muskels sich absetzten. Zuweilen war eine Grenze als Linie zwischen beiden vorhanden, in andern Fällen bildete die Spitze zwei oder auch mehr Zipfel. Letztere Erscheinung hielt er für derselben Art, wie die von Weismann beschriebene (Henle u. Pfeuff. Zeitschr. II. Reihe 1) Lange Spitzen, kurz umgebogen, erscheinen wie abgerundete Knos- pen, welche noch nicht vollständig unverwachsen sind. M, Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. 21 322 G. R. Wagener: Bd. 10 Taf. 7, Fig. 9), dessen Deutung er auch annahm, und auf Theilung der Bündel bezog. Ohne die Möglichkeit dieser Aus- legung bestreiten zu wollen, so kann man sich doch nicht verhehlen dass bei einer stückweisen Zusammensetzung des Muskels, wie ge- wisse Thatsachen bei Regenerationen doch sehr wahrscheinlich machen, solche Fälle auch dahin verstanden werden können. Neu- mann kam schliesslich zu der Annahme, dass die Neubildungen von Muskeln im Typhus und bei Verwundungen auf Knospenbildung an ältern Bündeln beruhe. Ich habe die von Neumann und C. OÖ. Weber auch bei Muskelwunden gesehenen Knospen oft beobachtet. Alle derartigen Bündel waren sehr blass und durchsichtig, waren also selber Neu- bildungen unter den schon oben angeführten Voraussetzungen. Es fanden sich sogar knospentragende, schwach quergestreifte Bündel, welche aus Zwei oder mehreren Streifen zusammengesetzt waren. Hier und da klaffte wohl noch die Naht weit auseinander, an andern Orten war sie nur eine Furche, oder eine feine, dunkle Linie, die allmählich aufhörte, als ob die Verwachsung vollständig war. Oben und unten lagen wachsig entartete Pfröpfe, welche von den Enden des neugebildeten Muskels mit quergestreiften, scharf und flach ab- gerandeten, fingerartigen Fortsätzen umfasst wurden. Das Sarko- lemm ging über alle diese Formen unversehrt hin. Vergegenwärtigt man sich noch die früher angeführten Thatsachen, welche in einem Sarkolemmschlauch alle möglichen Formen von unverletzter und zerfallender contractiler Substanz an bis zum vollendeten neugebil- - deten Bündel nachweisen, so kann man der Neumann’schen Annahme nur dann gerecht werden, wenn man eine dünne Schicht muskeler- zeugendes Protoplasma, von den alten Muskeln herkommend, sich dicht unter dem Sarkolemm fortziehend, vorstellt, welche mit allen Neubildungen in stetem Zusammenhange bleibt. Die Unmöglichkeit des Nachweises fiele der Präparation zur Last. So muss denn wenigstens die von Neumann besonders betonte Form der Knospe aufgegeben, aber ausserdem noch der Beweis geführt werden, dass auch alte dunkle Bündel solche Knospen tragen können. Ich habe, einem so umsichtigen Forscher wie Neumann gegenüber, viele Mühe ver- geblich darauf verwandt, diesen Nachweis zu führen, um endlich zu der Ansicht zu kommen, dass das einzige im Zusammenhang blei- bende das Sarkolemm ist, der Muskel dagegen sich aus Stücken bei der Wiedererzeugung zusammensetzt, eine Meinung, die durch Unter- Ueber das Verhalten der Muskeln im Typhus. 323 suchung des Schenkels von einem trichinisirten Kaninchen eine starke Stütze erhielt. Es liess sich kein junges Muskelbündel, — und deren gab es eine grosse Anzahl, da das Thier die Trichinose über- standen hatte — auffinden, das nicht aus zwei und noch mehr Stücken bestand. Alle wurden durch das Sarkolemm zusammenge- halten, das an den muskelleeren Stellen faltig zusammengefallen war. Dabei fanden sich an den Spitzen der Bündel, auf das sehnen- artige Sarkolemm sich fortsetzend, Kerne in grosser Menge abge- lagert, ebenso in den Spitzen der Muskelsubstanz selbst. Nimmt man diese Befunde unter den Gesichtspunkt Neumanns, so würde sein Ausspruch dahin geändert werden müssen, dass junge Muskeln ‘ an ihren Enden. wachsen. Für diese Behauptung lassen sich noch weitere Beobachtungen anführen, so das Wachsen der Muskeln an den embryonalen Herzklappen (s. Sitz.-Ber. der Marburger Gesellsch. 1872 Nro. 10). Rollet (Wiener Acad. Sitz.-Ber. Bd. 21. pag. 176) hat Bün- delendigungen innerhalb des Muskels beschrieben, welche er als freie bezeichnet. Dies sind sie in Betreff des Sarkolemms nicht, da dies sich, zusammengefallen als Strang weiter fortsetzt. Ferner glaubt er hier keine Entwicklungsformen vor sich zu haben, was sich leider noch bezweifeln lässt. Auf die Veränderungen des Muskelsystems bei Krankheiten ist erst durch Zenker und C. O. Weber die Aufmerksamkeit gelenkt worden, nachdem man früher die Muskeln stillschweigend für unveränderlich hielt. Mir gelang es bei anschei- nend ganz ausgewachsenen und gesunden Kaninchen stärke Proto- plasmamassen mit Formen von neu sich bildenden, und sich verdicken- den Bündeln nachzuweisen, nachdem schon Weisman.n die Neubildun- gen in den Muskeln von erwachsenen Fröschen geschildert hatte. Dass Zerfall und Neubildung von Muskeln nicht allein bei Krankheiten wie Trauma, Trichinose und Typhus, vorkommen, lehren die Schwanzmuskeln der Froschlarven und die Angaben Weismanns über die Metamorphose der Insecten. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass Zerfall der Muskeln im Typhus, Trauma und Trichinose stattfindet, und keine Leichen- Erscheinung ist. Dass der Zerreissung ein krankhafter Zustand des Bündels vorhergehen muss, ist nur wahrscheinlich. Zerreissung des Muskels hat, wie sich an der lebenden Corethralarve nachweisen lässt, Wachsentartung zur Folge, oder dieser verwandte Zustände der contractilen Substanz. Protoplasmamassen finden sich zwischen ‘ 324 G. R. Wagener: den Bündeln wachsender und sich wieder erzeugender Muskeln. Ob neue Bündel sich zwischen den alten bei Krankheiten bilden, ist nicht zu behaupten wegen der Gewaltthätigkeiten der Präparation, wie Waldeyer schon gegen Zenker geltend machte. Sind die oberi angegebenen Unterschiede zwischen alten und jungen Bündeln richtig, so muss man auch einen Zerfall neugebildeter Bündel während des Typhus annehmen. Erklärung der Abbildungen auf Taf. XIX. XX. XXI. Die Präparate wurden einem grossen Adductoren-Stücke entnommen, was ich der Güte des Prof. Langhans verdanke. Es war gleich während der im Winter gemachten Section ın Müller’sche Flüssigkeit gelegt worden und zeigte keine merkbaren Spuren von Zerstörung durch Fäulniss oder Ge- waltthätigkeit. Fig. 1. Ein Bündelstück, welches eine Anschwellung zeigte, vielleicht eine durch Absterben des Bündels festgestellte Contractionswelle mit Querstreifen. Die Verdoppelung der Breite gibt die ganze Breite des Bündels. 920: 1 Hartn. XI. Oec. 3. Bündel mit dieser Eigenthümlichkeit kamen selten vor. Fig. 2. Bündel mit beginnender Unordnung in den Fibrillen und Quer- streifen. 480:1. Hart. VIII. Oe. 3. Fig. 3. Bündel mit wellenförmigen, und Inseln normaler Querstreifen. 480: 1. Fig. 4. Bündel (vielleicht ein jüngeres) mit beginnendem Zerfalle in der Axe. Kerne sind auf dem an den Rändern etwas abstehenden Sarkolemm zu sehen. Der dadurch gebildete Raum enthielt eine feine Längs- streifung, welche man auf Muskelfaserbildung beziehen kann. 480: 1. Fig. 5. Querschnitt (etwas schief) eines anscheinend normalen Muskelbündels. Man sieht die Säulenabtheilungen und die Fibrillen. 920 :1. Fig. 6. Ein schlaffes, ziemlich durchsichtiges Muskelbündel. Ein Theil der axialen Fibrillen ist zerrissen, dadurch ist die grössere runde a und dicht daneben eine längliche kleinere Lücke b entstanden. Beide enthalten Flüssigkeit. Dabei Verwirrung der Querstreifen. In der Mitte nur, dicht bei der Lücke oder Vacuole, sind die Quer- streifen noch in normaler Weise sichtbar. c Abstehendes Sarko- lemm. 330 :1. Hartn. VII. Oe.'3. Fig. 7. Die Vacuole stärker vergrössert. Die, die Vacuole rändernden Fi- brillenenden erscheinen geschwollen, wie contrahirt. 920:1. Fig. 8. Ein durchsichtiges Bündel mit Längsspalten im Innern, welche Flüs- Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 10. 11. 12. 13. 14. 15. g. 16. Ueber das Verhalten der Muskeln im Typhus. 325 sigkeit enthalten. Die Fibrillen sind hier nicht zerrissen, sondern der Länge nach auseinander gewichen. 480 : 1. a. Ein Kern. Ein Bündel im Inneren durch Querspalten zerklüfte. Manche der Räume liegen schon dicht unter der Oberfläche, welche die feine Querstreifung noch ununterbrochen zeigt. Nach den Enden des Bün- dels wurden die Querspalten kleiner und sparsamer, und hörten dann auf. Die Muskelsubstanz zwischen ihnen zeigte schon hier und da die wachsige Entartung. 480 :1. a. a. a. Drei Kerne des Sarkolemms. Ein schlaffes, wenig durchsichtiges Bündel mit einer Vacuole. In letzterer eine Zelle mit Kern von Flüssigkeit umgeben. a Quer- 'streifung auf der Oberfläche schwach aber noch regelmässig. Die Fibrillen liessen sich an den schlaffen Bündeln immer sehr deutlich sehen. Oedematöse Stellen an Leichen zeigten an den dort gelegenen Muskeln dieselben Erscheinungen mit Ausnahme der Hohlräume und der darin enthaltenen Zellen. Schwach quergefaltetes Bündel, schlaff, mit feinen Querstreifen. Die Säulen an manchen Stellen deutlich. Vacuolen b mit buchtigen Wandungen dicht unter der Oberfläche des Bündels, Flüssigkeit ent- haltend. a Kerne des Sarkolemms. Theil eines Sarkolemmschlauches, 330 :1, von Flüssigkeit ausgedehnt mit wie faltig erscheinendem »Wachspfropfe« a im Innern. Die Wände des Schlauches sind mit fein längsgestreiftem Protoplasma theilweis belegt. b Zipfel desselben sich mit dem an der Wand liegenden verbindend. — c Kerne, einzeln und wie in Theilung be- griffen. — d Ausserhalb liegende Gefässe mit Kernen. e Die Spitze des Schlauches zusammengefallen und noch nicht quergestreifte Sub- stanz enthaltend. Theil eines Sarkolemmschlauches d, 330 :1, der am unteren Ende abgerissen ist (d‘), a grosser, unregelmässig gestalteter Wachspfropf, im körnigen Zerfall begriffen a‘. c Kerne in der Protoplasmamasse, welche unten frei hervorragt, und der Schlauchwand im übrigen anliegt. Ein im Sarkolemm d, 530: 1, liegender Wachspfropf. r Die krater- förmig erscheinende Bruchfläche. F Falten mit körnigem Zerfall. Ein isolirter Wachspfropf 480 :1. In seiner Bruchflächenhöhlung Zellenhaufen a mit Kernen. m in Bandform auftretende neue Mus- kelsubstanz, ce dazu gehörige Kerne. Bei beiden Pfröpfen ist feine Längs- und Querstreifung zu be- merken. Neugebildete Muskelsubstanz, 180: 1, eine Menge Pfröpfe a umfas- send. ce Die Kerne der noch nicht quergestreiften Muskelmasse. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. BuNT. 18. 119: 20. 21. 22. 23. G. R. Wagener: Schwach quergestreifte Muskelsubstanz neugebildet, 480:1. A Die noch an die Zusammensetzung erinnernden Falten und Streifen. 920:1 a—-c Zellen mit Protoplasmahöfen und sich theilenden Ker- nen. Die Scheidewand in letzteren erscheint immer nur einfach und nicht durch drei Parallellinien bezeichnet. — d Protoplasma, band- förmig mit feinen gleichlaufenden Längsstreifen. — e Rand einer Va- cuole im Bündel um die Anschwellung der begrenzenden Anisotropen zu zeigen. — f und g Fibrillen aus Bündeln, um die unregelmäs- sigen Anisotropen derselben zu zeigen. In g sind sie theils fein, theils in lange, spindelförmige Anschwellungen zusammen geflossen. Vergl. auch Bd. 9 dies. Arch. Taf. 29A, Fig. 8, Junges Muskelbündel 180:1. a Theil desselben mit Vacuolen und be- ginnendem Zerfall. Querstreifen nur angedeutet. b Theil desselben mit in Unordnung gerathener Querstreifung. Beide sind durch einen kaum quergestreiften, kernreichen Strang mit einander verbunden. c—g. Kerne der verschiednen Theile dieses Bündels. 920: 1. Man könnte dem Aussehen nach f als einen eben gebildeten an- sehen und dann e und d folgen lassen. ce würde entwickelterer Mus- kelsubstanz angehören, während g schon der Schrumpfung anheim fiel. Aussehen der Kerne und der Muskelsubstanz würde sich in dieser Auffassung entsprechen. Neugebildetes, noch Längsspalten a zeigendes Muskelstück mit ein- geschalteten Wachspfröpfen b. 180:1. Ein Stück desselben stärker vergrössert. Die Muskelsubstanz im Sar- kolemm d ist bandförmig und hört mit scharfem Rande auf den Wachspröpfen b auf, welche letztere feine Quer- und Längsstreifung zeigen. In e Kernanhäufungen. 330 :1. Junges Muskelbündel mit matter Querstreifung. a Kernreiche Mus- kelknospe, noch durch eine Furche b abgegrenzt, welehe sich auf die Seitenflächen des Bündels so fortsetzt, als sei dort noch eine feine Schicht derselben vorhanden. 330 : 1. Fünf Querschnitte von kranken und sich regenerirenden Muskelbün- deln, 920: 1. a. Sarkolemm, doppelt contourirt. b. Amöboide, dem Anscheine nach. e. Vacuolen innerhalb der Fibrillenmasse des Muskels, sehr kleine und grössere. d. Protopiasma. e. Neu gebildete Muskelsubstanz innerhalb des Sarkolemm, f. Wachspfröpfe. g.“ Anscheinend Bindesubstanzzellen. Muskeln aus dem Schenkel eines trichinisirten Kaninchens. Fig. 24—29. Fig. 24. Querschnitt (in Müller’scher Flüssigkeit) 330 :1. a Querdurchschnit- Fig. 25. Fig. 26. Fig. 27. Fig. 28. Fig. 29. Ueber das Verhalten der Muskeln im Typhus. 327 tene Muskelbündel. b Protoplasmamassen mit Kernen. d Durch- schnittene Trichinenkapsel mit einem Theile des Wurms. Ebenso 350 :1. a Muskelbündelquerschnitte. b Protoplasmamassen mit Kernen. c Bündel entartet mit Vacuolen. d Querschnitt des Trichinencapselendes mit geschichteter Wand und körnigem Inhalte. Muskelschlauch mit Protoplasma und Kernen gefüllt, frisch, 480 :1. In Sarcous elements zerfallener Muskel, frisch, 920 :1. In b noch unzerfallene Muskelreste. c Kerne, anscheinend neu gebildet. — a Amöboide. Bündel aus dem Oberschenkel, 180 : 1, mit den als Sehne auftreten- den Sarkolemmverbindungen. a Amöboide. Nr. II zeigt, wie die dün- nen Stellen der Bündel durch die Lagerung sich ausgleichen. Nr. III, 920: 1, der Uebergang des Muskels in die Sehne. d Muskel- substanz mit Kernen, e besonders an dem Beginn der Sehne c an- gehäuft, welche Falten auf ihrer Oberfläche zeigt. Zwischen den Kernen fand sich feinkörniges Protoplasma angehäuft. Marburg, Juli 1873. Rhizopodenstudien. Von Franz Eilhard Schulze. K Hierzu Tafel XXII und ein Holzschnitt. Ueber den Bau und die Entwicklung von Actinosphaerium Eichhornii. Der Bau von Actinosphaerium Eichhornii Stein = Actinophrys Eichhornii Ehrenberg wurde zuerst durchKölliker !) im Jahre 1849 in den Grundzügen erkannt. Nach Kölliker’s Darstellung besteht der von !/ss—!/g Linie Durchmesser grosse kugelige oder leicht ab- geplattete Körper des Thieres aus einer weichen, ganz homogenen, aber viele feine Körnchen führenden Sarkode, welche eine so grosse Menge heller, wässriges Fluidum enthaltender Alveolen ein- schliesst, dass das Ganze ein blasiges Ansehen gewinnt. Diese Sar- kodemasse setzt sich nach aussen in eine grosse Anzahl radiär frei in’s Wasser hinausstehender, bis zu !/s Linie langer, dünner Fäden fort, welche keine helle Alveolen und weniger Körnchen als die Sarkode des Körpers enthalten, hin und wieder spindelförmige oder knotige Anschwellungen zeigen und am Ende spitz auslaufen. Trotz der im Wesentlichen gleichartigen Zusammensetzung des ganzen Körpers lässt sich doch deutlich eine dunklere, d. h. un- durchsichtigere kuglige centrale Partie und eine hellere circa !/ss Linie 1) Zeitschr. für wissensch. Zoologie Bd. I. 1849. p. 198. Irrthümlich bezeichnete Kölliker das von ihm studirte Thier als Actinophrys sol, Ehrenb., während es in Wirklichkeit Act. Eichhornii Ehrenb. war. Franz Eilhard Schulze: Rhizopodenstudien. 329 dicke Rindenschicht unterscheiden. Der Unterschied zwischen beiden liegt darin, dass die Alveolen der kugligen Marksubstanz kleiner und unregelmässiger geordnet sind als diejenigen der Rinde, und dass die Sarkode der Marksubstanz viel körnchenreicher ist als die der Rinde. Beim Zerzupfen des Thieres fand Kölliker in der centralen dunkleren Masse eine Anzahl (10—12) zellen- oder kernartiger Körper. Vom Vorhandensein contractiler Blasen, wie sie schon von Siebold bei Actinophrys sol dicht unter der Oberfläche beob- achtet hatte, konnte er sich jedoch nicht überzeugen. Die nächstfolgenden Beobachter unseres Thierchens, von denen ‘besonders Stein !) zu nennen ist, welcher die neue Gattung Acti- nosphaerium, mit der einen Species A. Eichhornii, mit Recht von der alten Gattung Actinophrys abtrennte, stimmten den Angaben Kölliker’s im Wesentlichen bei, hoben jedoch die Anwesenheit der von ihm vermissten contractilen Blasen hervor, Ein erheblicher Fortschritt in der Erkenntniss des Baues von Actinosphaerium wurde dagegen im Jahre 1863 von M. Schultze?) durch die schöne Entdeckung gemacht, dass sich in den Pseudo- podien ein hyaliner, stärker lichtbrechender und festerer Axenfaden und eine diesen umhüllende, weiche und klebrige, mit Körnchen durchsetzte, bewegliche Rindensubstanz unterscheiden lässt, in wel- cher letzteren allein die langsame aber deutliche Körnchenströmung von Statten geht. Den hyalinen Axenfaden konnte M. Schultze in das Körperparenchym des Thieres durch die grossblasige helle Rindenlage bis an die Oberfläche der dunkleren Marksubstanz ver- folgen. Andrerseits konnte er einen continuirlichen Uebergang der Rindensarkode in die bewegliche körnige Aussenschicht der Pseudo- podien erkennen. Die schon von Kölliker gefundenen später auch von Haeckel?) erwähnten kernartigen Körperchen liegen nach M. Schultze’s Darstellung zu 40 und mehr in der Rinde der dunk- leren Marksubstanz zerstreut eingebettet und stellen äusserst zart- wandige kuglige Gebilde mit gerinnbarem eiweissartigem Inhalte 1) Stein, die Infusionsthiere auf ihre Entwicklung untersucht 1854. p- 151, und Abhandlungen der Böhmischen Akademie der W. 1857. 2) M. Schultze, das Protoplasma der Rhizopoden und der Pflan- zenzellen. 1863. 3) Haeckel, die Radiolarien. p. 165. 330 Franz Eilhard Schulze: und mehreren (2—8) kleineren, wie es scheint homogenen Ker- nen dar. Die neuste mir bekannt gewordene Schilderung vom Bau des grossen Sonnenthierchens, welche Greeff in Form einer kurzen Mittheilung !) im Jahre 1871 publicirt hat, ändert zunächst die alte bisher allgemein angenommene Auffassung insofern, als nicht zwei sondern vier concentrisch übereinander gelagerte, sich also um- schliessende Zonen angenommen werden, nämlich: 1) eine äusserste dünne, bewegliche, körnchenführende Lage, welche in langsamer Strömung den ganzen Körper umfliessen soll und sich direct in die weiche Pseudopodienrinde fortsetzt, 2) die darauf folgende helle Alveolenschicht, 3) eine zwischen Rinden- und Markschicht gelegene und die- selbe von einander trennende verhältnissmässig dünne, homogene Protoplasmalage, welche gleich einer derben Membran den ganzen Innenraum blasenartig umschliesst und desshalb der Centralkapsel der Radiolarien direct verglichen, auch selbst als Centralkapsel be- zeichnet wird, und endlich 4) die kleinmaschige, dunkele, körnchenreiche Marksubstanz. Die von M. Schultze entdeckten stärker lichtbrechenden Axenfäden der Pseudopodien stellt Greeff als zarte radiale, die „Centralkapsel“ durchbohrende Stacheln oder Nadeln von weicher organischer Substanz dar, welche, nach aussen allmählig sich ver- jüngend, am äusseren Ende mit einer nadelförmigen Spitze, innen dagegen mit einer freien mehr oder minder abgestumpften Keilför- migen Spitze enden und mit der letzteren in der Marksubstanz des Körpers stecken. Zur Darstellung meiner eigenen Untersuchungsresultate mich wendend will ich zunächst hervorheben, dass ich keinen Grund finde, die alte, von Kölliker herrührende Eintheilung des ganzen Thierkörpers in zwei Haupttheile, Mark und Rinde aufzugeben, weil ich die beiden durch Greeff neuerdings noch ausserdem un- terschiedenen Schichten, nämlich eine äusserste dünne Corticalzone und eine dünne homogene Grenzlage zwischen Mark und Rinde nicht als gesonderte differente Gewebslagen anerkennen kann. 1) Sitzungsberichte der niederrheinischen Gesellsch. für Natur- und Heilkunde in Bonn vom 9. Januar 1871. Rhizopodenstudien. 331 Die in ihrer Dicke wesentlich von der Grösse und Ausbildung des Thieres abhängige helle Rindenschicht, welche bei ganz jungen Individuen fast '/; des Körperdurchmessers, bei grösseren älteren nur etwa 1/;—Nıo desselben ausmacht, zeigt bei kleinen jungen Thierchen einen sehr zierlichen regelmässigen Aufbau aus einer einzigen Lage ziemlich gleichmässig gestalteter und annähernd gleich grosser Alveolen, welche sämmtlich oder doch fast sämmtlich von der Grenze der Markschicht bis zur äusseren Oberfläche des Körpers reichen und hier die allgemeine Kugeloberfläche local schwach ausbauchen. Seitlich werden sie durch die den Radialspi- culis entsprechend radiär gestellten geraden Sarkodewände begrenzt. (Taf. XXII. Fig. 8.) Bei älteren und grösseren Thieren sind die Al- veolen nicht so gleichmässig geformt und gelagert, sondern bilden ein mehr unregelmässiges Blasenwerk mit grösseren und kleineren Alveolen. (Taf. XXI. Fig. 1.) Häufig bemerkt man in der Nähe der Körperoberfläche eine Anzahl ganz kleiner Alveolen in der Umgebung des Punktes, wo ein Pseudopodium aus der Rinden- schicht hervortritt und es lassen sich bei einer Betrachtung der äusserenÜKörperoberfläche von der Fläche zuweilen ganze Reihen solcher sehr kleiner Blasen zwischen den Aussenrändern grösserer Randalveolen wahrnehmen. Der Inhalt aller Blasen ist eine völlig durchsichtige wässrige Flüssigkeit, in welcher jedoch häufig verein- zelte dunkle Köruchen suspendirt vorkommen, welche dann meistens Brown’sche Molecularbewegung zeigen. Die Sarkodemasse, in welcher sich die Alveolen als mit heller Flüssigkeit gefüllte Lücken darstellen, besteht aus einer ziemlich weichen, mässig zähflüssigen, scheinbar homogenen und structurlosen Substanz von mittelstarkem Lichtbrechungsvermögen, in welcher viele kleine Körnchen verschiedenen Kalibers eingebettet liegen. Sie stellt ein Fachwerk dünner platter Lagen dar, welche als Scheide- wände zwischen den Alveolen erscheinen und sich an den abgerun- deten Kanten und Ecken derselben zu prismatischen oder unregel- mässig geformten Strängen verdicken. Von der äusseren Grenzlage, welche jedoch keine andere als die durch die Cohäsionsverhältnisse der Öberflächenschichten flüssiger oder weicher Massen überhaupt be- dingte Differenzirung gegenüber den tiefer gelegenen Theilen erfahren hat, geht als eine ganz directe” und unmittelbare Fortsetzung die weiche Aussenlage aller Pseudopodien ab. Dass aber auch die Scheidewände der Rindenalveolen ebenso wie jene äussere Grenzlage 332 Franz Eilhard Schulze: mit der weichen Aussenschicht der Pseudopodien eine völlig zusam- menhängende, in sich gleichartige Masse bilden, lehrt die mit starken Vergrösserungen vorgenommene genaue Betrachtung sehr dünn aus- gebreiteter Rindenpartien an solchen Stellen, wo grade einer der später zu besprechenden Radialstacheln dieselbe durchsetzend in ein Pseudopodium eintritt. Hier zeigt sich ein ganz continuirlicher Uebergang der Öberflächengrenzlage des Körpers einerseits. in die dem Radialstachel anliegende, mit den Alveolenseptis in Continuität stehende Sarkodelage der Rinde, andrerseits in die weiche Pseudo- podienhülle (Taf. XXI. Fig. 1.). So wenig man also die Oberflächen- schicht der Rinde von dem weichen Pseudopodienüberzuge wird ab- grenzen wollen, ebensowenig wird man sie von den die Alveolen- lumina trennenden Sarkode-Scheidewänden und Strängen als beson- dere Zone trennen dürfen. Für die Zusammengehörigkeit dieser Theile spricht ferner der Umstand, dass man bisweilen kleine Al- veolen der Rinde geradezu in die Weichmasse breiter Pseudopodien hineinrücken sieht, so wie auch das sogleich näher zu besprechende Verhalten der durch die ganze Rindensarkode bis in die Pseudo- podien ungehindert wandernden Körnchen. Ich kann demnach eine Trennung der Rindenschicht in ein Alveolenlager und eine darüber gelegene mit der Pseudopodienweichmasse zusammengehörige äusserste Grenzschicht, als eine besondere »Pseudopodienzone« in keinem an- dern als einem rein topographischen Sinne gelten lassen. Kein Rhizopode des süssen Wassers scheint für das Studium des vielbesprochenen Phänomens der Körnchenströmung so geeignet, wie gerade Actinosphaerium Eichhornii. Zwar geht hier die Bewe- gung gewöhnlich nicht mit der Lebhaftigkeit vor sich, wie an vielen Meeresrhizopoden, aber es lassen sich dafür auch die langsam da- hingleitenden Körnchen mit vollster Deutlichkeit auf ihrem Wege verfolgen. Man überzeugt sich grade hier bei längerer Betrachtung leicht, wie zutreffend die Schilderung ist, welche M. Schultze zu- erst im Jahre 1854 in seinem Werk über den Organismus der Po- Iythalamien von dieser anziehenden Erscheinung gegeben hat. Ich finde übrigens bei Actinosphaerium die Körnchen nicht alle von gleicher Beschaffenheit, sondern unterscheide kleinere blassere und grössere stärker lichtbrechende und daher dunkler und glänzender erscheinende Körnchen. Während die kleineren in grosser Menge und ziemlich gleichmässig vertheilt durch alle Stränge und Platten der Rindenschicht sowie die Pseudopodienweichmasse vorkommen, Rhizopodenstudien. 333 sind die grösseren dunkeln, glänzenden Körnchen, welche besonders zahlreich in der Markımasse vorkommen, reichlicher in den tieferen, der Markmasse näher liegenden Regionen der Rinde als in den äusseren und in den Pseudopodien anzutreffen, obwohl sie ebenso wie die blasseren wandern und selbst in die Pseudopodien gelegent- lich hineingelangen. Auch finden sich die dunkeln Körnchen bei verschiedenen Individuen in sehr verschiedener Anzahl, wahrschein- lich je nach der mehr oder minder reichlichen vorausgegangenen Nahrungsaufnahme. Wenn Kölliker in den lIcones histologicae p. 25 angiebt, dass »die Körnchen in den Pseudopodien von Acti- nophrys ganz fehlen können«, dass sie überhaupt bei gut genährten Individuen reichlich, bei fastenden fast gar nicht zu finden seien; und es hierdurch fast gewiss werde, dass dieselben aus der Nahrung sich bilden und beständig entstehen und vergehen, so kann dies nach meiner Erfahrung wohl für die dunkeln, nicht aber für die kleineren blasseren gelten. Verfolgt man den Weg eines oder meh- rerer Körnchen, sei es der ersteren, sei es der letzteren Art genau längere Zeit hindurch, so kann man häufig ein solches, welches etwa aus einem Pseudopodium zurückkehrt, nicht nur in die äussere Grenzlage der Rindenschicht, sondern auch durch diese hindurch in die Alveolensepta hineinwandern sehen, besonders wenn dasselbe seinen Lauf dicht an einem Radialstachel entlang nimmt; und um- gekehrt lassen sich andere Körnchen auf ihrer Wanderung aus dem Alveolenbereich der Rinde in die Grenzschicht und aus dieser in die Pseudopodien hinein verfolgen. Greeff spricht davon, dass seine Pseudopodienzone in »langsamer aber stetiger Strömung« den Körper des Thieres umflösse. Ich habe diese Wahrnehmung nicht machen können, denn wenn ich auch zuweilen bei der Einstellung auf die Körpergrenzfläche viele Körnchen nach derselben Seite strö- men sah, so fand sich doch ebenso oft ein Ziehen der einzelnen Körnchen nach verschiedenen oft sogar entgegengesetzten Richtungen. Bisweilen wanderten die Körnchen auch wohl einfach hin und her, ohne irgend eine bestimmte Richtung einzuhalten. Indem ich die Besprechung der Pseudopodien mit ihren eigen- thümlichen Radialstacheln und der contractilen oder besser pulsirenden Blasen noch verschiebe, will ich jetzt zunächst dasjenige berichten, was ich über den Bau der Marksubstanz ermitteln konnte. Die- selbe unterscheidet sich, wie schon Kölliker angab, von der Rinde hauptsächlich durch die dunklere, undurchsichtigere Beschaf- 334 Franz Eilhard Schulze: fenheit und die engeren Alveolen, sowie durch den Besitz der »kern- artigen Körper«e. Das dunkle Aussehen rührt allein von der reich- lichen Einlagerung der stark lichtbrechenden und daher, dunkel- glänzenden Körnchen in dem Sarkodefachwerk her. Eine homogene membranähnliche Protoplasmalage, wie Greeff sie zwischen Rinde und Mark beschreibt, habe ich nicht nachweisen können. Zwar finde ich die der äusseren Körperoberfläche meist parallel gelegene Grenzfläche des Markes im Allgemeinen ziemlich glatt, doch lassen sich bei genauer Betrachtung viele Unregelmässigkeiten, Erhebun- gen etc, erkennen, welche ihre Gestalt sogar mannichfach wechseln. Ich vermuthe, dass alle in der Rinde und den Pseudopodien vor- kommenden dunkeln Körnchen aus der Marksubstanz ausgewandert sind und bei ihrem Austritt aus der letzteren solche meist zipfel- förmigen Erhebungen formiren. (Gewiss besitzt die peripherische Grenzlage der Markkugel eine erheblich grössere Festigkeit als die centrale Partie derselben, doch kann ich als Ursache dieses Um- standes nicht etwa eine besondere different gebaute membranöse Schicht, sondern nur die Kleinheit der hier vorkommenden Alveolen und die breiteren dicht mit dunkeln Körnchen vollgepfropften Sar- kode-Scheidewände und Stränge zwischen denselben anerkennen. Ich sehe eben in der äussersten Region der Marksubstanz nur ein sehr engmaschiges und körnchenreiches Sarkodenetzwerk, welches sich nach innen zu in ein, zunächst noch kleine, dann weiter nach innen immer grösser werdende Alveolen umschliessendes Fachwerk fortsetzt (Taf. XXII. Fig. 1). Dem entsprechend muss die Dichtigkeit und damit auch die Derbheit der Marksubstanz im Allgemeinen von innen nach aussen zunehmen; und man wird sich nicht wun- dern, wenn ein in das Innere der Markmasse einmal eingeschlossenes lebendes Thier, wie z. B. ein Räderthierchen, bei seinen ungestümen Bewegungen zwar den mittleren Theil des Markes beliebig und leicht durchreissen kann, dagegen in dem peripherischen ein ziemlich festes und elastisches, gegen alle Fliehbestrebungen Widerstand leistendes Gitter findet. Bekanntlich werden eben alle mittelst der Pseudopodien erbeuteten und durch die Rindenschicht hindurchge- drückten Nahrungskörper, besonders auch die lebenden Thiere in den weichen Binnenraum der Markkugel aufgenommen, um daselbst verdaut zu werden !). 1) Während sich hier die Sarkode um die frisch eintretenden Nah- Rhizopodenstudien. 335 Besondere Beachtung verdienen im Marke die seit Köllilkers Untersuchung bekannten, durch ihren Glanz zwar schon im lebenden Thiere bemerkbaren, aber wenig auffälligen, dagegen bei der Be- handlung des Thieres mit chemischen Reagentien, besonders mit Essigsäure scharf hervortretenden »kern- oder zellenartigen Gebilde«, Kölliker selbst nennt sie auch »blasige Gebilde, welche durch Anwe- senheit eines inneren Körpers an Zellen erinnern, sich nach der Isolation theils wie Zellen mit Kern und Kernkörperchen, theils wie blosse Kerne ausnehmen und in einigen der inneren Alveolen liegen«. Haeckel findet (Radiolarien p. 165) »eine grosse Anzahl rundlicher, sehr feiner und blasser Kerne in der Sarkode des cen- ‚tralen Körpertheiles zerstreut, welche sehr zart aber scharf um- schrieben, fein granulirt und mit einem oder mehreren runden Körnern (Nucleoli?) versehen sind«. Später drückt sich Haeckel (Biologische Studien p. 33) dagegen etwas anders aus, wenn er sagt, »dass der Sarkodekörper der Markmasse zahlreiche echte, kernhal- tige Zellen enthält«. M. Schultze bestimmt ihre Zahl bei grösseren Thieren auf 40 und darüber und giebt an (Das Protoplasma p. 35), dass sie auf die Rinde der dunkeln Marksubstanz beschränkt seien. Es sind nach ihm »äusserst zartwandige kuglige Gebilde mit gerinnbarem eiweissartigem Inhalte und meist zahlreichen kleinen, wie es scheint homogenen Kernen, deren Zahl zwischen 2 und 8 varlirt«. Greeff !) konnte sie fast stets bis in das Centrum des Innen- raumes verfolgen und fand bei grösseren Thieren mit Leichtigkeit 150 und mehr, bei den mittleren selten unter 100. Nach der Iso- lirung durch Zerreissen des Thieres stellen sie sich Greeff als »runde, kräftig conturirte Kerne mit einem mehr oder minder körnigen Inhalte dar, in welchem ein oder mehrere solide, unregel- mässig gestaltete Kernkörperchen liegen«. Er bezeichnet diese Ge- bilde deshalb als Kerne, weil er bei der weiteren Durchmusterung auch solche wahrnimmt, welche noch von einem hyalinen zarten Protoplasmahof umgeben sind, und dann das Bild einer vollständigen rungsobjecte allseitig dicht anlegt, wird sie von den durch die Verdauung schon affieirten Körpern durch einen mehr oder minder grossen Flüssigkeits- hof von kugliger oder rundlicher Form getrennt. 1) Ueber Actinophrys Eichhornii und einen neuen Süsswasserrhizopoden. M. Schultze’s Archiv für mikrosk. Anatomie Bd. II. p.539b. 336 Franz Eilhard Schulze: Zelle liefern. Man sieht, dass die verschiedenen Beobachter zwar sämmtlich die nämlichen Gebilde vor sich hatten und auch an ihnen ziemlieh dasselbe wahrnahmen, aber offenbar den gleichen Theilen verschiedene Deutung zu Theil werden liessen. Was Köl- liker, Haeckel und Greeff als Kernkörperchen bezeichnen, nennt M. Schultze Kern, so dass also die von jenen als Kernmembran aufgefasste Hülle von diesem als Zellenmembran gedeutet wird. Was zunächst die Zahl der in einem Thiere vorhandenen der- artigen Gebilde betrifft, so sind die differirenden Angaben der Au- toren wohl zum Theil auf Alters- und Grössenverschiedenheit der untersuchten Individuen zu setzen, denn in der That kann man je nach der Entwicklungsstufe und Grösse des Thieres von 1 bis zu 150 und darüber finden. In Betreff der Lagerung muss ich mich dahin aussprechen, dass bei den ganz jungen Thieren, welche nur eine oder ganz wenige Bildungen der Art besitzen, dieselben aller- dings in der Mitte der dunklen Binnenmasse gelegen sind und besonders, wenn nur ein solcher Körper vorhanden ist, dieser sich grade im Centrum des ganzen Thieres befindet. Sobald aber die Zahl derselben zugleich mit dem Wachsthume des Thieres zunimmt, rücken sie gegen die Peripherie des Markes, so dass, wie schon M. Schultze angegeben hat, bei grösseren Thieren die Centralpartie von ihnen leer bleibt und nur von dem dunkelkörnigen Sarkodefach- werk mit inliegenden Alveolen gebildet wird. Zum Zweck des näheren Studiums dieser Körper habe ich sie theils im unverletzten lebenden Thiere, theils nach Isolirung durch Zerzupfen des Thierkörpers, theils endlich nach Behandlung mit verschiedenartigen Reagentien untersucht. Um sie der Untersuchung mit starken Vergrösserungen im lebenden Thiere zugänglich zu machen, bedarf es einer möglichst grossen Ausplattung des Beob- achtungsthieres. Unter günstigen Umständen ‘sieht man dann einen sehr verschiedenartig gestalteten, bald völlig kugligen bald mehr knolligen, mit vier und mehr rundlichen Buckeln oder Vorsprüngen versehenen (Taf. XXII. Fig. 1 und 2b) oder auch wohl in einzelne Zacken und Spitzen ausgezogenen (Taf. XXII. Fig. 2a), in sich scheinbar völlig homogenen Körper von gleichmässigem und ziemlich starkem Lichtbrechungsvermögen, an dem sich bisweilen schwache und lang- same Formveränderungen wahrnehmen lassen. Derselbe liegt stets in der Mitte eines kleinen mit wasserheller Substanz gefüllten kugligen Raumes, dessen äussere Wandung sich freilich nicht von Rhizopodenstudien. 337 der dicht anliegenden Umhüllung dunkelkörniger Marksarkode un- terscheiden lässt. Dass ihm aber dennoch eine besondere, von der übrigen Sarkode differente Hülle zukommt, fällt dann sofort deutlich in die Augen, wenn durch irgend welche, die Sarkodemasse alteriren- den Reagentien z. B. destillirtes Wasser, sehr verdünnte Essigsäure ete. das umgebende Alveolenparenchym gehellt oder aufgelöst wird. Alsdann treten entweder ganz isolirt und nackt oder von einer (jeden- falls als Kunstproduct anzusehenden) blasenartig sich mehr oder minder weit abhebenden (Taf. XXI Fig. 3. a. b.) zarten, membranösen Haut umgeben selbständige kugelige Gebilde mit besonderer Mem- bran von der Grösse jener hellen Räume hervor. Bisweilen sind auch mehrere solche Gebilde von einer gemeinsamen Haut umhüllt (Taf. XXILFig. 3.c). An denselben zeigt sich der vorher ganz wasser- helle Inhalt etwas stärker lichtbrechend, wie geronnen; und in dessen Mitte nimmt man dann die stark und gleichmässig lichtbrechenden, schon im lebenden Thiere gesehenen Körper wahr. Interessant und für das Verständniss der Angaben anderer Autoren!) wichtig, ist in- dessen der Umstand, dass bei dieser eingreifenden Behandlung ein solcher im lebenden Thiere stets nur als eine zusammenhängende Masse erscheinender dunkler Körper oft in zwei oder mehr einzelne Klumpen zerfällt. Nach der Einwirkung destillirten Wassers sah ich häufig bis zu 5 isolirte Stücke nebeneinander (Taf. XXI Fig. 3, c), wo vorher nur ein grosses maulbeerförmiges Stück zu sehen war. Die schon von Kölliker angeregte Frage, ob wir es in diesen eigenthümlichen Bildungen mit Zellen oder mit Kernen zu thun haben, wird darauf hinaus laufen zu entscheiden, ob man das innere dunkelglänzende Körperchen als Nucleolus, die ihn umschliessende, im Uebrigen mit wasserheller, wahrscheinlich flüssiger Masse gefüllte kuglige Kapsel demnach als Kernmembran und die umgebende Sar- kode als zugehöriges Zellenprotoplasma deuten will, oder den dun- keln Innenkörper für einen Zellenkern, dann die kuglige Kapsel für die Zellmembran halten, und dem entsprechend annehmen will, dass selbstständige, membranhaltige Zellen in dem Alveolenparenchyme des Markes eingebettet liegen. Ich muss mich entschieden der er- 1) Haeckel spricht von ein oder mehreren Körnchen (Nucleoli ?) inner- halb seinerKerne M.Schultze sagt, dass dieZahl seiner »Kerne« in einem kugligen Gebilde von 2—8 variire. M. Schultze, Archiv f, mikrosk. Anatomie, Bd. 10, [84] IV 338 Franz Eilhard Schulze: steren Auffassung anschliessen und nehme demnach an, dass die mit hellem Inhalte und einem inliegenden dunklen homogenen rundlichen oder knolligen Binnenkörper versehene Kapsel einen ächten Zellen- kern, der erwähnte Binnenkörper den zugehörigen Nucleolus und die umliegende Sarkode das zugehörige Zellenprotoplasma darstellen. Meine Gründe für diese Annahme sind folgende. Der dunkle Binnen- körper gleicht durch seine Homogenität, durch sein starkes Licht- brechungsvermögen und den eigenthümlichen Fettglanz durchaus einem etwas grösseren Kernkörperchen und keineswegs einem ge- wöhnlichen Zellenkerne. Die Masse, welche zwischen demselben und der bei der Einwirkung von Reagentien besonders von Essigsäure (ähnlich den meisten Kernmembranen) scharf hervortretenden kugligen membranösen Hülle liegt, erscheint im Leben völlig hell und durch- sichtig, gleich einer Flüssigkeit, ohne eine Spur eines solchen körnchen- durchsetzten Protoplasma, wie wir es als Zelleninhalt zwischen Kern und Zellenmembran zu finden gewohnt sind, sie gleicht daher mehr einem Kerninhalte als dem gewöhnlichen Zelleninhalte. Da- gegen lässt sich sehr wohl die alveolenreiche umgebende Sarkode den Protoplasmabildungen, wie wir sie sonst bei Zellen antreffen vergleichen. Ganz besonders überzeugend tritt die Kernnatur der fraglichen Bildungen aber in dem ganz jungen, nur eine derselben im Centrum führenden Actinosphaerium hervor. (Taf. XXI Fig. 8.) Hier wird wohl ein Jeder von vornherein geneigt sein, das centrale Bläschen mit dem hellen Inhalte und dem rundlichen starklicht- brechenden und scharfeonturirten Körper im Innern für einen Kern mit deutlichem Nucleolus und die umgebende blasige Sarkodemasse für das zugehörige Zellenprotoplasma zu halten, das ganze Thier- chen demnach für eine einzige Zelle zu erklären. In den älteren kernreichen Thieren müssen wir demnach Zellenfusionen sehen, d.h. Zellenhaufen, deren schaumiges Protoplasma nicht in einzelne di- stincte Territorien zerfällt sondern verschmolzen bleibt. Diese Auf- fassung unterscheidet sich von derjenigen Schneiders, welcher in der Markmasse von Actinosphaerium „eine grosse, viele Kerne ent- haltende Zelle“ sieht‘), wohl nur durch die theoretische Deutung mit Bezug auf die Zellentheorie. Nachdem jetzt die beiden Haupttheile des Körpers, die Rinde 1) Zeitschr. f. wissensch. Zoologie Bd. XXI p. 509. Rhizopodenstudien. 339 und die Markmasse nach ihren Bau- und Strutur-Verhältnissen ge- schildert sind, gehe ich zur Besprechung der graden, ziemlich steifen, ungetheilt und unverästelt spitz auslaufenden, radiär gestellten Pseudopodien über. Seit M. Schultze in denselben einen hyalinen stärker lichtbrechenden festeren Axenfaden entdeckt hat, welchen er bis zur dunklen Markmasse des Körpers zurückverfolgen konnte, verlangt dieser Theil eine gesonderte Darstellung. Während der Entdecker noch geneigt war, ihn als eine andere Form des con- tractilen Protoplasma anzusehen, welche etwa der hyalinen körn- chenlosen Pseudopodienmasse einiger Foraminiferen zu vergleichen sei und ihn im Innern des Thierkörpers aus der Marksubstanz als ‘eine körnchenfreie Fortsetzung derselben entspringen liess, machte Greeff neuerdings dieüberraschende Beobachtung, dass es sich keines- wegs um eigenartige Sarkodefäden, sondern um zarte glatte, drehrunde, radial gestellte Stacheln von weicher organischer Substanz handle, welche wie Skeletstücke in der übrigen Sarkodemasse stecken. Diese Angabe von Greeff kann ich ebenso wie seine Beschreibung der Form dieser organischen Spicula als innen keilförmig abgestutzte, aussen allmählich spitz auslaufende Nadeln nach meinen Beobachtun- gen vollständig bestätigen. Allerdings gehören günstige Bedingungen, besonders eine passende Lagerung sehr ausgeplatteter Theile des Thieres und gute starke Linsen dazu; dann lässt sich aber auch die eigenthümliche in nebenstehen- der Figur grob schematisch darge- stellte Formation des unteren keil- förmig abgestutzten Endesmit Sicher- heit erkennen. Greeff giebt an, dass diese radial gerichteten Stacheln die von ihm angenommene Grenzschicht zwischen Rinde und Mark, seine Centralkapsel, durchbohren und mit ihrem inneren Ende in der Marksubstanz stecken. Ich finde dagegen, dass sie im normalen Zustande des Thieres nur grade bis an die Markmasse heranreichen, gleichsam auf derselben stehen; möglicherweise können sie gelegentlich z. B. beim langsamen vollständigen Einziehn der ganzen Pseudopodien in die Markmasse selbst eindringen. Zu einem schnellen Zurücktreten in dieselbe sind sie überhaupt nicht geschickt, denn wenn man das Thier plötzlich durch störende Einwirkungen, wie etwa mechanische Insulte oder chemische Affectionen überrascht, so knicken die Stacheln wohl ein oder legen sich um, können aber nicht mehr zurückgezogen werden. Ueber die Qualität der Masse, . 340 Franz Eilhard Schulze: aus welcher die Stacheln bestehen, ins Reine zu kommen, ist schwierig. Zwar besitzen sie eine grosse Elastieität, können aber doch, wie oben erwähnt, gelegentlich geknickt werden und scheinen selbst unter Umständen ganz einschmelzen zu können. Dass es eine organische, wahrscheinlich festeren Eiweisskörpern ähnliche Substanz ist, wird zwar durch das Verhalten gegen die gewöhnlichen mikrochemischen Reagentien angedeutet, aber über den eigentlichen physikalisch-chemi- schen Charakter wissen wir doch nichts Sicheres. Darauf, dass sie bei gelegentlichen Berührungen nicht verschmelzen, hat schon M. Schultze hingewiesen, welcher auch das interessante Zusammen- treten von zwei oder mehr Radialstacheln in ein durch Verschmel- zung vorher selbständiger Pseudopodien entstandenes Pseudopodium beschrieben hat. In ein eigenthümliches Verhältniss tritt nun zu diesen Radial- stacheln die an blassen Körnchen reiche Sarkode. - Während der Basaltheil jedes Stachels, soweit er in der Rinde selbst steckt, durch die ihm dicht anliegenden Alveolenwandungen eingescheidet ist, wird der über die Kugelfläche des Körpers vorstehende äussere Endtheil, welcher die Axe und Stütze eines Pseudopodium darstellt, von einer directen Fortsetzung der Rindensarkode vollständig umhüllt (Taf. XXI Fig. 1). Dieser weiche Sarkodeüberzug der Pseudopodien pflegt an deren Basis da, wo er sich aus dem Alveolenparenchym der Rinde erhebt, am dicksten zu sein und allmählig gegen das äussere Ende des stützenden Stachels zu dünner zu werden, um weit über dieses hinaus sich noch als feiner selbstständiger Faden fortzusetzen. Da der Radialstachel an seinem äusseren Ende sehr spitz ausläuft, so ist es übrigens meistens nicht möglich genau zu bestimmen, wo er innerhalb dieses Protoplasmaüberzuges aufhört. Die Oberfläche der Pseudopodien ist keineswegs gleichmässig glatt. Schon Kölliker beschreibt und zeichnet unregelmässig knotige oder spindelförmige Verdickungen; und in der That häuft sich bei dem beständigen Fliessen und Ziehen des halbflüssigen Sarkodeüberzuges gar leicht bald hier bald dort ein Theil desselben, unregelmässige Vortreibungen bildend, an, ohne sich indessen lange zu halten. Dass auch einzelne Körnchen über die sonst glatte Aussenfläche etwas vorragen, ist leicht zu beobachten. Uebrigens ist das Verhalten des Sarkodeüberzuges der Actinosphärium-Pseudo- podien mit specieller Berücksichtigung der Frage nach dem Fehlen oder Vorhandensein einer Membran an der Oberfläche vonM.Schultze Rhizopodenstudien. 341 (Das Protoplasma p. 31) so genau und treffend geschildert, dass ich auf jene Darstellung zu verweisen mir erlaube. Wer jemals das plötzliche Zusammenfliessen des Ueberzuges zweier sich berühren- den Pseudopodien in eine continuirliche Weichmasse, wer jemals die Bildung jener von M. Schultze zuerst beschriebenen spindelförmigen Klümpchen, in welche die Pseudopodienhülle nach mechanischen oder chemischen Insulten des Thieres so leicht zusammenschmilzt und das plötzliche Zusammenfliessen solcher an den Radialstacheln hängenden Klümpchen oder Tropfen mit der Rindensarkode des Körpers mit guten Vergrösserungen beobachtet hat, der wird wohl hinlänglick von der Membranlosigkeit wenigstens dieses zähflüssigen Protoplasma überzeugt sein. Die ein oder zwei dicht unter der Oberfläche der Rindenschicht auftretenden pulsirenden Blasen stellen mit wasserheller Flüssigkeit langsam sich füllende und dabei bucklig über die Kör- peroberfläche sich erhebende Vacuolen dar, welche, nachdem sie einen gewissen ‘Grad der Anschwellung erreicht haben, plötzlich, jedoch meistens nicht bis zum völligen Collapse, zusammensinken, um sogleich in der nämlichen Weise wieder zu entstehen, dann nach erreichter praller Aufblähung von Neuem zusammensinken und dies Spiel in stetem, ziemlich gleichmässigem Rhythmus fortsetzen. So entschieden sich auch Claparede!) nach seinen an Acti- nophrys sol gemachten Untersuchungen für die Ansicht ausgesprochen hat, dass diesen Blasen eine besondere membranöse, von der allge- meinen Sarkode differente Wandung, eine eigene Membran zukomme, so kann ich mich dieser Auffassung doch nicht anschliessen, sondern halte dafür, dass ihre Wandung aus der nämlichen Sarkodemasse besteht, welche die gewöhnlichen Alveolenwände der Rinde ausmacht. Denn wenn auch der Umstand, dass sich eine solche Blase immer wieder an der nämlichen Stelle erhebt, dafür zu sprechen scheint, dass an dieser bestimmten Stelle besondere, in den übrigen Regionen der Rinde nicht vorhandene Verhältnisse bestehen, so habe ich doch durchaus keine Grenzlinie oder irgend welchen optischen Unterschied zwischen der umgebenden Sarkode der Alveolen und der Blasenwand selbst wahrnehmen können, dagegen sehr oft beim Anlehnen benach- barter Pseudopodien an die Blasen-Wand ein Verschmelzen der weichen Pseudopodienrinde mit derselben beobachten können. 1) Müller’s Archiv 1854. 342 Franz Eilhard Schulze: Für die Deutung des eigenthümlichen Phänomens der Pulsation selbst kann ich keine wesentlich neuen oder entscheidenden Argu- mente beibringen. Wenn auch die lange fortgesetzte Beobachtung des Vorganges selbst die plötzliche Entleerung der hochgeschwellten Blase nach aussen durch einen Riss und die nachherige Füllung mit dem umgebenden Wasser durch Endosmose besonders desshalb plausibel macht, weil man an den benachbarten Rindenalveolen eben- sowenig eine Volumabnahme während der Blasenfüllung als eine plötzliche Volumvergrösserung bei der Blasenentleerung bemerken kann — so muss ich doch ebenso wie Lieberkühn!) gestehen, dass es mir nicht möglich war, die von Zenker?) beschriebene Oeffnung in dem pulsirenden Behälter beim Eintritt der Systole direct wahrzunehmen. Ueber die Fortpflanzung von Actinosphaerium liegen folgende Angaben vor. Zuerst ist von Eichhorn und Ehrenberg, später von mehreren Andern, besonders auch von Greeff, eine einfache Thei- lung des unveränderten Thieres in zwei oder mehrere getrennte Einzelthiere beobachtet und auch künstlich durch Zerschneiden (von Greeff im Jahre 1867) herbeigeführt worden. Ueber die Beziehung einer mehrfäch beschriebenen, indessen von Greeff?) entschieden geleugneten, freiwilligen Verschmelzung zweier oder mehrerer Individuen zu einem grösseren Thiere (Zygose Ehrenberg’s) zur Fortpflanzung ist man über vage Vermuthungen nicht hinausgekommen. Im Jahre 1865 beobachtete Cienkowski*) an einem durch künstliche Verschmelzung mehrerer Einzelthiere vergrösserten und dann im Wassertropfen auf dem Objectträger bewahrten Actino- sphaerium Folgendes: „Die Strahlen wurden eingezogen, die zellen- artige Beschaffenheit des Körpers verschwand und das ganze Thier 1) Lieberkühn, Ueber Bewegungserscheinungen an Zellen, 1870, p. 39. 2) Dieses Archiv Bd. II p. 334. 3) Sitzungsbericht der niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde vom 9. Januar 1871. p. 5 des Separatabdruckes. 4) Dieses Archiv. p. 229. Rhizopodenstudien. 343 verwandelte sieh in einen dunkeln feinkörnigen, mit zahlreichen Vacuolen durchzogenen Schleim, der statt von der Rindensubstanz von einem hellen dickflüssigen Saume umgeben war. Etwa nach Verlauf von 7 Stunden zerfiel diese Protoplasmamasse in mehrere dunkle Kugeln, von denen jede von einem farblosen Schleimhof um- säumt war. Bei noch weiter vorgerücktem Stadium hatten die Kugeln scharfe Umrisse bekommen und jede war in eine weit ab- stehende Membran eingehüllt; die übrige Substanz, in welcher sämmtliche Kugeln eingebettet waren, verschwand allmählich“. Das weitere Schicksal dieser Kugeln blieb unbekannt. Diese Resultate der Beobachtungen Cienkowski’s wurden - im Jahre 1871 durch A. Schneider!) im Wesentlichen bestätigt und bis zur vollständigen Entwicklung junger Actinosphaerium fort- geführt. Als Abweichung der Darstellung Schneider’s von der Cienkowski’s in Betreff der Entstehung und des Baues der Keim- kugeln ist zu bemerken, dass Schneider stets um je zwei Kugeln, deren jede 8—10 Kerne (von der Art der gewöhnlichen Actino- sphaerium-Kerne) enthielt, eine „feste, elliptische Cyste“ sich bilden sah, innerhalb deren jede einzelne Kugel eine aussen rauhe, innen glatte, dickwandige Cyste erhielt. Nach einiger Zeit zerfiel jene elliptische äussere Cyste und die hartschaaligen Kugeln wurden frei. Die dicke Wandung dieser letzteren ist nach Schneider aus Kieselsäure gebildet, jedoch nicht homogen sondern wie aus vielen Kieselstückchen zusammengesetzt, welche kleine Lücken zwischen sich lassen. Während der ganze Process von der Ausscheidung der Gallertmasse bis zur Bildung der Kugeln im Juli innerhalb 2 Tagen abgelaufen war, hielten sich diese bis Anfang December völlig un- verändert; dann aber zeigten sich die zahlreichen Kerne verschwun- den und in der Mitte jeder Kugel nur ein Kern von der nämlichen Beschaffenheit wie die früheren, „als eine solide leicht isolirbare Kugel mit einem ebenso soliden eine kleine Höhlung enthaltenden Kernkörperchen.“ Bis Anfang Mai blieben die kugeligen Cysten in diesem Zustande. Da zerfielen die Cystenwände und es trat aus jeder Cyste ein kleines Actinosphaerium mit einer Anzahl von Kernen hervor. Der Umstand, dass Schneider in den Cysten, in welchen 1) ZurKenntniss der Radiolarien. Zeitschr. für wissensch. Zoologie Bd. XXI. p. 507. 344 Franz Eilhard Schulze: er vorher 8S—10 Kerne wahrgenommen, später nur einen einzigen fand, wird von ihm auf eine „V.erschmelzung und zwar mit dem Charakter enmer Befruchtung“ bezogen, und die ganze Entwicklung des Thieres in folgender Weise übersichtlich dargestellt. Aus dem einkernigen in der Kieseleyste eingeschlossenen Ei geht durch den Furchungsprocess des Kernes ein vielkerniges (und dann erst die Hülle verlassendes) junges Thier hervor. Dieses wächst, ernährt und begattet sich durch Aneinanderlegen mit andern Individuen; dann theilt es sich während des freien Lebens. Schliesslich theilt es sich in anderer Weise, indem alle Fortsätze eingezogen werden und die Theilproducte eine kieselhaltige Cyste erhalten. In derselben findet nun der eigentliche Befruchtungsact durch Conjugation der Kerne statt, aus der die entwicklungsfähige Eizelle hervorgeht. Endlich hat Greeff eine aus den zahlreichen Kernen der Centralkapsel ihren Ursprung nehmende Embryonalbildung, wenn auch nur als sehr wahrscheinlich, beschrieben. Er sah aus einem grossen abgestorbenen Actinosphaerium eine zahllose Menge sehr kleiner Amöben hervorkriechen, welche einen deutlichen Nucleus und einen contractilen Behälter besassen, nach dessen Verschwinden mehrere kleine Blasen an derselben Stelle auftauchten. Nach etwa !/, Stunde gingen diese Amöben in einen kugligen oder birnför- migen Ruhezustand über; worauf sich indessen durch Vorschnellung eines langen vibrirenden Fadens eine Verwandlung in einen Flagel- laten vollzog. Meine eigenen Erfahrungen über die Vermehrung und Ent- wicklung von Actinosphaerium Eichhorni stimmen zwar im Allge- meinen mit den Wahrnehmungen Cienkowski’s und Schneiders überein, weichen aber doch in manchen Einzelheiten nicht unerheb- lich von der Darstellung Schneider’s ab. Als erste Andeutung des bevorstehenden Fortpflanzungsactes nahm ich ein wahrscheinlich auf Contraction und Ausgabe von Flüssigkeit beruhendes Dunkler- und Compacterwerden der Mark- substanz sowie ein schärferes Absetzen derselben gegen die helle Rinde wahr. Dabei verkürzten sich die Pseudopodien und wurden endlich vollständig eingezogen, während der axiale Stachel allmäh- lich undeutlicher wurde und schliesslich verschwand, die weiche Corticalschicht der Pseudopodien aber einfach in das Alveolenparen- chym der Rinde sich zurückzog. Nachdem nun das ganze Thier sich immer mehr zu einem unregelmässig rundlichen oder eiförmigen Rhizopodenstudien. 345 Körper contrahirt, dabei die Marksubstanz allmählich ihr alveoläres Gefüge vollständig verloren, zu einer compacten dunkelkörnigen Masse sich verdichtet und eine fast glatte scharfe Abgrenzung gegen das noch aus kleineren Alveolen gebildete helle Rindenparenchym erhalten hatte, begann die Ausscheidung einer ziemlich dicken, leicht concentrisch geschichteten, nur von kleinen ebenfalls concentrisch gelagerten Körnchenzügen hie und da durchsetzten hellen Gallertmasse, deren Oberfläche oft von anhaftenden Körnchen oder anderen Verunreini- sungen getrübt, oft aber auch überhaupt nicht ganz scharf begrenzt erschien. (Taf. XXII. Fig. 4.) Unter Umständen liess sich besonders bei mässiger Compression in der sonst undurchsichtigen Markmasse in ziemlich regelmässiger Vertheilung eine Anzahl heller, etwas glänzender Flecke wahrnehmen, Andeutungen daselbst liegender Kerne, welche zwar mit den oben beschriebenen Kernen des Markes noch die grösste Aehnlichkeit zeigten, aber in weit geringerer Anzahl und durch die ganze Masse gleichmässig zerstreut vorhanden waren. (Taf. XXII. Fig. 4.) Nachdem diese Veränderungen etwa in Zeit von einem halben Tage vor sich gegangen waren, trat die erste Zweitheilung der ganzen innerhalb der Gallerthülle gelegenen Masse, d. h. also des dunkeln Markes sammt der hellen kleinalveolären Rinde in der Weise ein, das um jede Markhälfte eine besondere Rindenhülle sich bildete. In der nämlichen Weise fand die weitere Zerklüftung nach dem Prineipe der fortgesetzten Zweitheilung statt, so dass schliesslich in Zeit von 24—48 Stunden eine je nach der Grösse des Thieres wechselnde Zahl — bei den von mir zu Fortpflanzungsbeobachtun- gen verwandten grösseren Thieren 10—30 Stück — kleiner annä- hernd kuglig gestalteter Körper von etwa 0,07 Mm. Durchmesser vorhanden waren, welche anfangs ziemlich gedrängt und sich gegen- seitig abplattend in der Gallerthülle eingeschlossen waren, später aber etwas auseinanderrückten und etwa wie die Beeren einer Traube (natürlich ohne Analoga der Stielchen) neben einander lagen. An jeder dieser anfangs noch ziemlich weichen Kugeln liess sich nach meinen, in dieser Hinsicht mit Schneider’s Darstellung nicht über- einstimmenden Beobachtungen von vorne herein, d. h. gleich nach dem Ablaufe der Theilung eine dunkelkörnige, kuglige Hauptmasse mit nur einem central gelegenen hellen Flecke in der Mitte und mit einer mässig dicken hellen Hülle erkennen, welche letztere trotz ihrer Abstammung von der alveolären Rinde nicht mehr deut- 346 Franz Eilhard Schulze: liche alveoläre Structur zeigte. Dass dem centralen hellen Flecke wirklich ein Kern, aber auch nur einer entspricht, liess sich durch Zerdrücken der ganzen Kugel leicht nachweisen. Hatte man nämlich durch vorsichtiges Quetschen die schon halbhäutige Rinde zum Platzen gebracht, so sah man aus der Rissöffnung eine Menge dunkler Körnchen und mit ihnen einen bläschenför- migen kugelrunden Kern mit hellem Inhalte und grossem dunkeln Kernkörperchen, welches zuweilen etwas körnig erschien, hervor- treten. (Taf. XXI. Fig. 6.) Der helle Kerninhalt schien zuweilen durch die Einwirkung des Wassers wie coagulirt, und ist es wohl möglich, dass zugleich auch das Kernkörperchen etwas alterirt war. Ich habe demnach in den letzten Endproducten der continuir- lich fortgesetzten Zweitheilung nicht wie Schneider vielkernige, sondern einkernige Kugeln, einfache Zelien, gefunden, und habe auch nicht die von jenem Forscher erwähnten festen, ovalen Cysten, welche lange Zeit hindurch immer je zwei Kugeln umschliessen sollen, bemerkt. Dagegen kann ich die höchst interessante Ent- deckung Schneider'’s bestätigen, dass einige Zeit nach der Bildung der Keimkugeln (welche Bezeichung ich fortan für die kugligen Endproducte der Theilung anwenden will) die helle Rinde derselben verkieselt. Auch die eigenthümliche von Schneider erwähnte Structur dieser Hülle habe ich bemerkt; freilich kam es mir nicht so vor, als ob die Kapsel aus kleinen Kieselstückchen mit Lücken dazwischen bestände, sondern mehr, als ob sie eine Membran mit Lücken oder dellenartigen äusseren Depressionen darstelle. (Taf. XXI. Fig. 5 und 7.) Auch habe ich in den Keimkugeln meistens nicht reine Kugeln, sondern sehr häufig Körper mit 6 abgerundeten Ecken gefunden, welche in ihrer Gestalt sehr an ein reguläres Oktaöder erinnerten (Taf. XXI. Fig. 7). Die Oberfläche des dunkelkörnigen Cysteninhaltes liess bisweilen bei Anwendung starker Vergrösserungen kleine Ein- ziehungen erkennen, welche bald wieder verschwanden, um an an- derer Stelle von Neuem zu entstehen. (Taf. XXI. Fig. 7.) Nachdem ich die Entstehung der Keimkugeln zu Anfang des Winters, vom November bis Januar hatte beobachten können und zwar an Culturen, welche in Wassertropfen auf dem Objectträger veranstaltet waren, sammelte ich im Januar eine grössere Anzahl derselben in kleinen Wassergefässen, bewahrte sie in einem kalten aber nicht unter 0° abgekühlten Zimmer und betrachtete sie von Rhizopodenstudien. 347 Zeit zu Zeit mikroskopisch, ohne jedoch während der Wintermo- nate irgend eine Veränderung wahrzunehmen. Als ich dagegen zu Anfang des norddeutschen Frühlings etwa in den ersten Tagen des Mai wieder einmal nachsah, fand ich zwar keine Kugeln mehr, da- gegen in grosser Anzahl ganz kleine (etwa 0,08—0,1 Mm. messende) Actinosphaerien, von denen die meisten nur mit einem einzigen Kerne im Centrum, einige auch mit mehreren versehen waren. In Bezug auf den Bau der einzelligen jungen Thiere, deren Austritt aus der Kieselkapsel zwar nicht direct von mir wahrge- nommen ist, aber doch sowohl nach den vorliegenden Angaben Schneider’s als auch nach der directen Beobachtung dieses Vor- ‚ganges bei Actinophrys sol durch Cienkowski kaum bezweifelt werden kann, habe ich Folgendes zu berichten: Die aus einer Lage grosser, wasserheller Alveolen bestehende Rindenschicht, deren Dicke etwa !/; der ganzen Kugel beträgt, setzt sich durchaus nicht scharf ab gegen das ziemlich spärliche dunkelkörnige Mark, welches den central gelegenen hellen Kern umschliesst; vielmehr zieht sich die dunkele Körnchenmasse des letzteren überall etwas an den die Rinde radiär durchsetzenden Pseudopodienaxenstacheln unregelmässig zackig in die Höhe. Der in der Mitte dieser Markmasse gelegene und natürlich etwas von ihr verdeckte Kern gleicht sowohl dem innerhalb jeder Keimkugel liegenden, als auch den im Marke des erwachsenen Thieres gefundenen Kernen. Er stellt wie jene ein kugliges Bläschen mit wasserhellem Inhalte und unregelmässig rundlichem oft wohl verzogenen, stärker lichtbrechenden Kern- körperchen dar. An den radiär gestellten Pseudopodien, welche sich hauptsäch- lich nur durch ihre grössere Zartheit von denjenigen der erwachsenen Thiere unterscheiden, ist zwar der Radialstachel wegen seiner grossen Feinheit schwer wahrzunehmen, indessen kann nach der starren Haltung der ganzen Pseudopodien sowie nach ihrem Verhalten gegen mechanische und chemische Insulte, welches durchaus das gleiche ist wie bei den Pseudopodien der grösseren Individuen, an dem Vorhandensein solcher Axengebilde nicht gezweifelt werden. Während der Sommermonate nahm die Körpergrösse und gleichzeitig auch die Zahl der Kerne bei den Actinosphaerien meiner kleinen Aquarien fast stetig zu, so dass wohl auf eine Vermehrung der Kerne durch Theilung geschlossen werden darf. Zugleich stellten sich auch die übrigen Charaktere des erwachsenen Thieres, besonders 348 Franz Eilhard Schulze: die schärfere und glattere Abgrenzung des Markes von der Rinde, die eigenthümliche Lagerung der Kerne in der peripherischen Partie des Markes und die dickeren Pseudopodien und Radialstacheln ein. Und somit war denn der Zeugungskreislauf geschlossen. Man sieht, dass die von mir wahrgenommenen Vorgänge der Fortpflanzung und Entwicklung von Actinosphaerium Eichhornü zwar in der Hauptsache mit der Darstellung Cienkowski’s und Schneider’s übereinstimmen, aber für des Letzteren Theorie von einer Begattung der Thiere mit nachfolgender Befruchtung durch Conjugation der innerhalb einer Cyste beschrie- benen Kerne durchaus keine Anhaltspunkte liefern. Sollte wirklich eine spontane Verschmelzung von zwei oder mehreren erwachsenen T'hieren, welehe ich nicht habe constatiren können, vorkommen, so scheint mir doch darin noch keineswegs der Beweis für eine wirkliche Begattung geliefert; und wenn später eine Verschmelzung von Kernen stattfinden sollte, so könnte die- selbe nur zu der Zeit vor sich gehen, wenn das Mutterthier seine Pseudopodien einzieht und sich zuerst mit einem Gallertmantel um- giebt. Um diese Zeit scheint allerdings eine Reduction der Kernzahl des Markes vor sich zu gehen, denn während man vorher an 100 und mehr zählen konnte, sind bald darauf nur 20—30 zu finden. In- dessen habe ich durchaus keinen Anhalt für die Annahme, dass diese Verminderung der Zahl gerade durch einen Verschmelzungsprocess bedingt sei. Ebenso gut könnten auch eine ganze Menge Kerne einfach untergegangen sein. Später sah ich dann, wie berichtet, die Theilung in gleichmässigem Fortschritte bis zur Bildung der ein- kernigen Keimkugeln vor sich gehen. Embryonalbildung, ähnlich der von Greeff beschriebenen, habe ich an Actinosphaerium nicht wahrgenommen. Während die im Vorstehenden mitgetheilten Untersuchungen und Beobachtungen an den nämlichen grossen Thieren von !/; Mm. Durchmesser und darüber gewonnen wurden, welche Kölliker, Stein, M. Schultze, Greeff, Schneider u. A. studirt haben und welche ich in Rostock aus einem Graben mit stagnirendem Rhizopodenstudien. 349 Wasser zu jeder Zeit in beliebiger Menge erhalten konnte, stiess ich im Sommer 1873 in Graz nach langem vergeblichen Suchen in einem Bassin des botanischen Gartens auf ein Thier, welches zwar in den meisten Punkten vollständig mit dem grossen Acti- nosphaeriam Eichhornii übereinstimmt, sich aber durch folgende Charaktere von demselben unterscheidet. Erstens ist und bleibt es bedeutend kleiner als jenes. Die grössten mir aufgestossenen Exem- plare erreichten höchstens einen Durchmesser von Y/ıo Mm. und waren demzufolge für das unbewaffnete Auge nur eben noch sicht- bar. Ferner ist an diesem Thiere stets nur eine einzige pulsirende Blase vorhanden, während Actinosph. Eichhornii sehr häufig deren ‚zwei besitzt. Und endlich erscheint die Grenze zwischen Mark und Rinde nicht so scharf wie bei dem grösseren Verwandten. Es wird kaum nöthig sein zu bemerken, dass an eine Verwechselung mit der stets nur einen central gelegenen Kern führenden Actino- phrys sol, welche sowohl bei Rostock als auch hier in Graz neben dem vielkernigen Actinosphaerium häufig vorkommt, nicht zu denken ist. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXI. Fig. 1. Theile der Randpartie’eines lebenden, durch Druck abgeplatteten Thieres. Die beiden Pseudopodien sind stark verkürzt dargestellt. Vergrösserung: 600 : 1. Fig. 2. a und b. Kerne der Marksubstanz mit umliegenden Alveolen, an einem lebenden, stark abgeplatteten Thiere in situ gesehen, Vergr.: 600 : 1. Fig. 3. Kerne der Marksubstanz nach Behandlung des Thieres mit einer Lösung von Anilingelb in destillirtem Wasser. Vergr.: 600 : 1. a und b. Jeder Kern hat einen besonderen durch Quellen blasen- artig abgehobenen Protoplasmahof. e. Vier Kerne, deren einige mit zerklüftetem Kernkörperchen, eingeschlossen von einem gemeinsamen, durch Quellung abgeho- benen Protoplasmahof. 350 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. -1 Franz Eilhard Schulze: Rhizopodenstudien. Ein in der Vorbereitung zur Vermehrung begriffenes Thier nach Einziehen der Pseudopodien und Ausscheidung einer Gallerthülle. Vergr.: 90 : 1. Ein aus einem einzelnen Thiere durch Theilung hervorgegangener Haufe von Keimkugelin nach Erhärtung ihrer Hüllen. Vergr.: 90 : 1. Eine durch Quetschen zum Bersten gebrachte Keimkugel mit aus- getretenem Kerne und vielen Körnchen. Vergr.: 300: 1. Eine Keimkugel mit verkieselter Hülle. Vergr.: 600 : 1. Ein junges einkerniges Thier. Vergr.: 300 : 1. Ueber die Entwicklung und Proliferation von Epithelien und Endothelien. Von Dr. J. Zielonko aus Petersburg. (Aus dem pathologisch-anatomischen Institut zu Strassburg i. E.) Hierzu Tafel XXI, XXIV, XXV. Die wichtige Rolle, welche die Epithelien und Endothelien, sowohl bei physiologischen als auch pathologischen Vorgängen spielen, so wie die ungemein selbstständige Entwicklungsfähigkeit, welche die Epithelsehicht der äusseren Häute bei der durch Reverdin einge- führten Epithelialpropfung documentirte, hat in neuester Zeit zu zahlreichen Untersuchungen Anlass gegeben, um festzustellen, was das allererste Material für die Entwicklung dieser Zellenarten liefert. Die Meinungen, welche auf Grund dieser Untersuchungen aus- gesprochen worden sind, stimmen nicht überein, vielmehr sollen nach ihnen die Entstehungsweisen von Epithelialzellen sehr mannichfaltiger Natur sein. So leitet Biesiadecki die Entstehung der Epithelien von weissen Blutzellen ab, von Pigmentzellen der Epidermis, oder des Corion, endlich von, aus Gefässen des letzteren, ausgewanderten Blutzellen, die nachträglich Pigment aufnehmen und zu Epithelien werden. Im Gegensatz hierzu leitet Arnold zufolge seiner Ex- perimente über Regeneration des Epithels, die jungen Zellen aus einem zunächst zellenlosen Blastem ab, welches seinerseits ebenfalls aus dem Blut herstammen würde. Andere Untersuchungen, welche Veyda vorläufig mitgetheilt hat, bezogen sich auf Cancroid-Epi- 352 Dr. J. Zielonko: thelialzellen. Nach dem genannten Autor entstehen die letzteren aus den Kernen der Gefässe, welche unterhalb der Grenze der phy- siologischen Epithelien gelegen sind, oder nur aus Epithelzellen, die mit jenen Gefässen im Zusammenhang stehen. Die Productions- fähigkeit der Epithelien sollte aufhören, wenn diese nicht. als »ge- stielte Zellen«, »Fusszellen«, »perennirende Zellen« in directem Zu- sammenhange mit Gefässen stehen. Bekannt ist nur und von ver- schiedenen Seiten, am energischsten von Waldeyer obigen Auf- stellungen entgegen gehalten worden, dass bei der Entwicklung des Embryo neue Epithelzellen aus früheren, durch fissipare oder endo- gene Zelltheilung, also unabhängig von den Elementen in der Blut- bahn entstehen. Die nachfolgenden Untersuchungen, welche ich nach den Angaben des Herrn Professor von Recklinghausen anstellte, suchten daher die Frage zu entscheiden, ob am ausge- wachsenen 'Thiere neue Epithelialzellen entstehen können, ohne Be- theiligung der Blutbahn unter Verhältnissen, wo ihr normaler Zu- sammenhang mit den übrigen blutführenden Geweben des Körpers aufgehoben ist. Es kam hierbei zunächst darauf an, isolirtes Epi- thelialgewebe in ein günstiges Ernährungsmaterial zu bringen. — Die Epithelien befinden sich nun bekanntlich auf der Hautoberfläche ziemlich weit von den Blutgefässen entfernt und die ersteren werden durch die letzteren nur indirect ernährt, nämlich durch Trans- mission der Iymphatischen Gewebsflüssigkeit vermittels der Saft- canälchen, welche sich der Oberfläche mehr nähern. Die Lymphe war also für die zur Untersuchung entnommenen Epithelien das naturgemässeste Ernährungsmaterial. Sehr reichliche Lymphe ent- halten die Lymphsäcke des Frosches, welche ich daher zu meinen Experimenten benutzte, indem ich die betreffenden Untersuchungs- objecte nach ihrer Abtrennung in dieselben hineinbrachte. Es er- gab sich alsbald, dass abgeschabte Epithelien zu diesen Untersu- chungen nicht geeignet sind, da man sie nachher nur schwer wie- derfindet. Ich führte desshalb die Hornhaut des Frosches in toto, oder nachdem sie in einzelne Membranen zerlegt war, in jene Säcke ein. Die zur Ausführung dieser Operation befolgte Methode wird hier zunächst kurz besprochen. Das für meine Zwecke bequemste Instrument war das Graefe’sche Linearmesser, welches jedesmal vor der Untersuchung genau gereinigt werden muss. Mit demselben machte ich kleine Längsschnitte in den Rückenlymphsack des Frosches auf einer Seite der Wirbelsäule in der Höhe des Schulterblattes. Ueb. d. Entwicklung u. Proliferation von Epithelien u. Endothelien. 353 Durch die so entstandenen Oeffnungen führte ich die Untersuchungs- objecte mit dem Linearmesser tief in den Lymphsack ein, wobei alle Zerrungen der durch den Lymphsack hindurch gehenden Haut- nerven vermieden werden mussten, welche ja leicht Entzündung und damit Erfolglosigkeit des Experiments veranlassen konnten. Ent- zündungen kommen bei der Einführung von Objecten in andere Lymphsäcke, z. B. am Öber- oder Unterschenkel, weniger leicht vor; allein ich habe gefunden, dass bei genügender Vorsicht der Rückenlymphsack doch der geeigneteste ist. Es beruht dies auf seiner Grösse, sowie auf der Leichtigkeit, mit der sich die einge- führten Objecte im Sack senken, indem sie bei Adhärenz an den Lymphsackwandungen Entzündung desselben erregen. Ausserdem aber sind die betreffenden Objecte auch hier am leichtesten wieder- zufinden, wenn man nur, nachdem das Thier geköpft ist, zwei Längsschnitte an den Hautwülsten beiderseits der Wirbelsäule, welche die Scheidewände zwischen dem Rücken- und Bauchlymphsack be- zeichnen, macht und die so abgetrennte Hautleiste nach aussen klappt. Das eingeführte Object findet man dann frei in der Lymph- flüssigkeit schwimmend, wenn es nicht durch consecutive circum- scripte Entzündung mittels Fibrin mit den Hautnerven oder Rücken- muskeln verbunden ist. Was die Grösse der zu verwendenden Frösche anbelangt, so habe ich gefunden, dass mittelgrosse aın ge- eignetsten sind, da sie die Operation leichter vertragen als kleine, und dieselbe bei ihnen leichter auszuführen ist, als bei ganz grossen. Die Lymphe ist in einer für die Ernährung der eingeführten Epi- thelien genügenden Menge schon bei mittelgrossen und sogar bei kleinen vorhanden. Gleich nach Ausführung der Operation wurden die Frösche in Gläser gesetzt, welche bis zur Mitte mit Wasser gefüllt waren, so dass die Thiere um zu athmen an die Oberfläche des Wassers emporsteigen mussten, wobei sie eine ziemlich verticale Lage einnahmen, welche bewirkte, dass das Object, falls es nicht gleich tief genug eingeführt worden war, oder an den Wandungen des Lymphsacks anhaftete, sich senkte. Unter diesen Verhältnissen verblieben die Thiere 24 Stunden, während welcher Zeit die Wunden zu heilen pflegten. Danach aber wurde jeden Tag nur soviel frisches Wasser zugegossen, dass die Thiere bequem am Boden des Glases sitzen und athmen konnten. So viel über die Methode. Gehen wir über zu den Experimenten selbst. Die von mir ausgeführten Experimente kann ich in zwei Gruppen MM. Bchultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. 23 354 Dr. J. Zielonko: besprechen, von denen die erste sich auf die platten und flimmern- den, sogenannten wahren Epithelien, die andere sich auf die Endo- thelien bezieht. Die platten Epithelien, wie bereits oben erwähnt wurde, stu- dirte ich hauptsächlich an der Hornhaut, welche man auf zweierlei Weise in den Lymphsack einführen kann, nachdem sie bis zur Con- junctiva exstirpirt ist; entweder setzt man dasLinearmesser im Mittel- punkte der inneren mit derDescemet’schen Haut bekleideten Fläche an, dann fällt die Hornhaut nach abwärts, aussen mit dem Epithel be- kleidet; oder man setzt die Spitze des Messers im Mittelpunkt der mit Epithel bekleideten Hornhautfläche an, während die Desce- met’sche Membran nach aussen liegt, führt dann die Hornhaut in der eben besprochenen Weise in den Lymphsack ein und lässt die- selbe dort 1, 2, 3, 4, 6 Wochen bis 2, 3, 4 Monate verbleiben. Bei Herausnahme findet man, je nachdem die Epithelialfläche nach aussen oder nach innen gekehrt ist, Verschiedenheiten. Im ersten Falle adhä- rirt die Hornhaut entweder am Lymphsack oder nicht. Sind solche Verbindungen mit dem Lymphsack oder den Hautnerven vorhanden, so war die Hornhaut mit einer mehr oder weniger dicken Fibrin- schicht bedeckt, die mit ihr einen undurchsichtigen Klumpen bildete. Schwamm dagegen die Hornhaut vollständig frei im Lymphsack oder war sie nur mit einigen dünnen Fädchen adhärent, so sah man schon nach einer Woche, dass sie in ein ziemlich durchsichtiges, prall mit Flüssigkeit gefülltes, eiförmiges Bläschen umgewandelt war, das sich im Laufe der zweiten, dritten, vierten, ja mitunter bis zur sechsten Woche vergrösserte (grösster Längsdurchmesser 122 M., grösster Querdurchmesser 97 M., Blase nach zwei Monaten herausgenommen). Wurde das Bläschen innerhalb dieser Zeit her- ausgenommen, so liess sich bei gut gelungenem Experiment schon makroskopisch erkennen, dass es aus zwei Bläschen, einem äusseren und einem inneren, besteht, welche aber nicht vollständig von ein- ander getrennt sind, sondern in einem Punkte oder auch einer Linie zusammenhängen, dass ferner das äussere Bläschen aus einer ganz feinen Membran besteht, während die Membran des inneren dichter und undurchsichtiger erscheint. Bringt man nun dieses Bläschen in ein kleines Uhrglas, welches mit einer schwachen Kochsalz- lösung gefüllt ist: und betrachtet es mit Hartnack System I Ocular 3, so erkennt man, dass die Membran des äusseren Bläs- chens aus feinen Zellen besteht, welche mosaikartig angeordnet Ueb. d. Entwicklung u. Proliferation von Epithelien u. Endothelien. 355 sind und der Anordnung nach ofienbar Epithelialzellen darstellen, während das innere Bläschen eine undurchsichtige streifige, schein- bar bindegewebige Wandung hat. Drehte ich das Bläschen so, dass die erwähnte Verwachsungslinie nach oben lag, so sah ich, dass dieselbe ziemlich breit ist, das innere Bläschen zwischen den beiden Rändern der Linie durchschimmert und das äussere sich von hier - nach allen Seiten abhebt. Die Verwachsungsstelle selbst ist rinnen- förmig vertieft und enthält oft Pigment, welches mit dem Irispig- ment übereinstimmt und bei der Exstirpation der Hornhaut mit abgelöst wurde. In Fällen, wo viel Pigment vorhanden ist, kann die Verwachsungslinie deutlicher markirt sein. Die Verwachsungs- ‘linie kann durch zufälliges Einschneiden der Hornhaut bei ihrer Ex- stirpation kreuzförmig sein, in welchem Falle eine leichte Einschnü- rung der beiden Bläschen entsteht (Fig. 1a). Ich liess nun ein solches Bläschen längere Zeit, eine Woche und mehr, in Kochsalz- lösung liegen und betrachtete dasselbe innerhalb dieser Zeit mehr- mals unter dem Mikroskop. Ich sah wie sich durch diese Behand- lung von dem äusseren Bläschen nach innen hin eine Membran ab- gelöst hatte, welche eben aus jenen mosaikartig angeordneten Zellen bestand, während die äussere Schicht des Bläschens von einer ganz feinen, vollkommen durchsichtigen, structuriosen Membran gebildet wurde, an welcher nur hie und da weisse Flecken zu Tage traten. Die nach innen hin abgetrennte Membran hatte mitunter an einer Stelle ein Loch, durch welches ich an dem innern Bläschen feine Linien erkennen konnte. Dieses letztere Bläschen war nach ge- nauerer Untersuchung durch Verwachsung der eingeführten Horn- _ hautränder entstanden (Fig. 2). Nun wurde die äussere dureh- sichtige Membran mit der Scheere kreuzförmig aufgeschnitten, dann, nachdem Alles zwischen ihr und der innern Blase gelegene mit Wasser herausgespült war, von der innern Blase getrennt, in Glycerin ausgebreitet und mit System 7 betrachtet. Ich sah, dass die Membran in der That ganz homogen war; an einigen Stellen fanden sich feine Linien, welche der Ausdruck von Falten der Membran waren, an andern hafteten, vereinzelt oder in Gruppen, die Hornhautepi- thelien. Diese Verhältnisse findet man in der Regel an Hornhäuten, welche 6 Wochen bis 2 Monate im Lymphsack gelegen haben. Bei noch längerem Verweilen im Lymphsack fangen gewöhnlich die Blasen an zu collabiren, platten sich ab, in Folge der Abnahme der Flüssigkeit sind ihre Wandungen nur wenig gespannt, ja mit- 356 i Dr. J. Zielonko: unter sind die Bläschen nach 3 bis 4 Monaten schon so klein ge- worden, dass sie nur schwierig oder auch gar nicht mehr im Lymph- sack zu finden sind. | Ist die Epithelialfläche der Hornhaut dagegen nach innen ge- kehrt, so erhält man nach Einführung derselben in den Lymphsack eiförmige Blasen, deren Wandungen fast nur von der Hornhaut ge- bildet werden (grösster Längsdurchmesser 89 M., grösster Quer- durchmesser 51 M., nach 6 Wochen herausgenommen). An solchen. Blasen, die nach 2 bis 6 Wochen aus dem Lymphsack herausge- nommen werden, ohne Entzündungen erregt zu haben, sieht man schon bei schwacher Vergrösserung, dass ihre Wandungen von einer ähnlichen Membran gebildet werden, wie sie als innere bei den Blasen der ersten Art beschrieben wurde. Die Peripherie dieser Blasen ist von einem hellen Saum umgeben, in welchem bereits bei schwacher Vergrösserung Hornhautkörperchen angedeutet sind. Nach der Mitte verlaufen dicht gedrängt mehr oder weniger gekrümmte Falten, welche hier an einem von Pigmentkörnchen umgebenen schmalen Streifen, der Verwachsungsstelle der Schnittränder der Hornhaut, endigen. Dieses Pigment rührt wiederum von der Iris her (Fig. 3a). Um nun die verschiedenen Schichten der in eine Blase umge- wandelten Hornhaut zu studiren, muss man die Blase erhärten und dann zur Herstellung der Schnitte in eine Masse von Paraffin, Wachs und Oel von der zur Anfertigung mikroskopischer Schnitte noth- wendigen Consistenz einkitten. Die Erhärtung der Blasen wird vor- genommen, indem dieselben auf ein paar Tage in verdünnte (1: 3 Ag. dest.), sodann für 4—5 Tage in unverdünnte Müller’sche Flüssigkeit gelegt werden. Die Hornhaut präsentirt sich in Schnitten unter dem Mikroskop als Leiste, an der drei normale Schichten zu unterscheiden sind, nämlich die Epithelialschicht, die Descemet’- sche Membran und zwischen beiden die Bindegewebsschicht. Diese Leiste ist auf verschiedene Art mit einer andern, aus zwei Schichten bestehenden Leiste verwachsen. Letztere beiden Schichten sind 1. eine neugebildete Epithelialschicht und 2. jene oben beschriebene homogene dünne Membran, oder eine dickere Fibrinschicht. Der Einfachheit halber wollen wir die letztere Schicht allgemein die Fibrinschicht nennen. Die Querschnitte lehren also ganz im Allgemeinen, dass fünf Schichten aufeinander folgen, von denen zwei die Wand der äusseren, drei die Wand der innern Blase bilden. Die Vertheilung dieser Schichten Ueb. d. Entwicklung u. Proliferation von Epithelien u. Endothelien. 357 an den verschiedenen Punkten der Blase ist allerdings verschieden; fünf Schichten sind auch nicht überall, vielmehr oft nur drei Schichten da vorhanden, wo die Blase eine einfache, nicht eine doppelte Wan- dung hat. Die doppelwandige Blase mit fünf Schichten war gebildet, wenn die Epithelialfläche der eingeführ- ten Hornhaut nach aussen, die einwandige mit drei Schichten, wenn sie nach innen gelagert war. Folgende Variationen in der Anordnung der Schichten sind zu unterscheiden (Fig. 4 Aı—F;, siehe Erklär. d. Abbildg.). A. Die Hornhaut stellte einen Bogen dar, dessen beide Enden durch eine Fibrinschicht verbunden sind. Die Fortsetzung dieser - Fibrinschicht umgiebt die ganze äussere, mit dem normalen Epithel bedeckte Fläche der Hornhaut. Die Epithelialschicht schlägt sich an den beiden Enden des Bogens nach aussen um und wächst als neue Epithelialschicht zwischen der alten und Fibrinschicht weiter, welcher letzteren sie fest anliegt (Fig. 4 Aı). Andere ähnliche Fälle weichen von dem oben beschriebenen nur dadurch ab, dass die Hornhaut gegenüber der Verwachsungsstelle der beiden Enden etwas nach innen -eingebogen ist (Fig. 4 As); oder dadurch, dass die beiden Verwachsungsenden über einander gehen (Fig. 4 As). Betrachten wir nun, wie die verschiedenen Schichten und die zwischen ihnen lie- genden Höhlen auf einander folgen, von aussen nach innen gezählt, so finden wir: Fibrinschicht, neue Epithelialschiıcht, dann eine Höhle, alte Hornhaut-Epithelialschicht, Bindegewebsschicht der Hornhaut, Descemet’sche Membran, darauf zweite Höhle, an den Schnitträndern der Hornhaut geschlossen durch die Fibrinschicht. B. Die Hornhaut ist geknickt, die Convexität der Knickung entspricht der Epithelialschicht, die Concavität der Descemet’schen Membran. Die innere Höhle ist nicht abgeschlossen, weil eine die Schnittränder der Hornhaut verbindende Fibrinschicht nicht zu Stande gekommen ist, die Descemet’sche Membran vielmehr nackt zu Tage liegt (Fig. 4B). Die alte Epithelialschicht klappt sich an beiden Hornhautenden nach aussen um und verläuft dann als neue Epi- thelialschıcht, der inneren Fläche der Fibrinschicht sich anschliessend und damit die äussere Höhle begrenzend. C. Die Hornhaut bildet einen Winkel von 90°/,, der sich je- doch in manchen Fällen so sehr verkleinern kann, dass seine beiden Schenkel sich fast berühren. An der Convexität der Knickung liegt zu äusserst und ganz nackt die Descemet’sche Membran, an der Con- 358 Dr. J. Zielonko:;: cavität die alte Epithelialschicht. Die beiden Hornhautenden sind durch eine Fibrinschieht verbunden, welche sich bei kleinem Winkel in diesen hinein erstrecken kann (Fig. 4 C,), bei grossem aber ge- rade verläuft (Fig. 4 O2). Die alte Epithelialschicht wendet sich an beiden Enden der Hornhaut nach innen um und läuft längs der innern Fläche der Fibrinschicht als neue Epithelialschicht weiter. D. In der Mitte der Hornhaut-Epithelialfläche ist eine Falte gebildet, die entweder weit klaffend oder eng sein kann. Von dieser Falte aus verläuft die Hornhaut entweder nach beiden Seiten hin gerade bıs zu ihren beiden Enden (Fig. 4 D,), oder sie bildet einen Bogen, dessen CGonvexität mit der alten Epithelialschicht, dessen Concavität mit der Descemet’schen Membran bekleidet ist, welche letztere auch die Aussenfläche des übrigen Theils der Hornhaut bedeckt (Fig. 4Ds.). Eine längs der Hornhautepithelialfläche ver- laufende Fibrinschicht verbindet die beiden Hornhautenden, an denen sich die alte Epithelialschicht nach innen umwendet, um als neue die innere Fläche der Fibrinschicht zu bekleiden. E. Die Hornhaut bildet ein Hufeisen, dessen beide Enden sich so umwenden, dass zwei weitere Bogen entstehen, deren Con- vexität nach der entgegengesetzten Seite gerichtet ist, wie die des Hauptbogens. Die convexe Seite des letzteren ist von der Desce- met’schen Membran bekleidet, welche von hier auf die concaven Seiten der beiden anderen Bogen übergeht, während die concave Seite des ersten Bogens von der alten Epithelialschicht bedeckt ist, die von hier auf die convexen Seiten der beiden andern Bogen über- geht. Die Fibrinschicht fehlt. Die alte Epithelialschicht klappt sich an beiden Hornhautenden so um, dass sie als neue Epithelial- schicht zunächst längs des Hornhautbindegewebsquerschnitts ver- läuft, von hier aber auf die von der Descemet’schen Membran be- deckte Convexität des Hauptbogens übergeht (Fig. 4E). An mikroskopischen Schnitten von erhärteten Blasen, welche sich bei Einführung der Hornhaut mit nach innen gekehrter Epi- thelialschicht gebildet haben, erkennt man: F. dass die innere Blasenfläche mit Epithel, die äussere mit der Descemet’schen Membran bekleidet ist. Die beiden Horn- "hautenden stehen mehr oder weniger von einander ab und sind durch eine Fibrinschicht verbunden, deren innere Fläche von einer neuen Epithelialschicht bekleidet ist. Diese Schicht von jungen Epithelien präsentirt sich in mikroskopischen Schnitten in der Form Ueb. d. Entwicklung u. Proliferation von Epithelien u. Endothelien. 359 zweier Leisten, die vun den beiden Hornhautenden ausgewachsen sind und,der inneren Fläche der Fibrinschicht dicht anliegend, in der Mittel- linie dieser zusammentreffen (Fig. 4 Fı, F:), wo sie in einer mehr oder weniger deutlich ausgesprochenen Verdickung mit einander ver- schmelzen (Fig. 4 Is). Nachdem wir das Aussehen der Blasen sowie den Zusammen- hang der einzelnen Schichten, aus welchen sie bestehen, kennen ge- lernt haben, können wir zu dem Verhalten der alten und der Ent- wickelung der neugebildeten Schichten selbst übergehen. Die erste bei der Bildung der Blasen in Betracht kommende Schicht ist die äusserste, welche, wie bereits bemerkt, aus Fibrin oder aus homogenem Gewebe oder endlich aus beiden zusammen bestehen kann. Sie bewirkt das Zustandekommen der Blasen, da sie die Verwachsung der Ränder der exstirpirten Hornhaut ver- mittelt. Die chemischen Vorgänge, von welchen die Bildung der Fibrinschicht überhaupt abhängig ist, kennen wir nicht, wir müssen uns mit der Thatsache begnügen, dass jene Bildung stattfindet. Dieselbe kann bei den vorliegenden Experimenten auf zweierlei be- ruhen. Entweder ist sie durch Entzündung bedingt, in welchen Fällen man die Fibrinschicht sehr dick findet, oder die Gerinnung findet in Folge einer specifischen Aufeinanderwirkung der Epithelien und Lymphffüssigkeit Statt. Die Ausdehnung, in welcher das Fibrin gebildet wird, richtet sich darnach, ob bei der Einführung der Horn- haut in den Lymphsack die mit Epithel bekleidete Fläche nach innen oder nach aussen gekehrt war, sowie nach der Grösse des Stückes der Epithelialfläche, welche in unmittelbare Berührung mit der Lymphflüssigkeit kam. Ueberall, wo die Descemet’sche Membran mit der Lymphflüssigkeit in Berührung kommt, fehlt, wenn keine Entzündung entstanden ıst, das Fibrin entweder ganz, oder es ist doch in so geringer Menge vorhanden, dass ein evidenter Un- terschied zwischen einer solchen Fibrinschicht und derjenigen existirt, welche man an der mit Epithel be- kleideten Stelle findet. Diese minimale Bildung von Fibrin an der Descemet’schen Membran in der Nähe der Schnittränder rührt wohl entweder von einer Einwirkung der benachbarten Horn- hautepithelien, oder von einer Entzündung des Lymphsacks her. Dass die Hornhautepithelien bei der Bildung der Fibrinschicht wie der homogenen Schicht eine ganz besondere Rolle spielen, ergiebt sich auch aus anderen Experimenten. Bringt man Hornhäute ein, deren 360 Dr. J. Zielonko: Epithel abgeschabt ist, so findet sich an den Schnitten von gebil- deten Bläschen Anfangs nur minimale Entwicklung von Fibrin, welches sich später in Bindegewebe umwandelt aber niein eine homo- gene Substanz (Fig. 5). Schwieriger wird die Frage zu beantworten sein, ob vielleicht das Fibrin bei der Blasenbildung gänzlich fehlen und die Vereini- gung der Hornhautränder durch homogenes Gewebe allein vermittelt werden kann, wie ich das in einigen Fällen, wo die Hornhaut mit nach aussen gekehrter Epithelialfläche eingeführt worden war, schon nach zwölfstündigem Verbleiben des Präparats im Lymphsack ge- funden habe. Dieser Befund ist jedoch nicht maassgebend, da das Fibrin schon vorher vorhanden sein und sich während des Verblei- bens im Lymphsack in homogene Substanz umgewandelt haben konnte, zumal da man an erhärteten Blasenschnitten sehr oft un- mittelbare Uebergänge von faserigem Fibrin in homogene Substanz sieht. Das Fibrin kann im Lymphsack auch noch andern Verände- rungen anheim fallen, es kann nämlich gelöst werden. An Blasen- schnitten findet man bei Anwesenheit einer Fibrinschicht immer, dass diese Schicht in den ersten Tagen der Bildung der Blase viel dicker ist als nach einer oder mehreren Wochen, wo das Fibrin oft schon ganz fehlt. Ausserdem habe ich bei einigen Schnitten ge- funden, dass nicht nur das Fibrin, sondern auch die Descemet’sche Membran, welche die äussere Seite der Blase bekleidete, und selbst ein Theil des Hornhautbindegewebes gelöst wurde. Hier trat eine unmittelbare Verwachsung der Hornhautränder ein. An Blasen- schnitten sieht man, wie die eine Blasenwandung gegenüber der andern um ?/, der Dicke schmäler wird, so dass hier die Hornhaut- bindegewebsschicht, welche nicht mehr von der Descemet’schen Mem- bran bekleidet ist, zum Theil aufgelöst sein muss und der Rest der Bindegewebsschicht nach aussen frei zu Tage tritt, während die andere dickere Blasenwandung noch von Descemet’scher Haut über- zogen ist (Fig. 6). Wie bereits oben erwähnt wurde, findet man an Blasenschnitten in einzelnen Fällen, dass das homogene Gewebe ins Fibrin unmittelbar übergeht. Diese Thatsache spricht dafür, dass homogenes Gewebe aus Fibrin entsteht. In andern Fällen aber wird nur homogenes Gewebe an den Blasenschnitten gefunden (Fig. 1b). Man muss also hier annehmen, dass das homogene Ge- webe sich unabhängig vom Fibrin entwickelt, oder, dass das früher noch vorhandene Fibrin sich vollständig in homogenes Gewebe um- Ueb. d. Entwicklung u. Proliferation von Epithelien u. Endothelien. 361 gewandelt hat, oder aber dass sich beide zusammen entwickelt haben, das Fibrin indessen, welches an der Peripherie liegt, sich gelöst hat, während das homogene Gewebe zurückgeblieben ist. Diese dritte Ursache kann jedoch in Abrede gestellt werden, da die Lösung des Fibrins viel später erfolgt, das homogene Gewebe aber, wie ge- sagt, schon 12 Stunden nach Einführung der Hornhaut gefunden werden kann. Die zweite Schicht, von aussen nach innen gezählt, ist die neugebildete Epithelialschicht. Wir wollen zunächst die Bildung dieser Schicht an solchen Blasen verfolgen, bei welchen die Horn- haut mit nach aussen gekehrter Epithelialfläche in den Lymphsack eingeführt wurde. Fertigt man Schnitte von derartigen Blasen, die nur zwölf Stunden im Lymphsack geblieben sind, an, so kann man schon constatiren, dass Epithelzellen neugebildet sind, welche sich der inneren Fläche der sie bedeckenden Fibrinschicht dicht anlegen. Die Zellen enthalten einen grossen körnigen Kern, der nur von einer schmalen Zone eines homogenen und etwas glänzenden Protoplasma um- geben ist, und hängen mit den inneren Zellen der alten Hornhaut- epithelialschicht zusammen, welche die Ausgangsstelle für diese Zellenneubildung sind. In den nächsten Tagen verlängern sich die durch die neue Epithelialschicht gebildeten Leisten durch neuen Zuwachs von Zellen immer mehr, indem sie sich der innern Fläche der Fibrinschicht dicht anlegen, ohne irgend welche Adhäsionen mit der Oberfläche der alten Epithelialschicht einzugehen. Nach 24 Stunden kann man einen abermaligen Zuwachs von Epithelial- zellen constatiren (Fig. 7) und sofort, bis sich meistens nach 8 Ta- gen die beiden einander entgegenwachsenden Leisten treffen, und die Epithelialblase geschlossen wird. Der Zuwachs an Zellen hört aber damit noch nicht auf, vielmehr muss die Zellenneubildung noch weiter gehen (Fig. 1b, 1c); die neugebildete Blase vergrössert sich immer mehr, hebt sich von der innern Blase ab und der Raum zwischen beiden füllt sich mit Flüssigkeit. An Schnitten von Blasen, die sich aus mit nach innen gekehrter Epithelialfläche eingeführten Hornhäuten gebildet haben, kann man das Wachsthum von Epi- thelien ebenfalls verfolgen. Die Länge der neugebildeten Epithe- lialschicht hängt hier davon ab, ob die beiden Hornhautenden weit von einander entfernt sind, oder nicht. Im ersten Falle sind beide Hornhautenden durch Fibrin verbunden, an dessen innerer Fläche sich auch hier die neugewachsenen Fpithelien dicht anlegen (Fig. 8). 362 Dr. J. Zielonko: Sind aber die Hornhautenden ganz einander genähert, so tritt eine unmittelbare Vereinigung derselben ein. Dann sind die Hornhaut- bindegewebsfasern so untereinander verflochten, dass sich die Ver- wachsungsstelie auf dem Schnitte nur durch die hineinragende Des- cemet’'sche Membran und durch die Ablagerung von Irispigment markirt. Die beiden Enden der Hornhautepithelialschicht schmelzen zusammen, und es erfolgt nun kein weiteres Wachsthum von neuen Epithelien. Das Fibrin, welches Anfangs diese Verwachsung ver- mittelt, verschwindet nachher ganz (Fig. 3b). Die alte Epithelial- schicht der Blase bietet unter dem Mikroskop in Schnitten sehr merkwürdige Erscheinungen dar, indem es nämlich scheint, als ob die Epithelien in das Hornhautbindegewebe hineingewuchert seien, ähnlich wie Cancroidzapfen. Evidente zapfenartige Einsenkungen lassen sich indessen nicht nachweisen, das Bild muss vielmehr auf starke Falten, welche sich an der Epithelialschicht wie an den inneren Hornhautschichten bilden, zurückgeführt werden (Fig. 3e). Die übrigen Blasenschichten, die Hornhautbindegewebsschicht und die Descemet’sche Membran, verhalten sich für gewöhnlich normal. Die seltneren Modificationen derselben werden weiter unten be- sonders erwähnt werden. £ | Es muss nun noch besprochen werden, unter welchen Umständen die neue Epithelialschicht fehlen kann und wie sich die Zellen dieser Schicht gegenüber denjenigen der alten Epithelialschicht verhalten. Die Bildung der neuen Epithelien findet nur dann nicht statt, wenn nach der Einführung der Hornhaut sich intensive Entzündung in dem Lymphsack entwickelt, oder wenn die exstirpirte Hornhaut bei der Einführung nicht hinlänglich geschont worden ist, oder wenn die Frösche krank sind, z. B. Parasiten beherbergen, endlich wenn sie in ihrem Lymphsack für die Ernährung der Blasen nicht hin- reichendes Material haben. Ist Entzündung aufgetreten, so bildet sich um die eingeführte Hornhaut eine sehr dicke Fibrinschicht, welche mit Wanderzellen durchsetzt ist. Die letzteren wandern auch zwischen die Fibrin- und Hornhautschicht ein, sammeln sich hier zu einer dicken Schicht an; dringen in das Hornhautbindege- webe ein und füllen auch die ganze innere Hülle aus. Dann kommt kein Wachsthum von Epithelien zu Stande; die alten fallen einer Schmelzung oder fettigen Metamorphose anheim. Dass die neuen Epithelien sich anders wie die alten verhalten, geht schon daraus hervor, dass die ersten häufig Irispigment ent- Ueb. d. Entwicklung u. Proliferation von Epithelien u. Endothelien. 363 halten, welches auch in den Zellen, die im Blaseninhalt liegen, zu finden ist. Dieser Umstand hat mich veranlasst, nach der Einfüh- rung der Hornhaut in den Lymphsack noch einen dicken Tropfen einer Mischung von Zinnober mit Kochsalzlösung vermittels einer Capillarpipette einzuspritzen. Die hier sich entwickelnde und nach einer Woche aus dem Lymphsack herausgenommene Blase, welche sich aus einer mit nach aussen gekehrter Epithelialfläche einge- führten Hornhaut gebildet hatte, liess an Schnitten unter dem Mi- kroskop erkennen, dass die neue Epithelialblase schon geschlossen war, und alle Epithelzellen, aus welchen sie zusammengesetzt war, Zinnober enthielten, während die alten Epithelzellen vollkommen frei von ihnen waren. Dasselbe zeigte sich wiederholt bei mit nach innen gekehrter Epithelialfläche eingeführten Hornhäuten, nur ver- einigten hier zinnoberhaltige Zellen die beiden Hornhautenden (Fig. 8). Hieraus schliessen wir, dass die neuen Epithelialzellen Zinnober aufnehmen können, und in dieser Eigenschaft mit andern contractilen Zellen übereinstimmen. Daher lässt sich vermuthen, dass die jungen Epithelien auch wanderungsfähig sind. Wenigstens spricht hierfür der Umstand, dass man oft in Schnitten von Blasen, die sich bei Gegenwart von Zinnober entwickelt haben, findet, dass diejeni- gen jungen Epithelialzellen welche in der zwischen der alten und neuen Epithelialschicht befindlichen, sowie in der von der Descemet’schen Membran gebildeten Höhle frei liegen, auch Zinnober enthalten. Was die erstere Höhle anbetrifft, so konnten vielleicht die neuge- bildeten Epithelzellen an den Enden der herauswachsenden Epithe- lialleisten nicht haften geblieben, sondern in diese Höhle hinein ge- fallen sein, dagegen mussten die neuen Epithelialzellen, um in die zweite Höhle zu gelangen, die Fibrinschicht passiren. Bei der Zerzupfung von Blasen. welche 1 bis 2 Wochen im Lymphsack geblieben sind, ohne Entzündung zu veranlassen, ergiebt sich, dass die Hornhautepithelialschicht nur schwierig von dem bin- degewebigen Theil zu trennen ist, in welchem letzteren die Horn- hautkörperchen mit ihren Fortsätzen deutlich zu erkennen sind. Mitunter finden sich jedoch auch Fetzen eines homogenen Gewebes, welche entweder der Descemet’schen, oder der beschriebenen äussersten Membran des Bläschens angehören. Letztere ist durch die an ihr haftenden Epithelien, oder durch das Fibrin charakterisirt, das sich bei der Entzündung gebildet hat und stark mit Wanderzellen durch- setzt ist. In diesen Fällen ist auch die Epithelialschicht leicht von 364 Dr. J. Zielonko: der Bindegewebsschicht zu trennen, und die Epithelien selbst sind meistens fettig degenerirt. Ist hingegen keine Entzündung eingetreten, so sehen die Epithelien ganz frisch aus, mehrere Zellen enthalten alsdann zwei Kernkörperchen, während der Kern in Thei- lung begriffen ist. Dasselbe findet sich bei Präparaten, die erst in der sechsten Woche, oder gar nach zwei Monaten herausgenommen wurden. Nur kommen dann andere Zellen hinzu, die neu gebildet wurden. Es finden sich nämlich Epithelien, die ein bis zwei Kerne enthalten, dann Zellen mit 5, 4, 5, 6, 7 Kernen bis zu Riesenzellen mit 20—30 Kernen (Fig. 9). Die Riesenzellen verhalten sich ge- rade so, wie die Epithelzellen, sie haben die gleichen Kerne und Kernkörperchen, ihr Protoplasma ist dem der Epithelien ganz ähn- lich, sie haben dieselbe polygonale Gestalt und hängen sogar oft mit gewöhnlichen Epithelialzellen zusammen. Schon aus dieser Aehn- lichkeit, sowie dem Vorkommen der Uebergangsformen ergiebt sich, dass solche Riesenzellen dieselbe Natur haben, wie die gewöhnlichen Epithelien. Doch werden wir weiter unten noch mehr Anhaltspunkte hierfür kennen lernen. Ausser den genannten Formen findet man noch eine grosse Menge von jungen Epithelien und glänzenden Kugelzellen, welehe Körnchen enthalten. Seltener kommen Epi- thelialzellen mit Stacheln auf einer Seite vor, sowie freie, oder un- tereinander durch Fortsätze verbundene Kolbenzellen, Becherzellen und runde Zellen mit grobkörnigem Protoplasma, einem oder zwei Kernen, Haaren und mitunter Vacuolen im Innern. Solche Vacuolen treten in sehr verschiedener Weise auf und kommen bei mehreren Zellenarten vor. Man findet sie im Inneren von Klumpen, die offenbar aus zusammengeklebten Zellen bestehen. Freilich sind die 'Zellön hier nur undeutlich durch Linien, welche von der Peripherie nach dem Centrum hin verlaufen, zu erkennen, sowie durch Bruch- stücke von Kernen, welche hin und wieder zu finden sind. Das Protoplasma der Klumpen ist ebenso punktirt, wie das der Epithe- lialzellen, nur glänzender. Vacuolen bilden sich auch in Riesen- und gewöhnlichen Epithelialzellen. Sie unterscheiden sich von den Zellen durch ihre dickeren und aufgeworfenen Ränder. In ihrer Höhle schwimmen oft Bruchstücke von rothen Blutkörperchen oder fettartige Tropfen. Manchmal bilden sich so grosse Vacuolen, dass von den betreffenden Zellen nur noch Rahmen übrig bleiben, welche viereckig oder rund sind und zuweilen zu je zwei zusammenhängen. Mitunter liegt in solchen Rahmen eine Zelle mit einem oder meh- Ueb. d. Entwicklung u. Proliferation von Epithelien und Endothelien. 365 reren Kernen; die Zelle ist zwar deutlich vom Rahmen abgegrenzt, aber doch noch hinlänglich adhärent, um nicht heraus zu fallen. Die Untersuchung der Bläschen in späterer Zeit, wo sie schon collabirt sind, also nach 2, 3, 4 Monaten, zeigen, .dass von den Epi- thelien dann die einen fettig degenerirt, die andern einfach zer- schmolzen und in ‚Bruchstücke zerfallen sind. Auch enthalten sie um diese Zeit häufig Pigment, das aus der Iris stammt. DieRiesen- zellen verhalten sich ebenfalls nach dem Alter verschieden. In jüngern sieht man nur entweder ganz freie oder zur Hälfte von einer Kerncontour umgebene Kernkörperchen, in älteren dagegen sind die Kerne schon vollständig gebildet, oder aber man findet die ganze Zeilenoberfläche von kleinen Tröpfchen bedeckt, welche hie und da zu grössern Tropfen zusammenfliessen und sich wie Fett verhalten; zuweilen enthalten sie auch Pigment. Der Blaseninhalt kann an frischen oder erhärteten Präparaten untersucht werden. Am besten schneidet man die Blase mit der Scheere kreuzförmig auf. Bei gut entwickelten Bläschen kann dann der Inhalt ohne Zusatz zur Untersuchung verwendet werden, während bei kleineren etwas schwache Kochsalzlösung zugesetzt werden muss. Die Beschaffenheit des Blaseninhalts hängt von dem Alter der be- treffenden Blase, sowie davon ab, ob Entzündung eingetreten war, wodurch die zelligen Elemente degeneriren und absterben. Ist Ent- zündung nicht eingetreten, so kann man bei gut entwickelten Bla- sen im Allgemeinen annehmen, dass dieselben nach 1, 2, 3 Wochen schon ziemlich stark durch flüssigen Inhalt gespannt sind und junge Epithelien enthalten, deren Kerne zwei Kernkörperchen enthalten, oder in Theilung begriffen sind, oder endlich sich bereits in zwei getheilt haben. Ausserdem finden sich zu dieser Zeit noch Blut- und Lymphkörperchen, welche zuweilen mit Fibrinfasern zusammen- höugen, sowie schon vollständig ausgewachsene Epithelialzellen. Ferner findet sich im Blaseninhalte eine grosse Menge glänzender Kugelzellen, die sogar den Hauptbestandtheil desselben bilden, von der Grösse der weissen Froschblutkörperchen bis über die des rothen hinaus. Sie nähern sich den jungen Epithelien und enthalten Kern- chen in verschiedener Menge (Fig. 10, a). Bei frischen Präparaten bekommen einige dieser Kugelzelleu, wenn sie kurze Zeit im Unter- suchungsmedium gelegen haben, Haare. Bei Zusatz von Essigsäure erblassen sie, ihre Kerne werden anfangs deutlicher, verschwinden aber später vollständig unter Aufquellung der Zelle selbst, von der 366 Dr. J. Zielonko: noch eine Zeitlang eine kreisförmige Contour erhalten bleibt. Nun enthalten aber diese glänzenden Kugelzellen öfters Irispigment; so pigmentirte Kugelzellen habe ich sowohl in dem ausgeflossenen Blaseninhalt, als auch in den beiden beschriebenen Höhlen zwischen den Blasenschichten constatirt. Auch lassen die Untersuchungen der Blasen, die sich bei Gegenwart von Zinnober entwickelt haben, in den glänzenden Kugelzellen Zinnober nachweisen. Hieraus er- giebt sich, dass die glänzenden Kugelzellen den Wander- und Epi- thelialzellen in so fern ähnlich sind, als ihr Protoplasma auch con- tractil ist. Wesentlich verschieden von ihnen sind sie aber, sowohl durch ihr Aussehen, als auch durch ihr Verhalten gegen die Rea- gentien, wie das eben auseinandergesetzt wurde. Ich muss diese Kugelzellen von den Epithelien, nicht von anderen Zellen (Lymph- körperchen etc.) herleiten, da sie bei Einführung von Hornhäuten, welche ihres Epithels beraubt sind, wie das aus den nächstfol- genden Experimenten hervorgeht, nicht zu finden sind. Ob sie je- . doch Producte von Fpithelien sind, oder selbst zur Epithelialbil- dung Material liefern, steht noch dahin. Nach sechs Wochen bis 2, 3 Monaten finden sich im Blasen- inhalte zwischen den Epithelzellen auch Riesenzellen, welche auch hier wiederum, je nach ihrem Alter, ein verschiedenes Verhalten zei- gen, wie dies bei den Zerzupfungspräparaten beschrieben wurde. Wichtiger und deutlicher sind die Veränderungen, welche nach die- ser Zeit an den glänzenden Kugelzellen eingetreten sind. Einige von ihnen sind um diese Zeit bis zur Hälfte, andere ganz mit dunkel eontourirten Körnchen gefüllt, die so dicht stehen, dass sie sich unmittelbar berühren (Fig. 10, b). Auf Zusatz von Essigsäure quellen die Zellen auf, die Körnchen werden etwas gelockert und grösser, man erkennt jetzt, dass die letzteren Fetttröpfchen sind (Fig. 10, c). Ebensolche Fetttröpfehen sind in den schon in ziem- lich reichlicher Menge vorhandenen, gewöhnlichen Körnchenkugeln enthalten. Wir gehen jetzt dazu über, diejenigen Blasen zu besprechen, welche entstanden waren, nachdem nur einzelne Theile der Horn- haut eingeführt worden waren. Wichtig war es ja zu erfahren, ob sich überhaupt bei Einfüh- rung einzelner Hornhauttheile Blasen bilden. Letztere lässt sich in zwei Schichten trennen, nämlich in die Bindegewebsschicht mit der Descemet’schen Membran und in die Epithelialschicht mit der Ueb. d. Entwicklung u. Proliferation von Epithelien u. Endothelien. 367 Bowman’schen Membran. Um die Bindegewebsschicht zu isoliren, sehabte ich die Hornhautepithelialschicht, nachdem die hierzu ver- wandten Frösche auf einem Brette befestigt und ihre Augenlider vermittelst durchgezogener Fäden ektropionirt waren, mit dem Gräfe’- schen Messer sorgfältig ab. Während dieser Operation wurde die Hornhaut mehrere Male mit Kochsalzlösung abgespült. Die Horn- haut selbst wurde nun erst eine halbe Stunde später exstirpirt, um ihr genügende Zeit zu lassen, ein stärkeres Exsudat in sich aufzu- nehmen. Im Lymphsack schliesst sich die so präparirte Hornhaut durch Fibrin zu einer Blase, welche jedoch nie eine grosse Ausdeh- nung erlangt. Sie stellt sich bei der Betrachtung mit schwacher Vergrösserung als ein etwas abgeplattetes Bläschen mit dunkler linearer Verwachsungs-Stelle auf der Oberfläche dar, welche Linie seitlich von Pigmentkörnchen umgeben ist. In späterer Zeit ent- wickeln sich an einer solchen Blase auch mitunter Blutgefässe. Wird die Hornhaut nach ein paar Tagen bis zu einer Woche aus dem Lymphsack herausgenommen, so zeigt die Hornhautbindegewebs- schicht unter dem Mikroskop sehr schöne Hornhautkörperchen, wel- che gut ramificirte Fortsätze besitzen, selbst in späterer Zeit voll- ständig intact bleibend. Nur in einigen Fällen habe ich sie an Präparaten, welche zu einem späteren Termin aus dem Lymphsack herausgenommen waren, etwas schmäler gefunden. Die Wanderzellen in der Hornhautbindegewebsschicht nehmen sehr reichlich, wenn Entzündung eingetreten ist, zu, auch sind hier einige von ihnen, so- wie von den fixen Hornhautkörperchen fettig degenerirt, die Binde- gewebsschicht selbst ist mit zahlreichen Fetttröpfehen bedeckt und in eine starke Fibrinschicht eingekapselt. Im Inhalt gut entwickelter Blasen sind Lymphkörperchen, Wanderzellen, bei später herausge- nommenen Präparaten auch eiweissartige körnige Massen und Körn- chenkugeln suspendirt. Was die Endothelien, welche die Descemet’- sche Membran bekleiden, anbetrifft, so habe ich sie in keiner im Lymphsack gebildeten Blase mehr auffinden können. Die zufällig mit eingeführten sternförmigen Irispigmentzellen aber werden nach einem zwei- bis dreimonatlichen Verweilen im Lymphsack in rund- liche Klumpen umgewandelt. Glänzende Kugelzellen sind im In- halte solcher Blasen nicht zu finden. Die Abtrennung der Hornhautepithelialschicht mit der Bow- man’schen Membran habe ich so vorgenommen, dass ich die exstir- pirte Hornhaut mit nach unten gerichteter Descemet’schen Mem- 368 Dr. J. Zielonko: bran in einem ganz flachen Uhrglas, welches etwas Lymphserum enthielt, ausbreitete, dann einen Rand der Hornhaut mit der Nadel festhielt. neben der so fixirten Stelle mit dem Linearmesser einen kleinen Einschnitt machte und nun die zu verwendende Membran abschälte. Die aus dieser Membran (Epithelschicht und Bowman’- sche Schicht) gebildeten Blasen sind dünner, als aus ganzen Horn- häuten, verhalten sich denselben aber, was Bildung, Inhalt und die bei der Zerzupfung erhaltenen Elemente anlangt, ganz analog, aus- genommen dass bei gut gelungener Operation von der Hornhaut- bindegewebsschicht Nichts vorhanden ist, während sich in andern Fällen etwas davon findet. Bei der Betrachtung mit schwacher Ver- grösserung lässt sich an solchen Blasen das eingeführte Gewebe ganz gut von dem neugebildeten unterscheiden, an welchem letzteren mosaikartig angeordnete Epithelien deutlich zu sehen sind (Fig. 11). Alle bisher beschriebenen Arten von Blasen unterliegen in sel- tenen Fällen noch besonderen Veränderungen. Es entwickeln sich nämlich auf ihrer Oberfläche Blutgefässe. So konnte man an einer Blase, die sich nach Einführung einer ganzen Hornhaut mit nach aussen gekehrter Epithelialfläche gebildet hatte und nach 3 Monaten aus dem Lymphsack herausgenommen worden war, Folgendes schon mit schwacher Vergrösserung beobachten (Fig. 12). An dem einen Blasenende verläuft ein etwas dickeres Gefäss, welches sich ein wenig biegt und in ein feines Gefässnetz auflöst, das die ganze Blase umgiebt; dieses Netz communieirt auf der entgegengesetzten Seite mit einigen etwas dickeren Stämmchen. Auf der Oberfläche des Bläschens liegen hie und da Pigmentkörnchen und einige graue Flöckchen, welche in feinen Schnitten bei starker Vergrösserung, theils als fettig degenerirte Epithelien, theils schon als freie Fett- tröpfehen erkannt werden. An der Peripherie des Bläschens flottiren einige Stiele, welche nach der mikroskopischen Untersuchung, aus Fibrin bestehen und keine Blutgefässe enthalten, mit eben diesen Stielen adhärirte die .Blase an den Wandungen des Lymphsacks. Eine andereBlase lag ganz frei im Lymphsack, war aus einer Horn- haut mit nach innen gekehrter Epithelialfläche entstanden und nach zwei Wochen aus dem Lymphsack herausgenommen (Fig. 13). Diese Blase zeigte bei der Betrachtung unter dem Mikroskop auf der Ober- fläche seitlich von der Verwachsungslinie die allerersten Anfänge von Gefässen, die nach einigen Ramificationen blind endigten, ohne sich in ein eigentliches Gefässnetz aufzulösen. Eine dritte Blase, Ueb. d. Entwicklung u. Proliferation von Epithelien u. Endothelien. 369 welche sich nach Einführung einer Hornhaut, deren Epithel abge- schabt war, gebildet hatte und nach 3 Monaten aus dem Lymphsack herausgenommen wurde, zeigte bei der Betrachtung mit schwacher Vergrösserung ein ähnliches Gefässnetz und ähnliche Stiele, wie die erste Blase. In allen drei Blasen hatten sich also Gefässe entwickelt. Dies kann nun auf zweierlei Wegen geschehen, die Gefässe können nämlich von den Lymphsackwandungen unter entzündlichen Vorgän- gen auf die Blasen übergehen, oder in den Blasen selbst ihre Ent- wicklung finden. Die Entscheidung dieser Frage wird dadurch er- schwert, dass die Fibrinschicht im Lymphsack, wie oben gezeigt, ge- löst werden kann, wodurch alle Spuren von Adhäsionen verschwinden. Indessen lässt der Umstand, dass nur die allerersten Anfänge der Gefässe bei der zweiten vollkommen freien Blase vorhanden waren, der weitere Umstand, dass in den beiden andern Blasen Gefässe in den flottirenden Stielen, welche die Blase mit den Lymph- sackwandungen verbinden, vollkommen fehlten, mit einiger Wahr- scheinlichkeit schliessen, dass sich die Gefässe unabhängig von den Lymphsackwandungen in den Blasen selbst entwickelt hatten. Unter dem Mikroskop sah man an Schnitten der beiden zuerst genannten Blasen Gefässe innerhalb der Fibrinschicht liegen, welche in der ersten mit ganz feinem Saume die Peripherie der Blasen umgiebt, in der zweiten die beiden Hornhautenden verbindet. Diese Gefässe drangen jedoch in die Hornhaut selbst nicht ein. Unmittelbar unter der Fi- brinschicht lag in beiden beschriebenen Blasen die Epithelialschicht. An Schnitten von der dritten Blase sah man die Descemet’sche Membran nach innen liegen, die Gefässe von der Peripherie aus in die Tiefe des Hornhautbindegewebes auf’s deutlichste hinein dringen, welche eine starke Vermehrung der Zellen an Stelle der Hornhaut- körperchen darbot. Die Zellen häuften sich an einigen Stellen zu dichten Gruppen an, welche concentrische Schichtungen zeigten und auffallende Aehnlichkeit mit Cancroidzwiebeln hatten. Ueber die Proliferation und Vermehrung der Flimmerepithelien lässt sich nach meinen Experimenten nicht viel sagen. In drei Fällen fand ich nach Einführung von Flimmerepithelien in den Lymph- sack, wo dieselben 1 Monat blieben einige, mit Wimperhaaren ver- sehene Zellen, welche 2—3 Kerne enthielten. Die eingeführten Flimmerepithelien selbst verhalten sich äusserst resistent in dem Lymphsack. Bei der Einführung ausgeschnittener Stückchen der Froschmundschleimhaut in den Lymphsack, oder abgeschabter Epi- M. Schultse, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. 24 370 Dr. J. Zielonko: thelien derselben, oder endlich bei Einführung von Stückchen der Eierstocksumhüllung des Frosches, welche Objecte sämmtlich nach 1, 2, 3, 4, 5 Monaten aus dem Lymphsack wieder herausgenommen wurden, fand ich, dass die Epithelien selbst nach 5 Monaten noch ganz frisch waren, und ihre Flimmerung vollständig beibehalten hatten. Einige Flimmerzellen klebten, Klumpen bildend, zusammen, während ihre Flimmerhaare nach aussen gekehrt waren. Diese Klumpen lagen entweder in besonderen Höhlen innerhalb des Fi- bringewebes, oder frei in der Untersuchungsflüssigkeit und machten vermittels der Flimmerhaare nach verschiedenen Richtungen hin Drehbewegungen. Die beim Studium des Epithelialwachsthums bereits erhaltenen Resultate veranlassten mich auch zu untersuchen, ob ein ähnliches Wachsthum auch an den Endothelien experimentell herzustellen ist. Hierzu konnte ich die Hornhaut nicht benutzen, welche ein für die Untersuchung der Epithelien so günstiges Object darstellte, da die der Descemet’schen Membran angehörigen Endothelien, wie schon oben bemerkt, nach einigem Verbleiben im Lymphsack nicht mehr zu finden sind. Desshalb musste ich mich anderer Untersuchungs- objecte bedienen und habe das Pericardium, Mesenterium u. S. w. verwendet, am einfachsten gelangen mir jedoch die Experimente, indem ich die Hühnereimembran einführte. An Zerzupfungspräparaten aller Objecte, die ich benützte, nachdem dieselben 3—6 Wochen im Lymphsack verweilt hatten, und hier der Reihe nach besprochen werden, untersuchte ich dann die einzelnen neugebildeten Zellen. A. Es wurde ein quadratförmiges Stückchen von der Hühner- eimembran ausgeschnitten, in den Lymphsack eingeführt und nach Verlauf der oben angegebenen Zeit herausgenommen; dann wurde das Präparat sofort frisch in eine !/°/, Lösung von Argent. nitrie. getaucht und in derselben !/s Minute liegen gelassen. Nachdem dasselbe hierauf wieder herausgenommen und mehrere Male mit Kochsalzlösung abgespült war, wurde es mit Glycerin unter das Deckgläschen gelegt. An den meisten Präparaten sieht. man unter dem Mikroskop nur undeutliche schwarze Linien, die indessen nicht von regelmässigen Endothelzellencontouren umgeben sind, da die Präparate häufig mit Fibrin bedeckt sind. Aber an gut gelungenen Präparaten kommen schöne schwarze Linien ganz deutlich zum Vor- Ueb. d. Entwicklung u. Proliferation von Epithelien u. Endothelien. 371 schein und grenzen jede Endothelzelle von ihrer Nachbarschaft ab. In den schwarzen Grenzlinien sind kleine Ringe eingeschaltet, ähnlich den Bildungen, welche man an den Endothelmembranen als Stomata bezeichnet hat. In einigen Endothelzellen grenzen sich die Kerne scharf ab, in andern sind sie von dem Protoplasma der Zelle durch ihre geringere braune Färbung zu unterscheiden (Fig. 14). An Zer- zupfungspräparaten der Hühnereihaut, welche in schwacher Koch- salzlösung, deren ich mich auch bei den Zerzupfungspräparaten der folgenden Gewebe bediente, angefertigt worden waren, beobachtete ich, dass zwischen einigen Stückchen der zerzupften Membran eine grosse Menge von ganz kleinen Endothelialkernen klebt, bei denen entweder gar kein Protoplasma, oder doch ein solches nur sehr undeutlich zu sehen ist. Mitunter aber häufen sich diese Kerne in sehr grosser Menge zu 100 und noch viel mehr in einer einzigen Protoplasmascholle an, welche etwas punktirt erscheint und mehr oder weniger deutliche Ränder hat, von denen nach verschiedenen Richtungen Fortsätze ausgehen (Fig. 15, a). Unter den zelligen Elementen, die hier gefunden werden, sind die Riesenzellen die auf- fallendsten. Sie unterscheiden sich wesentlich von den Riesenzellen, die von wahren Epithelzellen stammen und welche wir bei der Bil- dung der Hornhautblasen kennen gelernt haben. Sie enthalten nämlich eine sehr grosse Menge von Kernen bis zu 60 und mehr, welche den Endothelkernen des Lymphsacks, sowie auch denjenigen Endothelkernen ganz analog sind, die in den erwähnten Protoplasma- schollen, ferner isolirt zwischen den Stückchen der zerzupften Mem- bran liegen. Das Protoplasma der Riesenzellen ist sehr blass und undeutlich, quillt bald in Kochsalzlösung auf, so dass die ganze Zelle wie eine Kugel erscheint, die mit einigen Fortsätzen versehen ist, und in demselben lassen sich bei richtiger Einstellung mit der Mikrometerschraube in verschiedenen Schichten gelegene Kerne con- statiren (Fig. 15, b). Die Riesenzellen blassen aber in der Kochsalzlösung immer mehr ab, werden immer undeutlicher, bis sie schliesslich ganz ver- schwinden. Durch Zusatz von etwas destillirtem Wasser zur Koch- salzlösung gelingt es, sie für kurze Zeit wieder sichtbar zu machen, dann verschwinden sie abermals und nur in sehr seltenen Fällen ist es möglich, die Präparate einige Stunden in der feuchten Kammer zu erhalten. Vonanderen Zellenarten findet man vermischt mit Endothel- kernen Lymphkörperchen, welche in der Untersuchungsflüssigkeit, 872 Dr. J. Zielonko: sowie oft mit den Fibrinstückchen zusammen hängend gefunden werden. | B. Ein anderes einfaches Gewebe, dessen ich mich bei der Untersuchung bediente, ist die Nabelschnur, von der feine Längs- schnitte in den Lymphsaek eingeführt wurden. Allein sogar von ganz frischer Nabelschnur entnommene Stückchen erregten stets Entzündung im Lymphsack der Frösche, und letztere gingen dadurch gewöhnlich zu Grunde. Gelingt es aber, die Frösche lange genug am Leben zu erhalten, so findet man bei der Zerzupfung der aus dem Lympsack genommenen Stückchen, dass das Gewebe etwas er- weicht und leicht in Fasern zu zerlegen ist, dass die Endothelial- kerne und Riesenzellen von derselben Natur, wie die bei der Zer- zupfung der Hühnereihaut erhaltenen, nur in geringer Quantität, die Wanderzelleu hingegen in viel grösserer vorhanden sind. C. Schneidet man kleine Stückchen aus der Mitte der Lunge, Milz oder Leber des Frosches heraus und führt dieselben in den Lymphsack ein, so findet man bei Zerzupfung der wieder herausge- nommenen Präparate unter dem Mikroskop, dass die specifischen Zellen, aus denen die genannten Organe bestehen, durch fettige De- generation so verändert und so blass sind, dass man sie kaum noch erkennen kann. Dafür kommen aber sehr viele Endothelial- kerne zum Vorschein, die hie und da mit ganz blassem Protoplasma umgeben sind. In den Lungenalveolen habe ich an Schnitten von erhärteten Präparaten sehr viele Endothelzellen gefunden. Allein die Zeit erlaubte mir nicht genau zu untersuchen, ob dieselben nur deutlicher gewordene Alveolarbekleidung, oder aus dieser neugebil- dete Endothelialzellen waren, oder aber ob sie aus der Lymphsackbe- kleidung gebildet und dann im die Lungenalveolen abgelagert waren. D. Stücke des Mesenterium oder des Pericardium lassen sich, nachdem sie die angegebene Zeit im Lymphsack verweilt haben, mit ziemlicher Leichtigkeit zerzupfen. Ausser den Endothelialkernen, welche sich ganz ähnlich wie die beiden im Vorhergehenden beschrie- benen Präparate verhalten, findet man die Endothelzellen, welche den genannten Membranen selbst angehören. Einige haben in ihren Kernen zwei Kernkörperchen, bei andern sind die Kerne schon in Theilung begriffen. Auch sind Riesenzellen zu sehen, welche sich aber anders verhalten, als die aus Epithelien oder Lymphsackendothelien gebil- deten. Sie sind nicht polygonal, sondern mit zahlreichen Fortsätzen versehen. Die Kerne derselben stimmen ganz mit den übrigen En- Deb. d. Entwicklung u. Proliferation von Epithelien u. Endothelien. 373 dothelialkernen überein, aber sie selbst sind resistenter, als die aus der Lymphsackbekleidung entstandenen, sie quellen nicht auf in Kochsalzlösung, mit welcher sie längere Zeit in der feuchten Kammer aufbewahrt werden können; ja sie halten sich sogar nach Einkittung der Präparate auf längere Zeit (Fig. 16). Aus dem Gesagten er- giebt sich, dass die Riesenzellen ihrer Entstehung nach verschieden sein können, und bei genauer Betrachtung derselben lässt sich ermitteln, ob sie Producte von Epithelien oder Endothelien sind. E. An Stückchen, die den Gelenkkapseln oder der Achilles- sehne des Frosches entnommen und 4—6 Wochen im Lymphsack geblieben sind, findet man das Gewebe bei der Zerzupfung sehr weich und teigig, besonders bei der Achillessehne, deren Präparate in ganz isolirte feinste Fasern zu zerlegen sind. Will man Letzteres erreichen, so ist die Einführung in den Froschlymphsack entschieden zu empfehlen. Was die zelligen Elemente anbetrifft, so verweise ich auf das hierüber beim Mesenterium und Pericardium Gesagte. Endlich habe ich noch Muskelstückchen eingeführt und daran eigenthümliche Resultate wahrgenommen. Führt man Muskelstückchen aus der Mitte irgend eines Ober- schenkelmuskels des Frosches in den Lymphsack ein, so findet man nach Verlauf der nöthigen Zeit bei der Zerzupfung die schon bei den andern Geweben besprochenen Endothelialkerne, welche sowohl zwischen den bei der Zerzupfung erhaltenen Stückchen des Muskel- gewebes, als auch dem Fibrin, in das jene öfters eingehüllt sind, liegen. Ausserdem aber zeigt das Muskelgewebe selbst verschiedene Veränderungen und Neubildungen, auf die wir etwas näher eingehen wollen. Wird das Muskelstückchen nach zehntägigem Verbleiben im Lymphsack herausgenommen und zerzupft, so sieht man an den meisten Muskelfasern die Querstreifung nicht mehr, während andere dieselbe noch zeigen. Statt der Querstreifen sind an mehreren Muskelfasern Längsstreifen zu beobachten. In dem Zwischengewebe zwischen den Muskelfasern und innerhalb derselben liegen Klumpen, die unregelmässige Contouren haben und ganz wie contractile Muskel- substanz aussehen, nur nicht gestreift sind. Nach Zusatz von Essig- säure werden in den letztern 1-4 Kerne sichtbar (Fig. 17a). Wird das eingeführte Muskelstückchen erst nach 20 Tagen zerzupft, so sieht man ausser dem eben Angeführten an dem Präparate, dass einige Klumpen fettig degenerirt sind, jedoch nach Zusatz von Essig- säure erblassen und Kerne zeigen (Fig. 17 b u. c), dass aus andern ziem- 374 Dr. J. Zielonko: lich lange Fortsätze herausgewachsen sind (Fig. 17 (d)), welche letzteren Zellen nur im Zwischengewebe, zwischen den Muskelfasern, liegen. Jedoch ist an diesen Zellen eine Querstreifung nicht zu sehen, auch nicht bei Präparaten, die in späterer Zeit nach 1 Monat herausgenommen wurden, wo das Gewebe selbst sehr stark ge- schrumpft und die einzelnen Muskelfasern nur durch das deutlich sich markirende Sarkolemma zu unterscheiden sind. Das Sarko- lemma ist bei einigen Muskelfasern mit Fetttröpfehen durchsetzt. andere Sarkolemmaschläuche sind mit grossen Körnchenkugeln ge- füllt und jene zwischen den Muskelfasern liegenden und mit Fort- sätzen versehenen Klumpen waren ebenfalls in Körnchenkugeln um- gewandelt. Werden von einem solchen Präparat, nachdem es in Müller’scher Flüssigkeit erhärtet worden ist, Schnitte angefertigt, so sieht man unter dem Mikroskop Quer- und Längsschnitte von Muskelfasern, die sehr viele Kerne zeigen (Fig. 18). Sie liegen in Längsreihen oft sehr regelmässig; ob sie bloss Kerne oder Zellen sind, ist bei ihrer Kleinheit schwer festzustellen. Die Resultate meiner bezüglichen Untersuchungen lassen sich folgendermassen zusammenfassen : 1) In der Lymphe kann eine Neubildung der Epithelien und Endothelien stattfinden. 2) In.der Lymphe nehmen die Kerne sowohl in Muskelfasern, als auch in andern zelligen Elementen zu. 3) In der Lymphe geschieht die Bildung von Riesenzellen aus Epithel- und Endothelzellen. Am Aussehen der Riesenzellen ist zu erkennen, ob sie sich aus den ersteren oder letzteren gebildet haben. 4) Durch gegenseitiges Aufeinanderwirken der Epithelien und Lymphe wird Fibrin gebildet. Wahrscheinlich auf gleiche Weise entsteht eine homogene Substanz, welche in Form einer structurlosen Membran auftritt. Wo Fibrin mit Epithel nicht in Berührung steht, wird es nicht in homogene Substanz, sondern nur in Bindegewebe umgewandelt. Wie jene homogene Membran, entsteht wahrscheinlich auch die Zona pellucida. _ 5) Die Lymphe ist im Stande, sowohl das im Lymphsack ge- bildete Fibrin allmählig zu lösen, als auch auf Bindegewebe er- weichend einzuwirken und dasselbe in Primitivfasern zu zerlegen, schliesslich sogar zu lösen. 6) Nur die untersten Epithelialschichten vermögen neue Epi- thelien zu produciren; den oberen fehlt diese Fähigkeit. Ueb. d. Entwicklung u. Proliferation von Epithelien u. Endothelien. 375 7) Die Richtung, in welcher sich die neugebildeten Epithelial- schichten ausbreiten, hängt davon ab, wie sich das Fibrin oder die homogene Gewebsschicht zu der Stelle verhält, von wo die Epithelien zu wachsen anfangen. 8) Hat sich keine Entzündung im Lymphsack eingestellt, so wird die neu herausgewachsene Epithelialschicht nach 8 Tagen zu einer Blase geschlossen. | 9) Das Wachsthum der Epithelien und Endothelien im Lymph- sack erfolgt ohne Betheiligung der zelligen Elemente der Blutgefässe und des Blutes selbst. 10) Die neugewachsenen Epithelzellen können Zinnober auf- nehmen, sind also wahrscheinlich contractil. Strassburg, 20. Juli 1873. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIIL, XXIV, XXV. In Fig. 1b, ce, Fig. 3b, ce, Fig.5-—8 bedeutet: E. Altes Hornhautepithel. e. Neugebildetes Epithel. B. Bindegewebssubstanz der Hornhaut. b. Neu- gebildetes Bindegewebe. D. Descemet’sche Membran. H. Homogenes Gewebe. V. Verwachsungsstelle der Hornhautränder. Fig. la. Blase mit kreuzförmiger Verwachsungslinie. Epithel nach Aussen. Blase nach 2 Monaten aus dem Lymphsack herausgenommen. Ver- grösser. 32. Fig. 1b. Querschnitt der Blase in Fig. la. Vergröss. 90. Fig. 1e. Verwachsungsstelle (V.) mit den Anfängen der neugebildeten Epi- thelialleisten des Querschnitts in Fig. 1b. Vergrösser. 300. Fig. 2 Blase mit Epithel nach Aussen nach Behandlung mit Kochsalz- lösung, nach 4 Monaten herausgenommen. Vergrösser. 45. Fig. 3a. Blase mit Epithel nach Innen, nach 6 Wochen herausgenommen. Vergrösser.: 32. «. Ansicht der Blase von der Oberfläche mit Ver- wachsungslinie. £. Ansicht von der anderen Seite. Fig. 3b. Querschnitt der Blase in Fig. 3a. Vergröss. 90. Fig. 3c. Zapfenähnliche Epithelialfalten von dem Querschnitte in Fig. 3b. ‘ Vergröss. 160. | Fig. 4 A,—F,. Skizzen von Blasenquerschnitten. Vergrösser. 45. Horn- hautbindegewebe: grau, Fibrin: blau, Epithelien: roth, Descemet’sche Membran: weiss und doppelt contourirt. Beschreibung im Text. Fig. 5. Verwachsungsstelle einer Blase, welche aus der Hornhaut, deren Epithel abgeschabt war, gebildet war. Blase nach 6 Wochen herausgenommen. Vergrösser. 300. 376 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Dr. J. Zielonko: Ueb.d. Entw. u. Proliferat. v. Epithelien u. Endothelien. 6. 10. 11. 12. 13. 14, 15. 16. 17. 18. Querschnitt einer Blase mit nach Innen gekehrtem Epithel, Schmel- zung der Descemet’schen Membran und Hornhautbindegewebs- schicht. Blase nach 3 Monaten herausgenommen. Vergröss.: 90. Erstes Wachsthum der Epithelien bei Blasen mit nach Aussen ge- kehrten Epithelien. Blase nach 24 Stunden herausgenommen. Vergröss. 300. Wachsthum der Epithelien bei Blasen mit nach Innen gekehrtem Epithel. Blase mit Zinnober behandelt nach 1 Woche herausge- nommen. Vergröss. 