^f^^*^"^ Ä;Ä. ;^^^^i^ r?^vvs; ^%^^^jr.f./ ARCHIV 4 FÜR # NATURGESCHICHTE. GEGRÜNDET VON A. F. A. WIEGMANN, FORTGESETZT VON W. F. ERICHSON. IN VERBINDUNG MIT PROF. DR- LEU CK ART IN GIESSEN UND PROF. DR R. WAGNER IN GÖTTINGEN HERAUSGEGEBEN Da. r. B. TROSCHEI., PROFESSOR AN DER FRIEDRICH-WILHELMS-UNIVERSITÄT ZU BONN. NEUN UND ZWANZIGSTER JÄHRGANG. £rister Band. Mit zwölf Tafeln. Berlin, NicoLaische Verlagsbuchhandlung. (G. Parthey.) 1863. Inhalt des ersten Bandes. Seite. Ein zweites Bruchstück aus der Entwickelungsgeschichte der Maulfüsser. Von F r i t z M ü 1 1 e r in Desterro (Hierzu Taf. I) 1 Die Verwandlung* der Garneelen . Erster Beitrag. Von Fritz Müller. (Hierzu Taf. II) 8 Die zweite Entwickelungsstufe der Wurzelkrebse (Rhizocepha- len). Von Fritz Müller. (Hierzu Taf. III. Fig. 1-7) 24 Ueber die Ursache der Strömungen in der Leibeshöhle der Sertularinen. Von Fritz Müller 34 Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. Von Prof. Dr. E. Grub e in Breslau. Sechster Beitrag. (Hierzu Taf. IV— VI ) (Polynoe longisetis, Euphrosyne mediterranea, ZygolobuB Laurentianus , Glycera tesselata, Tetraglene rosea, Syllis brevicornis, S. hyalina, S. lussinensis, S. ni- gricirris, Amblyosyllis lineata, Heterocirrus multibranchis, Sclerocheilus rainutus, Phyllochaetopterus gracilis, Clymene digitata, Terebella compacta, T. lingulata, Sabellides ad- spersa, Sabella viola, S. candela, S. fragilis, S. sticho- phthalmos, S. polyzonos, S. imberbis, Serpula (Placostegus) lima) ......... '67 Beschreibung der Edwardsia duodecimcirrata Sars aus der Kie- ler Bucht. Von A. Meyer und K. M ö b i u s. (Hierzu Taf. III. Fig. A - D) 70 Beitrag zur Kenntniss der Nematoden. Von Dr. Vix in Hof- heim. (Hierzu Taf. VII) 75 Ueber Polytrema miniaceum, eine Polythalamie. Von Prof. Max Schultze. (Hierzu Taf. VIII.) Im Texte steht fälschlich Taf. IX . 81 Beitrag zur Orismologie der Formiciden. Von Dr. Gustav Mayr in Wien 103 Beiträge zur Fauna von Peru. Von Philipp i und Land- beck in Santiago. (Synallaxis striata, Chlorospiza erythro- nota, Pitylus albociliaris, Sterna lorata, St. Frobeenii, St. comata, Leistes albipes, Recurvirostra andina, Dasycephala albicauda) 119 ^20S^ IV Inhalt. Seite. Anatomie und Physiologie des Giftapparates bei den Hyme- nopteren. Von Dr. H. F e n g e r in Bonn. (Hiej-zu Taf. IX) 139 lieber eigenthüraliche Gebilde in der Samenflüssigkeit von Janthina. Von Fritz Müller in Desterro. (Hierzu Taf. X, Fig. 1 — 10) . . . . . . . • . .179 Ueber die Chilenischen Gänse. Von Dr. R. A. Philippi und Landbeck in Santiago 184 Beschreibung einer neuen Ente und einer neuen Seeschwalbe. Von Denselben 202 Kurze Nachricht über ein Paar Chilenische Fische. Von R. A. Philippi in Santiago (Petromyzon Anwandteri, Perca Pocha, P. Segethi) 207 Monographie des Nandu oder südamerikanischen Strausses (Rhea americana) . Von Dr. Adolph Böcking in Bonn 213 Ueber eine Brachiolaria des Kieler Hafens. Von Dr. V. Hen- sen in Kiel .... ... . . 24'i Ueber die Zusammensetzung des Kopfes und die Zahl der Abdominalsegmente bei den Insekten. Von Professor H. Schaum. (Hierzu Taf. XI) 247 Eine Frage an die Herren Botaniker über die Ursachen der schönen Herbstfärbung der Baumvegetation im nördlichen Amerika. Von Prinz M a x i m i 1 i a n z u W i e d . . 2G1 Ein Paar zoologische Bemerkungen aus unserer unmittelbaren Umgebung. Von Prinz Maximilian zu Wied. (Circae- tus gallicus legt nur ein Ei, Mus minutus Nest) . . 267 Ueber den Unterschied zwischen dem Schädel von Dicotyles labiatus Cuv. und D. torquatus Cuv. Von Prof. Dr. Kr au s s in Stuttgart 271 Ueber den Hering der pommerschen Küsten und die an den- selben sich anschliessenden Industriezweige. Von Prof, Dr. Munter in Greifs wald. (Hierzu Taf. XII) . . 281 Die Körnchenbewegung an den Pseudopodien der Polythala- mien. Von Prof. Max Schul tze 361 Nachtrag zu dem Aufsatze über die Brachiolaria des Kieler Hafens. Von Dr. V. Ilensen 363 Nachtrag zu dem Aufsatze über die Zusammensetzung des Kopfes und die Zahl der Abdominalsegmente bei den In- sekten. Von Prof. H. Schaum 365 Ein zweites Briiclistück aus der Entwickeluiigsge- sehiclite der Klaulfässer. Von Fritz Müller in Desterro. (Hierzu Taf. I.) Durcli die bei einer Art ungemein reich entwickel- ten ;, Stäbchen'^ der inneren Fühler waren mir neuerdings die Hyperion merkwürdig geworden. Ich fing daher ein Thierchen ein^ das in seinen Umrissen und durch die Art, wie es in einem Gewimmel anderer kleiner Krebsthiere herumschwamm, an Hyperia erinnerte, und das mir durch den grünen Schimmer seiner Augen und seine Durchsich- tigkeit aufgefallen Avar. Schon die einfache Linse zeigte, dass es nicht war w^ofür ich es gehalten, imd eine nähere Untersuchung ergab Folgendes : Das bis auf die Augen farblose Thier ist fast 2 Mm. lang. Sein Leib lässt drei sehr verschieden ausgestattete, nahezu gleich lange Abschnitte unterscheiden : der vor- dere ist ungegliedert, trägt Augen, Fühler, Mundtheile und ein ansehnliches Rückenschild, das von seiner hinte- ren Grenze weit nach hinten vorspringt; der mittlere, ganz von diesem Schilde bedeckt, besteht aus fünf Rin- gen, die zweiästige Schwimmfüsse tragen ; der hintere Abschnitt ist anhanglos, aus drei kui'zen Ringen und einem grossen Schwanzblatte gebildet. Die Mitte des geraden Stirnrandes trägt einen, ein wenig abwärts gerichteten spitzen Fortsatz, dessen Länge etwa Archiv f. Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 1 2 Müller: der halben Breite des Stlrnrandes gleichkommt. Seitlich, vorn an den Stirnrand sich anschliessend, springen die grossen, ungestielten und unbeweglichen, beinahe halbku- gelig gewölbten Augen vor, deren Oberfläche in regel- mässig sechsseitige Feldchen (von 0,025 Mm. Durchmesser) getheilt ist, und deren grüner Schimmer schon erwähnt wurde. Zwischen ihnen liegt auf der Unterfläche ein kleiner scharf umschriebener schwarzer Augenfleck. Hinter diesem entspringt ein kleiner vorwärts gerichteter Dorn (Fig. 2, c). Noch etwas weiter nach hinten, doch noch zwischen den Augen und ihnen genähert, stehen die inneren Fühler (Fig. 2, a, Fig. 3) , die auf kurzem dünnen Stiele ein längeres Endglied tragen und nur mit ihrer äussersten Spitze den Stirnrand überragen. Ausser drei Borsten an der Spitze und einer am Aussenrande tragen sie oberhalb, nahe der Spitze, drei meist stark ge- krümmte, einfach walzenförmige Stäbchen mit abgerun- detem Ende. Die äusseren Fühler (Fig. 2. b) ent- springen dicht hinter den Augen, nahe dem Seitenrande des Körpers, sind dreigliedrig, reichen ein- und vorwärts sich krümmend bis zur Mitte des Endgliedes der inneren Fühler und tragen an der Spitze sechs gefiederte Borsten. Den Mund, der etwas hinter der Mitte des vorderen Leibesabschnittes gelegen ist, umgeben Oberlippe, Unter- lippe, ein Paar Oberkiefer und ein einzigesPaar Unter- kiefer. Die Oberlippe (Fig. 4, a) überdeckt vollständig die Oberkiefer; ihr freier Rand erscheint bald sanft ge- wölbt, bald (bei stärkerer Zusammenziehung der Fig. 4, m gezeichneten Muskeln) in der Mitte ausgebuchtet. An den Oberkiefern (Fig. 4, b) unterscheidet man einen mehr oberflächlich nach hinten und innen mehr in der Tiefe und nach vorn gelegenen Theil *), von denen jeder mit mehreren Zähnen bewafl:net ist. Die beiden Hälften der Unterlippe (Fig. 4, c. Fig. 5) stossen in der Mittel- linie zusammen; ihr Rand ist dicht mit kurzen Haaren *) Dieser tiefer gelegene Theil des Oberkiefers ist wahr- scheinlich von mir bei der älteren nur einmal gesehenen Maulfüsser- larve übersehen worden. Bruclistück aus der Entwickelungsgeschichte der Maulfüsser. 3 besetzt. Der Unter ki ef er (Fig. 4^ d) hat zwei überein- andergelegene mit einwärtsgerichteten Dornen bewaffnete Vorsprünge ; der dem Körper nähere trägt vier kürzere, der andere drei längere Dornen ; nach hinten von erste- rem liegt ein kleiner ungegliederter Anhang (Fig. 4^ d'), dessen Innenrand einige kurze Borsten trägt^ und der wohl als äusserer Ast (fouet, M. Edw.) zu deuten ist. Mit der Rückenfläche des vorderen Leibesabschnittes ist das ansehnliche Schild verwachsen. Es beginnt hinter den Augen und reicht bis über den mittleren Leibesabschnitt hinaus^ je nach dessen verschiedener Zu- sammenziehung noch einen bis drei Ringe des hinteren Abschnittes bedeckend. Seine Breite ist vorn Vs der Körperlänge (den Stirnfortsatz nicht mitgerechnet), hinten etwas geringer. Es ist seitlich nur wenig abwärts gebogen. Seine hinteren Ecken sind in zwei starke hinterwärts ge- richtete Spitzen ausgezogen, (Länge = V3 des Stirnfort- satzes) und einen (halb so langen) Stachel trägt die Mitte des Hinterrandes. Ein winziges Höckerchen (Fig. 7, n) findet sich in der Mittellinie des Schildes am Anfange des letzten Drittels des unverwachsenen Theilcs. Der (an den Seitenthcilen einwärts gekrümmte) Rand des Schildes ist eingefasst mit einem schmalen, dünnen, fein und unregelmässig gezähnelten Saume (Fig. 7, s). Der mittlere Leibes abschnitt ist, w^ie gesagt, aus fünf Ringen zusammengesetzt und trägt fünf Paar z w e i ä s t i g e r F ü s s e (Fig. 4, e ; Fig. 6), die bis auf einige Unterschiede in der Beborstung übereinstimmend gebildet sind ; alle haben einen dicken zweigliedrigen Stamm, einen stärkeren zweigliedrigen inneren und einen schwächeren ungegliederten äusseren Ast, der von dem inneren um die Länge seines kurzen Endgliedes überragt wird. Der äus- sere Ast trägt vier längere gefiederte Borsten am Ende, eine an seinem Aussenrande und beim vierten und fünften Fusspaare ausserdem zwei kürzere Borsten an seinem Grunde. Das Endglied des inneren Astes trägt beim fünften Fusspaare drei, beim dritten und vierten vier lange Borsten und ausser diesen bei den ersten beiden Fuss- paaren einen am Ende schwach einwärts gekrümmten 4 Müller: Dorn etwa von halber Länge des Astes. Kürzere Borsten stellen am Innenrande des inneren Astes. Die drei folgenden anhanglosen Ringe ma- chen zusammen kaum Vg der Körperlänge aus und tragen jederseits je ein winziges rückwärts gerichtetes Dörnchen. Der Schwanz ist ein ansehnliches spateiförmiges Blatt von 0^3 der Leibeslänge ; seine Breite kommt in der Mitte der Länge fast gleich, ist hinten nur wenig gerin- ger, vorn nur halb so gross. Der ziemlich gerade Hin- terrand trägt vier grössere, schmale und spitze Zähne; zwei davon nehmen die hinteren Ecken ein ; zwischen jedem von diesen und dem nächsten der beiden mittleren Zähne stehen vier, zwischen den beiden mittleren stehen zwei halb so lange Zähnchen; vier bis fünf weit kleinere Dörnchen stehen in jeder der so gebildeten 13 Buchten. Jeder Seitenrand trägt in seiner hinteren Hälfte drei schmale rückwärts gerichtete Zähne. Das Verdau ungs röhr, von ziemlich gleichbleiben- der Weite , steigt vom Munde schief nach vorn in die. Höhe, um dann umbiegend gei'ade zum After zu laufen, der am Anfange des Schwanzblattes gelegen ist. Im hinteren Theile des vorderen Leibesabschnittes nimmt es die farblose Absonderung von zwei vorderen und zwei hinteren weiten Leber schlauchen (Fig. 7, 1) auf. Die vorderen Leberschläuche sind kurz, schief nach vorn und aussen gerichtet, die hinteren begleiten den Darm bis fast zum Schwänze und haben vorn eine ansehnliche Erweite- rung (Fig. 8, l'O. Das dem Darme aufliegende Herz (Fig. 7, a) bildet in den fusstragenden Ringen einen gleichmässig weiten Schlauch, der im vorderen Leibesabschnitte, über der er- w^ähnten Erweiterung der hinteren Leberschläuche, sich aufs Doppelte erweitert und im hinteren Drittel dieses Abschnittes endet. Hier, an seinem vorderen Ende, wird es durch zwei ansehnliche dreieckige seitliche Muskel- bündel (Fig. 7, i) an die Rückenwand befestigt. Für den Eintritt des Blutes sind fünf Paar OefFnungen vorhanden, ein Paar nahe dem hinteren Ende des vorderen Leibes- abschnittes, die folgenden ungefähr den Grenzen der fünf Bruchstück aus der Entwickelungsgescliichte der Maulfüsser. 5 fusstragenden Ringe entsprechend. Die vier vorderen Paare (Fig. 7^ b) bilden anselinliclie mit Klappen versehene Spalten; die des letzten Paares (Fig. 7, c) sah ich einmal sehr deutlich kreisförmig; andere Male waren sie minder deutlich zu erkennen und schienen den vorderen ähnlich 2u sein. — Innere balkenartige Muskeln fehlen dem Herzen. Die vom Herzen abgehenden Gefässe beschränken sich auf ein vorderes und ein hinteres. Am Eingange des ersteren (Fig. 9) liegen ähnliche Klappen, wie an den seitlichen Spalten. — Von diesem vorderen Gefässe geht ein starker unpaarer Ast zwischen Schlund und Hirn nach unten, ein anderer jederseits nahe dem Stirnrande bis zum Auge, während der schwache Endast etwa in der Mitte des Stirnfortsatzes sich öffnet. Das aus den Aesten des vorderen Gefässes austretende Blut strömt in der Leibes- höhle lebhaft nach hinten. Das Jiintere Gefäss endet mit weiter OefFnung (Fig. 7, h) etwas hinter dem After. Selbst durch schwachen Druck des Deckgläschens, der eben hinreicht, das Thier festzuhalten, wird der Blut- lauf im Schwanzblatte leicht gestört; die dem Gefässe entströmenden Blutkörperchen zögern oder stocken ganz in der Nähe der hinteren Ecken, und man hat dann hier Gelegenheit, aufs Gemächlichste die merkwürdige eigene Bewegung der Blutkörperchen (Fig. 10) zu beobachten, die Lieber kühn bei den farblosen Blut- zellen der Wirbelthiere kennen gelehrt hat. Sie besteht bei unserem Krebschen hauptsächlich darin, dass das Blutkörperchen einen oder zwei kurze spitze Fortsätze ausschickt, und ist so langsam, dass man sie nur an der nach einiger Zeit veränderten Gestalt des Blutkörperchens erkennt. Man überzeugt sich leicht, dass diese Formver- änderungen, und dass die unregelmässigen Gestalten der Blutkörperchen nicht etwas Krankhaftes^ etwa eine Er- scheinung des Absterbens sind, wie man wohl geglaubt hat; denn dieselben mannichfachen Gestalten, die nach und nach dasselbe im Schwanzblatte ruhende Blutkörperchen annimmt, findet man wieder in dem kreisenden Blute des eben eingefangenen lebensfrischen Thieres. Meine lückenhafte und der Nachprüfung bedürftige 6 Müller: Beobachtung über die Anordnung des Nervensystems übergehe ich. Ueber die Deutung des eben beschriebenen Krebs- chens als Maulfüsserlarv e dürfte namentlich nach dem Bau des Herzens kaum ein Zweifel sein. Ob sie zu der- selben Art, oder [wenigstens in dieselbe Entwickelungs- weise mit der älteren Larve gehört, die ich vor Kurzem beschrieb, ist schwerer zu entscheiden. Doch vermuthe ich es. Unter einer nicht unbedeutenden Zahl von Krebs- larven, die ich kenne, sind diese beiden die einzigen, die das kleine Dörnchen zwischen dem Ursprünge der Fühler besitzen. Jedenfalls gehört die Larve einem in der Nähe der Küsten lebenden Thiere an ; die sieben Exemplare, die ich untersuchte, fing ich an drei aufeinander folgenden Tagen bei anhaltendem Südwinde, bei dem niemals Thiere der hohen See in unsere Bucht kommen. Gehören beide Larven zusammen, so w^ird die Ent- w^ickelung jener älteren aus dieser jüngeren kaum anders vor sich gehen können, als dass die drei vorderen Fuss- paare sich in das zweite Paar der Unterkiefer und die zwei ersten Paare der Kieferfüsse umbilden, und dass zwischen ihnen und den beiden hinteren Fusspaaren die sechs anhanglosen Ringe der älteren Larve entstehen. Erklärung der Abbildungen. Taf. I. Fig. 1 ist 45mal, 2 bis 8 sind 90mal, 9 und 10 sind ISOmal vergrössert. Fig. 1. Stomatopodenlarve von Praia de fora bei Desterro, v. u. „ 2. Die Fühler, in ihrer gegenseitigen Lage, v. u. a der rechte innere , b der linke äussere Fühler ; c der kleine Dorn zwischen ihnen. „ 3. Spitze des vordem Fühlers, v. d. Seite. „ 4. Mundtheile in natürlicher Lage ; a Oberlippe ; b Oberkiefer ; c Unterlippe; d Unterkiefer; d' äusserer Ast desselben; e Fuss des ersten Paares ; m Muskeln der Oberlippe. „ 5. Unterlippe. „ 6. Fuss des vierten Paares; a äusserer, i innerer Ast. Bruchstück aus der Entwickelungsgeschichte der Maulfüsser. 7 ' Fig. 7. Herz und Gefässe von oben, a Herz; b Spalten zum Ein- ] tritte des Blutes ; c runde Oeffnungen ohne Knappen ; d i Klappen am Ursprünge des vorderen Gefässes ; e vorderes { Gefäss; f Ast desselben, der zwischen Schlund und Hirn ' nach unten geht ; g hinteres Gefäss ; h dessen hintere Oeff- i nung; i Flügelmuskeln des Herzens; j Muskeln, die den Schlund an den Rücken heften; k Muskeln, die den After \ öffnen; 1 Leber; m Anheftungs stelle des Rückenschildes; ' n ein kleiner Dorn des Rückenschildes; s der gezähnelte Saum desselben. „ 8. Der vordere Theil der Leber, v. o. S Schlund; d Darm; J 1 vordere, 1' hintere Leberschläuche ; 1" Erweiterung der - letzteren. j „ 9. Ursprung des vorderen Gefässes aus dem Herzen, a eine ■ oft zu beobachtende doch nicht bleibende Einschnürung i dieses Gefässes. „ 10. Blutkörperchen. •; Desterro; Mitte Febmar 1862. i Die Verwandlung der Garneelen. Erster Beitrag. Von Fritz Müller in Desterro. ' (Hierzu Taf. II.) Milne Edwards deutete als walirsclieinlicli der Gattung Peneus zugehörige Garneelenlarve einen kleinen Krebs, den man früher als eigene Gattung Cryptopus Latr., den Schizopoden zugezählt hatte. Krebschen, die im all- gemeinen Ansehen noch enger den Schizopoden sich an- schliessend im Besitze dreiei: Scheerenpaare mit Cryptopus und Peneus übereinstimmen, beobachtete ich in mehreren Arten und konnte sie zurück verfolgen zu scheerenloser Mysisform, von da zur Gestalt einer Zoea, und eine Art •weiter bis zur Gestalt eines Nauplius, zu jener jugendli- chen Grundform also, die schon die Rhizocephalen und Lernaeen mit den Rankenfüssern und der formenreichen Gruppe der Cyclopen verbindet. Von der Zoeaform wurden fünf verschiedene Arten und einige derselben ziemlich häufig während des ganzen Sommers beobachtet ; die unveränderte Naupliusform, wahrscheinlich dieselbe, in der das Thier aus dem Eie schlüpft, kam ein einziges Mal (13. December) zur Beob- achtung ■""). *) Dies beweist, dass wenigstens zur Zeit der Fortpflanzung die Eltern eich nicht in der Nähe des Strandes aufhalten, da sonst Müller: Die Yerwandlung der Gameelen. 9 Der Körper dieser jüngsten Larve (Fig. 1) ist ungegliedert^ birnförmig^ 0^4 Mm. lang^ vorn abgerundet und 0^2 Mm. breit, nach hinten bis auf Vs der Körperlänge verjüngt, hinten abgestutzt und seicht ausgerandet. Nahe dem Vorderrande steht ein kleines, schwarzes, scharfum- schriebenes Auge. Der Hinterrand trägt jederseits eine starke gerade Borste von halber Körperlänge und daneben einen kurzen Dorn. Der Unterfläche des Leibes entsprin- gen sechs schlanke, langbeborstete Füsse, von denen die vorderen und mittleren Vs? die hinteren etwa die Hälfte der Körperlänge erreichen. Die vorderen stehen dicht am Stirnrande, die mittleren nahe dahinter, die hinteren etwa in der Mitte des Körpers. Die vorderen sind einfach, die mittleren und hinteren zweiästig; der hintere Ast er- scheint als unmittelbare Fortsetzung des Stammes, und ist stärker, bei den hinteren Füssen auch viel länger als der vordere. Deutliche Gliederung ist nirgends an den Füssen zu erkennen, eine Andeutung von vier bis fünf Gliedern ist am hinteren Aste der mittleren Füsse zu se- hen. Eine starke Borste von Körperlänge steht nebst einigen kürzeren an der Spitze der vorderen Füsse, zwei an der Sj)itze des vorderen Astes, sechs am vorderen Rande und der Spitze des hinteren Astes der mittleren Füsse ; je zwei Borsten an der Spitze und eine unter der- selben an jedem Aste der hinteren Füsse. Das Thierchen ist ziemlich undurchsichtig und von bräunlicher Färbung, die besonders an der Spitze der Füsse stärker hervortritt. Die Bildung des Mundes und der inneren Theile wurde nicht beobachtet. Die ziemlich biegsamen Füsse bilden mit ihren spar- samen langen Borsten eben kein rasch förderndes Be- wegungswerkzeug. Ein Mann, der senkrecht im Wasser schwebend, mit weit ausgebreiteten Armen, schwanke Weidengerten in der Hand, sich emporarbeiten wollte, umgekeh.rt die jüngsten Larven die häufigsten sein müssten. Eine dem Pcneus Caramote nahe stehende Art, die hier häufig unter dem Namen Camarao verspeist wird, erscheint im Sommer überhaupt nur spärlich und kaum je über mittelgross auf dem Markte. 10 Müller: würde etwa ein Bild der eigenthümliclieii Bewegungsweise geben^ an der man auf den ersten Blick unter Hunderten anderer kleiner Kruster diese Nauplius und die daraus hervorgehende Zoea erkennen kann *). Bei einer wenig grösseren (0^5 Mm. langen) Larve (Fig. 2), die in allgemeiner Körpergestalt, Bildung der Füsse und Färbung mit der vorigen übereinstimmt (am 13. Januar gefangen), hat sich das Hinterende in zwei dicke kegelförmige Zapfen ausgezogen ; an deren Spitze jetzt die beiden langen Schwanzborsten stehen, begleitet nach innen von je zw^ei, nach aussen von je drei kürzeren, zum Theil noch dornartigen Borsten. Auch die Zahl der Borsten an den mittleren Füssen hat sich vermehrt. Als erste Andeutung des Rückenschildes zieht sich ziemlich in der Mitte des Körpers eine Hautfalte quer über den Rücken. Die hinteren Füsse sind mehr nach vorn und näher an die Mittellinie, an den zwischen ihnen liegenden Mund gerückt, vor welchem, zwischen den mittleren Füssen eine grosse helmförmige Oberlippe („ Mundkapp e'^j gelegen ist. Der kurze Stamm dieser Füsse hat sich fast kuglig verdickt; offenbar bildet sich in seinem Inneren irgend ein neuer Theil, dessen Umrisse aber noch nicht deutlich hervortreten. Hinter dem Munde, das mittlere Drittel der Körperlänge füllend, sind aus der Bauchfiäche vier Paar langer plumper Zapfen hervorgesprosst, die sich hinterwärts dem Körper anlegen. In der Gestalt der ersten beiden Paare lassen sich schon die späteren Unterkiefer erkennen. Eng an diese Larve schliessen sich vier andere an, die — wahrscheinlich demselben Schwärme entstammend — gleichzeitig (^24. Januar) gefangen wurden. In der *) An dieser Bewegungsweise hatte ich mit blossem Auge das eben beschriebene Thierchen als Peneuslarve erkannt ; das Mikroskop Hess diese Deutung, wenn nicht als irrig, so doch als höchst un- wahrscheinlich erscheinen. Einen Monat später fanden sich Mit- telformen, die dem unbewafifneten Auge gegen das Mikroskop Recht gaben; letzteres allein hätte mich wahrscheinlich nie die wahre Na- tur meines Nauplius ahnen lassen. Die Verwandlung der Garneelen. Xt Anschwellung am Grunde der hinteren Füsse (Fig. 3) sind deutlich die Umrisse des späteren Oberkiefers zu erkennen; aus dem hinteren Aste hat sich der lebende Inhalt mehr oder weniger vollständig zurückgezogen; der vordere Ast ist noch ziemlich gefüllt, aber schon zu sehen, dass auch ihm nach der Häutung Borsten fehlen werden. Von diesen Füssen wird also, ausser dem zum Oberkiefer umgewandelten Stamme, nur ein kurzes bor- stenloses Stummelchen übrig bleiben. — (Ein solches, durch seine dunkle bräunliche Färbung sehr augenfällig, wurde in der Tliat einmal, am 3. Januar, bei einer sehr jungen Zoea beobachtet; sehr bald aber schwindet auch dieses vollständig). ■ — ■ Zwischen dem Ursprünge der bei- den vorderen Füsse sind jetzt schon zw^ei ansehnliche in der Mittellinie zusammenstossende Ganglien zu unterschei- den. Im vorderen Winkel zwischen diesen beiden Gan- glien liegt das Auge, umgeben von mehreren kleinen orangefarbenen Kügelchen (Oeltröpfchen?). Ueber dem Auge^ es von oben verdeckend, hat sich ein trübes, fein- körniges Gewebe gebildet, dem jederseits ein kleines, durchsichtiges, halbkuglig über den Stirnrand vorsprin- gendes Knöpfchen aufsitzt. Darm, Leber und Herz sind schon in ähnlicher Form vorhanden, wie bei den jünge- ren Zoea. Wahrscheinlich schon mit der nächsten Häutung, darauf deuten die bereits angelegten Borsten derselben hin, treten die Fussstummel in Thätigkeit und aus dem Nauplius wird eine Zoea, auf deren Anhänge sich schon ungezwungener die für die erwachsenen Thiere üblichen Namen anwenden lassen. Ich bezeichne also weiterhin die beiden ersten Fusspaare des Nauplius als Fühler, das dritte als Oberkiefer, von den vier neuen Fusspaaren die beiden vorderen als Unterkiefer, die hinteren als Kie- ferfüsse. Als Zoea (Fig. 4 — 8) wurde unsere Larve von 0,8 bis 1,6 Mm. Länge beobachtet. Während dieses Lebens- abschnittes entwickeln sich die paarigen Augen; es bilden sich 10 oder 11 neue Ringe, an dem ersten der- selben ein Fuss])aar und an den fünf folgenden die An- 12 Müller: lagen von solchen, so wie endlicli die seitlichen Schwanz- anhänge. Diese neuen Theile sind natürKch in sehr wechselnder Gestalt zu finden ; im Uebrigen. erleiden die Thiere keine erheblichen Veränderungen, — selbst nicht in der Grösse; denn die Zunahme der Länge rührt fast ausschliesslich von der wachsenden Ausdehnung der elf neuen Ringe her. Das Rückenschild, 0,4 bis 0,5 Mm. lang, ist an- fangs fast kreisrund und flach ausgebreitet. Bald biegt es sich herab und deckt von den Seiten die Mundtheile und die Grundglieder der Füsse. Hinten erhält es, so weit es dem Körper aufliegt, eine seichte Ausbuchtung. Während es bei seinem ersten Auftreten (s. o.) hinter dem jetzigen Oberkiefer von dem Körper sich abhebt, geschieht dies hinter dem zweiten Paare der Kieferfüsse und frei vorspringend deckt es noch 2 — 3 der neu sich bildenden Ringe. Yorn ist es zuerst von den aneinander- stossenden Augen bedeckt (Fig. 4) ; wenn diese später auseinanderweichen, überdeckt es den Zwischenraum und den Grund der Augenstiele mit einem dreieckigen Fort- satze, der in einen bis 0,12 Mm. langen Stachel ausläuft (Fig. 7). Andere stachelförmige Fortsätze fehlen ihm. Unter diesem vordersten Theile des Rückenschildes und den paarigen Augen liegt das unpaare Auge: die ganze Breite (0,1 Mm.) zwischen dem Ursprünge der vor- deren Fühler füllen zwei ansehnliche Ganglien, die in der jVIittellinie zusammenstossen ; ihre vorderen Flächen sind stark gewölbt und über beide spannt sich in einem ziem- lich halbkreisförmig gewölbten Bogen die Leibeshaut. Aus der Tiefe des so zwischen den Ganglien und der Haut frei bleibenden Raumes erhebt sich ein keulenför- miges Stäbchen („KrystallkegeP^), das fast die Haut er- reicht und in seinem unteren Theile von schwarzen Farb- körnchen umlagert ist. Die Haut schien mir bei dieser Art ohne linsenförmige Verdickungen zu sein. Die Fühler bilden noch das hauptsächlichste Be- wegungswerkzeug, während sie bei allen anderen Zoea (der Maulfüsser, Krabben, Porcellanen, Paguren und der Die Verwandlung dei* Garneelen. %$ in Zoeaform das Ei verlassenden Garneelen) nichts mit der Ortsbewegung zu thun haben. Die vorderen (inneren) Fühler (0^ Mm. lang) erscheinen jetzt in vier Glieder geschieden, von denen das erste fast die Hälfte der Länge einnimmt ; die längste der drei starken Endborsten hat fast die doppelte Länge des Fühlers. Dicht an den Endborsten, nach aussen von ihnen, stehen ein oder zwei zarte 0,09 Mm. lange Stäbchen, und ein oder zwei andere etwas unter der Spitze an der Aussenseite des Endgliedes. Die hinteren (äusseren) Fühler sind jetzt dicht an die Seite der inneren gerückt und erreichen nur etwa V3 von deren Länge ; ihr dicker Stamm lässt 2, der innere (vordere) Ast 3, der äussere (hintere) bis 10 Glieder unterscheiden. Wie früher ist der innere Ast wenig kürzer aber viel schmächtiger als der äussere. Die Zahl der gefiederten Borsten des äus- seren Astes steigt bis auf 10, von denen 4 an der Spitze, die anderen am Ende der sechs vorhergehenden Glieder stehen. Die grosse Oberlippe (L) hat etwa die Gestalt eines preussischen Soldatenhelmes, den man sich nur breiter und dessen Schirm man sich bedeutend vergrössert und in der Mitte ausgerandet denken müsste. Der Helm, dessen Spitze vorwärts gerichtet ist, ist unbeweglich und von ihm gehen Muskeln in den beweglichen Schirm, der sich deckend über den Mund und einen Theil der Ober- kiefer legt. Von den kräftigen Oberkiefern (HI) fällt bei Betrachtung des unvorletzten Thieres von unten nur ein langer 2- — 3-spitziger Zahn in die Augen, der weit über die tiefer gelegene mit niedrigen Leisten und Höckern besetzte Kaufläche vorspringt. Am Grunde des Zahnes, nach der Kaufläclie zu, stehen mehrere derbe, mit kurzen Dörnchen besetzte Borsten (Fig. 8). — Die Oberkiefer sind taste r los. Es scheint dies eine Eigenthümlichkext zu sein, in der alle Zoea mit den Insekten übereinstim- men und die hier doppelt auffallend ist, da nicht nur das erwachsene Thier lüefertaster besitzt, sondern auch die U Müller: Jüngern Larven an dieser Stelle zweiästige Füsse besitzen, aus denen die Kiefer hervorgehen. An den Unterkiefern ( IV, V) unterscheidet man den Stamm mit Vorsprüngen an seiner Innenseite, die fast das Ansehen von Gliedern haben und mit starken, zum Theil dornartigen, zum Theil gezähnelten oder ge- fiederten Borsten besetzt sind, — einen mehrgliedrigen Endtheil (inneren Ast?), der an Innenseite und Spitze län- gere und zartere Borsten trägt, — und einen kleinen länglichen blattförmigen Anhang (äusseren Ast, fouet M. Edw. Fig. 5, a, a), an dessen Rande einige wenige zarte Borsten stehen. An den Unterkiefern des ersten Paares (IV) hat der Stamm 2 längere, an denen des zweiten (V) 4 kürzere Vorsprünge, an jenen der Endtheil 3, an diesen 5 Glieder. Die Kieferfüsse (VI, VII) scheinen wenig bei der Ortsbewegung mitzuwirken. Sie bestehen aus einem, namentlich am ersten Paare dicken Stamme, einem län- geren 4— 5-gliedrigen inneren und einem kürzeren unge- gliederten äusseren Aste. Ausser den Endborsten finden sich Borsten von verschiedener Länge auch am Innen- rande des Stammes und des inneren Astes, so wie am Aussenrande des äusseren. Das erste Paar ist länger und kräftiger als das zweite. Diebeiden Aeste des Schwanzes treten jetzt, durch eine halbkreisförmige Ausbucht getrennt, unter ungefähr rechtem Winkel auseinander, erscheinen am Ende abge- rundet und erhalten am inneren Bande zweimal eine neue Borste, so dass deren Zahl erst auf 7, dann auf 8 an jedem Aste steigt. Die älteste Borste bleibt durch grös- sere Länge (0,4 Mm.) kenntlich, die äusserste, der eben- falls schon beim jüngsten Nauplius vorhandene Dorn, bleibt dadurch von den übrigen unterschieden, dass sie glatt ist, während die anderen mit kurzen Dörnchen und längeren Haaren fiedrig besetzt sind. Das Verdauungsrohr hat nichts Besonderes; der After, anfangs endständig (Fig. 4), rückt später auf die Bauchseite bis fast zur Mitte des letzten Ringes (Fig. 7). Die Leber, von gelblicher Farbe, besteht aus drei Paar Die Verwandlung der Garneelen. 15 weiten Schläuchen^ einem vorderen oberen^ einem seitli- chen, einem hinteren unteren), und hat in ihrem Baue ebenfalls Nichts von anderen Zoea Abweichendes. Die Lage des Herzens (h) ist die gewöhnliche, am Ende des mit dem Rückenschilde verwachsenen Leibes- abschnitts; mit fortschreitender Ausdehnung des Schildes rückt auch das Herz alhnählich weiter nach hinten. So liegt es bei den älteren Nauplius über dem dritten Fuss- paare (Oberkiefer), jetzt über dem sechsten und siebenten (Kieferfüssen). Der Bau des Herzens dagegen weicht auffallend ab von dem der älteren Thiere ebenso, wie von den anderen Decapodenlarven. Es gleicht dem vordersten erweiterten Abschnitte des Herzens der kürzlich von mir beschriebenen jüngeren Maulfüsserlarve. Es fehlen näm- lich die sich kreuzenden Balken im Innern und die Zahl der Spalten für den Eintritt des Blutes ist auf zwei beschränkt, die im hinteren Theile des Herzens auf dessen Unterseite liegen. Diese zwei Spalten sind ungemein augenfälb'g und ich glaube die Angabe, dass sie die einzigen sind, mit aller Bestimmtheit machen zu können. Oft und lange habe ich bei dieser und verwandten Arten den Lauf der Blutkügelchen durchs Herz und in dessen Nähe verfolgt, und nie sie anders als hier eintreten sehen; von vorn her- kommende Blutkörperchen sah ich einigemal dicht am Herzen entlang gleiten, um zu diesen hinteren Spalten zu gelangen. Auch dürften die später trotz des inneren Balkenwerks leicht zu erkennenden übrigen Spalten jetzt an dem einfachen Schlauche kaum zu übersehen sein. — Ein Gefäss entspringt am Yorderende, ein zweites unter dem abgerundeten Hinterende des Herzens. Am Ursprünge des ersteren wurden Klappen gesehen. Andere Gefässe scheinen noch zu fehlen. Ein grosser Theil des aus dem vorderen Theile des Körpers zurückkehrenden Blutes macht, wie bei anderen Zoea, einen Umweg durch das Rückenschild. Dies die Theile, die während dieses ganzen Zeitraums sich ziemlich unverändert erhalten. Von den neu auftretenden Theilen sind der Zeitfolge nach zuerst die paarigen Augen zu betrachten; denn 1-6' Müller: schon bei den ältesten Nauplius war ihre erste Spur zu erkennen (s. o.). Sie bilden bald eine ansehnliche, über dem vorderen Theile des Rückenschildes liegende, den Stirnrand überragende, vorn ausgerandete Masse (Fig. 4). Nahe ihrer äusseren, hinteren Ecke tritt ein schwarzer Farbfleck auf, von dem aus sich bald strahlige Linien zur Oberfläche des späteren eigentlichen Auges verfolgen lassen (Fig. 6) ; nach vorn imd innen davon unterscheidet man den verdickten Sehnerven, hinter dem ein freier, später von einem Muskel durchsetzter Raum bleibt. Die anfangs dicht zusammenstossenden Augen rücken nun rasch auseinander, so dass das unpaare Auge und in ganzer Breite die Ganglien, zwischen denen es liegt, wieder von oben sichtbar werden. Eigenthümliche Gebilde, die ich nicht zu deuten weiss und die den anderen beobachteten Arten zu fehlen scheinen, sind die beiden halbkugligen durchsichtigen Knöpfchen, die schon bei den ältesten Nauplius am Stirn- rande vorspringen. Sie verhalten sich anfangs als zarte fast kuglige wasserhelle Bläschen (Fig. 4, o), später als winzige mehr derbhäutige und undurchsichtige zitzenför- mige Anhänge am Vorderrande der Augenstiele während des ganzen Larvenlebens (Fig. 9, o). Die neuen Ringe, an denen später die Brust- und Afterfüsse sich entwickeln, bilden anfangs einen unge- gliederten, weichen, kurzen, aber rasch sich verlängernden Gürtel. Noch ehe dieser Gürtel die Länge des hinter ihm liegenden Leibesabschnittes erreicht, lässt sich eine anfangs freilich wenig deutliche Sonderung in 11 Ringe wahrnehmen. Anfangs sind diese ziemlich gleich lang, ja die vorderen länger und deutlicher geschieden; gegen Ende dieses Zeitraumes aber bilden die fünf hinteren etwa Vs der gesammten Körperlänge, von denen di e sechs vor- deren kaum Vg ausmachen, während der Rest der Länge halb vor und halb hinter diesen neuen Ringen liegt *). '■) Ob der erste dieser 11 Ringe, wie ich glaube, schon bei Beginn dieses Zeitraums vorbanden ist, ob also alle 14, oder nur 10 Ringe als wirklich neu zu bezeichnen sind, lasse ich unentschieden. Die Verwandlung der Garneelen. 17 Die fünf hinteren neuen Ringe (Hinterleibsringe) erhal- ten am hinteren Rande in der Mitte des Rückens ein kurzes Dörnchen und der letzte derselben ausserdem eins an jeder Seite. Von inneren Theilen ist in diesen neuen Ringen anfangs nur der Darm deutlich unterscheidbar, später bildet sich die Kette der Nervenknoten aus und erst gegen Ende dieses Zeitraums sondern sich die Mus- keln in scharf geschiedene Bündel. Die neuen Anhänge sprossen an der Bauchseite der entsprechenden Ringe als anfangs einfache Zapfen hervor, die aber bald einen längeren äusseren und kür- zeren inneren Ast unterscheiden lassen. Zuerst und schon, wenn eben eine Sonderung der neuen Ringe sich bemerk- lich zu machen anfängt, das dritte Paar der Kieferfüsse und die Seitenblätter des Schwanzfächers, weit später auf einmal die fünf Paare der Brustfüsse. Die Aeste der Kieferfüsse erhalten vor Ablauf dieses Zeitraums aus- gebildete Endborsten, bleiben aber noch ungegliedert, die Brustfüsse bleiben borstenlose Stummel. Die seitlichen Schwanzblätter, die unmittelbar (ohne Gelenk) dem Grund- gliede aufsitzen, erhalten einzelne kurze Borstchen, beson- ders die Spitze des längeren äusseren Blattes; die langen Fiederborsten der späteren Zeit fehlen noch. Durch das Hervorsprossen der Schwanzanhänge • an der Bauchseite unterscheiden sich unsere Thiere nicht nur von den Por- cellanen, sondern auch von denjenigen Garneelen, die in Zoeaform das Ei verlassen und bei denen, wie bei Por- cellana, diese seitlichen Schwanzblätter innerhalb der brei- ten Schwanzflosse angelegt werden. Den allmählichen Aenderungen, die das Ansehen des Thieres durch die Ausbildung der paarigen Augen, der In letzterem Falle hätte man: im ersten Zeitraum (Nauplius) fünf ursprüngliche Kinge (Fühler, Oberkiefer, Schwanz) und die Bil- dung von fünf neuen (für Unterkiefer und Kieferfüsse); im zweiten Zeitraum (Zoen) Bildung von 2X5 neuen Ringen, von denen die einen (Brustringe) jetzt, die andern (Hinterleibsringe) im dritten Zeitraum (Mysisform) Fussstummel erhalten. Dies einfache Yer- hältniss jedoch, weit entfernt, ein allgemeingültiges zu sein, würde nicht einmal für alle Arten der Gattung Peneus passen. Archiv f. Naturg. XXiX. Jahrg. 1. Bd. 2 iS Müller: neuen Leibesringe und ihrer Anhänge erleidet, folgt, wenn es eine Länge von etwa 1,6 Mm. erreicht hat, eine neue tiefgreifende, plötzliche Verwandlung, der Uebergang in die Mysisform (Fig. 9). Die Fühler hören auf der Bewegung zu dienen; sie werden abgelöst durch den langen Hinterleib, der eben noch wie eine nutzlose Last mühsam nachgeschleppt wurde und dessen kräftige Mus- keln jetzt das Thier in hüpfender Bewegimg weiter schnel- len, — und durch die langbeborsteten Brustfüsse. Das Rückenschild, mit noch ungezähneltem Stirn- fortsatze, hat am Vorderrande jederseits zwei kurze Zähne erhalten, einen über dem Auge, den anderen an der unteren Ecke. Es deckt nach Kurzem die Brustringe vollständig, von denen anfangs einige wenigstens oberhalb noch unbedeckt bleiben. Die vorderen Fühler (Fig. 12, I) haben ihre langen Borsten verloren. Die drei ersten Glieder er- scheinen jetzt als Stiel, indem nach innen von dem vier- ten, stäbchentragenden Gliede ein zweiter anfangs unge- gliederter, in eine einfache Borste auslaufender Ast sich entwickelt. Der äussere Ast der hinteren Fühler (Fig. 12, II a) ist zur Schuppe des Garneelcnfühlers geworden, zu einem ungegliederten Blatte, dessen Aussenrand in einen kurzen Zahn ausläuft, während die weiter vorsprin- gende Spitze und der Innenrand mit langen Fiederborsten besetzt sind. Neben diesem Blatte, nach innen und unten, steht ein kurzer, borstenloser, ungegliederter Zapfen, aus dem später die Geissei des Fühlers hervorgeht. Ob dieser Zapfen aus dem inneren Aste des Zoeafühlers sich ent- wickelt, oder neu sich bildet, während jener innere Ast vollständig schwindet, lasse ich unentschieden; wahr- scheinlich ist mir letzteres ; ich glaube, dass man die Geissei des Garneelcnfühlers als mittleren Ast (palpe M. Edw.) zu betrachten hat. Die schon bei Zoea vorhandenen Füsse haben keine auffallende Veränderung erlitten. Das dritte Paar der Kieferfüsse gleicht jetzt den beiden vorhergehenden. Die fünf neuen Fusspaare (Fig. 11) haben anfangs alle Die Verwandlung der Garneelen. 19 dieselbe Bildung; der ungegliederte Stamm trägt einen kurzen^ ebenfalls ungegliederten inneren Ast mit zwei Endborsten und einen doppelt so langen, in seiner oberen Hälfte geringelten und mit langen Borsten besetzten äus- seren Ast, der in fast beständiger strudelnder Bewe- gung ist. Am Schwänze (Fig. 10) sind die Seitenblätter jetzt auf kurzem Grundgliede beweglich eingelenkt und mit langen Fiederborsten besetzt ; das Mittelstück (der siebente Hinterleibsring) erscheint länger und schmäler, als wenn man die beiden auseinanderweichenden Aeste bis zu fast völliger Verschmelzung zusamraengeschoben hätte; die Borsten der Zoea sind vollzählig erhalten, aber zu kurzen Dornen zusammengeschrumpft. Der After liegt am Anfange dieses letzten Ringes. Um dieselbe Zeit findet eine bedeutende Verände- rung des Herzens statt, das vier neue Spalten für den Eintritt des Blutes und innere Muskelbalken erhält. In dieser Mysis-ähnlichen Gestalt wurde unsere Larve von kaum 2 bis 4,5 Mm. Länge beobachtet. Während dieses Zeitraumes bilden sich die Gehörwerkzeuge, die Scheeren und Gangfüsse aus, Oberkiefertaster, Afterfüsse und Kiemen werden an2:ele2:t. Die Geissein der Fühler verlängern und gliedern sich ; bei Thieren von 4 bis 4,5 Mm. Länge sind die beiden Geissein der inneren Fühler dreigliedrig; die äussere, etwas kürzere, trägt etwa sieben Stäbchen; die Geissei der äusseren Fühler erreicht fast die Länge der Schuppe. Im Grundgliede des inneren Fühlers bildet sich das Gehörwerkzeug. Das untere Drittel dieses Gliedes erhält nach aussen eine Auftreibung, die oben durch einen halbmondförmigen Ausschnitt begrenzt wird (Fig. 12). Im Inneren dieser Auftreibung unterscheidet man bald (bei Thieren von 3 Mm. Länge) eine längliche Höhle. In der Höhle erscheint wenig später ein kugliger, stark lichtbrechender Gehörstein und in der halbmondförmigen Ausbucht drei bis vier kurze gefiederte unten kuglig ver- dickte Borstchen (Fig. 15). Der Gehörstein scheint nicht frei in der Höhle zu liegen, sondern (wie es im Schwänze 2Ö Müller: der Mysis der Fall ist) durch zarte Fädchen gehalten zu werden^ die von einem nach innen von der Hohle gele- genen Nervenknoten ausgehen. Der vorwärts gerichtete Dorn der Oberlippe be- ginnt zu schwinden, ist aber noch bei 4p Mm. langen Thieren als kleines Spitzchen zu erkennen. Am Ober- kiefer erscheint etwa zur Zeit, wo die Gehörsteine sich bilden, der Taster als kleine Warze, die sich bald ver- längert, aber ungegliedert und borstenlos bleibt. Die Scheeren zeigen sich schon bei 2,8 Mm. lan- gen Thieren angedeutet, indem der noch ungegliederte innere Ast der entsprechenden drei Fusspaare innen unter der Spitze einen kleinen Vorsprung erhält. Bei Thieren von 3,5 Mm. Länge sind diese Füsse schon wie beim erwachsenen Thiere gegliedert und jener Yorsprung (der unbewegliche Scheerenfinger) erreicht Vs der Länge des Endgliedes (des beweglichen Fingers), das noch seine beiden Endborsten trägt (Fig. 14). Auch am vierten und fünften Paare der Brustfüsse (Fig. 15) ist jetzt der innere Ast in fünf Griieder getheilt und übertrifft schon um etwas die Länge des äusseren. Bei 4,5 Mm. langen Thieren sind die Scheerenfinger gleich lang; am vierten und fünften Fusspaare sieht man einen spitzen Vorsprung, die Klaue, neben den Endborsten, und namentlich am vierten über- trifft die Länge des eigentlichen Fusses schon weit die des äusseren Astes. Die Afterfüsse sind schon bei 2,8 Mm. langen Thieren als kleine Warzen erkennbar: anfangs sind sie einfach und es ist, wie bei den Brustfüssen, der äussere Ast, der sich zuerst entwickelt. Bei Thieren von 4,5 Mm. Länge sind sie schon recht ansehnlich (Fig. 16) , aber noch ohne Gliederung und Borsten, und der innere Ast erscheint nur als unbedeutender Anhang des äusseren. Die Anfänge der Kiemen sind als kleine rundliche Wucherungen am Grunde der Kieferfüsse und Scheeren- füsse schon bei Thieren unter 4 Mm. Länge zu erkennen; später auch am vierten Paare der Brustfüsse. Von der 4,5 Mm. langen Mysis-artigen Larve ist nur ein kleiner Schritt noch zur Garne elenfo rm. Die Die Verwandlung der Garneelen. 