160. Hornhaut-Epithelzellen aus einem Zerzupfungs-Präparat mit 1— 7 Kernen bis zu Riesenzellen. Nach 1 Monat herausgenommen. Ver- gröss. 300. Aus dem Blaseninhalt. Vergröss. 300. a. Glänzende Kugelzellen. b. Fettig degenerirte glänzende Kugelzellen. c. Dieselben mit Essigsäure behandelt. Blase gebildet von einer abgeschabten Hornhautepituelialmembran allein, nach 2 Monaten herausgenommen. Vergröss. 45. Blase aus einer Hornhaut, deren Epithelialschicht nach Aussen. Fibrinhülle in Organisation und Gefässbildung. Nach 3 Monaten herausgenommen. Vergröss.: 70. Blase mit Epithelschicht nach Innen; Gefässe in den allerersten Anfängen, blind endigend.. Nach 2 Wochen herausgenommen, Vergr. 70. Wachsthum von Lymphsackendothelien auf der Hühnereihaut. Die- selbe nach 1 Monat herausgenommen und mit Argent, nitrie. be- handelt. Vergröss. 300. Zerzupfungs-Präparat der im Lymphsack eingeführten Hühnereihaut. a. Protoplasmaschalen mit sehr vielen Kernen durchsetzt. b. Riesen- zellen etwas in Kochsalzlösung aufgequollen. Nach 1 Monat. Ver- gröss. 300. Zerzupfungs-Präparat von in den Lympbhsack eingeführtem Mesen- terium und Pericardium: Riesenzellen gebildet aus der Endothel- bekleidung dieser Membranen. Nach 6 Wochen Vergröss. 300. Zellen gebildet bei Einführung von Muskelstücken. a. Runde Zellen mit 1—4 Kernen. b. Runde Zellen fettig degenerirt. c. Dieselben mit Essigsäure behandelt. d. Zellen mit Fortsätzen; a nach 10 Tg., b, ec, d nach 20 Tg. Vergröss. 300. Querschnitt von Muskelstückchen. L. Längsschnitte der Muskel- fasern. @. Querschnitte der Muskelfasern. Nach 1 Monat aus dem Lymphsack herausgenommen und in Chromsäure erhärtet. Ver- gröss. 300. Rhizopodenstudien. Von Franz Eilhard Schulze. II. Hierzu Taf. XXVI u. XXVI. 1. Raphidiophrys pallida, nov. spec. Im Jahre 1867 berichtete Archer im Quarterly journal of microscopical science Tom VII p. 178 zuerst von einem neu ent- deckten kugligen Süsswasserrhizopoden mit radiären fadenförmigen Pseudopodien und vielen kleinen in der Rindenschicht unregelmässig durcheinander gelagerten, an beiden Enden zugespitzt endigenden Kieselnadeln. Eine genauere Beschreibung dieses von ihm Raphi- diophrys viridis genannten Thieres liess er dann in den Jahren 1869 und 1870 in derselben Zeitschrift Tom. IX p. 255 mit einer Abbil- dung auf Pl. XVI Fig. 2 und Tom. X p. 103 folgen. Am letztge- nannten Orte fasst er die Diagnose seiner neuen Gattung folgender- maassen: »Rhizopod, composed of two distinet sarcode regions — the inner forming one or several rounded individualized definitely bounded hyaline sarcode masses, each containing a subperipheral stratum of colouring granules — the outer more or less coloured, soft and mobile, bearing numerous elongate irregularly scattered siliceous spieula, acute at both ends and forming a commun invest- ment to the inner globular masses, which latter give off long slen- der, non-coalescing pseudopodia«. Er fügt hinzu, dass der wesent- liche Unterschied dieser Gattung von Acanthocystis in dem Besitze der soliden, an beiden Enden gleich gebildeten und unregelmässig M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. 25 378 Franz Eilhard Schulze: durcheinander zerstreut gelagerten spicula liege; von den Meeres- radiolarien sei sie trotz mancher Aehnlichkeit mit Sphaerozoum durch die Abwesenheit der Centralkapsel geschieden. Als speeifischen Speciescharakter seiner einzigen Art giebt er Folgendes an: »Inner rounded masses hyaline, globular, with nu- merous large chlorophyll granules, arranged in a hollow globular manner within the periphery: onter region slightly buff-coloured, containing densely numerous, elongate, very slender, more or less curved, acicular spicula, acutely pointed at each end and Iying in every possible direction; pseudopodia numerous extremely slender, very long, hyaline, comparatively rigid, never coalescing. No evident nucleus nor pulsating vacuoles«.. Die ganze Colonie stellt nach Archer eine mit blossem Auge noch deutlich sichtbare grüne Kugel von der Grösse eines Actinosphaerium dar. Gefunden wurde das Thier in verschiedenen Tümpeln und Teichen Englands, wenngleich niemals häufig, doch zu allen Jahreszeiten. Den Einwurf Greeff’s (dieses Archiv Bd. V p. 282), dass die Raphidiophrys viridis wahr- scheinlich auf Grund flüchtiger Beobachtung der bekannten Acan- thocystis viridis Grenacher’s irrthümlich als besondere Art aufgestellt sei, entkräftete Archer durch den Hinweis auf die bei Raphidio- phrys unregelmässig in jeder Richtung zerstreut gelagerten und an beiden Enden spitz auslaufenden spicula, welche schwerlich mit den radiär gestellten und durch verbreiterte Fussplatten ausgezeichneten Stacheln der Acanthocystis zu verwechseln seien. In dem grösseren der beiden Bassins des botanischen Gartens des Joanneums in Graz habe ich im Herbste des Jahres 1873 einen kugeligen Rhizopoden in grosser Zahl an halbfaulen Ceratophyllum- blättern gefunden, welcher zwar in mancher Beziehung von der Raphydiophrys viridis, wie Archer sie beschreibt, abweicht, aber doch zweifellos derselben Gattung angehört. Ich nenne diese Form wegen ihres gänzlichen Mangels an Pigment im Gegensatze zu der Raph. viridis Archer’s Raphidiophrys pallida, und werde dieselbe besonders deshalb eingehend beschreiben, weil ich in der Erkenntniss des Baues hier weiter gekommen zu sein glaube, als Archer bei seiner Species. Während die Raphidiophrys viridis nach Archer’s Darstellung meistens Colonien von mehreren (bis 12 und darüber) einzelnen kugeligen Sarkodekörpern darstellt, so besteht der Körper von Ra- phidiophrys pallida stets nur aus einer einzigen, im Allgemeinen Rhizopodenstudien. 379 kugelig gestalteten, circa 0,08 Mm. im Durchmesser grossen, zäh- flüssigen, ziemlich stark lichtbrechenden, hyalinen Protoplasmamasse mit verschiedenen unten näher zu schildernden Einlagerungen !). Dieser kugelige Protoplasmakörper wird nun concentrisch um- schlossen von einem ihm entweder direct anliegenden oder etwas abstehenden Lager eigenthümlich gestalteter Kieselspicula, welche in scheinbar ganz regelloser Lagerung zusammen eine locker ge- fügte Hohlkapsel mit spitzen kegelförmigen äusseren Erhebungen bilden. Von der im Allgemeinen glatten Oberfläche des so um- schlossenen Weichkörpers gehen viele radiär gerichtete, fadenförmige, feine Pseudopodien nach allen Seiten hin ab, welche, nachdem sie die lockere äussere Skelethülle durchsetzt haben, ohne sich zu ver- ästeln oder mit einander zu verschmelzen, gradlinig nach aussen frei vorstehen und fein zugespitzt enden, an Länge den Körper- durchmesser meistens erheblich übertreffend. In der hyalinen Grundmasse des kugeligen Binnenkörpers lassen sich folgende Bildungen erkennen. Zunächst fallen die in zahlloser Menge vorhandenen kleinen Körnchen auf, welche dem ganzen Pro- toplasma ein trübkörniges Ansehen geben. Von diesen kleinen meist ziemlich stark lichtbrechenden Partikelchen, deren Natur schwer zu bestimmen ist, lassen sich grössere mattglänzende »Körner« unter- scheiden. Wenn ich diese letzteren auch nicht bei jedem Thiere fand, so waren sie doch in den meisten Fällen und oft recht zahl- reich vorhanden. Sie bestehen aus einer ziemlich stark lichtbrechen- den homogenen und daher etwas glänzenden Masse und stellen 0,004—0,005 Mm. im Durchmesser haltende kugelige glatt begrenzte Körperchen dar, welche in der äusseren Partie des Weichkörpers unregelmässig zerstreut liegen, jedoch niemals in die äusserste Grenz- 1) Dass die Grundlage des zunächst körnig erscheinenden Körpers wirklich aus einer einfachen gleichartigen hyalinen Substanz besteht, lässt sich am Besten in der äussersten Rindenschicht erkennen, aber auch aus fol- gender Erscheinung erschliessen. Bisweilen bricht an irgend einer Stelle der Oberfläche, besonders da, wo eine sich bewegende Beute durch die feinen Pseudopodien herangezogen wird, fast plötzlich eine lappig begrenzte hyaline Masse aus dem kugeligen Körper hervor, gleichsam auf die Beute zustürzend; wie das ähnlich bei anderen Heliozoen auch schon beobachtet ist, z. B. von Greeff bei Acanthocystis viridis (dieses Archiv Bd. V p. 484 und Taf. XXYVI Fig. 13). 380 Franz Eilhard Schulze: schicht vordringen. Der Gestalt, Grösse und Lage nach entsprechen sie also den sogenannten Chlorophylikörnern mancher anderen He- liozoen, so besonders der Raphidiophrys viridis und Acanthocystis viridis. Es schien mir fast, als ob sie bei besserer Ernährung der Thiere an Zahl und Grösse zunehmen, nach längerem Hungern dagegen schwinden, indessen muss dies erst noch durch genaue ex- perimentelle Untersuchungen festgestellt werden. Besonders wichtig erscheint mir die Wahrnehmung eines deut- lichen Kernes im Innern des Körpers. Derselbe fällt zunächst durch das kolossale, stark lichtbrechende, homogene und desshalb ziemlich glänzende Kernkörperchen (von etwa 0,01 Mm. Durch- messer) auf, welches glatt begrenzt, unregelmässig rundlich, oval oder knollig, ja zuweilen selbst zackig erscheint. Erst bei genauerer Betrachtung erkennt man an lebenden Thieren den hellen körnchen- losen schmalen Hof, welcher dies Kernkörperchen stets umgiebt und welcher sich durch einen so scharfen und glatten Contour von der umgebenden körnigen Masse absetzt, dass man zur Annahme einer Kernmembran gedrängt wird. Sicher lässt sich eine solche aller- dings nur nach der Einwirkung von Essigsäure erkennen. Der Kern als Ganzes hat eine ovale oder eiförmige, seltener mehr kugelige Gestalt und einen Durchmesser von circa 0,015 Mm. Höchst auf- fällig war mir von vorne herein seine ganz excentrische Lage. Während wir gewohnt sind, den Kern einer kugeligen Zelle im All- gemeinen in deren Mitte oder nahe der Mitte zu finden, ist derselbe bei Raph. pallida niemals in der Mitte, sondern stets in der Nähe der Peripherie gelegen. Häufig sieht man ihn mit seiner längeren Axe radiär gestellt, indessen kommen auch beliebige andere Orien- tirungen vor. Nur in höchst seltenen Fällen traf ich (und zwar mitten im Winter) statt eines zwei Kerne. Als ich mich nach einer Ursache für die eigenthümliche excentrische Lage des Kernes umsah und zu dem Zwecke das Centrum des ganzen Plasmakörpers wieder- holt genau betrachtete, entdeckte ich zu meiner Ueberraschung, dass auch hier, ähnlich wie bei Acanthocystis viridis nach der Dar- stellung von Grenacher !) und Greeff ’) ein aus feinen radiär 1) Zeitschr. für wissensch. Zoologie Bd. XIX p. 292 und Taf. 24 d. 2) Sitzungsberichte der Niederrhein. Gesellsch. für Natur- und Heil- kunde in Bonn vom 9. Jan. 1871. Rhizopodenstudien. 381 stehenden und im Centrum zu einem sternförmigen Stücke sich vereinigenden Stacheln bestehendes Skelet vorhanden ist. Bei Acanthocystis viridis hatte Grenacher im Centrum des ganzen Körpers eine »ziemlich grosse unregelmässig sternförmige, anscheinend mit wässriger Flüssigkeit erfüllte Höhle angetroffen«. In der Mitte derselben fand er »ein kleines blasses rundliches Kör- perchen, von welchem zahlreiche ebenfalls blasse feine grade Fäden wie Strahlen nach allen Richtungen verliefen«. Ueber jenen hellen Centralraum hinaus konnte Grenacher diese Fäden zwar nicht verfolgen, vermuthet aber einen Zusammenhang mit den zarten Axenfäden der Pseudopodien. Einen solchen Zusammenhang nimmt Greeffnicht nur bei Acanthocystis viridis, sondern auch bei Actinophrys sol als sicher an, indem er bei beiden Thieren ein System radiärer, im Centrum des Thieres zu einem sternförmigen Stücke (ähnlich wie bei den Astrolithien) sich vereinigender Stacheln beschreibt, welche über die Oberfläche des kugeligen Plasmakörpers als sogenannte Axenfäden der Pseudopodien hinausragen. Mit dieser Darstellung stimmen auch meine Wahrnehmungen in Betreff des inneren Ske- lets von Raphidiophrys pallida durchaus überein. Genau im Centrum des ganzen Thieres finde ich einen kleinen kugeligen, etwa 0,003 Mm. dicken Körper, von dem sehr viele feine. grade Stacheln nach allen Richtungen abgehn, das Protoplasma radiär durchsetzen und sich bis in die Pseudopodien hinein ver- folgen lassen. Besonders deutlich konnte ich dies ganze System an einem Thiere studiren, welches wahrscheinlich durch Schwefel- wasserstoff-Einwirkung abgestorben und dessen Weichkörper zu einer fast durchsichtigen Kugel aufgequollen war. Zwar waren hier die Pseudopodien längst eingezogen und das Kernkörperchen schon stark degenerirt, aber grade die radiären Stacheln und der kleine centrale kugelige Körper, in welchem sie alle verschmelzen, liess sich sehr gut erkennen. Von einem hellen Centralraum des Weichkörpers, wie Gre- nacher |. c. bei Acanthocystis viridis beschreibt, habe ich hier Nichts wahrnehmen können. Dass die radiären Stacheln und ihr kugeliger Verbindungskörper nicht etwa aus Kieselsäure, sondern ebenso wie dieradiären Stützstacheln der Actinosphaerium-Pseudopodien aus einer organischen Masse be- stehen, war zwar von vorne herein wahrscheinlich, konnte aber auch durch die mikrochemische Untersuchung vollständig sicher gestellt 382 Franz Eilhard Schulze: werden. Durch verdünnte Alkalien, Essigsäure und Mineralsäuren wurden sie gelöst, widerstanden dagegen interessanter Weise der Ein- wirkung verdünnter Flusssäure. Eine auffallende Erscheinung sind in dem kugeligen Weich- körper von Raph. pallida ferner die stets in grösserer Anzahl, 10 — 20, vorhandenen mit heller Flüssigkeit erfüllten pulsirenden Räume. Dieselben sind hier nicht, wie sonst gewöhnlich kugelig, sondern vielmehr in der Regel länglich eiförmig gestaltet und so gestellt, dass die lange Axe radiär, dabei das schmalere Ende nach innen gerichtet ist. Sie erscheinen gradezu zwischen den Radiärstacheln eingeklemmt. Alle liegen sie in der äusseren Partie und sind von der Oberfläche selbst oft nur durch eine dünne Protoplasmalage getrennt. Sehr deutlich habe ich ihr zeitweises entweder vollstän- diges oder partielles Collabiren mit folgendem Wiederanschwellen wahrnehmen können. Ich möchte hier wie bei Actinosphaerium ein Oeffnen des Raumes nach aussen mit vollständigem oder theil- weisem Austritt der Inhaltsflüssigkeit deshalb für höchst wahrschein- lich halten, weil sich bei der Profilbetrachtung erst ein langsames Vordrängen und dann nach erfolgtem Collapsus stets ein trichter- förmiges Einsinken der äusseren Wandung erkennen lässt; wobei durchaus kein schnelles Anschwellen der benachbarten hellen Räume oder der nächsten Umgebung bemerkt wird. Eine besondere mem- branöse Wandung konnte ich für diese Räume nicht constatiren. Es würde daher der Ausdruck »pulsirende Vacuole« eher am Platze sein als »contractile Blase«. Endlich können sich noch verschiedenartige Nahrungsmittel wie Diatomeen, kleine Algen etc. in wechselnder Menge vorfinden. Natürlich werden dieselben an einem Vorrücken gegen die Mitte durch die hier zusammenlaufenden Radiärstacheln gehindert und bleiben in der äusseren Region liegen. Als besonders charakteristisch für die Gattung Raphidiophrys wird der aus unzähligen locker durcheinander liegenden Nadeln ge- bildete äussere Skeletmantel gelten müssen. In den durchaus gleich- artig gebildeten spiculis haben wir solide, drehrunde, aber schwach gebogene, an beiden Enden allmählig und gleichmässig spitzaus- laufende und gleichmässig sowie ziemlich stark lichtbrechende Nadeln von geringer Dicke und circa 0,025 Mm. Länge vor uns. Dass die- selben aus Kieselsäure bestehen, beweist mit Sicherheit ihr Verhalten gegen Schwefelsäure und Flusssäure. Während sie nämlich der Rhizopodenstudien. 383 Einwirkung concentrirter Schwefelsäure ebenso wie derjenigen stär- kerer Alkalilösungen widerstehn, werden sie von Flusssäure selbst noch bei mässiger Verdünnung derselben leicht und vollständig gelöst !). Besteht demnach hinsichtlich der Gestalt und chemischen Natur der Nadeln von Raphidiophrys pallida. und derjenigen von Raph. viridis, welche Archer als »elongate, very slender, more or less curved, acutely pointed at each end, acicular spicula« charakterisirt, völlige Uebereinstimmung, so besteht dieselbe auch, trotz der etwas abweichenden Darstellung Archer’s in Betreff ihrer Lagerung und Anordnung. Sie bilden bei beiden Thieren einen lockeren Filz, welcher den weichen Binnenkörper kapselartig umschliesst. Archer vergleicht ihre Lagerung derjenigen eines lose hingeworfenen Haufen Stecknadeln und sagt, dass sie durchaus keine bestimmte individuelle Richtung haben. Ich kann dem für Raph. pallida insoferne bei- stimmen, als alle einzelnen Nadeln verschieblich sind und nachein- ander allerdings jede beliebige Richtung annehmen können, glaube aber doch darauf aufmerksam machen zu sollen, dass im Allgemeinen für die einzelnen Regionen der Skelethülle auch bestimmte Lage- rungsverhältnisse der Nadeln bestehen. Uebrigens möchte sich auch aus der von Archer gegebenen Zeichnung eine Uebereinstimmung der Nadelanordnung bei beiden Thieren ergeben. Während an der inneren, dem kugeligen Weichkörper zugewandten Partie des ganzen Nadelfilzes sämmtliche spicula ungefähr parallel der Kugeloberfläche oder richtiger tangential zu derselben gelagert und nie mit der Spitze gegen die Plasmakugel gerichtet sind oder gar in dieselbe 1) Ich kann diese Verwendung der Flusssäure zur Controlle für die negative Wirkung der Schwefelsäure beim Nachweis der Kieselsäure bei der- artigen mikrochemischen Untersuchungen empfehlen. Die sonst gewöhnlich ausschliesslich benutzte concentrirte Schwefelsäure löst zwar die Kieselsäure- bildungen nicht, aber sie löst auch manche aus chitinähnlichen Substanzen bestehenden Bildungen schwer oder gar nicht. Hat man nun nach Appli- kation concentrirter Schwefelsäure keine Lösung eintreten sehen, so wird man bei einem anderen Präparate derselben Art Flusssäure einwirken lassen. Wirkt diese lösend, so kann man sicher sein, wirklich Kieselsäure und keine orga- nischen Substanzen vor sich zu haben. Zwar wird bei der Anwendung der Flusssäure immer der Objectträger angeäzt und das Deckblättehen verdorben, aber es wird doch der Zweck erreicht. Natürlich muss man vorsichtig sein, damit die Objectivlinse nicht leidet, und darf besonders aus diesem Grunde keine starke, rauchende, sondern nur mässig verdünnte Flusssäure anwenden. 384 Franz Eilhard Schulze: eindringen, formiren sie an der äusseren Oberfläche, sich schräge oder fast senkrecht zur Kugelfläche um einzelne Pseudopodien auf- richtend, zahlreiche, auch von Archer erwähnte, kegelförmige Er- hebungen. Nach der Anschauung Archer’s sind nun die spicula einge- lagert in eine weiche, sehr bewegliche,. mehr oder minder intensiv gefärbte Sarkodeschicht, welche ähnlich der extracapsulären Sarkode der wahren Radiolarien hier wie bei den Gattungen Heterophrys, Pompholyxophrys (Hyalolampe, Greeff), Acanthocystis und Astro- disculus, die innere etwas derbere Plasmakugel als eine besondere, ihr dicht anliegende und von ihr nur durch einen scharfen Contur geschiedene Rinde umgeben soll. Von dem Vorhandensein einer solchen dünnfiüssigen Sarkoderinde habe ich mich weder bei Raphi- diophrys noch bei den andern genannten Gattungen überzeugen können. Allerdings sind die spieula von Raphidiophrys pallida durch eine weiche Sarkode sowohl mit den zwischen ihnen hindurch- tretenden Pseudopodien als auch untereinander hie und da lose verbunden, aber ich kann in derselben durchaus keine continuirliche äussere Rindenschicht, sondern nur den weicheren Sarkodeüberzug der Pseudopodienstacheln erblicken, welcher von dem kugeligen Binnenkörper auf diese letzteren und von da auf die mit ihnen in Berührung stehenden Kieselnadeln überfliesst und dieselben so- wohl mit den Pseudopodien als auch unter einander lose und leicht beweglich verlöthet. Eine solche weiche, von feinen Körnchen durchsetzte Pseudopodienrindenschicht lässt sich an den feinen gra- den, stets radiär gerichteten Scheinfüsschen leicht nachweisen. Ge- wöhnlich überzieht sie die ausserordentlich dünnen Axenstacheln, welche wegen ihres stärkeren Lichtbrechungsvermögens wie dunkle Striche aussehn, nur als ein gleichmässig dünner, erst durch die kleinen langsam strömenden Inhaltskörnchen überhaupt bemerk- barer Ueberzug, häuft sich jedoch gar nicht selten hie und da in spindelförmigen oder unregelmässig rundlichen Klümpchen an, welche dann die bekannte Reise auf und nieder mitmachen, bis sie sich schliesslich entweder wieder vertheilen oder in den Körper zurück- fliessen. Durch die strömende Rindensarkode der Pseudopodien wer- den einzelne Kieselnadeln ganz isolirt oft mehr oder minder weit. hinausgetragen (Taf. XXVI Fig. 1). Ich nehme an, dass eine Menge von Lücken zwischen den Kieselstacheln übrig bleiben, durch welche das Wasser frei zu der Oberfläche des kugeligen Plasmakörpers Rhizopodenztudien. 385 dringen kann. Wäre aber wirklich eine compacte Sarkodemasse zwischen den spiculis vorhanden, so stünde dieselbe doch mit dem kugligen Binnenkörper keineswegs in der von Archer angenomme- nen unmittelbaren Verbindung, denn ich habe sehr häufig einen mit Wasser erfüllten hellen Zwischenraum zwischen beiden Theilen, dem kugeligen Plasmakörper einerseits und dem Kieselnadellager andrerseits gesehen, welcher nur von den Pseudopodien durchsetzt war. Taf. XXVI Fig. 1. Wer nun die vorstehende Beschreibung des von mir studirten Rhizopoden mit der Darstellung, welche Archer von seiner Raphi- diophrys viridis giebt, genau vergleicht, der wird vielleicht Zweifel hegen, ob ich wirklich berechtigt sei, das betreffende 'Thier jener Species Archer’s so nahe verwandt zu halten. In der That giebt Archer von allen den Dingen, welche ich in dem kugeligen Körper auffand, fast gar nichts an. Er sah weder den Strahlenstern im Centrum, noch die vielen pulsirenden eiförmigen Hohlräume, noch auch den Kern mit seinem so bedeutenden Kernkörperchen und statt der farblosen Körner eine grosse Menge zwar ähnlich gestalteter und ziemlich gleich grosser, aber intensiv grün gefärbter sogenannter Chlorophylikörner. Aber grade diese grosse Menge undurchsichtiger Elemente der letzteren Art musste ihm die übrigen darunter und dazwischen gelegenen Theile vollständig verbergen, um so mehr als die Thiere, welche er untersuchte, gewöhnlich Colonien von mehreren einzelnen Kugeln, eingebettet in reichliche Kieselnadelanhäufungen, darstellten. Dagegen stimmt die so charakteristische Form und An- ordnung der Kieselnadeln, die Bildung der Pseudopodien und die äussere Erscheinung des kugeligen Weichkörpers so vollständig überein, dass ich sogar lange zweifelhaft war, ob sich wohl die beiden Formen so scharf unterscheiden und so weit auseinander stehen, dass man sie bei einer mittleren Ausdehnung des Speciesbegriffes als zwei gesonderte Arten zu trennen habe; indessen scheint es doch, als ob der gänzliche Mangel der Färbung sowohl an den Körnern als an der Kieselnadelhülle, sowie das Fehlen jeder Neigung zum Coloniebilden immerhin so lange als charakteristische Species- eigenthümlichkeit für unser Thier wird gelten müssen, bis es sich bei weiter ausgedehnter Kenntniss beider Formen herausgestellt haben wird, in wie weit jene Charaktere beständig sind. Ss Franz Eilhard Schulze: 2. Heterophrys varians, nov. spec. Von den mir bekannt gewordenen Heliozoen des süssen Wassers wähle ich zur speciellen Beschreibung noch eine, meines Wissens neue Form aus, welche ich sowohl bei Graz als bei Rostock nicht selten an abgestorbenem Ceratophyllum und anderen oft mit Diatomeen reich besetzten verwesenden Pflanzentheilen gefunden habe. Ich habe dieselbe in zwei verschiedenen Zuständen angetroffen, theils vollständig nackt, hüllenlos, theils umgeben von einer ziemlich breiten glashellen und structurlosen Rindenschicht, welche von der äusseren Oberfläche mit einer einfachen Lage kleiner stark lichtbrechender Körnchen beklebt erschien und von den radiären Pseudopodien durchsetzt wurde. Betrachten wir zunächst das Thier in seinem hüllenlosen frei beweglichen Zustande, so sehen wir einen glattrandigen Sarkode- körper von etwa 0,06 Mm. Durchmesser mit vielen meistens radiär abgehenden, zum Theil schwach verästelten hellen Pseudopodien vor uns, welcher indessen nur in der Ruhelage eine bestimmte, an- nähernd kugelige Form zeigt, gewöhnlich dagegen bei den lebhaft vor sich gehenden Kriechbewegungen seine Gestalt in der Weise mannichfach verändert, dass aus der einfach kugeligen eine unregel- mässig ovale, birnförmige, lappige oder sternförmige hervorgeht, aber nach einiger Zeit immer wieder in die annähernd kugelige zu- rückkehrt. Die Grundlage des ganzen Körpers ist auch hier eine hyaline zähflüssige Sarkode, wie sie sich zwar am reinsten in den hier niemals Körnchen führenden, auch nicht mit einem Axenfaden versehenen gleichmässig hyalinen Pseudopodien darstellt, aber auch in der Rändpartie des Körpers selbst oft deutlich erkannt werden kann. In dieser hellen contractilen Grundlage finden sich jedoch so viele kleinere und grössere stärker lichtbrechende Körnchen ein- gelagert, dass eine körnige Trübung fast der ganzen Körpersubstanz herbeigeführt wird. An den der Untersuchung günstigen Individuen konnte ich sehr deutlich als solche erkennbare Kerne und zwar gewöhnlich 3—6 wahrnehmen. Sie bestanden aus einem kugeligen stark licht- brechenden homogenen Kernkörperchen von mässiger Grösse und einem dieses umgebenden schmalen hellen Hofe. Die äussere Be- grenzung des letzteren liess sich erst durch Anwendung von Essig- säure als eine scharf markirte Membran zur Anschauung bringen. Rhizopodenstudien. 387 Stets lagen diese Kerne in der Tiefe des Protoplasma, niemals nahe der Oberfläche, doch so, dass sie möglichst weit von einander entfernt waren. — Als höchst auffällige, aber durchaus nicht immer vorhandene Einlagerungen sind ferner die oft in sehr grosser Menge unterhalb der Randzone liegenden rundlichen Körner von starkem Lichtbrechungsvermögen und meistens bräunlicher oder grünlicher Färbung zu erwähnen, wie sie ja bei so vielen Heliozoen entweder constant oder nur zu Zeiten gefunden werden. Eine besondere Beachtung verdienen die mit wässriger heller Flüssigkeit erfüllten pulsirenden Hohlräume oder Vacuolen, welche mit Ausnahme jener Fälle, in denen eine übermässige An- häufung von Körnern jeden Einblick in die Körpermasse verhindern musste, stets deutlich zu sehen waren. Sie fanden sich in sehr wechselnder Zahl hauptsächlich in der Randpartie nach aussen von den Körnern, zum Theil auch zwischen denselben. Bisweilen waren nur einzelne grössere vorhanden, welche sich in ähnlicher Weise wie die gleichen Bildungen bei Raphidiophrys im Zustande der höchsten Füllung nach aussen vordrängten, dann plötzlich vollständig oder theilweise collabirten, um sich von Neuem langsam mit heller Flüssigkeit zu füllen, sich wieder zu entleeren und so fort. Nicht selten aber war ihre Zahl so gross, dass ein fast schaumiges Aus- sehn der Randschicht entstand, Taf. XXVI Fig. 2. In solchen Fällen ist es mir nicht möglich gewesen, zu entscheiden, ob alle diese Vacuolen pulsirten oder nicht. Endlich wurden gewöhnlich Nahrungsmittel verschiedener Art, besonders Diatomeen, Algen sowie unförmige Klümpchen, wahr- scheinlich halbverdaute Reste weicher Nahrungskörper, in sehr wechselnder Menge nach innen von der Körnerzone zwischen den Kernen mitten in der Protoplasmamasse gefunden. Die meisten der, wie schon oben erwähnt, ganz hyalinen, des Axenfadens entbehrenden Pseudopodien entsprangen verhältnissmässig breit von der Körperoberfläche und liefen, sich hin und wieder spitz- winklig theilend, in unmessbar feine Spitzen aus. Ihre Beweglich- keit erschien bedeutender als bei anderen Heliozoen; auch hielten sie durchaus nicht immer die streng radiäre Richtung ein, sondern wichen oft sehr erheblich von derselben ab. (Taf. XXVI Fig. 3.) Aus dem so beschaffenen nackten Rhizopoden, welcher als sol- cher noch keine besondere Aehnlichkeit mit den von Archer mit dem Gattungsnamen Heterophrys belegten Thierformen zeigt, ent- 388 Franz Eilhard Schulze: steht nun durch Ausscheidung einer weichen Hülle ein Gebilde, auf welches, wie ich unten zeigen werde, der von Archer für Heterophrys aufgestellte Gattungscharakter hinlänglich passt, um das Thier dorthin zu stellen. Es gelang mir, die Umwandlung der nackten in die umhüllte Form direet nachzuweisen. Aus einigen auf dem Objeetträger mit wenigen kleinen grünen Algen in verhält- nissmässig viel Wasser isolirt gehaltenen und in der feuchten Kammer aufbewahrten hüllenlosen Thieren waren nach einigen Tagen ohne sonstige Aenderung des inneren Baues umhüllte entstanden. Auch konnten mehrmals Individuen beobachtet werden, welche auf der einen Seite schon eine zarte helle Rindenschicht ausgeschieden hatten, an der andern dagegen völlig nackt waren. Mit der Ausscheidung der hellen Rinde scheint zwar die freiere Beweglichkeit und besonders die Fähigkeit zu weitgehenden Form- veränderungen des Körpers bedeutend vermindert, im Uebrigen aber keine tiefer greifende Metamorphose verbunden zu sein; wenigstens zeigt sich der Plasmakörper innerhalb der Hülle durchaus nicht verändert. Wenn ich nun gleich über die chemische Constitution der voll- ständig glashellen, dem Körper überall dicht anliegenden Hülle keinen Aufschluss geben kann, so muss ich doch aus meinen Beob- achtungen den Schluss ziehen, dass sie keineswegs eine zu selbst- ständigen Bewegungen fähige Sarkode darstellt, sondern nur eine etwa den Gallerthüllen vieler niederen Algen in ihrem Verhalten vergleichbare gallertige Substanz, welche stets nur passiv von den Bewegungen des inneren Körpers und der sie durchsetzenden Pseu- dopodien affieirt wird, Auch über die Natur der kleinen dunkeln Körnchen, welche ihre äussere Oberfläche bedecken, bin ich nicht ins Klare gekommen. Bisweilen wird beim Vordringen einzelner besonders dicker Pseudopodien diese gallertige Masse sammt ihrer Körnchenbedeckung kegel- oder zipfelförmig vorgezogen. Dadurch entsteht dann eine mehr zackige Peripherie, ähnlich wie bei dem von Archer als Heterophrys Fockii (im Quarterly journal of mi- croscop. science Vol. IX auf Pl. XVI Fig. 3) dargestellten oder bei dem von Greeff (in seiner Fig. 35 auf Taf. XXVII des Bd. V dieses Archivs) abgebildeten Thiere, welches er für eine Entwick- lungsform von Acanthocystis viridis zu halten geneigt ist. Endlich will ich noch erwähnen, dass ich bei meinen Züchtungs- versuchen gar nicht selten einzelne Individuen ihren gesammten Rhizopodenstudien. 389 Nahrungsinhalt ausstossen, die Pseudopodien einziehen und nach dem Verschwinden der Körner sowie der puilsirenden Vacuolen in einen Ruhezustand mit kugeliger Form übergehen sah, wie er auf Taf. XXVI in Fig. 5 dargestellt ist. Weitere Veränderungen konnte ich leider nicht beobachten, weil die Thiere nach einiger Zeit stets zu Grunde gingen. Bei dem Versuche, dies von mir vielfach beobachtete Thier unter die schon beschriebenen Former einzureihen, fand ich, dass der von Archer aufgestellte Charakter seiner neuen Gattung He- terophrys es gestattet, diese Art in jener Gattung unterzubringen. Im Quarterly journal of mieroscop. science Vol. X p. 107 giebt Archer folgende Charakteristik der Gattung Heterophrys: »Rhizopod, composed of two distinct sarcode regions — the inner onear several dense, globular sarcode masses often bearing colouring granules — the outer forming a complete investment thereto, more or less coloured, not enclosing any spieula or differentiated struc- tures, but giving ofl at the circumference marginal processes, and allowing the passage forth from the inner sarcode mass of nume- rous linear, elongate, granuliferous, non-coaleseing pseudopodia«. Man sieht, dass ausser der Vorstellung des selbstthätigen Vor- treibens äusserer Fortsätze von Seiten der Hülleninasse, welche Vorstellung eben mit der Annahme Archer’s von der Sarkode- natur der hellen Rinde zusammenhängt und der Angabe, dass die Pseudopodien Körnchen führen sollen, die Charaktere wesentlich stimmen. Von den beiden Species, welche Archer beschreibt, Hetero- phrys Fockii und myriopoda soll die erstere pulsirende Vacuolen besitzen. Es ist sogar nicht undenkbar, dass unsere Heterophrys varians von der Heterophrys Fockii nicht so wesentlich verschieden ist, dass es zweckmässig sei, sie als eine eigene Art hinzustellen ; doch lässt sich einstweilen die vollständig hyaline und ganz farblose Hülle von Heterophrys varians nicht in hinreichende Uebereinstim- mung bringen mit der als »not homogeneous, but showing various lines, dots, granules and inaequalities« geschilderten bräunlichen Rinde von Heterophrys Fockii. 3. Lithocolla globosa, nov. gen., nov. spec. In dem sandigen Bodensatze, welchen ich beim Abspülen 390 Franz Eilhard Schulze: lebender Algen und Muscheln vom ÖOstseestrande bei Warnemünde und vom Bollwerke der Warnowmündung erhielt, fand sich neben verschiedenen anderen später zu besprechenden Rhizopoden auch nicht selten eine kleine mit Sandkörnchen dicht besetzte kugelige Form von eirca 0,053 Mm. Durchmesser. Schwerlich hätte ich dieselbe als einen lebenden Organismus erkannt, wenn ich nicht zufällig einmal beim Durchmustern einer auf dem Objectträger ausgebreiteten Sandpartie die Wahrnehmung gemacht hätte, dass ein im Uebrigen nur durch seine matt kirschrothe Färbung auf- fälliges Sandkörnchenglomerat sich plötzlich unter meinen Augen langsam selbstständig fortzukugeln begann. Als ich nun mit stär- keren Vergrösserungen das Gebilde genauer untersuchte, fand ich eine grosse Anzahl sehr dünner, nach allen Seiten radiär ab- stehender grader Pseudopodien von wechselnder, etwa das Doppelte des Kugeldurchmessers erreichender Länge, welche unmessbar fein auslaufend hier und da einen Körnchenbesatz erkennen liessen. Mit diesen zarten Scheinfüsschen heftete sich das Thier an feste Körper seiner Umgebung so an, dass es sich frei im Wasser schwebend er- hielt und beim Fortbewegen beständig um irgend eine horizontale Axe rotirte. ; Die nähere Betrachtung des Körpers lehrte, dass derselbe über und über mit scharfeckigen zum grössten Theil frei nach aussen vorstehenden Kieselstückchen verschiedener Grösse besetzt war, so dass das Ganze eine unregelmässig höckerige und zackige Ober- fläche zeigte. Zwischen den grösseren Sandkörnchen liessen sich kleinere in der Tiefe eingefügt erkennen. Die Pseudopodien er- schienen ziemlich starr und besassen keine Neigung zum Verschmelzen. Sie traten stets zwischen den Kieselstückchen hervor, obwohl man entsprechende Lücken wegen der dunkeln Conturen der letzteren nicht direct wahrnehmen konnte. | Hiernach musste ich zunächst vermuthen, dass ich einen den Süsswasserheliozoen ähnlichen Rhizopoden mit einem Sandkörnchen- gehäuse vor mir hatte, wie es sich bei den Difflugien und manchen Foraminiferen z. B. den Lituoliden findet; aber schon bei dem Ver- suche diese zunächst als starr angenommene Hülle durch Druck zu sprengen, um ein Urtheil über das Innere zu gewinnen, fiel es mir auf, dass sich zwar der ganze Körper leicht zerdrücken liess, dass dabei aber keineswegs die Sandkapsel in einzelne Hohlkugelstücke zerfiel und den inneren Weichkörper frei werden liess, sondern, dass die Rhizopodenstudien. 391 kugelige Masse nur in eme plattkuchenförmige oder gestreckte über- ging und bei fortgesetztem Drucke schliesslich zu einem unförmigen breiigen Gemenge von halbweicher feinkörniger Sarkode und einge- drückten Sandstückchen wurde, in welchen sich von etwaigen an- deren Formelementen auch im Falle ihres Vorhandenseins schwerlich etwas hätte wahrnehmen lassen. Die durch dieses eigenthümliche Verhalten geweckte Vermu- thung, dass vielleicht die Sandstückchen hier nicht wie bei den Li- tuoliden oder Difflugien fest verleimt, sondern nur lose verklebt, oder selbst gar nicht verbunden, sondern nur locker an einander liegend dem Sarkodekörper einfach angefügt sein möchten, wurde durch folgende Beobachtung bestätigt. Eines Tages fand ich ein Klümpchen kleiner Sandkörner, von welchem es mir anfangs zweifelhaft erschien, ob es ein Thier ent- halte oder nicht, weil die gewöhnlich vorhandene kirschrothe Fär- bung der inneren Partie kaum bemerkbar war, und ich die Pseudo- podien sowie jegliche Bewegung vermisste. Indessen während ich noch das Object prüfend fixirte, sah ich langsam an einer Seite sich eine Vorwölbung bilden, welche allmählig an Höhe zunahm. Als- dann schoben sich auf dem Gipfel dieses Höckers die Sandstückchen ein wenig auseinander und die Contur eines blasenartigen kugeligen Körpers mit wasserhellem Inhalte wurde bemerkbar. Dieses Bläs- chen, welches der Membran einer einzelligen Alge glich, rückte darauflangsam zwischen den auseinander weichenden Kieseltheilchen weiter hervor und wurde schliesslich gänzlich ausgestossen. Dann legten sich die Sandkörnchen wieder aneinander, und nun traten auch die feinen Pseudopodien von allen Seiten zwischen denselben hervor. (Taf. XXVL Fig. S—10.) | Ich bin nicht zweifelhaft, dass essich hier um Ausstossung eines Fäcalkörpers handelte, und dass in umgekehrter Weise die von den Pseudopodien herbeigezogene Nahrung auch in das Innere der lockeren Steinchenhülle aufgenommen wird, obwohl ich den letz- teren Vorgang, die Nahrungsaufnahme, nicht direct beobachten konnte. Während bei den meisten Thieren dieser Form die Sand- stückchen der Hülle so dicht an einander lagen, dass man nicht einmal die doch vorhandenen Lücken zwischen denselben erkennen konnte, habe ich einige Male von den nämlichen Fundorten Orga- nismen von der gleichen Gestalt und Grösse sowie auch mit der- 392 Franz Eilhard Schulze: selben Pseudopodienform erhalten, welche nur vereinzelte Kiesel- stückchen und in einein Falle darunter sogar eine vereinzelte Dia- tomeenschaale der Oberfläche des halbweichen kugeligen Sarkode- körpers an- oder richtiger halb eingefügt zeigten. (Taf. XXVI. Fig. 6.) Diese letzteren seltenen Individuen besassen nicht die röth- liche Färbung des Weichkörpers, welche die dicht umhüllten meistens auszeichnete, sondern waren ganz farblos. Leider gelang es auch bei ihnen nicht, den eigentlichen Bau des Thieres zu erkennen, nicht einmal, die Frage zu entscheiden, ob ein Kern vorhanden. Aus diesem Grunde muss die systematische Stellung dieses Rhizo- poden einstweilen unbestimmt bleiben. Ich nenne ihn Lithocolla globosa (Ar$0x04Aog mit Steinchen besetzt), und empfehle ihn den Östseezoologen zu weiterem Studium. 4. Actinolophus peduneulatus, nov. gen., nov. spec. An dem Chitinskelet der vor Warnemünde auf Fucus, Zostera und anderen Meerespflanzen häufigen Gonothyrea Loveni, Allman, so wie an verschiedenen anderen Hydroidpolypen, ja sogar hin und wieder an zarteren Algen fand ich zu allen Jahreszeiten, besonders aber im Sommer ein mit einem Stiele festsitzendes Thier, welches zwar im äusseren Habitus sehr an gewisse, häufig mit ihm zugleich vorkommende Podophryen erinnert, aber, wie die folgende Beschrei- bung ergeben wird, keineswegs zu den Acineten, sondern nur zu den Rhizopoden gestellt werden kann. An demselben lassen sich, wie an der oben beschriebenen Heterophrys zwei Zustände unterscheiden, deren einer durch den Mangel einer deutlichen Skelethülle, der an- dere durch den Besitz einer solchen charakterisirt ist. Beginnen wir unsere Darstellung mit der skeletlosen Form, so haben wir hier zu unterscheiden den Stiel, denKörper und die von dem letzteren abgehenden Pseudopodien. Der Stiel ist drehrund, 0,06—0,1 Mm. lang, und hat einen Durchmesser von 0,003—0,004 Mm. Mit einem querabgestutzten unteren Ende steht er ohne Verbreiterung, Basalplatte oder der- gleichen, auf der Unterlage fest auf und trägt an dem ebenfalls wie Rhizopodenstudien. 393 quer abgeschnittenen peripherischen Ende den bedeutend breiteren Körper. Er ist vollständig farblos, durchsichtig, glashell. Dass eine zarte äussere röhrenförmige Scheide von chitinartiger Be- schaffenheit einen schwächer lichtbrechenden Inhalt umschliesst, folgere ich aus dem Umstande, dass die Randschicht bei Anwendung starker Vergrösserungen doppelt conturirt erscheint. Im Innern lassen sich in ziemlich gleichem Abstande von der Peripherie so- wohl wie von einander mehrere (gewöhnlich 3) durchaus parallele grade Längslinien erkennen. Zuweilen schien es mir, als ob diese einfachen zarten Linien durch die ganze Länge des Stieles gleich- mässig deutlich zu verfolgen seien, während sie in anderen Fällen nur auf den peripherischen Endtheil beschränkt waren, und der untere Theil durchaus nichts von ihnen erkennen liess. Der Körper hat gewöhnlich die Form einer Birne und sitzt wie eine solche mit dem verschmälerten Ende auf dem Stiele, doch kann er bei der nicht unerheblichen Contractilität seiner Masse auch verschiedene abweichende Gestalten, von der Eiform bis zur Kugel- form, annehmen. Stets bleibt er, abgesehen von den Pseudopodien, glatt und einfach begrenzt. Seine Längs-Dimension beträgt 0,02 — 0,03 Mm., seine Breite etwa 0,015 Mm. Die von vielen feinen und gröberen stark lichtbrechenden Körnchen durchsetzte hyaline zäh- flüssige Grundmasse zeigt den Charakter der gewöhnlichen Rhizo- podensarkode. Eine besondere Membran oder eine abgesetzte helle Rindenschicht habe ich an der Oberfläche nicht wahrnehmen können. Im Innern lassen sich folgende bemerkenswerthe Gebilde erkennen. Zunächst findet sich stets ein Kern, welcher ebenso sehr durch sein kolossales Kernkörperchen als seine eigenthümliche excentrische Lage auffallen muss. Das gewöhnlich ovale, selten mehr kugelige, homogene und ziemlich stark lichtbrechende glattrandige Kernkör- perchen hat einen Durchmesser von 0,003—0,004 Mm. und zeigt um sich einen schmaleren hellen körnchenlosen Hof, dessen äussere, einer Kernmembran wahrscheinlich entsprechende Grenzcontur sich übrigens erst nach Essigsäureeinwirkung scharf markirt und dann doppelt conturirt erscheint, am lebenden Thiere aber stets von den Körnchen der umgebenden Sarkode verdeckt wird. Niemals findet sich der Kern central oder auch nur innerhalb des breiteren Haupt- theiles, sondern stets in dem schmaleren Basaltheile des Körpers gelegen und auch hier nicht in der Längsaxe, sondern seitlich, etwa in der Mitte zwischen der Axe und der äusseren Körpergrenze. M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10, 26 394 Franz Eilhard Schulze: Dagegen lässt sich im Centrum des vorderen breiteren Körpertheiles in einer etwas dunkleren aber weniger grobe Körnchen enthaltenden Sarkodepartie ein Gebilde wahrnehmen, über dessen Natur ich leider wegen der dunkelen Umgebung nicht volle Sicherheit habe gewinnen können. Es erscheint wie eine dunkle Kugel von circa 0,001 Mm. Durchmesser und entspricht in den meisten Fällen seiner Lage nach etwa dem Kreuzpunkte der Pseudopodien. Zuweilen glaubte ich sogar feine Linien von derselben aus zu den Pseudo- podien verfolgen zu können, indessen war doch in den meisten Fällen von solchen Linien so wenig zu sehen, dass ich ihr Vorhandensein nicht bestimmt behaupten kann. Auch über die Frage, ob sich die inneren feinen Parallellinien des hellen Stieles in den Körper hinein fortsetzen, wie es hin und wieder schien, bin ich nicht zur Ent- scheidung gelangt, da in vielen Fällen dies Eintreten derselben in die Körpersubstanz durchaus nicht erkannt werden konnte. Während die oben erwähnten feinen und gröberen Körnchen, der excentrische Kern und jenes centrale kugelige Körperchen nie- mals fehlen, treten gewisse durch orangerothe Färbung auffallende Partikelchen zwar nicht constant aber doch sehr häufig im Körper auf. Dieseiben haben keineswegs das Aussehn, wie die bei vielen Heliozoen zu findenden rundlichen glatten, häufig gefärbten »Körner«, sondern stellen sehr unregelmässig geformte rauhe Stückchen von verschiedener, höchstens einen Durchmesser von 0,001 Mm. errei- chender Grösse vor und finden sich niemals in dem dunkleren cen- tralen, sondern nur in dem körnigen äusseren Theile des Körpers. Häufig sind sie so zahlreich vorhanden, dass der ganze Körper braun- roth aussieht, gewöhnlich aber mehr vereinzelt getrennt (Taf. XXVII. Fig. 1); auch können sie zuweilen ganz fehlen. Grössere Nahrungsstücke habe ich nur selten im Körper an- getroffen und zwar lagen sie dann in der äusseren Partie desselben zwischen den Farbstofftheilchen. Ich will noch besonders darauf aufmerksam machen, dass ich niemals eine pulsirende Vacuole oder Blase gesehen habe, obwohl ich danach forschte. In Betreff der zahlreichen Pseudopodien hebe ich zunächst als das Merkwürdigste hervor, dass sie nur an dem äusseren von dem Stiele abgewandten Theile des Körpers, niemals an dem Stielende vorkommen. Nach dieser Eigenthümlichkeit habe ich den Gattungs- namen des Thieres Actinolophus, Strahlenschopf (von axzig Strahl Rhizopodenstudien. 395 und Aögog Schopf) gebildet. In der Regel strahlen die Pseudo- podien in der Richtung der Kugelradien von dem etwa ?/; des ganzen Körpers ausmachenden vorderen mehr kugelig gewölbten Theile aus, zuweilen sah ich sie auf die vorderste Oberflächenpartie be- schränkt, mehr büschelförmig gestellt. Es werden diese Differenzen der Stellung wohl von den Contractionszuständen und den dadurch bedingten Gestaltveränderungen der ganzen Körpermasse abhängen. Alle Pseudopodien sind ausserordentlich fein, enden zugespitzt und können sehr lang, bis zu 0,1 Mm. und darüber, ausgestreckt werden. An einem dünnen Axentheil hängen Körnchen und kleine Klümpchen feinkörniger Masse. Ob wirklich ein festerer Axenfaden und eine diesen umhüllende weiche Rindenschicht vorhanden ist, _ dies sicher zu entscheiden, reichten meine optischen Hülfsmittel nicht aus. Der ganze Eindruck spricht aber dafür. Ein Ver- schmelzen der Pseudopodien habe ich nur in einzelnen Fällen beob- achten können, und zwar entweder nach gewissen mechanischen In- sulten, wobei dieselben gegen einander gedrängt worden waren, (Taf. XXVI. Fig. 4), oder beim Herbeiziehen eines Nahrungsmitteis, um welches sich mehrere zusammenlegten (Taf. XXVU. Fig. 5). Sehr auffallend war mir der Umstand, dass niemals ein vollständiges Zurückziehen der Pseudopodien in die Körpermasse beobachtet werden konnte. Nach Erschütterungen oder Reizungen anderer Art fand zwar ein Einziehen Statt, aber immer nur bis zu einer ganz be- stimmten Entfernung von der Körperoberfläche, so dass ein Kranz gleich langer Strahlen (von circa 0,007 Mm. Länge) sich bildete, deren äussere Enden eine Anhäufung zusammengezogener körniger Sarkode zeigten (Taf. XXVII. Fig. 6). Es lässt sich nicht leugnen, dass die Thiere grade in solchem Zustande eine grosse äussere Aehnlichkeit mit gewissen Podophryen besitzen. Lange Zeit habe ich mir das ganze Phänomen nicht erklären können, bis ich schliess- lich durch andere Erfahrungen zu der Ueberzeugung geführt wurde, dass höchst wahrscheinlich eine schwer oder gar nicht sichtbare Gallerthülle den Körper auch dann umgiebt, wenn er scheinbar nackt ist, und dass diese, das plötzliche Einziehen der ganzen Pseu- dopodien verhindernd, zu einer Anhäufung der körnigen Substanz an ihrer Aussenfläche führt. Neben den so beschaffenen Thieren kommen nun andere vor, an welchen eine deutliche äussere Hülle und gleichzeitig ge- wisse andere Veränderungen wahrnehmbar sind, die auf einen, mög- 396 Franz Eilhard Schulze: licher Weise von einer Theilung gefolgten, Ruhezustand hindeuten. Zunächst lässt sich an einzelnen Individuen eine Gallerthülle, wie sie für die früher beschriebenen Formen nur aus den so eigenthüm- lichen Retractionserscheinungen der Pseudopodien erschlossen werden konnte, wirklich unmittelbar erkennen; und zwar erscheint dieselbe mit einer einfachen äusseren Randcontur abgegrenzt, welche conti- nuirlich in die Grenzlinien des Stieles übergeht. Dieser vollständig durchsichtige, sich eben nur durch seine Grenzeontur markirende Gallertmantel umhüllt den Körper unmittel- bar und allseitig. Er wird nur durchsetzt von den feinen dunkeln Parallellinien, welche aus dem Stiele hervorkommend sich in die Körpersarkode hinein verlieren, sowie von den Pseudopodien. Eine weitere Ausbildung der Hülle sehen wir in anderen Fällen, in welchen sich an der äusseren Oberfläche des Gallertmantels eine Lage sehr zarter feiner Plättchen von starkem Lichtbrechungsver- mögen erkennen lässt, von der auch eine directe Fortsetzung auf den Stiel übergeht (Taf. XXVLU. Fig. 7). Später werden diese Plätt- chen, deren Randconturen zunächst noch nicht deutlich erkennbar sind, derber und stellen sich schliesslich als feste, ziemlich regulär sechseckige Platten dar. In ihrer Gesammtheit formiren sie ein annähernd kugeliges, ovoides oder birnförmiges Gehäuse, welches sich direct in eine gleichartige röhrenförmige Bekleidung des Stieles fortsetzt. Auffallend ist es, dass die Platten nicht mit ihren Seiten- rändern unmittelbar aneinander stossen, wenigstens habe ich zwischen denselben stets ein sie vollständig trennendes System schmaler heller Zonen gesehen (Taf. XXVI. Fig. 9), welche nur aufgefasst werden können, entweder als Zwischenräume zwischen den alsdann isolirt gelegenen Platten oder als dünnere Partien einer continuir- lichen membranösen Hülle. Die Platten bestehen, wie sich durch ihre Unlöslichkeit in concentrirter Schwefelsäure und ihre schnelle und vollständige Löslichkeit in Flusssäure herausgestellt hat, aus Kieselsäure. Ob nach der völligen Ausbildung derselben noch die alte Gallertlage zwischen ihnen und der Oberfläche des eigentlichen Körpers sich erhält, bin ich ausser Stande anzugeben. Von den Veränderungen, welche gleichzeitig mit der Ausbildung dieser äusseren Kieselplattenhülle an dem Weichkörper des Thieres vor sich gehen, konnte ich Folgendes ermitteln. Zunächst tritt mit grosser Beständigkeit eine Zweitheilung des Kerns ein. Dieselbe leitet sich regelmässig mit einer Streckung, Rhizopodenstudien. 397 nachfolgender Bisquitformbildung und schliesslichem Zerfall des Kern- körperchens in zwei Stücke ein, deren jedes mit einem besonderen hellen Hofe umgeben ist. Diese beiden neugebildeten Kerne rücken alsdann auseinander. Während dessen können die Pseudopodien noch völlig unverändert ausgestreckt bleiben; wie ich denn gar nicht selten Thiere gesehen habe, welche schon mit einer deutlichen Anlage des Kieselplattenbogens versehen waren, aber die Pseudo- podien ungehindert zwischen denselben vortretend zeigten (Taf. XXVII. Fig. 7). Bei der weiteren Ausbildung der sechseckigen Platten werden dann aber die Pseudopodien vollständig eingezogen, und es verschwindet gleichzeitig der kleine dunkle kugelige Centralkörper. Durch den letzteren Umstand scheint auch das Hinderniss für das _ Eintreten des Kerns in die mittlere Region des Plasmakörpers be- seitigt zu sein, denn von nun an kann man die beiden vorhandenen Kerne in jeder beliebigen Region des Körpers antreffen (Taf. XXVI. Fig. 8). Hinsichtlich des Stieles muss ich erwähnen, dass derselbe an allen eingekapselten Thieren erheblich kürzer und dicker gefunden wurde als bei den nackten. Wenn nun gleich die letztere Eigen- schaft aus einer auch hier erfolgten Gallertabscheidung erklärbar wird, so bleibt es doch in Betreff der grösseren Kürze unentschieden, ob dieselbe durch eine wirkliche Verkürzung des früher längeren Stieles herbeigeführt ist, was wahrscheinlich, oder ob nur die von vorne herein sehr Kurzgestielten Thiere sich früher einkapselten oder mit ihrer Kapsel besser erhielten. Die Verbindung des axialen, durch die feinen längslaufenden Parallellinien ausgezeichneten inneren Stieltheiles mit dem Sarkode- körper bleibt erhalten; ja es lassen sich sogar grade an einge- kapselten Thieren die betreffenden Parallellinien bisweilen sehr deut- lich in den Weichkörper hineinverfolgen !) (Taf. XXVII Fig. 8). 1) Ob oder wie weit ein von Strethill Wright in Annals and magazine of natural history 1861. Vol. VIII. pag. 123 beschriebenes und auf Pl. V. Fig. 10 daselbst abgebildetes Thier, Lecythia elegans (Wright), mit meinem Actinolophus pedunculatus übereinstimmt, kann ich wegen der allzukurzen Beschreibnng und der die innere Organisation völlig unberücksichtigt lassenden Abbildung Wright’s nicht bestimmen. Dasselbe fand sich auf Sertularia pumila und wurde von Wright l. c. folgendermassen charakterisirt: »It is exceedingly minute and requires high microscopic power and careful ad- 398 Franz Eilbard Schulze: Von weiteren Veränderungen des Weichkörpers innerhalb seiner Kieselkapsel kann ich leider nichts berichten, da meine Züchtungs- versuche nicht zu einer wohl zu vermuthenden Theilung desselben geführt haben, und mir überhaupt spätere Stadien als die zuletzt geschilderten nicht zu Gesicht gekommen sind. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVI u. XXVII. Taf. XXVI. Fig. 1. Raphidiophrys pallida, gezeichnet bei der Einstellung auf dem Mittel- punkt und bei einer Vergrösserung von 600 : 1. Der kugelige Sarkodekörper hat sich von der Kieselnadelhülle etwas zurückgezogen. Es sind in demselben der eine Kern, k, vier pulsirende Vakuolen, eine Anzahl Körner, zwei als Nahrung aufge- justment of light for its accurate definition. The body is flask- or carafe- shaped, mounted on a long, fine rigid pedicle, and enclosed in a closely fitting envelope. The summit of the body is dilated and furnished with a variable number of long, slender, divergent processes or tentacles, which appear to correspond with those of Actinophrys. When the tentacles are contracted, they become capitate, and assume the form of a bossed crown, as shown in the figur«. Eine gewisse Uebereinstimmung liegt zwar in dem langen Stiel und in der auffallenden Eigenthümlichkeit der Pseudopodien, beim Zusammen- ziehen geknöpft zu erscheinen; doch stimmt weder die Form des am äusseren Ende dünn ausgezogenen und dadurch wurzelförmigen Körpers, noch die Angabe, dass derselbe von einer eng umschliessenden Hülle umgeben sei. Näher verwandt scheint unser Rhizopode der von Wright im Quar- terly journal of microscopical science 1862. Vol. II. p. 217 beschriebenen und daselbst auf Pl. VIII und IX abgebildeten Zooteira religata (Wright) zu sein, welche auf langem, sehr contractilen Stiele einen kolbenförmigen kör- nigen braunen Sarkodekörper mit vielen allseitig radiär abgehenden Pseudo- podien trägt. Diese Form besitzt aber nach Wright’s Darstellung eine die Stielbasis umgebende kurze Gallerthülle, in welche sich das ganze Thier voll- ständig zurückziehen kann, hat einen von hyaliner Scheide umschlossenen derben Muskelstrang mit knotigen Seitenfortsätzen im Stiel und besitzt eine körnige von Wright als Ektosark bezeichnete Umhüllung des körnchenreichen aber kernlosen Körpers (Endosark), von welcher auch die Pseudopodien ausgehen sollen. | Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Rhizopodenstudien. 399 nommene Diatomeen, sowie endlich der kleine kugelige Centralkörper mit den nach allen Richtungen radiär abgehenden feinen Stacheln zu sehen. Bei x befindet sich eine der Kieselnadeln, von der strömenden Sarkode an einem Pseudopodium hinausgetragen. Fig. 2—5 stellen lebende Exemplare von Heterophrys varians dar, bei der Einstellung auf den Mittelpunkt. Ein nacktes kriechendes Thier mit vier sichtbaren Kernen im Innern und einer Anzahl pulsirender Vakuolen in der Randpartie. Körner sind nicht vorhanden, dagegen zwei als Nahrungsmittel aufgenommene Diatomeen. Vergrösserung: 600 : 1. Ein nacktes kriechendes Thier mit vielen bräunlich gelb gefärbten Körnern und pulsirenden Vakuolen in der äusseren Region und zwei Nahrungskörpern im Innern. Vergrösserung: 400 : 1. Ein von der Gallerthülle umschlossenes Thier mit vielen dunklen Körnern und einigen Nahrungskörpern. Vergrösserung: 400 : 1. Ein von der Gallerthülle umschlossenes Thier im Ruhezustande, mit völlig eingezogenen Pseudopodien. Im Innern sind 6 deutliche Kerne aber weder Körner noch pulsirende Vakuolen noch Nahrungskörper zu sehen. Vergrösserung: 400 : 1. Eine ungefärbte Lithocolla globosa mit nur wenig Kieselstückchen beklebt. Einstellung auf die Oberfläche. Vergrösserung: 600 : 1. Lithocolla globosa, gezeichnet bei einer Einstellung auf die Ober- fläche und bei einer Vergrösserung von 600 : 1. Der innere Weichkörper zeigt die gewöhnliche blass kirschrothe Färbung. 8, 9, 10. Drei aufeinander folgende Stadien der Ausstossung eines Fäkel- körpers aus dem Innern einer farblosen Lithocolla globosa, mit Aus- einanderdrängen der Sandstückchen der Kruste. Vergrösserung: 600 : 1. Bei Fig. 7 beginnen die Pseudopodien wieder hervorzutreien. Taf. XXVII. Sämmtliche Figuren beziehen sich auf lebende Actinolophus pedunculatus. 1, Ein Thier mit birnförmigem Körper, in welchem sich der excen- trisch gelegene Kern, das centrale kugelige Körperchen und die Farbstoffkörnchen erkennen lassen. Vergrösserung: 400 : 1. Fig. 2 und 3. Thiere mit eiförmigem und ellipsoidem Körper, deren Stiele Fig. Fig. 4. nicht ganz ausgezeichnet sind. Vergrösserung: 400 : 1. Ein Thier mit nach mechanischen Insulten theilweise zusammenge- flossenen Pseudopodien. Das untere Stielende ist nicht ausgezeichnet. Vergrösserung: 400 : 1. Ein in der Nahrungsaufnahme begriffenes Thier mit einem Nah- rungskörper im Innern und einem zweiten, welcher von den Pseudo- podien umflossen wird. Vergrösserung: 400 :1. Fig. Fig. Franz Eilhard Schulze: Rhizopodenstudien. Ein Thier mit Pseudopodien, welche nach einer starken Erschütte- rung unvollständig, d. h. bis auf die wahrscheinlich vorhandene Gallerthülle, retrahirt sind. Der Stiel ist nicht vollständig darge- stellt. Vergrösserung: 600 : 1. Ein Thier, bei welchem die Abscheidung der Kieselplättchen bereits begonnen hat, trotzdem aber die Pseudopodien vollständig ausge- streckt sind. Zwei Kerne. Vergrösserung: 800 : 1. Ein Thier mit weiter ausgebildeter Kieselplattenhülle und vollständig eingezogenen Pseudopodien. Vergrösserung: 800 : 1. Ein Thier mit vollständig ausgebildeter Kieselplattenhülle und etwas contrahirtem Weichkörper. Vergrösserung: 800 : 1. Beiträge zur Histologie der Gelenke. Von Dr. Herm. Tillmanns in Leipzig. Hierzu Tafel XXVII u. XXX. Die letzten Decennien sind nicht grade arm an Arbeiten über das vorliegende T'hema, aber die Ansichten der einzelnen Forscher sind so verscbieden, ja sind hier und da so widersprechend, dass schon desshalb eine Revision der Histologie der Gelenke geboten schien. Wie verschieden sind z. B. die Ansichten über die Structur der Synovialintima! Hat sie eine besondere Endothelschicht? Diese Frage wird von den einen bejaht, von den anderen verneint und wieder andere stehen in der Mitte zwischen diesen beiden Ansichten. Nach Bichat ist die Innenfläche der fibrösen Gelenkkapsel von der Synovialhaut ausgekleidet, welche den flüssigen Inhalt des Gelenks secernirt; sie stellt einen das ganze Gelenklumen über- ziehenden, geschlossenen Sack dar, welcher sich von der Innen- fläche der Gelenkkapsel auf die Gelenkknorpel, auf die intraartieu- lären Bänder, Scheiben etc. hinüberschlägt und alle genannten Theile überzieht. Diese Synovialmembran ist aber nach Bichat überall zu innig mit der Unterlage verwachsen, als dass sie isolirt darge- stellt werden könnte. Diese Auffassung von der theoretisch con- struirten, anatomisch nicht nachgewiesenen Synovialmembran im Sinne Bichat’s hat sich bei den Anatomen lange Zeit eingebürgert und der Glaube daran hat sich noch bis in die jüngste Zeit erhalten. Henle war es besonders, welcher sich gegen diese »dogmatische« 402 Dr. Herm. Tillmanns: Auffassung der Synovialkapsel, wie es Bichat gelehrt, erklärte. Nach der Ansicht dieses Forschers !) befindet sich an der Innen- fläche der Kapselmembran ein veinfaches Pflasterepithel (Endothel), welches auf die Synovialfortsätze und Bandscheiben in der Regel nicht übergeht und den Anheftungsrand der Kapsel am Knorpel nicht überschreitet«. Die Gelenkzotten sollen nach Henle kein Endothel haben, »doch nimmt sich die feinkörnige Substanz mit den regelmässig vertheilten Kernen, wenn sie in dünner Lage an der Oberfläche zum Vorschein kommt, wie ein Epithelium-Ueberzug aus«. Kölliker ?) ist ebenfalls der Ansicht, dass die innere Wand der Gelenkkapsel mit einem einfachen Epithelstratum (Endothel) überzogen sei. Auch Hyrtl?°) schreibt der Kapselmembran ein einfaches nicht geschichtetes »Pflasterepithel« (Endothel) zu, welches sich auf die Zwischenknorpel im Gelenke fortsetzt, den Knorpel dagegen frei lässt. Frerichs®) fand nur an den vorspringenden Rändern, Fettläppchen und Zwischenknorpeln eine Endothelschicht; sie soll mehrschichtig und dicker sein, als an den übrigen serösen Membranen: die unterste Lage dieser Zellenschicht soll aus ein- fachen Kernen bestehen, auf welche dünn rundliche Zellen und endlich polyedrisch gestaltete Kerne folgen. In der Synovia fand Frerichs abgestossene Theile des Endothelüberzugs der Kapsel, einzelne polyedrische, platte Zellen oder grössere Lamellen, Flöck- chen, runde Zellen u. s. w., ein Befund, auf welchen der genannte Forscher bezüglich der Entstehung der Synovia ein grosses Gewicht legte und zwar, wie wir weiter unten sehen werden, mit grossem Rechte. Zu ganz anderen Resultaten bezüglich der Histologie der Synovialintima gelangte Hüter), welcher die Innenfläche der Ge- lenkkapsel mit Silber behandelte und dabei zu der überraschenden Schlussfolgerung kam, dass die innerste Schicht der Synovialhaut aus der Reihe der »epithelialen« (endothelialen) Bildungen zu strei- 1) Henle, Handbuch der Anatomie I, 2. Abtheilung (Bänderlehre) pag. 10 ff. 2) Kölliker, Handbuch der Gewebelehre |. c. 3) Hyrtl, Handbuch der Anatomie pag. 114 u. 196. 4) Handwörterbuch der Physiologie von R. Wagner Bd. III, S. 463 ft. 5) Hüter, Zur Histologie der Gelenkflächen und Gelenkkapseln mit einem kritischen Vorworte über die Versilberungsmethode. Virchow’s Archiv Bd. 36, S. 25, dann: Klinik der Gelenkkrankheiten pag. 32 ft. Beiträge zur Histologie der Gelenke. 403 chen sei, und dass die Gelenkkapsel aufgehört habe, zu den echten serösen Häuten zu gehören. »Die Intima der Synovialhaut hat keinen Ueberzug von Epithel, sondern besteht aus zellenreichem Bindegewebe«. Diese Zellen befinden sich bald in »epithelioider«, bald in »keratoider« Anordnung. Die »epithelioide« Beschaffenheit der Synovialintima soll bei weitem überwiegen. Sodann behauptet Hüter sogar: »die Synovialhaut ist weder eine seröse Haut, noch eine Schleimhaut, sie repräsentirt eine bindegewebige Membran, welche sehr viel Bindegewebszellen enthält« !). An dieser von Hüter so beschriebenen Innenfläche der Gelenkkapsel sollen nun die feinsten Gefässverzweigungen überall nackt an der Oberfläche zwischen den Zellen liegen. Nach der Ansicht des genannten For- schers ist auch besonders die Entwicklung des Gelenks durch Spaltung ein Beweis gegen die »epitheliale« Natur der innersten Synovialschicht, da ja das den Spalt überziehende Periost oder Peri- chondrium zur Kapsel werde; letztere sollen zwar ein sehr zellen- reiches Bindegewebe an ihrer innersten Schicht besitzen, so dass sie epithelähnlich aussieht, aber es wäre »ein sonderbares Ereigniss« wenn »ein wirkliches Epithel« aus dem epithelähnlichen Bindege- webe hervorginge. Gegen diese Beweisführung muss ich gleich hier einwenden, dass die letztere Hüter’sche Behauptung vollständig richtig wäre, wenn man der Synovialintima »wirkliches Epithele, also Zellen des ersten Keimblattes vindiciren wollte, aber das ist doch nicht der Fall. Wir wissen ja, dass das mittlere Keimblatt kein wirkliches Epithel bilden kann und seit wir das wissen, hat auch noch Niemand behauptet, dass die Gelenke, die serösen Häute, die Gefässe etc. ächtes Epithel besitzen, sondern nur unächtes Epi- thel, oder Endothel, wie wir nach dem Vorgange von His die epi- thelartigen Bildungen an den genannten Theilen des mittleren Keim- blattes nennen. Und wenn auch der Name Endothel noch nicht überall eingebürgert ist, wenn man auch hier und da von Epithel der Gefässe, der serösen Häute spricht, so sind sich doch alle For- scher der Thatsache wohl bewusst, dass das Epithel des mittleren und ersten Keimblatts genetisch ganz verschieden ist. Von diesem Gesichtspunkte aus ist die obige Beweisführung Hüter’s gegen die Existenz »eines wirklichen Epithels« an der Synovialintima nicht zutreffend. 1) Klinik der Gelenkkrankheiten, pag. 33. 404 Dr. Herm. Tillmanns: Böhm !) tritt im Allgemeinen der Hüter’schen Beschreibung bei; auch er fand kein »Epithel« (Endothel) an der Innenfläche der Synovialis, sondern nur modifieirte Bindegewebsplatten, »die zwar durch eine stellenweise regelmässige Anordnung einem Epithelium ähnlich werden, nie aber als vollständig identisch mit einem solchen betrachtet werden können«. Diese Zellenschicht an der Innenfläche der Gelenkkapsel soll sich nach Böhm durch folgende Eigenthüm- lichkeiten von einer Epithel- oder Endothelschicht unterscheiden: die zelligen Gebilde sind rund oder mehr polygonal, von der Grösse der weissen Blutkörperchen; Kerne konnten in ihnen mit Essigsäure nie mit Sicherheit nachgewiesen werden. Sie liegen theils so dicht neben einander, dass sie sich unmittelbar zu berühren scheinen, theils lassen sie grössere Zwischenräume zwischen sich und er- scheinen sogar stellenweise unregelmässig über das Gesichtsfeld zer- streut oder ordnen sich nach dem Verlaufe der Faserung des unter ihnen gelegenen fibrillären Bindegewebes. Dass diese zelligen Ge- bilde nun nicht die Kerne eines Endothelhäutchens darstellen, da- gegen spricht nach Böhm der Umstand, dass bei Silberbehandlung die braunen Linien ihren Contouren folgten und die Continuität der Zellen durch Capillargefässe unterbrochen sei; Essigsäure ver- änderte sie nicht, während sie in Salzwasser am deutlichsten waren. Die Zellen in einem continuirlichen Häutchen von der Innenfläche der Gelenkkapsel zu isoliren, ist Böhm nicht gelungen. Besonders Schweigger-Seidel?) war es, welcher in einer vortrefflichen Arbeit der oben erwähnten Hüter’schen Auffassung entgegentrat und dieselbe als unhaltbar zurückwies. Vor Schweig- ger-Seidel hatten bereits Hartmann ?) und Harpeck °) im Allgemeinen ihre Zweifel über die bis dahin als so zuverlässig gepriesene Silberbehandlung ausgesprochen. Leider besitzen wir von Schweigger-Seidel keine ausführliche Mittheilung über die Histologie der Gelenkkapsel, in jener oben erwähnten Kritik der 1) Böhm, Beiträge zur normalen und pathologischen Anatomie der Gelenke. Inauguraldissertation Würzburg 1868. 2) Schweigger-Seidel, Die Behandlung der thierischen Gewebe mit Arg. nitr. Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig 1866, pag. 150. 3) Reichert’s Archiv 1864. Beiträge zur Histologie der Gelenke. 405 Silberbehandlung wird der Anatomie der Synovialintima nur neben- bei gedacht und hierbei die Hüter’sche Ansicht ausführlich wider- legt. Nach Schweigger-Seidel finden wir an der Innenfläche der Kapselmembran ein isolirbares, kernhaltiges Endothelhäutchen, weiches durch die gewöhnliche Silberbehandlung, mit der Hüter z. B. arbeitete, nicht nachgewiesen werden könne (l. ce. pag. 168). Die eigenthümliche Silberschicht, welche Hüter als einen Beweis gegen die Existenz eines Endothels beschreibt, liegt nach Sch weig- ger-Seidel über demin der That vorhandenen Endothelhäutchen, sie liegt in der Synovia, welche letzteres bedeckt. Die »epithelioiden« und »keratoiden« Bildungen Hüter’s sind Kunstproducte, deren Unterschied allein in der verschiedenen Dicke der aufgelagerten 'Eiweissschicht beruht; die eine Form kann man künstlich in die andere überführen (l. c. pag. 171). Das sind die Haupteinwände, welche Schweigger-Seidel gegen Hüter macht. Landzert!), welcher ebenfalls, aber etwas anders, als Hüter die Synovialintima mit Silber behandelte, fand an der Innenfläche der Gelenkkapsel eine sehr dünne, continuirliche einfache »Epithellage« (Endo- thel), unter welcher ein sehr reiches Capillarnetz liegt. Die Lymph- gefässe, an ihren mit Ausbuchtungen versehenen, äusserst zarten Wandungen zu erkennen, schmiegen sich den Blutgefässen an und münden in grössere sternförmige, helle Räume, die auch charakte- ristische schwarze Liniennetze besitzen«. An frischen Synovialhäuten lässt sich das Epithel leicht abschaben und gelingt es zusammen- hängende Epitheifetzen zu sehen«. Die hier citirten Angaben Land- zert’s finden sich in Form einer »vorläufigen Mittheilung« im medi- einischen Centralblatt und es ist besonders auch wegen der oben angeführten Behauptung bezüglich der Lymphgefässe sehr zu be- dauern, dass dieser vorläufigen Mittheilung« eine ausführlichere Arbeit nicht gefolgt ist. Wenigstens habe ich mich vergebens in der Literatur nach einer solchen umgesehen. Von den sonstigen Forschern erwähne ich noch His ?), welcher in seiner ausgezeichneten Mittheilung der Innenfläche der Gelenk- kapsel ebenso gut, wie den anderen serösen Häuten, eine Endothel- 1) Landzert, Zur Histologie der Synovialhaut. Centralblatt der medi- einischen Wissenschaften, 1867, No. 24. 2) W. His, Die Häute und Höhlen des Körpers. Academisches Pro- gramm 1865. 406 Dr. Herm. Tillmanns: schicht vindieirt, während Albert!) hingegen sich im Wesent- lichen mehr auf die Seite Hüter’s stellt; auch Albert erhielt mit Hülfe der Silberbehandlung keratoide Zeichnungen, eine Endo- thelzeichnung nur da, wo die Synovialis als freie Membran dar- stellbar ist. Eine besondere Meinungsverschiedenheit herrscht unter den einzelnen Forschern auch noch darüber, ob der Gelenkknorpel Endothel besitzt, oder nicht. Reichert?) fand im Foetalzustande des Menschen und der Haussäugethiere unmittelbar auf der Knorpel- substanz des Gelenkes ein deutliches Endothel, welches sich von der inneren Oberfläche der Kapselmembran auf dieselbe fortsetzte. Die Form dieses Endothels auf dem Gelenkknorpel gleicht nach Rei- chert vollständig der innersten Zellenschicht in den Gefässhäuten; eine Verwechselung mit besonderen Knorpellamellen sei nicht mög- lich gewesen. Bei Erwachsenen dagegen fehlt nach Reichert’s Angabe das Endothel auf dem Gelenkknorpel ; die Synovialintima soll nur an jenen Stellen Endothel besitzen, welche sich der Reibung mehr entziehen. Auch Brücke fand auf der Knorpelsubstanz eine äusserst zarte Endothelschicht. Nach Luschka °) liegt beim Neu- geborenen in verschiedenen Gelenken über dem Gelenkknorpel eine bald homogene, bald faserige Substanz, aus welcher blattähnliche, einfache oder ästige Zeilen hervorgehen. Bowmann*), Kölliker?) und Gerlach °) bestreiten die Existenz von Endothel auf dem Gelenkknorpel. Gerlach sagt, dass die plattgedrückten, runden Knorpelzellen und die geringe Menge von Grundsubstanz eine En- dothelschicht vortäuschten. Letztere Angabe bestätigen unter An- deren auch Hüter und Böhm. Wir ersehen also aus der im Vorhergehenden mitgetheilten Literatur, welche über die Histologie der Synovialintima vorliegt, 1) Albert, Zur Histologie der Synovialhäute. 64. Band der Sitzungs- berichte der Academie der Wissenschaften, II. Abtheil., October-Heft, Jahr- gang 1871 und Stricker, Handbuch der Gewebelehre. 2) Reichert, Archiv für Anatomie und Physiologie 1849. Jahresbe- richt 8. 15 und 16. i 3) Müller’s Archiv 1855, S. 486. 4) Physiological anatomy pag. 90. 5) Histologische Untersuchungen. 6) Handbuch, pag. 118. Ofr. auch Reichert’s Archiv f. Anatomie u, Physiologie 1849, Jahresbericht, S. 15 und 16. Beiträge zur Histologie der Gelenke. 407 wie verschieden die Ansichten der zahlreichen Forscher sind, An- sichten, nach welchen sogar die Existenz eines besonderen Endothels an der Innenfläche der Kapsel fraglich erscheint. Eine Hauptur- sache für die obwaltenden Meinungsverschiedenheiten ist besonders die abweichende Untersuchungsmethode, deren sich die einzelnen Forscher bedienten. Es wird desshalb vor allem nothwendig sein, die Methode der histologischen Untersuchung genau zu beschreiben, um eventuellen Controllversuchen als Richtschnur zu dienen. Die nachstehenden Untersuchungen über die Histologie der Gelenkkapsel, der Zotten u. s. w. wurden im physiologischen Institute zu Leipzig, und zwar auf die verschiedenste Weise, gemacht. Die dabei be- nutzten Gelenke stammten von Hunden, Kaninchen, Schweinen und Menschen. Sie wurden theils frisch untersucht in !/s%/, Kochsalz- lösung, in destillirtem Wasser, in Jodserum, Glycerin, in Müller’scher Lösung; ferner in kal. bichrom. und Chromsäure von verschiedenen Stärkegraden. Auch die Silberbehandlung wurde angewandt, jedoch, wie wir weiter unten sehen werden, hat Schweigger-Seidel Recht, wenn er dieselbe für die Synovialintima verwirft und als unzuverlässig bezeichnet. Zur Untersuchung des subendothelialen Bindegewebes diente ganz besonders !/g°/, Ueberosmiumsäure, welche mittelst Einstich mit feinen Canälen in und unter die Intima in- jieirt wurde. Auch in Alkohol gehärtete und mit Carmin oder Haematoxylin gefärbte Präparate wurden zur Untersuchung benutzt. Zunächst beschäftigte ich mich ausführlich mit der Intima der Sy- novialkapsel, über welche wir ja oben so verschiedene Ansichten gehört. Sowohl von Thieren, als von Menschen wurden normale Gelenke aus den verschiedensten Altersstufen zur Unter- suchung benutzt; von Menschen standen foetale Gelenke aus dem 5. 6. und 7. Monate zur Verfügung, dann Gelenke von Neugebo- renen, älteren Kindern und Erwachsenen aus dem verschiedensten Lebensalter. Von den Thierembryonen wurden besonders foetale Gelenke vom Schwein benutzt. An den frisch getödteten Thieren diente ganz besonders das Kniegelenk zur Untersuchung, weil grade dieses wegen seiner grösseren Ausdehnung genügend Material giebt. Aber auch die Gelenke an der Schulter, am Ellbogen, an der Hüfte und am Fuss wurden entsprechend berücksichtigt; auch von den menschlichen Gelenken wurde das Kniegelenk bei der histo- logischen Untersuchung bevorzugt. Bezüglich der Anatomie der Synovialintima zeigte sich nun folgendes. 408 Dr. Herm. Tillmanns: I. Die Synovialintima. Macht man sich von der Intima der Gelenkkapsel eines frisch getödteten Hundes oder Kaninchens einen Flächenschnitt und unter- sucht denselben in !/s°/, Kochsalzlösung, in destillirtem Wasser oder in Müller’scher Lösung, so sieht man zunächst zahlreiche in ver- schiedenen Abständen von einander entfernte, unregelmässig ange- ordnete Kerne von runder, ovaler oder hier und da mehr spindel- förmiger Gestalt und von variabeler Grösse. Diese granulirt aus- sehenden Kerne berühren sich nie vollständig, liegen bald sehr nahe bei einander, bald sind sie weiter entfernt; sie sind meist mehr oder minder schleim- oder fetthaltig. Zwischen den kernigen Ge- bilden sieht man eine bald homogene, bald leicht granulirte Structur, die mit Fett und Schleim hier und da stark imprägnirt oder bedeckt ist. An frischen Gelenken sowohl, als auch an solchen, die 24— 30 Stunden in Müller’scher Flüssigkeit, in ein- bis dreiprocentigem Kal. bichrom. gelegen haben, lässt sich durch vorsichtiges Abschaben, Abstreichen mit dem Messer die innerste eben beschriebene Zellen- schicht der Synovialintima inForm von kleineren und grösse- ren Fetzen isoliren und man bekommt ein kernhaltiges Endothelhäutchen zu Gesicht, dessen Kerne man bald sehr nahe, bald weiter von einander entfernt sieht (cfr. Fig. 1 und 2). Die einzelnen Zellen dieses Endothelhäutchens lassen sich isoliren, am besten, wenn man die Gelenke eines frisch getödteten Thieres mehrere Tage in einer Lösung von ein bis drei procentigem Kal. bichrom. unter mehrmaligem Wechsel der genannten Flüssigkeit liegen lässt (efr. Fig. 3). Die einzelnen Endothelzellen sind, wie man sieht, von verschiedener Eorm und Grösse, haben alle einen deutlichen Kern. Einzelne Zellen sind am Rande mehr oder minder gezackt (Fig. 3 a. b. ec). An einzelnen Stellen der Gelenkkapsel sieht man auch mehrschichtiges Endothel, die Kerne des Häutchens liegen in 2, 3, 4 Lagen übereinander (Fig. 1a), ein Wucherungs- endothel, von welchem wir nochmals sprechen werden. Das Vor- kommen dieses mehrschichtigen Endothels ist nicht an bestimmte Stellen des Gelenks gebunden ; warum? werden wir weiter unten sehen. So verhält sich die Histologie der Synovialintima bei Hunden, Kaninchen und Schweinen, bei erwachsenen Thieren sowohl, als auch beim Foetus. Und wie ist es beim Menschen? Auch beim Beiträge zur Histologie der Gelenke. 409 Menschen finden sich vollkommen dieselben histologischen Verhält - nisse, auch hier ist die innerste Oberfläche der Synovial- kapsel mit einem isolirbaren, continuirlichen Endo- thelhäutchen bedeckt. Auch beim Menschen lassen sich die einzelnen Zellen dieses Endothelhäutchens isoliren, auch hier sieht man nicht selten eine lebhaftere Wucherung der Endothelzellen, so dass 2—3 Lagen übereinander zu Tage treten. Dieses mehr- schichtige Wucherungsendothel scheint auf seiner fibrillären Unter- lage fester anzuliegen, als das einfache. Besonders schön ist auch das Endothel beim Foetus, beim Neugeborenen und fast stets fand ich es hier einschichtig, während bei Erwachsenen immer hier und ‚da das Endothelhäutchen in lebhafterer Wucherung begriffen und so mehrschichtig wird, eine Thatsache, welche von den häufigeren Gelenkbewegungen beim Erwachsenen abhängt und für die Bildung des Eiweiss- und Mucingehalts der Synovia, wie wir weiter unten sehen werden, von der grössten Bedeutung ist. — Somit hätten also die Gelenkmembranen an ihrer Innenfläche ein deutliches continuirliches Endothel, wie die übrigen serösen Häute, und die Ansicht Hüter’s ist unhaltbar. Aber nicht blos die bisher be- schriebenen Untersuchungsmethoden, sondern auch andere ergeben dieselben Resultate. In Alkohol gehärtete und mit Carmin oder Haematoxylin gefärbte Präparate zeigten an feinen Flächenschnitten die schönsten Bilder eines kernhaltigen Endothelhäutchens, welches hier und da in Falten von der fibrillären, bindegewebigen Unterlage abgehoben war, so dass letztere entblösst zu Tage trat. Sehr schöne Bilder erhielt ich auch an Präparaten, die mehrere Tage in Y/%/o Lösung von Kal. bichrom. gelegen und dann in Carmin gefärbt waren; auch hier hob sich das Endothelhäutchen in zahlreichen Falten von der Unterlage ab. Auch die Silberbehandlung, sowohl nach Landzert, als nach Hüter, wurde auf die Synovialintima angewandt und bei einfachem Endothel nicht selten mit Erfolg, so dass dieselben Silberbilder zu Tage traten, wie wir sie von dem Endothel der übrigen serösen Häute kennen. Aber ich will gleich hier erklären, dass die Silberbehandlung an der Synovialintima durchaus keine zuverlässigen Resultate giebt und zwar um so we- niger, wenn sie nicht durch andere Untersuchungsmethoden con- trollirt wird. Der Grund für die Richtigkeit dieser Behauptung wird uns klar sein, wenn wir die anatomischen Verhältnisse des Syno- vialendothels kennen gelernt haben. Das Endothelhäutchen an der M, Schultze, Archiv £. mikrosk, Anatomie. Bd. 10. 27 410 Dr. Herm. Tillmanns: Innenfläche der Gelenkkapseln nämlich ist nicht ganz so gestaltet, wie an den übrigen serösen Häuten, es ist die Localität, welche ihm einen spezifischen Typus aufdrückt. Durch die stetige Reibung bei den Bewegungen des Gelenks, durch die immerwährende Be- rührung und Imprägnirung mit Synovia werden ganz spezifische Zustände der Synovialendothelien geschaffen. Durch die Reibung bei den Gelenkbewegungen wird das Endothelhäutchen stets in einem, ich möchte sagen, leicht entzündlichem Zustande gehalten und zu einer lebhaften Wucherung angeregt; es wird hier und da mehr- schichtig. Sodann fallen viele Endothelzellen in Folge der Reibung ab, neue treten an ihre Stelle. Ferner gehen gerade die oberfläch- lichen Zellen des mehrschichtigen Endothels in grosser Zahl durch Verfettung zu Grunde; theils in Folge des Drucks, theils wahrscheinlich in Folge ungünstiger Ernährungsverhältnisse, weil sie sich in relativ weitester Entfernung von den Capillaren befinden. Auch die fortdauernde Imprägnirung mit Synovia und die dadurch vielleicht bedingte Maceration der Endothelzellen möchte ich hier erwähnen, auch sie scheint es zu begünstigen, dass "Endothelien schleimig und fettig metamorphosirt werden und abfallen. Aber indem die Zellen in Folge der Reibung, in Folge der schleimigen oder fettigen Degeneration sich der Synovia beimischen und sich allmählig auflösen, sind sie für die Gelenkflüssigkeit, wie bereits Frerichs bewiesen, eine stetige Quelle des Mucin- und Eiweiss- gehalts und ich glaube den Satz aufstellen zu können: die Endo- thelzellen der Synovialis haben eine ganz besondere physiologische Dignität bezüglich des Mucin- und Eiweissgehalts in der Synovia. Der Kern der Zelle scheint der schleimigen fettigen Auflösung am läng- sten zu widerstehen. Andere Zellen wieder sieht man an Volumen zu- nehmen, sie bieten ein mehr homogenes, glashelles Aussehen ohne die einzelnen Schleim- und Fetttröpfchen, der Kern ist vollständig verschwunden; auch diese Zellenscholle zerfällt schliesslich in. klei- nere und grössere Bestandtheile, die sich der Synovia beimischen. Letztere Art des Untergangs der Endothelzellen habe ich übrigens viel seltener gesehen, als die deutlich schleimig-fettige Varietät des Absterbens der Endothelien. So wird also ein lebhaftes Wuchern und Absterben an der Innenfläche der Synovialis unterhalten, Ent- stehen und Vergehen liegen in nächster Beziehung zusammen. Dieses wechselnde Bild des Endothelhäutchens, welches sich nie in Ruhe, sondern in einem Reizungszustande befindet, schafft für das Synovial- Beiträge zur Histologie der Gelenke. 411 endothel ganz spezifische Verhältnisse, aber trotzdem hört die Sy- novialintima nicht auf, wirkliches Endothel zu besitzen, wie die übrigen serösen Häute. Diese wechselnde Situation und die eben beschriebenen Eigenthümlichkeiten des Synovialen- dothels sind es aber, welche der Silberbehandlung so ungünstig sind undjenach den Umständen zu so unrichtigen und überraschenden Resultaten geführt haben. So sehr ich den Werth der Silberbehand- lung für andere Gewebstheile des Körpers anerkenne, bezüglich der Innenfläche der Synovialmembran muss ich sie für durchaus unzuverlässig erklären. Die bei der Silberbehandlung zum Theil in so widersprechender Weise erlangten Resultate sprechen ebenfalls gegen ihren Werth: während Landzert auf Grund der Silber- behandlung ein continuirliches, einfaches »Epithel« (Endothel) fand, kam Hüter auf der Basis eben derselben, nur etwas modificirten Untersuchungsmethode zu dem Ausspruch: die Synovialintima hat kein Epithel (Endothel), sie besteht aus »keratoidem« und »epithe- lioidem« Bindegewebe. Landzert wandte 1/°/o Silberlösung an und untersuchte darauf in essigsaurem Glycerin, Hüter bediente sich stärkerer Mischungen, ungefähr 1%, Lösung von Arg. nitr. in aqua destill. In der Regel brachte Hüter !) die Schnitte von der unteren Randzone der Patella, deren Oberfläche von Synovia feucht war, auf ein trockenes Objeetglas und befeuchtete die nach oben gekehrte Oberfläche mit einem Tropfen 1°, Silbersolution, welche H. an einem Glasstabe, ohne das Object zu berühren, herab- laufen liess. »Sobald der Tropfen der Silberlösung das Präparat bespült, sagt der genannte Forscher, entsteht entsprechend der Menge der das Präparat bedeckenden Synovia ein mehr oder we- niger dicker Niederschlag von weisser Farbe, welcher wahrscheinlich aus Chlorsilber besteht«.. »Dann wird der Synovialniederschlag ab- gespült, das Präparat in Glycerin eingelegt und die Untersuchung kann sofort beginnen ?)«. Sodann hat Hüter nach folgender Methode gearbeitet: »Nach Entfernung der Synovia lässt man einige Tropfen einer 1°/, Lösung von Arg. nitr. in Wasser über die Gelenkfläche laufen und entfernt dieselbe sofort wieder mittelst Abwaschen.?)« Ich habe nach allen 1) Cfr. Virchow’s Archiv Bd. 36, 8. 40. 2) L. c. pag. 41. 3) Hüter, Klinik der Gelenkkrankheiten pag. 30. 412 Dr. Herm. Tillmanns: verschiedenen Methoden die Synovialintima versilbert, aber durchaus keine constanten Bilder erhalten: bald sah ich mit Landzert eine continuirliche Endothelzeichnung, unter welcher die Capillargefässe lagen, bald traten die Hüter’schen Bilder zum Vorschein. Färbt man diese Hüter’schen Bilder noch nachträglich mit Carmin, so sieht man an manchen Stellen, wo die Silberschicht fehlt oder durch- brochen ist, dass die Silberzeichnung unregelmässig über den Endo- thelkernen liegt, dass sie mit der anatomischen Anordnung der Zellen des Endothelhäutchens nichts zu thun hat, dass sie vielmehr das ist, was Schweigger-Seidel bereits gesagt, ein Kunstpro- duet, ein Niederschlag des Silbers in der Synovia und in den schlei- migen und fettigen Bestandtheilen des Endothelhäutchens. Diese unbekannten Verbindungen des Silbers mit dem Mucin und ähn- lichen Derivaten der Eiweisskörper entstehen sicherlich um so leichter, wenn man den Tropfen Silberlösung direct auf den von der Gelenk- synovia noch bedeckten Schnitt gelangen lässt, wie es Hüter ge- than. Aber wenn man auch die Synovia von der Innenfläche der Gelenkkapsel abzuwaschen sucht, so wird man es nach der obigen Beschreibung des Endothelhäutchens doch leicht erklärlich finden, dass doch in und zwischen der Substanz der Endothelzellen selbst noch sehr viel Fett- und Schleimsubstanz übrig bleibt, welche sich nicht abwaschen lässt und in der sich die Silberlösung leicht ver- fängt und niederschlägt. Wie gesagt, der leicht entzündliche Rei- zungszustand des Synovialendothels in Folge der Reibung, das Ab- fallen desselben, die Verfettung gerade der oberflächlichsten Zellen- schichten, der schleimige Charakter der Zellen überhaupt, ‚Alles das sind jene Factoren, die der Anwendung der Silberbehandlung un- überwindliche Schwierigkeiten entgegensetzen und es unmöglich machen, mittelst des Silbers richtige, zuverlässige Bilder des Endo- thelhäutchens zu erhalten. Und an der Existenz des letzteren lässt sich doch nicht mehr zweifeln, nachdem es gelungen, das Häutchen in der oben beschriebenen Weise zu isoliren und darzustellen. Dazu kommt noch, dass man die eine Form des Hüter’schen Bindegewebes in die andere überführen kann, wie schon Schweigger-Seidel behauptet und ich gebe diesem ausgezeichneten Forscher Recht, wenn er sagt, dass der Unterschied zwischen »epithelioiden« und »keratoiden« Bindegeweben allein in der verschiedenen Dicke der aufgelagerten Eiweiss-Silberschicht beruhe. Ganz besonders findet man aber an jenen Stellen, wo die Silberzeichnung aufhört, dass Beiträge zur Histologie der Gelenke. 413 die Hüter’schen Silberbilder nichts mit der anatomischen Configu- ration des Endothelhäutchens zu thun haben. Wo die Silberzeich- nung aufhört, da sieht man, auch ohne Carminfärbung, in den nicht versilberten Partieen wieder die Endothelkerne, wie in dem isolirten Häutchen ; die Silberschicht hört ganz unregelmässig auf. Und warum sieht man in den nicht versilberten Parthien der Synovialintima nie eine Spur von sternförmigen Bildungen (keratoide Form nach Hü- ter), nichts von einem Canalsystem, nichts von den nackt zwischen den Zellen liegenden Gefässen, wie es Hüter postulirt? Warum treten die keratoiden und epithelioiden Bindegewebsformen nie bei der Untersuchung frischer Präparate in Kochsalzlösung, in Mül- ler’scher Flüssigkeit etc. auf? Wesshalb erhält man bei feinen Ein- stich-Injectionen mit 1/.°/, Osmiumsäure, welche man in die Syno- vialintima macht, keine einzige Andeutung von der Richtigkeit der Hüter’schen Behauptungen? Dochich will die Discussion über den Werth der Silberbehandlung bei der histologischen Untersuchung der Gelenkkapsel nicht weiter ausdehnen, ich will nicht Alles das nochmals anführen, was Schweigger-Seidel bereits viel besser gesagt hat; die Arbeit dieses leider so frühe verstorbenen, ausge- zeichneten Forschers empfehle ich allen denen zum fleissigsten Stu- dium, welche an die Zuverlässigkeit der Behandlung derSynovial- intima mit Silber noch glauben. Absichtlich habe ich hier nochmals etwas ausführlich über den Werth der Silberbehandlung in den Ge- lenken gesprochen, weil mir scheint, als ob die Ansicht eines Schweigger-Seidel zu wenig gewürdigt worden sei. Doch kehren wir wieder zurück zu unserer Beschreibung des Synovialendothels! Wir hatten die spezifischen Eigenthümlichkeiten des letzteren, abweichend von den übrigen serösen Häuten kennen gelernt, wir hatten gesehen, dass das hier und da vorkommende .mehrschichtige Endothel ein Wucherungsendothel sei, ein Reiz-Effect der Reibung bei den Gelenkbewegungen. Wir hatten behauptet, dass es nicht möglich sei, z.B. im Kniegelenk zu sagen, an welchen Stellen das Endothel einfach oder mehrfach sei, wir glauben es desshalb nicht zu können, weil bei den verschiedenen Individuen eine durchaus verschiedene Congruenz, eine vollständig variirende Contactbeziehung der bei der Reibung jeweilig correspondirenden Punkte der Synovialkapsel und der Gelenkflächen vorkommt. Auch der bei den einzelnen Individuen ganz verschiedene Grad von Elasti- eität der Kapsel ist als ein wesentlicher Factor nicht zu vergessen, 414 Dr. Herm. Tillmanns: der das Maass der Gelenkbewegungen beeinflusst und somit direct die Verschiebungen und Reibungen der Innenfläche der Gelenkkapsel nicht unwesentlich bei dem einen oder anderen Individuum modi- fieirt. Welche Theile des Gelenks haben nun eine Endo- thelbekleidung? Ist der Knorpel frei von Endothel? Wie verhält es sich mit den intraarticulären Ligamenten, den Bandscheiben? Nach meinen Untersuchungen ergab sich Fol- sendes. Bei älteren Thieren sowohl, wie beim erwachsenen Men- schen verschwindet das Endothelhäutchen allmählig auf dem Knorpel, er ist also ohne Endothel. An diesen Grenz- gebieten des Endothelhäutchens sieht man das Endothel mit seiner mehr oder minder gefässreichen Unterlage ganz deutlich aufhören, also an den Seitenflächen der Condylen des Kniegelenks, an den Randgebieten der Patella u.s.w. Die intraarticulären Ligamente sind dagegen vollständig von Endothel bekleidet, die Bandscheiben und Zwischenknorpel dagegen nur zum Theil. So fand ich constant einen vollständigen Endothelüberzug auf dem Lig. teres, auf den beiden Lig. cruciatis. Auf den Zwischen- knorpeln z.B. desKniegelenks sah ich nur an jenen Stellen Endothel, welche vom Druck der Gelenkkörper frei sind, also an den Rändern des Zwischenknorpels, auf der Fläche desselben verschwindet es. Das Lig. teres bekommt seinen Endotltelüberzug direct von der Synovial- kapsel, weil es ja einen echten Synovialfortsatz darstellt, welcher durch die ineisura acetabuli in die Pfanne eintritt, einen mehr oder minder gefässreichen Fortsatz in die Fovea acetabul schickt und sich schliesslich an das Caput femoris ansetzt. Diese Synovialfalte verwächst mehr oder minder an der Ineisura acetabuli und mit dem darüber gehenden Theil des labrum cartilagineum; es wird durch hier entspringende accessorische Fasern gleichsam verstärkt. Bereits früher habe ich darauf hingewiesen !), dass den eben ange- führten anatomischen Thatsachen gemäss das Lig. teres seinen Namen mit Unrecht trägt, es ist, wie schon Henle?) bemerkt, weder rund, noch reines Ligament, sondern eine echte, endotheltragende Synovialfalte, welche rationeller Plica synovialis coxae genannt würde. 1) Tillmanns, Zur Lehre der congenitalen Hüftgelenksluxationen. Ar- chiv der Heilkunde 1873. 2) Henle, Handbuch der Anatomie, Bänderlehre. Beiträge zur Histologie der Gelenke. 415 In der eben eitirten Mittheilung habe ich daran erinnert, dass Henle das Lig. mucosum mit Recht in ähnlicher Weise in Vergessen- heit gebracht und den Namen Plica synovialis patellae an seine Stdlle gesetzt hat. Sei dem nun, wie ihm wolle, ich habe constant die Endothelbekleidung auf dem Lig. teres gefunden. Auch auf das Labrum cartilagineum geht der Endothelüberzug der Innenfläche der Synovialmembran mehr oder minder weit über, natürlich nur so weit, als es der Druck des Schenkelkopfes gestattet. — Und wie sind die anatomischen Verhältnisse des Kniegelenkendothels? Von den vorderen Theilen der Synovialintima geht das Endothel- häutchen auf das vordere Kreuzband und von den hinteren Par- thieen auf das lig. cruciat. post. über. Die Kreuzbänder sind ja an den genannten Stellen mit der Gelenkkapsel direct verwachsen. Auch die erhobenen Seitenränder beider Zwischenknorpel erhalten ihren Endothelüberzug von der Kapsel aus. Und dieses Prineip des Hineinwucherns des Endothelhäutchens der Synovialis in alle nur möglichen, ihm zugänglichen Parthieen der Gelenkhöhle wieder- holt sich an allen übrigen ächten Gelenken, eine Thatsache, welche practisch von grosser Wichtigkeit ist. Wenn z. B. ein Gelenk durch fixirende Verbände, durch pathologische Veränderungen längere Zeit in einer bestimmten, ruhigen Lage gehalten wird, so ist dem Endo- thelhäutchen die Möglichkeit gegeben, mit einer mehr oder minder gefässreichen fibrillären Bindegewebsunterlage sich über freiliegenden Knorpel fortzuschieben und in alle nur zugänglichen Lücken des Ge- lenks hineinzuwachsen. Auf ähnliche Weise wird die Angabe Rei- chert’s !) zu erklären sein, wenn er im Foetalzustande des Menschen und der Haussäugethiere auch den Gelenkknorpel mit Endothel bedeckt fand; dass es constant ist, möchte ich be- zweifeln. Mir ist es weder beim Foetus vom Menschen noch von Thieren (Schweinen) gelungen, die Existenz einer vollständigen Endothelbedeckung auf der Fläche des Knorpels zu constatiren. Ich kann nach meinen Untersuchungen nur so viel sagen, dass je nach dem Maass und der Häufigkeit der Bewegungsexcursionen des betreffenden Gelenks der foetale Knorpel von Endothel bedeckt ist und zwar um so mehr, je weniger die beiden Knorpelflächen bei den Bewegungensich an einander verschieben. So fand ich im Gelenk zwischen dem Kopf des Talus und dem Kahnbein eines menschlichen l) Reichert, Müller’s Archiv 1849, Jahresbericht S. 16. 416 Dr. Herm. Tillmanns: Foetus fast vollständige Endothelbedeckung der Knorpelflächen. Auch bei thierischen und menschlichen foetalen Kniegelenken konnte ich ein verschieden weites Uebergreifen des Endothels über den Knorpel constatiren. Im übrigen war es nicht möglich, die Existenz eines vollständigen Endothelhäutchens auf der Oberfläche des foetalen Gelenkknorpels darzuthun; immer fand ich nur eine sehr variabele Grenze des Endothels auf dem Knorpel. A priori gebe ich desshalb die Möglichkeit zu, dass auch die ganze Knorpelfläche eines grösseren Gelenks mit einem Endothel vollständig bedeckt sein kann, wie es Reichert beschreibt, jedoch kann diese Thatsache nur dann vor- kommen, wenn das betreffende Gelenk andauernd mehr oder minder in Ruhe ist. Beim Erwachsenen ist, wie gesagt, der Knorpel ohne Endothel; früher hat man, wie bereits erwähnt, die oberste Lage der Knorpelzellen, die eigenthümlich plattgedrückt und in nur spärlicher Zwischensubstanz liegen, für Endothelzellen gehalten. Meine Untersuchungen über die Structur der foetalen Gelenk- knorpeloberfläche wurden in Jodserum, Müller’scher Flüssigkeit und in 1—3°/, Lösung von Kal. bichrom. gemacht. — Obgleich das Endo- thelhäutchen der Synovialkapsel die Insulte der Reibung bei den Gelenkbewegungen auszuhalten vermag und es an der fibrillären Unterlage fest ansitzt, so scheint es doch vorzukommen, dass es an einzelnen Parthieen der Gelenkkapsel durchgerieben wird und in grösseren oder kleineren Fetzen abfällt. Ganz besonders interessant ist in dieser Beziehung die Innenfläche der Sehne des M. quadriceps. Ananderen Stellen der Gelenkkapsel habe ich eigent- lich niemals Endothel vermisst; wohl sah ich hier und da kleinere Risse, Lücken im Endothelhäutchen, aber ein Fehlen des Endothels über grössere Parthieen fand ich nur, wie gesagt, auf der Innenfläche der Sehne des Muscul. quadriceps, welche bald mit dem schönsten Endothelhäutchen bedeckt war, bald an einzelnen, ausgedehnteren Stellen das nackte, endothellose Sehnengewebe zu Tage treten liess. Auf und in diesem nackten Sehnengewebe liegen Zellen, welche hier und da den Eindruck machen, als ob man Knorpelzellen vor sich habe. Es sind dieses dieselben Zellen, welche in der Achillessehne des Frosches beob- achtet sind und die von Kölliker, Lehmann), Ponfick >), 1) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. 14, pag. 109. 2) Ponfick, Zum feineren Bau der Sehne. Med. Centralblatt No. 8. Beiträge zur Histologie der Gelenke. 417 Bruce!) und v. Török ?) als Knorpelzellen, von Gegenbaur?), Boll), Golubeff °), Renaut‘) und Ciaccio ”) nicht als solche aufgefasst werden. Boll bezeichnet diese Gebilde als »grosse klare elastische Zellplatten«, welche den Bindegewebsbündeln aufliegen. Renaut hält die fraglichen Zellen für bläschenförmig veränderte Ran- vier’sche Röhrenzellen, während Go lubeffsie alsein »Nest von Binde- gewebskörperchen« bezeichnet, aus dem sich Fibrillen bilden. Ciaccio schliesst sich im Wesentlichen der Boll’schen Ansicht eng an, wäh- rend z. B. nach der Ansicht v. Török und der anderen, oben ge- nannten Forscher die betreffende Stelle in der Achillessehne vom Frosch echten hyalinen Knorpel darstellt, der in das Sehnengewebe übergeht. (Cfr. die neueste Literatur über den Knorpel in der Achillessehne im Jahresbericht über die Fortschritte der Anatomie u. Physiologie herausgegeben von Prof. Hofmann u. Prof. Schwalbe, Leipzig F. ©. W. Vogel 1873.) Nach meiner Ansicht kommen auch in der Sehne des Muscul. quadriceps beim Menschen Zellenformen vor, die man ebenfalls als Knorpelzellen deuten muss. (Fig. 6 und Fig. 7.) Neben diesen echten Knorpelzellen beobachtet man auch polyedrische Zellen, welche vielleicht den Boll’schen »elastischen Zell- platten« verglichen werden können, wie sie der letzt genannte Forscher °) abbildet (Fig. 6 bei a und 7 bei a). Die Zellen sind entweder leicht körnig, oder homogen mit deutlichem Kern. Sie liegen entweder isolirt oder zu grösseren oder kleineren Haufen zu- sammen; Ueberosmiumsäure färbt sie bald mehr oder minder dunkel, andere dagegen werden, wie Boll richtig bemerkt, nur sehr blass 1) Bruce, On tke structure of tendon. Quarterly journal of micer. science Vol. XII, pag. 129. 2) v. Török, Med. Centralblatt No. 5 und Verhandlungen der physik. med. Gesellschaft zu Würzburg N. F. Bd. IH. 3) Jenaische Zeitschrift für Medicin und Naturwissenschaften 1866, pag. 307. 4) Archiv für mikrosk. Anatomie Bd. 7, 8. 301. 5) Golubeff, Ueber den Bau der Faserknorpeln. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. XII, pag. 297. 6) Renaut, Archive de physiologie IV, pag. 271. 7) Ciaceio, Nuove ricerche sull’ interna tessitura dei tendini. Me- morie dell Accademia delle Science dell’ Instituto di Bologna. Serie II, Tomo II. 8) L. c. Tafel 26, Fig. 22. 418 Dr. Herm. Tillmanns: tingirt (Fig. 6). Nicht selten lagen ganze Haufen von Zellen auf den Bindegewebsbündeln (cf. Fig. 9 und 10), Zellen, die mit ihren oft deut- lich ausgesprochenen hyalinen Kapseln entschieden den Eindruck von Knorpelzellen machten. Die hyaline Kapsel der Zellen ist nicht selten sehr dick (cf. Fig. 6, X). Wieder andere ziemlich homogene Zellen mit einer dicken hyalinen Kapsel waren kernlos und schienen in einer das Bindegewebsbündel deckenden Blase zu liegen, welche mit einer stark lichtbrechenden, leicht körnigen Masse gefüllt war (Fig. 8). Alle Zellen mit den dicken hyalinen Kapseln muss ich für echte Knorpelzellen ansprechen, während die anderen mit den Boll’- schen elastischen Zellplatten verglichen werden können. Beide Zell- formen lagen nicht selten auf demselben Bindegewebsbündel neben einander (cfr. Fig. 10), sie isolirt darzustellen, war nicht leicht, da sie ziemlich fest aufund zwischen den Fibrillen lagen; ihre Isolirung gelang jedoch vollkommen (cf. Fig. 7). Die in Rede stehenden Zellen kommen besonders an der Stelleder Sehnedes quadricepsvor,diebeiMenschen und Thieren keine injicirbaren Blutgefässe hat. Weiter unten werde ich genauer die Gefässvertheilung an der Innenfläche der Gelenkkapsel des Kniegelenks beschreiben, ich führe aber hier diese Thatsache bereits an, weil sie mir von Wichtigkeit scheint. Durch diesen Umstand kommt um so eher dieser gefässlosen Zone der Sehne des quadriceps mit den ein- und aufgelagerten Knorpel- zellen die Bezeichnung „bindegewebiger Knorpel“ zu. Hier muss ich noch eines Befundes gedenken, weicher mir von srösster Wichtigkeit erscheint und der die Entstehung der fraglichen Zellenbildungen und ihr Verhältniss zu den Endothelien in ein etwas klareres Licht zu setzen im Stande sein dürfte. In einem einzigen, ganz besonders interessanten Falle fand ich beim erwach- senen Menschen folgendes Verhalten auf der Innenfläche der Sehne des quadriceps. Im betreffenden Kniegelenk sah ich überall ein ein- faches Endothelhäutchen, wie ich es oben beschrieben. Dieses Endo- thel ging auf der Sehne des quadriceps in der Gegend der weiten Communicationsöffnung der Bursa suberural. in ein epithelartig ange- ordnetes Häutchen über, welches hier und da in Falten abgehoben war (cfr. Fig. 4). In der beiliegenden Abbildung sieht man dieses Häutchen in einer deutlichen Falte a von der fibrillären Unterlage b abgehoben; bei ce ist eine zweite Falte, bei d eine Lücke im Häut- chen. Diese Zellen können in vieler Beziehung mit jenen verglichen werden, die Boll aus der Achillessehne des Frosches im 7. Bande Beiträge zur Histologie der Gelenke. 419 des Archivs für mikroskopische Anatomie auf Taf. 26, Fig. 22 ab- bildet. Dieses epithelartig angeordnete Zellenhäutchen ging nun weiter oben in hier und da isolirt, oder zu mehreren zusammen liegende Zellen über, welche meist mit einer dicken hyalinen Kap- sel umgeben waren und vollständig den Eindruck von wirklichen Knorpelzellen machten (Fig. 5). Was diese Zellen von den einzel- nen Gebilden des continuirlichen Häutchens unterschied, war die deut- - lich ausgeprägte, dicke Kapsel, aber es gab auch Uebergänge, auch im Zellenhäutchen waren hier und da Zellen, welche wegen ihrer dieken Kapsel kaum von den isolirt liegenden Zellen zu unterschei- den waren. Wir haben also hier die interessante Thatsache, dass das ge- wöhnliche kernhaltige Endothelhäutchen übergeht in eine epithel- artig angeordnete Zellenschicht, auf welche dann Zellen folgen, welche zum mindesten von echten Knorpelzellen kaum zu unterscheiden waren. Wir stehen hier jedenfalls vor einer wichtigen Thatsache und wir können uns fragen: haben wir hier einen directen Uebergang von Endothelien in Knorpelzellen vor uns? Repräsentirt das epithelartig angeordnete, in Falten abhebbare Zellenhäutehen eine Uebergangsstufe von Endothelien zu Knorpel- zellen? Nur einmal habe ich das vorliegende Factum beobachtet . und zwar an einem gesunden, normalen Kniegelenk eines Men- schen aus den mittleren Lebensjahren. Der Erklärung der vorliegenden Thatsachen glaubte ich durch Zerzupfungspräparate in Müllerscher Flüssigkeit, in Kal. bichrom., durch Injection von !/s°/, Osmiumsäure mittelst Einstich in das sub- endotheliale Bindegewebe näher zu kominen und besonders auch glaubte ich aus dem Verhalten der Bindegewebsendothelien einen Schluss bezüglich der Entwicklung unserer in Rede stehenden Zellen- formen ziehen zu können; aber vergebens. Ich sehe mich desshalb ausser Stande das vorliegende Factum zu erklären, ich muss mich darauf beschränken, die Thatsache, wie ich sie gefunden, mitzutheilen, ich halte mich dabei allerdings zu der hypothetischen Ansicht be- rechtigt, dass die Knorpelzellen aus Endothelien hervorgegangen sind. Bezüglich der Entstehung des bindegewebigen Knorpels ist die vorliegende Thatsache von grösster Wichtigkeit, er scheint dar- nach durch Umwandlung der Bindegewebs-Endothelien in Knorpel- zellen hervorzugehen. 420 Dr. Herm. Tillmanns: II. Die Synovialkapsel. Die eigentliche Gelenkkapsel besteht aus einem dichten Geflecht von Faserbündeln, die sich nach den verschiedensten Richtungen kreu- zen; die Ausbreitung der Sehnen der Muskeln verstärkt mehr oder min- der die Kapsel und ist aufs Innigste mit ihr verbunden. Die Dichtig- keit und Kreuzung der Bindegewebsbündel ist eine sehr variabele und mannichfaltige. In dem fibrillären Bindegewebe finden sich zahl- reiche elastische Fasern, welche ein zierliches Netzwerk mit verschie- den weiten Maschen bilden. Einzelne Schichten lassen sich in der Gelenkkapsel nach dem Verlauf der Bindegewebsbündel nicht unter- scheiden oder anatomisch darstellen; hier und da wechseln festere und lockere Bindegewebsschichten unter einander ab, die aber auch wieder ineinander übergehen. Gleich unter dem Endothelialhäutchen ist eine meist ziemlich feste, dichte Schicht eines fibrillären Binde- sewebes von verschiedener Dicke, über welchem nach Aussen zu meist ein etwas lockeres, mit Fett mehr oder minder untermischtes Zellgewebe liegt. Im Allgemeinen liegen die lockeren, fettreichen Bindegewebsschichten in den mittleren Partieen der Kapsel, nach Innen und Aussen wird das Gewebe mehr fester. Doch giebt es hiervon zahlreiche Ausnahmen. Nicht selten liegt das Endothel direkt auf Fettgewebe auf, z. B. auf der Plica synovialis patellae, eine Thatsache, welehe Böhm mit Unrecht benutzte, um daraus einen Schluss gegen die endotheliale Natur der Synovialintima zu ziehen. Ich kann durchaus dieser Beweisführung nicht beistimmen, ich kann es desshalb nicht, weil z. B. die Plica synovial. patellae weiter nichts ist, als eine mit Fett gefüllte Synovialfalte und wenn an anderen Stellen der Gelenkkapsel das Endothel direkt auf Fettgewebe auf- liegt, so ist dieses Vorkommen mehr ein zufälliges, nebensächliches Ereigniss, als dass dadurch ein Gegenbeweis gegen die endotheliale Natur der deckenden Zellschicht gegeben sei. An jenen Stellen der Gelenkkapsel, welche durch die sehnige Ausbreitung der Muskeln verstärkt werden, findet sich ein starres, festes Fasergewebe, welches unter Umständen durch den grösseren oder geringeren Gehalt jener oben beschriebenen Zellen ausgezeichnet ist und durch die Gegenwart von wirklichen Knorpelzellen eine Mischform zwischen Knorpel und Bindegewebe, Bindegewebsknorpel, darstellt. Besonders bei deformirenden Arthriten findet man neben Beiträge zur Histologie der Gelenke. 421 periarticulären, parostotischen Wucherungen auch wirklich hyalinen oder faserigen Knorpel an verschiedenen Stellen der Gelenkkapsel. Um das subendotheliale Bindegewebe einer genaueren Untersuchung zu unterwerfen, wurden theils Zerzupfungspräparate in Müller’scher Flüssigkeit, in Kal. bichrom. hergestellt, theils mittelst feiner Einstich-Canülen in und unter die Intima frischer Gelenkkap- seln eine Lösung von !/s °/, Ueberosmiumsäure injieirt und die Präparate dann in Alcohol gehärtet. Aufdiese Weise ist es mir aber nicht ge- lungen eine differente Anordnung des subendothelialen Bindegewebes festzustellen, abgesehen von dem reichen, weiter unten zu besprechen- den Capillarnetz der Gefässe ist auch dieses nach demselben Typus aufgebaut, wie der übrige Theil der bindegewebigen Kapsel. Somit liest das Endothel direkt auf einem gefässreichen, fibrillären Binde- gewebe auf. Nur das will ich noch hinzufügen, dass das subendo- theliale Bindegewebe besonders reich an einem feinen Netzwerk von elastischen Fasern ist. — Die Zwischenknorpel, welche meist eine Fortsetzung der Kapsel bilden und als solche theilweise mit Endothel überzogen sind, bestehen bekanntlich aus Knorpelzellen mit faseriger Grundsubstanz. Die oberste Lage der Knorpelzellen ist sehr reich an Fett und Schleim und zwar um so mehr, je näher man der Mitte der Bandscheiben kommt, wo der stärkste Druck herrscht, welchen die Zwischenknorpel z. B. im Kniegelenk auszuhalten haben. Was die feinere Struktur des Bindegewebes in der Kapsel so- wohl, als in den intraarticulären Ligamenten anlangt, so sehe ich davon ab, hier näher darauf einzugehen, ich kann nur soviel sagen, dass ich lediglich das bestätigen könnte, was Boll und Andere uns bereits gelehrt haben. Nur über die Gefässvertheilung in der Kapsel und besonders unter dem Endothel muss ich noch Einiges hinzufügen. Die Gelenkkapsel besitzt ein sehr reiches Blutcapillarnetz, wel-' ches unmittelbar unter dem Endothelhäutchen liegt. Das Capillar- netz ist sehr eng, die Arterienverzweigungen liegen mehr oberfläch- lich, die Venen dagegen etwas tiefer. Besonders reichhaltig ist die Blutgefässvertheilung an den Seitenflächen der Oberschenkel-Condy- len im Kniegelenk, wo die Capillaren zuweilen, durchaus nicht con- stant, Korkzieherartig gewunden sind und mit ihren hier und da nach oben stehenden Schlingen das Endothelhäutchen gleichsam empor- heben, eine Thatsache, welche die Entstehung von gefässhaltigen Synovialzotten zu begünstigen im Stande ist (cfr. Fig. 11). Gegen 492 Dr. Herm. Tillmanns: den Knorpel hin bilden die Blutgefässe Schlingen, welche verschieden weit auf der Knorpelfläche z. B. der Patella, der Oberschenkelcondylen u. s. w. hinlaufen, wie in Fig. 11 dargestellt ist, wo auf der Knor- pelfläche K die einzelnen Capillarschlingen sichtbar sind. Die Grenze des Endothelhäutchens fällt gewöhnlich mit der Endigung dieser Gefässarkaden auf dem Knorpel zusammen. Auch auf der Innenfläche der Sehne des quadriceps des Kniegelenks giebt es solche terminale Gefässschlingen und zwar einen oberen und unteren Kranz von Gefässschlingen; zwischen beiden bleibt eine verschieden breite, blutgefässlose Zone, welche sich besonders in der-Mitte der Sehne, dann aber auch auf den Endausbreitungen der m. vasti vorfindet. Der obere Gefässkranz (efr. Fig. 12) wird von Blutgefässen gebildet, die von oben aus der Substanz des Musculus quadriceps in das Ge- lenk dringen und sich auf der Innenfläche der Sehne ausbreiten. Der untere Schlingenkranz stammt von jenen Capillargefässen, die beiderseits die Patella umgeben und nach oben fliessen. In Fig. 12 sieht man bei U die nach unten gerichteten terminalen, von O (oben) kommenden Gefässschlingen; a ist eine Arterie. Die gefässlose Zone zwischen diesen oberen und unteren Gefässschlingen varirt sehr in der Breite, beim ausgewachsenen mittelgrossen Hunde be- trägt sie vielleicht /„—!/s Ct. höchstens, hier und da je nach der Grösse des Thieres mehr, bei Menschen ist sie breiter, man sieht sie hier sehr deutlich bei hyperämischen Zuständen der Innenfläche der Gelenkkapsel, bei welchen dann die blutleere Zone auf der Sehne des quadriceps deutlich hervortritt. Was den Ort anlangt, wo diese gefässlose Stelle vorkommt, so entspricht sie meist der Gegend, wo das Sehnengewebe ganz besonders starr und fest ist und die Bursa extensoria mit dem Kniegelenk communieirt. Ist die Communication nicht sehr weit oder fehlt sie vollständig, was hier und da vorkommt, dann liegt die gefässlose Zone nach meinen Untersuchungen unter- halb der erwähnten Stelle, also im Kniegelenk. Bereits oben hatten wir gesagt, dass auch grade diese Stelle es war, wo wir jene poly- edrischen platten Zellen und die ächten Knorpelzellen gefunden haben. Hüter!) hat behauptet, dass in der Intima der Synovialis „überall die feinsten Gefässe, die Capillaranastomosen, nackt an der Oberfläche zwischen den Zellreihen liegen, ohne von der Zellschicht bedeckt zu sein — ein neuer Beweis, wenn es noch eines solchen 1) Klinik der Gelenkkrankheiten pag. 33 u. 34. Beiträge zur Histologie der Gelenke. 423 bedürfte, für die Nichtidentität der Zellschicht mit einer Epithel- schicht“ (Endothel). Auch Böhm!) ist der Ansicht, dass die Gon- tinuität der Zellen der Synovialintima durch Capillargefässe unter- brochen sei. Diese Auffassung beruht auf der Beschreibung von Silberbildern, deren Richtigkeit durch eine andere Untersuchungs- methode nicht bestätigt werden kann. Ich kann die weissen Strassen, welche man in den Hüter’schen Silberbildern zwischen den gebräun- ten Stellen sieht, ebenso wenig wie Sch weigger-Seidel, für Gefässe halten. Bereits vorSchweigger-Seidel hat Hartmann?) dar- auf aufmerksam gemacht, dass man in den weissen Strassen zwischen den gebräunten Stellen nur eine Lage schwarzer Silberlinien wahrnehme, während doch eine doppelte vorhanden sein müsse, wenn sie wirklich Gefässe darstellte. Dagegen meint Hüter?) dass „erfahrungsgemäss durch die Silberimprägnation von zwei sich deckenden Epithellagern fast regelmässig nur die oberflächlichste ge- troffen“ werde. Schweigger-Seidel®) hat diese Erklärung nicht ausreichend gefunden und darauf hingewiesen, dass z. B. bei Ver- silberung der Hodenkanälchen sich die Wirkung leicht durch die Tunica propria hindurch am Inhalt bemerkbar mache, dass man ferner, wo z. B. wirkliche Gefässe vorliegen, stets zwei Lagen schwarzer Linien nachweisen könne. Nach meinen Untersuchungen muss ich ebenfalls die Hüter’schen Gefässzeichnungen als unrichtig verwerfen, überall liegen die Gefässe unter dem Endothel. Am besten kann man sich hiervon z. B. überzeugen, wenn man frische Gelenke eines eben getödteten Hundes in 1/2 %/o Kochsalzlösung, in Müller’scher Flüssigkeit, oder in Kal. bichrom. untersucht. Nicht ‚selten sind die Blutgefässe noch mit Blutkörperchen gefüllt, eine natürliche Injection, welche die zuverlässigsten und nebenbei zierlichsten Bilder giebt. Sie lassen sich in Glycerin mit einem Tropfen einer 3°/o Lösung von Kal. bichrom. ausgezeichnet conserviren und ich be- sitze einige solcher natürlicher Injectionspräparate, die zu den schön- sten meiner Sammlung gehören. Beim Menschen, sowohl beim Foetus, als beim Erwachsenen, verhält es sich vollständig gleich. Auch mit er 1) Beiträge zur normalen und pathologischen Anatomie der Gelenke. Inauguraldissertation, Würzburg 1868. 2) Archiv für Anatomie u. Physiologie S. 235 Iahrgang 1864. 3) Virchov’s Archiv B. 36. S. 35. 4) 1. c. pag. 161. 494 Dr. Herm. Tillmanns: Chromsäure behandelte und in Carmin oder Hämatoxylin gefärbte Flachschnitte gaben die Ueberzeugung, dass die Gefässverzweigungen stets unter dem Endothelhäutchen liegen. — Und die Lymphgefässe ? Leider bin ich noch nicht, wie Landzert, in der glücklichen Lage, über den Verlauf, ja über die Existenz der Lymphgefässe an der Innenfläche des Gelenks ein sicheres Urtheil abzugeben. Be- kanntlich haben sowohl Ludwig und Schweigger-Seidel!), als auch Böhm sich vergebens bemüht, den Verlauf der Lymphgefässe an der Innenfläche der Gelenkkapsel festzustellen. Wohl ist es ge- lungen, nach 24 Stunden Zinnober- oder Milchkügelchen frei oder in Zellen der Inguinaldrüsen nachzuweisen, wenn die genannten Mas- sen in das Kniegelenk eines Hundes injicirt wurden, aber die Wege dieser Resorption sind uns leider in ihrem Verlauf vollständig un- bekannt. Teichmann und andere Forscher wollen die Lymphge- fässe der Synovialintima dargestellt haben, aber eine ausführliche und sichere Kunde besitzen wir hierüber nicht. Meine Untersuchungen über die vorliegende so schwierige Frage sind noch nicht spruchreif und ich behalte mir desshalb noch eine specielle Mittheilung hier- über vor. Auch über die von Hüter supponirten Stomata, die nach Analogie der übrigen serösen Häute an der Synovialintima vorkommen könnten, wage ich noch nicht meine endgültige Ansicht auszusprechen. — Fassen wir das Vorhergehende in kurze Sätze zusammen, so glaube ich auf Grund meiner vorliegenden Untersuchungen zu fol- senden Behauptungen berechtigt zu sein. I. Die Innenfläche der Gelenkkapsel ist mit einem continuir- lichen, von der fibrillären Unterlage isolirbaren Endothelhäutchen bekleidet; die einzelnen Endothelzellen lassen sich ebenfalls mit Leichtigkeit isoliren. II. Hier und da stellt das Endothel eine mehrschichtige Wucherung dar (Reibung, Gelenkbewegung). II. Die Blutcapillaren liegen überall unter dem Endothel- häutchen. IV. Das Endothelhäutchen der Gelenkkapseln ist wegen seiner häufig vorkommenden Verfettung und stetigen Imprägni- rung mit Synovia sowie in Folge der Reibung, welcher es ausgesetzt ist, etwas different von den Endothelien der übri- gen serösen Häute. Die stetige Reibung bei den Gelenkbe- 1) Ludwig u. Schweigger-Seidel die Lymphgefässe der Faseien und Sehnen. Leipzig. 1872. Beiträge zur Histologie der Gelenke. 425 wegungen bewirkt eine Art von Entzündungszustand in dem Endo- thelhäutchen. V. Die in Massen abfallenden Endothelien der Synovialintima sind eine stetige Quelle für den Eiweiss- und Mucingehalt der Synovia. VI. Das Endothelhäutchen geht constant auf die intraartiku- lären Ligamente über, ebenfalls auf die Zwischenknorpel soweit, als es der auf ihnen lastende Druck gestattet. Der Gelenkknorpel des Erwachsenen ist ohne Endothel. Dagegen ist es möglich, dass in bewegungslosen Gelenken des Foetus und des Erwachsenen sich das Endothelhäutchen mehr oder minder vollständig auch über den Knorpel hinschiebt. VII. Auf und in der Sehne des Quadriceps ist ein Uebergang von Endothelien in Knorpelzellen wahrscheinlich; der bindegewebige Knorpel scheint durch Umwandlung der Endothelien des Bindege- webes in Knorpelzellen hervorzugehen. III. Die Gelenkzotten. Die vorhandene Literatur über die Histologie der Gelenkzotten ist sehr spärlich. Nur dürftig sind die Angaben, die ich darüber bei Hyrtl, Henle, Kölliker, Luschka, Böhm und Anderen finde. Eine ausführlichere Beschreibung hat His!) gegeben. Das Material zu den nachstehenden Untersuchungen über die Gelenkzotten stammte von Menschen und Thieren. Von frisch getödteten Thieren, besonders von Hunden und Kaninchen wurden die Gelenke, meist das Kniegelenk, unter Wasser geöffnet, unter Wasser desshalb, weil dann die Zotten am leichtesten sichtbar werden. Was zunächst das Vorkommen der Gelenkzotten anlangt, so muss ich zunächst die Richtigkeit der Behauptung Böhm’s?) be- streiten, dass die Zotten in normalen Gelenken der Menschen und Säugethiere nur äusserst spärlich vorkommen; „meistens an den Stellen der Synovialhäute, wo diese in Form schmaler Falten auf die Peripherie der Gelenkknorpel übergreifen“, soll nach Böhm der Lieblingssitz der Gelenkzotten sein. Nach meinen Untersuchungen 1) W. His die Häute und Höhlen des menschlichen Körpers. Ein akade- misches Programm, Basel 1865. 2)1.c.S$. 8 und 9. M, Schultze, Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd. 10, 28 426 Dr. Herm. Tillmanns: kommen die echten Synovialzotten an allen Stellen des Gelenks vor, wo sich Endothel befindet, allerdings ganz besonders an den Rändern der Synovialfalten, z. B. am Rande der Plica synovialis patellae, das ist richtig, aber ich sah sie auch vorzüglich auf der Fläche der genannten Synovialfalte, ferner ganz besonders um die Patella herum, nicht selten endlich an den Seitentheilen der Kapsel, auf der Innenfläche der Sehne des M. quadriceps, auf den intraarti- culären Ligamenten und Zwischenknorpeln, soweit letztere von En- dothel bekleidet sind. Auch in den Schleimbeuteln fehlen die Zotten nicht. Also an den verschiedensten Stellen der Synovialintima finden sich echte Zotten. Wenn man z. B. das Kniegelenk eines erwach- senen Menschen unter Wasser öffnet, so sieht man zahlreiche Zotten, grössere und kleinere nicht selten, wie auch Henle!) sagt, wie einen feinen Filz oder als zarte Fäden flottiren. Neben diesen mit blossem Auge sichtbaren grösseren Zotten sieht man unter dem Mikroskop noch eine Menge kleinerer Zotten auf der Innenfläche der Gelenk- kapsel liegen (cfr. Fig. 13), von welchen ich sicher glaube, dass sie bei Silberbehandlung leicht zu falschen Schlüssen führen möchten. Auch auf dem Gelenkknorpel z. B. der Patella sieht man nicht selten zottenartige Bildungen, die aber nichts weiter sind, als aufgefaserter Knorpel, von dem wir weiter unten noch mehr sprechen werden. Bezüglich der anatomischen Anordnung der Gelenkzotten unter- scheide ich nun zunächst echteEndothelzotten, Zotten, welche mit einem continuirlichen Endothelhäutchen bedeckt sind, das sich von der Synovialintima auf sie fortsetzt. Dieses Endothel ist entweder einfacher oder mehrschichtiger Natur. Auch hier ist das Wucherungsendothel wahrscheinlich auf den stetigen Reiz zurückzu- führen, welchen die Gelenkbewegungen, die Reibungen auf die Oberfläche der Gelenkzotten ausüben. Lässt man frische Gelenkzotten mehrere Tage in 1—3°/, Kal. bichrom. liegen, so gelingt es z. B. durchfortgesetztes Schütteln, das Endothelhäutchen und die einzelnen Zellen derselben zu isoliren (cfr. Fig. 14b. 15). Das Endothelhäutchen sitzt sehr fest auf den Zotten, besonders scheint auch hier das mehrschichtige Endo- thel ganz besonders innig mit der Unterlage verbunden zu sein. Auch das Endothelhäutchen der Zotten besitzt dieselben Eigenthüm- 1) 1. c. pag. 6. Beiträge zur Histologie der Gelenke. 427 lichkeiten, wie wir sie oben für das Synovialendothel näher ge- schildert haben. Ist das Endothelhäutchen von der Zotte entfernt, so bietet die nun entblösste Unterlage, also das eigentliche Zotten- gewebe, ein ganz verschiedenes Bild dar. Entweder das Gewebe der Zotte zeigt die Structur des fibrillären Bindegewebes (cfr. Fig. 16) oder nur in der Mitte der Zotte zieht sich ein fibrillärer Grundstock hin, der von einer Schleimschicht umhüllt ist, die von einem feinen Fibrillennetz durchzogen wird (cfr. Fig. 17 und 18). Diese nur mit spärlichen Bindegewebsfasern durchwebte Schleimschicht (Fig. 17, b) liegt unmittelbar unter dem hier mehrschichtigen Endothel (c). Die Schleimschicht ist als ein lockeres, schleimiges Bindegewebe auf- zufassen, in welchem die mucingebende, interfibrilläre Substanz die fibrilläre überwiegt. Der fibrilläre Grundstock der Zotte lässt sich isoliren: durch Schütteln oder Zerzupfen der Zotten in Kal. bichrom. ist man nicht selten so glücklich, den Grundstock isolirt von Endothel und Schleimschicht zu demonstriren, wie es Fig. 19 zeigt. Bei a sieht man noch Reste der Schleimschicht, weiter oben bei b einen Endothelfetzen und auf der Spitze des Grundstocks eine isolirte Endothelzelle. An anderen Zotten fehlt dieser fibrilläre Grundstock, sie bestehen nur aus einer schleimigen, mit Endothel bedeckten Substanz, welche mit einem spärlichen Netzwerk von Fibrillen als Stützgewebe ausgestattet ist. Endlich giebt es Zotten, — und sie kommen sehr häufig vor — die ausschliesslich aus Fett- gewebe bestehen, dessen Gehalt an fibrillärem Zwischengewebe zwischen den einzelnen Fettzellen sehr variirt. Diese Fettzotten, welche ich constant mit Endothel bedeckt fand (cfr. Fig. 204 und 20b), kommen an allen jenen Stellen der Synovialmembran vor, wo unter dem Endothelhäutchen mehr oder minder viel Fett liegt. Die- selben sind nicht selten in colossaler Masse, z. B. im Kniegelenk, sichtbar, man findet dann einen dichten Zottenfilz, welcher unter Wasser die schönsten Zottenbäume zeigt. Den excessiven Entwick- lungsgrad ‚dieser Fettzotten nennt Virchow Lipoma arborescens. Die Kerne des Endothelhäutchens sieht man auf diesen Fettzotten schon bei schwächerer Vergrösserung, besonders aber bei stärkerer (Fig. 20b). In Fig. 20b sieht man grosse Fettzotten und darüber die Kerne des Endothelhäutchens. Diese Fettzotten sind nun in einer Beziehung ganz besonders interessant, indem sie nämlich durch Wucherung ihres Endothels zu secundären Zotten Anlass geben, die nur aus Endothelbedeckung und einer mehr oder minder be- \ 428 Dr. Herm. Tillmanns: trächtlichen fibrillären fettlosen Unterlage bestehen. In Fig. 20a sieht man an der Spitze und an der Basis der Fettzotten zierliche Ranken von Tochterzotten, die fettlos und nach dem eben ange- deuteten Typus aufgebaut sind. Seitlich dagegen sieht man zwei brei- tere Tochterzotten, die eine fetthaltige Unterlage von der Mutterzotte erhalten haben. Weiter unten werden wir nochmals auf die Wuche- rungen des Endothelhäutchens der Zotten zurückkommen und sehen, dass dieselben bei der Entstehung von Tochterzotten eine ganz be- sonders wichtige Rolle spielen. Nach der bisher gegebenen Darstellung könnte man also die Endothelzotten in folgende Abtheilungen eintheilen : 1) Schleimzotten, 2) Faserzotten, 3) Schleim-Faser-Zotten, 4) Fettzotten. Alle diese Zottenformen sind, wie gesagt, mit einem einfachen oder mehrschichtigen Endothel bedeckt. Bisher haben manche Forscher geglaubt, dass die Kerne, welche man an der Oberfläche der Zotten sieht, in der Zottensubstanz selbst liegen und nicht die Kerne eines Endothelhäutchens darstellen. Henle sagt z. B.: »ein eigentliches Epithelium (Endothel) besitzen diese Zotten nicht; doch nimmt sich die feine körnige Substanz mit den regelmässig vertheilten Kernen, wenn sie in dünnster Lage an der Oberfläche zum Vor- schein kommt, wie ein Epithelium-Ueberzug aus«. Böhm ist auch der Ansicht, dass die zahlreichen Zellen im Bindegebe der Zellen eingelagert sind; die Zellen sollen in Lücken des Bindegewebes liegen, die besonders deutlich seien, wenn die Zellen herausgefallen. Ich kann diese Angaben durchaus nicht bestätigen. Es ist denkbar, dass die angeblichen Lücken des Bindegewebes mit Bildern ver- wechselt werden, die man nicht selten nach Entfernung des Endo- thelhäutchens erhält. Man sieht dann ein eigenthümliches Netzwerk von Linien auf der Zottenoberfläche (cfr. Fig. 21), die ich für einen Abdruck des Endothelhäutchens auf der Substanz der Zotte halten muss, Bilder die man auch sonst nach Entfernung von Endothelien oder Epithelien erhält. Mit Rücksicht auf die mir gelungene Isolirung des Endothel- häutchens sowohl in toto, als auch seiner einzelnen Zelle muss ich somit darauf bestehen, dass die echten Gelenkzotten mit einem continuir- lichen Endothel bekleidet sind, aber mit einem Endothel, welches Beiträge zur Histologie der Gelenke. 429 nieht immer durchaus dasselbe bleibt, sondern welches in seiner äusseren Form nicht selten variirt, wie das Endothelhäutchen der Innenfläiche der Kapselmembran. Wie letztere, so sind auch die Zotten bei den Bewegungen des Gelenks allerhand Insulten aus- gesetzt, welche die Configuration des Endothelhäutchens gar leicht modifieiren und zwar um so mehr, je grösser die Zotte ist und je leichter sie nach ihrem betreffenden Standort von den Insulten bei den Gelenkbewegungen getroffen wird. Daher kommt es, dass man zunächst Zotten findet, welche nur theilweise ihr En- dothel noch besitzen, während es an einzelnen Stellen von der Oberfläche der Zotte abgefallen ist; hier und da sieht man solche zum Theil abgelöste Endothelfetzen noch am Körper der Zotte hän- gen. Vor allem aber spielt auch hier, wie beim Endothel der Sy- novialintima, die stetige Berührung mit Synovia eine Hauptrolle; auch am Endothelhäutchen der Zotten findet dadurch eine Art von Maceration statt. Der letztgenannte Umstand giebt uns die Er- klärung für eine sehr interessante Thatsache, welche für die bereits oben angedeutete Entstehung des Eiweiss- und Mucingehalts in der Synovia von grösster Wichtigkeit sein dürfte und unserer oben aus- gesprochenen Hypothese eine bedeutungsvolle Stütze giebt. Man findet nämlich häufig Zotten, welche, wenn ich so sagen darf, wie angenagt aussehen und ganz unregelmässige, buchtige Ränder be- sitzen. Es sind besonders jene Schleimzotten mit oder ohne fibril- lären Grundstock, sie sind gleichsam geplatzt und scheinen eine reiche Quelle für den Mucingehalt der Synovia zu bilden. Fig. 18 stellt einen Theil einer solchen ansehnlichen Zotte dar, es ist das Ende der Zotte. Man sieht die ganz unregelmässigen, zerklüfteten Ränder, die Kerne des schleimig infiltrirten Endothelhäutchens sind ' nur hier und da sichtbar. Einzelne Endothelien sind abgefallen; das Ende der Zotte ist scheinbar geplatzt. Diese sicher constatirte Thatsache ist für die Physiologie der Synovia, wie ich glaube, von grösster Wichtigkeit. Durch die fortschreitende Auflösung des Zotten- endothels scheinen ganz besonders die Schleimzotten mit oder ohne fibrillären Grundstock dazu berufen zu sein, für die Bildung des Mucingehalts in der Synovia Sorge zu tragen. In anderen Fällen ist die Maceration, Verfettung ete. nicht durch die Gegenwart der Synovia allein bedingt, sondern auch hier mehr Folge ungünstiger Ernährungsverhältnisse und zwar besonders an jenen Stellen, wo, wie bereits erwähnt, ein mehrfaches Endothel in weitester Entfernung 430 Dr. Herm. Tillmanns: von den Capillaren sich vorfindet. Ob die Zotten auch durch spe- zifische organische Eigenschaften befähigt sind, Mucin aus sich selbst zu liefern, ob sie also eine secretorische Function haben, das wage ich nicht zu entscheiden. Durch die fortschreitende Auflösung von schleimhaltigen Zotten kann der fibrilläre Grundstock, wenn ein solcher vorhanden war, allmählig seiner ganzen Schleimumhüllung beraubt werden und allein übrig bleiben. Auch hierfür giebt es Befunde, welche auf diesen Vorgang hinweisen. So erkläre ich mir jene aus Bindegewebsfibrillen bestehenden Zotten, welche lang und schmal, nur hier und da noch mit Spuren einer Schleimschicht versehen und meist endothellos sind; nur an einzelnen Stellen sieht man noch restirende Fetzen eines Endothelhäutchens, oder einzelne isolirte Endothelzellen auf der Zottenoberfläche aufliegen. Wie an der Synovialintima kommt auch auf den Zotten, wie wir sahen, ein mehrschichtiges Endothel vor (Fig. 22a und 22b); auch hier ist dieser Wucherungsprozess aufzufassen als eine Folge der Reibung bei den Gelenkbewegungen, ein Reiz, welcher auch das Endothelhäutchen der Zotten ganz besonders zu einer lebhafteren Neubildung von Zellen anregt. Diese Wucherung des Endothels spielt grade bei den Zotten eine besondere Rolle bezüglich der Ent- stehung von Tochterzotten. Bereits oben hatten wir schon hierauf aufmerksam gemacht. Die Entstehung von Tochterzotten kann man nicht selten successive verfolgen. Schon bei schwacher Vergrösse- rung sieht man an den Zotten eigenthümlich kolbenartige Auftrei- bungen (Fig. 23 a, a, a), die sich bei stärkerer Vergrösserung als eine Wucherung der Endothelzellen manifestiren (Fig. 22b und Fig. 22a). Diese kolbigen Auftreibungen bestehen in ihren Anfangs- stadien aus einseitigen kleinen Wucherungen (Fig. 22b), die immer mehr an Grösse zunehmen. Andere umgeben den ganzen Leib der Zotte, wodurch Kugeln von Endothelzellen gebildet werden (Fig. 22a und 22b, b‘, b‘), die an jene Bildungen erinnern, wie sie z. B. Michel !) an der inneren Opticusscheide gefunden, Kugeln, welche aus zwiebel- artig in einander gelegten Endothelzellen bestanden. Manche Zotten bestehen abwechselnd aus solchen Kugeln von Endothelzellen und schmalen stielartigen Zwischengliedern. Letztere, fibrillärer oder mehr homogener Natur, sind meist mit einem einfachen Endothel 1) Michel, Archiv der Heilkunde 1873, 1. Heft. Beiträge zur Histologie der Gelenke. 