21 jüngsten in dieser Gestalt beobachteten Thiere waren etwa 5 Mm. lang. Ihr Stirnhorn hatte oben drei Zähne. Die Fühler hatten keine Veränderung erlitten. An den Augen war der kleine Anhang nicht mehr zu sehen. Das un- paare Auge war sehr undeutlich geworden. Die Ober- lippe hatte ihren Dorn vollständig verloren, der Taster des Oberkiefers zwei Glieder und kurze Borsten erhalten. Die beiden vorderen Paare der Kieferfüsse haben sich dem Munde dicht angelegt und sind weit kürzer als das dritte. Die äusseren Aeste der Brustfüsse, die bei manchen Peneus (als sog. palpus flagelliformis) sich lebenslänglich erhalten, sind vollständig verschwunden. Die Afterfüsse haben (am äusseren Astej Glieder und Borsten erhalten. Das mittlere Blatt des Schwanzfächers ist nach hinten verjüngt und trägt am gerade abgeschnittenen Hinter rande 10 Dornen, von denen die an den Ecken die längsten sind; drei kürzere Dornen stehen an jedem Seitenrande. Die Kiemen (eine über dem vierten Brustfusse, je zwei über den vorhergehenden) sind noch ganzrandige längliche Blätter (hederspaltig bei 9 Mm. langen Thieren). Die Leber fängt an durch Bildung neuer Schläuche und Yer- ästelung der älteren eine zusammengesetztere Form an- zunehmen. Ueber 9 — 10 Mm. lang wurde das Thier noch nicht beobachtet. Eine zweite Larvenart ist als ältere Zoea leicht dadurch von der eben besprochenen zu unterscheiden, dass der Vorderrand des Schildes ausser dem mittleren noch jederseits einen kürzeren seitlichen schief nach vorn und aussen gerichteten stachelförmigen Fortsatz hat. Dabei ist sie auf gleicher Stufe der Entwickelung grösser und wurde als Zoea bis 2,3 Mm. lang gesehen. Jüngere Zoea, denen noch die Fortsätze des Schildes fehlen, sind denen der ersten Art so ähnlich, dass es mich Mühe gekostet hat, sie an der Bildung der Fühler u. s. w. unterscheiden zu lernen. Am unpaaren Auge dieser zweiten Art (Fig. 17) bildet die Haut meist zwei linsenförmige Verdickungen 22 Müller: zu den Selten des Stäbchens; einmal sah ich eine einzige grössere dem Stäbchen gegenüber. Zwischen den beiden Nervensträngen der Bauchkette lässt sich- ein unpaares von Knoten zu Knoten verkufendes Fädchen unterscheiden (das den anderen Arten schwerlich fehlt, aber noch nicht deutlich bei ihnen gesehen wurde). Trotz der ungemeinen Aehnlichkeit mit der ersten Art ist der Gang der Ent- wickelung ein etwas abweichender, indem das dritte Paar der Kieferfüsse und die Schwanzanhänge nicht vor-, son- dern gleichzeitig mit den Brustfüssen auftreten. Eine dritte Art (Fig. 18 — 22) w^urde von jüngeren 1,2 Mm. langen Zoea, bei denen die neuen Ringe noch von gleicher Länge waren und eben die ersten Stummel des dritten Paares der Kieferfüsse und der Schwanzan- hänge sich gebildet hatten, bis zu 3 Mm. langen, mit drei unvollkommenen Scheerenpaaren und Afterfüsscn verse- henen Mysis - ähnlichen Formen verfolgt. Sie ist ausge- zeichnet durch sehr reiche Bewaffnung des Rückenschildes und der Hinterleibsringe mit stachelförmigen Fortsätzen; auch das mittlere Blatt des Schw^anzfächers ist bei der Mysisform in zwei lange Spitzen ausgezogen (Fig. 21). Der Gang der Entwickelung scheint ganz wie bei der ersten Art zu sein; die Form des Grundgliedes der inne- ren Fühler bei den ältesten zur Beobachtung gekommenen Larven (Fig. 22) lässt vermuthen, dass auch hier ein dem der ersten Art ähnliches Ohr sich bilden werde. Von zw^ei weiteren Arten, deren Zoea in der Bildung der Fühler, der dorntragenden Oberlippe, des vielgliedri- gen zweiten Unterkiefers, des Schwanzes, des Herzens u. s. w. sich eng an die drei anderen anschliessen, wurde die eine bis jetzt nur bis zur scheerenlosen Mysisform verfolgt, die andere aber, die drei Scheerenpaare erhält, entfernt sich im Gange ihrer Entwickelung so weit von den übri- gen, dass ich ihre Verwandlungsgeschichte einer beson- deren Schilderung vorbehalte. Die Verwandlung der Garneelen. 23 Erklärung der Abbildungen. Die ganzen Tliiere, so wie Fig. 10 und 19, sind 45malj Fig. 3 und 17 sind 180mal, Fig. 20 bis 22 sind 25mal, alle übrigen 90mal vergrössert. Die römischen Zahlen I bis XIX bezeichnen die den 19 Paaren des erwachsenen Thieres entsprechenden Anhänge, g Geis- sei des zweiten Paares ; a äusserer, i innerer Ast der Anhänge ; L Oberlippe; h Herz; 1 Leber; 1' vorderer, 1" mittlerer, 1'" hinterer Leberschlauch; o Anhang am Auge von unbekannter Bedeutung; s mittlerer Stirnfortsatz ; t orangefarbene Oeltröpfchen. Fig. 1. Jüngerer Nauplius eines Peneus aus dem Meere von Sta. Catharina v. o. „ 2. Aelterer Nauplius desselben v. d. S. „ 3. Drittes Fusspaar eines noch etwas älteren Nauplius mit der Anlage der Oberkiefer, A v- u., B v. d. S. „ 4. Jüngere Zoea desselben, v. o. „ 5. Mundtheile derselben Zoea, v. u. „ 6. Augen einer etwas älteren Zoea. „ 7. AeltereZoea desselben, v. u. „ 8. Oberkiefer einer älteren Zoea. „ 9. Jüngere Mysisform desselben, v. d. S. „ 10. Schwanz desselben Thieres, v. u. „11. Fuss des 13ten Paares, von demselben Thiere. „ 12. Fühler einer 8,3 Mm. langen Larve, v. u. „ 13. Fuss des 12ten) ^ • ^ ~ i,r -, ^ , > Paares von einer 3,o Mm. langen Larve. „ 14. Fuss des 13teu) ' " „ 15. Theil vom Grundgliede der inneren Fühler mit ausgebilde- tem Gehörwerkzeuge, von einer etwa 4 Mm. langen Larve. „ 16. Füsse des 18ten Paares, von einer 4,5 Mm. langen Larve, V. d. Seite. „ 17. ünpaares Auge von der Zoea einer nahe verwandten Art, von unten. „ 18. Zoea einer dritten Art kurz vor der Verwandlung in die Mysisform, v. d. S. „ 19. Hinterer Theil des Rückenschildes derselben, v. o. „ 20. Hinterer Theil des Rückenschildes von einer 3 Mm- langen mysisförmigen Larve derselben Art, v. o. „ 21. Schwanz derselben mysisförmigen Larve, v. u. „ 22. Stirnfortsatz und innerer Fühler derselben, v. o. Desterro^ im März 1862. Die zweite Entwickeliingsstnfe der Wurzelkrebse (Bhizocephaleu). Von Fritz Müller*) in Desterro, (Hierzu Taf. HI. Fig. 1-7.) Drei Tage nngefälir^ nachdem die jungen Wurzel- krebse in Naupliusform die Bruthöhle ihrer Mutter ver- *) Der Verfasser bemerkt bei Uebersendung des hier folgen- den Aufsatzes an den Unterzeichneten , dass er auf den i^bdruck verzichte, wenn der in demselben beschriebene Cypris-ähnliche Ent- wickelungszustand der Rhizocephalen bereits bekannt sei. Nun hat allerdings Lilljeb org diesen Entwickelungszustand von Peltoga- ster sulcatus gesehen (Ann. and Mag. of nat. history 3. ser. Vol. VII. 1861. p. 57}, auch ist die von Fritz Müller auf Grund seiner Unter- suchungen ausgesprochene Ansicht, dass die Rhizocephalen Ran- kenfüsser seien, nicht neu, vielmehr von Anderson und Lill- jeborg bereits vorgebracht und begründet. AberLilljeborg sah die Cypris-ähnlichen Jungen von ;Peltogaster nur als leere Schalen an älteren Entwickelungsstufen desselben Thieres ansitzen, woraus durchaus noch nicht mit Nothwendigkeit das Hervorgehen des einen aus dem anderen geschlossen werden kann, wie auch Fr. Müller hervorhebt, der eine ähnliche Beobachtung wie Lilljeborg machte ; neu dagegen und eine wesentliche Lücke ausfüllend sind die Beob- achtungen von Fritz Müller über die direkte Umwandlung der aus dem Eie geschlüpften Jungen in die Cypris-Form. Danach und wegen der mancherlei anderweitigen Beobachtungen und gehaltvol- len Bemerkungen, welche in dem nachstehenden Aufsatze meines geschätzten Freundes enthalten sind, glaube ich bei der verehrlichen Redaction dieses Archives den unveränderten Abdruck desselben beantragen zu dürfen. Max Schultze. Müller: Die zweite Entwickelungsstufe d. Wurzelkrebse. 25 lassen, verwandeln sie sich, wie ich kürzlich an drei verschiedenen Arten beobachtete, in eine neue von der ersten sehr abweichende Gestalt, die sich aufs Allerengste anschliesst an die zweite Entwickelungsstufe der Ranken- füsser ^). Dieselbe Form des zu einer muschelähnlichen Schale zusammengeklappten Rückenschildes, dieselbe Bil- dung der in ähnlicher Weise nirgends sonst wiederkeh- renden Haftfüsse, der zwölf langbeborsteten Schwimmfüsse und der Schwanzanhänge, und natürlich also vollkommen dieselbe Art der Bewegung. Nur die paarigen Augen fehlen. Da somit die Wurzelkrebse sich als nächste Verwandte der Ranken füsser herausstellen, so scheint es passend, auch auf die früheste Jugendform beider Gruppen noch einmal vergleichend zurückzublicken. Die Birnform des ungegliederten Leibes, die Zahl der langborstigen Füsse, von denen die beiden vorderen ein- fach, die vier hinteren zweiästig sind , und das selten fehlende unpaare Auge haben sie gemein mit zahkeichen anderen jungen Krebschen. Sie stimmen unter sich überein und unterscheiden sich von anderen Nauplius durch die seitlichen Hörner des breiten, wenig gewölbten Stirnran- des und vielleicht durch die beiden zarten ungegliederten Fäden (Riechfäden), die auf der Bauchseite neben dem Auge entspringen ^). Im Gegensatze zu den jungen Ran- 1) Leider kann ich in meiner literarischen Einöde weder Dar- win's ausführliche Darstellung dieser Larven, noch die Arbeiten seiner Vorgänger vergleichen. Junge Balaniden hatte ich häufig Gelegenheit %u untersuchen und konnte an ihnen die von Krohn geschilderte Verwandlung des Nauplius in die sog. cypris ähnliche Gestalt verfolgen. 2) Die Stirnhörner sind nicht blosse Fortsetzungen des Rük- kenschildes, von dem sie bei den Wurzelkrebsen bald weit überragt, bald nur am Grunde bedeckt werden; an der Spitze sind sie offen und hier pflegt bei massigem Druck der Leibesinhalt der jungen Wurzelkrebse auszutreten; wiederholt schienen sie mir bei Wurzel- krebsen und Balaniden mit wurst- und birnförmigen Schläuchen in Verbindung zu stehen. Die beiden Fäden an der Bauchfläche dürf- ten allen jungen Wurzelkrebsen zukommen, sie finden sich auch bei 26 Müller: kenfüssern mit ihrem wolilentwickelten Darmrohre, mit den zaHreichen scharf geschiedenen Muskelbündeln der Füsse 11. s. w. haben die jungen Wurzelkre]:)se ein weit unreiferes Ansehen. Verdauungswerkzeuge scheinen voll- ständig zu fehlen. Eine kleine^ wie es scheint, rings geschlossene Höhlung, die dicht vor dem Schnabel gelegen ist, und bei einer neuen Art, Feitogaster {?) socialisj durch die lebhafte dunkelgrüne Farbe ihres aus 10 bis 12 Kü- gelchen bestehenden Inhalts leicht in die Augen fällt, ist vielleicht als erste Anlage der später der Ernährung dienenden Theile zu betrachten. Die reichlichen Dotter- reste, um die ich früher eine Hülle unterscheiden und als Darm deuten zu können meinte , liegen frei in der Leibeshöhle. Der Schnabel scheint ohne MundöfFnung und ebensowenig ist ein After zu bemerken. Sicher nehmen die Thierche'n keine feste Nahrung zu sich. Ebenso fehlen die von den Rankenfüssern wohl als Fresswerkzeuge benutzten Zacken, Haken und Dornen am Grunde der Füsse. Endlich ist das Hinterende nicht schwanzförmig ausgezogen und entbehrt des eigenthümlichen stachelför- migen Fortsatzes. Zur Schilderung der zweiten Entwicklungs- stufe wähle ich Lernaeodücus Forcellanaej da ich hier namentlich den Bau der SchAvimmfüsse vollständiger zu erkennen vermochte. Die beiden anderen beobachteten Arten weichen übrigens nur unerheblich von dieser ab. Während der ersten beiden Tage pflegt sich der Schwärm der jungen Wurzelkrebse nahe der Oberfläche des Wassers, an der Lichtseite des Glases aufzuhalten. Im Laufe des dritten Tages senkt er sich zu Boden und noch vor Ablauf desselben pflegt ein grosser Theil sich gehäutet und verwandelt zu haben. Lernaeodiscus Porcellanae, wo ich sie früher vermisste; es fragt sich jedoch, ob sie nicht auch bei anderen Nauplius nur bisher übersehen sind. Sie gleichen den Anhängen an den inneren Fühlern vieler Krebsthiere, die ich mit L e y d i g für Riechwerkzeuge halte, und dürften dieselbe Verriclitung haben. Bei Balanideu sah ich sie unmittelbar vom Gelhnit; enUpringen. Die zweite Entwickelungsstufe d. Wurzelkrebse. 27 Der ziemlich flache Leib des Nanplius klappt sich bei dieser Verwandlung so nach unten zusammen^ dass die Seitenränder des Rückenschildes nur eine schmale Spalte zwischen sich lassen^ wodurch das Thicr (Fig. 1) die Gestalt eines 0,2 Mm. langen^ 0/J8 Mm. hohen imd kaum 0^05 Mm. dicken Muschelchens bekommt. Die Mit- tellinie des Rückens ist ziemlich gleichmässig ge^völbt und bildet ungefähr einen Viertelkreis. Die freien Sei- tenränder steigen vom vorderen Ende der Rückenlinie bogig nach unten und hinten^ einen Sechstelkreis bildend, dessen Mittelpunkt in die Rückenlinie fällt und dessen Halbmesser sich zu dem der letzteren wie 3 zu 5 verhält ; von da verlaufen sie ziemlich geradlinig (unbedeutend nach innen sich wölbend), in gleicher Richtung mit der Sehne der Rückenlinie, die sie um etwa V5 ihrer Länge überragen; von den leicht abgestumpften Hinterecken endlich steigen sie in fast gerader Linie nach oben und vorn, um im hinteren Endpunkte der Rückenlinie wieder zusammen zu stossen. In seiner vorderen Hälfte ist der untere Rand mit etwa 10 kurzen schief hinterwärts gerich- teten Borsten besetzt ; ähnliche Borsten sind bei Sacculina purpurea über die ganze Oberfläche der Schale zerstreut. So bedeutend diese Wandlung der Gestalt ist, so ist sie doch gering gegen die Veränderungen, die die Anhänge des Thieres erleiden. Vollständig verschwinden die Stirnhörner, der dreieckige Schnabel und die beiden hinteren Fusspaare; letztere werden bei der Häutung unverändert, mit ihrem Inhalte abgeworfen ^}, wäh- rend aus Schnabel und Stirnhörnern vor der Häutung der lebende Inhalt sich zurückzieht und wie von allen anderen Theilen nur die Chitinhülle abgestreift wird. Das erste Fusspaar verwandelt sich in die eigenthümlichen Haftfüsse. Ziemlich unverändert erhalten sich nur das Auge und die Riechfäden. Das Auge hat in der Regel an Umfang zugenommen, in verschiedenem Grade bei 1) Rankenfüsser sah ich noch nicht während der Häutung; ob nicht bei ihnen, wie bei den Garneelen, aus dem dritten Fusspaare sich die Oberkiefer hervorbilden? 28 Müller: verschiedenen Exemplaren (in dem Fig. 1 gezeichneten ist es von besonderer Grösse) ; seine Lage wechselt etwas bei den Bewegungen des Thieres; es ist Qtwa V3 der Länge vom Vorderende, V3 der Höhe vom Rücken ent- fernt. Der Ursprung der Riech fä den (Fig. 2, r\ deren Länge etwas zugenommen hat, liegt jetzt vor dem Auge, zwischen den Haftfüssen, wie bei der sog. Cjprisform der Rankenfüsser. Aeusserst selten nur sah ich bei unbehel- ligten Thieren ihre Spitze vorn oder unten aus der Schale hervortreten. Die Haftfüsse gehen, wie erwähnt und wie für die Rankenfüsser schon Krohn nachwies, aus dem ersten Fusspaare hervor. Das von Anfang an starke Grundglied beginnt sich bald gegen sein oberes Ende noch mehr zu verdicken und springt dann nach innen und unten bedeutend über das Endglied vor. In diesem angeschwollenen Grundgliede bildet sich aus einem feinkörnigen trüben Gewebe der ganze Haftfuss. (Was Krohn bei einer der Häutung nahen Rankenfüsserlarve dem verdickten Ende der vordersten Füsse ansitzen sah, dürfte wohl eher das Endglied des Naupliusfusses, als das des späteren Haftfusses gewesen sein.) Die Haftfüsse (Fig. 2) sind dreigliedrig. Das kräftige Grundglied ist vorwärts gerichtet, von Ve' der Leibeslänge, am Grunde reichlich halb so hoch und gegen die Spitze stark verjüngt; sein Unterrand ist etwas länger als der obere. Das zweite Glied ist walzenförmig und hat etwa V3 der Länge des Grundgliedes; seine Spitze scheint durch weiche Haut geschlossen. Näher dem Grunde als der Spitze entspringt von seiner unteren Seite das schief abwärts gerichtete Endglied, das wenig kürzer, aber viel dünner und kegelförmig zugespitzt ist. Dicht am Grunde txägt jedes der beiden letzten Glieder unterhalb einen zarthäutigen , zungenförmigen Anhang ; der des zweiten Gliedes hat reichlich V3, der des dritten etwa die Hälfte der Länge des Grundgliedes. Man sieht in diesen Anhängen meist einige kleine stark lichtbrechende Körnchen, die ich mich nicht in den Stäbchen an den inneren Fühlern anderer Krebsthiere gesehen zu haben Die zweite Entvsrickelungsstufe d. Wurzelkrebse. 29 entsinne. Das zweite Glied ist von dem Grundgliede diircli einen vollständigen Ring weicher Haut geschieden. Die Beweglichkeit der Endglieder ist daher eine sehr grosse. Aus demselben Grunde findet man an der Chi- tinhülle abgestorbener Thiere die beiden letzten Glieder der Haftfüsse stets abgefallen. An die hintere untere Ecke des Grundgliedes setzt sich, durch ein Gelenk mit ihm verbunden, eine hinter- wärts gerichtete Chitinleiste (Fig. 2 u. 3, k'), die mit dem Unterrande des Grundgliedes ziemlich gleiche Länge hat, und mit dieser verbindet sich knieförmig eine zweite aufwärts gerichtete Leiste (Fig. 2 u. 3, k") von derselben Länge. Letztere ist oben in zwei gleichlaufende dünne Aeste gespalten, einen äusseren und einen inneren, die etwa V5 der Länge dieser Leiste ausmachen. Die oberen gabiigen Enden der rechten und der linken Leiste liegen dicht nebeneinander, nahe dem Rücken und ungefähr um die Länge der Leiste vom Vorderende der Schale ent- fernt. Diese Leisten dienen als Ansatzstellen für Muskeln, die theils von ihnen in die Füsse gehen, theils sie nach vorn und hinten an die Rückenwand befestigen. Die Haftfüsse werden benutzt, wie bei den Ranken- füssern. Zwar sah ich die jungen Wurzelkrebschen nie, w^ie jene, an der Wand des Glases emporklimmen, son- dern stets in der Nähe des Bodens bleiben ; allein, wenn sie durch das Deckgläschen beengt, nicht bequem schwim- men konnten, pflegten sie die beiden Haftfüsse abwech- selnd vorzustrecken, um mit dem Ende des zweiten Glie- des sich am Glase festzuheften und den Leib nachzuziehen. Bisweilen schienen sie auch das Endglied wie einen Haken zu benutzen. Den hinteren Theil der Schale füllt der die S c h wim m- fü s s e und S c h wanzanh an g e tragende Leibesabschnitt. Als erste Anlage dieser Theile unterscheidet man in einem an der Bauchfläche des Nauplius sich bildenden körnigen, trüben Gewebe von unten eine tiefe Längsfurche und schief nach innen und hinten verlaufende Trennungs- linien der einzelnen Füsse, von oben eine Scheidung in einzelne Abschnitte durch quere Linien. Durch diese 80 Müller: Neubildungen ^vird eine zuletzt selir anselinliclie Auftrei- bung gebildet^ die kielförmig nach unten und hinten vor- springt und an ihrem Ende die beiden Spitzen des Hin- terleibes mit emporhebt. Wahrscheinlich durch einen an seiner vorderen oberen Ecke sich ansetzenden Muskel wird der neue Leibesabschnitt mehr und mehr nach vorn und oben gezogen, so dass kurz vor der Verwandlung die hintere Hälfte des erwähnten Vorsprungs leer erscheint und nur von den dicht zusammengelegten Borsten der Schwimmfüsse durchsetzt wird. Nach der Verwandlung erscheint dieser hinterste Abschnitt des Leibes in der Seitenansicht (Fig. 4) als stumpfwinkliges Dreieck. Der obere freie Rand, die längste Seite des Dreiecks, liegt in der Ruhe dicht un- ter dem Rückenschilde, ist fast 0,1 Mm. lang, leicht gewölbt und geht durch abgerundete Ecken über in die kürzeren Seiten, die vorn und unten unter einem Winkel von etwa 120"^ zusammenstossen. Durch den vorderen Rand steht dieser hintere Abschnitt mit dem vorderen Theile des Leibes in Verbindung; der untere Rand, in der Ruhe wagerecht etwas über dem Räude der Schale liegend, trägt die Schwimmfüsse. Eine Scheidung in einzelne Ringe ist nur angedeutet durch schmale Chitin- leisten, die auf jeder Seite von den Füssen der oberen vorderen Ecke zulaufen, ohne sie ganz zu erreichen, und durch eine Einkerbung des oberen freien Randes, die die hintere Ecke, den Schwanz, von dem fusstragenden Theile scheidet. Die vorderste Leiste bildet den Vorderrand dieses Leibesabschnitts; in geringer Entfernung von den Füssen sind die Leisten jeder Seite unter sich durch abwärts gew^ölbte Querleisten verbunden. Der ganze zwi- schen den Leisten enthaltene Raum ist gefüllt von den mächtigen Muskeln der Füsse ; ein starker und langer Muskel entspringt von der vorderen oberen Ecke und geht über das Auge und die gabiigen Chitinleisten der Haftfüsse hinweg zur Rückenwand. Die zwölf Schwimmfüsse ( Fig. 5 ) sind kurz und bestehen aus einem stärkeren (etwa 0,012 Mm. langen) Grundgliedc und zwei zw^cigliedrigen Aestcn, von denen Die zweite Entwickelungs stufe d. Wurzelkrebse. 31 der äussere etw^s länger als der innere und als das Grund- glied ist. Am Ende jedes Astes stehen drei lange gerade steife Borsten^ deren Länge etwa der halben Höhe der Schale gleichkommt ; eine ähnliche Borste steht am ersten Gliede des inneren Astes, w^ährend das erste Glied des äusseren Astes eine etwa dreimal kürzere Borste trägt. Beim lebenden Thiere pflegen beide Aeste und die langen Borsten so dicht an einander zu liegen, dass letztere wie eine einzige starke Borste erscheinen. Der Schwanz, die über den fusstragenden Theil vorspringende, oberhalb durch eine seichte Kerbe geschie- dene hinterste Ecke des Leibes, trägt jederseits einen zweigliedrigen Anhang mit einer längeren und einer kür- zeren Borste am Ende. Darwin deutet bei den Eankcnfüssern den die Schwimmfüsse und später die Ranken tragenden Leibes- abschnitt als Thorax, den dahinterliegenden als Abdomen. Letzteren darf man wohl, namentlich im Hinblicke auf die Garneelen, als dem Schwänze (den beiden letzten Leibesringen) der höheren Krebsthiere entsprechend an- sehen. Ob auch erstcrer überhaupt bestimmten Kingen der höheren Krebse entspricht, und welchen, wage ich nicht zu entscheiden, möchte ihn aber eher dem Hinter- leib, als der Brust derselben gleichsetzen. •Versuche, die weiteren Schicksale der jungen Wur- zelkrebse zu verfolgen, blieben bis jetzt ohne Erfolg, selten überlebten einzelne, ohne weitere Veränderung, die erste Woche. Eine einzige hierher gehörige Beobachtung führte mir der Zufall zu. An demselben Pagurus, in den die purpurrothe Sac- culina ihre grünen Wurzeln treibt, lebt eine zweite Art von Wurzelkrebsen, Feitogaster {f) socialis n. sp., in Ge- stalt dottergelber, 5 Mm. langer Würste, die in der Mitte festsitzen und an einem Ende die Oeffnung der Bruthöhle haben. Es pflegen 4 bis 6 gleich alte Würstchen neben einander zu sitzen. Vier solche beisammensitzende Würst- chen, von nur 1,5 Mm. Länge, — die kleinsten, die ich sah, — hatten das Ende, an dem später die Bruthöhle sich Öffnet, trichterförmig eingezogen (Fig. 6) ; in der Mitte 32 Müller: der Einsenkung sprang wieder ein kleiner, Hügel vor und auf diesem sass die leere Cliitinliülle eines Krebschens auf, das ganz den eben geschilderten glich. . Ausser der Schale waren Schwimmfüsse und Schwanzanhänge mit dem sie tragenden Leibesabschnitte erhalten; von den Haftfüssen waren nur noch die oberen gabiigen Chitin- leisten vorhanden^ die aus der Schale. hervorsahen und am Rande jener Einsenkung festzusitzen schienen; zwischen ihnen ging ein gerader Balken von der Schale zum Thiere, vielleicht eine der unteren Leisten. Die Länge der Schäle war 0,3 Mm.^ während sie gleich nach der Verwandlung; wie bei Lernaeodiscus, nur 0^2 Mm. beträgt. — Ist es die Haut desselben Thieres^ das jetzt in Wurmform festsitzt, oder etwa die eines Männchens, das hier in seinem Berufe sterbend hängen geblieben ist ? Erklärung der Abbildungen. Taf. in. Fig. 1. Zweite Entwickelungsstufe von Lernueodiscvs PorceUanae, nach einem am 14. April ausgeschwärmten Thiere am 19. April gezeichnet. „ 2. Die Haftfüsse und die zwischen ihnen liegenden Riechfäden (r) einer solchen Larve, k', k" die knieförmig zusammenstos- senden Chitinleisten, die den Muskeln dieser Füsse zum Ansätze dienen. „ 3. Die knieförmigen Leisten von einer Larve, deren Weich- theile schon durch Verwesung zerstört waren. „ 4. Der die Schwimmfüsse tragende Leib es ab schnitt, „ 5. Einer der Schwimmfüsse. a äusserer, i innerer Ast. Fig. 1 — 5 sind 360mal vergrössert. „ 6. Chitinhülle einer ähnlichen Larve, dem Hinterrande eines jungen Pellogaster socialis aufsitzend; IHOmal, vergr. „ 7. Chitinring der Sacculina purpurea, 25mal vergr. a ausserhalb der Leibeswand des Pagurus liegende Platte; b der innerhalb des Pagurus sich ausbreitende Kranz. Diese Figur soll die mangelhafte Fig. 6 meines ersten Auf- satzes über die Rhizocephalen ersetzen. D c s t e r r 0 , im Mai 1862. Die zweite Eutwickelungsstufe d. Wurzelkrebse. 33 Nachschrift. Auf die Frage, mit der ich vor weifigen Wochen vorstehenden Aufsatz schloss, wurde mir heute unerwartet Antwort. Unter einer Gesellschaft von sechs jungen Peltogaster socialis fand sich einer, dessen Hinterende die leeren Häute von zwei Krebschen ansassen, während seine Genossen je eine trugen. Jene Häute können nicht beide dem Pel- togaster angehören, und wahrscheinlich also gehört ihm keine ; denn für eine verschiedene Deutung der beiden ganz gleichgebildeten Häute liegt kein Grund vor. Man wird sie unbedenklich als Ueberreste von Männchen ansehen können, die in Krebsgestalt dem wurmförmigen Weibchen sich verbunden haben. Desterro, 26. Mai 1862. Berichtigung eines sinnentstellenden Druckfehlers. Die erste Zeile des Aufsatzes über Cunina Köllikeri (dies Archiv 1861. S. 42) muss lauten: Eine der räthselhaftesten Thatsachen in der an Eäthseln statt: Für die räthselhaftesten Thatsachen in der in Räthseln. Arch. für Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. (leber die Vrsaclie der Strömungen in der Leibeshöhle der Sertularinen. Von Fritz Müller in Desterro. In seinen vortrefFliclien „Le^ons sur la pliysiologle et l'anatomie comparee^ bezeichnet Milne Edwards, wie ich so eben lese, die Strömungen in der Leibeshöhle der Sertularinen als eine Erscheinung, über deren Ursachen man noch nichts Sicheres wisse ^). Dies veranlasst mich zur Mittheilung einiger vor längerer Zeit (1860) niederge- schriebenen Bemerkungen, die mir geeignet scheinen, diese Frage einer abschliessenden Entscheidung näher zu führen. Die Saftbewegung in der gemeinschaftlichen Höhle des Polypenstockes der Hydroiden ist bald (Grant, van ßeneden, Siebold-) einem Flimmerepithelium, bald (Ehrenberg, Loven) einem Motus peristalticus der Leibeshöhle zugeschrieben worden. Beide Ursachen wir- ken gleichzeitig. Dass die namentlich in jungen Knospen stets sehr lebhaften wimmelnden Bewegungen der in der Leibesflüs- sigkeit schwebenden Theilchen, und dass ähnliche tanzende Bewegungen dieser Körnchen, die überall in der Leibes- höhle vorkommen, von Flimmerhaaren bewirkt werden, ist wohl kaum zu bezweifeln. 1) „On n'est pas encore bien fixe sur la cause de ces courants" op. cit. Vol. III. p. 50. 2) Auch Milne Edwards schliesst sich dieser Ansicht an. Müller: Ueb. d. Ursache d. Ström, in d. Leibesh. d. Sertul. 35 Aber neben diesen Bewegungen sieht man rascliere oder langsamere Strömungen, die oft über weite Strecken des Stammes in gleicher Richtung fortgehen und eine Anhäufung der Leibesflüssigkeit an bestimmten Stellen zur Folge haben, von welchen eine folgende Strömung in entgegengesetzter Richtung sie wieder hinwegführt. Bei langsameren Strömen lassen sich oft sehr deutlich beiderlei Bewegungen neben einander beobachten, das Fortströmen in der Mitte der Röhre und das Wirbeln einzelner Körnchen am Rande ^}. Für diese Strömungen nun bleibt kaum eine andere Ursache denkbar, als Zusammenziehung der Leibeswand. Direkte Beweise für eine solche fand ich bei Flumularia laxa n. sp. -). Hier sah ich einmal zwischen der Leibesröhre und deren Chitinhülle einige lose Körnchen, die stets in einer dem Strome innerhalb der Leibesröhre entgegenge- setzten Richtung sich bewegten. Wenn der innere Strom durch Zusammenziehung der Leibeswand erzeugt wird, so ist natürlich dieser äussere ein nothwendiger Begleiter desselben, so wie umgekehrt seine Anwesenheit für diese Ursache des inneren beweisend ist. Es ist ganz dasselbe Verhältniss, wie zwischen den beiden entgegengesetzten Strömungen in den Füssen der Pycnogoniden, der des Darminhalts innerhalb und der des Blutes ausserhalb des sich zusammenziehenden Darmblindsacks. 1 ) Ein gleichzeitiges Aufwärtsströmen an einer Seite der Röhre und Abwärtsströmen an der anderen, wie es Milne Edwards (1. c. p. 49) beschreibt, entsinne ich mich nicht, bei einer der von mir beobachteten Arten gesehen zu haben ; doch mögen andere Ar- ten sich hierin anders verhalten. 2) Eine besonders zierliche und durchsichtige, hier ziemlich seltene Art. Aus einer auf Tangen hinkriechenden Röhre erheben sich senkrechte etwa 15 Mm. hohe Stämmchen mit 20- bis 30-fiedrig gestellten bis über 2 Mm. langen Aesten, die in derselben Ebene liegend, abwechselnd rechts und links vom Stamme abgehen. Jeder Ast trägt auf seiner oberen Fläche 2 bis 3 ungestielte kegelförmige Becherchen mit weiter kreisförmiger glattrandiger Oeffnung. Die campanularienähnlichen Thiere können sich nicht ganz in diese Becherchen zurückziehen. 36 Müller: Ueb. d. Ursache d. Ström, in d. LeibesH. d. Sertul. Es lag nun nahe, an der Leibesröhre selbst den Nach- weis der Zusammenziehnng zu versuchen. An einer Stelle, wo durch den aufsteigenden Strom die Leibesflüssigkeit sich angehäuft hatte, mass ich den Abstand der Leibeswand von der Chitinhülle und fand ihn auf einer Seite zu 0,004 Mm., während sie sich auf der anderen dicht anlagen. Es trat bald darauf ein absteigender Strom ein und als derselbe aufhörte, war jener Abstand auf 0,01 Mm. ge- stiegen. Der Durchmesser des Rohres war jetzt 0,042, war also 0,048 gewesen und hatte sich folglich um Vs vermindert. Diese Beobachtung besteht sehr wohl mit der An- gabe van Beneden's, nie Bewegungen an der Röhre der Campanularien gesehen zu haben (wenn auch nicht mit der von ihm behaupteten, „iramobilite absolue^') ; denn dieser „motus peristalticus^^ fällt vollständig in das Gebiet jener langsamen Bewegungen, die, wie das Fortschreiten der Gestirne, nicht als solche unseren Sinnen sich be- merklich machen, sondern aus vergleichenden Beobach- tungen verschiedener Zeiten erschlossen werden müssen. Desterro, Juni 1862. Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. Von Prof. Dr. Ed. Grube in Breslau. Sechster Beitrag (siehe dieses Archiv Jahrg. 1846. 1848. 1855. 1860). (Hierzu Taf. lY-VI.) Polynoe Sav. P. longisetis (3ri\ Taf. lY. Fig. 1. Corpus paiüo angustum, posteriora versus senslm at- tenuatum, pinnis valde dilatatum^ albicans supra brimneo cinnamomeo variegatum^ subtus splendore margaritaceo ; segmentis 45, elytrigeris macula transversa brunnea media, cirros dorsuales gerentihus vitta brunnea latiore, medio interrupta distinctis. Elytra utrinque 15 magna, imbricata, dorsum omnino, setas dorsuales ex parte tantum tegen- tia, tenuissima, maxime caduca, rugulosa, hjalina, in- terdum radiatim venosa, ad marginem fumida, laevia, subcircularia, 5 ad 6 segmenta tegentia, paris Imi multo minora. Lohns capitalis transverse ovalis, e longitudine sulco bipartitus, margine anteriore utrinque processu mi- nimo splniformi munitus, brunneus. Tentacula brunnea, impar incisurae frontali insertum, sub apice albo filiformi annulo nigro ornatum, vix inflatum, longitudine latcraiium vel segmentorum 11, paulo floccosum, articulo basali brevi, depresso globoso, lateralia crassa sensim acumi- nata, ad basin crassitie fere 6-pla imparis, media Vs longitudinis eins. Ocidi 4 marginales, anteriores paulo maiores. CtVri tentacidares inferiores longitudine t. 38 Grube: imparis, paulo crassiores, ceterum simlles. Pharynx ex- sertilis brimneus margine antico papillis 18 digitiformibus acutls. Cirri dorsnales floccosi, subbrunnei vel albidi sub apice bis nigro - annulatl, inter anntilos albi, setis ventra- libus longius prominentes, vent7^ales breves filiformes, albi, vix apicem pinnae attingentes. Pinnae in labium longum acute triangiilnm productae, saepins iam a segmento lOmo latitudinem corporis aequantes, cum setis eam V3 superan- tes,* Setae flavae, dorsicales difFusae, semilanceolatae, an- gustissimae, per longitudinem densissime transverse striatae, striis asperis, ventrales in flabellum angustum collectae, vix longiores, V3 longius prominentes, lineares, apice sim- plici vel breviter bidente, eum versus striis transversis fere 30, spinulas ferentibus munitae, inde marginibus ser- rulatae. Long, corporis 34 milL, latit. media 3,5 mill., cum pinnis setisque 12 mill. Lussin grande, Lussin piccolo, Crivizza bei Lussin piccolo. Fast nur in einzelnen Bruchstücken gefunden, bloss ein Exemplar mit allen Segmenten, doch nur mit wenigen Elytren und Rückencirren und ohne Aftercirren. Diese Art, welche zu Kinberg's Gattung Antinoe gehören würde, muss neben P. cirrata gestellt werden, von der sie sich durch die aufi'allende Länge der Ruder und ihrer Borsten, so wie durch die Beschaffenheit und Grösse der Elytren unterscheidet, welche trotzdem die Borsten we- niger als bei P. cirrata bedecken; auch die Form der letzteren ist eine andere, und die Zeichnung des Rückens der Segmente nicht durchgehend dieselbe, sondern wech- selnd, je nachdem diese Elytren oder Rückencirren tragen. P. setosissima Sav., deren Elytren unbekannt sind, zeigt mit unserer Art viel übereinstimmendes, hat aber einen kürzeren unpaaren Fühler und 20 Rüsselpapillen. Euphrosyne Sav. E. mediterranea Gr. Taf. IV. Fig. 2. Corpus oblongum, subtus planum, supra convexum Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 39 Laetius pallidiusve latericium, raro croceum^ cute clorsi plus minus rugulosa, segmentis 27 ad 32. Carimcula oblonga, crista longitiidinali alta crassa ornata^ segmentis 4 anterioribus afiixa, 5 tegens, in taeniam angustam ad labrum oris deciirrentem, supra hoc tentacula minima 2 ferentem continuata. Tentaculum impar crassum, cirris dorsiialibus plerumque brevius. OguU ad basin eins insi- dentis 2 (in nonnullis 4). Flabella setarum dorsuaimm tripla fere inferiorum latitndine^ iis paulo breviora^ trimco branchiarum 1 ab iis distenta, plerumque V5 tantum dorsi liberum linquentia ; cirri setis plerumque breviores^ mter- medius inter 2dum et 3ium truncum branchiarum locatus. Branchiae coccineae vel pallidiores, setis humiliores^ ex truncis 7 constantes retrorsum versis^ in ramos paucos divisis, i-amulis extremis minime in foliola dilatatis. ßetae albidae, apice inaequaliter bifurco. Long, speciminis vivi segmentorum 32 : 15 mill., latit. 6 milL, corporis sine setis long. 13 milL_, latit. 4 mill. Lussin piccolo, Crivizza, Neresine; Yilla franca. Scheint kaum eine blosse Varietät von E. myrtosa aus dem Rothen Meere, welche Savigny dunkel violet und 10 bis 12 Linien lang beschreibt. Obwohl ich gewiss gegen 20 Exemplare theils frisch, theils in Weingeist aufbewahrt, unter Händen gehabt, habe ich doch nie an- dere Farben als die oben genannten, und nie eine grössere Länge als 17 mill. beobachtet. Savigny zählte bei der myrtosa 36 Segmente, ich nie mehr als 32, meistens selbst bei grösseren Exemplaren nur 29 bis 30. Im Uebrigen herrscht grosse Uebereinstimmung, namentlich in der Zahl, der einfacheren Verästelung und Kürze der Kiemenstämm- chen, und der Stellung des mittleren Cirrus, in der Gestalt des Körpers und, wie es scheint, auch in der Form der Karunkel. Savigny giebt zwar an, dass die Endzweige der Kiemen in ovale Blättchen auslaufen, doch sind diese auf seiner Abbildung durchaus nicht zu bemerken; mir ist ein solches Verhalten bei E. mediterranea nur einmal begegnet. Die beiden Fühlerchen an dem schmalen Längsstreif, der von der zweilappigen Oberlippe des Mun- des zwischen den Seitentheilen des ersten Segments zur 40 Grube: Karunkel hinaufsteigt, sind so schwer wahrzunehmen^ dass sie mir anfangs entgangen sind; es wäre möglich, dass sie auch bei anderen Euphrosynen vorkommen. Bei den ^leisten Exemplaren ist die Stelle, an der sie sitzen, durch einen etwas zweitheiligen schwarzen Fleck be- zeichnet, der wie ein verkümmertes Augenpaar aussieht. Vergleicht man unsere Art mit E. foliosa Aud. Edw., mit der sie auch viele Aehnlichkeit hat und namentlich in der Färbung mehr übereinstimmt, so finden wir doch hier ein anderes Verhalten der Kiemen; sie bestehen aus acht Stämmchen, ihre Endzweige verbreitern sich ent- schieden in ovale Blättchen und die Abbildung zeigt, w^as freilich im Texte nicht erwähnt w^ird, dass der mittlere Cirrus zwischen dem 4ten und öten Kiemenstämmchen steht: letzteres scheint mir von besonderem Gewicht. Endlich wäre an E. armadillo Sars zu denken *"), die ebenfalls Kiemen mit 7 Stämmchen besitzt, doch soll das oberste und das vierte nur einfach sein und der unpaare Fühler einen cylindrischen Basaltheil und der Leib bei c. 9 Mill. Länge 16 Segmente haben. An der Basis des Fühlers sollen zwei Paar Augen vorkommen ; wie ich sie bei einzelnen meiner Exemplare auch bemerkt habe. Zygolobiis Gr. Corpus, pinnae, setae Lumbriconereidis generis, sed segmentum hiiccale margine arteriore supra in foliola 2, lobo capitali incumbentia productum. Entweder eine eigene Gattung oder eine Untergat- tung von Lumbriconereis. Es fehlt noch die Untersuchung der Schlundkiefer. Z. Laure7itia7i u s Gr. Taf. IV. Fig. 3. Corpus speciminis alcohole servati ex brunneo cra- neum iricolor, parte antica fusca splendore niaxime coeruleo et viridi, segme?itis plus 170, latissimis (14to et proximis) longitudinem segmentorum 4V2 aequantibus. Lohcs capitalis *) Reise i Lofoten og Finnmarken p. 91. Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 41 obtiise lateque lanceolatus, postIce trimcatus, crassuS; lon- gitudine segmentorum proximorum 2. Segmentum huccale biannulum, posteriora versus latlns^ dupla proximi longi- tudine, setis nudum, margine anteriore medio trianguli obtusi brevissimi instar producto, foliola ovalia tentacularia 2 ferente. Pinnae minimae, brevissimae, labiis obtusis 2, posteriore longiore digitiformi^ setis simplicibus aciculisqne munitae. Setae aiiteriorum fere 50 et capillares^ limbatae, leniter flexae 5-nae, et imcinatae^ breviores^ uncino ro- dundato limbato, aciciilae 3-nae, posterior um solae uncina- tae^ 3-nae et aciculae 2-nae. Long, speciminis incompleti c. 9 unc. (245 milL), latit. max. fere 1,8 mill. St. Martino bei Lussin piccolo; von Prof. Lorenz gefunden. Glycera Sav. Gl. tesselata Gi\ Taf. IV. Fig. 4. Corpus brevius vermiforme, teres, antice tumidius, postice tenuissimum, supra j^allide cinnamomeum e longi- tudine ordinibus 5 macularum brunnearum destinctum, ma- culis alternantibus, impari cuiusque segmenti tota longi- tudine, dimidia fere latitudine eius, ceteris maiore, medns ad marginem anticum, lateralihus ad posticum segmenti sitis, Ulis et has et imparem tangentibus, pictura quasi areolata in posteriore corpore evanescente; segmentis 70 biannulis, interdum triannulis. Lohus capitalis elongato-coniformis, annulis 9 biannulis, fasciculum setarum minutissimum fe~ rentibus, constans, longitudine segmentorum contractorum fere 6, tentaculis 4 aeque brevibus, macula minima nigra triangula ad apicem inter superiora sita. Pharynx exser- tilis papillis setaceis densissimis obsita maxillis uncinatis 4 armata, longitudinem segmentorum fere 17 aequans. Fin- nae graciles in lobulos acutos 3 exeuntes, anteriores dimi- dia corporis latitudine, posteriores totam latitudinem su- perantes, lobulorum duo superiores, fasciculum setarum amplectentes, tertius inferior, papilla digitiforinis, liacce paulo brevior, supra ad pinnae basin affixa, setas brevis- 42 Grube: simas 4 continens. Setae pinnarum tenerrimae , longe prominentes, flabellnm bipartitum componentes, sub 12-nae, (posteriorum 6-nae), superiores aliquot simplices capillares, pleraeque spiniferae. Long, animalis vivi c. 14 mill., latit. partis tumidae (sine setis) 1,3 mill. Lussin piccolo., Neresine bei Osero. Die borstenförmigen Papillen mit denen der ganze Rüssel dicht bedeckt ist, kommen bei keiner anderen Art vor, ebenso wenig die schachbrettartig gefelderte Zeich- nung des Rückens. GL Uouxiij die in mancher Hinsicht unserer Art am meisten ähnelt, hat 2 vordere und 2 hin- tere Lippenblätter an ihren Rudern, die winzigen Borst- chen, die ich am lebenden Thiere an der oberen Papille der Ruder bemerkte, konnte ich am todten ebenso wenig wiederfinden, als die an den Ringeln des Kopf läpp ens sitzenden. Tetraglene Gr. Corpus brevius vermiforme, segmentis brevibus, cir- ris ani 2. Lotus capitalis transversus ocuUs maximis utrinque 2, uno dorsuali altero ventrali, tentaculis nullis. Segmenturn huccale ceteris simile. Finnae satis longae, ramis coalitis cirrum dorsualem ventralemque, prope api- cem sitos, gerentibus. Setae superiores simplices, infe- riores compositae. T. rosea Gl, Taf. IV. Fig. 6. Corpus brevius vermiforme, angustum, pinnis valde dilatatum, postice paulo attenuatum, cirris ani 2 digitifor- mibus, ex carneo roseum, interdum serle dorsuali macu- larum ornatum, maculis transversis, in iinibus segmentorum sitis, ut basi pinnarum cerasinis, segmeritis 36, paulo la- tioribus quam longis, posteriorihus quadratis, postremis iterum brevioribus, ultimo interdum elongato. Lohns ca- pitalis transverse ovalis, latitudine corporis, alterum tantum latior quam longus, fronte media inci^a bilobus, oculis utrinque 2, 1 dorsuali, 1 ventrali, globosis aurantiacis Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 43 pnpilla mnnitis inferioribus maximis superioribus plus dimidio diametri minoribus. Tentacula nulla. Segmentum huccale proximo brevius, pinnis minoribus^ cirris dorsua- libus albis. Finnae longae, latitudinem segmentorum sub- aequantes, complanatae, biremes, ramis coalitis utroqiie cirrum gerente, r. inferiore multo longiore ; anteriores 3 ceteris paulo breviores et tenuiores. Cirrus dorsualis extremitati pinnae affixus^ pharetra setarum baud longior, ut cirri ani anrantiacus plerumque incurvus, subarticulatus, articulis brevibus basin versus longioribus 9 ad 13; c. ven- tralis dorsuali brevior. Setae tenerae rami su'jperioris simplices cultriformes, apice leniter recurvo, sub 25-nae flabellum angustum componentes^ cirrum dorsualem supe- z^antes, r. inferioris debiliores, multo breviores, compositae, appendice brevi spiniformi, sub 5-nae. Cirri ani segmento suo paulo longiores; proximis multo longiores et crassiores. Long, animalis vivi 7,5 mill., latit. cum setis 2 mill. Crivizza, Neresine. Schwimmt mit unglaulicher Geschwindigkeit. Ein Exemplar war voller Eier von rosenrother Farbe und in einer anhaltend zitternden Bewegung. An der Spitze des Ruders Flimmerbewegung. Die Grösse der Augen theilt dieses Tbierchen mit Alciope und Joida, die Vierzahl derselben und ihre Stel- lung ist ihm eigenthümlich. Es gewinnt aber dadurch noch eine besondere Bedeutung, dass es am Hinterende einer wesentlich abweichend gebildeten Annelide entsteht, welche die grösste Aehnhchkeit mit Syllis hat, obschon sie auffallend kurze Fühler und Fühlercirren besitzt. Die Beschreibung für diese Annelide, als deren hintere Knospe unsere Tetraglene zu betrachten wäre, ist folgende : Cor'pus brevius vermiforme hyalinum, intestino fusco moniliformi perlucente, subteres, utrinque paene nihil at- tenuatum segmeiitis 32 aeque longis, 3-plo fere latioribus quam longis. Lotus capitalis rotundato-trapezoideus paene rectangulus, Vg fere latior quam longus e longitudine sulco bipartitus, toris frontalibus dimidio brevioribus, ovalibus sibi adiacentibus, ocidis 4 parvis trapezium latissimum com- ponentibus, utrinque sese tangentibus, anterioribus paulo 44 Grube: maioribus magisque distantibiis. Teiitacula 3 brevissima, lon- gitudine lobi capitalis, arcte articulata, impar ceteris vix lon- gius articulis fere 1, ante oculos inserta. Segm'entiim huccale brevissimum; pinnigernm, cirro dorsuali, ut proximi, prorsus vergente^ latitiidinem segmenti fere aequante^ articulis bre- vissimis 9 vel 10. Cirri dorsuales pinnarum ceterarum paene fusiformes, obtusi, paulo breviores^ articulis totidem, c. ventrales brevissimi, aegre distinguendi pinnas vix ex- cedentes. Finnae brevissimae deorsum baud distinguen- dae, oblique truncatae. Setae paucae, 5-nae^ falcigerae, falce brevissima subrecta^ apice simplici attenuato, praeter eas in pinnis nonnullis simplices, capillares 5-nae longis- simae observatae, supra illas provenientes^ per se fascicu- lum componentes. Long, animalis, ut Tetraglenes ei adhaerentis fere 5 mill. Diese Annelidenform ^ welche man der leichteren Verständigung wegen ebenfalls wird mit einem eigenen Namen bezeichnen müssen^ mag vorläufige bis sich die genaueren Unterschiede von den eigentlichen Syllis her- ausstellen, als Fseudosyllis hrevipennis (Taf. IV. Fig. 5) aufgeführt werden. Syllis Sav. 8. hr evicornis Gr. Taf. IV. Fig. 7. Corpus brevius vermiforme, supra fulvum colore Cheiranthi cheiri/ ordine 1 macularum albarum^ segmen- tis 30 ad fines satis constrlctis^ supra utrinque linea trans- versa nigra a cirro dorsuali medium finem posticum versus proficiscente et altera media, in fine ipso sita ornatis, 3-plo fere latioribus quam longis. Lohns capttalis transverse ovalis fronte paulo biloba (toris frontalibus brevissimis paene omnino connatis)^ ocidi parvi fusco rubri, figuram rectangulam latlssimam componentes, anteriores paulo transversi, posteriores punctiformes. Tentacula brevissima longitudine lobi capitalis, aeque prominentia, haud articu- lata, apice paulo seorso, brevi tenuissimo, impar cretaceum, pfaria hyalina. Cirri tentaculares haud longius promincn- Beschreibung- neuer oder wenig bekannter Anneliden. 