431 bedeckt (Fig. 22a, a), oder aber man vermisst hier das Endothel- häutchen. Aus welchem Grunde ist nicht recht ersichtlich. In letztem Falle sieht man jene Zottentypen, wie sie z. B. Henle') abbildet. Es ist möglich, dass grade auf den schmalen stielartigen Bildungen das Endothel leicht abfällt. Die Endothelzotten sind meist gefässhaltig, wie man es in Fig. 24 sieht. Ob die Zotten auch Lymphgefässe enthalten, habe ich noch nicht darthun können ; ich behalte mir äuch hierüber eine spezielle Mittheilung vor. Die Blutgefässe bilden Schlingen, welche verschieden weit in der Zotte aufsteigen. In vielen Fällen sind die Gefässe durch das Endothel verdeckt, besonders, wenn letzteres stark gewuchert und mehrschichtig ist. Oft sind die Gefässzotten noch mit Blutkörperchen gefüllt und auch hier erhält man die schönsten natürlichen Injectionspräparate (efr. Fig. 24). Ueber die Entstehung der primären Endothelzotten möchte ich noch einiges sagen. Bereits oben haben wir die Entstehung der Tochterzotten oder secundären Zotten besprochen; wir sehen durch Wucherung des Endothels zuerst kolbige Auftreibungen an den Seiten der Zotte entstehen, Auftreibungen, die später immer mehr die Form einer Tochterzotte annehmen. Diese Endothelwuche- rung sieht man zuweilen auch am Ende der Zotte in der Weise, dass sie hier in zahlreiche Theile gespalten scheint; aber dieser scheinbare Spaltungsprozess am Zottenkopfe ist auch wieder als lebhafte unregelmässige Endothelwucherung wohl aufzufassen. Was die Art der Entstehung bei den primären Zotten anlangt, so ist dieselbe bis jetzt noch dunkel. In den jüngsten Entwicklungsstadien der Zotten sieht man häufig ein Gebilde, wie es Böhm (I. c.) be- schrieben. Dasselbe ist von der Grösse eines rothen Froschblut- körperchens, der Körper ist von ellipsoider Form und mit einem dünnen transparenten Stiel versehen. Innerhalb dieses Gebildes sieht man nicht selten eine runde Zelle mit Kern. An grösseren Bildungen dieser Art kann man auf der Oberfläche derselben ein deutliches Endothelhäutchen erkennen. Immerhin ist es auch mög- lich, dass jene oben erwähnten (cfr. Fig. 11), direct gegen das Endo- thelhäutchen schief oder vertical gerichteten Capillarschlingen all- mählig mit dazu beitragen, dass sich unter diesem stetigen Druck das Synovialendothel allmählig zottenartig ausdehnt. Bestimmte Ur- l) L. c. pag. 10. 432 Dr. Herm. Tillmanns: sachen für die Entstehung der primären Endothelzotten habe auch ich mit Sicherheit nicht auffinden können. Doch scheint mir folgende Thatsache der Erwähnung werth. An den Rändern von Synovialfalten, z. B. an der Plica synovial. patellae, also an einem der Lieblingssitze der Zotten, sieht man nicht selten, dass, wenn die Capillarschlingen nicht bis an das äusserste Ende dieser Syno- vialfalte laufen, dieser gefässlose Theil sich allmählig durch Ver- fettung etc. in Folge ungünstiger Ernährungsverhältnisse aufzulösen scheint. Dieser fettige Zerfall reicht bis in die Gegend, wo die Capillarschlingen endigen. Der Anordnung der Capillarschlingen entsprechend bekommt nun die Synovialfalte einen gezackten Rand, das heisst, sie läuft in Gefässzotten aus, welche sich, einmal in ihrer Form angedeutet, immer mehr entwickeln können, um so eher, als sie mit Ernährungsmaterial aus nächster Nähe reichlich versehen sind. So viel über die echten Zotten, über die Endothelzotten! Aber es giebt auch endothellose Zotten, deren Entstehung eine ganz andere ist, wie die bisher besprochene. Diese endothel- losen, oder falschen Zotten entstehen zunächst gar nicht primär auf der Synovialintima, wenn sie auch in späteren Stadien ihrer Ent- wicklung Gebilde der Innenfläche der Kapsel zu sein scheinen. Zu- nächst entstehen sie, — auch in makroskopisch ganz gesunden Gelenken, durch Auffaserung des hyalinen Knorpels. Solche Zotten findet man z. B. auf der Patella nicht nur alter, sondern auch junger Individuen, ohne dass makroskopisch der betreffende Knorpel irgend eine pathologische Umänderung zeigt. In grosser Menge sind jene falschen Zotten ein Product der chronischen deformirenden Arthritis. Fig. 25 stellt Knorpelzotten dar, welche durch Auffase- rung der oberflächlichsten Knorpelschicht der Patella entstanden sind, während die untere Partie des Knorpels von der faserigen Deformirung intact blieb ; diese Knorpelzotten haben bei stärkerer Vergrösserung (cfr. Fig. 25b) eine so deutlich fibrilläre Anordnung, dass sie wie bindegewebige Gebilde erscheinen; echte ein- und auf- gelagerte Knorpelzellen habe ich an diesen zottenartigen Bildungen nie vermisst. In grosser Masse sitzen sie oft um den Rand der Patella herum, scheinbar Fortsetzungen der hier aufhörenden Syno- vialintima, so dass man makroskopisch glaubt, sie seien echte Sy- novialzotten. Bei einem senkrecht auf den Patellaknorpel geführten Schnitt sieht man aber, dass sie noch continuirlich in die Knorpel- Beiträge zur Histologie der Gelenke. 433 substanz übergehen und knorpeligen Ursprungs sind. Unter diese Classe von sogenannten falschen Zotten glaube ich auch jene Bildungen rechnen zu müssen, welche z. B. Henle !) als endothellose Fibril- lärzotten bezeichnet ; auch diese halte ich für Derivate des Knorpels. — Aber es giebt auch Knorpelzotten, die an ihrer Basis ein deut- liches einfaches Endothelhäutchen tragen, welches nach dem Zotten- ende zu verschwindet. Während die zuerst besprochenen Knorpel- zotten stets gefässlos sind, findet man die letztgenannten stets gefässhaltig und zwar gehen die Gefässe so weit, wie das Endothel. Diese an ihrer Basis endothelhaltigen, nach der Spitze zu endothel- losen Zotten sind aber auch Derivate des hyalinen Knorpels, auch sie sind durch Auffaserung der Knorpelgrundsubstanz entstanden. Diese Zotten stammen stets von jenen Stellen der hya- linen Knorpeloberfläche, wo das Endothelhäutchen auf- hört. So findet man z. B. grade diese Zotten in grossen Massen an den Rändern der Patella; theils haben sie sich vollständig von der Knorpelgrundsubstanz abgehoben und sitzen als scheinbar di- recte Fortsetzungen der Synovialis in der Einsenkung um die Patella herum, theils sind sie noch in der Entstehung begriffen und be- finden sich noch auf der Knorpeloberfläche. Besonders an der un- teren Randzone der Patella sind diese Zotten häufig. In manchen Knorpelzotten beobachtet man blasig aufge- triebene Stellen. Die Blasen sind mit einer schleimartigen Substanz erfüllt und in derselben liegen fast stets eine oder mehrere Knorpel- zellen mit dicker, mehrfach contourirter, stark glänzender Kapsel. Neben einer grossen Hauptblase beobachtet man hier und da noch Tochterblasen, nicht selten mit einem deutlichen Kerne (Fig. 26). Nicht selten sieht man auch Blasen in einer Zotte, welche keine zelligen Gebilde enthält, sich aber sonst vollständig wie in Fig. 26 verhält: möglicher Weise ist in solchen Fällen die Zelle heraus- gefallen. Ich will mich nicht über die eventuelle Wichtigkeit dieses von mir mehrfach beobachteten Befundes in Hypothesen einlassen, ich will nicht behaupten, dass der hier vorliegende Vorgang zur Ent- stehung von Knorpelzellen in wichtiger, causaler Beziehung steht, der Ansicht bin ich allerdings, dass die hier erwähnte Thatsache unsere volle Beachtung verdient. Bekanntlich ist es gelungen, die 1) Henle, Handbuch der Anatomie. Bänderlehre S. 10. 434 Dr. Herm. Tillmanns: scheinbar homogene Grundmasse des hyalinen Knorpels durch ener- gische Reagentien in einzelne Zellenterritorien zu zerlegen. Aus dem bekannten Befunde hat man geglaubt, den Schluss ziehen zu dürfen, dass hiermit die Entstehung der hyalinen Knorpelgrund- substanz von den zelligen Elementen bewiesen sei (Heidenhain, Broder). Ich wage nicht zu entscheiden, ob auch unser Befund für diese Theorie spricht, ob auch hier die noch nicht hyaline, schleimartige Umhüllungsblase ein Product der eingelagerten Knor- pelzelle ist. Die so häufig vorkommende Auffaserung der hyalinen Knorpelgrundsubstanz, dieser pathologisch so bekannte Vorgang, hätte eigentlich schon längst dahin führen müssen, zu versuchen, ob auch normaler hyaliner Knorpel sich durch chemische Reagentien künstlich auffasern liesse. Die Thatsache der patholo- gischen Knorpelfaserung hätte zu der Hypothese führen können, ob nicht die homogene hyaline Grundmasse aus Knorpelfasern bestände, die vielleicht durch einen verklebenden Kitt zusammengehalten wür- den. Es lag desshalb nahe, auch die künstliche Auffaserung des normalen, hyalinen Knorpels unter dem Einflusse chemischer Rea- gentien zu versuchen. Und diese künstliche Auflösung des hyalinen Knorpels in einzelne Knorpelfasern ist mir in der That gelungen. Wenn man frischen, normalen Knorpel eines eben getödteten Hundes, oder Kaninchens, also z. B. von der Patella, von den Oberschenkel- condylen mehrere Tage in täglich öfter gewechselte mittelstarke Lösung von Kal. hypermanganicum, oder in 10°, Kochsalzlösung legt, so gelingt es, die homogene, hyaline, vorher nicht zerfaserte Knorpelgrundsubstanz in einzelne Fasern und Faserbündel aufzu- lösen, in Fasern, welche den Bindegewebsfibrillen so ähnlich sind, dass ich wenigstens dieselben nicht von den letzteren unter- scheiden kann. Die Prozedur der Auffaserung dauert 3—7 Tage. Ein nothwendiges Desiderat für das Gelingen des Experiments ist, dass der Knorpel von Weichtheilen vollständig gesäubert wird, Knochensubstanz kann daran bleiben, wenn es auch am besten und zuverlässigsten ist, nur hyaline Knorpelstückchen in die genannten Lösungen zu legen. Sodann muss die mässig starke Lösung von Kal. hypermang. in Wasser, unter welcher ich eine mitteldunkel- violett gefärbte Flüssigkeit verstehe, täglich 4—6 Mal, oder noch häufiger gewechselt werden. Vor der histologischen Untersuchung ist die Knorpelsubstanz in Wasser ordentlich auszuwaschen. Was den Vorzug der beiden genannten Lösungen anlangt, so steht die Beiträge zur Histologie der Gelenke. 435 10°/, Kochsalzlösung dem Kal. hypermang. entschieden nach, erstere wirkt langsamer und produeirt leicht unzuverlässige Bilder. Durch die Einwirkung des Kal. hypermang. werden die Knorpelzellen frei und liegen isolirt zwischen den Fasern und Faserbündeln. Diese Thatsache, dass die normale, hyaline Knorpelgrundsub- stanz sich auf chemischem Wege in Fasern auflösen lässt, finde ich bis jetzt in der histologischen Literatur noch nicht beschrieben, wenigstens habe ich nirgends eine Notiz darüber gefunden. Durch die vorliegende Thatsache werden jene Zellenbezirke, in welche die hyaline Grundmasse des Knorpels bei der Einwirkung von chlor- saurem Kali und Salpetersäure zerfällt, etwas in Frage gestellt, zum mindesten in Frage gestellt als Beweis für den Aufbau des Knorpels aus Zellenterritorien. Diese Zellenterritorien treten im zerfaserten Knorpel nicht hervor. Durch meine Untersuchungen, von deren Richtigkeit sich jeder nach der oben angegebenen Weise überzeugen kann, wird es wahr- scheinlich, dass die homogene, hyaline Knorpelgrundsubstanz aus Fasern aufgebaut ist, die wir uns im gewöhnlichen Zustande so fest, so innig neben einander gepresst denken, dass sie eine homogene Substanz zu bilden scheinen. Zwischen den Knorpelfasern befindet sich ein verklebender Kitt, welcher durch Kal. hypermang. gelöst wird. Und wie verhalten sich die zelligen Elemente zu dieser in der beschriebenen Weise aufgebauten Knorpelgrundsubstanz? Hier wird es weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben, noch genauere Aufschlüsse vielleicht zu geben. Ich erhielt die zelligen Elemente des hyalinen Knorpels entweder isolirt als Knorpelkörperchen oder als gewöhnliche Knorpelzellen, die entweder allein, oder hier und da zu mehreren in einer gemeinschaftlichen faserigen Kapsel lagen. Fassen wir das Vorhergehende nochmals in kurze Sätze zu- sammen! 1) Die echten Synovialzotten sind mit einem einfachen oder mehr- schichtigen Endothel bekleidet. Sie sind meist gefässhaltig, aber zu- weilen auch gefässlos. Lymphgefässe habe ich nicht in den Zotten gesehen. 2) Je nach der Grundsubstanz der Zotten kann man sie unter- scheiden in: a) Schleimzotten mit oder ohne fibrillären Grundstock, b) Fibrillärzotten, c) Fettzotten. 436 Dr. Herm. Tillmanns: 3) Die echten Synovialzotten, besonders die Schleimzotten, sind ‘eine reiche Quelle für den Mucin- und Eiweissgehalt der Synovia, theils durch Maceration und Verfettung des Endothels, theils durch fortschreitende Auflösung der schleimigen Zottensubstanz selbst. 4) Die Tochterzotten entstehen häufig durch Wucherung des Endothelhäutchens, die Entstehung der primären Zotten ist dunkel; wahrscheinlich spielt bei letzteren die Anordnung der Capillar- schlingen und die fortschreitende Auflösung des gefässlosen Theils der Synovialfalten in der oben angegebenen Weise eine Rolle. 5) Die falschen Zotten sind Derivate des Knorpels; sie ent- stehen durch Auffaserung der hyalinen Knorpelgrundsubstanz. Sie sind stets gefäss- und endothellos. Nur jene haben zum Theil Gefässe und Endothel, die sich an der Grenze des Endothelhäut- chens und der Gefässschlingen auf dem Knorpel abfasern und En- dothel und Gefässschlingen mit abheben. 6) Von den falschen, vom Knorpel abstammenden Zottenbil- dungen werden viele für echte Synovialzotten gehalten, weil sie sich immer mehr vom Knorpel auffasern und abheben und dann als directe fibrilläre Fortsetzungen der Synovialintima fälschlich gelten. 7) Auch die normale, hyaline, vorher homogen erscheinende Knorpelgrundsubstanz lässt sich bei frisch getödteten Hunden und Kaninchen durch Kal. hypermang. oder durch 10°/, Kochsalzlösung in Fasern und Faserbündel auflösen. Zwischen diesen einzelnen Knorpelfasern findet sich ein verklebender Kitt, welcher durch Kal. hypermang. gelöst wird. IV. Die Synovia. Bereits bei den Untersuchungen über die Synovialintima so- wohl, als auch bei den Gelenkzotten hatten wir mehrfach Gelegen- heit, über die Art der Synovialbereitung unsere Ansicht zu äusseren. Nur noch ein paar Worte seien mir gestattet, meine Meinung über die Synovia hier zusammenzustellen. Bekanntlich sind unsere Kenntnisse über die Physiologie der Synovia noch sehr lückenhaft. Es ist zweifelhaft, ob die Synovia als solche direct aus den Gefässen der Intima ausgeschieden wird, oder ob sie anfangs ein Exsudat darstellt, welches erst später auf irgend eine Weise seine spezifischen, charakteristischen Eigenschaften erhält. Man hat gesagt, dass letzteres geschehen kann entweder Beiträge zur Histologie der Gelenke. 437 durch Wiederaufsaugung der wässrigen Bestandtheile, oder durch eine spezifische Secretion der Synovialintima, oder endlich durch Auflösung der zelligen Gebilde, welche die Innenfläche der Gelenk- kapsel bekleiden. Frerichs !) war es besonders, welcher letztere Ansicht vertreten hat. Unsere mangelhaften Kenntnisse von der Synovia sind bedingt durch die grossen Schwierigkeiten, welche sich einer genauen, wissen- schaftlichen Untersuchung entgegenstellen. Desshalb wird es noch wohl eine geraume Zeit dauern, bis wir hier den Boden der Hy- pothese verlassen können. Die histologische Untersuchung der Ge- lenksynovia giebt uns keine genügenden Anhaltspunkte und der chemischen Analyse bieten sich bis jetzt unüberwindliche Hinder- nisse dar, da es schwer gelingen dürfte, frische, unveränderte Sy- novia in hinreichender Menge zu bekommen. Besonders wäre es wichtig, eine Untersuchungsmethode zu cuitiviren, welche uns un- veränderte, unzersetzte Gelenkschmiere liefern könnte; es ist ja gewiss anzunehmen, dass die Synovia in demselben Augenblick, wo sie ihren normalen Standort, das Gelenk, verlässt und in fremde Medien tritt, dass sie, meine ich, Zersetzungen und Veränderungen eingeht, welche für die richtige Beurtheilung der chemischen Zu- sammensetzung stetige Fehlerquellen sind. Und eine genaue quantitative und qualitative Analyse wäre doch das erste Desiderat für eine wissenschaftliche Begründung der Physiologie der Synovia. Auch mir ist es durchaus nicht gelungen, der hier obwaltenden Schwierigkeiten Herr zu werden, und ich bin nicht im Stande, ohne Weiteres eine Physiologie der Synovia begründen zu können. Nach den bisher im Vorhergehenden zusammengestellten Resultaten meiner histologischen Untersuchung der Synovialintima und der Zotten bin ich geneigt, der Frerichs’schen Hypothese den grössten Anspruch auf allgemeine Gültigkeit zuzusprechen. Auch ich glaube, dass die Synovia ein Transsudat aus den Gefässen ist, wel- ches seinen Mucingehalt durch den Untergang von En- dothelien der Synovialis und der Zotten und besonders auch aus der Schleim-Substanz der letzteren erhält. Ich will hier nicht noch einmal an die von mir oben beschriebene Beschaffenheit des Endothelhäutchens der Kapsel erinnern, welches 1) Frerichs, Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie II. Bd. 1. Abtheil. S. 463 ff. 438 Dr. Herm. Tillmanns: seine Zellen isolirt, oder in zusammenhängenden Fetzen der Gelenk- flüssigkeit beimischt, nicht noch einmal will ich näher darauf ein- gehen, dass die Schleimzotten, die Ränder der Synovialfalten durch fortschreitende Maceration, Verfettung etc. zur Auflösung gelangen, aber alle diese Facta scheinen mir auf die Richtigkeit des oben ausgesprochenen Satzes über die Entstehung der Synovia hinzu- weisen. Hierzu kommt noch die von Frerichs bereits urgirte Thatsache, dass der Mucin- und Eiweissgehalt der Synovia im ruhen- den und bewegten Gelenke variirt. Die Gelenkflüssigkeit eines im Stalle ruhenden Ochsen enthielt 0,2°/, Muein, 1,5%, Eiweiss, 96°/o Wasser, 1°/, Asche, dagegen die Synovia des auf die Weide getrie- benen Thieres 0,5°/, Mucin, 3,5°/, Eiweiss, 940/, Wasser, 1°/, Asche. Frerichs bringt diesen vermehrten Gehalt an Eiweiss und Mucin im bewegten Gelenke mit einer vermehrten Abstossung und Auflö- sung der Zellen der Synovialis (Endothelien) in causalen Connex, während Hüter !) meint, dass dieser Befund auch als eine Folge des erhöhten Blutdrucks zu deuten sei, unter welchem bei bewegtem Gelenke eine Resorption der wässrigen Bestandtheile der Synovia eintrete. Hüter definirt den Begriff der Synovia dahin, dass er sagt: »die Synovia ist Ernährungsflüssigkeit, welche die Bindege- webszellen und Saftkanäle der Synovialis durchläuft und von diesem Bindegewebe ihren Mucingehalt bezieht«. Für die Richtigkeit dieser Definition finde ich durchaus nicht die nöthigen Anhaltspunkte. Wie gesagt, ich weise bezüglich der Entstehung der Synovia als solcher den Endothelien und den Schleimzotten eine besondere Dig- nität zu und auf Grund meiner Untersuchung glaube ich hierzu berechtigt zu sein. Ich bin am Schlusse meiner Abhandlung! Hier sei es mir gestattet, Herrn Prof. Schwalbe meinen wärmsten Dank auszu- sprechen für die liebenswürdige Unterstützung, die er mir bei meiner Arbeit durch Rath und That zu Theil werden liess. Auch den Herrn Professoren Ludwig und Wagner bin ich von Herzen dankbar, dass sie mir so bereitwillig das nöthige Untersuchungs- material zur Verfügung stellten. Leipzig, December 1873. 1) Klinik der Gelenkkrankheiten 3. 37. Fig. Fig. - Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Beiträge zur Histologie der Gelenke. 439 Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVII und XXIX. 10. 11. 13. Taf. XXVII. Endothelfetzen von der Innenfläche der Synovialkapsel. Mensch- liches Kniegelenk. Die Kerne des Endothelhäutchens liegen nahe aneinander. Hartnack °/,, 520 : 1. Kal. biehrom. 3°/,. Endothelfetzen von der Innenfläche der Synovialkapsel (Seitenflächen der Oberschenkelcondylen). Kerne des Endothelhäutchens liegen weiter aus einander. Kal. bichrom. 3°/,. Hartnack ®/,, 520 : 1. Isolirte Endothelzellen der Synovialis. Knie des Menschen und des Hundes. Kal. bichrom. 1°/, u. 2°%/,. Hartnack */,, 600 : 1. In Falten abhebbares Zellenhäutchen auf der Innenfläche der Sehne des m. quadriceps (Mensch). Carminpräparat. Hartnack ®/,, 520 : 1. Knorpelzellen auf der Innenfläche der Sehne des m. quadriceps. Car- minpräparat. Hartnack °/,, 520 : 1. Polyedrische Zellplatten (a. a.) und Knorpelzellen (x. x.) aus der Sehne des m. quadriceps (Mensch). Glycerin-Ueberosmiumsäure (!/,°/,) Präparat. Gundlach I/VII, 600 : 1. Isolirte polyedrische Zellplatten (a. a.) und isolirte Knorpelzellen (x. x.) (Sehne des quadriceps vom Menschen). Kal. biehrom. 2°/,. Gundlach I/VH, 600 : 1. Knorpelzellen mit einer gemeinschaftlichen Kapsel auf einem Bin- degewebsbündel aufliegend. Müller’sche Lösung. Gundlach I/VII, 600 : 1. Knorpelzellen ohne gemeinschaftliche Kapsel. Müller’sche Lösung. Gundlach I/VII, 600 : 1. Polyedrische Zellplatten und Knorpelzellen auf dem Bindegewebs- bündel c aufliegend. Müller’sche Lösung. Gundlach I/VI, 600 : 1. Kniegelenk (Hund). Injectionspräparat der Seitenfläche des condyl. femor. Eigenthümlich korkzieherartig gewundene Gefässe. K. Knor- pelfläche, auf welcher die Blutgefässe schlingenförmig endigen. S. Synovialkapsel (abgeschnitten). Gundlach II/I, 45 : 1. Injectionspräparat. Endigung der Gefässschlingen auf der Sehne des quadriceps (Hund). Oberer Gefässkranz. O. (oben.) U. (unten.) Gundlach II/I, 45 : 1. Flächenschnitt der Synovialintima mit aufliegenden Zotten. Glyce- rin-Ueberosmiumsäure !/,0/,, Menschl. Kniegelenk (Seitentheile). Gundlach I/I, 30 : 1. 14 u. 15. Isolirtes Endothelhäutchen und Endothelzellen der Gelenk- zotten (Kniegelenk des Menschen). Kal. bichrom. 2°/,. Zeiss 500 : 1, 440 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Dr. Herm. Tillmann s: Beiträge zur Histologie der Gelenke. EDIG, ie 17: RN" RL: +.208: . 20b. 21. 222. 22b. Taf. XXIX. Endothel einer Fibrillärzotte zum Theil durch Schütteln entfernt. (Kniegelenk des Menschen) Kal. bichrom. 1°/,. Zeiss, 250 : 1. Gelenkzotte (Kniegelenk des Menschen). Fibrillärer Grundstock a; schleimige fibrilläire Umhüllung b; mehrschichtiges Wucherungs- endothel e; Endothelfetzen d; Kal. bichrom. 3°/,. Zeiss, 250 : 1. Ende einer grossen stark macerirten Gefässzotte. Kniegelenk des Menschen. Kal. bichrom. 5°/,. Zeiss, 500 : 1. Isolirter fibrillärer Grundstock einer Zotte. a. Schleimschicht, b. Endothelfetzen, c. isolirte Endothelzellen. Kal. bichrom. 3°),. Zeiss, 500 : 1. Fettzotte mit secundären Endothelzotten. Carminpräparat. Knie- gelenk des Menschen. Gundlach I/I, 30 : 1. Von derselben Zotte. Bei stärkerer Vergrösserung. Kerne des Endothelhäutchens über den Fettzotten der Zotte sichtbar. Gund- lach 500 : 1. Abdruck des Endothelhäutchens auf der Zotte. Kal. bichrom. 3°,. Zeiss, 500 : 1. Endothelwucherung der Zotten (b. b. b.), theils seitlich (b. b.), theils in Form von Endothelkugeln (b‘. b‘.). Kal. bichrom. 1°/,. Zeiss, 250 : 1. Dasselbe. Kal. biehrom. 5°/,. Zeiss, 500 : 1. Endothelwucherung an den Seiten der Zotten (a. a.). Haematoxy- linpräparat. Gundlach II/I, 45 : 1. Gefässzotten (menschl. Kniegelenk). Kal. bichrom. 5°%,. Gund- lach I/I, 30:1. Knorpelzotten von der Patella (durch Auffaserung). Kal. bichrom. 1°%/,. Gundlach II/I, 45 : 1. Stärkere Vergrösserung der Knorpelzotte a in Fig. 25. Gund- lach II/V, 375 : 1. Zotte von der oberen Randfläche der Patella (Mensch). Eigenthüm- lich blasig aufgetriebene Stelle mit Knorpelzelle. Frisches Präparat in Ag. dest. untersucht. Zeiss, 260 : 1. Ueber die Knospung der Ascidien. Von Prof. A. Kowalevsky. Hierzu Tafel XXX u. XXXI. Die Frage über die Knospung der Ascidien ist bis zu den letzten Jahren nicht zum Gegenstand genauerer Untersuchungen gemacht worden. — Es waren nur Milne Edwards!) und Köl- liker ?), welche diesen Gegenstand etwas eingehender behandelten, obgleich der Werth ihrer Untersuchungen nur der ist, dass sie den Knospungsprocess bei den Ascidien constatiren. Die beiden For- scher gingen nicht auf die einzelnen Vorgänge bei der Knospung ein und hielten auch solche Gebilde für Knospen, die in Wahrheit keine Knospen waren. — Erst in den letzten drei, vier Jahren erhielten wir einige genauere Angaben über die Knospung selbst und den Bau der Knos- pen. Der erste, der diese Frage erörtert hat, war E. Metschnikoff?), der in einer kurzen vorläufigen Mittheilung die wesentlichsten Vorgänge der Knospung bei Botryllus genau präcisirte. — Es wurde von ihm bewiesen, dass die Knospen von Botryllus aus zwei Häuten bestehen, einer inneren, entstanden durch eine Ausstülpung der äusseren Peri- 1) M. Milne-Edwards, Observations sur les Ascidies composees des cötes de la Manche 1839, p. 259. 2) Kölliker und Löwig. Annales des sciences nat. III. 1846. 3) Ueber die Larven und Knospen von Botryllus. Melanges Biologiques de Bulletin de l’Acad. d. Sc. de St. Petersb. T. YL.P7 719. M. Schultze, Archiv f, mikrosk. Anatomie, Bd. 10, 29 442 Prof. A. Kowalevsky: thorakallamelle und einer äusseren von der Haut gebildeten; weiter hat er das Zerfallen der Knospe in drei Abschnitte gesehen, von denen der mittlere den Kiemensack, die seitlichen die Perithorakal- räume bildeten. In demselben Aufsatze hat er nachgewiesen, dass aus der Larve des Botryllus nur eine einfache Ascidie entsteht, welche durch einen beträchtlich später eintretenden Knospungs- process neue Individuen erzeugt. Es wurde somit von ihm die Un- richtigkeit der früheren Ansicht, dass aus der Botrylluslarve acht junge Ascidien zu gleicher Zeit entständen, nachgewiesen. Die An- gaben von Metschnikoff wurden einige Zeit später von Krohn!) bestätigt. — Bald nach diesen Untersuchungen publicirte ich?) eine Arbeit über die Entwicklung der Perophora, in welcher ich be- züglich der Bildung der Knospe und der Entstehung der Asecidie fast zu denselben Resultaten gelangte, wie die genannten Forscher. Na- mentlich wurde von mir gezeigt, dass die Knospen der Perophora aus zwei Häuten ihren Ursprung nehmen, dass die innere Haut der Knospe durch eine Verdickung der Scheidewand der Wurzeln, die äussere von der äusseren Haut der Wurzeln geliefert wird. Die Vorgänge der Knospenbildung und die weitere Ausbildung der Ascidie wurden in ihren Einzelheiten genau beschrieben. Etwas später er- schienen die Untersuchungen von Pr. Ganin ?), welcher die Knos- pung des Didemnium gelatinosum, eines im Uebrigen sehr ungün- stigen Objects, in ganz anderer Weise schilderte, als es von Metsch- nikoff und mir geschehen ist. — Im vorigen Jahre endlich er- schienen neue Untersuchungen über denselben Gegenstand in einer Arbeit von A. Giard ), welcher die Knospung ebenfalls bei Pero- phora studirt hat. Dem französischen Forscher waren meine Resul- tate über die Knospung der Perophora zur Zeit, als er eine kurze Beschreibung desselben Vorganges gab, nicht bekannt. Seine Beob- achtungen über die erste Anlage der Knospe stimmen mit den 1) A. Krohn, Ueber die Fortpflanzungsverhältnisse bei den Botrylliden. Archiv für Naturgeschichte Bd. 35, 1869, p. 190. 2) Schriften der Naturforscher - Gesellschaft zu Kiew. Bd. 1, 1870, p. 85. 3) Ganin, Entwickelung der zusammengesetzten Ascidien (in russischer Sprache erschienen). Warschau 1870. 4) A. Giard, Recherches sur les Ascidies composees ou Synascidies. Paris 1872, p. 71. Ueber die Knospung der Äsecidien. 443 meinigen vollständig überein. Was aber seine weiteren Angaben betrifft, d. h. die Beschreibung der Bildung des Darms, des Kiemen- sackes und der Geschlechtsorgane, so sind dieselben sehr unvoll- ständig. — Der Hauptfehler der Untersuchungen von Ganin und Giard liegt darin, dass diese beiden Forscher keine klare Vor- stellung über die Beziehungen des Kiemenraums und des Perithora- kalraums besitzen, und in der Schilderung dieser Verhältnisse Fehler begehen, welche man kaum zu discutiren ‘braucht. Da sie den Perithorakalraum nicht von der Leibeshöhle unterscheiden, sind alle ihre Angaben über die wichtigsten Processe der Bildung der Asceidie aus der Knospe ganz irrthümlich. Knospung des Didemnium styliferum nov. sp. 1. Beschreibung der Art. Wie schon oben angeführt wurde, ist der Vorgang der Knos- pung bei Didemnium sehr schwer zu ermitteln; ich habe viele Arten dieser Ascidie in der Hoffnung, an irgend einem eine Ver- einfachung dieses Processes zu finden, vergeblich auf das genauste untersucht. Endlich traf ich wirklich ein Didemnium, bei welchem die Knospung in ganz anderer Weise sich vollzog als bei den ge- meinen, im Mittelmeere. vorkommenden Arten. Diese zusammen- gesetzte Ascidie wurde von mir im Rothen Meere gefunden, und besitzt in ihrem Baue mehrere Eigenthümlichkeiten, so dass sie viel- leicht als ein Repräsentant eines neuen Genus angesehen werden kann. Wenn ich mich nicht habe entschliessen können ein neues Genus aufzusteilen, so geschah es, weil überhaupt die Didemnium- Arten einer genauen Revision bedürfen und weil ich nicht weiss, ob nicht die von mir für charakteristisch angesehenen Merkmale auch bei anderen Didemnien vorkommen. Ich benenne die neu gefundene Art, Didemnium styliferum, nach dem stielförmigen Anhang des Abdomen, den ich als eine für das Thier charakte- ristische Bildung ansehe. Die Colonieen des Didemnium styliferum erreichen bis zu einem oder zwei Zoll Breite und fast gleiche Länge und besitzen von 1,5 bis 2 Linien Dicke. Auf der äusseren Oberfläche der Colonie sieht man mehrere, weit von einander entfernte gemeinschaftliche Cloaken, in welche die Egestionsöffnungen der benachbarten einzelnen Indi- 444 Prof. A. Kowalevsky: viduen münden. Hierbei besitzen jedoch diejenigen Ascidien, welche von der gemeinschaftlichen Cloake weit entfernt liegen, selbstständige, direct nach aussen mündende Egestionsöffnungen. Die Färbung der Colonie ist röthlich-braun und hängt von besonderen, gefärbten Körnchen ab, welche man in der ganzen Tunica zerstreut findet. Der Körper der einzelnen Individuen, welche eine beträchtliche Grösse erreichen, besteht aus (Taf. XXXI, Fig. 1) dem Thorax (a), dem Abdomen (b), den gestielten Geschlechtsdrüsen (ce) und dem feinen, fadenförmigen Anhang (f). Das Herz (h) liegt an der einen Seite des Magens. — Der fadenförmige Anhang am Abdomen unserer - Aseidie kann, nach meiner Meinung, nicht als Postabdomen ange- sehen werden. Im Postabdomen des Amaroecium und Polyclinum finden sich immer die Geschlechtsorgane und das Herz, hier aber liegen diese Organe im Abdomen, ganz in analoger Weise, wie wir es bei den Didemnien finden. Aus diesen Gründen glaube ich, dass dieser Anhang als ein einfacher gefässartiger Hautauswuchs ange- sehen werden muss, wie dieselben sich bei verschiedenen Ascidien vor- finden. Die Ingestions- (i) und Egestionsöffnungen werden durch einfache musculöse Auftreibungen der Haut gebildet un: sind un- gelappt. Dieses letztere Merkmal, sowie der Stiel des Abdomen würde mit dem Genus Syntethys Forb. u. Goods übereinstimmen. Ich muss aber die Frage nach der Identität beider Formen unent- schieden lassen, da ich die kurze Diagnose in Bronn’s Werk !) für eine genaue Beurtheilung nicht ausreichend finde, die Original- Aufsätze der englischen Forscher aber mir hier, in Kiew, nicht zu- gänglich sind. — Von der Ingestions- zu der Egestionsöffnung seht jederseits ein sehr entwickelter Muskelstrang (m), der mit seinem Ende die beiden Oeffnungen umgiebt. Ausser diesen Muskeln ist die Ingestions- und Egestionsöffnung mit starken Sphinkteren versehen (sm). Der Kiemensack sammt der Cloake besitzt, verglichen mit an- deren Didemnium-Arten, gar nichts eigenthümliches, wenn wir von der verhältnissmässig starken Entwicklung der Cloake absehen. — Am Kiemensacke findet man vier Reihen von länglichen Kiemen- spalten, welche in den ziemlich scharf umgrenzten Perithorakalraum (p) führen. Am Kiemensacke resp. zwischen der äusseren Lamelle des Perithorakalraumes und der Haut, findet man mehrere Längs- 1) Bronn, Die Klassen u. Ordnungen der Weichthiere p. 217. Ueber die Knospung der Ascidien. 445 muskelfasern (km), welche von der unteren Fläche des Rumpfes bis zu seinem oberen Ende reichen, und als Retractoren oder Ver- kürzer des Rumpfes angesehen werden können. Der Endostyl bildet eine einfache, rinnenförmige Verdickung der Wandungen des Kie- mensackes, liegt dicht an die Haut gedrängt, und ist wie gewöhn- lich von dem Perithorakalraume nicht umgeben. — An dem unteren Ende des Kiemensackes, etwas nach rechts gerückt, liegt die so- genannte Mundöffnung (0), welche in den Oesophagus führt. Die- selbe ist von zwei lippenartigen Falten des inneren Epithels um- geben. Der zweite Abschnitt des Körpers unserer Ascidie, welchen man als Abdomen (b) bezeichnet, ist immer gestielt, d. h. durch einen engeren Theil mit dem Rumpfe verbunden; dieser Abschnitt enthält Oesophagus, Magen, Darm und Herz; mit demselben sind die Geschlechtsdrüsen unmittelbar verbunden. Der enge, röhrenartige Oesophagus geht unmittelbar in den Magen (mg) über, welcher nur eine einfache Auftreibung der Darm- wandungen darstellt. In den oberen Theil des Magens mündet der Ausführungsgang der Magendrüse, welche aus drei Theilen besteht: den Drüsen- schläuchen (dr), welche ein einfaches Geflecht auf dem Darme bilden; weiterhin aus dem Behälter (bh), in welchen die einzelnen Drüsen- schläuche münden, und endlich aus dem gemeinsamen Ausführungs- gange, welcher sich unmittelbar in den Magen öffnet. — Einen ganz ähnlichen Bau dieser Drüse findet man auch bei anderen zu- sammengesetzten Ascidien, namentlich bei Botryllus, Botrylloides und anderen. Bei Perophora und den einfachen Ascidien findet man, soviel ich mich erinnere, den Drüsenbehälter nicht, sonst aber ist diese Drüse bei allen Tunicaten vorhanden. — Dem Magen folgt der Darm, welcher anfangs nach unten läuft, bald aber sich auf- wärts begibt und in die Cloake auf einer warzenförmigen Auftrei- bung (of) mündet. — An der Seite des Magens liegt das Herz (h) in dem Herzbeutel. Von dem Theile des Abdomen, in dem das Herz liegt, geht ein fadenförmiger Anhang (f) des Körpers aus, welcher gewöhnlich durch die gemeinschaftliche Tunica verläuft, und, etwas aufgetrieben, an dem einen Rande der Colonie endigt. Da diese Anhänge immer nach den äusseren Rändern der Colonie ge- richtet sind, so finden wir hier gewöhnlich eine bedeutende Anhäu- fung derselben. Was die Structur dieses Anhanges betrifft, so be- 446 Prof. A. Kowalevsky: steht er aus dem äusseren Epithel der Haut, deren Zellen anfangs sehr flach sind, und gegen das Ende allmählig länger und länger werden, bis sie endlich, am peripherischen Ende des Anhanges, die Form lang ausgezogener Zellen annehmen. — Inder Mittellinie des Anhanges zieht sich eine sehr feine, aus spindelförmigen Zellen be- stehende Scheidewand, welche das Lumen des Anhanges in eine linke und rechte Hälfte theilt. Zwischen der Scheidewand und der äusseren Haut findet man gewöhnlich Blutkörperchen, welche beson- ders am hinteren Ende des Anhanges in grösseren Massen sich an- häufen. Im Zusammenhange mit dem Abdomen stehen die Geschlechts- drüsen, (c) welche in einer gestielten Kapsel liegen. — Die Eier- stöcke bestehen aus einigen sehr wenig entwickelten Eiern mit dem sie umgebenden Epithel, der Hoden aus einer sehr kleinen, paarigen Drüse. Den einfachen, sehr feinen Ausführungsgang konnte ich nur bis an den Darm verfolgen. — Ich traf immer Colonieen mit. sehr wenig entwickelten Geschlechtsorganen; wahrscheinlich erwacht die Geschlechtsthätigkeit erst während des Sommers, während ich meine Exemplare im Winter sammelte. Das Nervensystem besteht aus einem kleinen Gehirn-Ganglion (g), welches mehrere Nerven zu den Muskeln der Ingestions- und Egestionsöffnung sendet, und einem langen, feinen Strange, welcher sich nach unten zieht, Nerven an den Kiemensack absendet (kn), und abwärts schliesslich mit einem Eingeweideganglion (eg) endet. Von dem letztern gehen Nerven zu dem Magen, Herz und Eierstock. — Eine ganz ähnliche Fortsetzung der Nerven in den Magensack sowie ein Eingeweideganglion habe ich auch an jungen Exemplaren von Phallusia mamillata und Ascidia canina gesehen. Indem ich hiermit die allgemeine Beschreibung der neuen Ascidie beendige, muss ich mein Bedauern ausdrücken, dass ich keine Gelegenheit fand Embryonen zu untersuchen, dass mir dess- halb eines der wichtigeren Merkmale zur vollständigen Charakteri- sirung der Art mangelt. Die Beobachtungen, welche ich über den Bau und den Knospungsprocess der Colonie gemacht habe, wurden an Spiritus-Exemplaren angestellt, die ich erst beim Durchmustern meiner Sammlung entdeckte; desshalb kann ich auch keine Angaben über die Färbung der lebenden Exemplare geben; die Thiere waren aber so schön conservirt, dass sie die feinsten Studien zuliessen. Ueber die Knospung der Ascidien. 447 2. Entwicklung der Knospen. Zerzupft man ein Stück des dem ganzen Stock gemeinsamen Mantels, so findet man zwar stets Knospen auf sehr verschiedenen Entwicklungsstufen, am häufigsten aber die ausgebildeteren Stadien. Die Knospen liegen ganz frei in dem Mantel und stehen in keinem Zusammenhange mit irgend einem Theile der ausgebil- deten Ascidie; gewöhnlich finden sich die jüngeren Knospen nach den äusseren Rändern der Colonie zu, man trifft sie aber auch in den mehr centralen Theilen. Um die Knospen in ihrer natürlichen Lage zu untersuchen, habe ich Querschnitte in verschiedenen Rich- tungen durch die ganze Colonie gemacht; obwohl ich zu dem Zweck ein bedeutendes Material verwendet habe, konnte ich doch nicht den Zusammenhang der Knospen mit den einzelnen Individuen con- statiren. Stets lagen die allerjüngsten, so wie die schon weiter fort- geschrittenen Knospen frei in dem gemeinsamen Mantel, in grösserer Zahl an den Rändern der Colonie, spärlicher in den centralen Theilen derselben. In den Theilen, wo die fadenförmigen VerJängerungen der einzelnen Individuen sehr dicht gelagert waren, fanden sich zwar einige Knospen mit denselben im Zusammenhange, aber dieser Zusammenhang schien mir nur ein zufälliger zu sein. Trotzdem dass ich meine ganze Aufmerksamkeit auf diesen wichtigen Punkt richtete, konnte ich doch einen sicheren Zusammenhang der Knospen mit den stielförmigen Wurzelfortsätzen der einzelnen Individuen oder mit den gestielten Kapseln ihrer Geschlechtsorgane nicht nach- weisen. Ich fing daher an, nach einem anderen Ursprung der Knospen zu suchen. Neben unzweifelhaften Knospen findet man in dem Mantel von Didemnium styliferum massenhaft Zellengruppen von sehr verschie- dener Form; obgleich dieselben in dem ganzen Mantel verbreitet sind, so findet sich doch auch hier wieder die grösste Zahl an den Rändern der Colonie in der Nähe der Endanschwellungen der faden- förmigen Abdominalanhänge; in einigen Fällen habe ich gesehen, dass die erwähnten Anschwellungen von diesen Zellengruppen so dicht umgeben waren, dass ich geneigt war, anzunehmen, dass zwischen den einen und den andern ein genetischer Zusammenhang bestehe. Es könnte wohl sein, dass diese Zellengruppen von dem sehr auf- getriebenen Epithel der Abdominalanhänge sich abtrennen und sich weiter ausbilden. In Fig. 2 (Taf. XXX) habe ich eine Reihe 448 Prof. A. Kowalevsky: von diesen verschieden gebauten Zellengruppen, welche vielleicht die ersten Anlagen der Knospen bilden, gezeichnet. Auf der Fig. 2a sehen wir eine ziemlich regelmässige, rundliche Gruppe von Zellen, welche um eine grössere, centrale gelagert sind. In den Zellen sieht man einen deutlichen Kern und einen feinen körnigen Inhalt. — Weiterhin in Figur 2 b ist eine Gruppe von Zellen abgebildet, welche sich in zwei deutliche Theile sondert; ein Theil e besteht noch immer aus einem Haufen von unregelmässig gelagerten Zellen, in dem anderen, f, dagegen sind die Zellen heller und, scheinbar in zwei Schichten gelagert. — In Figur 2 c endlich geben wir die Abbildung einer noch mehr entwickelten Gruppe; an derselben hat es den Anschein, als ob die inneren Zellen e von den äusseren f mehr und mehr umwachsen wären. — Die Zellengruppe der Fig. 3 erinnert schon bedeutend an eine junge Knospe; obgleich die ein- zelnen Organanlagen noch nicht klar angedeutet sind, so sehen wir doch, dass die Knospe aus der äusseren Haut und zwei von ein- ander deutlich differenzirten Zellenhaufen besteht. Es scheint mir sehr wahrscheinlich, dass die Zellen f die Anlage des Eierstockes und die Zellen e die Anlage des Darmes darstellen. In einem wei- teren Stadium, welches ich häufiger aufgefunden und in Fig. 4 abgebildet habe, sind die Zellen der äusseren Schicht an einem Pole der Gruppe bedeutend ausgezogen (d), während die nach innen liegenden Zellen sich in zwei Zellenhaufen gesondert haben. Zwischen diesen Zellengruppen und der schon unzweideutigen jungen Knospe in Fig. 5 gelang es mir nicht, unmittelbare Ueber- gangsstadien zu finden. Es bedürfen daher meine Voraussetzungen, dass die in Figur 2, 3 u. 4 abgebildeten Zellgruppen schon junge Knospen sind, so wahrscheinlich sie mir auch sind, noch der Be- stätigung durch directe Beobachtung. Wir gehen jetzt zur Beschreibung der eigentlichen Knospen über. Die jüngsten und kleinsten von mir beobachteten Formen besitzen eine rundliche oder etwas längliche Form (Fig. 5), liegen frei im Mantelgewebe und sind an einem Ende, wie es scheint dem hinteren, etwas zugespitzt oder ausgezogen. — Die äusseren Wan- dungen der Knospe bestehen aus einem regelmässigen Epithel, dessen Zellen eine fast rhombische Form haben, und nur am hinteren Ende sich zu Cylinderzellen verlängern. — Im Innern der Knospe findet sich eine längliche Blase oder ein röhriges, an beiden Enden ge- schlossenes Organ (d), welches am vorderen Ende abgerundet und Ueber die Knospung der Ascidien. 449 am hinteren etwas zugespitzt ist. Die Wandungen dieses Organs bestehen überall aus einer Reihe von Zellen, so dass man es als epitheliales Rohr bezeichnen kann. Links von dem beschriebenen epithelialen Rohre liegt ein drüsiges Organ (ei), welches man so- gleich wegen seines Inhalts als Eierstock anerkennt. Dasselbe be- ‚steht aus einem äusseren Epithel und vier im Innern gelegenen deutlichen kleinen Eiern, von denen drei beträchtlich entwickelter sind als das vierte kleinere. Auf der anderen Seite des centralen Rohres liegt eine grössere oder kleinere Masse von Zellen (f), welche entweder zerstreut oder zu einem zusammenhängenden Ballen ver- einigt sind und in ihrem Aeusseren Fettzellen ähneln. — Nach dieser Schilderung besteht eine jede Knospe aus einem inneren ven- tralen Rohr, dem Eierstock, fettartig aussehenden Zellen und der äusseren Haut. Die beschriebenen jungen Knospen bilden sich indessen nicht direct zu Ascidien aus, sondern sie vermehren sich zuvor durch Thei- lung. Ich fand dergleichen in Theilung begriffene Knospen auf den verschiedensten Theilungsstadien, von der einfachen Einschnürung bis zu fast vollständiger Abtrennung der beiden Hälften. Auf der Fig. 6 habe ich eine nur etwas eingeschnürte Knospe abgebildet, auf der Fig. 7 eine Knospe, deren Hälften schon beinahe vollständig von einander getrennt sind und nur vermittels des centralen Rohres zusammenhängen. Von diesen beiden Knospen weicht die erstere (Fig. 6), wenn man davon absieht, dass sie grösser ist und der Eier- stock ein grösseres und zwei kleinere Eier führt, im Grade ihrer Aus- bildung nur wenig von der in Fig. 5 abgebildeten ab. Ihr oberer Theil ist von dem unteren durch eine seichte Furche abgeschnürt und zwar in der Weise, dass die Furche an der unteren Grenze des grossen Eies des Eierstocks verläuft. Es macht auf mich den Ein- druck, als ob von der gemeinsamen Knospe sich nur ein Theil derselben abschnürt, nämlich derjenige, in welchem das grosse Ei liegt. Dagegen hat die in Fig. 7 abgebildete Knospe einen bedeutend höheren Grad der Entwicklung erreicht. Auch hier sehen wir, dass die sich abtrennende kleinere Hälfte nur ein grosses Ei im Eierstock enthält. Auf der letztern Figur ist weiter noch zu be- merken, dass die beiden sich abtrennenden Knospen nur vermittelst des centralen Rohres zusammenhängen. — Nicht selten findet man zwei ganz dicht aneinander gelagerte Knospen, deren gegenständige 450 Prof. A. Kowalevsky: Lagerung auf eine unlängst vollzogene Theilung deutet, wenn sie auch zur Zeit nicht mehr im Zusammenhang stehen. Der Umstand, dass die eine Hälfte der sich theilenden Knospe fast immer nur ein grosses Ei enthält, und dass in den sich zur Ascidie ausbildenden Knospen man meistens auch nur ein Ei an- trifft, lässt mich schliessen, dass möglicher Weise die Knospen mit mehreren Eiern im Eierstocke, wie z. B. die auf der Fig. 5 abge- bildete, gewissermassen Stolonen sind, welche stets neue Knospen erzeugen. — Dieses Beispiel sich theilender Knospen würde einzig dastehen bei den Ascidien, wenn wir nicht etwas ähnliches schon von Botryllus kännten, wo bekanntlich die junge Knospe, bevor sie sich zur weiteren Ausbildung anschickt, sich zuerst in drei Theile einschnürt, von denen die seitlichen die Anlagen zu neuen Knospen abgeben. — Allerdings ist die Art und Weise der Trennung bei Botryllus und unseren Ascidien ganz verschieden. — Auch Amaroe- cium stellt etwas Aehnliches dar, wie wir später sehen werden. Wir wenden uns jetzt zur Betrachtung der weiteren Entwick- lung der Knospe. Das erste, was man an der sich zur Ascidie ent- wickelnden Knospe bemerkt, ist das Zerfallen der centralen Blase in drei Abschnitte; dieser Vorgang wird dadurch eingeleitet, dass an den Seiten der Blase zwei Längsrinnen entstehen (Fig. 8 r, r). Diese Rinnen wachsen von vorne und aussen nach hinten und innen und schnüren somit, von der ursprünglich einfachen centralen Blase zwei seitliche Theile ab (p). Auf dem mittleren der in dieser Weise entstandenen drei Abschnitte (k) und zwar auf seiner oberen Fläche, bemerkt man zwei einander parallele Leisten (n, n), welche durch einen helleren Zwischenraum getrennt sind. Nach unten liegt der Eierstock, welcher die äussere Wandung der Knospe etwas hervor- treibt. Zwischen der centralen Blase und der äusseren Hautschicht sieht man viele freiliegende Zellen, welche besonders auf der Rücken- seite angehäuft sind, Bei der in Fig. 9 abgebildeten, bedeutend weiter entwickelten Knospe haben sich die beiden seitlichen Abschnitte (p), viel weiter von dem inneren abgeschnürt und die centralen Ränder derselben bedecken schon zum Theil den innerefi Abschnitt. Die beiden paral- lelen Leisten, welche auf dem inneren Abschnitte liegen, haben sich zu einem röhrigen Organ umgebildet. Indem dieses sich con- tinuirlich nach hinten verschmälert, läuft.es in einen feinen Faden aus, welcher noch mit dem Gewebe des mittleren Abschnittes zu- Ueber die Knospung der Ascidien. 451 sammenzuhängen scheint. Am hinteren Ende der Knospe, unter dem etwas mehr hervorragenden Eierstocke sehen wir das Aus- wachsen des Darmes (d) in Form eines etwas nach links gebogenen blinden Rohres; ebenso entwickelt sich von der äusseren Haut der Knospe ein kleiner Fortsatz (f), welcher die erste Anlage des sich bald schnell verlängernden Anhanges des Didemnium bildet. — An diesem Stadium kann man sicher schon in den einzelnen Theilen der Knospe die Organe erkennen, welche aus ihnen entstehen, und können wir desshalb denselben ihre entsprechenden Benennungen bei- legen. Aus dem centralen Abschnitt entsteht die innere Wandung des Kiemensackes, also können wir denselben kurzweg als die An- lage des Kiemensackes deuten; am unteren Ende des Kiemensackes wächst als blindes Rohr der Darm aus; die beiden seitlichen Ab- schnitte (p) der ursprünglich einfachen centralen Blase bilden mit ihren Wandungen die Perithorakalräume, und aus dem auf dem Kiemensack liegenden Rohre (n) endlich entsteht das Nervensystem. Alle diese Anlagen haben an der in Fig. 10 abgebildeten Knospe eine weitere Entwicklung und Ausbildung erlangt. Der Kiemensack hat sich von den Perithorakalräumen fast vollkommen getrennt. Von der früher breiten Communication ist nur noch jeder- seits ein enges Loch (o) übrig geblieben, welches den Zusammen- hang der Höhlen vermittelt; weiterhin sind die beiden Perithorakal- säcke (p) auf der Rückenseite des Kiemensackes einander entgegen gewachsen, so dass ihre, am meisten hervorragenden, inneren Ränder nicht mehr weit vom Nervenrohre entfernt sind. Das Nervensystem hat sich bedeutend entwickelt; seine hintere fadenförmige Verlänge- rung reicht bis zum hinteren Ende des Kiemensackes. Ebenso ist der Darm in allen seinen einzelnen Theilen angelegt; eine kleine Auftreibung des Rohres, unweit vom Kiemensacke, ist die Anlage des Magens und die blinde Ausstülpung (dr) seiner Wandungen nach links stellt die Anlage der uns schon bekannten Magendrüse vor; der Darmcanal im engeren Sinne besitzt die Form eines nach oben umgebogenen blinden Rohres, dessen vorderes Ende auf dem Kie- mensacke liegt. Zwischen der Anlage der inneren Organe und der äusseren Wand des Körpers sieht man ziemlich grosse, mit feinen Ausläufern versehene Sternzellen. — Der Fortsatz (f) hat eine breite, etwas conische Form angenommen. Eine etwas jüngere: Knospe ist auf der Fig. 11 von der Seite dargestellt. Die Bezeichnung der einzelnen Theile ist dieselbe wie 452 Prof. A. Kowalevsky: auf der Fig. 10; die Oeffnung (0), durch welche der Kiemenraum mit dem Perithorakalraum communieirt, ist noch etwas grösser als auf der Fig. 10. Bei dieser Lagerung der Knospe sieht man eine auf der Bauchseite liegende Anhäufung von Zellen (z), und etwas nach unten die Anlage eines wichtigen Organs, des Herzens. Das letztere besitzt die Form eines länglichen Hohl-Cylinders (pr), welcher an beiden Seiten geschlossen ist und dessen innere Wandung (hz), aus grösseren und mehr abgerundeten Zellen bestehend, sich in’ den Cylinder einstülpt. Dieser eingestülpte Theil (hz) ist eigentlich allein als die Anlage des Herzens zu bezeichnen, während der äussere Cylinder (pr) das Pericardium darstellt. Diese Anlage des Herzens kehrt bei allen von mir untersuchten Tunicaten wieder, anfangs erscheint es immer in Form eines länglichen und öfters etwas flachen Cylinders, welcher mit einer Seite dicht an das hintere Ende des embryonalen Kiemensackes gedrückt ist. Fast die ganzen Wandungen dieser Anlage, resp. deren nach aussen gelegene Theile, gehen unmittelbar in das Pericardium der Ascidie über, das eigent- liche Herz entsteht nur aus dem Theile der allgemeinen Anlage, welcher dicht an den Kiemensack gedrückt ist; dieser Theil, so viel ich mich in dieser höchst schwierigen Frage orientiren konnte, schien mir immer sich einfach rinnenförmig einzustülpen; nur der mittlere Theil der Rinne schnürt sich vollständig ab und bildet das eigentliche Herzrohr, die Enden aber der Rinne bleiben immer offen und gehen unmittelbar in die vordere und hintere Herzöffnung über. Mit beson- derer Klarheit lassen sich diese Vorgänge bei Salpen beobachten. An der im Vorigen geschilderten Knospe gelang es Quer- schnitte anzufertigen und durch dieselben die Lagebeziehungen und was noch wichtiger ist, die Bedeutung der einzelnen Organe noch deutlicher zu machen, als es durch Betrachtung der ganzen Knospe möglich ist. Auf einem solchen Querschnitt (Fig. 12) sehen wir, dass die Anlage des Nervensystems. in Wirklichkeit ein Rohr dar- stellt, welches auf diesem Stadium ganz frei in der Körperhöhle liegt, zwischen dem Kiemensacke und der äusseren Haut, dass zu beiden Seiten desselben die Perithorakalblasen liegen, und dass ferner dem Nervenrohr gegenüber, bei z, eine bedeutende Anhäufung von Zellen und unmittelbar über dieser Anhäufung eine Verdickung (en) der Zellen des Kiemensackes stattgefunden hat, welche die Anlage des Endostyls darstellt, obgleich es hier, am vorderen Ende des Kiemensackes, sich nach innen einstülpt. Ueber die Knospung der Ascidien. 453 Auf der Fig. 13 habe ich eine noch mehr entwickelte Knospe abgebildet, an welcher die beiden Perithorakalbläschen sich vom Kiemensacke vollständig abgeschnürt haben und mit ihren inneren Rändern auf der Rückenseite des Kiemensackes und über dem hin- teren Ende des Nervenrohres zusammentreten und verschmelzen (ce). - Die zu beiden Seiten des Kiemensackes liegenden Perithorakalbläschen hängen in Folge dessen jetzt untereinander zusammen; ihre Höhlen gehen in einander über, anfänglich nur vermittelst eines engen Canals, welcher beim weiteren Wachsthum der Knospe jedoch breiter und tiefer wird, und dessen mittlerer Theil späterhin als Cloake bezeichnet wird. — Dieses Stadium ist desshalb für uns wichtig, weil wir hier mit aller nur wünschenswerthen Klarheit sehen, dass der Perithorakalraum ein vollkommen selbstständiger Raum ist, welcher sowohl von der Leibeshöhle als der Höhle des Kiemensackes voll- ständig getrennt ist. Auch weiterhin bleibt diese Trennung von Perithorakalraum und Leibeshöhle bestehen, wie dies sehr klar und schön Richard Hertwig jüngstens für die ausgewachsenen As- eidien beschrieben hat !), während die Höhle des Kiemensackes sich früh schon mit dem Perithorakalraum durch die Entwickelung der Kiemenspalten in Verbindung setzt. Eine Communication mit der Aussenwelt dagegen kommt erst später durch die Bildung der Egestionsöffnung auf. Was die anderen Organe unserer Knospe be- trifft, so sehen wir am vorderen Ende die in der Entwicklung be- griffene Ingestionsöffnung als eine ringförmige Verdickung der Haut mit einer centralen Vertiefung; der Darm hat an Länge zugenommen; die Darmdrüse spaltet sich an ihrem peripherischen Ende in zwei Schenkel, welche den Darm gabelförmig umfassen. — Die Geschlechts- drüsen sind nicht gezeichnet, um die Lagerung des Darmes nicht zu verdecken. Die in Fig. 14 abgebildete Knospe besitzt zwei sehr entwickelte Wurzelfortsätze, von denen der rechte sich wieder in zwei theilt, einen grösseren (a) und; einen! kleineren (b). — Die Ingestions- (i) sowie die inzwischen ebenfalls gebildeten Egestionsöffnungen (e) sind als beträchtliche Gruben der äusseren Bedeckungen der Knospe an- gelegt und jede ist mit einer ringförmigen Falte umgeben. Der Pe- rithorakalraum sammt seinem mittleren Theile der Cloake (ce) ist l) Richard Hertwig, Beiträge zur Kenntniss des Baues der Asci- dien. Jenaische Zeitschrift für Medic. u. Naturw. Bd. VII, S. 76 ff. 454 Prof. A. Kowalevsky: fast vollständig entwickelt; auf seiner äusseren Wandung sieht man Längsreihen von spindelförmigen Zellen, welche die Vorläufer der später hier auftretenden Muskeln sind. Von Kiemenspalten finde ich noch keine Andeutung. — Das Nervensystem hat die Form eines länglichen Schlauches beibehalten, dessen nach hinten ver- laufender Faden nunmehr bis in die Eingeweidehöhle reicht und hier, unter dem Ausführungsgange der Magendrüse, zu einem kleinen Eingeweideganglion anschwillt. — Der Darm ist unverändert ge- blieben, nur dass sein hinteres, zugespitztes Ende (ed) ganz nahe an die Cloake heran gerückt ist. Die Geschlechtsorgane liegen in einer sackförmigen Auftreibung der Haut und bestehen aus dem Ovarium, in welchem man nur ein grosses Ki findet, und aus mehreren Gruppen von kleinen fettartig aussehenden Zellen, welche die Anlage der Hoden darstellen. Aus welchen primitiven Zellen diese letzteren entstehen, kann ich nicht angeben. Die Knospe, welche der Fig. 15 als Object zu Grunde liegt, ist zwar nicht grösser als die so eben beschriebene; gleichwohl ist sie schon weiter entwickelt, indem die Kiemenspalten bei ihr ent- weder schon angelegt oder in der Bildung begriffen sind. Der Peri- thorakalraum liegt in Form eines etwas mehr breiten als langen Sackes auf dem ihn nur wenig überragenden Kiemensacke;, mit sei- nem Cloakentheil drängt er sich dicht an die Egestionsöffnung an. Im Verlauf des Perithorakalraumes liegen mehrere Längsfäden, welche aus spindelförmigen Zellen bestehen, deren Ausbreitung mit der Ausdehnung des Perithorakalraumes abschliesst; weiter nach unten oder oben findet man diese Fäden nicht; es sind die Anlagen der Muskelfäden. Ihre eigenthümliche Lagerung erinnerte mich an die Angabe von Ganin, welcher die ganze äussere Wand des Perithorakalraumes lediglich als eine Muskelplatte ansieht. Die Frage erschien mir sehr wichtig und ich machte melırere Versuche, um dieselbe zu lösen; zu dem Zweck wurden mehrere Knospen zerzupft, und kleinere Stücke aus dieser Gegend genauer unter- sucht, ohne dass es mir geglückt wäre, ein befriedigendes Resultat zu erhalten, endlich wandte ich mich wieder zu Querschnitten, von denen einige auch wirklich gelungen sind. Einer der Querschnitte, welcher von einer der Fig. 15 entsprechenden Knospe gemacht wurde, ist auf der Fig. 16 abgebildet; bei p sehen wir den Perithorakal- raum, welcher die vorderen und seitlichen Theile des Kiemensackes Ueber die Knospung der Aseidien. 455 umgiebt und dessen äussere Wand (ap) aus platten Zellen besteht, welche auf dem Querschnitte spindelförmig erscheinen. Zwischen dieser äusseren Wand (ap) des Perithorakalraumes und der äusseren Haut (h) findet sich ein enger Zwischenraum, in welchem man deutliche (mz), gewöhnlich zu zweien gelegene Zellen sieht. Diese Zellen finden sich in kleinen regelmässigen Abständen von einan- der, was deutlich erkennen lässt, dass wir es hier mit den Quer- schnitten der Fäden in Fig. 14 u. 15 zu thun haben. Damit wird aber nur so viel bewiesen, dass die Muskelfäden, welche um den Perithorakalraum liegen, aus Zellen entstehen, welche sich zwischen der äusseren Wand des Perithorakalraumes und der Haut befinden. Ob nun dieselben aus den frei in der Leibeshöhle liegenden Zellen entstehen, oder ob sie von den Zellen abstammen, welche die Wan- dungen des Perithorakalraumes zusammensetzen, dies zu entscheiden, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten. — Kehren wir jetzt zu der Beschreibung unserer Knospe zurück, so bleibt uns nur noch die Bildung der Kiemenspalten zu besprechen. Schon bei oberflächlicher Betrachtung beobachtet man, dass wir hier die Anlagen aller vier Reihen von Kiemenspalten vor uns haben. In den zwei äusseren Reihen (ks) finden sich schon ausgebildete, wenn auch noch kleine Spalten, 8 oder 9 in jeder Reihe; in den zwei inneren (ks‘) sind dagegen nur die Anlagen derselben nachweisbar, welche durch eine Verdichtung und Verdunkelung des Gewebes an den entsprechen- den Stellen sich kund geben. Zur Untersuchung, in welcher Art und Weise die Entstehung der Kiemenspalten vor sich geht, boten mir die Querschnitte, an denen ich die Lagerung der Muskeln studirt hatte, geeignete Objecte. Auf diesen Querschnitten findet man so- wohl fertig gebildete Kiemenspalten, als auch solche, welche erst in der Bildung begriffen sind. In dem in Fig. 16 abgebildeten Quer- schnitt habe ich auf der rechten Seite des Kiemensackes die sich bildenden Kiemenspalten gezeichnet, auf der linken dagegen von einem anderen Schnitte entnommen, solche, welche schon durch- brochen sind, und welche die Höhlungen der beide Räume (Kiemen- und Perithorakalraum) verbinden. Was die ersten betrifft, so sehen wir hier eine wellenförmige Biegung der Wandungen des Kiemen- sackes; dieselben sind stellenweise bedeutend verdickt und stossen an ebenfalls schwach verdickte Stellen der äussern Kiemenwand (ak) (resp. innere Wand des Perithorakalraumes). Diese wellen- förmigen Auftreibungen (a) des Kiemensackes können wohl als 456 Prof. A. Kowalevsky: kleine Ausstülpungen der Häute nach oben angesehen werden. An den Stellen, wo die beiden Häute verschmelzen, entsteht ein Loch, die Kiemenspalte (ks); solche, kürzlich erst entstandene Kiemenspalten sind auf der linken Seite des Querschnittes (Fig. 16) dargestellt; anfangs sind dieselben sehr klein, haben die Form eines runden Loches, allmählig aber breiten sie sich mehr und mehr aus, und es entstehen die bekannten, breiten, mit Flimmerhaaren be- setzten Kiemenspalten. — Die Räume (br), welche zwischen den Kiemenspalten liegen, stellen die Gefässe dar, in welchen das Blut in den Kiemen eireulirt, und müssen ihrer Abstammung wegen als verengte und netzartig verbundene Räume der allgemeinen Leibes- höhle angesehen werden. Auf dem Querschnitte sehen wir noch weiter den Endostyl, welcher aus einer einfachen Rinne der Kiemensackwandungen ge- bildet wird und dicht an die äussere Kiemenlamelle gerückt ist. Auf der entgegengesetzten Seite des Kiemensackes, zwischen ihm und der inneren, hier etwas verdickten, Wand des Perithorakal- raumes liegt das Nervenrohr, mit einer sehr kleinen Höhle; daneben, rechts und links liegen noch einige Zellen. — Die Bildung der Egestionsöffnung ist ebenfalls auf dem Querschnitte zu sehen; die- selbe entsteht als eine Einstülpung der äusseren Haut, welche mit der verdickten äusseren Wand des Perithorakalraumes verschmilzt. Die weitere Ausbildung der Knospe habe ich nicht verfolgt, doch haben wir auf der letztbeschriebenen Knospe (Fig. 16) die weit vorgeschrittenen Anlagen aller Organe, die nur um einen Schritt weiter sich zu entwickeln brauchen, um die Form und Lage- rung zu erreichen, welche das ausgewachsene Thier (Fig. 1) cha- rakterisiren. Knospung bei Amaroecium proliferum M. Edw. Ueber die Knospung bei Amaroecium besitzen wir nur die sehr unvollständigen Angaben von Milne Edwards!). In seinem bekannten Werke giebt er an, dass die Knospung auch bei den »Polycliniens« vorkömmt. Er beobachtete und bildete sehr natur- 1) M. Milne Edwards, Observations sur les Ascidies composees des cötes de la Manche 1839. p. 259. Ueber die Knospung der Aseidien. 457 treu !) die jungen Aeste der Colonie des Amaroecium proliferum ab, sah und zeichnete die Reihen von jungen Knospen in den Endan- schwellungen der Aeste, hielt aber diese Knospen für einfache Enden des Postabdomen der ausgewachsenen Individuen. Den Zusammen- hang der jungen Knospen mit dem Mutterthiere hat er nicht gesehen und spricht nur die Vermuthung aus, dass dieselben in irgend welcher Weise von den älteren Individuen sich lostrennen möchten. — Seit dem Erscheinen von Milne Edwards Untersuchungen hat kein Forscher wieder die Knospung des Amaroecium studirt. Meine ersten Versuche, den Verlauf der Knospenbildung zu beobachten, welche ich an ausgewachsenen Colonieen anstellte, ver- liefen resultatlos. Nirgends wollte es mir gelingen junge Knospen zu finden; die einzelnen ausgewachsenen Individuen waren immer so scharf von allen Seiten begrenzt, dass ich mir nicht einmal eine Vorstellung zu bilden vermochte, in welcher Weise der Vorgang sich vollziehen könne. Dies erschien mir um so auffallender, als es bei anderen zusammengesetzten Ascidien, z. B. bei Botryllus und Didem- nium, mir so leicht gefallen war, die Knospen aufzufinden, und zwar in den verschiedensten Stadien des Zusammenhangs mit den älteren Indi- viduen. Alsich so mit ausgewachsenen grossen Colonieen zu keinem Resultate gelangte, kam ich auf den Gedanken, die erste Bildung der Colonie überhaupt zu studiren. Ich suchte mir also Colonieen mit schon weit entwickelten Larven. Die Larven schlüpften auch aus, verwandelten sich zu Ascidien, aber keine dieser Ascidien konnte ich bis zur Knospung bringen; alle starben nach einer Woche oder 10 Tagen ab, bevor noch die Knospung begann. — Schon während dieser Versuche richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die ganz kleinen, jungen Colonieen. Indem ich aus einer Gegend, wo viele Amaroecien lebten, mir kleine Steine und Pflanzen holte und dieselben durchmusterte, fand ich auf letzteren, und zwar besonders reichlich auf Ulven, das was ich schon so lange vergeblich suchte, nämlich noch vereinzelt lebende, aber schon bedeutend entwickelte Amaroecien. Nachdem ich nun einmal den richtigen Weg einge- schlagen hatte, ging die Arbeit ohne grosse Schwierigkeit von Statten. Eines der jüngsten einzelnen Amaroecien, welches ich überhaupt angetroffen habe, ist in Fig. 17 (Tat. XXXI) dargestellt. Der ganze 1) L. e. Taf. 3, Fig. 2 u. 2c. M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. 30 458 Prof. A. Kowalevsky: Körper des jungen Amaroecium ist nach aussen von der sehr durch- sichtigen Tunica umgeben und besteht schon aus den bekannten drei Theilen : a) Thorax, b) Abdomen und c) Postabdomen. Das Herz (h) liegt, wie bei allen Amaroecien, am hinteren Ende des Postabdomen. Längs dem ganzen Postabdomen sieht man eine hellere mittlere Linie, welche dasselbe in zwei Hälften theilt. Diese Linie ist der Ausdruck einer Scheidewand, welche bei den ausge- wachsenen Individuen der Amaroeciumcolonie schon längst be- kannt ist. Ich versuchte nun solche noch einzeln lebende Amaroecien, welche ich indessen nur sehr selten fand, mehrere Tage aufzube- wahren, um die Bildung der ersten Knospe zu sehen. Da diese Versuche missglückten, die Thiere sich nicht weiter entwickelten und abstarben, blieb mir nichts Anderes übrig, als mich beständig mit neuem Material zu versorgen, in der Hoffnung die weiteren Stadien in dieser Weise zu treffen. Auf diesem Wege bin ich denn auch zum Ziele gelangt und bin in den Stand gesetzt, die einzelnen Stadien, eines nach dem anderen, successive zu schildern. Ich werde hierbei zuerst die allgemeinen Vorgänge besprechen, welche zur Bildung von Knospen in den jungen Colonieen führen, und dann die Fortentwicklung der Anlagen zu entwickelten Knospen schildern. Auf der Fig. 18 sehen wir ein noch einzelnes Amaroecium mit etwas verlängertem Postabdomen, und bemerken, dass das letztere sich vom Abdomen beim Punkte a abzuschnüren beginnt. Weiterhin traf ich Thiere, bei welchem das ganze Postabdomen voll- kommen vom Abdomen abgetrennt war und einen selbstständigen Körper bildete, in welchem das Herz noch immer pulsirte. Bei dem Amaroecium, welches in Fig. 19 abgebildet ist, hat sich das Postabdomen nicht nur vom Abdomen abgetrennt, sondern ist durch neue Einschnürungen in eine Reihe von kleineren Ab- schnitten zerfallen. In dem angeführten Falle haben wir fünf sol- cher Abschnitte, von denen die zwei vorderen noch nicht vollständig von einander getrennt sind, Die Zahl der Abschnitte, in welche das Postabdomen bei verschiedenen Amaroecien zerfällt, ist sehr verschieden, es kommen bald drei, bald vier solcher Abschnitte vor, bald begegnet man 10, 12 und ich habe auch schon solche mit 18 Ab- schnitten gefunden. Es hängt dies von der Länge des Postabdo- men in dem Momente seiner Abschnürung ab. Anfangs liegen die einzelnen Abschnitte, welche wir jetzt schon Ueber die Knospung der Ascidien. 459, als junge Knospen betrachten hönnen, in einer einfachen Reihe, bald aber runden sie sich an ihrem vorderen Ende ab, schwellen hier etwas an und legen sich etwas schief zur Längsaxe ; auf den hinteren Knospen (c und d Fig. 19) sehen wir schon den Anfang einer derartigen Verschiebung des vorderen Endes. Die weiteren Veränderungen bestehen nächstdem darin, dass die einzelnen Knospen ihre primitive Lagerung verlassen, aus der Längsreihe heraustreten, und indem sie sich etwas schräg legen, weiter nach vorne rücken, bis sie das Abdomen des Mutterthiers erreichen. Was die Ver- schiebung der Knospen nach vorne betrifft, so erkläre ich mir diesen Vorgang einfach durch eine Zusammenziehung des Mantels, obgleich auch noch andere Gründe existiren können, welche ich nicht kenne. So kann z. B. bei den ausgewachsenen grossen Colonieen von einer Verkürzung des Mantels keine Rede sein; gleichwohl verschieben sich die Knospen, welche ganz am Grunde der ziemlich dicken Co- lonie liegen, zur Oberfläche derselben. In der Fig. 20. habe ich eine junge Colonie abgebildet, welche ein grosses unzweifelhaftes Mutterthier umschliesst (a), welches anstatt des gewöhnlich langen Postabdomen nur einen kleinen, nach hinten zugespitzten Höcker besitzt, in welchem das Herz sich schon neu zu bilden anfängt; rechts, fast auf der gleichen Höhe mit dem Mutterthiere, liegt eine schon bedeutend entwickelte Knospe (b), welche aus dem fast vollständig entwickelten Thorax und Abdomen und dem kurzen, aber mit den Fettzellen, der Scheidewand und dem Herzen versehenen Postabdomen (pa) besteht. Nach hinten und unten, in verschiedener Lagerung, aber immer mit ihrem vorderen Ende nach gleicher Richtung, wie die beschriebenen Thiere gelagert, finden sich drei viel weniger ausgebildete Knospen, an welchen man übrigens alle einzelnen Theile des Amaroecium-Körpers schon unter- scheiden kann. Die allgemeine Tunica der Colonie ist ziemlich kurz, so zu sagen vollständig zusammengezogen, und überragt nur um weniges das hintere Ende des Mutterthieres. — Solche und ähn- liche Colonieen, an welchen die Tunica des früher so langen Post- abdomen sich fast vollständig zusammengezogen hat, führten mich zu der Ansicht, dass die Verschiebung der Knospen nach vorne von der Verkürzung der Tunica bedingt wird. Die weiteren Veränderungen bis zur Bildung der grösseren Co- lonie sind schon klar vorauszusehen; alle Knospen rücken nach vorne und lagern sich um den Kiemensack des Mutterthieres, dann 460 Prof. A. Kowalevsky: wachsen ihre Postabdomen aus, wobei auch die Tunica sich ver- längert; mit diesen Postabdomen vollzieht sich nun dasselbe, was wir bei dem einzelnen Individuum schon gesehen haben, d. h. sie schnüren sich ab, theilen sich in mehrere Abschnitte resp. Knospen, und die letzteren rücken meistens nach vorne. So haben z. B. die Postabdomen der 4 Individuen, welche die in Fig. 21 abgebildete Colonie bilden, schon eine bedeutende Länge erreicht; ihre Weiterent- wicklung ist selbstverständlich. Ich habe hier noch den Fall zu besprechen, dass die Knospen nicht nach vorne rücken, sondern selbstständige Aeste bilden, welche durchweg aus neuen Knospen bestehen. Schon Milne Edwards) hat solche mit jungen Knospen erfüllte Aeste auf der Fig. 2c Taf. 3 abgebildet. Dergleichen an ihren Enden angeschwollene Aeste sind gewöhnlich mit der Muttercolonie durch verengte Stellen der Tunica verbunden. Ihre Entstehung vollzieht sich in der Weise, dass mehrere Postabdomen in einen Stamm verbunden, wie z. B. die zwei (bb) auf der Fig. 21, bedeutend auswachsen, sich vom Mutter- thiere abschnüren und wie gewöhnlich in mehrere hinter einander liegende Abschnitte resp. Knospen zerfallen. Diese letzteren ver- schieben sich nicht, wie man erwarten sollte, in der Richtung zum Mutterthiere, sondern in entgegengesetzter Richtung, nämlich nach dem hinteren Ende des Astes, nach dem Punkte c (Fig. 21) zu. In Folge der Anhäufung der Knospen schwillt dieses Ende bedeutend an und wird mit dem fortschreitenden Wachsthum der Knospen immer grösser und grösser. — In dieser Weise entstehen die angeschwollenen Enden des Amaroecium proliferum, welche von Milne Edwards abgebildet sind. Hiermit schliesse ich die allgemeine Beschreibung der Co- loniebildung bei Amaroecium und werde jetzt versuchen einige Details zu geben über die Art und Weise, in welcher sich die Ascidien aus den Abschnitten des Postabdomen entwiekeln; ob- gleich dieser letztere Theil der Untersuchung in Folge der für feinere Beobachtungen ungünstigen Verhältnisse des Objects sehr unvollständig ausgefallen ist, so hoffe ich doch ein allgemeines Bild der Knospenbildung zu geben und, was für mich noch wichtiger ist, zu beweisen, dass wir auch hier in den Grundzügen der Knospen- bildung dasselbe antreffen, was für Didemnium und Perophora von 1) L. e. Taf. 3, Fig. 2.° Ueber die Knospung der Ascidien. 461 uns, und für Botryllus von Metschnikoff und Krohn schon beschrieben ist. Bevor wir zur genaueren Schilderung der Knospung übergehen, müssen wir noch einen Blick auf den Bau des Postabdomen werfen. Bekanntlich ist dasselbe eine einfache Verlängerung der Hautbe- deckungen, welche durch eine innere Scheidewand in zwei Hälften getheilt ist; am hinteren Ende liegt das Herz, welehes durch seine abwechselnd, bald nach der einen, bald nach der anderen Richtung fortschreitenden Contractionen, den Blutumlauf in den beiden Hälften des Abdomen unterhält und mit dem von den Kiemen zuströmenden oxydirten Blute alle Organe bespült. In den beiden Hälften des Postabdomen liegen bei ausgewachsenen, geschlechtsreifen Colonieen die Geschlechtsorgane ; bei den jungen, von uns näher zu beschrei- _ benden Individuen, welche entweder noch vereinzelt leben oder schon zu jungen Colonieen vereint sind, fehlen die Geschlechtsorgane und an ihrer Stelle ist das Postabdomen, welches eine intensive ziegel- rothe Farbe besitzt, mit einer Masse von Fettzellen angefüllt. — Bei oberflächlicher Betrachtung des Postabdomen (Fig 17 u. folg.) unterscheidet: man die Scheidewand (s), jederseits derselben, in jeder der beiden Hälften noch einen helleren inneren Streifen, das Lumen, und die zu den Seiten desselben liegenden Fettzellenreihen. Die Scheidewand lässt sich bis zu dem hinteren Ende der Darmschlinge verfolgen (Fig. 17 u. 18, s’s‘), wo ihre weitere Fortsetzung nach vorne ganz undeutlich wird. Ohne Mühe sieht man aber, dass sie hier nicht endigt, sondern sich weiter nach oben an den Seiten des Magens hin und bis zum Kiemensack verlängert. Hier wird sie aber so zwischen den Magen und die äusseren Körperwandungen ge- drängt, dass man sich keine richtige Vorstellung von ihrer Lage bilden kann. An den Individuen, welche man aus den grösseren, schon älteren Colonieen herausschält, und zwischen denen man öfters solche findet, welche sehr wenige Fettkörper enthalten, sieht man diese Scheidewand ganz deutlich an der Seite des Magens, und ver- folgt dieselbe bis zum unteren Theile des Kiemensackes resp. bis zur Gegend zwischen dem Ende des Endostyis und der Mundöffnung. Hier verliert sie sich gewöhnlich und es wollte mir nie gelingen den Zusammenhang derselben mit dem Kiemensacke klar zu über- sehen. Dass ihre Wandungen in die Wandungen des Kiemensackes übergehen, ist kaum zu bezweifeln, aber ob dieselben sich in die der Perithoracalhöhle zugehörigen oder in die inneren Wandungen 462 Prof. A. Kowalevsky: des Kiemensackes fortsetzen, konnte ich nicht entscheiden. An jungen Knospen sind diese Verhältnisse äusserst klar, und hier kann es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, dass die Scheidewand eine unmittelbare Fortsetzung der inneren Wandungen des Kiemensackes ist; aller Wahrscheinlichkeit nach müssen dieselben Verhältnisse auch bei dem ausgewachsenen Amaroecium angenommen werden. Will man die Verhältnisse der Scheidewand zu den anderen Theilen des Abdomen und Postabdomen genauer studiren, so muss man sich zu Querschnitten wenden, welche allein diese Fragen entscheiden können. Obwohl dieselben nur sehr schwer gelingen, ist es mir doch geglückt, mehrere ziemlich gute Schnitte zu erhalten. Auf der Fig. 22 zeichne ich den Querschnitt des Postabdomen eines noch einzelnen Individuums; nach aussen sehen wir den Mantel (mt), weiter nach innen liegt die aus platten Epithelzellen bestehende Haut, unmittelbar unter welcher Querschnitte der Längsmuskelbündel (ms) liegen. Dieselben erscheinen als Gruppen von 5 bis 6 kleinen, stark lichtbrechenden Körperchen. Weiter nach innen finden sich die Fettzellen, welche durch bindegewebige Scheidewände in‘ meh- rere Fächer getheilt sind. Diese Zellen stellen sich sehr verschie- den bei den einzelnen Individuen dar. Bald haben sie die Form von sternförmigen Bindegewebszellen (st), bald bilden sie ziemlich gedrängte Zellenstränge, welche auf dem Querschnitte wie pflaster- förmiges Epithel aussehen (pe). Innerhalb dieser Zellen befindet sich die Leibeshöhle (Ih), welche durch die verticale Scheidewand (s) in zwei fast gleiche Theile geschieden ist. Die Scheidewand (s) durchsetzt die Schicht der Fettzellen und befestigt sich unmittelbar an die Haut; sie hat die Form eines etwas von den Seiten compri- mirten Rohres und ihre Wandung besteht aus einer einfachen epi- thelialen Haut, welche von aussen noch von einem sehr dünnen, structurlosen Häutchen — membrana propria — bedeckt ist; ein ähnliches Häutchen ist auch unter der Haut (h) zu bemerken und scheint das eine in ‘das andere unmittelbar überzugehen. — Der Querschnitt, welchen ich anführe, ist aus dem mittleren Theile des Postabdomen eines noch einzelnen Amaroecium gemacht; verfolgt man die Querschnitte weiter nach vorne, so findet man dieselben Ver- hältnisse, bis man zu dem Anfang des Abdomen gelangt; daselbst be- merkt man, dass die'Scheidewand mehr nach der einen Hälfte des Körpers hinüber rückt. Geht man noch weiter bis zu der Höhe, wo der Magen liegt, so findet man, dass die beiden Wandungen der Ueber die Knospung der Aseidien. 463 Scheidewand hier dicht an einander gepresst sind und dass dieselbe ganz an einer Seite des Körpers liegt, wodurch die Leibeshöhle in zwei sehr ungleiche Theile zerlegt wird. Ein Theil, in welchem der Magen und der ganze Darmcanal liegt, ist sehr gross; der an- dere Theil, in welchem keine Organe liegen, bildet nur eine kleine längliche Spalte zwischen der Haut und der Scheidewand. Noch weiter nach vorne trifft man den Anfang des Kiemensackes, wo dann die Scheidewand nicht mehr auf den Querschnitten zu sehen ist. Was nun die Rolle betrifft, welche die Scheidewand im Haus- halt des Thieres spielt, so dient dieselbe erstens der Trennung des Blutstromes, welcher an den beiden Seiten der Scheidewand ver- schieden und je nach den Contractionen des Herzens in entgegen- gesetzter Richtung strömt; zweitens spielt sie eine sehr wichtige Rolle bei der Bildung der Knospen, indem sie die Anlage zu allen inneren Organen der sich bildenden Ascidie liefert. Wenden wir uns jetzt zur Beschreibung der Vorgänge, die zu der Bildung der Knospe führen, so haben wir zunächst die Fig. 19 zu betrachten, auf welcher das Zerfallen des Postabdomen in einzelne Knospen dargestellt ist. Auf dem vorderen Ende jeder Knospe sehen wir, unter der äusseren Haut eine kleine bläschen- förmige Anschwellung (k) der Scheidewand, welche hier von den Bedeckungen des Körpers etwas zurücktritt. Betrachten wir eine derartige junge Knospe unter stärkerer Vergrösserung, so finden wir das. bei schwächerer Vergrösserung erhaltene Bild bestätigt, wir erblicken an einem Ende der Scheidewand eine bläschenförmige Auf- treibung, deren Lumen sich in das Lumen der Scheidewand fort- setzt. Eine etwas weiter ausgebildete Knospe ist auf der Fig. 23 dargestellt. Schon bei einer schwächeren Vergrösserung bemerkt man, dass die Scheidewand am vorderen Ende der Knospe eine be- deutendere Breite erreicht hat und hier in einige Abtheilungen zer- fällt; man sieht weiter, dass deren Lumen nach unten in das Lumen der Scheidewand sich fortsetzt und dass die letztere am hinteren Ende etwas zugespitzt ist, dass die Fettzellen endlich sich von hier zurückgezogen haben. Das vordere Ende derselben Knospe ist auf der Fig. 24 bei stärkerer Vergrösserung dargestellt. Hier sehen wir, dass die schon erwähnte vordere bläschenförmige Anschwellung der Scheidewand durch zwei von aussen nach innen gerichtete rin- nenförmige Vertiefungen (r) in drei Abtheilungen zerfällt, und zwar 464 Prof. A. Kowalevsky: in eine grössere mittlere und zwei seitliche. Mit diesem Vor- gange der ersten Differenzirung der Organe sind wir schon be- kannt; es ist das Zerfallen der primitiven Knospe in die Anlagen des Kiemensackes und der Perithoracalräume. — Ausser diesen schon bekannten Anlagen finde ich hier noch eine Bildung, welche mir unverständlich ist, es ist eine in die Quere gehende längliche Verdickung (c) der Bauchseite der Knospe. Auf der Fig. 24 sieht man ausser dieser Verdickung noch einen verticalen Ast, welcher an seinem vorderen Ende in Form eines Ringes endigt. Ein weiteres Entwicklungsstadium geben uns die Fig. 25 und 26. Beide Figuren stellen dasselbe Thier dar, die erste von der Seite, die zweite dasselbe vom Rücken betrachtet. Bei der Ansicht von der Seite sehen wir, dass die Perithoracalbläschen sich schon be- deutend von der centralen Kiemenblase abgeschnürt haben und nur vermittelst einer kleinen Oeffnung (0) mit derselben communiciren; weiter finden wir einen nach rechts und unten gerichteten Fortsatz (d) der Kiemenblase, die Anlage des Darmrohres. Die Wandungen des Kiemensackes gehen noch unmittelbar ohne irgend welche Ab- grenzung in die Wandungen der Scheidewand über. Dieselbe Knospe, von der Rückenseite betrachtet, zeigt uns ferner die Anlage des Ner- vensystems, in Form von zwei in einander übergehenden Wülste (n). Weiter sehen wir bei dieser Lagerung, dass die vorderen Enden der beiden Perithoracalbläschen sich einander beträchtlich genähert haben, obgleich sie noch nicht verschmolzen sind; etwas mehr nach unten findet sie die Anlage des Darmes in Form eines blinden Höcker- chens. — Somit besitzt diese Knospe schon die Anlagen aller inneren Organe und es bleibt uns nur noch übrig die Veränderungen dieser Anlagen zu verfolgen. Die genannten Organe haben bei der Knospe, welche den Fi- guren 27 und 28 zu Grunde liegt, eine beträchtliche Weiterentwicklung erfahren. Die beiden Perithoracalsäcke sind schon zu einer geräu- migen Cloake in der Mittellinie verschmolzen ; die Ingestions- (i) und Egestionsöffnungen (e) sind als tiefe Einsenkungen der äusseren Hautschicht angelegt, wenn sie auch mit dem darunter liegenden Kiemensacke und der Cloake noch nicht verschmolzen sind, so dass die Knospe noch keine Oeffnungen besitzt. Die Perithoracalbläschen sind bis zur Nähe (p) des ebenfalls schon angelegten Endostyls gerückt und mehrere Kiemenspalten in Form kleiner, runder Oeffnungen haben sich gebildet. Der eigentliche Kiemensack verlängert sich nach Ueber die Knospung der Asecidien. 465 unten in die Scheidewand der Knospe resp. des Postabdomen, ob- gleich die Communication der beiden Höhlen nur vermittelst einer engen Spalte zu Stande kommt. Von dem Darmcanal sieht man bei dieser Lagerung der Knospe nur den Theil, welcher bis an die Cloake rückt und hier noch blind endigt. Das Nervensystem hat die Form eines sehr langen, am vorderen Ende ziemlich breiten Rohres (Fig. 27. n, Fig. 28. n), dessen Lumen mit der Höhle des Kiemensackes unmittelbar zu communiciren scheint. Das Nerven- rohr, dessen Lumen mit ziemlicher Deutlichkeit sich erkennen liess, konnte ich sehr weit nach unten verfolgen, viel tiefer selbst als die Darmschlinge, seine letzte Endigung verschwand in dem Fettgewebe. — Zwischen der unteren Wand der Cloake und der äusseren Wand des Kiemensackes findet sich ein bedeutender Abstand (I), in welcher ein Theil des Nervenrohres liegt. — Bemerkenswerth ist noch, dass über dem Nervenrohre sich eine Anhäufung von sehr blassen Zellen befindet, welche bei weiterer Entwicklung zu verschwinden scheinen. Auf der Fig. 28 ist dieselbe Knospe von der Rückenseite dar- gestellt; wir finden hier dieselben Theile, welche wir schon besprochen haben, nur ist hier der ganze Darm zu übersehen, welcher schon aus Oesophagus, dem etwas ausgedehnten Theile des Magens und dem Enddarme besteht. Zum Schlusse unserer Beschreibung der Knospungsvorgänge bei Amaroecium gebe ich in der Fig. 30 noch die Zeichnung einer fast reifen Knospe, an welcher die beiden äusseren Oeffnungen schon vollständig gebildet sind ; die Kiemenspalten sind in grösserer Zahl vorhanden, der Darm in seine drei Abschnitte vollständig differen- zirt. Die Scheidewand des Postabdomen war zwar sehr breit, aber ich konnte die Communication seines Lumen mit dem Kiemensacke nicht mehr auffinden; ob hieran das Präparat Schuld war, oder ob die Communication zu dieser Zeit verschwunden ist, konnte ich nicht entscheiden. Werfen wir jetzt einen Rückblick auf die Knospungsvorgänge der Ascidien, soweit dieselben durch die Untersuchungen von Metsch- nikoff, Krohn und meine eigenen Beobachtungen an Botryllus, Didemnium, Amaroecium und Perophora bekannt geworden sind, so überzeugen wir uns, dass jede Knospe aus zwei Häuten besteht, einer äusseren und einer inneren. Die äussere Haut liefert nur die äusseren Bedeckungen der Knospe und nur durch ihre zwei Ein- 466 Prof. A. Kowalevsky: stülpungen nimmt sie noch Antheil am weiteren Aufbau des Körpers durch Bildung der Ingestions- und Egestionsöffnung. Dagegen liefert die innere Haut der Knospe, welche gewöhnlich die Form eines mehr oder weniger geschlossenen oder gestielten Bläschens hat, alle inneren Organe der Ascidie, nämlich den Darm und den Kie- menapparat, die Perithoracalbläschen und die Cloake, das Herz und das Nervensystem. Vielleicht stammen auch die Muskeln aus der inneren Haut der Knospe. Die Geschlechtsorgane scheinen als An- lagen in der jungen Knospe schon zu existiren und können viel- leicht schon als vom Mutterthiere abstammend angesehen werden. Was nun den Vorgang der Ascidienbildung aus der Knospe be- trifft, so ist er im höchsten Grade einförmig. Bei allen genauer untersuchten Knospen, zerfällt die innere bläschen- oder röhrenför- mige Haut in drei nebeneinander liegende Abschnitte, aus dem grösseren, inneren derselben eatsteht der eigentliche Kiemensack resp. die innere Wandung desselben; aus den beiden seitlichen Ab- schnitten die beiden, anfangs paarigen, später auf der Rückenseite des Kiemensackes verschmelzenden Perithoracalräume. Längs der oberen Mittellinie des inneren Abschnittes entsteht das Nervenrohr ; und aus dem hinteren Ende des Kiemensackes wächst der Darm mit seinen Anhängen aus. Auf der Bauchseite des Kiemensackes bildet sich der Endostyl, und an einer Seite des Kiemensackes zwischen dem hinteren Ende des Endostyls und dem auswachsenden Darm das Herz (mit Ausnahme des Amaroecium). Die Abstam- mung der Geschlechtsorgane ist dagegen noch bei weitem nicht aufgeklärt. Somit sind die allgemeinen Vorgänge der Bildung der Asei- dien aus der Knospe sehr übereinstimmend; etwas anders verhält es sich mit der Bildung der Knospe selbst, und namentlich was die Abstammung der inneren Haut betrifft. — Bei Botryllus bildet sich die innere Haut der Knospe als eine Ausstülpung der etwas ver- dickten äusseren Lamelle des Perithoracalraumes !); bei Perophora entsteht dieselbe aus der Lamelle der Scheidewand, welche als eine unmittelbare Fortsetzung des Kiemensackes anzusehen ist?); bei Amaroecium endlich bildet sie sich aus dem verdickten Ende der Scheidewand in jedem Abschnitte des Abdomen. Die Scheidewand 1) Metschnikoff, Ueber die Knospung von Botryllus 8. 719. 2) Kowalevsky Perophora 8. 81. * Ueber die Knospung der Ascidien. 467 muss hier wohl als eine Verlängerung des Kiemensackes angesehen werden, da ihr Zusammenhang mit demselben sehr deutlich an der Knospe !) zu sehen ist. Bei Didemnium kennen wir noch nichts genaueres über den Zusammenhang der inneren Haut der Knospe mit den einzelnen Theilen des Mutterthieres. Demnach finden wir, dass von den drei genauer untersuchten Fällen bei zweien, bei Perophora und Amaroecium die innere Haut der Knospe eine un- mittelbare Fortsetzung der Darmhaut des Mutterthieres ist, dass dieselbe ferner bei Botryllus ebenfalls auf die Darmhaut im wei- teren Sinne zurückgeführt werden muss, da die Wandung des Perithoracalraumes und des Darmes aus einer gemeinsamen An- lage entstehen. — Somit können wir im Allgemeinen sagen, dass zur Zusammensetzung der Knospe zwei Häute des Mutterthieres sich vereinen, die äussere Wandung oder die Haut und die innere oder die Darmwandung im weitesten Sinne dieses Wortes. — Aus der letzteren entstehen alle inneren Organe der Knospe. Der Vorgang der Knospung bei Amaroecium erinnert schon sehr an eine einfache Theilung. Wollten wir die Knospung der Aseidien mit demselben Pro- cesse bei den Pyrosomen, Salpen und Dolioliden vergleichen, so finden wir eine sehr grosse Uebereinstimmung mit den beiden er- steren. — Bei Pyrosoma giebt es bekanntlich zwei Arten von Knos- pen, die Knospen des Ascidiozooids Huxley’s und des vollständig ausgebildeten Individuums des Pyrosoma. Was die letztere Knospung betrifft, so wissen wir durch die Untersuchung von Huxley, dass die jungen Knospen des Pyrosoma aus zwei Häuten sich bilden, aus der äusseren Haut und der röhrenförmigen Ausstülpung des Kiemensackes in der Gegend zwischen dem Ende des Endostyls und Anfang des Oesophagus, also aus den entsprechenden Stellen, an welchen die Scheidewand des Amaroecium ?2) in den Kiemensack übergeht. Zu dieser Anlage der Knospe bei Pyrosoma gesellen sich noch die zwei zur Seite liegenden Perithoracalröhren oder Bläschen, das Nervenrohr und das Ovarium, Theile, welche bei den Ascidien-Knospen erst später auftreten. Das Ovarium der Knospe des Pyrosoma ist nur ein Theil desselben Organes des Mutterthieres. Demnach finden wir wieder eine sehr grosse Uebereinstimmung zwi- 1) Taf. XXXI, Fig. 25 u. 27. 2) Taf, XXXI, Fig. 25 u. 27. 468 Prof. A. Kowalevsky: schen den Knospen der Ascidien und den Bauchknospen des Pyrosoma. Was die Salpen anbetrifit, so habe ich schon längst bewiesen, dass auch hier der Stolo aus denselben Theilen besteht wie die Knospen der Pyrosomen, nämlich aus einer Verlängerung der Haut und einer röhrigen Ausstülpung des Kiemensackes zwischen dem Ende des Endostyls und dem Anfange des Oesophagus, also aus denselben Theilen, aus welehen die Knospe der Ascidien besteht. Zu diesen Hauttheilen der Knospen gesellen sich im Stolo der Salpen noch die beiden Perithoracalröhren, das Nervenrohr und die Ovarien. — Was diese letzteren Theile betrifft, so finden sie sich auch in den Knospen der Ascidien, nur treten dieselben hier etwas später auf. Aus dieser kurzen Zusammenstellung, welche ich übrigens deshalb nicht detaillirter ausgeführt habe, weil ich hoffe nächstens die Beschreibung der Entwicklung der Pyrosomen und Salpen zu publiciren, sehen wir doch soviel, dass zwischen der Knospung der Ascidien, Pyrosomen und Salpen eine sehr grosse Uebereinstimmung existirt, und dass die wesentlichsten Vorgänge der Knospung fast ganz dieselben sind. 21° Die Knospung des Doliolum besitzt bezüglich der ersten Bil- dung der Knospe mehrere Eigenthümlichkeiten, welche noch einer erneuten Prüfung bedürfen. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXX und XXXI. Bei sämmtlichen Figuren bedeuten: i Ingestionsöffnung, | d Darm, e Egestionsöffnung, .g Oberes Ganglion, en Endostyl, k Kiemensack, eg Eingeweideganglion, n Nervenrohr, s Scheidewand, p Perithoracalraum, cl Cloake, ei Eierstock, ks Kiemenspalten, hr Herz, oe Oesophagus, pr Pericardium, mg Magen, | mt Mantel. Taf. XXX. Didemnium styliferum nov. spec. Fig. 1. Ein ausgebildetes Didemnium styliferum; a Thorax, b Abdomen, f Endfaden, ce gestieltes Bläschen mit den Geschlechtsdrüsen, kn Kie- mennerven, o Mund, km Muskeln des Kiemensackes, m Muskeln, Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 10, 11. 12. 13. 14. 15. 16. Ueber die Knospung der Ascidien. 469 welche von der Ingestions- zur Egestionsöffnung sehen, dr Prüsenca- nälchen, bh Drüsenbehälter. Vergr. 39 : 1. a, b und ce verschiedene Zellengruppen aus dem Mantel des Didem- nium. Vergr. 250 :1. Eine sehr junge Knospe; die inneren Zellen haben sich in zwei Theile differenzirt, e und f. Vergr. 250 : 1. Eine sehr junge Knospe, deren Zellen d bedeutend ausgezogen sind. Vergr. 250 : 1. ’ Eine junge Knospe; d centrales Rohr, f Fettzellen. Vergr. 250: 1. Einesich theilende Knospe: r Einschnürung der Knospe. Vergr. 360::1. Eine fast vollständig getheilte Knospe; d centrales Rohr. Vergr. 360 : 1. Eine sich zur Ascidie entwickelnde Knospe; rr zwei rinnenförmige Vertiefungen, welche die centrale Bläse in drei Abschnitte theilen. Versr. 560: 1. Eine Knospe, an deren unterem Abschnitt der Eindfaden sich zu entwickeln beginnt. Vergr. 360 : 1. Eine Knospe, bei der die Perithoracalbläschen einen Theil der Rücken- seite des Kiemensackes bedecken; co Oeffnungen, vermittelst deren die Höhle des Kiemensackes mit dem Perithoracalraum communi- cirt, dr die Anlage der Magendrüse, z frei in der Leibeshöhle her- umliegende Zellen. Vergr. 360 : 1. Eine Knospe von der Seite gesehen; z Fettzellen, o Oeffnung zwischen dem Kiemensack und dem Perithoracalraum, pr Pericar- diun, hz Herzschlauch. Vergr. 250 : 1. Querschnitt durch den vorderen Theil der in Fig. 11 abgebildeten Knospe. Vergr. 250 : 1. Eine Knospe, bei der die Perithoracalbläschen zur Bildung der Cloake ce verschmolzen sind. Vergr. 250 : 1. Eine Knospe mit verästeltem Endfaden ab; m Muskelfadenanlage. Vergr. 360 : 1. Eine Knospe mit theils gebildeten (ks) theils in Bildung begriffenen Kiemenspalten (ks‘); m die in Reihen vereinigten spindelförmigen Zellen (die Anlagen der Muskeln). Vergr. 250 : 1. Querschnitt durch dieselbe Knospe. Rechts sieht man die sich bil- denden Kiemenspalten, links sind die meisten schon gebildet, ik innere Wand des Kiemensackes, a Ausstülpungen der inneren Wand des Kiemensackes, welche mit den etwas verdickten, entsprechenden Theilen der inneren Wand (ak) des Perithoracalraumes verschmelzen und in dieser Weise Kiemenspalten bilden, ks die schon gebildeten runden und engen Kiemenspalten, br Raum, in welchem das Blut in den Kiemen cireulirt; ap äussere Wand des Perithoracalraumes, h Haut, mz Muskelzellen, n Nervenrohr, en Endostyl. Vergr. 360 :1. 470 Fig. >" DD’ 2.17; 18. . Knospe deren abgeschnürtes Postabdomen in mehrere Abschnitte Prof. A. Kowalevsky: Ueber die Knospung der Aseidien. Taf. XXXI. Amaroecium. Ein noch sehr junges Amaroecium, a Thorax, b Abdomen, c Postab- domen, s‘ vorderer Theil der Scheidewand, h Herz. Vergr. 10 : 1. Eine Knospe mit beia beginnender Abschnürung des Abdomen, h Herz. resp. Knospen zerfallen ist; c und d die zwei- hinteren Knospen ; k vorderes etwas aufgetriebenes Ende der Scheidewand der hin- teren Knospe. . Eine sich bildende Colonie; a Mutterthier, b eine etwas weiter aus- gebildete und drei jüngere Knospen. . Eine junge Colonie aus vier Individuen bestehend; bb Postabdomen. . Querschnitt durch das Postabdomen eines noch einzelnen Indivi- duums; Ih Leibeshöhle, h Haut, ms Muskelbündeln, pe und st Fett- zellen. Vergr. 156 : 1. . Eine sehr junge Knospe;; b hinteres verdicktes Ende der Scheidewand; a vorderes verdicktes Ende derselben; ce Querleiste. Vergr. 20:1. . Vorderer Theil der Knospe stärker vergrössert. Vergr. 62:1. . Knospe von der Seite gesehen. . Dieselbe vom Rücken aus. . Knospe von der Seite; ne Verlängerung des Nervenrohres bis ins Postabdomen, 1 Spalt zwischen Cloake und Kiemensack; d Hinter- darm. Vergr. 21: . Dieselbe Knospe von der Rückenseite. . Oberer Theil derselben Knospe um die Verhältnisse des Nerven- rohres besser zu sehen; k innere Wand des Kiemensackes; n Nerven- rohr und ne dessen Fortsetzung nach unten; f Gruppe von Zellen über dem Nerventohr; el Cloake, e Egestionsöffnung. Vergr. 82:1. . Eine schon ausgebildete junge Knospe. Vergr. 20 : 1. Beiträge zur Kenntniss des Faserverlaufs im Rückenmark. Von Dr. P. Schiefferdecker., Assistenten am physiologischen Institut der Universität Strassburg. Hierzu Tafel XXXI, XXXII und XXXIV. Mit Untersuchungen über den Verlauf der Nervenfasern im Rückenmark der höheren Wirbelthiere beschäftigt, gelang es mir vor Kurzem einige Präparate herzustellen, welehe mich durch die Klarheit, mit welcher sie den Faserlauf erkennen liessen, überraschten. Bei der Dunkelheit, die auf diesem Gebiete der mikroskopischen Ana- tomie noch immer herrscht und bei der Wichtigkeit, welche auch noch so geringe Aufschlüsse über den Bau der Centralorgane für die Wissenschaft haben, schien es mir gerechtfertigt, diese Präpa- rate durch Zeichnung und Beschreibung zur allgemeinen Kenntniss zu bringen, zumal auch Herr Prof. Waldeyer, welcher die Güte hatte, dieselben der Durchsicht und Prüfung zu unterwerfen, mir zur Veröffentlichung rieth. Hierbei mag es mir gestattet sein zu- gleich zu bemerken, dass ich’diese kurze Mittheilung nur für eine vorläufige halte, da ich hoffe, dass es mir möglich sein wird, in nächster Zeit eine Monographie über den Bau des Rückenmarks zu veröffentlichen. Ohne näher auf die ja so reichhaltige Literatur über den vorliegenden Gegenstand einzugehen, will ich mich sofort, indem ich mich nur an Thatsachen halte, zur Beschreibung der Präparate und der Methode, nach der sie gefertigt wurden, wenden. Die betreffenden Präparate, sowohl Längs- als Querschnitte 472 Dr. P. Schiefferdecker: gehören sämmtlich dem Rückenmarke eines und desselben Hundes an und zwar der Partie der Lendenanschwellung, welche den Wurzeln des I. und I. Sacralnervenpaares- ihren Ursprung giebt. Dieser Umstand gewährt uns den Vortheil, die einzelnen Schnitte nicht nur in Bezug auf die Art und Weise des Faserverlaufs, sondern auch in allen einzelnen Grössenverhältnissen unter einander ziem- lich genau vergleichen zu können. Die Methode der Anfertigung war folgende: das Rückenmark, dem frisch getödteten Thiere entnommen und von seinen Hüllen befreit, wurde auf etwa 4 Wochen in Müller’sche Flüssigkeit gelegt, sodann etwa 24 Stunden lang ausgewässert und in Alkohol aufbe- wahrt. Die Schnitte wurden, um grössere Feinheit und Gleichmässig- keit zu erzielen, mittelst eines kleinen Mikrotoms angefertigt; dann wurden sie in destillirtem Wasser 1—2 Tage lang gründlich ausge- waschen, darauf in Lösungen von Palladiumchlorür (die Querschnitte) und Goldchlorid (die Längsschnitte) eingelegt; nachdem sie die ge- wünschte Färbung erhalten hatten, wurden sie wiederum mit Wasser tüchtig abgespült, dann in absoluten Alkohol, darauf zur Aufhellung in Nelkenöl und endlich zur Aufbewahrung in Canadabalsam gelegt. Von dem Palladiumchlorür, welches ich zur Darstellung des Verlaufs der langen geraden Fasern im Rückenmarke auf das Beste empfehlen kann, wurde eine Lösung von 1 : 10000 angewendet, in der die Präparate so lange blieben, bis sie diffus hellbraun gefärbt waren, wozu meist 3—5 Stunden ausreichten, sodann wurden sie einfach in Wasser ausgespült. Von Goldchlorid, das sich im Gegensatz zum vorigen besonders zur Darstellung der feinen Nervennetze eignet, fand ich ebenfalls Lösungen von 1 : 5000 bis 1 : 10000 am geeignetsten. Nach 1— 3 Stunden waren die Präparate darin ganz schwach violett gefärbt; sie wurden sodann in Wasser abgespült, und auf 24 Stunden in eine 1/,—1°/, Essigsäure gelegt, darin wiederum abgespült und, wie oben angegeben, behandelt. | Beide Färbungsmittel besitzen wie bekannt die unangenehme Eigenschaft, nicht constant zu färben, und die Präparate nachdun- keln zu lassen, so dass letztere mit der Zeit mehr oder weniger unbrauchbar werden, ein Fall, der z. B. bei den von mir mit Gold- chlorid behandelten Längsschnitten zur Zeit, da ich dieses schreibe, bereits eingetreten ist. Beiträge zur Kenntniss des Faserverlaufs im Rückenmark. 473 Gehen wir nun zu der Betrachtung der so gefertigten Präpa- rate über. Die besten Uebersichtsbilder, mit Hülfe deren man die Details dann gut versteht, gewähren uns hier die mit Palladiumchlorür be- handelten Querschnitte, von denen ich einen, welcher alles Wesentliche zeigt, abgebildet habe (Fig. 1a, b). Die Zeichnungen sind, mit Aus- nahme von zweien, alle von mir selbst gemacht und in allen Einzel- heiten des Faserverlaufs so naturgetreu als möglich, soweit sich dieses eben mit Hülfe einer Oberhäuser’schen Zeichenkammer machen liess. Die Feinheiten, welche uns stärkere Objective, z. B. Immer- sionssysteme auf solchen Präparaten zeigen, sind ja überhaupt nur durch die Photographie, deren Anwendung mir nicht möglich war, darstellbar. Das Präparat stammte aus der Gegend des Ursprungs des ersten Sacralnervenpaares. Die weisse Substanz ist bei der Zeichnung nur angedeutet, von der grauen sind nur die nervösen Bestandtheile gezeichnet. Die weisse Substanz, welche in dieser Gegend des Rückenmarks bereits stark gegen die graue zurücktritt, zeigt sich vielfach durch- schnitten und zerklüftet von Bindegewebssepten, in denen die Gefässe verlaufen, und welche auch den Nervenfasern oft als Strassen dienen, auf denen sie von der weissen zur grauen Substanz hingelangen. Bei V haben wir die Vorderstränge bis zu den bei VW durchtretenden vorderen Wurzeln, von da bis zu den bei HV eintretenden hintern Wurzeln bei S die Seitenstränge, und von hier bis zur Fissura poster. die Hinterstränge H. Die schmale lange Fissura post. ist fast ganz mit Bindegewebe ausgefüllt, verfolgt man sie, so kommt man an die schmale Commis. post., dann auf den hier von hinten nach vorn einen schmalen Spalt bildenden Canal. centr. mit seiner Epithel- auskleidung und seiner Umgebung von Bindegewebe. Vor diesem liest dann die Commissura anterior 1), jene grosse Brücke, welche hauptsächlich den Verkehr zwischen den beiden Rückenmarkshälften vermittelt, zugleich als hintere Grenze der Fiss. ant., welche breiter 1) Ich nenne, um Verwechselungen zu vermeiden, Commiss. anterior den Complex aller jener transveralen Faserzüge, welche vor dem Canal. centr. von einer Seite des Rückenmarks zur andern verlaufen, gleichgültig, ob die Fasern markhaltig sind oder nicht und ob sie sich kreuzen oder nicht; ebenso ist die Benennung Commiss. posterior aufzufassen, M, Schultze, Archiv £, mikrosk, Anatomie. Bd, 10. al 474 Dr. P. Schiefferdecker: und kürzer als die Fiss. post. und nur zum kleinen Theile mit Binde- gewebe erfüllt die beiden Vorderstränge von einander trennt. Was die graue Substanz anbetrifit, so zeigt sich auf den ersten Blick, wie unzureichend zur Beschreibung speciellerer Verhältnisse derselben die Eintheilung in Vorder- und Hinterhörner ist, da ab- solut keine Grenze zwischen beiden existirt. Ich ziehe es daher zum Zwecke der Beschreibung vor, die graue Substanz durch eine künst- liche Grenze, welche ich mir von den Proc. reticulares (Pr.) nach dem hintern Ende des Spaltes des Can. centr. gezogen denke, in zwei verschieden grosse Theile zu theilen, eine Eintheilung, die übrigens auch darin ihren Grund findet, dass für diesen Theil des Rückenmarks wenigstens diese beiden Abtheilungen für den Faser- verlauf und somit auch für die Function von verschiedener Bedeutung sind. Der Rand der weissen Substanz nach der grauen hin ist viel- fach zerklüftet, und sieht auf dem Querschnitt wie eine von zahlreichen Fiorden zerschnittene Küste aus, mit vielen vorliegenden Inseln und Inselehen in dem Meere der grauen Substanz. Diese Bildung ist hauptsächlich den Seitensträngen, dem an die Comm. ant. grenzenden Theile der Vorderstränge und der vor den eintretenden hintern Wur- zeln liegenden Partie der weissen Substanz eigenthümlich, welche gewissermassen zwischen Seiten- und Hintersträngen liegt. In dem nach unserer Eintheilung vorderen Abschnitte der grauen Substanz nun, der etwa die Gestalt eines unregelmässigen Fünfecks mit abgerundeten Ecken hat und den hinteren an Grösse ungefähr vier- mal übertrifft, finden wir drei Gruppen grosser Ganglienzellen, die sowohl an Zahl der in ihnen enthaltenen Zellen, wie an Grösse und Art und Weise der Anordnung derselben unter einander verschieden zu sein pflegen. Diejenige Gruppe, welche die meisten und grössten Zellen enthält, liegt in jener tiefen und umfangreichen Bucht, welche die Seitenstränge in der Höhe des Can. centr. bilden, wir wollen sie einfach als die seitliche Gruppe bezeichnen. Die Zahl der Zellen, welche man auf den verschiedenen Querschnitten zu Gesicht bekommt, ist sehr verschieden, ich habe sie zwischen 8 und 25 schwankend gefunden, denn die Säule, welche diese Gangliengruppe am Rückenmark bildet, zeigt, wie wir später bei den Längsschnitten des Genaueren sehen werden, fortdauernd auf einander folgende Ein- schnürungen und Ausbauchungen. Der Durchmesser der Zellen ist durchschnittlich 0,07 Mm. Was die Lagerung derselben zu ein- ander anbetrifft, so habe ich hier keine bestimmte Anordnung entdecken Beiträge zur Kenntniss des Faserverlaufs im Rückenmark. 475 können, sie liegen eben meist zu einem Haufen vereint ordnungslos mehr oder weniger eng aneinander. Die Gruppe ragt, obwohl ihre äussersten Zellen meist der weissen Substanz dicht anliegen, doch weit in die graue Substanz hinein. Die zweite Ansammlung von Nervenzellen, die vordere, findet sich am Rande der weissen Vorder- stränge an denjenigen Stellen, an denen die vorderen Wurzeln durchtreten. Die Grösse der Zellen ist geringer als die der vorigen, der Durchmesser beträgt im Durchschnitt 0,05 Mm. Ihre Zahl auf dem Querschnitte ist ebenfalls schwankend, sie betrug zwischen 6 und und 18. Die Zellen sind hier zu lauter kleinen Häufchen von 2—6 abgetheilt welche entweder gerade dem Austrittspunkte einer vorderen Wurzel gegenüber, oder zwischen zweien solcher in der Mitte liegen. Die dritte Gruppe von Ganglienzellen endlich, die mittlere hintere, liegt etwa an der Grenze des ersten und zweiten Dritt- theils unserer imaginären Linie vom Can. centr. aus gerechnet und - befindet sich entweder noch vor dieser Linie, ihr dann dicht anliegend, oder wird bereits von ihr geschnitten. Die Zahl der Zellen schwankt hier auf den Querschnitten zwischen 4 und 8, ihre Grösse ist der der Zellen der vorigen Gruppe etwa gleich, sie liegen meist in zwei mehr oder weniger weit von einander getrennte Häufchen gesondert. Diese Gruppe ist wohl als das Analogon der Clarke’schen Säulen des Dorsalmarks im Lendenmark aufzufassen. Ausserdem giebt es natürlich hin und wieder auch einzelne abgetrennt liegende Ganglienzellen, doch bilden sie die entschiedenen Ausnahmen. Die kleinen Ganglienzellen der Hinterhörner habe ich auf den Zeichnungen nicht berücksichtigt, da sie bei der angewandten schwa- chen Vergrösserung auf den Präparaten nicht zu erkennen waren. Bei Betrachtung des Faserverlaufs müssen wir zunächst den in der grauen und den in der weissen Substanz unterscheiden. Was den Verlauf der Fasern in der grauen Substanz anbe- trifft, so zeigte sich derselbe auch schon, wenn man nur, wie ich es gethan habe, die gröberen Züge der Nervenfasern berücksichtigte '), ganz ausserordentlich complicirt. Wir können zunächst 5 Hauptarten von Fasern je nach ihrem Ausgangs- und Zielpunkte unterscheiden: 1) Wenigstens auf den Querschnitten, auf den Längsschnitten sind auch die feinen Nervenbündel angegeben, 476 Dr. P. Schiefferdecker: 1) Fasern, welche von einem Punkte der Peripherie zu Gang- lienzellen laufen. 2) Fasern, welche von einer Ganglienzellengruppe zu einer zweiten verlaufen. 3) Fasern, welche von einem Punkte der Peripherie nach einer Commissur hin verlaufen. Hier sind dann die Ganglienzellengruppen der centralen Com- missur gegenüber ebenfalls als Peripherie aufgefasst. 4) Fasern, welche in der grauen Substanz senkrecht zur Quer- schnittsfläche als Verbindungsfasern höherer und tieferer Partieen verlaufen. 5) Fasern, welche in derselben Hälfte des Rückenmarks bleibend direct von einem Theile der weissen Substanz zu einem anderen hinlaufen. Ich habe hier bei Bezeichnung des Laufes der Nervenfasern absichtlich die Worte Ausgangs- und Zielpunkt gebraucht, nicht Anfang und Ende, da ich dieselben nur zum Zwecke der Beschreibung benutzen wollte, ohne weiter auf die Frage einzugehen, wo Fasern entspringen oder endigen, oder nach welcher Richtung die Leitung in ihnen erfolgt. Eine allgemeine Eigenschaft der in der grauen Substanz ver- laufenden Faserzüge ist die, dass sie entweder in enggeschlossenen Bündeln austreten und sich dann allmählig immer feiner und feiner nach allen Richtungen hin pinselförmig ausbreiten, oder dass sich eine Menge dünner Fasern allmählig zu einem Bündel sammelt. Hieraus allein folet nun schon, dass man auf Querschnitten ver- hältnissmässig selten Fasern ihrer ganzen Länge nach verfolgen kann, doch schadet dieses nicht so viel, da man meist Bündel antrifft, welche schräg von unten herauf- oder von oben herabsteigend den gleichen Weg einschlagen, und als gute Wegweiser für den ferneren Verlauf betrachtet werden können. Dass diese Behauptung richtig ist, zeigt am besten die Betrachtung der Längsschnitte. Gehen wir nun zur speciellen Beschreibung des Faserverlaufs selbst über. Aus dem ganzen inneren Umfange der weissen Substanz sehen wir unzählige gröbere und feinere Nervenbündel austreten und nach den verschiedensten Richtungen sich verbreiten. Am längsten bleiben diejenigen Fasern in Bündeln zusammen und verfolgen also denselben Weg, welche aus den Hintersträngen kommen; am schnellsten fahren Beiträge zur Kenntniss des Faserverlaufs im Rückenmark. 477 sie nach allen Richtungen auseinander bei den durchtretenden vor- deren Wurzeln. Die Seitenstränge stehen zwischen beiden, sie bilden gewissermassen den allmähligen Uebergang zwischen den beiden Extremen. Der Grund dieses Unterschiedes liegt in der Länge des Weges, den die betreffenden Fasern von ihren Austrittspunkten bis zu ihren Zielpunkten zurückzulegen haben: je kürzer dieser Weg ist, um so schneller werden sich die verschiedenen Fasern eines Bündels voneinander trennen, um ihren verschiedenen Zielpunkten zuzulaufen, wobei dann die mannichfachsten Kreuzungen verschiedener Faserzüge zu Stande kommen. Unsere erste Abtheilung enthielt diejenigen Fasern, welche von der Peripherie zu Ganglienzellengruppen laufen. Von wo überall her laufen nun Fasern zu den drei verschie- denen Gruppen ? Am meisten bevorzugt ist in dieser Beziehung wieder die seit- liche Gruppe; wie sie die meisten und grössten Zellen enthält, so erhält sie auch die meisten und verschiedenartigsten Faserzüge. Erstens kann man deutlich dahin verfolgen grosse Faserzüge aus den vorderen durchtretenden Wurzeln (Fig. 1a,b). Die medialen, der Fiss. ant. anliegenden Partieen der Vorderstränge scheinen sich nicht oder wenigstens nur mit sehr geringen Faserzügen zu be- theiligen. Zweitens treten zu dieser Gruppe eine Menge von Fasern der Seitenstränge und zwar aus allen Gegenden derselben. Drittens Ziehen ohne Zweifel starke Bündel aus den Hinter- strängen dorthin, und zwar hauptsächlich aus den vorderen schmalen medialen Theilen derselben (Fig. 1a). Alle diese Faserbündel nun, welche an jenem Orte zusammen- kommen, lösen sich fein pinselförmig auf, verflechten sich dadurch, dass sie nach allen Seiten hin zwischen den Ganglienzellen hindurch und um dieselben herumlaufen, auf das innigste und mannichfaltigste (oft laufen sie fast kreisförmig um die Zellen und Gruppen herum), und bilden so allmählig ein feines Netzwerk (wie das besonders bei den Längsschnitten deutlich werden wird), in das ohne Zweifel auch die Fortsätze der Ganglienzellen eintreten, wenn mir dieses letztere auch sichbar zu machen bisher noch nicht gelungen ist. Zu der zweiten Ganglienzellengruppe, welche den Vordersträngen anliegt, begeben sich nicht so viel Fasern. Es sind folgende: 478 Dr. P. Schiefferdecker: Erstens und vor allen Dingen ein Theil der Züge der durch- tretenden vorderen Wurzeln. Ich erwähnte oben, dass die Ganglien- zellen in dieser Gruppe zu kleinen Häufchen geordnet seien, welche theils den Durchtrittspunkten der Wurzeln gegenüber, theils zwischen denselben gelagert seien. Es tritt in Folge dessen auch die Haupt- menge der Fasern eines zutretenden Bündels zu der zunächst liegenden Gruppe hin und verzweigt sich zunächst in ihr, doch treten auch Fasern zu den weiter liegenden Häufchen, und ausserdem stehen alle diese Gruppen, diese kleinen Gangiien oder Centren, wie man sie nennen könnte, noch durch feine aus dem zwischen den Zellen sich bildenden Nervennetze entspringende Fäserchen untereinander in engerer Verbindung. Auch diese Verhältnisse zeigen uns die Längs- schnitte besonders klar. Bis zur Umbiegungsstelle der Vorderstränge nach der Fiss. ant. hin reicht das Gebiet, aus dem die zu den Zellen laufenden Fasern kommen, die medialen Partieen scheinen keine zu entsenden. Ferner treten von den Seitensträngen aus eine Menge von Faserzügen zu der vorderen Zellengruppe hin. Dieselben gehören sämmtlich der vorderen Hälfte derselben an, die hintersten treten zur Seite oder dicht hinter der seitlichen Nervenzellengruppe aus und laufen um diese im Bogen herum, sowohl lateral als medial, um nach vorne zu gelangen. Endlich laufen auch von den Hintersträngen und zwar, wie es scheint, gerade von den medialen Partieen derselben dünne Faserzüge zu den vorderen Ganglien hin. Die Querschnittsbilder liessen eine solche Verbindung bereits vermuthen, doch waren sie nicht beweisend; der in der Fig.5 dargestellte Längsschnitt indessen, den wir später noch genauer betrachten wollen, liess an Klarheit kaum etwas zu wünschen übrig. Es sind dieses jedenfalls Faserzüge, die anfangs mit den zu der hinteren mittleren Ganglienzellengruppe gehenden zusammen oder doch in der Nähe derselben verlaufen, später aber dann lateral an dieser Gruppe vorbei nach vorne ziehen, und bei diesem weiteren Verlaufe leicht mit den von der hinteren mittleren zu der vorderen Ganglienzellengruppe verlaufenden Verbindungs- fasern verwechselt werden können. Die letzte und kleinste der drei Nervenzellengruppen endlich, die hintere mittlere enthält Fasern aus zwei Theilen der weissen Substanz: aus den gesammten Hintersträngen und der hinteren Hälfte der Seitenstränge, namentlich für die ersteren scheint sie von Wich- Beiträge zur Kenntniss des Faserverlaufs im Rückenmark. 479 tigkeit zu sein, wenn man diesen Schluss aus der Menge der hinzu- laufenden Fasern ziehen darf. Unsere zweite Abtheilung umfasste diejenigen Fasern, welche von einer Ganglienzellengruppe zu einer zweiten hinziehen, also ge- wissermassen Commissuren zwischen denselben bilden. Wir haben drei Haufen von Zellen, die alle untereinander verbunden sind, also auch drei solcher Faserzüge. Der zwischen der seitlichen und vor- deren Gruppe ist auf beiden abgebildeten Rüchenmarkshälften gut zu erkennen, der zwischen der seitlichen und der hinteren eben- falls auf beiden, der zwischen der vorderen und der hinteren nur auf Fig. 1b deutlich sichtbar. Wir kommen somit zu der dritten Faserart, zu denen, welche ' von einem Punkte der Peripherie (weisse Substanz oder Ganglien- zellengruppen) aus zu einer der zwei, die beiden Seitenhälften des Rückenmarks verbindenden Commissuren sich begeben. Beginnen wir mit der Comm. ant. Man kann sich hier recht kurz fassen und wird kaum etwas unrichtiges behaupten, wenn man sagt: es giebt kaum einen Punkt auf der ganzen Peripherie der weissen Substanz, es giebt keine Ganglienzellengruppe, von wo aus nicht Fasern in die vordere Commissur einträten. Mächtige dunkle Faserbündel, aus allen Partieen der Hinterstränge mit Fasern versorgt, steigen dicht neben dem Can. centr., die hintere Zellengruppe von beiden Seiten umfassend, zu der vorderen Commissur hinauf (Fig. 1a und besonders gut 1b). Noch grösser ist die Masse der aus den Seiten- strängen und zwar besonders wieder aus dem hinteren Theile der- selben zu jener Verbindungsbrücke hinziehenden Bündel, und auch die Vorderstränge liefern aus allen ihren Theilen ein nicht unbe- deutendes Contingent. Endlich ziehen von jeder der Gangliengruppen noch mehr oder weniger starke Bündel dorthin. Der grösste Theil dieser Faserzüge kreuzt sich bekanntlich in der Commissur, um dann der Hauptmenge nach wenigstens wohl in die medialen Partieen der Vorderstränge einzubiegen, ein Theil indessen und zwar der hintere, dem Can. centr. zunächst liegende, geht ohne Kreuzung als einfache Verbindungsfasern von einer Seite zur andern. Die hier beschrie- benen Präparate zeigten diese Faserzüge nicht deutlich, sondern ent- hielten nur Andeutungen derselben, auf Querschnitten aus dem Hals- marke des Kalbes indess, welche mit Goldchlorid behandelt waren, habe ich diese Verbindungszüge mit grosser Deutlichkeit gesehen. Dass die in der vorderen Commissur sich kreuzenden Fasern nicht 480 Dr. P. Schiefferdecker: in der Horizontalebene verlaufen, sondern mit dieser oft einen recht bedeutenden Winkel bilden ist ja eine längst bekannte und auf Fron- talschnitten leicht zu constatirende Thatsache. Viel weniger bedeutend sind die Faserzüge, welche die hintere Commissur passiren. Dieselben gehen einmal von den medialen Par- tieen der Hinterstränge und zweitens von der hinteren mittleren Ganglienzellengruppe aus (Fig. 1a, b) und laufen einfach parallel und ohne sich zu kreuzen auf die andere Seite hinüber. Was die beiden letzten Faserarten endlich anbetrifft, diejenigen, welche senkrecht zum Querschnitt verlaufen und die, welche zwei verschiedene Theile der weissen Substanz derselben Seite direct ver- binden, so besprechen wir dieselben besser bei der Betrachtung der Längsschnitte. Noch möchte ich auf den Verlauf einiger Faserzüge besonders aufmerksam machen, die bisher nur im Allgemeinen erwähnt sind und speciell dem hinteren Abschnitte angehören. Erstens finden wir dicht an dem Rande der Seitenstränge hinter den Proc. retieul. einen starken Faserzug, welcher nach hinten zu in einem Bogen bis zu der ebenfalls netzartig gebildeten Partie der weissen Substanz sich hinzieht, welche dicht vor dem Eintritt der hinteren Wurzeln liegt. In dieser Gegend treffen die Faserbündel dann, indem sie sich theilweise kreuzen und durcheinander laufen, mit jenen .weniger mächtigen Faserzügen zusammen, welche von hier am Rande der Hinterstränge bogenförmig weiter verlaufen, und allmählig in verschiedenen grösseren und kleineren Bündeln mit anderen Fasern zusammen die Subst. gelat. Rolandi nach vorn durch- ziehen. Die an den Seitensträngen sich hinziehenden Faserbündel nehmen, wie es scheint, ihren Ursprung zum grössten Theil aus den Strängen dieser hinteren netzförmigen Substanz, zum sehr viel klei- neren Theile aus den anliegenden Partieen der Seitenstränge, weiterhin erhalten sie dann noch Fasern aus den Strängen der Proc. reticul. und laufen alsdann sich theilend theils zu der hinteren mittleren, theils zu der grossen seitlichen Ganglienzellengruppe. Zweitens sehen wir, dass aus den weiter in die graue Substanz vorgeschobenen Strängen der Proc. reticul. Faserbündel eutspringen, welche nach den verschiedensten Richtungen verlaufen. Einmal sind es nämlich solche, welche analog dem Verhalten der übrigen Theile der Seitenstränge nach vorn und aussen zu der grossen seitlichen Ganglienzellengruppe und nach vorn und innen zu der kleinen mitt- Beiträge zur Kenntniss des Faserverlaufs im Rückenmark. 481 leren hinziehen, dann aber finden wir drittens auch noch constant einige besonders von den hinteren dieser vielen kleinen Stränge ab- gehende Bündel, welche zuerst gerade nach innen verlaufen und dann “sich pinselförmig auflösend den aus den Hintersträngen kommenden Faserzügen entgegen laufen und sie unter verschiedenen Winkeln kreuzen. Wo eigentlich der Zielpunkt dieser Fasern ist, war mir bisher noch nicht möglich nachzuweisen, wahrscheinlich werden sie aber sich immer feiner zertheilend mit einem in diesen Gegenden von den aus den Hintersträngen austretenden Fasern gebildeten feinen Nervennetze, dessen Existenz in einer nur wenig weiter nach vorn selegenen Region mir auf Längsschnitten nachzuweisen gelang, in Verbindung treten, sich mit den andern Fasern verflechten und weiterhin mit ihnen zusammen verlaufen. Drittens endlich möchte ich noch auf die ungemein zahlreichen Kreuzungen aufmerksam machen, welche die aus den Hintersträngen entspringenden Fasern gleich nach ihrem Austritt dicht an dem Rande der weissen Substanz untereinander ausführen und welche uns alle Abbildungen besonders gut aber Fig. VII (die mit stärkerer Vergrösserung, Obj. 5, gezeichnete hintere Partie von I b) zeigen. Es wird hierdurch bewirkt, dass in den ihren Zielpunkten nach ja durch- aus nicht einander gleichwerthigen Faserbündeln, welche die Subst. gelat. Rol. nach vorne durchsetzen, sich Fasern befinden, welche aus den verschiedensten Theilen der Hinterstränge entspringen. Bei Betrachtung des Faserverlaufs in der weissen Substanz werden wir hierauf noch einmal zurückkommmen. Durch diese vielen grossen sich auflösenden und nach den ver- schiedensten Richtungen durch- und übereinander verlaufenden Faser- züge, welche ich mich wenigstens ihrer gröbsten Anordnung nach zu beschreiben und in ihrem Verlaufe klar zu legen bemüht habe, entsteht also jenes fabelhafte Fasergewirr, welches uns das Studium des feineren Baus des Rückenmarks und die Feststellung der Bahnen so erschwert. Ein Blick auf Präparat oder Zeichnung hilft hier natürlich mehr als alle Beschreibung, deren Aufgabe wiederum es ist, auf die Einzelheiten aufmerksam zu machen und die Gesetz- mässigkeit der Anordnung hervorzuheben. Von den vielen Längsschnitten, welche ich zum Zwecke der Untersuchung angefertigt hatte, waren nur wenige mittelst der Gold- chloridbehandlung so glücklich gelungen, dass sie einen klaren Ein- blick in den Faserverlauf gewährten; von diesen wenigen sind einige 482 Dr. P. Schiefferdecker: als Zeichnungen dieser Arbeit beigegeben worden und sollen jetzt ihre Besprechung finden. Diese Zeichnungen sind auf die nämliche Weise wie die der Querschnitte angefertigt worden (Oberhäuser’sche Zeichenkammer und Obj. 3), wenigstens was die allgemeinen Umrisse und den Verlauf der gröberen Faserzüge anbetrifft, und hierin sind sie also ganz genau, die Detailzeichnung ist wenigstens eine annähernd genaue Copie des Originals. Auch hier ist nur auf die nervösen Elemente Rücksicht genommen. Was die Richtung der Schnitte betrifft, so ist dieselbe auf Fig. 1b durch je zwei in der Fortsetzung derjenigen Linie gelegene Punkte, in welcher der Längsschnitt den Querschnitt treffen würde, ängegeben. Fig. 2 zeigt uns einen Schnitt, der von dem hinteren Theile der Seitenstränge nach dem vorderen Theile des Canal. centr. gelegt ist, also etwa frontal. Wir sehen auf demselben ganz links bei a einen Fetzen des das Rückenmark zunächst umhüllenden Bindege- 'webes, dann folgt ein breiter Streifen weisser Substanz der Seiten- stränge bei b mit meist parallel laufenden Nervenfasern, nur am Rande lösen sich einige Bündel zeitweilig ab, um ein Ende durch die graue Substanz zu verlaufen und dann wieder zu der weissen zurückzukehren, wobei dann ein Uebereinanderlaufen vielfach unver- meidlich wird. Solche Bündel bilden auf dem Querschnitte die an dem Rande der Seitenstränge liegenden Inselchen in der grauen Substanz. Aus der weissen Substanz sieht man bei c eine Reihe von mässig dicken, einander ziemlich parallei und zu den Fasern der weissen Substanz an der Austrittsstelle etwa senkrecht verlaufende Faserbündel austreten, deren Anfänge in der weissen Substanz man indessen verschieden weit in dieselbe hinein, oft bis über die Mitte derselben hinaus verfolgen kann: es sind sämmtlich Fasern, die von oben herab kommend nach der grauen Substanz zu sich umbiegen, und die in den verschiedensten Theilen der weissen Substanz herab- zusteigen scheinen. Nachdem diese Faserbündel ausgetreten sind, beginnen sie bald sich pinselförmig zu zerfasern, und diese Zertheilung wird schliesslich etwa in der Mitte der grauen Substanz so beträcht- lich, dass die Fasern der einzelnen Bündel sich mit denen der ein bis zwei nächsten Bündel jederseits auf das innigste verflechten: es findet hier also ein allgemeiner Austausch der Fasern der austretenden Bündel statt. Nachdem dieser Gipfelpunkt der Zertheilung erreicht ist, eilen die einzelnen Fasern sich wieder zu neuen Bündeln zu einen, welche meist breiter sind als die austretenden, da die Fasern nicht Beiträge zur Kenntniss des Faserverlaufs im Rückenmark. 483 so dicht aneinander gedrängt in ihnen liegen. Aus eben diesem Grunde erscheinen diese secundären Bündel auch nie so dunkel gefärbt als die primären. Diese zweite Reihe von Nervenbündeln, welche den austretenden also keineswegs entsprechen, da jedes von ihnen Fasern aus 4—5 der ersteren enthält, laufen dann schräg nach vorn und unten, um an dem Can. centr., dessen Bindegewebsumgebung und Epithel wir bei d und e sehen, vorbei nach der Comm. ant. zu ziehen, um sich durch diese auf die andere Seite zu begeben. Sie entsprechen also den grossen Faserzügen, welche wir auf dem Quer- schnitte in der bezeichneten Gegend so reichlich von den Seiten- strängen zu der Comm. ant. hinziehen sehen. Unserer Eintheilung nach würden es Fasern der dritten Abtheilung sein. Es folgen drei Schnitte, welche mehr oder weniger genau sagittal gelegt sind und die Vorder- uud Seitenstränge betreffen. Fig. 6 zeigt einen ziemlich genau sagittalen Schnitt durch : die weisse Substanz der Seitenstränge, welcher in der Mitte noch ein kleines Stück der grauen Substanz gerade an der Stelle der tiefen Einbuchtung der Seitenstränge nebst einigen der seitlichen Gruppe angehörigen Ganglienzellen mitgenommen hat. Interessant ist ner hauptsächlich der Faserverlauf der weissen Substanz. Während die Aussentheile uns nur parallel laufende Fasern zeigen, sehen wir die mittlere Partie, welche etwa den dritten Theil des Präparats ausmacht, von Faserzügen eingenommen, welche sich fast zopfartig miteinander verflechten. Nach den Seiten hin findet ein ziemlich rascher Uebergang statt. Je näher der grauen Substanz, um so stärker wird die Verflechtung, um so grösser werden die Maschen des Netzwerks, bis endlich noch durch die graue Substanz selbst zahlreiche Bündel von einem Pfeiler der weissen Substanz zum andern hinüberlaufen, so dass das Ganze den Eindruck macht, als ob man von innen, von der grauen Substanz her, versucht hätte die weisse Substanz nach Aussen umzubiegen und dieselbe nun auf der inneren Seite in Folge dessen auseinander geplatzt wäre, wobei dann, wie das ja bei faserigen Stoffen immer der Fall ist, ver- schiedene Rissstellen in verschiedenen Höhen entstanden wären, wodurch natürlich schräg von einer Seite zur andern laufende, Faserbündel bedingt wären. Es sind dieses wieder dieselben Bündel, welche wir auf dem vorigen Präparate am Rande der weissen Sub- stanz vorfanden. Bei a endlich sehen wir wieder einige aus der weissen Substanz austretende Faserzüge, welche in derselben wiederum 484 Dr. P. Schiefferdecker: von oben herabgestiegen sind, und sich jetzt zu den Ganglienzellen begeben. Auf Fig. 4 haben wir eine der Mitte des Rückenmarks näher gelegene Partie vor uns, die Schnittebene bildet mit der Sagittalebene einen Winkel von etwa 25—30°. Ganz rechts bei a finden wir wieder die Fasermasse des Seitenstranges, aus welchem ziemlich genau unter einem rechten Winkel eine sehr bedeutende Menge von Nervenbündeln austreten. Dieselben sind von sehr verschiedener Dicke und es liegen zwischen zwei starken Bündeln immer mehrere schwächere. Alle diese Bündel zerfasern sich pinselförmig, doch ist auch hier wieder ein Unterschied zwischen den dickeren und den dünneren bemerkbar, Die letzteren beginnen ihre Zertheilung sehr bald nach ihrem Austritt und bilden so, sich gegenseitig innig verflechtend ein feines und zier- liches Netzwerk, zu welchem die dickeren Bündel während ihres Durchtretens durch dasselbe ebenfalls dünnere Zweige hinsenden. In diesem Nervennetze sehen wir an einigen Stellen dunkle Punkte, von denen eine Menge feiner Ausläufer ausgeht, welche sich in dem Nervennetze verlieren und genau dieselbe Beschaffenheit haben, wie die anderen das Netzwerk bildenden Fasern. Ich halte diese Punkte für den Ausdruck von Quer- oder Schrägschnitten solcher Faserbündel, welche mit der Ebene des Schnittes einen ziemlich bedeutenden Winkel in ihrem Verlaufe bilden (dass solche in grosser Menge vor- handen sind, zeigen ja die Querschnitte); wir sehen also gewissermassen von oben in die pinselförmige Ausbreitung dieser Bündel hinein. Das Nervennetz, welches ich mir übrigens nicht durch wirkliche Ana- stomosen, sondern durch Auflösung und Verflechtung der Faser- bündel entstanden denke, dient nun zwei verschiedenen Zwecken: einmal nämlich bewirkt es eine allgemeine Vermischung der Fasern aus den verschiedensten Theilen des Seitenstranges durch Zu- und Abtreten derselben von den grossen durchtretenden Bündeln, und zwei- tens giebt es anderen Nervenbündeln ihren Ursprung, welche vertieal aufsteigen und verschiedene Etagen des Rückenmarks mit einander ver- binden, doch erhalten dieselben theilweise wenigstens auch direct durchtretende Fasern. Neue, von den durchtretenden Nervenbündeln ganz unabhängige horizontal verlaufende Bündel scheinen sich meinen Beobachtungen nach aus dem Netze nicht zu bilden, jene weiter nach der Mitte zu plötzlich auftauchenden dickeren Nervenbündel halte ich ebenfalls für solche, welche mit der Schnittebene einen in diesem Falle sehr spitzen Winkel bilden. Die dickeren Bündel also Beiträge zur Kenntniss des Faserverlaufs im Rückenmark. 