45 tes (inferior paulo brcvlor)^ forma tentaculorum. Pinnae graciles; . dimidia corporis latltudine paulo breviores, lin- gula acuta munitae. Girrus dorsualis tentacjills similis baud articulatus; apice ad basin nigro pinna neque ita' tenuior nee longior, plerumque rectus; medii dimidiam segmentorum latitudinem aequantes; c. ve^itralis stylifor- mis^ acutus ad apicem pinnae oriens, eam vix excedens. ßetae tenerrimae^ spinigerae^ spina brevi linearis 9-nae ad 12-nas. Cirri ani forma tentacularium^ latitudine segmenti sui multo longiores, cirros d. paris antepenultimi aequantes. Long, animalis vivi c. 5 mill.^ latit. cum setis 1 mill. paulo minor. Crivizza. Nur ein Exemplar. S.liyal in a Gr. Taf. IV. Fig. 7. Corpus vermiforme, byalinum; intestino pallide late- ritio perlucente, cute densiore paulo splendente^ segmentis 115 ad 127^ latissimü ante medium sitis 4-plo, ceteris 3-plo fere latioribus quam longis. Lohns capitalis transversus, animalis vivi subpentagonus^ toris frontalibus profunde seiunctis, elongatis^ rotundato triangulis paene alterum tan- tum longioribus : ocidi 4 punctiformes trapezoideum latum componentes^ posteriores anterioribus minus distantes. Ten- tacula toros liaud ita excedentes; aeque prominentes, arti- culis fere 20 brevibus. Segmentum huccale proximo vix brevius; cirri tentaculares cum tentaculis lateralibus aeque prominentes, latitudinem segmenti paulo superantes. Fin- nae V4 fere latitudinis segmenti sui aequantes. Cirri dor- suales crassi articulis brevibus 12 ad 16 plerumque latitu- dinem corporis aequantes, nonnulli V3 vel V2 breviores, crassitudine paene V2 longltudinis segmentorum respon- dente, c. ventrales pinnam paulo excedentes. Setae falci- gerae plerumque 10-nae, falce tenui elongata vix curvata, segmentorum posteriorum 4-nae tantum vel 3-nae, paulo fortiores minus prominentes falce brevissima paene aeque lata ac longa. Cirri ani longi, longitudine segmentorum proximorum 12, cirris dorsualibus proximis multo crasslores, 5-plo longiores. 46 Grube: Long, speciminis alcohole servati 18 mill._, latit. cum pinnis 1 mill. Lussiji grande, Neresine^ Crivizza. An den Weingeistexemplaren sind die Stirnpolster viel kürzer und etwas breiter als am lebenden Tiiiere, die Segmente minder gestreckt, die Rückencirren, die sich fast in beständiger Bewegung hin und lier krümmten, gerade oder wenig gebogen und meistens merklich kürzer als ihr Segment breit. S. moniliformisj welche dieser Art nahe steht, besitzt viel dünnere Rückencirren mit zahl- reicheren Gliedern und Fühlern, welche über die schon an sich kürzeren Stirnpolster weit hinausragen. Auf die Stellung der Augen möchte ich kein zu grosses Gewicht legen, denn sie stehen am lebenden Thiere der S. hyalina bald mehr wie ein breites Trapez, bald in einem flachen Bogen. Der zurückgezogene Rüssel reichte bis zum lOten, der Magen vom lOten bis zum 19ten Ruder. ß. lussinensis Gr. Taf . IV. Fig. 9. Corpus speciminis alcohole servati albidum, alterius fulvum, gracile utrinque satis attenuatum, segmentis plus 56 brevibus, mediis 3-plo vel 4-plo latioribus quam longis. Lohus capitalis hexagono - rotundatus , Vs latior quam longus, toris frontalibus satis inter se distantibus, basi tantum coniunctis, parallelis oblongis rotundato rectangu- lis , illo paulo longioribus, dimidio angustioribus ; oculi punctiformes, fusco rubri, trapezoideum latum componen- tes, anteriores vix magis distantes, paulo maiores. Ten- tacula moniliformia toros frontales longo excedentia, impar 2^/2 longitudinis eorum aequans, paribus fere V3 longius, cirris tentacularibus superioribus minus prominens, articu- lis fere 30. Segmentum huccale proximo dimidio brevius, cum eo longitudinem lobi capitalis adaequans. Finnae V4 fere latitudinis corporis aequantes. Cirri dorsuales linea- res crassitie V4 tantum longitudines segmentorum aequante, longissimi, latitudinem corporis saepe dimidio, anteriores aliquot eam alterum tantum superantes, moniliformes, lon- giores articulis 46, breviorum singuli interiecti a. 25, c. Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 47 ventrales pinnam paulo superantes. Setae falcigerae 8-nae, falce elongata recta apice bidente. Cirri ani longitudine segmentorum proximorum 8^ c. dorsualibiis proximis duplo longiores. Long, animalls laesi 56 segmentorum, 8 milL, latit. max. cmn pinnis 1 milL; cum cirrls dorsualibus 3 mill. Neresine. Diese nur nach einem Weingeistexemplare beschrie- bene Art erinnert durch die Beschaffenheit der Fühler und Rückencirren an B. latifrons Gr., Kr., die bei Callao gefunden ist, aber eine andere Augenstellung und quer- gestreifte Segmente, auch einen schmäleren Kopflappen besitzt. ß. nigricirris Gr. Taf. lY. Fig. 10. Corpus speciminis alcohole servati utrinque satis attenuatum; pallide carneum subbrunneum, cute densiore, paulo splendente, splendore interdum violaceo ; segmentis 79 ad 118 brevissimis, medns 5-plo vel 6-plo latioribus quam longis. Lobus capitalis transversus ellipticus, toris frontalibus rotundato triangulis, infra sibi adiacentibus, vix longioribus quam latis, longitudine eins; oculi 4 puncti- formes arcum minus curvatum componentes, posteriores inter se paulo magis quam ab anterioribus distantes. Ten- tacula toris frontalibus haud ita longiora, longitudine seg- mentorum proximorum fere 5, moniliformia, subfusca, impar paribus paulo longius, articulis 17 ad 22. Segmentum buccale proximo paulo brevius, cirri tentaculares superio- res tentacula vix excedentes. Pinnae breves, oblique truncatae, lingula brevi acuta. Cirri dorsuales nigri, ut tentacula breviter articulati, longitudine plerumque latitu- dinem corporis (cum setis) aequantes, nonnulli longiores, articulis 20 ad 48, c. ventrales pinnam paulo excedentes. ßetae 9 - nae, satis prominentes, tenerae, falcigerae, falce paene recta, brevissima, praeter eas aciculae 3-nae. Cirri ani 3 ; pares proximis multo longiores articulis fere 33, impar brevissimus, simplex. Long, speciminis alcohole servati maximi (118 seg- 48 Grube: mentorum); 26 mill.; iatit. 1;5 mill.^ long, alterius (79 seg- « mentorum) 20 mill. Bei Val d' Arche von Professor Lorenz gefunden, Neresine. Das Auffallendste an dieser Species sind die schwar- zen Rückencirren. Amblyosyüis Gr. Oersd. '^). Ä. lineata Gr. Taf. V. Fig. 1. Corpus breviter vermiforme, utrinque satis attenuatum, margine laterali grosse serrato^ albidum^ pinnas versus roseum, intestino minus perlucente^, segmentis 16, (Imo et postremis 5 exceptis) supra linea transversa nigra, a basi cirrorum dorsualium Oriente ornatis, lOmum et llmum ver- sus sensim maioribus, witeriorihus pinnigerorum paene rectangulis, alterum tantum latioribus quam longis, sequen- tihus postice dilatatis, trapezoideis, confiniis valde coarctatis, lOmo vel llmo omnium maximis subquadratis, proximis latitudine decrescentibus trapezoideis penultimo longiore quam lato, ut segmento Imo et 2do dimidia mediorum la- titudine, postremo eiusdem formae, dimidio breviore. Lohus capitalis parvus hexagonus, vix latior quam longus fronte truncata, toris frontalibus nullis, oculorum paribus 2; ociili punicei, satis magni, rotundi, coniuncti fere Vg longitudi- nis eins aequantes, arteriores marginem frontis proximi, posteriores tangentes, vix iis magis distantes. Tentacula frontalia 3, filiformia, haud articulata, impar dupla parium longitudine (repositum paene usque ad segmentum 8vum pertinens). Segmentum Imum seu huccale vix distinguen- dum ; cirri tentaculares utrinque 2, iuxta oculos provenien- tes, superiores cum tentaculis paribus fere aeque longe prominentes, cirro dorsuali pinnae l^ae breviores. Pmnae uniremes, labio acuto munitae. Cir?^i dorsuales longius vel brevius articulati, longitudine variantes, plerique lati- tudine segmenti sui dimidio d. pinnae postremae setis *) Annul. Oerstediana Naturhist. Foren. Vidensk. Meddelelser 1857. p. 29 (des Separatabdrucks). Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 49 carentls, miüto longiores^ c ventralis labium pharetrae excedens^ v, pimiae postremae, ceterls longior. Cirri ani c. dorsualibus proximis paulo crassiores^ iis haud longius prominentes. Setae tenerrimae_, 15-nae ad 20-nas vel plu- res^ spinigerae^ spIna brevissima. Long, animalis vivi l,b mill. latit. cum setis 1 mill. Lussln piccolo. 2 Exemplare. Die Rückencirren gingen beim Tödten des Tbiercliens fast alle verloren. Der Leib zerriss in zwei Stücke. Die von Oersted lebend beobachtete AmblyosylUs rJionibeata *); die er bei St. Croix fand^ soll nur zwei aber sehr grosse ovale Augen besitzen. Bei dem einen Weingeistexemplare erschienen die Rückencirren undeut- licher und länger gegliedert als bei dem anderen^ wo sie rosenkranzförmig aussehen; am lebenden Thiere habe ich letztere Form nie bemerkt. Heterocirrus Gr. H. multihraiichis Gr. Taf. Y. Fig« 2. Corpus vermiforme, subteres, medium versus sensim crassiuS; pallide carneum, segmentis plus 65, ayiterioribus 6-pio vel 7-plo, mediis fere S-plo^ posteriorihus 2-plo latioribus quam longis, postremo nudo, obtuso. Lohns capitalis conicus obtusus , dimidio longior quam latus, oculis parvis, nigris 2, transverse ovalibus. Segmentum huccale eo alterum tantum longius, longitudine segmenta proxima 5 aequante, setis nuUis; cirri tentaciilares 2 dor- suales longissimi, satis crassi, sulco longitudinali exarati, saepius in spiram planam contorti. Tubercula setigera haud distinguenda ; fasciculi setarum utrinque distichi, superiores tenuissimi, setae superiorwm capillares 3-nae ad 6-nas, inferiores seriem transversam brevissimam com- ponentes, paulo fortiores, 4-nae, segmentorum anteriorum paulo magis prominentes, posteriorum breviores, apice leniter curvato. Brancldae filiformes dorsuales, ad fasci- *) Naturhist. Foren. Yedensk. Meddelelser 1. c. Arohiv f. Natarg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 4 50 Grube: culos setarum prope accedentes, cirris tentacularibus saepius vix breviores, multo tenuiores^ in segmentis 2do et proximis 11 Omnibus visae^ deinde rariores, segmentis sin- gulis nudis interiectis. Long, speciminis alcoliole servati 9 milL, cirrorum tentacularium fere 3 milL, filorum brancliialium 2 ad 3 milL, latit. corporis maxima fere 0,75 mill. Neresine. Diese Annelide hat durchaus das Ansehen der Cir- ratulus, auch deren zahlreiche paarweise stehende Kiemen- fäden, aber auf dem gestreckten Mundsegmente zwei zusammenrollbare Fühlercirren nach Art der Spioden und muss daher vorläufig der Gattung HeterocuTus zugeordnet werden, deren bekannte beide Arten freilich nur an we- nigen vorderen Segmenten Kiemenfäden tragen. Die Be- schreibung nach einem Weingeistexemplare. Scierocheilus Gr. *). Corpus vermiforme, segmentis brevibus, postremo in cirros 4 exeunte. Lobus capitalis parvus, tentaculis 2 brevibus lateralibus munitus, subtus ad os laminis 2 coriieis armatus. Oculi haud observati. Segme)itum huccale setis nudum. Fascicioli setarum ex pharetris brevibus prodeun- tes, utrinque distichi, setae capillares, inferiores segmenti 2di aciculae. Branchiae nullae. Sei. minutus Gr. Taf. V. Fig. 3. Corpus subfusiforme elongatum, albidum, segmentis 39, medium versus longitudine crescentibus, mediis (ani- maHs Ovis repleti) fere 3-plo latioribus quam longis, po- stremo in cirros 4 exeunte. Lobus capitalis minutus, transverse ovalis, subtus ad os laminis 2 nigris corneis tricuspidibus armatus; tentacula 2, ex lateribus frontis orientia, digitiformia plerumque deorsa, illo vix longiora. ßegmentum buccale lobo capitali paulo longiiis, alterum *} axXrjQog hart, x^^^^^ die Lippe. Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 51 tantum Latius, setis nudum. Segmenium 2dum utrinque fasciculo setariim et infra eum aciculis 3 vel 4 armatum, acicidae setis 4-plo crassiores, apice leniter curvatae multo minus prominentes^ seriem transversam componentes. Ce- tera segmetiia fasciciüis setarnm utrinque disticliis mimita: fasciculi flabella exhibentes^ ex pharetris brevibiis toro piano ovali insidentibus procedentes, superiores comple- tioreS; longiiis prominentes^ /. medii corjjoris dimidiam fere segmentorum latitiidinem aeqnantes. Setae lineares, tenerrimae_, superiores 20-nae vel plures. Cirri am digi- tiformes, longitudine segmentorum proximorum fere 5. Segmentum 4tum et pluria sequentium animalis alco- hole necati sub fasciculo setarum superiore lobulo subcir- culari decolore munita. Long. 10 mill., latit. maxima ante medium (sine setis) 2 milL, alterius speciminis (segmentorum 46) long. 7,5 mill., lat. max. 1,5 mill. Lussin piccolo, Crivizza, Neresine. lieber die Stelle, welche die nach dieser einen Spe- cies aufgestellte Gattung im Systeme einnehmen soll, kann man zweifelhaft sein, und zwischen der Familie der Pheruseen und Opheliaceen schwanken. Die Gestalt des Kopflappens erinnert an Scalibregma, doch vermisst man die hier so entwickelten Kiemen gänzlich; bei den Sipho- nostomen sind wir zwar gewohnt, sie an den Segmenten fehlen zu sehen, doch kommen blutreiche fadenförmige Organe am Vorderende des Körpers vor, und die Haut pflegt mit langen zum Theil fingerförmigen Papillen be- setzt zu sein; unserer Annelide fehlt beides, ebenso wenig habe ich in ihr das den Siphonostomen eigenthüm- liche grüne Blut bemerken können. Da nun den Polyo- phthalmus auch die Kiemen abgehen und diese doch wegen ihrer sonstigen Uebereinstimmung mit Ophelia neben diese Gattung hingehören, so könnte wohl Sclerocheilus in einem ähnlichen Verhältnisse zu Scalibregma stehen. Ganz eigenthümlich sind die in drei Zacken auslaufenden hornigen Plättchen an der Unterfläche des Kopflappens. 52 Grube: Phyllochaetopterus Gr. PA. graoUis Gr. Taf. V. Fig..4. Corpus vermiforme, album, postice intestino fusco viridi perlucente, segmentis fere 29^ sectiones 3 componen- tibnS; s. anterioris 11 (10)^ subquadrangulis ^ depressis, 3-plo fere latloribus quam longis, s. mediae 2 ut proximo paulo longioribus^ s. posterioris 16 subteretibiis^ confiniis constrictis (prioribus, elongatis exceptis), brevibus^ latitu- dine corporis sensim decrescente. Lobus capitalis minutus pyriformis, fronte obtuse rotundata libera, reliqua parte acuminata, iiiter lobos segmenti buccalis laterales^ antror- sum versos^ penitus impressa. Tentacula 2 brevia^ longi- tudine lobi capitalis^ latltudlne frontls distantia^ apicem versus sensim dilatata; oculi 2 punctiformes, nigri; sub tentaculis siti. Segmenta anterioi^a 11 utrinque j)inna alta, angusta, supra acutiloba^ flabellum setarum gerente munita: setae simplices, albae fortiores (paleae), apice lanceolato saepius incurvo vel uncinato, segmenti 4ti tum bae tum breviores aliquot latitudine et colore fusciore insignes; obtusae_, praeter eas nonnuUae capillares superio- res tenerrimae.'; Segmentum 12^1^1^ et 13ium (Unum et 12mum) pinnula laterali uncinigera^ supra eum lobulo ro- tundatO; in dorso ipso foliolis 2 ornata: foliola quasi cordiformia, baud omnino symmetrice constructa, basi angusta elongata, margine ciliis longis vibrantibus obsita. Segmenta cetera utrinque processu minuto aciculari capi- pitato; cute obducto, setas tenerrimas continente; sub eo torulo paulo bilobo (uncinigero ?) munita. Long, animalis vivi 8 milL, segmentorum anteriorum 13 fere 2 milL^ proximorum longiorum coniunctorum 4 mill.^ ceterorum 2mill.; latit. ad segmentum llnum fere 1 mill. Crivizza bei Lussin j)iccolo. Diese wegen ihrer Kleinheit und Zerreissbarkeit schwer zu behandelnde Annelide , welche ich in stark gewundenen zum Theil mit einer Rohre von Sandkörn- chen ausgekleideten Gängen in einem hochgelben, theils wachsartig zähen, theils brüchigen Schwämme fand, ge- Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 53 hört ohne Zweifel in die Familie der Chaetopteriden : sie trägt ganz deren Charakter an sich, indem sich die Seg- mente des Körpers zu drei sowohl durch ihre eigene Gestalt als durch die Beschaffenheit ihrer Borsten ver- schiedenen Abschnitten gruppiren, von denen der erste der kräftigste und durch Flösschen mit Plattborsten (Pa- leen) ausgezeichnet ist, und erinnert zunächst so sehr an den von Sars abgebildeten Spiochaetopterus typicus *), dass ich anfänglich zweifelte, ob ich nicht bloss eine andere Art derselben Gattung vor mir hätte. Namentlich besitzt unsere Annelide am hintersten Körperabschnitte auch jene seitliche Reihe stecknadelförmiger Fortsätze, welche aus ein Paar sehr zarten mit einem so eigenthüm- lich geformten Hautfuteral überzogenen Borsten bestehen, sie besitzt ferner einen gestreckten Hinterkörper und einen kleinen Kopflappen, dem freilich die fadenartig langen mit einer Furche versehenen Fühler fehlen. Man könnte vermuthen, dass sie, wie uns dies bei Spio-ähnlichen Anneliden öfters begegnet, bloss zufällig abgerissen seien; allein in solchem Falle pflegen sie gänzlich verloren zu gehen, während ich hier sehr bestimmt begrenzte, an drei Exemplaren gleich geformte kurze Fühler sehe, welche keine Spur einer Verstümmelung zeigen. Ueberdies feh- len Spiochaetopterus die Augen. Zwei von meinen Ex- emplaren waren im Anfange des 3ten Körperabschnittes zerrissen, das dritte aber schien vollständig und demnach besässe unsere Annelide weit weniger Segmente und einen durchaus nicht so verlängerten Körper als Spiochaetopte- rus. Sehr auffallend sind die unten ganz schmalen nach oben sich verbreiternden und hier durch einen mittleren Einschnitt des Oberrandes in zwei Lappen auseinander weichenden, etwas unsymmetrisch geformten Blätter des 12ten und loten Segments, die mit einem Saume langer flimmender Cilien eingefasst sind und sich hin und her bewegen und biegen können. Da jedes Paar derselben auf dem Rücken selbst nahe dessen Mittellinie und abge- rückt von dem seitlichen Lappen steht, der sich über dem *) Fauna littoralis Norwegiae II. Livrais p. 1. pL 1. Fig. 8 — 21. 54 Grube: Flösschen der Flanken erhebt, so imtersclieiden sie sich dadurch von dem Lappen c beiSars (1. c. pl. 1. Fig. 16), welche sich an die zweitheiligen Flösschen. der Flanken anschliessen. Endlich ähnelt der vordere Körperabschnitt mehr Chaetopterus als Spiochaetopterus, umfasst aber an zwei Exemplaren 11 Segmente, ein drittes hatte 10 wie Chaetopterus, während bei Spiochaetopterus typicus nur 9 vorkommen. Dies alles zusammengenommen berechtigt, selbst, wenn der hinterste Körperabschnitt noch mehr Segmente, als beobachtet, zählen und merklich länger sein sollte, zur Aufstellung einer eigenen Gattung, für die man vorläufig folgende Charaktere aufstellen kann: Pliyllochaetopterus. Corpics vermiforme sub- teres, anteriora versus dilatatum depressum, ex sectionibus 3 compositum, anteriore pinnis altis ilabellum palearum gerentibus munita, media pinnulis uncinigeris lateralibus foliolisque paribus dorsualibus distincta, posteriore utrinque ordinem processuum acicularium, sub iis toros laterales gereute; processus capitati cutacei, setas paucas tenerrimas continente. Segmenta sectionum diversarum diversae lon- gitudinis. Lohus capitalis parvus, segmento buccali im- pressus ; tentacula brevia simplicia 2, oculi punctiformes 2, utraque lateralia. Clymene Sav. GL digitata Gr. Taf. V. Fig. 5. Corpus vermiforme, teres, posteriora versus sensim attenuatum, speciminis alcohole servati pallide carneum, intestino olivaceo - griseo postice perlucente, segmentis 22, (Inio et postremis 2 exceptis) setigeris, anterioribus 15 paulo tantum (V5 vel V4) longioribus quam latis, ad con- finia haud coarctatis, 16to iam paulo tenuiore, paene alte- rum tantum longiore quam lato, 17mo et 18mo 1/3 etiam longioribus quam illo, ceteris longitudine decrescentibus, longioribus tamen quam latis, ante finem posteriorem paulo incrassatis. Lamina frontalis (lobus capitalis) paene ver- ticalis, subcircularjs, taenia angusta longitudinali divisa, Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 55 marglne integro, antice solum in lobuliim triangulum pro- ducto. Segmentum postremum subconicum, infnndibulum dentatnm gerens: dentes cirrive 18 inaequales, 7 longi digitiformes longitudinc eins, 11 brevissimi sine lege al- ternantes^ papillae internae band distinguendae. Fasciculi setarum tenuissimi^ ex setis capillnribiis 5 ad 9 constantes, in segmento 6to medium longitudinis tenentes, in antece- dentibus ante medium, in sequentibus ad extremitatem posteriorem segmenti inserti; tori uncinigeri minime tu- midi, uncini pauci 6- vel 8-ni bamati, pro iis in segmento 2do^ 3io^ #0 Spina 1-na. Long. 21 milL; latit. 1 mill. (sine setis). Tuhus satis firmus, ex granulis arenae fulvae minimis singiüisque polytbalamiis compositus, snbrectus, 24 mill. longus; 1;3 mill. crassiis. Die Bescbreibiing nacb einem in Weingeist aufbe- wahrten, von Professor Lorenz bei Abbazia unweit Fiume gefundenen Exemplare; ein zweites unvollständiges war von Priluka eingesandt. Terebella L. s. str. Sav. T. compacta Gr. Taf. V. Fig. 6. Corpus brevius vermiforme, postice citius attenuatum, tetragonum, dorso concamerato, animalis vivi sordide brun- neum, segmentis brevissimis 85, hranclnferis eorum lobo laterali nullo dilatatis, pectinibus uncinorum limbo angusto sanguineo vel amarantbo circumdatis. Scicta ventralia fere 26 transversa, trapezoidea, latitudine sensim decre- scentia, macula angulata <; formi a toris uncinigeris sepa- rata, anteriora (primis 2 exceptis) brevissima, 5-plo latiora quam longa 23ium subquadratum, proxima 3 longiora quam lata, sulco ventrali a 26to incipiente. Tentacula fere 40, alba, longiora extensa interdum longitudinem corporis di- midio superantia. Fasciculi seiarum capillarium utrinque 23 (vel 22), a segmento 4.to^ tori uneinig er i a 5to incipien- tes, pbaretrae illorum extus ad marginem superiorem puncto fusco distinctae, pectines uncinoriom sectionis ante- 56 Grube: rioris latisslmi, primis exceptis, latitudinem scutorum ven- tralium alterum tantum^ tum duplo superantes, p. sect, j)ost. angustiores, mox omnino ad yentrem descendenteS; dorso corporis hie tumidiore. BrancJiiae ntrinque 3^ seg- mento 2^0^ 3io^ 4to affixae^ sordide ex brunneo sanguineae, quasi cirratae^ ramis fasciculatim ex trunco longiore pro- vinientibus, per se brevibus_, plerumque semel vel bis bi- furcis^ ramulis extremis ramos longitudine multo supe- rantibus. Long. corp. contract. anim. vivi 27 ad 40 milL, latit. max. 5 ad 8 mill.; altit. 3 ad 4 milL Long, brancbiarum anim. maioris 5 mill. Bei Neresine und Crivizza. Diese Art erinnert durcli die Zahl der Borstenbündel lebhaft an die ebenfalls mit drei Paar Kiemen versehene T. maltisetosa j aber der Körper der letzteren ist hinten länger gestreckt, die Segmente nicht so gedrängt, daher die hinteren Wülste der Hakenborsten von ihren Nachbaren derselben Reihe weiter abstehend, auch hören die Bauch- schilder entschieden am 20ten Segmente auf und nehmen vorher schneller an Breite ab. T, lingulata Gr. Taf. YL Fig. 1. Corpus brevius vermiforme, subteres, antice paulo tumidius, ovulis perlucentibus latericium, segmentis brevi- bus 37, 2d.o branchiferorum lobo laterali alto lato, subtus cum altero confluente, dilatato, l^^^o lobo humiliore minus lato; scuta ventralia haud satis distinguenda. Tentacula albida, extensa dimidio corporis longiora, fere 20. Fasci- culi setarum ca'pillarium tenuissimi, pharetris longis angu- stissimis inserti, utrinque 16, a segmento 3io (i. e. bran- chifero 2do)^ tori uncinigeri a 5to incipientes, omnino la- terales a s. 191^0 in pinnulas mutati. Betae capillares argenteae sub 10-nae, fragiles, lineares haud limbatae, la- bium pharetrae longissimum superantes, pectines uncino- rum brevissimi, pinnulae longe prominentes utrinque 19, pharetrarum paene longitudine, dimidiam segmentorum mediorum latitudinem superantes; unovni fere 17-ni, sim- Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 57 pllces^ rostriformes. Branchiae utrinque 3, br. paris 3ü sese ad basin tangentes, anteriores latius distantes^ lingu- latae^ angustissimae^ apice longo acuto a parte basilari latiore (br. contractae) paulo seposito^ longitudinem seg- mentorum fere 5 aequantes. Segmentum buccale pone tentacula acervis punctorum nigrorum 3 ornatum. Long. anim. vivi 10 mill.^ latit. anterior fere 1 mill., long, branchiarum 2 mill. vel paulo maior (anim. alcohole servati 1 mill.). Lussln piccolo. Diese Annelide^ die im Uebrigen mit den Terebellen so übereinstimmt, weicht doch durch die Form der Kie- men, die in dieser ganzen Gattung aus gehäuften einfachen oder verzweigten Fäden bestehen, so sehr ab, dass sie wenigstens eine Untergattung bilden muss. Sabellides Edw. S, adspersaGT. Taf. YI. Fig. 2. Corpus brevius vermiforme, antice crassum, poste- riora versus sensim maxime attenuatum, carneum, inte- stino griseo - viridi perlucente, segmentis 34, brevibus, medns fere 5-plo latioribus quam longis, anteriorihus 10, supra punctis cinnamomeis adspersis, posterioribus 18 puncto cinnamom^eo laterali supra pectinem uncinorum distinctis, s. postremo in cirros 2 exeunte; sectione cor- poris anteriore (setas, capillares gerente) plus dimidia longitudine corporis, ventre cingulato, toris uncinigeris interiectis, segmenta 18 continente. Teritacula fere 24 filiformia, haud pinnata albida, branchiis tenuiora longiora usque ad segmentum llum pertinentia. Lobus capitalis parvus, trapezoideus, densius cinnamomeo punctatus, sulcis longitudinalibus tripartitus. Branchiae filiformes, basin versus crassiores, laeves, utrinque 3 seriem transversam componentes, plicae humili segmenti 2cli insertae, longiores animalis vivi usque ad segmentum 8vum pertinentes, 9 vel 10-fariam cinnamomeo annulatae. Fasciculi setarum utrin- que 17, a segmento 2do incipientes, erecti, tori uncinigeri 58 Grube: utrinque 14; anteriores latisslmi ceteri latitudine repente decrescentes; sub fasciculis prioribus 3 nulli; pinnulaej eos sequentes 15; setae capillares fortiores, flavescentes, angustissirae limbatae, posteriores V2 latitudinis corporis aequanteS; sub 12-nae ; uncini plnnularum pectinatim incisi. Long, corporis animalis vivi 17 milL, latit. 2,3 mill., branchiarum 3,5 mill. Lussin piccolo. Sahellides sexcirrata Sars, die auch nur 6 Kiemen- fäden besitzt, und an der die Fühler nicht beobachtet werden konnten, soll die Form, und Dimensionen von S. horealis besitzen, ihr Körper und namentlich die hinte- ren Segmente müssten also viel gestreckter als bei unserer Art sein. Sars spricht ferner in der Beschreibung der S. sexcirrata wie aller seiner Arten auch in der vorderen Leibesabtheilung voii pinnae (Flösschen), während ich bei meiner Art wahre Polster (tori) mit Hakenborsten sehe, welche in der Richtung vom Rücken nach dem Bauche viel breiter als die pinnae in der Abbildung von S. cri- stata sind, aber weniger vorragen. Aftercirren und ge- fleckte Zeichnung endlich, die bei S. adspersa noch nach monatelanger Aufbewahrung in Weingeist nicht verschwun- den sind, werden bei S. sexcirrata gar nicht erwähnt. Als ich diese Annelide erhielt, hing aus ihrem Munde ein 9 mill. langer scharlachrother Körper, vermuthlich ein Rüssel, der aus einem kugligen Basaltheil und einem scharf abgesetzten cylindrischen dünneren und etwa 3mal so langen leicht gekrümmten, allmählich verjüngten und wie es scheint, durchbohrten Endtheil bestand. Sabella L. s. str. Sav. S. Viola Gr. Taf.VI. Fig. 4. Corpus brevius longiusve vermiforme, subtcres, antice latius quadrangulum postice depressum, sensim attenuatum, mollissimum, albidum, paulo viridicans, latitudine anteriore fere Vte longitudinis corporis ( branchiis exceptis ) vel maiore, segmentis 80 ad 200, anteriorihus supra fasciculum Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 59 setaruni macnla minuta violacea^ infra pectinem uncinorum puncto simlli distinctls^ scutis ventralibus sectionis ante- rior is latitudine valde decrescentibus, {anter ioribus (con- tractis) 5-plo latioribus quam longis), s. posterioris ple- rumque V3 tantum latitudinis corporis aequantibus, divisis, latioribus quam quadratis. Branchiae aeque longae^ speci- minis brevioris dimidio corporis paulo longiores, alterius paulo breviores ; fila brancJnalia ^Vi3 vel ^Viy; utrinque semi- orbem componentia^barbata^ membrana basis humillima^ alba^ paene omnia vitta violacea inferiore (ad quadrantem longi- tudinis, pauca tantum altera media vel sub apice sita ornata, barbulis teneris crassitiem rhacliis duplo fere superantibus, apice extremo tantum rhachis undo. Tentacula paene Vg altitudinis branchiarum aequantia, violacea^ ad basin alba. Collare humile, extus album, intus violaceum, utrinque semel incisum^ lobis dorsualibus inter se valde distantibus, erectis^ ventralibus maioribus refiexis, lobulis 2 laminae branchiali collarique interiectis, erectis, violaceo limbatis. Anus postremus. Setae argenteae vix limbatae et sinua- tae, sectionis anterioris multo longiores, sub 12-nae; po- sterioris sub 6-nae; pectines imcinorum breves a scutis ventralibus satis distantes. Mutatio setarum ^Vjs vel ^Vig (speciminis brevioris). Long. 29 mill. (branchiarum 11 milL, corporis 18 mill.), latit. 1^2 mill.; long. spec. longioris segmentorum fere 212 fere 78 mill. (branchiarum 17, corporis 61) latit. 4 mill. (sine setis). Tubus ex limo griseo confectus, maxime fragilis; ani- malis supra descripti brevioris long. 61 mill., diametro 2 mill. Crivizza. Die Eigenthümlicbkeiten dieser Species, welche an ihren Kiemenfäden weder Augen noch Rückenfiederchen besitzt, sind: der so spät eintretende Borstenwechsel am 13ten oder gar 16ten Segmente; die Weichheit des Leibes, seine weisse Farbe, die sammtartig-violeten sehr spärlichen (bloss 2) und zum Theil unregelmässig fortlaufenden Bin- den auf den ebenfalls weissen Kiemen, die Färbung der 60 Grube: Fühler und des Halskragens und die Schmalheit der Baucli- schilder in der hinteren Körperabtheilung. S. candela Gr. Taf. VI. Fig. 8. Corpus brevius vermiforme^ subdepressum, utrinque attenuatum^ albidum, intestino aurantiaco perlucente^ lati- tudine anteriore fere V9 longitudinis (branchiis exceptis), segmentis 18 tantum, mediis maximis^ dimidio brevioribus quam latis^ postremo triangulo aequilatero, scutis ventrali- bus magnis^ sectionis anter ioris longitudine et latitiidine crescentibus^ primis alterum. tantum latioribus quam longis, postremis longioribus quadratis, sect. posterioris divisis subovalibus tumidis, satis inter se distantibus, anterioribus paulo longioribus quam latis, posterioribus multo latioribus quam longis. Branchiae aeque longae, V5 totius longitu- dinis aequantes , j^7a hrancliialia utrinque 17, semiorbem componentia, barbata, flava paulo aurantiaca, membrana nuUa coniuncta, apice subito maxime dilatato, flavo-viridi, ad marginem supremum ferrugineo, foliolum latum, medio supra incisum, semel in longitudinem plicatum referente, dimidiis oblongis concameratis, intus concavis ; praeterea flla aliquot imherhiay etiam longiora, more serpentum sese moventia. Collare humillimum, membranaceum erectum, nee dimidiatum nee lobatum. Anus posti-emus. ßetae ar- genteae: capillares longius prominentes, sectionis ante- rioris plus 15-nae, vix limbatae, posterioris sub 5-nae, paleae nullae: pectines uncinorum breves, minus conspicui toris distinctis nullis inserti. Mictatio setarum Vip. Long. 19 mill. (branchiarum 7 milL, corporis 12 milL), latit. 2 mill. (sine setis). Lussin grande. Nur ein Exemplar beobachtet, wel- ches sich bald mit Schleim bekleidete. Bisher ist keine andere Sabella beschrieben, bei -wel- cher sich die Spitzen der Kiemenfäden in ähnlicher Weise in Blättchen verbreiterten; 8. vesiculosa^ die am meisten verwandte Art, soll Bläschen an jener Stelle tragen, es fehlen ihr auch die nackten Fäden, die eine viel grössere Beweglichkeit als die gehärteten Kiemenfäden zeigen. Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 61 Die BlättcKen unserer Art gehen übrigens leicht verloren und existirten schon, als ich das Thier erhielt, nicht mehr an allen Kiemenfäden. S. fr agil IS Gr. Taf. VI Fig. 6. Corpus brevius vermiforme, semiteres, albidum, inte- stino rubello vel croceo perlucente, latitudine anteriore fere Vg longitudinis corporis aequante (branchiis exceptis); segmentis c. 32, scutis ventralibus fuscescentibus, alterum tantum latioribus quam longis, sectionis posterioris solius sulco divisis. Brancldae aeque longae, V4 ad % totius longitudinis aequantes, lamina basali humili, interdum punctis 2 fuscis ornata; fila hranchialia utrinque 6 ad 8 barbata, orbem componentia, membrana nulla coniuncta, albida vel flava, faciliter sese solventia, barbulis apice nudo breyioribus, praeter ea fila aliquot (3 ad 8) iinherbia, ala- criter sese moventia, in spiras convolvenda. Collare hu- millimum. Anus postremus. Setae caj)illares, haud lim- batae, ubique longius prominentes, sectionis anterioris sub 6 - nae, praeter paleas 4 breviores obtusas, sect. poste- rioris initio 7-nae, denique 3 -nae sine paleis. Fectmes uncinorum brevissimi. Mutatio setarum %, sectione ante- riore fere V3 corporis aequante. Long. 12 mill. (branchiarum 3, corporis 9), latit. 1 mill. Crivizza, Lussin piccolo. Anfänglich glaubte ich verstümmelte, der Blättchen an der Spitze der Kiemenfäden zufällig beraubte Exem- plare der vorigen Art vor mir zu haben, da aber bei jener keine Paleen zu entdecken sind, und bei dieser Art in einem einzigen Exemplare die Blättchen an der Spitze existirten, obschon ich doch fünf dieser Thierchen beob- achtet, sich auch die gehärteten Kiemenfäden so leicht ablösten, halte ich sie für eine eigene Species, die Thier- chen zeichnen sich durch eine grosse Beweglichkeit aus, kriechen munter umher und auch die abgerissenen Kie- menfäden bewegen sich eine Zeit lang noch ganz lebhaft. 62 Grube: Röiiren konnte ich ebenso wenig von dieser als von der vorigen Art erhalten. S. stiöhophtJialmos Gr. *). Taf. VI. Fig. 3. Corpus vermiforme^ semiteres, parte anteriore ex brunneo albicante^ dorso antice interdum figiira 0 0 ornato posteriore cinnabarina^ latitudine anteriore Vis longitudinis corporis aequante , segmentis c. 190^ longitudine minns^ latitudine postremum versus V3 fere decrescentibus^ scutis ventralihus alterum tantum latioribus quam longis^ sectio- nis posterioris solius sulco divisis. Branchiae aeque longae^ V4 totius animalis vel segmenta c. 50 aequantes, pallide sulphureae albaeve vel grisescentes_, vel albae^ vittis vio- laceis latioribus 4 ornatae ; ßla hrayichialia utrinque 13 ad 16^ semiorbem com'ponentia^ membrana basis humillima; paene usque ad apicem extremum barbata_, ad Vg altitudinis ordine simplici vel duplici punctorum nigrorum (oculorum) ornata, altero profundius altero altius incipiente, illo puncta 3 ad 6^ hoc 7 ad 10 continente. Ocidi conici, rhachi filo- rum profunde immersi. Barhulae filorum longitudine 4-plam vel 6-plani crassitiem rhachis aequante. Tentacula 2 albida Vs f^re longitudinis branchiarum aequantia, te- nuissima. Collare humillimum^ bipartitum^ utrinque bilo- bum^ lobo ventrali angustissimo, producto^ rotundato-trian- gulo. Anus postremus. Setae argenteae^ tum lineares; tum paleae obtusae, lineares sectionis ante7'ioris fortiores^ limbataC; ut paleae, ö-nae, sect. posterioris debilis, ple- rumque S-nae, paleae 2-nae vel singulae. Pectines imci- norum albo limbati, toris eos continentibus minus albis, sectionis anterioris alterum tantum latiores quam p. poste- rioris. Mutatio setaruvi %q vel ^%i. Long. 47 mill. (branchiarum 11, corporis 36);.latit. 2 mill. Tubus limo griseo confectus, filiformis, diam. 2 mill. Lussin piccolo; Crivizza. Die Art und Weise wie die Aeugelchen an den *) ari/og die Reihe, 6(f&cc).u6g das Auge. Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 68 Kiemenfäden sitzen, ist für diese Species liöchst charak- teristisch, fast immer bildeten sie zwei Längsreihen am Rücken des Schaftes derselben, von denen die längere an der Hinterseite gelegene erst da anfing, wo die kür- zere vordere aufhörte. Auch das Vorkommen von Platt- borsten neben den Haarborsten an dem hinteren Körper- abschnitte verdient Beachtung. Von dem fadenförmig dünnen Leibe habe ich fast immer nur die vordere Hälfte oder ein noch kürzeres Stück erhalten. S. polyzonos Gr. Taf. VI. Fig. 5. Corpus brcvius vermiforme ex croceo luteum vel albidum semiteres, latitudine anteriore fere Vg longitudinis corporis aequante, segmentis 60 ad 70 inter fasciculum setarum pectinemque uncinorum puncto violaceo fuscove distinctis, scutis ventralihiis sectionis anterioris alterum tan- tum, posterioris totidem, vel duplo triplove latioribus quam longis, sulco divisis. Branchiae aeque longae, V3 totius lon- gitudinis longiores, lamina basis humillima, ochracea, corona striolarum violacearum ornata; fila hranchialia utrinque 9 ad 20, semiorbem componentia, barbata, alba vittis ochra- ceis vel croceis paribusque punctorum tumidulorum viola- ceorum et pinnularum dorsualium numerosis (adultorum fere 17-nis) ornata, quasi breviter articulata, apice nudo albo, barbulis 3-plam fere filorum crassitiem aequantibus, pinnulis dorsualibus subclavaeformibus albis supra viola- ceis, multo brevioribus quam barbulis; membrana basis brevissima. Tentacula 2 alba, fere 2/5 longitudinis bran- chiarum aequantia. Collare humillimum, latere haud in- cisum, lobis ventralibus haud productis. Setae capiUares pallidae, leniter sinuatae, anguste limbatae, sectionis an- terioris plus 15 - nae multo longiores, s. posterioris haud minus numerosae ; pectmes uncinorum s. a7iterioris albo limbati, primi latissimi, ceteri latutidine raptim decre- scentes. Mutatio setarum % (rarius '/s). Long, animalis maioris filorum branchialium 34, 48,5 mill. (branchiarum 18,5, corporis 30), latit. 5,5 mill. •^ Grube: Tuhus ex llmo griseo confectus, t. animalis etiam niaioris long. 66 mill., crassit. 11 mill. Lussin piccolo^ Crivizza, Ossero. Dem ganzen Habitus wie der Beschaffenheit der Kiemen nach ist dieser Art am meisten S, Luculiana verwandt, doch habe ich von letzterer kein Exemplar anders als weiss und violet gefärbt gefunden, und zwar sind auch die Bauchschilder jederseits mit einem violeten Flecken versehen, sie fehlen unserer S. polyzonos. Die Rückenfiederchen derselben sind stumpf und kurz, bei S. Luculiana dagegen zugespitzt und etwas länger. S.imherlisGT. Taf. VI. Fig. 7. Corj)us brevius vermiforme, semiteres, utrinque at- tenuatum, subbrunneum (lente auctum subtilissime dense fusce punctatum), dorso posteriore ex olivaceo subviolaceo, latitudine anteriore fere Vjo longitudinis corporis (bran- chiis exceptis), segmentis ÖO ad 80, inter fasciculum seta- rum pectinemque uncinorum puncto violaceo distinctis, scuiis ventralihus omnibus sulco longitudinali divisis, dimi- diis anteriorum quadratis, ceterorum transversis, mediorum per se longioribus, posteriorum multo brevioribus. Bran- chiae aeque longae V? f^re totius longitudinis: ßla hran- cldalia utrinque 7, semiorbem componentia, nee barbata nee pinnulis dorsualibus oculisve munita, anguste limbata, limbo quasi membranaceo paulo crenulato, alba vittis vio- laceis 3, una ad basin, altera supra medium, tertia sub apice ornata membrana basis humillima, apice ipso quasi cre- taceo, plerumque arcte convoluto, quasi nodulum efficiente. Teniacula alba, Vs fere longitudinis branchiarum aequan- tia. Collare humillimum, lobis ventralibus rotundato-trian- gulis , albidis , intus stria violacea transversa distinctis, reflexis, segmenta 2 tegentibus. Anus postremus, bilobus utrinque puncto violaceo munitus. Setae argenteae, se- ctionis anterioris solae capillares, anguste limbatae, j)lus 8-nae, segmentorum posteriorum s. posterioris et capillares (3-nae) et fortiores breviores late limbatae paleaeformes (4-nae), segm. mediorum solae huiusce generis sed Ion- Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 65 giores; in circiilum arctlssime compositae, usque ad limbum Vagina cutacea coniunctae; pectines imcinorum breves, uncinis fere 6-nis; tori albidi, sectionis anterloris violaceo circumscriptl. Mictatio setarum % vel Vs« Long. 9;3 mill. brancliiarum 2ß, corporis 1 , latit. 1,6 mill. Tuhi animalium tenuissimi, longiores ad 76 mill. longi, limo griseo confecti. Crivizza. An den Kiemen konnte ich während der freilich nicht sehr langen Beobachtung keine Wimperbewegung wahr- nehmen. Den Mangel der Bärteichen am Innenrande der Kiemenfäden theilt diese Art bloss mit meiner 8. latisetosa, von der sie sich zunächst durch die an allen Segmenten von einer Längsfurche halbirten Bauchschilder unterschei- det, hiezu tritt die verschiedene Beschaffenheit der Bor- sten. Bei 8. adspersa Kr. soll zwar die Bauchfurche in der vorderen Leibesabtheilung ebenfalls vorhanden sein, aber diese Art besitzt gleich den anderen Sabellen gehär- tete Kiemenfäden, an denen überdies noch Augen vor- kommen. Serpula L. s. str. Sav. 8. fPlacostegtisJ Lima Gr.*). Taf. VL Fig. 9. Corpus brevius vermiforme (alcohole servatum) pal- lide carneum, segmentis c. 77, sectione anteriore V3 corporis paulo breviore. BrancMae aeque longae, sectione anteriore corporis paulo longiores; ßla hranchialia utrinque 17 ad 27, orbem componentia, usque ad dimidiam longitudinem membrana coniuncta, albida, apicem versus pallide coeru- leo vittata, barbulis roseis, inferioribus longitudine apicis nudi, crassitiem rhachis superantibus. 8tylus operculi modo dexter modo sinister, crassus, utrinque membrana lata antice laciniata alatus, coerulescens vittis ochraceo- fulvis 3 cinctus, in aliis albicans. Operculum corneum crassum, breviter cylindratum coerulescens vel album, in *) Jabresber. d. schles. Gesellsch. für 1861. p.63. Archiv f. Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 5 66 Grube: scyplii modum excavatum^ margine Integro. Collare trl- lobum^ loho impari lato brevi triangulo^ lateralibus angu- stloribus multo longioribus in laciniilas 3 exeimtibus. Setae sectioms anterior is caplllares, fortiores^ angusto lim- batae, aureae, fasciculos angustos componentes^ s. poste- rioris tenerrimae plerumque 3-nae, breviores^ scalpratae^ acie obliqua quasi limbata in spinam lateralem excurrente. Long, speciminis 77 segmentonim 19 mill. (operculi stylique 6^ brancliiarum 4^5^ sectionis corporis anterioris 4, posterioris 9 mill.). Long. spec. maioris 30 mill. (operculi stylique 9 mill.). Tuhus triqueter per longitudinem adnatus^ carinatus^ carina obtuse dentata^ costis arctissimis^ acutis subflexuose ad latera decurrentibus ordinibusque utrinque 4 spinula- rum minutarum scaber, limae similis^ roseus^ animalis maioris 6 mill. latus_, diametro interno 4 mill. Val d'Arche^ gefunden von Professor Lorenz. Erklärung der Abbildungen. Taf. IV. Fig. 1. Vordertlieil von PoZy-rtoe longisetis mit ausgestrecktem Rüs- sel, von der Oberseite, 4mal vergrössert; es sind nur die unteren Fühlercirren und wenige Elytren erhalten, mehrere Eückencirren nach Analogie der wenigen erhaltenen zu- gesetzt. „ l.a Einige der mittleren Segmente, von unten gesehen. „ 2. Kiemen, Girren und Borsten der linken Seite eines Seg- ments von Euphrosyne mediterranea, von hinten gesehen, lOmal vergrössert. „ 2. a Die Karunkel desselben Thiers mit dem unpaaren Fühler und den Augen. „ 3. Vordertheil von Z^ygophijllus Laurentianus von oben gese- hen , lOmal vergrössert (bloss nach einem Weingeistex- emplare). „ 3. a Borsten desselben Thiers bei GO-facher Vergrösserung. „ 4. Yordertheil von Ghjcera lesselala mit halb ausgestrecktem Rüssel, von oben gesehen, 12mal vergrössert. Beschreibung neuer oder wenig- bekannter Anneliden. 67 Fig. 4.aEin Ruder der rechten Seite, von hinten und oben gese- hen, stärker vergrössert. n 5. Vordertheil von Pseudosyllis bretipinyiis, von oben gese- hen, 16mal vergrössert. „ 5. a Ein Ruder derselben (wie ich es einmal vollständig beob- achtet, meistens waren die langen Borsten nicht bemerkbar), stärker vergrössert. „ 5. b Eine von den zusammengesetzten Borsten des unteren Bün- dels, 60-fach vergrössert. „ 6. Die an dem Hinterende der Fsendosyllis brevipinnis sich entwickelnde Tetragletie rosea (und zwar ein frei herum- schwimmendes Exemplar), mit Weglassung der mittleren Segmente von oben gesehen, 16mal vergrössert. „ 6. a Der Kopftheil von der linken Seite aufgenommen, um die unteren (grösseren) und oberen Augen zu zeigen. „ 6. b Ein Ruder derselben, stärker vergrössert. „ 6. c Die beiderlei Borsten dieses Ruders, 60mal vergrössert. „ 7. Vordertheil Yon Sijllis brevicornis^ von oben gesehen, 16mal vergrössert. „ 7. a Ein Ruder derselben, stärker vergrössert, „ 7. b Eine Borste des Ruders, bei 60-fach er Vergrösserung. „ 8. Vordertheil von Syllis hyalinn, von oben gesehen, 13mal vergrössert (nach einem Exemplare in Weingeist). „ 8. a Ein Ruder derselben, stärker vergrössert. „ 8. b Eine Borste des Ruders bei ßümaiiger Vergrösserung. „ 9. Vordertheil von Sijllis lussinensis, von oben gesehen, 16mal vergrössert. „ 9. a Borsten aus ihren Rudern, GOmal vergrössert. „ 10. Vordertheil von Syllis niyricirris von oben gesehen, 12mal vergrössert (bloss nach einem Weingeistexemplare). „ 10. a Ein Ruder derselben, stärker vergrössert. „ 10. b Eine Borste, 60mal vergrössert. Taf. V. Fig. 1. Amblyosyllis lineata Vordertheil, von oben gesehen, 12mal vergrössert. „ l.aDas Hinterende eines anderen Exemplars. „ l.bEin Ruder, stärker vergrössert. „ l.cEine Borste bei GOmaliger Vergrösserung. „ 2. Vordertheil von Heterocirrns mullibranchisj seitlich gese- hen, c. 12mal vergrössert, es ist nur der linke der beiden Fühlercirren gezeichnet (bloss nach einem Weingeistex- emplare). „ 3. Sclerocheilus minutus , von der linken Seite, der hintere Theil von unten gesehen. 68 Grube: Fig. S.aDer Kopflappen und die nächsten Segmente von oben be- trachtet, stärker vergrössert. „ 3. b Dasselbe von unten gesehen, um die beiden, hornigen drei- zackigen Plättchen an der ünterfläche des Kopflappens zu zeigen. „ 3. c Ein Bündel der Haarborsten, stärker vergrössert. „ 3.dDer Fächer der stärkeren kürzeren geschweiften Borsten, der bloss am 2ten Segmente statt des unteren Bündels von Haarborsten vorkommt. „ 4. rhyllochaetoplenis gracilis, der vordere Leib es ab schnitt halb von oben, halb von der linken Seite, die hinteren Segmente von der rechten Seite gesehen, etwa 12mal vergrössert^ (nach einem Weingeistexemplare). Ob alle Segmente des hinteren Leibesabschnittes gleich beschaffen sind, habe ich bisher nicht ermitteln können. „ 4. a Der Kopftheil von der linken Seite, stärker vergrössert. „ 4. bEin Paar von. den stärkeren schwarzbraunen stumpfen Bor- sten des 4ten Segments, 60mal vergrössert. „ 4. c Einige von den Borsten der vorderen Segmente der vor- deren Leibesabtheilung. „ 5. Clymene digitata, von der rechten Seite gesehen, fast ßmal vergrössert (bloss nach einem Weingeistexemplare). „ 5. aDer Trichter des Endsegments (Innenfläche), stärker ver- grössert. „ 5.b Eine der Hakenborsten bei GOfacher Yergrösserung. „ 6. Vordertheil von Terebella compacta, von der Bauchseite, etwa 4mal vergrössert. „ 6. a Eine ihrer Kiemen, stärker vergrössert. Taf. VI. Fig. 1. Terebella lingulala^ vordere Körperhälfte, etwa 4mal ver- grössert, „ 2. Sahellides adspersa, von der Oberseite, desgleichen mit dem aus dem Munde hervorgetretenen Theil des verdauenden Kanals. „ 3. Die untere Partie einiger Kiemenfäden von Sabella sticho- phthalmus, etwa 8mal vergrössert, von der Aussenseite, da- ran die je zwei Längsreihen von Augenpünktchen. „ 3. a Ein Theil des Schaftes dieser Kiemenfäden, stärker ver- grössert, um die Gestalt der Aeugelchen besser zu zeigen. „ 4. Sabella viola, Vordertheil von der Bauchseite, Smal ver- grössert. „ 5. Ein Kiemenfaden von Sabella polyz^onos^ 6mal vergrössert. „ 5. aEin Stück desselben, stärker vergrössert. Beschreibung neuer oder wenig bekannter Anneliden. 69 Fig. 6. Sabella fragilis von der Baucbseite, 7mal vergrössert, ß die bartlosen sich schlängelnden Fäden, welche neben den ge- härteten Kiemenfäden vorkommen und dieser Art wie der -S. candela eigenthümlich sind. „ 6. a Eine derPaleen aus den Borstenbündeln der vorderen Lei- besabtheilung, 60mal vergrössert. „ 7. Sabella imbei-bis, von der Bauchseite, lOmal vergrössert. „ 7. a Einer ihrer Kiemenfäden, SOmal vergrössert ; statt einzelner Bärteichen, wie sonst, sieht man an ihm nur einen ganz schmalen zarthäutigen Saum längs der Innenseite. „ 7.bEin Borstenbiindelchen der vorderen Leibesabtheilung, keine paleenartige Borsten enthaltend, vergrössert. ,5 7. c, d Borstenbündel der hinteren Leibesabtheilung, ebenso vergrössert; c ein Borstenbündel der vorderen Segmente dieser Abtheilung, bloss paleenartige Borsten enthaltend; d eines der hintersten Segmente, solche und Haarborsten enthaltend. „ 8. Endtheil zweier Kiemenfäden von Sabella candela, auffal- lend durch das breite einmal der Länge nach gefaltete Endblättchen an ihrer Spitze, GOmal vergrössert. „ 9. Das aus der Bohre hervorragende Kiemenbüschel mit dem Deckel von Serpida (Placoslegiis) lima, die Röhre von der Rückenseite gesehen, 2mal vergrössert (bloss nach einem Weingeistexemplare). „ 9. a Der Deckel mit dem durch zwei Säume geflügelten Stiel. „ 9. b Eine von den schief- meisselförmigen Borsten des hinteren Leibesabschnitts. Beschreibung der Edwardsia dnodecimcirrata Sars ans der Kieler Bnclit. Von Adolph leyer und Karl lobius in Hamburg. (Hierzu Taf. IH. Fig. A— D.) Edwardsia Quatref. duodecimcirrata Sars. Columna cylindracea^ laevis^ carnea^ pallide llneata. Facies plana. Os duobus labiis rufis. Tentacula 8 — 12?, uniserialia, obtusa, pellucentia, 2 — 3 fa- sciis fulvis. Longit. 20 — 25 Mm. Crassit. 2—3 Mm. Habit. In fimdo limoso sinus Kiliensis profunditate 6 — 9 orgyiariim. Diese zierliclie Edwardsia entdeckten wir im Juni d. J. im inneren Theile der Kieler Bucht nnd fanden sie im Juli und August in Menge wieder. Sie bewohnt 6—9 Faden tiefe Stellen, wo verwesende Pflanzen auf dunklem Schlamme liegen, in welchem sie dem Auge leicht entgehen kann. Zusammengezogen, wie man sie in dem aus der Tiefe geholten Moder antrifft, ist sie ein dunkel fleisch- rothes kugel- oder eiförmiges Kör^^erchen von wenigen Millimetern Länge, aber gänzlich ausgedehnt, erreichen die grösseren Exemplare 20 — 25 Mm. Länge bei 2 — 3 Mm. Durchmesser, so dass der dann ziemlich walzenförmige Körper (columna Gosse's) 8—10 Mal so lang als dick ist. Meyer und Möbius: Edwardsii duodecimcirrata. 71 Der Vorderkörper (capitiilum) ist bei völliger Ausstrecknng fast so lang wie Mittel- und Hinterkörper zusammen und dann walzenförmig. In der Verkürzung ist er unmittelbar unter dem Tentakelkranze etwas dünner als weiter unten ^ wo er sich bisweilen vorübergehend durch eine Einschnürung vom Mittelkörper (scapus) absetzt. Dieser ist walzlich^ hat eine lederartig derbe Haut und bedeckt sich gern mit einer feinhäutigen Hülle und mit daranklebenden Schlammtheilen und Sand- körnchen. Saugorgane haben wir wieder an ihm noch an einem anderen Körpertheile bemerkt. Der Hinter- körper (physa) ist im ausgedehnten Zustande dicker als der Mittelkörper und läuft in eine stumpfe abgerun- dete Spitze aus. Da die beiden Endabtheilungen des Körpers in die mittlere eingestülpt werden können^ so sind sie mannig- fachen Formveränderungen unterworfen^ ganz besonders die hintere^ die sich als durchsichtige Blase bald weit über den gewöhnlichen Körperdurchmesser ausdehnt, bald zu einem kleinen dünnabgeschnürten Bläschen zusammen- zieht. Fig. 3. Bei unruhigen Thieren ziehen die Ein- schnürungen nicht selten längere Zeit wellenartig von vorn nach hinten. Die Oberfläche ist durch seichte Längsfurchen in ebenso viel ganz flachgewölbte Abschnitte getheilt^ als Tentakel vorhanden sind. Bei zusammengezogenem Kör- per ist sie efein quergerippt. Die M u n d s c h e i b e ist kreisf örmig, die Tentakel sind randständig, walzlich und am Ende stumpf abgerun- det. Sie halten sich gewöhnlich etwas länger ausgestreckt als der Scheibendurchmesscr gross ist und können ganz zurückgezogen werden. Wir haben an unseren Exem- plaren 8 bis 11 Tentakel beobachtet. Sars führt 12 an. Der Mund ist länglich, zwischen zwei niedrigen lip- penartigen Wülsten, die bei völliger Ausdehnung des Thieres am deutlichsten hervortreten. Der Körper ist fleischfarbig mit hellen Längs- linien, welche den Scheidewänden zwischen Leibes- und Magenwand entsprechen. Bei grösseren Exemplaren tre- 72 Meyer und M ö b i u s ; ten in den abwechselnden breiten rotben Streifen nocb Paare von feineren bellen Längslinien auf. Die Körper- wand ist im ansgedebnten Zustande so diircbscbeinend, dass die inneren Tbeile ziemlicb deutlicb siebtbar werden. Am meisten durcbsicbtig ist der blasig aufgebläbete Hin- terkörper. Die Tentakel sind fast farblos durcbsicbtig mit zwei oder drei rotbbraunen, zuweilen unterbrocbenen Quer- binden, deren Ränder verwischt sind. An ihrer Basis sind braunrothe Längsstreifen, aussen unter ihnen eine helle Stelle und vor ihnen auf der Mundscheibe ein brau- ner, zuweilen hell umsäumter Fleck. Die Lippen sind braunroth und vom Munde gehen helle Linien strahlig nach den Tentakelwinkeln. In mittleren und grösseren Exemplaren fanden wir im Juli Eierkeime. Unter der dünnen flimmernden Oberhaut der Tenta- kel ist eine dichte Schicht von walzenförmigen, an beiden Enden abgerundeten Nesselkörpern, deren Wand ausser- ordentlich dünn ist. Der dicht spiralig zusammengerollte Nesselfaden füllt die ganze Höhlung aus und zeigt nach der Entrollung keine Bewaffnung. Gosse beobachtete eben solche Cnidae cochleatae, wie er sie nennt, bei Sa- gartia parasitica, Tealia crassicornis und Cerianthus Loydii. (British Sea-Anemones p. XXXHI.) In der Höhlung der Tentakel kreist eine Körnchen führende Flüssigkeit auf und nieder. Edwardsia duodecimcirrata hält sich gut in Aquarien. Auf reinem, glatten Boden hängt sie sich halb zusam- mengezogen mit ihrem Hinterkörper fest. Setzt man sie in ein Gefäss mit Schlamm- oder Sandgrund, so senkt sie den Hinterkörper ein, streckt den Mittel- und Vorder- körper frei ins Wasser und entfaltet die Tentakel zu einem fast waagerecht ausgebreitet ruhenden Stern, der sich bei der leisesten Berührung blitzschnell zusammen- zieht und im Vorderkörper verschwindet. Ihre Nahrung wird wohl nur aus kleinen organischen Körperchen bestehen, welche sie sich durch W'iraper- Edwardsia duodecimcirrata. 73 ströme zuführt. Thieren, die ihr gegenüber einige Kraft entwickeln^ leistet sie keinen Widerstand. Einst befanden sich in einem kleinen Gefässe meh- rere Edwardsien^ die beobachtet und gemalt werden soll- ten^ und neben ihnen einige junge Haarquallen (Cyanaea capIUata) im Polypenzustande. Die Edwardsien wurden öfter hin- und hergewendet, während die Haarquallen- Polypen ungestört sitzen bleiben durften. Da geschah es, dass eine Edwardsia zwischen die Fangarme eines solchen gerieth und langsam an den Mund gezogen wurde. Der Leib des Räubers war zwar kleiner als die zusammenge- 'zogene Edwardsia, aber dennoch stülpte er denselben allmählich wie einen Sack über die Gefangene, deren Mesenterialfalten hervorquollen, ehe sie, drei volle Stunden nach dem Ergreifen, gänzlich verschlungen war. Die Art E. duodecimcirrata stellte Sars in: Beret- ning om en i Sommeren 1849 foretagen zoologisk Reise i Lofoten og Finmarken, in Nyt Mag. for Naturvidenska- berne Bd. 6. p. 142 auf. Alles, was er von derselben sagt, ist Folgendes: „Corpore cyllndrico-albido-hyalino, epidermide fusca : tentaculis 12 uniseriatis, brevibus, apice rotundato-obtusis, albo-hyalinis annulis 2 fuscis; ore haud prominente, ma- culis 12 fuscis circumdato. — Bei Ure auf den Lofoten in 20 Faden Tiefe, wie auch bei Bergen. Sie unterschei- det sich von den anderen bekannten Arten dieser Gattung durch die geringe Anzahl von Tentakeln.^ Dr. Lütken fand bei Hellebaek am Sund zwei Exemplare einer kleinen Edwardsia, die er duodecimcir- rata Sars mit einem Fragezeichen benennt. Nogle Be- maerkninger om de danske Kyster iagttagne Arter af Actiniernes Gruppe. (NaturhIst. Foren. Vidensk. Medde- lelser. 14. Dec. 1860). Sein Material war zu einer genü- genden Beschreibung nicht ausreichend. Dennoch ist aus seinen Angaben zu erkennen, dass seine Thiere mit den Bewohnern der Kieler Bucht specifisch übereinstimmen. Er beobachtete 11 Tentakel, deren Zahl, wie uns Dutzende von Thieren lehrten, nicht constant ist, sondern mit der Grösse zunimmt, ob nur bis zu zwölfen, mag noch unent- 74 Meyer und Möbius: Edwardsia duodecimcirrata. schieden bleiben, bis wir diese kleine Seerose durch alle Jahreszeiten gefischt haben werden. Ihre mangelhaften bisherigen Beschreibungen veranlassten uns. zu diesen er- gänzenden Mittheilungen, zu denen wir später noch mehr hinzuzufügen hoffen. Mit ihr bewohnen noch drei andere Seerosen die Kieler Bucht, nämlich: Actinia plumosa, Bunodes crassicornis und Sagartia viduata Müll. Erklärung der Abbildungen. Taf. III. Fig. A. Edwardsia 12-cirrata ausgestreckt, in natürl. Grösse. „ B. Dieselbe zusammengezogen. „ C. Dieselbe mit eingestülptem Tentakelkranze und abgeschnür- tem Vorder- und Hinterkörper, 6-facli vergrössert. „ D. Mundscheibe und Tentakelkranz von oben, etwas zusam- gezogen, lO-fach vergrössert. Beitrag zur Keuntniss der Nematoden. Von Dr. Vix in Hof heim. (Hierzu Taf. YH.) Bereits vor mehreren Jahren fand ich an längere Zeit in Wasser macerirten Haiitstücken von Ascaris lum- bricoides^ mehrfach Stellen^ welche einen kokardenähnlich pigmentirten Hof darstellten, der aus verschieden intensiv gelb imd braun gefärbten Zonen zusammengesetzt erschien (Fig. a u. b). Der Versuch, diesen Befund weiter zu verfolgen, scheiterte damals an der Unmöglichkeit, solche Pigmentflecken weiter zu Gesicht zu bekommen. Neuer- dings kamen mir wiederum an einem, zwei Jahre hindurch, bis zur vollständigen Auflösung in einen formlosen breii- gen Trümmerhaufen macerirten, ausgewachsenen, weibli- chen Exemplar von Ascar. lumbicoidesartige braun pigmen- tirte Gebilde zu Gesicht, und zwar in der Mitte kleiner isolirten Schollen der Haut. Auffallend war mir, dass in diesem Falle das Centrum des Pigmentfleckens eine Oeftnung aufwies, während früher das Centrum sich als die am- dunkelsten gefärbte Partie des Ganzen darstellte (Fig. IL a, b, c, d). Diese Yerschiedenheit zweier im Uebrigen offenbar identischen Gebilde klärte sich auf, als ich wahrnahm, dass für gewöhnlich der Innenfläche der betreffenden Stelle der Haut ein eigenthümliches, dunkel gefärbtes, hohles Gebilde anhaftet, mit welchem das im Centrum des Haut -Pigmentflecks gelegene Loch kommunicirt, so dass es sich gewissermassen als Mündung 76 Vix: jenes Hohlraums darstellt. Trennt man jenes liohle Ge- bilde, was unabsichtlich oft genug geschieht, von der Haut, so erscheint diese an der früheren Haftstelle durch- löchert, lässt man dasselbe ungelöst, oder klebt an der Innenseite der Haut die daselbst vorhandene körnige Sub- stanz, so erscheint die HautöfFnung geschlossen und un- durchscheinend. Die Oeifnungen liegen meist in den Zwischenräumen zwischen den Gürtelstreifen der Haut und senden bisv^eilen in der Richtung derselben Ausläufer aus (Fig H. c). Oft finden sich die Oeffnungen auch da, wo ein Gürtelstreifen seinen Ursprung hat oder zwei derselben sich theilen, so dass alsdann (Fig. I. b) mehr Streifen auf der einen Seite des Pigmentfleckens sich finden als auf der anderen Seite zu ihm hintreten. Die Gürtelstreifen beschreiben endlich meist leichte Bogen um die zwischenliegenden Löcher und durchsetzen diese die Dicke der Haut biswei- len in schräger Richtung. Was die der Innenseite der Haut anhaftenden und mit den Oeffnungen derselben in Verbindung stehenden Gebilde betrifft, so haben diese bald die Form einer kurzhalsigen Urne oder eines Napfes, bald die einer mehr oder weniger tiefen Schale (Fig. III. a, b, c, d). — Gelingt es die Napf-förmigen Gebilde durch Maceration zu isoli- ren, was nicht schwer ist, so erblickt man oft denselben am oberen Rande anhaftende, zarte, faserähnliche Streifen und Züge. Es sind die unzerstört gebliebenen Gürtel- streifen der Haut, in deren Interstitien die Mündungen der Napf- Gebilde liegen. Nach Innen zu endigen die Gebilde blind, und konnte ein Zusammenhang derselben mit den bekannten gestielten Bläschen, den Muskeln oder sonst w^elchem Organe der Leibeshöhle des Wurmes, we- nigstens bis jetzt, nicht ermittelt w^erden. Reagentien gegenüber zeigen dieselben endhch eine grosse Resistenz, keine Formveränderung, höchstens eine Aufhellung der dunkeln Farbe bei Anw^endung concentrirter Mineralsäu- ren. Zerdrückt man sie, so kann man sich leicht davon überzeugen, dass die Mündung einen gegen Druck resi- stcntcren dunklen ringförmigen Rand trägt, (Fig. IV. Beitrag zur Kenntniss der Nematoden. 77 a^ b); dass ferner das Ganze einen Hohlraum bildet^ dessen wabrsclieinlicli kleinkörnigen Inhalt ich^ bei dem Alter der Präparate^ nach seiner eigentlichen Natur nicht genau bestimmen konnte. Die Grösse der napfförmigen Ge- bilde (die bei einer Vergrösserung Ton 200 abgebildet sind)^ beträgt für den Querdurchmesser im Maximum etwa 0^06 Mm.^ doch kommen derartige Körper häufig vor^ von selbst um den vierten Theil geringerer Grösse. Auf der Spinngeweb-ähnlichen^ zarten Membran der durch Mace- ration isolirten, äusseren Haut erscheinen dieselben für das unbewaffnete Auge als dunkle Staubkörnchen. Der Querdurchmesser des Pigmenthofes misst bis zum äusser- sten Contour 0^3 bis 0^1 Mm.^ so dass auch dieser_, unter günstigen Verhältnissen;, ohne Vergrösserungsmittel, zu Gesicht kommen kann. Die die Haut durchsetzenden Löcher haben einen Durchmesser von Ofilb' — 0^030 Mm.; doch scheinen sie in noch unendlich geringerer Grösse, wenigstens der Anlage nach^ vorhanden zu sein (Fig. II. c). Auffallend ist es, dass die vorstehend beschriebenen Ge- bilde der Haut an frischen Präparaten nur mit grosser Mühe zu Gesicht gebracht werden können. Ein Um- stand;, der zugleich erklären muss^ warum ich über Funk- tion und Verhältniss derselben zur Umgebung nichts Be- stimmtes sagen kann. Es gelang mir, mit einiger Mühe, an bestimmten Abschnitten des Thieres Hautpräparate frei von der auf der Innenseite anklebenden Muskelschichte, darzustellen, die in massigem Abstände von den Seiten- linien der Haut, etwa der Mittellinie des Bauches und Kückens entsprechend, zwei der Seitenlinien parallel lau- fende Doppelreihen von Pigmentflecken zeigten. Diese muss ich als die oben beschriebenen Gebilde aus folgen- den Gründen ansehen: Form, Grösse und Farbe zeigen keine Verschieden- heit von Innen; sodann stimmt das Vorkommen jener Gebilde, die ich meist in grosser Zahl durch Verfilzung der verschlungenen Gürtelstreifen, an welchen sie fest- haften, vereinigt fand, damit überein, dass an frischen Hautpräparaten die Pigmentflecke in Doppelreihen ange- ordnet sind. Es zeigt die frische Haut ferner an der be- 78 Vix: treffenden Stelle Verdickung und Struktureigenthümliclikei- ten^ die durch Bereitung grösserer Resistenz offenbar dem Zustandekommen jener, in beinahe regelmässige Formen bei Maceration auftretenden pigmentirten Hautschollen; deren Centrum der Mündung der flaschenförmigen Körper entspricht; zu Grunde liegen. — Schwieriger ist die Er- klärung des UmstandeS; dass bei frischen Hautpräparaten die Gürtelstreifen an dem besprochenen Punkte einander stark genähert sind, einen der Centralöffnung zugekehr- ten Bogen in ihrer Bahn bildend und zugleich die Haut verdickend; während bei den aus Zerfall und Maceration hervorgehenden kleinen Haut -Schollen älterer Präparate die Gürtelstreifen an den pigmentirten Stellen um das zwischenliegende centrale Loch einen nach Aussen vor- springenden Bogen beschreiben; also eine Convexität ihrer geraden Bahn bilden (Fig. Y. a, b; c und Fig.H; a; b; C; d). Es klärte sich mir diese seltsame Erscheinung auf; als ich wahrnahm; dass auf der Innenfläche der Haut an jenen Punkten Faserzüge liegen; die quer oder etwas radiär durch die pigmentirten Zonen hindurch laufen und von den Centralöffnungen auszustrahlen scheinen (Fig. IL a, d und V. a — c). Einige Mal beobachtete ich; dass jene fei- nen Faserzüge im Zustande der Maceration ein wirres Netz um den Pigmentfleck bildeten. In anderen Fallen schien mir durch ihre Erweichung und Entspannung ein Auseinanderweichen der Gürtelfasern zu entstehen. Mög- lich; dass hierdurch jene erwähnte Verschiedenheit in der Art der Aneinanderlagerung der Gürtelstreifen an den pigmentirten Stellen der Haut entsteht. Ebenso liegt der Gedanken nahC; es möchten die hier sichtbaren Faserzüge eine Modifikation; oder einfache stärkere Anhäufung und Ausbildung der normalen Faserzüge der inneren Haut- schichten darstellen. Was das Vorkommen unserer Gebilde an dem Wurm- körper betrifft; so kann ich hierüber wenig Bestimmtes sagen, da ich nicht im Stande war; dieselben an bestimm- ten Abschnitten ^dcs Leibes des Thieres stets mit gleicher Sicherheit nachzuweisen. Die Gründe hiervon können darin liegen; dass die Gebilde bei der Entfernung der Beitrag- zur Kenntniss der Nematoden. 79 Muskelscliicliten mit entfernt und zerstört werden; dass sie ferner an frischen oder gut konservirten Präparaten, bevor die Maceration alle NacLibarorgane zerstört und erweicht hat, von diesen meist umschlossen, verhüllt und vielleicht in anderen Formen gehalten werden ; dass sie endlich nur an bestimmten, noch nicht ermittelten Ab- schnitten des Leibes sich finden, oder an Anderen Me- tamorphosen eingehen, die ihre Erkennung und richtige Deutung verhindern. — Ob gewisse dendritische Figuren^ die ich nicht besser und kürzer als mit einer, an den ausgespreitzten Beinen stark mit Haaren besetzten und bei einer schwachen Vergrösserung betrachteten Spinne vergleichen kann, ebenfalls als Produkte der Metamor- phose unserer Gebilde anzusehen sind, wage ich nicht zu entscheiden. Derartige Figuren finden sich in stufenwei- ser Modifikation^ besonders an der Innenfläche der Haut in der Nähe des Kopfendes des Thieres. Mehrmals gaben Bilder (wie z. B. Fig. VI. a) zu der Vermuthung Veran- lassung, es möchten sich bisweilen sehnenartige, vielleicht auch mit einem Lumen versehene, nach dem Inneren des V^urmkörpers laufende Faserzüge an die mich beschäfti- genden Hautstellen inseriren. Ich hatte keine Gelegen- heit, diese Frage weiter zu verfolgen, deren Lösung unter Umständen ganz unerwartet Licht in das Ganze gebracht haben würde. Hinsichtlich der Function unserer Gebilde kann ich nur wenige Vermuthungen hegen. Es dürften hiernach dieselben als Analogen der Hautdrüsen im Thierreiche höher stehender Thiere zu betrachten sein, mithin als Secretionsorgane ; ihre Ausführungsgänge aber als Ana- logen der Poren. Der V^^erth des Organs mag, wenn diese Auffassung richtig ist^ darin liegen, dass es die Haut feucht und schlüpfrig erhält. Vielleicht spielt dasselbe auch eine Rolle bei der bekannten Fähigkeit des Ascaris lum- bricoides, sich mit Wasser vollzusaugen. In der Literatur, die mir übrigens nur theilweise zugänglich, finde ich nichts hierher Einschlägiges aufgezeichnet, wenn man nicht als solches die folgende Stelle in Bojanus' Aufsatz „En- thelminthica^ (Isis 1821. S. 181) betrachten will: „Ich 80 Vix: Beitrag zur Kenntniss der Nematoden. kann diesem noch^ aus spater gemachten und an mehreren lebenden Individuen bewährten Beobachtungen^ zufügen, dass im Ascaris acus des Hechtes der Mittelkanal dieser Seitenlinie, in regelmässigen Abständen, eirunde Stigmata hat, die sich bisweilen abwechselnd zu öffnen und zu schliessen scheinen. Mit diesem Funde ging ich in der Folge an wiederholte Untersuchung des Spulwurmes. Es hat mir aber nicht geglückt, von solchen Oeffnungen bei ihm die mindeste Spur zu entdecken.^ Von Siebold lässt (Lehrbuch der vergl. Anato- mie I. S. 137) die von ßojanus bei Asc. acus erkannten Stigmata nicht als solche gelten, „indem sie sich ihm als unter der Haut gelegene zellenartige Körper dar- stellten.^ lieber Polytrema miniaceiim, eine Polythalamle. *''■) Von Prof. Max Schnitze. (Hierzu Taf. ^) S Unter dem Namen Polytrema corallina beschreibt Risso^) kleine rothe, auf Seepflanzen^ Muschelschalen und anderen Meeresprodukten schmarotzende korallenartige Kalkgebilde^ welche im Mittelmeere ziemlich verbreitet vorkommen. Es sind 3 bis 4 Millimeter im grössten Durchmesser haltende, oft kleinere, schmutzig carminrothe, auf der Oberfläche zackige Kalkkrusten, fest auf einer meist ebenen Unterlage aufsitzend, manchmal auch ring- förmig um dünne Algenstengel ausgebreitet. Die Gebilde gleichen kleinen Milleporen, zu denen sie auch früher gerechnet wurden. Linne's Millepora miniacea ^) dürfte auf unsere Species zu beziehen sein. Bei La mark findet sie sich aufgeführt als Millepora *) Im Auszuge, nach einem am 4. December 1861 in der nie- derrheinischen Ges. für Natur- und Heilkunde gehaltenen Vortrage, in den Verhandl. d. naturhist. Vereins d. Eheinlande und Westpha- lens Jahrg. 19. 1. Hälfte, Sitzungsber. S. 13 abgedruckt. 1) Histoire natur. des principales productions de l'Europe meridionale et principalement de Celles des environs de Nice et des Alpes maritimes 1826 et 1827. Tom. V. p. 340. 2) Systema naturae ed. 13 cura Gmelin Vol. VI. p. 3784. Arch. für Naturg. XXIX. Jahrg. 1. BJ. 6 82 Schultze: rubra ^), während Blainville^) den Ris so' sehen Gat- tungsnamen Polytrema mit Linne's Speciesbezeichnung mimacea (richtiger miniaceum) verband^ welcher Bezeich- nung wir folgen. Auf ihrer Oberfläche erkennt man mittelst einer Loupe zahlreiche rundliche seichte Vertiefungen^ welche sich ebenso auf die zackigen oder hahnenkammförmigen Erhabenheiten erstrecken wie in den Thälern zwischen diesen vorkommen (vergl. Fig. 1 bei lOmal. Vergr. gez.). Die Vertiefungen sind meist sehr seicht und an ihrem Grunde durch ganz dieselbe Masse ausgefüllt^ wie sie zwischen den Vertiefungen liegt. Oft erhebt sich der Grund der Vertiefungen in einer flach kugligen Wölbung wie eine Bergkuppe aus der Tiefe eines Kraters aufstei- gend und letztere allmählich ganz ausfüllend. Auch die Spitzen der Zacken und Kämme der Oberfläche tragen dieselben seichten Vertiefungen. Sehr häufig jedoch be- merkt man hier tiefer in das Innere führende Löcher, Anfänge von Canälen, die das Innere durchsetzen. Diese Löcher halte ich nicht für natürliche_, sondern durch Ab- brechen der Spitzen oder durch Erosion der Oberfläche entstanden. Dr. Krohn hatte die Güte, mir Polytremen , welche er in Nizza an Algen gesammelt und im trockenen Zu- stande mitgebracht hatte, zu übergeben, und wurde ich durch den Anblick derselben lebhaft an die von mir als Äcervulina acinosa ^) beschriebenen, von den Philippinen stammenden Polythalamiengehäuse erinnert, die eine glei- che Grösse und Farbe haben, unter sehr ähnlichen Ver- hältnissen vorkommen, doch ein etwas abweichendes Re- lief an der Oberfläche darbieten. Krohn hatte bereits gefunden, dass auch die ^Polytrema ähnliche Struktur der Kalkwände zeigen wie dickwandige Polythalamien- schalen. Was aber Krohn's Aufmerksamkeit besonders in Anspruch genommen hatte war, dass in den Polytre- 1) Hist. nat. des animaux sansvert. 2. edit. Tom. 1836. p. 309. 2) Man. d'Actinologie p. 410. Abbild, pl. 69. fig. 4. 3) üeber den Organismus der Polythalamien p. 68. Ueber Polytrema miniaceum. 83 men^ wie es schien, constant Kieselnadeln wie bei Spongien vorkommen, zum Tlieil aus den obenerwähn- ten Oeffnungen an der Spitze der Zacken frei hervorra- gen, anderen Theiles erst nach dem Zertrümmern der Kalkschalen zur Beobachtung kommen. Die Untersuchung der mir übergebenen trocknen Exemplare bestätigte sofort die Aehnlichkeit der Struktur der Kalkwände mit der dickwandiger Polythalamienscha- len und zugleich das Vorkommen von Spongiennadeln im Innern der Polytremen. Es waren vorzugsweise Kie- se Inadeln, ganz von der Struktur gewöhnlicher Spon- giennadeln, mit feinem Axenkanal, pfriemenförmig, an beiden Seiten zugespitzt oder an einer geknöpft (vergl. Fig. 10). Ihnen waren ausnahmsweise einzelne Kalk- nadeln beigemischt, wie sofort und ohne chemische Prü- fung durch den Polarisationsapparat ausgemittelt werden konnte. Auch an beiden Enden hakenförmig umgebo- gene, sehr kleine Nadeln kommen vor (Fig. 10, a). Von einer organischen Erfüllung der inneren Hohlräume zeig- ten die trocknen Exemplare nur Spuren. Das Interesse an den in Rede stehenden Gebilden musste sich ausserordentlich mehren, als sich bei weiterer Nachforschung in der Literatur herausstellte, dass sehr verwandte Gebilde von Dr. Gray in London untersucht und als Zwischenglieder zwischen Rhizopoden (Fora- miniferen) und Spongien aufgestellt waren. Gray fand dem Polytrema ähnliche Gebilde an verschiedenen ausländischen Seeprodukten, Korallen und Muschelschalen aufsitzen und machte sie als zwei neue Genera Carpen- teria und Dujardinia bekannt ^). Durch Untersuchung von Schliffen der Kalkschale dieser parasitischen Orga- nismen hatte Carpenter die Foraminiferen-Natur dersel- ben erwiesen; da sich aber in den Kammern Spongien- nadeln vorfanden, betrachtete Gray die Gebilde als U e- ber gangsf ormen zwischen F or aminif er en und Spongien. Das Polytrema miniaceum des Mittelmeeres und fand übrigens Gray auch, lässt es aber zweifelhaft 1) Ann. and Mag. of nat. history III. ser. Vol IT. 1858. p.381. 84 Schultze: ob es zu den Foramiiiiferen oder Bryozoen neben Cribril- Hna zu stellen sei. Er benennt es mit einem neuen Na- men Pustularia rosea ^). Auf Gray's Veranlassung hat sich dann Carpen- ter ausführlicher mit den der Gattung Carpenteria un- tergeordneten Gebilden beschäftigt und eine Abhandlung über dieselben in den Philosophical transactions 1860. Vol. 150. p. 564 ff. veröffentlicht^ in welcher er auch des Polytrema miniaceum von Blainville Erwähnung thut als Organismen^ welche Foraminiferenstruktur der Kalk- schale besitzen und der Gattung Tinoporus zunächst ver- wandt seien (ebenda p. 561). Carpenter fand die Spongiennadeln auch constant in den Kammern der nach ihm benannten Polythalamie und schliesst sich der Ansicht Gray's an, dass hier ein üebergangsglied zwischen Foraminiferen und Spongien vorliege. Mag man die Spongien für Thiere oder für Pflanzen halten, unter allen Umständen muss das Vorkommen von Uebergangsformen zwischen ihnen und Polythalamien in hohem Grade interessiren. Ein Organismus von der Natur des Rhizopodenkörpers soll gleichzeitig eine äussere Kalk- schale und ein inneres Kieselnadelskelet erzeugen. Die Spongienstruktur, deren Charakteristisches in einer viel hö- heren histiologischen Differenzirung der lebendigen Sub- stanz beruht als bei Polythalamien vorzukommen scheint, soll sich mit dem einfachen, nicht in Zellen zerlegbaren Protoplasmakörper der kalkschaligen Rhizopoden paaren. Die Angelegenheit verdiente offenbar die eingehendste Berücksichtigung und sorgfältigste Prüfung, ihr war eine fimdamentale Wichtigkeit beizulegen. So war es mir sehr erwünscht unter den von Prof. von la Valette im Sommer 1861 für das hiesige anatomische Museum gesammelten Spirituosen einen Krebs und eine Vermetus- Röhre zu finden, welche mit zahlreichen Exemplaren desselben Polytrema miniaceum bedeckt waren, welches ich im trocknen Zustande früher untersucht hatte. Da 1) Ebenda p. 386. lieber Polytrema miniaceum. 85 auch diese Exemplare wieder Spongien nadeln ent- hielten^ zugleich auch den organischen Inhalt der Kam- mern sehr vollständig erhalten zeigten^ so beschloss ich eine genauere Untersuchung sämmtlicher mir zu Gebote stehender Exemplare auszuführen^ um zu entscheiden, ob sich irgend eine Thatsache auffinden la&se, welche es gewiss oder wahrscheinlich mache, dass die Kalkschale mit ihrer organischen Erfüllung und die Kieselnadeln zusammengehören, dass alle drei einen Organismus bilden. Offenbar waren hier drei verschiedene Möglichkeiten in Betracht zu ziehen: 1) Polytrema konnte ein Schwamm sein mit netz- förmigdurchbrochenem Kalkskelet, welches ein Maschen- werk bildet wie die Hornsubstanz des Badeschwammes. Innerhalb der Lücken dieses Maschenwerkes würde sich die organische Schwammsubstanz befinden, welche Kiesel- nadeln bildet. 2) Polytrema konnte einePoly thalamie sein. Die organische Substanz im Innern des Kalkskelets wäre dann ein Khizopodenkörper, die Kieselnadeln müssten zufällig eingedrungen oder gefressen sein, oder von einem para- sitisch in der Polythalamie angesiedelten Schwämme her- rühren. ß) Das Gebilde konnte, wie Carpenteria nach der Ansicht von Gray und Carpenter, ein Uebergangs- gebilde zwischen Spongien und Polythalamien darstellen, insofern nämlich die Kalkwände Foraminiferenstruktur besitzen, der Thierkörper aber in seiner Fähigkeit Kie- selspikula in sich zu erzeugen den Spongien verwandt sei. Wir gehen zunächst auf die erste Möglichkeit ein. Die Anfertigung von Schliffen durch die Kalkmasse lehrt, dass dieselbe nicht aus netzförmig anastomosirenden Kalk- balken -wie das Hornskelet eines Badeschwammes besteht, sondern aus Lamellen, welche ein System untereinander anastomosirender, in Grösse und Form ziemlich gleicher Kammern einschliessen, und weiter, dass diese Lamel- len, die Wände der Kammern, wie bereits angeführt wurde, exquisite Foraipiniferenstruktur besitzen. Fig. 3 86 Schultz e: zeigt einen senkrecht auf die Oberfläche gefertigten dün- nen Schliff von Polytrema, wie er bei durchfallendem Lichte erscheint. Die Farbe der Kalkwände ist auch an so dünnen Schliffen noch röthlich. Alle sind von den bei Polythalamien gewöhnlichen Porenkanälen durchsetzt^ welche meist rechtwinklig und auf kürzestem Wege gegen die Oberfläche verlaufen. Die Dicke der Kalkwände wechselt, ohne dass ein bestimmtes Gesetz zu erkennen wäre. Wie von a nach b auf der Oberfläche des Poly- tremaschliffs (Fig. 3) eine dickere Kalkwand hinzieht_, so findet man solche auch oft im Innern des Gebildes über grössere Strecken. An sehr dünnen Schliffen ist nament- lich an den dickeren Wänden eine Schichtung zu er- kenneu; und dieser entsprechend zeigen die Porenkanäle der Wand eine eigenthümliche Gliederung ^) , welche sich auch noch nach dem Auflösen des Kalkes und zwar jetzt besonders deutlich an der häutigen Röhre, welche jeden Porenkanal auskleidet, wahrnehmen lässt (vergl. Fig. 9). Die Porenkanäle der Oberfläche liegen sehr dicht beisammen, im Durchschnitte 0,009 Mm. von einander entfernt. In den inneren Scheidewänden dagegen liegen sie oft viel weitläufiger. Die Weite der Porenkanäle beträgt 0,004 — 0,006 Mm., was für die Bestimmung der Species nicht unwichtig zu merken ist. So unterscheidet sich z. B. Acervulina acinosa durch die grössere Weite der Porenkanäle, welche gewöhnlich 0,012 Mm. beträgt, sehr bestimmt von Polytrema miniaceum. Löst man an in Spiritus aufbewahrten Exemplaren den Kalk mit verdünnter Salzsäure auf, so erhält man die die Kammern erfüllende organische Substanz als einen getreuen Abguss des inneren Ilöhlensystemes im Zusam- menhange frei. An diesen Abgüssen kann noch besser als an Schliffen, welche ja immer nur eine Ebene frei legen, constatirt werden, dass im Innern der Kalkschale Kammerabtheilungen bestehen (Fig. 5, 6, 7), welche durch Siphonen untereinander zusammenhängen. Namentlich 3) Aehnlich bei Caipenleria von Carpenter abgebildet Philos. Transact. 1860. Taf.XXII. fig.15. Ueber Polytrema miniaceum. 87 an der Basis und im Centrum der Polytremen sind die Öiphonen von den Kammerhölilungen recht scharf abge- setzt, während nach der äusseren Oberfläche hin sich oft die »Siphonen so erweitern, dass sie den Durchmesser der Kammerhöhlung erreichen, wie das in Fig. 4 gezeich- nete Bikl des Abgusses einer kleinen Partie der inneren Räume von der Rinde eines Polytrema zeigt. Während in der Anordnung der Kammern im Allgemeinen durch- aus keine Regelmässigkeit zu entdecken ist, verdient die von mir in Fig. 6 gezeichnete Stelle eines natürlichen Polytrema- Ausgusses besondere Berücksichtigung. Die- selbe wurde durch Zerzupfen eines der mit Salzsäure behandelten Präparate freigelegt. Indem die ganz unre- gelmässig angeordneten Kammererfüllungen der Oberfläche entfernt wurden, kamen in der Tiefe die unzweideutig Spiral angeordneten zum Vorschein. Die Verbindung mit der übrigen Masse war gelöst, so dass nur die gezeichne- ten sechs Kammern in ihrem natürlichen Zusammenhange übersehen werden konnten. Feinere Struktur der Haut und des Inhaltes dieser Kammererfüllungen Hessen kei- nen berechtigten Zweifel aufkommen, dass die in Fig. 6 gezeichneten regelmässiger gruppirten Massen und die der Fig. 5 und 7 wirklich zusammengehörten. Es schliesst sich dieser Befund dem von Carpenter bei Tinoporus und Carpenieria 0 beschriebenen an. Die durch Behandluug der in Spiritus aufbewahrten Polytremen mit Salzsäure zurückbleibende organische Substanz besteht aus einer äusseren Hülle und einer zähen, ziemlich festen Zusammenhang zeigenden bräun- lichrothen Substanz, reich an starklichtbrechenden Körn- chen und Tröpfchen, welche sie undurchsichtig machen. Beide Bestandtheile, die Hülle wie die Inhaltsmasse glei- chen durchaus der ebenfalls braunrothen Kammererfüllung vieler Polythalamien. Ich habe solche aufTaf. III. Fig. 11 u. 12, Taf. V. Fig. 12 u. 13 und an anderen Orten meines Buches über den Organismus der Polythalamien abge- 1) Philosoph. Transactions 1880. Taf. XXI. fig. 11. Taf. XXII. flg. 2, 3, 4. 