485 . laufen, nachdem sie bei dem Durchtritt durch das Netz die mannich- fachsten Verbindungen eingegangen sind und nachdem sie vielfach grössere und kleinere Bündel an die vertical aufsteigenden Faserzüge abgegeben haben, sich mehr und mehr verästelnd etwa bis zur Mitte der grauen Substanz noch als ziemlich starke Bündel hin. Einzelne Ganglienzellen, welche der Seitengruppe angehören, werden im Vorbei- ziehen umstrickt und geben wahrscheinlich ihre Ausläufer mit. Von der Mitte an dagegen beginnt die Auflösung der Bündel ausserordent- lich rasch vor sich zu gehen, überall sieht man breite Pinsel, von feinen Fasern sich auf das mannichfachste durchflechten:: es findet also zum zweitenmale ein neues und gründliches Durcheinander- mischen der Fasern statt. Dann sammeln sich dieselben wieder zu neuen Bündeln (die den primären also nicht mehr entsprechen), indess nur um sich in oder zwischen die verschiedenen kleinen Häufchen der vorderen Ganglienzellengruppe zu begeben, durch welche sie allem Anscheine nach theilweise wohl direet hindurchtreten (Fasern der fünften Abtheilung), zwischen denen sie zum grösseren Theile aber sich wieder in ein neues und sehr feines, mit den Ausläufern der Zellen sicher in Verbindung stehendes Netz auflösen, um aus diesem wieder zu neuen Bündeln vereinigt auszutreten, und endlich zusammen mit den direct durchgetretenen Bündeln als austretende vordere Wurzeln schräg nach unten die weissen Vorderstränge zu durch- Setzen und die weiter nach der Peripherie verlaufenden Nervenstämme zu bilden. Die einzelnen Häufchen der Ganglienzellen der vorderen Gruppe hängen auf dem Längsschnitte übrigens ebenso gut durch feine Faserbündel zusammen wie auf dem Querschnitte, wir können uns also, indem wir uns diese Gangliengruppen körperlich vorstellen, einen Begriff bilden von der collossalen Menge von Verbindungen, welche hier existiren. Andere Präparate, deren Zeichnungen ich hier nicht beigefügt habe, zeigten in mancher Hinsicht noch schöner die eigenthümliche baumartige Form der dicken aus den Seitensträngen austretenden Bündel mit ihrer so zierlichen Verästelung und dem schön geschwun- genen Verlauf der Fasern, ganz im Gegensatze zu den breiten ruthenartigen, hässlich steifen Bündeln der vorderen durchtretenden Wurzeln, und bewiesen zugleich, dass jene senkrecht aufsteigenden Faserzüge durchaus nicht allen Partieen dieses Theiles des Rücken- marks eigen sind. y Fig.3 ist dadurch sehr interessant, dass sie uns Aufklärung 486 Dr. P. Schiefferdecker: über das Verhalten der seitlichen Ganglienzellengruppe gegenüber . den austretenden Fasern giebt. Bei a bemerken wir wieder die Seitenstränge, aus denen ein wahrer Wald von dickeren und dünneren Nervenbündeln austritt, welche wiederum durch das bekannte feine Netzwerk miteinander in Verbindung stehen. Alle diese sich weithin verzweigenden Bündel laufen zu einer Säule grosser Ganglienzellen hin (seitliche Gruppe), welche, wie schon oben erwähnt, bald Einschnürungen bald Anschwel- lungen zeigt, je nach der Menge der Zellen, um zum Theil zwischen diesen Zellen hindurchzutreten, zum Theil sich in dem sehr feinen dort. befindlichen Nervennetze aufzulösen. Hier kommen nun sicher die mannichfaltigsten Verbindungen und Verflechtungen der Fasern mit den Zeilen und den Fasern der verschiedenen Bündeln unter sich vor. Aus dem Netzwerke werden dann einmal vertical laufende Bündel gebildet, welche theils verschieden hoch gelegene Partieen. der Gang- lienzellensäule in Verbindung setzen, theils wohl auch später seitlich umbiegende Fasern nach andern Partieen senden mögen (Fasern der vierten Abtheilung bei x), und zweitens neue horizontal verlaufende Stämme, welche sich entweder den schon vorhandenen einfach durch- tretenden anschliessen, oder selbständig als neue Bündel weiter nach vorn ziehen. Einige von dem grossen Haufen etwas entfernte, zer- streut liegende Ganglienzellen bilden unterwegs noch neue Ver- knüpfungspunkte, bis- endlich wieder jene allgemeine pinselförmige Auflösung und innige Verflechtung untereinander stattfindet, aus der auf die ja bei den vorigen Präparaten bereits beschriebene Weise sich endlich mit Hülfe der vorderen Gangliengruppe und eines neuen Netzwerks daselbst die austretenden vorderen Wurzeln bilden. Auch in einer anderen Beziehung ist dieses Präparat noch interessant; durch die breite Fasermasse des Seitenstranges zieht sich ein heller Streifen, welcher anzeigt, dass das Präparat hier um vieles dünner ist als sonst, wıe das ja bei einer etwas unsicheren Schnittführung leicht vorkommt. Diese hellere Partie nun setzt uns in den Stand, den Verlauf der Anfänge der austretenden Fasern in der weissen Substanz weit zu verfolgen: auch hier kommen wieder die sämmtlichen Fasern von oben herab, und zwar in den ver- schiedensten Theilen des Seitenstranges, sowohl den äusseren wie den inneren. Fig. 5 giebt uns eine Anschauung von der zwischen den Hinter- und Vordersträngen bestehenden Faserverbindung. Beiträge zur Kenntniss des Faserverlaufs im Rückenmark. 487 Bei a bemerken wir die Parallelfaserzüge des schmalen media- len Theils der weissen Substanz der Hinterstränge noch bekleidet von einem Fetzen des die Fiss. post. ausfüllenden Bindegewebes. Zierliche feinere und gröbere Nervenbündel, welche jedoch nicht die Stärke der aus den Seitensträngen austretenden erreichen (ein Umstand, der sich wohl hinreichend erklärt durch die geringere Dicke der weissen Substanz und die grössere Feinheit der Fasern) ziehen in die graue Substanz hinein. In einer bestimmten Entfernung von dem Rande der weissen Substanz lösen sich diese Bünde] in ein feines Nervennetz auf, welches eine ziemlich bedeutende Breite be- sitzt. In diesem Netz scheinen sich alle Nervenbündel aufzulösen und, wenn auch einige tief in dasselbe hineintreten, als wenn sie es einfach durchsetzen wollten, so ereilt sie ihr Schicksal doch, nur etwas später als die übrigen. Auch in diesem Netz finden wir jene dunklen Punkte mit ihrem Faserkranz wieder, die wir schon auf Präparat 4 zu bemerken Gelegenheit hatten, nur dass sie hier gemäss der geringeren Dicke der Bündel ebenfalls uns kleiner erscheinen. Es treten also auch hier von den Seiten her radial verlaufende Nervenbündel in das Netz ein. Auf diese Zone des Nervennetzes folgt weiterhin d. h. also nach vorn zu, eine Menge einander parallel laufender jedoch vielfach untereinander durch schräg verlaufende Aeste sich verbindender mässig dicker Faserbündel (bei x), welche senkrecht aufsteigen. Nur an einigen Stellen zieht sich das Nervennetz bis zwischen dieselben hinein. Der Ursprung dieser senkrechten Bündel ist sicher in dem feinen Netz- werke zu suchen, das geht aus dem ganzen Verlaufe derselben deut- lich hervor; einen direceten Uebergang des einen in das andere wirklich gesehen habe ich indessen bis jetzt noch nicht. Sie endigen auf der anderen Seite, indem sie sich wieder horizontal umbiegen, sich pinselförmig zertheilen und dann auf die Gangliengruppen an den Vordersträngen und das zwischen denselben befindliche Netz zueilen, mit dem sie zum grössten Theile sich verbinden, um dann in die vor- deren Wurzeln einzutreten. Essind also wieder Treppenbündel, welche verschiedene Stockwerke des Rückenmarks miteinander in Verbindung setzen (vierte Abtheilung). Dieses ist die eine aus dem Netz ent- stehende Faserart. Zweitens finden wir noch rein horizontal ver- laufende Bündel, welche sich aus dem Netzwerk bilden, und die verticalen Züge rechtwinklig schneidend, sich ebenso wie die aus den letztern sich umbiegenden Bündel pinselförmig zertheilen, um 488 Dr. P. Schiefferdecker: sich mit den Nachbarn, mögen dieses nun rein horizontale, oder aus verticalen entstandene sein, zu durchflechten; dann entstehen aus diesem Fasergemisch wieder neue Bündel, die nun also Fasern aus verschiedenen Höhen des Rückenmarks führen, diese treten zu den Ganglienzellenhäufchen der vorderen Gruppe, bilden theils das feine Netz daselbst, in dem sie sich nun wieder mit den von den Seiten- strängen aus eintretenden Fasern vermischen würden, theils treten sie durch und bilden so zusammen mit den aus diesem letzten Netze sich wieder sammelnden Bündeln die vorderen durchtretenden Wur- zeln, deren Verlauf man an diesem Präparat auf das beste sieht. Die Zahl der einzelnen Bündel innerhalb der weissen Substanz, welche sich schliesslich zu einer Nervenwurzel vereinigen, ist übrigens auf der Zeichnung genau dieselbe, wie die auf dem Präparate, und also eine ziemlich beträchtliche, ebenso ist der steife radienartige Verlauf vollständig natürlich. Die vorderen durchtretenden Wurzeln stehen also mit den Fasern der Hinterstränge derselben Rückenmarkshälfte auf mehrfache Weise in Verbindung: 1. Von den Hintersträngen laufen dicke Faserbündel (mit und ohne Netz, mit und ohne Höhenverschiebung) bis zu den Ganglien der vorderen Gruppe, dann Netz und austretende Bündel. 2. Von den Hintersträngen laufen Fasern (mit den vorigen Neben- bedingungen) zu a) der mittleren hinteren, b) der seitlichen Gangliengruppe, hier erstes Netz, aus diesem Netz dann weiter zu den Ganglien der vorderen Gruppe und hier dann entweder noch einmal Auflösen in das zweite Netz oder directer Durchtritt. 3. Von den Hintersträngen laufen Fasern (Nebenbedingungen wie oben) direct bis zu den vorderen Gangliengruppen, ziehen zwischen den Häufchen derselben hindurch, ohne mit dem Netz in Ver- bindung zu treten und gehen dann mit den vorderen Wurzeln weiter (fünfte Abtheilung). Diese letzte wäre eine sehr merkwürdige Art der Verbindung, indessen haben mir die Präparate, besonders das unter 5 abgebildete die Existenz derselben wenigstens sehr wahrscheinlich gemacht, Es bliebe uns nun noch die Betrachtung des Faserverlaufs in der weissen Substanz, doch ist derselbe, soweit ihn meine Präparate erkennen lassen, nothwendigerweise schon bei der Beschreibung mit- berücksichtigt worden, so dass ich es nicht für nöthig halte, noch ! % Beiträge zur Kenntniss des Faserverlaufs im Rückenmark. 489 einmal näher darauf zurückzukommen; und nur einen Punkt, der bisher unerwähnt blieb, möchte ich noch berühren, ich meine die Entstehung und netzartige Verflechtung der aus den Hintersträngen hervor- gehenden Nervenbündel in der weissen Substanz jener und den Eintritt der hinteren Wurzel in ihre Verbindung mit jenem Netz. Fig. 7 welche, wie schon erwähnt, die hintere Partie der Querschnittshälfte 2, b bei stärkerer Vergrösserung (Oberhäusersche Zeichenkammer und Obj. 5) darstellt, zeigt uns diese Verhältnisse sehr klar. Wir sehen hier links das dicke Bündel der eintretenden hinteren Wurzeln, welches wiederum aus verschiedenen kleineren Bündel zusammengesetzt ist. Jedes dieser kleineren Bündel sendet sowohl direet nach vorn als auch nach der Mitte zu laufende Faser- züge ab, es müssen’ also vielfach Kreuzungen dieser Fasern statt- finden, zumal da auch die nach der Mitte zu verlaufenden nicht einmal parallel laufen, sondern oft convergiren. Diese Fasern nun endigen theils in der weissen Substanz, indem sie sich, wie dies Ja bekannt ist, zu senkrecht verlaufenden Fasern umbiegen, theils treten sie direct mit jenem Faserbündelnetz in Verbindung, das oben bereits erwähnt wurde, theils treten einige dünne ‘grade nach vorne ge- hende Bündel direet in die graue Substanz ein. Diese letzteren sind auf dem vorliegenden Präparate übrigens weniger deutlich als auf vielen anderen. Ausser diesen den Wurzeln angehörigen Bündeln finden wir also noch ein von dickeren und dünneren Nervenbündeln gebildetes Netz, welches die gesammte Substanz der weissen Hinter- stränge durchzieht. Diese Nervenbündel werden einmal und zum bei Weitem grösseren Theil gebildet aus solchen Fasern, welche in den Hintersträngen eine Zeit lang senkrecht verlaufen sind und nun umbiegen, um in die graue Substanz einzutreten, und zweitens aus dem Theil der hinteren Wurzelfasern, welcher ebenfalls seinen Lauf nach der grauen Substanz nimmt. Wie in einem Gebirge von allen Seiten von den Felsabhängen kleine Wasseradern herab rieseln, um sich zu immer grösseren und grösseren Bächen in den Thälern zu vereinigen, so sehen wir hier von den verschiedensten Theilen der Hinterstränge her ganz feine Nervenbündelchen nach verschiedenen Punkten zusammenlaufen, um gemeinsam ihren Weg weiter fortzusetzen. Hier finden dann aber unterwegs zwischen be- nachbarten Zügen die mannichfachsten Verbindungen statt, wieder eine Vermischung der Fasern der verschiedensten Gegenden, so dass schliesslich, wenn nun die allmählig ziemlich dick gewordenen M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. 32 490 Dr. P. Schiefferdecker: Bündel in die graue Substanz eintreten, die grossen und kleinen dann aus ihnen entstehenden Faserzüge, welche nach vorn weiter verlaufen, aus den verschiedensten Theilen der Hinterstränge Fasern erhalten, und nicht nur daher, sondern auch von der Peripherie des Körpers direct kommende, da ja ein Theil der Wurzelfasern in das Netz eintritt. Die in der grauen Substanz befindlichen Bündel kreuzen sich dann noch vielfach, wie schon oben besprochen, und so ist dann der schliessliche Erfolg der, dass sowohl zu den verschiedenen Ganglienzellengruppen als auch zu der vorderen und hinteren Commissur Fasern aus sehr vielen Theilen der Hinterstränge ihren Weg nehmen. Es enthält also durchaus nicht ein bestimmter Faserstrang der Hinterstränge nur Fasern, dienach einem bestimmten Punkte der grauen Substanz verlaufen. Die in die hinteren Wurzeln eintretenden Fasern laufen also einmal direct zu den Bündeln der grauen Substanz hin, zweitens werden sie zu Fasern, die senkrecht in der weissen Substanz weiter verlaufen. Die Nervenbündel, welche aus den Hintersträngen in die graue Substanz treten, erhalten einmal Fasern, welche direkt aus den hinteren Wurzeln zu ihnen durchtreten, zweitens solche, welche aus einem vertikalen Verlauf in den Hintersträngen in den horizontalen umbiegen. Möge es mir endlich noch gestattet sein, ein Präparat zu be- schreiben, welches sich allerdings nicht genau an die eben besprochenen anschliesst, indessen doch von Interesse ist, da es uns über den Ursprung eines Theils der vorderen Wurzelfasern Aufschluss giebt. Das Präparat ist ein mit Goldchlorid behandelter Querschnitt aus der Gegend des vierten Halswirbels vom Hunde, und zeigt die Verhältnisse, welche die beiliegenden beiden Zeichnungen, die Herr cand. med. Killian für mich anzufertigen so gütig war, uns dar- stellen, auf das Klarste, so dass ein Zweifel nicht aufkommen konnte. Wir sehen auf Fig. 8 und 9, welche dieselbe Stelle bei verschiedener Vergrösserung darstellen (Hartnack Obj. 5 und 9 & immers., beides verkleinert) den vorderen Theil des rechten grauen Vorderhorns mit den grossen daselbst befindlichen Ganglien- zellen, und die verschiedenen Züge der durchtretenden Wurzeln mit den dazwischen in grosser Menge liegenden Nervenfaserquerschnitten, den sogenannten Sonnenbildchen, welche übrigens in der Zeichnung im Verhältniss zu den Ganglienzellen viel zu gross gemacht sind. Beiträge zur Kenntniss des Faserverlaufs im Rückenmark. 491 > In der Mitte des Bildes etwa erblicken wir ganz am Rande der grauen Substanz zwischen drei Blutgefässquerschnitten gelegen eine Ganglienzelle mit Kern und vier Ausläufern. Zwei dieser letzteren ziehen rückwärts in die graue Substanz hinein, ohne dass ich nach- weisen konnte, was weiter aus ihnen wird, zwei andere dagegen treten in zwei durch die weissen Stränge hindurchtretende vordere Wurzeln ein und sind in diesen deutlich eine ziemliche Strecke weit zu ver- folgen. Dieser auch von Herrn Prof. Waldeyer constatirte Befund lässt es also wohl nicht zweifelhaft erscheinen, dass wir es hier mit einer Ganglienzelle zu thun haben, von der aus zwei Fortsätze zu Nervenfasern werden, welche durch die vorderen Wurzeln austretend nach der Peripherie des Körpers verlaufen. Es würde dieses Prä- parat also einmal zu der geringen Zahl derjenigen bisher beschrie- benen hinzutreten, welche den Beweis liefern, dass wirklich ein direeter Fortsatz einer Ganglienzelle zu einer austretenden Wurzel- faser werden kann, zweitens aber würde es beweisen, dass eine Nervenzelle nicht nur einen, sondern auch zwei solcher Fortsätze, d. h. also nicht nur einen, sondern auch zwei Deiters’sche Axeneylinder- fortsätze haben kann. Es ist dieses ein Befund, wie er meines Wissens aus dem Rückenmarke eines Säugethieres bisher noch nie beschrieben worden ist, und der an Interesse noch zunimmt, wenn man sich erinnert, dass vor etwa 25 Jahren schon R. Wagener in dem Centralorgane des Zitterrochens ebenfalls Ganglienzellen mit zwei Axencylinderfortsätzen auffand und beschrieb. Werfen wir noch einmal einen Blick auf den Aufbau des Rückenmarks, wie er sich uns nach diesen Beobachtungen dargestellt hat, so finden wir, dass zunächst ein Princip dabei in der consequen- testen Weise durchgeführt worden ist: das Princip der möglichst vielseitigen Verbindung. Um dasselbe nun auf möglichst einfache und elegante Weise durchzuführen, sind verschiedene Mittel ange- wandt worden. (Sit venia verbo!) 1. Verschiedener Austritt der Fasern aus der weissen Substanz in die graue. a) Die Fasern, die von demselben Punkte ausgehen, können in verschiedenen Höhen in die graue Substanz eintreten. b) Fasern, die von verschiedenen Punkten herkommend in ver- schiedenen Theilen der weissen Substanz verlaufen, biegen an derselben Stelle in die graue Substanz ein. c) Fasern, welche denselben senkrecht verlaufenden Bündeln an- 492 Dr. P. Schiefferdecker: gehören, und auch in derselben Höhe nach der grauen Sub- stanz hin umbiegen, gehen oft schon während des horizon- talen Verlaufs in der weissen Substanz nach rechts und links hin auseinander und treten so in die graue Substanz zwar in derselben Horizontalebene ein, aber doch in Bündel, welche ihrem Zielpunkte nach verschiedenwerthig sind. 2. Verschiedene Arten des Verlaufs der Fasern in der grauen Substanz zum Zwecke der Faservermischung. a) Einfache Netze (ohne Ganglienzellen). Diese können wiederum zweierlei Natur sein, je nachdem sie gleich am Rande der weissen Substanz liegend nur die einzelnen eben ausgetretenen Bündel unter sich verbinden — primäre Netze, oder weiter nach der Mitte der grauen Substanz zu liegend Bündel von Fasern, welche bereits ein Netz durchgemacht haben, in Ver- bindung setzen — secundäre Netze. Alle diese Netze denke ich mir indessen nur durch Verflechtung, nicht durch wirkliche Anasto- mosen entstanden. b) Faserzüge, welche verschiedene grössere Theile des Rücken- marks verbinden; dahin gehören: ca) die hinteren und vorderen Commissurfasern zur Verbindung der in den beiden Rückenmarkshälften gelegenen Theile, und 8) die senkrecht in der grauen Substanz aufsteigenden, Punkte in verschiedenen Höhen des Rückenmarks miteinander ver- bindenden Treppenfasern. 3. Besondere sehr wahrscheinlich wenigstens zur Verbindung ver- schiedenartiger Fasern dienende nervöse Apparate: die Ganglien- zellen mit den dichten zwischen ihnen befindlichen Netzen. Könnte man eine solche Gangliengruppe heil herausnehmen und besehen, würde sie wahrscheinlich mit ihren nach allen Richtungen hin ausgehenden Faserbündeln einem zusammengerollten Igel nicht unähnlich sehen. 4. Endlich gehört dahin auch noch die Art und Weise des Ein- tritts der Fasern der hinteren Wurzeln mit ihren Kreuzungen und ihrem weiteren horizontalen und verticalen Verlauf. Bedenken wir nun endlich noch, dass oft mehrere, bis vier bis fünf dieser eben angeführten Verflechtungsarten hintereinander in den Lauf derselben Fasern eingeschaltet sind, so erhalten wir eine solche Menge von Verbindungen, eine solche Menge von Wegen für die Leitung zu den vershiedensten Theilen des Rückenmarks, wir Beiträge zur Kenntniss des Faserverlaufs im Rückenmark. 493 haben ferner in der sehr bedeutenden Anzahl von Ganglienzellen so viele Uebertragungsapparate, denen wieder aus den verschie- densten Theilen Reize zugeführt werden, dass wir wohl auch bei den complicirtesten Thätigkeiten, die wir nach den bisherigen durch das physiologische Experiment gelieferten Thatsachen dem Rückenmark zuschreiben können, dasselbe als einen, allerdings sehr complieirten Reflexmechanismus anzusehen berechtigt sind. Strassburg, 26. September 1873. Erklärung der Abbildungen auf Taf. XXXIL, XXXIH u. XXXIV. Alle Figuren sind um ?/, der Grösse verkleinert, Figur 7 um die Hälfte. Fig.1a,b. Hartnack Obj. 3. und Cam. luc. Querschnitt aus dem Lendenmark eines Hundes in der Gegend des Ursprungs des ]J. Sacralnerven- paares. Färbung mit Palladiumchlorür. Die Partien der weissen Substanz sind nicht weiter ausgeführt, nur die noch in der grauen Substanz liegenden weissen Stränge sind dunkel schraffirt. Die auf 1,b mit Zahlen versehenen Striche deuten die Richtung an, in der die Längsschnitte, die den Zahlen entsprechen, den Querschnitt schneiden würden, V. Vorderstränge. S. Seitenstränge. H. Hinterstränge. V.W. Vordere Wurzeln. H.W. Hintere Wurzeln. F.a. und F.p. = Fissura anter. und poster. Cmm.a. und Comm.p. = Commissura ant. und post. C.c. Canal. centralis. V.G. Vordere S.G. Seitliche H.M.G. Hintere mittlere P.R. — Processus reticulares. Ganglienzellengruppe. 494 Dr. P. Schiefferdecker: Beiträge z. Kenntniss d. Faserverlaufs etc. Fig.2a,b Längsschnitte. Fig. 2. Br Frontalschnitt. Goldchloridpräparat. Alles übrige wie bei der vorhergehenden Figur. a. Stück des das Rückenmark zunächst umgebenden Bindegewebes. b. Seitenstrang. c. Austretende Nervenbündel. (Siehe Text.) d. Den Can. centr. umgebendes Bindegewebe. e. Epithel des Canal centr, Sagittalschnitt. Alles Uebrige wie bei den a... Fi- guren. a. Seitenstrang. b. Austretende Nervenbündel. c. Seitliche Ganglienzellengruppe. d. Vordere Ganglienzellengruppe. e. Vorderstrang mit durchtretenden vorderen Wurzeln. f. Bindegewebe. x’. Aufsteigende Nervenbündel. Wie die vorhergehende Figur. Wie die vorhergehende Figur. a. mediale Partie des Hinterstranges. x’. aufsteigende Nervenbündel. V.W. vordere Wurzeln. Wie die vorgehende Figur. a. Seitenstrang. b. austretende Nervenbündel. Hartnack. Obj. 5. Cam. luc. Theil von Fig. 1,b. stärker re 8 und 9. Theil eines Querschnitts aus dem Rückenmark des Hundes in der Gegend des Ursprungs des vierten Cervicalnerven- paares. Vorderhorn. Siehe Text. Ueber die Genese der Samenkörper. Von v. la Valette St. George. Dritte Mittheilung. Hierzu Taf. XXXV. Bei meinen früheren Untersuchungen über die Entwickelung der Formelemente des Samens!), welche zunächst die Entstehung dieser Gebilde bei den Wirbelthieren aufzuklären hatten, wurde in den Samenzellen einzelner Arthropoden und Molluskenein eigen- thümlicher neben dem Kerne auftretender Körper nachgewiesen, aus welchem ein Theil des Samenfadens hervorgehen sollte. Diese Beobachtung, von Balbiani bestätigt, ist durch die Ar- beiten Metschnikow’s und Bütschli’s nach mancher Richtung hin vervollständigt worden. Balbiani?) beschrieb zunächst sehr genau die Entstehung der Keimkugeln (spheres spermatiques) bei den Aphiden sowie die Ent- wickelung ihres Inhaltes.. Die Hodenkapseln sind nach seinen An- zaben schon bei den zur Geburt reifen Larven von rundlichen Zellenhaufen erfüllt, welche von Fortsetzungen der Innenhaut in be- sondere Fächer eingeschlossen werden. Diese Kammern sollen sich von der Innenfläche der Hodenkapseln ablösen und selbständige Um- hüllungen der Keimkugeln bilden, während die Samenzellen sich durch endogene Vermehrung vervielfältigen und die Tochterzellen dieser 1) Archiv für mikrosk. Anatomie Bd. III, 1867 S. 263; Handbuch der Lehre von den Geweben, herausg. v. S. Stricker. 1870 8. 541, 2) Annales des sciences naturelles V. Serie T. XI 1869, 8. 74 u. f. 496 v. la Valette St. George: zweiten Generation sich in der Zahl von zwei und mehreren in jeder Mutterzelle entwickeln würden. Nachdem diese Zellen eine Grösse von 5—6 u. erreicht haben, lassen sie zwischen Kern und Membran ein helles und durchsichtiges Bläschen erkennen und zwar am deut- lichsten, wenn die Zelle sich an einem Ende zu dem Samenfaden auszieht. Aus jenem, dem „plastischen Elemente der Samenzelle“, würde das Kopfende des Samenkörpers hervorgehen, der Kern mit dem Zellenreste verschwinden. Die Abhandlung von Metschnikow ist in russischer Sprache erschienen !). Durch die Güte des Herrn Prof. Kupffer wurde mir das Original, von dessen Tafel ich eine Copie anfertigen konnte, sowie die Uebersetzuug im Auszuge mitgetheilt, wofür ich dem verehrten Collegen in Kiel hiermit den besten Dank abstatte. Nach Metschnikow ist der Entwickelungsmodus der Samen- körper in der Abtheilung der Wirbellosen ein sehr verschiedener und ziemlich complicirter. Beim Regenwurme treten in den Hoden zuerst Protoplasmahaufen mit durchsichtigen Kernen auf, welche letztere eine Menge feiner Körnchen im Innern enthalten. Während sich das Protoplasma um die einzelnen Kerne gruppirt, ballen sich die Körnchen im Innern der Kerne zu kugligen Kör- pern mit unebener Oberfläche zusammen, dann glätten sich diese Körper zu einer Kugel und verlängern sich wie auch Kern und Protoplasma, welches an einem Ende einen fadenförmigen Fortsatz erhält. Der im Kerne gelegene Körper stellt nunmehr die Anlage des Kopfes, das Protoplasma die des Fadens dar. Somit geht der Samenkörper aus dem undurchsichtigen Theile des Kernes und dem Protoplasma der Zelle hervor. Beim Scorpion fand Metschnikow mehrkernige Zellen, welche sich nach der Zahl ihrer Kerne theilen. Dieselben zeigen ein undurchsichtiges Centrum mit heller Peripherie. Der erste Theil wird zum Kopfe des Samenkörpers, während der letztere verschwin- det. Der Faden zieht sich aus dem Protoplasma aus. Zwischen Kopf und Faden wurde ein Gürtel von Stäbchen, welche sich aus Körnchen der Zellsubstanz bilden, wahrgenommen. Derselbe ver- schmilzt bei der Verlängerung von Kopf und Faden mit dem ersteren. Die Samenzellen des Flusskrebses zeigen neben dem grossen 1) In den „Arbeiten der ersten Versammlung der russischen Natur- forscher“ (1868 Abth. der Anatomie und Physiologie S. 50). Ueber die Genese der Samenkörner. 497 Kerne mit körnigem Kernkörperchen einen runden protoplasma- artigen Körper, welcher eine selbständige intracelluläre Bildung dar- stellt. Dieser Körper erhält eine Höhlung und wird zum centralen Theile des Zoosperms, das Protoplasma zum peripherischen, indem es Fortsätze austreibt; der ursprüngliche Zellenkern verschwindet. Denselben Protoplasmakörper sah Metschnikow bei der Fliege neben dem Kerne. Hier theilt er sich; die beiden Hälften bleiben eng aneinander geschlossen und wachsen dann in ein läng- lich zahnförmiges Gebilde aus, während die Grenze zwischen beiden Hälften noch bestehen bleibt und erst später schwindet. Der Zellen- kern geht zu Grunde. Von den grossen Samenkörpern bei Gyprois beschreibt jener Autor eine ganz ähnliche Entwickelung, nur dass die aus dem Nebenkörper, wie ich jene Verdichtung des Protoplasma nennen will, hervorgegangenen Hälften eine Sonderung in eine centrale und peripherische Masse zeigen. Von der Zellsubstanz umgeben bildet er den Samenkörper und geht erst nach mannigfachen Veränderungen in die definitive Form über. Eine Betheiligung des Zellenkernes wurde in diesem Falle wie im vorhergehenden ausgeschlossen. Die Untersuchungen von Bütschli!) behandeln die Entwicke- lung der Samenkörper bei Coleopteren, Orthopteren undGam- marus pulex. Bütschli unterscheidet an dem Zoosperm der Inseceten drei Theile: einen vorderen, welcher durch ein kurzes blasses Spitzchen oder rundes Scheibchen repräsentirt wird, einen mittleren, welcher aus dem modifieirten Kerne hervorgeht und den Faden, das Endproduet der Zellsubstanz. Er spricht ihnen dieselbe Be- deutung zu, wie den drei Abschnitten, in welche Schweigger-Sei- del die Samenkörper der Wirbelthiere zerlegt hat. An den Hodenschläuchen beobachtete er ebenso wieBalbiani ein Querwachsen des Epithels, wodurch eine Kammerung des ge- sammten Schlauches erzeugt wird, stellt jedoch eine Umhüllungs- membran der Samenkugeln entschieden in Abrede. Die grossen vielkernigen Bildungszellen der Samenkörper hält er für Kunstproduete, der Kern der Keimzellen soll hell und klar bleiben; neben demselben fand er ein eigenthümliches dunkles un- durchsichtiges Körperchen auf. Während an der dem Kerne gegen- über liegenden Seite der Zelle der Faden von dem Protoplasma 1) Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie Bd. 21, 1871, 8. 402 u. S. 527. 498 v. la Valette St. George: hervorgetrieben wird, zeigt jener Körper, welcher in der Nähe der Ursprungsstelle des Schwanzfadens seine Lage hat, eine eigenthüm- liche von Bütschli sehr genau verfolgte Veränderung. Er streckt sich nämlich etwas in die Länge, nimmt eine mehr ovale oder spindelförmige Gestalt an, theilt sich alsdann, worauf zwei derartige Körperchen von länglicher Form neben einander liegen. Diese strecken sich mehr und mehr und reichen an dem einen Ende bis zum Kerne heran und mit dem anderen in den obern Theil des Schwanzfadens hinein. Darauf beginnt der Kern sich zu strecken, wird oval, spindel- föürmig und schliesslich band- oder stäbchenförmig undurchsichtig und glänzend. Das vordere blasse Spitzchen oder Schildchen hält Bütsehli für einen Protoplasmarest der ursprünglichen Keimzelle. Bei den Locustinen tritt noch ein besonderes kernärtiges Gebilde zu dem vorderen Ende des Kernes, verschmilzt mit diesem und bildet den eigenthümlichen von Siebold zuerst beschriebenen gabelförmigen oberen Theil des Kopfes. Diese kurze Darstellung der in jüngster Zeit über die Genese der Samenkörper in der Abtheilung der Wirbellosen gewonnenen Resul- tate, wobei ich zunächst die Bedeutung jener mehr erwähnten Pro- toplasmakugel im Auge hatte, glaubte ich vorausschicken zu müssen demjenigen, was ich aus eigener Wahrnehmung mittheilen kann, um auf dem festen Boden des Thatsächlichen das Für und Wider der Meinungen zu erörtern. Wenn auch das mir vorliegende Beobachtungs-Material kein so umfangreiches ist, wie ich es selbst wünschen möchte, so wird es doch ausreichen, Irriges zu wiederlegen, Wahres zu constatiren, Andere zu erneuter Bearbeitung des interessanten Themas anzuregen. Die Beschreibung, welche Balbiani von der Entwickelung -der Keimkugeln giebt, halte ich im Ganzen für durchaus zutreffend; dass dieselben eine Membran enthalten, ist unzweifelhaft, nur möchte ich es sehr in Frage stellen, ob diese Hülle von den Zwischenwän- den der Hodenschläuche gebildet wird. Ich glaube vielmehr, dass jene Haut durch Verschmelzung der peripherischen Schicht der Keimkugeln zu Stande kommt, ein Vorgang, dessen ich schon in meiner „zweiten Mittheilung über die Entwicklung der Samenkörper“ S. 271 gedacht habe. Bütschli leugnet diese Hülle, gewiss mit Unrecht. Unter Ueber die Genese der Samenkörper. 499 jedem Medium ist sie bei einigermaassen in der Entwickelung fort- geschrittenen Keimkugeln zu erkennen; durch Zusatz diluirter Flüs- sigkeiten tritt dieselbe besonders deutlich hervor. Sehr schön kam sie zur Anschauung bei Ranatra linearis (Fig. 19—21), bei Tene- brio molitor (Fig. 43—47), Sphinx porcellus (Fig. 48—50), ebenso bei Melolontha vulgaris (Fig. 52). In alten Männchen des Maikäfers findet man schlauchförmige Körper, deren Inhalt entweder nicht zur Reife gelangt oder zurückgebildet ist (Fig. 51). Auch an ganz entwickelten Samenknäueln, welche eine enorme Länge erreichen können, wie z. B. bei Hydrometra lacustris (Fig. 53), lässt sich eine solche Umhüllungsmembran noch nachweisen. Schon v. Siebold gedachte in seiner trefflichen Arbeit über die Spermatozoen wirbelloser Thiere (Müller’s Archiv 1836 S. 30 u. f£.) dieser Schläuche und nach ihm Andere; von den neueren Autoren H. Meyer (Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie Bd. 1. 1849 S. 188), A. Weissmann (Dieselbe Zeitschrift Bd. XIV 1864 5.219), H. Landois (Archiv für Anatomie Jahrg. 1866 $. 53) und E. Bessels (Zeitschrift für wissensch. Zoologie Bd. XVII 1867 S. 55). Eine Vermehrung der Keimzellen durch endogene Zellbildung, wie sie Balbiani schildert und eine solche früher allgemein ange- nommen wurde, habe ich niemals beobachten können. Balbiani’s Figuren 18%“ glaube ich auf Bilder zurückführen zu müssen, welche, durch den Zusatz einer schwachen Salzlösung entstanden, wenn auch treu wiedergegeben, den natürlichen Ver- hältnissen nicht entsprechen. Ein wie grosses Gewicht bei derartigen Untersuchungen auf die Wahl durchaus indifferenter Medien zu legen ist, habe ich schon früher betont !). Bütschli scheint auf diesen Punkt mit Recht grossen Werth gelegt zu haben; die von ihm angegebene Untersuchungsflüssiekeit entspricht nach eigener Erfahrung allen Anforderungen, wie auch das schöne Resultat seiner Untersuchungen die gute Methode be- kundet. Wenn der genannte Forscher die grossen vielkernigen Bildungs- zellen der Keimkugeln für Kunstprodukte ansieht, so kann ich ihm darin nicht beistimmen; ich halte dieselben für Protoplasmakörper, bei denen im raschen Fortschritt der Entwickelung die Differenzirung 1) Centralblatt f. d. med. Wissenschaften 1868 No. 40. 500 v. la Valette St. George: ihres Inhaltes der Abgrenzung nach aussen vorangeeilt ist. Obwohl ich durchaus nicht in Abrede stellen will, dass unter gewissen Ver- hältnissen das Protoplasma- neben einander liegender Zellen ver- schmelzen kann), so muss es doch auffallend erscheinen, dass solche mehrkernige Zellen, wie ich sie auf Fig. 12, 33, 34, 61 wiedergegeben habe, stets eine gleiche Entwickelungsphase derjenigen Theile zeigen, welche zur Bildung der Samenkörper erforderlich sind. So entspricht die Zahl der Kerne stets der Anzahl der Protoplasma- körper und Schwanzfäden, was schwerlich der Fall sein würde, wenn durch mechanische oder andere Einwirkungen die auf dem Objeect- träger regellos zerstreuten in verschiedenen Entwickelungsstadien sich befindenden Samenzellen untereinander zu verkleben geneigt wären; man müsste denn annehmen, dass eine solche Vereinigung stets nur im Hoden, wo allerdings fast immer gleichartige Zellen in derselben Gegend beisammen liegen, zu Stande käme. Der Zahl der Kerne nach sind die in Rede stehenden Zellen gleichwerthig einer gleichen Anzahl einzelner Zellen, so dass durch ihr Vorkom- men das Gesetz der Entstehung der Samenkörper aus je einer Zelle durchaus nicht alterirt wird, und ich wiederhole hier diese meine Auffassung auf die Gefahr hin, dass „sie etwas eigenthümlich klingen möge“. Unverständlich ist es mir, wenn Bütschli behauptet, dass der Zellenkern stets hell und klar bleiben soll, bis er sich zum Kopfe des Samenkörpers ausstreckt ; seine Abbildungen zeigen doch gerade das Gegentheil. Während er früher körnig, oft mit einem Kern- körperchen versehen erscheint, wird er erst bei jener Umwandlung hell und durchsichtig, wie es unsere beiderseitigen Zeichnungen dar- thun. Das Kernkörperchen verliert sich oft erst sehr spät und kann in manchen Fällen als besonderes Kriterium des Kernes und seines Derivates auch nach theilweiser Entwickelung des Zoosperms noch dienen. Die Veränderungen, welche mit dem eigenthümlichen Proto- plasmakörper der Samenzellen bei den Insecten vor sich gehen, 1) Auf diesem Umstande beruhen meiner Meinung nach die entgegen- stenenden Angaben von v. Ebner, Neumann und v. Mihalkovics über die Entwickelung der Samenkörner bei den Säugethieren. Ich halte die „Spermatoblasten‘ für nichts Anderes als mit einander verklebte durch Er- härtungsflüssigkeiten zur Unkenntlichkeit veränderte Samenzellen, Ueber die Genese der Samenkörper. 501 haben Metschnikow und Bütschli genau untersucht. Sie schildern dieselben in übereinstimmender Weise. Ich konnte die Betheiligung jenes Körpers an der Bildung der Zoospermien beim Ohrwurme, der Wasserwanze und verschie- denen Heuschrecken und Schnecken sehr schön verfolgen und weiss den Angaben meiner Vorgänger darüber wenig Neues hinzuzufügen. Die jüngeren Keimkugeln jener Thiere zerfallen in Keimzellen mit sehr lebhafter amöboider Bewegung, einem granulirten dunklern oder helleren mit einem Kernkörperchen versehenen Kerne. Darauf verdichtet sich ein Theil der Zellsubstanz zu einem kugligen Ge- bilde, welches durch eine Einschnürung in der Mittellinie in zwei mehr oder weniger von einander getrennte Hälften zerfällt. Wäh- rend dieses Vorganges hat das Protoplasma den Faden ausgetrieben an der Stelle. wo jener Körper liegt. Letzterer zieht sich nun spindelförmig in die Länge und tritt nach der einen Seite mit dem Kerne, nach der anderen mit dem Faden in Verbindung. Die bei- den Hälften vereinigen sich dabei wieder und nehmen auffallend an Substanz ab. Man sieht nun den dünnen aber scharf contourirten Faden sich unmittelbar zum Kerne fortsetzen. Dieser selbst zieht sich in die Länge aus, wird hell, darauf glänzend und spindel- oder stäbchenförmig, behält entweder eine besondere Form oder geht allmählich in die des Samenfadens auf. BeiStenobothrus dorsalis verdickt sich der Kern an einem Theile seiner Peripherie und tritt durch ein kleines glänzendes Knöpfchen mit dem Faden in Verbin- dung (Fig. 35— 42). Locusta viridissima zeigte jene eigenthüm- liche Auflagerung auf dem Kern, welche Bütschli sehr genau be- schrieben hat. Es findet hier offenbar derselbe Vorgang statt, wie ich ihn vom Meerschweinchen geschildert habe, so dass der Winkel am obern Ende des Zoosperms von Locusta der Kopfkappe des Samenkörperchens jenes Thieres entspringt. Dass Bütschli in seinem Vergleiche der Zoospermientheile der Inseeten mit denen der Wirbelthiere nicht glücklich gewesen ist, hat bereits Eimer in seinen höchst interessanten „Unter- suchungen über den Kern und die Bewegung der Samen- fäden“ (1874 S. 14) hervorgehoben. Dem sogenannten Mittelstücke muss bei den Arthropoden derjenige Theil des Fadens entsprechen, welcher bei den Insecten aus der Protoplasmakugel hervorgeht. Ob derselbe activ oder passiv bewegungsfähig ist, möchte schwer zu 502 v. la Valette St. George: unterscheiden sein; bei den höheren Thieren ist er entschieden nicht immer starr, wie Schweigger-Seidel anzunehmen geneigt war. Wie Bütschli dazu kommt, mir die Angabe in den Mund zu legen und die „entsprechenden Abbildungen“ zuzuschreiben, dass der Schwanz des Samenfadens aus dem Kerne hervorwachsen solle, weiss ich in der That nicht. Es ist das ja eine Annahme, die ich zu widerlegen ganz besonders bemüht war, indem ich nachzuweisen suchte, dass der Faden ein Product der Zellsubstanz sei, wie der Kopf aus dem Kerne hervorgehe und das „Mittelstück* die Verei- nigung beider darstelle. Diese Auffassung scheint mir auch nach den bisherigen Erfah- rungen fast allgemein gültig für Wirbelthiere und Wirbellose, seit- dem ich mich überzeugt habe, dass jener Nebenkörper nicht ein Theilproduet des Kernes ist, sondern aus einer eigenthümlichen Um- formung des Protoplasma hervorgeht. Vielleicht wird man auch bei manchen Wirbelthieren eine ähnliche Verdichtung der Zellsubstanz, welche die Verbindung des Fadens mit dem Kopfe einleitet, noch auffinden. Eine Modification jenes Gesetzes, wenn ich es so nennen darf, würde jedoch die Entwickelung der Samenkörper beim Regenwurme bilden, wo der Kopf des Samenfadens nicht aus dem Kerne, sondern aus dessen Inhalte entsteht, und besonders in den Fällen zu Tage treten, in denen der Kern gar keinen Antheil an der Bildung des Samenkörpers nimmt, sondern zu Grunde gent, wie es Metschnikow beim Flusskrebse gefunden hat. So wollte es auch mir nicht gelingen, als eben so wenig früher schon Keferstein!), bei Helix und Clausilia (Fig. 54—61 u. 66—69) eine Betheiligung des ursprünglichen Zellenkernes an der Bildung des Zoosperms zu statuiren, wie ich auch den bestimmten Nachweis der Persistenz des Kernes nicht bei allen von mir unter- suchten Arthropoden zu führen vermochte. Für ausgemacht aber halte ich trotz entgegenstehender An- sichten, dass, wie das Ei der Eizelle, so der zweite Factor der Zeu- sung, der Samenkörper, einer ganzen Zelle, der Samenzelle seinen Ursprung verdankt. Doppelschwänzige Zoospermien hat Bütschli bei Clythra 1) Die Klassen und Ordnungen des Thierreiches. Bd. IH, Abth. II S. 1215. Ueber die Genese der Samenkörper. 503 octomaculata entdeckt; ich fand solche in der Form ganz ähn- liche bei Phratora vitellinae auf (Fig. 64 u. 65). So viel mir bekannt, sind derartige Samenkörper vordem nur bei den Arctiscoiden bekannt geworden durch Doyere und Greeff!). Ihre ganze Gestalt ist übrigens von der jener abweichend. Eigenthümliche sich durch Beugung und Streckung bewegende Körperchen zeigte ÖCyclas cornea neben dem gewöhnlichen Samen- körperchen (Fig. 62. 63). Es waren spiralig gewundene, 0,03 lange, an beiden Enden zugespitzte Stäbchen, welche zuweilen zu zweien oder mehreren aneinander klebten und alsdann längere Fäden oder Büschel darstellten. Ich halte sie für dieselben Gebilde, welche in jüngster Zeit Flemming?) in der Ovarialflüssigkeit von Unio und Anodonta gesehen hat. Ihrer Entwickelung konnte ich nicht auf dieSpur kommen und bin desshalb eben so wenig wie Flemming im Stande, über ihre Bedeutung etwas Bestimmtes anzugeben. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXV. Fig. 1—10 Entwickelung der Samenkörperchen von Forficula auri- cularia. Fig. 11 u. 12 Samenzellen mit doppelten Kernen und Protoplasma- körpern von demselben Thiere. Fig. 13—18 Entwickelung der Samenkörperchenvon Ranatra linearis. Fig. 19—21 Keimkugeln mit wandständigen Kernen. Fig. 22—32 Entwickelung der Zoospermien von Stenobothrus dor- salis. Fig. 33 u. 34 Mehrkernige Samenzellen von demselben Thiere. Fig. 35—42 Entwickelungsstadien derSamenkörper von Locusta viri- dissima. Fig. 43—47 Keimkugeln von Tenebrio molitor in verschiedenen Entwickelungstufen. l) Archiv f. mikroskop. Anatomie Bd. II S. 129. 2) Ueber die ersten Entwickelungserscheinungen amEi der Teichmuschel Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. X H. IH 8. 265. 504 v. la Valette St. George: Ueber die Genese der Samenkörper. Fig. 48-50 Keimkugeln von Sphinx porcellus. Fig. Fig. 5l u. 52 Samenkugeln von Melolontha vulgaris. 53 Samenkapsel von Hydrometra lacustris mit austretenden Samenfäden. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. {=} 54—59 Samenzellen von Helix pomatia. 60 u. 61 Doppelzellen derselben Schnecke. 62 u. 63 Spiralstäbchen und Zoosperm aus Cyclas cornea, 64 Samenkörperchen von Phratora vitellinae mit Doppelfaden. 65 Dasselbe mit aneinander liegenden Fäden. 66 - 69 Samenzellen von Clausilia biplicata. Ueber active Formveränderungen des Kernkörperchens. Von Dr. Alexander Brandt, Privatdocenten in St. Petersburg. Es dürfte kaum zu leugnen sein, dass, trotz des grossen Auf- schwunges, welchen die Histologie in den letzten Decennien genommen hat und trotz der enormen Menge von Specialarbeiten in ihr gerade dort, wo man es am wenigsten erwarten sollte, sich nicht unbedeu tende Lücken fühlbar machen. Ich meine hier die Lehre von der thierischen Zelle, welche ja doch die Basis und den Ausgangspunkt der gesammten heutigen Gewebelehre bildet. Und in der That, wie vie] wissen wir über die physiologische Bedeutung der einzelnen Theile der Zelle, dieses Elementarorganismus, den wir in seiner vollendeten, typischen Form als Combination von Membran, Protoplasma, Nucleus, Nucleolus und Nucleololus auffassen können? Allerdings lernten wir das Protoplasma, den Zellenleib als Bestandtheil kennen, der an sich schon alle physiologischen Grundeigenschaften eines Organis- mus besitzt, nämlich Ernährung, Wachsthum, Beweglichkeit, Ver- mehrung und Reizbarkeit, daher auch ganz allein für sich existiren kann. Ferner haben wir auch von der Zellenmembran eine genü- gende Vorstellung erlangt, indem wir dieselbe als unwesentlicheren Bestandtheil der Zelle, als Niederschlag oder Ausscheidung des Protoplasma, als Reactionsproduct zwischen diesem letzteren und der Aussenwelt kennen gelernt haben, als Bestandtheil, dem eine nur passive Rolle im Zellenleben zukommt. Was wissen wir aber von den physiologischen Eigenschaften und der Bedeutung des Zellkernes? Nicht viel mehr, als dass eine Theilung desselben wohl in den meisten Fällen der Theilung des Protoplasma, der Zellenvermehrung M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. 33 506 Dr, Alexander Brandt: vorangeht; doch ist dies durchaus nicht immer der Fall‘). Und wie wenig wissen wir erst über die Eigenschaften und die Bedeutung des Kernkörperchens, so wenig, dass diesem häufig fehlenden Ge- bilde mancherseits jede physiologische Bedeutung abgesprochen wird. Unter diesen Umständen dürfte eine jede, wenn auch verein- zelte Beobachtung, welche auf die physiologischen Eigenschaften der weniger erforschten morphologischen Bestandtheile der Zelle einiges Licht wirft, nicht ganz unwillkommen sein. In dieser Vor- aussetzung übergebe ich hiermit eine gelegentlich an den Keim- flecken (Kernkörperchen) der Eier von Blatta (Periplaneta) orientalis gemachte Beobachtung der Oeffentlichkeit. Bringt man eine Ovarialröhre der genannten grossen Schabenart in einem Tropfen Hühnereiweiss oder Blut desselben Insectes unter das Mikroskop, so gewahrt man in der blinden, vorderen Spitze der Ovarialröhre einen Haufen jüngerer, rundlicher Eizellen, während man weiter abwärts grössere, abgerundet-cylindrische, perlschnur- artig aneinander gereihte Eizellen antrifft. Alle diese Zellen besitzen ein feinkörniges Protoplasma und einen mächtigen, transparenten Kern nebst Kernkörperchen. Die Grösse der Kerne (Keimbläschen) richtet sich nach der Grösse der betreffenden Eizellen. In den grösseren, weiter von der Spitze der Ovarialröhren entfernten Eizellen messen sie beiläufig 0,04 Mm. und darüber. Die Kerne liegen nicht'immer genau in der Mitte ihrer Eizellen. Meist erscheinen sie regelmässig kugelig eiförmig oder von dieser oder jener Seite etwas abgeplattet. Vor der Hand lässt es sich noch nicht angeben, ob diese selteneren und blos zeitweiligen Abweichungen von der Kugelform etwa von selbst- ständigen Formveränderungen des Kernes herrühren, oder ob sie ein- fach durch den ungleichmässigen Druck des contractilen Protoplasma bedingt werden. Die erste dieser Vermuthungen hat an sich durchaus 1) Conf. $. Stricker, Handbuch der Lehre von den Geweben. Leip- 1871. Vom Kern unabhängige Vermehrung an Zellen wurde unter anderem auch von mir, und zwar an den farblosen Blutkörpereben des Sipuneulus nudus nachgewiesen. An den rothen Blutkörperchen desselben Wurmes con- statirte ich ein räthselhaftes Verschwinden und Wiedererscheinen des Kernes, was dazu verleiten konnte den Kern dieser Blutkörperchen als einen sich bildenden und wieder auflösenden Niederschlag anzusehen. (cfr. meine Ana- tomisch-histolog. Unters. über d. Sipunculus nudus. St. Peterburg 1870. 4. Men. de lAcad. T. XVI. Nr. 8). Ueber active Formveränderungen des Kernkörperchens. 507 nichts Befremdendes, seit durch Hanstein !) amöboide Form- veränderungen und Kreisbewegungen an einer ganzen Reihe von Pfianzenzellen nachgewiesen wurden. Es dürfte wohl gerechtfertigt sein die Contraetilität als allgemeine, oder doch mindestens sehr verbreitete Lebenseigenschaft nicht nur des pflanzlichen, sondern auch des thierischen Zellkernes aufzufassen, und dies um so mehr, da der Vermehrungsprocess durch Theilung, welcher dem Zellkern zukommt, doch im Wesentlichen auch ein Bewegungsphänomen ist. Das Kernkörperchen (der Keimfleck) der Ovarialeier von Pe- riplaneta nimmt eine ganz unbestimmte Lage im Innern des Kernes ein: bald liegt es central, bald mehr excentrisch, bisweilen sogar ganz an der Peripherie. Der erste Blick auf das Präparat genügt um die bemerkenswerthe Thatsache zu constatiren, dass die Kern- körperchen der einzelnen Eizellen eine ganz abweichende Gestalt, und scheinbar, auch Beschaffenheit besitzen. Nur höchst selten stösst man auf solche, die vollkommen kugelig, homogen erscheinen (und alsdann, — in den grösseren Eiern, — beispielsweise 0,009 Mm. messen). In den meisten Eizellen zeigt das Kernkörperchen eine durchaus irreguläre Gestalt, ist entweder länglich verschiedenartig gebogen, oder bald mit stumpfen vundlichen oder höckerartigen, bald mit mehr spitzen difiusen Fortsätzen versehen. Als die gewöhnlichste Form findet sich ein unregelmässiges höckeriges oder maulbeerförmiges Klümpchen. Die unregelmässig gestalteten Kernkörperchen erscheinen meist nicht homogen, wie die kugelrunden, sondern gröber oder feiner granulirt, doch überzeugt man sich unschwer davon, dass diese Gra- nulirung nur eine scheinbare ist, dass sie blossdurch kleinere, höckerige Hervorragungen der Oberfläche bedingt wird. Durchaus nicht selten sieht man anstatt eines Kernkörperchens zwei oder mehrere glän- zende, rundliche Körner bei einander, doch lehrt in den meisten Fällen ein genaueres Zusehen, dass die einzelnen, in verschiedenen Ebenen liegenden Körner durch Substanzbrücken verbunden sind, und mithin nur ein einziges, bloss in höckerige Läppchen zer- theiltes Kernkörperchen vorliegt. Uebrigens fand ich wiederholent- lich, ausser dem zusammenhängenden Kernkörperchen, auch ganz entschiedene vollständig isolirte Klümpchen von ähnlichem optischen Verhalten, welche mitunter sogar in einem diametral entgegengesetzten Theile des Kernes lagen. — Die unregelmässig gestalteten Kern- 1) Botanische Zeitung 1872 Nr. 2 u. 3. 508 Dr. Alexander Brandt: körperchen pflegen eine häufig viel grössere Flächenausdehnung zu besitzen, als die regelmässig runden desselben Abschnitts der Eiröhren. In Präparaten, welche in Wasser, Speichel oder an- deren nicht streng indifferenten Flüssigkeiten untersucht wurden, fand ich stets nur regelmässig kugelige Kernkörperchen vor. Diese Thatsachen brachten mich auf die Vermuthung, dass die Verschiedenheiten in Gestalt und Lage der Kernkörperchen vielleicht auf activen Formveränderungen beruhen möchten. Anhaltende Be- obachtungen ein und desselben Kernkörperchens, durch von Zeit zu Zeit entworfene Zeichnungen controllirt, bestätigten diese Ver- muthung vollkommen. Im Allgemeinen sind die amöboiden Veränderungen der Form und Lage der Kernkörperchen ziemlich träge, so dass man bis- weilen mehrere Minuten ein und dasselbe Kernkörperchen beobachten kann, ohne an ihm auflallende Veränderungen zu bemerken. Um die Bewegungserscheinungen lebhafter zu machen, kam ein heizbarer Objeettisch mit dem grössten Erfolge in Anwendung: die Evolutionen der Kernkörperchen pflegen hierbei so lebhaft zu werden, dass es schwierig wird Zeit zu finden, um verschiedene Stadien der Formver- änderung zu zeichnen. Nur selten, und dennoch bloss auf kurze Zeit, nehmen einzelne Kernkörperchen eine Kugelform an, um als- bald von neuem entweder höckerartige Sprossen oder mehr diffuse, an ihrer Oberfläche fein granulirte Fortsätze zu treiben. Wider holentlich habe ich auch vollkommene Abschnürung einzelner Klümp- chen, sowie Veränderungen der Lage innerhalb des Kernes (Kreis- bewegung) direct constatiren können. Bei den Beobachtungen sowohl mit als auch ohne erhöhte Tem- peratur ist es unerlässlich, das Präparat sorgfältig vor Verdunstung zu schützen, da eine bloss geringe Eindickung der indifferenten Flüssigkeit die Kernkörperchen zur Kugelform zurückführt und ihrer Beweglichkeit beraubt. Um diesen Schutz des Präparates vor Verdunstung zu bewerkstelligen, wurde die einfachste Form einer feuchten Kammer benutzt, welche, soviel mir bekannt, zuerst von Prof. Faminzin in Anwendung gebracht wurde. Sie besteht aus einem kleinen Kautschukringe, welcher auf einen Objectträger gelegt und mit einem Deckgläschen bedeckt wird; an der unteren Fläche des Deckgläschens, in einem hängenden Tropfen, befindet sich das Präparat. Einige ausführliche Daten, sowie theoretische Betrachtungen Ueber active Formveränderungen des Kernkörperchens. 509 über das in dieser vorläufigen Notiz beschriebene Phänomen gedenke ich demnächst in einem dem Bau der Eiröhren von Blatta orientalis _ gewidmeten Aufsatze zu geben. Hier nur noch ein Paar kurze Bemerkungen. Wir haben im Vorstehenden in den amöboiden Bewegungs- erscheinungen des Keimfleckes eine, so viel mir bekannt, neue phy- siologische Eigenschaft des Kernkörperchens kennen gelernt, eine Eigenschaft, welche sich »muthmasslich« bald als eine sehr verbreitete ‚Grundeigenschaft der Kernkörperchen überhaupt herausstellen dürfte. Falls sich diese Vermuthung bestätigte, so hätten wir die naturge- mässeste Erklärung für jenen Theilungsvorgang des Kernkörperchens, welcher namentlich von Virchow beschrieben wurde. Freilich dürften wir auch auf solche Kernkörperchen stossen, deren chemische Mischung und physikalische Eigenschaften nicht ganz genau jenen, freilich bis jetzt in Dunkel gehüllten, Bedingungen entsprechen, welche zur Contractilität führen; und wir müssen daher, theoretisch wenigstens, auch immobile Kernkörperchen zulassen. Uebrigens können ja auch innerhalb des Kernes diverse organische, oder selbst unor- ganische Niederschläge vorkommen, welche mit \belebter Sarkode- substanz nichts gemein haben; dergleichen »Pseudonucleolis« müsste demnach wohl mit Recht jede active Thätigkeit abgesprochen werden. St. Petersburg, December 1873. Bonn, Druck von Carl Georgi. Beriehtigungen if. zu dem im dritten Heft des zehnten Bandes erschienenen Aufsatze: » Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel« von Prof. W. Flemming. Seite 260 Zeile 24 lies: » > » » 280 283 285 286 292 ) D » D 20 17 13 29 »Nebenkörper.« : »Nr. 4« statt: »Nr. 5.« : »am 24.« statt: am 23.« : »Nr. 4« statt: »Nr. 3.« : »Centrum« statt: »Üentren.« : »doppeltes Radiärsystem « Archiv £mihroskop. Anatomie: BdA. ... Tat. I. Irchio E. mikroskon Anatomie Bd.X. — 24 Bernet BEST Yo 2 i er N er Pe} -) une ee ERSTE e F nn, OO e Ber BG N A.Assmann del, * ’ Tat. I. on Anatomie Bd.X. %: Archiv f mikros rear Er btocah armen and ee 4 > + Assmann del. Irchiv Kmikroskon. Anatomie Bd. X Taf. IT. Lith.Ansbuy..l 6 Bach aipzio 1 i N en ar? i- > AN RS S IS IS >} Sg, Sl E E. OR urn Ale » wa — >: HR ya‘ Ne er We Zn Archivf mikroskop Anatomie Bd.X.. ’ ER — er TC Ve R.Greeff, dal Lith.Ansbw.J.D.Bach.Leipzig. u “ Archiv fmikroskop Anatomie BaX. OBrüischli, n.di Bach, lapag 73 72 Iitt.dasens Br n KuAls, Adi SIE y Fe . Titk.Anstr/6.Back Iexig. OBülschli,.n.d.Argez. Taf. VI Uth.Anstv.J.G Bach Leipzig. E mikrosken. Anatomie: Ba X. ee EEE EEE, U FO EI Fe AAMDNDÜCLCDD| auaadel LT Bireragge co At an En Se menekaren, alas : ’ Archiv f' mikroskon Anatomie: Bd,N. ANICLNCT WERNE, DO“ £), % > Aövelte dd, = - — - _—_ Se] WOrchmann. sc Ardio £ mikroskop. Anatomie, BaX. IEANILEES OESSE> = EN A a en on 0 Roh : REE ESS 55 ER ee Bi ef! N » ER WESAEN ER 2 38. 2 | #4 RR aD — a Be BIER ] J L = 7 . Aıbrette del, W Orohmann: sc: Taf AL. 5 8 $ e® PRLH Jörtozean $ | PS N dr © © x, R Litk Anstiv. J. €. Bach, Leipziß. a2200930 SERET re LEERE ah: | 6 nn u . ee a Zi m 1 ir er et en = ar u re # Archw ‚F mikroskon Anatomie. BaX f 22. d Flemmınz dei, Zu er Fmuikreskop Anatomie Bl X LT PER N MIITEon I 1 j ) rn Lith. Anst.v. LG Bach, Leipzig‘ I S: x Sıl Archo E nukroskop Analomie. Bd.X . 788. — “IC Bach, Le zig. ur? Arch £E mikroskop. Anatomie Bd. Lith Anst«..5.Bach, Luiszig Anatomie Bd X. 4 EZA op chin Fimik: AT. einst I N tnd,G Bao zith.rts ! Werohmann: se Arohio Fmikroskop:Anatomie. BAE. FE Schulze del, wor i Archio Emikroskop. Anatomie, Bd.X. Be 1; Lith.Anstv. J6.Bach, Leipzig. Ta [ XXIV Ärchinfmikroskop Anatomie Bd.X. Archto Pmikroskop. Anatomie. Ba.X. D gg Na) ®) et ©, Kith.AnstwJ 6. Bach, Leipzig .) Fe a en nr te | „. | FE Schühze.dat - ze,del. RE.Schul EEE Zee = “ 0 Archae K.mikrosk. Anatomie. Ba.X. Es > I > REN SS I Vaart GBaen Leni, Dr. Tillinanns u,PRfegentreit Au, \ 5 Lith.Anzt y.J.6 Bach, Leipzig: Dr. Tillmanns u P Felgenireif, del = ST h, Leipzig Lith.Anst.v. J.G.Bac A.Kowalevsky del “) | : * E Lih.Anstu.[G.Bach, Leipzig. P Schilferdecker ‘ Ei ’ f . \ R « | N r h s 5 i 1 ii * ; * F . . “ % ” i / . ’ . ie f y j . = » Ä & ' f “ x Archiv P'mikrosk.Analomie.Bd..N. — u — | ul \ u | | [77 - = a ee — P Schiefferdecker. del, Lith.Anstv.J.&.Bach, Leiszig, 72, Archiv Kmikrosk. Analomie.Bd.X. Leipzig. } Lith,Anst.v.J.0.Bach, cker e. Killian del. chiefferdec RS Archiv Mikroskopische Anatomie begründet von Max Schultze, Professor der Anatomie und Director des Anatomischen Instituts ın Bonn. Zehnter Band. Supplementheft. Herausgegeben von Dr. R. Hertwig. Mit 5 Tafeln und 2 Holzschnitten. Bonn. Verlag von Max Cohen & Sohn. 1874. j' walke iu im . } ie 1 ’ siwtrıooH A dd Te Dem Andenken an MAX SCHULTZE gewidmet. esÄdnshek md tambıwan Vorrede. Die vorliegenden Studien über Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen wurden im Frühjahr 1573 begonnen und während des Sommers und eines Theils des Winters fortgesetzt. In der Absicht uns mit der mikroskopischen Süsswasserfauna be- kannt zu machen, hatten E. Lesser und ich gemeinsam eine Unter- suchung der Tümpel der Bonner Umgegend vorgenommen, ohne dass wir urspr ünglich den Plan gehabt. hätten, aus den Resultaten unserer Arbeit das Material zu einer Publication zu gewinnen. Durch die zahlreichen und zierlichen Formen der Heliozoen und Monothalamien wurde unsere Aufmerksamkeit auf die aus einfacher Sarkode sich aufbauenden Organismen gelenkt, zumal da wir die beiden genannten Gruppen gleich anfänglich in zwei ihrer inter- essantesten Vertreter, der Mikrogromia socialis und Olathrulina elegans, kennen lernten. Der Gedanke an eine Publication wurde in uns erst wach gerufen, als wir manches Neue über bekannte Formen beobachteten, in vielen Punkten eine eigene von der herr- schenden abweichende Auffassung gewannen und eine Anzahl bisher unbeschriebener Arten kennen lernten. Die Ergebnisse unserer Untersuchungen hatten wir ursprünglich in einer Anzahl von Einzelschilderungen niedergelegt, welche wir in einer lockeren Verbindung zu veröffentlichen beabsichtigten. Allein die Ueberzeugung , dass eine Förderung der wissenschaft- lichen Erkenntniss weniger durch eine Darstellung von Detailbeo- bachtungen als vielmehr durch die aus denselben gewonnenen Re- sultate “und allgemeinen Auffassungen herbeigeführt wird, sowie das Bedürfniss, die beobachteten mannichfachen Formen in einem System zu vereinen und das Gemeinsame in ihrer Organisation hervorzuheben, bestimmten uns gar bald, den ursprünglichen Plan aufzugeben und die Einzelschilderungen zu einem einheitlichen Ganzen zu verarbeiten. Hierdurch wurde eine Umarbeitung bedingt, welche ich im Folgenden mit möglichster Zugrundelegung der ursprünglichen Darstellung durchgeführt habe. Mit der Beschrei- bung der Mikrogromia socialis glaubte ich hierbei eine Ausnahme machen zu müssen, da hier von Anfang an mein Augenmerk darauf gerichtet war, eine möglichst ausführliche und umfassende Kennt- niss des Baus und der Entwicklung des interessanten Or ganismus zu gewinnen. Wie aus diesen kurzen Angaben über die Entstehungsweise unserer Arbeit ersichtlich, hat sich der Plan zu der jetzigen Form der Abfassung erst allmählig in dem Maasse, als unsere Beobacht- ungen sich ausdehnten, bei uns herangebildet. Die Arbeit macht daher nicht den Anspruch auf den Namen einer Monographie, insofern wir von einer Monographie ein planmässig angelegtes Ganze und eine einheitliche Gliederung und gleichmässige Behandlung der einzelnen Theile erfordern. Wir möchten sie vielmehr als eine Summe unter ge- meinschaftlichen Gesichtspunkten vereinigter Einzelschilderungen auf- Vorrede. P\ gefasst wissen und bitten es von diesem Gesichtspunkte aus zu ent- schuldigen, wenn hier und dort das Gleichmaass der Ausdrucks- weise und der Art der Behandlung nicht gewahrt worden ist, wenn einzelne Theile ausführlicher dargestellt wurden und andere hier- durch zurücktreten liessen. Die Veröffentlichung der Untersuchungen in einem Supplement- heft des Archiv’s für mikroskopische Anatomie verdanken wir dem freundlichen Entgegenkommen des Herrn Verlegers. Ursprünglich hatte der Plan vorgelegen, sie einer Anzahl Arbeiten anzureihen, welche M. Schultze zu einem Band vereint, gleichsam als eine wissenschaftliche Inaugurirung des neuen Anatomiegebäudes heraus- zugeben gedachte. Ein trauriges Geschick hat "die Ausführung dieses Planes vereitelt. Angelangt am Ziele lang gehegter Wünsche, beschäftigt, die Resultate mehrjähriger Forschung der Oeffentlich- keit zu übergeben, wurde uns unser hochverehrter Lehrer durch einen jähen Tod entrissen, der uns um so tiefer erschüttern musste, als durch ihn ein Leben in seiner besten Manneskraft und mitten im vollen Schaffen vernichtet wurde. Wir erfüllen eine Pflicht der Pietät gegenüber dem Ver- ewigten, indem wir seinem Andenken eine Arbeit widmen, welche in mehr denn einer Hinsicht seinem geistigen Wirken zu Danke verpflichtet ist. In dankbarer Erinnerung wird uns stets das theil- nehmende Interesse bleiben, welches M. Schultze am Fortgang unserer Untersuchungen genommen hat. Die Ausarbeitung der Beo- bachtungen rief uns ins Gedächtniss zurück, wie dieselben in den vielfachsten Beziehungen an Studien anknüpfen, welche dem Namen Max Schultze seine wissenschaftliche Bedeutung verliehen und auch weiterhin den ehrenvollen Ruf desselben in weitesten Kreisen befestigten. Schultze’s Monographie der Polythalamien, seine Untersuchungen über. die Identität der Rhizopodensarkode mit dem pflanzlichen und thierischen Protoplasma, über den Begriff der Zelle und über die Uebereinstimmung der Gewebebildung im Thier- und Pflanzenreich waren bahnbrechende Arbeiten auf dem (Gebiete der Morphologie und müssen neben seinen speciell histolo- gischen Schriften, welche in der genauen Kenntniss des Baus der Gewebe die Basis zur Erklärung ihrer Function suchten, bei einer Würdigung seiner wissenschaftlichen Bedeutung in erster Linie her- vorgehoben werden. Die von einem gemeinsamen Gesichtspunkt aus unternommenen Untersuchungen wirkten nicht allein fruchtbrin- gend auf eine einheitliche Auffassung der thierischen Gewebe, son- dern bahnten auch eine histologische Betrachtungsweise der niedersten Organismen an nnd drückten somit, um mit Schultze’s eigenen Worten zu reden, den Triumph der Zellentheorie über die niedersten organischen Gebilde aus. Wer wie wir (zelegenheit gehabt hat, im Anschluss an eigene Arbeiten wieder- holt auf das Studium der bezeichneten Schriften zurück zu kommen, wird den in ihnen herrschenden Geist echter Forschung ehren, der sich nicht in den Einzelbeobachtungen verliert, sondern das denselben’ zu Grunde liegende Gesetzmässige zu entwickeln weiss. Jena, Juli 1874. R. Hertwig. RERTERE IEEE 54 Inhaltsverzeichniss. Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Mono- thalamie des süssen Wassers. VonDr. Richard Hertwig. Er ae Ta a ed Seite BrBantdereäiikrosromiar “le N nes et la nal 8 PISRRNSIOlBISCHER I Me en. a RE © a MeEinkwicklunesseschichte?. 1 .. 7... MEET eu SWT7 Br Sustemakiseheistellung'*.". f. nn an SORTE HM SIE 263 Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. Morphologische Studien von R. Hertwig und E. Lesser. Eierzus Tafels II, IE IN und Vaneo 135 Einleitung: ians:. EEE EN IATERN E15) I. Theil. Allgemeine Charakteristik SEADEA: EN RER AT 1. Hyalodiseustfabieundusr tt. num A 8 N... 2. Dactylosphaerium vitreum |! !!. „Es JE IT. 54 3:, Leptophrys einbreanjoloyarl-) ayrarrssndld sun 87 » SICPANS: te seruch: ı Ener ER. ED 44 Vampyrella Spiropyrae.. ;.. 2 2a nos 9.!Cochhopadinmupellueidum 3,0... Ale 66 2 Theil Monothalamıia 1.11. ai eig Allgemeine Charakteristik . Sr a Ag % a ne Be 2}. Ar . Monothalamia Lobosa . . . . REIT a. Lobosa, deren Schale ein reines Secre- tIomBaproducek Ist Inatrrtn A an, Beleg Te Arcolla). fun »eierteiyanil. A een ee 9 A UNBlgSTiR, 4 0 Bristigturathl ches: var 9 24. Pseudochlamys Patellaisene ‘4... arten. 100 3. Pyxidicula opereulata . . . a LER b. Lobosa, deren Schale mit Hrereee INeTUStIPt Ast... en RE FRDEEIUman tt en a N ee rn P.üseronodia: „nein Wahl. et aan. 27278107 B. Monothalamia Rhizopoda . . . 22.2..2.2..2..2..110 a. Rhizopoda, deren Schale ein reines Seccre- tIonsproduct/istl nuluıksl9 8:2 0. er Al l.ıschale structurlos . 2. 20. NW ge SrEIanIopheyer.. 217 CRMRSEn, IRRISR IRCHAUS SERIE. EBERLE EITRaCCHormiiB vr, SImgR.. SER TA Bieseutformis.. „user ya... a IB Baliseytkitm hyalinum a 2" „22092117 ULTIDeMaracınus. ZEN He re ae 20119 VIII Inhaltsverzeichniss. 2. Schale @aurch feine Struetur ausgezeichnet 21 8. "Buglypha, „It. au. so)e isn er Fe E;'ampullacea)). ‚aila lo. zimeiaunile rn E.jalveölatä/ „zes WW uassiro “ale a ne Da E. globosa . . ... 2. 0.0 gg 9. Cyphoderia margaritacea . . . 132 b. Rhizopoda, deren Schale mit Fr ee ımerustirt ish. sen Aerer)- Sr) nie 10. Pleurophrys' sphaeriea ,. ....,.. ." 1 „12 Peer IJ.:Monothalamia Amphistomata . . . ... 7% Ta a. Amphistomata deren Schale ein reines Se- eretionsproduct ist . .... „Ne SE Nee 11. Diplophrys Archeri . . . 139 b. Amphistomata deren Sakale mit Ela körpern Himerastink Astalamau JA ln ET- Ts 12. Ampbhitrema Wrightianum .„|..1/... » . . . oe DI. Theil... Heljoweainr winsaadgasleinad .@. 0. . Allgemeine Charakteristik 1... luwtanl. Wie... 00, 222 k I. Heliozoa Askeleta ‚Pan Bi 1. Actinophrye' sol." WAVE I 8 22) Se Eee 2. Actinosphaerium Eichhornü ". '.'. . „nF II. Heliozoa Skeletophora . "2 IE „AS ze A..'Chalarothoraca'. “N. A200 2 24 DI 3. Achnthoeyalisi 1 BED an na DEE re A: -spinifera masdadl ‚aleralnıltaaole „KOT A» acılestat uranb. nnd ee A, turfacea Wal, sauhürygeuuisıt. 4. Pinacoeystis rubicunda .. «lissud. I... 000 0 ee 5; Heterophrys: .... u. 1aglanı. As io. an ee H., marinan!e') „Ginslilaolnoet : Sim. Vs ie H. spiniferaliräcugo: slollhiaul: ‚0.10, La ie 6.:Baphidiophrys'elegans ı. ..../u..1.d. 2. 2.2 ua 4 7. Byalolampe, . . ar Ieide iger Per 220 Hy. fenestrata .. .-. imalltilk, 8.7.07 We ‘ Hy. exigua. ... mhostsons.tE 20.2 2) Se B.- Desmothoraca . shososidi ziuelsd.nual. 4.2, Se 8. Hedrioeystis aldi nen A 9. Glathrulina (elegamp iu 2 born nie... Yen 27 Tafelerkläarung . . 1... 2 Sackhıudsorde JR HATT 237 Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie des süssen Wassers. Von Dr. Richard Hertwig, Assistenten am anatomischen Institut in Bonn. Hierzu Taf. 1. Als ich mich im verflossenen Frühjahr mit der Beobachtung der Süsswasserrhizopoden, welche in der Umgebung Bonns, wie die Untersuchungen Greeff’s!) ergeben haben, in besonders reicher Fülle vorkommen, eingehender zu beschäftigen anfing, fand ich beim Durchsuchen eines unserer ergiebigsten Tümpel unter zahlreichen Vampyrellen, Clathrulinen, Hyalolampen auch eine sehr zierliche Monothalamie vor. Durch mannichfache Eigenthümlichkeiten in ihrem Bau erregte dieselbe gleich von Anfang an ganz besonders meine Aufmerksamkeit, so dass ich das Studium der übrigen Rhizopoden eine Zeit lang zurücktreten liess und fast alle meine freien Stunden dem interessanten Gegenstande widmete. Zu meiner Freude ent- wickelte sich der kleine Rhizopod in meinen Gläsern so reichhaltig, dass ich während langer Zeit nicht über Mangel an Material zu klagen hatte. Bei jedem Präparate, welches ich mir durch Ausklopfen von Algenfäden herstellte, konnte ich sicher sein, eine grössere Anzahl von Individuen vorzufinden. Diese verschiedenen Umstände liessen mich hoffen, über Bau und Lebensweise, vornehmlich aber über die Fortpflanzung derRhizopoden, über welche unsere Kennt- nisse noch sehr mangelhaft sind, nähere Aufschlüsse zu erhalten und habe ich daher die kleine Monothalamie zum Gegenstand einer eingehenderen Untersuchung gemacht, deren Ergebnisse ich hier mittheile. 1) Greeff: Ueber Radiolarien ete. Archiv für mikr. Anat, Bd.V. M. Schultze, Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 10. Supplementheft. 1 D Dr. Richard Hertwig: Beschäftigt, auf dem Objecttröger einen Tropfen Wasser nach Rhizopoden zu untersuchen !), wurde ich auf eine Gruppe kugeliger Körper aufmerksam, welche einander nahe, aber in unregelmässigen Abständen gelagert waren und durch ihre Durchsichtigkeit auffielen. Sie besassen die Grösse und scharfe Umgrenzung von Algensporen, von denen sie sich indess durch den Mangel der Farbe unterschie- den. Stärkere Vergrösserung (Zeiss F Oe. 2) liess erkennen, dass die einzelnen Körper miteinander in Verbindung standen. Von jedem gingen feinste Fäden nach verschiedenen Richtungen aus, theilten sich dichotomisch und verbanden sich mit den Fäden, welche von den übrigen entsprangen, zu einem ungemein zarten Netzwerk. An den einzelnen Körpern liess sich eine durchsichtige Schale und ein von derselben umschlossener, durch den Besitz eines Kerns sich aus- zeichnender Protoplasmainhalt unterscheiden. Durch eine Oeffnung der Schale stand der Protoplasmakörper mit dem zarten Netzwerk in Verbindung. Die Anordnung der zierlichen Gruppe, welche ich auf Taf. I Fig. 1 wiedergegeben habe, wechselte hierbei beständig, wenn auch der Wechsel wegen der Trägheit. mit der er sich voll- z0g, nur durch eine längere Zeit hindurch fortgesetzte Beobachtung sich nachweisen liess. Die einzelnen Körper rutschten in dem Netz- werk, welches von ihrem Protoplasmainhalt ausging, hin und her, näherten sich, um sich wieder von einander zu entfernen, zogen Fäden ein um neue wieder zu entsenden. Als ich nach ungefähr 24 Stunden die Beobachtung erneuerte, fand ich daher die Individuen der Colonie in einer vollkommen veränderten Lagerung zu einander. Schon aus dieser oberflächlichen Betrachtung geht unzweifelhaft hervor, dass wir es mit einem Schalen führenden Rhizopoden zu thun haben, der seinem Bau nach der Gruppe der Monothala mien (M. Schultze) am verwandtesten erscheint, der aber dureh sein heerdenweises Vorkommen, durch die Vereinigung seiner Indivi- duen zu einer echten CGolonie von allen übrigen bekannten Formen sich entfernt. Einmal aufmerksam geworden, fand ich die kleinen interessanten Organismen nunmehr häufiger in ähnlichen Anordnungen wieder Dazwischen kam aber schon damals sehr verbreitet eine zweite hin) DIR | 2 1) Hierbei combinirte ich, um eine stärkere Vergrösserung mit relativ grossem Gesichtsfeld zu vereinen, das Zeiss’sche C älterer Construction mit . n Oc. III. Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie etc. 3 Art der Verknüpfung vor, welche in der Folgezeit in den Monaten Mai und Juni die beschriebene lockere Vereinigung vollkommen ver- drängte. Diese zweite Art und Weise des Vorkommens charakterisirt sich dadurch, dass die Thiere dicht aneinander gedrängt zu einem Haufen vereint sind, dessen Form mit einer Weintraube verglichen werden kann, wobei die einzelnen Individuen den Beeren der Traube entsprechen würden. Von dem Haufen strahlen nach allen Richtungen radienartig, selten miteinander verschmelzend, die Protoplasmafäden der Pseudopodien aus. An ihnen können wiederum verzettelte klei- nere Gruppen oder auch vereinzelte Individuen ansitzen (Fig. 2 u. 3). Die Anzahl der zu einer Colonie vereinigten Einzelorganismen ist eine ungemein schwankende. Sie lässt sich bei der zuerst ge- schilderten lockeren Verknüpfung schwer bestimmen, da bei dem Gewirr von Algenfäden, zwischen denen man den Rhizopoden meist vorfindet, einzelne Individuen immer verdeckt werden, ausserdem die Erkenntniss des Zusammenhangs scheinbar getrennter Gruppen unmöglich gemacht werden kann. So glaubte ich einmal eine An- zahl kleinerer über mehrere Gesichtsfelder zerstreuter Colonieen vor mir zu haben. Als ich den anderen Morgen die einzelnen Gruppen, deren Lageverhältniss zu einander ich mir bemerkt hatte, wieder aufsuchen wollte, war ich nicht wenig erstaunt, sie alle zu einer einzigen gehäuften grösseren Colonie vereint zu finden. Im Allge- meinen scheint mir die Individuenanzahl der lockeren Colonieen keine grosse zu sein. Sie mag ungefähr bei relativ grossen Colonieen zwanzig oder wenig darüber betragen, meist wird diese Zahl nicht einmal erreicht. Dagegen sind bei der gehäuften Art des Vorkom- mens Colonieen, bei denen ich nach ungefährer Schätzung die Indi- viduenanzahl auf 100 und darüber berechnete, gar keine Seltenheiten. Die meisten mögen 40—50 Einzelorganismen enthalten, während kleinere verhältnissmässig seltener gefunden werden. Mir kam es vor, als ob zur Zeit, wo unsere Monothalamie in noch später zu schildernder Weise neue Colonieen gründet, sie sich zerstreut und in die Breite auseinander kriecht, dass dagegen das traubige Bei- sammensein in die Zeit des Wachsthums (Vermehrung der Indivi- duenanzahl) einer Colonie fällt. Dies würde den Unterschied in der Individuenanzahl bei den verschiedenen Formen der Coloniebildung erklären. Ziehen wir in Erwägung, dass ausser isolirten Organismen Co- lonieen von 2, 3 und mehr Individuen vorkommen, dass dieselben 4 Dr. Richard Hertwig: bald in lockerer Verknüpfung, bald in dichten Haufen, bald zum Theil locker, zum Theil dicht vereint gefunden werden, so wird man sich ein Bild von der Vielgestaltigkeit des Vorkommens unserer Mo- nothalamie machen. Bei der Durchsicht der Rhizopodenliteratur, in so weit ich mir dieselbe zugängig machen Konnte, wurde ich auf eine im »Quarterly Journal of Microscopical Science« erschienene Arbeit von Archer aufmerksam, in welcher der in Rede stehende Organismus abgebildet und geschildert worden ist!). Hierbei stellte es sich heraus, dass Archer durch die geschilderten 2 Arten des Vorkommens sich hatte verleiten lassen, zwei verschiedene Species anzunehmen und dieselben sogar zwei ganz verschiedenen Rhizopodenclassen un- terzuordnen. Er hatte unsere Colonie zuerst im gehäuften Zustand kennen gelernt- und beschreibt sie unter dem Namen Cystophrys Haeckeliana als einen den Radiolarien ähnlichen Organismus. Späterhin wurde er auch mit den Colonieen der locker verbundenen Individuen bekannt und betrachtete er dieselben als eine neue Species, als Gromia socialis. Da manchem Leser die genannte Arbeit nicht zugänglich sein möchte, gebe ich hier eine gedrängte Ueber- sicht der hauptsächlichsten Beobachtungen des englischen Forschers. Nach Archer besitzt Cystophrys Haeckeliana einen mehr oder minder rundlichen Körper, der seine Formen beliebig verändern kann und dessen Substrat äus einer Sarkode von ungemeiner Feinheit gebildet wird. (Das, was Archer hier als den Körper der Cysto- phrys bezeichnet, würde einer ganzen Colonie entsprechen.) Einge- bettet in diese Sarkode finden sich zahlreiche Zellen von nahezu gleicher Grösse und Gestalt. Jede der Zellen besitzt einen Zellkern mit Kernkörper und eine Zellmembran (cell wall), welche sich häufig durch ein gelbliches Colorit auszeichnet. Der Zellinhalt füllt die Zellmembran meist nicht vollkommen aus; er kann in zwei Theile zerfallen, von denen dann ein jeder meist seinen eigenen Kern besitzt. Die Zellen bilden entweder einen dichten Haufen oder sie sind zeit- weilig in der Sarkode mehr oder minder zerstreut. Im letzteren Fall können einzelne weit vom übrigen Körper sich entfernen, ohne dass man durch direete Beobachtung den Zusammenhang nachweisen kann. Da indessen dergleichen »scheinbar ausgestossene Zellen« 1) Archer: On some freshwater Rhizopoda new or little known. Quart. Journ. of Microsc. Science 1869 u. 70. Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie ete. 5 gleichwohl nicht vom Körper der Cystophrys unabhängig werden, , sieht sich Archer zur Annahme veranlasst, dass ausser der Sarkode, welche die einzelnen Zellen für gewöhnlich umschliesst, noch eine äussere Sarkodezone von ungemeiner Feinheit und Durchsichtigkeit existirt, welche die herausgetretenen Zellen mit dem wi in Verbindung erhält. Von der inneren Sarkode gehen feine verästelte Ka zeitweilig untereinander anastomosirende Pseudopodien aus; dieselben zeigen ausgeprägte, wenn auch träge erfolgende Körnchenströmung. Dagegen fehlen der Cystophrys einige bei den meisten Rhizo- poden nachweisbare Charaktere, das Skelet, der sogenannte Nu- cleus (the so called nucleus) der Amöben und Difflugien, endlich die contractile Blase. Zum Schluss der Schilderung behandelt Archer noch die systematische Stellung der Cystophrys, deren definitive Regelung er zur Zeit nicht für möglich hält. Er scheint aber geneigt zu sein, sie für einen den Radiolarien ähnlichen Organismus anzusehen, da er sich eingehender mit einer Zusammenstellung der Vergleichspunkte zwi- schen den Zellen der Cystophrys und den gelben Zellen der Radio- larien befasst. Bei diesem Vergleich findet er folgende, für eine Homologie der Gebilde sprechende Momente. Die Cystophryszellen sowie die gelben Zellen besitzen einen Kern mit Kernkörper und eine deutlich abgegrenzte Membran. Sie vermehren sich in beiden Fällen durch Zweitheilung. Endlich sind beide gelb oder wenigstens gelblich gefärbt, wobei freilich der Farbstoff der Cystophryszelle nicht wie bei den Radiolarien im Zellplasma, sondern in der Zell-. membran abgelagert ist. Gegen die Verwandtschaft der Cystophrys mit den Radiolarien spricht bisher nur das Fehlen der Centralkapsel. Ueber die Colonie im zerstreuten Zustand, welche als neue Species Gromia socialis genannt wird, macht Archer folgende Mit- theilungen. Die Gromia socialis (das einzelne Individuum der Colonie) ist bedeutend kleiner als die ihr im Uebrigen nächstverwandte Gromia flaviatilis und besitzt eine farblose rundliche oder breit elliptische Schale, welche vom bläulichen Protoplasmakörper nicht vollkommen erfüllt wird. An einer häufig durch eine leichte Erhebung (gentle elevation) gekennzeichneten Stelle treten die reich verzweigten, in ihrer Anord- nung beständig wechselnden Pseudopodien hervor. Dieselben verbinden sich nicht nur untereinander durch Anastomosen, sondern verschmel- zen auch mit den Pseudopodien benachbarter Individuen. Im Sar- 6 Dr. Richard Hertwig: kodekörper liegt der Nucleus mit seinem bläulichen homogenen Nucleolus. Es kömmt vor, dass ein und dieselbe Schale zwei offen- bar durch Theilung entstandene Körper beherbergt, von denen ein Jeder dann seinen eigenen Kern besitzt. Zum Schluss der Schilderung der Gromia socialis bespricht Archer die Möglichkeit, dass Cystophrys Haeckeliana und Gromia socialis vielleicht nur verschiedene Zustände derselben Species seien, da sie in ihrem Aeusseren viel Aehnliches besässen. Gegen dieselbe macht er jedoch geltend, dass während die Schale der Gromie eine Oeffnung zum Durchtritt der Pseudopodien besitzt, dieZellwand der Cystophrys vollkommen geschlossen ist, dass ferner die Cystophryszelle kleiner ist als das einzelne Individuum einer Gromia socialis, dass die Cystophrys trotz ihrer wenig entfalteten Pseudo- podien, die Gromie mit ihrem reichen Pseudopodiennetz an Energie der Bewegung bedeutend übertreffe. In seinem Resume kömmt daher Archer auf seinen früheren Standpunkt zurück, dass zwei verschie- dene wohlcharakterisirte Species vorliegen, welche indessen einige überraschende Aehnlichkeiten (some puzzling resemblances) besässen. In dem kurzen Ueberblick, den ich von der Gesammtform und der Art des Vorkommens unserer Monothalamie in der Einleitung gegeben habe, ist schon zur Genüge betont worden, dass ich die Auf- fassung Archer’s nicht theile; auch habe ich daselbst hervorgeho- ben, dass ich den Uebergang der sogenannten Gromiencolonie in eine Cystophrys direct verfolgen konnte. Das was Archer bei Cystophrys Haeckeliana als Homologa der gelben Zellen bezeichnet, sind in der That die Einzelindividuen einer Colonie, welche freilich nur den Formwerth einer Zelle besitzen, wie so viele nächstver- wandte Rhizopoden. Die doppelt conturirte Hülle ist keine Zell- membran, sondern eine, wie wir später ausführlicher besprechen, mit einer Oefinung versehene Schale. Ausserhalb dieser Schale existirt Sarkode nur in Form eines Netzwerks von Pseudopodien, Ein gleichmässig ausgebreitetes, die einzelnen Organismen einbetten- des Sarkodelager ist, wie ich mit aller Bestimmtheit betonen muss, nicht vorhanden, geschweige denn, dass man eine äussere und innere Lage an demselben unterscheiden könne. Wenn einzelne Individuen der Colonie sich abgelöst haben (efr. Fig. 2 auf Taf. I), (nach Archers Auffassung aus der inneren Sarkode ausgestossen worden sind), SO kann man an ihnen denselben Zusammenhang durch Pseudopodien nachweisen, wie bei den Individuen der sogenannten Gromia socialis. Ueber Mikropromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie ete. 2 Kurz Gromia socialis und Cystophrys sind nicht zwei ver- schiedene Species, sondern repräsentiren zwei verschiedene Zu- stände desselben Organismus. Ist es nun zweckmässig einen der von Archer gewählten Namen für die Monothalamiencolonie beizubehalten? Diese Frage muss ich aus folgenden Gründen verneinen. In dem Genus Cystophrys vereint Archer mit unserer Colonie der Cystophrys Haeckeliana noch einen anderen Rhizopoden, den er als Cystophrys oculea bezeichnet. Der letztere hat nun ebenfalls, wie an einem anderen Ort gezeigt werden soll, eine unrichtige Be- urtheilung von Seiten Archer’s erfahren. Wie die C. Haeckeliana ist er kein einzelner aus vielen Zellen bestehender Organis- mus, sondern eine colonieähnliche Vereinigung von vielen ein- zelligen Organismen. Die Individuen von C. oculea haben mit den Individuen von C. Haeckeliana nicht viel Gemeinsames. Sie gehören zwei weit von einander stehenden Ordnungen der Mono- thalamien an. Ich halte es nun nicht iür zweckmässig einen Namen beizubehalten, der falschen Beziehungen zum Ausdruck ge- dient hat. Gegen die Benennung Gromia socialis habe ich einzuwenden, dass ein genaueres Studium der Einzelthiere der Celonie mich über- zeugt hat, dass man dieselben nicht zum Genus Gromia rechnen kann. Ich werde darauf später zurückkommen, wenn wir den Bau der Colonieindividuen abgehandelt haben und die systematische Stel- lung unserer Monothalamiencolonie ins Auge fassen werden. Aus den angeführten Gründen sehe ich mich veranlasst, den vor der Kenntnissnahme der Archer’schen Untersuchungen gewähl- ten Namen beizubehalten und die Colonie Mikrogromia socialis zu benennen. In diesem Namen finden die offenbar vorhandenen Aehn- lichkeiten mit Gromia fluviatilis sowie das eigenthümliehe Zusam- menleben in Colonieen ihre Berücksichtigung. Um aber die schwerfälligen Ausdrücke »gehäuftes Vorkommen«, »traubenähnliche Vereinigung« etc. zu vermeiden, werde ich den Namen Uystophrys zur Bezeichnung der Art des Vorkommens bei- behalten und im Folgenden stets von einem Cystophryszustand sprechen., / Nach diesen einleitenden Bemerkungen komme ich zur Mitthei- lung eigener Beobachtungen. Hierbei halte ich es der Uebersicht- lichkeit halber für zweckmässig, dieselben in 3 Abtheilungen zu 8 Dr. Richard Hertiwig: besprechen, von denen die erste den Bau, die zweite die Lebens- erscheinungen, die dritte die Entwicklungsgeschichte, die vierte endlich die systematische Stellung der Mikrogromia behandeln wird. I. Bau der Mikrogromia. Da wir die allgemeine Form der Colonie schon in der Einlei- tung besprochen haben, können wir sogleich zum Bau des einzelnen Individuum übergehen und schildern hierbei 1. die Schale, 2. den Weichkörper, 3. die Pseudopodien. 1. Die Schale. Die Gestalt der Schale weicht nur wenig von der Kreisform nach der Seite eines Längsovals ab. Die Quer- und Tiefendurch- messer sind vollkommen gleich, der Längenmesser nur um Weniges grösser; jeder der ersteren beträgt 0,0135, der letztere 0,0164. Die Zahlen sind hierbei als die Mittel einer grösseren Anzahl Messungen zu betrachten. Denn es kommen, wenn auch unbedeutende, so doch messbare Schwankungen in den Durchmessern bei verschiedenen Individuen vor. Dass in diesen Schwankungen der Grösse eine be- stimmte Beziehung zu den beiden Arten des Vorkommens vorhanden ist in der Weise, dass die Cystophrysschalen kleiner -sind, muss ich gegenüber Archer bestreiten. Archer hat sich hier entweder getäuscht, indem er Schwankungen in der Grösse des Protoplasma- körpers, in denen wir eine gewisse Constanz später nachweisen wer- den, auch auf die Schalen übertragen, oder indem er den Quermesser N der Cystophrysschale (hier sieht man selten den Längenmesser) mit j dem Längenmesser seiner Gromia socialis verglichen hat. Er hat # leider keine Maasse angegeben. 4 Die Schale besitzt, wie die der überwiegend grossen Mehrheit der Monothalamien, nur eine einzige Oeffnung. Dieselbe wird durch eine kleine halsartige Verlängerung bezeichnet, welche als ein zierlicher Aufsatz, oder wie Archer sagt, a gentle elevation das eine Ende der Schale krönt und somit am Längsdurchmesser einen oralen und aboralen Pol (Häckel) unterscheiden lässt. Hier- bei liegt der Schalenaufsatz mit seiner Oeffnung nicht genau am Ende des Längsdurchmessers, sondern weicht nach einer Seite um ein Weniges ab. Die Schale wird in Folge dessen bilateral symme- | trisch, indem man vorn und hinten, eine rechte und linke, eine Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie etc. 9 dorsale und ventrale Seite unterscheiden kann. Als vorn und ventral bezeichne ich den Schalentheil, welcher den grösseren Theil der Mündung trägt. Auf dem optischen Durchschnitt in der Seitenan- sicht betrachtet, ist er stärker gekrümmt, als der längere und flacher gebogene dorsale. Hiermit sind die übrigen Bezeichnungen links und rechts und hinten oder dorsal von selbst gegeben. Die Form der Mündung ist von links nach rechts queroval. Die Fig. 4 und 5 auf Taf. I mögen diese Verhältnisse veran- schaulichen. Die Fig. 5, welche die en face Ansicht darstellt und welche man am häufigsten sieht, wird von Archer allein abgebil- det, indem er den symmetrischen Bau der Schale übersah. Betrachtet man die Schale von der Seite eines Endes ihres Längsdurchmessers, so bekömmt man das Bild .eines Kreises, da Quer- und Tiefendurchmesser gleich sind. Da die Schalenmündung hierbei verdeckt und nicht sichtbar ist (entweder liegt der Thier- körper darüber oder darunter), erscheint die Schale bei dieser An- sicht auch vollkommen geschlossen. In dieser Lage sieht man die Mikrogromien, wenn sie sich im Cystophryszustand befinden und die einzelnen Individuen radial zu einem idealen Mittelpunkt angeordnet sind. Somit erklärt sich der zweite und wichtigste Irrthum Archer’s, dass die Zellwandungen der Oystophrys vollkommen geschlossen seien. Dieser Irrthum ist leicht zu erweisen. Lässt man die Mikrogromien längere Zeit unter dem Deckglas, so dass dasselbe beim Verdunsten des Wassers fester auf den Objeetträger aufgedrückt wird, so breitet sich die Colonie allmählig aus und man gewinnt einen Einblick in ihre Verhältnisse. Dann kann man sich leicht überzeugen, dass die Cystophrysindividuen mit der Gromia socialis vollkommen überein- stimmen. Am leichtesten gelingt der Versuch bei den grossen Co- lonien von 50—100 Individuen, weil hier das Bedürfniss, dem Raum sich anzupassen, schon früh sich geltend macht. Die Oberfläche der Schalen ist überall glatt, ihre Dicke bleibt sich überall gleich, ihre Substanz färbt sich weder in Jod, noch in Jod und Schwefelsäure und widersteht selbst concentrirten Mineralsäuren und Alkalien, ohne sich sichtlich zu verändern. Ob ausser einer stickstofflosen oder stickstoffarmen organischen Masse sie noch als organische Bestandtheile Kieselsäure eingelagert enthält, muss unentschieden bleiben, da die Kleinheit und Durchsichtigkeit des Objects Glühversuche unmöglich macht. 10 Dr. Richard Hertwig: 2. Protoplasmakörper. Wie die Schale so ist auch der in der Schale enthaltene Pro- toplasmakörper bilateral symmetrisch. Er ist scharf und deutlich eonturirt und retortenförmig gestaltet. Wie an einer Re- torte kann man an ihm einen cylindrischen Halstheil von einem nahezu kugeligen Körper unterscheiden. Beide sind unter einem nach der ventralen Seite offenen Winkel verbunden, während ihre dorsalen Conturen allmählig ineinander übergehen. Der dem Retortenhals entsprechende Abschnitt tritt durch die Schalenöffnung nach aussen, breitet sich über die Ränder dersel- ben pilzförmig aus und vermittelt dadurch die Befestigung des Thier- körpers in der Schale, indem er der einzige Körpertheil ist, welcher mit ihr in Verbindung steht. Da von dieser pilzförmigen Proto- plasmaausbreitung gleichzeitig nach allen Seiten die Pseudopodien ausstrahlen, bezeichne ich die halsartige Verlängerung des Körpers — sammt ihrer Ausbreitung an der Schalenmündung als Pseudopo- | dienstiel. j Die Grösse des Protoplasmakörpers ist viel bedeutenderen Schwan- f kungen unterworfen, als die Grösse der Schale. Einzelne Indivi- duen füllen ihre Umhüllung fast vollkommen aus, andere wieder — nehmen nur einen kleinen Bruchtheil des Schalenraums in Anspruch. Letztere eignen sich ganz besonders zur Untersuchung des Körper- 4 baus.. Die Grössenunterschiede sind zum Theil wohl durch Ernäh- rungsbedingungn, zum Theil aber durch Fortpflanzungsverhältnisse & bedingt. Hat das Thier durch Theilung viele Tochterzellen gebildet, 4 so wird es schmächtiger und kleiner sein als solche, welche sich zur” Theilung vorbereiten. Da nun im Cystophryszustand die Individuen in lebhafter Proliferation in Zwei- und Dreitheilung meist vorgefunden werden, so erklärt es sich, dass hier die Individuen kleiner sind, als beim zerstreuten Vorkommen. Ich habe schon darauf hingewie- sen, dass dies vielleicht Archer zur Täuschung veranlasst hat, die Schalen der Cystophrysindividuen seien grösser, als die der Gromia socialis. n Der Körper der Mikrogromia besteht aus einem matt bläulichen Protoplasma (of a bluish kind of tint. Archer). Seine vordere Hälfte ist stets granulirt und enthält nur selten gröbere ovale Körper neben den feinen Körnchen. Die Körnchen sind fast immer’ farblos, nur in einigen wenigen Fällen fand ich sie terra de Sienna- | farben, was wohl von augenblicklicher Nahrungsaufnahme herrührte. Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie etc. 11 Der hintere Körpertheil ist fast vollkommen homogen und enthält den Kern eingebettet. Der Kern besitzt die allen Süsswasserrhizopoden ge- meinschaftliche Form eines hellen, vollkommen farblosen kugelrunden Körpers, in dem concentrisch das gleichfalls kugelige, mattbläulich glänzende Kernkörperchen liegt. Der bei vielen Rhizopoden von mir und Anderen um den Kern beobachtete dunkle doppeltcontu- rirte Saum (beiläufig von gleicher mattbläulicher Farbe wie der Nucleolus, und wie dieser in dünner Essigsäure dunkler werdend) fehlt und liegt der helle Kern unmittelbar im Innern des Proto- plasma. In der Auffassung des Gebildes schliesse ich mich rück- haltslos den Ausführungen Auerbach’s an. Es ist ein dem Zellkern der Zellen vollkommen gleichwerthiges Gebilde, ein echter Nucleus mit echtem Nucleolus, welcher in Form und Reaction mit dem Kern der Eizelle vollkommen übereinstimmt, wie ich beim Vergleiche beider nachweisen konnte. Sehr verdünnte Essigsäure macht Kern und Kernkörper aufs schärfste und deutlichste hervor- treten, indem der letztere körnig gerinnt, während der erstere voll- kommen transparent bleibt. Bei Verstärkung der Concentration der angewandten Essigsäure fangen beide zu quellen an. Der Nu- cleolus wird hierbei homogen und gewinnt an Durchsichtigkeit. Er wird dagegen sofort wieder deutlich und dunkel granulirt, sowie wir Kali aceticum oder auch Salzsäure hinzufügen. Auch dann jedoch bleibt der helle Aussentheil des Kerns farblos und vollkommen durchsichtig. Selbst bei der Anwendung der stärksten Essigsäure konnte ich den Kernkörper nicht zum vollkommenen Verschwinden bringen, was bei manchen anderen Rhizopoden gelingt. Hierin ist jedoch kein prineipieller wichtiger Unterschied, sondern nur ein gradueller zu erblicken. Denn auch bei den letzteren ist das Ver- schwinden des Kerns nicht als Auflösung zu betrachten, wie Auer- bach!) anzunehmen geneigt ist, sondern nur als ein stärkerer Grad der Quellung. Selbst dann, wenn man auch nichts mehr vom Nucleolus gewahr wird, kann man ihn in seiner früheren Form sichtbar machen, wenn man Kali aceticum oder Salzsäure zusetzt. Wollte man das Verschwinden als Auflösung des Nucleolus betrach- ten, so müsste man das Wiedererscheinen als ein Wiederausfällen 1) Ueber die Einzel'igkeit der Amöben. Zeitschr. f. wissensch. Zool. VI. 1855. 8. 421, »dass sie (die Nucleoli) in concentrirter Essigsäure und Schwe- felsäure aufquellen und blass werden, sich selbst ganz zu lösen scheinen«. 12 Dr. Richard Hertwig: der zuvor gelösten Stoffe auffassen, dann bleibt es unerklärlich, warum dieses Ausfällen den Eiweisskörper in seine alte Form zu- rückführt und nicht hie und da zerstreut als Körnchen und Krümel sich zusammenballen lässt. Auf die Frage nach der Gleichwerthigkeit des Nucleus und Nucleolus der Rhizopoden mit dem Zellkern und Kern- körperchen der thierischen und pflanzlichen Zelle werde ich in einer späteren Arbeit noch einmal zurückkommen und meine Ansicht weiterhin begründen. Im vorderen granulirten Abschnitt des Körpers, an der Stelle, wo sich derselbe mit winkliger Knickung in den Pseudopodienstiel verlängert, liegt eine einfache oder doppelte contractile Blase. Die- selbe findet sich bei allen Mikrogromien constant an derselben Stelle, variirt dagegen in Grösse und Anzahl nicht allein bei verschiedenen Individuen, sondern auch bei demselben Thiere zu verschiedenen Zeiten. Ihre CGontractionen treten nur selten ein und bestehen dann meist mehr in einem ganz allmähligen Verschwinden, als in einem plötzlichen ruckweisen Collabiren. Immerhin kommen lebhaftere energischere Contractionem zeitweilig, wenn auch selten vor, und zwar schienen mir wärmere Temperaturgrade eine grössere Prä- cision in der Action zu begünstigen, ohne dass ich jedoch die Ein- wirkung der Temperatur auf die Contractionen experimentell genauer geprüft hätte!). Die geschilderten Verhältnisse erschweren es dem Beobachter sehr, sich von der Contractilität der Blasen zu überzeugen, zumal dieselben meistentheils keine bedeutende Grösse erreichen. Man muss während längerer Zeit und genau beobachten und sich zur Untersuchung günstige Objecte aufsuchen, bevor der Nachweis ge- lingt. Als ein derartiges günstiges Untersuchungsobject kann ich die rhizopodenartigen jungen Sprösslinge der Colonie (cfr. pag. 23), welche neue Colonieen gründen sollen, empfehlen. Hier liegen die contractilen Blasen im hinteren nachschleppenden Theil des Körpers und sind leicht zu überwachen. Das eigenthümliche Verhalten der Blasen der Mikrogromia scheint mir nicht ohne Interesse für das morphologische Verständniss der contractilen Behälter überhaupt zu sein, besonders für die Be- urtheilung ihrer Beziehungen, zu einfachen nicht contractilen Va- 1) Man könnte sich hierzu durch Anwendung des von M. Schultze construirten heizbaren Objeettisches leicht günstige Bedingungen herstellen. u Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie etc. 13 cuolen. Unsere Urtheile über die hier angeregte Frage haben im Lauf der Zeit mannichfache Umwandlungen erfahren. Während Dujardin eingreifende Unterschiede zwischen contractilen und nicht contractilen Blasen in Abrede stellte, haben seine Nachfolger Clapare&de, Lachmann, Claus eine scharfe Trennung durch- zuführen versucht und ihr einen grossen systematischen Werth bei- gemessen. So stellt Claus und die Mehrzahl der Zoologen die Rhizopoda sphygmica, hauptsächlich gestützt auf die Contractilität ihrer Vacuolen, den Radiolarien und Polythalamien gegenüber und findet in der rhythmischen Pulsation Charaktere, welche zu den In- fusorien überleiten. Gegenüber dieser Tendenz, die contractilen Behälter als etwas Verschiedenes von den einfachen Vacuolen zu trennen, fängt man in der Neuzeit wieder an, sich der Dujardin’schen Auffassung zu nähern. In seinem Aufsatz über die contractilen Behälter der In- fusorien!) betont Schwalbe, dass dieselben weiter Nichts als mit Flüssigkeit gefüllte wandungslose Hohlräume in der contractilen Substanz der Infusorien sind und sich in" Nichts von den gewöhnli- chen, der Umhüllung von Nahrungsballen dienenden Vacuolen der inneren Sarkode unterscheiden. In einem Aufsatz über die Katallakten?) bezeichnet Häckel die contractilen Blasen geradezu als constant gewordene Vacuolen, eine Idee, die er in einem Aufsatz zur Morphologie?) der Infusorien ausführlicher begründet hat. Den Grund, wesshalb die wandungs- losen Flüssigkeitsräume im Protoplasma bald inconstante Vacuolen, bald constante contractile Blasen bilden, sucht er hierbei aus der Verschiedenartigkeit des Protoplasma, in dem sie lagern, abzuleiten. Ist dasselbe fester und constanter wie das Ektosark der Infusorien, so werden auch die Vacuolen eine Tendenz zur Befestigung und Localisirung besitzen, während im weichen Endosark diese Bedin- gungen nicht gegeben sind. Daher finden sich im Endosark Vacuolen, im Ektosark contractile Blasen. Die contractilen Blasen unserer Mikrogromia kann man nun gleichsam als Mittelstufen zwischen den contractilen Behältern und den einfachen Vacuolen betrachten. In der schwankenden Anzahl 1) Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. II. 2) Studien über Moneren und andere Protisten. S. 151. 3) Jenaische Zeitschrift Bd. VI. 14 Dr. Richard Hertwig: und Grösse, in der Unregelmässigkeit ihrer Action, in dem all- mähligen Entstehen und allmähligen Verschwinden erinnern sie an die einfachen Vacuolen. Dagegen nähern sie sich durch die Con- stanz ihrer Lage, durch ihre zeitweiligen energievolleren Contractio- nen wieder den echten contractilen Behältern. Charaktere beider Art finden wir somit hier gemischt vor, so dass man zweifelhaft sein kann, welche Bezeichnung man wählen soll. Wenn ich mich hierbei für den Namen »contractile Blase« entschieden habe, so ge- schieht das, weil ich der Constanz des Vorkommens und der Lage- rung eine besondere Wichtigkeit zuschreibe. Beide sind bei unserer Mikrogromia in allen Zuständen ihres Daseins ganz besonders auf- fällig. Die contractile Blase fehlt weder dem Schwärmer, noch dem aktinophrysähnlichen Sprössling, noch dem ausgebildeten Thier. Bei allen drei Zuständen hat sie stets dieselbe Lage, nämlich in dem dem Kerne abgewandten Ende. Wenn derselbe im vorderen Theile liegt, wie bei den beiden erstgenannten Zuständen, so liegen die contractilen Blasen im hinteren, umgekehrt ist das Verhalten, wie wir gesehen haben, beim ausgebildeten Thiere. 3. Pseudopodien. Nachdem wir im Vorhergehenden den Bau der Einzelthiere genauer betrachtet haben, wird uns jetzt die Art und Weise, wie dieselben zu einer Colonie zusammentreten, beschäftigen. Dieselbe ist am besten zu verfolgen bei den Thieren, die sich weit über die Fläche ausgebreitet haben. Die Individuen sind hier mit einander zum Theil durch Verschmelzung ihrer Pseudopodienstiele, zum Theil durch Verschmelzung der von den Stielen ausgehenden Pseudopodien verbunden. Die letzteren strahlen meist in grösserer Anzahl von der pilzförmigen Ausbreitung der Pseudopodienstiele an den Schalenöff- nungen nach allen Richtungen aus. Indem sie häufigen spitzwinkligen Theilungen unterliegen und sowohl untereinander als mit den Pseu- dopodien benachbarter Individuen anastomosiren, entsteht ein zartes Netzwerk , dessen Maschen oft von grosser Feinheit sind. Wo zwei Pseudopodien mit einander in Verbindung treten, bilden sie srössere oder kleinere Protoplasmaausbreitungen, Lieblingssitze der eirculirenden Körnchen. Beim Cystophryszustand ist die Vereinigung der Individuen durch ihr gedrängtes Beisammenliegen verdeckt. Von dem Haufen strahlen nach allen Richtungen Pseudopodien aus, Dieselben sind meist an ihrer Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie etc. 15 Basis dicker, als die Pseudopodien der locker verknüpften Form. Sie sind offenbar schon nicht mehr Producte eines einzelnen Thieres, sondern kommen durch Anastomosiren der Pseudopodien vieler Indi- viduen zu Stande. Sie sind häufig dichotomisch verästelt, bilden jedoch vergleichsweise selten Anastomosen mit den nächstliegenden. Diese Seltenheit der Anastomosenbildung im Cystophryszustand muss jedoch nicht als eine Eigenthümlichkeit des Protoplasma betrachtet werden, sondern ist durch die radienartige Anordnung der einzeinen Fortsätze bedingt, die in Folge dessen selten Gelegenheit haben sich zu treffen. Wo diese Gelegenheit geboten wird, tritt auch die ausgesprochenste Tendenz zur Anastomosenbildung hervor. Einige Male konnte ich beobachten, wie behufs Nahrungsaufnahme die Pseudopodien einer Colonie zum grössten Theil nach einem Punkt gerichtet waren. Hierbei verschmolz das ganze Bündel der conver- girenden Pseudopodien allmählig zu einer einzigen grösseren Pro- toplasmaplatte. Von dieser gingen erst die Endäste aus (Fig. 3a). Ich wurde durch diese Anordnung lebhaft an die von Max Schultze gegebene Abbildung der Pseudopodien von Polystomella strigilata ') erinnert. Die Länge, welche die Pseudopodien in diesen Fällen erreichten, ist ein Beweis gegen die Behauptung Archer’s, dass die Pseudopodien der Cystophrys nie die ausserordentliche Länge wie bei Gromia socialis erreichen ?). Ebenso wenig kann ich einen Unterschied in der »Lebhaftig- keit und ortsverändernden Kraft« der Pseudopodien bei beiden Arten finden. Beidesmal sind die Pseudopodien für gewöhnlich körnchen- arm; die Körnchenbewegung ist eine ungemein träge,- wenn man sie mit dem Fliessen und Strömen der Pseudopodien einer Gromia flu- viatilis vergleicht. Sie wird etwas deutlicher, wenn das Thier sich in der Nahrungsaufnahme befindet und Nahrungskörnchen die Pseudo- podiennetze füllen. Aber auch dann ist sie nur ein schwacher Abglanz von dem herrlichen Bild, welches bei anderen Rhizopoden das Auge des Beobachters fesselt. Auf den Pseudopodienbahnen kommt auch ein Austausch des Protoplasmakörpers der einzelnen Thiere zu Stande, ein Beweis für den innigen organischen Zusammenhang der Colonie. Ab und zu 1) Organismus der Polythalamien. Taf. IV. 2) 1.c.8. 26, »nor do the pseudopodia of the latter (Oyst. Haec keliana) ever seem to reach the inordinate length of those of the present form« (Gro- mia socialis). 16 Dr. Richard Hertwig: sieht man einen Protoplasmatropfen im Netzwerk langsam hinrut- schen, zeitweilig anhalten, um in demselben trägen Tempo seinen Weg dann wieder aufzunehmen. Zum Schluss dieses die Pseudopodien behandelnden Abschnitts sei noch erwähnt, dass es mir gelungen ist dieselbe durch Osmium- säure auf einige Zeit zu conserviren, wenn man den Zusatz nur schnell bewerkstelligt. Ich setzte die lprocentige Osmiumsäure zu dem noch nicht mit Deckglas bedeckten Präparat zu. Die Pseudo- podien schrumpften nur wenig und wurden gering varicös, ihre Körnchen schwärzten sich, ihre Anastomosen blieben bestehen. Da- gegen hatten sie die Resistenz des Lebens verloren und fingen daher an haltlos im Wasser zu flottiren und wie Haare an der Colonie herumzuhängen. Hierbei lernte ich einmal wieder kennen, wie vor- züglich Osmiumsäure die feinsten Gebilde conservirt. Jodzusatz ergab viel ungünstigere Resultate. II. Physiologisches. Ueber die physiologischen Leistungen unseres Organismus kann ich mich kurz fassen. Die Colonie kann ihren Ort verändern, wie wir oben gesehen haben, aber nur in geringfügigem Grade, so dass man dieselbe, nachdem man sie Tags vorher beobachtet hat, fast am nämlichen Orte wiederfindet. Lebhafter bewegen sich die Einzel- individuen in der Colonie, welche, an ihren Pseudopodien entlang kriechend, sich näheren und von einander entfernen, wodurch das Gesammtbild der Colonie und ihr Zusammenhang einen beständigen Wechsel erleidet. Die Aufnahme der Nahrung wird, wie bei allen Rhizopoden, durch die Pseudopodien vermittelt. Die Mikrogromia scheint die- selbe meist von in Zersetzung begriffenen Thier- und Pflanzenkörpern zu beziehen. Oft sieht man sie ihre Pseudopodien nach dem Kör- nerhaufen abgestorbenen Protoplasmas senden. Die Pseudopodien sind dicht gefüllt von circulirenden Körnchen. Da hierbei die Nahrung meist farblos ist und die Mikrogromia in ihrem Stoffwechsel keine Farbstoffe erzeugt, ist die Colonie fast stets farblos und nur selten findet man Thiere, deren Körper röthliche oder gelkliche Körnchen enthält. Aus der Ernährungsweise von in Zersetzung begriffenen Stoffen erklärt sich wohl auch die eigenthümliche Beobachtung, dass man den grössten Theil der Mikrogromiacolonieen von einem dich- ten Kranz von Bacterien umschwärmt antrifft. Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie etc. 17 Selten sah ich unsere Colonie lebenden Organismen, Schwär- mern thierischen und pflanzlichen Ursprungs, gefährlich werden, indem sie dieselben mit ihren Pseudopodien umgarnte. Einmal beob- achtete ich, wie eine Vorticelle von Mikrogromien fast allseitig umflossen wurde. Lange suchte sie sich vergebens aus der Protoplasmaumhällung, mit welcher sie von ihren Angreifern umzogen war, durch lebhaften Wimperschlag zu erretten, bis es ihr endlich gelang, sich loszuwin- den. Es scheint daher, dass die Pseudopodien keinerlei giftige Ei- genschaften besitzen, wie man sie für andere Rhizopoden, z.B. für Acti- nophrys angenommen hat. Ein anderes Mal sah ich eine Anzahl Algensporen von den Pseudopodien umflossen. Doch sind das Alles seltene Vorkommnisse. II. Entwicklungsgeschichte. Ganz besondere Aufmerksamkeit habe ich dem Studium der Entwicklungsgeschichte gewidmet. Hier sichere Resultate zu ge- winnen, schien mir von ganz besonderer Wichtigkeit, da unsere Kennt- nisse über die Entwicklung der Rhizopoden grosse Lücken besitzen, obwohl die Kenntniss derselben für die richtige Beurtheilung der Classe von der grössten Bedeutung ist. Das Gesagte gilt namentlich von den Süsswasserrhizopoden. Eine Prüfung der einschlägigen ziemlich beträchtlichen Literatur ergiebt, dass die von Cienkowski über Entwicklung von Clathrulina elegans, Actinophrys sol, Vampy- rella angestellten Beobachtungen die einzigen sind, welche sichere Resultate erzielt haben und Anspruch auf Vollständigkeit machen können. Alles Uebrige, was bekannt geworden ist, betrifft Beobach- tungen, welche zwar häufig von den verschiedensten Forschern in gleichlautendem Sinne gemacht worden sind, die aber jedes Zusam- menhangs entbehren und nur durch Zuhülfenahme einer Reihe von Hypothesen zu einem Gesammtbild verwoben werden können. Als solche fragmentarische, bis jetzt, wie mir scheint, noch nicht genü- gend sicher gestellte Beobachtungen muss ich die von Öarter und Wallich in England zuerst gemachten, später in Deutschland von Greeff und Anderen vielfach bestätigten Untersuchungen bezeich- nen, die darauf hinauslaufen, für die Rhizopoden eine hohe ge- schlechtliche Differenzirung und einen Entwicklungsgang durch- zuführen, der mit der Entwicklung der Infusorien viel Aehnliches besitzt. Greeff!) schildert den Entwicklungsmodus am aus- 1) Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd. II. M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 10. Supplementheft. 2 18 Dr. Richard Hertwig: führlichsten bei Amoeba terricola. Wir geben einen kurzen Auszug dieser Schilderung, indem wir namentlich die Beobachtungslücken hervorheben, die nach unserm Dafürhalten nur ungenügend durch Anwendung von Wahrscheinlichkeitsbeweisen überbrückt werden. Im Nucleus, dessen von einer besonderen Wandung (Kernmem- bran ?) umschlossene Höhlung geradezu als Brutraum bezeichnet wird, zerfällt das den Innenraum füllende Protoplasma (Nucleolus?) in solide menr oder minder scharf begrenzte Körper. Dieselben sollen, wie Greeff vermuthet, aber nie direct beobachtet hat, aus dem Brutraum (dem Kern) in das Parenchym der Amöbe gelangen; hier finden sich nämlich, besonders bei Thieren, denen der Kern zu fehlen schien, zahlreiche, den Körnern des Nucleus vollkommen gleichende Gebilde, von denen einige an Grösse zugenommen und in ihrem Innern ein kernartiges Körperchen entwickelt haben. Da man ferner ausserhalb der Amöbe zahlreiche kleine, der letzteren sehr ähnliche Amöbenformen findet, glaubt sich Greeff zur Annahme berechtigt, dass dieselben sich aus den kernführenden Gebilden im Innern der Amöbe ableiten, welche ihrerseits wieder mit den Theil- stücken des Nucleus identisch sind. Ausser diesen Keimkugeln, welche durch Theilung des Nucleolus entstehen, vermuthet Greeff noch die Anwesenheit von Spermatozoiden als Packetchen feinster Fäden. Aehnlich lautet seine Schilderung bezüglich Pelomyxa pa- lustris !). In einer Arbeit über die Organisation der Infusorien schildert Carter?) die Entwicklung der Rhizopoden, welche auch nach ihm’ eine geschlechtliche ist, insofern abweichend von Greeff, als die Spermatozoiden (kleine Körner) aus dem körnigen Nucleolus’ entstehen, während er die Ovula aus dem Protoplasma der Nach- barschaft des Nucleus ableitet. Später?) kömmt er zu einer mit Greeff übereinstimmenden Fassung und lässt die Ovula wie dieser aus dem Nucleolus entstehen. Für den geschlechtlichen Charakter der Fortpflanzung führt er die Copulation an. Der Ideengang, der diesen Untersuchungen zu Grunde liegt, scheint mir den Anschau- . a ee 1) Arch. für mikrosk. Anat. Bd. X. rn 2) Notes on the freshwater Infusoria of the Island of Bombay. An and Mag. of nat. history II. Vol. 18, pag. 222 u. f. pi 3) On the reproduction process in Difflugia pyriformis. Ann. and Mag. of nat. history. III. Vol. 12. Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie ete. 19 ungen Claparede’s und Lachmann’s, welche bekanntlich die Amöben für vielzellige höher organisirte Thiere, den Nucleus für eine Geschlechtsdrüse (glande sexuelle, embryogene) erklärten !), sich wiederum zu nähern. Obwohl nirgends dies Verhältniss der Rhizopoden zu unsern modernen Auffassungen der Zelle besprochen wird, so geht doch durch alle diese Arbeiten als ein gemeinschaft- licher Zug der mehr oder minder klar ausgesprochene Zweifel, dass die Amöben etc. in Wahrheit als einzellige Organismen zu betrach- ten sind. Ich glaube zu diesem Schluss berechtigt zu sein, wenn ich in fast allen Arbeiten der genannten Autoren nie von einem Zellkern, sondern immer von dem »sogenannten« Nucleus?) lese, ein Ausdruck, der doch offenbar die Bedeutung des Nucleus als Zellkern stark in Zweifel zieht. Da mir der Zufall ein so reichliches und der Beobachtung so gün- stiges Materialan die Hand gab, machte ich mir zur Aufgabe, einen mög- lichst ausführlichen geschlossenen Entwicklungskreis zu erhalten, um so zu sehen, ob in ihm irgendwo Anknüpfungspunkte für eineim An- schluss an Veränderungen des Nucleus vor sich gehende geschlecht- liche Differenzirung nachzuweisen wären. Zu dem Zweck war es nöthig, zweierlei nachzuweisen: 1. die Art, in der sich neue Colonieen anlegen, 2. das Wachsthum der bestehenden. Meine über 3 Monate sich ausdehnenden Beobachtungen haben die Frage nahezu, wenn auch nicht vollkommen gelöst; da leider mir späterhin das Material ausging, musste ich sie früher, als mir lieb war, unterbrechen und einige wenige Punkte unerörtert lassen. Nach den gewonnenen Resultaten können wir indessen schon jetzt mit grosser Sicherheit behaupten, dass im Entwicklungsgang unserer Mikrogromia nur dieselben Processe Platz finden, welche wir für die Zellvermehrung kennen, einfache Zelltheilung. Die Untersuchungen haben nur dazu 1) Ytudes sur les Infusoires et Rhizopodes. I. S. 430. 2) Cfr. ausserdem Greeff: Ueber einige in der Erde lebende Amöben und andere Rhizopoden. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. U, S. 312. »Ich komme jetzt zu dem bei weitem wichtigsten Theil des Innenparenchyms, der in die Stellung eines eigenen selbstständigen Organs tritt, nämlich des Fortpflan- zungsorgans, das ist der sogenannte Nucleus.«c Dagegen nennt er die Pelomyxa (Bd. X, S.70) einen vielzelligen Organismus und erklärt hier die Nuclei für Zellkerne mit mehreren verhältnissmässig grossen Kernkörpern »oder, wenn man will, für Zellen mit mehreren Kernen«. 20 Dr. Richard Hertwig: beigetragen, mich in der Auffassung der Rhizopoden des süssen Wassers, welcheHäckel in seiner generellen Morphologie und neuer- dings in seiner Schrift über die Infusorien!) vertreten hat, zu be- festigen, dass nämlich Euglyphen, Trinemen, Mikrogromien einzellige Organismen sind, wie es schon die Einfachheit ihres Baus zu erken- nen giebt und wie es auch weiterhin durch die Art der Fortpflanzung und Entwicklung bestätigt wird. Es ist dies dieselbe Auffassung, zu welcher neuerdings E. van Beneden’:) in seinen schönen Untersu- chungen über die Entwicklung des Gordius giganteus für die Gre- garinen gelangt ist. 1. Anlage der Colonie. Indem wir zur Schilderung unserer entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen übergehen, beantworten wir zunächst die Frage: in welcher Weise legen sich neue Colonieen an? Schon Archer beschreibt von seiner Cystophrys Haeckeliana und Gromia socialis, dass in einzelnen Schalen 2 Körper gelegen hätten, jeder derselben mit einem eigenen Kern, und bringt diese Zweitbeilung mit der Fortpflanzung in Zusammenhang. Es gelang ihm jedoch nicht den Nachweis zu führen, was aus den Producten der Zweitheilung wird. Ein glücklicher Zufall lenkte gleich bei der ersten Mikrogromiacolonie, die ich zu beobachten Gelegenheit hatte, meine Aufmerksamkeit auf die Fortpflanzungsverhältnisse und ermöglichte es mir einen Schritt weiter zu kommen. In derselben ° fiel mir ausser einer Anzahl zweigetheilter Individuen ein amöboider Körper auf, welcher sich wurmförmig in die Länge gezogen, den Pseudopodien entlang bewegte. Nach kurzer Zeit verliess derselbe, in einen Schwärmer umgewandelt, die Colonie. Nachdem ich durch diese Beobachtung für den Gang der Ent- wicklung Anhaltspunkte gewonnen hatte, gelang es mir zu wieder- holten Malen, die Schwärmerbildung zu beobachten und ihren Verlauf genauer zu verfolgen. Das erste Stadium der Fortpflanzung, welches ich zu beobachten Gelegenheit hatte, bestand darin, dass in einem besonders grossen Er Zn 1) Zur Morphologie der Infusorien. Jenaische Zeitschrift. Bd. VIL 8. 4.8.9. ’ 2) Sur l’evolution des Grögarines. Bulletin de l’Academie royale de Belgique II, T. XXXI, No. 5 1871. Notes sur la structure des Gregarines. ; Ibidem II, XXXIII, No. 2 1872. I Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie etc. 21 Individuum einer Colonie (die Grösse bezieht sich natürlich nur auf den Protoplasmakörper und nicht auf die in ihren Dimensionen nur unbedeutend schwankende Schale) zwei Kerne vorhanden waren. Ich habe dieses Stadium nur einmal gesehen und auch hier den Verlauf der Theilung in zwei einkernige Tochterindividuen nicht verfolgen können. Um so häufiger und leichter ist das Stadium der vollzogenen Theilung zu beobachten (Fig. 6A). Der Körper einer Mikrogromia ist in zwei Hälften zerfallen und zwar stets in eine vordere und eine hin- tere. Nur die vordere Hälfte, welche sich in den Pseudopodienstiel ver- längert, steht mit dem Protoplasmanetze der Colonie im Zusammenhang. Die hintere, welche späterhin sich zum Schwärmer umbildet, liegt schon jetzt, von jeder Verbindung mit der Muttercolonie gelöst, im hinteren Schalenraum und bildet somit einen vollkommen selbstständigen Körper, der nur noch auf einige Zeit seinen Aufenthalt in der Mut- tercolonie nimmt. Beide Theilstücke füllen den Schalenraum fast vollkommen aus und platten sich gegenseitig ab; ein jedes hat seinen Kern mit Kernkörper und seine contractile Blase. . Mit der Vollendung der Theilung, welche nach der Beziehung der Theilungsebene zur Längsaxe des Organismus als Quertheilung bezeichnet werden muss, ist ein Ruhepunkt in der Entwicklung er- reicht worden, und man kann stundenlang quergetheilte Individuen beobachten, ohne an ihnen irgend welche Veränderung zu gewahren. Die lange Dauer dieses Stadium macht es begreiflich, weshalb es so leicht zu beobachten ist, während die weiteren Vorgänge sowie die vorhergehenden nur selten dem Untersuchenden zu Gesichte kommen. Die Weiterentwicklung wird durch eine Lageverände- rung des hinteren Theilstücks eingeleitet; dasselbe schiebt sich allmählig neben dem vorderen vorüber, um dasselbe zurückzudrängen und selbst den vorderen Schalenraum einzunehmen (Fig. 6 B). Wäh- rend dieser Lageveränderung sind beide Hälften eine Zeit lang ein- ander parallel gelagert, so dass nur die Verbindung des einen mit den Pseudopodien, der Mangel dieser Verbindung bei dem anderen vor einer Verwechselung des Bildes mit einer Längstheilung zu schützen vermag. Im vorderen Schalenraum angelangt, verlässt das Theilstück, welches bestimmt ist, zum Schwärmer sich weiter zu entwickeln, die mütterliche Schale mittels amöboider Bewegung. Stets geht hierbei die contractile Blase voraus, während der Kern erst ganz zuletzt 22 Dr. Richard Hertwig: nachfolgt (Fig. 6C). Die amöboiden Bewegungen dauern auch ausser- halb der Schale fort, wobei sich der junge Sprössling, dem Pseudo- podiennetz der Muttercolonie folgend, bald wurmförmig ausdehnt, bald zu einer Kugel zusammentfliesst, bald an Theilungsstellen der Pseudopodien in mehrere Lappen sich ausdehnt. Nachdem dies wech- selvolle Spiel eine Viertelstunde ungefähr gedauert haben mag, hebt sich der Körper eiförmig von den Pseudopodien ab, wobei der Kern in die von den Pseudopodien abgewandte Spitze, die contractile Blase in das mit dem mütterlichen Protoplasmanetz noch in Verbin- dung stehende Ende zu liegen kommt (Fig. 6D). Gleichzeitig be- merkt man eine eigenthümlich schwankende und zitternde Bewegung. Dieselbe rührt von zwei Geisseln her, welche plötzlich an beliebigen” Stellen aufschiessen, nach einigen Schlägen wieder verschwinden, um an einem andern Ende zum Vorschein zu kommen und durch diese unregelmässige Action den Körper in zitternde Bewegung ver-7 7 setzen, ohne ihn vorwärts zu treiben. Diese Fortbewegung tritt aber sofort ein, sowie die Geisseln am vorderen den Kern umschliessenden Ende einen festen Ureproni 1 punkt gewonnen und ihre Schwingungen ein gleichmässiges Tempo angenommen haben. Dann löst der Schwärmer sofort seine Vet Beziehungen zur Muttercolonie und eilt als eiförmiger Körper in. beständig rotirender Bewegung hinweg. Sein Bau ist nunmehr fol. gender (Fig. 6E). Das vordere etwas zugespitzte Ende besteht aus” einem homogenen Protoplasma; es umschliesst den Kern und trägt die beiden Geissen. Im hinteren abgerundeten Theil liegt die ent- ER Mr körnchenreiches Protoplasma. Die Fortbewegung des Körpers ber steht hierbei in einer Rotation des ganzen Körpers um eine ideale das hintere kleinere Kreise, oder richtiger ausgedrückt, um der Fortbewegung Rechnung zu tragen, die Enden bewegen sich in Spi- ralen von einem grösseren und kleineren Radius. Der Schwärmer schraubt sich gleichsam durch das Wasser. | Dieser Bewegungsmodus ist der allen Schwärmern gemein- schaftliche, wie er von de Bary vorzüglich für die Mycetozoen ge schildert worden ist. Im Gegensatz zu den letzteren ändert sie a jedoch die Körperform des Schwärmers bei den Mikrogromien nie, son- dern behält die ovoide Gestalt beständig bei. Ihm fehlt der neben Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie etc. 23 der Geisselbewegung vorhandene wurmförmige Formenwechsel der Mycetozoen. Trotzdem nun die Bewegung keineswegs schnell vorschreitet, gelang es mir doch nicht, den Schwärmer, bis er zur Ruhe gelangte, zu verfolgen. Ich verlor ihn stets in dem Gewirr von Algenfäden, welche bei der Anfertigung des Präparats nicht zu beseitigen sind. Es bleibt daher unentschieden, ob er direct mit Einziehung seiner Geisseln in den Ruhezustand übergeht, wie ich es für die grossen Schwärmer der Clathrulina elegans!) beobachtet habe, oder ob er zuvor ein sogenanntes Actinophrysstadium durchmacht, wie es Cien- kowski für die aus Cysten auskriechenden Schwärmer der Cla- thrulina 2) schildert. Der im Voranstehenden mitgetheilte Entwicklungsgang erleidet in vielen Fällen erhebliche Modificationen. Während der Thei- lungsprocess und das Auswandern des hinteren Theilstücks in der geschilderten Weise verläuft, wird der Schwärmer durch einen actinophrysartigen Sprössling ersetzt. Derselbe behält auch, nachdem er das Pseudopodiennetz der Muttercolonie verlassen hat, die amöboiden Formveränderungen und die wurmförmige Gestalt bei, indem wie beim Schwärmer der Kern das vordere, die contractile Blase das hintere Ende bezeichnet (Fig. 7A). Als Locomotionsorgane die- nen 3—4 mehr oder minder verästelte spitze Pseudopodien, welche meist auf den allervordersten Theil des Keims beschränkt bleiben, somit auf den Theil, welcher beim Schwärmer die Geisseln trägt, deren Ursprung jedenfalls nicht jenseits der vorderen Hälfte verlegt wird. Dieselben bilden häufig Anastomosen unter einander. Körn- chen der Leibessubstanz treten indessen nur selten in sie ein. Die Pseudopodien stimmen somit mit den Pseudopodien der Colonie, bei denen ja auch die Körnchenströmung nicht sehr auffallend ist, der Hauptsache nach überein. Das hintere Ende des Körpers spitzt sich in einen dünnen Faden zu, welcher passiv nachgeschleppt wird. Die in diesem Ende gelegene Blase eignet sich, wie schon oben bemerkt wurde, vortrefllich zur Beobachtung der Contractionen, da dieselben energischer erfolgen und leichter überwacht werden können, als beim beschalten Individuum. 1) Cfr. die nachstehende Arbeit. 2) Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. III. Ueber Clathrulina, eine neue Akti- nophryengattung. 24 Dr. Richard Hertwig: Einen dieser actinophrysähnlichen Keime konnte ich verfolgen, bis er zur Ruhe kam. Indem er eirund wurde, entwickelte er an dem bisherigen hinteren Ende einen spitzen Protoplasmafortsatz (Fig. 7 B). Da das Lageverhältniss desselben zu Kern und contractiler Blase übereinstimmt, bin ich geneigt ihn für die Anlage des Pseudo- podienstiels zu halten. Leider gelang es mir nicht die Bildung der Schale zu verfolgen, welche offenbar sehr langsam angelegt wird. Obwohl ich zwei Tage lang die Beobachtung desselben Individuum fortsetzte, konnte ich doch keine Veränderungen wahrnehmen. Das Vicariiren von actinophrysartigen Keimen und geisseltra- genden Schwärmern hat nichts Auffallendes, wenn wir das Verhält- niss der Geisseln zu den Pseudopodien berücksichtigen. Gestützt auf ein genaueres Studium der Wimperbewegung, erklärte Engel- mann!) dieselbe für eine Modification der amöboiden Bewegung. Häckel brachte dann für diese Auffassung neues Beweismaterial herbei, indem er den directen Uebergang der amöboiden Bewegung in die Wimperbewegung bei abgefurchten Eiern der Siphonophoren ?), in die Geisselbewegung bei Protomyxa aurautiaca, bei Kalkschwäm- men aus dem Genus Leucosolenia?) beschrieb. Ich selbst habe Gelegenheit gehabt, die Richtigkeit dieser Anschauung durch direete Beobachtung zu bestätigen und den Nach- weis zu führen, dass in der That die Geissel einfaches contractiles Protoplasma und keine Differenzirung desselben, wie z.B. die eben- falls mit Contractilität begabte Muskelfibrille ist. Zu dem Zweck kehre ich zur Schilderung der Entstehung des Schwärmers unserer Mikrogromia noch einmal zurück. Wir haben daselbst gesehen, wie die beiden Geisseln hier plötzlich aufschiessen und wieder verschwin- den. Meistentheils kaun man bei der Schnelligkeit des Vorgangs nicht beurtheilen, ob in der That hierbei die Geissel vollkommen schwindet oder ob sie nur ihren Ort verändert, ohne eingezogen zu werden. An einem Öbjecte jedoch, an dem der Wechsel nicht so rapid wie gewöhnlich verlief, konnte ich mir Gewissheit verschaffen, dass die Geissel in der That jedesmal vollkommen eingezogen und neu gebildet wird. An der Stelle, an der die Geissel entstehen sollte, bildete sich jedesmal kurz zuvor ein amöboider conischer 1) Jenaische Zeitschrift Bd. IV. 2) Häckel, Entwicklungsgeschichte der Siphonophoren. 3) Biologische Studien I, 130. EugE Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie etc. 25 Fortsatz, der sich dann plötzlich in eine Geissel verlängerte. Hier- bei gingen Geissel und Fortsatz unmittelbar ineinander über, die erstere präsentirte sich nur als eine besonders feine Spitze desselben. Weitere Beobachtungen, welche für die Verwandtschaft der Geisselbewegung mit der Bewegung der Pseudopodien sprechen, wurden von Lesser und mir häufig an den Pseudopodien vieler Monothalamien gemacht und betreffen das Einziehen derselben. Soll ein Pseudopodium z. B. bei einer Euglyphe eingezogen werden, so wird es mit einer einmaligen kräftigen Zuckung eingeknickt und fliesst dann mit dem Stumpf ins Innere des Körpers zurück. Dieses Einknicken geschieht mit einer Schnelligkeit und Energie, welche den Bewegungen der Geisseln nicht nachsteht. In der Schnellig- keit und Energie sind aber einzig und allein die Unterschiede zwi- schen der Pseudopodien- und Geisselbewegung zu suchen, da die seitlichen Schwingungen auch bei den ersteren nichts seltenes sind. Da somit die Geisselbewegung gleichsam nur eine höhere Ent- wicklung der amöboiden Bewegung darstellt, muss auch das Verhält- niss des actinophrysartigen Sprösslings zum Schwärmer, wie das Verhältniss eines niederen Entwicklungsgrades zu einem höheren aufgefasst werden. Aus ursprünglich dem Mutterthier vollkommen gleichenden, wie dieses mit Pseudopodien sich fortbewegenden Kei- men (Vampyrella) entwickelt sich durch Reduction der Pseudöpodien- anzahl auf zwei mit besonderer Contractilität begabte Scheinfüsse oder Geisseln der Schwärmer. Anfänglich neben dem Actinophrys- keim (Clathrulina, Mikrogromia) und mit demselben vicariirend, verdrängt er denselben in aufsteigender Entwicklungsreihe, um sich allmählich allein einzubürgern!) (Radiolarien, wie es scheint). Fassen wir das Geschilderte noch einmal kurz zusammen, so bekommen wir für die Anlage einer neuen Colonie folgenden Ent- wicklungsmodus. Durch Quertheilung schnürt sich ein hinteres Theilstück ab, wandert aus der Schale und verlässt die Colonie als Schwärmer oder als actinophrysartiger Keim. Der diesem Ent- wicklungsmodus zu Grunde liegende Vorgang ist der der ge- wöhnlichen Zelltheilung. Wie hier die Theilung durch Bildung eines neuen Gentrums, eines Nucleus, eingeleitet wird, so ist auch 1) Vielleicht ist auch die ganze Classe der Flagellaten am einfachsten aus der Persistenz dieses ursprünglich nur als Entwicklungsform angelegten Zustandes zu erklären. 