88 Scliultze: bildet und zwar zum Theil auch nach Spiritusexemplaren, so dass die erwähnten Abbildungen direkt vergleichbar sind mit den hier von Polytrema gegebenen. Die orga- nische Hülle des Kammerinhaltes der Polythalamien habe ich in dem erwähnten Buche S. 15 folgendermassen be- schrieben: „der Kalkschale der Rhizopoden liegt innen eine zarte organische Haut an. Löst man eine le- bende oder mit ihrem thierischen Inhalte in Spiritus conservirte oder mit demselben getrockneten Rotalia, Ro- salina, Textilaria u. a. in verdünnter Säure auf, so bemerkt man innerhalb der oben erwähnten organischen Grund- lage der Kalkschale eine dünne aber scharf contourirte, mehr oder weniger braun gefärbte, homogene Haut, wel- che jener eng anliegt und wie sie mit Poren durchsetzt ist. Dieselbe kleidet gleichmässig alle Kammern aus und setzt sich durch den Sipho der Scheidewände von einer zur anderen fort. Nur in den während des Lebens farb- losen, letzten, jüngsten Kammern ist sie so zart, dass man glauben könnte, sie bilde sich erst gleichzeitig mit der Aufnahme von Farbestoffen in die thierische Erfüllung.^ Die Beschreibung passt vollständig auf die in Fig. 8 hier abgebildete organische Auskleidung der Polytrema-Kam- mern. Wir sehen in dieser Figur einen zarten bräunlich gefärbten, leeren, nur an seiner unteren Partie mit kör- nigen Resten des Thierkörpers gefüllten Schlauch, wel- cher nach dem Auflösen des Kalkes zurückblieb , aber nicht die organische Grundlage der Kalkschale selbst ist. Diese enthält vielmehr so wenig organische Substanz, dass es mir beim Auflösen derselben in Säuren nicht ge- lang, einen zusammenhängenden Rest derselben zu erhal- ten. Aber die Stelle, wo sie sich befand, und ihre Dicke lässt sich an vorsichtig in Säuren gelösten Schalen doch noch erkennen und zwar an den organischen Ausklei- dungen der letztere durchsetzenden Porenkanäle. Wie die Kammerhöhlung von einer dichten organischen Haut begränzt wird, so sind auch die bei Polytrema ziemlich weiten, die dicke Schale in gerader Richtung durch- setzenden Röhren von einer solchen ausgekleidet. Einige solcher durch Säuren isolirter zarter Röhren liegen theils lieber Polytrema miniaceum. 89 auf, theils neben Fig. 8, andere und sehr zahlreiche sind in Fig. 4 in natürlicher Lage erhalten gezeichnet, endlich stellt Fig. 9 einige besonders lange solcher Röh- ren dar. Sie entsprechen also den in Fig. 3 abgebildeten, die Kalkschale durchsetzenden Porenkanälen. Sie zeigen dieselbe Verschiedenheit der Länge, je nachdem die Kalkschale dick oder dünn war, sie zeigen dieselbe ei- genthümliche G 1 i e d e r u n g, welche mit der Schieb- tenbildung der Schale zusammenzuhängen scheint. Die braunrothe Kammererfüllung endlich lässt eine andere Struktur, als ich sie bei der Inhaltsmasse der Polythalamienschalen beschrieben habe , nicht erkennen. Ist somit nach der Struktur der Kalkwände des Po- lytrema und nach der Natur ihrer Inhaltsmasse der Ge- danke, dass wir es hier mit einer Spongie mit netzför- migem Kalkgerüste zu thun hätten, als beseitigt zu betrachten, vielmehr nachgewiesen, dass Polytrema sich in jeder Beziehung den Polythalamien anschliesst, so handelt es sich weiter um die Entscheidung der Frage, wie die Kieselnadeln in das Innere der Kammern gelang- ten. Sind sie in dem Polytrema entstanden, haben w^r es also im Sinne Gray's und Carpenter's mit einem Uebergangsgebilde zwischen Rhizopoden und Schwämmen zu thun, oder sind die Kieselnadeln fremde Körper in der Polythalamie, entweder aufgenommene Nahrung oder zu einer parasitischen Spongie gehörig? Mit Rücksicht auf diese Frage ist Folgendes zu bemerken. Die Kie- selnadeln finden sich nie in der beschriebenen gelbbrau- nen, als Polythalamienkörper aufzufassenden thierischen Erfüllung des Polytrema, sondern immer neben dieser in einer äusserst vergänglichen, durchsichtigen, farblosen wenig Zusammenhang zeigenden, feinkörnigen und von jener ersten demnach verschiedenen Substanz. Beim Auflösen eines mit thierischer Erfüllung wohlerhaltenen Polytrema in verdünnter Säure fällt der Gegensatz zwi- schen den beiden Substanzen, der dichten gelbbraunen und derjenigen, welche die Spongiennadeln enthält, sofort in die Augen. Letztere ist zudem meist in so äusserst geringer Menge um die oft wie nackt daliegenden Kie- 90 Schultze: seinadeln erhaltön^ dass an eine Darstellung derselben im Zusammenhange nicht zu denken ist. Sie zerfällt indem die Nadeln sich von einander lösen^ und nur Spu- ren derselben haften einzelnen Nadeln oder Nadelgruppen an (vergl. Fig. 10). Weiter ist von entscheidender Bedeu- tung^ dass gar nicht alle Exemplare von P o 1 y- trenia Spongi e n nadeln enthalte n^ imd dass_, YfO letztere vorkommen^ sie gewöhnlich allein die peripheri- schen Kammern erfüllen. Die zwölf Spiritusexemplare von Polytrema^ welche ich mittelst verdünnter Säuren unter- suchte, verhielten sich folgentlermassen. Zwei derselben waren ohne jede SjDur von Kieselnadeln, alle Kammern zeigten sich mit der gelbbraunen, nach der Peripherie an Intensität der Farbe etwas abnehmenden Substanz dicht erfüllt. Drei Exemplare enthielten nur in den tie- feren Schichten noch Reste der gelbbraunen Substanz, fast alle Kammern waren voll von Kieselnadeln und der zu ihnen gehörigen geringen Menge farbloser organischer Substanz. Die übrigen endlich enthielten auch alle Kie- selnadeln, aber nur in den peripherischen Kammern und oft nur in einem Tlieile derselben, der grössere Theil des inneren Höhlensystemes bot eine Erfüllung mit der braunen Substanz wie die Figuren 4, ö, 6, 7 darstellen. Das Verhältniss ist also das, d-ass die Kieselnadeln ganz fehlen können, und dass sie, wenn sie vorkommen, nie in der eigentlichen Polythalamiensubstanz liegen, dass sie sich vielmehr nur mit Verdrängung letzterer von der Peripherie nach der Tiefe ausbreiten, und dass sie ferner in einer organischen Substanz eingebettet liegen, welche nicht zu dem Polythalamienkörper zu gehören scheint. Allerdings ist die Natur dieser letzterwähnten Substanz nicht mit Sicherheit zu bestimmen gewesen. Sie könnte möglicherweise farblose Polythalamiensubstanz sein. Doch spricht dagegen erstens ihre geringe Festigkeit, der Man- gel inneren Zusammenhaltes nach dem Auflösen der Kalkschale und sodann ihre in einzelnen Fällen beob- achtete Verbreitung bis in die centralen Theile der Schale. Polythalamien, welche eine gelbbraune Färbung ihres Thierkörpers in den centralen Kammern darbieten, zeigen üeber Polytrema miniaceum. 91 nach meinen bisherigen Erfahrungen stets dieselbe oder nahezu dieselbe Farbe durch alle Kammern mit Ausnahme allein weniger zuletzt gebildeter. So ist es auch bei mehreren Polytremen gesehen worden^ welche keine Kieselnadehi enthielten und an deren echter Polytha- lamiennatur nicht gezweifelt werden kann. Sollte nun nachträglich die ursprünglich braune Substanz mit dem Auftreten der Kieselnadeln wieder farblos w^erden? Un- sere bisherigen Erfahrungen geben uns keinen Grund zu solcher Annahme^ daher werden wir uns auch hier^ so lange ein Ausweg möglich ist, gegen dieselbe sträuben. Ein solcher bietet sich aber noch nach dreifacher Richtung dar. Entweder die Schwammnadeln sind zu- fällig eingedrungen, oder sie sind aufgenommene Nahrung oder endlich sie gehören einem parasitischen Schwämme an. Ich erwähnte bereits oben, dass viele Polytremen Erosionen der Oberfläche, namentlich an den Spitzen der kämm- oder zackenförmigen Erhabenheiten zeigen, Löcher, durch welche ein Einblick in das innere Höhlen- system eröffnet ist. An solchen Stellen sind ganz con- stant die Kieselnadeln in Menge in den zunächst vorlie- genden Kammern zu rinden. Oft ragen, wie schon K r o h n in Nizza beobachtete, die Nadeln frei aus den Löchern hervor, dass sie bereits mit der Loupe erkannt werden können. Sicherlich sind die Kieselöadeln, wenn sie nicht in dem Polythalamienkörper entstanden, von den Löchern aus eingedrungen. Es möchte vergeblich sein den Gegenbeweis liefern zu wollen, dass sie nicht zu- fällige Eindringlinge oder aufgenommene Nahrung seien. Aber Wahrscheinlichkeitsgründe lassen sich für keine von beiden Ansichten aufführen. Wie sollten SjDongien- nadeln, wenn sie auch in noch so grosser Menge in dem die Polytremen umgebenden Wasser enthalten wären, in die innersten Kammern des noch dazu mit organischer Substanz wenigstens zum Theil gefüllten labyrinthischen Höhlensystemes gespült werden? Müsste nicht die Er- füllung der peripherischen Kammern mit solchen kreuz und quer liegenden Nadeln das Vordringen in die Tiefe definitiv verhindern? Und wenn Spongien auch die Lieb- 92 Schnitze: lingsspeise der Polytremen wären^ wie sollten festgewach- sene Polythalaraien zu .festgewachsenen Spongien gelan- gen um sie aufzuzehren ? Somit haben wir wohl keinen Grund zu zögern uns der letzten Möglichkeit in die Arme zu werfen und an- zunehmen, dass die Polytremen von einem parasitischen Schwämme heimgesucht worden. Dass Spongien sich in mancherlei Kalkgebilde einbohren und gleich Parasiten leben ist bekannt. Die Gattung Clione, über welche uns zuletzt Lieb erkühn ^) genaue Beobachtungen mitge- theilt hat, gehört zu diesen bohrenden Schwämmen. Die enorme Verbreitung derselben erhellt aus der Thatsache, dass es an manchen Küsten (Helgoland, Northumberland nach H a n c 0 k) kaum möglich ist eine Austernschale oder einen Kalkstein zu finden, w^elcher nicht von Clio- nen ganz durchlöchert wäre. Jedenfalls ist danach der Parasitismus eines Schwammes in den Polytremen nichts Auffallendes mehr, und es fragt sich weiter, ob die Form und x\.nordnung der Nadeln die Ansicht, dass sie einem Clione-artigen Schwämme angehören, stützt. Lieb er- kühn sagt von den Nadeln der Clione celata der Nord- see, welche sich namentlich häufig in den Austernschalen um Helgoland findet, dass sie an dem einen Ende ge- knöpft seien ., öfter geht auch über den Knopf noch eine sehr kurze Spitze hinaus, äusserst selten kommt auch einmal eine Anschwellung in der Mitte der Nadel vor". Das ist Alles was ich über die Nadelformen der Clionen erfahren konnte. Leider reicht dasselbe zur Bestimmung einer Kieselspongie nicht aus, denn geknöpfte Nadeln sind bei vielen Species verbreitet und kommen oft mit gewöhnlichen pfriemenförmigen zusammen vor. Der grösste Theil der Nadeln unseres Polytremaschwammes ist, wie Fig. 10 zeigt, an beiden Seiten pfriemenförmig zugespitzt. Viele haben eine bogenförmige Krümmung, selten sind die kleinen, einer Spange gleichenden Fig. 10, a. Auch geknöpfte Nadeln kommen vor, in deren Knopf der Axenkanal, welcher keiner Kieselnadel fehlt, eine 1) Archiv für Anatomie und Physiologie 1859. p. 515. lieber Polytrema miniaceum. 93 Anschwellung besitzt. Alle Nadeln sind verhältnissmäs- sig kiirz^ so dass sie höchstens durch zwei oder drei Kammern des Polytrema hindurch ragen. Einige wenige Bruchstücke grösserer Nadeln^ welche ich gesehen^ möchte ich so wie die äusserst selten neben den Kieselnadeln vorkommenden, auch nur in Bruchstücken zur Beobach- tung gekommenen Kalknadeln für zufällige Beimi- schungen halten. Die kurzen pfriemenförmigen Nadeln liegen vielfach in Gruppen parallel neben einander, wie man sie in Schwämmen in situ findet. Das Voranstehende genügt, wie ich glaube, zu be- weisen, dass, wo Kieselnadeln in Polythalamienschalen neben organischer Erfüllung der Kammern vorkommen, die Ansicht, dass in solchem Falle ein IJebergangsgebilde zwischen Foraminiferen und Poriferen vorliege, wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat. Es fragt sich nun ob — und davon ist unsere Untersuchung eigentlich ausge- gangen — bei Carpeyiteria, wo nach Gray und Car- penter, auch Foraminiferenstruktur der Kalkschale und Erfüllung der Kammern mit Kieselnadeln vorkommt, mehr Grund vorhanden ist, die von den englischen Zoologen vertheidigte Ansicht aufrechtzuhalten. Carpenter's Be- schreibung der nach ihm benannten Polythalamie, welche parasitisch auf verschiedenen Meeresprodukten, nament- lich zahlreich auf einem Stück einer Koralle, Porites, ge- funden wurde, ist wie alle seine Arbeiten über Polytha- lamlcn, so genau und sorgfältig, dass wir uns eine voll- ständig klare Vorstellung von den in Rede stehenden Gebilden machen können. Um so sicherer glaube ich meine Ansicht aussprechen zu können, dass mir nicht der geringste Grund vorzuliegen scheint, die Verbindung von Spongiennadeln und Kalkgehäuse bei Carpeyiteria in einer anderen Weise aufzufassen als bei Polytrema. Die Kalkschale ist dort wie hier durchaus foraminiferen- artig. Die Kieselnadeln liegen zerstreut in den Kammern und sind von wenig Resten organischer Substanz umhüllt. Die centralen Kammern, und darauf ist ein besonde- rer Werth zu legen, fanden sich auch bei Carpenteria mit einer keine Nadeln enthaltenden festeren. 94 Schultze: gelbbraunen Substanz erfüllt^ also gerade so wie bei Polytrema. Die Form der Nadeln endlich stimmt nach Carpenter's Abbildung 1. c. Tab. XXII. Fig. 16 mit den bei Polyfcrema gefundenen fast genau überein^ in- sofern sie doppelseitig zugespitzt oder auf einer Seite geknöpft^ bogenförmig gekrümmt und endlich von ge- ringer Grösse sind. Wie sich nicht anders erwarten lässt^ hat sich auch Carpenter die Frage vorgelegt, ob die Spongiennadeln nicht auf einen parasitisch die Polythalamie bewohnenden Schwamm zurückzuführen seien. Indem er aber sich schliesslich für die Ansicht entscheidet, dass beide zu einem Organismus gehören, legt er besonderes Gewicht auf die Auffindung der erwähnten braungelben organi- schen Substanz in den Höhlungen der centralen Kammern, indem er meint, diese sei gerade echte Spongiensubstanz, zwar ohne Spicula aber zu dicht und fest, um als Sarko- dekörper einer Polythalamie zu gelten. Hier befindet sich Carpenter im Irrthume. Wie ich oben auf Grund unzähliger Untersuchungen trockner und in Spiritus auf- bewahrter Polythalamien und mehrerer Schwammarten ausgesprochen habe, ist die Polythalamiensubstanz viel dichter, fester, resistenter als die organische Substanz der Spongien. Die Ilornsubstanz der Hornschwämme natür- lich ausgenommen, zerfällt die organische Umhüllung der Spongiennadeln so ausserordentlich leicht, geht so schnell in Zersetzung über, dass es mir nie gelungen ist an Spiritusexem.plaren von Schwämmen, die ich selbst frisch in Spiritus gesetzt hatte, irgendwie fest zusammenhän- gende grossere Partieen der organischen Substanz zu isoliren oder über deren Natur überhaupt noch Unter- suchungen anzustellen. Bei Polythalamien dagegen, bei denen die organische Substanz eine solche Resistenz hat, dass sie sich inmitten faulender Substanzen wochenlang lebensfähig erhält, dass es leichter als bei irgend einem anderen Seethiere gelingt, sie viele Monate lang in der Gefangenschaft lebendig zu erhalten, tritt durch die Ein- wirkung des Spiritus oder durch Trocknen eine solche Erhärtung ein, dass die Kammererfüllung sich jetzt gerade Ueber Polytrema miniaceum. 95 in dem Zustande^ den Ccarpenter gegen die Polytlia- lamiennatur anführt^ isoliren lässt. Ich bin nach diesem nicht im Stande, die Verhält- nisse bei Carpenteria anders anzusehen als bei Polytrema und glaube danach die Grenze zwischen Polythalamien und Spongien, welche bis dahin als eine recht scharfe galt, auch noch fernerhin so aufrecht erhalten zu müssen. Nachtrag. Dr. Carpenter hat so eben in Verbindung mit William Parker und Rupert Jones, zwei For- schern, welche sich durch ihre Arbeiten über Foramini- feren bereits rühmlichst bekannt gemacht haben, ein neues grosses Werk veröffentlicht, welches die Ray societj in London herausgegeben hat, betitelt: Introduction to the study of the Foraminifera. In demselben ist auf p. 235 ff. Folytrema, dessen Carpenter in seinen frü- heren Arbeiten nur gelegentlich Erwähnung gethan hatte, ausführlicher beschrieben und durch Abbildungen auf Tab. XIII. Fig 18—20 erläutert. Dr. Carpenter hatte die Güte mir bei einem Besuche, den ich ihm vor Kurzem in London abstattete, seine reiche Sammlung und in dieser auch seine Präparate von Polytrema zu zeigen. Obgleich seine Exemplare aus der Südsse, meine aus dem Mittelmeere stammen, seine eine grössere Variation der äusseren Formen darbieten als die meinigen, so glaube ich doch, dass über die Identität der Species kein Zwei- fel herrschen kann. Carpenter ist zu demselben Re- sultate gekommen wie ich, dass Polytrema eine Polytha- lamie sei. Seine Uatersuchungen sind aber nur an trocknen Exemplaren angestellt und beziehen sich nicht auf den organischen Inhalt der Kammern. Die Frage, ob Poly- trema Spongiennadeln erzeuge und dadurch Carpenteria verwandt sei, hat Carpenter zu discutiren überhaupt keine Veranlassung gehabt, da seine Exemplare keine Spikula im Innern enthielten. Doch erwähnt er 96 Scliultze: Exemplare gehabt zu haben, deren Oberfläche ganz mit einer parasitischen Spongie b e d e c k t gewesen sei, deren Nadeln aber nicht oder kaum in das Innere der Kammern eingedrungen seien. So statuirt Carpenter einen scharfen Unterschied zwischen Polytrema und Car- penteria. Wenn bei ersterer die parasitische Natur der Spongie keinem Zweifel unterliegen konnte, so bleibt Carpenter für die zweite auch jetzt noch der Ansicht Gray's zugethan, dass die Spongiennadeln im Innern ent- standen seien und Carpenteria demnach ein Uebergangs- glied zwischen Spongien und Foraminiferen darstelle. Vielleicht dass meine Beobachtungen über Polytrema, welche die ausserordentlich nahe Verwandtschaft zwischen letzterer und Carpenteria bekunden, geeignet sind Car- penter in seiner Auffassung wankend zu machen. Ueber die systematische Stellung des Polytrema unter den Polythalamien habe ich mich oben nicht aus- gesprochen , sondern nur die nahe Verwandtschaft im Aussehen mit der von mir aufgestellten Gattung Acervu- Iwa erwähnt. Die Acervuliniden , welche in meinem Systeme der Polythalamien, wie ich es 1854 aufstellte, eine eigene Familie bilden, sind charakterisirt namentlich durch die Unregelmässigkeit ihres Wachsthums, wodurch sie wie ein unförmlicher Haufen ohne bestimmtes System aneinandergelagerter Kammern aussehen. Mir war zwar bekannt, dass in mehreren Familien, namentlich der der Rotallden, aus einer anfangs regelmässig spiralen Poly- thalamie eine unregelmässig fortwachsende Form entste- hen kann, doch waren letztere immer bei verhältnissmässig grosser Durchsichtigkeit so leicht auf den Rotaliden-Ty- pus zurückzuführen, während bei den von mir Acervulina genannten kein solcher spiraler Kern sich hatte erkennen lassen, dass ich — , ohne zu verkennen, dass die Ab- grenzung der Polythalamienfamilien überhaupt sehr viel Künstliches habe und wie jedes System nicht nach jeder Richtung genügen könne, nicht anstand, der vorläufigen Uebersicht wiegen eine besondere Familie zu bilden. Un- terdess hat sich herausgestellt, dass das unregelmässige Fortwachsen im Alter häufiger als bisher angenommen Ueber Polytrema miniaceum. 97 wurde bei Arten eintritt, regelmässig spirale Schalen zeigte, und dass im Centrnm mancher scheinbar ganz unregel- mässig angeordneter Kammeransammlungen, also echter Acervulinen, ein spiraler Kern zu erkennen sei. Danach würde denn passender, \vie Carp enter thut, das unre- gelmässige Fortwachsen nur in die Gattungs - oder Spe- cies-Diagnose aufzunehmen sein, die Familie der Acervu- linidcn aber eingehen. Ich stimme dem vollkommen bei," bemerke nur, dass es bei Acervulina acinosa, der typi- schen Form, auf welche die Gattung von mir gegründet wurde, noch nicht gelungen ist einen spiralen oder irgend welchen regelmässigen Anfang aufzufinden, und dass für alle solche Formen die Gattung Acervulina vorläufig noch wird bestehen bleiben müssen. Polytrema käme nach Carpenter's System wegen des auch schon von dem eben genannten Forscher andeutungsweise gesehenen Spi- ralen Anfanges und wegen seiner Schalenstruktur in die Familie der Qlohigerhiiden neben Tinoporus. Carpenteria dürfte dann auch zu den nächsten Verwandten zu rech- nen sein. Wenn ich schliesslich noch einige Worte über die systematische Eintheilung der Foraminiferen sagen soll, welche Carpenter vorgeschlagen hat, so kann ich der- selben im Allgemeinen nur Beifall zollen. Dieselbe un- terscheidet sich von den bisherigen ähnlichen Yersuchen vorzugsweise dadurch, dass sie gewisse Merkmale der Schalenstruktur, welche bis dahin entweder nur für die Gattungs- und Artbestimmung verwerthet oder noch gar nicht hinreichend bekannt waren, zur Abgrenzung der Hauptgruppen und Familien in den Vordergrund stellt, dagegen der Anordnung der Kammern, ob in gerader Linie übereinander gebaut ob spiral gestellt oder allseitig fortwachsend u. s. w., dem bisherigen Haupteintheilungs- merkmal, nur eine secundäre Bedeutung beigelegt. Es ist nicht zu verkennen, dass die beiden Unterordnungen, die Carpenter bildet, Foraminifera imperforata und jperforata scharf von einander abgegränzte und in sich zusammenhängende Gruppen sind. Nur darf nicht er- wartet werden, dass bei aller Natürlichkeit der Einthei- Arch. für Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Brl. 7 98 Schultze: lung im Allgemeinen, im Einzelnen niclit doch auch Man- chem vielleicht unnatürlich erscheinende Sonderungen eintreten. Ich erwähne nur das Auseinanderreissen der Gattung Cornuspira, deren eine Art eine braundurch- scheinende undurchborte, die andere eine glasartige durch- bohrte Schale hat bei sonst vollkommen gleicher Beschaf- fenheit in Bezug auf Kammerhöhlung, Windungsrichtung, Grösse u. s. w., so dass die beiden Arten natürlich miit verschiedenen Gattungsnr.men jetzt in zwei verschiedenen Unterordnungen stehen. Die sechs Familien, welche Carpenter unterschei- det, sind innerhalb der Imperforata : 1) Gromida mit mem- branöser ; 2) Miliolida mit kalkiger porcellanartiger ; 3) Lituolida mit kalkig kieseliger, Sandkörnchen einschlies- sender Schale ; innerhalb der Perforata : 4) Lagenida mit sehr feinen Porenkanälen ; 5) Glohigerinida mit grösse- ren Porenkanälen; 6) Nummulinida, bei wxlchen zu den gewöhnlichen und hier meist sehr feinen Porenkanälen noch ein System eigenthümlicher Kanäle und Hohlräume tritt, welche der Schale eine grosse Complication der Bildung geben. Die Familien sind zum Theil sehr gross und liessen sich wohl noch in Unterfamilien trennen, wel- che dann etwa mit den von mir aufgestellten Familien übereinstimmen würden, z.B. die Milioliden Carpen- ter's in die eigentlichen Milioliden, die Penero- pliden, die Soritine n (^Orbitulitinen), Alveoliniden u. dgl. mehr. Bei der bewunderungswürdigen Ausdauer und dem grossen Geschick, welche Carpenter in seinen viele Jahre hindurch fortgesetzten Arbeiten über die Po- lytlialamienschalen bewiesen hat und in Anschauung des ungeheuren Materiales, bestehend aus den verschiedensten Formen aller Zonen, welche ihm zur Disposition standen, ist es erklärlich, dass er etwas geringschätzig von den Arbeiten seiner Vorgänger, namentlich den meinigen, so weit sie die Schalenstruktur betreffen, spricht. In der That war es Hauptzweck meiner Arbeit den T hier- kör per, welcher die Schale bewohnt und bildet, genau kennen zu lernen, wesshalb ich mich zunächst auf die von mir lebend beobachteten Formen und ihre nächsten lieber Polytrema miniaceum. 99 Verwandten beschränkte. Auch war es mir, trotzdem mich viele befreundete Forscher unterstützten, nicht mög- lich alle Arten wie ich wünschte und für die Bearbei- tung einer systematischen Uebersicht brauchte, zusammen zu bringen. Mir fehlten z. B. die Arten der Carpen- ter'schen Nummuliniden, so weit sie noch lebend vorkommen, fast ganz, wesshalb ich auch nicht Gelegen- heit hatte das von Carter zuerst beschriebene verzweigte Röhrensystem wiederzusehen, wie ich p. 15 meines Buches angeführt habe. Dennoch sind die von mir über Schalen- struktur gemachten Beobachtungen nicht so wenig zahl- reich als Carpenter anzunehmen scheint. Seiner an verschiedenen Orten ^) wiederholten x\eusserung gegen- über, dass ich die Untersuchung der Schalenstruktur über Gebühr vernachlässigt und mich allein auf die Erforschung der Tbl er e beschränkt hätte, sei es mir gestattet, darauf hinzuweisen, dass sich, abgesehen von den Darstellungen über die Schalenstruktur der von mir lebend beobacbteten Arten, z. B. Polystomella strigillata (Taf. IV, Y. Fig. 2, 6 7, 9, 10) Pol. gibba, Stella borealis und venusta (Taf. VI. Fig. 2, 5, 8), von denen ich glaube behaupten zu dürfen, dass sie auch von Carpenter nicht übertroffen sind, an verschiedenen Stellen meines Werkes namentlich in dem Capitel „über die Schale der Seerhizopoden'^ p. 9 und im Abschnitt III. p. 37 eine grosse Zahl von auf .eigene Beobachtungen gestützter Bemerkungen über den Bau zahlreicher ausländischer Rhizopodenschalen findet, wie der Soritinen (Orbitolitinen), Orbiculinen, Alveolinen, Siderolites, Calcarinen, Fusulinen u.a., welche Carpen- ter freilich nirgendwo citirt hat. Auch die Grundlagen zu C a rp en t e r's neuem System der Foraminiferen finden sich in meinem Buche p. 12 ausgesprochen in den Wor- ten: .,In Bezug auf die feinere Struktur der Schale lassen sich die kalkigen Foraminiferen in zwei Reihen son- dern, in solche, deren Schale durchweg von zahlreichen feinen Löchern oder Kanälen durchbohrt ist, und andere, 1) Philosopliical transactions 1856. p. 187. Introduction to tlie study of the Foraminifera p. 10. 100 Schultze: deren Schale homogen und solide erscheint.^ ;, Hinreichend durchsichtige Formen oder dünne Schliffe undurchsichtiger^ bei durchfallendem Lichte unter dem Mikroskope untersucht, erscheinen entweder farblos wie G 1 a s^ oder zeigen eine braune Färbung. Zu letzteren gehören alle so- lide n^ nicht fein porösen Schalen, also sämmtli- che Milioliden, die Ovulinen, Cornuspira planorbis, die Pe- neropliden/^ Auch Orbiculina und Sorites (Orbitolites) rechnete ich dazu, obgleich ich in dem Punkte irrte, dass ich ihre Schale von kleinen Oeffnungen durchbohrt hielt, wel- che sie, wie Carp enter mit Recht behauptet, nicht besit- zen. Diesen kalksc haiigen Rhizopoden setzte ich gegen- über die einzige bis dahin bekannte von mir bei Ancona beobachtete kieselschalige Species, die Polymorphina silicea'^), Carpent er hatte somit für seine Familie der LituoUden die erste sichere Grundlage ebenfalls in meine Beobachtungen zu verlegen, die ihm freilich gänzlich un- bekannt geblieben zu sein scheinen, ebenso wie meine spä- teren Mittheilungen über eine Nonionina ähnliche Form mit körniger Kieselschale -j, w^elche ein besonderes Interesse dadurch darbot, dass sie zahlreiche kleine kuglige Schalen im Innern enthielt, deren Struktur mit der der grossen Schale übereinstimmte, und welche in Hinblick auf meine Beobachtungen über die Fortpflanzung der Milioliden und Rotalien als Junge gedeutet werden mussten. Wenn diese also schon im Mutterleibe eine Kieselschale bilden, so würde Carpenter's Ansicht, dass die Kieselpartikel- chen der Foraminiferenschalen immer aus dem umgeben- den Sande ^) stammen, zu modificiren sein. Uebrigens 1) üeber den Organismus d. Polythalamien p. 9, 11, Gl. Reuss hat später mit Recht darauf aufmerkam gemacht (Sitzber. d. böhmi- schen Ges. d. Wiss. zu Prag 28. Nov. 1859), dass die Art besser der Gattung Bvlimina zuzurechnen sei, in welcher sich mancherlei kie- selig sandige Formen finden. Ich überlasse es hiernach Reuss ihr einen passenden Namen zu geben. 2) Nonionina silicea in dem Archiv f. Anat. Physiol. etc. 1856. p. 17]. Taf. VI. Fig. 4, wird ebenfalls umzutaufen sein und dürfte der Gattung Lituola oder Haplophragmium (Reuss) zufallen. 3) Introduction etc. p. 47, 140. Ueber Polytrema miniaceum. 101 wiederhole ich^ dass ich die von Carpenter vorge- schlagene Classification der Foraminiferen als einen wirk- lichen Fortschritt freudig begrüsse. Dass sie ein natur- gemässer Ausdruck unserer in dem letzten Jahrzehnt so bedeutend fortgeschrittenen Kenntniss der Foraminiferen sei, bewahrheitet sich schlagend dadurch, dass der kun- digste unserer deutschen Foraminiferen-Kenner, Professor Reu SS in Prag, in seinen neuesten einschlägigen Arbei- ten eine systematische Eintheilung der genannten Thiere nach ganz gleichen Principien wie Carpenter in Vor- schlag bringt. Die Hauptarbeit von Reuss „Entwurf einer systematischen Zusammenstellung der Foraminiferen^ ist schon im Oktoberheft der aus dem Jahre 1861 stam- menden Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaf- ten zu Wien gedruckt, wird auch von Carpenter in der literarischen Uebersicht seines letzten Werkes p.XXI. Nr. XCIa angeführt, scheint aber dem Verfasser erst nach dem Drucke des Textes zugekommen zu sein, da sie sich in letzterem nirgends citirt findet. In derselben (siehe namentlich die „Nachschrift" p. 394) werden die Forami- niferen wie bei Carpenter in solche mit porenloser und solche mit poröser Schale abgetheilt, und da er die Gromiden ausscheidet, bleiben in der ersten Abthei- lung zwei Gruppen : 1) die mit sandig kieseliger Schale, 2) die mit compakter porcellanartigcr. In der zweiten Gruppe unterscheidet Reuss 1) die mit feinporöser gla- siger Kalkschale , 2) die mit mehrfach (?) poröser Kalk- schale, 3) die mit kalkiger, von verzweigten Kanalsyste- men durchzogener Schale. Man sieht, dass Carpenter's und Reuss's System vollkommen übereinstimmen. Im weiteren Ausbau glaube ich aber dem von Reuss den Vorzug geben zu müssen, indem er den Bedürfnissen des Zoologen und den bisherigen systematischen Arbeiten sich enger anschliessend und, wie ich glaube der Natur ent- sprechender, kleinere Familien unterscheidet. 102 Schultze: üeber Polytrema mimaceum. Erklärung der Abbildungen. Taf. VIII *). Fig. 1. Ein Exemplar von Polylreina miniaceum von der Oberfläche einer Krabbe, 15mal vergrössert. „ 2. Theil der Oberfläche desselben Polytrema bei oOOmal. Ver- grösserung um die Oeffnungen der Porenkanäle zu zeigen. „ 3. Dünner Schliff durch die Kalkwände von Polytrema bei öOOmal. Vergrösserung. „ 4. Theil eines durch Salzsäure blossgelegten Thierkörpers von einem in Spiritus aufbewahrten Polytrema. An der Stelle der dicken Kalkwände sind bloss die häutigen Auskleidun- gen der Porenkanäle in situ erhalten ; „ 5, G, 7 ebenso dargestellte Theile des Thierkörpers, fig. 6 mit spiraler Anordnung der Kammern, wahrscheinlich der zu- erst gebildete Theil des Polytrema. „ 8. Häutige Auskleidung der Kammern ohne Thierkörper oder nur mit wenigen Resten desselben ; durch Säure isolirt. „ 9. Zwei häutige Auskleidungen von Porenkanälen mit vielen Gliederungen. „ 10. Kieselnadeln aus verschiedenen Kammern von Polytrema. ^■) Bei der Ueb er Schrift dieses Aufsatzes ist irrthümlich Taf. IX angegeben. Beitrag zur Orismologie der Formiciden, Von Dr. Gustay Rayr in Wien. Von jeher hatte ich für generische Untersuchungen der Formiciden ein grösseres Interesse, als für Abgren- zungen der Arten, wesshalb ich auch die Orismologie, da sie zu solchen Arbeiten die Grundlage bildet, stets einer besondern Würdigung unterzog. In meinen Abhand- lungen: „Formicina austriaca" im V. Bande der Verhand- lungen des zoologisch -botanischen Vereines in Wien, so wie in den „Europäischen Formiciden", im Jahre 1861 bei Gerold in Wien erschienen, habe ich einen Abriss der Orismologie der Ameisen, insofern er für die Syste- matik nöthig war, geliefert. Mit grosser Freude begrüsste ich daher in diesem Archive im 1. Bande des 28. Jahrganges Dr. Fenger's „Allgemeine Orismologie der Ameisen, mit besonderer Be- rücksichtigung des Werthes der Classificationsmerkmale". Ich werde mir erlauben, im Nachfolgenden meine Ansichten über diese Abhandlung mitzutheilen und Eini- ges zur Vervollständigung der Orismologie der Ameisen beizufügen. Die Durchsicht obiger Abhandlung zeigt, dass der Autor viele Mühe und grossen Fleiss verwandte und auch eine gute Kenntniss der europäischen Ameisen hatte, doch glaube ich, mir die Bemerkung erlauben zu müssen, dass er die vorhandene Literatur zu sehr vernachläs- sigte, da ihm von neueren systematischen Arbeiten nur 104 Mayr: Förster's Hymenopterologische Studien und meine For- micina austriaca bekannt sind^ wodurch er in mancher Hinsicht mit seiner Orismologie im Rückstande geblieben ist. Hätte der geehrte Autor seine Abhandlung im Jahre 1856 oder kurze Zeit später veröffentlicht^ so würde die- selbe den Systematikern der Formiciden von grossem Werthe zu ihren Studien gewesen sein, und sie hätte voraussichtlich in mancher Arbeit grosse Fehler nicht zu Stande kommen lassen. Meine zwei jüngsten Arbeiten: ;,Die Europäischen Formiciden^ und ^^die Myrmecologischen Studien", welche letztere wohl vor zu kurzer Zeit erschienen sind, als dass man Herrn Dr. F eng er die Nichtkenntniss derselben als Fehler anrechnen könnte, da dieselben im vorigen Jahre in den Verhandlungen der k. k. zoologisch- botanischen Gesellschaft zu Wien erschienen sind, würden Herrn Dr. F enger ein nicht geringes Material zu seinen orismolo- gischen Studien geboten haben, da in denselben vorzüg- lich auf eine scharfe und natürliche Abgrenzung der Ge- nera, basirt auf die Yerschiedenheiten der einzelnen Theile des Chitinskeletes , Bedacht genommen wurde. — ■ Dies hielt ich für nöthig, im Allgemeinen über Dr. Fenger's Orismologie anzuführen. Im Besonderen erlaube ich mir, folgendes herauszu- heben und meine Bemerkungen beizufügen. Im obigen Aufsatze wird im Anfange bemerkt, dass das Hautskelet des Camponotus ligniperdus Ltr. (daselbst noch als For- mica ligniperda aufgeführt) eine besondere Festigkeit habe. Wenn ich nur die europäischen Ameisen in Betracht ziehe, so sind es insbesondere die Gattungen Myrmica, Tetramorium , Cremastogaster, w^elche ein viel härteres Chitinskelet besitzen als Camp, ligniperdus ; bei exotischen Formiciden giebt es jedoch Beispiele von ganz besonderer Festig-keit des Hautskeletes, wie z. B. die Arbeiter von Occodoma Ltr., deren Hautpanzer kaum mit selbst starken Nadeln zu durchstechen sind und deren Dornen vielleicht eine grössere Festigkeit haben als die stachligen Neben- blätter der Robinia Pseudacacia L. ; die Myrmiciden und Poneriden sind es vorzüglich, die sich hierin fast insge- Beitrag zur Orismologie der Formiciden. 105 sammt auszeichnen, während bei der Subfamilie Formici- dae fast nur die Arbeiter der Gattung Polyrhachis diese Eigenschaft zeigen, und die Odontomachiden in dieser Beziehung die Mitte halten. Dass der Hinterleib durch- gängig eine geringere Härte besitzt als der Kopf und Thorax, liegt wohl nebst dem vom Autor Angeführten auch darin, dass der Hinterleib aus einzelnen Chitinplat- tea besteht, welche mittelst einer feinen elastischen Haut verbunden sind, doch findet sich daselbst bei jenen Amei- sen, bei denen die Rückenplatte des ersten Abdominal- segmentes die anderen an Grösse weit übertrifft, eine ziemliche Festigkeit vor. In Bezug des Glanzes wären als eklatante Beispiele mehrere Polyrhachis-Arten, wie die Arbeiter von P. pres- sus m. und P. Frauenfeldi m. mit stark glänzender Chi- tinhülle des Hinterleibes, und Caraponotus sericeiventris Guer. ($ und $), bei welchem der grösste Theil des Kör- pers, besonders aber der Hinterleib einen sehr schönen Seidenglanz zeigt, der von der sehr dichten, feinen, an- liegenden Pubescenz erzeugt wird, zu erwähnen. Mit grossem Vergnügen finde ich von Dr. F enger angeführt, dass der Glanz des Skeletes so wie die Pubescenz ein vor- treffliches Unterscheidungsmerkmal der Arten abgeben. Hinsichtlich der Rüge, welche mir Dr. F enger in Bezug des zu hohen Gewichtes, welches ich auf die Kör- perfarbe in meinen Formic. austr. legte, zukommen lässt, kann ich nicht umhin, zu erwiedern, dass ich schon damals recht wohl fühlte, dass die Farbe so wenig als möglich zur Unterscheidung der Arten zu verwenden sei (und ich habe auch manche Arten, die nur durch die Farbe unterschieden waren und deren Zwischenglieder ich fand, zusammengezogen), doch war es mir oft unmöglich, die Arten auf andere Weise zu unterscheiden, wenn ich nicht ganz ungerechtfertigt die Arten zusammenziehen wollte ; hingegen ist es mir gelungen, in den „Europäi- schen Formiciden'^ die Arten nach genauerer Untersuchung so viel als möglich durch andere Charaktere zu unter- scheiden. Eine ganz besondere Form der Haare findet sich 106 Mayr: bei den Arbeitern der Gattung Leptothorax m., bei denen die Oberseite des Körpers mit aufrechten, keulenförmi- gen Haaren versehen ist, eine Bildung, die ich bisher bei keiner anderen Ameisengattung gefunden habe. Die Grösse der Ameisen ist bei vielen exotischen Arten viel bedeutender als bei den Europäern; so zeich- net sich hiedurcJi die Gattung Myrmecia F. aus , wovon M. spadicea m. eine Länge von 26 Mm. hat. Dr. Fenger hält Schraffirung und Behaarung für weit bessere Charaktere als die Färbung, welcher Ansicht ich vollkommen beistimme, doch muss man auch bei diesen Merkmalen vorsichtig zu Werke gehen, da es Öfters vor- kommt, dass auch diese variiren. Als Beispiel ist in Bezug der Behaarung Formica rufa L. 2 zu erwähnen, deren Thorax wohl meistens die Borstenhaare fehlen, hingegen finden sich auch ' solche Exemplare (Formica piniphila Schenck), bei welchen der Thorax abstehend behaart ist. Die Schraffirung der Körperoberfläche ist in den meisten Fällen sehr charakteristisch, doch giebt es auch hier[Aus- nahmen, z. B. Lobopelta diminuta Sm., Odontomachus haematodes L., mehrere Arten von Myrmecia F. u. s. w. Die Oberkiefer der europäischen Ameisen (in so weit sie Herrn Dr. Fenger bekannt sind) zeigen wohl wenig Abweichungen, wenn man aber mehrere neu ent- deckte europäische Arten, besonders aber die Exoten hin- zuzieht, so findet man sowohl in der Form als auch in der Einlenkung derselben grosse Abweichungen, üeber die Einlenkung der Mandibeln in den Kopf bei den Odonto- machiden, habe ich mich in meinen „Europ. Formic.^ p. 1 und hinreichend in den „Myrmec. Studien'* p. 708 ausge- sprochen, so dass ich nur darauf verweisen zu dürfen glaube. Was nun die Form der Oberkiefer betrifft, so mache ich besonders auf diejenigen der $ und $ der Odontomachiden (von denen die Gattung Anochetus m. auch in Europa vorkommt), ferner die Gattungen Myrmecia F., Drepa- nognathus Sm., Labidogenys Rog., Pyramica Bog.- und die Soldaten von Eciton Ltr. aufmerksam ; die spiralig ge- drehten Mandibeln sind am höchsten bei Mystrium Rog. ausgebildet, die sichelförmig gekrümmten, fast drehrun- Beitrap;^ zur Orisraologie der Formiciden. 107 den Mandibeln, welche unter den enropäischen Ameisen bei Polyergus Ltr. und Strongylognatlius m. vorkommen, sind am schönsten bei Leptogenys Rog. zu finden. Die Zahl der Zähne an den Oberkiefern übersteigt die von Dr. F eng er angenommene Zahl 10 oft nicht unbeträcht- lich, wie z. B. bei Myrmecia. Auch die Form der Mandibeln zeigt bei demselben Geschlechte einer Art manchmal grosse Verschiedenheiten, wie dies am stärksten bei Ca- taglvphis bombycina Rog. $ der Fall ist, bei den gröss- ten 2 sind nämlich die Mandibeln länger als der Kopf, sie sind schmal, spitz, säbelförmig mit schneidigem con- caven Rande, der nur ein winziges Zähnchen hat, wäh- rend sie bei den kleinsten $ so wie bei den anderen Ca- taglyphis - Arten gebildet sind , nämlich dreieckig, sehr kurz und am Kaurande mit 5 bis 6 Zähnen bewaffnet. — Dr. Fenger's Ansicht, dass „jede Ameisenspecies eine ganz bestimmte, constante Anzahl Zähne besitzt*^, dürfte sich nach meinen Erfahrungen wohl nicht als so sehr präcis herausstellen, denn ich habe so oft hierüber Un- tersuchungen angestellt und fast immer Schwankungen gefunden. Die Oberlippe konnte ich bisher kaum als generi- schen Charakter benutzen, da sie einerseits zu formenarm ist, andererseits bei einer und derselben Art kleinen Form- änderungen unterworfen ist. So z. B. konnte ich die zwei von mir beschriebenen Arten Aphaenogaster senilis und A. sardous (beide jetzt als Atta testaceopilosa Luc. bekannt) nicht als eigene Arten aufrecht crlaalten , ob- schon ich bei Aph. sardous die Lappen der Oberlippe fast kreisförmig gerundet, bei Aph. senilis stumpfwinklig fand (überdies ist A. sardous gelb und A. senilis schwarz gefärbt).^ DerPalpus m axillaris der Mundtheile ist wohl bei den meisten Gattungen der Subfamilie Formicidae sechsgliedrig, doch hat, ausser Polyergus mit viergliedri- gen Palp. maxilL, auch Oecophylla Sm. einen nur fünf- gliedrigen Palpus maxilL, während Acanthomyops m. nur einen dreigliedrigen Maxillartaster zu haben scheint. Bei den Odontomachiden ist er, so weit dies bis jetzt bekannt 108 Mayr: ist, vierglfedrig. Bei den Poneriden haben die $ und $ nach den bis jetzt noch ziemlich mangelhaften Untersu- chungen der Mundtheile ein- bis vicrgliedrige Maxillar- taster, und besonders ist hierin die Gattung Ponera (sensu strictissimo, vide Myrmec. Stud.) merkwürdig, dass sich in derselben bei verschiedenen Arten ein- bis dreiglie- drige Maxillartaster vorfinden, obschon sich an den übrigen Theilen des Körpers durchaus keine wesentlichen Unter- scheidungsmerkmalc; welche zu einer generischen Tren- nung Veranlassung geben könnten, vorfinden. Aehnliches findet sich bei der Gattung Atta F., in welche ich meine im J. 1853 beschriebene Gattung Aphaenogaster einbezie- hen musste, da ich dieselbe, trotz des fünfgliedrigen Pal- pus maxill. (während die anderen Atta -Arten nur vicr- gliedrige Palpi maxill. haben) nicht als eigene Gattung wegen des Mangels von hinreichenden Charakteren auf- recht erhalten konnte. In Bezug der Lippentaster ist zu Dr. Fenger's Angaben hinzuzufügen, dass bei den Poneriden - Gattun- gen: Trapeziopelta m., Streblognathus m. und Dinoponera Rog. die Maxillar- und Lippentaster viergliedrig, so wie bei Nycteresia Rog., die Maxillartaster zwei-, die Lippen- taster dreigliedrig sind. Zum Schlüsse der Mundtheile füge ich noch hinzu, dass in der Ruhe die Lappen der Unterkiefer und die Zunge nach oben gebogen und von der Oberlippe be- deckt sind. Der Clypeus zeigt bei den Herrn Dr. F enger bekannten Ameisen wenige Verchiedenheiten, obschon er bei den Ameisen grossen Aenderungen unterworfen ist, ich habe daher demselben bei der Charakteristik der Ge- nera ein besonderes Augenmerk geschenkt. Der kleine dreieckige Clypeus der Odontomachiden, der hinten zwi- schen dem Ursprünge der Fühler sich fortsetzende, in eine feine Spitze endende Clypeus vieler Poneriden, der nur als schmale Leiste auftretende kaum sichtbare Cly- peus von Anomma Shuck. und Typhlopone Westw., der nach vorne lappig erweiterte Clypeus von Lobopelta m., der eigenthümlich geformte Clypeus von Trapeziopelta m., Beitrag zur Orismologie der Formiciden. 