26 Dr. Richard Hertwig: hier die zweikernige Mikrogromia die erste Stufe, die wir beobachten konnten. Wie bei der Zelltheilung, sondert sich auch bei unserer Mikrogromia um die neuen Attractionscentra das Plasma in zwei Theile. Dass wir die Entstehungsweise des neuen Kerns nicht haben beobachten können, darf uns nicht beirren, wenn wir berück- sichtigen, wie diese Vorgänge auch im Zellenleben sich der Beob- achtung entziehen und, wie auch hier bei der Zelltheilung die controversen Meinungen, ob der Kern stets sich theile oder stets vor der Theilung verschwinde, sich gegenseitig bekämpfen. Jeden- falls können wir behaupten, dass der einzelne Körper einer Mikro- gromiacolonie sich vollkommen wie eine einfache Zelle verhält und seine Vermehrung vollkommen nach dem Prineip der Zelltheilung geschieht. ’ % 1 } 5 & 4 2. Wachsthum der Colonie. Wir kommen jetzt zu der Beantwortung der zweiten Frage: Wie entwickelt sich eine Colonie und in welcher Weise findet dieVermehrung derim Zellenzusammenhangblei- benden Individuen Statt. Hier muss ich vorausschicken, dass alle die Beobachtungen, welche ich hierüber gemacht habe, an Co- lonieen, welche im Cystophryszustand sich befanden, angestellt wur- den, dass es dagegen mir nicht zu sehen glückte, wie aus einem der isolirten Organismen, deren ich eine beträchtliche Anzahl gefun- den habe, sich ein zweites mit ihm in Verbindung bleibendes Indi- viduum entwickelte. Da es indessen wohl auf der Hand liegt, dass dieselben Theilungsvorgänge, welche zur Vergrösserung der Indivi- duenanzahl einer Colonie führen, auch bei der ersten Anlage der- selben schon wirksam gewesen sind, trage ich kein Bedenken, den sogleich mitzutheilenden Beobachtungen allgemeinere Gültigkeit bei- zumessen. ‘ In den Cystophryscolonieen, die ich im Laufe des Sommers beobachtete, fand ich stets eine grössere Anzahl, häufig. sogar die bei Weitem überwiegende Mehrzahl der Individuen in zwei Theilstücke zerfallen (Fig. 2). Die beiden Theilstücke lagen jedoch nicht hinter, sondern neben einander. Ein jedes hatte seinen eigenen Kern und seine contractile Blase. Es fragte sich jetzt, ob dieses Nebeneinander der beiden Hälften die ursprüngliche Lagerung derselben repräsen- | tirte, oder aus einer Umlagerung anfänglich hinter einander gele- gener Theile sich entwickelt hatte, mit anderen Worten, ob das | Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie etc. 27 ‚Bild der Längstheilung, welches wir vor uns hatten, auch wirklich einer Längstheilung seine Entstehung verdankte oder nur vorgetäuscht wurde, während eine Quertheilung vom Anfang an vorhanden ge- wesen wäre. Da ich nie Gelegenheit hatte eine Theilung vom Anfang bis zum Ende zu verfolgen, so sind wir auf etwa vorhandene Merkmale, welche auch nach vollzogener Theilung auf den Modus derselben Rückschlüsse erlauben, angewiesen. War eine Längsthei- lung vorausgegangen, so musste die Theilungsebene das Mutterthier in zwei symmetrische Hälften zerlegt und den Pseudopodienstiel eben- falls halbirt haben. Der Zusammenhang mit der Colonie, welcher durch Quertheilung für die hintere Hälfte aufgehoben ist, musste für beide fortbestehen, beide mussten untereinander an den Enden der Pseudopodienstiele in Verbindung stehen. Dasselbe schien mir nun auch in der That der Fall zu sein; zur absoluten Gewissheit konnte ich indessen, so oft ich auch die Thiere einer Prüfung mit starken Linsensystemen unterzog, wegen der ungünstigen Bedingungen der Beobachtung nicht gelangen. Meist‘ sind die centralen vorderen Enden der Thiere durch nächst- lagernde theilweise oder vollständig verdeckt. Hat man nun auch günstig gelagerte Exemplare gefunden, so lässt dann doch immer die Kleinheit der Untersuchungsobjecte die Möglichkeit der Täuschung befürchten. Weiterhin stören die Lichtbrechungsverhält- nisse der stark convexen Schale sehr die Beobachtung. Ich kann daher nur mit einer grösseren Wahrscheinlichkeit den Satz aufstellen, dass während die Anlage der Mutterthiere neuer Colonieen mit einer Quertheilung, das Wachsthum der Colonie mit einer Längs- theilung beginnt (Fig. 8 A). Von den in der geschilderten Weise nebeneinander lagernden, mit ihren Pseudopodienstielen wahrscheinlich zusammenhängenden Thieren, verlässt das Eine, wie ich einige Male beobachten konnte, die Schale unter Hinterlassung des Andern. Beim Auswandern geht auch hier wieder die contractile Blase voran und folgt der Kern erst spät und zu allerletzt nach. Weiterhin beginnen jedoch nicht, wie bei der Schwärmerentwicklung, amöboide Bewegungen, sondern sofort, wie es die Schale verlassen hat, hebt sich das aus- - gewanderte Theilstück kugelig von den Pseudopodien ab, dicht neben der Schalenmündung des Mutterthiers (Fig. 8B). Hierbei bleibt es durch einen breiten Protoplasmafortsatz, einen Pseudopodienstiel, mit demselben in organischem Zu- 28 Dr. Richard Hertwig: sammenhang una nimmt die bilateral symmetrische Form an, welche, wie wir früher gesehen haben, für den Protoplasmakörper unserer Mikrogromia charakteri- stisch ist. Dieser durch die Pseudopodienstiele vermittelte und nach dem Ausschlüpfen fortbestehende Zusammenhang des ausgewanderten Theilstücks mit dem zurückgebliebenen scheint mir eine kräftige Stütze für die Auffassung zu sein, dass ursprünglich eine Längs- theilung vorhanden gewesen ist, welche natürlicherweise beide Pro- ducte der Theilung im Zusammenhang mit der Colonie und in Folge dessen auch untereinander liess. Jedenfalls erklärt sich in der an- gegebenen Weise aufs Einfachste die Thatsache, dass in einer An- zahl von Fällen das eine der Theilungsproducte die Colonie verlässt, während es ebenso häufig in derselben verbleibt. Ueber den Vorgang, welcher zur Bildung der Schale führt, konnte ich auch hier nichts Sicheres ermitteln. Die Vereinigung der Individuen zu einem dicht gedrängten, seine Formen beständig ändernden Haufen erschwert, wie in der ganzen Entwicklung, so auch hier ungemein eine zuverlässige Beobachtung. Endlich muss ich noch eines dritten Entwicklungsmodus Er- wähnung thun, der von dem zuletzt geschilderten in manchen Stücken abweicht, ohne dass ich ihn jedoch für etwas mehr als eine Modi- fication desselben halten kann. Zwischen den Individuen einer Cystophryscolonie, welche in Zweitheilung begriffen sind, findet man auch andere, deren Schalen drei Theilstücke umschliessen. Es kommen sogar Colonieen vor, bei welchen die letzteren bei weitem über- wiegen, wie z. B. in der der Fig. 3 zu Grunde liegenden. Unter den drei Theilstücken, von denen jedes seinen eigenen Kern und seine con- tractile Vacuole besitzt, kann man ein grösseres und zwei kleinere unterscheiden. In der Ansicht von vorn liegen die letztern dem erstern wie Epauletten der Schulter auf. An einigen ganz besonders günstig gelegenen Exemplaren konnteich mit aller wünschenswerthen Sicher- heit constatiren, dass die kleineren durch dünne Pseudopodienstiele mit dem Pseudopodienstiel des grösseren in Verbindung standen (Fig. 9 A). Sie müssen demnach gemäss unseren früheren Auseinandersetzungen durch eine fortgesetzte Längstheilung entstanden sein, indem das eine der Theilstücke abermals der Länge nach sich halbirte. An einer kleinen ausgebreiteten und darum der Beobachtung besonders geeigneten Colonie habe ich zu verschiedenen Malen das Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie etc. 29 Auskriechen der kleinen Theilproducte verfolgt. Beide wanderten nicht gleichzeitig aus, sondern erst das eine, dann das andere. Das erste hatte jedoch die Schale noch nicht vollkommen verlassen, als das zweite ihm schon folgte (Fig. 9B). Im Uebrigen war die Art und Weise des Ausschlüpfens die schon oben ausführlicher geschil- derte. Ausserhalb der Schale krochen die jungen Thiere (ungefähr 8 aus 4 Mutterthieren entstammend) wie kleine Amöben mehr als eine Stunde den Pseudopodien entlang. Keines machte Anstalten, die Colonie als Schwärmer zu verlassen. Ebenso wenig zeigten sie Neigung in der Colonie sich dauernd niederzulassen. Einmal schien es mir zwar, als ob eines derselben sich fest ansiedeln wolle (Fig. IC). Nach langem Umherkriechen hob es sich von den Pseudopodien in der Weise ab, dass das hintere kugelige Ende, in dem der Kern lag mit einem dünnen Fortsatz, einem Pseudopodienstiel, mit den Pseudo- podien in Verbindung blieb. In seiner Form glich es jetzt, wenn wir von seiner Kleinheit absehen, vollkommen dem geschilderten Theil- product, welches in der Colonie zurückbleibt. Nach einiger Zeit indessen setzte es sich wieder in Bewegung und täuschte meine Erwartung. Da äussere Umstände mich zwangen die Beobachtung zu un- terbrechen, konnte ich leider den interessanten Vorgang nicht bis zu seinem Ende verfolgen und muss daher anstatt durch Beobach- tungen, durch Wahrscheinlichkeitsgründe meine Auffassung dieses an- scheinend neuen Entwicklungsmodus begründen. Wie gesagt, glaube ich, dass wir in ihm nur eine Modification des schon geschilderten Wachsthums der Colonie zu erblicken haben, die sich nur dadurch unterscheidet, dass die Theilungen sich gleichsam überstürzen, dass von den Producten derselben das zur Auswanderung bestimmte noch vor derselben abermals durch Längstheilung in zwei zerfällt, dass somit anstatt eines zwei neue Individuen in der Colonie sich ansie- deln. Ich kann für das Verbleiben derselben in der Muttercolonie folgende Punkte geltend machen. 1. Die Dreitheilung beobachtet man zu einer Zeit, wo die Mikro- gromia im Cystophryszustand sich befindet und die Grösse der Colonieen für ein lebhaftes Wachsthum spricht und zwischen zahlreichen, der Länge nach zweigetheilten Exemplaren, die, wie wir sahen, ebenfalls dem Wachsthum der Colonie dienen. 2. In grossen, offenbar schnell gewachsenen Colonieen findet man viele Individuen, die, natürlich abgesehen von der Schale, nur um Weniges grösser sind, als die kleinen Theilproducte. 30 Dr. Richard Hertwig: 3. Als das wichtigste Moment muss ich den Umstand betrachten, dass die beiden jungen Thiere von Anfang an mit dem Mutterthiere in Verbindung standen, während ich in allen Fällen, wo ich ein die Colonie verlassendes Theilstück beobachtet habe, nachweisen konnte, dass dasselbe ursprünglich im hintern Schalenraum lag und gleich von Anfang an sich vollkommen selbstständig gemacht hatte. Beide Vermehrungsprocesse sind demnach von Grund und Anfang an verschieden. Dieser beginnt offenbar mit einer Quer-, jener mit einer Längstheilung. Sie werden daher auch zu verschie- denen Resultaten führen. Da wir nun nur zwischen zwei Möglich- keiten zu wählen haben, ob die jungen Thiere in der Colonie verbleiben oder nicht, müssen wir uns nach dem Vorausgehenden hier für den ersteren Modus entscheiden. 3. Resultate der entwicklungsgeschichtlichen Beobachtung. Nach dieser Darstellung entwerfe ich im Zusammenhang ein kurzes Bild von dem Entwicklungskreis einer Mikrogromia, wie ich ihn nach den mitgetheilten Beobachtungen für den wahrscheinlichsten halte. Durch Quertheilung schnürt sich ein hinteres Theilstück ab; von Anfang an vom Zusammenhang mit der Colonie vollkom- men getrennt, verlässt es zuerst die mütterliche Schale, bald darauf auch die Muttercolonie. Mit spitzen Pseudopodien entweder herumkriechend, oder, mit zwei Geisseln versehen hinwegschwär- mend, in beiden Fällen jedoch mit derselben charakteristi- schen Anordnung seiner Theile, voran der Kern, im hintern Ende die contractile Blase, kömmt es nach unbe- stimmter Zeit zur Ruhe und bildet sich seine Schale. Während- dem ändert es seine Pole. Das den Kern umschliessende Protoplasma, welches bisher das vordere Ende bildete und die Be- wegungsorgane (Geisseln und Pseudopodien) führte, kKömmt in den Schalenhintergrund zu liegen, die Gegend der contractilen Blasen bil- det nunmehr das vordere Ende, welches durch die Schalenmündung die Pseudopodien entsendet. Dieser Process fällt, soweit meine Beobachtungen reichen, nur in das Frühjahr, in eine Zeit, wo die Colonieen noch relativ klein und locker ausgebreitet sind. Das in der geschilderten Weise entstandene Mutterthier einer neuen Colonie bildet entweder abermals durch Quertheilung Ueber Mikrogromia socialis, eine Colonie bildende Monothalamie etc. 31 neue Schwärmer, oder es entwickelt durch fortgesetzte Längstheilung, bei der die neu entstandenen Indivi- duen im Zusammenhang bleiben, eine Colonie. Ver- läuft dieses Wachsthum langsam, so entsteht durch diese Längs- iheilungen jedesmal nur ein neues Thier; ist dasselbe beschleunigt, so entstehen aus diesem einen, noch bevor dasselbe die Schale der Mutter verlässt, durch abermalige Längstheilung zwei neue Thiere. Im einen wie im anderen Falle bleiben die neugebildeten Individuen in der Colonie. Während dieses Wachsthums kriechen die Individuen einer Colonie zu einem Haufen zusammen und bilden den Cysto- phryszustand. Derselbe erzeugt die grösste Individuenanzahl, weil er in die Zeit des Wachsthums der Colonie fällt. Er dauert die Sommermonate hindurch. In den Zwischenraum zwischen Cystophryszustand und der lockern Coloniebildung müssen Encystirungen fallen. In meinen Gläsern waren die Mikrogromien alle noch in gehäuften Colonieen, als draussen schon die Tümpel eingetrocknet waren. Es lässt sich nun nicht absehen, in welcher Weise die Mikrogromien die Eintrock- nung überstehen sollten, wenn nicht durch Cystenbildung. Wir sind somit zur Annahme derselben gezwungen, wenn ich sie auch nicht habe beobachten können. In Folge übermässiger Bacterienentwicklung starben alle Colonien in meinen Gläsern um diese Zeit ab. Meine Infusionen, aus getrocknetem Moos und anderen pflanzlichen Ueber- resten des Tümpels bereitet, haben mir keine Resultate geliefert. Wir haben im vorliegenden Falle einen nahezu vollkommen geschlossenen, durch mehrmonatliche Beobachtung gewonnenen Ent- wicklungskreis vor uns. In demselben waren nirgends, auch nicht einmal die geringsten Andeutungen geschlechtlicher Differenzirung nachweisbar. Während der ganzen Zeit der Beobachtung liessen sich am Nucleus keine Veränderungen beobachten.- Alle Processe, welche der Entwicklung zu Grunde lagen, waren einzig und allein Theilungen des gesammten Körpers. Die Lücken im Kreis unserer Beobachtung betreffen nur die Art und Weise, in welcher sich diese Theilungen vollziehen, nirgends die Existenz derselben. Die Thei- lungen des Thierkörpers erfolgten vollkommen nach dem Schema der Zelltheilung. Zuerst bildeten sich (ob durch Theilung oder Neu- bildung sei dahingestellt) zwei Nuclei, welche sich somit auch von dieser Seite als Homologa der Zellkerne erwiesen. Nächstdem erst sonderte sich der Körper in zwei Theilstücke. 32 Dr. Richard Hertwig: Somit ergeben unsere entwicklungsgeschichtlichen Beobachtungen dasselbe Resultat, welches wir aus unsern anatomischen Betrachtungen gewonnen haben, dass jeder Theil der Mikrogromiacolonie einer ein- zelnen Zelle entspricht und dass somit die ganze Colonie eine Ver- einigung selbstständig sich ernährender, selbstständig sich fortpflan- zender und fortbewegender Zellen darstellt. IV. Systematische Stellung der Mikrogromia. Zum Schluss noch einige Worte über die systematische Stel- lung unserer Mikrogromia socialis. Zunächst müssen wir festhalten, dass sie unter die Monothalamien mit spitzen verästelten Pseudo- podien und einer einzigen Schalenöffnung gehört, somit zu den Formen, welche wir in der folgenden Arbeit als Monothalamia Monostomata Rhizopoda kennen lernen werden. Unter diesen wieder rechnet sie zu den Formen mit einer structurlosen, aber vom Körper scharf sich absetzenden Schale. Hierdurch werden Euglyphen und Cyphothe- rien wegen ihrer feineren Schalenstructur, Plagiophryen wegen der Feinheit ihrer biegsamen membranartigen Schale, Pleurophryen, we- gen der Betheiligung von Fremdkörpern am Aufbau der Schale ausgeschlossen. Unter den Zurückbleibenden unterscheidet sich die Mikrogromia von den Trinemen 1. durch die abweichende Form der Schale, na- mentlich der Schalenöffnung, welche bei den Trinemen einen nach innen eingeschlagenen , bei der Mikrogromia einen nach aussen heraus gekrümmten halsartig verlängerten Saum besitzt, 2. durch abweichende Lage der contractilen Blase, welche bei Trinemen stets an der Grenze des hinteren und mittleren Drittels des Körpers liegt; 3. durch- die differenten Pseudopodien, welche bei Trinemen weder Anastomosen noch Körnchenströmung besitzen und stets in beschränkter Anzahl angetroffen werden. Mit Lecythium stimmt die Mikrogromiencolonie zwar im Bau der Schale, abgesehen von der hier unwichtigen Grösse, aufs Ge- naueste überein, aber der Umstand, dass der Körper der Mikro- gromia nur an einer Stelle der Pseudopodienmündung, der Körper der Urceolaria überall mit der Schale in Verbindung steht, dass die Urceolaria keine contractilen Blasen besitzt, spricht einer Trennung das Wort. Ueb. Mikrogromia socialis, eine Colonieen bildende Monothalamie ete. 33 Eine genauere Besprechung erfordert das Verhältniss unserer Mikrogromia zu den Gromien, da ja Archer sie unter die letz- teren als Gromia socialis untergeordnet hat und ich noch Rechenschaft schulde, wesshalb ich von der Archer’schen Syste- matik abweiche. Zunächst finde ich Unterschiede in der Schale. Dieselbe ist bei unserer Mikrogromia äusserst regelmässig bilateral symmetrisch, bei den Gromien bildet sie einen formlosen Sack. Bei Mikrogromia ist Körper und Schale getrennt, bei den Gromien die Schale vom Körper ganz erfüllt. Die Schale der Mikrogromia ist fest und un- biegsam, die Schale der Gromia dünn und |membranös. — Ebenso ergeben sich Differenzen bezüglich des Zellkerns. Derselbe ist bei Mikrogromia stets einfach und von der gewöhnlichen Form des Kerns der Amöben, bei den echten Gromien dagegen !), wie M. Schultze’s Untersuchungen ergeben, in grösserer Anzahl vor- handen und, wie es scheint, in seiner Structur abweichend be- schaffen, indem er eine mit feinen Körnern und Körnchen angefüllte Blase bildet. Contractile Blasen will zwar Wallich bei den Gromien einmal beobachtet haben. Diese einmalige Untersuchung will aber Nichts bedeuten gegenüber den negativen Ergebnissen der unzähligen Be- obachtungen, welche M. Schultze nach dieser Richtung angestellt hat. Ist nun auch der Charakter der contractilen Blase nicht von dem Werth für die Systematik, wie man früher angenommen hat, so scheint er mir gleichwohl als Gattungscharakter verwerthbar zu sein. Der abweichende Bau der Schale, und noch mehr das Verhalten der Kerne und contractilen Blasen, lässt es zweckmässig erscheinen, den hier behandelten Organismus nicht den Gromien zuzuzählen, sondern als neuesGenus Mikrogromia aufzuführen. Ich gebe diesem Genus folgende Charakteristik. Mikrogromia. nov. gen. 1. Schale vom Körper vollkommen getrennt, farblos, glatt, aus einem starken Säuren widerstehenden unbiegsamen Stoff gebildet; bilateral symmetrisch mit kleinem halsartigem, die Pseudopodien- öffnung tragendem Aufsatz. 1) M. Schultze: Reichert und die Gromien, Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. II. Derselbe: Organismus der Polythalmien. M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. Supplementheft. 3 34 Dr. Richard Hertwig: Ueber Mikrogromia socialis etc. 2. Körper zerfällt in Pseudopodienstiel und eigentlichen Körper, füllt die Schale nie vollkommen aus, ist bilateral symmetrisch. Contractile Blase an der Basis des Pseudopodienstiels, Kern einfach mit einfachem Nucleolus, Pseudopodien spitz verästelt, häufig anastomosirend, mit Körnchenströmung. In diesem Genus ist zur Zeit nur eine einzige Species bekannt, Mikrogromia socialis. Viele Individuen hängen mit ihren verschmolzenen Pseudopodien zusammen und bilden eine Colonie, welche entweder flächenhaft aus- gebreitet oder gehäuft ist. Ueber Rhizopoden und denseiben nahestehende Organismen. Morphologische Studien von R. Hertwig und E. Lesser. (Hierzu Taf. II, II, IV, V.) Einleitung. In den vorliegenden Untersuchungen haben wir eine Anzahl niederster Organismen unter einem gemeinschaftlichen Gesichtspunkt vereint, welche wegen des Mangels bestimmter zu den Thieren oder zu den Pflanzen überleitender Charaktere zu den Protisten gerechnet werden müssen. Unter den letztern nehmen sie ihrem Baue nach die niedrigste Stufe ein, indem sie sich nicht über den Formwerth einer einzigen indifferenten Zelle erheben. Als solche bestehen sie wie z. B. farblose Blutkörperchen, wandernde Bindegewebszellen, aus einem undifferenzirtem Protoplasma, dessen Lebensthätigkeit noch den gemeinsamen Sitz für alle die Functionen bildet, deren “Ausübung wir bei höher entwickelten Organismen an. bestimmte Differenzirungen des Protoplasma zu knüpfen gewöhnt sind. Nir- gends kann man hier sagen, dieser Theil dient nur der Ernährung, dieser nur der Empfindung, der Bewegung, der Fortpflanzung, viel- mehr sind wir zur Annahme genöthigt, dass dasselbe Theilchen, welches die Bewegung vermittelt, auch an der Assimilation und der Empfindung sich betheiligt. Die Zusammengehörigkeit der uns beschäftigenden Organismen ist schon von früheren Forschern mehr oder minder klar erkannt 36 R. Hertwig und E. Lesser: worden. Ihre’ Gesammtheit würde am nächsten dem kommen, was man bisher als Rhizopoden bezeichnet hat, wenn auch beide Gruppen sich nicht vollkommen decken. Da aber in der Neuzeit von bedeu- tenden Zoologen vielfach eine Trennung vorgenommen worden ist, glauben wir hier die Gesichtspunkte, welche uns zu einer Wieder- vereinigung bestimmten, rechtfertigen zu müssen, indem wir in kurzen /ügen ein Bild von den Lebenserscheinungen und dem Bau dieser niedrigsten Organismen zu entwerfen suchen. Was zunächst die Lebenserscheinungen anbetrifft, so sind die- selben, wie wir schon hervorgehoben haben, insgesammt nur Aeusse- rungen des undifferenzirten Protoplasma. So ist Bewegung und Con- tractilität eine Eigenschaft des gesammten Körperparenchyms. Im Innern macht sich dieselbe durch ein Circuliren der in das Plasma ein- gebetteten Körnchen, nach Aussen durch einen Ortswechsel und durch die Veränderung der Körpercontouren bemerkbar. Die Locomotion kann sich besonders in zwei Weisen vollziehen. In dem einen Falle kommt sie durch eine die ganze Körpersubstanz in gleichem Maasse betreffende Contractilität zu Stande. _ Hierbei verändert der Körper nur unwesentlich seine Contouren und gleitet nach Art einer Kugel vermöge beständig rotirender Bewegung seiner Oberfläche über unterliegende Gegenstände hin (cfr. Hyalodiscus im speciellen Theil). Im andern Falle sind es jedesmal nur beschränkte Theile der Oberfläche, durch deren Contractilität die Ortsbewegung vermittelt wird. Hierbei ist es entweder ein Hervorströmen der Leibessubstanz, wodurch das Thier vorwärts fliesst, oder es ist ein Ausstrecken von bald spitzen, bald stumpfen Pseudopodien, mit denen der Organismus sich vorwärts zieht oder stösst. Durch Schalenbildung kann der Ursprung der Pseudopodien aut bestimmte Stellen des Körpers beschränkt werden, während sie ursprünglich auf der ganzen Kör- peroberfläche entstehen konnten. Unter allen Umständen sind die Pseudopodien aber nur einfache Verlängerungen der Leibessubstanz und fliessen in dieselbe zurück, wie sie unmerklich aus ihr hervor- quellen. Sie sind nicht allein Locomotionsorgane, sondern besitzen auch die Fähigkeit des Körperprotoplasma, Fremdkörper zu assimi- liren. Dies Verhalten lässt sich am besten bei Organismen beob- achten, deren Schale eine Aufnahme der zu verdauenden Körper ins Innere des Leibes nicht gestattet und bei denen dann die Pseudo- podien ausschliesslich die Aufnahme und Verdauung der Nahrung besorgen. w. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 37 Die Nahrung besteht aus geformten Stoffen, welche in das innere des Körpers aufgenommen werden und hier sich direct im Protoplasma eingelagert vorfinden. Bestimmte, der Bildung der Verdauungssäfte dienende Apparate fehlen vollkommen. Zwar kann der zur Ernährung bestimmte Körper durch Ansammlung von Flüs- sigkeit um ihn herum in eine Vacuole eingelagert werden. Dieselbe kann aber nicht als ein besonderes Organ der Verdauung (Magen- blase) gedeutet werden, da sie mit dem Kommen und Gehen ihres Inhalts entsteht und verschwindet. Die Aufnahme der Nahrungs- ballen geschieht ebenfalls ohne Beihülfe bestimmter different gewor- dener Bildungen. Das Protoplasma des Körpers oder der Pseudo- podien umfliesst die Fremdkörper oder klebt an ihrer Oberfläche fest und transportirt sie in das Körperinnere. Eine ein für allemal präformirte Stelle, welche man als Mund bezeichnen könnte, ist nicht vorhanden, sondern jeder Theil der Körperoberfläche, soweit er frei zu Tage liegt, vermag Fremdkörper in das Innere hineinzupressen. Eine Auswahl der Nahrung scheint hierbei nur in sehr seltenen Fällen vorzukommen; für gewöhnlich muss man annehmen, dass jeder das Protoplasma durch Berührung reizende Körper eine Bewe- gung desselben nach der gereizten Stelle und hierdurch ein Umfliessen seiner Masse bewirkt. Wenigstens erklärt sich so am einfachsten die bei den meisten Species ohne Auswahl erfolgende Aufnahme der Nahrung. Bei vielen Amöben, Organismen, welche in die hier zu bespre- chende Gruppe gehören, hat man die Differenzirung in eine äussere homogene und innere körnige Substanz vielfach als eine Differen- zirung in eine contractile Rinde und eine der Verdauung dienende Markmasse zu deuten versucht. Es mag nun zugegeben werden, dass die äussere dichtere Lage mehr der Contractilität, die centrale lockere flüssigere mehr der Verdauung dienstbar ist. Jedenfalls ist aber dieser Unterschied kein durchgreifender, sondern nur ein gradueller, da der Uebergang der einen Substanz in die andere ein allmählicher ist und keine bestimmten scharfen Grenzen zwischen ihnen existiren. Der hier geschilderte Zustand eines einfachen Protoplasma- klümpchens wird von einer ganzen Reihe Organismen nicht über- schritten. Dieselben stellen zeitlebens »Wesen ohne jede Organe« dar, für welche Häckel den Namen »Moneren« in die Wissenschaft eingeführt hat. Bei der bei weitem grössten Anzahl jedoch, wenig- stens so weit zur Zeit unsere Kenntnisse reichen, findet eine höhere 38 R. Hertwig und E. Lesser: Entwicklung Statt, indem sich im Innern der Nucleus mit seinem Nucleolus ausscheidet. Wo derselbe vorhanden ist, tritt er mit einer bemerkenswerthen Constanz seiner Form auf. Eine helle Blase, deren Inhalt bei Essigsäurezusatz entweder spärlich oder gar nicht gerinnt (Kern), umschliesst einen einfachen ovalen oder in mehrere Theilstücke zerfallenen Körper von mattbläulichem Glanz, der in dünner Essigsäure dunkelkörnig gerinnt, in starken Lösungen quillt, ohne sich jedoch aufzulösen (Nucleolus). Die äusserste Zone des Kerns wird häufig von einer membranartigen Schicht gebildet, welche die gleiche Farbe und ein gleiches Verhalten der Essigsäure gegen- über wie der Nucleolus besitzt. Dieselbe fehlt ebenso häufig, als sie vorhanden ist und ist selten an lebenden Organismen, meist erst an todten oder mit Essigsäure behandelten erkennbar (Kernmembran). Wir werden im Laufe der Einzelbeschreibung noch öfter Gelegenheit nehmen, die Identität dieses Gebildes mit dem Kern thierischer und pflanzlicher Zellen nachzuweisen. Ferner finden sich im Protoplasma in grosser Verbreitung mit Flüssigkeit gefüllte Hohlräume, Vacuolen, welche entweder in wech- selnder Anzahl und beliebiger Lagerung oder an bestimmte Stellen des Körpers gebunden und dann in beschränkter Anzahl vorkommen. Sie entstehen und verschwinden periodisch, ein Wechsel, welcher im letzterwähnten Falle stets, im ersteren häufig unter dem Bilde rhythmischer Contractionen verläuft. Mögen nun die Vacuolen we- gen der Constanz ihrer Lagerung und der Regelmässigkeit ihrer Contractionen den Namen von contractilen Behältern verdienen oder nicht, unter allen Umständen stellen sie weiter nichts als Lücken im Protoplasma dar, welche mit Flüssigkeit gefüllt sind und einer bestimmten Umhüllung entbehren. Ein allmählicher Uebergang führt von ihnen zu den Flüssigkeitsansammlungen über, wie sie auch dem Protoplasma der Pflanzenzellen in hervorragender Weise zukommen. Die Schilderung des Baus beschliessen wir mit einer kurzen Be- trachtung der Skelettheile, welche im Bereich der zu beschreibenden Gruppe ungemein häufig angetroffen werden und für ihre Systematik rt rt von der grössten Bedeutung sind. Das Skelet wird entweder von ® einer Summe isolirter Stacheln und Nadeln in verschiedenster Form und Anordnung./oder von einem einzigen zusammenhängenden Stücke gebildet, welches durch Differenzirung seiner Oberfläche sehr man- nichfach gestaltet sein kann. Eine erhöhte Festigkeit und Wider- Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 39 standskraft der Skelettheile wird durch Ablagerung von mineralischen Bestandtheilen, hauptsächlich von kohlensaurem Kalk oder von Kie- selsäure, erreicht. Seltener werden Fremdkörper, wie kleine Kiesel- stücke oder Diatomeen, in die Schale eingekittet. Dieselbe Einfachheit, welche die Organisation dieser Gruppe auszeichnet, findet sich auch im Verlaufe ihrer Entwicklung wieder. Soweit wir uns auf sichere Resultate stützen können, sind es nur Theilungen des ganzen Protoplasmakörpers, welche der Vervielfälti- gung dienen. Ein hierzu bestimmtes Organ ist nicht vorhanden, wenigstens ist die Deutung des Kerns als einer Brutkapsel für Tochterorganismen, wenn auch von vielen Seiten behauptet, so doch durch keine sichere, zusammenhängende Beobachtung gestützt. In diesen einfachen Entwicklungskreis treten weiterhin ver- breitet zum Zweck der Fortpflanzung Encystirungen ein. — Der in den Ruhestand übergehende Organismus nimmt hierbei unter Ein- ziehung seiner Protoplasmafortsätze Kugelgestalt an und scheidet um sich eine einfache oder mehrschichtige Hülle aus. Nach einiger Zeit zerfällt der Körper in zwei oder mehrere Theilstücke, welche dann die Kapselwand durchbohren und die Gestalt des Mutteror- ganismus annehmen. Die Einschaltung der Encystirungen in den Entwicklungskreis dieser einfachsten Organismen ist als ein später erworbener Zustand zu betrachten. Eine Reihe von Erscheinungen sprechen dafür, dass Encystirungen anfänglich in Anpassung an anderweitige Verhältnisse entstanden und erst später der Fort- pflanzung nutzbar gemacht worden sind. Wie es uns scheint, dienten sie ursprünglich, theils zur Erhaltung des Individuums bei eintre- tender Eintrocknung des ihnen zum Aufenthalt dienenden Wassers, theils encystirten sich die Organismen nach reichlicher Nahrungs- aufnahme, um vor Feinden geschützt die im freien Zustand dem Körper einverleibten Nahrungsmittel zu verdauen. Die durch Thei- lung erfolgende Fortpflanzung wird ursprünglich unterschiedslos im freien und im encystirten Zustand sich vollzogen haben (Vampyrella). Ein zum Zweck der Fortpflanzung vorwiegend oder ausschliesslich stattfindender Process wird die Encystirung erst dann, wenn die Theilungen hauptsächlich oder ganz in den Cystenzustand verlegt werden, wie dies bei einer Anzahl Organismen in der That der Fall ist. Die Organismen, deren Bau und Entwicklung wir hier in ihren Grundzügen zu schildern versucht haben, sind in mehrfacher Hin- 40 R. Hertwig und E. Lesser: sicht geeignet, unser Interesse zu erwecken, da wir sie an die Spitze aller belebten Wesen stellen müssen. Denn sie erheben sich nur wenig oder gar nicht über den Bau der Formen, welche beim Be- ginn des organischen Lebens die Anfänge der Organismenwelt gewesen sein müssen. Andererseits repräsentiren sie uns, insofern sie Protoplasmaklümpchen frei von jeder geweblichen Differenzirung sind, Zeit ihres Lebens die Entwicklungsstufe, mit welcher jeder höher stehende Organismus sein Dasein beginnt. Wie sie an der Spitze der Organismenwelt stehen, so muss ihr Studium auch den Ausgangspunkt für die Beurtheilung der in den höheren Organismen zu Colonieen vereinten Zellindividuen und deren Beziehungen zu den mannichfachen geweblichen Differenzirungen bilden. Von dieser Seite aus erklärt sich die grosse Bedeutung, welche das Studium der niedersten Organismen für die Ausbildung unserer histiologischen Anschauung gewonnen hat und weiterhin behalten wird. An der Hand der Erkenntniss des Baus der aus einfachem Protoplasma bestehenden Organismen erlangte die Zellen- theorie die noch heute gültige Fassung der Schultze’schen Pro- toplasmatheorie. Wir lernten den Begriff des Elementarorganismus an die Stelle des Elementartheilchens setzen. Der Schwerpunkt des Lebens der Gewebe wurde in den Zellstoff verlegt, welcher bei nie- deren Organismen allein die Lebensprocesse unmittelbar leitet, bei den höheren aus sich heraus durch Differenzirung die Producte bildet, welche die Gewebe zusammensetzen und fortan den bestimm- ten specifischen Functionen zu Grunde liegen. Ebenso lässt sich für die Zukunft noch weiter aus dem Studium der einzelligen Organismen mancherlei Aufklärung über einzelne noch unentschiedene Fragen im Zellenleben erwarten; so wird namentlich ein Einblick in die Rolle, welche der Kern im Leben der Zelle spielt, noch von einem Studium des Nucleus der Amöben zu gewinnen sein. Die Grösse des Gebildes bei den Amöben und die Möglichkeit, ohne Anwendung von Reagentien alle Phasen seiner Entwicklung zu beobachten, werden uns hier leichter Aufschlüsse über seinen Bau, seine Bildung und seine Bedeutung für das Zellen- leben verschaffen, als es in den complicirten thierischen und pflanz- lichen Geweben zur Zeit möglich ist. Wie wir nach dem Gesagten unsere histiologische Auffassung auf vergleichend zoologischer Basis weiterzubilden suchen müssen, liegt uns in gleicher Weise auch die Verpflichtung ob, die histiolo- Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 41 gischen Gesichtspunkte bei dem Studium der niederen Organismen zur Geltung zu bringen. Im angedeuteten Sinne haben wir in dem speciellen Theile gehandelt und stets die vom Zellenleben ge- wonnenen Begriffe auf die beobachteten Organismen auszudehnen versucht. Nachdem wir im Vorhergehenden die wichtigsten Charaktere geschildert haben, auf welche hin wir eine grössere Anzahl von Organismen zu einer Gruppe vereinen, müssen wir nunmehr genauer besprechen, welche von früheren Forschern systematisch bestimmte Classen in den Rahmen dieser Gruppe gehören und welche ausge- schlossen werden müssen, weil sie einen höheren Grad der Organi- sation erreicht haben. Da die Begrenzung der Classen im Bereich der niederen Organismen je nach den verschiedenen Forschern sehr verschiedenartig ausfällt, legen wir, um leichter verständlich zu werden, als die neueste Gruppirung die von Häckel in seinem Aufsatz über die Gastraeatheorie !) gegebene Eintheilung unserer Besprechung zu Grunde. Hierbei beschränken wir uns darauf inner- halb der Protozoen und Protisten die nicht hierher gebörigen For- men auszuschliessen, da eine Berücksichtigung der höher organisirten Classen selbstverständlich überflüssig ist. Unter den Protozoen entfernen sich von unserem Formenkreis am weitesten die’Gregarinen und Ciliaten. Denn hier sind durch die Bildung der Trichocysten, der Muskelstreifen und der Cuticula die ersten Anfänge einer echten Gewebsbildung bei einzelligen Or- ganismen gegeben. Hier wird die Fortbewegung und Formverän- derung des Körpers durch bestimmte Organe vermittelt, bei den Infusorien durch Wimpern und Muskelstreifen, bei den Gregarinen, wie es scheint, nur durch letztere. Bei den Ciliaten ist die Nahrungs- aufnahme an eine bestimmte Stelle, einen Mund (Cytostoma)?) beschränkt, die Gregarinen leben überhaupt nicht von geformten Nahrungsmitteln. Endlich besitzt bei beiden Protozoenclassen die Fortpflanzung ihren eigenthümlichen Verlauf, welcher sich unter die einfache Zelltheilung ohne weiteres nicht unterbringen lässt. Bei einer weiteren Gruppe, bei den Acineten, ist es neben dem eigenthümlichen Entwicklungsgang hauptsächlich noch die Ausbildung 1) Häckel, Die Gastraeatheorie, Jenaische Zeitschrift, Bd. VIII. 2) Derselbe, Zur Morphologie der Infusorien. Jenaische Zeitschrift. Bd. VII. + 42 R. Hertwig und E. Lesser: bestimmter, der Nahrungsaufnahme dienender Organe, welche uns ihnen eine höhere Organisationsstufe zuzuertheilen zwingt. Lange, mit einer Kugel endende, feine und biegsame Fäden dienen dem Einfangen von Nahrungsobjecten, starre dickere, mit einem kleinen Knöpfchen endende Tentakel oder Saugrohre dem Aussaugen der eingefangenen Thiere. Unter den Protisten sondern sich die Noctilucen, Flagellaten und Catallacten durch die Entwicklung bestimmter Fortbewe- gungsorgane der Geisseln und Flimmerhaare als eine schon höher differenzirte Gruppe von den hier zu beschreibenden Organismen ab. Namentlich scheint die Geissel der Noctilucen durch den Besitz der Querstreifung sich weit von den Pseudopodien zu entfernen, während die im Parenchym ihres Körpers beobachteten Protoplasmaströmungen nicht im Geringsten sie unserm Formenkreis annähern. Lassen sich doch dieselben auch in relativ hoch entwickelten Geweben, wie in den Pflanzenzellen nachweisen. Die Mycetozoen und Radiolarien würde die Nahrungsaufnahme und der Modus der Fortbewegung, welche bei beiden durch indifferentes Plasma bedingt werden, unserer Gruppe einreihen, wenn nicht an- derweitige Verhältnisse dem entgegenständen. Den Mycetozoen weist” die eigenthümliche Complication ihres Entwicklungsgangs eine Aus- nahmestellung an. Die Radiolarien dagegen erlangen durch den Besitz der Centralkapsel, sowie vielfacher ächter in die Körpersar- kode eingelagerter Zellen einen Grad der Entwicklung und Diffe- renzirung, welche sie weit über die Polythalamien und Heliozoen erhebt, mit denen sie Häckel zur Classe der Rhizopoden vereint hat. Somit würden von den Protisten die Polythalamien und Heliozoen, von den Protozoen nur die Amöbinen und Moneren für unsere Gruppe übrig bleiben. Dieselben entsprechen ungefähr der Rbizopodengruppe in der Ausdehnung, wie sie von Claparede und M. Schultze begründet worden ist und wie sie auch jetzt noch theilweise von mancher Seite aufrecht erhalten wird. Wir könnten somit den Namen „Rhizopoden“ als Collectivbegriff für die hier abzuhandelnden Organismen beibehalten. Wenn wir dies gleich- wohl nicht thun, sondern einen neuen Namen zu wählen für gut‘ finden, so leiten uns folgende Gründe. | Der Name „Rhizopoden“ ist von dem Vergleich der vielfach ver- ästelten Scheinfüsschen mit den Wurzeln eines Baumes hergenommen. Ist dieser Vergleich schon nicht mehr anwendbar auf die breiten Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 43 lappigen Fortsätze einer Difflugie oder Arcelle, so verliert er vollends jeden Sinn, wenn man das Fliessen und Strömen des Körpers einer Amöbe oder gar die gleichmässig rotirende Bewegung eines Hyalo- discus in Betracht zieht. Durch Anreihung ähnlich gestalteter Formen an Organismen mit wurzelähnlichen Fortsätzen hat die Rhizopodengruppe eine solche Erweiterung erfahren, dass der Name nicht mehr einen adäquaten Ausdruck für die unter ihm zusammen- gefassten Organismen abgiebt. Wir ziehen daher vor, den Ausdruck Rhizopoden auf die mit verästelten wurzelförmigen Pseudopodien versehenen Organismen unserer Gruppe zu beschränken und für die ganze Gruppe einen Namen zu wählen, welcher mehr das Allen Gemeinschaftliche betont. Da nun nach der gegebenen Schilderung das Vereinigende in den Lebenserscheinungen der undifferenzirten Sarkode zu suchen ist, schlagen wir als zusammenfassenden Namen die Bezeichnung Sarkodeorganismen oder Sarkodina vor. Indem wir so für eine ähnlich organisirte Gruppe einen neuen Namen einzuführen versuchen, sind wir uns wohl bewusst, welche Bedeutung allein demselben beigelegt werden kann. Wenn wir an systematische Benennungen den Anspruch erheben, dass sie ein Aus- druck für vorhandene blutsverwandte Beziehungen sind und dass die durch dieselben vereinten Formen auch phylogenetisch zusammen- gehören, so müssten wir dem Namen »Sarkodina« die wissenschaft- liche Berechtigung absprechen, denn die Formen, welche wir unter ihm zusammenfassen, besitzen zwar eine Anzahl gemeinsamer Cha- raktere, dieselben sind aber so allgemeiner und unbestimmter Art, dass sie allen Urorganismen zukommen müssen. Da wir nun nicht den Beweis für einen monophyletischen Ursprung aller Lebewesen zu führen vermögen, sondern eine polyphyletische Abstammung als wahrscheinlicher ansehen müssen, können wir dies Gemeinsame nicht als von einer gemeinschaftlichen Urform vererbt auffassen, sondern sind vielmehr zur Annahme genöthigt, dass unter bestimmten ein- ander ähnlichen chemischen und mechanischen Verhältnissen auch ähnliche Formen zum Vorschein kommen mussten. Es kann die systematische Behandlungsweise, welche sich nur auf Homologieen, nicht auf Analogieen stützt, und welche bei höher organisirten Formen, wo eine Fülle von Charakteren uns zu Gebote steht, allein Berechtigung besitzt, zur Zeit nicht bei den niedersten Organismen streng durchgeführt werden. Nur als das ideale Ziel, nach dem wir streben müssen, kann sie uns vorschweben. Wo uns 44 R. Hertwig und E. Lesser: so vielfach die Beurtheilung von dem, was homolog ist, bei der ge- ringen Entwicklung von Charakteren abgeht, können wir die Formen- mannichfaltigkeit nur nach allgemeinen Gesichtspunkten gruppiren; wir können nur eine künstliche Eintheilung vornehmen. Durch die Vereinigung einer grösseren Zahl niedrigster Organismen als Sarko- dinen wollen wir mithin nicht einen gemeinsamen Ursprung derselben ausdrücken, sondern nur darauf hinweisen, dass alle auf einem gleich hohen oder besser gleich niedrigen Grad der Entwicklung verharren. Aeussere Verhältnisse haben unsere Untersuchungen auf den im süssen Wasser lebenden Theil der Gruppe beschränkt. Von der Meeresfauna konnten wir nur aus den Schilderungen früherer For- scher uns ein Bild zusammensetzen. Wir müssen dies um so mehr bedauern, als die Polythalamien einer erneuten Untersuchung be- dürfen, um ihr Verhältniss zu der Gruppe der Monothalamien ins Klare zu bringen, und als von der Meeresfauna, wie wir nach einer flüchtigen Untersuchung von aus Köln bezogenem Seewasser ver- muthen, noch eine beträchtliche Bereicherung der Gruppe sich er- warten lässt. Denn offenbar haben die reich gegliederten Classen der Radiolarien und Polythalamieen die Aufmerksamkeit der Beob- achter von den einfacheren und bescheideneren Formen abgelenkt welche im Meere jedenfalls eine ebenso reiche Entwicklung gefunden 4 haben, als im süssen Wasser. Die Kenntniss der Süsswasserfauna hat durch die Beobachtungen ’ Archer’s, Greeff’s, Garter’s, Cienkowski’s, Focke’s in der Neuzeit eine beträchtliche Bereicherung erfahren. Durch sie ist die durch Dujardin und Ehrenberg bekannt gewordene Formen- anzahl wohl verdoppelt und verdreifacht, und sind schätzenswerthe Einblicke in das Verständniss des Baues gewonnen worden, doch hat keiner der genannten Forscher eine zusammenhängende Behandlung der Gruppe versucht. Während des Frühjahrs begonnene und über einen Theil des 4 Winters fortgesetzte Beobachtungen haben uns bei der reichen Fauna der Umgegend Bonns in den Stand gesetzt, eine grössere Anzahl von Sarkodinen zu untersuchen. Wir haben einen grossen Theil der von früheren Forschern gesehenen Formen wiedergefunden und den be- kannten einige neue hinzugefügt. Wir empfanden somit das Bedürf- niss, den beobachteten Formen bei der Beschreibung eine systema- 11 tische Anordnung zu geben, um einen Anfang für die Beurtheilung EN‘ der verwandtschaftlichen Verhältnisse zu machen. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 45 Da unser Bestreben hierbei darauf gerichtet war, Gruppen zu bilden, bei denen eine grössere Anzahl gemeinsamer Charaktere eine gemeinsame Abstammung vermuthen liess, haben wir verzichtet alle Formen unserer Beobachtung in ein System unterzubringen. Wir hätten dann in gleicher Weise wie frühere Forscher verfahren und bestimmte Charaktere herausgreifen müssen, nach deren Fehlen oder Vorhandensein die Unterordnung der einzelnen Organismen durchzuführen gewesen wäre. Dass aber bei der einseitigen Betonung bestimmter Charaktere vielfach verwandte Formen getrennt, entfernt stehende einander genähert werden müssen, davon kann man sich leicht bei einer Prüfung der früheren künstlichen Systeme überzeu- gen, von denen das Glaparede’sche System ein vortreffliches Bei- spiel giebt. Hier würden die Trinemen und Euglyphen von der Mikrogromia und Lecythium, andererseits den Arcellen und Difflu- gien weit zu trennen sein, dagegen würden sie als Nächstverwandte der Actinophryen und Heliozoen erscheinen. — Willman, wie vielfach geschehen ist und z. B. auch in dem Handbuch der Zoologie von Claus beibehalten wurde, der contractilen Blase eine hohe syste- matische Bedeutung zuschreiben, so würden die Lecythien den Mikrogromien, die Pleurophryen den Trinemen entfernter stehen als letztere den Actinophryen und andern Heliozoen. Offenbar Ver- wandtes würde getrennt, einander entfernt stehende Formen würden vereint werden. Bei unserer systematischen Eintheilungsweise haben wir dess- halb folgenden Weg betreten. Wir sind nicht von der Betrachtung der gesammten Gruppe und von einzelnen hervorstechenden Cha- rakteren, wie frühere Forscher, sondern von der Betrachtung der ein- zelnen Organismen ausgegangen und haben durch ein genaues Studium ihrer Form die einzelnen Species zu Genera, die Genera zu Familien und Ordnungen vereint. Hierbei haben wir diesen Weg nur so weit verfolgt, als eine grössere Summe gemeinsamer Cha- raktere ‘die Vereinigung als eine naturgemässe erscheinen liess. Formen, welche hierbei eine Berücksichtigung nicht finden konnten, haben wir vorgezogen einstweilen isolirt zu betrachten, um nicht durch ihre Aufnahme die Sicherheit, verwandte Formen vor uns zu haben, aufzugeben. Auf dem bezeichneten inductiven Wege sind wir zur Aufstellung von zwei, wie wir wohl annehmen können, blutsver- wandten Gruppen, der Monothalamien und der Heliozoen, gelangt. Engere Beziehungen derselben zu einander haben wir nicht finden 46 R. Hertwig und E. Lesser: können, da das beiden Gemeinschaftliche sich auf Charaktere von solcher Allgemeinheit beschränken würde, wie wir sie für die Sar- kodinen im Allgemeinen oben geschildert haben. Die Sarkodinen, welche nach Errichtung der beiden auf Bluts- verwandtschaft gegründeten Gruppen übrig bleiben, haben wir zu einer weiteren Gruppe vereint, welche indessen keine blutsverwandt- schaftliche Beziehung der in ihr vereinten Individuen ausdrücken soll. Zum Schluss dieser einleitenden Betrachtung bemerken wir noch, dass wir in die folgende Beschreibung im Grossen und Ganzen nur Organismen aufgenommen haben, welche wir selbst zu beobach- ten Gelegenheit hatten. An den wenigen Stellen, wo wir von diesem Prineip abgewichen sind, werden wir es jedesmal besonders erwähnen. Ebenso werden wir es überall da, wo wir die Lücken unserer Beob- achtungen aus den Untersuchungen Anderer ergänzen, besonders bemerken. | Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 47 I. Theil. Die Formen, welche wir hier an erster Stelle besprechen wer- den, lassen sich nicht als eine blutsverwandte Gruppe betrachten, da sie keine grössere Anzahl übereinstimmender Charaktere auf- weisen. Wie in der Einleitung schon angedeutet wurde, haben wir dieselbe rein aus praktischen Gründen vereinigt, indem wir das Bedürfniss hatten, neben den Heliozoen und Monothalamien, welche als zwei offenbar auf Verwandtschaft begründete Classen sich dar- stellen, die bei der Einfachheit des Körperbaues überraschende Formenmannichfaltigkeit der Sarkodethiere an einer Anzahl wei- terer Beispiele zu illustriren. Zu dem Zweck haben wir aus dem Reichthum an Formen, welche jedem Beobachter der Fauna des süssen Wassers und des Meeres begegnen, einige wenige, und zwar die häufiger von uns beobachteten und am besten charakterisirten zur Schilderung herausgewählt. Da die Literatur schon überreich ist an Beschreibungen, nach denen neue Forscher sich nicht im gering- sten zurechtzufinden vermögen, haben wir alle diejenigen Organismen, welche wir nur selten oder überhaupt nur ein Mal zu beobachten Gelegenheit hatten, selbst wenn sie gut charakterisirt erschienen, sowie diejenigen, für welche eine präcise Schilderung trotz häufiger Beobachtung nicht gegeben werden konnte, von der Besprechung ausgeschlossen und uns auf Formen beschränkt, die nach unserer Ansicht von späteren Beobachtern unter Zuhülfenahme von Abbil- dungen und Beschreibung wiedererkannt werden müssen. Wir haben daher vor Allem die sogenannten Amöben voll- kommen unberücksichtigt gelassen. Bei dem Mangel bestimmter Charaktere der Form und der Zusammensetzung des Körpers, noch mehr wegen der Variabilität der vorhandenen Charaktere sind zu wenig Anhaltspunkte für eine individuelle Schilderung geboten. Da ausserdem häufig amöboide Körper in dem Entwicklungskreis von Thieren und Pflanzen vorkommen, kann die Berechtigung für die Errichtung einer Amöbenspecies nur durch einen genauen Nachweis 48 R. Hertwig und E. Lesser: der Ontogenese gewonnen werden. Wir würden es überhaupt für keinen Schaden halten, wenn der vieldeutige Name »Amöbe« ganz aus der Zahl der systematischen Benennungen gestrichen und nur als Bezeichnung für eine bestimmte Form und Stufe der Organisa- tion beibehalten würde. Wir schlagen daher vor mit dem Namen „Amöbe“ nur den Begriff eines kernführenden Protoplasmaklümpchens zu verbinden, mag dasselbe als Entwicklungsstufe einer Pflanze, eines Thieres etc. oder als selbstständiger Organismus auftreten, dagegen würden zur Bezeichnung von bestimmten auf der Stufe einer Amöbe stehenden Species besondere systematische Benennungen einzuführen sein. Bei einem genauen Studium der Form, und was wir hier noch mehr betonen, der Entwicklungsgeschichte, wird es sicherlich nicht schwer fallen, Anhaltspunkte für einen passenden Namen zu finden. Da die hier zu behandelnden Organismen selten ein Skelet, noch seltener eine bestimmte Form entwickeln, so sind wir bei der Aufstellung der Genera und Species allein auf die Eigenschaften des Protoplasma, das Vorhandensein und die Anzahl der Kerne, auf den Besitz von einfachen und contractilen Vacuolen angewiesen. Die letztgenannten Charaktere lassen hierbei häufig den Beobachter im N Stich. Der Nachweis der genannten Gebilde, besonders der Kerne, N stösst nicht selten schon bei relativ günstigen Verhältnissen auf grosse M Schwierigkeiten, welche es begreiflich machen, dass die letzteren bei vielen Organismen, wie der Aktinophrys sol und anderen Helio- zoen, die ein ziemlich durchsichtiges Protoplasma besitzen, lange Zeit der Beobachtung sich entzogen haben. Mit welcher Berechtigung kann man in schwierigen Fällen, wo Farbe und starke Körnelung die Beobachtung erschweren, aus dem Mangel des Nachweises des” Kerns auf den Mangel der Kerne überhaupt schliessen? Wir halten” es daher für zweckmässig in allen Fällen, wo ungünstige Beobach- ) tungsbedingungen vorliegen, unser definitives Urtheil über das Fehlen \ oder Vorhandensein der Kerne zu verschieben, bis offenbar nächst- verwandte Organismen uns günstigere Verhältnisse zur Entscheidung der Frage bieten. Aus diesen Gründen haben wir einige Formen, bei denen uns der Nachweis des Kerns nicht gelang, hier abgehan- delt, ohne sie als »Moneren« von den übrigen kernführerden Orga- T nismen zu trennen. Durch dieses Verfahren wollen wir die Berech- tigung einer Sonderung von Moneren und Amöben, natürlich nur in dem Sinne, dass durch beide Namen nur verschiedene Stufen der ‘ u Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 49 Organisation bezeichnet werden, keineswegs in Zweifel ziehen, da auch wir das Entstehen des Zellkerns in dem ursprünglich einfachen Protoplasmaklümpchen für einen bedeutungsvollen Markstein der fortschreitenden Entwicklung halten. Für die systematisch wichtigsten Charaktere bezeichnen wir die Eigenschaften des Protoplasma. Am charakteristischsten sind hier wiederum die Formen, welche dasselbe bei der Bewegung an- nimmt, ob es ohne Scheinfüsschen durch Rotation oder Auseinander- fliessen seiner Theilchen vorwärtsgleitet oder mittels stumpfer oder spitzer Fortsätze, der Pseudopodien sich fortstösst und fortzieht. Nicht selten sind beide Arten der Bewegung, die Veränderung der ganzen Gestalt sowie das Aussenden spitzer Pseudopodien combinirt. Weniger als die Fortbewegungsorgane kommen die Färbungen des Protoplasma bei der Systematik in Betracht. Einerseits kehren die Farben, namentlich grün und rothbraun, bei verschiedenen For- men wieder, andererseits sind sie bei demselben Thiere vielfachen Schwankungen unterworfen, welche von der Art der Nahrung und dem Grad der Assimilation derselben abhängen. In einer grossen Anzahl Fälle ist endlich eine sichere Charakteristik nur durch die Kenntniss der Entwicklung möglich, wie die Entwicklungsgeschichte auch allein vermögend sein wird, verwandte Gruppen hier zu errichten. Nach dieser kurzen allgemeinen Bemerkung gehen wir auf eine Betrachtung der einzelnen Species und Genera ein. 1. Hyalodiscus rubicundus. Taf. II. Fig. 5. Das von uns mit dem Namen Hyalodiscus bezeichnete neue Genus unterscheidet sich von allen uns entweder aus eigenen oder fremden Untersuchungen bekannt gewordenen Sarkodethieren durch’ die ganz eigenthümliche Art und Weise seiner Fortbewegung. Bei allen Amöben und Rhizopoden betheiligen sich an der Bewegung stets vorwiegend bestimmte Stellen der Körperoberfläche. An dieser treten entweder stumpfe, spitze oder lappige Pseudopodien hervor, oder es quillt von ihnen aus ein Strom von Protoplasma hervor, vermöge dessen das Thier gleichsam vorwärts fliesst. Beim Hyalo- discus dagegen betrifft die Bewegung alle Punkte der Oberfläche in vollkommen gleicher Weise und nur die Richtung, in der alle die einzelnen Theile der Oberfläche sich bewegen, bestimmt die Linie, M, Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomio, Bd, 10. Supplementheft. 4 50 R. Hertwig und E. Lesser: in welcher der Organismus vorwärts gleitet. Wir werden sogleich auf die eigenthümlichen Vorgänge, welche diesen Bewegungsmodus leiten, näher eingehen, wenn wir uns ein Bild vom Bau des Hyuladisau entworfen haben. Begegnet man beim Durchmustern eines Präparats mit schwa- chen Vergrösserungen (Zeiss C. Oc. III) unserm Hyalodiscus, so fällt er entweder als ein ziegelrothes oder rothbraunes oder grün- lichbraunes Oval auf, welches in gleichmässiger Geschwindigkeit über den Objectträger gleitet. Stärkere Vergrösserungen (Zeiss F. Oe. II) lassen um diesen röthlichen Kern einen farblosen durch- sichtigen Hof erkennen (Taf. I, Fig. 5A). Das Thier erscheint dann als eine farblose Scheibe, in der eine körnige gefärbte Masse ein- gelagert ist, welche entweder die Mitte der Scheibe einnimmt oder dem bei der Vorwärtsbewegung nachschiebenden Theile näher liegt. Der glashelle Hof des Körpers erweist sich selbst bei Anwendung starker Vergrösserungen homogen und structurlos. Nur mit Mühe lässt sich seine Umrandung mit Hülfe kleiner Diaphragmen sichtbar machen. Das gefärbte Centrum setzt sich gegen ihn mit einer mehr oder weniger scharf begrenzten Linie ab. Dasselbe enthält ausser den kleinen mattbläulichen Körnchen, wie sie in jedem körnigen Protoplasma vorkommen, grössere ziegelroth gefärbte, welche nie vermisst werden und desshalb als etwas für den Hyalodiscus rubi- cundus Charakteristisches angesehen werden müssen. Ausser diesen Körnchen enthält die centrale Substanz eine grössere oder geringere Anzahl unregelmässig oval gestalteter Körper, deren Färbung sich durch alle Nüancirungen vom grünlichbraunen bis zum rothbraunen abstuft. Dieselben sind offenbar mehr oder weniger assimilirte Nahrungsstoffe pflanzlichen Ursprungs, welche bei der Assimilation im Protoplasma der Amöben und Rhizopoden meistens diese Farbenver- änderung durchmachen. Je nach der Masse, in der sie gefunden werden, und dem Grad der Verfärbung, den sie eingegangen sind, bedingen sie Verschiedenartigkeiten des Colorits des Hyalodiscus. Dasselbe ist bei nahrungsarmen Individuen wegen der Färbung der constant vorhandenen Protoplasmakörnchen ziegelroth, grünlichbraun nach der Nahrungsaufnahme, rostbraun bei vorgeschrittener Verdauung. Ferner liegt in der gefärbten Schicht eine grössere Anzahl Vacuolen (Fig. 5 A,c), welche jedoch wegen der Undurchsichtigkeit der rothbraunen Körpermasse nicht immer nachgewiesen werden können. Ob sie contractil sind oder nicht, gelang uns nicht fest- 4 Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 51 zustellen. Denn da der ganze Leibesinhalt sich in beständig roti- render Bewegung befindet und in Folge dessen die im Augenblick der Beobachtung zugänglichen Vacuolen im nächsten wieder durch Farbkörner verdeckt werden und verschwinden, konnten wir das- selbe Object nie lange genug beobachten, um etwaige Contractionen an ihm wahrzunehmen. Ausser den Vacuolen und den gefärbten Bestandtheilen findet man, namentlich bei wenig gefärbten Thieren deutlich erkennbar, nahezu in der Mitte der centralen Substanz eine verschwommene mattbläulich erglänzende Partie. Dieselbe besitzt das Lichtbrechungs- vermögen des Nucleus der Amöben und Arcellen und lässt sich bei Anwendung von Essigsäure und beim Zerquetschen als Kern des Thierkörpers erkennen. Wie bei allen Amöben und anderen Süss- wasserrhizopoden scheint er aus einem hellen Hof und dunklen Kernkörperchen zu bestehen. Die Undurchsichtigkeit des Thieres macht eine genauere Kenntniss der Form und der Grösse unmög- lich. Dass das Thier jedoch einen Kern besitzt und somit nicht Häckel’s Moneren eingereiht werden darf, ist nicht zu bezweifeln. Das der gegebenen Schilderung zu Grunde liegende Bild erhalten wir bei Betrachtung des Thieres von oben. Von Zeit zu Zeit bot sich uns die Gelegenheit, die Vorstellung vom Bau dessel- ben durch Profilansichten zu ergänzen, wenn nämlich das Thier mit der sonst dem Objeetträger zugewandten Seite auf dem Rande frem- der Gegenstände, von Crustaceenschalen, Algenfäden etc., hinkroch. Hierbei konnten wir erkennen, dass der Körpertheil, auf dem sich das Thier fortbewegt, eine den Terrainverhältnissen sich anpassende bald platte, bald gekrümmte Fläche darstellt, während die andere Seite des Körpers, wenn man so sagen darf, die Rückenseite, eine buckelförmige Erhebung besitzt (Fig.5B). Diese Erhebung wird durch den gefärbten Körpertheil gebildet und liegt, entsprechend der Lage desselben beim Anblick von oben, bald in der Mitte, bald ‘am hinteren Ende der auf dem Querschnitt gesehenen homogenen Platte. Die Erhebung fällt entweder steil ab, — dann erklärt es sich, warum sie, von oben betrachtet mit einer so scharfen Linie sich gegen den homogenen Hof absetzt, oder sie flacht sich ganz allmählich ab, dann ist von oben gesehen die Grenzcontur keine so scharfe, wie im ersteren Faile. Wie der rothgefärbte Körper- theil seitlich von dem hyalinen Hof, so wird er auch von oben und unten von einem feinen Saum der hyalinen Körpersubstanz 52 R. Hertwig und E. Lesser: umzogen, so dass der gefärbte Innentheil von einem homogenen farblosen Protoplasma allseitig umhüllt wird. Nach dieser Schilderung besteht der Körper des Hyalodiscus 1. aus einer homogenen farblosen Rindenschicht, welche eine flache Scheibe bildet und uns dadurch zur Wahl des Namens bestimmte, 2. aus einer braungekörnten centralen Substanz, welche in der Mitte _ der Scheibe gleichsam eingelagert ist und dieselbe buckelförmig hervortreibt. Die centrale Substanz umschliesst den Kern und die (contractilen ?) Blasen. Wenn schon in dieser eigenthümlichen und nur geringfügigen Schwankungen unterwörfenen Körperform Unterscheidungsmerkmale von den proteusartig ihre Gestalten ändernden „Amöben“ gegeben sind, so wird die Berechtigung, den Hyalodiscus als ein wohlcharak- terisirtes Genus den übrigen Amöben gegenüber zu stellen, noch weiterhin gestützt, wenn wir die Art der Fortbewegung genauer ins Auge fassen. Wie schon erwähnt bewegt sich, im Gegensatz zu allen übrigen Rhizopoden, unser Hyalodiscus ohne Scheinfüsschen, mit denen er sich vorwärts ziehen oder vorwärts stemmen könnte. Trotzdem, dass das Thier mit beträchtlicher Schnelligkeit über das Gesichtsfeld wandert, bemerkt man kaum eine Gestaltveränderung, nur dann und wann eine leichte Wellung des Randes, die aber so unbedeutend ist, dass sie die Bewegung nicht erklären könnte. Un- tersucht man jedoch genauer, so findet man bald, dass trotz der im Allgemeinen vorhandenen Constanz der Form, der Körper doch in lebhafter Bewegung sich befindet. Bei Anwendung starker Ob- jective und genauer Einstellung auf die kleinen Fremdkörper, z. B. i Bacterien, welche der Oberfläche des Thieres fast stets anhaften, sieht man dieselben sich mit gleichmässiger Geschwindigkeit fortbe- wegen, am hintern Rande auftauchen, den farbigen Theil des Körpers passiren und am vordern Rand verschwinden, um auf die | untere Fläche zu gelangen. Diese Bewegung der anhaftenden Fremd- körper findet mit gleichmässiger Geschwindigkeit in demselben Sinne Statt, wie das Thier vorwärts gleitet. Sie erlaubt uns den Rück- schluss auf eine im gleichen Sinne erfolgende Bewegung der Proto- plasmascheibe, welcher die Fremdkörper anhaften. Jeder Punkt der Körperoberfläche befindet sich demnach in einer beständigen Rotation, vermöge deren er sich auf der dorsalen Seite von hinten nach vorn, auf der ventralen in umgekehrter Richtung bewegt. Wie aber beim Rade durch die Reibung auf der Unterlage die Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 53 rückläufige Bewegung verlangsamt und hierdurch das Vorwärtsrollen ermöglicht wird, so gewinnt auch der vorwärtstreibende Strom der Rückenfläche über den entgegengesetzten des auf dem Objectträger anhaftenden Fusses die Oberhand und führt zur gleichgerichteten Ortsveränderung des Thieres. Doch nicht allein die Rindenschicht, sondern der ganze Thier- körper befindet sich in der beschriebenen gleichmässig rotirenden Bewegung. Bei hoher Einstellung sieht man die braunen Körper und Körnchen der centralen Substanz sich nach vorwärts schieben, bei einer Senkung des Tubus dieselben in den untern Schichten rückwärts fliessen, so dass jedes Körnchen, wenn wir die Fortbewe- gung des ganzen Körpers unberücksichtigt lassen, einen vollkomme- nen Kreis beschreibt. Selbst der Kern betheiligt sich, freilich bei seiner nahezu centralen Lage, in kleineren Excursionen an der ro- tirenden Bewegung der gesammten Körpersubstanz. Diese interessante Form der Protoplasmabewegung scheint uns nur durch die Annahme erklärt zu werden, dass jeder Punkt des Körpers, sowohl der Mark- als der Rindensubstanz eine nahezu gleichmässige Contractilität besitzt, wie dies M. Schultze zur Er- klärung der Protoplasmaströmung annimmt. Wäre nach Brücke’- scher Auffassung eine passiv bewegte Marksubstanz und eine activ bewegende Rinde zu unterscheiden, so könnte die erstere nur in so weit, als sie von der Reibung der einzelnen Theile in Mitleidenschaft gezogen wird, in Rotation versetzt werden. Die Rotation müsste, besonders wenn man annimmt, dass im Innern ein dem Flüssigen nahe kommender Aggregatzustand besteht, nach dem Centrum zu schnell an Energie abnehmen und in den centralen Partieen fast vollkommen aufhören. Dies ist nun nicht der Fall, da wir selbst bei genauer Prüfung einen Unterschied der Geschwindigkeit der äussern und innern Partieen nicht herausfinden konnten. Währenddem das Thier sich so wie ein Rad über den Object- träger rollt, ändert es, wenn auch wenig, seine Gestalt. Bald nimmt es mehr die Form eines Ovals an, bald wird es mehr kreisförmig, bald wird der Rückenhöcker steiler, bald wieder abgeflacht. Gewöhn- lich besitzt das Thier die Form eines Ovals, wobei die Längsaxe desselben auf der Bewegungslinie senkrecht steht. Eine Veränderung in der Fortbewegungslinie wird durch eine Veränderung der Rich- tung, in der die Körpertheile rotiren, eingeleitet. Ab und zu kommen ausserdem Faltungen des hyalinen Saumes vor, an denen sich die 54 R. Hertwig und E. Lesser: äussern Schichten der centralen Substanz jedoch nur in geringem Grade betheiligen. Die hierbei entstehenden dunkeln Linien treten schon bei schwachen Vergrösserungen scharf hervor und können dann für spitze Pseudopodien gehalten werden, zumal da sich an ihrer Basis die gefärbte Centralsubstanz in sie hinein fortsetzt. Die Aufnahme der Nahrung haben wir nicht beobachtet. Wahr- scheinlich drückt sich dieselbe in das Körperparenchym ein, während. das Thier über sie hingleitet. Die Nahrungsmittel werden in keinen besondern Nahrungsvacuolen eingebettet. Die Grösse des Thieres ist sehr schwankend. Sie beträgt 0,03—0,06 mm. im Längsdurchmesser, im Breitendurchmesser im Verhältniss weniger. Zum Schlusse unserer Schilderung geben wir noch als Resume eine kurze Diagnose des neuen Genus und der Species. Hyalodıscus nov. genus. Körper schalenlos, scheibenförmig, ohme Fortsätze durch eime gleichmässige Contractilität aller seiner Theile sich vorwärts bewegend, in Ektosark und Endosark differenzirt. Das von homogenem Ekto- sark umschlossene Endosark bedingt eine buckelförmige Hervorwöl- bung desselben und enthält den Kern und die (contractilen?) Blasen. Hyalodiscus rubicundus nov. spec. Endosark von ziegelrothen Farbkörnchen vollkommen erfüllt. 2. Dactylosphaerium vitreum. Tal. II. Fig. 1. Unter diesem Namen mögen vorläufig zwei Formen zusammen- gefasst werden, welche in den Hauptcharakteren übereinstimmen, aber doch einige, wie es scheint, constante Abweichungen zeigen, $0 dass es vielleicht später bei wiederholter Beobachtung möglich sein wird, die betreffenden Organismen in zwei Species zu trennen. Beide besitzen einen unregelmässig rundlich gestalteten Körper, dessen Durchmesser zwischen 0,06—0,12 mm. beträgt. Das Protoplasma ist hyalin, enthält aber im Innern des Körpers eine sehr grosse Anzahl kleinerer und grösserer gefärbter, stark lichtbrechender Kügelchen. Diese sind bei der einen Varietät constant lebhaft hellgelb, bei der andern ebenso constant grün gefärbt. Auf diese Farbenverschieden- heit legen wir nur desswegen einen Werth, weil wir nicht wie bei Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 55 andern Rhizopoden, welche in verschiedenen Farbennüancirungen vor- kommen (z. B. Hyalolampe), die Uebergangsfarben gefunden haben, welche diesen recht auffallenden Unterschied hätten ausgleichen können, und weil sich mit dem Farbenunterschied stets noch andre, gleich näher zu bespreehende Verschiedenheiten vereint vorfanden. Diese gefärbten Elemente erfüllen den ganzen Innenraum des Kör- pers bis auf einen schmalen hyalinen Saum, und zwar in solcher Menge, dass ein Studium desselben beim lebenden Thier unmöglich gemacht wird. Auch durch Zerdrücken wird eine nähere Einsicht in den Inhalt nur theilweise gewonnen. Ueber das etwaige Vorhan- densein eines Kernes haben wir auch durch dieses Mittel keinen Aufschluss erhalten. Bei der gelben Varietät, welche gewöhnlich etwas weniger dicht mit gefärbten Elementen angefüllt war, con- statirten wir das Vorhandensein mehrerer nicht contractiler Vacuolen. Ausserdem fanden sich bei den gelben Thieren im Innern des Kör- pers stets grössere dunkelbraune Kugeln, wahrscheinlich dem Pflan- zenreich entstammende Nahrungskörper. Vom Körper entspringen nach allen Richtungen hin die stumpfen, etwas conischen Pseudopodien, deren Länge durchschnittlich die Hälfte des Körperdurchmessers beträgt. Sie bestehen ebenso wie der Saum des Körpers aus einem völlig homogenen, ausserordent- lich klaren, glasartig erscheinenden Protoplasma. Bei der grünen Varietät ist, wenn auch nicht bei allen, so doch bei den meisten Exemplaren, entweder die ganze Körperoberfläche incl. der Pseudo- podien, oder nur ein Theil derselben mit einem eigenthümlichen Besatz kleiner Protoplasmazöttchen bedeckt. Diese sind offenbar den schon öfter beschriebenen Zottenanhängen der Amöben sehr ähnlich, wenn nicht gleich. Eine Bewegung konnten wir an diesen kleinen Zöttchen nicht wahrnehmen. — Ganz eigenthümlich ist die Art, wie die Pseudopodien eingezogen werden. Das zum Einziehen bestimmte Pseudopodium verändert wie mit einem Ruck seine Ge- stalt. Seine sonst glatte Oberfläche wird höckerig und unregelmässig eingebuchtet (Fig. 1A,a). Dann fliesst es ziemlich rasch in den Körper zurück. Die merkwürdige Erscheinung macht den Eindruck, als wenn ganz plötzlich das Pseudopodium seinen Turgor verlöre. Es collabirt, indem es der Attraction des Körpers verfällt, welcher es dann auch schnell in sich aufnimmt. Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Varietäten zeigte sich in der Art der Bewegung. Die grünen Tbiere lagen meist als mehr 56 R. Hertwig und E. Lesser: oder weniger regelmässige Kugeln ganz ruhig da, und nur an den nicht sehr zahlreich ausgestreckten Pseudopodien (ein Exemplar von 0,08 Grösse hatte deren z. B. nur sieben auf der dem Beobachter zugekehrten Seite) war ein langsames Vorwärtsschieben oder Zurück- weichen bemerklich. Ganz anders präsentiren sich in dieser Bezie- hung die gelben Thiere. Nicht nur mit Hülfe der schnell vorge- schobenen, meist sehr zahlreichen Pseudopodien bewegen sie sich mit entsprechender Geschwindigkeit, sondern auch der eigentliche Körper betheiligt sich activ an der Bewegung, indem ein Theil desselben, ganz wie dies auch bei den Amöben geschieht, nach irgend einer Richtung hin vorquillt, um dann das zurückgebliebene Stück nachzuziehen. Bei dieser Varietät beobachteten wir auch die Abschnürung eines Individuums in zwei Theile bis auf eine ganz schmale Brücke, ohne dass indess eine wirkliche Theilung schliesslich zu Stande kam. Unseres Wissens ist dieser Rhizopode noch nicht beschrieben. Man könnte zwar auf die Vermuthung kommen, dass der Varietät der Amoeba radiosa, welche Auerbach!) beschrieben hat, dasselbe Thier zu Grunde gelegen habe, wie der grünen Varietät unseres Dactylosphaerium. Allein die Form der dort spitzen (dornförmigen oder zackigen) Pseudopodien, in welche die granulirte, den gan- zen Körper bis an den Rand erfüllende Inhaltsmasse bis fast in die Spitzen vordringt, spricht sehr gegen die Identität mit unserm ° Object, bei welchem stets an allen Stellen der Körperoberfläche ein sehr deutlich wahrnehmbarer hyaliner Saum vorhanden ist und bei welchem wir nie das Vordringen granulirten Protoplasmas in die Pseudopodien beobachtet haben. Wir glauben daher mit Recht den von uns beobachteten Rhizopoden als selbstständige Species aufrecht zu erhalten. Jedenfalls ist es als ein Vortheil anzusehen, wenn ein einigermassen scharf charakterisirter Organismus aus dem chaoti- schen Genus Amoeba entfernt wird. \ Die wichtigsten Merkmale fassen wir in einer kurzen Diagnose zusammen. Dactylosphaerium vitreum. Körper rundlich, aus einem homogenen glashellen Protoplasma mit zahlreich eingestreuten grünen oder gelben Körnern bestehend; Pseudopodien conisch oder fingerförmig, radienartig nach allen Seiten 1) Ueber die Einzelligkeit d. Amöben. Zeitschr. f. wiss. Zool. VII, 8.401. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 57 ausstrahlend; (Gresammt- Körperoberfläche meist mit einem Besatz feiner Zöttchen über und über bedeckt. 3. Leptophrys nov. gen. (Taf. II. Fig. 3, 4.) Die Organismen, welche wir unter dem Namen Leptophrys begreifen, gehören zu den zierlichsten und zartesten Gebilden, welche uns bei der Beobachtung begegnet sind. Abgesehen von den mit Nah- rungsballen gefüllten und desshalb undurchsichtigen Partieen, bildet ihr Körper einen zarten Schleier, welcher, über den Objectträger ausgebreitet, die darunter gelegenen Gegenstände aufs Deutlichste erkennen lässt. Die Gestalt ist dabei eine schwankende. Meist ist die Substanz des Körpers in mehrere Arme auseinander geflossen, deren beständig wechselnde Anordnung den Fortsätzen einer Amöbe verglichen werden könnte, wenn sie nicht noch ausserdem von spitzen Pseudopodien bedeckt würden. Das Protoplasma des Körpers ist von kleinen Vacuolen so dicht durchsetzt, dass nur dünne Brücken die einzelnen Flüssigkeitsräume trennen. Dieselben sind von nahezu gleicher Grösse und nicht conträctil. Die dünnen, zwischen ihnen ver- laufenden Protoplasmabrücken sind erfüllt von feinen Körnern, welche sich wie die Vacuolen durch die auffallende Constanz ihrer Grösse aus- zeichnen. Die Körner sehen wie kleine Perlen, die Protoplasmabrücken zwischen den Vacuolen wie Perlschnüre aus. Kerne haben wir nur einmal, und zwar in der Anzahl von drei an einem vollkommen durchsichtigen Individuum, welches keine Nahrungsballen in seinem Innern enthielt, aufgefunden. Sie bilden kleine rundliche Blasen mit centralem bläulichem Nucleolus (Taf. II, Fig. Ann). Bei den meisten Individuen war an einen Kernnachweis schon desshalb nicht zu denken, weil ihre centralen Partieen von Fremdkörpern ganz vollgepfropft waren. Die Pseudopodien sind spitz, körnchenfrei und unver- ästelt. Sie sind nicht gleichmässig auf die Körperoberfläche ver- theilt, sondern suchen mit Vorliebe die Enden der lappigen Verlänge- rungen der Körpersubstanz auf. Hier findet sich häufig homogenes körnchen- und vacuolenfreies Protoplasma, aus dem sie ihren Ur- sprung nehmen. Die Fortbewegung der Leptophrys geschieht, entsprechend dem vorher geschilderten Bau, durch die vereinte Wirkung amöboider Protoplasmafortsätze und davon ausstrahlender spitzer Pseudopodien. Sie vollzieht sich ziemlich rasch, indem hier ein Körperfortsatz mit 58 R. Hertwig und E. Lesser: dem Besatz von Scheinfüsschen eingezogen, dort hingegen ein neuer hervorgestreckt wird. Bei der Nahrungsaufnahme, welche wir nicht beobachtet haben, scheint eine Auslese der verschiedenen Stoffe wie bei der Vampyrella Spirogyrae nicht Statt zu finden. Algen, Fla- gellaten, Diatomeen finden sich im Innern in buntem Durchein- ander. Die einzelnen Nahrungskörper sind während der Verdauung in Nahrungsvacuolen eingeschlossen. Nebeneinander fanden wir die im Vorhergehenden geschilderten Organismen in zwei verschiedenen Farben. Bei der einen Art waren die kleinen perlenähnlichen Körnchen vollkommen farblos und durch- sichtig, bei der anderen licht graubräunlich. Da im Uebrigen die Organisationsverhältnisse vollkommen übereinstimmten, sind wir schwankend, ob es zweckmässiger ist, die beiden Formen als zwei verschiedene Species oder als Varietäten derselben Species aufzu- fassen. Wir neigen uns der ersten Ansicht zu, da wir stets nur die beschriebenen zwei Farbentöne antrafen und keine andern Nüanei- rungen. Wollte man eine Variabilität der Färbung, die allerdings bei den Rhizopoden vorkommt, annehmen (wir sehen hierbei natür- lich von der durch Nahrungsaufnahme bedingten Veränderung der Farbe des eigentlichen Protoplasmakörpers ab), so bleibt es unver- ständlich, warum ausser farblosen Individuen mit solcher Constanz nur graubräunlich gefärbte gefunden werden und nicht auch andere Schattirungen vorkommen. Wir bezeichnen daher die beiden Lep- tophrysformen als zwei verschiedene Arten, Leptophrys elegans -und cinerea. Wir haben lange geschwankt, für die beiden geschilderten Formen einen neuen Genusnamen einzuführen; denn in der Organi- sation und der Art des Vorkommens erinnert bei ihnen Mancherlei an die Beschreibung, welche Cienkowski!) von den Nuclearien giebt. Der genannte Forscher schildert seine Nuclearia delicatula als eine mit spitzen Pseudopodien sich fortbewegende Amöbe, deren sehr durchsichtige Körpersubstanz mehrere Kerne umschliesst und »reich. ist an Vacuolen, welche langsam verschwinden und auftauchen, nicht wie die contractilen Räume plötzlich zusammenfallen«. Bei der Fort- bewegung bildet sie wie Vampyrella lange, in dünne Fäden sich aus- ziehende Stränge. Behufs Nahrungsaufnahme saugt sie Algen kin aus, deren Zellenmembranen erweicht und macerirt sind. !) Arch. f. mikrosk Anat. I pag. 225. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 59 Folgende Umstände bestimmten uns, unsere Formen der Nu- clearia delicatula nicht zuzurechnen. Wenn CGienkowski sagt, »reich an Vacuolen«, so charakterisirt das keineswegs das durch und durch blasige, durch die Constanz in der Grösse der Vacuolen ausgezeichnete Parenchym unserer Leptophrys. Ebenso finden die anderweitigen, beim ersten Blick in die Augen fallenden Eigenthüm- lichkeiten : die Gleichmässigkeit in der Anordnung und der Grösse der Protoplasmakörnchen, das Zerfliessen des Körpers in zahlreiche Lappen, keine Erwähnung in der Cienkowski’schen Schilderung und lässt sich somit annehmen, dass dieselben den Nuclearien fehlen. Andererseits stimmen einige wichtige, von Cienkowski angege- bene Charaktere nicht auf unsere Leptophrys, so die, wenn auch träge, so doch vorhandene Contractilität der Vacuolen, ferner die Art der Nahrungsstoffe, welche bei den Nuclearien in charakteristi- scher Weise nur aus dem Inhalt ausgesaugter Algenfäden herzu- stammen scheint; endlich die Grösse der Kerne, welche, nach den Abbildungen zu schliessen, die Kerne der Leptophryen an Grösse bedeutend übertreffen und, wie es scheint, mit Leichtigkeit in allen Fällen nachgewiesen werden können. Ausser diesen Verschiedenheiten in der Organisation bestimmt uns zur Absonderung der Leptophryen noch der Umstand, dass wir Organismen beobachtet haben, welche wir mit den Nuclearien Cienkowski’s für identisch halten. Dieselben bilden rundliche oder in die Länge ausgezogene Körper, welche mehrere deutliche Kerne besitzen und ringsum mit Pseudopodien besetzt sind. In ihrem Inneren liegt eine grössere Anzahl langsam und träge sich contrahirender Vacuolen, deren Anzahl jedoch nie so bedeutend wird, dass das Körperparenchym durchaus blasig erscheint, wie bei den Leptophryen. Zwischen diesen nackten Formen kommen weiterhin Individuen vor, welche ringsum von einem Kranz von Pünktchen und Körnchen umzogen werden, im Uebrigen aber sich durch nichts von den beschriebenen Formen unterscheiden. Die Pünktchen und Körnchen sind alle in gleicher Entfernung von der Oberfläche des Körpers gelagert und bilden eine den Körper allseitig umschliessende, nirgends denselben berührende Hohlkugel, ‚durch welche die Pseu- dopodien nach Aussen treten. Auch Cienkowski schildert diese Körnchenumhüllungen und bezeichnet sie als »aus feinen Körnchen bestehende Blasen, welche sich um die auf dem Objectträger cultivirten Exemplare bildeten« 60 R. Hertwig und E. Lesser: und vielleicht »auf ruhende Zustände« hindeuten !.. Wir unserer- seits halten die Körnchenumhüllung für ein Skelet und sind geneigt, die von Cienkowski als Nuclearien beschriebenen Rhizopoden den Heliozoen einzureihen?). Zum Schluss kommen wir noch zur Besprechung der Möglich- keit, dass unsere Leptophrys cinerea mit der Vampyrella vorax (Cienkowski) identisch sei. Die von Cienkowski gegebene Abbildung (Taf. XIII, Fig. 64) hat namentlich in der gesammten Körperform manches Aehnliche. Da aber Cienkowski nichts von dem Vacuolenreichthum des Körpers der Leptophrys erwähnt, da er ferner die Farbe der V. vorax als ziegelroth beschreibt, glauben wir uns auch hier gegen die Identität aussprechen zu müssen. Eine Unterordnung der Leptophryen unter die Vampyrellen haben wir trotz mancherlei Uebereinstimmendem aus folgenden Gründen vermieden: 1. wegen der eigenthümlichen blasigen Be- schaffenheit des Protoplasma, welche den Vampyrellen fehlt; 2. wegen des Besitzes von Kernen, welche möglicherweise bei den Vampyrellen vorhanden sind, jedenfalls aber bisher noch nicht nach- gewiesen werden konnten. Wir geben auch hier wieder zum Schluss eine kurze Diagnose des Genus und der Species. Leptophrys nov. gen. Körper unregelmässig, in Lappen und Fortsätze ausgezogen, mit spitzen und wnwverästelten Pseudopodien besetzt, welche mit Vorliebe die Enden der Fortsätze einnehmen ; das Parenchym von kleinen, nahezu gleich grossen, micht contractilen Vacuolen erfüllt. 1) 1. c. S. 226 Taf. XIV, Fig. 78. 2) Wie wir aus einer im Manuscript uns vorliegenden Arbeit von Franz Eilhard Schulze ersehen, hat auch dieser die geschilderten Rhi- zopoden beobachtet und als Heterophrys varians (varians, weil sie bald ohne, bald mit Skelet angetroffen werden) unter die Heliozoen gerechnet. In der Auffassung des Skelets weicht E. Schulze insofern von uns ab, als er eineho- mogene Hülle zwischen dem Körper und den Körnchen annimmt. Letztere wür- den gleichsam einen Beleg auf der homogenen Schicht bilden. Wir theilen die Ansicht Schulze’s aus dem Grunde nicht, weil wir nie eine Andeutung einer homogenen Schicht beobachten konnten, ferner weil wir verfolgen konnten, wie unter unsern Augen ein Thier einmal seine »Schale« verliess, ohne dass wir an der Durchtrittsstelle, wie man hätte erwarten sollen, oder an der verlassenen Schale das Bild einer homogenen Grundlage der Körner gewonnen hätten. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 61 Körnchen des Protoplasma von auffallend constanter Grösse. Kerne m grösserer Anzahl. L. cinerea. Körper grauröthlich, Farbe von der Färbung der Körnchen herrührend. L. elegans. Körper krystallhell durchsichtig, Körnchen farblos. 4. Vampyrella Spirogyrae. (Taf. U. Fig. 2.) Die Vampyrella Spirogyrae ist zuerst von Üienkowskit) beschrieben und von ihm zu den Monaden gestellt worden. Den Beobachtungen dieses trefflichen Forschers haben wir wenig Neues hinzuzufügen und können wir seine Angaben fast durchgängig be- stätigen. Die Vampyrella erscheint zumeist in actinophrysähnlicher Form, d. h. sie bildet eine mehr oder weniger regelmässige Kugel von 0,02—0,075 mm. Durchmesser, welche nach allen Seiten hin Pseudo- podien ausstrahlt. Das granulirte Protoplasma ist bis auf die Pseu- dopodien und den äussersten Saum des Körpers mit einem, wie es scheint, diffusen Farbstoffe imprägnirt, welcher alle Nüancen zwischen orange, rothgelb (am häufigsten), grünlich oder bräunlichgelb zeigt; diese Unterschiede werden vermuthlich auf der Verschiedenheit oder der Menge der eingenommenen Nahrung beruhen. Die Färbung der centralen Partie ist dabei eine so intensive, dass es unmöglich ist das etwaige Vorhandensein eines Kernes zu beobachten, was auch Cienkowski nicht gelungen ist. Der Saum des Körpers ist stets hyalin, und befinden sich in ihm mehrere nicht contractile Vacuolen (s. Taf. II Fig. 2). Die spitzen Pseudopodien, welche die Vampyrella aussendet, haben wir nie miteinander anastomosiren sehen. Dagegen sitzen häufig zwei oder drei auf einer gemeinschaftlichen Basis auf; auch theilt sich ab und zu ein Pseudopodium in zwei divergirende Wir erklären uns das Bild der Schale durch die Annahme feinster Stäbchen, welche in einiger Entfernung von der Oberfläche des Körpers (wie die Stäb- chen der Raphidiophrys und die Kugeln der Hyalolampe) in einer dünnen Schicht wirr angeordnet sind und in einer nicht näher erkennbaren Weise durch minimale Spuren von Protoplasma oder durch eine zarte Kittsubstanz zusammengehalten werden. cfr. Heterophrys spinifera im dritten Theil. 1) Beiträge z. Kenntniss d.Monaden. Arch, f. mikr. Anat. I, 5. 203 seq. 62 R. Hertwig und E. Lesser: Aeste, ohne dass jedoch diese Verästelungen häufiger angetroffen würden oder sich mehrfach an demselben Pseudopodium wiederholten. Ausser diesen spitzen Pseudopodien erscheinen von Zeit zu Zeit noch einzelne breitere, stumpfe, lappige, ebenfalls hyaline Fortsätze, welche sich durch die Schnelligkeit ihres Hervorquellens und Verschwindens auszeichnen. Das Erscheinen dieser stumpfen Fortsätze ist unsrer Ansicht nach ein Zeichen von Unbehagen, welches durch ‚irgend welche äussere Schädlichkeiten hervorgerufen wird; so kommen sie regelmässig zum Vorschein, wenn man durch Absaugen oder Ver- dunstenlassen des Wassers die Thiere einem gelinden Deckglasdruck preisgiebt. — Sehr eigenthümlich ist die Körnchenbewegung in beiden Arten von Pseudopodien ; sie lässt sich, wie auch Cienkowski angiebt, nur als ein stossweises Hervorschnellen und Zurückziehen der verhältnissmässig grossen Körnchen bezeichnen. Obgleich die Vampyrella, so lange sie diese ziemlich regel- mässig runde Form bewahrt, einer Actinophrys auf den ersten Blick so ähnlich erscheint, dass ein jeder Beobachter, dem grade diese Form zuerst begegnet, sie wohl zunächst für eine gelbe Actinophrys halten wird, so bemerkt man doch schon bei aufmerksamer Beob- achtung, dass das Thier nicht immer seine Kugelgestalt bewahrt, sondern dass’es, zumal wenn es auf dünne Algenfäden oder derglei- chen geräth, die Pseudopodien zum Theil einziehend, seine Form den betreffenden Gegenständen anpasst und nun auf diesen dahin- kriecht. Im höchsten Maasse auffallend wird aber diese Bewegung bei Exemplaren, welche die runde Gestalt ganz aufgegeben haben und nun, sich lang ausdehnend (wir maassen bis zu 0,24 mm. Länge), mit grosser Schnelligkeit über das Gesichtsfeld hinkriechen, so dass man die Art der Bewegung fast mit der einer Raupe vergleichen möchte. Bald schnürt sich unter diesen lebhaften Bewegungen das Thier in der Mitte bis auf einen ganz dünnen, hyalinen, keine Pseudopodien tragenden Faden ab, um erst allmählich wieder den andern Theil des Körpers nachzuziehen, bald theilt es sich an dem einen Ende in zwei gabelig divergirende Aeste. Abgesehen davon, dass die Pseudopodien manchmal auf kurzen Strecken der Oberfläche eingezogen werden, bleiben dieselben bei alle den geschilderten Bewegungen gerade ausgestreckt, was dem Thiere das höchst eigenthümliche Aus- sehen verleiht, welches auf Taf. II Fig. 2 dargestellt ist. Die von uns nicht beobachtete Nahrungsaufnahme geht nach Gienkowski’s Schilderung in der Weise vor sich, dass sich die Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 63 Vampyrella an einen Spiropyrafaden, und zwar nur an ein gesundes Glied desselben anlegt. Nach kurzer Zeit, welche das Thier dazu braucht, um die Zellwand zu durchbohren, löst sich der Primordial- schlauch von der Wand der Zelle ab und geht langsam mit dem Chlorophylibande in den Körper der Vampyrella über. Nach der Nahrungsaufnahme encystirt sich die nun zahlreiche, zunächst noch grün gefärbte Nahrungsballen enthaltende Vampyrella, indem sie die Pseudopodien einzieht und eine kugelige, die Cellulose- Reaction gebende Membran um sich abscheidet. Die nach Cien- kowski noch ausserhalb dieser eigentlichen Membran oft vorhandene zweite, zartere Hülle (velum) haben wir nicht beobachtet. In diesem Zustande geht die Verdauung der aufgenommenen Nahrung vor sich, wobei die Chlorophyilfarbe der Nahrungsballen sich in ein schmutzi- ges Dunkelbraun verwandelt. Ist die Verdauung vollendet, so be- reitet sich die Vampyrella zum Auskriechen vor, indem sie die Reste der Nahrungsballen, welche hierbei aus den centralen Partieen nach der Peripherie rücken, aus ihrem Körper ausscheidet. Beim Aus- wandern hinterlässt sie dieselben als dunkelbraune Körper in der farblosen Hülle. Die Zeit, welche zwischen der Encystirung und dem Auskriechen vergeht, konnten wir in einem Falle zu ungefähr 48 Stunden bestimmen. Cienkowski beschreibt nun zwei verschiedene Arten der Eneystirung: einen Zellen- und einen Ruhezustand, welche sich da- durch unterscheiden sollen, dass beim ersteren die Vampyrella sich in der Cyste in 2—4 Stücke theilt, die selbstständig durch verschie- dene Oeffnungen der Wand ausschlüpfen, während bei dem Ruhe- zustand das Thier noch eine zweite (beim Vorhandensein des Velum eine dritte) derbere Membran innerhalb der zuerst gebildeten um sich abscheidet, aus welcher es nachher ohne sich zu theilen hervorgeht. Aus Mangel an genügenden Beobachtungen sind wir nicht im Stande, ein sicheres Urtheil über die Berechtigung der von Cienkowski aufgestellten Unterscheidung abzugeben. Wir haben stets nur Cysten beobachtet, welche aus einer einfachen Hülle bestanden. Aus einer dieser Cysten schlüpften nach vorangegangener Theilung drei kleine Vampyrellen an verschiedenen Stellen der Cystenward heraus. Ein anderes Mal kroch der gesammte Inhalt, ohne sich vorher getheilt zu haben, aus. Während des Auskriechens zerriss die dünne Ver- bindungsbrücke, welche den grösseren schon ausgetretenen Theil mit dem zurückgebliebenen um die Hälfte ungefähr kleineren ver- 64 R. Hertwig und E, Lesser: band. Der erstere entfernte sich unter Ausstrecken von zahlreichen Pseudopodien als eine aussergewöhnlich grosse Vampyrella, der letztere verblieb noch kurze Zeit in der Cyste, um dieselbe dann an der nämlichen Stelle, wie das vorangehende Stück, zu verlassen. Im vorliegenden Falle kam es somit zu einer Theilung, welche, wie es schien, rein zufällig und ohne Gesetzmässigkeit ent- standen war. Soll man nun diesen beobachteten Verlauf der Encystirung als Zell- oder Ruhezustand auffassen? Haben wir die verfrühte Unter- brechung eines Zellzustandes vor uns, bei dem die verabsäumte 2—4-Theilung beim Auskriechen in unvollkommener Weise nachge- holt wird? oder ist es ein Ruhezustand, bei dem irgend welcher Zufall zu einer Theilung des aus dem Ruhezustand erwachenden Orga- nismus führt? oder endlich fehlt überhaupt der von Cienkowski angenommene prineipielle Unterschied zwischen Ruhe- und Zellzu- stand und giebt es nur Encystirungen, die regellos bald mit, bald ohne Theilungen ihres Inhalts verlaufen? Für uns hat der letztere der drei möglichen Fälle am meisten Wahrscheinlichkeit. Wir fassen die Encystirung als einen ursprünglich zum Zweck der Verdauung eingegangenen Zustand auf. Die mit Nahrung gefüllte Vampyrella bildet sich durch die Cyste einen Schutz für die Zeit, in der sie die freie Ortsbewegung zur Existenz nicht nöthig hat. Der durch die Nahrungsaufnahme gewachsene Organismus theilt sich entweder inner- halb der Cyste oder er verlässt dieselbe, um ausserhalb derselben in zwei oder mehrere Tochterindividuen zu zerfallen. Nach dieser Auffassung würden Ruhe- und Zellzustand sich nur dadurch un- terscheiden, ob zufällig die Theilung, welche noch nicht an eine bestimmte Periode des Lebens der Organismen gebunden ist, wäh- rend des freien Lebens oder während der Encystirung eingetreten ist. Wir betrachten hiernach die bei vielen Organismen constant vorhandene Beziehung der Enceystirung zu der Fortpflanzung als einen secundären, im Lauf fortschreitender Entwicklung erworbenen Zustand. Die ursprünglich zu beliebiger Zeit erfolgende Vermeh- rung durch Theilung wird mehr und mehr, endlich vollständig in das Stadium der Eneystirung verlegt, welche so den Charakter eines der Fortpflanzung dienenden Vorganges gewinnt. Mit dieser Auf- fassung lässt sich zur Zeit bei unseren Vampyrellen die Angabe Cienkowski’s noch nicht vereinen, dass der Ruhezustand ausser den im Zellzustand ebenfalls vorhandenen Membranen, des Velum | Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 65 und der Cellulosemembran, noch eine dritte Hülle besitzen soll, welche nach innen von den genannten liest und im Verlauf des Zellzustandes nicht nachweisbar ist. Es gälte demnach festzustellen, ob in Wahrheit die von Cienkowski angenommene gesetzmässige Beziehung der Theilung des encystirten Thieres zum Mangel dieser dritten Membran vorhanden ist oder ob nicht die Anzahl der Mem- branen überhaupt Schwankungen unterliegt. Wenn Cienkowski nach diesen eigenthümlichen Encystirungs- vorgängen die Vampyrellen und Nuclearien zu einer besondern Gruppe als Monadinae tetraplastae vereint, so scheint uns nach unsern Be- obachtungen die Berechtigung dieser Zusammenfassung noch weiterer Begründung zu bedürfen. Sollten Nuclearien und Vampyrellen die Uebereinstimmung im Entwicklungsgang in der von Cienkowski geschilderten Weise ergeben, sollten ferner die Differenzen, welche bisher wegen des Mangels eines Kerns bei den Vampyrellen noch vorhanden sind, eine befriedigende Lösung finden, so sind auch wir geneigt, die Zusammenfassung der Monadinae tetraplastae zu accep- tiren. Jedenfalls aber würden sie dann eine weitere blutsverwandte Familie in unserer Gruppe der Sarkodinen bilden und auch dann noch an der Stelle, die wir ihnen schon jetzt, gestützt auf ihren Bau, angewiesen haben, abgehandelt werden müssen. Da Häckel in die Definition, welche er in seiner Monographie der Moneren!) vom Genus Vampyrella giebt, den Mangel der Va- cuolen, welche nach unseren Beobachtungen vorhanden sind, und die Art der Fortpflanzung, welche uns nicht charakteristisch genug zu sein scheint, mit aufgenommen hat, sehen wir uns veranlasst, der Diagnose folgende modificirte Fassung zu geben. Vampyrella. Oienkowski. Körper meist unregelmässig kugelig, amoeboider Gestaltverän- derungen fähig, bis auf einen schmalen hyalinen Saum mit einem diffusen Farbstoff imprägnirt; spärliche, nicht contractile Vacuolen lagern im hyalınen Saum; Kern?; Pseudopodien strahlenartig, dünn, spitz, selten verästelt. Vampyrella Spirogyrae. Cienkowski. Farbe ziegelroth; Pseudopodien mit lebhafter, stossweiser Körn- chenströmung ; Organismus saugt den Inhalt von Spirogyrenzellen aus. 1) Biologische Studien. I. pag. 72. M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. Supplementheft. 5 66 R. Hertwig und E. Lesser: 5. Cochliopodium pellueidum. Taf. II. Fig. 7. In den Teichen von Reinhardsbrunnen und dem Bassin des Bonner botanischen Gartens fanden wir ausserordentlich häufig einen Rhizopoden, der in seinem Bau vollkommen mit der von Archer') gegebenen Beschreibung der stachellosen Varietät von Amphizonella vestita übereinstimmt und unzweifelhaft auch der Auerbach’schen Schilderung?) der Amöba bilimbosa und A. actinophora zu Grunde liegt®). Da wir im Bau nichts finden, was die Unterordnung unter das Greeff’sche Genus Amphizonella rechtfertigen könnte, da wir ferner den nichtssagenden Namen »Amöba« überhaupt aus der Syste- matik zu verbannen trachten, sehen wir uns veranlasst, ein neues Genus und eine neue Species zu bilden und nennen den Rhizopoden Cochliopodium pellucidum. Die Wahl des Namens werden wir später rechtfertigen. Die Gestalt des Cochliopodium ist, trotzdem dass eine Schale vorhanden ist, den lebhaften proteusartigen Formveränderungen un- terworfen, welche wir sonst nur an nackten Sarkodinen zu beobachten gewohnt sind. Meistens kugelig oder unregelmässig cylindrisch schnürt der Körper sich häufig bisquitförmig ein, als ob er sich theilen wollte oder breitet sich flächenhaft über den Objectträger aus. Seine Form ist von der offenbar sehr schmiegsamen Schale vollkommen unabhängig. Die Farbe ist bei allen von uns untersuchten Thieren durch die Färbung des Protoplasma bedingt, welches einen matt grau- bläulichen Schimmer besitzt. Eine Nüancirung in’s bräunlichgelbe, wie Archer zeitweilig beobachtet zu haben angiebt, haben wir nie gesehen. Einige Organismen, welche diese Schattirung besassen und 1) Proceedings of the Royal Irish Academy December 1870. II, Vol. 1. 2) Ueber die Einzelligkeit der Amöben. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. VII. 3) Wir glauben aus einem Vergleich der Beobachtungen Auerbach’s mit den unsrigen annehmen zu dürfen, dass dieselben Organismen von Auerbach als zwei verschiedene Species beschrieben worden sind. Von den beiden Charakteren, welche Auerbach für die Unterscheidung der A. bilimbosa und actinophora geltend macht, ist der eine, welcher sich auf das Fehlen oder Vorhandensein von Stärkekörnern im Protoplasma gründet, nach unserer Auffassung von keiner systematischen Bedeutung. Der andere Charakter: das verschiedene Verhalten der Vacuolen bei beiden Organismen, wird im Verlauf unserer Schilderung die gebührende Berücksichtigung finden, ‘ Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 67 dem Cochliopodium ähnlich sahen, glauben wir nicht hierher rechnen zu dürfen und werden wir noch einmal zum Schluss dieses Abschnitts auf dieselben zurückkommen. Bei der Betrachtung des Cochliopodium werden wir zunächst die Schale, dann den Weichkörper und die Pseudopodien behandeln. 1. Die Schale. Nach Archer’s Schilderung, aus der wir in Kürze das Wichtigste hervorheben, bevor wir zu unsern eigenen Beobachtungen übergehen, wird der Körper des Thieres von einer Art Mantel umhüllt, welcher der Oberfläche dicht anliegt. Obwohl derselbe mehr unter dem Bild einer verdichteten und differenzirten Aussenschicht erscheint, ist er gleichwohl ein vollständig selbststän- diges Gebilde, welches man sowohl häufig von dem Weichkörper isolirt vorfindet, als auch künstlich mit Hülfe von Reagentien isoliren kann. Als ein derartiges Reagens empfiehlt Archer eine dünne Jodiodkaliumlösung, bei deren Application der Körper schrumpft und sich vom Mantel zurückzieht. Auf dem optischen Querschnitt er- scheint die ganze Dicke der Schale mehr oder weniger deutlich von senkrechten Linien durchsetzt, welche Archer als den Ausdruck feinster für den Durchtritt der „Pseudopodien bestimmter Canäle deutet. Von der Fläche betrachtet gewinnt die Schale ein getüpfel- tes Ansehen (a dotted appearance), welches namentlich an isolirten Exemplaren deutlich zu erkennen ist. Ob dasselbe von den die Schalen- dicke durchsetzenden Canälchen herrührt oder durch feine haarähn- liche Fortsätze, welche man in der Profilansicht auf der Schale wahr- nimmt, bedingt wird, lässt Archer unentschieden. Die haarähn- lichen Fortsätze besitzen eine sehr verschiedene Länge und fehlten mit Constanz oder waren wenigstens sehr gering entwickelt bei den Formen eines Fundortes. Ob in der geschilderten Hülle eine bestimmte Oeffnung für den Durchtritt der Pseudopodien existirt, darüber ist Archer zu keinem sicheren Resultat gelangt. Zwar fand er meist ein grösseres Büschel Pseudopodien durch eine gemeinsame Oeffnung hervortreten ; auch schien es ihm, als ob diese Oefinung eine bestimmte Lage vis-A-vis dem Kern einnähme, wodurch die erste Andeutung einer Differenzirung eines vorderen und hinteren Endes gegeben sein würde; da er indessen Exemplare mit offenbar rundum geschlosse- ner Schale angetroffen hat, lässt er es zweifelhaft, ob hier eine bestimmte präformirte Oeffnung im Mantel vorliegt oder ob nicht vielmehr einer der die Schalendicke durchbohrenden Canäle, welche 68 R. Hertwig und E. Lesser: von durchtretenden Pseudopodien 'gedehnt werden können, hier durch ein ganzes Pseudopodienbündel eine besonders starke Ausweitung erfahren hat. Was Archer hier als Mantel bezeichnet, schildert Auer- bach bei der A. bilimbosa und actinophora als eine allseitig ge- schlossene Hülle, als eine Zellmembran, welche von den Pseu- dopodien nur ausgestülpt und gedehnt, nicht durchbohrt wird. In den damaligen Anschauungen befangen, dass jeder Zelle nothwen- digerweise eine Membran zukomme, lässt er die Hülle des Cochliopo- dium in seinem Aufsatz eine grosse Rolle spielen, als einen der wichtigsten Beweise für die Einzelligkeit der Amöben. Die feine Streifung konnte der genannte Forscher trotz der sorgfältigen Un- tersuchung, für welche die übrigen Angaben ein beredtes Zeugniss ablegen, bei der Mangelhaftigkeit des Auflösungsvermögens der damaligen Mikroskope nicht erkennen. Unsere eigenen Beobachtungen stimmen in vielen Punkten mit der Schilderung Archer’s überein. Die Schale des Cochliopodium bildet auf dem optischen Durchschnitt eine doppelte Contour, welche, dem Körper überall anliegt, und mit wechselnder Deutlichkeit eine zu ihrer Oberfläche senkrechte Schraffirung erkennen lässt. Dieselbe besteht aus abwechselnd dunklen und hellen Linien. Die Flächen- ansicht lässt bei den stärksten Vergrösserungen nur eine Anzahl regelmässig angeordneter Punkte oder Flecken erkennen, zwischen denen dann ein hellglänzendes Netzwerk übrig bleibt. Bei der Kleinheit des Objectes liess sich die Figur der Flecke selbst bei Zeiss Imm. 3 Oc. II nicht erkennen. Da haarähnliche Fortsätze bei den von uns beobachteten Exemplaren fehlten, müssen die Flecken aus Structurverhältnissen der Schale erklärt werden. Es ist auffallend, wie sowohl das Durchschnittsbild als auch die Flächenansicht mit den Structurverhältnissen einer bei schwacher Vergrösserung betrachteten Arcellaschale übereinstimmt. Wie wir im Abschnitt über Arcella näher begründen werden, besteht die Schale derselben aus zwei Platten, von denen die eine dem Körper des Thieres zugekehrt, die andere demselben abgewandt ist. Beide sind durch einen mit Flüssigkeit gefüllten Zwischenraum von einander getrennt und werden durch dichtstehende senkrechte Septen mitein- ander verbunden, welche untereinander der Art zusammenhängen, dass sie ein bienenwabenähnliches Fachwerk bilden. Obwohl nun beim Cochliopodium die Feinheit der Structur selbst unter Anwen- 4 Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 69 dung der stärksten Objective eine sichere Erkenntniss der Art ihrer Zusammensetzung uns unmöglich erscheinen liess, so bestimmt uns doch der Umstand, dass die Arcellaschale bei schwachen Vergrösse- rungen vollkommen dasselbe Bild ergiebt, zu der Annahme, dass hier ein gleicher Bau, nur unendlich viel feiner als bei A. vulgaris, vorliegt. Wir haben somit beim Cochliopodium wahrscheinlich eine nach dem Typus der Arcellaschale gebaute Umhüllung vor uns, welche sich von dieser nur durch ihre Biegsamkeit, den Mangel einer be- stimmten Form und durch ihre grössere Feinheit unterscheidet. Die Substanz derselben muss eine beträchtliche Dehnbarkeit und Elasticität besitzen, denn die Hülle dehnt sich aus und zieht sich zusammen, je nach der Form, welche der Protoplasmakörper annimmt. Die Schale besitzt eine Oefinung mit bestimmter Lage vis-a-vis dem Zellkern. Von der Constanz derselben kann man sich aufs Einfachste durch Mittel, welche die Schale isoliren, z. B. Kalilauge, überzeugen. Bei Application derselben erweist sich die Schale, welche die Gestalt einer Glocke angenommen hat, stets nach einer Seite weit geöffnet. Ausser dieser Mündung, durch welche bei leben- den Exemplaren eine grössere Anzahl von Pseudopodien zum Vor- schein kommt, ist die Schale vollkommen solid und undurchdringlich. Wenn Archer angiebt, dass das Thier die Fähigkeit besitze, an beliebigen Stellen seine Pseudopodien heraustreten zu lassen, so glauben wir, dass er durch Bilder, welche scheinbar diese An- sicht stützen, in Wahrheit aber eine andere Deutung verlangen, sich hat verführen lassen. Wir selbst kennen diese Bilder, auf deren, wie uns scheint, richtigere Deutung wir in dem die Fortbewegungs- weise behandelnden Abschnitt genauer zurückkommen werden. 2. Der Protoplasmakörper. In dem feinkörnigen Pro- toplasma des Thierkörpers beschreibt Archer zweierlei verschiedene Einschlüsse: 1. elliptische grau oder grauröthliche Körper, 2. Chloro- phylikörner. Während die ersteren constant sind und ein oberfläch- liches Stratum bilden, sollen die letzteren öfters fehlen, wenn sie aber vorhanden sind, eine dichte Lage unter den blassen farblosen Körpern bilden. Bei allen von uns untersuchten Exemplaren fanden sich stets nur grössere und kleinere, runde und ovale, graugefärbte Körper, niemals Chlorophylikörner. Wenige grünliche Ballen, die wir in vielen Exemplaren fanden, erwiesen sich durch ihre schmutzige Farbe und unregelmässige Form als Nahrungsballen pflanzlichen Ursprungs. 70 R. Hertwig und E. Lesser: Die von Auerbach bei A. bilimbosa beschriebene Differenzi- rung des Körpers in eine homogene Rinden- und eine körnige Mark- substanz haben weder Archer noch wir bestätigen können, wie wir auch nie Stärkekörner in der Rindenschicht beobachtet haben. Endlich sei noch kurz erwähnt, dass im Protoplasma bei allen Cochliopodien sich Urystalle vorfinden, die sich nicht in Essigsäure lösen und dem rhombischen System angehören. Es sind dieselben kleinen dunkel contourirten Körperchen, denen wir bei sehr vielen Rhizopoden begegnen. Ausserdem umschliesst das Protoplasma noch zwei für die Or- ganisation äusserst wichtige Gebilde: 1. den Kern, 2. die Vacuolen. Den Nucleus beschreibt Archeralsein ovales, bläulichgraues Körperchen, das er mit einiger Geduld fast bei allen Individuen in der der Pseudopodienöffnung entgegengesetzten Körperhälfte hat sichtbar machen können. Eine besondere Umhüllung (a special wall) hat er an ihm vermisst. Genauer sind die Beobachtungen Auerbach’s, dessen Anga- ben wir vollkommen bestätigen können. Nach unseren Untersuchungen liegt der Kern als ein helles Bläschen in dem hinteren Ende des Thieres, entgegengesetzt der Pseudopodienöffnung, welche wir als vorderes Ende bezeichnen. Das Bläschen besitzt eine hier ganz besonders deutliche doppelt contourirte Hülle, die Kernmembran, welche ein gleiches Lichtbrechungsvermögen besitzt als der runde oder ovale im Centrum des Bläschens gelegene Nucleolus, und auch Reagentien gegenüber sich vollkommen wie dieser verhält. Die im lebenden Zustand bläuliche homogene Substanz beider wird in sehr verdünnter Essigsäure dunkler und körniger. Hierbei zerfällt die Kernhülle in Stückchen und Körner, so dass sie auf dem optischen Querschnitt als ein Ring aneinander geordneter Theilchen erscheint. In stärkeren Säuren quellen Nucleolus sowie Kernhülle und werden vollkommen durchsichtig. Den stark gequollenen und in Folge dessen unsichtbar gewordenen Kernkörper sowie die Hülle kann man durch Zusatz von essigsaurem Kali wieder sichtbar machen. Die Grösse des Kerns beträgt im Durchschnitt 0,008 mm., die des Kernkörpers 0,003 mm. | Ausser der Essigsäure haben wir uns auch des von Archer empfohlenen Beale’schen Carmins bedient, um die Kerne, die in vielen Fällen keiner besonderen Methode bedürfen um gesehen zu werden, auch bei ungünstigen Verhältnissen klar zu legen. Wir IN Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 71 können das Reagens für den Fall, wo es sich um den Nachweis des Kerns überhaupt handelt, aufs Wärmste empfehlen. Bei der Carmin- imbibition nimmt das Protoplasma eine mattröthliche Färbung an, während Kern und Kernkörper in einem prächtigen Rubinroth her- vorleuchten. Nur in seltenen Fällen kann man hierbei um das Kernkörperchen noch einen helleren Hof erkennen, wie es auch Archer erwähnt!), während meistens eine Unterscheidung des Kernkörpers im Kern nicht mehr möglich ist. Es scheint als ob der Nucleolus, während der Nucleus etwas schrumpft, im Beale’- schen Carmin aufquillt und die Blase des Nucleus vollkommen er- füllt. Um somit den Bau des Kerns zu studiren, sind die dünnen Essigsäurelösungen der Carminimbibition bedeutend vorzuziehen, welche ihrerseits wieder den Nachweis -des Kerns mehr erleichtert. Die Vacuolen schildert Auerbach bei der A. actinophora in anderer Weise, als bei A. bilimbosa. Die erstere besitzt nach ihm constant zwei dicht unter der Membran gelegene Behälter, welche sich rhythmisch contrahiren, ohne sich indessen nach aussen zu öffnen, die letztere eine grössere Anzahl aber nicht contractiler Flüssigkeitsräume, welche mehr nach dem Centrum des Körpers zu gelagert sind. Die Berechtigung der an das verschiedene Verhalten der Vacuolen anknüpfenden systematischen Unterscheidung in A. bilim- bosa und actinophora können wir unter Berücksichtigung unserer eigenen und der Archer’schen Beobachtungen nicht billigen. Bald ist das Körperparenchym von zahlreichen einfachen Vacuolen einge- nommen, so dass man fast von einer blasigen Structur reden könnte und daher die wenigen contractilen Blasen leicht übersieht; bald sind nur die letztern und dann stets in beschränkter Anzahl ent- wickelt. Im ersten Falle würde man nach Auerbach eine A. bilim- bosa, im letzteren eine A. actinophora vor sich haben. Wie Archer angiebt, treiben die contractilen, dicht unter der Körperoberfläche gelegenen Blasen, im Zustand der grössten Diastole die Hülle buckelförmig hervor. Eine Entleerung derselben nach aussen, welche Archer annimmt, ohne indessen Beobachtun- gen anführen zu können, müssen wir nach unserer Auffassung der Schale als unmöglich bezeichnen. 1) 1. ec. $S. A. pag. 12. »Sometimes a second rather sharp outline is apparent a little within the outer one; the former of which bounds a space more highly coloured than the border beyond it.« 72 R. Hertwig und E. Lesser: , Oo 3. Die Pseudopodien. Wir kommen jetzt zu einem der schwierigeren Punkte im Verständniss der Organisation des Cochlio- podium, zur Betrachtung der Fortbewegungsweise und der dieselbe vermittelnden Pseudopodien, deren Verhältniss zur Schale einer genaueren Besprechung bedarf. In Folge der grossen Dehnbarkeit und Elastieität der Schale entwickelt der Körper bei der Fortbewe- gung eine überraschende Formenmannichfaltigkeit, welche nach unse- ren Beobachtungen von Seiten Archer’s in verschiedenen Punkten eine unrichtige Deutung erfahren hat. Der Uebersichtlichkeit halber geben wir zuerst eine zusammenhängende Schilderung unserer Be- obachtungen und gehen dann erst auf eine Beurtheilung der Auer- bach’schen und Archer’schen Schilderungen ein. Keine Schwierigkeiten bei der Deutung macht das bei der Profilansicht entstehende Bild des Cochliopodium, wenn man den oralen und aboralen Pol, die Mündung und den Hintergrund der Schale gleichzeitig übersieht (Taf. I, Fig. 7A). Im Schalenhinter- grund erblickt man dann den Kern, in der Schalenmündung ein breites Büschel von stumpfen aus ihr heraustretenden Pseudopodien. Dieselben entspringen aus einer Ansammlung homogenen Protoplasmas, sind selbst vollkommen hyalin und besitzen viel Aehnlichkeit mit den Pseudopodien einer Amoeba radiosa. Dünn und schlank, an der Spitze abgestumpft, erreichen sie ungefähr eine gleiche Länge wie der Thierkörper. Gabelige Theilungen kommen sehr selten vor und wiederholen sich nie mehrfach an demselben Pseudopodium; Ana- stomosen der Körperfortsätze wurden wie bei A. radiosa nicht beobachtet. Die Gestalt der Schale ist sackartig oder unregelmässig glocken- förmig, indem der Rand der Mündung wie bei einer Glocke leicht nach aussen umgebogen ist. Ausser den aus der Schalenöffnung her- vortretenden Pseudopodien sind bei derartig rein seitlich gesehenen Individuen keine andern etwa die Schale an beliebiger Stelle durch- bohrenden Fortsätze nachweisbar. So leicht verständliche Bilder, wie sie reine Seitenansichten geben, sind indessen verhältnissmässig selten zu beobachten ; meistens erblickt man das Cochliopodium mehr von der Fläche und erscheint dasselbe dann unter Formen, deren richtige Beurtheilung nur durch eine fortgesetzte Beobachtung gewonnen werden kann. — Als wir zum ersten Male den Rhizopoden beobachteten, bildete er eine ovale ohne Pseudopodien über den Objectträger hingleitende Scheibe. Da eine Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 73 homogene Aussenzone eine körnige centrale Partie umschloss, ohne sich von ihr durch einen scharfen Saum abzusetzen (Fig. 7 C), glaubten wir eine neue farblose Species von Hyalodiscus vor uns zu haben, wie ja auch Fig.7 C nur durch den Mangel der Farbe in den cen- tralen Partieen sich von dem Bild des Hyalodiscus unterscheidet. Von der Unrichtigkeit dieser Auffassung überzeugte uns jedoch bald die Beobachtung, dass die äussere Zone von der innern häufig durch eine deutliche doppelte Contour sich absetzte. Bei näherer Prüfung liess dieselbe eine zu ihrer Oberfläche senkrecht gestellte Streifung erkennen (Fig. 7 B). Weiterhin erwies sich die Aussenzone bei Betrachtug mit starken Objeetiven unter Anwendung von schiefem Licht oder kleinen Dia- phragmen als zart getüpfelt. Man bemerkte feine, in schrägen Reihen angeordnete, je näch der Einstellung hell oder dunkel erscheinende Punkte (Fig. 7 C‘), oder wenn diese Zeichnung undeut- licher wurde, radienartige Streifen, indem dann je nach dem Einfall des Lichts das eine oder andere der sich kreuzenden und die zarte Punktirung bedingenden Liniensysteme verschwand. Es lag nahe nach der Analogie der von der Fläche ebenfalls punktirt aussehen- den, auf dem Querschnitt von zarten Linien durchsetzten Arcella- schale die feine Punktirung mit dem schraffirten Saume in Verbindung zu bringen und den letzteren als den optischen Querschnitt, die Punktirung als die Flächenansicht einer fein gezeichneten Schale an- zusehen, eine Vermuthung, welche bei Isolation der Schale durch Natronlauge, sowie durch die seitliche Ansicht eines solchen Cochlio- podium weiterhin bestätigt wurde. Bei der fortgesetzten Beobachtung ergab sich nun, dass die Fortbewegung nicht in der bei dem Hyalodiscus geschilderten Art und Weise, sondern durch Vermittelung von Pseudopodien sich voll- zog. An dem Rande des getüpfelten Hofes erschienen bald Kleine Fortsätze, bald lange Pseudopodien, deren beständiger Wechsel das Individuum vorwärtszog, da sie immer an dem vorangehenden Theil des Körpers erschienen (Fig. 7 B). Die bei einer Flächenansicht des Cochliopodium erhaltenen und im Vorhergehenden geschilderten Bilder müssen in folgender Weise auf die in Fig. 7A abgebildete Seitenansicht zurückgeführt werden. Man denke sich ein Cochliopodium in die Stellung, welche meistens Rhizopoden mit einmündiger Schale einnehmen, dass näm- lich die Längsaxe des Thieres in der Verlängerung der Tubusaxe 74 R. Hertwig und E. Lesser: liegt und die Pseudopodienöffnung auf dem Objectträger ruht, so würde man die bei Monothalamien häufig zu beobachtende Form bekommen, einen mehr oder minder rundlichen Körper umgeben von einer doppelt contourirten Schale, von dem allseitig die coni- schen Pseudopodien entspringen. Weitet sich jetzt die Mündung der Schale beträchtlich aus, was bei der Dehnbarkeit der letzteren sehr leicht begreiflich ist und nimmt die Auswärtskehrung des Randes, welche in Fig. 7A nur leicht angedeutet ist, zu (vergl. den neben- stehenden Holzschnitt 1.), so muss um den Körper ausserhalb der doppelten Contour seiner Schale K frag 5 noch ein heller Saum sich bilden, bedingt durch den die Pseudopo- B- Lan dienöffnung umgebenden nach aus- a wärts gekrämpten Schalentheil. Wir erhalten einen hellen Hof, welcher die Structur der von der Fläche gesehenen Schale besitzt und innerhalb desselben einen von doppelten Contouren umzogenen Körper, dessen Umgrenzung am deutlichsten erscheint, wenn man etwas höher als auf den hellen Hof einstellt. Ist die Auswärtswen- dung der Schalenmündung vorwiegend einseitig ausgefallen (cfr. Holzschnitt 2), so erhalten wir das Bild der Fig.7 B, an welcher der helle Hof nur auf einer Seite sichtbar geworden ist. Die dop- pelte Contour, welche den hellen Hof vom granulirten Körper trennt, kann natürlich nur so lange sichtbar bleiben, als der Körper einen stark prominenten Buckel bildet. Nimmt daher die Ausbreitung oder das Auseinanderfliessen des Körpers noch weiter zu, so dass letzterer nur eine Scheibe bildet, so verschwindet die doppelte Oontour, da der optische Durchschnitt die Schale nirgends senkrecht zu ihrer Oberfläche trifft, und es präsentirt sich das Cochliopodium als eine Scheibe, deren körnige centrale Partieen ohne scharfe Grenze in den homogenen Hof übergehen (Fig. 7 C). Wenn in Fig 7 C nirgends Pseudopodien sichtbar sind, so kömmt dies daher, dass sie wegen ihrer Homogenität unter dem Dach, wel- ches der umgekrämpte Theil der Schale über ihnen bildet, nicht gesehen werden können, so lange sie kurz sind und nicht stellenweise durch bedeutendere Länge den Schalenrand überragen. So entsteht der Anschein, als ob der Organismus sich ohne Pseudopodien vor- wärts bewegt. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 75 Die hier gegebene Ableitung der Formveränderungen des Cochliopodium stimmt im Ganzen mit der Darstellung Auerbach’s überein (efr. A. actinophora), deren wesentlichste Punkte folgende sind: Der hyaline Hof des Cochliopodium entsteht durch eine Aus- breitung seines Körpers. Indem die Pseudopodien von der Basis aus verschmelzen, »drängt ein Sarkodehof auf Kosten der Grösse des ursprünglichen Thierkörpers sich hervor«. Letzterer bildet an- fänglich noch einen Buckel in der Mitte des »scheibenförmigen Fusses«, später flacht sich auch dieser ab und »das Thier bekömmt die Ge- stalt eines Fladens, welcher mit seiner ganzen untern Fläche der Glastafel anhaftet«. Gegen die Auerbach’sche Schilderung ist nur das einzuwenden, dass er, wie schon erwähnt, die Schale als Membran deutet, dass er das Verschwinden der doppelten Gontour aus einer Dehnung der Membran ableitet und dass er auch das flächenhaft ausgebreitete Cochliopodium für allseitig von derselben umschlossen ansieht, Mit der Erklärung, welche Archer für den hellen Hof gege- ben hat, können wir uns in keiner Weise einverstanden erklären. Nachdem der englische Forscher vortrefflich das Kommen und Vergehen desselben und die Lebhaftigkeit des dabei stattfindenden Gestaltenwechsels beschrieben hat, bezeichnet er ihn als einen sehr durchsichtigen Protoplasmahof („a halo of a very pellucid sarkode matter“). Ob die Sarkode, welche er für ausserhalb des Mantels gelagert hält, aus der inneren Sarkode abstammt und nur durch die Canälchen der Schale herausgetreten ist, oder ob eine Lage derselben beständig ausserhalb der Schale existirt, für gewöhnlich sich aber wegen ihrer Durchsichtigkeit nicht nachweisen lässt, darüber giebt Archer kein definitives Urtheil ab, obwohl er sich der letzteren Ansicht zuzuneigen scheint. Unsere Auseinandersetzungen werden gezeigt haben, dass beide Deutungen unhaltbar sind. Uebrigens hat Archer die radiäre Streifung ebenfalls gesehen und bespricht auch das fleckige Aussehen des Hofes („of a dotted or somewhat shaky appearance.“). Ein weiterer Punkt, in dem wir zu abweichenden Anschauungen gekommen sind, betrifft die bereits oben citirte Angabe Archer’s, dass Pseudopodien ausser der Schalenmündung noch an andern Stellen der Körperoberfläche hervortreten können. Wie erwähnt haben wir nie an reinen Profilansichten das Hervortreten von Körper- fortsätzen durch für gewöhnlich nicht sichtbare Oeffnungen der Schale 76 R. Hertwig und E. Lesser: gesehen; dagegen geben Halbprofilansichten oder von oben betrach- tete Exemplare Bilder, welche für ein solches Durchbohrt werden der Schale durch Pseudopodien geltend gemacht werden könnten. Wir müssen indessen hier auf einen Umstand aufmerksam machen, welcher leicht zu einer Fehlerquelle bei der Beobachtung werden kann. Ist die Pseudopodienöffnung nach abwärts gekehrt und von dem darüber liegenden Körper bedeckt, so können leicht am Rand hervortretende Pseudopodien den Anschein erwecken, als durchbohr- ten sie hier die Schale. Ganz besonders ist dieser Irrthum nahe- gelegt, wenn auf einer Seite ein grösseres Bündel Pseudopodien liegt, während auf der entgegengesetzten nur einzelne wenige entspringen. Dann kann man leicht die Flächenansicht für ein Profilbild halten und das Ende, an dem die vereinzelten Pseudopodien entspringen, als den Schalenhintergrund deuten. Die centrale Lage des Kerns, welcher bei der Profilansicht des Cochliopodium stets in dem hinteren Ende sich findet, ist in solchen zweifelhaften Fällen ein untrüglicher Beweis, dass die Schalenmündung nach ab- wärts der Oberfläche des Objectträgers zugekehrt liegt, und dass aus ihr gemeinsam sowohl das Pseudopodienbündel, als auch die ein- zelnen Pseudopodien entspringen. Nach unserer Schilderung besitzt demnach, um in kurzen Zügen das Gesagte zu wiederholen, das Cochliopodium folgenden Bau. Ein kernführender Protoplasmakörper wird von einer vollkommen farb- losen, sich dicht anschmiegenden Schale eingehüllt, welche in ihrer Structur an die Arcellen erinnert und einen hohen Grad von Dehn- barkeit und Elastieität besitzt. Die einzige Oeffnung der Schale, welche entsprechend der Dehnbarkeit derselben ‚bald zusammenge- zogen, bald ausgeweitet werden kann, hat eine constante Lagebe- ziehung zum Kern, welcher ihr möglichst entfernt im Schalenhinter- grund lagert. Insoweit man überhaupt bei der grossen Inconstanz der Form davon sprechen kann, wird durch dieses Verhältniss des Kerns zur Schalenöffnung eine feste Linie gegeben, welche man berechtigt ist als Andeutung einer Längsaxe anzusehen. Contractile die Schale nach aussen buckelig hervortreibende Blasen kommen neben einfachen, häufig sehr zahlreichen Vacuolen vor. Die Pseudo- podien sind conisch und hyalin, meist von gleicher Länge wie der Thierkörper. Bei der Fortbewegung gleitet die Pseudopodienöffnung über den Objectträger. Indem dieselbe hierbei gedehnt wird und der Körper sich in die Fläche ausbreitet, kömmt ein grosser Theil Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 77 des Protoplasma mit der Unterlage in Berührung und bildet, während die Pseudopodien verhältnissmässig kurz werden, eine Sohle, auf der der Organismus sich vorwärts bewegt. Da dieser Fortbewegungsmodus sich mit dem einer Schnecke vergleichen lässt, erklärt sich der von uns gewählte Ausdruck »Schneckenfuss, Cochliopodium«. Mit den Amphizonellen hat unser Cochliopodium, wie wir oben schon erwähnt haben und jetzt kurz durchzuführen gedenken, nichts gemeinsam. Während es eine undurchdringliche fein structurirte, mit einer Oeffnung versehene Schale besitzt, werden die Amphizo- nellen von einer anscheinend weichen und plastischen Hülle allseitig umgeben, welche den conischen Pseudopodien an jeder beliebigen Stelle durchzutreten erlaubt. Eine für den Durchtritt der Pseudopodien be- stimmte grössere und constant vorhandene Oeffnung fehlt ihren Hüllen. Dagegen sind durch die Entwicklung einer bestimmten Oeff- nung, durch die Andeutung einer Längsaxe, deren eines Ende die Oefinung, deren anderes Ende der Kern einnimmt, durch die Haltung bei der Fortbewegung offenbar Anknüpfungspunkte an die Mono- thalamien gegeben. Unter diesen würden wiederum die engsten Bezieh- ungen zu den Arcellen in dem Bau der Schale vorliegen; vielleicht dass ein fortgesetztes Studium der Schale sogar eine Vereinigung der Cochliopodien mit den Arcellen ermöglichen wird. Einstweilen ist es jedoch gerathener, die Organismen selbstständig zu behan- deln und sie von den Monothalamien wegen der grossen Inconstanz ihrer Körperform abzusondern. Ausser dem Cochliopodium pellucidum scheint, nach Archer’s Schilderung zu urtheilen, noch ein C. pilosum unterschieden werden zu müssen. Während unsere Formen alle ohne Ausnahme eine glatte Oberfläche besassen, war bei einem Theil der von Archer beobachteten Individuen die Oberfläche von einem »dichten Ueberzug von mehr oder weniger langen, äusserst feinen haarähnlichen Fort- sätzen« bedeckt. Das C. pilosum scheint vor dem C. pellueidum ausserdem noch den Besitz der Chlorophylikörner voraus zu haben. Zum Schluss geben wir eine kurze systematische Diagnose des Genus und der beiden von uns aufgestellten Species. Cochliopodium. nov. gen. Schale biegsam von Arcellastructur, mit einer constanten, sehr dehnbaren FPseudopodienöffnung ; Protoplasmakörper von variabler 78 R. Hertwig und E. Lesser: Gestalt; Kern einfach, im Hintergrund der Schale gelegen; Vacuolen häufig in grösserer Anzahl; contractile Blasen zu zwei oder mehr dicht unter der Schale gelagert. FPseudopodien körnchenfrei, selten verästelt, conisch, in einem Bündel aus der Pseudopodienöffnung hervortretend. C. pellucidum. Schale glatt, Körper farblos. C. pilosum. Schale mit einem Ueberzug von haarähnlichen Fortsätzen; Kör- per mit Ohlorophylikörnern gefüllt. Anhang. Im Anschluss an das Cochliopodium geben wir noch eine kurze Schilderung einiger Organismen, welche wir vor Kenntniss desselben beobachtet haben. Dieselben bildeten unregel- mässig rundliche, bald bräunlich gelbe, bald farblose Körper, und waren durchgängig bedeutend (wohl um die Hälfte) kleiner als die meisten Exemplare des Cochliopodium. Sie erschienen uns all- seitig von einer Hülle umschlossen, welche dieselbe Structur wie die Schale des Cochliopodium besass und wie diese dem Körper unmittelbar auflag. Die spitzen häufiger verästelten Pseudopodien durchbohrten die Schale, welche keine bestimmte Pseudopodienöffnung besass (Fig. 8A). Häufig verschwand die doppelte Contour der Schale und der Körper nahm ein fleckiges getüpfeltes Aussehen an, ohne dass hierbei ein heller Hof entstanden wäre (Fig. 8B). Da wir damals das Cochliopodium noch nicht kannten, vermögen wir nicht zu entscheiden, ob wir in den geschilderten, nur vorübergehend beobachteten Formen Jugendzustände des Cochliopodium oder eine selbstständige Species vor uns haben. Für letztere Annahme spricht die gelbliche Farbe der Schale, welche wir bei echten Cochliopodien nie beobachtet haben. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 79 II. Theil. Monothalamia. Unter dem Namen Monothalamien begreifen wir eine An- zahl aus undifferenzirter Sarkode bestehender Organismen, welche in der Bildung ihrer Schale und in der Orientirung ihres Körpers nach bestimmten Axen so viele übereinstimmende Merkmale besitzen, dass wir nicht anstehen, sie für eine verwandte, von gemeinschaftlichen Urformen abstammende Gruppe zu erklären. Bevor wir die Cha- raktere, welche uns zur Vereinigung bestimmen, einer Besprechung unterziehen, geben wir einen kurzen Ueberblick über die Classi- ficationsversuche früherer Forscher, in so weit sie die hier zu bespre- chende Gruppe berühren, um unseren Standpunkt den früheren systematischen Charakteristiken gegenüber zu bezeichnen. Wir beginnen hierbei mit Dujardin, als dem ersten, welcher eine wissenschaftliche Betrachtung der niedersten Organismen mit Erfolg begonnen hat. In der »Histoire naturelle des Infusoires« entwickelte derselbe zum ersten Male die für die Beurtheilung der Rhizopoden noch heute gültigen Gesichtspunkte, deren weitere Aus- bildung und Klärung für unsere modernen Auffassungen von Orga- nisation von der weittragendsten Bedeutung geworden sind. Du- Jardin fasste den damals bekannten Theil unserer Monothalamien, die Arcellen, Difflugien, Euglyphen und Trinemen im Verein mit einer Anzahl von Foraminiferen (Miliola, Vorticialis, Cristellaria) zu einer Gruppe zusammen und bezeichnete dieselben mit dem damals zum ersten Male von ihm in die Wissenschaft eingeführten Namen »Rhi- zopoden.« In seiner systematischen Uebersicht führte er sie als zweite Familie seiner zweiten Infusorienordnung der »Infusoires pourvus d’expansions variables« auf, somit als Infusorien, welche sich mit wechselnden Fortsätzen ihrer aus Sarkode bestehenden Leibessubstanz fortbewegen. Hierbei verstand Dujardin unter dem Namen »Infusorien« nicht allein die Ciliaten, wie man es heute zu thun pflegt, sondern überhaupt alle niedrigst organisirten Be- wohner der Infusionen, welche nach seiner Meinung allein aus Sar- 80 R. Hertwig und E. Lesser: kode bestehen und deren Lebenserscheinungen ohne die Vermittlung bestimmter Organe zu Stande kommen. Als zwei weitere Familien in dieser Ordnung bezeichnete der französische Forscher die Amöben und Actinophryen. Von den Amöben unterschied er die Rhizo- poden durch den Besitz der Schale, wesshalb er sie auch kurzweg als Amöben, die mit einer Schale bekleidet sind, definirt (des Ami- biens rev6tus d’une enveloppe membraneuse r£sistante, ou d’une coquille reguliere). Von den Actinophryen unterschied er sie ausser- dem noch durch den lebhaften Formenwechsel ihrer Pseudopodien. _ Nach den Charakteren der Pseudopodien theilte er die Rhizopoden in zwei Unterabtheilungen ein, in Rhizopoden mit lappigen Fort- sätzen, die Arcellen und Difflugien, und in solche mit spitzen und verästelten Pseudopodien, die Trinemen, Euglyphen und einige un- serer heutigen Foraminiferen. M. Schultze dehnte den Begriff der Rhizopoden auf die ganze zweite Infusorienordnung Dujardin’s aus. Die Rhizopoden im Sinne Dujardin’s nannte er wegen des Besitzes der Schale R. testacea und stellte ihnen die Amöben und Actinophryen als R. nuda gegenüber. Die Begrenzung der Gruppe wurde im Uebrigen im gleichen Sinne beibehalten, wenn wir davon absehen, dass eine Anzahl anderer von Schultze aufgefundener Formen den Kreis erweiterte. Während aber Dujardin zur weiteren Einthei- lung die Weichtheile benutzte, ging M. Schultze von der Betrach- tung der Schale aus, indem er glaubte, dass man bei dem Mangel einer Differenzirung bestimmter OÖrgangruppen »aus der Anatomie der Thiere nicht die Gesichtspunkte zu einer natürlichen Systematik erwarten dürfe«. Im Anschluss an Ehrenberg und vor Allem d’Orbigny, welche ihr System auf die Form und den Bau der Schale begründet hatten, theilt Schultze die R. testacea in ein- und vielkammerige, Monothalamia und Polythalamia ein. Der Begriff der Monothalamien wurde hierbei in einem weiteren Sinne, als wir denselben fassen werden, benutzt, indem Schultze bei einseitiger Betonung der Schalenverhältnisse viele Formen zu den einkammerigen stellte, welche wir des Baues des Weichkörpers halber abtrennen. Die von Dujardin als Rhizopoden schlechthin, von Schultze als R. testacea bezeichneten Organismen sind in der Neuzeit auf 1) Ueber den Organismus der Polythalamien. Leipzig 1854. el a m ul u Zn na U UULUELL_ en . Ueber Rhizopoden und denselben nabestehende Organismen. 81 Grund eingehender Studien ihres Baues in zwei Gruppen getrennt worden. Im Körper von einem grossen Theile der Monothalamien wiesen die Untersuchungen Carter’s, Claparede’s, Auerbach’s u. A. in gleicher Weise wie bei den Amöben ein bis mehrere Nuclei und eine grössere Anzahl contractiler Blasen nach. Da die letzeren mit grosser Constanz in der Ölasse der Ciliaten und Acineten (den Infusorien im engeren modernen Sinne) wiederkehren, glaubte man in ihnen wichtige von den Rhizopoden zu den Infusorien überlei- tende systematische Charaktere erblicken und von diesem Gesichts- punkt aus eine Reform der systematischen Anschauungen vornehmen zu müssen. Eine Reform war ohnedies durch die Entdeckung zahl- reicher den Schultze’schen Rhizopoden zugehöriger Formen, na- mentlich aber durch die von Joh. Müller und Häckel gewon- nene Erkenntniss der Organisation der Radiolarien nöthig geworden. Alle Polythalamien und einen Theil der Monothalamien, welche stets der contractilen Blasen und nach den bisherigen Unter- suchungen zum grössten Theil auch der Kerne entbehren, bezeich- nete man mit dem früher schon für die Polythalamien gebräuch- lichen Namen Foraminiferen. Der mit Kernen und contractilen Blasen versehene Rest der Monothalamien wurde mit den Amöben zu einer Classe zusammengestellt. Dieselbe bezeichnete Häckel als Amöbinen oder als Protoplasten und theilte sie je nach dem Besitz oder dem Mangel einer Schale in die beiden Unter- abtheilungen der Lepamöben (Arcella, Difllugia etc.) und Gym- namöben (Autamoeba Haeck.; Podostoma, Petalopus Clapar.)). Zu den Amöben und Lepamöben fügt Claus in seinem Lehr- buch der Zoologie unter Beibehaltung einer früher von Joh. Müller vorgeschlagenen und auch von Häckel in seiner Monographie der Radiolarien noch vertretenen Eintheilung weiterhin die Heliozoen, welche ebenfalls durch den Besitz von contractilen Blasen sich aus- zeichnen (Actinophrys, Actinosphaerium, Clathrulina etec.). Den ver- einten Amöbinen und Heliozoen giebt er den seiner Zeit von Häckel vorgeschlagenen Namen Rhizopoda Sphygmica, Rhizopoden mit rhythmisch sich eontrahirender Blase und erblickt in ihnen in glei- cher Weise, wie schon Joh. Müller, zu den Infusorien überlei- tende Formen’). 1) Häckel: Generelle Morphologie. Bd. II. 2) Joh. Müller nannte wegen der Beziehungen zu den Infusorien die R. Sphygmica Infusoria Rhizopoda. M, Schultze Archiv f, mikrosk, Anatomie, Bd. 10, Supplementhett, 6 82 R. Hertwig und E. Lesser: Da die hier kurz berührten neueren systematischen Einthei- lungen einzig und allein auf den Besitz oder den Mangel der contractilen Blasen hin begründet sind, so hängt auch ihre Berechtigung allein vom Entscheid der Frage ab, in wie fern die contractilen Blasen als wichtige in grösseren Gruppen mit Constanz auftretende Charaktere anzusehen sind. In dem Protoplasma fast aller niederen Organismen kommen nun einfache Vacuolen in weitester Verbreitung und regelloser Zahl und Lagerung vor. Dieselben unterscheiden sich von den contractilen Behältern in Nichts durch ihren Bau, da die Idee, dass die letzteren specielle contractile Hüllen besässen, den objectiven Beobachtungen gegenüber sich als unhaltbar erwiesen hat. Sie unterscheiden sich nur durch den Mangel der rhythmischen Contractionsfähigkeit und der constanten Lagerung. Sind diese Unterschiede so wichtiger Art, dass man auf sie grosse systematische Gruppen begründen kann, oder sind sie durch allmähliche Uebergänge vermittelt? Die Beantwortung dieser Frage haben wir schon im voran- gehenden Aufsatz gegeben. Wir haben daselbst Gelegenheit genom- men, an dem Beispiel der Mikrogromia socialis durchzuführen, dass in der That Uebergangsformen zwischen einfachen und contractilen Vacuolen existiren, dass somit Dujardin und Häckel mit Recht einen prinzipiellen Unterschied zwischen beiden in Abrede stellen. Der specielle Theil unserer Monothalamien wird weitere Belege für diese Ideen geben. Wer daselbst sieht, wie in der Reihe unserer ohne Rücksicht auf die Contractilität der Vacuolen angeordneten Monothalamien von einander nahe stehenden und im Bau der Schale des Protoplasmakörpers und der Pseudopodien übereinstimmenden Formen die einen contraciile Blasen besitzen (z. B. Mikrogromia), die anderen derselben entbehren (z. B. Lecythium hyalinum), wer fer- ner schon in Verlegenheit gekommen ist, im concreten Falle, wenn das Pulsiren mehr ein allmähliches Kommen und Verschwinden ist, zu entscheiden: haben wir hier eine contractile Blase vor uns oder eine einfache Vacuole, der wird mit uns dieHäckel-Dujar din’sche Ansicht theilen und uns beipflichten, wenn wir den systematischen Werth der contractilen Vacuolen sehr gering anschlagen und die auf dieselben sich gründenden Eintheilungen für künstliche und unnatürliche erklären. | Streichen wir die contractile Blase aus der Reihe der syste- matisch wichtigen Charaktere, so fällt die Gruppe der Rhizopoda Sphygmica sofort auseinander. Denn was haben die Heliozoen mit Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 83 den Arcellen gemeinsam, was diese mit den Amphizonellen und den Amöben, z. B. dem Dactylosphaerium, ausser Charakteren von solcher Allgemeinheit, wie sie fast allen niederen Organismen zukommen. In gleicher Weise wird die Abgrenzung der Foraminiferen gegen- über den Amöbinen, namentlich den Lepamöben in Frage gestellt. Wie sehr hier die contractile Blase vielfach den einzigen Ent- scheid für die Unterordnung einer Art unter die eine oder die andere Classe abgab, dafür möchten wir hier als ein interessantes Beispiel die von Schultze!) beobachtete Lagynis baltica auf- führen. Dieselbe ist mit der als Cyphoderia von Carter?) beschrie- benen Monothalamie identisch, wie die Beschreibung Schultze’s es aufs deutlichste erkennen lässt und wie wir aus Schultze's Munde bei Gelegenheit der Beobachtung einer Cyphoderia erfahren haben. Die Cyphoderia stimmt nun im Körperbau mit den Euglyphen so vollkommen überein, dass Carter ihr nach Analogie mit den letzteren contractile Blasen, ohne sie beobachtet zu haben, zuschrieb, und zwar, wie wir im speciellen Theil sehen werden, mit Recht. Gleichwohl hat Niemand Bedenken getragen, die Lagynis bei den Foraminiferen zu belassen, als man die Trinemen und Euelyphen von ihnen als R. Sphygmica abtrennte, aus dem einzigen Grunde, weil Schultze keine contractilen Blasen bei ihr beschrieben hatte. Es kann somit nicht länger zweifelhaft sein, dass die unnatür- liche Eintheilung der Rhizopoden in Radiolaria, Foraminifera und Sphygmica (Claus) aufgegeben werden muss und dass, da die Radio- larien als wohl charakterisirte Classe ausscheiden, in dem in seiner Gesammtheit unseren Sarkodinen entsprechenden Rest auf dem von uns bezeichneten Wege neue blutsverwandte Gruppen zu errichten sind. Als eine solche werden die Foraminiferen restituirt werden müssen, indessen mit einer neuen, unseren fortgeschrittenen An- schauungen entsprechenderen, auf neuen Beobachtungen fussenden Definition und, was wir besonders hervorheben, einer neuen Um- grenzung der hingehörigen Species. Als eine solche verwandte Gruppe werden wir ferner unsere Monothalamien begründen, zu deren allgemeiner Charakteristik wir uns nunmehr wenden. Wir fassen zunächst die Grundform der Monothalamien ins „l) Org. der Polyth. pag. 56. Taf. I Fig. 7. u. 8. 2) Ann. and Mag. of nat. hist. III. Vol. 13. pag. 34. Taf. II. Fig. 18. 84 R. Hertwig und E. Lesser: Auge. Dieselbe ist durch die Entwicklung einer nur selten in ge- ringem Grade biegsamen, meist festen und soliden einkammerigen Schale in der Weise bestimmt, dass man mindestens eine Axe im Körper unterscheiden kann. An einem oder an beiden Enden dieser Axe öffnet sich die Schale zum Durchtritt der Pseudopodien mit ein oder zwei feststehenden Mündungen. Die hierdurch bestimmte Axe bezeichnen wir als Haupt- oder Längsaxe. — Die weiteren Axen, welche man in einer zur Hauptaxe senkrechten Ebene ziehen kann, sind entweder kleiner oder grösser als diese, ferner sind sie entweder untereinander gleich oder man kann ‚eine grösste und kleinste unter ihnen unterscheiden. Sind sie gleich, so bildet die Schale, von einem Ende ihrer Längsaxe aus betrachtet, einen Kreis; wir haben eine einfache monaxone (Häckel) Grundform vor uns; sind sie ungleich, so wird die monaxone Grundform bilateral symmetrisch. In der monaxonen Gestalt, aus der die bilaterale Symmetrie als eine secundäre, durch weitergehende Differenzirung entstandene Form abzuleiten ist, und in dem bestimmten Lageverhältniss der Schalenöffnung zur Schalenaxe sind charakteristische Unterscheidungs- merkmale gegenüber den homaxonen (Häckel) Heliozoen gegeben. Bei diesen kann man, wie in einer Kugel beliebige einander gleich- werthige Axen legen; ihre Schale hat entweder gar keine präfor- mirte Oeffnungen, oder dieselben sind zahlreich vorhanden und ohne jede mathematische Regelmässigkeit gelagert. DieSchale, welche die Körperform der Monothalamien bestimmt, ist entweder ein reines Secretionsproduct des Organismus, oder es werden zu ihrem Aufbau Fremdkörper, Diatomeenschalen, Kiesel- stückchen ete., verwandt, welche dann durch einen bräunlichen oder schwarzen Kitt mit einander verbunden werden. In den Fällen, wo sie ein reines Secret des Körpers darstellt, ist sie entweder glatt oder durch verschiedenartige, häufig recht zierliche Structur aus- gezeichnet. Die bei der Besprechung der Grundform schon erwähnten Oeffnungen der Schale vermitteln den Verkehr des in der Schale enthaltenen Protoplasmakörpers mit der Aussenwelt, indem sie die der Nahrungsaufnahme und der Fortbewegung dienenden Pseudo- podien durchtreten lassen. Sind zwei Schalenöffnungen vorhanden, so sind die beiden Enden der Hauptaxe einander gleichwerthig (Ha- plopola Häckel); ist nur eine entwickelt, so kann man ein orales Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 85 (vorderes) durch die Mündung bezeichnetes von einem aboralen (hin- teren) geschlossenen Schalenende unterscheiden (Diplopola). Letzeres ist meist bauchig aufgetrieben. — Nach dem Vorhandensein von ein oder zwei Schalenmündungen theilen wir die Monothalamien in M. Monostomata und Amphistomata ein. Am Weichkörper, welcher den Differenzirungsgrad einer ein- fachen Zelle nicht überschreitet, kann man in den meisten Fällen einen aus körnigem Protoplasma bestehenden von einem homogenen Theil unterscheiden. Bei den Monothalamien mit einmündiger Schale bildet der homogene Theil fast stets den hinteren im Schalengrund gelegenen Abschnitt und umschliesst den Kern. Im vorderen kör- nigen Körpertheil oder an der Grenze des körnigen und homogenen Protoplasma liegen stets mehrere Vacuolen. Bei den meisten Mono- thalamien müssen wir dieselben als contractile Behälter bezeichnen, da sie eine constante Lagerung einnehmen, sich rhythmisch contrahiren und häufig sogar in einer, wie es scheint, bei der Species constanten Anzahl gefunden werden. Einen Kern haben wir bei keiner von uns untersuchten Species vermisst, mit Ausnahme der Pleurophrys, bei welcher die Undurch- sichtigkeit des Gehäuses den Nachweis verhinderte. Er besitzt die bekannte Gestalt einer hellen Blase, welche fast stets in ihrem Innern einen mattbläulichen Körper, den Nucleolus, birgt. Bezüg- lich seiner Lage ist zu erwähnen, dass er die von der Schalen- mündung entferntesten Partieen des Körpers einnimmt. Bei den Monostomata mit einem Kern liegt er stets im Schalenhintergrund, bei den Amphistomata hält er die Mitte zwischen beiden Schalen- öffnungen. Bei den vielkernigen Arcellen liegen die Nuclei in den Randpartieen des scheibenförmigen Protoplasmakörpers. Wo der Kern einfach ist, liegt er stets in der Schalenaxe. Genauere Schil- derungen seines Baues müssen wir den Einzelbeschreibungen vor- behalten. Die behufs der Locomotion durch die Schalenöffnung heraus- tretenden Fortsätze der Leibessubstanz, die Pseudopodien, sindin der ganzen Gruppe sehr vielgestaltig.. Wenn man die beiden Ex- treme berücksichtigt, so hat man einerseits eylindrische, stumpfe, unverästelte und nicht verschmelzende, körnchenlose Pseudopodien, andererseits zarte, spitz endende Fäden, welche sich vielfach verästeln und mit ‚benachbarten confluiren, sowie mit einer regen Körnchen- strömung und lebhaften Contractilität begabt sind. Zwischen diesen 86 R. Hertwig und E. Lesser: Extremen gibt es jedoch vielfache Zwischenstufen, indem die ein- zelnen Charaktere in mannichfachster Weise combinirt werden. So können die stumpfen Pseudopodien Körnchen in ihr Inneres auf- nehmen und verschmelzen, die spitzen hinwiederum körnchenfrei und ohne Verästelungen und ohne Anastomosen auftreten. Wie wir in der Einzelbeschreibung zeigen werden, können sogar die Fort- sätze desselben Thieres unter einem vielgestaltigen Bilde erscheinen. Gleichwohl kann man im Grossen und Ganzen zwei Arten Pseudo- podien, spitze und stumpfe, unterscheiden und darnach die Mono- thalamien eintheilen in Rhizopoda und Lobosa, wenn man sich dabei bewusst bleibt, dass die hierdurch ausgedrückten Unter- schiede keine schroffen und unvermittelten sind. Bei der Fortbewegung nimmt mit grosser Constanz der Körper eine bestimmte Lagerung zur Unterlage, auf der er sich fortbewegt, ein. Die Monothalamien gleiten über die Oberfläche hin mit nach abwärts gekehrter Pseudopodienöffnung. Bildet die Pseudo- podienöffnung mit der Längsaxe einen rechten Winkel, so steht die Körperaxe auf der Unterlage senkrecht, das Thier erscheint als ein Kreis, von dem nach allen Richtungen die Pseudopodien aus- strahlen, wenn sie nicht, wie bei Arcella, durch den breiten Körper verdeckt werden. Ist dagegen die Ebene der Pseudopodienöffnung schräg zur Körperaxe gestellt, so nimmt auch die Monothalamie eine mehr oder minder geneigte Stellung ein. Bei den Amphi- stomata wechseln die Enden, auf denen der Organismus sich fort- bewegt, ganz nach Belieben. Bezüglich der Fortpflanzungsweise der Monothalamien sind unsere Kenntnisse wie bei allen Sarkodinen noch sehr lückenhaft. Einfache Theilungen oder Theilungen, nach deren Vollendung der eine Theil als Schwärmer sich entfernt, sind : beobachtet worden. Ebenso sind Eneystirungen weit verbreitet und verlaufen häufig unter Bildung mehrfacher zierlich gebauter Hüllen. Ueber den eigen- thümlichen Antheil, welchen nach Angabe anderer Autoren der Nucleus an der Fortpflanzung nehmen soll, fehlen uns eigene Beob- achtungen und können wir hier nur auf schon früher Gesagtes verweisen (cfr. voranstehende Arbeit pag. 17 u. 18). Zum Schlusse besprechen wir noch kurz das Verhältniss, in dem unsere Monothalamien zu ähnlich zusammengesetzten Gruppen anderer Autoren stehen. Wie aus der Wahl des Namens ersichtlich, stimmt unsere Gruppe in ihrer Umgrenzung am meisten mit dem, h if Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 87 was Schultze Monothalamien nennt, überein. Wenn Schultze’s Definition, welche zu einer Zeit aufgestellt worden war, zu welcher man weder die Radiolarien noch die beschalten Heliozoen kannte, zwar auch Formen wie Clathrulina und Hedriocystis umfassen würde, so lehrt doch ein Blick auf die Zusammenstellung der Arten, dass das Augenmerk des genannten Forschers vorwiegend auf dieselben Formen gerichtet war, welche auch wir als Monothalamien bezeich- nen: Organismen, deren Schale auf eine homaxone Grundform zu- rückgeführt werden muss. Indessen ist auch in diesem Sinne die Schultze’sche Gruppe eine umfassendere als die unsrige, weil Schultze bei einseitiger Berücksichtigung der Schale den in ihr ent- haltenen Weichkörper und seine Einschlüsse vernachlässigte. Für unsere Monothalamien halten wir den Besitz eines Zellkerns für noth- wendig. Schultze’s Monothalamien dagegen umfassen Formen, bei denen man den Besitz des Zellkerns bis jetzt nicht hat nachweisen können. Letzere schliessen wir demnach aus, z.B. Squamulina und Ovulina, sowie die Orbuliniden und Cornuspiriden, welche hierin sowie in der Imprägnation ihrer Schale mit Kalksalzen sich an die Fora- miniferen anschliessen. Ebenso sind wir nicht schlüssig, ob die Gromien unseren Monothalamien zu zurechnen sein werden oder nicht, da das Verhalten ihrer Kerne noch genauerer Untersuchun- gen bedarf, eigene Beobachtungen uns aber leider nicht zu Gebote stehen, während Lagynis wiederum, welche noch jetzt allgemein und, wie wir gezeigt haben, ohne jeden Grund mit den Gromien ver- eint wird, ganz sicher,hierher zählt. Mit Häckel’s Lepamöben würden unsere Monothalamien voll- kommen übereinstimmen, wenn nicht durch Greeff’s Untersuchungen Organismen, wie die Amphizonellen, bekannt geworden wären, welche ohne mit unseren Monothalamien verwandt zu sein, eine Unterordnung unter die Lepamöben verlangen. Die Amphizonellen sind ebenfalls Amöben, welche sich eine Schale gebildet haben; dieselbe ist jedoch eine gallertige, plastische Hülle und besitzt weder eine bestimmte Oefinung noch eine bestimmte Gestalt. Ebenso haben wir das Cochliopodium und zwar auf Grund des Mangels einer bestimmten Körperform von unseren Monothalamien ausgeschlossen, während es unter die Lepamöben zwanglos sich unterordnen würde. Wir schlagen vor, mit dem Namen „Lepamöben‘“ in gleicher Weise, wie wir esmit ,„Moneren,“ „Amöben,“ „Sarkodinen‘“ gethanhaben, 88 R. Hertwig und E. Lesser: nur den Entwicklungsgrad, den ein Organismus einnimmt, nicht seine systematische Stellung zu bezeichnen. Eines solchen Namens bedürfen wir, da es im höchsten Grade wahrscheinlich erscheinen muss, dass die Hüllenbildung mehr als einmal und in der verschie- densten Art und Weise bei einzelligen amöboiden Formen zu Stande gekommen sein wird. Eine eingehendere Untersuchung niederster Organismen wird sicherlich die Zahl einzelliger mit einer Hülle ver- sehener Organismen, d. h. Lepamöben bald vermehren und das Be- dürfniss nach einem gemeinsamen Namen geltend machen, unter dem die einzelnen Formen einstweilen gruppirt werden können, bis eine genauere Kenntniss ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen ihnen eine definitive Stellung anweist. Als solche einstweilen als „Lepamöben“ unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt zu betrachtende Formen können wir jetzt schon die oben erwähnten Amphizonellen und Cochliopodien hier anführen. Zur Orientirung über die Stellung, welche unsere Monotha- lamien in den wichtigsten Systemen früherer Forscher einnehmen, geben wir hier eine kurze tabellarische Uebersicht derselben, in- dem wir die sicher hierher gehörigen Formen mit fetter Schrift hervorheben, die zweifelhaften mit einem Fragezeichen versehen. 1. Dujardin. Infusoires asyme6triques. Ordre II°. Animaux pourvus d’expansions variables. 1° famille. Amibiens. 2° ,, Rhizopodes. Premiere seetion: Arcella, Difflugia. Deuxieme section: Euglypha, Trinema, Gromia (?). Troisieme section: Polythalames. 3° famille. Actinophryens. 2. Schultze. Rhizopoda. A. Nuda. B. Testacea. I. Monothalamia. 1. Lagynida mit Ausnahme von -Gromia (?), Ovulina, Fissurina, Squamulina. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 89 2. Orbulinida. 3. Cornuspirida. II. Polythalamia. 3. Claparede. A. Rhizopoden ohne Kalkschale. I. Pseudopodien selten verschmelzend. a. ohne Kieselstacheln und gelbe Zellen: Proteina. 1. Amoebina a schalenlose ß beschalte 2. Actinophryina. a. schalenlose (hier Plagiophrys). ß. beschalte (ausgenommen Urnula). b. mit Kieselstacheln und gelben Zellen. Echinocystida (vulgo R. radiaria s. Radiolarien). ll. Pseudopodien häufig verschmelzend. Gromida (2). B. Kalkschalige Rhizopoden. Foraminifera. 1. Monothalamıa. 2. Polythalamia. 4. Häckel. (Monographie der Radiolarien). A. Rhizopoda Sphygmica. I. Amoebida (zum Theil). Il. Actinophryida. B. Rhizopoda Asphyecta. Ill. Acytaria. 1. Athalamia. 2. Monothalamia (zum Theil). 3. Polythalamia. IV. Cytophora. Radiolarien. 5. Häckel. (Zur Morphologie der Infusorien). A. Protozoa. 1. Amöbinen oder Protoplasten. a. Gymnamöben. b. Lepamöben (zum Theil). 2. Gregarinen. 3. Infusorien. R. Hertwig und E. Lesser: > B. Protisten. 1. Catallacten. 2. Flagellaten. 3. Myxomyceten. 4. Rhizopoden (cfr. Rhizopoda Asphycta in No. 4). 6. Claus. Rhizopoda. 1. Foraminifera.. a) Imperforata. 1. Nuda. 2. 6romidae (zum Theil). 3. Miliolidae. 4. Lituolida. b) Perforata. 2. Radiolaria. 3. Rhizopoda Sphygmica. a) Amoebina (zum Theil). b) Heliozoa. Ueber die verwandtschaftlichen Beziehungen unserer Monotha- lamien zu anderen Classen lässt sich zur Zeit Nichts Sicheres aus- sagen. Sehr wahrscheinlich ist es, dass die Gromien von ihnen zu den Foraminiferen überleiten. So lange es jedoch noch nicht ge- glückt ist, bei den Foraminiferen gleichgebaute Kerne nachzuweisen, und die Form der Foraminiferenschale auf die Form der Schale der Monothalamien entwicklungsgeschichtlich zurückzuführen, so lange muss die Verwandtschaft noch als eine offene der Entscheidung harrende Frage angesehen werden. sche Stellung der Monothalamien kennen gelernt haben, tritt an uns die Aufgabe heran, eine weitere natürliche Eintheilung derselben in Gruppen und Untergruppen zu versuchen. Als einen durchgrei- fenden Charakter haben wir schon oben die Anzahl der Schalenmün- dungen aufgestellt und trennen wir darnach unsere Monothalamien in Nachdem wir im Vorhergehenden den Bau und die systemati- I. Monothalamia Monostomata. II. Monothalamia Amphistomata. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 91 I. Monothalamia Monostomata. Da die Definition der M. Monostomata durch den Namen und das im allgemeinen Theil Gesagte schon gegeben ist, können wir uns sogleich zu einer weiteren Eintheilung derselben wenden. Hierbei stehen uns eine Anzahl zum Theil dem Weichkörper, zum Theil der Schale entlehnter Charaktere zu Gebote, deren systematischen Werth wir einer kurzen Prüfung unterziehen wollen. Von Seiten der Schale kann zunächst die Form derselben in Vorschlag gebracht werden. Dieselbe besitzt meistentheils die in der Einleitung schon geschilderte monaxone Grundgestalt, an der das Grössenverhältniss der Hauptaxe zu den untereinander gleichen Nebenaxen in der Weise schwankt, dass bald eine Scheiben-, bald eine Cylinder- oder Flaschenform sich ausbildet. Diese Schwan- kungen der Form sind nicht einmal für die Species charakteristisch, indem innerhalb derselben Art die Schalenhöhe beträchtlichen Varia- tionen unterliegt (Arcella, Difflugia). Die monaxone Grundform entwickelt sich weiter zur bilateral symmetrischen, so dass man promorphologisch innerhalb der Mono- thalamien diese zwei Unterabtheilungen aufstellen könnte. Dass diese Formeneintheilung systematisch nicht in gleichem Maasse ver- werthbar ist, das lehrt die Beobachtung, dass die bilaterale Sym- metrie fast nirgends durch dieselbe Formveränderung herbeigeführt wird. Wir geben einen kurzen Ueberblick über die verschiedenen Arten des Zustandekommens derselben. 1. Eine der zur Längsaxe senkrecht stehenden Nebenaxen überflügelt die übrigen im Wachsthum, die Schale wird hierdurch in einer Richtung breiter und in der zu dieser senkrecht stehenden plattgedrückt. Diese Art der Symmetrie kömmt sowohl bei der glatten Schale der Plagiophrys (Pl. seutiformis Taf. HI Fig. 2) als bei der getäfelten der Euglypha vor (Euglypha compressa, Carter). 2. Der die Schalenmündung bildende Theil wächst auf einer Seite bedeutender als auf der entgegengesetzten; die Mündung wird dadurch von der Spitze der Schale verdrängt und kömmt seitlich zu liegen. Auch hier können wir sowohl Formen mit glatter Schale ‚ (Mikrogromia cfr. Taf. I. Fig. 4, Trinema, Lecythium cfr. Taf. III. Fig.8 B.), als auch solche mit feiner Schalenstructur aufführen (Cypho- deria margaritacea, Euglypha pleurostoma). 92 R, Hertwig und E. Lesser: 3. Die Hauptaxe der Schale erleidet eine Krümmung; es bildet sich eine schneckenhausähnliche Gestalt, wie beim Gehäuse von Dif- flugia spiralis. Die hier illustrirte Verschiedenartigkeit in den Wachsthums- processen, welche zur bilateralen Symmetrie führen, lässt eine syste- matische Verwerthbarkeit derselben nur in ganz beschränkter Weise zu, nämlich bei der Bestimmung der Species. Denn selbst für die Aufstellung von Genera brauchen wir constantere Charaktere als (lie geschilderten, welche sich so ungemein häufig und unabhängig in der relativ kleinen Gruppe der Monothalamien entwickelt haben. Was die Structur der Schale anbetrifit, so liessen sich eine Anzahl auffälliger Charaktere in der That nachweisen. Schalen mit schmiegsamer glatter Wandung repräsentiren wahrscheinlich die niedersten Entwicklungsstufen, von denen die mit Structur ver- sehenen als die höher ausgebildeten abzuleiten sind. Sollten aber die Unterschiede zwischen structurlosen und structurirten Schalen für uns hier von Bedeutung sein, so müsste der Nachweis geliefert werden, dass die Schalenstructuren nach einem gemeinschaftlichen Plane ausgeführt sind, dass sie als divergirende Formen von einer Grundform abgeleitet werden können. Das ist nun nicht der Fall, vielmehr sind die Schalen der Euglyphen, Arcellen und Pyxidieulen, wahrscheinlich auch der Cyphoderien so grundverschieden von ein- ander, dass man annehmen muss, jede derselben hat sich selbst- ständig aus structurlosen Anfängen entwickelt. — Ebenso lässt sich wohl auch das Verkitten der Schale mit Fremdkörpern kaum als ein für die Systematik wichtiger Charakter auffassen. — Da jedoch die Structuren der Schalen sich als etwas constantes, stets wieder- kehrendes repräsentiren, halten wir sie vorzüglich zur Genusbestim- mung geeignet. Von den Charakteren des Sarkodekörpers haben wir über die geringe systematische Bedeutung der contractilen Vacuolen schon ausführlicher gesprochen. Die Verschiedenheit in der Anzahl der Kerne (die Ein- oder Vielzelligkeit), lässt sich gleichfalls systematisch nicht verwerthen, da die Vervielfältigung der Kerne, gleichwie die Zelltheilung offenbar etwas Analoges, nichts Homologes ist, ein Vor- gang, der nach den Gesetzen der Zellentwicklung überall mit Noth- wendigkeit zu Stande kömmt. Da aber für eine natürliche Syste- matik der Werth von Charakteren steigt, je mehr sie uns Sicher- heit geben, dass sie Homologieen betreffen, so müssen andererseits Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 93 Charaktere, welche diese Sicherheit nicht bieten, in den Hinter- grund treten. Demgemäss sind wir bei der Errichtung von Unterabtheilungen auf die Eigenschaften der Körpersubstanz selbst angewiesen, resp. auf die Pseudopodien als die Organe, an denen sich durchgreifende Differenzirungen am offenkundigsten documentiren. Wir kommen hiermit auf ein schon von Dujardin und Carpenter empfohlenes Eintheilungsprineip zurück und theilen nach ihm unsere M. Mono- stomata in Formen mit stumpfen und mit spitzen Fortsätzen: in Lobosa und Rhizopoda. A. Monothalamia Lobosa. Die Pseudopodien der Monostomata Lobosa sind entweder cy- lindrisch und fingerförmig, oder bilden breite Platten und Lamellen, oder verjüngen sich conisch nach ihrem Ende zu, wie die Pseudo- podien einer Amoeba r>diosa. Sie sind stets am Ende abgestumpft. Nur selten erreichen sie eine bedeutende Länge, wie z.B. bei einigen grössern Diffiugien, bei denen auch Verästelungen der Pseudopodien vorkommen. Ihr Protoplasma ist bei allen Arcellen und dem grös- sern Theil der Difflugien durchweg homogen. Nur bei einem klei- neren Theil der letzeren können die feinsten Körnchen der Körper- substanz in die centralen Partieen der Pseudopodien hineinfliessen. Je nach der Art und Weise, in welcher die Schale der M. Lobosa aufgebaut ist, theilen wir dieselben in zwei Unterordnungen ein. Bei der ersten derselben (bei Arcella, Pyxidicula und Pseudochlamys) ist die Schale ein reines Secretionsproduct, bei der zweiten wird sie durch Verkittung von kleinen Kieselstückchen, Diatomeenschalen und anderen Fremdkörpern gebildet (Difflugien). a. Schale ein reines Secretionsproduct. 1. Genus. Arcella. (Ehrenberg.) Wenige Genera der Monothalamien sind so früh bekannt ge- worden, als die schon von Ehrenberg beschriebenen Arcellen. Dieselben wurden von ihm, sowie seinem grossen Gegner Dujardin nach der Form ihrer Schale als Rhizopoden mit einer scheiben- oder schildförmigen Schale definirt, deren runde Oeffinung die Mitte der platten, bei der Vorwärtsbewegung abwärts gerichteten Fläche einnimmt. Clapar&ede!) macht dieser Definition mit Recht den Vor- wurf, dass sie zu einseitig die Schalenform betone, wenn er auch 1) Etudes sur les Infusoires et Rhizopodes. I. pag. 444. 94 R. Hertwig und E. Lesser: mit seiner Behauptung, dass manche Arcellen eine Schale besässen, welche höher als breit sei, zu weit geht. Indessen auch die engere Fassung des Genus Arcella: »Schale ein einfaches Secretionsproduct, ohne Betheiligung von Fremdkörpern gebildet« welche er zum Unter- schied von den Difflugien und der Echinopyxis aufstellte, genügt unseren Ansprüchen noch nicht, da sie noch Formen umfasst, welche wir vom Genus Arcella ausschliessen !), Wie wir in der Einleitung hervorgehoben haben, legen wir auf den feineren Bau der Schale für die Definition des Genus einen grossen Werth. Dieselbe ist bei den Arcellen eine ganz besonders charakteristische, wie daraufhin angestellte Untersuchungen uns gelehrt haben. Die Schale der Arcellen gibt, bei schwachen Vergrösserungen betrachtet, von der Fläche dieselbe Chagrinzeichnung, wie man sie häufig zur Verzierung der Rückendecken von Uhren anwendet, Kör- ner in regelmässiger spiraliger Anordnung. Auf dem optischen Querschnitt zeigt sie eine zarte zur Oberfläche senkrechte Streifung. Anwendung stärkerer Objective, wozu Zeiss F. vollkommen aus- reicht, löst die Körnelung in hexagonale Felder auf, welche ent- weder dunkel und von hellen Linien umgrenzt, oder selbst hell und dann dunkel begrenzt erscheinen. (cfr. nebenstehenden Holzschnitt 1 und 2). Der Wechsel der Schat- tirung findet hierbei in der Weise 2gr@2@: | I0898€ statt, dass das erste Bild bei ober- Io0eas flächlicher Einstellung, das zweite 000% beim Senken des Tubus erhalten Ay. wird. Schiefe Beleuchtung lässt jedesmal die Begrenzung der Fel- Fig3. der auf einer Seite dunkel und 1) Dujardin und Clapar£de haben bei Aufstellung der Speciescharak- teristiken nicht immer dieselben Gesichtspunkte eingehalten und sind bei der Be- urtheilung des systematischen Werths verschiedener Eigenschaften des Skelets nicht consequent verfahren. So trennt Dujardin die Arcellen und Difflugien nach der Form der Schale, die Euglyphen von den Trinemen nach der Sculptur; Clapar&de berücksichtigt bei den Difflugien das Material, d. h. einen Theil der Structur, bei den Euglyphen dagegen betont er ausschliesslich die Form, ohne jedoch auch hier sich wieder consequent zu bleiben. Denn die Cyphoderia, deren Form der Trinema sehr ähnlich ist, trennt er nicht von den Euglyphen, die Lagynis wiederum soll sich von denEuglyphen generisch nur durch den Mangel der Facettirung unterscheiden. (Clapar&de hält fälschlicherweise Lagynis und Cyphoderia für zwei verschiedene Genera .) Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 95 schwarz contourirt erscheinen. Die hexagonalen Felder sind nicht alle mit mathematischer Genauigkeit gleichgross, sondern häufig stören einige grössere die regelmässige Anordnung. — Auf dem opti- schen Durchschnitt gesehen, besteht die Schale aus einer glatten inneren und äusseren, jedesmal doppelten Contour, welche durch ebenfalls deutlich doppelt contourirte, senkrecht stehende, die Schalendicke durchsetzende Stäbchen miteinander verbunden werden. (Holzschnitt 3). Die Stäbchen entsprechen in ihrer Dicke den bald hell, bald dunkel erscheinenden Linien des Flächenbilds der Schale, die Zwischenräume der Stäbchen den hexagonalen Feldern. Wie beim Flächenbild, erscheinen auch beim optischen Durchschnitt unter Anwendung von schiefer Beleuchtung die Begrenzungen der Zwi- schenräume auf einer Seite besonders dunkel und scharf contourirt. Die Combination des optischen Querschnittes mit dem Bild der Flächenansicht erlaubt nur eine Deutung der Arcellastructur. Zwei Platten, eine äussere, die Oberfläche der Schale bildende, und eine innere dem Körper der Arcella zugewandte, sind durch ein Fachwerk verbunden, dessen Lücken hexagonale, zur Oberfläche senkrecht stehende prismatische Räume bilden. Wir haben ein Ge- bilde vor uns, welches sich mit einer einzigen Zellenlage einer Bienenwabe vergleichen lässt, wobei die Zellen derselben als beider- seits geschlossen gedacht werden müssen. Die den einzelnen Zellen der Bienenwabe entsprechenden Abschnitte müssen, wie das optische Verhalten lehrt, aus einem Medium geringerer Consistenz als der übrige Theil der Arcellaschale bestehen, sind somit wahrscheinlich mit Flüssigkeit erfüllteHohlräume. Um diese Frage sicher zu ent- scheiden wandten wir das von Häckel zum Nachweis von Hohlräumen in den Stacheln der Radiolarien empfohlene Verfahren der Gasinjection an. Wir tränkten Arcellaschalen mit einer Lösung von kohlen- saurem Natron und setzten Essigsäure hinzu, nachdem wir die Hauptmasse des kohlensauren Natron mit Wasser hinweggespült hatten. In der That erschienen dann die hexagonalen Räume zu einem grossen Theil mit Luft gefüllt und desswegen schwarz con- tourirt (Holzschnitt 1aa). Aus diesen Beobachtungen geht zweifellos hervor, dass die Structur der Arcellaschale weder durch Körnelung (Dujardin), noch durch perforirende Canälchen bedingt wird (Ehrenberg), noch endlich aus einzelnen Plättchen sich aufbaut, wie Claparede') DLe 8.446. 96 R. Hertwig und E. Lesser: und Carter!) annehmen. Wallich?) spricht von einer symme- trischen netzförmigen Zeichnung der Arcellaschale (symmetrical re- ticulation) und von hexagonalen Zwischenräumen, nach denen die Arcellaschale stets zerspränge. Seine Abbildung Fig. 34a Pl. XVI stimmt mit unserer Fig. 1 vollkommen überein. Ob aber Wallich die Structur der Arcellaschale richtig verstanden hat, muss uns sehr zweifelhaft erscheinen. Wie könnte er sonst nur an einen Versuch denken, die Arcellen als eine Subspecies der Species Difflugia zu betrachten und ihnen die Berechtigung eines Genus absprechen ? Für das Genus Arcella geben wir folgende Diagnose: Die Arcellen besitzen eine einzig und allein durch die secreto- rische Thätigkeit des Organismus entstandene Schale. Die Gestalt der Schale ist schild- oder scheibenförmig. Die Pseudopodienöffnung nimmt das Centrum der bei der Fortbewegung nach abwärts ge- kehrten Fläche ein. Ihrer feineren Structur nach besteht die Schale aus zwei Platten, einer äusseren und einer inneren, welche einander parallel gelagert sind und durch ein bienenwabenartiges, hexagonale Figuren bildendes Fachwerk vereint werden. Der Protoplasmakörper enthält zahlreiche Kerne und contrac- tile Blasen. Innerhalb des Genus können wir zur Zeit nur eine Species unterscheiden. Arcella vulgaris (Ehrenberg). Die Schale der Arcella vulgaris, in der Jugend durchsichtig und erystallhell, im Alter bräunlich, häufig fast schwarzbraun, kömmt in vielerlei Variationen ihrer Gestalt vor, welche durch alle Ueber- gangsstufen verbunden werden, so dass man auf sie nicht die Un- terscheidung von Species begründen kann. Die Schale ist bald flach, bald hoch gebaut, bald allseitig gleichmässig gewölbt, bald glocken- förmig gestaltet. Ihre Oberfläche ist bald glatt, bald mit einer grösseren Anzahl von Facetten und Eindrücken bedeckt, welche in Kreisen um die Kuppel der Schale angeordnet sind und zahlreiche Kanten und Ecken erzeugen. Die untere Fläche ist stets an der Stelle, welche die central gelegene Pseudopodienöffnung einnimmt, nabelförmig eingezogen. 1) Ann. and Mag. of natur. hist. III. 13. Pl. I. Fig. 14b. 2) On Structural Variation among the Difflugian Rhizopods. ibidem. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 97 Der Schalenraum wird vom Körper unvollkommen erfüllt. Er bildet eine auf der unteren Schalenwand ruhende scheibenförmige Protoplasmamasse, in deren peripheren Partieen die contractilen Blasen und die Kerne eingelagert sind. Mit der Innenfläche des Rückentheils der Schalenwandung steht er durch spitze, namentlich bei jungen Formen reich entwickelte Fortsätze in Verbindung. Ueber die Anzahl der Kerne bei den einzelnen Individuen liegen in der Literatur einander widersprechende Beobachtungen vor. Nach den gleichlautenden Angaben Claparede’s und Lachmann’s!), sowie Auerbach’s?) ist ihre Anzahl beträchtlichen Schwankungen unterworfen und will der letztgenannte Beobachter in einem grossen Exemplar gegen 45 derselben gezählt haben. Dem gegenüber hat Carter?) stets nur zwei Kerne finden können, welche sich einander gegenüber an zwei entgegengesetzten Stellen der Scheibe gelagert fanden. Alle übrigen Gebilde, welche frühere Autoren für Kerne erklärt hätten, seien Fortpflanzungszellen gewesen (reproductive cells), welche von den Kernen sich durch den Mangel des hellen Hofes unterschieden. Wir müssen Carter gegenüber die Angaben Auerbach’s und Claparede’s aufrechterhalten. Wenn nicht un- günstige Verhältnisse vorlagen, die Schale nicht zu dunkel gebräunt, das Protoplasma des Thieres mit Nahrung nicht überladen war, konnten wir die Kerne in der für alle Süsswasserrhizopoden cha- rakteristischen Form einer hellen Blase, welche einen ovalen homo- genen Körper, den Nucleolus, umschliesst, in grösserer schwankender Anzahl (meist mehr als 5) beobachten. Veränderungen haben wir nie am Kern nachweisen können. In Bezug auf die Fortpflanzung haben wir nach zwei Seiten hin Beobachtungen gemacht. Erstens sind wir häufig Encystirungen begegnet. Die kugelrunde Cyste lag hierbei innerhalb der Schale dicht an der Mündung derselben, deren Durchmesser sie um Weniges übertraf. Ihr grobkörniger dunkler Inhalt machte es uns unmöglich, uns von der An- oder Abwesenheit von Kernen zu überzeugen. Ebenso blieb uns die Art ihrer Weiterentwicklung unbekannt. Weiterhin haben wir eine Fortpflanzung durch Theilung beobachtet. 1) le. I, 8.445. 2) Ueber die Einzelligkeit der Amöben. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. VII, S. 425. 3) Annals and Mag. of nat. hist. I, Vol. 18. III, Vol. 13. [ri M, Schulze, Archiv f, mikrosk, Anatomie Bd, 10, Supplementheftt, ‘ 95 R. Hertwig und E. Lesser: Wie schon frühere Autoren!) angeben, findet man nicht selten zwei Arcellen, welche mit ihren unteren, d.h. die Pseudopodienöffnungen tragenden Flächen gegeneinander gelagert sind. Von den beiden Thieren besitzt constant das eine eine tief dunkelbraune, das andere eine wasserklare vollkommen farblose Schale. Die beiden Schalen sind nahezu gleich gross, die helle durchsichtige häufig etwas kleiner. Die Vereinigung wird durch eine breite Protoplasmabrücke vermit- telt, welche von dem Weichkörper des einen Thieres zu dem des andern sich hinüberspannt. Auf dieser Brücke wogt die Körper- substanz aus einer Schale in die andere, bis die letztere fast Alles, die erstere nur noch einen ganz geringen Theil beherbergt. Dann ändert sich der Strom und die nahezu geleerte beginnt sich auf Kosten der anderen zu füllen. Nachdem dieses rhythmische Herüber- und Hinüberwogen einige Zeit gedauert, tritt ein Stillstand ein. Die Plasmabrücke verschmälert sich langsam, bis der letzte dünne Verbindungsfaden einreisst und die beiden bisher verbundenen Indi- viduen selbstständig geworden sind. Beide bewegen sich nunmehr nach verschiedenen Richtungen mit Hülfe der stumpfen Pseudopo- dien hinweg. Sie haben nahezu gleiche Theile von der ursprünglich gemeinsamen Körpermasse erhalten. Das Thier mit der hellen Schale zeichnet sich hierbei durch die zierliche Anordnung der Pro- toplasmastränge aus, welche seinen Körper mit der Schale verbin- den. Während dieselben bei Arcellen mit brauner Schale nur als spärliche, unverästelte Fortsätze entwickelt sind, ist man hier ver- sucht von einem innern Pscudopodiennetze zu sprechen. Von der Peripherie des Körpers entspringen breitere Fortsätze, verästeln sich mehrfach und anastomosiren nicht selten untereinander. Sie durch- setzen den Raum, welcher zwischen der Schale und dem Körper übrig bleibt, und heften sich an die Wand der ersteren an. Wie an einem Pseudopodiennetze circuliren an ihnen die Körnchen des Protoplasma auf und ab. Den hier geschilderten Vorgang haben wir oben ohne Weiteres als Theilung bezeichnet. In dieser Deutung stimmen uns indessen keineswegs alle Beobachter des Vorganges bei. Cohn ist geneigt ihn als Conjugation zu deuten. Für seine Auffassung kann er aber 1) Cohn, Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. IV, S.261 Anm. Perty, kleinste Lebensformen (nach Cohn’s Citat, da die Arbeit selbst uns in Bonn nicht zugänglich war). Claparede, l. c. S. 445. f K Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 99 nur das Eine geltend machen, dass er zwei 'Thiere in organischem Zusammenhang beobachtet hat. Dieser Zusammenhang spricht aber mit gleichem Recht für eine beginnende Theilung, wie denn über- haupt Theilung und Conjugation, wofern man nicht ihren Verlauf von Anfang an beobachtete oder nicht andere Merkmale vorhanden sind, nicht unterscheiden kann. Im vorliegenden Falle sind uns nun Anhaltspunkte in der Farbe der Schale geboten. Stets ist eine farblose offenbar junge Schale mit einer alten gelben vereint. Diese constante Combination ist unverständlich, wenn wir eine Conjugation annehmen, erklärt sich aufs einfachste durch die Voraussetzung einer Theilung. — Claparede und Lachmann halten den Vorgang für eine Art Häutung, d. h. sie glauben, dass die Arcella, deren Schale zu klein geworden, sich eine neue grössere baue. Demgemäss schildern sie auch den Vorgang anders in folgender, von der unseren abweichen- den Weise. Nachdem das Thier verschiedene Male aus der einen Schale in die andere hinübergekrochen ist, soll es endlich definitiv in die neue hinüberwandern; bei der gewaltsamen Trennung, die hierbei stattfindet, soll die alte Schale meistens zerspalten. Dieser Schilderung gegenüber müssen wir betonen: 1. dass bei den von uns verfolgten Thei- lungen eine jede der beiden Schalen bewohnt blieb, 2. dass während man aus den Claparede’schen Angaben schliessen sollte, dass die junge Schale grösser gewesen sei als die ältere, bei den von uns beobachteten Thieren das Gegentheil der Fall war. Endlich bleibt es für uns ganz unverständlich, wie von einer so gewaltsamen Tren- nung die Rede sein kann, dass die ältere Schale zerspringt, da die Schalen selbst nirgends miteinander verbunden sind, sondern nur durch Vermittelung des Protoplasmakörpers zusammenhängen. Für die von uns beobachteten Fälle passt weder dieCiaparede’- sche Schilderung, noch die Deutung welche derselbe giebt. Möglicher- weise kommen beide Vorgänge, Schalenwechsel in der von Clapa- rede geschilderten Weise und die von uns nachgewiesene Ver- mehrung durch Theilung nebeneinander vor. Bezüglich der Nahrungsaufnahme und der Fortbewegungsweise können wir im vorliegenden Falle um so mehr auf den allgemeinen Theil verweisen, als die Arcellen zu den häufigsten und wegen ihrer Grösse am leichtesten zu beobachtenden Rhizopoden gehören. 100 R. Hertwig und E. Lesser: 2. Genus. Pseudochlamys Patella (Claparede et Lachmann). Taf. III Fig. 1. Zu wiederholten Malen, und dann meist in grösserer Anzahl, haben wir eine Monothalamie aufgefunden, welche wir mit der von Clapar&de und Lachmann unter dem Namen von Pseudo- chlamys Patella beschriebenen beschalten Amöbine für iden- tisch halten '),,. Da die Schilderungen der genannten Forscher in einigen wichtigen Punkten von den unserigen abweichen, werden wir sie erst im Anschluss an die Resultate unserer eigenen Untersuchun- gen besprechen. Die Schale der Pseudochlamys Patella besitzt, wie die der Arcellen die Gestalt einer flach und gleichmässig gewölbten Scheibe. Ihre Farbe ist eine eigenthümliche Schattirung zwischen Gelb und Braun, wie sie bei den Diatomeen häufig vorkommt und wie sie in Fig. 1B auf Taf. III aufs genauste wiedergegeben ist. Das bräun- lichgelbe Colorit der von oben (der aboralen Seite her) gesehenen Schale ist in den centralen Partieen am intensivsten und verwäscht sich nach aussen allmählich in einen matt bläulichgrauen Schimmer. Wie Profilansichten der Schale zeigen, rührt die Verschiedenheit der Färbung daher, dass die in den centralen Partieen beträchtlichere Schalendicke nach aussen continuirlich abnimmt. Mit starken Ver- grösserungen (Zeiss F. Oc. III) konnten wir häufig unter Anwen- dung kleiner Diaphragmen oder schiefen Lichts eine arcellaähnliche Chagrinirung erkennen. Dieselbe war jedoch nicht in allen Fällen nachzuweisen und verschwand stets in den Randpartieen. Auf dem optischen Querschnitt erschienen selbst die dicksten Schalenpartieen homogen und nicht wie bei Arcella gestreift. Der bisher geschilderte, von oben allein sichtbare Theil der Schale präsentirt sich bei der Betrachtung von der Seite als ein flacher Schirm, der beim ersten Blick nach unten geöffnet zu sein scheint. Genauere Betrachtung lehrt jedoch, dass eine ungemein zarte Membran die Höhlung des Schirms bis auf ein Loch, welches den Pseudopodien zum Durchtritt dient, verschliesst. Diese Mem- bran besitzt wegen ihrer grossen Zartheit keine bestimmte Form. Sie ist in der Gegend der Pseudopodienöffnung bald eingezogen (Taf. III Fig, 1D), bald nach aussen wie der Magen einer Meduse ausgestülpt und prominent (Taf. IH Fig. 1C). Am todten Thiere 1) Etudes etc. S. 443. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 101 findet man die Membran häufig gar nicht oder sie sieht wie zer- knittertes Papier aus. Eine feinere Structur konnten wir an ihr nicht nachweisen. Eine überraschende Eigenthümlichkeit der Schale ist der Wechsel der Form, den sie in Folge von Contractionen des protoplasmati- schen Thierkörpers zu erleiden vermag. Das Thier kann nämlich die Convexität der Schale so sehr erhöhen, dass die Ränder nach unten, theilweise bis zur Berührung, genähert werden und somit ein einer zweiklappigen Lamellibranchierschale vergleichbares Bild erzeugen (Fig. 1 A). Ein derartig zusammengeklapptes Thier ist man versucht für zwei copulirte Individuen zu halten, wie es auch uns anfänglich gegangen ist, bis wir die eigenthümliche Form aus der Gestaltveränderung eines einzigen Thieres sich entwickeln sahen, eine Beobachtung, die wir später öfter zu wiederholen Gelegenheit hatten. Das Zusammenklappen geschieht hierbei offenbar durch die Thätigkeit des Thierkörpers, das Zurückgehen zur Schirmform muss aus der Elastieität der Schale erklärt werden. Der Thierkörper bildet wie die Schale eine Scheibe, indessen von geringerer Grösse als diese, so dass er den Schalenraum nicht vollkommen erfüllt. Er ist von welligen Contouren umgrenzt und besitzt nicht die feinen Protoplasmafortsätze, welche bei den Arcellen Schale und Körper verbinden. Das Protoplasma ist feinkörnig und enthält in der Peripherie eine grössere Anzahl contractiler Blasen, während der Kern mehr central gelegen und einfach ist (Fig. 1B,n). Derselbe ist meist nur mit grosser Mühe und unter Anwendung von Reagentien, häufig selbst dann nicht einmal nachweisbar. — Zwi- schen Schale und Weichkörper findet sich fast beständig grobkörniges Pigment von der Farbe des Diatomin (Fig. 1B). Die Fortbewegung ist träge und langsam, die Art ihres Zu- standekommens nur selten zu verfolgen, da die kurzen Pseudopodien meist von der Schale bedeckt werden, ohne ihren Rand zu überra- gen. Man erhält in Folge dessen meist den Eindruck, als ob die Pseudochlamys ohne Pseudopodien über den Objectträger gleite. Dagegen konnten wir an einem Exemplare, welches seine ventrale, richtiger gesagt, orale Seite nach oben kehrte, constatiren, dass von der central gelegenen Pseudopodienöffnung mehrere kurze cylindri- sche, mit ihren Enden abgestumpfte Pseudopodien entsprangen. Bezüglich der Fortpflanzung sei hier noch erwähnt, dass wir, wie bei Arcella vulgaris, Encystirungen beobachtet haben, ohne 102 R. Hertwig und E. Lesser: jedoch auch hier das Resultat derselben verfolgen zu können (Fig. 1 D). Mit unserer Schilderung stimmen die Angaben von Claparede und Lachmann bezüglich des Baues des Protoplasmakörpers, der Anzahl der contraetilen Vacuolen, des Kerns, der Farbe und Gestalt des Organismus vollkommen überein. Dagegen differiren sie in der Schilderung der Schale und der Art und Weise, in welcher die Pseudopodien entspringen. Die Schale wird als ein Schild beschrie- ben, welches wie die Schale einer Patella den Thierkörper deckt und trotz ihres resistenten und unbiegsamen Aussehens »sich nach den Erfordernissen des Körpers mit der grössten Leichtigkeit faltet und in jedmöglicher Weise ihre Form ändert«. Dass ausser dem hier vortrefflich geschilderten Rückentheil der Schale noch eine dünne, die untere Fläche des Körpers bedeckende Membran existirt, ist Clapar&de und Lachmann entgangen. Sie halten die ganze untere Fläche für die Oeffnung der Schale und lassen demgemäss die Pseudopodien vom Rand des Körpers entspringen, eine Täu- schung, die leicht verständlich erscheint, da unter dem Schalenrand hervortretende Pseudopodien von am Schalenrand entspringenden beim Anblick des Organismus von oben schwer zu unterscheiden sind. Bemer- kenswerth ist hierbei die Angabe der genannten Forscher, dass bei einem in der Rückenlage beobachteten Exemplar, welches »möglicherweise eine von P. Patella verschiedene Art war«, drei den Pseudopodien der Arcella vollkommen gleichende Fortsätze vom Centrum der unteren Fläche entsprangen. Hiernach kann kein Zweifel sein, dass in der That wir dieselben Organismen beobachtet haben, wie Claparede und Lachmann, dass dieselben aber die untere Membran über- sehen haben. Möglicherweise ist auch die Amphizonella flava Greeff’s'!) mit der Pseudochlamys Patella identisch. Die Hülle der Amphi- zonella flava wird als eine häutige, rings geschlossene, nach den Abbildungen zu urtheilen, der Körperoberfläche nicht unmittelbar auflagernde Schale geschildert, die von andrängenden Pseudopodien bis zu dem Grad gedehnt werden kann, dass sie an den betreffenden Stellen nicht mehr gelblich tingirt, wie gewöhnlich, sondern voll- kommen weiss erscheint. Es liegt nahe, diese Schilderung Greeff’s auf die Formveränderungen zu beziehen, welche die Pseudochlamys 1) Arch. f, mikrosk. Anatomie. Bd. I. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 103 erfährt, wenn sie aus der zusammengeklappten Haltung in die Scheibenform übergeht. In dieser Ansicht werden wir weiterhin befestigt, wenn wir sehen, wie ähnlich die Abbildung Greeff’s un- serer zusammengefalteten Pseudochlamys ist, und weiterhin die Ueber- einstimmung berücksichtigen, welche zwischen Greeff’s Angaben und den unserigen bezüglich der Grösse und der Farbe des Orga- nismus und der Anzahl seiner contractilen Blasen besteht. Wenn Greeff keinen Kern beobachten konnte, so beweist dies nichts gegen die Identität, da auch wir denselben nur selten nachzuweisen ver- mochten. Sollte sich unsere Ansicht bestätigen, dass der Amphizo- nella flava und Pseudochlamys Patella derselbe Organismus zu Grunde liegt, so müsste der erstere Namen in Zukunft in Wegfall kommen, da in der That der Organismus, wie aus unseren und Claparede’s Schilderungen unzweideutig hervorgeht, keine Amphizonella, sondern eine Monothalamie ist. Zum Schluss geben wir noch eine kurze Diagnose, welche, da wir bisher nur eine Species kennen, das Genus und die Species zu gleicher Zeit umfasst. Pseudochlamys Patella. Schale besitzt die Gestalt eines rundlichen Schildes, dessen Con- cavität durch eine dünne Membran bis auf eine central gelegene Stelle (die Pseudopodienöffnung) verschlossen wird. Farbe in den centralen dickeren Partieen bräunlichgelblich, in den peripheren dünmen gelb- lichgrau. Protoplasmakörper scheibenförmig mit einem nahezu im Centrum der Scheibe befindlichen Kern und zahlreichen in den peri- pheren Partieen gelegenen contractilen Vacuolen. Pseudopodien fingerförmig homogen. Grösse des Scheibendurch- messers 0,04 mm., Höhe der Scheibe je nach der Krümmung der Scheibe verschieden, meist sehr gering. 3. Genus. Pyxidieula operculata (Ehr.). Syn. Arcella patens (Clap. et Lachm., Carter). Als Arcella patens wurde von Claparede und Lachmann!) eine kleine Monothalamie beschrieben und später von Carter?) 1) Etudes S. 446. 2) Ann. and Mag. of nat. history II. 13 $.31. 104 R. Hertwig und E. Lesser: wiedergefunden, welche der letztere nach ihrer Form mit der von Ehrenberg auf Taf. X Fig. 1 seines Infusorienwerks abgebildeten Pyxidieula identisch hält. Da wir die Unterordnung der auch von uns beobachteten Monothalamie unter die Arcellen wegen der ab- weichenden Schalenstructur nicht billigen, führen wir den alten Ehrenberg’schen Namen wieder ein. Die Schale wird von Clapar&de und Lachmann mit Recht einem stark convexen Uhrglas verglichen. Während aber die ge- nannten Forscher sie farblos und in ganzer Ausdehnung geöffnet fanden, waren die von uns beobachteten Schalen bräunlichgelb, wie es auch Carter angiebt, und ihre Pseudopodienöffnung nicht von gleicher Grösse, wie die untere Schalenfläche, sondern durch einen ringsum einspringenden Rand eingeengt. Die Schalenoberfläche war bis auf eine Anzahl kleiner Höckerchen, welche von oben be- trachtet unter dem Bild unregelmässig zerstreuter hellglänzender Punkte erschienen, vollkommen glatt und gleichmässig gekrümmt. Der unregelmässig scheibenförmige Protoplasmakörper ruht auf dem einspringenden Schalenrand und umschliesst einen stets deutlich sichtbaren Kern und mehrere contractile Vacuolen. Die Pseudopodien kommen selten zum Vorschein und sind, wie Carter angiebt, conischer als die der Arcellen. Der grösste Schalendurchmesser beträgt 0,02, die Höhe der Schale (Hauptaxe) 0,007, der Durchmesser der Schalenmündung 0,015, der Kern 0,003, das Kernkörperchen 0,002mm. Diese Maasse sind mehr als um die Hälfte kleiner als die vonClapar&de und Lachmann ange- gebenen stimmen dagegen mit den Maassen Carters überein. Da ferner die vonClaparede und Lachmann beobachteten Exemplare farblos, die vonCarter und uns gefundenen bräunlich waren, kann man zweifelhaft sein, ob in der That Claparede dieselbe Species oder eine weitere Art innerhalb desselben Genus beobachtet hat. Zum Schluss seiner Schilderung der Pyxidicula macht Carter offenbar im Anschluss daran, dass Ehrenberg dieselbe zu den Diatomeen gestellt hat, die Bemerkung, dass sich nach und nach noch manche Verwandtschaft zwischen den Rhizopoden und Diatomeen herausstellen würde. Der völlig unbegründeten Behaup- tung gegenüber lässt sich nur entgegnen, dass die Pyxidicula den Diatomeen ebenso entfernt steht, wie jede andere Monothalamie, und dass die Aehnlichkeit, welche Ehrenberg wohl bestimmt haben mag, dieselbe den Diatomeen einzureihen, eine rein äusserliche ist. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 105 Das Genus Pyxidicula definiren wir in folgender Weise. Pyzidicula operculata. Schale scheibenförmig. Der obere aborale Theil wie ein Uhrglas geformt, die untere orale Fläche bis auf einen schmalen Saum von der Pseudopodienöffnung eingenommen. Oberfläche der Schale von unregelmässig vertheilten feinsten Höckerchen bedeckt. Protoplasmakörper scheibenförmig mit einem Kern und zahl- reichen contractilen Vacuolen. b) Schale mit Fremdkörpern incrustrirt. 4. Genus. Difflugia (Leclere). Das Genus Difflugia beschränken wir nach dem Vorgang vonClaparede und Lachmann!) auf Monothalamia Lobosa, deren einmündige Schale aus verklebten Fremdkörpern (Kieselstückchen, Diatomeenschalen) sich aufbaut. Während die letzteren meist so dicht gelagert und durch einen schwarzen undurchsichtigen Kitt in der Art vereint sind, dass man keinen Einblick in den Aufbau der Schale gewinnen kann, gelingt es in der weiter unten näher zu schildernden Difflugia acropodia verhältnissmässig leicht nachzuwei- sen, dass der aus Fremdkörpern gebildeten Kruste noch eine vom Organismus secernirte Membran zu Grunde liegt. Hier sind häufig die Kieselstückchen weit auseinander gelagert und würden ausein- ander fallen müssen, wenn sie nicht einer homogenen membranösen Unterlage aufgekittet wären?). Im Protoplasma des Körpers haben Carter und Andere einen im Schalenhintergrund gelegenen Kern nachgewiesen. Dagegen fehlen 1) 1. c. 8.447. 2) In wie weit die Difflugia spiralis nach dieser Definition sich noch als Difflugie betrachten lässt, müssen wir aus Mangel an genügenden Beob- achtungen unerörtert lassen. Auffallend ist bei ihr die zierliche mäandrische Zeichnung des Schalenreliefs. Es lässt sich schwer vorstellen, dass irgend welche Fremdkörper so gleichmässig gebildet oder von der Difflugia abge- schliffen werden sollten, dass aus ihrer Zusammensetzung so feine, wenn auch wirr und regellos angeordnete Leistensysteme entstehen könnten. An- dererseits scheint der ganze Habitus des Organismus eine Unterordnung unter die Difflugien zu verlangen. Möglicherweise ist die mäandrisch gestreifte Schale nur das Substrat, dem die Fremdkörper aufgekittet werden sollen. Hierfür liesse sich geltend machen, dass wir mit der D. spiralis in der Form vollkommen übereinstimmende Difflugien gefunden haben, deren Schale mit Kieselstückchen und Diatomeen besetzt war. 106 R. Hertwig und E. Lesser: jedwede Beobachtungen über etwa vorhandene contractile Blasen. Ausserdem kommen im Protoplasma der Difflugien die eigenthüm- lichen hellglänzenden Chlorophylikörner vor, welche häufig bei Rhi- zopoden, besonders aber bei den Heliozoen angetroffen werden. Unter den Monothalamien sind die Difflugien unseres Wissens die einzigen, welche sie besitzen. Auf eine Besprechung der einzelnen von uns betrachteten For- men haben wir verzichtet, weil die grosse Anzahl der bisher aufge- stellten Arten bei den oft relativ geringen Unterscheidungsmerkmalen eine genaue Revision der gegebenen Speciesbestimmungen nöthig macht. Hierzu würde es eines eingehenderen Studiums bedurft haben, als wir bei unseren auf eine gemeinsame Charakteristik der ganzen Sarkodinenclasse gerichteten Bestrebungen einem einzelnen Genus widmen konnten. Oftenbar herrscht eine ebenso grosse Va- riabilität der Formen in der Gruppe der Difflugien, als wir sie bei den Arcellen schon besprochen haben, ohne dass jedoch dieselbe so weit ausgedehnt werden könnte, als es Wallich thut, welcher der ganzen Gruppe den Werth einer einzigen Species ertheilt und die vorkommenden Verschiedenheiten lediglich als die Folgen rein zu- fälliger localer Einflüsse ansieht!). Uns scheint es eine grob me- chanische Erklärungsweise, wenn der englische Forscher z. B. die Spiralform der D. spiralis aus der Drehung ableitet, welche die Schale unter dem Einfluss des Wasserstroms erleidet. Wallich vergisst ganz, dass D. spiralis auch in stehenden Gewässern vor- kommt. Bei seiner Lehre der unbegrenzten Variabilität der Diftlu- gien lässt er unberücksichtigt, dass mit bestimmten Formen auch häufig bestimmte bei anderen Difflugien nicht vorkommende Cha- raktere sich verbinden. So haben wir oben in der Anmerkung auf S. 105 schon erwähnt, dass die mäandrische Reliefzeichnung nur die D. spiralis charakterisirt und ausserdem bei keiner Difflugie sich vorfindet. Ein weiteres derartiges Beispiel bildet die D. acropodia, eine von uns neu aufgestellte Art. Bei dieser verbinden sich mit einer bestimmt charakterisirten Schale bestimmte, höchst eigenthüm- liche Formen der Pseudopodien. Da die neue Species durch die letzteren Eigenthümlichkeiten auch in anderer Hinsicht unser Inter- esse beansprucht, machen wir mit ihr eine Ausnahme und widmen ihr eine specielle Betrachtung. 1) On the extent and causes of structural variation among the Difflu- gian Rhizopods. Ann. and Mag. of nat. hist. III. Vol. 13. Ueber Rhizop oden und denselben nahestehende Organismen. 107 Difflugia acropodia. nov. spec. Taf. II. Fig. 6. Das Gehäuse dieses nicht sehr häufigen Organismus ist rund- lich und hat durchschnittlich einen Durchmesser von 0,05 mm. Es besteht aus einer homogenen durchscheinenden Membran, durch welche man, wenn sie nicht zu dicht von Fremdkörpern bedeckt wird, die Schalenöffnung des auf dem Objeetträger kriechenden Thieres erblicken kann. Die Fremdkörper bestehen grösstentheils aus Kieselstückchen oder auch kleinen Diatomeenpanzern und lagern auf der Membran der Schale, wie Feldsteine auf den Schindeldächern, meist wie diese in grösseren Entfernungen von einander, häufig aber auch so dicht, dass sie die eigentliche Schale ganz verdecken. Die Pseudopodien unserer Art unterscheiden sich von den stumpfen fingerförmigen Fortsätzen der meisten übrigen Difflugien durch die spitzen Enden, welche bei allen ihren mannichfachen For- men wiederkehren. Breite, aus homogenem Protoplasma gebildete Platten endigen in einiger Entfernung von der Pseudopodienöffnung in unregelmässig gestaltete Ausläufer und Lappen von äusserst cha- rakteristischen, scharfzackigen Contouren. Ausserdem entspringen direct vom Körper wellig begrenzte, im Grossen und Ganzen lanzett- förmige Fortsätze, welche den Pseudopodien eines Actinosphaerium sehr ähnlich sind, nur dass sie nicht wie diese in ihrem Innern Körnchen bergen. Diese actinophrysartigen homogenen Fortsätze können sich mehrfach verästeln, wie die der Monothalamia Rhizo- poda; ebenso besitzen sie eine grosse Neigung, mit ihren Enden untereinander zu verschmelzen. Indem sie sich abplatten und flächenhaft ausbreiten, entstehen aus ihnen durch allmähliche Ueber- gangsformen die breiten zackig contourirten oben beschriebenen Platten. Dies kömmt dadurch zu Stande, dass von der Basis der verästelten Pseudopodien das Protoplasma schwimmhautähnlich em- porsteigt oder dass Pseudopodien miteinander verschmelzen und die dadurch entstandenen spaltförmigen Lücken unter dem schnell von allen Seiten stattfindenden Vorrücken der Sarkode verschwinden. Bei allen diesen Veränderungen ist die Bewegung eine ausseror- dentlich lebhafte. Wenn die Difflugie ihre zackig eingebuchteten spitzen Pseudopodien hervorquellen lässt, macht es den Eindruck, als würde aus der Schale eine schnell sich über den Objectträger ausbreitende Flüssigkeit ausgegossen. Mit derselben Lebhaftigkeit ändern sich beständig die Contouren, werden Fortsätze eingezogen, neue gebildet. 108 R. Hertwig und E. Lesser: Manchmal erblickt man auch stumpfe kolbenförmige Fortsätze zwischen den geschilderten spitzen. Dieselben sind stets in geringer Anzahl vorhanden und von kurzem Bestande. Wie die breiten finger- förmigen Pseudopodien, welche zwischen den spitzen und feinen bei Vampyrella zeitweilig erscheinen, möchten wir sie auch hier als Zeichen des Missbehagens deuten, welches hervorgerufen wird, wenn durch Verdunstung des Wassers das Deckgläschen allzu sehr auf dem beobachteten Exemplare lastet oder der Gasgehalt des Wassers sich verändert hat. Nach dieser Schilderung besitzen die Pseudopodien der D. acro- podia ein eigenthümliches Gemisch von sonst innerhalb der Gruppe der Lobosa entweder gar nicht oder nur ausnahmsweise auftretenden Charakteren. Neben dünnen und breiten Protoplasmaplatten fungiren spitze, fast fadenförmige, verästelte und anastomosirende Fortsätze, und das Alles bei der Species aus einem Genus, welches sich sonst durch seine typischen einfachen fingerförmigen oder lappigen Pseu- dopodien auszeichnet. Ohne scharfe Grenze leiten diese Formen von den stumpfen Pseudopodien der Lobosa zu den spitzen der Rhizopoda über. Wir haben hier weitere Belege für unsere Ansicht, dass bei der Mannichfaltigkeit der Formen, welche das als Loco- motionsorgan fungirende Protoplasma bildet, von dem amöboiden Fliessen des Körpers und den lappigen Fortsätzen der Arcellinen bis zu den reich verästelten, zu feinen Netzen verbundenen Pseudo- podien der Foraminiferen die Uebergangsstufen nicht fehlen. Trotz der scheinbar günstigen Schalenverhältnisse haben wir in den Bau des Körpers keinen Einblick gewinnen können, da die relative Kleinheit des Thieres das sonst übliche und zum Studium der Difflugien- organisation günstigste Verfahren des Zerquetschens erschwerte. Zum Schlusse unserer Mittheilungen über die Difflugien müssen wir noch mit aller Entschiedenheit gegen den von Schneider ge- machten Versuch protestiren, die Difflugien als Difflugiaceen direct den Radiolarien unterzuordnen!). Schneider, welcher hierbei nur die D.D. proteiformis, oblonga und acuminata im Auge hat, die übrigen in ihren Beziehungen zu den Arcellinen belässt, gründet seine Anschauung auf folgende drei Argumente. 1) Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXI pag. 510 seq. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 109 1. Die Schale der genannten drei Species ist nicht aus ver- klebten Kieselstückchen entstanden, sondern „gleich den Spicula und den Gehäusen der anderen Radiolarien‘“ „ein Panzer organischen Ursprungs“. 2. Eine Centralkapsel ist vorhanden. (Schneider erwähnt von derselben nur, dass sie kugelrund, 0,04 mm. gross und dünnwan- dig ist und mehr oder weniger deutliche Zellen enthält). | 3. Die grün gefärbten Kugeln entsprechen den gelben Zellen. Wir können den Ausführungen Schneider’s gegenüber nur auf das Bestimmteste die alten Auffassungen von der systematischen Stellung der Difflugien aufrecht erhalten. 1. Der Panzer der D.D. oblonga, acuminata und proteiformis besteht aus denselben Stücken, wie der aller Difflugien. Diese Stücke sind ebenso wenig Producte der Thätigkeit der Difflugien wie es die häufig zwischen den Kieselstücken dem Panzer aufge- klebten Diatomeenschalen sind. 2. Das was Schneider Centralkapsel nennt, kann nur der relativ grosse Kern der Difflugien sein. 3. Die Chlorophylikörperchen, welche Schneider für Homo- loga der gelben Zellen hält, sind dieselben fettglänzenden, keine Spur von einer Zellstructur zeigenden Gebilde, welche in verschie- denen Farben bei den verschiedensten Rhizopoden vorkommen. Ausser der runden Gestalt und ihrer Imprägnation mit einem Farbstoff ha- ben sie mit den gelben Zellen Nichts gemeinsam. In diesem vollkommen unbegründeten und willkürlichen Ver- such, die Difflugien als Radiolarien zu betrachten, scheint sich uns eine für den Fortgang einer natürlichen Systematik sehr gefährliche Richtung, der wir bei den Rhizopoden auch andern Orts begegnet sind, auszusprechen. Klar definirte systematische Charaktere wer- den so gedehnt und gemodelt, dass bei scharfer Prüfung Nichts Charakteristisches an ihnen übrig bleibt. Kann man überhaupt noch von einer Charakteristik der Radiolarien reden, wenn zum Begriff der Centralkapsel jeder beliebige im undifferenzirten Protoplasma gelegene Körper für ausreichend befunden wird, wenn als gelbe Zellen Gebilde gedeutet werden, welche weder Zellen sind, noch auch eine gelbe Farbe besitzen, wenn jedes Skelet, mag es noch so unregelmässig aus formlosen Stücken zusammengesetzt und nach einem vollkommen anderen Bauplan aufgeführt sein, sowie es nur aus Kieselsäure besteht, als Homologon des Skelets der Radiolarien 110 R. Hertwig und E. Lesser: angesehen wird? Wo uns, wie bei den Rhizopoden und Nächstver- wandten, so wenig systematisch verwerthbare Charaktere geboten werden, wo ohnehin schon die Grenzen der einzelnen blutsverwand- ten Gruppen verwischt und unkenntlich geworden sind, da müssen wir es uns doppelt angelegen sein lassen, die präcise Fassung von Charakteren, welche sich als vortrefiliche Umgrenzungen bewährt haben, in ihrer ganzen Bedeutung aufrecht zu erhalten. B. Monothalamia Rhizopoda. Die Monothalamia Rhizopoda werden durch ihre stets spitzen, fadenförmigen Pseudopodien charakterisirt. Weiterhin können die- selben homogen oder körnchenreich, einfach oder verästelt, anasto- mosirend oder anastomosenlos sein. Die genannten Eigenschaften treten, wie schon eine oberflächliche Betrachtung der Genera lehrt, in den mannichfaltigsten Combinationen auf und sind so regellos auf die einzelnen Arten vertheilt, dass es ganz unmöglich ist, durch- sreifende Unterschiede zwischen den verschiedenen Formen der Pseu- dopodien zu finden. So besitzen die Trinemen spitze homogene einfache Pseudopodien, zu welchen Eigenschaften bei den Euglyphen, Cyphoderien und Plagiophryen noch die Verästelung sich hinzu- gesellt. Spärliche Anastomosen bilden die Fortsätze von Pleurophrys und Lecythium, von denen die letzteren wiederum selten oder gar nicht, die ersteren reichlicher mit Körnchen besetzt sind. Die Pseudopodien der Mikrogromia endlich sind zu zierlichen engmaschi- gen Netzwerken verbunden, zahlreiche Körnchen circuliren auf ihren Bahnen, wenn auch hierdurch nicht das herrliche Schauspiel des Wogens und Strömens, wie bei der Gromia fluviatilis erzeugt wird. Wenn daher Claparede und Lachmann!) ihre »Rhizopoden ohne Kalkschale« nach der Neigung der Pseudopodien zur Bildung von Anastomosen in Rhizopoden mit selten und solche mit häufig verschmelzenden Pseudopodien eintheilen und hierdurch die Gro- miden allen übrigen gegenüberstellen, so müssen wir diese Einthei- lung als eine ebenso ungenau gefasste als willkürliche bezeichnen, wie denn eine scharfe consequente Durchführung des Eintheilungs- prineips den Autoren selbst nicht gelungen ist. Mit welchem Recht legt man der Anastomosenbildung diese Bedeutung bei? warum 1) Etudes etc. S. 433 u. 434. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 11 nicht ebenso gut den Verästelungen oder der Körnchenströmung ? Jedenfalls würden wir nicht unnatürlichere Zuzammenordnungen bekommen als die Claparede-Lachmann’schen. Wollten wir das von den genannten Forschern aufgestellte Eintheilungsprineip mit rücksichtsloser Consequenz durchführen, so müssten wir unsere Mikrogromia, sogar die D. acropodia, zu den Gromiden stellen, alle übrigen Monothalamien mit Heliozoen und Amöben als Proteinen vereinen. Das Unnatürliche dieser Vereinigung liegt auf der Hand. Ebenso wenig wie mit den systematischen Anschauungen Cla- parede’s und Lachmann’s können wir uns mit der Art und Weise, in welcher sie die Fortbewegungsweise des von ihnen beschriebenen Theils unserer M. Rhizopoda schildern, einverstanden erklären. Die- selben verallgemeinern mit Unrecht den von den Actinophryen beob- achteten Modus der Locomotion auf ihre übrigen Actinophryiden (Trinema, Euglypha, Plagiophrys etc.). Nach ihnen!) sollen die schnellsten Actinophryiden sich langsamer vorwärts bewegen als die langsamsten Amöben und nicht wie diese auf einer breiten Platte kriechen, sondern bei der Ortsbewegung auf den Spitzen der Pseu- dopodien ruhen. Beides stimmt nicht auf unsere M. Rhizopoda. Die Pseudopodien derselben liegen wie die der M. Lobosa in ganzer Länge der Oberfläche der Unterlage, auf welcher sie kriechen, auf; ihre Contractilität und die Lebhaftigkeit, mit welcher sie sich verkürzen, sind hierbei so bedeutend, dass die meisten, namentlich Cyphoderia, mit beträchtlicher Schnelligkeit ihren Ort verändern. — Ebenso spricht die Art und Weise, in welcher die Pseudopodien eingezogen werden, für einen hohen Grad von Contractilität. Das Pseudopo- dium, welches eingezogen werden soll, knickt mit einer momen- tanen lebhaften seitlichen Bewegung rechtwinklig ein und gleitet so in das Innere des Körpers zurück. Die interessanten Anknüp- fungspunkte, die in dieser energievollen seitlichen Schwingung an die Geisselbewegung gegeben sind, haben in voranstehender Arbeit schon ihre Erwähnung gefunden 2). Da alle Monothalamia Rhizopoda ausnahmslos einkernig sind, so ist die Differenzirung in einen vorderen körnigen und hinteren mehr homogenen Abschnitt meistentheils sehr deutlich ausgeprägt. Die Flüssigkeitsräume des Protoplasma sind mit wenigen Ausnahmen eontractil. 1) Etudes S. 434 u. 448. 2) cfr. Mikrogromia socialis S. 25. 112 R. Hertwig und E. Lesser: Im Verhältniss zu den Lobosa ist die Gruppe der Rhizopoda viel reicher an Genera und Species. Dieselben lassen sich am besten nach der Structur und der Form der Schale bestimmen, zu welchen Charakteren sich noch weitere vom Bau des Weichkörpers her- genommene Eigenschaften ergänzend hinzugesellen, z. B. Besitz und Lage der contractilen Vacuolen, die Gestalt und Eigenschaften der Pseudopodien etc. Nach Analogie mit den Lobosa theilen wir auch die Rhizopoda in Formen mit einer nur vom Organismus gebildeten Schale und in solche, deren Schale durch Einkittung von Fremdkörpern grössere Festigkeit erlangt hat. Die erste Unterabtheilung zerfällen wir wieder in Formen, deren Schale glatt ist und solche, deren Schale sich durch eine feine Structur auszeichnet. a. Schale ein reines Secretionsproduct. 1. Schale structurlos. 5. Genus. Plagiophrys. (Claparede et Lachmann.) Die Plagiophryen wurden von Claparede und Lach- mann!) als ein neues Rhizopodengenus aufgestellt und den Actino- phryiden, d. h. Proteinen mit fadenförmigen, häufig verästelten, selten anastomosirenden Pseudopodien untergeordnet. In der Genus- definition schildern die genannten Autoren dieselben als »schalen- los, mit zahlreichen Pseudopodien versehen, welche in einem Bündel von ein und demselben Punkt der Körperoberfläche entspringen« und »langsame Körnchenbewegung auf ihrer Oberfläche erkennen lassen«. Diese sehr aphoristische Genusdiagnose können wir wei- terhin aus der von Clapar&de und Lachmann gegebenen Schil- derung der Species ergänzen. Zunächst müssen wir daraus, dass dieselben nach der Körperform eine Pl. sphaerica und Pl. cylindrica unterscheiden, entnehmen, dass die Plagiophryen eine charakteristische, bestimmte Körpergestalt besitzen. Ein weiterer Charakter scheint durch den Besitz einer deutlich doppelt contourirten biegsamen Haut, welche sich nach der Basis, d. h. der Stelle, wo die Pseudopodien entspringen, hin verdünnt, um zuletzt ganz zu verschwinden und »nicht mit einem anhaftenden Panzer verwechselt werden darf«, gegeben zu sein. Diese Haut wird zwar nur bei Pl. cylindrica ge- schildert, es lässt sich aber wohl annehmen, dass Clapar&de und 1) Etudes etc. S. 453. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. '113 Lachmann nicht zwei Species generisch vereint haben, welche in einem so wichtigen Punkt von einander differiren. Kerne wurden bei keiner der beiden Species beobachtet, contractile Blasen nur bei Pl. sphaerica !). Clapare&de und Lachmann machen hier einen Unterschied zwischen einer Haut (peau) und einem Panzer (carapace). Wenn sie auch keine bestimmte Definition der angewandten Ausdrücke geben, so lässt sich doch aus ihrer Schilderung schliessen, dass sie unter „Panzer‘ die feste unbiegsame Hülle, wie wir sie bei den Euglyphen, Arcellen etc. kennen, unter »Haut« dagegen einen bieg- samen dünnen Ueberzug der Körperoberfläche verstehen. Es würde uns nun von nebensächlicher Bedeutung erscheinen, ob man den hier gemachten Unterschied zwischen einer biegsamen Haut und einem festen Panzer beibehalten wollte, wenn man nur hierin ver- schiedene Erhärtungsgrade ein und desselben morphologischen Ge- bildes, der Schale, ansehen wollte. Aber Claparede und Lach- mann messen diesem Unterschiede eine so hohe Bedeutung bei, dass sie die mit einer Haut versehenen Plagiophryen mit den nackten Actinophryen gemeinschaftlich als schalenlose den beschalten, d.h. bepanzerten Formen gegenüberstellen. Gegen eine derartige Auffas- sungsweise müssen wir uns entschieden erklären. Die Grenze zwi- schen schalenlosen und beschalten Rhizopoden ist offenbar nicht da zu ziehen, wo eine als Schutzorgan gebildete Schicht die Consistenz einer festen Kapsel gewinnt, als viel- mehr da, wosich dieselbezum ersten Maleals ein selbst: ständiges, deutlich doppelt contourirtesGebilde zuer- kennen giebt. Denn die Veränderungen, welche die Organisation in den verschiedensten Richtungen durch die Bedeckung der Körper- oberfläche mit einer nicht mehr aus Protoplasma bestehenden, nicht mehr contractilen und beliebig durchgängigen Schicht erfährt, sind viel eingreifender, als die durch die Consolidation dieser Schicht be- dingten. Mit Bildung einer wenn auch noch so dünnen und bieg- samen »Haut«, wie die der Plagiophrys ist, erlangt der Protoplasma- körper zum ersten Male eine bestimmte Gestalt, die Pseudopodien können nicht mehr an beliebigen Punkten der Oberfläche hervor- gestreckt werden, die Nahrungsaufnahme nicht an jeder Stelle des 1) Der Besitz der contractilen Blasen würde, wie es uns scheint, eine generische Trennung der Pl. sphaerica erfordern. M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. Supplementheft. 8 114 R. Hertwig und E. Lesser: Körpers stattfinden, sondern zu diesen Zwecken functionirt ein be- stimmter, von der Bedeckung frei bleibender Theil der Oberfläche, die Pseudopodienöffnung. Aus diesen Gründen ziehen wir bei Abgrenzung der schalen- losen Rhizopoden gegenüber den beschalten die Plagiophryen zu den letzteren und zwar wegen der monaxonen Gestalt ihres Körpers und des Vorhandenseins nur einer Oeffnung zu den Monothalamia Mono- stomata und formuliren die Charaktere des Genus in folgender veränderter Fassung: Die Plagiophryen sind Monothalamien mit bestimmter und nur unbedeutend schwankender Körperform und verzweigten fadenför- migen, selten oder gar nicht anastomosirenden, von einer Stelle des Körpers in einem Bündel entspringenden Pseudopodien. Sie besitzen eine zarte, aber deutlich doppelt contourirte Schale, welche dem Körper unmittelbar aufliegt und an den geringfügigen Gestalt- veränderungen desselben durch Faltenbildung sich betheiligt. Innerhalb dieses Genus haben wir zwei neue, von den durch Claparede und Lachmann beschriebenen abweichende Arten beobachtet: Pl. sacciformis und scutiformis. Plagiophrys saceiformis. nov. spec. Tafel III Figur 3. ' Pl. saceiformis ähnelt in ihrer Gestalt sehr der P]. cylindrica Clapare&de’s. Wie bei dieser besitzt der Körper eine unregelmässig cylindrische, an beiden Enden sich etwas zuspitzende Gestalt, mit selten glatter, meist unregelmässig gerunzelter Oberfläche. Das die Pseudopodienöffnung tragende vordere Ende ist bald rings von ein- zelnen Höckern besetzt, bald durch eine Falte halsartig abgeschnürt, bald vertieft und nabelförmig eingezogen. Dieser Wechsel der Form lässt sich nicht allein bei verschiedenen Individuen derselben Species, sondern sogar im Lauf der Untersuchung bei ein und demselben Individuum beobachten. Wenn wir daher von einer Constanz der Gestalt bei den Plagiophryen reden, so bezieht sich dies nur auf die gröbsten Umrisse der Körperform, während kleinere Oberflächen- veränderungen, Falten und Buckel durch die Zartheit der Schale, welche nur mit Mühe sich als eine doppelt contourirte Haut erken- nen lässt, ermöglicht werden. Die am vorderen Ende des Körpers gelegene Pseudopodienöffnung wird am lebenden Thier durch die Falten und Höcker der Schale verdeckt. Zusatz von Essigsäure macht sie als eine kleine rundliche Oeffnung sichtbar, indem dann Ueber Khizopoden und denselben nahestehende Organismen. 115 durch das Quellen des Protoplasmakörpers die Falten und Höcker ausgeglichen werden. Solch ein mit Essigsäure behandeltes Thier sieht aus wie ein prall gefüllter Sack, dessen Oeffnung unvollkommen zusammengeschnürt ist. Ebenso lässt die Essigsäure auch die Membran deutlicher doppelt contourirt erscheinen, doch muss man vorsichtig beim Zusatze verfahren, indem starke Concentrationen sie allmählich auflösen, ein Vorgang, der sich unter Einwirkung der Salzsäure noch schneller vollzieht. — Der Körper des Thieres füllt den Schalen- raum vollkommen aus und besteht aus einem bald mehr bald min- der körnerreichen Protoplasma. Vacuolen haben wir nie in ihm erkennen können, dagegen constant einen wie bei allen Monotha- lamien im Hintergrund der Schale gelegenen Kern. Entgegen allen unsern bei anderen Rhizopoden gemachten Erfahrungen erwies sich derselbe als homogen, selbst bei Anwendung von Essigsäure in den verschiedensten Concentrationen und liess nie ein Kernkörperchen erkennen. Die Pseudopodien sind meist spärlich und nie so zahlreich, als Clapar&de und Lachmann von ihrer Pl. cylindrica zeichnen. Sie sind auch nicht an Körnchen reich wie diese, sondern vollkom- men homogen. Sie theilen sich häufig mehrfach dichotom und ent- springen entweder von einer homogenen Protoplasmaplatte oder einem drehrunden breiten Fortsatz, einem Pseudopodienstiel. Der Wechsel der Pseudopodien erfolgt rasch sowie auch die Ortsbewe- gungen keineswegs träge sind, wie es Clapar&de von Pl. cylindrica beschreibt. Das Einziehen geschieht in der im allgemeinen Theil geschilderten Weise. Die Grösse des Thieres ist eine sehr schwankende. Die Länge beträgt ungefähr 0,035 mm., die Breite im Mittel 0,025 mm. Das Thier ist somit bedeutend kleiner als die Plagiophrys cylindrica, welche nach Clapar&de 0,1 mm. misst. Dies, sowie das abwei- chende Verhalten der Pseudopodien und die Unterschiede in der Schnelligkeit der Bewegung bestimmen uns die Plagiophrys sacci- formis als eine von der cylindrica zu trennende Species anzusehen. Plagiophrys seutiformis nov. spec. Tafel III Figur 2. Die Plagiophrys scutiformis unterscheidet sich von der vorher- gehenden Art vorwiegend durch ihre eigenthümliche schildähnliche Gestalt. Dieselbe kömmt dadurch zu Stande, dass von den Neben- axen des Körpers die eine nahezu gleich gross wird, wie die Haupt- 116 R. Hertwig und E. Lesser: axe, während die zweite auf der genannten senkrecht stehende ver- schwindend klein ist. In der Richtung der letzeren erscheint somit der Körper comprimirt. So lange die Plagiophrys am Leben ist, trifft man sie meistens in der von fast allen Monothalamien bei der Fertbewegung ange- nommenen Stellung an, in der die Hauptaxe des Organismus senk- recht auf dem Objectträger steht und die Schalenmündung nach abwärts gerichtet ist. In dieser Lagerung erkennt man, dass die vom Körper gebildete, jetzt auf dem optischen Querschnitt erscheinende Platte wie ein Schild über die eine Fläche gebogen ist (Fig. 2 A). Stirbt die Plagiophrys ab, was sehr schnell eintritt, wenn sie auch nur relativ kurze Zeit unter dem Deckglas beobachtet wurde, so bekommt man den nunmehr nicht fixirten, umfallenden Körper von seiner flachen Seite zu Gesicht. Derselbe bildet ein beiderseits sich etwas zuspitzendes Oval mit glatter Oberfläche. An einem der spitzen Enden findet sich die Pseudopodienöffnung, umgeben von einem Kranz von Falten. Gleichzeitig erleidet das Protoplasma des Körpers eine eigenthümliche Veränderung, indem sich um die ein- zelnen Körnchen wie um Attractionscentra kleine Vacuolen bilden, so dass der sonst von Blasen vollkommen freie Körper von ihnen gleichmässig durchsetzt erscheint. Hierbei gerathen die in den Va- cuolen lagernden Körnchen in lebhafteste Moleeularbewegung (Fig.2B). In Bezug auf Kern, contractile Vacuolen, Schale und Pseu- dopodien bedarf es nur eines Hinweises auf das bei Pl. saceiformis Gesagte, welches sich ohne Weiteres auch auf Pl. scutiformis über- tragen lässt. Die Dimensionen der Pl. seutiformis sind durchgängig beträcht- licher als die der vorangehenden Art. Die Länge beträgt 0,06, die Breite 0,04 mm. Wir schliessen die Betrachtung der Plagiophryen mit einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten, dieselben kennzeichnen- den Charaktere. Plagiophrys. Schale membranartig dünn, in geringem Grade biegsam, dem Köprer unmittelbar aufliegend; Kern einfach; contractile Blasen nicht vorhanden; Pseudopodien spitz, verästelt, ohne Anastomosen. Plagiophrys saceiformis. Körperform unregelmässig cylindrisch; im Kern kein Kern- körper nachweisbar; Protoplasma frei von Vacuolen; Pseudopodien körnchenfrei. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 117 Plagiophrys scutiformis. Körper oval, schildförmig ; Pseudopodienöffnung an einem Ende des Ovals angebracht, im Uebrigen wie Pl. saccıformis. 6. Genus. Leeythium hyalinum. nov. gen. Tafel III Figur 8. Syn. Gromia hyalina. (Schlumberger'). Arcella hyalina. (Ehrenberg, Fresenius?). Difflugia Enchelys. (Schneider °). Die Monothalamie, die wir unter dem Namen Lecythium zu beschreiben gedenken, ist schon häufig früheren Forschern bei ihren Beobachtungen aufgestossen und ist zum Theil recht gut charakte- risirtt worden. Wenn wir gleichwohl uns veranlasst sehen ihr einen neuen Namen » Lecythium« *) zu geben, so geschieht es desshalb, weil die bisherigen Benennungen sie unter Genera unterordnen, mit denen sie Nichts gemeinsam hat. Die beste Schilderung des Organismus ist von Fresenius gegeben und weicht die unserige nur in wenigen im Folgenden genauer bezeichneten Punkten von ihr ab. Die Schale des Rhizopoden ist wasserklar (nach Fresenius manchmal etwas leicht sepiafarben), structurlos, unbiegsam, dem Körper dicht und unmittelbar aufgelagert. Ihre Form weicht von der Kugelgestalt nur in so fern ab, als die Hauptaxe die Neben- axen um ein Geringes an Grösse übertrifft. Die Pseudopodien- öffnung sitzt nicht genau mit ihrer Mitte am Ende dieser Längsaxe, sondern weicht nach einer Seite ab. Dieselbe ist in Folge dessen kürzer und stärker gekrümmt als die ihr gegenüberliegende. Wir bezeichnen die erstere als die ventrale, die länger und schwächer ge- krümmte als die dorsale. Von vorn gesehen sind beide Seiten (die rechte und linke) gleichmässig geformt. Die Schale ist somit bilateral symmetrisch und unterscheidet sich hierdurch von den Schalen der Gromien. Die Pseudopodienöffnung ist keineswegs so unbestimmter Gestalt wie Fresenius angiebt, sondern wird von einem kurzen Halse umgeben, welcher durch eine Herausfaltung der Schale entsteht. Die Schale wird von dem sehr zarten bläulichen Protoplasma vollkommen angefüllt. Dasselbe ist im vorderen Theile fein gra- nulirt und enthält hier ausser aufgenommenen Nahrungsbestand- 1) Annales des sciences naturelles III. Vol. 3. 1354 pag. 255. 2) Abhandl. d. Senckenbergischen Gesellschaft Bd. II. 8) Müller’s Archiv 1854 pag. 204. 4) Von Anzusıov das Fläschchen, der Krug. 118 R. Hertwig und E. Lesser: theilen eine Anzahl von Vacuolen, an denen wir nie Contractionen wahrnehmen konnten. Im Hintergrund der Schale liegt in ein fast vollkommen homogenes Protoplasma eingebettet der 0,01 bis 0,015 mm. grosse Kern mit seinem 0,006 mm. grossen Kernkörper. Nucleus und Nucleolus verhalten sich wie die Kerne der Rhizopoden und sind hier ganz besonders schön und deutlich zu sehen. (Fre- senius bezeichnet den Nucleolus als Kern, welcher von einem kreisrunden, hellen Hof (Nucleus) umschlossen ist). Von einer aus der Schalenmündung hervortretenden homogenen Protoplasmaplatte entspringen die gleichfalls homogenen, mehrfach dichotom getheilten, aber selten anastomosirenden Pseudopodien. Wenn Exemplare längere Zeit unter dem Deckgläschen beobachtet werden, treten in dieser Protoplasmaplatte grosse Vacuolen auf, während allmählig die Pseudopodien eingezogen werden. Zuletzt liegt eine häufig das Thier an Grösse übertreffende fast nur aus Vacuolen bestehende, mit dem inneren Protoplasma zusammenhängende, kugelige Masse vor der Schalenöffnung. Die geschilderten Zustände sind Zeichen des ein- getretenen Todes und besitzen nicht die geringste Aehnlichkeit mit Theilungen, so dass die Frage, ob es vielleicht mit der Vermehrung im Zusammenhange stehende Veränderungen seien, was Frese- nius für möglich hielt, gar nicht der Discussion bedarf. Die Berechtigung zur Errichtung eines neuen Genus für den beschriebenen Rhizopoden ist in der Schilderung seines Baues gegeben. Mit den Arcellen und Difflugien, mit denen Ehrenberg ihn in Verbindung brachte, hat er gar nichts gemeinsam. Von den Gromien unterscheidet er sich durch die Form der Schale, durch den einfachen Kern, der bei den Gromien stets in Mehrzahl vor- handen ist und durch die relativ kurzen Pseudopodien, welche selbst hinter Gr. Dujardinii bedeutend zurückstehen. Unsere Genus- und Speciesdiagnose ist folgende: Lecythium hyalinum. Schale rundlich, vollkommen erystallhell, membranartig dünn, aber unbiegsam, bilateral symmetrisch, mit einem kurzen, die Pseudo- podienöffnung tragenden Hals. Protoplasmakörper die Schale vollkommen erfüllend, in einen vorderen körnigen und hinteren homogenen Abschnitt differenzirt. Im ersteren die nicht contractilen zahlreichen Vacuolen, im letzteren der stets einfache Kern. Pseudopodien homogen, zahlreich verästelt, dann und wann anastomosirend. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 119 7. Genus. Trimena. (Dujardin). Syn. Difflugia Enchelys (Ehrenberg). Das Genus Trinema wurde von Dujardin!') aufgestellt und mit kurzen Worten vortrefflich charakterisirt. Späterhin ist es nur einmal wieder von Claparede und Lachmann?) genauer beschrieben worden, wenn wir von der wenig ausführlichen Schil- derung absehen, welche Ehrenberg°) und Fresenius‘) (ersterer unter den Namen Difflugia Enchelys) gegeben haben. Die Euglypha pleurostoma Carter’s5) ist keineswegs, wie Clapar&de und Lach- mann vermuthen, mit der Trinema acinus von Dujardin identisch, sondern ist von dem englischen Forscher mit Recht wegen ihrer Schalenstructur als Euglyphe bestimmt worden. Unserer Genusdefinition legen wir die Dujardin’sche Fassung zu Grunde, formuliren dieselbe aber etwas bestimmter durch Auf- nahme einiger weiterer Charaktere. Das Genus Trinema ist durch eine feste, dem Körper nicht überall aufliegende structurlose Schale charakterisirt ; dieselbe besitzt eine länglich ovale, nach dem aboralen Pole zu sich bauchig er- weiternde Form. Die Schalenmündung liegt seitlich und ist zur Schalenaxe schräg geneigt. Die Ränder der Mündung sind nach einwärts gezogen. Der Protoplasmakörper besteht aus einem vorderen, mehr granulirten und einem hinteren homogenen Abschmitt. In letzterem findet sich der mit einem Kernkörper versehene Kern, an der Grenze des vorderen und mittleren Drittels die in einer Aequatorial- ebene gelegenen, stets in der Anzahl von 3 vorhandenen contrac- tilen Vacuolen®). Die spitzen und fadenförminen Pseudopodien sind körnchenlos und bilden keine Anastomosen. x Trinema acinus. (Dujardin). Die Beschreibung, welche wir vom Genus gegeben haben, hat schon die wichtigsten Punkte der einzigen hierher gehörigen Species, 1) Hist. nat. des Infus. p. 249. 2) Etudes s. 1. Infus. et Rhizop. p. 455. 3) Infusorien p. 132. 4) Abhandlung der Senckenberg. Gesellschaft Bd. I. 5) Ann. and. Mag. of nat. hist. II. Vol. 20. 6) Der Kern und die contractilen Blasen wurden zuerst von Claparede und Lachmann beschrieben (l. c.). 120 R. Hertwig und E. Lesser: der Trinema acinus, berührt. Wir können uns daher hier fast ausschliesslich auf die Angabe der Maassbestimmungen beschränken. Die Länge der Schale beträgt meist 0,03 — 0,04 mm., ihre grösste, dem Schalenhintergrund zu gelegene Breite 0,015—0,02 mm, Der Kern misst im Durchschnitt 0,009, das Kernkörperchen 0,003 mm. Beide sind zumeist schwer zu erkennen, weil das homogene Pro- toplasma, in welchem sie eingebettet sind, von der Farbe des Kerns wenig differirt. Der Protoplasmakörper füllt die Schale fast voll- kommen aus, nur nach der Schalenmündung zu verschmächtigt er sich halsartig, so dass auf der ventralen und den beiden lateralen Seiten ein freier, spaltähnlicher Raum zwischen der Schale und dem Körper übrig bleibt. Die von Dujardin beschriebenen longitudi- nalen Eindrücke der Schale haben wir nie beobachten können; die Oberfläche derselben war überall gleichmässig gewölbt. Ein einziges Mal haben wir eine eigenthümliche Doppelbildung der Schale beobachtet, welche man wohl als Monstrosität auffassen muss. Auf der dorsalen Seite dicht hinter der Schalenmündung bildete die Schale ein Divertikel, welches ungefähr die Gestalt einer Tri- nemaschale besass und deren Längsaxe mit der Hauptaxe der eigentlichen Schale einen Winkel von ungefähr 100° bildete. Dieses Divertikel besass die Länge von 0,025 und eine Breite von 0,0lmm. Das Ganze sah aus, als ob zwei Schalen mit ihren vorderen Enden verschmolzen seien. Das Protoplasma beider Räume stand hierbei in Continuität, allein nur das in der eigentlichen Schale gelegene zeichnete sich durch den Besitz eines Kerns aus. Die Trinema acinus findet man häufig wie auch andere Mono- thalamien zu zweien mit ihren Pseudopodienöffnungen gegen einander gelagert. Derartig verbundene Individuen konnten wir einige Male sich wieder trennen sehen, ohne dass irgend welche Veränderungen an ihnen eintraten und messen wir daher dem Vorgang für die Fortpflanzung keine Bedeutung bei. Bezüglich der Fortpflanzung sind in erster Linie auch hier wieder Cystenbildungen zu erwähnen. Wir fanden häufig im Hinter- grund der Schale der Trinemen eine mit gleichmässig grossen, stark lichtbrechenden Körnchen vollgepfropfte Kugel von 0,015—0,02 mm. Durchmesser, wie sie in ganz ähnlicher Weise M. Schultze!) für Cyphoderia margaritacea (Lagynis baltica) abbildet. Meistentheils 1) Organismus der Polythalamien. Taf. I Fig. 8. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 121 liess sich in ihr ein Kern mit Kernkörper trotz ihrer Undurch- sichtigkeit nachweisen. Bei vielen dieser Cysten konnten wir eine Schale nicht erkennen, obwohl ihre scharfe Begrenzung dafür zu sprechen schien, dass die Protoplasmakugel von einer wenn auch dünnen Membran überzogen war. In anderen Fällen waren dagegen doppelte Hüllen nachweisbar. Die äussere derselben lagerte der Innenwand der Schale unmittelbar an und schien mit derselben verschmolzen zu sein. Die innerhalb dieser Hülle gelegene aus einer zweiten Membran gebildete Kugel wurde von dem Protoplasma der Cyste vollkommen erfüllt. Diesen eigenthümlichen durch die Bildung doppelter Hüllen sich auszeichnenden Encystirungsprocess haben wir in noch entwickelterer Form bei Euglyphen angetroffen, bei denen wir noch einmal auf ihn zurückkommen werden. Für eine weitere Art der Fortpflanzung durch Theilung und darauf folgende Schwärmerbildung scheinen uns folgende Beobach- tungen zu sprechen. Nicht selten findet man Trinemen, deren Körper ungefähr in der Mitte der Schale wie abgeschnitten endet, so dass der Schalenhintergrund leer bleibt. Bei einem dieser Individuen war der sonst leere Raum durch eine beständig rotirende Kugel zum grösseren Theil erfüllt, ohne dass wir den Grund der Rotation (ob Cilien vorhanden waren oder Geisseln?) hätten er- mitteln können. Das Thier starb leider während der Beobachtung ab, so dass wir das Endresultat nicht verfolgen konnten. Da bei der nächstverwandten Mikrogromia eine Abschnürung des hinteren Körperendes zur Schwärmerbildung führt, ist uns auch hier ein gleicher mit der Fortpflanzung im Zusammenhang stehender Vor- gang wahrscheinlieh. 2. Monothalamia Rhizopoda, mit einer durch feine Sculptur ausgezeichneten Schale. 8. Genus. Euglypha. (Dujardin). In der Definition des Genus Euglypha behalten wir die Charakteristik, die uns Dujardin!) in seiner Histoire naturelle des Infusoires giebt, im Wesentlichen bei. — Unter Euglyphen ver- stehen wir Rhizopoden mit spitzen fadenförmigen Pseudopodien, welche keine Körnchenströmung besitzen, nicht unter einander ana- 1) Histoire etc. pag. 251. 122 R.Hertwig und E. Lesser: stomosiren, dagegen — und hierin weichen wir von Dujardin ab, welcher die Pseudopodien fälschlicherweise einfach nennt — sich meistens dichotomisch verästeln. Die Schale ist ein reines Secre- tionsproduct, ohne eingekittete Fremdkörper. Sie bleibt bei der Einwirkung von selbst concentrirten Mineralsäuren (Schwefelsäure) und Kalilauge unverändert. Ihre Gestalt ist länglich oval oder, wenn ein vorderer Hals sich gegenüber einem bauchigen Hinterende absetzt, flaschenförmig. Ihre endständige Mündung ist meistentheils, aber nicht wie Dujardin angiebt, in allen Fällen fein gezähnelt. Ihre solide und unbiegsame Wandung besitzt eine Sculptur, de- ren Details in Spirallinien angeordnet sind. Diesen letzteren schon von Dujardin aufgestellten Charakter halten wir gegenüber Clapar&de und Lachmann aufrecht, welche ihn in ihrer De- finition des Genus absichtlich auslassen‘). Bei allen von uns unter- suchten Species waren die Einzeltheile der Sculptur hexagonale Platten. Nach Angabe anderer Autoren sollen in gleicher spiraliger Anordnung auch Buckel und rundliche Platten vorkommen. Wir werden bei der Besprechung der einzelnen Arten auf diese Angaben ausführlicher zurückkommen. Wie Carter?) richtig bemerkt, kann man am Protoplasma- körper einen fast ?/s3 desselben betragenden vorderen, von einem hinteren Abschnitt unterscheiden. Das Protoplasma des ersteren ist feinkörnig mit gröberen Einschlüssen; es enthält allein die zu verdauenden Fremdkörper; das Protoplasma des hinteren Drittels dagegen ist homogen. Es umschliesst nicht selten eine meist nicht sehr bedeutende Anzahl nahezu gleich grosser dunkelcontourirter kleiner Körner; in allen Fällen beherbergt es den Zellkern, welcher zuerst von Carter, später ebenfalls von Claparede beobachtet wurde und für gewöhnlich die bekannte Gestalt des Nucleus der Rhizopoden besitzt: eine rundliche oder ovale Blase ohne besondere doppelt contourirte Hülle und in derselben als Nucleolus ein homo- gener, mattbläulicher, ebenfalls ovaler Körper. An der Stelle, an welcher der vordere granulirte Abschnitt des Körpers in den hinteren übergeht und welche häufig, jedoch keineswegs stets wie Carter angiebt, durch eine ringförmige Einschnürung bezeichnet ist, liegen in grösserer Anzahl meist zu zwei oder drei die in das Protoplasma 1) M. Dujardin a donn& 3 ce genre ce nom (d’Euglyphe) par ce que les especes & lui connues avaient une coque elegamment sculptee 1. c. 8. 456. 2) Ann. and. Mag. of nat. history III Vol. 13. 5. 32. x W Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 123 eingebettetenund nur seltendasselbe im Zustand höchster Ausdehnung buckelartig hervortreibenden contractilen Blasen. — Die geschilderte Anordnung der Körpertheile ist allen Euglyphen gemeinsam. Die einzelnen Species charakterisiren sich fast einzig und allein durch meist nicht sehr bedeutende Differenzen im Bau der Schale. Bei der Schilderung der einzelnen Arten, auf die wir nunmehr über- gehen, werden wir zuerst eine Charakteristik nach unseren Beob- achtungen geben und dann erst die Angaben anderer Autoren in Betracht ziehen, da man sehr häufig an der Indentität der den Schilderungen früherer Autoren zu Grunde liegenden Exemplare mit den unserigen zweifelhaft sein kann. Euglypha ampullacea. nov. spec. Tafel III Fig. 6. Die Schale der Euglypha ampullacea ist flaschenförmig, indem der hintere bauchige Abschnitt sich nach vorn halsartig auszieht. Ihr längster Durchmesser beträgt 0,07 mm.; ihr Breitenmesser 0,04—0,05mm., der Durchmesser der Pseudopodienöffnung 0,02 — 0,025mm. Im Verhältniss zu dieser beträchtlichen Grösse der Schale sind die hexagonalen Täfelchen, welche sie zusammensetzen, klein zu nennen. Dieseiben sind länglich und mit ihrem Längendurch- messer dem Durchmesser der Schale gleich gerichtet. Sie sind in 24 Spi- ralen angeordnet, welche an der Pseudopodienöffnung beginnen und langgestreckt nach abwärts verlaufen. Nach dem aboralen Kör- perende nehmen die Tafeln an Breite beträchtlich zu, wodurch die bauchige Ausbuchtung der Schale bedingt wird. Ihr mittlerer Längen- durchmesser beträgt 0,005, ihr mittlerer Breitenmesser 0,003mm. Im bauchigen hinteren Abschnitt tragen sie theilweise Stacheln von ungefähr 0,02 mm. Länge. Dieselben sind regellos vertheilt und fehlen nicht selten, sei es, dass sie von Anfang an nicht entwickelt waren, sei es, dass sie abgebrochen sind. Die Schalenmündung ist mit 12 Zähnen besetzt, von denen jedesmal einer auf zwei Plättchenreihen kömmt und eine Basis von 0,005—0,006 mm. Breite und eine nur um Weniges beträchtlichere Höhe besitzt. Sie sind nach innen zu eingebogen und zeichnen sich durch einen beiderseits mit zwei Einkerbungen versehenen Rand aus. Man kann die Zähne der Schalenmündung als die modificirten Endglieder von 12 Plattenreihen auffassen, die 12 übrigen mit den letzteren alternirenden Reihen würden hierbei mit einem Plättchen 124 R. Hertwig und E. Lesser: abschliessen, welches seine hexagonale Gestalt vollkommen unver- ändert beibehalten hat und sich jedesmal zwischen zwei Zähne mit seiner oberen Hälfte einschiebt, ohne den Rand der Schalenmündung zu erreichen. Die hier gegebene Schilderung stimmt vielfach mit Carter’s Beschreibung der Schale seiner E. compressa!) überein. Auch hier sind ungefähr 12 Zähne um die Pseudopodienöffnung gruppirt und es entsprechen, so weit man nach der Zeichnung urtheilen kann jedesmal 2 Reihen sehr schmaler, länglicher, hexagonaler Plättchen je einem Zahn. Ebenso sind auch unregelmässig zerstreute Stacheln vorhanden. Nur stimmt die Gestalt der Schale nicht überein, da dieselbe in einer Richtung so bedeutend zusammengedrückt sein soll, dass zwei scharfe seitliche Kanten entstehen. Möglicherweise ist diese Form der Schale nur eine Varietät; da Carter jedoch von dieser Form her seinen Namen genommen hat, konnten wir die von uns beschriebenen Formen seiner Species nicht unterordnen. Bezüglich der inneren Organisation haben wir dem über die Euglyphen im Allgemeinen Gesagten Nichts wesentliches hinzuzu- fügen. Der Körper füllte meist die Schale fast vollkommen aus. Der rundliche oder ovale Kern besass im Mittel die Grösse von 0,012— 0.015mm., das Kernkörperchen, welches häufig wegen seiner matten Farbe erst bei Zusatz sehr verdünnter Essigsäure sichtbar wurde, betrug 0,008 mm. Ein Mal sahen wir im hinteren Abschnitt des Körpers zur Körperoberfläche tangential gestellte 0,015 mm. lange, dünne Stäbchen in grösserer Anzahl. Wir trafen sie später auch bei anderen Euglyphenarten wieder, ohne dass wir über ihre Bedeu- tung etwas in Erfahrung hätten bringen können. Sie widerstehen concentrirten Mineralsäuren und sind vielleicht die ersten Stücke zur Bildung einer zweiten (Ersatz?) Schale. Englypha alveolata. (Dujardin). Tafel III Figur 5. Die Euglypha alveolata besitzt unter allen von uns beobach- teten Monothalamien mit spitzen Pseudopodien die grössten Dimen- sionen. Ihre ovale Schale ist 0,08—0,1 mm. lang und 0,04—0,05 breit. Sie zeichnet sich durch die Grösse der sie zusammensetzenden hexagonalen Platten aus, welche eine Länge von 0,009 und eine 1) Annals and. Mag. of nat. history III. Vol. 13 S. 32. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 125 Breite von 0,005mm. erreichen und in ungefähr 8 von der Pseudo- podienöffnung beginnenden Spiralen angeordnet sind. Die Pseudo- podienöffnung ist von 8 Zinken umrahmt, von denen eine jede wieder gleichmässig fein gezähnelt ist. Stacheln kommen dann und wann an den Platten des hinteren bauchigen Endes vor und sind dann in derselben Weise wie bei E. ampullacea unregelmässig vertheilt. Sie scheinen jedesmal aus dem hinteren Ende einer hexagonalen Platte hervorzutreten. Dujardin!), von dem der Namen Euglypha alveolata stammt, weicht von der hier gegebenen Schilderung in so fern ab, als er von hexagonalen Eindrücken oder Vertiefungen spricht. Uns scheinen zwar auch die centralen Partieen einer jeden Platte etwas vertieft zu sein, indessen nie in dem Masse, dass nur die Randpartieen als erhabene hexagonale Leisten erkennbar gewesen wären, wie es Dujardin?) abbilde. Weiterhin spricht er von rhombischen Vertiefungen, welche an Stelle der hexagonalen vor- handen sein könnten. Dies kommt daher, dass die Ecken der hexagonalen Platten häufig undeutlich werden und die letzteren dann eine länglich ovale sich dem Rhombus annähernde Gestalt annehmen. Carter?) lässt die hexagonale Felderung in der Weise zu Stande kommen, dass ovale oder runde Plättchen mit übersprin- genden Rändern sich theilweise decken. Es ist denkbar, dass in dieser Weise hexagonale Felder vorgetäuscht werden können, und wir selbst haben lange Zeit dieselbe Vermuthung gehabt, bis wir uns überzeugten, dass in Wirklichkeit sechseckige Figuren vor- liegen, die indessen, wie erwähnt, durch Abstumpfung der Ecken manchmal eine ovale Form annehmen; keinenfalls aber kann eine hexagonale Felderung in der Weise, wie Carter schematisch abbildet, zu Stande kommen. Wenn je ein Kreis mit nur 4 nächst- liegenden sich deckt, so ergeben die gemeinschaftlichen Sehnen - Vierecke, und so zeichnet es Carter in seinem zuerst citirten Auf- satz in Wirklichkeit. Sollen Sechsecke entstehen, so muss selbst- verständlich ein Kreis sich mit jedesmal 6 benachbarten decken. 1) Histoire etc. S. 252. 2) L. c. Tafel II. Fig. 10. 3) Ann. and. Mag. of nat. history II, Vol.18. (1856) Taf. V Fig. 25—36. III, Vol. 13. (1864) S. 33. Taf. II Fig, 17. 126 R. Hertwig und E. Lesser: Die Zacken, welche die Pseudopodienöffnung umschliessen, werden von Carter in gleicher Weise wie in unserer Figur gezähnelt abge- bildet. Auch ihre Zahl scheint, nach den Abbildungen zu urtheilen, sich auf 8 zu belaufen, so dass an der Indentität der den verschie- denen Beobachtungen zu Grunde liegenden Objecte kein Zweifel sein kann. Im Kerne war sehr häufig der Kernkörper ohne Anwendung von Reagentien nicht sichtbar. Der erstere bildete dann eine gleich- mässige, homogene, 0,014 mm. grosse rundliche oder ovale Masse und entsprach dem, was Carter einen „effete Nucleus‘ nennen würde, d.h. einem Nucleus, dessen Kernkörper in Theilstücke zerfallen ist, welche als Spermatozoen oder Ovula, aus dem Innern des Nucleus (dem Brutraum) in das Protoplasma des Körpers gelangt sind. Verdünnte Essigsäure liess in dem anscheinend homogenen Kern gleichwohl den Kernkörper hervortreten, als ein nur um weniges dem Kern an Grösse nachstehendes Gebilde, welches bei Verstär- kung der Essigsäure durchscheinend wurde, auf Zusatz von Kali aceticum oder Salzsäure sich jedoch wieder sichtbar machen liess. Aus diesen Reactionen, welche wir häufiger Gelegenheit hatten anzustellen, geht unzweifelhaft hervor, dass der Kernkörper noch vorhanden war, dass man somit in den Fällen, wo er im frischen Zu- stand nicht sichtbar ist, nicht ohne Weiteres zum Schlusse berechtigt ist, dass er überhaupt fehlt. Es scheinen uns im frischen Zu- stand überhaupt auch normaler Weise in dem Leben des Zellkerns Zustände vorzukommen, wie wirsie unter Anwendung von Essigsäure in starken Concentrationen künstlich erzeugen können. Das Kern- körperchen quillt und verschwindet, indem es entweder den ganzen Nucleus ausfüllt oder indem es gleiche Lichtbrechung wie die Substanz des Nucleus annimmt, und erklären wir uns so das Zu- standekommen des Bildes des „effecte Nucleus‘‘!) (Carter). Welche Bedeutung diesem Aufquellen des Nucleolus zukommt, ob vielleicht die Bedeutung der ersten Einleitung einer Theilung des Körpers nach Art der Zelltheilung, welche wie es scheint, sehr häufig unter Auflösung des gesammten Kerns verläuft, wagen wir nicht zu ent- scheiden. Weiterhin haben wir auch die Gebilde beobachtet, welche Carter als „granuliferous cells‘ bezeichnet und mit der Bildung 1) Vielleicht ist auch in dieser Weise das Bild, welches der Kern der Plagiophryen constant ergiebt, zu deuten. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 127 der „Spermatozoiden“ in Zusammenhang bringt, indem er sie aus fortgesetzten Theilungen des sich dadurch erschöpfenden Nu- cleolus ableitet. Da wir keine Beobachtungen über die Bedeutung dieser „granuliferous cells‘ für den Haushalt des Thieres beizu- bringen vermögen, unterlassen wir eine Besprechung der Carter’schen Annahme, mit der wir im Uebrigen keineswegs uns einverstanden erklären. Wir werden in einer späteren Arbeit Gelegenheit finden, auf diese, für die richtige Beurtheilung des Rhizopodenorganismus, sowie auch der einzelnen Zelltheile überhaupt, fundamentalen Fragen ausführlicher zurückzukommen und beschränken uns daher hier auf eine kurze Schilderung. Die ‚granuliferous cells“ sind rund- liche, ausserhalb des Kernes im Protoplasma unregelmässig zer- streute, blasenartige Gebilde von 0,01 mm. Durchmesser, welche mehr oder minder von kleinen runden bläulichen Körnern erfüllt sind. Die Körner sind meist sehr regelmässig in concentrischen Kreisen angeordnet. Sie besitzen eine grosse Resistenz gegen selbst stär- kere Concentrationen von Essigsäure, was sehr wenig mit ihrer Ableitung vom Nucleolus stimmt. Wo sie vorhanden waren, fanden wir sie meist in grösserer Anzahl, ohne dass der Nucleus und Nucleolus verschwunden gewesen wären. Die Pseudopodien der Euglypha alveolata zeichnen sich durch die Häufigkeit ihrer Theilungen und durch reichliche Entwicklung aus. Sie entspringen meist von einem homogenen, in Lappen oder in breite Fortsätze ausgezogenen Protoplasma. Einige ‘Male beobachteten wir in gleicher Weise wie bei E. ampullacea innerhalb der Schale dem Protoplasma des Thie- res aufliegende Plättchen, welche vielleicht als Ersatzstücke der Schale aufzufassen sind oder mit einem eigenthümlichen, sogleich näher zu schildernden Enceystirungsprozess zusammenhängen. Das Eigenthümliche des Encystirungsprocesses, welchen schon Carter gekannt, aber weder genauer beschrieben, noch richtig gedeutet hatte, besteht darin, dass die Cyste nicht direct in die Schale des Thieres zu liegen kommt, sondern ausserdem noch einmal von einer weiteren, vollkommen geschlossenen zweiten Schale umhüllt wird. Stets findet sich die Mündung der äusseren Schale (der eigentlichen Schale des Thieres) durch verklebte Fremdkörper, (Algenfäden, Diatomeen etc.) geschlossen. Frei in ihr beweglich ruht die innere behufs der Encystirung neugebildete Schale. Die- selbe ist eiförmig, mit dem spitzen Ende nach der Pseudopodien- 128 R. Hertwig und E. Lesser: öffnung der äusseren Schale zugewandt und vollkommen geschlossen (Carter zeichnet sie am spitzen Ende geöffnet). Ihre Länge beträgt 0,05—0,06, ihre Breite 0,04—0,05mm. Ihre Oberfläche besitzt die bekannte Euglyphenstructur, die hexagonalen Platten sind hierbei ebenso lang wie breit und ungemein deutlich contourirt, ihre jedes- malige Mitte deutlich concav ausgehöhlt. Ihre Farbe ist ein lichtes Braun, welches durch Anwendung von Jod und Schwefelsäure intensiv rostbraun wird, während die Farbe der äusseren Schale bei Anwendung des Reagens unverändert bleibt. Im hinteren bauchigen Theil der inneren Schale, denselben fast vollkommen füllend, liegt die kugelrunde Cyste von 0,04 mm. Durchmesser. Der Cysteninhalt besteht bei allen von uns beobachteten Thieren aus. kleinen gleich- mässig grossen Körnern, welche durch ihr starkes Lichtbrechungs- vermögen die Cyste dunkel und undurchsichtig und eine genaue Erkenntniss ihrer inneren Theile unmöglich machen. Gleichwohl kann man eine lichtere centrale Partie von 0,015mm. Durchmesser von einer dunkleren Rinde unterscheiden. Diese hellere centrale Partie wird auf Zusatz von Natronlauge, welcher die Körner, sowie allen anderen angewandten Reagentien gegenüber, (z. B. concen- trirten Mineralsäuren) widerstehen, deutlicher contourirt. Da wir ‘bei den im Uebrigen sehr ähnlichen Cysten der Trinemen einen Kern mit Kernkörper nachweisen konnten, glauben wir auch hier den hellen Binnenraum als Kern deuten zu müssen. Carter, welcher die Cyste als einen für die Entwicklung der „granuliferous cells“ bestimmten Apparat auffasst, zeichnet dieselbe leer bis auf einige wenige „granuliferous cells“. Wir haben nie etwas der- artiges gesehen. Da Carter sowohl die innere wie die äussere Cystenschale geöffnet zeichnet, sind wir geneigt anzunehmen, dass ihm entleerte Cysten mit hineingerathenen Fremdkörpern vorge- legen haben. Die Anwendung von 32procentiger Natronlauge und concen- trirten Mineralsäuren macht eine feine Structur der kugeligen Oysten- schale deutlich. Indem sich unter dem Einfluss der genannten Reagentien der Cysteninhalt zusammenzieht, kann man den Bau der Schale, welcher stellenweise das Protoplasma nicht mehr unmittel- bar anliegt, genauer studiren. Die Oberfläche sieht dann fein punktirt aus; beim Einstellen auf den optischen Durchschnitt erkennt man als Grund dieser Punktirung feinste Buckelchen, welche, eines dicht neben dem anderen, sowohl nach innen als nach aussen prominiren. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 129 Der optische Durchschnitt der Schale sieht demgemäss wie eine Perlenkette aus. Die Cyste ist an das spitze Ende der eiförmigen geschlossenen zweiten Schale durch einen zarten homogenen Strang (nicht wie Carter angiebt durch eine Röhre) befestigt. Derselbe besteht aus einer stickstoffhaltigen Substanz, wie sein Verhalten gegenüber Jod- Schwefelsäure erkennen lässt, bei deren Anwendung er schrumpft und sich bräunt. Nach unseren Beobachtungen liegt kein Grund vor, der uns zwänge, in der geschilderten complicirten Vorrichtung etwas Anderes zu erblicken, als den bei allen Rhizopoden weit verbrei- teten Eneystirungsprocess, dessen ursprünglicher Zweck wohl darin zu suchen ist, den Organismus beim Eintrocknen des Tümpels, in dem er lebt, vor Verderbniss zu schützen, der aber in vielen Fällen die weitere Bedeutung gewinnt, eine Vervielfältigung durch ein- fache Theilung vorzubereiten. Euglypha globosa. (Carter). Tafel HI Figur 7. Die Euglypha globosa wurde zuerst von Carter!) be- schrieben und benannt. Die kurze Schilderung, welche er ihr zu Theil werden lässt, vermag indessen ebenso wenig, wie seine Ab- bildungen eine gute Vorstellung von ihrem Bau zu geben. Ausser- dem weichen seine Angaben in einigen wichtigen Punkten von unseren Beobachtungen ab, ohne dass jedoch Zweifel an der Iden- tität unserer E. globosa mit der von Carter beschriebenen entstehen könnten, da sich einige besonders charakteristische Merkmale bei beiden in gleicher Weise nachweisen lassen. Wir beginnen mit der Betrachtung der Schale. Dieselbe nähert sich mehr denn alle übrigen Euglyphenschalen der Kugel- gestalt, wesshalb der Carter’sche Name uns trefflich gewählt erscheint. Ihr vorderes Ende wird durch einen sich scharf absetzen- den kleinen Aufsatz, einen Schalenhals bezeichnet. Während die bauchig aufgetriebene Schale in allen Lagen unter demselben Bild erscheint, ändert sich das Aussehen des Aufsatzes bei Lageverän- derungen in folgender charakteristischer Weise. Meist erscheint er wie der kurze Hals einer Flasche oder besser eines Krugs, bei dem ein rundes Stück aus der Mündung 1) Ann. and Mag. of nat. hist. III 15. pag. 290 Taf. XII Fig. 14. M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. Supplementheft. 9 130 R. Hertwig und E. Lesser: ausgebrochen ist (Tafel III Figur 7A). Denken wir uns jetzt die Euglyphe um ihre Längsaxe gedreht, so verschwindet allmählich die Form eines halsartigen Aufsatzes und an seine Stelle treten zwei Zacken, welche in gleichem Maasse, als das Thier sich dreht, sich einander nähern, bis sich endlich beide decken, indem der eine hinter dem andern verschwindet (Fig. 7 B und C). Im letzteren Falle sieht man gar keinen Unterschied mehr zwischen Hals und Bauch der Schale. Der letztere verschmälert sich allmählich nach oben und endet mit einer Spitze. "Die geschilderten Formveränderungen, die man sich durch künstliches Rollen an jeder Schale erzeugen kann, erklärt Carter in folgender Weise. Die Schalenmündung ist in einer Richtung breiter, in der zu dieser senkrechten schmaler. Bei der ersteren Ansicht entsteht Fig. 7 A, bei der zweiten Fig. 7 B. Carter übersieht hierbei, dass, wenn die Erklärung richtig wäre, man bei der Ansicht des Schalenhalses von seiner schmalen Seite nicht das Bild von zwei Höckern, sondern eines Aufsatzes wie ihn Fig. 7 A giebt, nur verhältnissmässig schmaler erwarten sollte. Das Bild der Figur 7 GC, wo Schalenhals und Bauch nicht mehr von einander zu unterscheiden sind, erklärt Carter aus einer Fähigkeit der Eu- glyphe, ihre Schale nach Belieben zu schliessen. Bei dieser Er- klärung lässt er jedoch völlig unberücksichtigt, dass dieselbe Form auch bei leeren Schalen nachweisbar ist, wo von einem activen Verschluss keine Rede sein kann. In Wirklichkeit sind die Verhältnisse viel einfacherer Natur. Die Schalenmündung ist gleichmässig weit nach allen Rich- tungen oder es sind wenigstens nur ganz unmerkliche Unterschiede vorhanden, wie es sich bei der Uebereinstimmung in den Breiten- und Tiefendimensionen des Schalenbauchs nicht anders erwarten lässt. Aber während die Mündung bei den übrigen Euglyphen dadurch gebildet wird, dass der Hals der Schale durch eine Ebene abgeschnitten ist, ist hier die Umrandung vorn und hinten in der in Fig. 7 A versinnlichten Weise ausgeschweift. So entstehen in der Schalenumrandung zwei höchste seitliche Punkte; dieselben erscheinen als zwei Zähne, wenn man sie halb seitwärts sieht; sieht man dagegen die Schale ganz seitwärts, so wird die eine Spitze durch die andere verdeckt; die beiderseits abfallende Umrandungslinie der Oeffnung lässt sich dann nicht mehr von der Contour des Schalenbauchs Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 131 trennen, sondern beide gehen unmittelbar in einander über. — So erklären sich die Bilder ohne Zuhilfenahme eines activen Schalen- schlusses allein aus dem Schalenbau. Der Schalenhals besteht nicht aus den Structurplatten, welche den Bauch der Schale bilden. Nach Carter sollen die letzteren wie bei E. alveolata rund sein, und das hexagonale Bild nur durch das Uebergreifen der Ränder bedingt werden. Wir haben auch hier wie bei E. alveolata uns davon überzeugt, dass die Schalenstücke normaler Weise hexagonal sind und zwar nahezu gleich breit als lang; nur bei zerfallenen Schalen sieht man hin und wieder die Stücke durch Abnutzung der Ecken rundlich. Als eine weitere Eigenthümlichkeit der Schale ist noch zu erwähnen, dass zwischen den Seiten, mit denen je zwei Platten zweier hinter einander gelegener Reihen sich berühren, häufig feine Leistchen als Schalt- stücke auftreten. Sie sind im Profil gesehen schwach prominent. (Fig. 7 A und C) und bezeichnen hier ungewöhnlich deutlich die Grenzen zweier Schalenstücke. Die Länge des Thieres beträgt 0,04—0,05, die Breite 0,03 mm. Die Breite der Schalenmündung 0,015, die Höhe des die Mündung tragenden halsartigen Stückes (an der Stelle einer hervorragenden Spitze gemessen) 0,005 mm. Die innere Organisation unterscheidet sich in Nichts von der der übrigen Euglyphen. Der Kern im hinteren homogenen Abschnitt des Körpers gelegen ist rundlich und misst 0,012—0,013, das ver- hältnissmässig kleine Kernkörperchen 0,005mm. Contractile Blasen fanden sich zwei bis drei im hinteren Theile des mittleren Drittels. Die Pseudopodien, welche Carter an seinen Thieren nie beobachten konnte, waren homogen körnchenfrei, in grosser Anzahl vorhan- den; mehrfach dichotom getheilt und besitzen wie alle derartige Pseudopodien das momentane plötzliche Einknicken, welches wir schon oben genauer geschildert haben. Nach den gegebenen Schilderungen formuliren wir die Differen- tialdiagnose des Genus und der genannten Species folgender Maassen. Euglypha. Gestalt der Schale ovoid oder flaschenförmig, aus hexagonalen; in regelmässigen Spiralen angeordneten Platten zusammengesetzt Pseudopodienöffnung an einem Schalenende angebracht. 132 R. Hertwig und E. Lesser: Protoplasmakörper in einen homogenen, hinteren und körnigen vorderen Abschnitt differenzirt; im erstern der stets einfache Kern, contractile Vacuolen in einer Aequatorialebene an der Grenze beider Abschnitte. Pseudopodien homogen, verästelt, nicht anastomosirend. Euglypha ampullacea. Schale flaschenförmig, hexagonale Platten in 24 Reihen ange- ordnet, Mündung von 12 beiderseits zweifach eingekerbten Schluss- zähnen umrahmt. Grösse 0,07mm., grösste Breite 0,04—0,05 mm. Euglypha alveolata. Schale ovoid, hexagonale Platten in 8 Reihen angeordnet, Mündung von 8 fein gezähmelten Schlusszähnen umrahmt. Länge 0,08—0,1mm., Breite 0,04—0,05 mm. Euglypha globosa. Gestalt kugelig; hexagonale Stücke häufig von einander durch kleine, leistenförmige Schaltstücke getrennt; Schale trägt einen kleinen halsartigen, auf zwei Seiten ausgerandeten Aufsatz. Länge 0,04—0,05mm., Breite 0,03—0,035 mm. 9. Genus. (yphoderia margaritacea. (Schlumberger). Syn. Lagynis baltica (M. Schultze). Euglypha magaritacea (Wallich). Die Cyphoderia margaritacea wurde zum ersten Male von Schlumberger!) beobachtet und im Jahre 1845 in den Annales des sciences naturelles mit genügender Klarheit und Präcision be- schrieben, so dass der Rhizopod an der Hand der Definition, obwohl derselben keine Abbildungen beigegeben wurden, mit vollkommener Sicherheit wieder erkannt werden kann. Später wurde derselbe Organismus von M. Sch ultze?) im Seewasser bei Greifswald gefunden und unter Beifügung von Abbildungen in seiner Monographie „Ueber den Organismus der Polythalamien“ als Lagynis baltica auf- geführt. Nach dem Vorgang von Carter?) und Fresenius), welche weitere Beobachtungen über die zierliche Monothalamie 1) Annales des sciences nat. III. 3 pag. 255. 2) Siehe das in unserer Einleitung zur Gruppe der Monothalamien Gesagte pag. 83. 3) Annals and Mag. of nat. hist. III. 13. 1864 pag. 33. 4) Abhandlung d. Senckenberg’schen Gesellsch. Bd. II pag. 225. j Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 133 gegeben haben, behalten wir den von Schlumberger als dem Entdecker gewählten Namen ‚„Cyphoderia margaritacea“ bei. Von den Beobachtungen der beiden letztgenannten Autoren weichen wir nur in wenigen Punkten ab. Die Schale der Cyphoderia zeichnet sich durch ihre schlanke und elegante Gestalt aus. Ihr hinterer Abschnitt ist länglich eiförmig und verschmälert sich allmählich in den vorderen, wie der Hals einer Retorte ausgezogenen und nach einer Seite sanft ein- gebogenen Theil. Das Ende des retortenhalsförmigen Abschnitts wird durch die schräg gestellte Pseudopodienöffnung schief ab- gestutzt. Die Schalenstructur scheint, soweit die Beobachtungen von Carter, Fresenius und unsere eigenen dieselbe ergründet haben, der bei den Euglyphen beschriebenen sehr ähnlich zu sein, so dass man es gerechtfertigt finden könnte, wenn Wallich die Cyphoderia als Euglypha margaritacea bezeichnet. Wie bei der Schale der Euglyphen, treten auch hier hexagonale Plättchen zur Bildung der im Uebrigen glatt erscheinenden Hülle zusammen. Indessen sind die Plättchen ausserordentlich viel kleiner und nie in die Länge gestreckt, wie die der Euglypha, sondern besitzen die Umgrenzung regelmässiger Hexagone. — In einigen Fällen konnten wir die zierliche Felderung nicht erkennen. Die im Uebrigen glatte Schale war von regelmässig in Spirallinien angeordneten Punkten bedeckt und auf dem optischen Durchschnitt von senkrechten Streifen durchsetzt, so dass man den Anschein bekam, als sei eine homogene Membran von feinen Canälen durchbohrt. Dieses Bild erklären wir in der von Wallich!) schematisch dargestellten Weise, dass die Abgrenzungen der Schalenplättchen gegen einander hier undeutlich geworden und nur die Ecken, in denen mehrere zu- sammenstossen, als feine Punkte (auf dem Querschnitt als Canäle) sichtbar geblieben sind. Die Umrandung der Pseudopodienöffnung besitzt keine Zähne, sondern eine grössere Anzahl feinster Knöpf- chen und bezeichnet sie Carter daher mit Recht als einen ge- knöpften Rand (a beaded edge). Der Protoplasmakörper der Cyphoderia füllt meist die Schale fast vollkommen aus und zerfällt in zwei nahezu gleiche Theile, einen vorderen und hinteren, welche häufig, wie es Carter angiebt, durch eine Einschnürung sich gegen einander absetzen. Der vordere 1) Ann. and Mag. of nat. hist. III. 13. Taf. XVI Fig. 488. 134 R. Hertwig und E. Lesser: Abschnitt ist feinkörnig, enthält die Nahrungskörper und eine grössere Anzahl unregelmässig gelagerter contractiler Vacuolen. (Die letzteren hat Carter, ohne sie beobachtet zu haben, nach Analogie mit den Euglyphen mit Unrecht in der bei diesen typischen äquatorialen Lagerung auf der Höhe der Körpereinschnürung eingezeichnet). Der hintere Abschnitt war bei allen von uns beobachteten Exemplaren in der von Schultze gezeichneten Weise so dicht von den bei den Euglyphen schon erwähnten, scharf contourirten, starklicht- brechenden Körpern (den „granules“ Carter’s) erfüllt, dass man den Kern kaum als eine helle Blase in ihm erkennen konnte. An dem abgerundeten Ende des hinteren Abschnitts fanden wir häufig die schon von M. Schultze abgebildeten 4 finger- förmigen Protoplasmafortsätze. Dieselben entspringen in regel- mässigen Abständen von einander und laufen wie Meridiane an der Innenfläche der hinteren Schalenkrümmung hin. Wie diese con- vergiren sie nach dem hinteren Schalenpole, ohne sich indessen hier zu vereinen, da sie früher abgestumpft enden. Carter beschreibt nur einen, die Cyphoderia im Schalenhintergrund be- festigenden Protoplasmafortsatz. Dass in demselben eine contractile Blase gelegen haben soll, erscheint uns auffällig, da wir bei keiner Monothalamie contractile Blasen im hinteren Körperabschnitt be- obachtet haben. Die zahlreichen homogenen Pseudopodien der Cyphoderia ver- ästeln sich mehrfach, ohne indessen Anastomosen zu bilden. Ihre Contractionen sind ganz besonders energisch und bedingen einen ausserordentlich lebhaften Ortswechsel. Der Körper nimmt bei der Fortbewegung die von Carter beschriebene, zur Fläche der Unter- lage geneigte Haltung ein. Das Einziehen der Pseudopodien erfolgt, wie schon Carter und Fresenius schildern, in einer ganz eigen- thümlichen Weise. Sie fliessen entweder schnell zu einem Proto- plasmatropfen zusammen, oder sie bilden eine allmählich ihre Win- dungen verkürzende Spirale, in gleicher Weise wie die mit Fang- kugeln bewafineten Tentakeln der Acineten!). Wenn wir die Cyphoderia als ein besonderes Genus von den Eu- glyphen trennen, so bestimmen uns nicht die von Carter angeführten, uns jedoch systematisch unwichtig erscheinenden Eigenschaften der Pseudopodien (ihre Länge, die Schnelligkeit, mit der sie hervor- 1) Siehe Carter’s Abbildung l. c. Taf. II Fig. 18. j Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 155 gestreckt und eingezogen werden), sondern die Unterschiede, welche die Schale und der Weichkörper gegenüber den Euglyphen -auf- weisen. 1) Wenn wir auch der Gestalt der Schale im Allgemeinen keinen hohen Werth beimessen, so ist doch hier durch den retorten- förmig ausgebildeten Schalenhals ein so auffälliges und ausge- sprochenes Unterscheidungsmerkmal gegenüber den ovoiden Schalen- formen der Euglyphen gegeben, dass es bei der Genusdiagnose Berücksichtigung verlangt. 2) Die Schalenstructur unterscheidet sich trotz aller Aehn- lichkeit beträchtlich durch die Kleinheit und die gleichmässigen Dimensionen der sie zusammensetzenden hexagonalen Elemente. 3) Die contractilen Vacuolen sind im vorderen Schalenabschnitt, nicht wie bei den Euglyphen in einer äquatorialen Ebene zwischen hinterem und mittlerem Drittel gelegen. . Wir definiren daher die Cyphoderia margaritacea als selbst- ständiges Genus folgendermaassen. Oyphoderia margaritacea. Gestalt der Schale länglich, retortenförmig; die retortenhals- artige Verlängerung durch die ovale Pseudopodienmündung schief abgestutzt; Schalenzeichnung von grosser Feinheit, aus regulären, dicht an einander gelagerten Sechsecken zusammengesetzt. Weichkörper in zwei nahezu gleiche Theile, einen vorderen und hinteren differenzirt, im ersteren die zahlreichen contractilen blasen, im letzteren der einfache Kern; Pseudopodien zahlreich, verästelt, homogen, anastomosenlos. b) Monothalamia Rhizopoda mit einer mit Fremdkörpern inerustirten Schale. 10. Genus. Pleuropryhs sphaeriea. (Clapare&de et Lachmann). Tafel III Figur 4. Unter dem Namen Pleurophrys sphaerica haben zuerst Cla- parede und Lachmann!) einen Rhizopoden beschrieben, welcher später von Archer?) wieder beobachtet und abgebildet worden ist. Letzterer Forscher ist wegen der bedeutenden Grössendifferenz zwischen dem von Clapar&de und Lachmann beschriebenen 1) Eitudes etc. pag. 455. 2) Quart. journ, of Microsc. Science 1869, 1870. 8. A. pag. 29. 136 r R. Hertwig und E. Lesser: Rhizopoden und seinem Object nicht ganz sicher, ob er beide identifieiren soll. Aber da unsere Messungen ungefähr das Mittel zwischen der Bestimmung von Claparede und Lachmann (0,02) und der von Archer (ungefähr O,Imm.) ergeben haben, so glauben wir dass letzterer vollkommen berechtigt war, seine Form als Pleurophrys zu bezeichnen. Wir fanden nämlich die Länge unserer Exemplare zwischen 0,03 und 0,05 mm. schwankend, zu der sich die Breite ungefähr wie zwei zu drei verhält. Das unregelmässig gestaltete, im Grossen und Ganzen ovale Gehäuse besteht aus kleinen Körnchen von wechselnder Grösse, welche weder von Salzsäure noch von concentrirter Schwefelsäure aufgelöst werden und somit wahrscheinlich aus Kieselsäure bestehen!). Die Körnchen' werden durch eine organische Kittsubstanz, welche hier indessen nicht mit der Deutlichkeit, wie bei vielen anderen Rhizopoden, z.B. den grossen Difflugien (D. globosa) nach- gewiesen werden kann, verbunden. Dieselbe wird durch Salzsäure und Schwefelsäure nur sehr langsam zerstört; bei der Einwirkung derselben zerfällt daher das Gehäuse, dessen dunkelbraune Färbung sich aufgehellt hat, nicht rasch auseinander, sondern ganz allmäh- lich bröckelt am Rande ein Körnchen nach dem anderen ab. Das Aussehen des Gehäuses, welches dem der Polymorphina silicea ?) sehr ähnlich ist, erinnert, wie Archer treffend bemerkt, sehr an das Aussehen von Excrementen mikroskopischer Organismen, wie Anguillulinen, Rotatorien etc. und mag dies, da die Bewegungen der Pleurophrys träg und langsam erfolgen, mit ein Grund gewesen sein, warum dieselbe trotz ihrer Häufigkeit so selten beobachtet worden ist. Die Pseudopodien treten aus einer ziemlich grossen rundlichen Oeffnung hervor, deren Lage dem einen Ende der längeren Schalen- axe entspricht. Sie sind sehr fein und zugespitzt, aber nicht körn- chenlos, wie Archer meint. Sie erreichen oft die doppelte Schalen- länge, verzweigen sich und anastomosiren unter einander, ohne 1) Bei allen unseren Reaetionen auf Kieselsäure haben wir uns stets nur der conc. Schwefel- und Salzsäure bedient. In einer uns im Manuscript vorliegenden, zur Zeit unserer Beobachtungen uns noch nicht bekannten Arbeit empfiehlt F. E. Schulze zu dem Zwecke verdünnte Flusssäurelö- sung. Wir haben dieselbe nicht in Anwendung gezogen. 2) M. Schultze, Organismus der Polythalamien Taf. VI. Fig. 11. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 131 indessen ein Pseudopodiennetz von der Feinheit zu bilden, wie es bei den Gromien und den Foraminiferen vorkommt. Häufig haben wir auch beobachten können, dass die Pseudopodien zweier Indi- viduen mit einander verschmolzen waren. In dem dadurch ent- standenen Netzwerk konnte man nicht mehr erkennen, welcher Theil dem einen, welcher dem anderen Individuum angehörte. Bei dieser von vielen Seiten als Copulation gedeuteten Vereinigung lagen die Pleurophryen meist mit ihren Pseudopodienöffnungen gegen einander, wie es ja auch sonst der Fall zu sein pflegt. Ueber den Bau des in der Schale enthaltenen Protoplasma- körpers haben wir wegen der Kleinheit und Undurchsichtigkeit unserer Pleurophryen keine Beobachtungen gemacht. Archer hat bei den von ihm untersuchten Exemplaren einen Kern nachweisen können. In unserer Diagnose weichen wir in einigen, indessen unwich- tigen Punkten von Archer ab. Pleurophrys sphaerica. Schale von unregelmässig ovaler aber bei jedem Individuum constanter Gestalt, aus kleinen, durch einen organischen Kitt ver- bundenen Kieselstückchen bestehend, von bräunlicher Farbe. Protoplasmakörper kernführend. Pseudopodien sehr dünn, körnchenführend, verästelt, anastomosirend. II. Monothalamia Amphistomata. Die Anzahl der Formen, auf welche gestützt wir innerhalb der Classe der Monothalamien neben den M. Monostomata noch eine zweite Ordnung, dieM. Amphistomata, errichtet haben, beschränkt sich zur Zeit auf zwei interessante Organismen, von denen wir den einen selbst beobachtet haben, während wir die Kenntniss des anderen den Untersuchungen Archer’s!) verdanken. Wenn es nun auch bedenklich erscheinen mag, zweier Organismen halber eine neue Ordnung aufzustellen, so glauben wir gleichwohl unser Verfahren durch den Hinweis, dass die Berechtigung systematischer Gruppen nicht durch die Anzahl der Species, sondern durch die scharfe Fassung und Bedeutsamkeit der Unterscheidungsmerkmale 1) Quart. Journal of microsc. Sc. 1869, 1870. Ueber Amphitrema Wrightianum. S. A. pag. 32. 