109 Paltothyreus m. u. s. w._, calle diese Formen geben nebst anderen ausgezeichnete und sichere Unterscheidungsmerk- male zur Aufstellung von Gattungen, welche selbst den Feinden der Genusfabrikation jedenfalls erwünschter sein müssen und die Bestimmung mehr erleichtern, als wenn man den grössten Thell der Formiciden und Poneriden in den Gattungen Formica, Polyrhachls und Ponera unter- bringt und fast nur auf Farbe, Behaarung und kaum auf die mannigfachen Formen des Chltlnskeletes Rücksicht nimmt. — Der von Dr. Fenger angegebene Fall, dass die Arbeiter von Formica marglnata Ltr. einen gekielten und die Weibchen einen ungeklelten Clypeus haben, be- ruht auf einer Reproduction eines Fehlers, welchen ich mir in den Formic. austr. zu Schulden kommen Hess, und welcher in der Berliner entomologischen Zeltschrift vom J. 1859. p. 225 von Herrn Dr. Roger aufgedeckt wurde. Der Vorderrand des Clypeus zeigt besonders bei Myrmecia einen tiefen dreieckigen Ausschnitt und bei den Poneridengattungen Streblognathus m. , Odontoponera m., Stigmatomma Rog., DInoponera Rog., Mystrium Rog. und Myopopone Rog. Ist er mit zwei oder mehreren grossen oder kleinen Zähnen versehen. In Bezug des Hinterrandes des Clypeus findet sich ebenfalls eine grosse Mannigfaltigkeit, und vorzüglich ist in dieser Beziehung die Subfamllle Po- neridae ausgezeichnet. Dass der Vorder- und Hinterrand des Clypeus keinen Gattungscharakter abgeben, wie Dr. Fenger erklärt, ist hinreichend durch meine oben mehr- mals citirten neueren Abhandlungen widerlegt. Das Stirnfeld trägt öfters zur scharfen Unter- scheidung der Gattungen bei, wie dies z. B. bei Atta F. und Myrmica der Fall ist, und ist jedenfalls nicht ausser Acht zu lassen. Dass Dr. Fenger den Stirnleisten eine so ge- ringfügige Rolle bei der Charakteristik der Genera zuer- kennt, scheint sich bloss darauf zu basiren, dass er meine Formicina austriaca für ein unumstössliches Werk hält, in welchem auf die Stirnleisten viel zu wenig Gewicht gelegt wurde, denn sonst hätte er bei seinen orismologi- schcn Studien die Arten, welche ich damals In der Gat- 110 Mayr: tung Formica vereinigte^ in mehrere Genera trennen müs- sen. (Sehr bedeutend ausgebildete Stirnleisten finden sich bei Cryptoceriis Ltr. und Cyphomyrmex m.) Ebenso hat er auch die Schild- und Fühler grübe, welche letztere er nur nebenbei als Furche^ die den Cly- peus von der Seite begrenzt^ er^vähnt^ zu wenig berück- sichtigt, und das U-ebergehen oder Nichtübergehen der Schild- in die Fühlergrube ausser Acht gelassen. Die F ü h 1 e r g r u b e n wechseln enorm in ihrer Grösse, sie sind z. B. bei Pachycondyla ^ sehr klein, können aber auch bis zu den Hinterecken des Kopfes sich erstrecken, wie z. B. bei Cryptocerus. Die Stelle der Fühlereinlenkung ist von Dr. F en- ger (so wie dies auch in meinen Formic. austr. der Fall ist) nicht in Betracht gezogen, obschon dieselbe werth- volle Unterscheidiingsmerkinale bei den Formiciden bietet. Die Fühler entspringen bei Camponotus m., Colobopsis m., Polyrhachis Sm., Hemioptica Rog. und Oecophylla Sm. von dem Hinterrande des Clypeus entfernt, während sie bei den übrigen Formiciden am Rande des Clypeus ein- gelenkt sind. Der Fühler Schaft ist meistens an der Basis dün- ner als am peripherischen Ende, doch findet sich bei Ce- ratobasis Sm. ein eklatantes Beispiel des Gegentheiles. Die Länge desselben ist sehr verschieden, er überragt, zurückgelegt, bedeutend den Hinterrand des Kopfes, kann aber auch, wie z. B. bei den Männchen von rachycon- dyla Sm. nur etwas länger als breit sein. Ueber die Gestalt der Fühler geis sei, so wie in Bezug der Form und Grösse der Glieder derselben, liesse sich Yieles anführen, ich beschränke mich aber nur, auf die Taf. I in der Berliner entomologischen Zeitschrift vom J. 1862 aufmerksam zu machen, und die Gattung Solenopsis Westw. (Diplorhoptrum m.) sowohl in Bezug der Arbeiter als auch der Männchen zu erwähnen. Die Zahl der Geisselglieder sinkt bei den Gattungen Strumi- genys Sm., Labidogenys Rog. und Pyramica Rog. auf die Zahl fünf, bei Heptacondylus Sm. ist die Geissei sechs-, bei Typhlatta Sm. neungliedrig. Beitrag zur Orismologie der Formiciden. 111 Die Stirn rinne ist in ihrer höclisten Entwicke lung bei den 2 ^^^ $ ^''^^ Oecodoma Ltr. und bei den Soldaten der Gattung Pheidole Westw. (Oecophthora Heer), bei denen sie sich über den Scheitel bis zum Hinter- hauptloche verlängert; von grossem diagnostischenWerthe ist sie bei den Gattungen der Odontomachiden (siehe Myrmec. Studien p. 710—712). Die Oc eilen bilden in Plfnsicht ihres Vorhanden- seins oder Fehlens ein nur mit Vorsicht zu berücksichti- gendes Merkmal ; so z. B. fehlen sie bei manchen Indi- viduen von Streblognathus aethiopicus Sm., während sie bei anderen vorkommen. Die Netzaugen fehlen bei den Poneridengattungen Syscia Rog._, Typhlomyrmex m., Nycteresia Rog.^ Typhlo- pone Westw. und Anomma Shuck., bei anderen Poneri- den sind sie sehr klein, obwohl es auch solche Genera giebt, die sehr grosse Netzaugen haben. Das Vorhan- densein oder Fehlen der Netzaugen, die Stellung dersel- ben an den Seiten des Kopfes oder an dessen Oberseite, so wie vor oder hinter der Mitte des Kopfes giebt gute Unterscheidungsmerkmale. Eigenthümlich halbgestielte Augen hat der Arbeiter von Hemioptica Rog. Ich war sehr erstaunt, als ich inDr. Fenger's Ab- handlung p. 311 las, dass die Ameisen viereckige Facet- tenaugen haben, da ich doch stets sechseckige fand. Ich untersuchte daher die Augen einiger Arten, wie z. B. Camponotus ligniperdus Ltr. und Cataglyphis viaticus F., konnte aber nur sechseckige Facetten sehen. Wenn man vom Auge eine dünne Platte abschneidet, so sieht man unter dem Mikroskope augenblicklich die Sechsecke. Es wäre nur möglich, dass Dr. F enger mit einer gewöhn- lichen Loupe die Augen betrachtete, wo die zickzackartig verlaufenden hornigen Begrenzungslinien der Facetten wegen der nicht hinreichenden Vergrösserung als gerade Linien erscheinen und daher die Facetten von ihm vier- eckig gesehen wurden. Ich kann mir nicht denken, dass Dr. F enger, der in seiner Dissertation den Beweis ge- liefert hat, dass er mit mikroskopischen Arbeiten hinrei- chend vertraut ist, Beobachtungen auf eine so primitive 112 Mayr: Weise macht, und ich erwarte mit Zuversicht, dass er hierüber bald Aufklärungen geben wird *). Die Wangen sind in Bezug ihrer Ausbreitung sehr verschieden, da als deren hintere Grenze die Augen an- genommen werden: diese aber wechseln ungemein ihre Lage, so dass sie ganz nahe dem Oberkiefergelenke, aber auch fast an den Hinterecken des Kopfes liegen können, ja, durch ihr Fehlen bleibt sogar die Wange nach hinten unbegrenzt. Sie kann nur an die Seiten des Kopfes be- schränkt bleiben, wenn die Stirnleisten sehr weit von ein- ander abstehen (Cvphomyrmex m., Cryptocerus Ltr.), sie kann aber auch bei sehr nahen Stirnleisten vorzüglich auf der oberen Seite des Kopfes ihre Ausbreitung finden. Eine Leiste, welche vom Mandibelgelenke über die Wange zum Netzauge zieht, ist einigen Poneriden eigenthümlioh, ohne dass ich dieses Merkmal als Gattungscharakter be- nutzen konnte. Sehr bedeutende Ausbuchtungen des Hinterko- pfes finden sich unter den europäischen Ameisen bei Formica exsecta Nyl., pressilabris Nyl., Strongylognathus testaceus Schenck, besonders aber bei den Arbeitern der exotischen Gattung Oecodoma, wo auch der Hinterkopf mit Dornen versehen und derselbe in der Mitte in der Weise ausgeschnitten ist, dass der Kopf herzförmig er- scheint. Auch bei Typhlopone, Anomma, Ectatomma me- tallicum Sm., Daceton cordatum F., bei den Soldaten von Pheidole, bei den Arbeitern von Pheidologeton, bei den Soldaten und Arbeitern von Eciton u. s. w. kommen starke Ausbuchtungen vor. Von diagnostischem Werthe sind auch die Gruben am Kopfe bei den Odontomachiden. Dr. F e n g e r beginnt auf p. 315 den Thorax zu beschreiben und führt an, dass derselbe den für die Clas- """; Nach eingeholter Erkundigung bei Hrn. Dr. F eng er er- giebt sich, dass in der ganzen citirten Stelle irrthümlich vier- und sechseckig verwechselt. Auch er fand überall sechseckige, nur an dem einen nicht näher zu bestimmenden Exemplare viereckige Fa- cetten. Der Herausgeber. Beitrag zur Orismologie der Formiciden. 113 sifikation wichtigsten Körpertheil der Ameisen bildet, welcher Ansicht ich aber entgegenzutreten gezwungen bin. Je weiter meine Studien der Ameisen vorschreiten, desto mehr ersehe ich, dass der Thorax bei einer und derselben Gattung grossen Variationen unterworfen ist, während die Theile des Kopfes die sichersten Merkmale bieten. Ich erinnere an die Gattungen Camponotus und Hypoclinea, und verweise auf die Europ. Form., beson- ders aber auf die Myrmecol. Studien. Ferner ist der letzte Absatz in Dr. Fenger's Abhandlung p. 315 voll- kommen unrichtig, denn er verweist das Pro-, Meso- und Metasternum bloss auf die Unterseite des Thorax, wäh- rend das Sternum auch an der Begrenzung der Seiten des Thorax Antheil nimmt; überhaupt scheint Dr. F en- ger, auf das Detail vom Pro-, Meso- und Metasternum zufällig vergessen zu haben, so wie auch die Seitentheile des Thorax, z. B. die Scapula keine Berücksichtigung fanden, obschon dieselben der genauen Bearbeitung eines Orismologen werth wären, da sich bei den Weibchen und Männchen manche Abänderungen vorfinden, die ich bisher wohl erkannt, aber noch nicht als scharfe Unter- scheidungsmerkmale benutzen konnte; ich zweifle aber nicht, dass dies seiner Zeit gelingen wird, da die Ab- weichungen zu bedeutend sind. Ueber die Seitentheile des Thorax finden sich Andeutungen in meinen Europ. For- miciden p. 5. Die Form des Thorax und die Einschnitte zwischen den Segmenten desselben sind besonders bei den Arbeitern sehr verschieden (z. B. der Einschnitt bei Hemioptica Rog. und das Fehlen einzelner Nähte am Thorax), doch stellt sich als Grundform des Thorax bei den meisten Ameisen die liegende vierseitige Säule her- aus, deren zwei obere Kanten meist abgerundet sind. Doch finden sich auch bedeutende Abweichungen, wie bei den Arbeitern von Oecophylla, Pheidolo etc. In Bezug desPronotum mache ich auf die eigen- thümlichen Kanten bei Cryptocerus flavomaculatus m. und angustus m., ferner auf die Dornen bei Polyrha- chis, Hypoclinea, Paraponera , Oecodoma, Podomyrma u. s. w. aufmerksam, so wie auch die Grösse des Prono- Arch. für Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 8 114 Mayr: tum im Verhältnisse zum übrigen Thorax eine sehr wech- selnde ist. Das Schilde hon ist wohl bei den Arbeitern im Allgemeinen nicht entwickelt, doch findet man auch hierin eine Abweichung, da bei den grösseren Arbeitern von Pheidologeton ein abgegrenztes erhabenes Schildchen auftritt. Die Parapsidenlinien habe ich zur Unterschei- dung der Männchen der Myrmiciden benutzt, da deren Vorhandensein oder Fehlen ein gutes Merkmal zur Un- terscheidung der Gattungen bildet. Ich vermisse in Dr. Fenger's Abhandlung die Erwähnung der in meinen „Europäischen Ameisen^ Sei- tenlappen genannten Stücke des Mesonotum, die Aen- derungen unterworfen sind und auf einen Orismologen warten, um sich als Charakter benutzen zu lassen. Das Mesonotum ist nur manchmal mit Dornen bewaffnet, wie z. B. bei Polyrhachis bihamatus Drury und P. bellicosus Sm., so wie bei den Gattungen Mera- noplus Sm. und Oecodoma Ltr. In Bezug des Metanotum ist Campono tus (bei F enger Formica) lateralis OL, bei Dr. Fenger nur nebenbei erwähnt und mit dem von Ponera, Camponotus marginatus und Lasius (Formica) niger zusammengestellt, obschon bei ersterem das Metanotum sehr abweichend gebildet ist; das Metanotum hat nämlich eine kubische Form, ähnlich wie diese auch bei der Gattung Hypocli- nea, die sich durch ein vielgestaltiges Metanotum aus- zeichnet, vorkommt. — Dr. Fenger führt an, dass das Längenverhältniss der basal- und abschüssigen Fläche des Metanotum von grösserer Wichtigkeit ist und giebt als Beispiel Formica polyctena Schenck und F. rufa Nyl. an, obschon ich vor fast 8 Jahren in den Formic. austr. p. 59 diese zwei Arten vereinigen musste, da keine Grenze zwischen denselben auffindbar war und sich durch die zahlreichen Ucbergänge erwiesen hat, dass die Länge der basal- und abschüssigen Fläche wenigstens bei diesen kein charakteristisches Merkmal abgiebt. Die Organe, welche Dr. Fenger auf der Taf. Xll. Beitrag zur Orismologie der Formiciden. 115 Fig. 36 abbildet, und welche ich in den ^^Europäischen Formiciden^ unter dem Namen Sporne als Unterschei- dungsmerkmal öfters benutzt habe^ kenne ich in Betreff ihrer Verrichtung hinlänglich und ich sah den Thierchen stets mit Vergnügen zu, wenn sie mit diesen Kämmen ihre Toilette machten. Ich glaubte, dass ich in einer mei- nen Publikationen davon Erwähnung gemacht habe, doch scheint dies, wie ich nach der Durchsicht derselben er- sehe, nicht der Fall zu sein. Als Merkmal zur Unter- scheidung der Genera ist dasselbe jedoch nicht besonders .empfehlenswei'th , da die Sporne der Mittel- und Hinter- beine Uebergänge von der Kamm- zur einfachen Dorn- form zeigen. Die Sporne der Mittel- und Hinterbeine dienen nicht bloss zum Reinigen der Beine als auch zum Putzen der hinteren Theile des Körpers. .> Ueber jenen Theil von Dr. Fenger's Abhandlung, welcher die Flügel erläutert, habe ich nichts zu erwäh- nen, da er meine schon in den Formic. austr. aufgestellte und bis jetzt bewährte Eintheilung der Rippenvertheilung angenommen hat. Gegen die Abweichung in Betreff der Costa cubitalis am Hinterflügel habe ich nichts zu be- merken. Sehr interessant ist Dr. Fenger's Beobachtung^ dass die Arbeiter den sich entpuppenden Ameisen Heb- ammendienste leisten; leider hatte ich noch nicht Gele- genheit , Augenzeuge einer so meisterhaft ausgeführten Entbindung zu sein. Dr. Fenger's Ansichten über entwickelte und un- entwickelte Schuppen am Petiolus gestatten, vom mor- phologischen Standpunkte betrachtet , keine besondere Widerrede; ich betrachtete von jeher den Knoten von Cataglyphis (Monocombus) viaticus F. 2 "^<^^ Hypoclinea quadripunctata L. cT für eine unentwickelte Schuppe oder besser für einen anders entwickelten Fortsatz des Stiel- chens nach oben. Ganz anders verhält sich aber die Sache bei einer analytischen Bestimmungstabelle, welche bloss die Aufgabe hat, auf die leichteste und bequemste Weise die Bestimmung einer Art zu vermitteln, sie macht also keinen Anspruch auf Korrektheit in physiologischer 116 Mayr: und morphologischer Hinsicht. Geradezu unrichtig ist es, wenn Dr. Fenger allen drei Geschlechtern von Ca- taglyphis (Monocombus) eine mit dem Stielchen verwach- sene Schuppe vindlclrt, denn das Männchen hat eine auf- rechte Schuppe; ebenso unrichtig ist es, wenn er Cata- glyphis und Hypoclinea v/egen dem Stielchen für nahe verwandte Genera hält, die Charaktere, welche hierüber sicheren Aufschluss geben, finden sich in meinen Europ. Formic. angeführt. Dass Dr. Fenger auf das Stielchen ein so grosses Gewicht legt, ist mir vollkommen begreif- lich, denn auch bei mir war dies seiner Zeit, wo ich fast nur europäische Ameisen kannte, der Fall, orismologische Studien setzen aber ein sehr reiches Material aus allen Erdtheilen als Grundlage voraus. Dr. F enge r legt auf die Form, die Hö-he und die Breite der Schuppe zu gros- sen Werth, denn selbst bei europäischen Arten ist die Schuppe bei derselben Species Schwankungen in obiger Beziehung in gewissen Grenzen unterworfen, wesshalb die Form der Schuppe nur mit Vorsicht als Artcharakter aufzunehmen ist. Vom morphologischen Standpunkte aus wage ich zu behaupten, dass auch das erste Stielchenglied der Myrmiciden, welches dem Stielchen der Formiciden und Poneriden entspricht, die Anlage zur Schuppenbil- dung hat, indem bei den meisten Gattungen als kleine senkrechte Schuppe eine quere Leiste auftritt. Des genannten Verfasser's aufgestellten Satz: ^der Plinterleib der Myrmiciden ist stets völlig glatt^, ist leicht durch eine gute Loupe bei vielen Myrmiciden zu widerlegen. Einen ganz glatten Hinterleib erinnere ich mich nie bei Ameisen gesehen zu haben, wenigstens fin- den sich Punkte vor, aus denen Borstenhaare entspringen. Bei der Skulptur hat sich Dr. Fenger mehrmals geirrt, so verleiht er der Myrmica rugulosa Nyl. ganz glatte Füh- ler_^ruben, während sie dicht fingerhutartig punktirt sind, dieselbe Art soll nach ihm nur fein granulirt gerunzelte Wangen haben, während ich auch starke Längsrunzeln finde. Ueberhaupt wird von ihm die Myrmica rugulosa so oft herausgehoben, dass man meinen sollte, sie unter- scheide sich auf den ersten Blick mit Leichtigkeit von Beitrag zur Orismologie der Formiciden. 117 den übrigen Myrmica- Arten, während ich stets eine gute Loupe zur Hand nehmen muss, um sie sicher zu bestim- men. Dass die Einschnürung zwischen dem Isten und 2ten Hinterleibssegmente kein sicheres Unterscheidungs- merkmal zur Abtrennung der Poneriden abgiebt, beweist z. B. die Gattung Odontoponera m., welche ich in mei- nen Myrmec. Studien beschrieben habe, so wie es Gat- tungen giebt (z. B. Pachycondyla) , bei denen einige Arten eine massige, andere, die eine kaum merkliche Einschnürung haben. Eine scharfe, sichere Charakteristik der Poneriden ist noch immer ein pium desiderium der Myrmecologen 5 ich habe viele Zeit darauf verwendet, konnte aber zu keinem sicheren Resultate gelangen. Bis- her glaubte ich, dass das Vorhandensein des Stachels am Hinterleibe die Poneriden von den Formiciden unterschei- det, nun aber lese ich in Dr. Fenger's so eben erschie- nenen und mir freundlichst zugesendeten Dissertatio : „De Hymenopterorum aculei anatomica et physiologia", dass Polyergus ebenfalls einen Stachel hat, wodurch obiges Merkmal wegfällt, da Polyergus eine sichere Formicide ist. Die Puppen der Poneriden, in so weit man sie kennt, sind so wie die Formiciden und Odontomachiden in einen Cocon eingeschlossen, während die Myrmiciden denselben entbehren, nun aber giebt es bei gewissen Formiciden, in deren Kolonien nebst in Cocons eingeschlossenen Pup- pen auch solche ohne Cocon, wie ich in den Formic. austr. p. 12 bereits angeführt habe, so dass auch dieses Merk- mal, welches im Allgemeinen annehmbar ist, kein siche- res ist. Ob die Gattung Myrmeica F. zu den Poneriden oder Myrmiciden gehört, ist noch nicht sicher entschie- den, doch scheint sie nach der Organisation der Männ- chen, die mit den Poneriden sehr verwandt sind, zu diesen zu gehören. Eine Berichtigung eines Druckfehlers in Dr. Fenger's Aufsatz p. 348 möge hier eine Berichtigung finden. In der 6. und 11. Zeile von oben soll es nämlich statt Fig. 39 heissen: Fig. 31. Die Würdigung der Verschiedenheiten der äusseren Generationsorgane der Männchen in meinen Europ. 118 Mayr: Beitrag zur Orismologie der Formiciden. Formiciden und Myrmecol. Studien, nicht zur Unterschei- dung der Arten, sondern zu den der Gattungen , wird Herr Dr. F enger bei der Durchsicht dieser Abhandlun- gen mit Befriedigung aufnehmen. Ich vermuthe übrigens, dass man dieselben auch als Merkmal zur Unterscheidung der Arten seiner Zeit benutzen wird, denn ich habe bei verschiedenen Arten einer Gattung einige, obschon geringe Formverschiedenheiten der äusseren Generationsorgane gefunden. Beiträge zur Fauna von Peru. ^ Von Philippi und Landbeck in Santiago. 1. Sytiallaxis striata Ph. et Ldb. ^- ' Artkennzeichen. Köpf, Hals^ Rücken und th eilweise die Unterseite gestreift. Beschreibung. Länge (Altparis. Maass) ... 6" ■ — Schnabel — 5'" Schwanz : längste Mittelfeder . 3 7 kürzeste Seitenfeder . 1 3 Flügel vom Bug bis Spitze . . 2 2 Tarsus — 10 Aussenzehe sammt Nagel ... — ■ 5 Mittelzehe — 7 Innenzehe — 5 Hinterzehe — 5V2 Schnabel schlank^ seitwärts stark comprimirt^ Ober- schnabel sanft abwärts gebogen, hornschwarz; Unterschna- bel an der Basalhälfte gelb, Fuss braunschwarz, die Schildränder weisslich. Von den Nasenlöchern zieht sich eine weissliche Binde über das Auge hin bis zum Genick ; Oberseite des Kopfes bis zum Genick schön rothbraun mit schwarzen Längsstreifen ; Hinterhals fahlweisslich mit schwärzlichen Federrändern; auf Rücken und Schultern jede Feder in der Mitte mit breitem röthlichweissen Längsstreif und schwarzbraunen Seitenrändern; Bürzel und Oberschwanzdeckfedern olivenbräunlich mit weissli- 120 Philipp i und Landbeck: chem Mittelstrich. Der Schwanz ist stuffig^ schwarzbraun, die zwei Mittelfedern mit lichtfahlbräunlichen Rändern, welche bei den drei äusseren Federn jeder Seite noch heller sind. Auf den Spitzen dieser drei Federn befindet sich auf der Innenfahne ein graubräunlicher Keilfleck, welcher wiederum schwärzlich gefleckt ist. Der Flügel ist braunschwarz, sämmtliche Deck- und hintere Schwung- federn breit hellrostgelblich eingefasst. Die meisten Schwung- und Fittigfedern haben auf der Basalhälfte lebhaft rostrothe breite Kanten auf der Aussenfahne, wo- durch auf dem Flügel ein hufeisenförmiger Fleck ent- steht, dessen hohle Seite durch einen schwarzen Spiegel- fleck ausgefüllt ist. Ausserdem sind viele dieser Federn an der Wurzel rostroth gefärbt. Kehle und Brust weiss mit kleinen schwarzen Tüpfeln an den Seiten der einzelnen Federn. Magengegend weiss mit breiten olivengrauen Seitenrändern. Bauch, After und Unterschwanzdeckfedern licht gelbbräunlich , Unterflügeldeckfedern hellgelblich weiss. Dieses niedliche Vögelchen stammt aus der Frobeen'- schen Sammlung in Arica in Peru und wurde ohne Zwei- fel in der Cordillere daselbst erbeutet; es ist jedoch nicht näher bezeichnet. Syn. striata nob. hat mit verschiedenen seiner Art- Verwandten grosse Aehnlichkeit, wesshalb hier die unter- scheidenden Merkmale angegeben werden. 1) Syn. aegythaloidcs Kittlitz. In Grösse, Gestalt, Schwanzbau 'und Färbung des Kopfes und der Flügel stimmt er mit unserem Vogel ziemlich überein, allein Rücken und Bauch sind ungefleckt und die Schwanzfedern sind weit schärfer zugespitzt. Diese Art ist über ganz Chili verbreitet und sehr gemein. 2) Syn. maluroides d'Orb. In Grösse, Gestalt und Hauptfärbung, besonders aber in der gestreiften Rücken- zeichnung sehr ähnlich, unterscheidet er sich durch un- gefleckten, rostrothen Scheitel, rostfarbigen Schwanz und ungefleckte Unterseite. Beiträge zur Fauna von Peru. ^ 121 2. Chlorospiza erythro7iota Ph. et Ldb. Art kenn zeichen. Kehle weiss^ Rücken rostroth. Beschreibung. Länge 5" 8'" Schnabel lang — 6 hoch — 3V2 breit — 31/4 Schwanz 2 3 Flügel vom Bug bis zur Spitze . 3 9 Tarsus — 11 Aussenzehe sammt Nagel ... — 6V2 Mittelzehe — 9 Innenzehe — 6 Hinterzehe — 7^2 Oberschnabel gewölbt, mit bemerkbarem Grat auf der Firste, sanft gebogen, am Rande stark eingezogen, horngrau, Unterschnabel hellhornbräunlich. Iris braun, Tarsus und Nägel hellbraun. Oberseite des Kopfes, Ohren, Hinter- und Seitenhals, Oberrücken, Bürzel und Ober- schwanzdeckfedern , Brust und Magengegend aschgrau, auf dem Kopfe lichtbräunlich überlaufen und in der Mitte jeder Feder etwas dunkler gestreift, die Zügel-, Backen- und kurzen Ohrfedern mit weissen Spitzen, die unteren Augenliedfederchen weiss, Kinn und Kehle, so wie die ganze Unterseite, auch die Unterseite der Flügel und die Unterschwanzdeckfedern weiss, die Seiten rostgelb, Schien- beinbefiederung grau. Rücken und Schultern sind rost- roth, jede Feder in der Mitte mit grauem Längsstriche oder Flecke. Der Flügel ist mattgrau- oder bräunlich- schwarz, die kleinsten Deckfedern hellaschgrau gerandet, die Schwungfedern erster Ordnung auf den Aussenfahnen mit breiten weissen Säumen, die letzten zweiter Ordnung sind auf der schmalen Fahne breit rostgelb eingcfasst. Schwanz verblichen braunschwarz mit hellaschgrauen Aussenkanten. Die Struktur des Gefieders hat grosse Aehnlichkeit 122 Philip pi und Landbeck: mit der von F. diuca Mol. und E. speculifera d'Orb., aucK die Zeichnung und Färbung von Kopf^ Hals; Kehle und Brust gleicht der dieser beiden Vögel; eine weitere Aehn- lichkeit ist jedoch nicht zu bemerken; indem unser Vogel einen rothen Rücken hat; während dieser Theil bei den anderen erwähnten Vögein aschgrau ist^ sodann ist der Schnabel gänzlich verschieden von den Schnäbeln dieser, auch sind beide bedeutend grösser als unser Vogel. Dieser Vogel stammt aus der Frobeen'schen Samm- lung und wurde von dem Eigenthümer in Putre oder Parunicota 10 — 14000' hoch in der Cordillera von Peru erlegt. Das Geschlecht ist leider nicht bekannt ; aber der Vogel wurde im Juni erbeutet und ist also jedenfalls ein reifer Vogel. — Weder d'Orbigny noch v. Tschudi erwähnen dieses Vogels in ihren Schriften. 3. Pitylus alhocüiaris Ph. et Ldb. Artkennzeichen. lieber dem Auge entspringt ein weisses Band, wel- ches sich bis zum Nacken verlängert ; der Schnabel ist weisslich. Beschreibung. Länge 8" 7' Schnabel lang — 9 hoch — 7 breit — 6 Schwanz 3 6 Flügel vom Bug bis zur Spitze . 3 10 Tarsus 1 1 Aussenzehe sammt Nagel ... — 7 Mittelzehe — H /// Innenzehe — < /; Hinterzehe — 8 Schnabel stark, Oberschnabel gewölbt, der Rand auf der Spitzenhälfte nach unten ausgebogen, an der Basalhälfte ausgeschnitten und eine Ecke bildend; gelblichweiss. Iris dunkelbraun. Fuss sammt den Klauen dunkelhornbraun. Das Gesicht, nämlich Stirn, Zügel, Augen -Umgebung, Beiträge zur Fauna von Peru. 123 Wangen und Ohren, Kehle und Oberbrust kohlschwarz^ vom Kinn bis zur Kehle ein breiter weisser Längsstreif, welcher das Ende der schwarzen Oberbrustfärbung nicht erreicht. Ueber der Mitte des Auges beginnt ein 2'" breiter weisser Streif, welcher sich über die Ohrfedern zum Genicke hinzieht und sehr auffallend ist. Die ganze Oberseite ist dunkelbleigrau mit olivenbräunlichen Feder- rändern. Die Oberseite des Kopfes ist am dunkelsten. Die Fittig- und Schwungfedern sind grauschwarz, die letztern Schwungfedern mit breiter bleigrauer Einfassung der Aussenfahnen, welche bei den drei letzten fast die ganze Aussenfahne einnehmen. Die Fittigfedern haben an der Aussenfahne der Basalhälfte hellgraue, an der Spitzenhälfte röthlichgraue, scharf markirte Ränder. (Erste Fittigfeder gleich lang mit der siebenten, die zweite mit der sechsten, die dritte mit der fünften, die vierte ist die längste.) Schwanz etwas abgerundet, mattschwarz. Die äusserste Feder auf der Innenfahne der Spitze mit einem 1 Zoll langen weissen Fleck, welcher die ganze Breite der Innenfahne einnimmt und nach oben abgerundet ist; die zweite hat an derselben Stelle einen nach der Wurzel hin zugespitzten 9'" langen weissen Keilfleck. Die Rän- der der Aussenfahnen der Basalhälfte sind lichtblaugrau- lich, übrigens der ganze Schwanz, besonders die Mittel- federn, mit graulichen und schwärzlichen Schattenbändern, wie gewässert. Unterseite des Flügels weissgelblich, Unterseite des Schwanzes atlasgrau und schwärzlich deut- licher gewässert als auf der Oberseite 5 Unterseite des Körpers ockergelb, welche Farbe an den Unterschwanz- deckfedern, dem After und Bauche am schärfsten und rein- sten ist, an den Seiten und in der Magengegend mit Grau gemischt erscheint, an der Brust aber in gelblich- grau übergeht, so dass sich diese Farbe der der Oberseite nähert. Der hier beschriebene Vogel ist ein altes Männchen aus der Sammlung des in Arica verstorbenen Frobeen und wurde im Juli 1853 in Socoroma in Peru — etwa 5000' über dem stillen Ocean — geschossen. Ueber die Lebensart u. s. w. dieses Voo^els ist nichts bekannt. 124 Philipp! und Landbeck: Unser Yogel hat einige Aehnlichkeit mit einigen verwandten Arten ans Brasilien, z. B. mit P. grossus, atrochalybaeus, Gnatho und jugularis, allein letzterer hat einen orangegelben, erstere rothe Schnäbel, während der unserige einen weissen hat. 4. Steriia lorata Ph. et Ldb. Artkennzeichen. Gesicht weiss, die Zügel schwarz. Beschreibung. Länge 9" — Schnabel von der Stirn bis zur Spitze 1 2'" von der Mundspalte . . 1 6 hoch — 3 breit — 4^2 Schwanz: kürzeste Feder .... 1 5 längste Feder 3 5 Flügel vom Bug bis zur Spitze . . 6 6 Tarsus — T Aussenzehe sammt Nagel .... — 7 Mittelzehe — 9 Innenzehe — 5 Hinterzehe — 2 Nagel der Mittelzehe allein .... — 3 Schnabel schwach, seitlich stark zusammengedrückt^ ziemlich gerade, sehr spitzig, das Nasenloch beginnt V" vor der Stirn und die Nasenrinne verlängert sich nicht über dasselbe hinaus, Nagel wenig hervorstehend, in der Mitte des Unterschnabels ; Basalhälfte des Schnabels hörn- grau und gelb gemischt, letztere Farbe an den Schnabel- rändern am deutlichsten und schönsten, Spitzenhälfte hornschwarz ; Ii'is dunkelbraun ; Fuss roth, Nägel schwarz. Stirn bis hinter das Auge, Kinn, Kehle, Wangen und Ohren bis zum Genick weiss, der Zügel — ein V/2" breiter Streif vom Nasenloche bis vor das Auge — • und die ganze übrige Oberseite des Kopfes sammt Nacken kohlschwarz, der ganze übrige Körper sowohl auf der Ober- als Un- terseite schön bläulich aschgrau, auf der Oberseite dunkler Beiträge zur Fauna von Peru. 125 und mehr ins Bleigraue, auf der Unterseite lichter und mehr ins Silbergraue spielend. Der Vorderrand des Un- terarms breit weiss eingefasst; die Fittigfedern auf der Aussenfahne und einem Streif längs des Schaftes auf der Innenfahne und an den Spitzen schwarzgrau, der Best der Innenfahne weiss; die Schwungfedern aussen grau, innen und an den Spitzen weiss. Schwanz auf den Aus- senfahnen aschgrau, auf den inneren graulichweiss ; äus- serste Schwanzfeder auf der Aussenfahne hellgraulich- weiss. Diese niedliche kleine Seeschwalbe, welche in Ge- stalt und Grösse mit der europäischen Sterna minuta Linn. Aehnlichkeit hat, wurde in der Bay von Arica im Sept. 1851 durch Forbeen erlegt. Es war ein Weibchen. 5. Sierna Froheenii Ph. et Ldb. Artkennzeichen. Schnabel purpurschwarz, Fuss orangegelb. Beschreibung. Länge r 3" 3'" Schnabel lang von der Stirn — 15 vom Winkel — 2 — hoch — — 5 breit _ _ 51/^ Schwanz: kürzeste Feder . — 2 4 längste Feder . . — 5 6 Flügel vom Bug bis zur Spitze — 9 9 Tarsus — — 9 Aussenzehe sammt Nagel . . — — 9 Mittelzehe ~ 1 — Innenzehe — — 7^2 Hinterzehe — — 3 Nagel der Mittelzehe ... — — 4 Schnabel seitwärts stark comprimirt, auffallend ab- wärts gebogen ; das kurze Nasenloch beginnt 4'" vor der Stirnbefiederung, der Nagel wenig vorstehend; purpur- schwarz mit hornweisslicher Spitze. Iris dunkelbraun. Füsse sammt Schwimmhäuten orangegelb, Nägel hörn- 126 Philipp! und Landbeck: schwarz mit hellbräunliclien Spitzen. Vor dem x\uge ein aus feinen Punkten zusammengesetzter schwarzer Fleck; die Augenumgebung von derselben Farbe; Hinterkopf. Genick und Hinterhals auf weissem Grunde dicht schwarz gefleckt; Gesicht^ Stirn^ Scheitel^ Wangen, Halsseiten, Kinn, Kehle, Brust, Bauch, After, Unterflügel- und Un- terschwanzdeckfedern so Avie der Flügelrand und die Schienbeinbefiederung schneeweiss; die ganze übrige Ober- seite prächtig aschblau oder siibergrau. Schwanz sammt Oberdeckfedern weiss. Die äusserste Schwanzfeder (1'^ 8'" länger als die zw^eite) auf der Aussenfahne tiefschwarz- grau, an dem Enddrittel der Innenfahne blaugrau, welche Farbe auch die zweite und dritte Feder auf der x\ussen- fahne zeigen: die Schäfte sind weiss. Die Fittigfedern sind auf den Aussenfahnen, einem Längsstreif auf den In- nenfahnen zunächst dem Schafte und auf der nicht von der nachfolgenden Feder bedeckten Spitze schwarzgrau, an den Spitzen weiss eingefasst und auf dem übrigen Theile der Innenfahne ebenfalls weiss. Die Schwungfedern licht blaugrau mit breiten weissen Einfassungen. Der Eckflügel ist aschgrau mit weisser Aussenfahne. Vorstehende Beschreibung ist einem im August 1851 in der Bay von Arica in Peru erlegten alten Weibchen aus der Sammlung vonFrobeen in Arica entnommen. 6. Sterjia comata Ph. et Ldb. Artkennzeichen. Schnabel sehr lang, stark gebogen, gelb; Fuss braun- schwarz ; Genickfedern verlängert. Beschreibung. Altes Männchen im November. Länge 1' 4" — Schnabel : lang von der Stirn — 2 4V2'" vom Mundwinkel . — 3 1 hoch _ _ 6 breit — — 8 Schwanz: kürzeste Feder . . — 2 10 Beiträge zur Fauna von Peru. 127 Schwanz: längste Feder . . — 5" 7'" Flügel vom Bug bis zur Spitze — 11 8 Tarsus — 1 1 x\ussenzelie sammt Nagel . . — 1 — Mittelzehe — 1 IV2 Innenzehe — — 9 Hinterzehe — — 3 Nagel der Mittelzehe allein . — — 6 Schnabel am Mundwinkel breit^ von der Mitte der Nasenlöcher an seitwärts stark comprimirt^ auffallend ab- wärts gebogen^ mit ziemlich vortretendem Nagel in der Mitte des Unterschnabels^ Nasenrinne 11'" lang, Nasen- löcher 5'" lang y schmal^ der ganze Schnabel hellgelb. Iris braun. Der nackte Theil des Fusses sammt Schwimm- häuten braunschw\arz oder schwarzbraun, die Nägel von derselben Farbe mit hellbraunen Spitzen. Der Nagel der Mittelzehe lang, sanft gekrümmt, an der Innenseite ge- kämmt. Yorderstirn, Zügel, Wangen, Ohren, oder mit einem Worte: das Gesicht, Kinn, Kehle, Hals, Brust, Bauch, After, Unterflügel- und Unterschwanzdeckfedern schneeweiss. Vor dem Auge, die Umgebung desselben, der Oberrand der Ohrfedern, Scheitel, Hinterkopf und Genick schwarz. Die Federn des letztern sind 1" 4'" lang, zugespitzt und bilden einen herabhängenden spitzi- gen Schopf; Hinterstirn und Vordertheil des Scheitels weiss und dunkelaschgrau gefleckt, indem die Federn an Wurzel und Rand weiss und am Ende mit einem grauen Fleck versehen sind. Der schwarze Halbmond vor dem Auge ist ebenfalls weiss gefleckt. Die Oberseite des Körpers schön silbergrau, Avovon die Oberschwanzdeck- federn am hellsten, beinahe schneeweiss sind. Der Schwanz ist ebenfalls sehr licht silberweiss, die äusseren Schwanz- federn, besonders vor den Spitzen am dunkelsten. Die äusserste, -welche 1" länger als die zweite ist, dürfte durch Abreiben der atlasglänzenden hellen Nebenfähnchen am Enddrittel grauschwarz werden, während die übrigen Vstel weiss bleiben; die folgenden vier Schwanzfedern jeder Seite sind auf der ganzen Aussenfahne und einem Fleck der Innenfahne nach der Spitze zu dunkelaschgrau, 128 Philipp! und Landbeck: sämmtliche Schäfte weiss. Die kürzesten Deckfedern am Rande des Vorderarmes so wie der Rand des Handge- lenkes weiss. Deck- und Eckflügelfedern dunkel silber- blaugrau. Die Fittigfedern bei frisch vermauserten Exem- plaren prachtvoll atlasglänzend silbergrau mit weissen Schäften; werden jedoch — längere Zeit nach der Mau- ser — die seidenartigen Häärchen der Nebenfähnchen ab- gerieben^ dann erscheinen die Fittigfedern schwarz und weiss gestreift: bei der ersten und zweiten Feder ist die ganze Aussenfahne und ein breiter Streif zunächst dem Schafte auf der Innenfahne von der Wurzel bis zur Spitze schwarz und der übrige Theil der Innenfahne weiss ; bei den übrigen ist die dunkle Färbung breiter, jede Feder hat an der Innenfahne einen breiten weissen Rand, wel- cher sich bis zur Spitze erstreckt und der breite weisse Längsstreif, welcher an der Wurzel auf der Innenfahne beginnt, endigt in eine keilförmige Spitze im dunkeln End- drittel jeder Feder; die Schwungfedern sind weiss mit aschgrauer Aussenfahne. Altes Weibchen im November. Der Schnabel ist um 4'" kürzer, ebenso der Schwanz. Der ganze Vogel etwas kleiner, der Scheitel dunkler ge- fleckt ; Fittig- und Schwanzfedern ebenfalls dunkler grau ; die Füsse etwas lichter; sonst keinerlei Verschiedenheit. Diese hübsche, durch ihren langen gebogenen Schna- bel auffallende Seeschwalbe wurde ohne Zweifel in der Bay von Arica erlegt. Sie stammt aus der Sammlung des verstorbenen Dr. Frobeen. 7. Leistes albipes Ph. et Ldb. (Chato in Peru.) Artkennzeichen. Die Befiederung des Schienbeins ist auf der Vor- derseite rein weiss, auf der Hinterseite schwarz gestreift; Tarsus hornweiss. Beschreibung. Totallänge von der Schnabel- bis Schwanzspitze 8" — Beiträge zur Fauna von Peru. 129 Schnabel : lang 1" 1 V2'" Umfang desselben an der Wurzel .... 1 TVg hoch — 7 Schwanz 2 10 Flügel vom Bug bis zur Spitze . 4 AVz Schienbein 1 8 Ferse 1 5 Mittelzehe 1 1 Aussenzehe — 10 Innenzehe — IOV2 Hinterzehe — IIV2 Die Spitze des ganzen und die Oberseite des Oher- schnabels schwarz, das Uebrige hornbräunlich, an der Wur- zel des ünterschnabels violett bläulich. Bei jüngeren und vielleicht im Winterkleide der ganze Schnabel horngrau und gelblich, an der Spitze und Wurzel des Oberschna- bels braun. Iris dunkelbraun. Tarsus hornbräunlich- weiss, die Nägel lichthornbraun. lieber dem Auge vom Nasenloche bis über die Mitte des Auges ein hochrothes Streifchen , welches in Weiss übergeht und als breiter weisser Streif sich bis zum Genick hinzieht. Oberseite des Kopfes, Wangen, Ohren, Halsseiten, Hinterhals kohl- schwarz mit einzelnen weissen Federspitzchen, welche längs der Mitte des Scheitels zu einer Längsbinde sich vereinigen. Ganze übrige Oberseite braunschwarz, jede Feder mit mehr oder weniger breitem hellbraunen oder braungrauen Rande; die hinteren Schwungfedern der Flügel, die Schwanzoberdeck- und die Spitzen der Schwanz- federn auf graubraunem Grunde schwarz quer gebändert. Kinn, Kehle, Brust bis Mitte des Bauches, Schulter und Vorderrand des Flügels prachtvoll hochmennigroth, bei- nahe scharlachroth. Die ganze übrige Unterseite schwarz, die Seiten- und Unterschwanzdeck federn weissgrau ein- gefasst. Unterflügeldeckfedern weiss, Schienbeinbefiede- rung milchweiss, auf der Rückseite etwas schwarzgefleckt oder gestreift. Dieser Vogel gleicht auf den ersten Anblick der chilenischen Loyca (Leistes americanus Gray) so sehr, dass Archiv f. Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 9 130 Philipp! und Landbeck: er bisher mit derselben verwechselt und nicht als beson- dere Art erkannt wurde: allein näher betrachtet^ unter- scheidet er sich auch ohne Berücksichtigung der weissen Füsse durch mehrere Abweichungen in Zeichnung und Färbung sowohl als in den plastischen Verhältnissen. Das Roth der Loyca ist im ausgefärbten Sommerkleide ein reines Zinnoberroth ^ während das Roth unseres Yogels lichter, gelblicher, ein reines Hochmennigroth ist. Das Schwarz der Wangen beginnt in der ganzen Breite der Wurzel der Unterkinnlade, ja geht sogar noch etwas nach dem Kinn, während bei der Loyca am Mundwinkel eine weissliche Linie beginnt, welche das schmälere Schwär^ vom rothen Kinn scheidet. Der Schnabel selbst ist im Verhältnisse kürzer und an der Wurzel dicker als bei der Loyca, auch auf der Firste mehr abgeplattet, fast wie bei Cassicus; auch bilden die Unterkieferäste einen stärke- ren Winkel als bei der Loyca. Der Schwanz unseres Vogels ist um V2" kürzer als bei der Loyca und gew^öhn- lich nur an den Spitzen quer gebändert, während bei letzterer die beiden Mittelfedern durchaus quer gebändert sind. Das Hauptunterscheidungsmerkmal bildet jedoch die Farbe der Füsse ; während bei L. albipes das Schien- bein weiss befiedert ist, ist es bei der Loyca dunkel- schwarzbraun, welche Farbe auch der Tarsus sammt den Zehen hat, während diese Theile bei unserem Vogel horn- weiss sind. Ebenso sind auch die Nägel der Loyca weit dunkler, überdies ist der Tarsus der Loyca um 3'" kürzer als bei unserem Vogel. Im Herbstkleide sind die lichten Federränder breiter und das Roth der Brust alsdann weiss geschuppt. Das Weibchen und die Jungen werden ohne Zwei- fel auf dieselbe Weise vom Männchen abweichen, wie dieses bei der Loyca der Fall ist. Ueber die Lebensart dieses Vogels ist uns nichts Näheres bekannt. Landbeck erhielt denselben früher von A. Frobeen in Arieaals einen Vogel, welcher dem europäischen Staar gegenüber zu stellen sei, wonach er in der Lebensweise von der Loyca weniger abweichen dürfte ; später acquirirte das Museum in Santiago mit der Beiträge zur Fauna von Peru. 131 ganzen Sammlung des Verstorbenen zwei weitere alte Männchen. V. Tschudi, in seinen ^Untersuchimgen über die Fauna peruana^ St. Gallen 1844—46.^ p. 228 beschreibt unter dem Namen : Stiirnella militaris Vieill. unsere ge- meine Loyca — allerdings in den Massen zu klein — er- wähnt aber Nichts von der weissen Schienbeinbefiederung. Ob in Peru unsere neue Art und die längstbekannte Lojca nebeneinander vorkommen oder ob Herrn v. Tschudi die auffallenden Abw^eichungen heiter Vögel entgangen sind , vermögen wir nicht zu entscheiden. TJebrigens theilt er über das Vorkommen seines Vogels folgen- des mit: „Vorzüglich an der Küstenregion in den Klee- und Maisfeldern^ wo er auch nistet. Am Morgen, vor Tages- anbruch beginnt er seinen angenehmen Gesang, der fast den ganzen Tag andauert. Bei Surco, zwischen 6 — 7000' üb. d. M., haben wir die letzten Exemplare dieser Species gesehen ; höher in das Gebirge hinauf kommt sie nicht mehr vor. Die Brütezeit ist im Juni. Die Eingebornen nennen diesen Vogel Picho und halten ihn häufig in Käfigen.^ 8. Becurvirostra andina Ph. et Ldb. ., ,/,. Artkennzeichen. Kopf und Hals weiss, Mantel, Flügel und Schwanz schwarz, Füsse bleigrau. Beschreibung, Länge von der Schnabel- bis zur Schwanzspitze ... 1' 6" 9"' Schnabel — 3 2 Schwanz — 4 — Flügel vom Bug bis zur Spitze — 9 6 Schienbein — 4 — Tarsus — 3 4 Mittelzehe .......— 1 7 Aussenzehe — 1 5 Innenzehe — 1 2 Hinterzehe — — 3 132 Philipp! und Landbeck: Die Flügelspitzen erreichen niclit ganz die Schwanz- spitze nnd vom Schienbein sind 1" 3"' nackt. Schnabel hornschwarz an der Spitze in hornbraun übergehend ; Iris hochroth; nackter Fuss blaugrau, Nägel schwarz. Kopf Hals, Brust, Bauch, Unterflügel, Unterschwanzdeckfedern, Unterrücken, Bürzel, Steiss und Schenkelfedern rein schneeweiss ; Oberrücken, Schultern, Flügel, Schwanz und dessen grosse Deckfedern braunschwarz, an den grossen Fliigeldeck- und Schwungfedern mit grünschwarzem Schimmer, aber ohnft alles Weiss. Diese hübsche Avocette, welche mit keiner verwand- ten Art zu verwechseln ist, wurde vom verstorbenen A. F r 0 b e e n von Arica in einem 16,000' üb. d. M. gelegenen Andensee in Parunicota entdeckt und nur ein Exemplar — im Juni 1853 — erlegt. Die Yögel waren sehr scheu und die Luft so kalt und dünn, dass das Jagen mit den gross- ten Beschwerden verbunden war. Dasycephala Swainson. In der Sammlung peruanischer Yögel, welche das National-Museum in Santiago aus dem Nachlasse des in Arica verstorbenen Alfred Frobeen acquirirte, befand sich auch ein Yogel aus oben benannter Gattung, welchen wir für eine neue, noch unbeschriebene Art halten; wess- halb wir in Nachfolgendem eine Beschreibung desselben unter genauer Yergleichung mit seinen hiesigen Arts-Yer- wandten mittheilen. 9. Dasycephala alhicaicda Ph. et Ldb. Artkennzeichen. Die zwei äussersten Schwanzfedern weiss, auf der Innenfahne mit braunem Längsstreif, welcher die Feder- spitzen nicht erreicht ; die letzten Flügelfedern ohne weisse Einfassung. B eschr eibung. Ganze Länge 280 Mm. Sclmabellänge 26 „ Beiträge zur Fauna von Peru. 133 Schnabelhöhe 9 Mm. Schnabelbreite 14 Flügel vom Bug bis zur Spitze . 130 Schwanz 97 Tarsus 36 Mittelzehe sammt Nagel .... 