138 R. Hertwig und E. Lesser: gegeben wird, rechtfertigen zu können. In beiden Punkten genügt die Charakteristik der Amphistomata allen Ansprüchen, welche man an systematische Charakteristiken stellen kann. Wie wir in der Einleitung schon hervorgehoben haben, unterscheiden sich die Amphistomata von den Monostomata dadurch, dass beide Enden ihrer Hauptaxe mit einer Schalenmündung versehen sind. In Folge dessen sind hier im Gegensatz zu den Monostomata beide Körper- enden einander gleichwerthig und kann man nicht, wie bei diesen, einen oralen und aboralen Theil unterscheiden. Ebenso liegt auch der Kern nicht an einem Ende des Körpers, sondern nimmt die Mitte desselben ein. In gleieher Weise wie sich die Amphistomata im Bau von den Monostamata unterscheiden, weisen sie auch in der Art ihrer Fortbewegung und der Nahrungsaufnahme Differenzen auf, indem bei beiden Functionen die einander gleichwerthigen Körperenden abwechselnd und nach Belieben gebraucht werden können. — In allen übrigen Punkten der Organisation stimmen die M. Amphistomata mit den M. Monostamata überein, so dass wir nur auf das früher Gesagte zu verweisen brauchen. Von einer systematischen Anordnung der Amphistomata kann zur Zeit, da wir nur zwei Formen kennen, kaum die Rede sein. Es wäre möglich, dass wir dermaleinst, wenn ein genaues Studium der Süsswasser- und Meeresfauna uns mit einer grösseren Anzahl nächstverwandter Formen bekannt gemacht haben wird, eine den einmündigen parallele Reihe zweimündiger Monothalamien werden errichten und dieselben in gleicher Weise, wie es dort geschehen ist, in Lobosa und Rhizopoda werden eintheilen können. Bis jetzt jedoch kennen wir nur Amphistomata mit spitzen, fadenförmigen Pseudopodien. Unter denselben können wir nach Analogie mit den Monostomata Organismen mit rein selbstgebildeten Schalen und solche, deren Schalen durch Verkittung von Fremdkörpern ent- standen sind, unterscheiden. Beide Gruppen sind durch je ein (Genus und dieses wiederum durch jedesmal eine Species vertreten. u YA Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 139 1. Amphistomata (Rhizopoda), deren Schale ein reines Secretions- product des Organismus ist. 11. Genus. Diplophrys Archeri. (Barker). Tafel III Figur 9. Die Aufmerksamkeit der Naturforscher wurde zum ersten Male in den Sitzungsberichten des „Dublin Club“ 1867 von Barker!) auf den von demselben Diplophrys Archeri genannten Organismus gelenkt. Der englische Forscher giebt daselbst folgende kurze, von keiner Zeichnung begleitete Beschreibung. Von zwei Punkten des rundlichen oder breit elliptischen Körpers strahlen zwei Pseudopodienbüschel aus, welche einander nicht direct gegenüber gestellt sind, sondern deren Ursprünge nach einer Seite hin einander genähert erscheinen. An Stelle der Pseudo- podienbüschel findet sich häufig nur ein einfacher rundlicher Protoplasmafortsatz; oder auch dieser fehlt und die Theile der Körperoberfläche, welche sonst durch den Ursprung der Pseudo- podien bezeichnet werden, lassen seichte, auf die Existenz einer Cuticula oder Hülle‘ deutende Vertiefungen erkennen. Im Körper findet“sich stets ein ambrafarbener oder orangener Oeltropfen. Weiterhin wurde die Diplophrys mehrfach von Archer?) be- obachtet,' welcher jedoch den Schilderungen Barker’s nichts Neues hinzuzufügen vermochte. Einige Entwicklungsformen wurden von ihm etwas ausführlicher beschrieben, ihre Zusammengehörigkeit mit der Diplophrys aber, wie wir weiter unten sehen werden, voll- kommen verkannt. Eben so wenig können wir uns mit dem, was Greeff®) über die Diplophrys und ihre Entwicklungszustände sagt, einverstanden erklären. Auch hierauf werden wir später noch einmal zurückkommen. Unsere eigenen Beobachtungen bestätigen zum Theil die An- gaben Barker’s, zum Theil fügen sie denselben einiges Neue und für das Verständniss des Baus der Diplophrys nicht Unwichtige hinzu. Die Diplophrys Archeri fällt trotz ihrer Kleinheit wegen der 1) Quarterly Journal of mierosc. Science. Vol. XVI. 2) On some freshwater Rhizop. Quart. Journal of microsc. Sc. 1869 — 1370 Sep. A. pag. 32. 3) Archiv f. mikroskop. Anat. V. pag. 495 und 496. 140 R. Hertwig und E. Lesser: hellgelben, fettglänzenden Kugel in ihrem Innern dem Beobachter leicht auf. Sie besitzt einen ungefähr 0,02 mm. im Durchmesser betragenden kugeligen Körper, von welchem, wenn man ihn von einem der Enden seiner Hauptaxe sieht, die Pseudopodien nach allen Seiten radienartig auszustrahlen scheinen. Schon bei dieser An- sicht lässt sich jedoch erkennen, dass die Pseudopodien nicht beliebig entspringen. Mittelst vorsichtiger Einstellung kann man sich über- zeugen, dass dieselben in zwei, in verschiedenen Ebenen Hegenden Bündeln angeordnet sind, dass man ein Büschel bei möglichst ober- flächlicher, ein anderes bei möglichst tiefer Einstellung zu Gesichte bekommt. Vollkommene Klarheit über die Ursprungsverhältnisse der Pseudopodien ergeben indessen erst die Bilder, welche man erhält, wenn man die Diplophrys senkrecht zu ihrer Hauptaxe betrachtet. Man kann hier zwei verschiedene Ansichten unter- scheiden. Das eine, Mal scheinen die Pseudopodien von zwei ein- ander diametral gegenüber liegenden Punkten zu entspringen (Fig. 9 E), das andere Mal sind die Ursprungspunkte nach einer Seite einander genähert (Fig. 9 A). Da diese beiden Bilder an jedem Exemplar nachweisbar sind, kann man daraus schliessen, dass der Körper der Diplophrys bilateral symmetrisch ist; man kann an ihm eine ventrale Seite (diejenige, nach welcher die Pseudopodienursprünge einander genähert sind) von einer dorsalen unterscheiden, ferner eine rechte und linke, welche letzteren sym- metrische Contouren besitzen. Figur 9 E ist die Profil-, Figur 9 A die Enfaceansicht. An den Ursprungspunkten der Pseudopodien ist der Körper durch zwei kleine Flächen abgeplattet, welche einander nicht vollkommen parallel gestellt sind, sondern sich in ihrer Ver- längerung unter einem dorsalwärts offenen sehr spitzen Winkel schneiden würden. Der Körper besteht aus einem mattbläulichen, körnchenarmen Protoplasma, in dem sich eine Anzahl stets vorhandener Gebilde eingelagert vorfindet. Zunächst fällt die im Eingang unserer Schilderung erwähnte fettartig glänzende Kugel auf. Dieselbe nimmt häufig einen be- trächtlichen Theil des Körpers für sich in Anspruch und ist stets vom blassstrohgelben bis ins orangene gefärbt. Eine besondere Membran ist an ihr nicht nachweisbar. Da von aussen häufig rissige Linien und Spalten ins Innere eindringen, kann sie nicht, wie Barker meint, eine Oelkugel sein, sondern muss offenbar aus einem fett- u ARE nn ZEN Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 141 haltigen Körper von grösserer Consistenz bestehen. Ihre Grösse varürt von 0,005—0,01 mm. Zeitweilig findet man anstatt einer grösseren zwei Kugeln von geringeren Dimensionen, aber regel- mässiger Gestalt, oder neben einer Kugel liegen mehrere unregel- mässig geformte, wie abgesprengt erscheinende kleinere Stücke von gleicher Farbe uud gleicher Lichtbrechung. Neben der gelben Kugel, von beiden Schalenöffnungen ungefähr gleichweit entfernt, liegt der 0,005—0,007 mm. grosse Kern mit seinem 0,004mm. messenden Kernkörper. Er ist häufig ganz oder zum Theil von der gefärbten Kugel verdeckt und daher leicht zu übersehen. Ausser dem Kern finden sich noch in unregelmässiger Anzahl und, wie es scheint, auch an beliebigen Punkten contractile Blasen. Fixirt man die scharfe Umrandung des Körpers genauer, so erkennt man stellenweise schon ohne Reagentien die doppelte Contour einer ihn umschliessenden Hülle. Dieselbe schien sich uns über die abgeplattete Stelle, welche die Pseudopodien trägt, uhrglasartig bis auf die Durchtrittsstelle der Pseudopodien, wo sie eine Oeffnung besitzt, gleichmässig hinwegzuspannen. — Alle diese Verhältnisse werden bei Anwendung von starker Essigsäure noch deutlicher. Der bis dahin mehr oder minder längliche Protoplasmakörper quillt dann zu einer nach allen Richtungen gleich grossen Kugel auf, an der man jetzt mit aller Deutlichkeit eine doppelt contourirte Hülle erkennen kann. Wir tragen aus den bei Plagiophrys angeführten Gründen kein Bedenken, diese Hülle als Schale zu bezeichnen. Sie besitzt nahezu Kugelform mit zwei nicht direet einander gegenüberliegenden Oeff- nungen und wird vom Protoplasmakörper bis auf die den Pseudo- podienöffnungen entsprechenden Stellen, an welchen derselbe abge- plattet ist, vollkommen erfüllt. In der Mitte dieser Abplattun- sen des Körpers entspringt beiderseits ein breiter, die Schalen- öffnung durchsetzender Protoplasmafortsatz, von dessen Enden die Pseudopodien ihren Ursprung nehmen. Man kann den Fortsatz daher als Pseudopodienstiel bezeichnen. Von der Endanschwellung des Pseudopodienstiels divergiren die Pseudopodien radienartig nach allen Seiten. Sie verästelen sich dabei, wenn auch nicht besonders häufig, bilden im Uebrigen weder Anastomosen, noch zeigen sie Körnchenströmung. Bei fortgesetzter Beobachtung gelang es uns auch Entwick- lungszustände der Diplophrys ausfindig zu machen (Fig. 9 B u.D). 142 R. Hertwig und E. Lesser: In Gläsern, in denen die Diplophrys vorkommt, trifft man auf unregel- mässig contourirte Haufen, welche viele gelbe Kugeln von bedeutend geringeren Dimensionen als die geschilderten des entwickelten Or- ganismus einschliessen. Eine eingehendere Betrachtung lässt er- kennen, dass jeder Haufe aus einer Anzahl runder 0,008mm. messender Körper besteht, von denen ein jeder eine oder zwei der gelben Kugeln enthält. Die Körper sind stets zu vieren zusammen gruppirt, wobei innerhalb der Gruppe die einzelnen Individuen sich gegen- seitig abplatten. Im Laufe der Beobachtung lösen sich vom grossen Haufen dergleichen, aus 4 Theilen bestehende Gruppen ab, bis endlich der ganze Haufe in kleinere Theile zerfallen ist. In jedem der. 4 Stücke einer Gruppe liegt ausser einer oder zwei gelben 0,003mm. grossen Kugeln ein 0,003mm. messender Kern mit Kern- körper. Ebenso konnten wir trotz der Kleinheit des Objects con- tractile Blasen nachweisen. Wie es hierbei schien, war stets nur eine Blase in jedesmal einem der Körper vorhanden. Die nach diesen Angaben nachweisbare, vollkommene Ueber- einstimmung der kleinen zu Haufen vereinten runden Körper mit den grossen Diplophrysindividuen liess sich aber noch weiter in die Einzelheiten hinein verfolgen. Wie dort entsprangen auch hier nicht die Pseudopodien an beliebigen Stellen, sondern stets bündelweise an einem gemeinsamen Pseudopodienstielchen. An einigen besonders günstig gelagerten Exemplaren liess sich sogar der Nachweis führen, dass jedesmal zwei solcher Büschel an nahezu gegenüberliegenden Punkten des Körpers entsprangen; man kann daher annehmen, dass die kleinen Individuen, welche in der oben geschilderten Weise zu Gruppen von 4 vereint sind, auch in den Ursprungsverhältnissen der Pseudopodien mit den Diplophryen übereinstimmen, wenn sich dasselbe begreiflicher Weise auch nicht bei jedem einzelnen dureh- führen liess. — Bei der Kleinheit der Verhältnisse liess sich leider Nichts über die etwaige Existenz einer Schale ermitteln. Da wir alle Uebergänge in der Grösse von den eben geschil- derten kleineren zu den früher beschriebenen grösseren Formen nachweisen konnten, da ferner bei beiden der Bau vollkommen über- einstimmte, kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die verschie- denen Gebilde denselben Organismus auf verschiedenen Stufen der Entwicklung repräsentiren. Offenbar müssen die Befunde so ge- deutet werden, dass aus einer erwachsenen Diplophrys durch fort- gesetzte Theilung vier Individuen entstehen, dass diese durch EAN u N Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 143 Nahrungsaufnahme wachsen, um sich abermals zu viertheilen. Er- folgt Wachsthum und Theilung sehr rasch, ohne dass die Theil- producte in gleichem Maase auseinander fallen, so entstehen die geschilderten grossen aus lauter kleinen Gruppen sich aufbauenden, häufig bis über 50 Individuen umfassenden Haufen. Ueber das Verhalten der Schale bei diesen fortgesetzten Theilungen haben wir keine Beobachtungen anzustellen vermocht. Da es sich schwer vorstellen lässt, dass die Schale an der Theilung des Körpers partieipirt, muss es a priori für wahrscheinlich erklärt werden, dass der Vermehrungsprocess an schalenlosen Individuen verläuft. Die Diplophryen und ihre Entwicklungsformen haben in der Literatur ein eigenthümliches Schicksal durchzumachen gehabt, indem bald ihre Zusammengehörigkeit verkannt, bald sie mit anderen Organismen in Verbindung gesetzt wurden. In der schon oben eitirten Arbeit vermuthete Greeff, dass die Diplophrys Entwicklungszustände der Acanthocystis spinifera seien. Er fand nämlich, dass die gelben Farbstoffkörner dieser Heliozoe nicht selten umgeben von einem hellen Hof von Proto- plasma nach aussen gelangten, ohne dass er jedoch an ihnen eine Weiterentwicklung hätte nachweisen können. Weiterhin beobach- tete Greeff die von uns geschilderten grösseren Diplophryen, bei denen er, beiläufig bemerkt, eine Andeutung des Kerns zeichnet und beschreibt, ohne ihn jedoch als Kern zu benennen. Endlich sah er die kleinen aus 4 Individuen bestehenden Gruppen und die grossen aus vielen solcher Gruppen sich zusammensetzenden Haufen. Die hier in Kürze wiedergegebenen Beobachtungen brachte Greeff durch die Annahme, dass die gelben Körner der Acanthocystis im Freien sich zu Diplophrysindividuen weiterentwickeln, in ent- wicklungsgeschichtlichen Zusammenhang'). Er gab jedoch zu, dass dieser Zusammenhang nicht durch direete Beobachtung nachge- 1) In den seitdem erschienenen Sitzungsberichten der Gesellschaft zur Förd. d. ges. Naturw. zu Marburg, Nov. 1873 S. 57 Anm. scheint Greeff seine frühere Ansicht von der Zusammengehörigkeit der gelben Körner der A. spinifera mit den Diplophryen aufgegeben zu haben, da er angiebt, dass er keine Verbindung dieser Geschöpfe mit den Körnern habe weiterhin constatiren können. Ebenso betont er hier mit Recht Archer gegenüber, dass die von demselben als Cystophrys oculea beschriebenen Haufen kleiner Diplophryen in den Entwicklungskreis der Diplophrys Archeri gehören und keine selbständigen Organismen sind. 144 R. Hertwig und E. Lesser: wiesen sei und räumte die Möglichkeit ein, dass die Diplophryen vielleicht in den Entwicklungskreis eines anderen noch unbekannten Organismus gehören oder vielleicht auch selbständige Formen dar- stellen möchten, „vielleicht polyzoe radiolarienartige Organismen, die noch auf einer niederen: Stufe stehend blos aus Centralkapseln zusammengesetzt seien.“ Die Annahme, dass die Diplophryen in den Entwicklungskreis der Acanthocystis spinifera gehören, ist durch die obige genaue Schilderung von ihrem Bau genügend widerlegt. Ebenso müssen wir uns ganz entschieden gegen ihre Deutung als polyzoe Radiolarien erklären. Die Diplophryen unterscheiden sich als einzellige Orga- nismen von den vielzelligen Radiolarien; ihre Kerne sind echte Zellkerne; ihre Hülle (welche Greeff ganz übersehen hat) entspricht einer mit zwei Oeffnungen versehenen einkammerigen Schale; ihre Grundform hat nichts mit dem radiären Typus der Radio- larien gemein. Der gelbe, im Protoplasma eingebettete, fettglänzende Körper, welcher vielleicht Greeff zum Vergleich mit den‘ Radio- larien bewogen hat, besitzt keine Zellstructur, sondern ist durch und durch homogen. Er kann daher nicht mit einem so complieirten Gebilde, als die Centralkapsel der Radiolarien ist, verglichen werden, noch auch mit der Binnenblase, da der ganze Körper der Diplo- phrys vollends nicht als Centralkapsel gedeutet werden kann. Wahrscheinlich erfüllt die gelbe Kugel die Function, welche bei den Heliozoen den grünen ovalen Körpern zukommt, und ist vielleicht, gleich den Dotterplättchen bei jungen Fischchen, eine Aufstapelung von Nährmaterial. In einen eigenthümlichen Irrthum ist Archer verfallen. Obwohl derselbe die Diplophrys Archeri aus eigener Anschauung kannte und ferner wusste, dass Greeff die von uns als Ent- wicklungsstadien der Diplophrys geschilderten Haufen für Colonieen vieler mit den Diplophryen übereinstimmender Individuen erklärt hatte, führt er die letzteren gleichwohl unter dem Namen Cystophrys oculea als einen selbständigen Organismus auf. In der Schilderung der Cystophrys oculea kehren alle die Fehler wieder, welche wir in der voranstehenden Arbeit über Mikrogromia socialis, deren gehäuften Coloniezustand Archer in gleicher Weise als eine der ©. oculea nächstverwandte C. Haeckeliana beschrieben hat, schon ausführlicher besprochen haben. Die einzelnen Diplophrysindividuen werden als Zellen, welche möglicherweise den gelben Zellen der | | | Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 145 Radiolarien homolog sind, gedeutet; sie sollen in eine homogene (in Wirklichkeit jedoch gar nicht existirende) Sarkode eingebettet sein. Als Kern dieser Zellen führt Archer unbegreiflicherweise die gelben Kugeln an, als Kernkörperchen dunkle Kreise, welche in den letzteren sichtbar sind, in Wahrheit aber nur aus den Licht- brechungsverhältnissen der fettglänzenden Masse derselben erklärt werden müssen. Die eigentlichen Kerne und Kernkörper sind dem englischen Forscher ganz entgangen. Ebenso übersah er das eigen- thümliche büschelweise Entspringen der Pseudopodien, welche nach ihm aus der gemeinschaftlichen Sarkode hervortreten sollen. Da somit Archer in den wichtigsten Punkten den Bau der Diplophryscolonieen unrichtig beurtheilt hatte, ist es verständlich, dass er zu einer verfehlten Auffassung der Organisation und der systematischen Stellung gelangte. Die aus vielen Individuen be- stehende Colonie hielt er irrthümlicherweise für ein einziges Indi- viduum, welches durch die Einlagerung von Zellen in die gemein- same Sarkode Beziehungen zu den Radiolarien besässe. - Eine un- mittelbare Unterordnung unter die letzeren hält er wegen des Mangels einer Centralkapsel für unmöglich. Indem wir bezüglich der Berechtigung unserer von den An- schauungen Greeff’s und Archer’s abweichenden systematischen Beurtheilung der Diplophrys auf unsere Darstellung verweisen, geben wir zum Schluss noch eine kurze Diagnose des Genus und der Species. Diplophrys Archeri. Schale glatt, dem Körper unmittelbar aufgelagert, rund- lich oder ovoid, mit zwei Oeffnungen versehen, welche einander nicht direct gegenüber lagern; Protoplasmakörper mit einem central gelegenen Kern, mehreren contractilen Vacuolen und einem grossen oder mehreren kleineren fettglänzenden, strohgelb oder orange ge- fürbten Körpern. Pseudopodien entspringen in zwei Büscheln von zwei den Schalenöffnungen entsprechenden Pseudopodienstielen, sind selten verästelt, homogen und ohne Anastomosen. 2. Amphistomata (Rhizopoda) mit einer aus Fremdkörpern gebildeten Schale. Der einzige Repräsentant dieser Familie ist augenblicklich der von Archer als Amphitrema Wrightianum beschriebene Rhizopod, M, Schultze, Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd, 10. Supplementheft. 10 146 R. Hertwig und E. Lesser: welcher sich zur Diplophrys wie die Pleurophrys zur Plagiophrys verhalten soll. Da wir leider keine eigenen Beobachtungen be- sitzen, geben wir der Wichtigkeit der Form halber hier die Archer’sche Definition in deutscher Uebersetzung wieder. Amphitrema. Archer. Genuscharakter. Ein Rhizopod, welcher zwei Büschel von langen, dünnen, verästelten, durchsichtigen Pseudopodien aussendet ; jedes Büschel tritt durch eine Oeffnung an entgegengesetzten Seiten einer mehr oder minder mit Frremdkörpern (Sandkörnchen) bedeckten Schale, deren Oeffnung mit einem reifenähnlichen Hals ausge- stattet ist. Amphitrema Wrightianum. Archer. Speciescharakter. Der Chlorophylikörner bergende Körper füllt den Schalenraum für gewöhnlich nicht aus. Die einander gegenüberstehenden Pseudopodienbüschel sind ungleich. Die in einer Richtung verschmälerte hyaline elliptische Schale ist mit Frremd- körpern bedeckt, welche sich nach den Oeffnungen zusammendrängen und den sehr kurzen Schalenhals häufig verdecken. Einen Kern hat Archer nicht auffinden können. Da die Schale durch ihre Undurchsichtigkeit ihn leicht verdecken kann, ist man desshalb nicht berechtigt, seine Existenz in Abrede zu stellen. Wir unsererseits glauben sogar annehmen zu dürfen, dass das Amphitrema auch hierin mit der Diplophrys übereinstimmt, und tragen kein Bedenken, das erstere den kernführenden Monothalamien anzureihen. Auf das Fehlen der contractilen Blasen legen wir keinen Werth. eG VE RE Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 147 III. üheil. Heliozoa. Im Jahre 1868 beschrieb W. Focke'!) eine kleinere Anzahl Rhizopoden, welche er in den Mooren der Umgegend Bremens gefunden hatte und ihrer systematischen Stellung nach als Nächst- verwandte der Radiolarien bezeichnete. Er nannte sie Süss- wasserradiolarien im Gegensatz zu den kurz zuvor durch Häckel zum ersten Male genauer geschilderten Radiolarien der See und wurde so zum Schöpfer eines Namens, welcher sich seit der Zeit, man möchte fast sagen, Bürgerrecht in der Rhizopoden- literatur erworben hat. Zu den Radiolarien glaubte Focke seine Süsswasserrhizopoden rechnen zu müssen, einmal wegen ihrer kugeligen Grundform, dann wegen des Baus ihres Kör- pers, dessen Differenzirung in eine Centralkapsel und äussere Sarkode er für erwiesen hielt. — Fast gleichzeitig versuchte Cien- kowski?) durch die vortreffliche Schilderung einer neu entdeckten beschalten Actinophryide, der Clathrulina elegans, gestützt auf die den Ethmosphaeriden ähnliche Schale derselben, eine Annäherung der längst bekannten Actinophrys solund Actinosphaerium Eichhornii an die Radiolarien zu vermitteln. Cienkowski machte indessen schon damals darauf aufmerksam, dass eine endgiltige Entscheidung dieser Frage erst von einem genauen Studium der Entwicklungsgeschichte abhängig gemacht werden müsse. — Einige Jahre früher hatte Carter?) einen beschalten Rhizopoden unter dem Namen Acanthocystis turfacea beschrieben und seiner Seeigel ähnlichen Stacheln wegen direct den Radiolarien als erst bekannten Süsswasservertreter derselben untergeordnet. 1) Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XVII pag. 345 Taf. XXV. 2) Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. III pag. 311 Taf. XVII. 3) Ann. and Mag. of nat. hist. III. Vol. 12 und 13. 148 R. Hertwig und E. Lesser: Die genannten drei Schriften sind der Ausgangspunkt einer schon ziemlich beträchtlichen Literatur geworden, deren Resultate darauf hinaus zu laufen scheinen, die Ansicht der genannten Autoren weiterhin zu befestigen und durch Auffinden einer grösseren Anzahl neuer Formen für die Radiolarien eine weitere Verbreitung im Süsswasser nachzuweisen, als man bisher angenommen hatte. In zwei Arbeiten über Acanthocystis viridis!) (A. turfacea Carter) und Actinophrys sol?) suchte Grenacher den Beweis zu führen, dass wir hier, wenn auch nicht echte Radiolarien, so doch nächstverwandte Formen vor uns hätten, welche sich zu jenen wie niedrig organisirte zu höher organisirten, wie Hydren zu Hy- droidpolypen verhielten. Namentlich glaubte Grenacher für Actino- phrys sol den Besitz einer CGentralkapsel oder wenigstens eines die Functionen derselben erfüllenden Gebildes ‚. durch die Auffindung eines central gelegenen Bläschens nachge- wiesen zu haben, welches bisher von den meisten Beobachtern übersehen worden war, von Seiten der Uebrigen eine (nach Gre- nacher’s Auffassung wenigstens) falsche Deutung erfahren hatte. Noch entschiedener spricht sich Greeff in einer Reihe von Aufsätzen für die Unterordnung der Actinophryen und Actino- phrysähnlichen Rhizopoden unter die Radiolarien aus. So reiht er die Clathrulina den Ethmosphaeriden ein; den Astrodisculus radians ist er geneigt als polyzoes Radiolar aufzufassen®). Die Actinophryen gehören nach seinen Angaben unmittelbar zur Fa- milie der Acanthometriden , die Acanthocystiden zu den Astro- lithien‘). Eine Anzahl weiterer »echter Radiolarien des süssen - Wassers« hat Greeff ferner in den Sitzungsberichten der Marburger Gesellschaft zur Beförd. d. ges. Naturw. 1871 No. 4, jedoch ohne Abbildungen beizufügen und ohne sie zu benennen, beschrieben. Als die wichtigsten und wumfangreichsten Untersuchungen der Neuzeit über die sogenannten »Süsswasserradiolarien« sind neben den Greeff’schen Veröffentlichungen endlich noch Archer’s°) 1) Zeitschr. f. wiss. Zool. XIX pag. 289 Taf. XXIV. 2) Verhandl. d. phys.-med. Gesellschaft zu Würzburg N.F. I. p. 166 T.III. 3) Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. V. Ueber Radiolarien und Radiolarien- ähnliche Rhizopoden des süssen Wassers pag. 464 Taf. XXVI und XXVII. 4) Sitzungsb. d. Niederrhein. Gesellsch. 1871. Referat über die Sitzung am 9. Januar. 5) Quarterly Journal of Mierosce. Science 1869, 1870. On some fresh- water Rhizopoda, new or little known. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 149 Arbeiten zu erwähnen. Wie Cienkowski hält auch Archer mit seinem Urtheil noch zurück, obwohl er durchblicken lässt, dass er sehr geneigt ist, die Radiolariennatur der von ihm beobachteten Organismen anzuerkennen. Wenn wir nach diesen kurzen historischen Notizen über den Entwicklungsgang, den unsere Kenntnisse der Süsswasserradiolarien genommen haben, an die Beurtheilung herantreten, mit welchem Recht die fraglichen Organismen als Radiolarien angesehen werden, so müssen wir uns zuerst die Frage beantworten: Welche Or- ganisationsverhältnisse sind denn charakteristisch für die Radiolarien? und nach Beantwortung dieser Frage einer genauen Prüfung unterziehen: Wie weit sind diese charakte- ristischen Organisationsverhältnisse bei den »Süss- wasserradiolarien« nachweisbar. Indem wir hierbei für den Bau der Radiolarien die Angaben Häckel’s, welche ja mehr oder minder allgemeine Anerkennung gefunden haben und die wir als den Ausdruck unserer derzeitigen Kenntnisse der Radiolarienorganisation ansehen müssen, aus Mangel eigener Untersuchungen unseren Besprechungen zu Grunde legen, scheinen uns folgende von Häckel selbst mit Nachdruck betonten Verhältnisse für die Entscheidung der uns beschäftigenden Frage von besonderer Wichtigkeit zu sein. 1) Die Radiolarien (auch die monozoen) sind vielzellige Or- ganismen; in einem mit Kernen, den sogenannten Sarkodekernen durchsetzten Protoplasma liegen zahlreiche, vollkommen selbststän- dige, membranführende Zellen eingebettet. 2) Alle Radiolarien besitzen eine Centralkapsel, d. h. ein vielzelliges im Centrum des Körpers gelegenes Gebilde, welches meistentheils Kugelform besitzt und von einer derben chitinösen Membran umgeben wird. 3) Die meisten Radiolarien besitzen gelb gefärbte, grössten- theils in die äussere Sarkode eingebettete Zellen, die sogenannten »gelben Zellen«. Von den genannten drei Charakteren müssen wir die beiden ersten, bei weitem wichtigsten in ihrem ganzen Umfang aufrecht erhalten und mit aller Entschiedenheit gegen die neuerdings mehr- fach wiederholten Versuche, den systematischen Werth derselben zu schmälern, Einspruch erheben. Offenbar in der Absicht, die »Süsswasserradiolarien« den echten Radiolarien der See zu näheren, 150 R. Hertwig und E. Lesser: haben nämlich viele Forscher in der Neuzeit Zweifel erhoben, dass die Centralkapsel in Wirklichkeit so absolut nothwendig sei, um einen Organismus den Radiolarien zuzuzählen. In allen Arbeiten, welche diese Bedenken gegen die systematische Bedeutung der Centralkapsel erheben, kehrt als einziger Beweis die Berufung auf einige von Stuart!) gemachte Beobachtungen wieder. Derselbe beschreibt unter den Namen Coscinosphaera ein »Radiolar« mit Kalkskelet und ohne Centralkapsel. — Abgesehen davon, dass es wahrlich nicht zweckmässig ist, einer einzigen ungenügend beschrie- benen Art halber die sichere Definition einer grossen formenreichen Classe in Frage zu stellen, so sind die in Rede stehenden, von Stuart gemachten Beobachtungen von sehr zweifelhaftem Werth und wenig Vertrauen erweckend. In seinen »Beiträgen zur Plastiden- theorie« führt Häckel die sogenannte Coscinosphaera auf die unter den Namen der Orbulina echinoides schon längst bekannte, abgelöste letzte Kammer der Globigerina echinoides zurück, eine Ansicht die auch uns durch die eigenthümliche Entwicklung junger zusammenhängender Organismen innerhalb der Schale sehr nahe gelegt wird. Ebenso äussert auch Greeff, welcher mit Recht an dem Charakter der Gentralkapsel festhält und in gleicher Weise wie Häckel die Coscinosphaera für eine Foraminifere zu halten scheint, seine Bedenken gegen die Stuart’schen Beobachtungen. Wir glauben daher wohl ein Recht zu haben, wenn wir die soge- nannte Coscinosphaera aus den Radiolarien, zu denen sie offenbar nicht gehört, ausscheiden und den Stuart’schen Beobachtungen jedwede Bedeutung für die systematische Charakteristik der Ra- diolarien absprechen. Wir kommen jetzt zur Beantwortung der zweiten Frage: Sind die für die Radiolarien charakteristischen Eigenthümlichkeiten im Bau auch bei den Süsswasser- radiolarien vorhanden? Bevor wir auf eine ausführlichere Besprechung uns einlassen, wollen wir hier gleich bemerken, dass wir unsererseits die Frage verneinen müssen und dass wir keine Organisationseigenthümlich- keiten gefunden haben, welche uns zwängen, auch nur eine Ver- wandtschaft zwischen den Radiolarien und den Actinophryen und actinophrysartigen Rhizopoden anzunehmen. Wir werden für die 1) Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXVI pag. 328 Taf. XVIU. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 151 letzteren daher weiterhin nicht mehr den Namen Süsswasserra- diolarien gebrauchen, weil derselbe nach unserer Meinung auf falschen Voraussetzungen beruht, sondern sie nach H!äckel’s Vor- schlag Heliozoen nennen. Ausserdem sei hier noch bemerkt, dass, wenn wir im Folgenden eine Kritik der bisherigen Beobach- tungen geben werden, dies auf Grund mehrmonatlicher Unter- suchungen geschieht, welche in den folgenden Einzelbeschreibungen eine eingehendere Darstellung finden sollen. Bei der allgemeinen Besprechung können wir selbstverständlich nur die aus unseren Beobachtungen gewonnenen Resultate und allgemeinen Anschauungen berücksichtigen und müssen für die Berechtigung unserer Auf- fassungsweise auf die Besprechung der einzelnen Arten verweisen. Die Punkte, in denen wir von früheren Beobachtern abweichen, werden wir im Anschluss an die Frage nach dem Fehlen oder dem Vorhandensein der drei für die Radiolarien charakteristischen, oben genannten Merkmale behandeln. 1) Sind die Heliozoen einzellige oder vielzellige Organismen? Diese für die Entscheidung der verwandtschaftlichen Ver- hältnisse der Heliozoen und Radiolarien so ausserordentlich be- deutsame Frage ist bisher noch von keinem der früheren Forscher zum Gegenstand einer eingehenden Besprechung gemacht worden. Wir sind desshalb nicht im Stande, zu entscheiden, ob dieselben die Heliozoen für vielzellige Organismen halten oder ob sie die Vielzelligkeit für etwas Nebensächliches in der Organisation der Radiolarien erklären. Nur in den Aufsätzen Greeff’s sind wir Andeutungen begegnet, welche uns annehmen lassen, dass der- selbe die »Süsswasserradiolarien« als aus vielen Zellen bestehend ansieht. In der Schilderung der Acanthocystis viridis beschreibt er unter den Kugeln, welche beim Zerquetschen des Organismus sich bilden, auch »Blasen, welche ein kernartiges Gebilde umschliessen und dann den vollständigen Anblick von Zellen gewähren«!). Diese Blasen hat Greeff jedenfalls im Auge, wenn er im Resume über den Bau der Acanthoeystis viridis und A. pallida weiterhin von »offen- bar zelligen Gebilden«?) spricht. Indessen ist aus diesen kurzen Bemerkungen weder ersichtlich, in welcher Weise sich Greeff das 1) Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. V pag. 480. 2) l. ec. pag. 490. 152 R. Hertwig und E. Lesser: Verhältniss dieser „offenbar zelligen Gebilde« zum Körperaufbau denkt, noch ob er gewillt ist den bei der Acanthocystis gemachten Beobachtungen allgemeinere, auch auf die übrigen »Süsswasser- radiolarien« auszudehnende Gültigkeit beizumessen!). Wir unsererseits haben aus unseren Untersuchungen die Ueberzeugung gewonnen, dass mit wenigen noch näher zu be- sprechenden Ausnahmen die Heliozoen den Formwerth einer einzigen Zelle besitzen. Der mehr oder minder in der Nähe des Mittel- punktes des kugeligen Körpers gelegene Nucleus, welcher von den früheren Beobachtern entweder ganz übersehen, oder ungenügend erkannt worden ist, oder endlich eine falsche Deutung erfahren hat, ist eine helle, häufig mit einer besonderen Umhüllung, einer »Kernmembran«, versehene Blase, deren centrale Partieen durch einen homogenen, matt bläulichen, runden oder ovalen Körper, den Nucleolus, eingenommen werden. In seinem Bau und seinem chemischen Verhalten stimmt er aufs Genauste mit dem bei Mono- thalamien und anderen Rhizopoden schon von uns beschriebenen Nucleus überein und ist wie dieser ein echter Zellkern. Eine Ausnahme bildet zur Zeit einzig und allein das Actino- sphaerium Eichhornii. Bei demselben befinden sich bekanntlich zahlreiche, in die Marksubstanz eingebettete Kerne, ohne dass sich jedoch um jeden einzelnen derselben ein bestimmtes Protoplasma- territorium abgegrenzt hätte. Man kann nun schwanken, ob man die hierdurch gegebene Vielkernigkeit des Körpers schon als Viel- zelligkeit deuten soll oder ob es nicht zweckmässiger ist, den Aus- druck » Vielzelligkeit« auf diejenigen Fälle zu beschränken, bei denen ausser: der Kernvermehrung auch eine Sonderung des Proto- plasma in eine Anzahl von einander unabhängiger, nicht mehr in Continuität stehender Theilstücke eingetreten ist. Wir halten einen sicheren Entscheid dieser Frage augenblicklich nicht für möglich, 1) Wenn Greeff bei Clathrulina von einem »Kerne« spricht, so kann er hierbei unmöglich den Begriff des Zellkerns im Auge haben, da er später diesen Kern für ein Homologon der Binnenblase hält. Offenbar gebraucht hier Greeff den Ausdruck »Kern« in der Bedeutung des gewöhnlichen Sprachgebrauchs und nicht im histologischen Sinne, in derselben Weise, wie er auch die von der Centralkapsel umschlossene Binnenblase als »Kern des Kerns« bezeichnet (l. c. pag. 475). Dagegen scheint er die Kerne des Actinosphaerium Eichhornii für echte Zellkerne, den Organismus selbst für vielzellig zu halten. (Arch. f. mikr. Anat. Bd. III pag. 397). Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 153 da wir von der Bedeutung des Zellkerns für das Leben der Zelle, zumal für die Individualität derselben zu wenig Sicheres wissen und für die eine wie die andere Meinung gleich gewichtige theo- retische Betrachtungen geltend machen können. Im Uebrigen würde es für den Entscheid der Frage nach den Beziehungen des Actinosphaerium zu den Radiolarien von unter- geordnetem Werthe sein, ob man dem ersteren die Bedeutung einer einzigen vielkernigen Zelle oder eines Multiplum von Zellen zu- erkennen will. Denn selbst wenn wir annehmen, dass das Actino- sphaerium ein vielzelliger Organismus ist, müssen wir zugeben, dass zwischen der Vielzelligkeit eines Radiolars und der Vielzellig- keit, wie wir sie hier vor uns haben, ein ganz bedeutender Unter- schied besteht. Hier haben wir eine gemeinsame, einfache Sarkode mit vielen Kernen, dort ausser dieser Sarkode mit Kernen (den Sar- kodekernen Häckel’s) noch eine grosse Anzahl selbstständiger, durch Umhüllung mit einer Membran vollkommen individualisirter Zellen. Wir kommen daher zum Schluss, dass bei keiner He- liozoe auch nur annähernd die hohe histologische Entwicklung erreicht wird, welche wir vom Körper der Radiolarien kennen. 2) Besitzen die Heliozoen eine Centralkapsel oder ein der Centralkapsel homologes Gebilde? sind die rundlichen Körper, welche in der Sarkode derselben nachgewiesen und bald als CGentralkapsel, bald als Binnenblase gedeutet worden sind, auch in Wirklich- keit die genannten für die Radiolariennatur beweis- kräftigen Organe? Wir müssen diese Frage entschieden verneinen, wenn wir es uns auch versagen müssen, schon hier eine ausführlichere Be- sprechung zu geben; denn die Körpertheile, welche entweder als Centralkapsel oder als Binnenblase in Anspruch genommen wurden, sind je nach den einzelnen Fällen zu verschiedenartiger Natur, als dass sie eine einheitliche Betrachtung erlaubten. So wurde bei einem Theile der Heliozoen der Kern als Binnenblase, bei einem anderen als Centralkapsel gedeutet, bei einer grösseren Anzahl wurde der centrale als Marksubstanz von der Rindensubstanz unterscheidbare Theil des Körpers für die Centralkapsel erklärt, bei anderen wiederum der gleiche raorphologische Werth einfachen Pigmentkugeln zuertheilt, welche in der Sarkode von manchen 154 R. Hertwig und E. Lesser: Heliozoen zeitweilig, jedoch keineswegs constant angetroffen werden. Es muss daher den Beschreibungen der verschiedenen Genera und Species überlassen bleiben, in den einzelnen Fällen eine Rechtfer- tigung unserer abweichenden Auffassungen zu geben. Uebrigens ist die Frage nach dem Fehlen oder der Anwesen- heit der Centralkapsel bei den Heliozoen nach unserer Meinung schon durch den Nachweis der Einzelligkeit für die überwiegende Mehrzahl entschieden. Wenn wir auch Greeff undGrenacher gern zugestehen, dass bei niedrig entwickelten, ursprünglichen oder verkümmerten Formen das bei den meisten Radiolarien hoch ausgebildete Organ der Öentralkapsel einen geringeren Grad der Differenzirung besitzen wird, so kann doch nach unseren jetzigen histologischen Begriffen der Theil einer Zelle nicht ohne Weiteres einem vielzelligen Gebilde, wie die viele »Alveolen« umschliessende Centralkapsel ist, gleich gesetzt werden. Hierbei erkennen wir indessen bereitwilligst an, dass der Bau der Radiolarien durch die Einlagerung membran- führender Zellen in ein gemeinsames Protoplasma, mithin durch die Vereinigung höherer, man möchte fast sagen geweblicher Differenzirung mit einfachsten Organisationsverhältnissen Eigen- thümlichkeiten besitzt, welche eine Erweiterung unserer von den Geweben höherer Organismen gewonnenen Anschauungen anzu- bahnen scheinen. 3) Besitzen die Heliozoen den gelben Zellen hope Radiolarien homologe Gebilde? Wir müssen hier zweierlei verschiedene Dinge auseinander halten, welche beide als den gelben Zellen entsprechend angesehen worden sind. Einen Theil derselben haben wir schon in der vor- anstehenden Arbeit über Mikrogromia genügend besprochen, und daselbst ihre richtige Deutung gegeben. Es sind dies die einzelligen Einzelthiere der in CGolonieen oder Colonieähnlichen Vereinigungen zusamımenlebenden Monothalamien, Mikrogromia und Diplophrys, bei welehen Archer unbegründeter Weise die Vermuthung aus- gesprochen hatte, dass sie den gelben Zellen gleichwerthig seien. Wir können bezüglich ‘derselben auf das früher Gesagte verweisen!). Die zweite Art von Körpern, welche mit gelben Zellen ver- glichen werden, sind die gelben und grünen Kugeln, welche bei 1) Siehe pag. 6 und pag. 145. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 155 den meisten Heliozoen, aber auch ausserdem bei vielen anderen Rhizopoden sich vorfinden. Ihre weite Verbreitung bei niederen Organismen spricht schon gegen ihre Deutung als gelbe Zellen, noch mehr ihr Bau, welcher auch keine Spur von zelliger Structur erkennen lässt, wie es von vielen Seiten behauptet worden ist. Selten enthalten sie feine Körnchen, niemals jedoch Kerne oder kernartige Einschlüsse. Ebenso wenig sind bisher Stärkekörner nachgewiesen, welche nach Häckel’s!) Untersuchungen niemals in den gelben Zellen fehlen. Meist sind sie vollkommen homogen, fettglänzend und gleichen dann, abgesehen won ihrer Farbe, voll- kommen den graubläulichen, ovalen und rundlichen Körpern, welche zwischen ihnen zerstreut vorkommen, oder sie auch vollkommen ersetzen können. Beide Arten Körper besitzen offenbar dieselbe morphologische und physiologische Bedeutung. Wir leiten sie aus der Umwandlung der aufgenommenen Nahrung ab und halten sie somit für aufgestapelte Nahrstoffe, eine Ansicht, welche wir im speciellen Theil durch Beobachtungen stützen werden. Ob hierbei die gefärbten Körper stets von gefärbter Nahrung abstammen oder ob die farblosen im Lauf des Verdauungsprocesses allmählich eine Färbung annehmen können, lassen wir dahingestellt. In welcher Weise nun auch die gelben und grünen Körper sich entwickeln mögen und welche Bedeutung ihnen auch immer zukommen mag, jedenfalls sind sie Zelltheile und keine Zellen, und das ist entscheidend. Denn selbst wenn sie physiologisch mit den gelben Zellen übereinstimmten, würde es doch jeder morpho- logischen Vergleichsweise widersprechen, ungleichwerthige Gebilde mit einander zusammen zu stellen. Die im Vorhergehenden gegebenen Darlegungen scheinen uns den sicheren Beweis zu liefern, dass von den drei Charakteren, welche als entscheidend für die Radiolariennatur angesehen werden müssen, auch kein einziger bei den Heliozoen nachgewiesen werden kann, dass die Heliozoen somit jedenfalls keine echten Radiolarien sind, wie es Greeff bewiesen zu haben glaubt. Es bleibt uns nunmehr noch übrig zu besprechen, welchen Werth diejenigen Merkmale besitzen, welche die Heliozoen und Radiolarien mit einander theilen, und in wie weit dieselben vermögen, beide Classen als zwei, aus gemeinschaftlicher Wurzel emporwachsende 1) Biologische Studien I, pag. 119, 156 R. Hertwig und E. Lesser: Gruppen erscheinen zu lassen. Denn in der That existiren eine Anzahl recht in die Augen springender gemeinsamer Charaktere, welche jedenfalls auch der ursprüngliche Grund der Vergleichung gewesen sind. Als solche auffällige Charaktere bezeichnen wir in erster Linie die Gestalt, in zweiter die Formen des Skelets. Als Grundform unserer Heliozoen müssen wir eine mehr oder minder regelmässige Kugelgestalt bezeichnen (homaxone Grund- form, Häckel). Dieselbe ist am reinsten in der Familie der Aecti- nophryen entwickelt und kennzeichnet sich dadurch, dass alle Punkte der Körperoberfläche einander gleichwerthig sind und keine Körperaxe in dominirender Weise entwickelt ist. Nur bei einigen beschalten Formen werden durch die Bildung eines Stiels Ab- weichungen in der Weise bedingt, dass wir nunmehr ein hinteres festsitzendes und ein vorderes freies Ende unterscheiden können. Diese Veränderungen müssen aber dann als secundär entstandene angesehen werden, wie sie denn auch keinen Einfluss auf die nach wie vor kugelige Gestalt der Schale und des Körpers ausgeübt haben. Jedenfalls sind wir berechtigt den Heliozoen als typisch eine homaxone Grundform zuzusprechen. Dasselbe muss für die Radiolarien behauptet werden. Hier ist zwar eine klar ausgeprägte Kugelgestalt des gesammten Körpers nur bei einem kleinen Theil, aber bei diesen mit mathematischer Genauigkeit entwickelt. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass die abweichenden Formen der Cyrtiden und Disciden etc. durch weitergehende Differenzirung der Körperaxen aus der ursprüng- lichen kugeligen Grundform abgeleitet werden müssen, dass somit auch bei den Radiolarien, wie es schon im Namen seinen Ausdruck findet, die monaxone Grundform das Primäre ist. Es fragt sich nun, in wie weit die nachgewiesene Ueberein- stimmung in der Körpergestalt sich für die Begründung verwandt- schaftlicher Beziehungen zwischen den Heliozoen und Radiolarien verwerthen lässt. — Mit der Beantwortung dieser Frage betreten wir eines der schwierigsten Gebiete der morphologischen Forschung, auf welchem seit jeher die Ansichten sehr getheilt waren. Im Allgemeinen kann man jetzt wohl sagen, dass der grössere Theil der modernen Naturforscher vollkommen davon zurückgekommen ist, der Form in der Weise, wie es Cuvier bei Errichtung des Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 157 radiären Typus that, eine grosse Bedeutung in der Systematik zu- zuertheilen. An Stelle dessen betont man mehr denn früher die innere Organisation und die Art und Weise, in welcher sich dieselbe entwickelt hat. Denn ein eingehendes Studium lehrte, wie die Verhältnisse des Baus ausserordentlich viel typischer sind und sich mit grösserer Constanz vererben, als die allgemeinen Körperformen, wie die letzteren überhaupt nur in soweit Bedeutung erlangen, als sie durch Organisationsverhältnisse bedingt erscheinen. Indem wir unsererseits diese Anschauungen theilen, sind wir nicht gesonnen bei der Verschiedenheit der Organisation der Heliozoen und Radiolarien auf die übereinstimmende Kugelform hin verwandtschaftliche Beziehungen zu begründen. Im vorliegen- den Falle werden wir zu dieser Auffassung noch ausserdem durch die Ueberlegung bestimmt, dass die’homaxone Gestalt, bei welcher alle Punkte der Oberfläche einander gleichwerthig sind, als die naturgemässeste für einzellige Organismen, wie die Heliozoen sind, angesehen werden muss, wie ja auch viele einzellige Gebilde, wie z. B. weisse Blutkörperchen und viele Amoeben eine Kugelform annehmen. Ebenso wenig wie durch die Grundform werden wir durch die Bildung des Skelets veranlasst, die Heliozoen in Be- ziehung zu den Radiolarien zu bringen, wenn wir auch nicht ge- willt sind, die mancherlei auffallenden Uebereinstimmungen zwischen den beiderseitigen Skeletformationen in Abrede zu stellen. Es kehren z. B. dieselben Unterschiede zwischen den aus Nadeln und den aus Stacheln sich aufbauenden, sowie den aus einem einzigen gegitterten Stück bestehenden Skeleten der Radiolarien auch bei den Heliozoen wieder. Wir könnten in dieser Hinsicht die Ra- phidiophryen wegen ihrer tangentialen Nadeln mit den Sphaero- zoen, die Acanthocystiden mit ihren radiär gestellten Stacheln mit einigen der Acanthometriden, die Clathrulina wegen ihrer Gitter- schale mit den Ethmosphaeriden zusammenstellen; vielleicht lässt sich auch die Schale der Heterophryen als aus einem spongiösen oder reticulären Fachwerk zusammengesetzt auffassen, wie die- jenigen des Spongodisceus und Spongurus bei den Radiolarien. Dagegen giebt es wiederum bei den Heliozoen Skeletformen, welche auch in keiner Hinsicht sich mit denjenigen der Radiolarien vergleichen lassen, so die kleinen Kieselkugeln der Hyalolampe, die Täfelchen der Pinacocystis, während andererseits von den mannich. 158 R. Hertwig und E. Lesser: fachen Combinationen von Gitterkugeln und Stacheln, sowie von der grossen mathematischen Regelmässigkeit in der Anordnung der ersteren, welche uns bei den Radiolarien überrascht, bei den Heliozoen keine Spur nachgewiesen werden kann. Auch auf einige auffallende Unterschiede in der Lagerung der Skeletstücke möchten wir aufmerksam machen; bei den Radiolarien liegen meistentheils dieselben entweder ganz oder theilweise in der Körpersarkode und dringen häufig bis ins Innere der Centralkapsel ein. Bei den Heliozoen bilden sie stets einen Kugelmantel, welcher ın einiger Entfernung von der Körperoberfläche liegt und dessen einzelne Stücke wie es scheint nur von Protoplasmafäden, welche sich von den Pseudopodien abzweigen, zusammengehalten werden. Wichtiger noch als das bisher Gesagte scheint uns im vor- liegenden Falle die Ueberlegung zu sein, dass alle die genannten Skeletbildungen bei niederen Classen eine ausserordentliche Verbrei- tung besitzen, dass wir daher nicht ohne Weiteres an eine Ver- wandtschaft der durch sie ausgezeichneten Organismen denken dürfen. In die Körpersarkode eingelagerte Nadeln finden sich bei den Spongien, radiär gestellte Stacheln bei manchen Foraminiferen. Die überraschendsten Aehnlichkeiten aber kommen in den Skelet- formationen der Infusorien vor. Bei denselben hat kürzlich Häckel!) glockenförmige, gegitterte Kieselgehäuse beschrieben, welche so vollkommen mit den Schalen der Cyrtiden unter den Radiolarien übereinstimmen, dass Häckel, bevor er die Schalen- bewohner kannte, sie in der That auch für Cyrtidenschalen hielt. Aus diesen Zusammenstellungen geht hervor, dass Aehnlichkeiten im Skelet ebenso wohl auf Analogie als auf Homologie beruhen können, dass dieselben keinen Grund abgeben können, zwei Classen systematisch zu vereinen, wenn diese Vereinigung nicht noch durch weitere, im Bau des Weichkörpers begründete Charaktere sich stützen lässt. Mit der Betrachtung des Skelets schliessen wir den Vergleich der Organisation der Heliozoen und Radiolarien. Wir glauben durch denselben dargethan zu haben, dass unter allen Umständen keine Rede davon sein kann die einzelnen Heliozoengenera ohne Weiteres bestimmten Familien der Radiolarien unterzuordnen, wie Greeff, Carter und Andere es gethan haben, da die Voraus- 1) Haeckel: Ueber einige neue pelagische Infusorien (siehe die Dietyo- cystiden). Jenaische Zeitschr. Bd. VII. 4. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 159 setzungen und die Auffassung der Organisation, auf welche die ge- nannten Beobachter ihre Ansicht begründeten, den objectiven Beo- bachtungen nicht entsprechen. Wir müssen sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass nach dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse nicht einmal ein einziges Merk- mal im Bau der Heliozoen vorliegt, welches uns zwänge dieselben auch nur für entfernte Verwandte der Ra- diolarien zu erklären. Bis jetzt hat die Anschauung, dass beide Classen unabhängig von einander und selbstständig entstanden sind, vollkommen gleiche Berechtigung. Welcher von den beiden mög- lichen Fällen in der vorliegenden Frage in der Zukunft als der allein berechtigte angesehen werden muss, wird sich nach unserer Ansicht überhaupt nicht aus dem Studium der Organisation ermitteln lassen. Hier kann nur eine vergleichende Untersuchung der Entwicklungsgeschichte beider Classen einen sicheren Entscheid bringen. Leider sind gerade unsere Kenntnisse über die Entwicklungs- geschichte der Heliozoen und noch mehr der Radiolarien — und auf letztere würde zur Entscheidung der Verwandtschaftsfrage das grösste Gewicht +zu legen sein — sehr unvollständig und lücken- haft. Bei den Heliozoen kennen wir ausser den wenig charakte- ristischen Encystirungen und einfachen Theilungen eine Fort- pflanzung durch Bildung eines Schwärmers, welcher mit einem Kern, einer contractilen Blase und zwei Geisseln versehen ist. Die hierauf bezüglichen Beobachtungen wurden zuerst von Cienkowski bei Glathrulina gemacht und von uns bestätigt und erweitert. Ebenso hat Cienkowski auch bei Radiolarien eine Entwicklung durch Bildung von Flagellaten-ähnlichen Schwärmern nachgewiesen. Dieselben sollen in grosser Anzahl in einem Individuum durch fortgesetzte Theilung des Inhalts der Gentralkapsel entstehen. Für die Entscheidung der uns beschäftigenden Fragen sind diese Beobachtungen bedeutungslos, denn dieselbe Form des Schwär- mers wurde von uns auch innerhalb der Gruppe der Monothalamien beobachtet!) und zwar stimmt derselbe bis ins kleinste Detail: in der Formation des Protoplasma, der Lage des Kerns und der contractilen Vacuolen, in der Anzahl der Geisseln mit dem Cla- thrulinaschwärmer vollkommen überein. Gleiche Schwärmerformen 1) Siehe die voranstehende Arbeit über Mikrogromia socialis pag. 22. 160 R. Hertwig und E. Lesser: haben weiterhin De Bary bei den Mycetozoen, Cienkowski bei einigen von ihm als Monadinae zoosporeae bezeichneten Or- ganismen beschrieben. Es scheinen demnach dieselben im Bereiche der Rhizopoden und Nächstverwandten eine weitgehende Verbrei- tung zu besitzen. Offenbar kann nur die Art und Weise, in welcher der zur Ruhe gekommene Schwärmer sich zur Radiolarie entwickelt, und aus dem wahrscheinlich einzelligen Gebilde eine viele Zellindividuen umschliessende Protoplasmamasse sich ausbildet, uns Sicherheit verschaffen, ob die Heliozoen sich zu den Radiolarien wie niedrig organisirte Formen zu höher entwickelten verhalten. Wir müssen aufs lebhafteste bedauern, dass gerade über diesen Theil der Ent- wicklungsgeschichte uns alle zuverlässigen Beobachtungen fehlen. Die einzigen bis jetzt vorliegenden Untersuchungen über diesen Gegen- stand, welche von Dönitz!) angestellt worden sind und eine Be- ziehung der Heliozoen zu den Radiolarien in dem oben angedeuteten Sinne zulassen würden, sind von dem competentesten Richter in dieser Frage E. Häckel vollkommen verurtheilt worden. Wir kommen auch hier wieder zu dem schon oben ausge- sprochenen Resultat: es ist möglich, dass eine Verwandtschaft zwischen Radiolarien und Heliozoen nachweisbar sein wird; nach- gewiesen ist sie aber zur Zeit keinesfalls. So lange dies noch nicht geglückt ist, müssen wir beide Classen als von einander unabhängig betrachten. Somit tritt an uns die Aufgabe heran, die Heliozoen als eine vorläufig selbstständige Classe zucharakterisiren, und ein zusammenhängendes Bild der Organisation derselben zu entwerfen. Wir können uns hierbei kurz fassen, da die voranstehenden Besprechungen uns schon mit den wichtig- sten Punkten bekannt gemacht haben. Die Heliozoen sind einzellige, selten durch Vervielfältigung der Kerne vielzellige (oder vielkernige?) Organismen. Ihre Grund- form besitzt die Gestalt einer Kugel, welche sich auch am Körper der durch Vermittlung eines Schalenstiels festsitzenden Arten erhält. Das Protoplasma, aus dem der Weichkörper der Heliozoen einzig und allein sich aufbaut, differenzirt sich bei der überwiegenden Mehrzahl in eine Mark- und Rindensubstanz, ein Endosark und 1) Arch. f. Anat. u. Physiol. Jahrg. 1871. 8. 71. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 161 Ektosark. Die Abgrenzung der Schichten ist hierbei eine ver- schieden ausgeprägte; bei Actinophrys sol gehen beide unmerklich in einander über, bei Actinosphaerium vollzieht sich die Umwand- lung der einen Substanz in die andere innerhalb einer schmalen, überall vom Körperinnern gleichweit entfernten Zone. Am schärf- sten contourirt erscheint die Grenze bei den Acanthocystiden, Hetero- phryen etec.; aber auch hier ist es nur die Verschiedenheit des Protoplasma, keine besondere Membran, welche die Deutlichkeit der Contour bedingt. Im Endosark liegen stets die Kerne. Wenn dieselben nur in Einzahl vorhanden sind, nehmen sie nur äusserst selten die Körpermitte ein, und lagern meist mehr oder minder excentrisch; sind sie vervielfältigt, so liegen sie regellos zerstreut. Das Ektosark charakterisirt sich durch den Besitz von con- tractilen Vacuolen. Dieselben haben wir zwar nicht bei allen Arten nachweisen können, trotzdem sind wir der Meinung, dass sie eine allgemeine Verbreitung besitzen, weil ihr Nachweis durch die im Ektosark gelegenen grünen und gelben Körner sehr erschwert werden kann. Sie sind meist in beliebiger Lagerung und wechseln- der Anzahl vorhanden und bedingen nur selten durch den hohen Grad ihrer Füllung eine locale Hervorwölbung der Körpersubstanz. Ausser den contractilen Blasen kommen namentlich bei den Acti- nophryen auch einfache Vacuolen vor, welche dann im Ektosark zwar mächtiger entwickelt sind, aber auch ins Endosark sich hinein erstrecken. Die der Nahrungsaufnahme und der Fortbewegung dienenden Pseudopodien sind stets dünn und fadenförmig und entspringen wie die Strahlen der Sonne rings von der Oberfläche des kugeligen, auf ihren Spitzen ruhenden Körpers. Sie erreichen häufig eine den Körperdurchmesser mehrfach übertreffende Länge und sind bald homogen, bald steigen Körnchen langsam an ihnen auf und nieder. Verästelungen kommen für gewöhnlich ebenso wenig wie Anastomosen bei ihnen vor. Das letztere-mag zum Theil von der radiären Anordnung abhängen, indem hierdurch den Pseudopodien die Gelegenheit genommen wird, sich gegenseitig zu trefien. Bei der Copulation mehrerer Individuen, durch welche die rein radiäre Anordnung gestört wird, treten daher auch häufigere Verklebungen nächst gelegener Strahlen ein. Eine Eigenthümlichkeit der Pseudopodien mancher Heliozoen M. Schultze Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 10, Supplementhett, 11 162 R. Hertwig und E. Lesser: ist die Differenzirung in eine Axe und Rindenschicht, auf welche zuerst M. Schultze aufmerksam gemacht hat. Dieselbe ist am klarsten bei Actinosphaerium zu erkennen. In der Axe eines jeden Pseudopodium liegt hier ein beiderseits zugespitztes Stäbchen, welches bis in das Endosark eindringt und aus einer homogenen, in Essigsäure sich lösenden Substanz besteht. Seiner Lagerung wegen wird es Axenfaden genannt. Wir halten das Gebilde für einen Stützapparat der Pseudopodien, der vielleicht nur durch eine Verdichtung des Protoplasma bedingt ist. Wenn Greeff sie mit den in die Centralkapsel eindringenden Stacheln der Acanthometri- den vergleicht, so scheint uns das sehr gewagt. Die zarten, wie Protoplasma zertliessenden Gebilde, haben mit den starren Kiesel- stacheln nicht einmal die Anordnung gemeinsam, da die letzteren nur zufälligerweise mit den Pseudopodien in Verbindung treten, die ersteren nie isolirt, sondern stets nur als Axentheile derselben vorkommen. ; In wie weit die Axenfäden bei den Heliozoen verbreitet sind, ist noch nicht genügend ermittelt; die Angaben der Forscher, welche dieselben bei fast allen mit Körnchen besetzten Pseudopodien nachgewiesen haben wollen, konnten wir in den meisten Fällen nicht bestätigen. Entsprechend dem Körper besitzt auch das Skelet der Helio- zoen eine kugelige Gestalt. Wie wir oben erwähnt haben, liegt es der Körperoberfläche hierbei nicht direct auf, sondern ist stets durch einen von den Pseudopodien durchsetzten Zwischenraum getrennt. Bald besteht es aus einem einzigen soliden Stück, bald aus vielen einzelnen, locker zusammengefügten Theilen. Die locker verbun- denen Stücke sind meistens stabförmig und werden Nadeln ge- nannt, wenn sie tangential liegen, Stacheln, wenn sie radiär angeordnet sind. Ausserdem kommen noch anderweitig geformte Skelettheile vor, deren Besprechung der Einzelbeschreibung vor- behalten werden muss. Ausser den Heliozoen mit einem mehr oder minder entwickelten Skelet kommen noch Formen vor, welche desselben vollkommen entbehren. Es sind dies die Actinophryiden, deren Axenfäden man nicht so ohne Weiteres mit den Skeletstacheln der Acanthocystiden auf gleiche Stufe stellen kann. Wir unterscheiden die letzteren als die Heliozoa Askeleta von den übrigen, den Heliozoa Skeletophora. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 163 Ueber die physiologischen Leistungen können wir uns kurz fassen, da sich von ihnen nicht viel Allgemeines sagen lässt, was nicht schon bei der gemeinsamen Besprechung der Sarkodinen Er- wähnung gefunden hätte. Die Fortbewegung ist meist eine ausser- ordentlich träge. Die Heliozoe balancirt dabei auf den Spitzen der Pseudopodien und bewegt sich mit Hülfe der Contractionen derselben wie eine Kugel rotirend vorwärts. Die Fortpflanzung der Heliozoen ist, wie es bei der Einfachheit ihrer Organisation sich nicht anders erwarten lässt, eine unge- schlechtliche und erfolgt durch einfache Theilungen der gesammten Körpersubstanz. Man kann im Allgemeinen hierbei zweierlei Arten unterscheiden, Theilungen des nackten Körpers und Theilungen innerhalb einer Cyste. Die letzteren zeichnen sich von den bei den übrigen Sarkodinen bekannten entsprechenden Vorgängen durch die Eigenthümlichkeit aus, dass die innerhalb der Cyste entstandenen Theilstücke sich nochmals eine eigene weitere Umhüllung aus- scheiden (Actinophrys, Actinosphaerium). Die Bildung der ersten gemeinsamen Cystenhülle kann bei Heliozoen mit einer festen, kapselartigen Schale ausfallen und nur die Hüllen der Theilstücke zur Entwicklung kommen. Es liegen dann in der Skeletschale viele, kleinere nicht untereinander zusammenhängende Cysten. — Die durch die Theilung entstandenen Tochterindividuen gehen entweder direct in ihre bleibende Form über, oder sie machen vorher ein Schwärmerstadium durch, indem sie eine ovoide Gestalt annehmen und an ihrem spitzen Ende 2 Geisseln entwickeln. Die hierdurch gegebenen weiteren Unterschiede lassen sich sowohl im Verlauf der innerhalb der Cysten vollzogenen, als auch der ohne Encystirung zu Stande gekommenen Theilungen nachweisen. Sie besitzen keine prineipielle Bedeutung, da nicht allein bei verschiedenen Genera und Species, sondern bei ein und derselben Art beide Ausgänge der Theilung mit einander vicariiren können. So kommen aus den Cysten von Actinophrys sol unmittelbar junge Actinophryen, dagegen Schwärmer aus den Cysten der Clathrulina. Die Theilung des nicht encystirten Clathrulinakörpers ergiebt bald Schwärmer, bald direct nach dem Verlassen der mütterlichen Schale sich festsetzende Clathrulinen. Indem wir hiermit die allgemeine Besprechung der Heliozoen schliessen, wenden wir uns nunmehr zur Schilderung der ein- 164 R, Hertwig und E. Lesser: zelnen Arten und beginnen mit den skeletlosen Formen, den Heliozoa Askeleta. I. Heliozoa Askeleta. Da die Heliozoa Askeleta allein durch die Eigenschaften ihres Weichkörpers charakterisirt werden, müssen wir bei ihrer syste- matischen Umgrenzung auf die Regelmässigkeit und die Constanz der monaxonen Grundform ihres Körpers ganz besonderen Nachdruck legen. Alle Organismen, welche eine unregelmässig kugelige Ge- stalt besitzen oder deren Gestalt bei der Fortbewegung einem. amoeboiden Formenwechsel unterworfen ist, haben wir desshalb von den Heliozoen abgetrennt, auch wenn sie sonst durch den Besitz von Kernen und spitzen, fadenförmigen Pseudopodien den Anforderungen entsprachen. So rechnen wir die Leptophryen und Nuclearien nicht hierher und würden die Vampyrellen, auch wenn sie Kerne besässen, gesondert betrachten. Zur Zeit kennen wir nur zwei Organismen, welche wir mit Sicherheit zu den skeletlosen Heliozoen rechnen können; es sind dies die längst bekannten Actinophrys sol und Actinosphaerium Eichhornii, beides nackte, im normalen Zustand vollkommen kugelige, auf den Spitzen ihrer dünnen Pseudopodien schwebende, kernhaltige Protoplasmakörper. Beide Arten haben in ihrem feineren Bau sehr viel miteinander gemeinsam, so dass wir sie, wenn auch nicht zu einem Genus, so doch zu einer gemeinsamen Familie, der Familie der Actinophryiden vereinen müssen. Bei beiden ist der Körper so ausserordentlich reich an Vacuolen, dass er ein schaumiges An- sehen gewinnt, und sind die Pseudopodien durch ein central gelegenes, consistenteres Stück, einen Axenfaden, gestützt. Beide besitzen eine stark nach aussen prominirende, grosse contractile Blase. — Wir betrachten zunächst die Kleinere und einfacher gebaute Form, die Actinophrys sol. 1. Genus. Actinophrys sol. (Ehrenberg). Tafel V, Figur 2. Die Actinophrys sol ist wohl unter allen Heliozoen die ver- breitetste, da sie nicht wie die meisten übrigen auf das Süsswasser beschränkt ist, sondern auch in der See angetroffen wird. Ihr Körper bildet eine Kugel, deren Regelmässigkeit nur durch die Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 165 im Zustand grösster Füllung die Oberfläche hervorwölbende con- tractile Blase gestört wird, und besitzt einen Durchmesser von ungefähr 0,05mm. Bis auf eine nicht sehr beträchtliche centrale, aus einem dichteren Protoplasma bestehende Partie zeigt das Parenchym durchweg einen alveolären Bau. Hierbei sind im Allge- meinen die Alveolen der äussersten Schichten die grössten; nach dem Centrum zu werden sie allmählich kleiner, bis sie schliesslich ganz verschwinden. Wie schon Grenacher!) bemerkt, ist das Erkennen dieser meistentheils sofort deutlich auffallenden alveolären Structur in einzelnen Fällen nicht ganz leicht, und es sind uns Exemplare vorgekommen, bei denen wir im frischen Zustand in dem durch und durch dicht erscheinenden Protoplasma vergeblich nach Vacuolen suchten; indessen trat auch hier bei Anwendung ganz verdünnter Essigsäure das alveoläre Gefüge der die Haupt- masse des Körpers bildenden Substanz sofort deutlich hervor. Nahezu im Centrum des Thiers, im Innern des älveolenlosen Protoplasma liegt ein rundes Gebilde von durchschnittlich 0,015mm Durchmesser. Dasselbe wurde zuerst von Stein?) bei der Acti- nophrys oculata, einer der Actinophrys sol nächstverwandten, wenn nicht gar mit ihr identischen Actinophrye des Seewassers beobachtet, und als eine »runde, wasserhelle Zelle«3) mit einer »ziemlich dicken, von doppelten, welligen« Contourlinien begrenzten Wand beschrieben. Im Centrum des Binnenraums der »Zelle« soll sich ein nebelartiges, von keiner besonderen Membran umgrenztes Häufchen feiner Pünktchen finden. Stein deutet das ganze Gebilde -als Nucleus, den centralen Pünktchenhaufen als Nucleolus. Die Stein’schen Beobachtungen wurden von Carter?) für die Acti- nophrys oculata bestätigt. Dasselbe Gebilde wurde späterhin von Kölliker auch bei der Actinophrys sol des süssen Wassers, bei welcher Carter (l.c.) es vergeblich nachzuweisen versucht hatte, beobachtet und von 1) Ueber Actinophrys sol. Verh. der physic. med. Gesellsch. zu Würz- burg. N. F. I. 1868. pag. 170. Tafel II. 2) Die Infusionsthiere auf ihre Entwicklungsgeschichte untersucht. pag. 160. 3) Das Wort «Zelle« ist hier offenbar nicht im histologischen Sinne gebraucht, sondern bedeutet einen allseitig von einer Hülle umgebenen Raum. 4) Annals and Mag. of nat. history. III. Vol. 15. pag. 277. 166 R. Hertwig und E. Lesser: Grenacher (l.c.) beschrieben. Nach der Schilderung, welche der letztere von ihm giebt, wird das Centrum des Actinophryskörpers von einem »kugeligen Bläschen « eingenommen, dessen von einer körnigen Masse gebildete Rindenschicht, bei der lebenden Actino- phrys auf dem optischen Durchschnitt nach aussen glatt, nach innen zu buchtig contourirt erscheint und beim Absterben in einzelne Stücke zerfällt. Der Binnenraum des Bläschens soll völlig klar und durchsichtig sein, sein Inhalt jedoch bei der Einwirkung dünner Essigsäure gerinnen und zu einem unregelmässig contourirten Klümp- chen zusammenschrumpfen. Ferner soll bei der Essigsäureeinwir- kung rings um die gerinnende und sich hierbei retrahirende Rinden- schicht eine doppelte Contour, welche den Anschein einer Membran erweckt, sichtbar werden. In dieser Schilderung weicht Grenacher sowohl in Bezug auf den Inhalt, als auch auf die Umhüllung des centralen Bläschens von Stein ab. Da er ausserdem einige von letzterem übersehene Beziehungen zu den Axenfäden der Pseudopodien nachgewiesen zu haben glaubte (wir kommen später noch einmal auf dieselben zurück), erklärt er sich gegen die Stein’sche Deutung des Ge- bildes als Nucleus. Grenacher ist der Ansicht, dass das cen- trale Bläschen „die Function der Centralkapsel der Radiolarien übernimmt“ und schlägt geradezu die Benennung ‚Centralkapsel“ für dasselbe vor. Nach unseren eigenen Untersuchungen findet sich das frag- liche Gebilde bei allen Actinophryen des süssen Wassers in der Mitte des kugeligen Körpers vor; häufig mühelos nachweisbar, kann es in vielen Fällen durch die körnige Trübung der centralen Körpertheile so vollkommen verdeckt werden, dass es nur mit Hülfe dünner Essigsäurelösungen, welche indessen bei richtiger Wahl der Concentration es auch unter den schwierigsten Verhältnissen sicht- bar machen, nachgewiesen werden kann. Im frischen Zustand besitzt es eine glatte, vollkommen kugelige Oberfläche, welche sich gegen das umgebende körnige Protoplasma deutlich absetzt, ohne dass man jedoch eine doppelt contourirte Membran nachweisen könnte (Fig. 2 A)'). — Die äusserste Schicht des kugeligen 1) Die Figuren 2 A und B stellen nur den Nucleus, ohne Berück- sichtigung des Protoplasmakörpers dar. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 167 Körpers wird von einer homogenen, mattbläulichen Masse gebildet, welche nicht an allen Stellen gleichmässig dick abgelagert ist und in Folge dessen, wie es schon die früheren Beobachter beschrieben haben, nach innen wellig contourirt erscheint. Ein granulirtes Aussehen, wie es Grenacher von ihr schildert, kommt ihr nicht zu. Dasselbe wird durch die Granulirung des Protoplasma, in welches das ganze Bläschen eingelagert ist, vorgetäuscht und ist demgemäss, wie ja auch Grenacher angiebt, nur bei der Ein- stellung auf die Oberfläche sichtbar. — Der Hohlraum, welcher von der geschilderten, homogenen Rindenschicht allseitig umschlossen wird, erscheint auf den ersten Anblick »völlig klar und durch- sichtig« (Grenacher), als ob er von einer gleichmässigen Masse erfüllt wäre. Fixirt man jedoch schärfer, so kann man in seinem Centrum einen rundlichen, ebenfalls homogenen, mattbläulichen Körper erkennen. Bei genauer Einstellung kann man die Con- touren desselben so deutlich zur Anschauung bringen, dass eine Messung seines Durchmessers ermöglicht wird. Derselbe beträgt ungefähr die Hälfte des Durchmessers des ganzen kugeligen Bläschens. Wir haben somit im Centrum des Actinophryskörpers nicht wie Grenacher will, eine einfache Hohlkugel mit einem in Essig- säure gerinnenden, aus homogenem Protoplasma gebildeten Inhalt vor uns, sondern der Binnenraum birgt noch ein solides, im (flüssigen?) Inhalt suspendirtes, kugeliges Gebilde von gleichem Lichtbrechungsvermögen wie die Kugelrinde. Nicht der ganze Inhalt, sondern dieses präformirte, auch im frischen Zustand vor- handene Körperchen ist Ursache der von Grenacher beschrie- benen, aber nicht gut abgebildeten Gerinnungsfigur. Unsere Dar- stellung geht demnach auf die Schilderung zurück, welche Stein von dem centralen bläschenförmigen Gebilde der A. oculata giebt, so wie wir auch die Deutung desselben vollkommen acceptiren, Denn die Uebereinstimmung seines Baus mit dem Bau der Nuclei der Rhizopoden, über deren Gleichwerthigkeit mit den Kernen der thierischen und pflanzlichen Zellen wir schon Gelegenheit genommen "haben, ausführlich zu sprechen, ist zu frappant, als dass wir nach einer anderen Deutung suchen sollten. Das centrale Körperchen ist der Nucleolus, und die Rindenschicht ist jener Kerntheil, welchen man als Kernmembran zu bezeichnen pflegt. Auffallend ist nur die ausserordentliche Mächtigkeit der letzteren. Nur selten konnten 168 R. Hertwig und E. Lesser: wir die Membran beim Nucleus der Rhizopoden (siehe Cochliopodium) im frischen Zustand mit Sicherheit nachweisen, selbst unter An- wendung von Essigsäure nicht in allen Fällen!). Eine weitere Stütze findet die von uns vertretene Stein’sche Auffassung des centralen Bläschens in dem Verhalten desselben gegenüber Reagentien. Wie beim Nucleus der Rhizopoden schrumpfen auch hier bei der Anwendung von sehr verdünnter Essigsäure die Rindenschicht und das centrale Körperchen (Kernmembran und Nucleolus) und gerinnen zu einer grobbröckeligen Masse (Fig. 2 B). Eine doppelt contourirte Membran ausserhalb der Rindenschicht, wie sie Grenacher abbildet uud schildert, haben wir hierbei nie beobachten können. Bei Verstärkung der Essigsäurewirkung quellen Kernmembran und Kernkörper und können nur mit grosser Aufmerksamkeit als zartcontourirte, durchscheinende, homogene Gebilde erkannt werden, so dass man leicht zum Glauben ver- leitet werden kann, als seien sie gelöst. Es scheint dann der Kern eine gleichmässige, auf das Anderthalbfache seines Volumens ge- quollene Blase zu bilden. Durch Zusatz von essigsaurem Kali kann man die Einwirkung der starken Essigsäure rückgängig machen, so dass Kern und Kernkörper Grösse und Aussehen wieder- gewinnen, welches sie unter dem Einfluss dünner Essigsäure ange- nommen hatten. Als weitere beweisende Reactionsmethoden führen wir hier die Tinetionen mit Carmin und Haematoxylin an. In dem von Archer empfohlenen Beale’schen Carmin nimmt das ganze Bläs- chen ein nahezu gleichmässiges Rubinroth an. Die centralen Partieen sind nur um Weniges intensiver gefärbt als die peripheren, ein Färbungsunterschied, welcher durch Zusatz sehr diluirter Essig- säure etwas, wenn auch nicht viel deutlicher gemacht wird. Es stimmt dies mit dem, was wir beim Nucleus des Cochliopodium 1) In einem während des Drucks dieser Arbeit erschienenen Aufsatz bildet F. E. Schulze den Kern junger einkerniger Actinosphaerien in voll- kommen derselben Weise ab, wie wir es für A. sol gethan haben (Arch. f. mikr. Anat. X Heft 3). Ebenso schildert Auerbach in seinen »Organo- logischen Studien« den Kern vieler thierischen Zellen, als mit einer ziemlich dicken, stärker lichtbrechenden, bei starker Vergrösserung doppelt con- tourirten Wandung versehen. (Zur Charakteristik und Lebensgeschichte der Zellkerne pag. 12.) Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 169 beobachtet haben, der Hauptsache nach überein. — In Haematoxylin färbt sich unter der Voraussetzung, dass man dasselbe in dünnen Lösungen verwendet und die ersten Stadien der Färbung, bevor dieselbe zu intensiv wird, beobachtet, der Kern der Actinophrys ganz wie der Kern der thierischen und pflanzlichen Zelle intensiver und rascher als der Protoplasmakörper. Vorwiegend imbibiren sich Kernkörper und Kernmembran. Das gleichmässige Verhalten beider Kerntheile gegenüber Reagentien, welches wir hier wie bei der Einwirkung der Essigsäure und des essigsauren Kali verfolgen konnten, bestätigt weiterhin die schon durch die Gleichartigkeit ihres Lichtbreehungsvermögens gewonnene Auffassung, dass beide aus ein und demselben Eiweisskörper bestehen. Wir sind in der Schilderung des Baus und des chemischen Verhaltens des »centralen Bläschens« der Actinophrys sol aus- führlicher gewesen, weil wir die Deutung desselben als Kern ganz sicher gestellt wissen wollten. Denn ist die Kernnatur des Gebildes zweifellos dargethan, dann ist der positive Beweis geliefert, dass es kein Homologon der Centralkapsel der Radiolarien sein kann, und es kömmt das einzige Moment in Wegfall, welches nach unseren, im allgemeinen Theil durchgeführten Betrachtungen allein als Beweis für die Grenacher’sche Hypothese einer Verwandt- schaft der Actinophryen mit den Radiolarien geltend gemacht werden könnte). i Bei Actinophrys oculata hat Stein den unmittelbar um den Kern gelegenen, bläulichweissen und feinkörnigen Theil des Protoplasma als Marksubstanz von der gelblich grauen und grob- gekörnelten Rinde unterschieden?). Bei Actinophrys sol gehen die vacuolenlosen, feinkörnigen, centralen Theile der Körpersubstanz allmählich in die peripheren, alveolären Partieen über, so dass man hier kaum eine gleiche Unterscheidung machen kann. Es scheint, als ob um den Kern sich stets eine grössere oder geringere Quan- 1) Auch F. E. Schulze theilt die hier gegebene Deutung des cen- tralen Bläschens. In seinem oben eitirten Aufsatz über Actinosphaerium (I. ec. pag. 349) erwähnt er die Actinophrys sol als einen nur »einen central gelegenen Kern« führenden Organismus. 2) Carter scheint die Stein’sche Schilderung des Verhältnisses von Rinden- und Marksubstanz zu einander und zum Kern nicht verstanden zu haben. Er giebt an, dass Stein auch die hellgefärbte, granulirte Zone, welche er »Marksubstanz« nenne, zum Kerne rechne, dass er diese hellgefärbte 170 R. Hertwig und E. Lesser: tität eines homogenen Protoplasma ansammele. So sind z. B. auch die Kerne von Actinosphaerium meistens in kleinere, dichtere Protoplasmaansammlungen inmitten der alveolären Körpersubstanz eingebettet. Die contractile Blase ist bei jedem nicht conjugirten Thier gewöhnlich nur in Einzahl vorhanden und bildet am Rande eine beträchtliche Hervorwölbung, welche solche Dimensionen errei- chen kann, dass sie im Zustand grösster Ausdehnung gleiche Grösse besitzt wie der gesammte übrige Körper. Die für die Er- kenntniss ihrer Function entscheidende Frage, ob sie bei der Systole ihren Inhalt als Excretionsorgan nach aussen oder als Circulationsorgan nach innen in den Körper hinein entleert, ist von Zenker!) gegenüber den herrschenden Meinungen dahin beantwortet worden, dass die Blase durch einen jedesmal neu ent- stehenden und nach jeder Systole wieder verklebenden Riss . ihren Inhalt nach aussen ergiesst. Zenker’s Beobachtungen rücksicht- lich der Rhizopoden beziehen sich freilich nur auf Actinosphaerium, indess kann einer Verallgemeinerung der Resultate auf Actinophrys sol bei der Gleichartigkeit der betreffenden Verhältnisse und der Verwandtschaft ihrer Organisation Nichts im Wege stehen. Wir haben Actinophrys sol zum Beobachtungsobjecte gewählt, weil uns Actinosphaerium nicht in gleicher Anzahl zu Gebote stand, ferner weil die Beobachtungsverhältnisse bei ersterer uns günstiger er- schienen. Denn während die contractile Blase nur wenig oder gar nicht hinter der des Actinosphaerium au Grösse zurücksteht Zone sammt ihrem Inhalt isolirt als Kern abbilde. Die Figur, auf die sich Carter hierbei offenbar bezieht (Taf. V Fig. 28 des Stein’schen Werkes), soll in der That isolirte Kerne darstellen. Das, was Carter an ihnen aber für die Marksubstanz hält, ist nur die von uns als Kernmembran bezeich- nete Rindenschicht des Nucleus und nicht die Marksubstanz, welche Stein ebenso wenig wie Carter zum Kern rechnet. Das Missverständniss erklärt sich daraus, dass Carter, nach seinen Abbildungen zu schliessen, die Kernmembran übersehen hat und somit die von Stein gemachte Unter- scheidung zwischen der äusseren Kernlage (Kernmembran) und dem innern Theil des Protoplasma (Marksubstanz) nicht verstehen konnte (siehe Ann. and Mag. of nat. hist. III. Vol. 15 pag. 278). Den gleichen Irrthum wie Carter begeht auch Wallich, indem er ebenfalls fälschlicherweise behauptet, dass Stein den Ausdruck Nucleus auf die gesammte Marksubstanz ausdehne (Ann. and Mag. of nat. hist. III Vol. 11 pag. 450). 1) Beiträge zur Naturg. der Infus. Arch. f. mikrosk. Anat. II, p. 332. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 171 ist der Körper kleiner und erlaubt einen sichereren Ueberblick. — Nach nnseren Beobachtungen wird bei der gewöhnlich sehr schnell vor sich gehenden und in Folge dessen schwer zu beobachtenden Systole die zusammenfallende Wand der Blase an ihrer Oberfläche höckerig oder runzelig, als ob die vorher glatt gespannte Membran sich in Falten leste. Ausserdem aber treten fast regelmässig 1— 2 aneurysmaartige Aussackungen nach aussen hervor, welche mit Flüssigkeit gefüllt sind und für gewöhnlich in offener Communication mit dem nie ganz ver- schwindenden Lumen der Blase bleiben. Wenn die Blase sich wieder füllt, so verschwindet gewöhnlich die Ausbuchtung wieder voll- ständig. Manchmal ereignet es sich aber auch, dass der Stiel, auf dem das ausgestülpte Säckchen sitzt, und durch welchen es mit der Blase communiecirt, sehr dünn ausgezogen wird, und dass nun bei der wieder eintretenden Expansion die Wände des Stieles sich berühren und sofort miteinander verschmelzen. Hierdurch ist die Communication aufgehoben und der frühere Recessus bildet nun eine abgeschlossene kleine Vacuole, welche in der Wand der grossen pulsirenden Blase liegt und natürlich den Bewegungen derseiben passiv folgt, ohne sich weiter an der eigentlichen Pulsation zu betheiligen. Diese Aussackungen sind nie auch nur annähernd so gross, dass sie etwa den gesammten Inhalt der expandirten Blase bei der Contraction derselben aufnehmen könnten, sondern der grösste Theil des Inhalts muss noch irgend einen andern Abfluss gefunden haben. — Ein Einreissen der Blasenwand, wie es Zenker behauptet, haben wir nie beobachten können. Die hier geschilderten Erscheinungen lassen sich nicht ohne Weiteres mit der von Zenker gegebenen Deutung der Function der contractilen Blase vereinen. Denn sollte in der That die con- tractile Blase durch einen Riss ihren Inhalt nach aussen entleeren, so würde doch durch den Einfiuss der Contraction keine so beträchtliche Steigerung des innerhalb der Blase herrschenden Drucks erzeugt werden können, dass einzelne Stellen nicht allein am Anfang der Contraction ausgestülpt werden, sondern auch während der ganzen Dauer derselben prall gefüllt bleiben. Ausser- dem glauben wir hier darauf aufmerksam machen zu müssen, dass eine aneurysmaartige Aussackung von oben und von der Fläche betrachtet unter dem Bilde eines rundlichen Loches erscheinen wird, dass somit die Möglichkeit zugestanden werden muss, dass das Bild, welches Zenker als Riss und Oefinung der Umhüllung der Blase 172 R. Hertwig und E. Lesser: deutete, einfach durch eine solche Aussackung bedingt war. Da wir ebenso wenig wie frühere Autoren ein Anschwellen der um- gebenden Blasen beobachten konnten, vermögen wir auch Nichts für die Entleerung der Blase ins Körperinnere geltend zu machen und werden somit zu einer sicheren Beantwortung der Frage noch weitere Beobachtungen nöthig sein. Von der Körperoberfläche und zwar mit Vorliebe an den Stellen, wo zwei benachbarte Vacuolen zusammenstossen, entspringen die zahlreichen radienartigen Pseudopodien. Die Zahl derselben . kann sich binnen Kurzem beträchtlich vermehren, indem überall zwischen den alten neue emporschiessen. Die Pseudopodien sind dünn und scharf zugespitzt, anastomosiren für gewöhnlich nicht und entspringen nur selten zu zweien von einem gemeinsamen Punkt. Nach Grenacher sollen sie in ihrem Bau vollkommen mit den Pseudopodien von Actinosphaerium übereinstimmen, indem auch hier ein festerer hyaliner Axenfaden, welcher jedoch beträcht- lich feiner ist als das gleiche Gebilde bei Actinosphaerium, den Pseudopodien zu Grunde liegt und auf seiner Oberfläche mit einem sehr dünnen Ueberzug eines Körnchen führenden Protoplasma ver- sehen ist. In den Pseudopodien selbst sollen zwar die Axen- fäden beim lebenden Thier nur mühsam nachweisbar sein, dagegen soll es verhältnissmässig leicht fallen, ihre Fortsetzung ins Innere des Körpers zu verfolgen und dieselben »mit aller nur wünschens- werthen Sicherheit an die im Centrum befindliche Kugel heran- treten und auf der Oberfläche derselben endigen zu sehen.« (Gre- nacher ]l. c. pag. 172). Was den ersten Punkt betrifft, so haben unsere Beobach- tungen auch uns von der Existenz von Axenfäden überzeugt. Zwar haben wir am lebenden Thiere trotz aller darauf verwandten Mühe keine sicheren Resultate erzielen können, indem wir nur selten in ganz besonders dicken Pseudopodien eine centrale dunkle Linie beobachtet haben, dagegen häufig bei selbst günstigen Verhältnissen (z. B. bei Pseudopodien, welche an ihrer Basis zu einer schwimm- hautähnlichen Platte verschmolzen waren) nicht vermochten, auch nur eine Andeutung der Structur nachzuweisen. Dagegen nöthigt uns das Verhalten gegenüber chemischen und physikalischen Reagentien zur Annahme einer Differenzirung in Axen- und Rinden- substanz. Bei der Einwirkung verdünnter Säuren oder Alkalien oder bei der Erwärmung treten ganz dieselben Erscheinungen auf, De Zn Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 173 wie sie M. Schultze!) für Actinosphaerium beschreibt. Der körnige Ueberzug zieht sich auf einige Klümpchen zusammen, welche die charakteristischen spindelförmigen Anschwellungen am hyalinen Axenfaden bilden, während dieser selbst sich häufig in Biegungen zusammenlegt oder sich pfropfenzieherartig krümmt. Dass sich die Axenfäden der Pseudopodien auch weiterhin in das Innere des Körpers fortsetzen, ist von vorn herein als wahrscheinlich anzunehmen; bei Thieren welche wir durch Erwär- mung auf dem heizbaren Objecttisch getödtet hatten, konnten wir auch zeitweilig feine Linien als Fortsetzungen der Axenfäden in den Körper hinein verfolgen, ohne indess etwas über ihre Endigungs- weise daselbst ermitteln zu können. Anfänglich glaubten wir auch am lebenden Thiere diese Fortsetzungen mit grosser Deutlichkeit zu beobachten, da wir von der Basis der Pseudopodien dunkle Linien in das Innere sich erstrecken sahen. Eine genauere Beo- bachtung überzeugte uns jedoch, dass dieses Bild stets durch das Zusammentreffen der Septa mehrerer Alveolen zu Stande kam. Da die Pseudopodien, wie erwähnt, nie von der Höhe der Alveolen, sondern stets an den zwischen zwei benachbarten Alveolen liegenden Stellen entspringen, so ist es bei der radiären Anordnung der letzteren verständlich, dass die Protoplasmaleisten, welche durch das Aneinandergrenzen von mehreren derselben entstehen, fast stets in die Verlängerungslinien der Pseudopodien fallen müssen. Nachdem wir uns von diesem Irrtum überzeugt hatten, haben wir trotz aller Anstrengung an der lebenden Actinophrys nie Verlängerungen der Axenfäden ins Körperinnere, weder in der äusseren alveolären Schieht, noch in der soliden, den Kern umgebenden Substanz nachweisen können. Es ist eine missliche Sache, Grenacher’s so bestimmt ausgesprochenen Beobachtungen gegenüber zu treten, besonders da das Object, um welches es sich handelt, an der Grenze des Wahrnehmbaren steht; indessen bestimmt uns noch ein weiteres Moment, die von Grenacher angenommene Endigungs- weise der Axenfäden in dem centralen Bläschen zum mindestens als unwahrscheinlich hinzustellen. Es ist dies die Beobachtung, dass das Centralbläschen keineswegs ein Homologon der Central- kapsel, sondern unzweifelhaft ein Kern ist. Bis jetzt ist aber 1) M. Schultze, das Protoplasma der Rhizopoden und Pflanzen- zellen, pag. 31. 174 R. Hertwig und E. Lesser: bei keiner Heliozoe, auch nicht bei Actinosphaerium eine Beziehung der Axenfäden zu den Kernen nachgewiesen worden, im Gegen- theil wird überall der Mangel einer jeden derartigen Beziehung hervorgehoben. Es bedarf somit die Endigungsweise der Axen- fäden bei Actinophrys noch weiterer eingehender Untersuchung. Die einzelnen Actinophrysindividuen, deren Bau wir im Vorher- gehenden genauer geschildert haben, findet man häufig zu mehreren in einer Gruppe vereinigt. Die Anzahl der verschmolzenen Exem- plare ist hierbei eine schwankende. Wir beobachteten meist 2—4, in einzelnen Fällen 5, Grenacher (Il. c.) sogar 9 conjugirte Einzelorganismen. Der Zusammenhang der Individuen ist bei A. sol keineswegs, wie Stein für seine A. oculata angiebt, ein äusserlicher, sondern es kommt zu einer so innigen Verschmelzung, dass es uns in gleicher Weise wie Claparede') unmöglich ist, die Grenzen der einzelnen Körper zu bestimmen. Namentlich zwei Individuen können so vollkommen ineinander aufgehen, dass sie eine einfache Actinophrys zu bilden scheinen. Man kann in solchen Fällen nur an der bedeutenderen Grösse, an dem Vorhanden- sein zweier Kerne, sowie an der etwas ovoid verlängerten Gestalt noch erkennen, dass man es nicht mit einem einfachen Thier zu thun hat. An derartig vereinten Individuen bilden auch die Pseu- dopodien, welche sonst nur selten miteinander verschmelzen, zahl- reiche Anastomosen. Bei der später wieder erfolgenden Trennung verschmolzener Actinophryen, treten allmählich die Contouren der einzelnen Körper wieder hervor, indem die Stellen, an denen sie unter einander zusammenhängen, sich einschnüren. Eine aus zahlreichen Individuen zusammengesetzte Gruppe sieht dann, wie Grenacher treffend bemerkt, wie eine Hand voll znsammen- geballter Rletten aus. Indem die Verbindungsbrücken allmählig dünner werden und schliesslich reissen, kommt es zuletzt zu einer vollständigen Trennung. — Die geschilderten Conjugationszustände sind so ausserordentlich häufig, dass man ihnen fast ebenso oft wie einzelnen Individuen begegnet. Was die Bedeutung der Erscheinung betrifft, so ist zunächst der Gedanke, dass wir es in allen Fällen mit unvollkommenen oder sich vollziehenden Theilungen zu thun hätten, entschieden von der Hand zu weisen. Wenn wir auch nicht daran zweifeln, dass 1) Etudes sur les Infusoires et Rhizopodes III. pag. 224. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 175 bei Actinophrys sol nicht allein während der Eneystirung, wie Cienkowski!) beschreibt, sondern auch im freien Leben Theilungen vorkommen, so spricht doch die ungemeine Häufigkeit der Con- jugationszustände gegen die Annahme einer Theilung für jeden einzelnen Fall. Auch würde dem entgegen stehen, dass durch mehrfache Beobachtungen die Vereinigung vorher getrennter In- dividuen ausser Zweifel gestellt ist. — Ebenso ist es im höchsten Grade unwahrscheinlich, dass der Vorgang mit der Fortpflanzung im Zusammenhang steht und gleichsam eine Art geschlechtlicher Zeugung.einleite. Abgesehen davon, dass keine einzige Beobachtung über etwa der Vereinigung folgende, eine Zeugung einleitende Ver- änderungen für die Annahme geltend gemacht werden kann, würde es unverständlich sein, dass eine wechselnde und häufig so be- trächtliche Anzahl von Individuen sich zum Fortpflanzungsgeschäft vereinigen sollte. Ausserdem spricht die Regellossigkeit, mit welcher die Vereinigungen zu Stande kommen, dagegen. Denn die Individuen vereinigen sich, trennen sich, um von Neuem mit einander zu ver- schmelzen. Wir beobachteten, wie eine Gruppe von 4 Actinophryen zuerst in zwei Hälften zerfiel und diese sich abermals theilten. Von den 4 so entstandenen einzelnen Individuen blieben 2 auch weiterhin getrennt, die zwei anderen verschmolzen von Neuem, ohne dass die Vereinigung jedoch längere Zeit Bestand gehabt hätte. Der ganze Verlauf und die Verbreitungsweise der Conjugation bei der Actino- phrys sol macht auf uns mehr den Eindruck eines zufälligen, für die Lebensverrichtungen wenig bedeutsamen Vorganges. Zwei Actino- phryen begegnen einander und verstricken sich mit ihren zahl- reichen Pseudopodien. Vermöge der Langsamkeit ihrer Bewegungen bleiben sie lange mit einander in Berührung und wird so dem Protoplasma Gelegenheit gegeben, seine Tendenz zur Anastomosen- bildung zu bethätigen, vermöge deren die Individuen mehr und mehr zusammenfliessen. Eine Bedeutung für das Leben der Actino- phrye würde dann die Verschmelzung mehrerer Individuen nur in so fern besitzen, als die Nahrungsaufnahme durch sie jedenfalls erleichtert wird. Denn es ist verständlich, dass fremde Organismen der grösseren feindlichen Front weniger leicht ausweichen können und dass auch grössere Thiere von dem Pseudopodienwald einer Gruppe schneller überwältigt werden, als dies bei isolirten Indi- viduen der Fall sein würde. 1) Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. I. pag. 227. 176 R. Hertwig und E. Lesser: Betreffs der Fortpflanzung können wir keine neuen Beobach- tungen mittheilen; ebenso hatten wir auch nicht Gelegenheit, die unter Bildung von Tochtercysten innerhalb einer Muttercyste ver- laufende Eneystirung, wie sie Cienkowski (l. ec.) schildert, zu verfolgen. Nach unserer, von den meisten früheren Beobachtern abwei- chenden Auffassung des Baus der Actinophrys sol geben wir hier eine neue Definition des Genus und der Species. Actinophrys sol. Körper regelmässig kugelig, bis auf eine centrale, homogene Protoplasmalage durchaus blasig; contractile Blase einfach, über die Körperoberfläche stark prominirend; Kern im Mittelpunkt des Körpers gelegen, mit deutlich entwickelter Kernmembran und grossem Nucleolus; Pseudopodien mit Axenfäden versehen; körnchenreich, selten anastomosirend, unverästelt. 2. Genus. Actinosphaerium Eichhornii. (Ehrenberg.) Tafel V, Figur 1. Syn. Actinophrys sol. (Kölliker). Der Körper des Actinosphaerium Eichhornii ist regelmässig kugelig, falls er nicht durch äussere Einwirkungen, etwa den Druck des Deckgläschens aus seiner natürlichen Form gebracht ist. Man kann sich hiervon am besten durch Beobachtung grösserer, frei im Wasser schwimmender Exemplare mittelst der Lupe überzeugen. Der Durchmesser schwankt zwischen 0,04—0,4mm. Am häufigsten beobachteten wir (Juni, Juli) Exemplare von 0,3 mm. Durchmesser, am seltensten die ganz kleinen Formen. Von dem Körper ent- springen auf allen Seiten die meist sehr zahlreichen, radienartig ausstrahlenden Pseudopodien, welche wir bis 0,45 mm. lang, oft aber auch bedeutend kürzer gefunden haben. Bei genauerer Beobachtung zeigt sich der Körper durch und durch von Vacuolen durchsetzt, welche ihm ein durchaus schaumiges Ansehen verleihen. Weiterhin lässt er eine Scheidung seines Pro- toplasma in eine hellere Rindenschicht und eine dunklere Mark- substanz erkennen. Dieselbe ist bei allen grösseren Exemplaren so deutlich ausgesprochen, dass zumal bei der Betrachtung mit schwacher Vergrösserung Rindenschicht und Marksubstanz fast wie durch eine scharfe Linie von einander abgesetzt zu sein scheinen. I ec a ne u nn TR A r Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 177 Diese scharfe Ahgrenzung führt Kölliker!) einzig und allein auf geringfügige Differenzen der Sarkode, welche die beiden Körpertheile bildet, zurück. Die centralen Partieen sollen sich vor den peripheren durch ihren grösseren Reichthum an dunklen Körnchen auszeichnen, ihre Vacuolen kleiner sein und dickere Wandungen besitzen als die der Rinde Während Carter?) und Wallich?) die Ansicht Kölliker’s theilen, soll nach Greeff®) die scharfe Abgrenzung beider Substanzen, abgesehen von ihrer verschiedenen Durchsichtigkeit, noch »durch eine dünne, homogene Protoplasmazone« hervorgerufen'werden, »welche gleich einer derben Membran den ganzen Innenraum blasenartig umschliesst.« Greeff führt diese Zone homogenen Protoplasmas als eine weitere, besondere, Rinden- und Marksubstanz trennende Schicht auf. Unsere eigenen Beobachtungen stimmen mit der von Greeff gegebenen Erklärung nicht überein, vielmehr sind dieselben eine weitere Bestätigung der Kölliker’schen Ansicht (s. Fig. 1B). Wie wir uns häufig überzeugt haben, sind Rinde und Mark von Actinosphaerium nirgends von einer besonderen, membranartigen, von beiden Substanzen sich unterscheidenden Sarkodelage getrennt, sondern gehen continuirlich ineinander über. Eine Grenzcontour wird nur dadurch erzeugt, dass das Protoplasma beider Theile gewisse Unterschiede besitzt und das die Umwandlung des einen in das andere innerhalb einer schmalen, vom Mittelpunkt des kugeligen Körpers gleichweit entfernten Zone stattfindet. Zunächst besitzt die Marksubstanz eine geringere Durchsichtigkeit als die Rinde, weil sie aus kleineren und dickwandigeren Vacuolen besteht und in sie zahlreiche dunkelcontourirte, stark lichtbrechende Körnchen eingelagert sind. Weiterhin trägt zu einer scharfen Abgrenzung die Verschiedenartiskeit in der Form und der Anordnung der Vacuolen bei. Dieselben sind in der Rindenschicht langgestreckt und nehmen eine ziemlich regelmässige radiäre Anordnung ein. Sie bilden bei jungen Individuen eine einschichtige Lage; bei grösseren sind sie meist zu mehreren übereinander gelagert, und 1) Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. I. 2) Ann. and Mag. of nat.hist. III. Vol. 15. pag. 283. 3) Ann. and Mag. III Vol. 11. pag. 434. 4) Sitzungsberiehte d. Niederrh. Gesellsch. f. Natur- und Heilkunde in Bonn, Januar 1871. M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. Supplementheft. 12 178 R. Hertwig und E. Lesser: nur wenige durchsetzen die ganze Rindenschicht. Dagegen lässt sich in der Marksubstanz keinerlei regelmässige Anordnung der Vacuolen nachweisen. Hier sind dieselben meist nach allen Rich- tungen gleichmässig ausgedehnt, rundlich und polygonal abgeplattet. Diese Verschiedenheiten erklären sich wohl daraus, dass die Rinden- alveolen nur in tangentialer Richtung, wo noch andere Alveolen sich neben sie drängen, zusammengedrückt werden, während sie in radiärer Richtung nach aussen hin Gelegenheit haben sich auszu- dehnen. Dagegen müssen die Alveolen der Marksubstanz durch den Druck ihrer sie allseitig umgebenden Genossen eine rundlich polygonale Figur annehmen, ohne dass eine Richtung bei ihnen besonders entwickelt wäre!). Eigenthümlich und von Interesse für die Entscheidung der Frage nach der Existenz einer besonderen, intermediären, homo- genen Schicht ist ferner das Verhalten der Rinden- und Mark- substanz bei jungen Actinosphaerien. Bei einem 0,04mm. breiten und 0,06mm. langen Exemplar, welches nur einen Kern enthielt (Fig. 1D) und keine Pseudopodien ausgestreckt hatte, dessen Leben aber durch die deutliche, wenn auch langsame Körnchenströmung im Innern des Körpers bewiesen wurde, konnte von einer Trennung in Mark- und Rindensubstanz noch gar nicht gesprochen werden. Die Vacuolen durchsetzten den Protoplasmakörper noch ohne jede regelmässige Anordnung und es war Nichts vorhanden, was irgendwie auf die Bezeichnung »blasenartig umschlossener Theil« hätte An- spruch erheben können. — Bei einem etwas grösseren Exemplar von 0,09 mm. Durchmesser (Fig. 1 C), welches zwei Kerne, eine contractile Blase und einige sehr feine Pseudopodien besass, war zwar eine Differenzirung bereits in so weit eingetreten, dass die Vacuolen der Rindensubstanz grösser und ihre Septen dünner waren, als die des Centrums. Eine regelmässige concentrische Anordnung beider Substanzen war aber auch hier noch nicht vor- handen. Während an einzeinen Stellen die dunkle Marksubstanz 1) Ganz ähnlich äussert sich Wallich: The line of demarcation | between the external and internal portions of the structure is not produced by any difference in the intimate composition of the portions, but is entirely dependent on the occurrence of a larger and more symmetri- cally arranged series of polygonal vacuolated cavities around a smaller and irregular central series (l. c. pag. 449). Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 179 nahezu bis an dıe Oberfläche des Körpers heranreichte, erstreckte sich andererseits eine besonders grosse Vacuole der Rindenschicht fast bis an den Mittelpunkt des Thieres. — Die hier beschriebenen Exemplare waren die kleinsten und offenbar auch die jüngsten unter den zahlreichen Actinosphaerien, welche wir während des Juni und Juli. zu beobachten Gelegenheit hatten. Nach diesen Mittheilungen laufen alle unsere Beobachtungen darauf hinaus, dass die scheinbar so scharfe Abgrenzung von Rinden- und Marksubstanz hauptsächlich durch die verschie- dene Anordnung und Grösse der Vacuolen, sowie durch die Dicke und Körnelung der Wandungen der- selben bedingt wird und nicht, wie Greeff will, durch das Dazwischentreten einer membranartigen Proto- plasmalage. Dieselbe hätte uns bei unseren z. Th. mit beson- derer Rücksicht auf ihre Existenz unternommenen Untersuchungen nicht entgehen können. Da wir uns von dem Vorhandensein der von Greeff ange- nommenen Protoplasmamembran nicht haben überzeugen können, können wir auch nicht den Folgerungen, welche er an den Nach- weis derselben anknüpft, beitreten. Greeff hält die von einer membranartigen Protoplasmahülle umschlossene Marksubstanz für ein Homologon der Centralkapsel, die Rindenschicht für gleich- werthig der extracapsulären Sarkode, das Actinosphaerium somit für ein ächtes Radiolar. Wir müssen hierbei noch einige weitere Punkte berühren, welche uns die Greeff’sche Deutung zu widerlegen scheinen. Gesetzt, die homogene Protoplasmalage, deren Existenz wir im Obigen bestritten haben, sei in der That vorhanden, so müssten wir dennoch gegen eine Gleichstellung derselben mit der Hülle der Centralkapsel unser Bedenken äussern. Die Hülle der Cen- tralkapsel ist eine deutlich doppelt contourirte chitinöse Membran von so grosser Resistenz gegenüber mineralischen Säuren und so beträchtlicher Festigkeit, dass die Kugel der Centralkapsel vermöge ihres Schutzes in concentrirter Schwefelsäure ihre Form bewahrt und beim Zerzupfen mit Nadeln isolirt werden kann. Wenn wir den Greeff’schen Vergleich acceptiren wollten, würden wir ein äusserst vergängliches Gebilde (protoplasmatische Umhüllung der Marksubstanz von Actinosphaerium) mit einer festen Masse (Chitin- membran der Centralkapsel), formende Substanz mit geformter, 180 R. Hertwig und E. Lesser: Protoplasma mit Plasmaproduct auf gleiche Stufe stellen und für einander gleichwerthig erklären. Das scheint uns um so mehr gewagt, als der gemachte Vergleich nicht das Resultat, sondern den Ausgangspunkt vergleichend-anatomischer Be- trachtungen bilde. Denn nicht weil die Marksubstanz in ihrer morphologischen und physiologischen Stellung dem Inhalt der Centralkapsel entspricht, wird auf die Homologie der Protoplasma- lage und der Centralkapselhülle der Rückschluss gemacht, sondern weil Protoplasmalage und Centralkapselhülle einander entsprechen, sollen Marksubstanz von Actinosphaerium und Centralkapselinhalt der Radiolarien einander äquivalent sein. Wir werden durch diese Ueberlegungen auf einen zweiten Einwand geführt, der den Greeff’schen Deductionen gemacht werden muss: dass nämlich eine objective Beobachtung ergiebt, dass die Marksubstanz des Actinosphaerium eine ganz andere Bedeutung für den Haushalt des Organismus besitzt, als die Cen- tralkapsel der Radiolarien. Die Centralkapsel der Radiolarien ist, wie Häckel!) aus seinen Beobachtungen schliesst und Cienkowski?) weiterhin bestätigt hat, ein »RKeproductionsorgan«, insofern durch die Theilung ihres Inhalts die Schwärmer entstehen, welche die Fortpflanzung vermitteln. Niemals betheiligt sie sich an der Assi- milation, welche ausschliesslich von der extracapsulären Sarkode vollzogen wird, wie denn auch »niemals Fremdkörper in der Cen- tralkapsel, wohl aber häufig in grosser Anzahl in dem dieselbe umgebenden Mutterboden erscheinen «°?). — Dem gegenüber ist die Marksubstanz bei Actinosphaerium so recht eigentlich der Sitz der Verdauung. In der Rinde, welche doch nach Greeff der extracapsulären Sarkode verglichen werden müsste, finden sich nur selten Fremdkörper, offenbar weil sie dieselben schnell passiren und ins Innere transportirt werden, wo sie die Verdauung durch- machen. Daher trifft man bei fast allen Actinosphaerien in der Marksubstanz Diatomeen, Algen und andere Körper auf den ver- schiedensten Stadien der Assimilation. Ferner weist das dunkel- granulirte Aussehen der centralen Partieen darauf hin, dass wir in ihnen den Sitz der Assimilation zu suchen haben. 1) Monographie der Radiolarien pag. 143. 2) Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. II. 3) Haeckell. e. pag. 136. { Ueber Rbizopoden und denselben nahestehende Organismen. 181 Durch diese Betrachtung kommen wir zu dem Resultat, dass weder die morphologischen, noch die physiologischen Eigenschaften der Marksubstanz sich mit denjenigen der Centralkapsel vergleichen lassen, eben so wenig wie die Rinde des Actinosphaerium und die extracapsuläre Sarkode der Radiolarien auf dieselbe Stufe zu stellen sind. Wir werden daher die alten Bezeichnungen »Rinde« und »Marksubstanz« (Ekto- sark und Endosark) beibehalten !). Nachdem wir so die Stellung der Rinden- und Marksubstanz zu einander erörtert haben, geben wir noch eine genaue Schilde- rung von einigen Details ihrer Organisation. Wir besprechen zu- nächst ein eigenthümliches Verhalten der Rindenvacuolen gegenüber mechanischen Insulten. Reizt man ein Actinosphaerium, indem man durch Wasserzusatz Fremdkörper gegen seinen Körper au- schwemmt, oder kurze Schläge auf das Deckglas ausübt, so werden nicht allein die Pseudopodien eingezogen, sondern es collabiren auch die Alveolen der Rinde und es entsteht, ähnlich dem Ektosark einer Amoebe, eine äussere homogene Protoplasmalage, welche wenn auch langsam amöboid ihre Anordnung ändert. Erst ganz allmählich bilden sich die Vacuolen von Neuem, wobei man den Eindruck gewinnt, als dränge Flüssigkeit aus den centralen Partieen in die homogene äussere Lage ein. Ferner müssen wir noch bei der Schilderung der Bindensekticht der contractilen Blasen Erwähnung thun, deren wir an jedem grösseren Exemplar 1—2 auf jeder Halbkugel zählten. Sie befinden sich stets an der Oberfläche des Körpers und überragen dieselbe im Zustand grösster Füllung um ein Beträchtliches. Wenn wir von ihrer prominenten Lagerung und dem Wechsel ihrer Füllung absehen, unterscheiden sie sich in Nichts von den gewöhnlichen Rindenalveolen. Doch treibt immer dieselbe Vacuole ihr Spiel weiter; wenigstens haben wir nie gesehen, dass eine vorher ruhende Vacuole die Function einer contractilen Blase übernommen hätte. In Betreff des Verlaufs der Contraction verweisen wir auf das bei Actinophrys sol Gesagte. 1) In der schon oben eitirten Arbeit über Actinosphaerium Eichhornii bestreitet F. E. Schulze ebenfalls die Existenz einer besonderen dritten Mark und Rinde trennenden Schicht. Wir stimmen mit der daselbst gege- benen Schilderung der Schichten des Actinosphaerium vollkommen überein. 182 R. Hertwig und E. Lesser: Während die Rindensubstanz durch den Besitz der con- tractilen Blasen sich auszeichnet, umschliesst die Marksubstanz bei Actinosphaerium, wie bei allen anderen Heliozoen die Kerne. Dieselben sind, abgesehen von den ganz jungen einkernigen Exem- plaren, von denen wir oben schon eins geschildert haben, stets in Mehrzahl vorhanden. Bei besonders grossen Individuen taxirten wir ihre Anzahl auf 100 bis 150, während andere Forscher, wie z. B. Carter (l. e.), bis an 400 beobachtet haben wollen. Die Kerne liegen hierbei constant in der äussersten, der Rinde zunächst gelegenen Schicht der Marksubstanz. Selbst bei den ohne Deckglas untersuchten Thieren konnten die auf der dem Beobachter abge- wandten Seite liegenden wenigstens mit schwachen Vergrösse- rungen — die Dicke und Undurchsichtigkeit des Körpers machte die Anwendung stärkerer Vergrösserungen unmöglich — durch Senken des Tubus ‚als hellaufleuchtende Punkte erkannt werden, während im Centrum nichts davon zu bemerken war. Auch bei den durch Druck des Deckgläschens linsenförmig abgeplatteten Thieren ist es leicht, sich auch durch Anwendung stärkerer Ver- grösserungen davon zu überzeugen, dass eine direct unter der Rinde liegende, Kerne enthaltende Schicht, durch eine je nach dem Grade der Abplattung dickere oder dünnere Lage kernlosen Proto- plasmas von der zur entgegengesetzten Halbkugel gehörenden, wieder Kerne führenden Schicht getrennt wird, auf welche dann sofort wieder die Rindenschicht folgt. Es ist dies Verhalten zuerst von M. Schultze!) nachgewiesen, aber von Greeff?) wieder bezweifelt worden. Bei allen von uns gleich nach dem Schöpfen des Wassers im Monat Juni und Juli untersuchten Actinosphaerien bildeten die Kerne rundliche oder schwach elliptische, in einer geringen Anhäu- fung von körnigem Protoplasma eingebettete Blasen von 0,012 — 0,015 mm. Durchmesser, mit jedesmal nur einem etwas dunkleren und gleichfalls rundlichen Kernkörperchen von 0,006 — 0,007 mm. Durchmesser. In ihrem Aussehen, sowie in ihrem Verhalten gegen- über Reagentien gleichen die beschriebenen Gebilde so vollkommen den Kernen anderer Rhizopoden, besonders den Kernen der Actino- phrys sol, von denen sie nicht einmal der Grösse nach ver- 1) Das Protoplasma der Rhizopoden pag. 36. 2) Arch. f. mikrosk. Anat. III pag. 396. 2 Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 183 schieden sind, dass wir keinen Anstand nehmen, sie ohne weiteres als Kerne zu bezeichnen!). An drei im Juni beobachteten Exem- plaren, welche sich in bereits Anfangs April geschöpftem Wasser befanden, constatirten wir einen Zerfall des Kernkörperchens in 6—8 kleinere Stücke (Fig. 1 E). Dieselben konnten jedoch erst nach Anwendung verdünnter Essigsäure sichtbar gemacht werden, während sonst das Kernkörperchen schon im frischen Zustand: bei aufmerksamer Untersuchung deutlich erkennbar war. Diese Mehrzahl der Kernkörperchen hat M. Schultze an den von ihm untersuchten Actinosphaerien ausschliesslich beobachtet, während er nie ein einfaches Kernkörperchen gesehen hat. So wies er bei Actinosphaerien, welche sich im December 14 Tage nach dem Schöpfen des Wassers im Zimmer entwickelt hatten, in jedem Kern 3-—-4 und mehr, nur mühsam durch starke Compression des Thieres oder durch Einwirkung höherer Temperaturen (50—60°) sichtbar zu machende Körperchen nach. Bei Exemplaren, welche im März und im Mai gleich nach dem Schöpfen des Wassers beobachtet wurden, enthielten die Kerne meist 2—8 aber auch mehr bis zu 20 Kernkörperchen. Ebenso verhielten sich im August untersuchte Thiere. — Ob die hier geschilderten verschiedenen Zustände des Kernkörperchens mit der Verschiedenheit der Jahres- zeit, resp. mit bestimmten an verschiedene Jahreszeiten gebundenen Entwicklungsstadien zusammenhängen, dies zu entscheiden bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten ?). 1) Unsere Beobachtungen stimmen im Wesentlichen mit den Resul- taten früherer Forscher, wie Kölliker, Stein, Greeff, Wallich (l. e. 1. c.) ete. überein, wenn auch die Deutung der genannten Autoren nicht überall dieselbe war. So bezeichnet Wallich z. B. unrichtigerweisa den Nucleolus als Kern, und deutet die äussere Contour des eigentlichen Kerns (die Kernmembran) als Hohlraum (sphaerical cavity), in dem der Kern liegt (l. ec. pag. 450). 1) Von der hier gegebenen Schilderung der Kerne weicht in ganz eigenthümlicher Weise die von Carter (l. ec. pag. 282 seq.) gegebene Be- schreibung ab. Carter hat die Kerne des Actinosphaerium gesehen und bildet sie in verschiedenen Zuständen auf Tafel XII Figur 6 ab. Das, was wir und andere jedoch als Kernkörperchen bezeichnen, deutet er als »reproductive cells«, d.h. Gebilde, welche die Bedeutung besitzen im Körper des mütterlichen Organismus sich zu einer Brut kleiner Tochterindividuen auszubilden, um später, wenn sie ihre völlige Reife erreicht, haben, auszu- schlüpfen. Carter beschreibt die »reproductive cells« als runde Körper 184 R. Hertwig und E. Lesser: Die Besprechung des Baus des Actinosphaerium schliessen wir mit der Betrachtung der Pseudopodien. Dieselben sind meist zahlreich und allseitig entwickelt und tragen den kugeligen Körper schwebend auf ihren Spitzen oder heften ihn an fremde Körper, z. B. an die Wandung des beherbergenden Glasgefässes an. Ent- sprechend der Grösse des Actinosphaerium zeichnen sie sich vor den Pseudopodien der übrigen Heliozoen durch ihre Dicke und Stärke aus. Mit breiter Basis an der Körperoberfläche entspringend und begrenzt von leicht höckerigen oder welligen Contouren ver- schmälern sie sich nach ihrem Ende in eine feine Spitze. Dabei sind sie nicht immer starr und gerade ausgestreckt, sondern häufig nach einer Seite hin schwach gekrümmt. Schon vor längerer Zeit wies M. Schultze?) an ihnen die Differenzirung in einen homo- (sphaerical bodies), welche in den verschiedensten Grössen vorkommen. Die kleinsten von ihnen sollen direct ins Protoplasma eingelagert sein. Erst wenn sie grösser werden, soll sich um sie herum eine Hülle (a transparent sphaerical cell) bilden, welche dann ein oder mehrere »reproductive cells« umschliesst. (Die »transparent sphaerical cell« würde unserer Kernmembran entsprechen, die »repructive cells« sammt ihrer Umhüllung dem, was wir Kern nennen). — Da Carter somit die Kerne des Actinosphaerium für anderweitige Gebilde hält, ist es begreiflich, dass er keinen Kern hat finden können. Der englische Forscher sieht sich hierdurch zur Hypothese ver- anlasst, dass junge Actinosphaerien wahrscheinlich einen Kern besitzen, dass dieser Kern jedoch zur Zeit, wenn sich die „reproductive cells“ entwickeln, verschwindet, weil sein Inhalt bei der Bildung der letzteren in ähnlicher Weise wie bei Difflugia pyriformis verbraucht worden ist (Annals III Vol. 12 und 13). Wir haben wohl nicht erst nöthig auf das Irrthümliche in der Carter’schen Auffassung aufmerksam zu machen und beschränken uns auf die Bemerkung, dass Kernkörperchen d. b. »sphaerical bodies«, wie sie Carter nennt, sich nie direct ins Protoplasma eingelagert vorfinden, sondern dass dieselben stets von einer Kernmembran umhüllt werden. Wenn im Uebrigen Carter glaubt, dass die Gebilde bisher wenig Beachtung gefunden haben und die von Wallich (l. ec.) gegebene Beschreibung für die einzige hält, welche unzweifelhaft dieselben Objecte behandelt, so beruht dies auf einem Irrthum, da sie schon früher von Stein, Kölliker, Häckel und M. Schultze beschrieben worden sind. Unbegreiflich ist es uns, warum Carter an der Identität seiner »reproductive cells« mit den »kern- oder zellenartigen Körpern« Kölliker’s (l. ec.) zweifelt, da die Kölliker’sche Schilderung an Klarheit Nichts zu wünschen übrig lässt. 3) Protopl. d. Rhizop. pag. 31. EIER a I en Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 185 genen starren Axenfaden und einen körnchenführenden beweglichen Ueberzug nach, Beobachtungen, welche von Carter (I. c.) bestätigt wurden. Neuerdings hat uns nun Greeff (l. c.) mit der bis dahin unbekannten und eigenthümlichen Endigungsweise der Axen- fäden im Innern des Körpers bekannt gemacht. Nach diesem letzteren Beobachter stecken die Axenfäden mit einer feinen mehr oder minder abgestumpften, keilförmigen Spitze in der Marksubstanz, durchsetzen die alveoläre Rinde und treten allmählich sich ver- jüngend mit einer nadelförmigen Spitze nach aussen. Greeff bezeichnet sie desshalb als » zarte radiale Stacheln oder Nadeln von einer weichen organischen Substanz«; sie sollen »mit den Pseudopodien direct gar keinen Zusammenhang haben«, vielmehr soll »die äusserste körnchenreiche Protoplasmazone bei ihrem stetigen Umwogen des Körpers auch naturgemäss auf die, die Oberfiäche überragenden Stacheln fliessen, sich kriechend an ihnen in die Höhe, und oft in langen Fäden über sie hinaus ziehn.« Die von Greeff beschriebene, höchst auffallende. Endigungs- weise der Axenfäden im Innern der Marksubstanz können wir ganz so, wie es von dem genannten Forscher geschildert worden ist, bestätigen (Figur 1 B). Dagegen können wir den Schluss- folgerungen nicht beistimmen, welche derselbe aus seinen Beobach- tungen zieht, dass nämlich die Pseudopodien nur in sofern zu den Axenfäden in Beziehungen stehen, als die letzteren die den Körper umkreisende äusserste Sarkodelage ausstülpen und hierdurch die Veranlassung zur Bildung der Pseudopodien geben. — Gegen diese Auffassungsweise muss zunächst geltend gemacht werden, dass der Ueberzug der Axenfäden keineswegs allein der äussersten Körperschicht entstammt, sondern meistentheils schon im Innern der Rindensubstanz oder bereits am Grunde derselben vorhanden ist, dass man demnach die Pseudopodien keinenfalls als einfache, durch das Hervortreten der Axenfäden bedingte Ausstülpungen einer äusseren Protoplasmazone auffassen kann!). — Weiterhin würde es bei der Greeff’schen Auffassung eine unerklärte Thatsache bleiben, dass beim normalen Actinosphaerium ebenso wenig Pseudo- 1) Dies Verhalten des Körnchenüberzugs der Axenfäden zu den cen- tralen Partieen der Rindenschicht spricht gegen die von Greeff gemachte Unterscheidung einer vierten, äussersten, den Körper als eine besondere selbständige Lage umfliessenden Protoplasmaschicht, welche allein den Ueberzug der Axenfäden bilden soll. Diese Schicht wird allein durch die 186 R. Hertwig und E. Lesser: podien ohne Axenfäden, als Axenfäden ohne Pseudopodien vor- kommen. Denn wenn wir selbst zugeben, dass die Pseudopodien, wenn sie von der Körperoberfläche hervorgestreckt werden, sich gern an die radialen Stacheln anlehnen, so ist damit doch keineswegs gesagt, dass zur Bildung der Pseudopodien nicht auch andere Stellen der äusseren Sarkoderinde befähigt sein sollten. Aus der constanten Vereinigung von Pseudopodien mit Axenfäden ergiebt sich naturgemäss auch die Zusammengehörigkeit der beiden Bil- dungen. Die Axenfäden sind daher, wie wir es schon im allgemeinen Theil gethan haben, als Stützapparate der Pseudopodien aufzufassen. Kann man nun diese Stützapparate der Pseudopodien mit den Skeletstacheln der Radiolarien auf gleiche Stufe stellen? Auch diese Frage müssen wir, wie schon in der Einleitung hervorgehoben wurde, in einem von Greeff’s Anschauung abweichenden Sinne beantworten. Die Skeletstacheln der Radiolarien sind starre, in coneentrirten Säuren. unzerstörbare Gebilde; die Axenfäden des Actinosphaerium dagegen sind biegsam, lösen sich ebenso schnell wie der Protoplasmakörper in selbst dünneren Essigsäurelösungen und zerfallen sogar in Imbibitionsflüssigkeiten, wie z. B. dem Beale’- schen Carmin. Bis jetzt ist es noch nicht einmal sicher gestellt, ob sie persistirende Bildungen sind oder ob sie nicht vielmehr beim Einziehen der Pseudopodien eingeschmolzen werden, um beim Vor- strecken derselben sich neu zu bilden. — Ferner fehlt den Stacheln der Radiolarien die constante, für die Axenfäden charakteristische Beziehung zu den Pseudopodien. Wenn die letzteren auch mit Vorliebe sich an die Skeletstacheln anlehnen, so lässt sich doch aus Häckel’s Schilderungen und Abbildungen entnehmen, dass hierbei weder eine allseitige Umhüllung des Stachels stattfindet, noch dass wir hierin ein allgemein verbreitetes Verhalten vor uns haben. Viele Stacheln ragen bei den Radiolarien nackt aus dem Körper hervor, während die meisten Pseudopodien sich ohne eine Stütze behelfen müssen. Aus diesen Gründen halten wir es für unge- äusseren Wände der Rindenalveolen gebildet, die sich durch Nichts von den übrigen Alveolenwänden unterscheiden, als dass sie vielleicht zum besseren Schutz gegen äussere Eingriffe etwas dicker sind als die anderen, mit denen sie übrigens im directen Zusammenhang stehen. Auch hier befinden wir uns in Uebereinstimmung mit der von Kölliker und neuerdings von F. E. Schulze gegebenen Darstellung. a Din Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 187 rechtfertigt, die Axenfäden für äquivalent den Stacheln der 'Acanthometriden zu halten (Greeff), und die zarten Gebilde als »Nadeln und Stacheln« zu bezeichnen. Die hier über die Axenfäden der Pseudopodien und schon früher über die Bedeutung der Marksubstanz geäusserten Ansichten werden mit den allgemeinen Ideengängen der Einleitung unseren Standpunkt genugsam charakterisirt haben, so dass wir es für überflüssig halten, noch einmal die Gründe zu erörtern, welche uns bestimmen, das Actinosphaerium Eichhornii nicht den Radio- larien einzureihn, wie es Greeff thut, der es direct unter die Acanthometriden stellt. Dagegen erfordert das Verhältniss von Actinophrys und Actinosphaerium eine genauere Besprechung. Hier ist eine scharfe systematische Trennung nicht ganz leicht ausführ- bar, wie schon daraus ersichtlich ist, dass beide vielfach mit einander verwechselt worden sind (so hielt Kölliker das Actino- sphaerium für Actinophrys sol), und dass manche Autoren wie Wallich überhaupt jeden speeifischen Unterschied zu leugnen versucht haben. ‘Zwar lassen sich ausgebildete Actinosphaerien leicht als solche erkennen; denn sie besitzen stets mehrere contractile Blasen und zahlreiche Kerne, und ihr Körper ist scharf in eine Rinden- und Marksubstanz, welche beide von blasiger Beschaffenheit sind, getrennt, während die Kerne und centralen Blasen der Actinophrys stets in Einzahl vorhanden sind und die homogene Marksubstanz ohne deutliche Grenze in die blasige Rinde übergeht. Allein diese Unterscheidungsmerkmale lassen uns bei einkernigen, jungen Actinosphaerien im Stiche. Dieselben stimmen wie unsere und Anderer Messungen ergeben haben, in der Grösse mit ausge- bildeten Actinophryen überein, oder übertreffen dieselben nur in sehr geringem Maasse!) (unsere kleinsten Actinosphaerien massen 0,06 mm., unsere grössten Actinophryen ebenfalls 0,06 mm). Ebenso unterscheiden sich die Kerne nur in so fern von einander, als die Kernmembran bei Actinophrys deutlicher zu erkennen ist. Gleich- 1) Dasselbe Resultat ergiebt ein Vergleich der Kölliker’schen und Grenacher’schen Messungen. Die von Kölliker angegebenen Minima für Actinosphaerium betragen !/;; — !/so“ d. h. 0,05 — 0,07 mm. Die von Grenacher angegebene Maxima für Actinophrys 0,06 mm. Es muss daher wohl auf einem Irrthum beruhen, wenn Grenacher meint, selbst zwischen seinen grössten Actinophryen und Kölliker’s kleinsten Actinosphaerien bestände ein beträchtlicher Unterschied zu Gunsten der letzteren. 188 R. Hertwig und E. Lesser: wohl haben wir überall vermocht, die Actinophryen und Actino- sphaerien auseinander zu halten, indem wir eine Anzahl gering- fügiger Unterscheidungsmerkmale gemeinsam berücksichtigten. So sind die Alveolen des Actinosphaerium durchschnittlich grösser als die der Actinophrys. Der Körper des ersteren, besonders seine peripheren Partieen machen in viel höherem Grade den Eindruck einer wirklich schaumigen Substanz, als der im Ganzen fester und solider erscheinende Körper der Actinophrys. Ferner hat das junge Actinosphaerium nur wenige und kurze Pseudopodien, während die gleich grossen und selbst kleineren, aber völlig ausgebildeten Actino- phryen eine grosse Anzahl Pseudopodien ausgestreckt haben. Endlich sei noch erwähnt, dass wir bereits bei den kleinsten Actinosphaerien die Axenfäden der Pseudopodien oder wenigstens ihre Fortsetzungen ins Innere des Körpers deutlich nachweisen konnten, während bei Actinophrys sol am lebenden Thier nur wenig davon wahrgenommen werden kann. Ist somit eine Unterscheidung zwischen den beiden Actino- phryiden in allen Stadien des Lebens durchführbar und bei er- wachsenen Formen sogar ausserordentlich klar und deutlich, so kann es nach unserer Meinung gar keinem Zweifel unterliegen, dass Actinophrys sol und Actinosphaerium Eichhornii als verschie- dene Species angesehen werden müssen. Es bleibt uns somit nur noch zu motiviren übrig, wesshalb wir beide Species abweichend von den meisten übrigen Forschern nicht demselben Genus unter- ordnen, sondern die von Stein und Häckel vorgeschlagene Trennung in zwei Genera beibehalten. Wir werden zu diesem Verfahren durch die Vielkernigkeit des Actinosphaerium und durch die deutliche Trennung seines Körpers in Rinden- und Marksubstanz bestimmt. Namentlich legen wir der, durch die Vielkernigkeit (Vielzelligkeit?) gegebenen höheren Organisationsstufe eine grössere Bedeutung bei. Zum Schluss geben wir noch eine kurze Diagnose für das Actinosphaerium Eichhorni. Actinosphaerium Eichhornii. Körper regelmässig kugelig, von durchaus blasiger Structur , in sich deutlich gegeneinander absetzende kinden- und Marksub- stanz differenzirt; Rindensubstanz mit grossen radiär angeordneten Vacuolen und mehreren contractilen Blasen; Marksubstanz mit kleinen | E | j { Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 189 polygonalen dickwandigen Vacuolen und zahlreichen nur ın den peripheren Lagen und nicht im Oentrum der Marksubstanz vorhan- denen Kernen; Pseudopodien zahlreich, aus deutlichen bis in die Mearksubstanz eindringenden Axenfäden und einer körnigen Rin- denschicht bestehend. II. Heliozoa Skeletophora. Die Formenmannichfaltigkeit der skeletführenden Heliszoen ist eine unvergleichlich grössere als die der skeletlosen. Während wir bei den letzteren nur zwei Genera, von denen ein jedes nur durch eine einzige Species vertreten war, unterscheiden konnten, müssen wir bei den Skeletophora eine grössere Anzahl Gattungen aufstellen und die meisten derselben in verschiedene Arten einthei- len. Die Charaktere, welche hierbei als systematische Unterschei- dungsmerkmale verwandt werden, sind fast ausschliesslich der Bil- dung des Skelets entnommen worden, weil die Formen desselben am leichtesten beurtheilt werden können und an ihnen die einzelnen Gattungen und Arten am schnellsten und sichersten wiedererkannt werden, dann aber auch, weil der einfache meist einkernige Proto- plasmakörper sammt seinen stets dünnen und fadenförmigen Pseu- dopodien wenig Anhaltspunkte für systematische Charakteristiken bietet. Indessen müssen wir hier auf einige Verschiedenheiten im Bau desselben aufmerksam machen, welche, wenn auch nicht jetzt, so doch später für eine natürliche Systematik Bedeutung gewinnen können. Es ist dies die Differenzirung des Protoplasma in Rinden- und Marksubstanz, welche bei vielen, wenn auch nicht allen skelet- führenden Heliozoen nachweisbar ist, und ferner Verschiedenheiten im Bau der Pseudopodien. Beide Charaktere sind zur Zeit in ihrer Bedeutung noch zu wenig bekannt, um jetzt schon verwerthet zu werden, vor Allem wird ihre Verbreitung innerhalb der einzelnen Gattungen noch eingehendere Untersuchungen nöthig machen. Die bei einem Theil der Heliozoen vorhandene Differenzirung in Mark- und Rindensubstanz, stimmt mit den entsprechenden bei Actinosphaerium ausführlicher erörterten Structurverhältnissen nur in sofern überein, als bei beiden die Marksubstanz die Kerne, die Rinde dagegen die contractilen Behälter beherbergt, in allen übrigen Punkten haben beide Bildungen durchaus nichts mit einander ge- meinsam. — Bei dem Actinosphaerium unterscheidet sich, wie wir oben gezeigt haben, die Mark- von der Rindensubstanz im Wesent- 190 R. Hertwig und E. Lesser: lichen durch ihre gröbere Körnelung und die dadurch bedingte be- trächtlichere Undurchsichtigkeit. Ferner ist dieselbe vorwiegend, wenn nicht ausschliesslich der Sitz der Verdauung. Das voll- kommene Gegentheil ist bei den H. Skeletophora der Fall. Hier ist diezahlreiche gröbereundfeinereKörnchenenthaltende Rinde allein der die Nahrungsaufnahme und die Assi- milation versehende Theil, während niemals die Nah- rungskörper bis in die centralen Partieen des Körpers hineingelangen. Dieselbe bildet in Folge dessen eine fein- körnige oder homogene Masse von matt graubläulichem Glanz, welche mit einer deutlichen Linie gegen die Rindensubstanz sich absetzt. Diese Linie wird nur durch die Verschiedenartigkeit des Protoplasma und nicht durch eine besondere Membran bedingt. Das Fehlen der letzteren, sowie die schon im allgemeinen Theil erörter- ten Gründe bestimmen uns, die homogene Marksubstanz nicht als Centralkapsel zu bezeichnen, wiees Archer!) bei Acanthocystis spi- nifera zu thun geneigt ist, sondern den Entscheid über ihre mor- phologische und physiologische Bedeutung von weiteren Beobachtun- gen abhängig zu machen. Das hier besprochene Structurverhältniss haben wir bisher nur bei den einzelnen Acanthocystisarten, der denselben nahestehenden Pinocoeystis und den Heterophryen nachweisen können; bei einer wei- teren Anzahl von Arten und Gattungen können wir seine Existenz auf das Bestimmteste in Abrede stellen so bei der Clathrulina und der Hedriocystis. Es bleiben dann noch zahlreiche Formen übrig, welche wir entweder nicht zu untersuchen Gelegenheit hatten oder die wir kennen lernten, bevor wir auf das eigenthümliche Struc- turverhältniss aufmerksam geworden waren, und später nicht wie- derfanden, oder endlich bei denen die Undurchsichtigkeit einen genaueren Einblick in das Körperprotoplasma nicht gestattete. Als solche Arten müssen wir die Hyalolampen und Raphidiophryen bezeichnen. Bezüglich der Pseudopodien können wir bei den Heliozoa Ske- letophora ähnlich wie bei den Monothalamia Rhizopoda körnige und homogene, verästelte und unverästelte unterscheiden. Anasto- mosen wurden nur bei einer Art, der Clathrulina elegans, beobachtet, wo sie namentlich bei jungen Exemplaren überraschend häufig vor- 1) Proceedings of the R. Irish Acad. I. Vol. 1. pag. 30 des 8. A. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 191 kommen. Wir haben schon bei Actinophrys sol darauf aufmerksam gemacht, wie die Art der Ausbreitung der Pseudopodien wenig zur Verschmelzung disponirt. Bei den meisten Skeletophora scheint sich hierzu noch eine ganz ausserordentliche Starrheit zu gesellen, um die einzelnen Fäden isolirt zu erhalten. Während die körnchenlosen, selten verästelten, meist kurzen Pseudopodien, wie wir sie vornehmlich bei den Hyalolampen finden, sich auch bei aufmerksamster Beobachtung als ganz sicher homogene und gleichmässige Gebilde erweisen, sollen nach den Angaben von Grenacher!) und Greeff?) die körnchenreichen Pseudopodien der Acanthocystiden (und wahrscheinlich auch die vollkommen mit den- selben übereinstimmenden Fortsätze der Raphidiophryen, Hetero- phryen, Pinococystiden) unzweifelhaft einen festen Axenfaden und einen körnchenreichen Ueberzug erkennen lassen, ganz in. derselben Weise, wie wir es bei Actinosphaerium und Actinophrys beschrieben haben. Die genannten Forscher stützen ihre Auffassung theils auf das Aussehen der Pseudopodien, theils darauf, dass sie Verlängerun- gen in das Innere des Körpers verfolgen konnten. Wir besprechen zunächst das Aussehen der Pseudopodien. — Dieselben besitzen (z. B. bei einer Acanthocystis spinifera) eine den Körperdurchmesser wohl um das dreifache übertrefiende Länge und bilden ausserordentlich dünne, aber widerstandsfähige Fäden, welche, wenn sie durch mechanische Insulte gekrümmt worden sind, sogleich ihre frühere radiäre Anordnung wieder annehmen. Zahlreiche Körn- chen steigen an ihnen wenn auch langsam auf und nieder. Da dieselben in ihren Dimensionen die Dicke der Fäden meist beträcht- lich übertreffen, bilden sie kleinste perlschnurartige Anschwellungen an den kaum sichtbaren zarten Linien der Pseudopodien, so dass dieselben häufig nur wie eine Kette hellglänzender Kügelchen aus- sehen. Seltener sind kleine spindelförmige aus Protoplasma beste- hende Anschwellungen an den Pseudopodien zu beobachten, welche langsam auf denselben hinfliessen. — Die hier geschilderten »tropfen- oder perlschnurartigen Anschwellungen« sollen nun nach Greeff (l. c.) indem sie an den Psewdopodien auf- und niederlaufen, an diesen »einen festeren Axenfaden mit einer denselben umhüllenden, homo- genen Rinde erkennen lassen.«e Wir können dieser Auffassungs- 1) Bemerk. über Acanth. viridis, Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XIX. pag. 292. 2) Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. V. pag. 484. 192 R. Hertwig und E. Lesser: weise nicht beitreten, da wir die von Greeff geltend gemachten Gründe nicht für beweiskräftig halten. Ist ein nur aus Protoplasma bestehendes Pseudopodium zu so ausserordentlicher Feinheit, wie es bei Acanthocystis der Fall ist, ausgezogen, so muss jedes grössere Körnchen, welches an ihm auf- und niedersteigt, nothwendigerweise eine gleichfalls sich fortbewegende Anschwellung bedingen. Es kehren daher die hier geschilderten Erscheinungen bei allen körni- sen feinen Pseudopodien wieder, auch wenn sie erwiesenermaassen keine Axenfäden besitzen. So haben wir dieselben vom Pseudopo- diennetz der Mikrogromia socialis!) beschrieben, wo von Axenfäden doch sicherlich nicht die Rede sein kann. Um demnach aus dem Ansehen des Pseudopodium die Existenz eines Axenfadens zu erweisen, kann uns der Nachweis von auf- und niedersteigenden perlschnurar- tigen Anschwellungen nicht genügen, sondern allein die Erkenntniss, dass in einem doppelt contourirten Faden eine deutliche Linie als Ausdruck einer besonderen Bildung im Inneren desselben verläuft. Da nun die Pseudopodien der Acanthocystiden ausserordentlich feine, kaum erkennbare, einfache Linien bilden, halten wir es überhaupt für unmöglich aus ihrem Aussehen die Existenz eines Axenfadens zu beweisen. Etwas Anderes ist es mit den feinen strahlenartigen Fortsetzungen, welche Greeff von der Basis der Pseudopodien beginnend bis in’s Innere des Körpers verfolgen konnte?). Dieselben würden sich nur als der im Körper gelegene Theil eines die Pseu- dopodien stützenden Axenfadens erklären lassen. Leider ist es uns nie geglückt, trotz mehrfach darauf hin angestellter Untersuchungen, die Greeff’schen Beobachtungen zu bestätigen. Wenn wir demnach auch die Möglichkeit einer feineren Structur der Pseudopodien be- reitwilligst anerkennen, so vermögen wir doch nicht für unsere Per- son die Existenz derselben ohne Weiteres für erwiesen zu halten und erwarten einen sicheren Entscheid erst von erneuten Unter- suchungen anderer Beobachter °). 1) vergl. voranstehende Arbeit pag. 15. 2) 1. c. S. 487. 3) Wir müssen hier bemerken, dass wir unsere Beobachtungen über diesen Gegenstand vorwiegend an A. spinifera angestellt haben; die A. turfa- cea, an welchen Greeff die Existenz eines Axenfadens für nachgewiesen hält, haben wir seltener beobachtet und dann waren es meist der Beobachtung wenig günstige Objecte. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 193 Zum Schluss sei noch erwähnt, dass die hier besprochenen starren (durch Axenfäden gestützten?) Pseudopodien, soweit unsere Beobachtungen reichen, in ihrer Verbreitung auf diejenigen Formen beschränkt sind, bei denen eine Differenzirung in Endosark und Ek- tosark entweder erwiesen ist oder als wahrscheinlich angenommen werden muss. Indem wir die systematische Verwerthbarkeit der gemachten Beobachtungen über den Bau des Weichkörpers von weiteren Unter- suchungen abhängig machen, benutzen wir in der im allgemeinen Theil schon hervorgehobenen Weise die Art derSkeletbildung behufs einer weiteren Eintheilung der Heliozoa Skeletophora und unterscheiden Formen, bei denen der Skeletpanzer aus zahlreichen Stücken besteht, als Chalarothoraca (y«a4aoog locker) von den- jenigen, welche von einer soliden und zusammenhängenden Schale umhüllt werden, den Desmothoraca. 1. Chalarothoraea. Die einzelnen Stücke, welche das Skelet der Chalarothoraca bilden, sind sehr mannichfach gebildet. Am häufigsten sind stäbchen- förmige Gebilde, welche entweder auf einer oder auf beiden Seiten zugespitzt sind und als Stacheln bezeichnet werden, wenn sie radiär, als Nadeln dagegen wenn sie in der Richtung der 'Tan- gente gelagert sind. Seltener haben wir eine Zusammensetzung des Skelets aus Kügelchen, kleinen Tafeln und feinen Körnchen beo- bachtet, häufig finden sich mehrere Skeletformen vereint, so Stacheln mit Nadeln, Plättchen oder Körnchen. Eine gesetzmässige Anord- nung der Skeletstücke, wie sie bei den Radiolarien vorkömmt, ist nirgends vorhanden. 3. Genus. Acanthoeystis. (Carter.) Das Genus Acanthocystis wurde von Carter im Jahre 1863 aufgestellt!) und den Radiolarien untergeordnet. Die demsel- ben zugehörigen Formen waren offenbar schon länger bekannt ge- wesen, von den früheren Forschern aber fälschlich den Actinophryen als A. viridis (Ehrenberg) und A. brevicirrhis (Perty, Clapa- rede und Lachmann) zugerechnet worden, indem dieselben die Stacheln des Panzers für Pseudopodien gehalten, die eigentlichen Pseudopodien ganz übersehen hatten. Der durch Garter’s Unter- 1) Ann. and Mag. of nat. hist. III. Vol. 12 u. 13. M, Schultze, Archiv f, mikrosk, Anatomie. Bd, 10. Supplementhett, 13 194 R. Hertwig und E. Lesser: suchungen bekannt gewordene Vertreter des Genus, welcher von ihm den Namen A. turfacea erhielt, wurde weiterhin von Grenacher (l. c.), Archer!) und Greeff (].c.) auf’s neue beobachtet und aus- führlicher (von Grenacher und Greeff als A. viridis) beschrieben. Ferner entdeckten dieselben zwei weitere ebenfalls hierher gehörige Formen, die A. spinifera (Greeff) und A. Pertyana (Archer), wel- chen wir als vierte Art der Acanthocystiden im Folgenden noch die A. aculeata zufügen werden’). Während die übrigen Forscher sich auf eine Schilderung der von ihnen beobachteten Arten beschränkten, hat Archer eine ge- meinsame Ckarakteristik des Genus Acanthocystis versucht. Da dieselbe nicht vollkommen mit unserer Auffassung des Baus der Acanthocystiden übereinstimmt, werden wir auf dieselbe noch mehr- fach zurückkommen müssen, wenn wir im Folgenden eine zusammen- hängende Darstellung der dem Genus Acanthocystis eigenthümlichen Organisation geben. Am charakteristischsten für die Acanthocystiden muss die For- mation ihres Skelets angesehen werden. Dasselbe besteht aus zahlreichen radiär angeordneten feinen Stäbchen, die wir im An- schluss an die oben begründete Nomenclatur als Stacheln und nicht wie Archer als Nadeln bezeichnen. Dieselben enden nach aussen in verschiedenster Weise bald fein zugespitzt, bald stumpf, bald gegabelt, nach innen stets in charakteristischer Weise mit einem runden Fussplättchen, von dessen Mittelpunkt sie entspringen. Durch den Besitz derselben unterscheiden sich die Stacheln der Acan- thocystiden von allen übrigen bei den Heliozoen vorkommenden Skeletstacheln, z. B. den Stacheln der Heterophrys spinifera. Die Basalplättchen liegen keineswegs wie es die früheren Forscher ab- bilden und beschreiben, der Körperoberfläche unmittelbar auf, son- dern sind von derselben durch einen wenn auch schmalen Zwischen- raum getrennt. Am Weichkörper unterscheidet Archer zwei Lagen von Protoplasma, eine dünne weiche und ausserhalb der Basalplättchen gelegene und eine solide dichte innere, welche die Chlorophylikörner umschliesst. — Die Existenz einer besonderen die Basalplättchen 1) Quart. Journ. of microsc. science. 1869. 8. A. pag. 3. 2) In den Marburger Sitzungsberichten (cfr. Anmerk. auf S. 143 dieser Abhandlung) schildert Greeff noch eine weitere Art als A. flava. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 195 der Stacheln umschliessenden äusseren Sarkodelage müssen wir in Abrede stellen, wenn wir auch zugeben, dass möglicherweise die Stacheln durch Protoplasmazüge, die sich von den Pseudopodien abzweigen, untereinander verbunden werden. Dagegen haben wir durchgängig (nur bei A. turfacea sind wir nicht zu sicheren Resultaten gelangt) die Differenzirung in eine homogene Markmasse und kör- nige Rinde nachweisen können. Die Rinde enthält Chlorophylikörner und die contractilen Blasen, das Mark bei allen von "uns beobachte- ten Arten den bisher nur von Carter bei A. turfacea (A. viridis) richtig erkannten Kern. Die von Grenacher aufgestellte Ansicht, dass die Aussenschicht eine so beträchtliche Uonsistenz erlange, dass die Pseudopodien wahrscheinlich nur vermittelst besonderer in der- selben vorhandener Oefinungen zum Vorschein kommen könnten, vermögen wir ebenso wenig wie andere Beobachter zu bestätigen. Noch viel weniger kann von einem biegsamen Panzer (Carter), welcher den Körper umhülle, die Rede sein. Die Pseudopodien der Acanthocystiden bilden so recht eigentlich das typische Bild der oben geschilderten, anastomosenlosen dünnen, körnigen Pseudopodien. Sie bedingen meist einen sehr leb- haften Ortswechsel und sind zu dem Zweck zahlreicher als bei den meisten übrigen Heliozoen entwickelt. Werden die Acanthocystiden beunruhigt, so werden die Pseudopodien anfänglich nur ungefähr so weit, äls die Stacheln die Oberfläche schützend überragen, ver- kürzt und erst später ganz allmählig eingezogen. An derartig ver- kürzten Pseudopodien liegen Körnchen an Körnchen dicht neben einander, wie die Perlen einer Perlenkette. Indem wir genauere Schilderungen der hier nur im Allgemeinen gekennzeichneten Körpertheile in den Beschreibungen der einzelnen Arten geben werden, gehen wir nunmehr zu diesen über. Acanthoeystis spinifera. (Greeff). Taf...IV.,,,‚Hig,.s. Die Species Acanthocystis spinifera wurde von Greeff!) aufgestellt und zum ersten Male genau beschrieben. Seit der Zeit ist sie nur einmal und zwar von Archer?) wieder aufgefunden worden. — Wie bei den meisten beschalten Heliozoen gründet sich die Errichtung einer besonderen Species auf Merkmale, welche dem 1) 1. c. pag. 493. 2) Proceedings of the Royal Irisn Academy I. Vol. 1. 5. A. pag. 26. 196 R. Hertwig und E, Lesser: Skelet entlehnt sind. Dasselbe besitzt unter den Acanthocystiden die einfachste Form, in so fern es nur aus einfach gebauten, mit einem Basalplättchen versehenen Stacheln besteht, ohne dazwischen eingelagerte, tangential gestellte Stäbchen oder Nadeln wie wir sie beim Skelet der A. aculeata kennen lernen werden. Die Stacheln sind ausnahmslos von gleicher Länge und demselben Bau und unterscheiden sich hierin von den complicirteren Stacheln der A. tur- facea, von denen wir zweierlei Formen nachweisen können. Sie sind von so ausserordentlicher Feinheit, dass man sie auf den ersten Blick leicht ganz übersieht und nur ihre festeren Basal- plättchen erkennt. Erst bei genauer Prüfung lernt man sie von den ebenfalls sehr dünnen Pseudopodien durch ihre geringere Länge und den Mangel der Körnchen unterscheiden und überzeugt sich, dass ihr peripheres Ende sich in eine Spitze von ungemeiner Fein- heit auszieht. Ihre Länge fanden wir zu 0,01 mm. bei Organismen von 0,025 mm. Durchmesser. Diese verhältnissmässig beträchtliche Länge, sowie ihre Feinheit und ihre scharfe Spitze unterscheidet sie zur Genüge von den kurzen, dicken und abgestumpften Dornen der A. Pertyana (Archer). Die Basalplatten der Stacheln sind mit ihren seitlichen Kan- ten in grosser Regelmässigkeit eines dicht neben dem anderen in einer einschichtigen Lage angeordnet und bilden so eine festgefügte kugelige Kapsel. Dieselbe erscheint auf dem optischen Durch- schnitt wie ein doppelt contourirter Ring, in dem man nur andeu- tungsweise die Zusammensetzung aus einzelnen Stückchen erkennen kann (Fig. 3). Der Aufbau derselben aus Plättchen wird erst deutlich, wenn irgend ein Körper die Kapsel passirt, sei es, dass er ins Innere aufgenommen oder aus ihm ausgestossen werden soll. Vor dem Andrängen desselben heben sich dann zwei oder mehrere Basalplättchen wie Deckelchen in die Höhe und lassen eine Lücke frei, durch die der Körper seinen Weg nehmen kann. Von der aus den Basalplättchen zusammengesetzten Kapsel entspringen die Stacheln in vollkommen regelmässiger radialer Anordnung wie die Strahlen eines Sterns, und zwar’steht auf einem Basalplättchen jedesmal nur ein Stachel. - Eine eingehendere Besprechung erfordert der Protoplasma- körper der A. spinifera, insofern wir hier zum ersten Male Gelegenheit finden, die oben in ihren Grundzügen geschilderte Differenzirung in Mark- und Rindensubstanz genauer zu betrachten. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 197 Nach den Angaben Greeff’s soll der Körper aus einem feinkörnigen Protoplasma bestehen, in welches ovale, intensiv gelbe, »den grünen Körnern der A. viridis (A. turfacea) offenbar homologe« Körper eingelagert sind. Ferner soll er »vein in der Regel central gelegenes, verhältnissmässig grosses, kernartiges Gebilde umschliessen, welches beim lebenden Thiere einer mit einer hellen Flüssigkeit gefüllten Blase gleicht, auf Zusatz von Essigsäure aber eine Anzahl von unregelmässig gestalteten Körnern hervortreten lässt« !). Greeff nennt im Folgenden das hier geschilderte Gebilde eine »centrale Blase«, weiterhin bezeichnet er es auch als Kern, ohne sich jedoch über seine morphologische Bedeutung auszusprechen ?). Er erwähnt nur noch, dass die Pseudopodien, wie er mehrfach wahrgenommen zu haben glaube, mit dem Gebilde in Verbindung ständen. In der durch Greeff’s Untersuchungen bekannt gewordenen centralen Blase entdeckte Archer durch Imbibition mit Beale’- schem Carmin ein rundliches, sich intensiv roth färbendes Körperchen, welches er ohne Anwendung dieses Reagens nicht sichtbar machen konnte. Wegen des dunklen Aussehens des centralen, kugeligen Körpers. welcher nach ihm keine Blase, sondern vielmehr eine solide Masse bildet, hält er es für unmöglich, das genannte Körperchen im frischen Zustand nachzuweisen. — Bei der morphologischen Deutung der hier in Kürze geschilderten Befunde schwankt Archer zwischen zwei Möglichkeiten. Entweder entsprieht der centrale kugelige Körper dem Kern — dann würde man das sich intensiv in Carmin färbende Körperchen als Nucleolus zu bezeichnen haben; — oder er bildet ein Homologon der Centralkapsel und ist ein niederer Entwicklungsgrad dieses Theils der Radio- larienorganisation, dann könnte das kleine Körperchen nur als Binnenblase gedeutet werden. Archer neigt sich für seine Person mehr der letzteren Ansicht zu, er spricht sogar davon, dass wir aller Wahrscheinlichkeit nach hier zum ersten Mal ein Beispiel vor uns hätten, bei dem der als Binnenblase bezeichnete Theil der Orga- nisation eines typischen Radiolars bei einem Süsswasservertreter hat nachgewiesen werden können °). 1) L. c. pag. 495. 2) In den erwähnten Marburger Sitzungsberichten nennt Greeff das Gebilde »eine, wie es scheint der Centralkapsel äquivalente, verhältniss- mässig grosse Kugel.« 3) If, indeed, I may be correct in that assumption (dass die betreffen- 198 R. Hertwig und E. Lesser: / Wir wenden uns jetzt zur Schilderung unserer eigenen Be- obachtungen. — Wählt man sich zur Untersuchung ein möglichst srosses an Chlorophylikörnern armes Exemplar von A. spinifera, so fällt mühelos der mattbläuliche Schimmer der centralen Partieen in die Augen. Ferner überzeugt man sich, dass dieselben sich gegenüber der körnigen Rinde (Fig. 5, r) deutlich absetzen und aus einem homogenen Protoplasma ohne fremde Einschlüsse (Fig. 3, k) bestehen. Der centrale Theil ist meist kugelig oder oval, ändert jedoch seine Form im Anschluss an die leichten Gestalt- veränderungen, deren der Körper der Acanthocystis fähig ist. Seine Dimensionen fanden wir durchschnittlich beträchtlicher als Archer und Greeff sie abbilden, indem sein Durchmesser zum Durchmesser des gesammten Körpers sich wie zwei zu drei verhält. — Der hier ge- schilderte rundliche homogene Protoplasmakörper ist nur selten von einer allseitig gleichmässig dicken Schicht Rindensubstanz umhüllt ; meist nähert er sich auf einer Seite der Körperoberfläche mehr als auf der entgegengesetzten. Wir konnten uns sogar mehrfach davon überzeugen, dass er auf einer Seite einen Theil der Oberfläche mit bilden half, hier somit gleichsam die Umhüllung der Rinden- substanz durchbrochen hatte. Wie wir schon oben bemerkt haben, ist seine deutliche Umgrenzung nicht durch eine‘besondere Membran bedingt, sondern einzig und allein durch die dif- ferente Beschaffenheit des Protoplasma der Rindenlage. Dasselbe ist reich an feinen Körnchen und ovalen, bald farblosen, bald gefärbten Körpern. Die letzteren fanden wir stets chloro- phyligrün wie die entsprechenden Gebilde bei A. turfacea, Archer und Greeff stets intensiv citronengelb. Wir messen diesem Farben- unterschiede keine Bedeutung bei, da die farblosen, sowie die gefärbten Körper, wie wir bei der A. aculeata zeigen werden, wahrscheinlich direct aus der zerkleinerten Nahrung abzuleiten sind, und die Farbenunterschiede somit wohl allein aus Farbenunterschieden der aufgenommenen Nahrung erklärt werden müssen. Zwischen den ovalen Körpern liegen in der Rindenschichte, von den nicht gefärbten ovalen Körpern nur schwer durch ihr ver- den Gebilde als Centralkapsel und Binnenblase zu betrachten seien), then this will be the first instance, in which that element of the organisation of a typical, »Radiolarian« has been perceived in any freshwater representa- tive (l. c. pag. 29 des S.-A). A. Pertyana lässt nach Archer unter dem Einfluss von Carmin dieselbe Organisation erkennen. u u ne nn Ü er Dee Tann NN nn Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 199 schiedenes Lichtbrechungsvermögen zu unterscheiden, die meist zahlreichen contractilen Blasen (Fig. 3c c). Dieselben sind in das Protoplasma eingebettet, ohne eine Hervorwölbung der Oberfläche zu bedingen. Ihre Contractionen sind nur selten zu beobachten und verlaufen rasch und energievoll, aber so weit wir hier- über ein Urtheil gewinnen konnten, nicht bei allen Vacuolen gleichzeitig. Es bleibt uns noch die Besprechung des von Archer zuerst entdeckten, und von ihm der Binnenblase der Radiolarien verglichenen Körperchens übrig. Wir lernten dasselbe zum ersten Male im frischen Zustand bei einem körnchenarmen, der Untersuchung besonders günstigen Objecte kennen. An der lebenden Acanthocystis beobachtet, bei der es freilich nur selten nachgewiesen werden kann, bildet dasselbe eine ovale, bis zu 0,01 mm. grosse, wasserhelle Blase, in deren Innerem ein gleichfalls ovales, 0,006 mm. im Durschnitt messendes graubläuliches Körperchen liegt (Fig.3, n). In der centralen, homogenen Kugel nimmt das Gebilde keineswegs die Mitte ein, sondern liegt excentrisch in dem Theil, welcher der Körperoberfläche genähert erscheint. Lässt man nunmehr sehr verdünnte Essigsäure einwirken, so schrumpft der ganze Körper, wodurch der Zwischenraum zwischen seiner Oberfläche und der Innenwand, der aus den Basalplättchen bestehenden Hohlkugel vergrössert wird (Fig. 3 A). Hierbei gerinnt die centrale Masse dunkel und grobkörnig, wie es schon Greeff schildert und abbildet, und setzt sich hierdurch deutlicher und schärfer gegen die nur wenig granulirende Rinde ab. Ebenso wird der ovale homogene Binnenkörper des von Archer als „Binnen- blase‘“ gedeuteten, in der centralen Masse enthaltenen Gebildes (n) durch grobkörnige und dunkle Gerinnung deutlicher gemacht, während seine helle, blasenartige Umhüllung unverändert bleibt. Verstärkt man die Essigsäureconcentration, so quillt zunächst die hell gebliebene Rindenschicht unter Auflösung der ovalen, farblosen (vielleicht auch der gefärbten) Körper allmählich auf, ebenso auch das wasserhelle Bläschen (,‚Binnenblase“), indem das in ihr ent- haltene Körperchen an. Dimension zunimmt und immer durch- scheinender wird, bis es endlich ganz verschwindet. Um diese Zeit haben wir somit die grobkörnige centrale Kugel umgeben von der gequollenen Rinde, und in ihr eine helle, scheinbar homogene, wasserhelle Blase (Fig. 3 B). Eisessig endlich verwandelt alles in 200 R. Hertwig und E. Lesser: eine gleichmässige, wegen ihrer grossen Durchsichtigkeit kaum noch wahrnehmbare Masse, während essigsaures Kali, dessen die Ein- wirkung der starken KEssigsäurelösungen neutralisirende Eigen- schaften wir schon verschiedentlich besprochen haben, den Zustand wieder hervorruft, in den die erste Essigsäurewirkung den Körper versetzt hatte. In der hier gegebenen Schilderung vom Bau und dem mikro- chemischen Verhalten des Weichkörpers der A. spinifera ist die Deutung, welche wir seinen einzelnen Bestandtheilen geben müssen, schon so klar ausgesprochen, dass es kaum einer besonderen Durch- führung bedarf. Zunächst ist hervorzuheben, dass das Gebilde, welches Archer für ein Homologon der Binnenblase der Radio- larien, vielleicht aber auch nur für den Nucleolus eines Kerns hält, weder das eine noch das andere ist, sondern für sich allein schon den Formwerth eines Zellkerns besitzt, dass dasselbe nicht eine homogene Masse bildet, in die es erst durch die Ein- wirkung des Beale’schen Carmins verwandelt wird, sondern in seinem Innern noch ein ovales Körperchen, den Nucleolus, birgt. Dagegen scheint eine besondere Kernmembran nicht vorhanden zu sein, wie dieselbe ja auch bei vielen Kernen der Rhizopoden nicht hat nach- gewiesen werden können. Da das centrale Gebilde somit allein schon einem vollstän- digen Kern entspricht, kann der kugelige, homogene Theil des Körpers, in dem es enthalten ist, keinenfalls der Kern sein, eine Deutung, gegen die übrigens schon sein optisches Verhalten sprechen würde; derelbe bildet vielmehr einen besonderen different gewordenen Theil des Körperprotoplasma. Die Gründe, welche uns bestimmen, denselben einstweilen nur als Marksub- stanz und nicht als CGentralkapsel zu bezeichnen, sind früher schon erörtert worden. Ebenso können wir, was den Bau der Pseudopodien und die Fortbewegungsweise anlangt, auf früher Gesagtes verweisen. Ueber die Entwicklung der Acanthocystis spinifera liegen so gut wie keine Beobachtungen vor, da die Gebilde, welche Greeff?) für Entwicklungszustände der Acanthocystis hielt, wie Archer?) 1) L. e. pag. 495. 2) Quart. Journ. of mierose. science. 1869 und 70, pag. 44 des S.-A. Ueber Khizopoden und denselben nahestehende Organismen. 201 und wir!) gezeigt haben, selbstständige, den Monothalamien zuzu- rechnende Formen sind. Die ausserordentliche Kleinheit vieler von Archer und uns beobachteter, als A. spinifera durch ihr Skelet gut charakterisirter Exemplare weist auf einen wiederholten Theilungsprocess hin. Während ausgebildete Formen 0,03 mm., nach Greeff sogar 0,04mm. messen, haben wir Individuen von 0,007 mm. Durchmesser angetroffen. An denselben gelang es uns nicht, die Differenzirung einer Marksubstanz, sowie die Existenz eines Kerns nachzuweisen. Die Erkenntniss der genannten Struc- turelemente gelang erst an 0,015 mm. messenden Formen. Die Entwicklungsweise dieser Jugendlichen Acanthocystiden vermochten wir leider nicht festzustellen. Acanthoeystis aculeata. nov. spec. Tafel IV, Figur 2. Die Acanthocystis aculeata, welche wir hier als eine neue Art der Acanthocystiden aufstellen, unterscheidet sich von den übrigen Formen im Wesentlichen nur durch die Bildung des Skelets. Die Stacheln desselben sind ungefähr 0,015 — 0,02 mm. lang und sitzen auf einem 60,002 mm. breiten Basalplättchen (Fig. 2 A, a). Wie die Stacheln der A. spinifera, enden sie mit einer einfachen Spitze, sind jedoch derber wie diese und nicht gerade gestreckt, sondern nach Art der Dornen unregelmässig gebogen. Die Basal- plättchen sind im Gegensatz zu der regelmässigen Anordnung derselben bei A. spinifera wirr durch einander gelagert und bedingen hierdurch eine Störung der radiären Stellung der Stacheln. Es kommt dies daher, dass ausser den auf Basalplättchen fussenden Stacheln noch tangentiale Stücke zur Bildung des Skelets verwandt werden, welche sich zwischen die Basalplättchen drängen und so eine dichte kapselartige Zusammenfügung derselben ver- hindern. Die tangential gestellten Stücke sind bis zu 0,01 mm. messende, beiderseits abgestumpft endende Stäbchen, welche ent- sprechend der kugeligen Körperoberfläche leicht gekrümmt sind (Fig. 2 A, b). Ihre regellose Anordnung und die Einlagerung der 1) Diese Arbeit pag. 143; daselbst haben wir auch schon den, durch eine neuere Veröffentlichung Greeff’s nothwendig gewordenen Nachtrag gemacht, dass derselbe die Zusammengehörigkeit der Diplophrys mit der Entwicklung der A. spinifera nicht mehr annimmt. 202 R. Hertwig und E. Lesser: mit Stacheln bedeckten Basalplättchen verleihen dem Skelet der A. aculeata das charakteristische Aussehen eines aus Dornen ge- flochtenen Kranzes. Im Bau des Weichkörpers stimmt die A. aculeata so vollkom- men mit der A. spinifera überein, dass einer Uebertragung der dort geschilderten Verhältnisse nichts im Wege steht. Weil die grössere Dicke des Skelets die Beobachtung erschwert, gelang es uns zwar anfänglich nicht, die Anwesenheit des Kerns zu constatiren (er ist desshalb auch in der schon vor längerer Zeit angefertigten Zeich- nung weggeblieben), später haben wir jedoch häufiger Gelegenheit gehabt, ihn sowohl an lebenden, als auch an mit Essigsäure behan- delten Organismen nachzuweisen. Ebenso haben wir uns auch von der Abgrenzung des Endosarks und Ektosarks überzeugt, wenn auch der Unterschied weder im frischen Zustand noch auch nach Einwirkung der Essigsäure so deutlich als bei A. spinifera zu erkennen ist. Die ovalen oder runden, farblosen oder gefärbten Körper, welche ausser mehreren nicht prominirenden contrac- tilen Blasen im Ektosark in grösserer Anzahl angetroffen werden» konnten wir bei A. aculeata durch direete Beobachtung aus der aufgenommenen Nahrung ableiten, welche während der Assimilation in Stücke zerfällt. — Kömmt ein Infusor oder irgend ein anderer kleinerer Organismus mit dem Wald von Pseudopodien, den die Acanthocystis ausschickt, in Berührung, so wird er durch die offenbar für seinen Körper giftigen Eigenschaften derselben nach einigen Zuckungen gelähmt und allmählich an einem der Fangarme ins Innere der vor ihm auseinanderweichenden Schale hinabge- leitet. Nachdem er daselbst eine Zeit lang als ein unregelmässiger, wenn er farblos war, vom Ektosark kaum unterscheidbarer Körper gelegen hat, zerfällt er in eine Anzahl ungefähr gleich grosser, sich scharf gegen einander absetzender Stücke. Wird hierbei durch die Grösse und die dem Beobachter zugewandte Lagerung des in seinem Aussehen als solches nicht erkennbaren Beutestücks der eigentliche Körper der Acanthocystis vollkommen verdeckt, so ent- steht täuschend das Bild, als ob der letztere wie eine Furchungs- kugel in eine Anzahl Theilstücke zerfallen sei. Durch diese eigenthümlichen Verhältnisse haben wir uns selbst eine Zeit lang zur irrigen Annahme wichtiger Veränderungen, welche mit der Fortpflanzung in Beziehung ständen, verleiten lassen, was um so Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 205 verzeihlicher ist, als wir nach den oben angeführten Beobachtungen über Jugendformen von A. spinifera eine Vermehrung der Acantho- cystiden durch einen fortgesetzten Theilungsprocess für sehr wahr- scheinlich halten müssen. Auf unseren Irrthum wurden wir erst aufmerksam, als die für junge Acanthocystiden gehaltenen Theile mehr und mehr zerfielen und sich in die bekannten ovalen Körper umbildeten. Später gelang es uns, den Process der Verdauung in der oben beschriebenen Weise von Anfang an zu verfolgen. — Sind die zur Nahrung dienenden Organismen nicht farblos, sondern chlorophyligrüne Algenschwärmer, so verläuft selbstverständlich der Process der Assimilation in vollkommen gleicher Weise, nur mit dem Unterschied, dass anstatt der graubläulichen, ovalen oder kugeligen Körper sich Chlorophylikörner ausbilden. So wurden, als aus einer uns nicht näher bekannten Alge zahllose Schwärmer ausschlüpften, die bis dahin fast farblosen Acanthocystiden binnen Kurzem mit Chlorophylikörnern dicht gefüllt, während die kleinen Schwärmer massenhaft betäubt den Pseudopodien anhafteten. — Wir glauben hiernach annehmen zu dürfen, dass die Chlorophyll- körner nicht als nothwendig zum Bau und der Existenz der He- liozoen, bei denen sie vorkommen, angesehen werden dürfen und aus der Reihe der morphologisch wichtigen Körpereinschlüsse ge- strichen werden müssen. Ist die Verdauung beendet, so werden die Ueberreste in gleicher Weise, wie die Aufnahme Statt fand, den Pseudopodien entlang nach aussen befördert. Es tritt dann eine körnige Sub- stanz durch die Skeletstücke hindurch und fällt, an der Spitze der Pseudopodien angelangt, in eine Masse Körnchen auseinander, welche nunmehr in Molecularbewegung gerathen. Wir haben den- selben Vorgang bei A. spinifera beobachet und daselbst auch abge- bildet (Fig. 3). Bezüglich der übrigen Organisationsverhältnisse verweisen wir auf früher Gesagtes und fügen hier nur noch kurz die wichtigsten Maassangaben bei: Durchmesser des Weichkörpers (ohne Skelet) 0,02 — 0,03 mm., der Marksubstanz 0,012 —-0,02 mm., des Kerns 0,01 mm., des Kernkörpers 0,005 mm. 204 R. Hertwig und E. Lesser: Acanthoeystis turfacea. (Carter). Syn. Acanthocystis viridis. (Grenacher.) Die zuerst von Carter!), später von Grenacher?), Archer?) ‚und Greeff?) genauer beschriebene Acanthocystis turfacea°) bildet unter den Acanthocystiden nicht allein die grösste, sondern auch die in der Bildung des Skelets entwickeltste Art. Wir können bei derselben zweierlei Formen von radiären, mit Fussplättchen versehenen Stacheln unterscheiden. Die eine der- selben ist dünn und kurz, indem sie nur eine, dem dritten Theil des Körperdurchmessers ungefähr gleichkommende Länge besitzt, und endet mit einer weiten Gabelung; die andere ist derber und ungefähr doppelt oder dreifach so lang als die vorhergehende, während die beiden am peripheren Ende angebrachten Gabelspitzen klein und schwierig erkennbar sind. Beide Formen sind im Uebrigen gradgestreckte drehrunde Gebilde. Ob sie einen centralen Canal umschliessen, wie frühere Autoren von der längeren Art schildern, haben wir nicht genauer untersucht. Die Beweglichkeit der Stacheln ist eine beträchtliche. Wir konnten beobachten, wie sie an den Pseudopodien mit ihren Basal- plättchen anhaftend in die Höhe rutschten und wieder abwärts in ihre frühere Lage zurück getragen wurden. Ebenso erleiden sie bei der Fortbewegung des Organismus, wie schon Greeff und Carter angeben, eine Lageveränderung. Ob man durch diese Beobachtungen aber zu dem Schlusse berechtigt ist, dass sie in ähnlicher Weise wie die Stacheln eines Seeigels als Locomotions- apparate verwandt werden, scheint uns sehr zweifelhaft. Uns l) Ann. and Mag. of nat. hist. III. Voi. 12 pag. 263 und Vol. 13 pag. 36. 2) Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XIX pag. 289. 3) Quart. Journ. of microsc. science. 1869. 1870. $.-A. pag. 3. 4) Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. V. pag. 481. 5) Da wir wie Greeff die von Grenacher beschriebene Acantho- “ eystis mit der Carter’schen Form für identisch halten, restituiren wir den von Carter gegebenen Namen »A. turfacea« gegenüber der Bezeich- nung Grenacher’s »A. viridis« und zwar aus zweierlei Gründen, 1) weil Carter’s Name die Priorität besitzt, 2) weil wir die Bezeichnung »viridis« für eine auf alle anderen Acanthocystiden anwendbare, gar nicht charakte- ristische halten. Den Sinn des Namens »turfacea« haben wir freilich ebenso wenig als Greeff verstanden. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 205 machte es mehr den Eindruck, als würden sie passiv durch Streifen an umliegenden Körpern aus der Lage gebracht, gleichsam nach- geschleift. Durch die Länge der Stacheln und ihre lockere Be- festigung sind offenbar so ungünstige mechanische Verhältnisse gegeben, dass zu einer Verwerthung derselben als Hebelvorrichtungen wohl grössere Kraft erforderlich wäre, als man dem ungeformten Protoplasma zutrauen sollte. Unsere Beobachtungen über den Bau des Weichkörpers sind aus Mangel an Untersuchungsmaterial nicht so zum Abschluss gediehn, als bei den beiden vorangehenden Arten. Wir fanden das Protoplasma zwar in den centralen Partieen des Kugeligen Körpers homogen und ohne körnige Einschlüsse, in der Rinden- schicht dagegen körnig und von hier ganz besonders zahlreichen, ovalen, farblosen oder chlorophyligrünen, die Beobachtung er- schwerenden Körpern durchsetzt, aber wir vermochten nicht sicher zu entscheiden, ob beide Arten des Protoplasma sich mit einer deutlichen Linie gegen einander absetzten, wenn wir auch eine Difterenzirung, n Endosark und Ektosark nach Analogie unserer bei A. spinifera und A. aculeata gemachten Erfahrungen für sehr wahrscheinlich halten müssen. — Zwischen den Chlo- rophylikörnern der Rinde und nicht, wie Grenacher angiebt, in einer Lage nach innen von denselben fanden wir zahlreiche Vacuolen. In Uebereinstimmung mit Carter gelang es uns anihnen Contractilität nachzuweisen, während Greeff angiebt, dass er trotz vieler darauf verwandter Mühe ein plötzliches Colla- biren der Vacuolen nie habe beobachten können. Die contractilen Blasen bilden keine Hervorwölbungen des Protoplasma, sondern sind allseitig von einer dicken Rinde desselben umschlossen. Ferner haben wir uns von der Existenz des gleichfalls von Carter zuerst beobachteten Kerns sowohl an lebenden als auch an mit Essigsäure behandelten Acanthocystiden überzeugen können, Derselbe liegt etwas excentrisch, aber immerhin noch in dem homo- genen, centralen Protoplasma und besitzt eine ovale Gestalt. Eine besondere äusserste Schicht, welche als Kernmembran bezeichnet werden könnte, haben wir an ihm nicht erkennen können. Er ist im längsten Durchmesser bis zu 0,012 mm. gross, sein Kernkörper misst etwas mehr als die Hälfte Während Archer und Gre- nacher ihn übersehen haben, erwähnt Greeff eine offenbar dem beschriebenen Kern entsprechende »grössere Blase mit einer ver- 206 R. Hertwig und E. Lesser: hältnissmässig ebenfalls beträchtlichen. soliden Kernmasse«, welche er beim Zerquetschen der Acanthoeystis »zwischen zahlreichen klei- neren Blasen und Plasmatropfen stets nachweisen konnte«!). Für die Identität dieses Gebildes mit dem Kern spricht sowohl die von Greeff auf Taf. XXVI Fig. 12 gegebene Abbildung, als auch die Bemerkung, dass die sogenannte solide Kernmasse, welche offenbar als Nucleolus bezeichnet werden muss, in Essigsäure dunkelkörnig wie dieser gerinnt. Da somit die A. turfacea wie alle übrigen Heliozoen zu den einzelligen Organismen gehört, ist es unrichtig, wenn Greeff von »offenbar zelligen Gebilden«?) spricht, welche er im Körper der A. tur- facea nachgewiesen haben will. Die »ein kernartiges Gebilde um- schliessenden Blasen«, welche Greff wahrscheinlich hierbei im Auge hat und die er beim Zerdrücken der Acanthocystis erhielt, sind offenbar einfache Vacuolen, welche sich beim Absterben des Proto- plasma um die ovalen Körper der Rindenschicht gebildet haben. Bei Gelegenheit der Schilderung der Plagiophrys scutiformis haben wir schon darauf hingewiesen, wie die Vacuolenbildung, welche meistens im absterbenden Protoplasma stattfindet, mit Vorliebe im Anschluss an festere Körner und Körnchen zu Stande kommt. So finden sich denn auch unter den Blasen, welche Greeff in Fig. 11 der Taf. XXVI abbildet, nicht allein solche, welche um farblose Körper (»kernartige Einschlüsse«) entstanden sind, sondern auch an-, derweitige, deren Centren Chlorophylikörner bilden. Ein Structurverhältniss eigenthümlicher Art, welches Gre- nacher in dem Centrum des Körpers der Acanthocystis beobachtet hat, haben wir leider nicht wiederfinden können. Grenacher schil- dert dasselbe als veine ziemlich grosse, anscheinend mit wässriger Flüssigkeit erfüllte Höhlung von unregelmässiger Contour, indem sich durch buchtige Hervorwölbungen des Protoplasma eine un- regelmässig sternförmige Figur erzeugte«?). Genau im Mittelpunkt der Höhle soll sich »ausnahmslos ein winziges blasses Körperchen befinden, von dem aus zahlreiche, ebenfalls blasse feine Fäden wie Strahlen nach allen Richtungen hin verlaufen« *). Die Fäden hält 1) l. c. pag. 486. 2) 1. c. pag. 490. 3) 1. c. pag. 290. 4) l.c. pag. 292. 293. Pr WE Le ee A en Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 207 Grenacher für die Verlängerungen der Axenfäden der Pseudopodien, mit welchem Recht? muss ferneren Untersuchungen vorbehalten bleiben. — Ein und dieselbe Structur glaubt Greeff beobachtet zu haben !). Indem derselbe jedoch das centrale Körperchen nicht wie Grenacher von einer einfachen Umgrenzung umhüllt werden lässt, sondern noch einen inneren kleineren Kreis um dasselbe beschreibt, nähert sich seine Schilderung dem Bau des von uns als Kern be- zeichneten Gebildes?). Greeff lässt unentschieden, in welcher Be- ziehung die beim Zerquetschen herausgedrückte Blase (die wir als Kern in Anspruch genommen haben) und die im Centrum beobachtete sternförmige Figur zu einander stehen; er scheint jedoch geneigt zu sein sie für identisch zu halten, da er beide Bildüngen, die erstere in der Tafelerklärung, die letztere im Text, als Homologa der Cen- tralkapsel bezeichnet. Sömit ist auch das Verhältniss der stern- förmigen Figur Grenacher’s zum Kern noch ungenügend erkannt und bedarf erneuter Prüfung?). Schliesslich müssen wir noch eine sonderbare Erscheinung er- wähnen, die uns an einigen sonst normal entwickelten Acantho- ceystiden auffiel. — Die äussere Oberfläche der betreffenden Exemplare war mehr oder weniger dicht mit farblosen, sehr stark lichtbrechen- den kugeligen Körpern bedeckt, welche an Grösse ungefähr den Chorophylikörnern gleich kamen. Diese glänzenden Kugeln lagerten dicht auf den Basalplättchen der Stacheln auf, ohne indessen fest mit ihnen verbunden zu sein. Denn sie bewegten sich häufig zit- ternd in kleinen Oscillationen oder stiegen an den Pseudopodien auf und nieder; einzelne sahen wir sogar sich gänzlich von ihrem Platze loslösen und in lebhafter Bewegung zwischen den Stacheln hindurch 1) 1. c. pag. 487. 2) Diese Aehnlichkeit der Schilderung fällt noch mehr in den neuesten Publicationen Greeff’s auf. Hier spricht er von »einem verhältnissmässig grossen Körper, der aus zwei Schichten besteht, einer helleren äusseren und einer dunklen inneren« (dies ist offenbar der Kern). »Inmitten der letzteren und wie es scheint fast genau im Centrum der ganzen Acanthocystis liegt ein helles rundes oder ovales Bläschen, von welchem die merkwürdige sternförmige Ausstrahlung feiner Fäden ausgeht.« 3) Eine befriedigende Lösung der hier schwebenden Frage scheint durch die demnächst im vierten Heft des Arch. f. mikroskop. Anat. erschei- nenden Untersuchungen von F. E. Schulze über Raphidiophrys pallida an- gebahnt zu werden. Wir erlauben uns hier auf die daselbst gegebene Schil- derung zu verweisen. 208 R. Hertwig und E. Lesser: sich an eine andere Stelle der Körperoberfläche begeben. Von Wim- pern oder anderen Bewegungsorganen konnten wir nichts wahrnehmen. Ebenso wenig haben wir eine Befestigung der Kugeln an dem Kör- per beobachten können, indessen scheint hierfür zu sprechen, dass wir einmal verfolgen konnten, wie einige der Kugeln zusammen mit zwei Stacheln an einem Pseudopodium hinaufrückten und ohne mit dem einen oder dem anderen in Verbindung zu stehen mit gleicher Geschwindigkeit wie die Stacheln sich fortbewegten. Es machte den Eindruck, als würden sie von einem ausserordentlich feinen unsicht- baren Protoplasmafaden vorwärts gezogen. — Wir sind leider nicht im Stande, eine Deutung der eigenthümlichen Gebilde zu geben und können die Beobachtung einstweilen nur als Curiosum hier mittheilen. Hiermit schliessen wir die Betrachtung der Acanthocystiden !) und wenden uns zu einer Formulirung der Diagnose des Genus und seiner drei Species. Acanthocystis. Skelet vorwiegend aus Stacheln, welche mit einem Basalplättchen versehen sind, gebildet; Weichkörper aus einem homogenen Endosark und einem Körnchen und Körner führenden Ektosark zusammenge- setzt?); im Endosark der stets einfache Kern, im Ektosark mehrere contractile Blasen; Pseudopodien dünn, ausserordentlich lang, körn- chenreich, unverästelt (aus körniger Rinde und einem hyalinen Axen- _ faden bestehend?). A. spinifer.a. Stacheln ausserordentlich zart und spitz, genau radiär angeord- net; Basalplättchen durch dichte Aneinanderfügung zu einer hohl- kugelförmigen Kapsel vereint. 1) Da wir nicht auf Grund eigener Beobachtungen die vonSchneider gemachten Angaben über die Entwicklung der Acanthocystis turfacea beur- theilen können, die Gründe aber, warum wir die Acanthocystiden ebenso wenig wie die übrigen Heliozoen zu den Radiolarien rechnen, schon mehrfach erörtert haben, glauben wir von einer Besprechung der in der Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXI. pag. 505 erschienenen Arbeit Schneider’s Abstand nehmen zu dürfen. 2) Archer nimmt eine die Basen der Skeletstacheln umhüllende Sar- kodeschicht an. Wir sehen nicht ein, warum wir die meist nicht nachweis- baren, aber jedenfalls vorhandenen Spuren eines protoplasmatischen Kittes der Skelettheile hier sowie bei anderen skeletführenden Heliozoen als eine besondere Lage bezeichnen sollen. ee en en + or Be De A ae ee } | Ne) Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 20 A. aculeata. Stacheln dornig gebogen mit einfacher Spitze; eine regelmässige Anordnung der Basalplätichen durch dazwischen gelagerte tangen- tiale Stäbchen verhindert. A. turfacea. Stacheln in zwei verschiedenen Formen vorhanden; die eine Form kurz, dünn, weit gegabelt; die andere lang, derb, (hohl?), kurz gegabelt; keine tangentialen Stäbchen vorhanden. 4. Genus. Pinacoeystis rubieunda. nov. gen. et nov. spec. Tat. IV. Big. 5, In Seewasser'!). welches wir zu anderweitigen Zwecken aus Cöln bezogen hatten und welches wir einer kurzen Prüfung auf Rhizopoden unterwarfen, hatten wir Gelegenheit zwei zierliche, uns neue beschalte Heliozoen nachzuweisen, von denen wir die eine als Vertreterin eines neuen Genus ansehen müssen. Wir haben dieselbe als Pinacocystis bezeichnet und zwar wegen der Form ihres Skelets. Dasselbe besteht nämlich aus einer Summe isolirbarer Täfelchen, welche eines dicht neben dem andern gelagert sind und zu einer fest geschlossenen Kapsel vereint werden. Hierdurch gewinnt das Skelet grosse Achnlichkeit mit dem Skelet der Acanthocystis spini- fera, welches so lange, als man die auf den Täfelchen sitzenden Stacheln wegen Anwendung schwacher Vergrösserungen übersieht, auch nur den Anblick einer aus einzelnen Täfelchen gebildeten Kap- sel gewährt. Doch ist die Zusammensetzung aus einzelnen Stücken bei Pinacocystis, wo die Täfelchen etwas zugeschärfte Ränder be- sitzen, viel deutlicher als bei A. spinifera, wo sie meist selbst mit stärkeren Vergrösserungen nur ungenügend erkannt wird. 1) Die Anzahl der Vertreter der Heliozoen im Seewasser ist zur Zeit noch eine sehr geringe; indessen wird, wie wir vermuthen, eine genauere Kenntniss der Meeresfauna uns noch manche Bereicherung der Classe ge- winnen lassen. Wir machen hierauf aufmerksam, um das Irrige der so ge- bräuchlichen Bezeichnung Süsswasserradiolarien darzuthun, und um zu zeigen, wie wenig es mit der geographischeu Verbreitung der Heliozoen übereinstimmt, dieselben als eine in der natürlichen Züchtung gegenüber den marinen For- men zurückgebliebene Gruppe aufzufassen (Greeff, Arch, f. mikr. Anat. V. pag. 464). M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 10. Supplementheft, 14 210 R. Herwig und E. Lesser: Auch im Bau des Weichkörpers, welcher von der Schale stets durch einen Zwischenraum getrennt wird, stehen die Pinacocystiden den Acanthocystiden sehr nahe. Mit grosser Klarheit konnten wir die Differenzirung desselben in ein Endosark und Ektosark nachweisen. Das letztere ist von zahlreichen Körnchen und Körnern terra de Sienna- farben bis rostbraun. Das homogene Protoplasma des ersteren bil- det eine mattbläuliche allseitig von der gefärbten Rinde umgebene Kugel, deren Durchmesser zum Durchmesser des ganzen Körpers sich wie 2zu 5 verhält und bei grossen Exemplaren bis zu 0,025 mn. betragen kann. Wie bei den Acanthocystiden liegt das Endosark auch hier meist etwas excentrisch. — EinenKern von ovaler Form und ungefähr 0,01 mm. Durchmesser haben wir mit Sicherheit im Endosark erkennen können; dagegen gelang es uns nicht das Bild des Kernkörperchens, an dessen Existenz wir übrigens nicht zweifeln, so genau einzustellen, dass eine Messung möglich gewesen wäre. Die intensive Färbung der Rindensubstanz verhinderte einen genauen Einblick in die feineren Details der Organisation. Wegen derselben sind wir auch nicht im Stande zu entscheiden, ob der Mangel eines Nachweises von contractilen Vacuolen aus dem Fehlen derselben oder aus der Ungunst der Beobachtungsverhältnisse erklärt werden muss. Die Pseudopodien, welche durch die zwischen den Plättchen des Skelets bleibenden Lücken hervortreten, sind minder zahlreich und kürzer als bei den Acanthocystiden. In allen anderen Stücken stimmen sie mit ihnen überein. Wegen der vielfachen Uebereinstimmung im Bau des Weich- körpers und des Skelets wären wir geneigt gewesen, die Pinacocystis und Acanthocystis zu einem Genus zu verschmelzen; denn offenbar bilden die Pinacocystiden die unentwickeltere Vorstufe der Acantho- cystiden und stehen der A. spinifera ebenso nahe, als diese der A. turfacea. Indessen hielt uns der Name Acanthocystis zurück, da derselbe die Zusammensetzung des Skelets aus Stacheln betont. Wir werden daher zweckmässig die Pinacocystis als ein selbststän- diges Genus definiren !). 1) In den mehrfach eitirten Marburger Sitzungsberichten vom Novem- ber 1873 beschreibt Greeff eine »Süsswasserradiolarie« unter dem Namen Pinaciophora fluviatilis, welche wahrscheinlich der hier als Pinacocystis ge- schilderten Form nächstverwandt ist. Der Körper derselben soll aus einem Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 211 Pinacocystis rubicunda. Skelet aus einzelnen kapselartig ameinander geordneten runden Täfelchen gebildet, ohne Anhänge; Weichkörper aus Endosark und Ektosark zusammengesetzt; im ersteren der stets einfache Kern, im letzteren zahlreiche kleinere und grössere terra de Sienna — farbene Körnchen; Vacuolen wahrscheinlich fehlend. 5. Genus. Heterophrys. (Archer.) Das Genus Heterophrys wurde von Archer im Quart. Journ. of Microse. Science im Jahre 1869 aufgestellt und im Anschluss an zwei demselben zugehörige Arten, die H. myriopoda und H. Fockii ausführlicher beschrieben. Nach der Schilderung des britischen Forschers, aus welcher wir die beiden Arten gemeinsamen, für das Genus charakteristischen Eigenthümlichkeiten im Bau im Folgenden hervorheben, soll der Körper der Heterophryen eine scharfeontourirte Kugel bilden und nach aussen von einer skeletlosen Sarkodelage umgeben sein, welche mit den von der inneren Kugel ausgehenden, die Rinde durchbohrenden Pseudopodien nirgends verschmolzen ist. Von der Oberfläche dieser äussern Sarkodeschicht sollen sich all- seitig randständige Fortsätze erheben, welche sich aus der nach innen zu körnigen Sarkode »durch eine Art linearer Anordnung ihrer Substanz« hervorbilden und bei H. myriopoda als einfache »spitze lineare Verlängerungen« derselben geschildert werden !). — Kerne wurden bei keiner der beiden Arten beobachtet, contractile röthliche Körnchen enthaltenden Protoplasma bestehen, eine verhältnissmässig grosse als Centralkapsel gedeutete, hyaline Kugel (Endosark) umschliessen, in welche ein kleineres ebenfalls kugeliges Gebilde von feinkörniger Substanz liegt (wahrscheinlich der Kern). Dagegen soll das Skelet aus ovalen, an den Längsenden zugespitzten, mit zahlreichen Poren zum Durchtritt der Pseudo- podien versehenen Täfelchen bestehen, was auf unsere Pinacocystis, deren Plättchen rund und undurchbohrt sind, nicht passen würde. 1) Wir geben hier in Anmerkung die Diagnose, welche Archer vom Genus Heterophrys |. c. pag. 49 giebt: Rhizopod composed of two distinct sarkode regions — the inner one or several dense, globular sarkode masses often bearing colouring granules — the outer forming a complete investment there — to, more or less coloured, not enclosing any spicula or differentiated structures, but giving of at the circumference marginal processes, and allowing the passage forth from the inner sarkode mass of numerous linear, elongate, granuliferous non — coalescing pseudopodia. 212 R. Hertwig und E. Lesser: Blasen nur bei der H. Fockii, wo sie buckelförmige Hervorwölbungen der inneren Kugel bildeten, somit innerhalb der äussern Sarkode- schicht gelagert waren. Wenn in der That die von uns beobachteten Formen der Gat- tung Heterophrys zugerechnet werden müssen, was uns besonders wegen der Aehnlichkeit der von Archer gegebenen Abbildung der H. myriopoda mit unserer H. marina, sowie mancher Anhaltspunkte in der Schilderung im höchsten Grade wahrscheinlich erscheint, so bedarf nach unseren Beobachtungen die von dem britischen Forscher gegebene Charakteristik in einigen für das Verständniss des Orga- nismus wichtigen Punkten einer Abänderung. Das, was der von Archer als äussere skeletlose Sarkodelage bezeichneten Schicht ent- sprechen würde, ist bei den von uns als Heterophrys benannten Formen nicht körniges Protoplasma, sondern, wie die Einwirkung von Reagentien lehrt, ein Skelet von ausserordentlicher Feinheit, so dass unsere stärksten Vergrösserungen nur eine ungenügende Auflösung seiner Zusammensetzung erlauben. Vom Körper durch einen mehr oder minder grossen Zwischenraum getrennt und, wie es scheint, nur durch die Pseudopodien mit demselben verbunden, lagert eine Schicht von Körnchen, Pünktchen und feinsten Strichen, auf der in mehr oder minder regelmässiger radialer Anordnung sich feinste Stacheln erheben. Wie sehr nun auch das Skelet auf den ersten Blick den Eindruck eines lockeren und vergänglichen Gefüges macht, so besitzt es gleichwohl eine beträchtliche Cohaerenz. Wir konnten nie beobachten, dass sich Theile desselben, so lange der Organismus am Leben war, abgelöst hätten, ebensowenig wie durch das Absterben desselben ein Zerfall des Skelets herbeigeführt wird. Die schein- bar körnige Schicht kann somit wohl kaum aus verklebten Körn- chen bestehen, da dieselben schwerlich untereinander so fest zu- sammenhängen möchten, dass sie für die aufsitzenden Stacheln eine sichere Unterlage bilden könnten, sondern wird offenbar ein festeres Gefüge besitzen. Wenn wir nun analoge Verhältnisse berücksich- tigen und in Betracht ziehen, wie die feinsten Netzwerke der reti- culären Bindesubstanz und der elastischen Fasern schliesslich auch nur das Bild eines Haufens zusammengeballter Körnchen ergeben, so liegt es nahe, hier an ein ähnliches spongiöses Gerüst, wie es Häckel für manche Radiolarienschalen schildert, nur von viel grösserer Feinheit, oder wenigstens an ein nach Art des Schwamm- sefüges aus Nadeln zusammengefilztes Skelet zu denken. Es würde Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 213 sich hieraus das bald mehr körnige bald gestrichelte Aeussere der die Grundlage bildenden Schicht, die Befestigung der Stacheln und der Zusammenhalt des Ganzen aufs einfachste erklären und somit das Skelet sich an die aus Nadeln und Stacheln gebildeten Skelet- formen anreihen. Der Bau des Weichkörpers scheint mit den bei Acantho- cystis geschilderten Verhältnissen: überein zu stimmen, indessen er- lauben unsere Beobachtungen zur Zeit noch keine eingehende ge- meinsame Betrachtung desselben. Heterophrys marina. nov spec. Taf. IV. Fig. 4. Die Heterophrys marina ist, wie ihr Speciesname besagt, eine das Meerwasser bewohnende Heliozoe. Ihr Skelet ist von der Oberfläche des 0,025— 0,03 mm. grossen Körpers durch einen schmalen, schwer wahrnehmbaren Zwischenraum getrennt und bildet eine ver- hältnissmässig breite bis zu 0,01 mm. messende Schicht. Die Dicke dieser Schicht vertheilt sich ungefähr zu gleichen Theilen auf die äussere von radiären Stacheln gebildete und auf die innere körnig erscheinende Lage. Letztere ist hier ganz besonders klar und mächtig entwickelt, während die Stacheln zwar zahlreich, aber ausser- ordentlich zart und schwer erkennbar sind. In Eisessig werden beide Theile des Skelets sehr durchsichtig und aufgehellt, in Salz- säure sind sie nicht mehr erkennbar. Bei der ausserordentlichen Zartheit der Gebilde lässt sich jedoch aus diesem Verhalten nicht der Schluss ziehen, dass sie durch das Reagens gelöst worden sind, da sie möglicherweise nur in Folge zunehmender Durchsichtigkeit verschwinden. Im Uebrigen würde auch, wenn die Salzsäure lösend einwirkte, dies kein Beweis gegen die Skeletnatur der Schicht sein, da unzweifelhafte Skeletbildungen, wie z. B. die Schale der Plagio- phryen der Einwirkung starker Mineralsäuren nicht zu widerstehen vermögen, da ferner die ausserdem allein noch mögliche Annahme, dass wir eine Sarkodeschicht vor uns haben, durch die Persistenz der feinen Stacheln in Essigsäure widerlegt wird. Wären dieselben Protoplasma, so müssten sie ganz wie die Pseudopodien schon in dünnen Säuren schmelzen. Der Weichkörper lässt in vorzüglicher Weise die bei Acan- thoeystis spinifera ausführlicher geschilderte Differenzirung in Ek to- sark und Endosark erkennen, indem ersteres eine stark körnige 214 R. Hertwig und E. Lesser: Rinde von schwankender Dicke, letzteres eine bis zu 0,018 mm. messende Kugel bildet, welche etwas excentrisch gelagert ist und im frischen Zustand hell und homogen, bei Zusatz dünner Essig- säure dunkel körnig geronnen erscheint. Die Deutlichkeit der ge- schilderten Verhältnisse wird zum Theil durch den gänzlichen Mangel an Chlorophylikörnern bedingt, durch welchen sich die Hetero- phrys marina vor den meisten anderen Heliozoen auszeichnet. Bei allen von uns untersuchten Exemplaren waren nur farblose, ovale Körper von den verschiedensten Grössen bis zu den kleinsten Körn- chen herab in der Rindenschicht vorhanden, dazwischen die schon früher bei Gelegenheit der Besprechung des Cochliopodium erwähn- ten, dem rhombischen System angehörigen scharf contourirten Kry- stalle. — Contractile Blasen haben wir nicht beobachtet; in- dessen wagen wir nicht aus dem Mangel des Nachweises ohne Wei- teres auf das Fehlen derselben einen Schluss zu ziehen, da wir aus Erfahrung wissen, wie leicht sie übersehen werden und da die An- zahl der von uns beobachteten Exemplare keine beträchtliche war. — Innerhalb des Endosarks haben wir einen 0,005 mm. grossen ovalen Kern mit einem nur um Weniges kleineren Kernkörper in der bei Acanthocystis spinifera beschriebenen excentrischen Lage nachweisen können. Die Pseudopodien sind zahlreich und mit auf- und abstei- genden Körnchen bedeckt. Ihre Länge erreicht ungefähr das Dop- pelte des Körperdurchmessers und ist demnach nicht so beträchtlich als bei den Acanthocystiden. Die geschilderte Heterophrys ist, wenn wir annehmen, dass die sogenannte Sarkodelage Archer’s in der That nicht aus Sarkode besteht, sondern ein Skelet von einem im Obigen geschilderten Bau vorstellt, der H. myriopoda des englischen Forschers sehr ähnlich. Wer wie wir dem Mangel der Chlorophylikörner keine systematische Bedeutung beimisst, könnte sogar an eine Identität beider Organis- men denken. Dagegen muss jedoch eine Anzahl von Charakteren geltend gemacht werden, welche, wenn sie auch an und für sich un- wichtig sind, in ihrer Gesammtheit doch einen bestimmenden Einfluss auf uns ausüben. Archer’s Heterophrys ist bedeutend grösser, ihr Skelet mächtiger entwickelt und bräunlicher gefärbt, die Pseu- dopodien kürzer als bei unserer Art. Ferner ist H. myriopoda eine Süsswasserform, die H. marina gehört der Meeresfauna an, wiewohl diese Verschiedenheit des zum Aufenthalt dienenden Medium, wie Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 215 das Beispiel der im Meer- und Süsswasser lebenden Cyphoderia lehrt, keine grosse Bedeutung besizt. Vorläufig erscheint es uns jeden- falls zweckmässig, die H. marina und H. myriopoda als selbst- ständige Arten zu behandeln !). Heterophrys spinifera. nov. spec. Taf. Va ERig.\s; Die zweite unserer Heterophryen ist eine Süsswasserform. Das Skelet derselben unterscheidet sich vom Skelet der H. marina durch die beträchtliche Länge der Stacheln, welche bis zu 0,02 mm. messen und eine im Wesentlichen regelmässig radiäre Anordnung einhalten, sowie durch die Dünne?) der den Stacheln zur Unterlage dienenden Körnerschicht. Ferner ist der bei H. marina fast ver- schwindende Zwischenraum zwischen Körperoberfläche und Skelet hier ausserordentlich viel beträchtlicher. Der relativ kleine Körper schwebt frei in der durch die körnige Schicht gebildeten Hohlkugel und ist nur durch die Pseudopodien in seiner Lage fixirt. Von einer protoplasmatischen Zusammensetzung der körnigen mit Stacheln versehenen Schicht kann hier noch weniger als bei der vorangehen- den Form die Rede sein, da dieselbe in concentrirter Salz- und Schwefelsäure unverändert bleibt. Durch die genannten Reagentien wird noch nicht einmal ein Auseinanderfallen der Skelettheile be- dingt>). 1) In seinen neuesten Mittheilungen schildert Greff ebenfalls die H. myriopoda. Auch er hält die Skeletschicht für eine Sarkodelage. 2) In der Abbildung ist diese Schicht nicht genau im optischen Quer- schnitt, sondern etwas körperlich gezeichnet, so dass sie dadurch etwas dicker erscheint als sie in Wirklichkeit ist. 3) Wenn wir uns die Stacheln entfernt denken, würde das Skelet der H. spinifera vollkommen mit dem Skelet der von Cienkowski (Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. I. pag. 225) als Nuclearia beschriebenen Heliozoe überein- stimmen, da dasselbe weiter Nichts als eine dünnwandige Hohlkugel von Strichen und Körnchen darstellt (efr. Anm. auf pag. 59). In einer demnächst im 4. Heft des X. Bandes des Arch. f. mikrosk. Anat. erscheinenden und uns desshalb im Manuscript zugängigen Arbeit reiht F. E, Schulze diesen Orga- nismus den Heterophryen an. Um Missverständnissen vorzubeugen, wollen wir hier gleich bemerken, dass nach der Fassung, welche wir dem Genus der Hetero- phryen geben, derselbe sich nicht hier unterordnen lässt. Unsere H. marina. welche wir als Typus der von uns als Heterophryen bezeichneten Organismen 216 R. Hertwig und E. Lesser: Ueber den Bau des central gelegenen Körpers können wir leider zur Zeit nicht sicheren Aufschluss geben, da wir die betreffen- den Organismen am Anfang unserer Beobachtungen, wo wir auf manche Organisationsverhältnisse der Heliozoen noch nicht aufmerk- sam geworden waren, untersucht haben. Nach unsern Aufzeichnun- gen ist der Körper eine Kugel von 0,02 mm. Durchmesser, welche dicht unter der Oberfläche zahlreiche leuchtend grüne Chlorophyll- körner, in seinem Centrum eine dunkle nicht ganz deutlich contou- rirte Kugel birgt. Ob dieselbe als Kern oder als Marksubstanz, welche ausserdem noch einen Kern umschliesst, aufgefasst werden muss, können wir leider nicht sicher entscheiden, da wir den Rhi- zopoden nicht wieder gefunden haben. Wenn wir aber bedenken, dass bei allen Heliozoen die Marksubstanz stets leichter erkannt wurde als der Kern, will es uns wahrscheinlicher dünken, dass auch hier das geschilderte Bild durch die Marksubstanz, mit der es seinem Aeusseren nach auch mehr als mit dem Kern übereinstimmt, her- vorgerufen wurde. — Auf der Körperoberfläche der H. aculeata prominiren lebhaft pulsirende contractile Blasen, deren wir einmal nicht weniger denn 4 auf der dem Beobachter zugewandten Seite des Untersuchungsobjectes zählten. — Die vom Körper allseitig aufstellen, besitzt nur einen Kern, die H. varians eine grössere Anzahl‘; der Körper der H. marina besteht aus Endosark und Ektosark, das Proto- plasma der H. varians ist im Wesentlichen in allen Schichten gleichmässig. Die Pseudopodien unserer beiden Heterophryen sind körnig und unverästelt, die der H. varians homogen, breiter, zuweilen auch verästelt. — Da dieser Ver- schiedenheiten wegen eine generische Trennung zweifelsohne nothwendig ist, fragt es sich, für welchen Theil die Bezeichnung Heterophrys am besten bei- behalten wird. Da scheinen uns denn die von uns als Heterophrys bezeich- neten Organismen in der Form des Skelets, im Bau der Pseudopodien, in der gesammten (stets kugeligen) Körperform mehr mit den Heterophryen Archer’s namentlich der H. myriopoda übereinzustimmen als die H. varians. Die An- gabe Archer’s, dass die Chlorophylikörner der H. myriopoda in Form einer Hohlkugel angeordnet sind, macht es uns sogar wahrscheinlich, dass hier eine Differenzirung in Ektosark und Endosark vorliegt. — Mit der Heterophrys varlans F. E. Schulze’s offenbar identisch ist die neuerdings von Greeff (l- e.) in einer vorläufigen Mittheilung kurz charakterisirte Heliophrys varia- bilis. Die Gebilde, welche daselbst als »Central-Kapseln« beschrieben werden, sind, wie aus der Schilderung unzweifelhaft hervorgeht, einfache Zellkerne mit Kernkörperchen, Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 217 ausstrahlenden Pseudopodien sind feinkörnig und erreichen eine be- deutende Länge (bis zum fünffachen des Körperdurchmessers). Wie aus der voranstehenden Besprechung hervorgeht, kann die Uebereinstimmung, welche wir für das Skelet der beiden Hetero- phryen nachweisen konnten, aus Mangel an Beobachtungen nicht in gleicher Weise auch auf den Weichkörper ausgedehnt werden. Da wir aber dieselbe für wahrscheinlich halten, haben wir gleichwohl beide zu einem Genus vereint. Um eine bestimmte Genusdefinition zu ermöglichen, legen wir derselben den Bau der H. marina als der besser bekannten Form zu Grunde und überlassen es zukünftigen Beobachtungen die im hohen Grade wahrscheinliche Zugehörigkeit der vorläufig als H. spinifera bezeichneten Form weiterhin zu begründen. Heterophrys. Skelet aus einer körnig erscheinenden, wahrscheinlich spongiösen Grundlage mit zahlreichen, derselben aufsitzenden Stacheln gebildet; Körper in Endosark und Ektosark differenzirt; im Endosark der stets einfache Kern, im Ektosark (wahrscheinlich stets) die contrac- tilen Blasen; Pseudopodien lang, körnig, unverästelt, anastomosenlos. H. marina. Stacheln kurz, körnige Schicht dick, vom Körper nur durch einen schmalen Zwischenraum getrennt. H. spinifer a. Stacheln lang, Körnerlage dünn; Zwischenraum zwischen Körper und dem eine Hohlkugel bildenden Skelet beträchtlich; zahlreiche contractile Blasen. 6. Genus. Raphidiophrys. (Archer). Das Genus Raphidiophrys wurde von Archer!) für Rhizo- poden aufgestellt, deren Körper aus zwei Lagen besteht, einer inneren 1) Quart. Journ. of microsc. science. 1869. 1870 S. A. pag. 6 und 45. An letzterem Ort giebt Archer folgende Definition des Genus Raphidiophrys: Rhizopod composed of two distinet sarcode regions — the inner forming one or several rounded individualized definitely bounded hyaline sarcode masses each containing a subperipheral stratum of colouring granules — the outer more or less coloured, soft and mobile, bearing numerous elongate irre- gularly scattered siliceous spicula, acute at both ends and forming a common investment to the inner globular masses, which latter give off long slender, non-coalescing pseudopodia. 218 j R. Hertwig und E. Lesser: Chlorophylikörner führenden Kugel und einer dieselbe umhüllenden, äusseren, zarten Sarkodeschicht, in der zahlreiche tangential gestellte, beiderseits zugespitzte Nadeln lagern. Entsprechend unserem bei früheren Gelegenheiten eingehaltenen Verfahren vermeiden wir es, die spärlichen Protoplasmamengen, welche die einzelnen Skeletstücke verkitten und zusammenhalten, als eine besondere Schicht zu be- zeichnen und definiren demnach die Raphidiophryen als Heliozoen, deren einschichtiger Sarkodekörper nach aussen von einer aus zahlreichen Nadeln gebildeten Skeletschicht umhüllt wird. Nach der Form der Nadeln, deren Verschiedenheiten zur Charakteristik der einzelnen Arten benutzt werden müssen, unterscheiden wir von der durch Archer’s Untersuchungen bekannt gewordenen Raphidiophrys viridis eine neue Art als R. elegans. Raphidiophrys elegans. nov. spec. Taf, IV.YÜEieil. Die Skeletnadeln der R. elegans unterscheiden sich von denen der R. viridis durch ihre stärkere Krümmung, so wie durch die Form ihrer Enden, welche beiderseits hakenförmig umgebogen und ausserdem abgestumpft und nicht wie bei R. viridis fein zuge- spitzt sind. Man kann sie ovalen Kettenringen vergleichen, denen auf einer der Längsseiten ein Stück des Umfangs ausgebrochen ist. Wie diese findet man sie häufig mit ihren hakenförmigen Enden aneinander gekettet. Sie bilden eine breite Lage, welche von der Körperoberfläche stets durch einen schmalen Zwischenraum getrennt bleibt, und ziehen sich festonartig an den Pseudopodien in die Höhe, indem sie dieselben ganz so, wie es Archer bei R. viridis schildert, mit Einscheidungen versehen. Zwischen den Nadeln konnten wir, besonders. deutlich nach Essigsäurezusatz, spärliche Körnchen wahr- nehmen und deuten wir dieselben auf geringe Spuren Protoplasma, welche von den Pseudopodien entspringend die locker gefügten Skeletstücke vereinigen. | Der Weichkörper war meistentheils, jedoch nicht immer mit Chlorophylikörnern reich beladen; wo dieselben fehlten, fanden sich die auch sonst zwischen und neben ihnen vorkommenden ovalen fettglänzenden Körper um so zahlreicher entwickelt. Nahezu in der Mitte der vom Körper gebildeten Kugel konnten wir häufig einen 0,01 mm. messenden Kern mit einem bis zu 0,006 mm. grossen Kernkörperchen erkennen. Bei einigen Exemplaren waren \ | | | F t r R B Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 219 Kern und Kernkörper in die Länge gezogen und bisquitförmig ein- geschnürt, ohne dass im Lauf der Beobachtung jedoch eine Theilung eingetreten wäre. Dieselbe Beobachtung haben wir auch an den Kernen anderer Rhizopoden häufig wiederholt. — Contractile Blasen haben wir ebenso wenig wie Archer nachweisen können, sowie wir auch Nichts darüber mittheilen können, ob die von Chloro- phylikörnern freien Partieen des Gentrums sich als Endosark gegen- über der Rinde als dem Ektosark mit einer scharfen Abgrenzungs- linie absetzen. — Die Pseudopodien, welche Archer als homogen schildert, sind bei unserer R. elegans stets mit Körnchen besät, ausserordentlich lang und dünn. Einige Male fanden wir eine grössere Anzahl Raphidiophryen zu einem Haufen vereinigt. Diese Vereinigungen unterschieden sich von den bei Actinophrys sol geschilderten ähnlichen Vorkommnissen durch die lockere Art und Weise, in welcher die einzelnen Indivi- duen untereinander verknüpft waren. Jedes derselben hatte seine Kugelgestalt vollkommen beibehalten und war mit den 3—4 be- nachbarten durch schmale Protoplasmabrücken verbunden, aufdenen _ die Körner und Körnchen von einem Körper in den anderen über- strömten. Dagegen waren die Skelettheile zu einer gemeinsamen Lage vereint, in der man nicht mehr die den einzelnen Individuen zu- kommenden Antheile unterscheiden konnte, obwohl vermöge ihrer Anordnung die Pseudopodien sich vielfach kreuzten, kam es gleich- wohl nirgends zur Bildung von Anastomosen, welche bei den conju- girten Actinophryen, wie wir gesehen haben, gar nicht selten ange- troffen werden. — Abweichend von unserer Deutung hält Archer die hier geschilderten colonieähnlichen Vereinigungen für ein ein- ziges Individuum, indem er die verschmolzene Skeletschicht für den mit Skeletnadeln versehenen Protoplasmakörper hält, in der anstatt der sonst einfachen Sarkodekugel mehrere derselben eingelagert seien. Diese Auffassungsweise lässt sich keinesfalls aufrecht erhal- ten. Denn nicht in der spärlichen Skeletsarkode, sondern in den innern Protoplasmakugeln ist der Sitz der Individualität zu suchen. — Ueber die Bedeutung, welche die hier geschilderten Vereinigun- gen wahrscheinlich besitzen, haben wir schon bei Gelegenheit der Actinophrys sol ausführlicher gesprochen. Da wir in der vorliegenden Schilderung in manchen Punkten von Archer abweichen, sehen wir uns veranlasst eine neue Defi- nition des Genus Raphidiophrys zu geben. 220 R. Hertwig und E. Lesser: Raphidiophrys. Skelet aus tamgential gestellten leicht gekrümmten Nadeln gc- bildet; Körper einkernig (wahrscheinlich in Endosark und Ektosark differenzirt; ob contractile Vacuolen vorhanden, zweifelhaft); Pseudo- podien körnchenreich, sehr lang und unverästelt. Raphidiophrys elegans. Jede Skeletnadel endet beiderseits mit einem stumpfen haken- förmig umgebogenen Ende. 7. Genus. Hyalolampe. (Greeff). Syn. Pompholyxophrys. (Archer). Das ‚letzte Genus der Heliozoen mit locker verbundenen Skeletstücken, welches wir im Folgenden beschreiben werden, wurde unabhängig von einander von Archer!) und Greeff?) aufgestellt und von ersterem als Pompholyxophrys, von letzterem als Hyalo- lampe benannt. Da die Arbeiten, in denen die beiden Forscher ihre Schilderung veröffentlichten, »ahezu gleichzeitig erschienen sind, kann von einem Recht der Priorität, welches Archer für sich in Anspruch nimmt, hier füglich nicht die Rede sein, und wählen wir den von Greeff gegebenen Namen Hyalolampe anstatt des schwerfälligen Archer’schen Pompholyxophrys. Wir werden hierzu ausserdem dadurch veranlasst, dass die Schilderung, welche Greeff giebt, im Allgemeinen eine richtigere Vorstellung der Organismen giebt, als die des englischen Forschers. Charakteristisch für das Genus Hyalolampe ist die Structur des den Körper allseitig umgebenden, von ihm durch einen schmalen Zwischenraum getrennten (Archer), zierlichen Kieselskelets. Das- selbe setzt sich aus kleinen Kügelchen zusammen, welche in mehreren Lagen übereinander angeordnet sind, ohne zu einem zusammenhängenden Stück verschmolzen zu sein. Man kann durch einen gelinden, den Organismus noch nicht tödtenden Druck einzelne derselben absprengen. Ferner lässt sich nachweisen, dass sich die Kügelchen auch normaler Weise zeitweilig, wenn verdaute Nahrungskörper durch die Schale nach aussen transportirt werden 1) Quarterly etc. 1869, 1870. S. A. pag. 19 und 47. 2) Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. V. pag. 501. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 221 sollen, ablösen und an den Faeces hängen bleiben, ohne wieder mit dem Organismus in Verbindung zu treten. Es kann nach diesen Beobachtungen von einem festen, zusammenhängenden Ge- füge keine Rede sein und ist es unrichtig, wenn Greeff!) das aus kugeligen Körpern zusammengesetzte Skelet einer Gitterkugel vergleicht. Noch weiter als Greeff entfernt sich jedoch Archer von einer richtigen Auffassung der zierlichen Kugelgebilde, indem er ihre solide Beschaffenheit übersieht und sie für Structurelemente von protoplasmatischer Natur hält (z. B. hält er es für möglich, dass jedes Kügelchen den Werth einer Zelle besässe). Im Uebrigen sind seine Beobachtungen genau und detaillirt, wie denn auch Archer der erste ist, welcher auf die sowohl künstlich herbei- führbare, als auch im natürlichen Zustand häufig eintretende Los- lösung der Skeletkugeln (seiner „soap buble like hyaline structures“) aufmerksam machte. Der rundliche Körper besteht aus einem von bräunlichen oder röthlichen Körnchen durchsetzten Protoplasma, das, soweit unsere Beobachtungen reichen, bis auf den stets vorhandenen schmalen, homogenen Saum durchaus gleichmässig, d. h. nicht in Endosark und Ektosark differenzirt ist. Er umschliesst einen central gelegenen Kern mit Kernkörperchen, welcher von Archer übersehen, dagegen von Greeff als ein »verhältnissmässig kleines, kernartiges Gebilde« beschrieben worden ist. Die vom Körper ausstrahlenden Pseu- dopodien sind kurz, ausserordentlich zart, körnchenlos und nicht selten am Ende dichotom getheilt; ihre Anzahl ist eine sehr geringe. Gleichwohl besitzen die Hyalolampen eine ausserordentlich lebhafte Ortsbewegung, wobei der Körper wie eine Kugel über die Ober- fläche rollt. Wir unterscheiden zwei Arten, von denen wir die schon früher bekannte, die Hyalolampe fenestrata, zunächst besprechen. Hyalolampe fenestrata. (Greeff). Syn. Pompholyxophrys punicea. (Archer.) Die Skeletkugeln der H. fenestrata sind in wenig Lagen 1) In seinen neusten Mittheilungen ist Greeff zweifelhaft, ob nicht vielmehr das als Gitterkugel beschriebene Skelet als aus »soliden, kugeligen Körpern« bestehend angesehen werden müsse, so dass dasselbe dann nicht allein »wie aus einzelnen Glaskügelchen zusammengesetzt scheine,«e — Greeff bedient sich in seiner ersten Publication dieses Vergleichs — son- dern in der That in dieser Weise zusammengesetzt sei. 222 R. Hertwig und E. Lesser: angeordnet und messen 0,001—0,004 mm. im Durchmesser. Das Protoplasma des Körpers enthält bis auf den äussersten schmalen, hyalinen Saum stets Farbstoffkörnchen, deren Farbe zwischen gelbgrün, orange, roth und rothbraun schwankt. Ausserdem kommen in gleichen Färbungen Pigmentkörper von kugeliger Form vor, deren Anzahl dann zu ihrer Grösse im umgekehrten Verhältniss steht; je Kleiner die Kugeln sind, um so grösser ist ihre Anzahl, z. B. zählten wir bei einem 0,057 mm. messenden Exemplar 40 bis 50 0,006 mm. grosse farbige Kugeln, bei anderen fanden wir nur eine einzige, welche dann fast die Hälfte des Körpervolumen einnahm. Ausserdem umschliesst der Körper der Hyalolampe noch einen Kern und häufig auch eine Anzahl nicht contractiler Vacuolen. Einige Male haben wir bisquitförmige Einschnürungen des Körpers, wie sie Theilungen desselben einleiten, beobachten können. In einem dieser Fälle wurde die vollständige Trennung der beiden Individuen, von denen ein jedes seinen eigenen Kern besass, nur noch durch eine schmale Protoplasmabrücke verhindert, als gleich- wohl noch eine rückgängige Bewegung eintrat, welche zur Bildung einer einzigen zweikernigen Kugel führte. Nach dem, was ander- wärts schon über diese Theilungsvorgänge gesagt ist, kann man aus Fällen, in denen man nicht die Theilung von Anfang an, beginnend mit der Theilung des Kerns, hat verfolgen können, keine sicheren Schlüsse auf die Bedeutung des Vorganges machen. — Greeff hat eine Encystirung beobachtet, bei der innerhalb des Skelets noch eine weitere von feinen Poren durchsetzte Kieselhülle gebildet wird'). Die Grösse der Hyalolampe fenestrata fanden wir im Durch- schnitt zu 0,05 mm. Hyalolampe exigua. nov. spec. Tafel IV. Figur 6. Die Hyalolampe exigua unterscheidet sich von der H. fene- strata durch die Kleinheit ihres Körpers, sowie die grössere Zart- heit ihres Skelets. Die Kieselkügelchen desselben sind in zahlrei- cheren Lagen übereinander geschichtet und in Folge dessen unmessbar 1) Marburger Sitzungsberichte Juni 1871 No. 4. Auch in den neuer- dings erschienenen Mittheilungen wird dieser Encystirung wieder Erwähnung [2 gethan. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 223 klein. Ihre Contouren sind nur bei genauer Beobachtung mit starken und guten Vergrösserungen zu erkennen, während mit schwachen Systemen betrachtet die Skeletschicht sich wie eine homogene structurlose 0,003 mm. breite Lage ausnimmt. Der Bau des Weichkörpers, der Kern, welcher 0,008 mm. misst und ein 0,005 mm. grosses Kernkörperchen birgt, die Pseudopodien, die Art der Bewegung stimmen so vollkommen mit den bei H. fenestrata ge- schilderten Verhältnissen überein, dass wir hier einfach auf das dort Gesagte zu verweisen brauchen. Erwähnung verdient nur noch, dass wir hier häufiger als bei H. fenestrata eine grössere Farb- stoffkugel fanden, welche dann meist eine beträchtliche Grösse erreichte (sie war häufig grösser als wie in Figur 6 B dargestellt ist) und sich durch ein leuchtendes Rubinroth auszeichnete. Es ist uns in hohem Grade wahrscheinlich, dass unsere Hyalo- lampe mit dem Astrodisculus ruber Greeff’s!) identisch ist. Der Körper desselben soll von einem zahlreiche, kleinere und grössere leuchtend roth gefärbte Körnchen enthaltenden Protoplasma gebildet sein und eine grössere, aus einer feinkörnigen, roth gefärbten Substanz bestehende Kugel umschliessen. Die Pseudopodien sollen zart und für gewöhnlich homogen sein, die hellleuchtenden Körnchen aber öfters an ihnen auf- und absteigen. Bis hierher finden wir nichts in der Greeff’schen Schilderung, was nicht auf unsere H. exigua passen würde, denn das Auf- und Absteigen der gefärbten Körnchen würde keinen Unterschied bedingen, wenn wir es auch bei unserer Form nicht haben constatiren können. Die einzigen Unter- schiede sind somit im Skelet vorhanden, welches Greeff als eine nur wenig gekörnte, im übrigen hyaline Lage abbildet und als wahrscheinlich fein porös und von kieseliger Natur schildert, in- dem er zahlreiche, für den Durchtritt der Pseudopodien bestimmte Poren annimmt. Wenn wir nun bedenken, wie schwierig die Zu- sammensetzung des Skelets aus Kieselkügelchen bei unserer H. exi- gua erkannt wird und wie dasselbe noch bei einer ziemlich starken Vergrösserung als homogen erscheint, willes uns dünken, dass diesem Unterschiede in der Schilderung keine Bedeutung beizumessen sei. Wenn wir so die Uebereinstimmung des Astrodiseulus ruber mit unserer H. exigua für höchst wahrscheinlich, wenn nicht gar für erwiesen halten müssen, so möchten wir hieran weiterhin die 1) Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. V. pag. 497. 224 R. Hertwig und E. Lesser: Vermuthung anknüpfen, dass alle die Astrodisculus-Formen, welche Greeff aufstellt und als AA. flavocapsulatus, flavescens, minutus be- nennt, ebenfalls der H. exigua zuzurechnen sind. Denn die Unterschiede zwischen den einzelnen Astrodisculusarten sind im Wesentlichen nur durch Verschiedenartigkeiten der Färbung bedingt, welche bei allen Hyalolampen, wie wir oben schon erwähnt haben, eine ausserordentlich variabele ist. Die beim Astrodisculus flavescens aufgefundene centrale Blase würde dann als Kern gedeutet wer- den müssen !). Die hier kurz berührten Astrodisculusarten rechnet Greeff zu denjenigen Süsswasserrhizopoden, deren Radiolariennatur am unzweifelhaftesten erwiesen ist. Diese Ansicht begründet er damit, dass die bei A. ruber roth gefärbte, bei A. flavocapsulatus gelbe, bei A. radians in Mehrzahl vorhandene Kugel ein Homologon der Centralkapsel sei. Wir können dieser Beweisführung Greeff’s nicht beitreten. Denn sind die verschiedenen Astrodisculusarten mit unserer Hyalolampe exigua identisch, so müssen wir gegen einen Vergleich der Pigmentkugeln mit der. Centralkapsel der Radiolarien Einspruch erheben, da die ersteren morphologisch bedeutungslose Gebilde sind und auf gleiche Stufe mit den in Zellen häufig vor- kommenden Pigment- und Oeltropfen gestellt werden müssen. Aber auch dann, wenn das Genus Astrodisculus als selbstständiges Genus beibehalten werden müsste, sehen wir unter Zugrundelegung der Greeff’schen Schilderungen und Beobachtungen nicht ein, was hier zur Annahme einer Homologie der fraglichen Gebilde mit einer Centralkapsel berechtigte. Wie Greeff dieselben schildert, können wir in ihnen nichts mehr als roth oder gelb gefärbte, 1) Wir wollen bei der Gelegenheit bemerken, dass übrigens in der That auch Heliozoen vorkommen, deren Körperoberfläche von einer homogenen, zarten Schicht umhüllt wird, welche aber dann mehr unter dem Bilde eines lichten Hofs erscheint und nur mühsam als nach aussen begrenzt erkannt wird. Wir haben einen dieser Organismen in Figur 7 auf Tafel IV abge- bildet und bemerken hier noch, dass das Protoplasma einen centralen Kern von 0,01 mm. Durchmesser und mit einem 0,005 mm. grossen Kernkörper und zahlreiche gelblich-bräunliche Körper umschliesst, sowie dass durch die Skeletrinde zarte, selten gabelig getheilte, kurze, körnchenlose Pseudopodien hervortreten. Die Dicke der Rinde betrug ungefähr 0,005 mm., der Körper- durchmesser 0,04 mm. Wir haben den glasshell durchsichtigen Rhizopoden nicht häufig genug beobachtet, um ihn hier als eine besondere Species aufzuführen. m teren ie ee re Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 225 leuchtende Kugeln erblicken, was auf jeden Pigment- und Oel- tropfen besser passt, als auf eine Centralkapsel. Hiermit schliessen wir die kurze Abschweifung und wenden uns zur Aufstellung einer Diagnose, der wir folgende, von der Archer’schen abweichende Fassung geben: Hyalolamp e. Skelet aus mehreren Lagen locker vereinter, isolirbarer Kiesel- kugeln gebildet; Protoplasma von verschiedenartig gefärbten Körnern und Körnchen durchsetzt; Kern einfach; Vacuolen nicht contractil ; Pseudopodien körnchenfrei, selten einmal dichotom verästelt. Hyalolampe fenestrata. Kieselkugeln gross und in wenigen Lagen über einander ge- schichtet; Grösse des Organısmus 0,05 mm. Hyalolampe exigua. Kieselkugeln unmessbar klein, in mehreren Lagen übereinander geschichtet; Grösse des Organismus 0,04 mm. 2. Desmothoraea. Indem das Skelet der Desmothoraca aus einem einzigen soliden Stück aufgebaut ist, umschliesst es nicht mehr, wie bei den Chalarothoraca einen Raum, der in seinen Formen Schwankungen unterliegt, sondern bildet eine, von festen Wandungen begrenzte Kammer. Dieselbe unterscheidet sich von den einkammerigen Schalen der Monothalamien durch ihre homaxone Grundform, durch welche eine scharfe Trennung der einkammerigen Heliozoen von den echten Monothalamien herbeigeführt wird. Eine Zurückführung des Skelets der Desmothoraca auf das Skelet der Chalarothoraca ist nieht möglich. Denn es liegen keine Gründe zur Annahme vor, dass die einkammerige Schale durch Verschmelzung isolirter Skeletstücke entstanden sei, vielmehr ist dieselbe von Anfang an ein solides Ganze. Der Durchtritt der Pseudopodien wird durch präformirte, aber nicht gesetzmässig angeordnete Schalenöffnungen vermittelt. Bei beiden bisher be- kannten desmothoracen Formen ist die Schale auf einem Stiel von beträchtlicher Länge befestigt. Hedriocystis pellueida. nov. gen. et nov. spec. Tafel V. Figur 5. Das von uns neu aufgestellte Genus Hedriocystis, dessen derzeitig einzigen Repräsentanten, die Hedriocystis pellucida, wir M. Schultze, Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 10. Suppiementheft, 15 236 R. Hertwig und E. Lesser: im Folgenden einer kurzen Betrachtung unterziehen werden, zeichnet ‚ sich durch den Besitz einer gestielten einkammerigen Schale aus. Der Schalenstiel ist 0,05—0,075 mm. lang und sitzt mit einem verbreiterten Ende auf Algenfäden und anderen Fremd- körpern auf, während das andere Ende ohne scharfe Begrenzung in die Contouren der Schale übergeht. Die letztere ist in der Richtung des Stiels oval verlängert, ist zart und durchsichtig wie dieser und erhält dadurch, dass ihre Wandung an allen Durch- trittsstellen der Pseudopodien zu einem spitzen Buckel hervorge- trieben ist, ein eigenthümliches Aussehen, welches ihr einige Aehn- lichkeit mit einer morgensternartigen Keule verleiht. Ausser den an der Spitze der Buckeln befindlichen und den Pseudopodien zum Durchtritt dienenden Oeffnungen, ist die Schale allseitig geschlossen. Die Bildung des Skelets beginnt mit der Ausscheidung des Stiels, der erst später die Anlage der Schale folgt. Es ist dies daraus ersichtlich, dass wir Individuen fanden, die auf einem bereits fertigen Stiele sassen, aber noch keine Schale abgeschieden ‘hatten. Wie wir es ausführlicher bei Clathrulina besprechen wer- den, so muss es auch hier sehr wahrscheinlich erscheinen, dass die Skelettheile bei ihrem Entstehen zunächst protoplasmatisch vorgebildet sind; bei einem sehr kleinen, aber schon mit vollständiger Schale versehenen Exemplar konnten wir beobachten, dass sich vom Körper aus ein Protoplasmafortsatz in den Stiel hinein erstreckte, und dass sich die Schale des Thieres bei Jodzusatz deutlich gelb tingirte, was wohl auf einen noch vorhandenen Protoplasmarest bezogen werden muss. Der runde Protoplasmakörper von durchschnittlich 0,01 mm. Durchmesser schwebt frei in dem Gehäuse, gleichsam aufgehängt an den Pseudopodien, welche die Schalenwandung durch- setzen. Er besteht aus einem feinkörnigen Protoplasma und ent- hält einen ovalen, mit einem Kernkörperchen versehenen Kern, dessen Länge etwa !/,— !/, des Körperdurchmessers beträgt. Am Rande des Körpers finden sich eine oder mehrere lebhaft pulsirende contractile Vacuolen. — Die Pseudopodien sind ungetheilt und zeigen eine deutliche Körnchenströmung; auch kleinere Vacuolen stiegen zeitweilig an ihnen auf und nieder. Was die Fortpflanzung anbetrifft, so sind einfache Zwei- theilungen ausserordentlich leicht zu beobachten. Häufig finden sich Exemplare, deren Schale zwei Körper von ungefähr gleicher Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 227 Grösse umschliesst, von denen ein jeder seinen eigenen Kern und seine contractilen blasen besitzt. Ein Mal haben wir sogar be- obachten können, dass die Theilung sich an einem Individuum voll- zogen hatte, welches auf einem kleinen Stiel befestigt war und noch _ keine Schale besass. Die Theilungsebene stand hierbei zu der Richtung des Stiels senkrecht. — Ferner kommen Eneystirungen vor, bei denen sich der Körper einkugelt und eine so dünne Mem- bran ausscheidet, dass ihre Existenz nur an der scharfen Con- tourirung der Cystenkugel erkannt wird. Ueber den weiteren Ver- lauf beider Fortpflanzungsprocesse fehlen uns jede Beobachtungen. Nach dieser Schilderung würden wir die Heariocystis folgender- massen zu definiren haben. Hedriocystis pellucida. Schale gestielt, rundlich oval, mit zugespitzten Buckeln besetzt, deren durchbohrte Spitzen die einzigenzum Durchtritt der Pseudopodien bestimmten Oeffnungen der Schale bilden; Protoplasmakörper mit central gelegenem Kern und mehreren contractilen Vacuolen in seinen peripheren Partieen, an den körnigen, unverästelten, nicht anastomo- sirenden Pseudopodien frei im Schalenbinnenraum schwebend. 9. Genus. (lathrulina elegans. (Cienkowski). Tafel V. Figur 4. Unter dem Namen Clathrulina elegans beschrieb vor einigen Jahren Cienkowski!) in einem kurzen, aber an Beobachtungen reichen Aufsatz einen neuen, den Actinophryen verwandten, be- schalten Süsswasserrhizopoden, den er an verschiedenen Orten hatte wiederfinden können. Fast gleichzeitig wurde derselbe von Archer?) entdeckt und zum Gegenstand einer kurzen, wenig aus- führlichen Mittheilung gemacht. Späterhin wurde die Clathrulina von Häckel?) in Jena und Greeff?) in Bonn wiedergefunden. Von letzterem stammt die neuste und ausführlichste Schilderung der ausserordentlich zierlichen Heliozoe. Unsere eigenen Beobach- tungen wurden wie diejenigen Greeff’s in Bonn angestellt, wo wir fast in allen Tümpeln Schalen, aber nur in wenigen derselben lebende Exemplare der Clathrulina auffinden konnten. 1) Arch, f. mikrosk. Anat. Bd. III, pag. 311. Tafel XVII. 2) Quarterly Journal of microsc. science. Vol. VII, pag. 295. 3) Biologische Studien I, pag. 66. 4) Arch. f. mikrosk. Anat, Bd. V, pag. 467. Taf. XXVI. 228 R. Hertwig und E. Lesser: Das Skelet der Clathrulina elegans besteht aus einem 1,0— 2,0mm. langen, dünnen Stiel und einer auf demselben befestigten Schale von meist regelmässiger oder nur wenig verlängerter Kugel- gestalt. Bei jugendlichen Individuen ist es so hell und wasserklar, dass seine Contouren nur mühsam erkannt werden, verfärbt sich aber ähnlich wie eine Arcellaschale mit zunehmendem Alter tief dunkel- braun. In concentrirter Schwefel- oder Salzsäure erleidet es keine Veränderung, so dass man mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Imprägnation mit Kieselsäure annehmen kann. Die von der Schale gebildete Hohlkugel wird von zahlreichen rundlichen oder rundlich- polygonalen Oefinungen durchbrochen. Je nach der Grösse der- selben sind die Brücken, welche die einzelnen Oeffnungen von einander trennen, bald schmal und spangen- oder stabförmig, bald breit und plattenartig, wodurch die Schale bald mehr den Ein- druck einer luftigen Gitterkugel, bald den einer durchbrochen gearbeiteten,, festen Kapsel erweckt. Die Skeletbrücken sind auf ihrer äusseren Oberfläche »rinnenförmig« (Greeff) ausgekehlt. Die Rinnen sind entweder flach und kaum merklich oder sehr tief, indem ihre Umrandungen so stark vorspringen, dass sie auf dem optischen Querschnitt wie Stacheln erscheinen. Alle diese Ver- schiedenheiten kehren in den mannigfachsten Abstufungen wieder und können daher nicht zur Unterscheidung von Arten verwendet werden !). Cienkowski schildert und zeichnet die Gitterkugel der Cla- thrulina, als ob sie nach Art des Skelets der Ethmosphaera sipho- nophora aus zahlreichen, polygonalen Platten, von denen eine jede eine Oeffinung umschlösse, zusammengesetzt sei. Dies ist nun in Wirklichkeit nicht der Fall, sondern die Kugel besteht, wie es Greeff richtig abbildet, aus einem einzigen zusammenhängenden Stück. Wahrscheinlich sind Cienkowski bei Anwendung schwächerer Vergrösserungen die durch die Auskehlung bedingten Schatten als Grenzcontouren vereinzelter Platten erschienen. Der Stiel der Clathrulinaschale bildet eine Röhre, deren Wandung am unteren Ende in wurzelförmig gestaltete Fäden sich 1) Die Schilderung, welche Cienkowski von seiner Varietas minor giebt, gründet sich, wie es uns scheint, auf jugendliche Schalenformen, welche wegen ihrer Zartheit und wegen des Mangels jeglicher Färbung ein schau- miges Aussehen besitzen oder auch den Anblick einer » Schleimblase « gewähren. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 229 auffasert, mit welchen er Fremdkörpern oder den Schalen anderer Clathrulinen aufgekittet ist. Der von der Schale umschlossene Weichkörper ähnelt dem einer Actinophrys sol, unterscheidet sich aber von demselben, wie Greeff richtig gegenüber Cienkowski hervorhebt, durch die Un- regelmässigkeit seiner Contouren, indem seine Umrandung sich stellenweis lappig in die Ursprünge der zahlreich ausstrahlenden Pseudopodien auszieht. Uebrigens bildet Cienkowski seine Cla- thrulina auch in der geschilderten Weise ab und wollte derselbe durch den Vergleich mit der Actinophrys wohl nur auf das, was beide als Heliozoen gemeinsam haben, nämlich auf ihre homaxone Grundform hinweisen. In dem körnigen Protoplasma, welches den Körper bildet, finden sich zwei Arten von Vacuolen, einerseits Blasen, welche Nahrungskörper umschliessen, andererseits einfache Flüssigkeits- räume. Die letzteren prominiren meist halbkugelig über die Oberfläche und sind zum Theil jedenfalls contractil, wie es Cien- kowski von seiner Varietät mit heller Schale schildert. Wir selbst entsinnen uns, Contractionen an einem günstigen Beobach- tungsobject verfolgt zu haben, sind aber hierin nicht ganz sicher, da wir leider verabsäumt haben, die Beobachtung aufzuzeichnen. Da contractile Blasen in bestimmten, später noch genauer zu be- sprechenden Entwicklungsstadien vorhanden sind, müssen wir ihre constante Anwesenheit auch im entwickelten Organismus für sehr wahrscheinlich halten. Den Kern haben wir an lebenden Formen nie deutlich erkennen können; wir bemerkten nur einen schwer wahrnehmbaren, dunklen 0,008 mm. messenden rundlichen Körper, welcher auf Essigsäurezusatz eine Blase mit centraler grobkörnig geronnener Masse (Nucleolus) bildete. Indessen gelingt es ohne Mühe die Existenz des Kernes in der für alle Heliozoen typischen Form bei den im Verlauf der Fortpflanzung auftretenden Schwärmern nach- zuweisen, wie es auch Cienkowski abbildet. — Während unsere Beobachtungen und Ansichten über das geschilderte, bei der aus- gebildeten Clathrulina central gelegene Gebilde mit den Unter- suchungen Cienkowski’s übereinstimmen, vertritt Greeff eine abweichende Auffassung, in so fern er dasselbe als ein homogenes, structurloses Bläschen beschreibt und in ihm ein Homologon der Binnenblase der Radiolarien und den Ausstrahlungsheerd der Axen- . 230 R. Hertwig und E. Lesser: fäden der Pseudopodien erblickt. Den längeren Auseinandersetzungen, mit denen Greeff seine Ansicht zu stützen und darauf hin die Verwandtschaft der Clathrulina mit den Radiolarien zn begründen sucht, Können wir nicht beistimmen, und verweisen wir behufs genauerer Motivirung unseres abweichenden Urtheils auf das im allgemeinen Theil Gesagte. Die Pseudopodien der Clathrulina sind ausserordentlich feine, mit Körnchen reichlich besetzte Fäden; sie zeichnen sich vor den Pseudopodien aller übrigen von uns beobachteten Heliozoen durch die Häufigkeit der Verästelung, sowie durch die grosse Neigung zur Bildung von Anastomosen aus. Aus welchem Grunde Greeff ihnen eine Differenzirung in Axen und Rindensubstanz zuschreibt, vermögen wir nicht einzusehen, da er keine etwa vor- handenen Verlängerungen der Axenfäden beobachtet hat, ausserdem es aber wohl kaum möglich sein möchte an Gebilden, welche unter dem Bilde einer einfachen Linie erscheinen, noch eine Differenzivung in zwei Substanzen nachzuweisen. Wir haben hierüber schon bei den Acanthocystiden ausführlicher gesprochen und erwähnen hier nur noch, dass die häufigen Anastomosen und Verästelungen uns mit der Annahme eines Axenfadens kaum verträglich zu sein scheinen. Die Assimilation der durch die Pseudopodien aufgenommenen Nahrungskörper findet meist im Innern des Organismus in Nah- rungsvacuolen statt. Sind jedoch die Körper zu gross, um die Öeffnungen der Schale zu passiren, so verläuft die Verdauung ausserhalb und wird durch die Pseudopodien vermittelt. Das Pseudopodium, welches somit die Function der Assimilation über- nimmt, wird durch Protoplasmazufluss breiter und umhüllt den Fremdkörper mit einem dünnen Ueberzug. Indem dieser durch eine Flüssigkeitsansammlung von der unmittelbaren Berührung des umschlossenen Objects getrennt wird, kommt es auch hier zur Entstehung von Nahrungsvacuolen. Dieselben können von mehreren Pseudopodien gebildet werden und dann beträchtliche Grösse erreichen; sie persistiren häufig, wenn der Fremdkörper ausgestossen ist, und erklären sich so die Flüssigkeitsansammlungen, welche man zuweilen an den zarten Fäden der Pseudopodien findet. Trotzdem dass hierdurch ausserordentlich günstige Bedingungen für die Beobachtung eines Axenfadens gegeben sind, ist uns gleich- wohl der Nachweis desselben niemals gelungen. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 231 Die Fortpflanzung der Clathrulina, welche unter allen Heliozoen am besten beobachtet ist, kann sehr verschiedenartig verlaufen. Der einfachste Modus ist die von Cienkowski allein genauer verfolgte und ausführlicher beschriebene Zweitheilung. Nach vollendeter Theilung sollen beide Individuen die Schale verlassen und sich ausserhalb‘ derselben direct und ohne Einschiebung eines Wanderlebens niederlassen, worauf sofort die Bildung des Stiels, langsamer die Bildung der Schale erfolgt. — Weiterhin beschreibt Cienkowski Encystirungen in der Weise, dass der Körper in eine grössere oder geringere Anzahl Theilproducte zerfällt, von denen sich ein jedes seine eigene, nach Greeff’s Angaben mit feinen Stacheln besetzte Cystenmembran bildet. Nach längerer Ruhe sollen sich aus den Cysten Schwärmer entwickeln, welche in ihrem vorderen homogenen, etwas zugespitzten Ende einen Kern, im hinteren Theile zahlreiche dunkle Körner enthalten und die nach ihrer Fortbewegung zu schliessen wahrscheinlich mit zwei Geisseln versehen sind. Auch hier hat Cienkowski den Uebergang in die ausgebildete Clathrulina verfolgt, während wir nur die ausser- ordentliche Häufigkeit der Cystenbildung zu constatiren vermocht haben, das Ausschlüpfen der Schwärmer dagegen nie verfolgen konnten. Einen dritten Entwicklungsgang endlich haben wir selbst beobachtet. Derselbe charakterisirt sich durch eine mehrfache Thei- lung und besitzt in der Bildung von Schwärmern Anknüpfungs- punkte an die Fortpflanzung durch Cysten, in dem Mangel einer Cystenmembran dagegen Beziehungen zur einfachen Theilung. In allen Fällen fanden wir in der Schale die Körper in drei Stücke zerfallen, welche wie es schien, alle drei Pseudopodien aussandten. Von diesen Theilproducten waren zwei unter einander gleich gross und kleiner als das dritte, welches allein eine nahezu gleiche Quan- tität Protoplasma besass, als jene beiden zusammen. Die beiden ersteren verliessen nahezu gleichzeitig oder wenigstens nur kurze Zeit hinter einander die Schale. Wie es Cienkowski ausführ- licher geschildert hat, treiben hierbei die Organismen einen amoe- boiden Fortsatz durch eine der Gitteröffnungen, deren Umrandung eine sanduhrförmige Einschnürung des auswandernden Körpers bedingt. Indem hierbei die ausserhalb befindliche Kugel durch das Nachströmen der Sarkode wächst, gelangt allmählich der gesammte Körper ins Freie und bildet daselbst einen langgestreckten, eiförmigen 232 R. Hertwig und E. Lesser: Schwärmer mit homogenem vorderen und körnigem hinteren Ende. (Fig. 4 A.) Im ersteren gewahrt man den von seinem Nucleolus fast vollkommen erfüllten Nucleus, im letzteren zwei bis drei con- tractile Blasen. Am spitzen vorderen Ende erscheinen weiterhin zwei der Körperlänge nahezu gleiche Geisseln, welche den Organis- mus in eine langsame und gleichmässig fortsehreitende rotirende Bewegung versetzen. Dieselbe stimmt mit der Art der Fortbe- wegung, welche wir vom Schwärmer der Mikrogromia !) geschildert haben, überein, wie ja auch beide Schwärmer, abgesehen von ihrer verschiedenen Grösse, vollkommen gleich gebaut sind. Nachdem sich der junge Sprössling eine halbe Stunde oder länger herumgetummelt hat, ohne sich von seinem Ausgangspunkt weit zu entfernen, stellt er sich senkrecht zum Object, auf dem er seinen Stiel befestigen will und nimmt Kugelgestalt an, indem er ohne sich fortzubewegen um seine Längsaxe rotirt. Sowie die Bewegung aufhört, entwickeln sich rasch auf allen Seiten die Pseu- dopodien und der Körper geht in die Form einer nackten Clathru- lina über. Um diese Zeit ist schon der Stiel als ein hellglänzender scharf contourirter Kreis auf der Oberfläche des Körpers sichtbar (Fig. 4B,s). Bringt man den Organismus durch Anschwemmen von Wasser in die Profilansicht, so überzeugt man sich, dass der Stiel, welcher der Unterlage fest anhaftet und binnen Kurzem zu einer beträchtlichen Grösse heranwächst, in einer nabelförmigen Vertiefung des Körpers seinen Ursprung nimmt und einen unmittel- baren Fortsatz der Körpersubstanz bildet (Fig. 4 C). Er entsteht somit ursprünglich als ein protoplasmatisches Gebilde, wie auch daraus hervorgeht, dass wir in seinem Innern Körnchenbewegung erkennen konnten. Erst später entwickelt sich auf ihm das röhren- förmige Skeletstück des bleibenden Stiels, kenntlich an der beider- seits doppelten Contour seiner auf dem optischen Durchschnitt gesehenen Wandung. Im Verlauf des Wachsthums muss sich der das Lumen der Röhre ausfüllende Protopläsmafortsatz zurückziehen ; denn bei einer ausgebildeten Clathrulina steht der Weichkörper nirgends mehr mit dem Stiel in Zusammenhang und nur bei jungen Exemplaren, welche kaum ihre Gitterschale gebildet hatten, konnten wir, wie wir es schon bei der Hedrioeystis geschildert haben, noch einen breiten Protoplasmafortsatz zum Stielende herantreten sehen. 1) Siehe voranstehende Arbeit über Mikrogomia pag. 22. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 233 Die Entwicklung des Gitterwerks der Schale haben wir nicht zu verfolgen vermocht, doch scheint es ebenfalls zuerst protoplasma- tisch präformirt zu werden. Wir fanden nämlich, dass die Pseudo- podien der noch nackten, aber mit einem vollendeten Stiel ver- sehenen Clathrulinen meist durch Querbrücken mit einander ver- bunden sind und so in einiger Entfernung von der Körperoberfläche zierliche Arcaden bilden, im Anschluss an welche sich späterhin wahrscheinlich die Gitterkugel entwickelt. Ueber den Verbleib des grösseren Theilstücks, welches anfäng- lich wenigstens seinen Wohnsitz in der mütterlichen Schale beibehält und seine Pseudopodien zahlreich entfaltet, als ob es den erlittenen Verlust an Körpersubstanz wieder auszugleichen trachte, sind wir nicht zu sicheren Resultaten gelangt. In einem der von uns beo- bachteten Fälle starb es wegen ungenügender Erneuerung des Wassers ab, nachdem wir es einen Tag lang im Auge behalten hatten, ohne dass wir an ihm hätten Veränderungen wahrnehmen können. Ein anderes Mal fanden wir die Schale leer, als wir am folgenden Tage die Beobachtungen erneuerten, und zwei in der Nähe verweilende Clathrulinaschwärmer liessen uns auf die Ver- muthung kommen, dass der zurückgebliebene Körper sich abermals getheilt habe und die Producte dieser Theilung in Schwärmer übergegangen wären. Sollte letzteres Verhalten (das Auswandern aller Theilproducte) das allgemein giltige sein, so wäre eine Zu- rückführung des hier geschilderten Fortpflanzungsmodus auf die von Cienkowski beschriebene Zweitheilung in einfachster Weise ermöglicht. Er würde sich dann von derselben nur in so fern unterscheiden, als jedes Theilstück durch fortgesetzte Theilung abermals in zwei zerfällt, und als es an Stelle des Actinophrys- keimlings zur Bildung eines Schwärmers kommt. Für beiderlei Variationen des unter dem Bilde einer einfachen Zweitheilung ver- laufenden Entwicklungsmodus können wir Analogieen aus dem Ent- wicklungsgang der Mikrogromia socialis beibringen, bei der, wie wir gesehen haben, es ebenfalls vorkommt, dass das durch die erste Theilung gebildete neue Individuum abermals zerfällt und dass an die Stelle von Aktinophryskeimlingen Schwärmer vicarlirend treten. Dass überhaupt die Anzahl der Theilstücke, in welche der zur Fortpfianzung sich anschickende Körper zerfällt, bei der Cla- thrulina noch nicht constant geworden ist, kann man daraus ent- nehmen, dass auch bei der Fortpflanzung durch Cystenbildung 234 R. Hertwig und E. Lesser: / die Zahl der Cysten vielfachen Schwankungen unterliegt, indem bald der ungetheilte Körper mit einer Membran sich bedeckt, bald die Clathrulina vorher in 2 bis 10 Theilstücke zerfällt. An die Schilderung der Organisation und Entwicklung der Clathrulina schliessen wir noch einige Betrachtungen über die Art ihres Vorkommens. Wie wir oben erwähnt haben, findet man die einzelnen Exemplare mit ihren Stielen auf Fremdkörpern festsitzend. Häufig sind hierbei die wurzelförmigen Ausläufer der Stiele auch auf den Schalen anderer Clathrulinen angeheftet und es kann so, indem eine grössere Anzahl auf einander sitzt, zur Bildung zierlicher Bäumchen kommen, wie sie Greeff in Figur 2 auf Tafel XXVI abbildet. Der Letztere giebt an, dass die büschel- förmigen Vereinigungen häufiger angetroffen werden als isolirte Exemplare und erblickt hierin eine »Neigung zur Coloniebildung.« Wir unsererseits können ebenso wie Archer!) in dem Aufeinander- sitzen der einzelnen Organismen, welches wir übrigens nur selten angetroffen haben, nur das Resultat der ohne Schwärmerbildung verlaufenden Theilungen erblicken. Indem bei denselben der junge Organismus dicht vor der mütterlichen Schale zur Ruhe kommt und sofort zur Bildung des Stieles schreitet, ist esja ganz natürlich, dass die mütterliche Schale als einer der nächstliegenden festen Körper häufig zur Anheftung benutzt wird. Der Zusammenhang der beiden Organismen oder vielmehr ihrer Skelete muss demnach wohl als ein zufälliger angesehen werden, wie er denn auch nur ein rein äusserlicher ist. Zum Begriff der Coloniebildung, wenn derselbe überhaupt Bedeutung besitzen soll, gehört aber jedenfalls, dass ein organischer Zusammenhang, wie er meist durch eine unvollkommene Theilung zu Stande kommt, zwischen den einzelnen Theilen bestehe, eine Continuität, keine Contiguität der Körper. In diesem Sinne würden die Mikrogromien und die polyzoen Radio- larien ächte Colonieen bilden, während die Clathrulinabäumchen nur als gehäuftes Vorkommen bezeichnet werden können. Zum Schluss geben wir eine kurze Diagnose der Clathru- lina elegans. Olathrulina elegans. Skelet von einer Gitterkugel gebildet, welche aus einem eim- 1) Quarterly Journal of Microsc. science 1869, 1870. 8. A. pag. 59. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 235 zigen Stück besteht und auf einem röhrenförmigen, am peripheren Ende ausgefaserten Stiel von beträchtlicher Länge sitzt, in der Jugend wasserklar, späterhin intensiv dumkelbraun; Weichkörper mit zahlreichen contractilen Blasen und einem centralen Nucleus mit Nucleolus versehen; Pseudopodien zahlreich, körnchenführend, verästelt und amastomosirend. Mit der Clathrulina elegans schliessen wir die Reihe der Einzelschilderungen der Heliozoen. Wir hoffen, dass es uns durch dieselben gelungen ist, das Beweismaterial für die in der Einleitung durchgeführte allgemeine Auffassung der Gruppe zu liefern und uns hierdurch zu rechtfertigen, dass wir im Gegensatz zu den meisten früheren Forschern eine Trennung der Heliozoen und Radiolarien vorgenommen haben. Wir sind uns hierbei wohl be- wusst, wie viel dem entworfenen Bilde an Vollständigkeit fehlt, um eine treue Wiedergabe sämmtlicher Organisationsverhältnisse, wie sie in der Heliozoengruppe vorkommen, zu sein; wir haben selbst Gelegenheit genommen an den betreffenden Stellen darauf aufmerksam zu machen, wie so manche Lücken erst durch erneute Untersuchungen ausgefüllt werden müssen und strittige Punkte noch ihrer definitiven Entscheidung harren. So ist z. B. um hier noch einmal die wichtigsten Punkte zu betonen, die Verbreitung der Differenzirung des Körpers in Endosark und Ektosark, das Auftreten einer Differenzirung der Pseudopodien in den körnigen Ueberzug und den homogenen Axenfaden, die Endigungsweise des letzteren und seine histologische Bedeutung, endlich der Verlauf der Fortpflanzung nur ungenügend erkannt. Es kann daher auch das aufgestellte System der Heliozoen nur als ein vorläufiger Classificationsversuch angesehen werden, um so mehr, als die relativ kleine Anzahl von Genera und Species auch eine einheit- liche Betrachtung des Skelets, wie sie Häckel für die Radiolarien und Carpenter für die Foraminiferen gegeben haben, noch nicht ermöglicht. Das hier von den Heliozoen Gesagte gilt in gleicher Weise auch von den übrigen Organismen, welche wir in der vorliegenden Arbeit unter dem Namen Sarkodinen zusammengefasst haben. Um feste Gesichtspunkte für die Errichtung von Genera und Species 236 R. Hertwig und E. Lesser: im Kreise derselben zu gewinnen, bedarf es noch der Entdeckung einer grösseren Formenmannichfaltigkeit. Eine sichere Beurtheilung der Fotpflanzungsverhältnisse, sowie eine Deutung der eigenthüm- lichen Gebilde, welche von vielen Forschern mit einer sexuellen Differenzirung in Zusammenhang gebracht worden sind, ohne dass denselben jedoch eine überzeugende Beweisführung geglückt wäre, wird erst durch zahlreiche neue Untersuchungen mit besonderer Berück- sichtigung der histologischen Bedeutung der Vorgänge gewonnen werden können. Was im Einzelnen die Monothalamien anbelangt, so erblicken wir auch hier wie bei den. Heliozoen in ihrer systematischen An- ordnung nur einen vorläufigen Versuch, welcher vielleicht weiteren Untersuchungen zur Grundlage dienen kann. Namentlich wird ihr Verhältniss zu den Foraminiferen und Gromien noch eine Revision zu erwarten haben, und will es uns scheinen, als ob die bisher allgemein beibehaltene Trennung der Gromien und unserer Mono- thalamien in Zukunft wird in Wegfall kommen müssen. Ob hier- durch eine Vereinigung der Foraminiferen und Monothalamien wird ermöglicht werden, muss uns so lange zweifelhaft erscheinen, als der Zusammenhang der chitinschaligen, kernführenden Gromien mit den kalkschaligen, kernlosen Foraminiferen nicht sicherer als bisher erwiesen ist. Wenn wir uns somit der Mängel der voranstehenden Arbeit vollkommen bewusst sind, so glauben wir doch durch eine erneute Begründung der Nothwendigkeit einer zusammenfassenden Betrach- tung der Sarkodinen und durch den Versuch einer einheitlichen Auffassung und einer systematischen Uebersicht der Monothalamien und Heliozoen, sowie durch eine möglichst objective und genaue Zusammenstellung des Bekannten und der an das Bekannte sich anknüpfenden strittigen Fragen nachfolgenden Untersuchern die Arbeit in mancher Beziehung erleichtert zu haben. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 237 Nachtrag zu Seite 113. Bei der Besprechung der Plagiophryen haben wir leider ver- absäumt, der in den Proceedings of the Royal Irish Academy Series II. Vol:1 pag. 33 des Sep. Abd. erschienenen Untersuchungen Archer’s zu gedenken. Wir nehmen hier Gelegenheit unsere Uebereinstim- mung mit den Anschauungen des britischen Forschers, die übrigens schon aus unserer Schilderung hervorgehen würde, noch nach- träglich auszusprechen. Nur möchten wir die von ihm beobachtete, mit unserer Pl. sacciformis identische Form nicht der Pl. sphaerica Glaparede&’s unterordnen, weil diese contractile Blasen besitzt, welche jener fehlen. Die zweite dort beschriebene, aber nicht benannte Plagiophrye haben wir ebenfalls neuerdings beobachtet und halten wir dieselbe für eine selbstständige neue Art. 238 R. Hertwig und E. Lesser: Berichtigungen. Seite 7 Zeile 1 von unten lies: »4 Abtheilungen« anstatt »3 Abtheilungen.« — 9 — 1 von oben lies: »Als ventral bezeichne ich« anstatt »Als vorn und ventral bezeichne ich«. — 9 -— 6 von oben lies: »und dorsal« anstatt »und hinten od. dorsal«. — 12 -— 8 von unten lies: »actinophrysähnlichen« statt »rhizopoden- artigen.« — 23 — 6 von oben lies: »vermeiden« anstatt »beseitigen.« — 36 -— 1 von oben lies: »dort« anstatt »hier.« — 32 — 22 von unten lies: »Cyphoderia« anstatt »Cyphotheria.« — 32 — 2u.3v. unten lies: »Leceythium« anstatt »Urceolaria.« — 39 -— 13 von oben lies: »weit« anstatt »weiterhin.« — 44 — 3von oben ist hinter »Mannichfaltigkeit« einzuschalten : »häufig. « — 45 -—- 16 von oben ist vor »Heliozoen« einzuschalten: »anderen « — 54 ist hinter der Ueberschrift »Dactylosphaerium vitreum« einzu- schalten: »nov. gen. et nov. spec.« — 87 -— 38 von oben lies: »monaxone« anstatt »homaxone.« — 97 -— 13 von unten lies: »fast alle« anstatt »alle.« u 115 — 5 von unten lies: »Pl. cylindrica« anstatt »cylindrica.« Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 239 Erklärung der Tafeln. Tafel I. Mikrogromia socialis. (Die Figuren 1—3 bei Zeiss F. Oc. II, die übrigen bei Zeiss F. Oc. II gezeichnet.) Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 1. Eine Colonie im ausgebreiteten Zustand; ein Theil der Individuen (aa) durch Quertheilung in zwei Theilstücke zerfallen; bei b zwei mit ihren Pseudopodienstielen zusammenhängende Individuen. Eine Colonie im gehäuften (Cystophrys-) Zustand mit einzelnen zer- streuten Individuen (aa). . Eine Colonie im Cystophryszustand mit zahlreichen in Dreitheilung (xx) und Zweitheilung (yy) befindlichen Individuen; bei a ein zu einer Protoplasmaplatte verschmolzenes Pseudopodienbüschel. . Ein einzelnes Individuum der Colonie in seitlicher Ansicht; h Scha- lenhals, p Pseudopodienstiel, ce contractile Blase, n Kern. (Wegen der ungenauen Wiedergabe der Originalzeichnung veranschaulichen die Figuren 4 und 5 die bilaterale Symmetrie nicht in der Weise, wie es der Natur entsprechend hätte sein sollen.) . Dasselbe Individuum von der ventralen Seite aus gesehen; Be- zeichnungen wie beim vorhergehenden. . Entwicklung durch Schwärmerbildung: Fig. 6a. Ein einzelnes Individuum der Colonie, durch Quertheilung in zwei Theilstücke zerfallen, a das bleibende vordere Theilstück, b das hintere Theil- stück, welches späterhin den Schwärmer bildet. Fig. 6 b. Das Theilstück b gelangt in den vorderen Schalenraum. Fig. 6 c. Aus- wandern des Theilstücks b. Fig. 6 d. Umbildung des ausgewan- derten Theilstücks b zum Schwärmer. Fig. 6 e. Der aus dem Theilstück b entstandene Schwärmer. . Entwicklung durch Bildung eines Actinophryskeimlings. Fig. 7 a. Der Keimling, nachdem er das mütterliche Pseudopodiennetz ver- lassen hat; im vorderen Ende der Kern (n), im hinteren die con- tractilen Blasen (cc). Fig. 7 b Der zur Ruhe gekommene Actino- phryskeimling. Das mit der contractilen Blase versehene Ende bildet nunmehr den vorderen Theil und entsendet einen dem Pseu- dopodienstiel entsprechenden Protoplasmafortsatz. . Bildung eines in der Colonie bleibenden neuen Individuums: Fig. 8a Längstheilung. Fig. Sb. Das durch Längstheilung entstandene Theilproduct hat die Schale verlassen und bildet ein nacktes Indi- viduum der Colonie. (Beide Zeichnungen halb schematisch.) . Fortpflanzung durch Dreitheilung: Fig. 9a. Die beiden Theilstücke mit dem Pseudopodienstiel des Mutterorganismus im Zusammenhang. Fig. 9 b. Auswandern der Theilstücke. Fig. 9 c. Eines der Theil- stücke vorübergehend unter Annahme einer festen Form in einen Ruhezustand übergegangen. 240 Fig. 1. Fig. 2 Fig. 3 Fig. 4 Fig. 5 Fig. 6. Fig. 7. Fig. 8. R. Hertwig und E. Lesser: Tafel II. Dactylosphaerium vitreum: Fig. 1 A. Gelbe Varietät; a Pseudopodium im Moment des Einziehens; bb Nahrungsballen ; ee nicht contractile Vacuolen. Fig. 1 B grüne Varietät,; die ganze Oberfläche mit Protoplasmazöttchen besetzt. . Vampyrella Spirogyrae: aa nicht contractile Vacuolen; b und ce zwei resp. drei Pseudopodien auf gemeinschaftlicher Basis sitzend, im Inneren zahlreiche grünliche Nahrungskörper. . Leptophrys cinerea. Das Innere von Nahrungskörpern so er- füllt, dass man über das etwaige Vorhandensein eines Kerns keine Sicherheit erlangen konnte. . Leptophrys elegans, nn Kerne. . Hyalodiscus rubicundus: Fig. 5 A. Ansicht von oben; a hyaline, farblose Rindenschicht; b die, bräunliche Körnchen und verfärbte Nahrungskörper umschliessende Marksubstanz mit mehreren (contractilen?) Vacuolen (c c) und einer mattgrau gefärbten dem Kern entsprechenden Stelle (n); dd Faltungen der Rinden- schicht. Fig. 5 B seitliche Ansicht. Difflugia acropodia: o Schalenöffnung, welche man durch den vom aboralen Ende betrachteten Körper durchschimmern sieht; a a Spalten in den durch Confluiren der Pseudopodien gebil- deten Protoplasmaplatten. Cochliopodium pellucidum: s Schale, e contractile Blasen, n Kern, a der »hyaline Hof«, welcher durch die hutkrämpenartige Auswärtskehrung des die Mündung tragenden Schalentheils bedingt wird. — Fig. 7 A. Die seitliche Ansicht eines Cochliopodium mit zahlreichen hyalinen, aus der Schalenöffnung hervortretenden Pseudopodien und dem im Schalenhintergrund gelegenen Kern. Fig. 7 B. Ein Cochliopodium vom aboralen Pol gesehen mit deut- lich markirter Schale und einem einseitig entwickelten Hof; Kern durch Nahrungskörper verdeckt. Fig. 7 C. Vom aboralen Pol aus gesehenes, flächenhaft ausgebreitetes Cochliopodium ; die doppelte Contour der Schale in Folge der flächenhaften Ausbreitung des Körpers nicht sichtbar; der hyaline Hof allseitig entwickelt; die Pseudopodien von dem hyalinen Hof (dem hutkrämpenartig umgebo- genen Schalentheil) wegen ihrer Kleinheit verdeckt. Fig 7 C', der hyaline Hof (a) der Fig. 7 C bei Anwendung schiefen Lichtes, um die Arcellaähnliche Structur desselben zu zeigen. Zweifelhafte Organismen (junge Exemplare von Cochliopodium?) 8 Schale; n Kern; ce contractile Vacuolen. (Fig. 5 Borat Fig. 2 Fig. 3 Fig. 4 Fig. 5 Fig. 6. Biene 7. Fig. 8 Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 941 Tafel II. Monothalamia. bei Zeiss F. Oc. II, alle übrigen bei Zeiss F. Oc. III gezeichnet.) . Pseudochlamys Patella: Fig. 1 A. Individuum mit einer nach Art einer Lamellibranchierschale zusammengeklappten Schale (scheinbar zwei Individuen in Conjugation). Fig. 1B. Vom aboralen Pole aus gesehenes Exemplar. Der scheibenförmige Protoplasma- körper enthält zahlreiche contractile Blasen (e e) und einen ein- fachen Kern (n). Fig. 1 C. Seitlich gesehenes Exemplar. Die zarte Membran, welche den oralen Schalentheil bildet, wie der Magenstiel einer Meduse prominent; o Pseudopodienöffnung. Fig. 1 D. Seit- lich gesehenes Exemplar encystirt. . Plagiophrys scutiformis: n Kern; o Pseudopodienöffnung. Fig. 2 A. Plagiophrye vom aboralen Pol gesehen. Fig. 2B. Ein zur Demonstration der Schale und der Schalenmündung mit dünner Essigsäure behandeltes Exemplar. Fig. 2 C. Plagiophrye von ihrer breiten Seite aus gesehen; beginnende Vacuolenbildung im Proto- plasma (Anzeichen des nahenden Todes). . Plagiophrys saceiformis: Fig. 3 A. Exemplar, dessen Pseudopodienöffnung in einer nabelförmigen Vertiefung liegt. Fig. 3 B. Der die Pseudopodienöffnung tragende Theil durch Faltungen der membranösen Schale halsartig abgeschnürt. . Pleurophrys sphaerica: a. Anastomose zwischen zwei Pseudo- podien; b eigenthümliche Art des Einziehens der Pseudopodien. . Euglypha alveolata: Encystirung mit Bildung einer doppelten Cystenhülle; a die aus hexagonalen Platten bestehende farblose, bei d durch verklebte Fremdkörper geschlossene Schale; b die äussere, braune, eiförmige Cystenschale; ce die innere, kugelrunde, farblose Cystenschale; f der zwischen der inneren und äusseren Cystenschale sich ausspannende homogene farblose Strang; n die heilere, wahrscheinlich dem Kern entsprechende innere Partie des Inhalts der Cyste. Fig. 5 A. Ein Stück der inneren Cystenschale isolirt, um die Structur derselben zu zeigen. Das vordere Ende der Schale der Euglypha ampullacea, um die Form der die Mündung umgebenden Zähne, sowie das Ver- hältniss derselben zu den Reihen hexagonaler Plättchen zu zeigen. . Euglypha globosa: ec contractile Blasen, s Schaltstücke der Schale, n der Kern. Fig. 7 A. Ansicht von der ventralen Seite. Fig. 7 B. Halbseitliche Ansicht. Fig. 7 C. Reine Seitenansicht der Schale. . Lecythium hyalinum: c nicht contractile Vacuolen, n Kern. Fig. 8 A. Die Monothalamie vom aboralen Pol aus betrachtet, mit nach abwärts gekehrter Pseudopodienöffnung. Fig. 8 B. Seit- M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 10. Supplementheft. 16 4 Fig. R. Hertwig und E. Lesser: liche und Fig. 8 C ventrale Ansicht des Lecythium. Beide Abbil- dungen repräsentiren verschiedene Grade der durch das Absterben bedingten Veränderungen. . Diplophrys Archeri: a fettglänzende gelbe Kugel; ce con- tractile Blasen; n Kern; o o die beiden einander gegenüber liegen- den Pseudopodienöffnungen. Fig. 9 A. Seitliche Ansicht. Fig. 9 E. Ventrale Ansicht einer entwickelten Diplophrys. Fig. 9 ©. Eine Form mittlerer Grösse. Fie. 9 B und D. Zwei aus vier Theil- stücken bestehende Gruppen, wie sie in grösserer Anzahl zur Bil- dung der von Archer als Cystophrys oculea beschriebenen Haufen zusammen treten. Tafel IV. Heliozoa. (Fig. 1 bei Zeiss F. Oc. II, die übrigen bei Zeiss F. Oc. III gezeichnet.) Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 1. Raphidiophrys elegans. 8 Individuen durch Protoplasma- brücken mit einander zu ‘einem Haufen vereint und von einer gemeinsamen aus Halbringen gebildeten Skeletlage umgeben; bei einem der Individuen der Kern (n) sichtbar. 2. Acanthocystis aculeata: k Marksubstanz oder Endosark; r Rindenschicht oder Ektosark; ce ce contractile Vacuolen; b ein in Folge von Beunruhigung verkürztes Pseudopodium (Ansicht des optischen Durchschnitts des Körpers; Kern, meistens durch Essig- säure nachweisbar, ist auf der Zeichnung weggeblieben, weil er bei dem der Zeichnung zu Grunde liegenden Exemplar, wie meistens im frischen Zustande nicht sichtbar war). Fig. 2 A. Isolirte Skeletstücke; a ein Stachel; b ein Tangentialstück. Acanthocystis spinifera: Bezeichnungen wie beim vorigen, ausserdem n der Kern. Fig. 3 im frischen Zustand; Fig. 5 A nach Behandlung mit dünner Essigsäure; Fig. 3 B nach Einwirkung starker Essigsäure. . Heterophrys marina: Bezeichnungen wie bei den vorigen. (Körper nicht wie bei den vorigen auf dem optischen Durchschnitt, sondern körperlich gezeichnet. Der Unterschied zwischen dem helleren Endosark und dem dunkleren Ektosark hat bei der litho- graphischen Wiedergabe keinen Ausdruck gefunden.) . Pinacocystis rubicunda: Bezeichnungen wie bei den vorigen. (Die graue, dem Endosark entsprechende centrale Partie, sowie der hellere in derselben liegende Kern ist nur undeutlich in der Litho- graphie wiedergegeben.) . Aund B. Hyalolampe exigua: B mit einer fettglänzenden rubinrothen Pigmentkugel im Innern. . Heliozoe mit einer homogenen gallertartigen Umhüllung und einem centralen Nucleus (n). Fig. Fig. Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen. 24 IF © & Tafel V. Heliozoa. Actinosphaerium Eichhornii: Fig. 1 A. Ansicht des ganzen Actinosphaerium von oben bei mittlerer Vergrösserung. R. Rinden- substanz; M Marksubstanz; ce contractile Vacuolen. Fig. 1 B. Optischer Durchschnitt durch ein Stück des Randes. Die Axenfäden der Pseudopodien (aa) treten durch die grossblasige Rinde (R) um in der Marksubstanz (M) mit einer keilförmigen Spitze zu enden. Bei a‘ ein schon von der Grenze der Marksubstanz an mit einem protoplasmatischen Ueberzug versehener Axenfaden. In der Mark- substanz mehrere Kerne (nn) mit einfachem Kernkörperchen und ein Nahrungskörper. Fig. 1 C. Junges Actinosphaerium. Differen- zirung in eine hellere Rinden- und dunklere Marksubstanz, in der zwei Kerne liegen, bereits eingetreten, ohne dass jedoch eine concen- trische Anordnung beider Schichten schon deutlich ausgesprochen wäre. Fig. 1 D. Noch früheres Stadium; nur ein Kern vorhanden; eine Sonderung der Mark- und Rindensubstanz noch nicht einge- treten. Fig. 1 E. Kern, bei dem der Nucleolus in mehrere kleinere Körperchen zerfallen ist. . Kern von Actinophrys sol mit der ihn zunächst umhüllenden Schicht von feinkörnigem Protoplasma; Fig. 2 A im frischen Zu- stand; Fig. 2B nach Einwirkung dünner Essigsäure; Kernkörper und Kernmembran gleichmässig körnig geronnen. . Heterophrys spinifera: cc contractile Vacuolen; n ein cen- trales dunkleres, kugeliges Gebilde (Endosark? oder Kern?). . Clathrulina elegans: Fig. 4A. Entwicklung durch Bildung eines mit zwei Geisseln, 1 Kern (n) und mehreren contractilen Blasen (ce c) versehenen Schwärmers. Fig. 4 B. Der zur Reife ge- kommene Schwärmer bildet sich seinen Stiel, welcher als ein scharf contourirter Kreis (s) auf der Körperoberfläche sichtbar ist. Fig. 4 C. Gestielte, im Uebrigen nackte Clathrulina; vv Nahrungs- vacuolen; ec contractile Blasen. . Hedriocystis pellueida: Fig. 5 A. Vollständig ausgebildetes Exemplar mit Schale (t), Stiel (s), einem Kern (n) und zwei con- tractilen Vacuolen. Fig. 5 B. Jüngeres Exemplar, bei dem zwar der Stiel, aber noch nicht die Schale gebildet ist. Trotzdem ist bereits Zweitheilung eingetreten. Bezeichnungen wie bei Fig. 5 A. , N ® x S zyerzeeh i ee e ho ui Id 3 Y dosutunudon EIER eg wu Da we FR r SER y anna) Ba TtEeNe. 6279 Im east) Ta) BEE ee - a» L ch a 7 2 er ” et karte. | söxalloH „..“ Dar wi BEE, ‚di l | ms dat Kuna a Bi MDR HM rn dk: non Er OnE PP a1 ER BERN 2 BEER TTETE N SE STIEETTFENTEIIETTUERRAR N INN “oh Nie Nam ni hi, a Mae ve E n HI vba Riley. ab. duhansiu iss s.öe et, re hu ae re elta maria Marl) viasahribae äh m er ons ee aha ar unse u; ol iR wlk 1b a; „bulk dad gu] euer Yadrk Pour ar a ee a un) un are j 2 Ba. enden KEIL öde ah Ve und avollaklı Yezı tohosi Ara aa AU Au, Haken! u le he en Rute; Fr HALL EDS TTETDE LT TER 37707 ad 147 u are li: salsimior nal La u, nie ana RE = e Druck von Gari &dorei in Bonn. b an TA ech un Adsig oa Krimml D; Mali. ssh } 4 wahr 24 Hl n sd al Braun eh eh in REN, RR EN. ’ n au AR Hari: rer Bin a Ay » > EEE * € rk Altudadı SIHAHIN Het | Hın To. 2Y 14] fü oA N BER 2. % 2 r 5 Fl Urea j 8 a er nr7 Soeraalnurol Ineureand. a “ RE, Pay ss his ELITE SAGE Zrroleyisch gl wre il E a vi and 1003 r Li i AHSBEIERLUG- acritı U ieainilchhn, Nik rot gast ln - Bil BI. ar aldi y IHientikan. 7 9 en {nie} 1% % sr # Tot BR. % 4 asus alıd neh ahtıldz) oil)! ar Pat "ug 2 IR wuubhiHl danaı uk ee u ee #19 Ö Bahn Da NG uragansoı, Ts zite" hit ler) hä EN U Sor BU reeel Mee (eb IE hu } ve ne ’ . , ah. 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Das vorliegende Heft des Archivs hat sıch vollständig, das vierte des zehnten Bandes theil- weise redigirt im Nachlasse des Dahingeschiedenen vorgefunden; die Publikation derselben hat Herr Dr. Richard Hertwig in Bonn gütigst über- nommen. Das Schlussheft des zehnten Bandes wird nebst wohlgelungenem Portrait des Entschla- fenen einen Nekrolog aus der Feder des Herrn Professor Dr. G. Schwalbe in Jena bringen. Ueber die fernere Redaction des Archivs, des- sen Weitererscheinen gesichert ist, werden wir ın demselben Hefte berichten. Die Veriagshandlung Max Cohen & Sohn in Bonn. 4 ‚2 ah siale kauf WIRT Narttalı Binkliek TR tdhad Kae ai u ? Sienlaniofhsik sarah BR 2 sth oe za a LOR er -URU HD Alp ar. Do uk ha AfL Kertäk, si % Er we IS N HE TE ar as er 2 EHER Herif Rn a Man an Abe u: ee er K Ban: Str? ul 3 {1454 IR: Tan? N A) = ROHSEIIE Y PO REGEN ER Hi ae, rd ee ee Aesnlır AMBRRGEh Vase A Sy A Bar wid e rn x 4 © E Is E} a: or U) zu Hi“ Kuren Hr PIRMARHLU RUHR TIER ui Ri AH SE Rah vi ES POT RT AR BEN: rhlk 2 Be Kart“, rue | ae Sort. ar ; e: en 5, Kir Be | RR, HL Ha: 1a at FIR alte, Ya: BRTE E una a ie rn R Be BR. Map. er Auch? sel nochasl rsepkol RN ar AR u iu RL, ae Ft ar Fr I En ad ya A ie ne x OR 5 ea HL Kr 1 { Fig, IIL.A Fig.Hlt Fig a Ass 3 Bat ee m Fig IB nr Ce sauorra9 20208 R Hertwig del Lith. Anstv.l.G Bach, Leipzig. mn 2, Vu ‚ we en Sul = v er er Br an ps ur n [EEE R.hartwie nel re a OR LIE BEITE e > ü es 2 > = ; z ine r = .; Pa SE 2 % ® > 2 5-> 93 5 R, u zu B - & ö 7 Kr Pe u = en = u - R ji 4 en A > - © j ur Een = 7: Er > = = isl: y r A D B 8 z - » Ei P- BEL = Brn > w 5 j PL [> Ä P ge ; f B fl I: - > pr in s 2 2» N er 5 F h PY \ j 4 . -* R z E ve P | = Er ü Y x x * E- - £ ey je - j f . j : ie 5 ‚ ‚ nn un En R E > { N Re ” % £ 92 >. - x b F = '. > v “ % ” I » ‘ = = N BE - € ’ . « ’ = ae! y r * N n \ = ı# 1 N \ ' Ä [4 s A D } r , = y ” N v | ’ [ s e ’ \ - “ € = 2 “ Fr | ‘ . 5 ‘ * [4 ’ * Ll ö i r . f . « rn jun ET nt . “ - . i ’ N “ 5 . ıı MB. B . x 2 F- ’ ü ‘ k F a « 4 s Fa pr = EZ = « .> Zu 7 5 r Be; — Das. 309 k Bas Bez Kt £ = a ji £ Leser dei. vs VEIT & COMP. VERLAGSHANDLUNG IN LEIPZIG. Prospectus. Im unterzeichneten Verlage erscheint vom 1. April 1875 ab eine Zeitschrift Anatomie und Entwickelungsgeschichte, Herausgegeben von Wilhelm His und Wilhelm Braune, Professoren der Anatomie in Leipzig. Wie der Titel besagt, ist dieselbe dem Ausbau der Anatomie und der Entwickelungsgeschichte gewidmet. Nach der physiologischen Seite wird sie Arbeiten bringen, welche die Fragen der Entstehung und der functionellen Bedeutung anatomischer Formen behandeln, nach der praktischen solche, welche das anatomische Detail dem ärztlichen Erkennen und Handeln dienstbar machen. Erkenntniss und Verständniss des menschlichen Kör- perbaues werden die Hauptaufgabe der neuen Zeitschrift bilden. Selbstverständlich jedoch finden auch jene Arbeiten Raum, welche von entfernteren Punkten aus dem bezeich- neten Ziele zustreben. Es soll Nichts fern gehalten werden, was die Ausbildung der anatomischen Wissenschaften fördern kann, und wird somit auch den Hülfsmitteln anatomischen Unterrichts und anatomischer Forschung (der Einrichtung neuer Anstalten und der anatomischen Technik) in ihrem vollen Umfange ein besonderes Augenmerk zugewendet werden. Die „Zeitschrift für Anatomie und Entwickelungs- geschichte“ wird in Heften von möglichst gleichem Um- fange, in Zwischenräumen von zwei zu zwei Monaten er- scheinen; sechs Hefte von je eirca fünf Bogen Text und circa fünf Tafeln bilden einen Jahrgang oder Band. Die Verlagshandlung wird bestrebt sein, durch elegante Ausstattung äusserlich ein würdiges Gewand herzustellen, besonders wird auf die Herstellung der Tafeln die grösst- mögliche Sorgfalt verwendet werden, so dass auch den verwöhntesten Ansprüchen aus dem Vollen entsprochen werden wird. Der Preis der neuen Zeitschrift wird pro Heft circa 6—8 Mark betragen, jedoch der complete Jahrgang den Preis von 50 Mark keinesfalls übersteigen und sind Käufer des ersten Heftes zur Abnahme des ganzen Jahrganges verpflichtet. Das erste Heft des Jahrganges 1575 wird am 1. April ausgegeben und von jeder Buchhandlung zur Einsicht vor- gelegt werden können, welche schon jetzt Bestellungen auf die Zeitschrift entgegennehmen. Indem wir bitten, von nachstehendem Formulare even- tuell Gebrauch zu machen, zeichnen hochachtungsvoll Veit & Comp. Abonnementsschein. Gefälligst abzuschneiden. Hiermit bestelle bei der Buchhandlung von 1 Exemplar der Zeitschrift für Anatomie und Entwickelungsgeschichte. Jahrgang 1875. Heft 1 und Folge. (Verlag von Veit & Comp. in Leipzig.) Ort: Name: (ES er een — nn — Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Pa Zu u J ' y t ’ er j & MN, ü ImAs {4 Mm KNRR Br NN LESE Y fe N / Ber a FR = 0 En Be gt a Fe y& DR! Ir Be REIST PAHTN le Kante,‘ ENEORUNORN DZ 2: : NUSR n u y; BUN . n Ru iu 5 ; . 5% . 2 es ; ® _ \ J; Rn 3 a I By Ehe xx os a ER, DE ng ee eng TE 4 En Dr a > DEE N EIER 257 EHEN, POSER u Fin BRSBRN \ R Di SR HR En Y AR RR: 19 N BT a Di (4 7) EN ar nn 75 BR