26 „ Aussenzehe 20 _^ Innenzehe 19 ;? Hinterzehe 20 ^ Die erste Schwungfeder gleich lang mit der sechsten, Schnabel ziemlich autfallend aufwärts gebogen, mit stum- pfer über den Unterschnabel etwas herabgebogener Spitze, im Ganzen so plump und stark wie bei Dasyceph. livida; Oberschnabel horngrauschwarz , an der Wurzel etwas lichter; Unterschnabel licht horngelblich; Iris dunkel- braun; Fuss sammt Nägeln braunschwarz. Die ganze Oberseite sammt den zwei mittleren Federn des Schwan- zes erdbraun, auf dem Rücken etwas dunkler quergebän- dert oder gewellt, indem jede einzelne Feder etwa sieben dunklere Querbinden hat, auf Kopf und Hals etwas fuch- sigbraun überlaufen. Die Schwungfedern sind fahlbräun- lich gerändert. Die zwei mittleren Schwanzfedern sind, wie schon erwähnt, einfarbig erdbraun mit fahlbräunlichem Rande, die fünfte hat dieselbe Farbe, aber auf Vstel der Länge befindet sich in der Spitze ein fahlweisser, keil- förmiger Fleck, welcher auf der Innenfahne w^eiter hin- aufreicht als auf der äusseren; die vierte ist der fünften ähnlich gefärbt und gezeichnet, der Keilfleck nimmt jedoch die Spitzenhälfte der Feder ein und die Spitze desselben ist auf beiden Fahnenseiten ziemlich gleich; bei der dritten bedeckt der weisse Keilfleck V4tel der Feder, und ist dieselbe über dieses auch an der Wurzel weiss; bei der zweiten und ersten dominirt das Weiss vollständig und das Erdbraun ist auf einen Streif von Vstel der Feder- breite beschränkt, welcher sich auf dem Rande der In- nenfahne von der Wurzel bis auf V^tel der Federlänge erstreckt. — Vom Nasenloche bis ans Ende der Ohrfedern zieht sich über das Auge hin ein fahlbrauner lichter Streif als Augenbraue; der Zügel ist noch etwas lichter, gelb- 134 Philipp! und Landbeck: lieh ; die Halsseiten fahlgelblicli mit braunen Längsflecken in der Mitte, die Ohrfedern mehr rötUichbraun. Kinn und Kehle -weiss, jede Feder mit schwarzem Mittelstrich, wel- che nach tmten breiter mid lichter w^erden; Brust und Seiten graubraun mit fahlen Rändern, an den Seiten etwas trübe rostgelb überlaufen. Die übrige Unterseite, Magen- gegend, Bauch, Unterschwanzdeckfedern, Unterflügeldeck- federn und die Schienbeinbefiederung trübweiss mit ocker- gelblichem Anfluge, welcher an den Afterfedern am in- tensivsten erscheint, pie Unterseite des Schwanzes zeigt genau die Zeichnung der Oberseite, nur sind die Farben kräftiger und die Fleckung deutlicher abgegränzt. Da dieser Yogel leider keine Etikette enthielt, so ist weder dessen Greschlecht, Alter, Fundort, noch Jah- reszeit der Erlegung bekannt; aus einer brieflichen Mit- theilung Frobeen's an Landbeck geht aber hervor, dass ersterer diesen Vogel in einem Cordillerenthale er- legt hatte. — Da übrigens die Geschlechter bei dieser Vogelgattung äusserlich nicht zu unterscheiden sind, so ist der Mangel der Kenntniss desselben von untergeord- neter Bedeutung, und dass der Vogel alt und ausgefärbt ist, lehrt die Beschafi'enheit seines Gefieders. d'Orbigny beschreibt in seinem Werke: „Voyage dans l'Amerique meridionale, Tome quatrieme 3. Partie: Oiseaux 1835 — 44. S. 351 sq.^ unter dem Gattungsnamen : Pepoaza vier Arten von Dasycephala, mit welchen unser Vogel mehr oder weniger Aehnlichkeit hat und mit dem einen oder anderen verwechselt werden könnte. Wir wollen desshalb diese vier Arts-Verwandten einzeln be- trachten und die unterscheidenden Merkmale hervorheben. Die erste Art ist der in ganz Chile verbreitete „Zorzal mero'^: No. 247. Pepoaza ä gorge varie. Pepoaza livida d'Orb. (Dasycephala livida Swainson.) Dieser Vogel hat mit dem unserigen in Beziehung auf Grösse, Körperverhältnisse, Schnabel und Färbung grosse Aehnlichkeit; unterscheidet sich jedoch auffallend durch das lebhafte Rostroth, welches über Magen, Bauch, After und Unterseite des Schwanzes, so wie die Scliien- beinbefiederung verbreitet ist, vor allem aber durch sei- Beiträge zur Fauna von Peru. 135 nen einfarbigen braunschwarzen Schwanz^ welcher mir an den Spitzen und der Aussenfahne der ersten Feder rost- röthlich gesäumt ist. Nr. 278: Fepoaza des Ändes, Pep. andecola d'Orb., Pepoaza gutturalis d'Orb. et Lafr. Syn. No. 9. p. 64. Dieser Vogel ist etwas kleiner und zeigt andere Körperverhältnisse, die Färbung hat aber ebenfalls grosse Aehnlichkeit mit unserer neuen Art. Dagegen weicht derselbe in folgenden Stücken ab: die Flügel und deren Deckfedern sind bei P. andecola schwärzlich, weisslich gerändert, der Schwanz schwarz an der Aussenfahne der äussersten Feder, so wie an den Spitzen der übrigen Schwanzfedern w^eisslich gerändert: also ziemlich wie beim vorigen, mit dem er von Gay auch vereinigt wurde, obgleich er nicht nur in Grösse und Färbung genugsam abweicht, sondern auch in einer Höhe von 5000 Met. lebt, wo D. livida niemals gefunden wird; da er kaum in die Verberge der Cordillere auf 2 — 3000' sich versteigt. No. 279 : Fepoaza des montagneSj Pepoaza montana d'Orb., Pep. mont. d'Orb. et Lafr. Syn. No. 10. p. 64. Dieser Vogel hat die grösste Aehnlichkeit mit dem unserigen, zeigt jedoch verschiedene Körperverhältnisse : Er ist um 30 Millimeter kürzer, hat aber längere Flügel und Schwanz ; dagegen wiederum auffallend kleineren Schnabel. In, der Färbung des Körpers stimmt er fast ganz mit unserer Art, weicht aber in der Zeichnung des Schwanzes sehr bedeutend ab. Schwanz schwai'z, sämmt- liche Steuerfedern sind auf ihrem Enddrittel schön weiss, welche Farbe auch die Aussenseite der äussersten Schwanz- feder trägt. Bei unserem Vogel dagegen verläuft das Weiss, im Enddrittel der fünften Feder beginnend, pro- gressiv bis zur äussersten, welche so wie die zwei fol- genden nicht nur auf der Aussenfahne, sondern fast ganz weiss ist. No. 280: Fepoaza maritima, Pepoaza maritima d'Orb., Pep. marit. d'Orb. et Lafr. Syn. No. 9. p. 65. Dieser hübsche Vogel ist bedeutend kleiner, hat einen schlanken, spitzigen, ganz schwarzen Schnabel, auf der Oberseite ein tiefes Graubraun, die Schwungfedern 136 Philippi und Landbeck: mit breiten weissen Rändern, die ersten zwei der- selben stark ausgeschnitten*), rostfarbigen Bauch und ganz verschiedene Schwanzzeichnung, -indem das Weiss der Innenfahne im Dritttheile vor der Spitze durch das dunkle Schwarz des übrigen Theiles derselben scharf ab- geschnitten ist, ersteres auch auf allen Innenfahnen sich gleich weit erstreckt, wodurch eine breite weisse End- binde entsteht. Nachträgliche Bemerkungen über die in Chile vorkommenden D asy c ephala -ilrten. Der Gattungsname Dasycephala ist von Swainson nicht übel gewählt, denn der Kopf dieser Vögel erscheint im Leben auffallend dick und struppig, so wie auch der Schnabel auffallend dick und plump ist. Dasycephala livida ist sowohl im Süden als im Norden Chlle's verbreitet und kommt in den geeigneten Lokalitäten nicht selten, jedoch nicht in Truppen, wie die Drosseln, Toodos, sondern im- mer nur einzeln oder paarweise vor. In der Provinz Yaldivia lebt derselbe nicht in den zusammenhängenden oder grösseren Waldungen, sondern in den Pampas, wo er sich auf den Reisscerco's aufhält und in der Nähe der Ranc^io's, auf deren Dächern er seine Nahrung sucht. Er wird selten auf Bäumen gesehen, wo er auch nichts zu suchen hat, da seine Nahrung vorzüglich aus kleinen Mäu- sen, Eidechsen, Fröschen, Spinnen und Käfern besteht, welche er meist auf der Erde erbeutet, indem er wie die Wüx'ger und Fliegenfänger auf erhöhten Gegenständen diesen Thieren auflauert und theils fliegend, thells lau- fend dieselben hascht. Seine Bewegungen sind etwas plump und geräuschvoll, aber rasch, und er hüpft auf der Erde so schnell wie eine Drossel. Im Norden oder im ■■) D'Orbigny betrachtet diese eigenthümliche Federbildung, als charakteristisches Hauptunterscheidungs -Merkmal ; wir müssen aber bemerken, dass sich dasselbe wahrscheinlich nur im hohen Alter entwickelt, denn wir fanden es unter 10 Vögeln kaum bei einem einzigen. Beiträge zur Fauna von Peru. 137 Centrum von Chile lebt dieser Vogel zietnlich häufig an den steilen Bergabhängen der Meeresküste oder auf den etwa 20üO — 3000' hohen Vorbergen der Cordlllera, wo er sich am liebsten auf die Spitzen der Chagnalstengel setzt, um eine weite Aussicht auf die Umgebung zu haben, lieber die angegebene Höhe fanden wir ihn nirgends in der Cordillera, in welcher er durch eine andere Art, die DasycepJtala maritima vertreten wird. Diese hübsche Art, weniger plump als die vorige, etwas kleiner imd schlanker mit dünnerem Schnabel und ausgezeichnet durch das viele Weiss auf der Spitzenhälfte des Schwanzes, so wie die breiten weissen Einfassungen der letzten Schwungfedern, beginnt im Centrum von Chile in einer Höhe von 5000' und erhebt sich bis auf 10,000' und darüber, ist in der Cordillera von Santiago nicht selten, jedoch auch nur in einzelnen Paaren, hauptsäch- lich in den Gegenden, wo Minen geöffnet oder die Fel- sengipfel zerfallen und zerklüftet sind. So lebte in den Minen von Arancar seit vielen Jahren ein Päärchen, wo- von vor ein paar Jahren das Weibchen und die Jungen geschossen wurden, so dass das Männchen allein übrig blieb. Dieses lebt seit dieser Zeit ganz allein als Witt- wer, übernachtet im Schachte einer Mine, setzt sich bei Tage auf das Dach des Wohngebäudes und ist so zahm, dass es sich auf fünf Schritte betrachten lässt. Im hellen Sonnenscheine putzt und ordnet es sein schönes Gefieder und in seinem Wohlbehagen schreit oder pfeift es wie ein Arricro : heijoh! heijoh! laut und kräftig, und uns scheint, dass dieser Gesang dem Vogel die Gunst der Mineros und Arricros, welche ihn „Gaucho'^ nennen, zugewendet hat. In einer anderen Mine übernach- ten, wahrscheinlich schon seit Jahren, sieben Stück dieser Vögel, und da sie stets genau auf derselben Stelle sich niederlassen, befindet sich neben jeder dieser sieben Schlaf- stellen ein Guanohäufchen von etwa zwei Fäusten gross. Dieser Dünger wird von den Mineros als Remedio bei Beinbrüchen sehr geschätzt. Der Vogel brütet i{n den Felsenritzen und in Minen, und legt weisse, mit einzelnen braunen Fleckchen be- 138 Pliilippi u. Landbeck: Beiträge zur Fauna von Peru. zeichnete Eier^ welche die. grösste Aehnlichkeit mit denen der Papamosca (Taenioptera Pyrope Kittl.) haben. Im Allgemeinen ist Das. marit. weniger zahm und zutraulich als Das. livida, welches einer der zahmsten und einfältigsten Vögel Chilis ist ; allein jener weiss seine Freunde von den Feinden wohl zu unterscheiden. Dasyc. maritima ist sehr weit verbreitet^ denn er wird sowohl in Magallan als auch in Bolivia, am Rande der Wüste von Alacama^ in der Nähe der hohen felsigen Meeresufer und ohne Zweifel in der ganzen Andenkette zwischen den be- nannten Endpunkten gefunden. Die Gattung Dasycephala steht nach Habitus^ Be- tragen, Nestbau u. s. w. ziemlich zwischen Turdus, La- nius, Tyrannus und Muscicapa im weiteren Sinne in der Mitte, schliesst sich jedoch an keine dieser Gattungen enge an und bildet desshalb mit vollem Rechte eine eigene Gattung. Santiago, im September 1861. Anatomie uud Fbjsiologic des diftapparates bei den Uymenoptereu. Von Dr. H. Fenger in Bonn. (Hierzu Taf. IX.) Unter den Hymenopteren (Aderflüglern), jener Ord- nung der Insekten, welche wegen der eigentMmlich bio- logischen Erscheinungen der zu ihr gehörigen Geschöpfe im höchsten Grade interessant und merkwürdig erscheint, sind es besonders die Bienen, Wespen und Ameisen, die in neuester Zeit die Aufmerksamkeit der Entomologen in dem Maasse auf sich gezogen haben, dass sie nicht allein in systmatischer, sondern auch in anatomischer Hin- sicht recht genauen und umfangreichen Untersuchungen unterworfen werden. Mit Recht muss es desshalb son- derbar erscheinen, dass ein Organ jener Insekten, welches durch seine Thätigkeit dem Beschauer sogleich in die Augen fällt und mit mehreren, sehr wichtigen Theilen des Körpers in engem Zusammenhange steht, — ich meine den Giftapparat — bisher nicht einer schärferen Unter-» suchung gewürdigt worden ist. Zwar ist der eigenthüm- liche und überaus kunstvolle Bau des Giftapparates von den Entomologen früherer Zeiten bereits beschrieben wor- den; aber, wenn es als ein charakteristisches Merkmal unseres Zeitalters angesehen werden darf, dass man frü- her angestellte Untersuchungen mit aller Schärfe einer nochmaligen Prüfung unterwirft, so bleibt es immerhin^ merkwürdig, dass dies mit dem Giftapparate der Hyme-/ nopteren bis jetzt noch nicht geschehen ist, zumal man 140 Fenger: anderen Organen, wie z. B. den Geschlechtstheilen, wel- che mit dem Giftapparate in immittelbarer Verbindung stehen, bereits die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt hat. Freilich fehlt es uns auch nicht an Schriften, wel- che den Giftapparat jener Insekten behandeln *) , von denen einzelne sogar in dem Zeiträume der letzten Jahre erschienen sind ; aber nirgendw^o in der ganzen Lite- ratur findet man ein Werk, welches auf eine genaue und richtige Anatomie jenes Organes Anspruch erheben dürfte. Dieser allgemeine Irrthum der Anatomen scheint daher entstanden zu sein, dass alle ohne Ausnahme, wel- che über den Giftapparat der Hymenopteren geschrieben haben , das, Avas sie berichten, nicht durch eigene An- schauung gefunden, sondern von früheren Schriftstellern entlehnt haben, auf deren Autorität sie sich ohne Wei- teres verlassen. Diese Autorität bildet Swammer- damm, dessen vortreffliches Werk sich ebenso sehr durch gewichtige Untersuchungen auszeichnet, als durch Wahr- heit, Umfang, Sorgfalt und Gründlichkeit, so dass es in der That noch für viele neuere zoologische Untersu- chungen als Grundlage angesehen werden kann, und dass ihm mit vollem Rechte der Titel zukommt, den der un- sterbliche Verfasser ihm gegeben hat : „die Bibel der Natur." *) S wammerdamm, Bibel der Natur p. 183. Taf.Sv. Apis. — Brandt und Ratz e bürg. Medizinische Zoologie, Bd. IL p. 203. Taf. 25. Fig. 39 — 42. v. Apis. — Ramdolir, Abhandlung über die Verdauungswerkzeuge, Taf. 14. Fig. 5 v. Pompilus. — Suckow, in Heusingers Zeitschrift, Bd. IL Taf. 14. Fig. 38' und 46 v. Apis und Crabro. — C. Th. v. Siebold, Lehrbuch der vergleichenden Ana- tomie der wirbellosen Thiere p. 629. — M. Lacaze Duthiers,. Recherches sur l'armure genitale des insectes dans les annales des Sciences naturelles. Paris 1850. Ausserdem giebt es noch manche andere Schriften, welche weniger wichtig sind, wie z. B. : »Die Ho- nigbiene, ihre Naturgeschichte, Lebensweise und mikroskopische Schönheit u. s. w. von James Samuelson, aus dem Englischen übersetzt von Ed. Müller 1862", auf welche wir hier desshalb keine Rücksicht nehmen können, weil sie nur eine Recapitulation dessen enthalten, was man bisher gefunden und geschrieben hat. Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 141 Doch selbst derjenige^ welclier mit der grössten Ge- lehrsamkeit und Geistesschärfe ausgerüstet ist, ist nicht von jedem Irrthimie frei, und desshalb werden stets der Wahrheit in der Wissenschaft Unwahrheiten beigemengt sein, von denen viele vielleicht nie aufgedeckt werden; aber je mehr Verehrer für die W^issenschaft erstehen, welche sie in Wahrheit und durch die That pflegen, um so schöner wird sie emporblühen, um so mehr werden die Irrthümer aus ihr entfernt werden und um so mehr wird sie das sein, was sie sein soll, die reine Wahrheit. Auch Swammerdamm hat sich in der Anatomie des Giftapparates geirrt; doch dieser Irrthum wäre sicher- lich schon lange an den Tag gekommen, wenn nicht die Schriftsteiler späterer Zelt sich auf seine Autorität allzu sehr gestützt und sich der eigenen genauen Untersuchung überhoben hätten. Indem mir nun die Erklärung S wammerdam m's über den Bau des Giftapparates bei sorgfältiger Verglei- chung mit dem Objekte selber unrichtig zu sein schien, so entschloss ich mich auf die Aufmunterung des Herrn Professor Dr. T r o s c h e 1 , meines hochverehrten Lehrers, hin, jenes in Rede stehende Organ der Hymenopteren selbst einer genaueren Untersuchung zu unterwerfen und war bald; so glücklich zu erkennen, dass die Zwei- fel, welche ich in die Richtigkeit der Anatomie S wam- mer dam m's gesetzt hatte, wohl begründet seien. Weil nun Swammerdamm, auf dessen Ueberlieferung sich die übrigen Schriftsteller berufen, den Giftapparat der Bienen und Wespen anatomirt hat, so werde ich auch in meinen Auseinandersetzungen jene Insekten zunächst behandeln und sodann ausserdem noch das Wichtigste über das Yertheidigungsorgan der Ameisen hinzufügen. 1. Heber den Giftapparat der Honigbiene (Apis mellifica ^) . Um vorerst die Lage des Giftapparates im Körper der Honigbiene zu bestimmen, schneidet man am besten vorsichtig den Hinterleib der Biene mittelst einer feinen 142 Fenger: Scheere vom Rücken her der Länge nach auf. Dann sieht man gegen die Spitze desselben hin zwischen den letzten Körperringen an der Bauchseite den Giftapparat liegen. Derselbe ist mit allen zugehörigen Theilen in Fig. 20 so dargestellt^ wie er sich in seiner natürlichen Lage von der Seite betrachtet im Körper vorfindet. Der eigentliche Stachel (in dem Sinne der gewöhnlichen Um- gangssprache) ist in dieser Figur nicht zu erkennen^ aus- ser an seiner äussersten Spitze (Fig. 20 1)^ weil er von verschiedenen anderen Theilen des Organes bedeckt ward. Ausserdem wird der Giftapparat in jener Zeichnung so vorgeführt, dass gegen den linken Rand der Tafel hin die Rückensegmente, der entgegengesetzten Richtung zu die Bauchsegmente des Thieres zu liegen kommen, wel- che hier jedoch der Deutlichkeit halber weggelassen sind. Diese natürliche Lage des Giftapparates möge wohl be- achtet werden, weil sie bisher auf eine unerklärliche Weise von fast allen Anatomen unrichtig dargestellt worden ist, wie sich dies im Verlaufe dieser Arbeit noch näher er- geben wdrd. Die einzelnen Theile des Giftapparates kann man zweckmässig in innere und äussere unterscheiden. Unter den inneren Theilen verstehe ich diejenigen, welche unter natürlichen Yerhältnissen niemals aus dem Hinterleibe des Thieres hervortreten; die äusseren hingegen sind solche, die, wenn das Insekt sticht, zur Kraftäusserung des ganzen Organes aus dem Körper hervorgeschnellt werden. Wenn die Biene sich nicht in einem gereizten Zustande befindet, so liegt der Giftapparat mit allen seinen Theilen ganz im Hinterleibe verborgen. Die äusseren Theile des Giftapparates, welche wir nunmehr zuerst betrachten wollen, fasse ich unter dem gemeinsamen Namen des Stachels zusammen. Der Zweck dieses Stachels ist ein zweifacher ; zunächst bohrt er beim Stechen eine Wunde; dann leitet er das Gift aus seinen inneren Behältern in diese Wunde hinein. Diesem dop- pelten Zwecke des Stachels entspricht vollkommen der Bau und die Form seiner einzelnen Theile. Der Stachel ist ein rothbrauner, horniger Theil des Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 143 Giftappcarates von ziemlich beträchtlicher Dicke und gros- ser Festigkeit, der sich beim Hin- und Herzerren nicht spröde^ sondern äusserst biegsam erweist Wenn man denselben von der Seite oder vom Rücken des Thieres her betrachtet, so ist es nicht möglich, seine zusammen- gesetzte Construktion zu erkennen; wenn er aber vom Bauche des Thieres her angesehen wird, so bemerkt man sofort, dass er aus verschiedenen Theilen besteht (Fig. 19). An demselben können nämlich drei Theile unterschieden werden, der Köcher (Fig. 19, b g) und zwei gleichgestal- tete Schieber *) (Fig. 19, f). Was die Construktion des Köchers anbetrifft, so ist dieselbe von allen Anatomen und selbst von Swam- merdamm unrichtig dargestellt worden. Man glaubte nämlich bisher allgemein, dass der Köcher eine einfache Rinne bilde, deren Ränder sich gegen die Mitte hin etwas einwärts biegen und vor demjenigen Ende, welches nach dem Kopfe des Thieres hin gerichtet ist, sich so sehr nach Innen wölben, dass sie hier einander ganz nahe treten, und der Köcher fast geschlossen wird. Wenn man den Köcher von seiner Oberseite, d. h. vom Rücken des Thieres her betrachtet, so erscheint er glatt und gewölbt und lässt weiter nichts Bemerkenswerthes an sich erkennen. Ganz anders jedoch gestaltet sich die Ansicht desselben von der Unterseite her und bei oberflächlicher Betrach- tung dieser Lage sollte man fast glauben, dass die bishe- rige Erklärung seines Baues die richtige sei. In dieser letzteren Lage wird der Köcher durch Fig. 7 dargestellt, nachdem er von allen übrigen Theilen des Giftapparates losgetrennt worden ist. Man bemerkt an demselben in der Mitte einen durchscheinenden, ziemlich breiten Ka- *) Absichtlicli übergehe ich die übrigen Bezeichnungen, wel- che man bisher für unsern „Schieber'* angewandt hat, insofern z. B. das Wort ,. Schenkel" durchaus nicht dem Zwecke und der Form jener Theile entspricht, und die Bezeichnung „Borste" auf einer ganz unrichtigen, wenn auch bisher allgemeinen Vorstellung von dem Baue jener Theile beruht. Unsere Bezeichnung „Schieber" hingegen entspricht sowohl der Form als dem Zwecke jener Theile voll- kommen. 144 F e n g e r : nal (a), der sicli der Länge nach durch denselben hin- zieht. An den beiden Seiten dieses Kanales treten die fast undurchsichtigen^ sich herüberwölbenden Ränder auf (Fig. 1, h), die sich an dem einen Ende in eine Spitze vereinigen (Fig. 1, c), während sie nach entgegengesetzter Richtung aUmählich etwas breiter werden und sich end- lich an der Basis des Köchers (Fig. 7 von g bis h) so sehr einander nähern, dass die Köcherrinne an dieser Stelle fast geschlossen erscheint. An dieser letzteren Stelle wölben sich die Wände des Köchers nach den Sei- ten und besonders nach dem Rücken hin so sehr aus, dass der Köcher hier gleichsam wie aufgeblasen anzuse- hen ist (wie die Seitenansicht Fig. 16 bei g zeigt), wess- halb dieser Theil nicht unpassend ;,der Köcherbuckel" genannt wird. Wenn wir nunmehr den Köcher etwas genauer be- trachten , so sehen wir besonders bei Anwendung von Balsam jederseits von der mittleren Köcherrinne (Fig. 7, a) auf den sich nach der Mitte herüberneigenden Wänden eine nicht eben schmale, durchscheinende streifenförmige Stelle, welche beiderseits von einer dunklen Linie begrenzt wird und sich der ganzen Länge des Köchers nach hinzieht, besonders aber deutlich gegen die Spitze desselben hin be- merkt werden kann (Fig. 7 die hell schattirte Stelle zwi- schen f und b). Indem sich dieser helle Streifen durch die Beleuchtung des Mikroskop es eben so ausnimmt, wie die mittlere Köcherrinne, so liegt es sehr nahe zu glau- ben, dass der Köcher ausser dem mittleren, breiten Ka- näle jederseits noch eine schmale Rinne besitze, welche nach Aussen hin durch die Köcherwand selbst, nach Innen aber von einer im Kanäle des Köchers auftretenden, erha- benen Leiste begrenzt werde. Diese Ansicht haben zw.ar die Anatomen bisher nicht aufgestellt; aber jene Anschauung ist so täuschend, dass ich mich selber im Anfange mei- ner Untersuchungen sehr geneigt fühlte, jene Erklä- rung zu geben. Jedoch bald nachher, als ich Querschnitte des Köchers anfertigte, erkannte ich, dass jene Erklärung unrichtig sei, fand aber auch den Bau des Köchers durch- aus nicht so einfach, wie die Anatomen ihn bisher dar- Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 145 gestellt haben. Wie aus den Querschnitten (Fig. 8^ 9), welche ich an verschiedenen Stellen des Köchers gemacht habe^ ersichtlich ist^ kann man denselben ansehen als eine allseitig geschlossene Röhre^ welche sich nach ihrem einen Ende (der Basis des Köchers) hin allmählich er- weitert (Fig. 1, g — h)^ während sie sich dem entgegenge- setzten Ende zu in- eine geschlossene Spitze zusammen- zieht. Auf der einen Seite (der Unterseite des Köchers) ist diese Röhre der Länge nach eingedrückt^ so dass diese niedergedrückte Wandung die entgegenstehende^ regel- mässig gewölbte (welche die Rückenseitc des Köchers bil- det) in der Mitte des Köchers fast berührt und mit der- selben gegen die Spitze hin ganz zusammenwächst. Auf diese Weise wird in der Mitte des Köchers nach Aussen hin ein Kanal gebildet (Fig. 8 u. 9^ a)^ während im Innern desselben eine allseitig geschlossene Höhle bestehen bleibt (Fig. 8 u. 9, i) , welche die grösste Ausdehnung an der Basis des Köchers besitzt und gegen die Spitze hin völlig verschwindet. Die Wände dieser Höhle sind dick und nur in der Mitte der Köcherrinne werden sie dünn und fast membranartig (Fig. 8 u. 9^ a). Die eingedrückte Un- terseite des Köchers ist nun in einer ganz eigenthümlichen und überaus kunstvollen Weise gestaltet. Zunächst finden wir, wenn wir die Bildung derselben von Aussen nach dem Innern des Köcherkanales hin verfolgen, eine erha- bene Ueberwallung (Fig. 8 u. 9, b) ; an diese schliesst sich eine gewölbte Leiste an (Fig. 8 u. 9, f) , unter der eine sehr enge Furche gebildet wird, die ihre OefFnung der Mitte des Köchers zuwendet, und endlich tritt dann der eigentliche Kanal des Köchers selber auf (Fig. 8 u. 9, a). Jene Leiste ist für den Mechanismus des Giftapparates von der grössten Wichtigkeit und verdient desshalb ge- wiss mit einem besonderen Namen belegt zu werden. Aus Gründen, welche im Verlaufe dieser Arbeit ersichtlich werden, nenne ich sie wohl nicht unpassend „die Schiene des Köchers'^. Der äussere Wall so wie die Schiene laufen in einander und endigen sich unmittelbar vor der Spitze des Köchers (Fig. 7, c) , während sie in der ent- gegengesetzten Richtung über den Köcherbuckel hinaus Arch. für Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 10 146 Fenger: sich noch auf zwei Fortsätze des Köchers erstrecken, welche die umgekehrte Form des Buchstaben S besitzen (Fig. 1, i, f; Fig. 16, m, b). Dieser Bau des Köchers bleibt in seiner ganzen Ausdehnung derselbe; nur wird die innere Höhlung (i) gegen die Spitze hin stets enger, bis sie endlich durch das Zusammentreten der Köcherwände gänzlich verschwindet. Die Anatomen haben diesen wundervollen Bau des Köchers bisher ganz übersehen; ausserdem behaupten sie (ausser Lacaze-Duthiers), dass derselbe an seiner Oberseite, dem Rücken des Thieres zu offen sei, während doch in Wirklichkeit die Oeönung des Kanales sich an der Unterseite befindet und dem Bauche des Insektes zugewendet ist. Dem Köcher sind nun noch einzelne Horntheile an- gewachsen, welche von Wichtigkeit sind. Von diesen erwähne ich zunächst diejenigen, welche mit seiner Rücken- scite so zusammenhängen, dass sie auf dem Buckel der- selben winklig auseinanderstehen, während sie sich an der Spitze mit einander vereinigen und also eine ähnliche Form darbieten, wie die zum sogenannten Gabelbeine verwachsenen Schlüsselbeine an der Brust der Vögel (Fig. 16, n und für sich dargestellt Fig. 12, b, wo a den Köcherbuckel andeutet). Sodann sind noch jene beiden Fortsätze zu berücksichtigen, von welchen oben bereits bemerkt wurde, dass sie die umgekehrte Form des Buch- staben S besitzen (Fig. 7, i, f ; Fig. IG, m, b). Auf diese Fortsätze treten die Schienen des Köchers über, und ich nenne sie desshalb „die Schienenfortsätze des Köchers". Einstweilen genüge es zu erwähnen, dass jeder dieser Fortsätze einen Kanal bildet, der gegen den Köcherbuckel hin geöffnet ist und dessen äussere Seitenwand eine stär- kere Krümmung besitzt als die innere (wie man aus den Querschnitten Fig. 10a und lOb^ und aus Fig. 15 ersehen kann, welche letztere Figur den Schienenfortsatz des Wespenstachels darstellt, und in der b die äussere, b' die innere Wandung des Kanales bezeichnet; f bedeutet den Querschnitt der Schiene). An der Aussenseite dieser Schienenfortsätze treten Anat. n. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 147 da^ wo sie die stärkste Krllmmimg bilden, sehr kurze und kaum bemerkbare Borsten auf, welche so in eine doppelte Reihe gestellt sind; dass sie 'mit einander ab- wechseln, und die aus kleinen, runden Grübchen hervor- kommen (Fig. 7, k; Fig. 15 u. 16, k). Diese ganz unschein- , baren Borstenhaare versehen in dem Mechanismus des Giftapparates einen sehr wichtigen Zweck, wie später näher erläutert werden soll. Bisher hat man diese Bor- sten ganz übersehen, wiewohl bereits Swammerdamm von jenen Grübchen Erwähnung thut , ohne jedoch zu wissen, welche Bedeutung denselben zukommt, indem die aus ihnen entstehenden Borsten seiner Beobachtung ent- gangen waren. Jene Grübchen vergleicht er mit Knöpf- chen und glaubt, dass sie von einem Theile des Giftes herrühren, der durch die Luft zersetzt worden sei. Ich habe jedoch niemals in jenen Theilen des Stachels Gift gefunden, und dass sich überhaupt dort kein Gift vorfin- den kann, geht schon aus dem Baue der Schienenfort- sätze hervor, insofern sie eine offene Rinne bilden. Wenn man den Stachel nebst seiner Schienenfortsätze mit Bal- sam behandelt, so sieht man jene Grübchen sehr deutlich, und die aus ihnen entspringenden Borsten treten bei starker Yergrösserung wie Strahlen auf, welche sich in der Substanz der Schienenfortsätze zu befinden scheinen. Hierdurch wurde ich selber in der Deutung der ganzen Erscheinung anfangs irre geleitet und kam erst zur klaren Erkenntniss, als ich die Schienenfortsätze vom Köcher lostrennte und Querschnitte derselben an jener Stelle an- fertigte. Ausserdem muss ich hier noch auf einige Wider- haken aufmerksam machen, welche sich auf dem Rücken des Köchers unmittelbar vor der Spitze desselben vor- finden. Ihre Anzahl beträgt bei der Biene sechs, und sie stehen zu je dreien in einer Reihe (Fig. 7, d, d; Fig. 16, dd). Auch diese sind der Beobachtung der Anatomen bisher entgangen. Welchen Zweck sie an dem Stachel versehen, kann man dann erst entscheiden, wenn man sich über die Bedeutung seiner Haupttheile klar gewor- den ist. Sie sind nicht etwa dazu bestimmt, die Wunde 148 Fenger: zu vergrössern^ — das wird durch andere Theile des Stachels erreicht — sondern^ indem sie in der Wunde hängen bleiben^ bewirken sie , dass das Insekt mit desto grösserer Energie diejenigen Theile des Stachels vor- wärts drängen kann, durch welche eigentlich die Wunde hervorgebracht wird. Bevor wir nunmehr den Bau der Schieber ausein- andersetzen, wollen wir kurz die Beschreibungen der Anatomen von denselben anführen, damit desto leichter ersichtlich sei, welcher wesentliche Unterschied zwischen ihrer und unserer Erklärung herrscht. Zunächst berichtet Swammerdamm ") über dieselben Folgendes: ;,Die Angel (nach unserer Bezeichnung der Stachel) ist zu- sammengesetzt aus zwei Schenkeln (unseren Schiebern) und einem Köcher, in welchem jene fast wie in einer Scheide eingeschlossen sind und aufbehalten werden.^ — „Jeder dieser Schenkel hat die eine Seite eingekimmt, oder mit einer Furche gezeichnet; an der anderen Seite aber hat er Widerhaken.^ — ;?Voii beiden Seiten schlägt oder krümmt sich der Köcher ein wenig einwärts ein, und mit solchen Leistchen schliessen und passen dann die Geleise oder Furchen der Schenkel der Angel, die wie der Deckel von einer Schublade daselbst gemächlich und leicht auf- und niederrutschen und zwar so, dass die Spitze der Angel in der offenen Höhle des Köchers liegt, die Widerhaken aber draussen stehen, es wäre dann, dass die Angel sich über das äusserste Ende des Köchers hin- aus erstreckte. Die Schenkel der Angel liegen folglich allzeit mit ihrer einen Seite, oder von unten in der Höhle des Köchers, mit der anderen, oder von oben ragen sie aus ihr hervor. Beide mit Widerhaken gewappnete Sei- ten hängen und schieben sich über und längs des Kö- chers und mit ihren Geleisen oder Furchen auf den in- neren Federn oder Leisten des Köchers.'^ — .'jDer Kö- cher bildet nicht eine gerade Oeffnung, sondern, wo er am weitesten ist, läuft er beinahe ganz zusammen, und die Schenkel kommen dann darunter hervor.'^ ^) Bibel der Natur p. 184. Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 149 Swammerdamm glaubt also^ dass die Schieber von dem hinteren, buckeiförmigen Theile des Köchers umschlossen würden, dann aus dem Köcherbuckel her- vortreten und nunmehr mit der unteren Seite in dem Kanäle des Köchers lägen, während sie mit der oberen aus demselben hervorragten. In dieser Anschauung liegt, nebenbei bemerkt, schon der angedeutete Irrthum in Bezug auf die natürliche Lage des Giftapparates in dem Körper des Insektes verborgen, wenn er auch nicht mit so deut- lichen Worten ausgesprochen ist, wie dies andere Anato- men gethan haben. Was die Befestigung und die Be- wegung der Schieber an dem Köcher anbelangt, so glaubt der in Rede stehende Schriftsteller, dass die Schieber an ihrer einen Seite mit einer Furche versehen seien, in welche der Rand des Köchers einträte, und dass jene auf diesem Köcherrande hin- und herliefen. Endlich folgt sowohl aus seinen Worten, als auch besonders aus den Abbildungen, die er von dem Giftapparate giebt, dass er die Schieber als solide Borsten ansieht. Derselben Ansicht über den Bau der Schieber sind unter Anderen auch Brandt und Ratzeburg. Sie drücken sich in folgender Weise hierüber aus*): „Dieser (nämlich der Stachel) besteht aus einer hornigen, brau- nen, am Grunde stark verdickten, am Ende aber eng zu- gehenden, oben offenen Scheide, in welcher zwei hornige, steife Borsten enthalten sind, deren Ende an der einen Seite 9 — 12 sehr spitze, rückwärts gekrümmte Säge- zähne zeigt. ^ Diese Anatomen also sprechen mit direkten Worten jenen Irrthum in Bezug auf die natürliche Lage des Giftapparates im Körper des Insektes aus, der in der Abhandlung Swammerdamm' s implicite enthalten ist, indem sie behaupten, dass der Stachel von oben, näm- lich vom Rücken her offen sei, während er doch in Wirklichkeit, wie man sich leicht überzeugen kann, seine offene Seite nach unten kehrt. Schon hieraus allein kann man wohl mit Gewissheit entnehmen, dass jene Forscher *) Medizinische Zoologie Bd, IL p. 203. 150 F enger: den Giftapparat nicht durch eigene Anschauung kennen gelernt haben. Ebenso unrichtig wird die Construktion des Stachels in dem Lehrbuche von C. T h. v. Siebold dargestellt. Man findet nämlich hier folgende Beschreibung dessel- ben *) : ^jDieser letztere (der Stachel) wird von zwei dicht unter einander verbundenen seitlichen Hälften zusammen- gesetzt^ welche häufig an der Spitze mit rückwärts ge- richteten Zähnchen besetzt sind und sich in einer gespal- tenen Hornscheide hin und her bewegen lassen.^ Durch das Wort ^Hälfte'' kann C. Th. v. Siebold doch wohl nichts Anderes bezeichnen wollen, als was Brandt und Ratzeburg durch die Bezeichnung ^Borste''', oder was Swammerdamm durch die Benennung „ Schenkel^ ausdrückt. Was er aber unter der dichten Verbindung jener Hälften versteht, ist gar nicht einzusehen, insofern jene Theile selber ihrer ganzen Ausdehnung nach in keiner direkten Yerbindung mit einander stehen. Aus- serdem ist die Bezeichnung „gespaltene Hornscheide^^ eine sehr unglücklich gewählte, indem sie dem Baue des Sta- chels durchaus nicht entspricht. Der Irrthum also, in welchen Swammerdamm und die übrigen Anatomen, die sich auf seine Autorität stützen, verfallen sind, bezieht sich zunächst auf den Bau der Schieber, die von ihnen als solide, mit einer Furche versehenen Borsten angesehen werden. Es ist mir ge- lungen, jene vermeintlichen Borsten von dem Köcher loszutrennen und ihre wahre Gestalt, ihren Zusammenhang mit dem Köcher, so wie den Mechanismus des Stachels, der hauptsächlich in der Bewegung der Schieber besteht, zu erkennen. Einen solchen Schieber habe ich mit allen seinen Theilen in Fig. 1 dargestellt, wie er von seiner Unterseite her anzusehen ist. Er bildet einen dünnen, hornigen und in die Länge gezogenen Theil, dessen Länge fast so gross ist, wie diejenige des Köchers mit den Schienenfortsätzen zusammengenommen. *) Lelu'buch der vergleicheuden Anatomie der wirbellosen Thiere, Berlin 1848. p. 630. Anat. u. Physiol. d- Giftapparates b. d. Hymenopteren. 151 Man kann sich denselben ans zwei gleich langen Röhren znsammengesetzt denken^ von denen die eine (Fig. 1, h dunkel schattirt) enger ist^ als die andere (Fig. 1, i\ Diese beiden Röhren sind an der einen, ein- ander zugekehrten Seite mit einander verwachsen, und laufen gegen das Ende des Stachels hin in eine gemein- same Spitze aus. Die Röhre (i) ist in ihrer grössten Ausdehnung bis über die Mitte des Schiebers hinaus weit^ wird dann nach und nach enger und bleibt eng bis zum äussersten entgegengesetzten Ende. Wenn der Schieber auf dem Köcher liegt, so reicht der weitere Theil der Röhre (i) von der Spitze desselben bis zum Anfange des Köcherbuckels (Fig. 7, c — g); der übrige engere Theil derselben erstreckt sich vom Anfange des Köcherbuckels bis zum Ende des Schienenfortsatzes (Fig. 1, g — 1), wobei er dieselbe Biegung annimmt, wie letzterer. Der Kanal der Röhre (h) ist da am weitesten, wo sich auch die Röhre (i) am meisten ausdehnt, während er gegen die Spitze des Schiebers hin immer enger wird und in der entgegengesetzten Richtung ungefähr von der Stelle an verschwindet, wo der Schieber dem Köcherbuckel aufzu- liegen kommt (Fig. 1 ungefähr von b bis zum Ende). Letztere Röhre ist ihrer ganzen Ausdehnung nach geschlos- sen; erstere (i) hingegen besitzt sowohl unmittelbar vor der Spitze (Fig. 1, a) eine sehr kleine, runde OelFnung, als auch an derjenigen Stelle, welche beim Aufliegen vor dem Anfange, des Köcherbuckels sich befindet^ und wo die Röhre selbst anfängt enger zu werden (Fig. 1 vor b) ; diese Oeffnung ist spaltenförmig, wie man deutlich aus dem Querschnitte des Schiebers an der betreffenden Stelle (Fig. 4) erkennen kann, indem die Wände der Röhre dort auseinanderklaffen. Die obere Wandung des Schiebers (wenn wir Fig. 1 berücksichtigen; sie ward in der natür- lichen Lage des (jiftapparates im Körper des Thieres zur unteren) ist bedeutend dicker gestaltet als die entge- gengesetzte, welche im Zusammenhange desselben mit dem Köcher diesem aufliegt^ so dass letztere gegen er- stere bei derselben hornigen Beschaffenheit fast membran- artig erscheint (Fig. 2—4). Was nun die Befestigung des 152 Fenger: Schiebers auf dem Köcher anbetrifft, so ist dieselbe ebenso kimstvoll, wie einfach. Man findet nämlich auf derjenigen Seite des Schiebers, welche dem Köcher aufliegt, der Länge nach eine enge Furche (Fig. 1, k durch Punkte angedeutet ; Fig. 2 — 6 , k), welche ihre Oeffnung dem Köcher zuwendet und die in Weite und Gestalt der Leiste des letzteren vollkommen enspricht. Die Leiste des Kö- chers tritt nun in jene Furche des Schiebers ein, so dass der Schieber auf jener auf- und ablaufen kann. Wenn wir nunmehr uns den Giftapparat in seine natiirliche Lage versetzt denken, so sehen wir ein , dass der Schieber durch jene Leiste an den Köcher gleichsam aufgehangen ist, insofern der Querschnitt der Leiste in der natürlichen Stellung sich in der Form eines aufwärts gerichteten Hakens darstellt. Der Schieber bleibt seiner ganzen Aus- dehnung nach auf der Leiste des Köchers liegen und nur unmittelbar vor der Spitze tritt er von derselben ab, indem die Spitze selber gegen die Mitte des Köcherkanales ein- gebogen ist (Fig. 11, c, d). Ganz in derselben Weise liegt der andere Schieber der entgegengesetzten Seite des Köchers auf, so dass bei aufliegenden Schiebern der mittlere Kanal des Köchers bedeutend enger gemacht wird (Fig. 19 und Fig. 11 ; letz- tere Figur zeigt ausserdem im Querschnitte die Art und Weise des Zusammenhanges zwischen dem Köcher und den beiden Schiebern). Die Bildung der engeren Röhre des Schiebers ist einzig und allein dadurch bemerkenswerth, dass an ihrer Aussenseite vor der Spitze mehrere Widerhaken auftreten (Fig. 1, g) , die bei einer und derselben Species stets in constanter Anzahl vorhanden sind. Bei der Honigbiene (5) habe ich immer zehn Widerhaken vorgefunden "*•). Diese Widerhaken sind an ihrer Spitze fast durchsichtig und *) Die Angabe von Dr. Brandt und Dr. Ratzeburg, dass der Stacliel der Honigbiene (2) 9 — 12 "Widerhaken besitze, ist un- richtig (Mediz. Zool. ßd. II. p. 203). Ebenso ist die Aufzählung der Widerhaken von Treviranus, der 6 angiebt, so wie diejenige von Swammerdamm, der 13 aufgefunden haben will, zu verwerfen. Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 153 stehen von dem End^ des Schiebers an nach entgegen- gesetzter Richtung hin in nach und nach wachsenden Zwischenräumen von einander, wobei sie selber an Grösse etwas zunehmen. Die Aufzählung der Widerhaken ist nicht so leicht, wie man wohl glauben könnte, insofern dieselben in einer Reihe stehen und nur in einer einzigen, bestimmten Lage des Schiebers vollständig gesehen wer- den können, so dass sie, wenn das Objekt nur etwas aus dieser Lage herausgebracht wird, theilweise unsichtbar werden. Diese Lage des Schiebers ist durch Fig. 1 an- gedeutet. Unmittelbar hinter jedem Haken bemerkt man eine durchsichtige , etwas gekrümmte Linie Fig. 1, f), welche die engere Röhre des Schiebers quer durchsetzt. Diese hellen Linien enden da, wo die weitere Röhre ihren Anfang nimmt, und man könnte sich bei Berücksichtigung des ganzen Baues des Schiebers leicht zu der Ansicht verleiten lassen, dass sie feine Kanäle darstellten, welche eine Verbindung zwischen der weiteren Röhre und der engeren bewerkstelligten. Ich selber war anfangs dieser Meinung und vermuthete ausserdem, dass der Schieber vor jedem Haken durchbrochen sei und eine OefFnung nach Aussen besitze, überzeugte mich jedoch bald durch Querschnitte, welche ich an den betreffenden Stellen an- fertigte, dass eine derartige Oeffnung nicht vorhanden ist, wesshalb ich auch nicht glaube, dass jene durchschei- nenden Linien feine Kanäle bilden. Dem Schieber ist ferner an derjenigen Stelle, wo er der Unterseite des Köcherbuckels aufliegt, ein eigen- thümlich geformter Horntheil angewachsen (Fig. 1, n), dessen wahren Bau man bisher unvollständig angegeben hat. Dieser Horntheil besteht aus einem kurzen Horn- balken, der an seiner Spitze mit einer Hornfläche ver- bunden ist, welche aus vielen, mit einander verwachse- nen, divergirenden Hornfäden entstanden zu sein scheint, wie man besonders deutlich an Objekten, die lange Zeit in Balsam gelegen haben, erkennen kann. Diese ganze Vorrichtung senkt sich in die Höhlung des Köcherbuckels hinab. Welchen Zweck sie eigentlich an dem Stachel versieht, habe ich bisher nicht erkennen können; davon 154 Fenger: jedoch glaube ich mich überzeugt zu haben^ dass sie mit der inneren Wand des Köchers nicht verwachsen ist, sondern bei der Bewegung der Schieber selber mit hin und her bewegt wird. Ueber den Hornfortsatz (Fig. 1; e"), welcher sich am äussersten Ende des Schiebers vorfindet, werden wir ge- eigneten Ortes Näheres angeben. Die beiden Schieber liegen so den Seiten des Kö- chers auf, dass die Widerhaken nach Aussen gerichtet sind. Ausserdem überragt der rechte Schieber vor der Spitze des Köchers den linken (Fig. 19; Fig. 11, c, d), so dass es den Anschein gewinnt, als seien dieselben von verschiedener Länge; allein dieses ungleiche Vortreten wird nicht durch eine ungleiche Länge der Schieber hervorgerufen, sondern dadurch, dass dieselben in den Hinterleib des Thieres ungleich weit hineinragen (Fig. 16 und 19). Es möge hier nochmals ganz besonders darauf auf- merksam gemacht werden, dass die Schieber nicht, wie man bisher annahm, in dem Kanäle des Köchers sich befinden, sondern der Wandung desselben aufliegen, mithin auch nicht in dem Köcher hin und her geschoben werden, sondern über denselben, und ich betrachte dess- halb die Bezeichnung „Köcher^ für jenen Theil des Sta- chels als durchaus unpassend. Es ist daher nothwendig, dass eine andere passendere Benennung für jenen Theil aufgestellt w^ird, welche sowohl seiner Form als dem Zusammenhange mit den Schiebern Rechnung trägt. In dieser zweifachen Hinsicht möchte wohl die Bezeichnung „Schienenrinne^ als geeignet erscheinen, deren wir uns auch nunmehr im Verlaufe dieser Arbeit bedienen wollen. Aus dem Bisherigen lässt sich schon erkennen, wie überaus schön und kunstvoll der Schöpfer jenes Organ der Insekten gebaut hat, und diese Schönheit der Ein- richtung verbunden mit der grössten Zweckmässigkeit wird noch mehr hervortreten, wenn wir die inneren Theile des Giftapparates beschreiben werden, so dass wir uns gestehen müssen, dass Swammerdamm sich gewiss nicht übertrieben ausdrückt, wenn er den Giftapparat als Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 155 ^das Wunderwerk der Natur ^', ;,das Kunstwerk des gros- sen Meisters" bezeichnet. Zugleich geht aus dem Ge- sagten hervor, dass die Schienenrinne einen dreifachen Zweck erfüllt, nämlich : 1) dient sie zur Befestigung und zum Schutze des Ap- parates von der Rückenseite her; 2) lenkt sie die Bewegung der Schieber ; 3) vermöge der Widerhaken, welche sich auf ihrer Rückenseite vorlinden, befähigt sie das Insekt mit desto grösserer Kraft und Energie die Schieber in die Wunde hineinzudrängen. Wenn w^ir nunmehr die inneren Theile des Giftap- parates betrachten, d. h. diejenigen, welche unter natür- lichen Verhältnissen nicht aus dem Hinterleibe des Insek- tes hervortreten, so unterscheide ich zunächst unter den- selben zwei sogenannte Seitenwände, von denen die eine in Fig 20 durch die Buchstaben e, 1, m, k, n, o, r bezeichnet ist; die andere, ihr vollkommen entsprechende, wird von jener überdeckt, insofern sie sich auf der entgegenge- setzten Seite des Stachels befindet; beide Seitenwände sind jedoch in Fig. 19 auseinandergelegt imd durch dieselben Buchstaben bezeichnet. Diese Seitenwände hängen nirgendwo direkt mit einander zusammen, ausser an ihrem oberen, vorderen Theile (Fig. 20, r), der nach dem Stachel hin gerichtet ist, wo sie durch hornige Leisten mit einander in Verbindung treten. An der Bauchseite des Thieres stehen sie winklis? o von einander ab, so dass sie also eine Höhle bilden, wel~ che auf der Seite, die dem Stachel zugekehrt ist, durch eine dünne, den Rändern der Seitenwände angewachsene Haut geschlossen wird. Dieser Haut (welche in Fig. 20 nicht zu sehen, in Fig. 19 der Deutlichkeit halber wegge- lassen ist) ist jener gabelbeinförmige Horntheil (Fig. 16 n- Fig. 12, b), der zur Schienenrinne gehört, aufgewachsen, und auf diese Weise wird letztere mit den inneren Theilen des Giftapparates verbunden. Wenn der Stachel ruht, liegt der gabelbeinförmige Horntheil dem Buckel der Schienenrinne auf; sticht das Insekt jedoch, und wird der Stachel aus dem Körper hervorgeschnellt, so tritt er 156 Fenger: vermöge semer Befestigung und Elasticität vom Buckel der Schienenrinne zurück. Indem nun die beiden Seiten- ■wände nach unten winklig auseinander st-elien, kann der Buckel der Schienenrinne in die durch sie gebildete Höhle zurückgezogen werden^ Ts^enn die Seitenwände selber sich nach dem Stachel zu herüberlegen^ wie dies vermöge der Biegung und Elasticität der Schienenfortsätze (Fig. 16, m, b) bei der natürlichen Lage des Giftapparates der Fall ist. An der entgegengesetzten Seite, w^elche dem Kopfe des Thieres zugewandt ist, wird die Höhle der Seitenwände nicht, wie in der eben besprochenen Weise, durch eine eigentliche Membran geschlossen, sondern hier ist die Oeffnung mit einer weichen, schwammigen Fettmasse ausgefüllt, welche ausserdem die Seitenwände von Innen überzieht. Jede Seitenwand wird gebildet aus einer weissgel- ben, sehr festen und fast hornartigen Membran, die nach Aussen hin convex gewölbt ist (in Fig. 19 und 20 ist sie hell schattirt) ; sie besteht zudem aus zwei getrennten Hälften, von denen die eine, untere (Fig. 20, 1, k, m) dem Bauche des Insektes zunächst liegt, die andere, obere (Fig. 20, n, o) gegen den Rücken des Thieres hin gewendet ist; letztere schiebt sich in der natürlichen Lage etwas über erstere hin und ist mit derselben durch eine schmale Membran verbunden, w-elche sich an die Hornstreifen m und o Fig. 20 ansetzt. Der hornartigen Membran der Seitenwände sind von Aussen mehrere verdickte, braune und verschieden gestaltete Hornstreifen aufgewachsen, von denen einzelne (Fig. 20 und 19, 1, k, m) zu der unteren Hälfte der Seitenwand gehören, andere (Fig. 19u. 20,n, o) auf die obere Hälfte zu beziehen sind. Derjenige Horn- streifen, welcher der Basis der Schienenrinne zunächst liegt (Fig. 19 u. 20, k), ist fast bogenförmig gekrümmt; er bildet den unteren Rand der unteren Hälfte der Sci- tenwand und läuft nach, dem Stachel zu fast in einen Horn- faden aus, "während er in entgegengesetzter Richtung einen Hornzweig (Fig. 19 und 20, 1) entsendet , der mit dem Schienenfortsatze der Schienenrinne in Verbindung tritt. Dieser letztere Hornzweig ist ziemlich fest gebaut Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 157 und für den Mechanismus des Giftapparates insofern von der grössten Wichtigkeit^ als er bei der Bewegung der Schieber eine Stütze bildet für die Schienenfortsätze. Desshalb nenne ich ihn wohl nicht unpassend „das Stütz- bein^. An derselben Stelle^ wo der Hornstreifen (k) das Stützbein entsendet, steht er noch mit einem anderen Hornstreifen (Fig. 19 und 20, m, der hier punktirt ist, w^eil er von der oberen Hälfte .der Seitenwand bedeckt wirdj in Verbindung , der die untere Wandhälfte nach oben abgrenzt. Zur oberen Wandhälfte gehören zwei Hornstreifen (Fig. 19 und 20, o, n), welche ebenfalls zur Begrenzung und Befestigung derselben dienen. Die bei- den Hälften der Seitenwand stehen nun ausser durch jene Membran, die sich, wie bereits erwähnt wurde, an die Hornstreifen m und o ansetzt, noch durch ein sehr wichtiges Hornbeinchen (Fig. 19 und 20, e) mit einander in Verbindung, welches seinerseits mit dem äussersten Ende des Schiebers verwachsen ist und zu letzterem gehört (Fig.l, e). Dieses Hornbeinchen ist das festeste und stärkste von allen in der Seitenw^and und biegt sich an seinem einen Ende in zwei sehr kurze, abgerundete Ecken aus, von denen die innere durch eine häutige Commissur mit den Hornstrei- fen der oberen Wandhälfte in "Verbindung tritt (Fig. 19 und 20, h), während die andere auf dieselbe Weise mit den Hornstreifen der unteren Wandhälfte im Zusammen- hange steht (Fig. 19 und 20, i). Das Stützbein und jenes Hornbeinchen, von welchem zuletzt die Rede w^ar, sind für den Mechanismus des Giftapparates die wichtigsten von allen Horntheilen der Seitenwand. Auf jenes stützt sich gleichsam der Schienenfortsatz; dieses befestigt nicht nur den Schieber an die Seitenwände, sondern vermittelt und lenkt auch seine Bewegungen und bewirkt, dass derselbe nicht von der Schiene abweiche und zu weit beim Stechen vorschreite. Die andere Seitenwand (welche in Fig. 19 rechts vom Stachel zu sehen ist) ist genau ebenso zusammen- gesetzt, wae diejenige, von der wir eben gesprochen haben. Ausserdem hängt mit den Seitenwänden an derjeni- 158 Fenger: gen Stelle^ wo sie mit einander verwachsen sind (Fig. 20^r) eine weisse^ fettartige^ nacli oben gewölbte Membran zu- sammen (Fig. 19 und 20^ q; in ersterer Figur ausgebrei- tet). Diese Membran ist an ihrer Aussenseite mit zerstreu- ten kvirzen Haaren besetzt und hat den Zweck, den Stachel, wenn er in den Körper des Insektes zurückgezogen ist, von oben her zu decken, damit nicht durch Druck andere, zarte Organe des Thieres verletzt werden. Sehr merk- würdig ist es, dass weder von S warn m er dämm, noch von irgend einem anderen Anatomen jene Membran er- wähnt wird. Bemerkenswerth sind noch zwei gleichgestaltete, hautartige Gebilde (Fig. 19 und 20, p) , welche mit den Hornstreifen der unteren Wandhälfte in Verbindung ste- hen und nach der Spitze des Stachels lün gerichtet sind. S w a m m e r d a m m hat dieselben ebenfalls aufgefunden, weiss jedoch nicht, wozu sie bestimmt sind, sondern glaubt, dass sie dem Giftapparate zur blossen Zierde ge- reichen *). Es bedarf jedoch keines Beweises, dass eine solche Deutung zu verwerfen ist, da kein Theil des Or- ganismus bloss zum Schmucke geschaffen ist, sondern jedes Theilchen desselben seinen ganz bestimmten Zweck hat, wenn auch unsere Kurzsichtigkeit denselben nicht aufzufinden vermag. Jene in Rede stehenden, eigenthümlichen Gebilde stehen an ihrer Basis, wo sie mit den Hornstreifen der unteren Wandhälfte zusammenhangen, etwas von einander entfernt. Sie bestehen ans einer weichen Haut, welche in Wasser oder Balsam leicht aufgelöst wird, und die mit vereinzelten, langen, ästig verzweigten Haaren besetzt ist ; letztere entspringen aus kleinen runden Grübchen. Dabei haben jene Gebilde die Gestalt einer spitz zulaufenden, lang gezogenen Hülle, welche an der dem Stachel zuge- kehrten Seite geöffnet ersclieint (Fig. 19 und 20, wo ihre Ränder durch Punkte angedeutet sind ; Fig. 27, wo p die äussere, a die innere Oberfläche bezeichnet). Wenn der •"■) Diese Ansicht findet man bei der Erklärung seiner Figuren ausgesprochen unter der Rubrik q. Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 159 Stachel in den Hinterleib zurückgezogen wird^ so legen sich jene Gebilde rechts und links den Seiten desselben an, so dass sie den Stachel bis zu seiner Spitze hin ganz einhüllen. Auf diese Weise verhindern sie^ dass das In- sekt sich durch die Widerhaken^ welche die Seiten der Schienenrinne etwas überragen, an seinen inneren Theilen verletze. Wegen dieses Schutzes, den sie dem Thiere gewähren , nenne ich sie wohl nicht unpassend ,, Hüll- schuppen" *). Die Seitenwände werden in ihrer natürlichen Lage durch gewisse Muskeln erhalten, welche dieselben mit den Seiten des Hinterleibes verbinden und den bereits besprochenen Hornstreifen angewachsen sind. Ausser diesen expandircnden Muskeln findet man noch andere, welche die Seitenwände beim Stechen gQ^^n einander ziehen. Zu diesen Muskeln, welche unmittelbar bei der Bewegung des Stachels thätig sind, gehören besonders zwei, die einerseits der Basis der Schienenrinne ange- wachsen sind, andererseits mit jenem Hornbeinchen in Verbindung treten, das die beiden Hälften der Seiten- wände mit einander vereinigt und dem Schieber angehört (Fig. 19 und 20, e). Wenn letztere Muskeln sich zusam- menziehen, drängt jenes Hornbeinchen den Schieber über die Spitze des Stachels hinaus, wesshalb ich es wohl zweckmässig „Treibbein" nennen kann. Durch diese Be- wegung der Schieber, Avelche sich auch den S-förmig gekrümmten Schienenfortsätzen anlegen, würde an der Stelle, wo letztere sich am stärksten ausbiegen, eine be- trächtliche Eeibung hervorgerufen werden, wenn dies nicht eben jene kurzen Borsten verhinderten, welche sich un- mittelbar unter der Schiene an den Schienenfortsätzen vorfinden, und über welche die Schieber bei ihrer Bewe- gung hinweggehen (Fig. 7, k; Fig. 16, k). Die verschiedenen Hornstreifen der Seitenlage wech- seln bei den verschiedenen Species der Hymenopteren *) Sie haben die grösste Aehnlichkeit in der Gestalt und den- selben Zweck, wie die sogenannten Blüthenspelzen in der Familie der Gräser. IGO Fenger: sowohl in Bezug auf ihr Vorkommen als in ihrer Gestalt ; das Treib- und Stützbein jedoch werden überall^ und zwar stets in derselben Form vorgefunden. Es erübrigt nunmehr noch die Beschreibung derje- nigen inneren Theile des Giftapparates zu geben^ welche das Gift bereiten, aufsammeln und in den Stachel über- führen. Alle diese verschiedenen Theile liegen in der Höhle^ welche durch die Seitenwände gebildet wird, ver- borgen, und können bei Anwendung von Vorsicht aus derselben hervorgeholt werden; sie sind dargestellt in Fig. 19 durch r, s, t, u, v. Derjenige Theil, in welchem das Gift bereitet wird, stellt bei der Honigbiene einen langen, dünnen, verworrenen Schlauch dar (t), welcher sich an seinem Ende in zwei kleine Schläuche theilt (u, v) ; er besteht aus einer weissen, drüsigen Masse (Fig. 28, a) die leicht aufgelöst und entfernt werden kann, und in der sich ein durchsichtiges, häutiges, überaus feines Röhrchen von sehr grosser Festigkeit befindet (Fig. 28, b). In jener drüsigen Masse wird das Gift zubereitet und gelangt dann wahrscheinlich auf endosmotischem Wege in jenes feine Haarröhrchen. Die kurzen Aeste des Drü- senschlauches (u, v) sind an ihrem Ende geschlossen und keulenförmig verdickt. Die Windungen des Giftschlau- ches sind bei der Honigbiene nicht, wie Swammer- damm angiebt, durch Fett und Tracheenverzweigungen fest mit einander verbunden, sondern liegen ganz frei in der Höhle der Seitenwände. Ausserdem berichten die Anatomen bisher unrichtig über die Länge des eigentlichen Giftschlauches im Verhältnisse zu seinen Verzweigungen, indem sie behaupten, dass die Verzweigungen sehr lang seien und sich in einen kurzen Hauptschlauch vereinig- ten, während doch gerade das Umgekehrte der Fall ist. Der Giftschlauch geht über in die Giftblase, welche bei der Biene eine birnförmige Gestalt besitzt, weiss und fast durchsichtig ist. Die Membran dieser Giftblase zeich- net sich durch eine solche Festigkeit aus, dass sie beim Hin- und Herzerren mit Stahlnadeln nur mit beträchtli- cher Mühe zerrissen werden kann. Wenn wir dieselbe bei starker Vergrösserung betrachten, so sehen wir, dass Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b, d. Hymenopteren. 161 sie von unzähligen mit einander vielfacli anastomosiren- den^ dunklen Aederclien durchzogen ist, welche wahr- scheinlich für Gefässe zu halten sind. Die Giftblase selbst besteht aus zwei Membranen, aus einer inneren, glatten, überaus starken und durchsich- tigen, und aus einer äusseren, muskulösen mit vielen dicht gedrängten und zwischen einander geschobenen Quer- streifen, welche auf derjenigen Hälfte der Blase, die dem Stachel zunächst liegt (Fig. 19 bis zum Buchstaben s), breiter sind, als auf der anderen, wo sie eine fadenförmige Gestalt annehmen und nicht so dicht in einander gescho- ben erscheinen. Durch diese muskulöse Struktur wird die ausnehmende Festigkeit der Giftblase bedingt, so dass dieselbe, selbst wenn sie ganz mit Gift angefüllt ist und mit grosser Kraft contrahirt wird, keine Gefahr leidet zu zerspringen. Swammerdamm, der wie die übrigen Anatomen diese doppelte Wandung der Giftblase über- sehen hat, behauptet, dass sich um die Blase in ihrer Mitte ein grosser Muskel lege, den ich jedoch nie vorge- funden habe. Durch die Contraktionen der Giftblase wird nun das Gift in den Stachel getrieben und gelangt sodann durch diesen in die Wunde. Die Giftblase nämlich geht an ihrem engeren Theile in eine halsförmige Verlängerung aus (Fig. 19, r), die in die Schienenrinne eintritt. Dieser halsförmige Theil der Blase ist in der Mitte etwas ange- schwollen und zeigt ganz dieselbe muskulöse BeschafFen- heft, wie letztere; er hängt so fest mit der Schienenrinne zusammen, dass, wenn man die Giftblase erfasst und auf diese Weise den Giftapparat aus dem Körper des Thie- res herauszuziehen versucht, dies völlig gelingt, ohne dass der Hals der Blase von der Schienenrinne losreisst. Die Gewalt, mit welcher auf diese Weise der Giftapparat aus dem Hinterleibe hervorgezogen wird, ist eine ganz bedeutende, insofern derselbe nicht frei im Körper des Thieres liegt, sondern durch Muskeln an die Hinterleibs- segmente befestigt ist. Swammerdamm "war wohl der Erste, welcher auf diese W^eise die ausserordentliche Fe- stigkeit der häutigen Theile des Giftapparates erprobte. Archiv f. Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 11 162 Fenger: Seinen Versuch habe ich bei meinen Untersnchnngen oftmals wiederholt und stets mit demselben Erfolge, so dass ich seine Angabe vollkommen bestätigen kann. Ausserdem habe ich die Stärke und den festen Zusam- menhang der übrigen Theile des Stachels noch auf die Weise erprobt, dass ich den ganzen Giftapparat der Biene vermittelst des Stachels oftmals aus dem Körper hervor- gezogen habe, ohne dass jemals auch nur ein Theilchen desselben im Hinterleibe zurückgeblieben wäre. Durch diese beiden sich gegenseitig ergänzenden Versuche ist hinreichend bewiesen, welche Stärke und welcher feste Zusammenhang die einzelnen Theile des Giftapparates auszeichnet. Dass diese Eigenschaften für den Mechanismus des Apparates unumgänglich nothwen- dig sind, sieht' man sofort ein, wenn man berücksichtigt, wie sehr die einzelnen Theile beim Stechen zusammen- gezogen und ausgedehnt werden, und welchen Aufwand von Kraft es dem Thiere kostet, eine Wunde hervorzu- bringen. Der Giftapparat der Hymenopteren ist also nicht allein wegen seiner kunstvollen Einrichtung, son- dern auch wegen seiner Stärke und des festen Zusam- menhanges seiner Theile ein höchst merkwürdiges Organ des Thierkörpers. Die Vortrefflichkeit des in Rede stehenden Appara- tes wird vollends hervortreten, wenn wir nunmehr den Mechanismus desselben auseinandersetzen. Zu diesem Zwecke denken wir uns den ganzen Apparat in Ruhe versetzt, so dass also die Seitenwände, welche die häuti- gen Theile umhüllen, über den Stachel theilweise her- überhängen und der Buckel der Schienenrinne in die durch sie gebildete Höhle zurückgetreten ist, während der übrige Theil des Stachels von den Hüllschuppen be- deckt wird (welche Lage Fig. 20 andeutet). In dieser Lage biegt sich der hintere Theil des Schiebers (Fig. 1, von c — e), welcher über die Schienenrinne hinausragt und den Schienenfortsätzen aufliegt (Fig. 20, von m bis e), wie letztere nach oben, wodurch die Spitzen der Schie- ber in die Schienenrinne zurückgezogen werden (Fig. 11). Nunmehr werde die Biene gereizt und beginne zu stechen. Anat. u. Physiol. d. Griftapparates b. d. Hymenopteren. 163 Die Muskeln; durch welche die Seitenwände miteinander zusammenhängen, contrahiren sich, und die Folge dieser Contraktion ist, dass der Buckel der Schienenrinne aus der Höhle der Seitenwände und gleichzeitig der Stachel ausd em Hinterleibe hervortreten. Diese Contraktionen der Muskeln, welche von den Seiten des Körpers nach seiner Mitte gerichtet sind, kann man auch ausserhalb am leben- den Thiere beobachten. Insofern nämlich die inneren Theile des Giftapparates mit den Seiten des Hinterleibes zusammenhängen, müssen letztere jenen Contraktionen in derselben Richtung folgen. Man sieht desshalb, dass sich der Hinterleib der Biene, wenn sie sticht, seitlich zusammenzieht. Gleichzeitig wird auch die Giftblase contrahirt und das Gift aus derselben durch die halsförmlge Verlänge- rung in den Stachel hineingedrängt. Während nun die Contraktionen der Giftblase anhalten, muss dieselbe an der Stelle, wo der Giftdrüsenschlauch in sie einmündet, ver- schlossen sein, damit das Gift nicht theilweise wieder in jenen Schlauch zurücktrete. Auf welche Weise dieser Verschluss bewerkstelligt wird, ob durch eine Klappe, oder auf irgend eine andere Art, kann ich nicht be- stimmen *). So gelangt also das Gift bis in den Buckel der Schienenrinne. Wie aber der Hals der Giftblase sich innerhalb des Buckels endet, und auf welchem Wege das Gift durch den Stachel w^eiter geführt wird, das sind Fragen, welche man bisher unrichtig beantwortet hat. Swammerdamm, auf dessen Autorität sich die übri- gen Anatomen auch in diesem Punkte stützen, sagt hier- über Folgendes **): „Aus diesem Bläschen (er meint nämlich die Giftblase) geht ein dünnes Röhrchen nach dem Köcher hin, schlägt zwischen die zwei von einander stehenden Schenkel des Stachels ein und endigt sich in dem dicksten Theile des Köchers. Durch diesen Weg *) In den bisherigen Beschreibungen des Giftapparates habe ich nichts über einen solchen Verschluss vorgefunden. **) Bibel der Natur p. 184. 164 Fenger: läuft das Gift aus dem Bläschen durch den Köcher nach dem Stachel zu und aus der Höhle des Köchers des Stachels geht es, wenn die Biene sticht/ zwischen ihren beiden Schenkeln hin auf die Wunde zu, die der Stachel macht und drängt sich in selbige hinein.'^ Swammer- damm glaubt also, dass der Hals der Giftblase zwischen den Schiebern in die Schienenrinne eintrete, und dass das Gift durch diese hindurch in die Wunde fliesse. Doch dies ist unrichtig. Erstens nämlich, wenn die Ansicht Swammer- damm's über den W^eg des Giftes die richtige wäre, würde durch den ziemlich weiten Kanal der Schienen- rinne mehr Gift ausfiiessen als nothwendig wäre ; aber eine solche Verschwendung ist naturwidrig. Sodann würde das Gift, wenn es -ai!if jene Weise ausflösse, schwerlich bis zur Spitze der Schienenrinne gelangen, da dieselbe an ihrer unteren Seite der ganzen Länge nach geöffnet ist; das Gift würde vielmehr vermöge seiner eignen Schwere •und der Attraktion der Schienenrinnenwände auf seinem Wege aufgehalten werden. Die Erklärung der Anatomen über den Weg des Giftes ist desshalb entstanden, weil man bei der Ansicht, die Schieber seien solide, keinen anderen Ausfluss für das- selbe auffinden konnte, als durch den Kanal der Schie- nenrinne. Diese Vorstellung rief natürlich auch die Er- klärung hervor, dass die Schienenrinne an ihrer Oberseite offen sei, während sie in Wirklichkeit ihre Oeffnung nach Tinten kehrt. Swammerdamm fühlt jedoch selber, wie unwahrscheinlich seine Angabe sei; denn er fährt fort: „Ist die Angel (Schieber) über den Köcher hinausgescho- ben und die Biene lässt dann das Gift aus, so geht das- selbe nicht weiter als der Köcher geht, es wäre dann, dass die Angel selbst vom Gifte befeuchtet würde." Aber, selbst wenn sich dies so verhielte , so würde das Gift, nachdem es zu den Spitzen der Schieber, welche die Schienenrinne weit überragen , gelangt w^äre, fast alle Wirkung verloren haben. Das Bienengift besitzt nämlich die Swammerdamm schon bekannte Eigenschaft, dass es, sobald es an die atmosphärische Luft gelangt, gerinnt. Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 165 Wenn also das Gift durch die ganze offene Schienenrinne hindurch dem Einflüsse der Luft ausgesetzt wäre , so würde jene Veränderung in seinem Aggregatzustande bereits eingetreten sein, ehe es zur Spitze des Kanales hingelangte. Es würde also in seinem geronnenen Zu- stande auf seinem Wege aufgehalten werden ; der Kanal der Schienenrinne würde sich nach und nach mit geron- nenem Gifte anfüllen, und das flüssige, nachströmende Gift würde nicht mehr in die Wunde gelangen können. Jene Eigenschaft des Giftes also spricht besonders gegen die Ansichts S wammerdamm's über den Weg, den es durch den Stachel nehmen soll. Endlich möge man bedenken, wie oft nicht eine gereizte Biene ihren Stachel hervorstreckt, ohne wirklich stechen zu können. Bei solchen Versuchen habe ich stets beobachtet, dass ein Theil des Giftes durch den Stachel ausfliesst. Dieses Gift, welches in keine Wunde eindrin- gen kann, würde in erstarrtem Zustande in dem Kanäle der Schienenrinne zurückbleiben und denselben bald aus- füllen. Eine solche Biene könnte also ihr Gift beim wirklichen Stechen nicht mehr in die Wunde ergiessen, da dasselbe durch jenen geronnenen Theil am Weiter- fliessen gehindert wäre ; es würde somit für ein solches Thier unmöglich sein, eine Geschwulst hervorzurufen, wie sie nur durch das in die Wunde eingedrungene Gift erzeugt wird. Doch durch den Versuch habe ich gefun- den, dass dies unter den erwähnten Verhältnissen den- noch der Fall ist. Ich reizte nämlich eine Biene, die ich mit den Flügeln erfasst hatte, wiederholt vermittelst einer Nadel, so dass sie fortwährend ihren Stachel hervor- streckte und zu stechen versuchte. Bei diesem Versuche bemerkte ich, dass bei jedem Hervorstrecken des Stachels ein Tropfen Gift an der Spitze der Schieber haftete. Nachdem ich dies nun eine Zeit lang gethan hatte, liess ich die Biene in meine Hand stechen und wurde hierbei von demselben Schmerze getroffen, den man unter ge- wöhnlichen Umständen empfindet, und es entstand auch in Folge eingedrungenen Giftes ganz dieselbe Geschwulst, welche zu entstehen pflegt, wenn die Biene ohne Wei- 166 Fenger: teres sticht. Durch jenen Versuch wird also klar darge- than, dass der Kanal der Schienenrinne beim Stechen rein gewesen sein muss, was nicht der Fall hätte sein können, wenn das Gift durch denselben ausgeflossen wäre. Alle diese Umstände gelten als gewichtige Beweise gegen die Ansicht, welche man bisher über den Weg des Giftes festgehalten hat. In jener Ansicht liegt eine UnZweckmässigkeit, welche sich mit der kunstvollen, ja bewunderungswürdigen Einrichtung des ganzen Apparates nicht vereinigen lässt. i <^ Doch der Weg, welchen das Gift durch den Stachel nimmt, ist ein ganz anderer. Es wird nicht durch den Kanal der Schienenrinne geführt, sondern fliesst durch die Schieber selber und zwar durch die weitere Röhre derselben (Fig. 1^ i) aus. Auf diesem Wege kommt das Gift durchaus nicht mit der Luft in Berührung; es ge- langt unverdorben in die W^unde, und alle jene Uebel- stände, welche sich bei Festhaltung der früheren An- schauungsweise einstellten, fallen weg. Eine geringere Menge des Giftes fliesst aus, aber dennoch so viel, als nothwendig ist, um den Zweck des Stechens zu errei- chen; nichts geht von demselben verloren, sondern, was nicht zur Wunde verbraucht wird, bleibt unversehrt und unverdorben zurück. Dass das Gift aber wirklich durch die Schieber aus- fliesse, kann man an der lebenden Biene unter demYer- grösserungsglase erkennen, insofern sich nirgendwo am Stachel ausser an der Spitze der Schieber, welche über das Ende der Schienenrinne hinausgeschoben sind, Gift zeigt. Es muss sich also auch der Hals der Giftblase in- nerhalb des Buckels der Schienenrinne in zwei Arme theilen, welche in die weitere Röhre der Schieber ein- treten. Obgleich ich schon anfangs, nachdem ich den wahren Bau des Stachels erkannt hatte, eine solche Thei- lung des Giftblasenhalses innerhalb des Buckels der Schie- nenrinne vermuthete, so überzeugte ich mich doch erst später von der Richtigkeit meiner Ansicht. Indem ich nämlich sowohl bei der Honigbiene als bei der Hummel den Buckel der Schicaenrinne in zwei Hälften theilte, Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 167 um die Endignng des Giftblasenhalses genauer zu unter- suchen^ fand ich zu meiner Freude der Innenwand jeder Hälfte jene vermutheten Arme des Halses aufliegen; diese Arme verzweigten sich selber wiederum vielfach^ und diese Nebenverzweiguügen standen meist mit einander in Ver- bindung (Fig. 24^ a). Indem ich nun meine Aufmerksam- keit auch auf das Innere der weiteren Röhre des Schie- bers hinlenkte^ fand ich auch in dieser Stücke von jenen Armen, welche sich in Windungen gegQri- die Spitze hin- zogen (Fig. 1, m). Die Arme des Giftblasenhalses treten wahrscheinlich da in die Röhre des Schiebers ein, wo dieselbe anfängt enger zu werden und sich in einer Spalte öffnet (Fig. 1 beib; Fig. 4) *). Dass jene Verzweigungen wirklich zu der Giftblase gehören, beweist aufs Unzwei- deutigste ihre Struktur, insofern sie dieselbe muskulöse Membran mit denselben Querstreifen besitzen, durch welche sich diese auszeichnet. Durch die Arme des Giftblasenhalses fliesst also das Gift in die Schieber hinein und aus diesen gelangt es durch eine kleine, vor ihrer Spitze befindliche, seitliche Oeffnung in die Wunde (Fig.l,a). Es bleibt uns nunmehr noch in Bezug auf den Me- chanismus des Giftapparates übrig zu erklären, wesshalb die Schieberspitzen ungleichmässig vom Ende der Schie- nenrinne abstehen. In dem Vorhergehenden haben wir bereits bemerkt, dass dies nicht durch eine verschiedene Länge der Schieber hervorgerufen werde, sondern da- durch, dass die beiden Schienenfortsätze ungleich weit in den Hinterleib hineinragen (Fig. 16). Der linke Schieber, welcher von der Spitze der Schienenrinne am weitesten zurücksteht, tritt auch am weitesten in den Körper des Thieres vor; das Umgekehrte gilt für den rechten Schie- ber. Diese eigenthümliche Bauart der Schienenfortsätze *) Vielleicht dient der eigenthümliche Fortsatz der Schiebers (Fig. 1, b), der sich in den Kanal der Schienenrinne hinabsenkt, dazu, diese Arme des Giftblasenhalses in nöthiger Entfernung von einander zu halten. 168 Fenger: ist nicht etwa als Irregularität zu betrachten, sondern sie findet sich bei allen Hymenopteren, welche einen Stachel besitzen, und sie muss desshalb auch einen ganz bestimm- ten Zweck haben. Obgleich nämlich, wenn die Biene zu stechen beginnt, durch die Contraktion derjenigen Mus- keln, welche sowohl der Basis der Schienenrinne als dem Treibbeine angewachsen sind, beide Schieber gleichzeitig vorgeschnellt werden, so gelangt doch der rechte, dessen Spitze dem Ende der Schienenrinne zunächst liegt, eher auf dem zu verwundenden Gegenstande an, als der linke, und jener ist bereits in denselben eingedrungen, wenn dieser erst aufgesetzt wird. Sodann strebt die Biene den rechten Schieber, der bereits in den zu verwundenden Gegenstand eingedrun- gen ist, wieder herauszuziehen; dies gelingt ihr jedoch nicht mehr, insofern derselbe vermöge seiner Widerhaken sich in der Wunde festgesetzt hat. Nunmehr drängt sie den linken Schieber vor und zwar vermag sie dies mit um so grösserer Gewalt zu thun, als der rechte festsitzende ihr gleichsam als Stütze dient. Nachdem der linke Schie- ber an dem rechten vorbei noch tiefer als dieser, in die Wunde eingedrungen ist, will das Insekt auch diesen wieder hervorziehen; aber dies geht ebenfalls aus schon bekanntem Grunde nicht mehr an. Auf diese Weise drängt das Thier abwechselnd die beiden Schieber vor und macht dadurch die Wunde stots tiefer und tiefer. Dieses Tie- ferbohren der Wunde ist nur durch die ungleiche Auf- hängung der Schieber im Hinterleibe, wenn ich mich so ausdrücken darf, ermöglicht. Denn, wären die Schieber in dem Körper gleichmässig aufgehangen, so würden auch ihre Spitzen gleichweit vom Ende der Schieneminne abstehen; sie würden gleichzeitig dem zu verwundenden Gegenstande aufgesetzt, gleichzeitig in denselben hinein- getrieben werden, und es wäre nicht möglich, dass die Biene mit solcher Gewalt und Energie die Wunde tiefer machen könnte, wie sie dies wirklich dadurch vermag, dass der eine Schieber dem anderen den Weg öffnet und der eine sich auf den anderen gleichsam stützt. Diese Wirkung der Schieber wird ausserdem noch dadurch ge- Anat. u. Püysiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 169 fördert, dass auch die Schienenrinne vermöge ihrer Wi- derhaken sich in der Wunde festsetzt. Diese verschiedenen Contraktionen der Muskeln, durch welche einestheils der Stachel aus dem Hinterleibe her vorgeschnellt wird, anderntheils die Schieber vorwärts bewegt werden, kann man an dem aus dem Körper her- vorgezogenen Giftapparate in der Weise nachahmen, dass man sowohl die Seitenwände gegen einander drückt, als auch die Treibbeine gegen die Spitze des Stachels hin- bewegt. Wenn der Schieber vorwärts gedrängt wird, gleitet das Treibbein mit seinem unteren Theile an dem Stütz- beine vorbei, so dass die beiden letzt genannten Hörn- leisten sich kreuzen. Nachdem nun die Biene ihren Stachel, so weit es ihr nur möglich war, in die Wunde hineingetrieben hat, dann strebt sie mit aller Gewalt denselben wieder her- vorzuziehen. Aber vergebens. Der Stachel hängt mit 26 Haken in der Wunde fest, und je mehr das Thier sich anstrengt, denselben auszulösen, um so fester setzen sich die Haken in den verwundeten Gegenstand ein. Die Folge von dieser Anstrengung ist, dass die Muskeln, welche den Giftapparat an die Seiten des Hinterleibes befestigen, zerreissen. Wenn nun der Stachel nicht so fest mit den inneren Theilen des Apparates zusammen- hinge, so würde er allein sich von diesen trennen und in der Wunde zurückbleiben, aber wegen des festen Zu- sammenhanges aller Theile unter einander wird der ganze Giftapparat aus dem Körper hervorgezogen. Ja sogar der Darm mit den Rudimenten der Eierstöcke (j), selbst der Magen des Thieres folgen dem Zuge des Giftappa- rates, insofern diese Organe mit letzteren im Zusammen- hange stehen. Die unausbleibliche Folge hiervon ist na- türlich der Tod des Insektes. S w a m m e r d a mm glaubt, dass der aus dem Körper des Thieres herausgerissene und in der Wunde festsitzende Giftapparat noch immer tiefer in dieselbe eindringe, und vergleicht denselben desshalb mit einem Otterkopfe, der ebenfalls vom Körper abgeschnitten noch zu beissen 170 Fenger: strebe. Obgleich ich weit entfernt bin, eine solche Wir- kung der Muskeln nach ihrer Trennung vom Organismus zu leugnen, wie ich sie selber an einem • ausgenommenen Froschherzen lange Zeit hindurch bemerkt habe, so muss ich doch gerechten Zw^eifel in eine solche Thatsache beim Giftapparate setzen. Die Kraft, welche erfordert wird, die Schieber in die Wunde einzudrängen, ist doch eine zu bedeutende, als dass sie von den abgerissenen Muskeln hervorgebracht werden könnte. Zwar fühlt man in jenem Theile des Fleisches, wo der Stachel eingedrun- gen ist, lange nachher noch einen stechenden Schmerz; aber dieser Schmerz wird nicht, wie ich glaube, durch die weiter vordringenden Schieber verursacht, sondern man empfindet ihn überhaupt so lange, als der Giftapparat in der Wunde stecken bleibt. Wenn man von diesem Schmerze befreit sein will, so muss man den Giftapparat unmittelbar vor seinen inneren Theilen erfassen und vor- sichtig aus der Wunde hervorziehen, 11. Das Wichtigste über den Giftapparat der Bienenkönigin. Wenngleich der Giftapparat der Bienenkönigin in Bezug auf den Bau und die Anordnung des Ganzen we- sentlich derselbe ist, wie derjenige der Neutra, so unter- scheidet er sich doch von diesem auf ganz bestimmte Weise. Zunächst ist der Stachel der w^eiblichen Biene nicht gerade, sondern gegen den Rücken des Thieres hin aufgebogen, wie Swammerdamm angiebt. Ich selber kann hierüber nichts bestimmen, w^eil ich trotz aller Be- mühung bisher keine Bienenkönigin erhalten konnte. Doch scheint mir die Angabe S w a m m e r d a m m's zuverlässig zu sein, insofern ich dieselbe Gestalt des Stachels auch bei der Hummel vorgefunden habe. Reaumur bemerkte dasselbe ebenfalls bei der Hummel *). Diese aufwärts gebogene Stellung des Stachels soll nach Angabe der Anatomen mit dem Coitus im Zusammenhange stehen *). *) Reaumur, p. 28. **J Brandt und Ratzeburg. Medizinische Zool, Bd. IL p. 203. Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 171 Treviranus 'giebt ferner an , dass die Schieber der weiblichen Biene mir mit 4 Haken versehen seien *). Diesem Autor jedoch ist desshalb in seiner Angabe nicht unbedingtes Zutrauen zu schenken^ weil er sich auch in der Aufzählung der Widerhaken bei der geschlechtlosen Biene geirrt hat. Dasjenige, was Swammerdamm über die Giftdrüsenschläuchc; so wie über die Giftblase der Bienenkönigin berichtet, ist ebenfalls in Zweifel zu ziehen, da er über dieselben Theile der Neutra Unrich- tigkeiten vorbringt. III. Heber der Giftapparat der Uummei (Bombus terrestris). Bei dem Giftapparate der Hummel finden wir in allen Theilen ganz denselben Bau, wie bei der Honigbiene (Apis mellifica). Indem ich also eine genaue Beschrei- bung desselben für überflüssig erachte, erwähne ich nur, dass der Giftapparat der Biene und derjenige der Hum- mel sich besonders durch die Form der Hornstreifen in den Seitenwänden unterscheiden. Die Hornstreifen sind bei der Hummel nicht so fest und so breit, wie bei der Honigbiene. Jede Seitenwand selbst besteht auch hier aus zwei Hälften, deren Membran hornartig, fest und durchsichtig ist. Die Hüllschuppen sind insofern eigenthümlich ge- staltet, als sie an ihrer Basis eng sind und gegen die Spitze hin breiter werden. Ihre Haare sind sehr lang und ebenfalls ästig verzweigt. Dass der Stachel der weiblichen Hummel gegen den Rücken des Thieres aufgebogen ist, habe ich bereits er- wähnt (Fig. 18). Auf der Schienenrinne fand ich vier Widerhaken, die zu je zwei in eine Reihe gestellt sind (Fig. 18, d). Die Schieber haben natürlich dieselbe aufgebogene Form wie die Schienenrinne und besitzen bloss viey Widerhaken ($). *) Treviranus, p. 227. 172 Fenger: Jene inneren Theile endlicli, welche das Gift zube- reiten, aufbewahren und in den Stachel überführen, zei- gen auch hier dieselbe Gestalt, wie bei der Honigbiene; die Giefblase fand ich jedoch von vielen Tracheenver- zweigungen umstrickt, nach deren Entfernung ich be- merkte, dass sie dieselbe Beschaffenheit der Oberfläche besitze, wie diejenige der Honigbiene. IV. lieber den Giftapparat der Wespen (Vespa vulgaris und Vespa Crabro). Obgleich der Wespenstachel in allen seinen wesent- lichen Theilen dieselbe Bauart bekundet, wie der Bienen- stachel, so unterscheidet er sich doch von letzterem auf folgende Weise. Zunächst ist die Rückenfläche der Schie- nenrinne etwas anders gestaltet. Der Buckel derselben ist in seiner Mitte eingedrückt (Fig. 17, h) ; dann folgt gegen die Spitze hin eine kleine Erhöhung (i), an welche sich der verlängerte Theil der Schienenrinne anschliesst. Diese Vertiefung und Erhöhung der Bückenfläche der Schienenrinne treten besonders deutlich bei dem Stachel der Hornisse (Vespa Crabro) hervor (Fig. 17), während sie nicht so scharf bei der gewöhnlichen Wespe (Vespa vulgaris) ausgeprägt erscheinen. Ausserdem ist der Sta- chel der Hornisse an seiner Spitze etwas nach abwärts gebogen (Fig. 17, k), und weder er, noch derjenige der gewöhnlichen Wespe besitzt auf der Rückenfläche Wider- haken. Im Uebrigen ist der Wespenstachel in Hinsicht seiner Gestalt einem Jagdgewehre durchaus nicht un- ähnlich. Das gabelförmige Hornbeinchen, welches der Basis des Buckels angewachsen ist und den Stachel an die Sei- tenwände befestigen hilft, läuft an seiner Spitze in einen kurzen hornigen Fortsatz aus (Fig. 17, c; Fig. 13, c), wel- cher in die Membran, die die beiden Seitenwände mit einander verbindet, eingewachsen ist. Die Schieber besitzen bei der gewöhnlichen Wespe 9, bei der Hornisse G Widerhaken. Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 173 In Bezug auf seine inneren Theile imtersclieidet sich der Wespenstachel ebenfalls mehrfach von demjenigen der Bienen. Zunächst bestehen die Seitenwände^ deren Membran hornartig^ glatt, glänzend und überaus fest ist, aus drei verschiedenen Theilen, welche nach Aussen ge- v^^ölbt erscheinen und sich gegenseitig mit ihren Rändern theilweise decken (Fig. 21 ; der untere Theil erstreckt sich von g — f, der mittlere von e — b und der obere von b — a). Die Wandung eines jeden dieser Theile zeichnet sich durch dicht gedrängte, sechsseitige Zellen aus, wel- che oft undeutlich ausgeprägt sind, so dass sie nur ge- knickte Querlinien darstellen. Ihre Ränder sind hornig verdickt, braun, sehr fest und entsprechen den Hornstrei- fen der Seitenlagen bei der Biene. Ausserdem sind der mittlere und obere Theil der Seitenlagen (Fig. 21, e b und a b) gegen den Stachel hin mit einander verwachsen, während die unteren Theile winklig auseinander stehen, damit der Buckel der Schienenrinne in die Höhle der Seitenlagen eintreten könne. Der mittlere und obere Theil der Seitenlage werden noch von besonderen Horn- streifen durchsetzt, von denen derjenige des oberen Thei- les in der Mitte seiner Länge mit einem kleinen Horn- ringe versehen ist (Fig. 21 bei c, der hier jedoch nicht ausgeprägt erscheint). Das Treibbein ist bei der Wespe nicht so stark gebaut, wie bei der Biene, und steht mit dem mittleren Theile der Seitenwand durch Commissuren in Verbindung (Fig. 21, k). Zu letzterem Theile der Seitenwände gehört noch eine dachförmig gestaltete, weisse, sparsam behaarte Mem- bran (Fig. 21, q), welche den Stachel von oben überdeckt, und die sich nur durch ihre Form von der entsprechen- den Vorrichtung bei der Biene unterscheidet. Die Hüllschuppen sind der Länge des Stachels an- gemessen und ihre Haare sind nicht verzweigt. Die Giftblase (Fig. 22a) ist sehr gross, eiförmig und besteht ebenfalls aus zwei Membranen, von denen die äus- sere stark muskulös ist Die Muskelbänder, aus denen die äussere Membran zusammengesetzt ist, zeichnen sich durch Querlinien aus ; sie gehen von der Mittellinie der Blase, in 174 F enger: der sie "winklig zusammenstossen^ in schiefer Ricttung ab- wärts und umhüllen so die ganze Blase^ während sie dem Halse vollständig fehlen (Fig. 22a^ c). Der Hals besitzt dieselbe Länge wie die Giftblase^ und seine Membran ist weiss und durchsichtige wie die innere Haut der Giftblase selber. S wamm e r damm's Beschreibung von der Gift- blase der Wespen ist ganz abweichend von der unsrigen. Ohne hierauf näher einzugehen^ erwähne ich nur als das Merkwürdigste, dass er von zwei Giftdrüsenschläuchen spricht, welche er bei den Wespen gefunden haben will, und die denjenigen der Biene entsprechen sollen *). Auch C. Th. V. Siebold erwähnt dieselben in seinem Lehr- buche der vergleichenden Anatomie der wirbellosen Thiere p. 630 Anmerk. 9. Ich habe diese Schläuche bei keinem Exemplare trotz aller Aufmerksamkeit auffinden können, sondern sah st^ts die Giftblase an ihrem Ende geschlos- sen. Wenn meine Beobachtung nicht auf irgend einem Fehler beruht, so muss das Gift auf eine andere Weise bei der Wespe zubereitet werden, als bei der Biene. Ich bemerkte in dieser Beziehung auf der inneren Membran der Giftblase, welche sich durch höchst feine Querlinien auszeichnet (Fig. 22b), vier drüsenartig aussehende Strei- fen (von denen drei in Fig. 22b zu sehen sind b, d, e), welche von einem Ende der Blase zum anderen verlau- fen; ausserdem fand ich im Inneren der Giftblase selber unmittelbar unter der Spitze eine ganz sonderbare Vor- richtung , welche gelblichbraun und ebenfalls drüsig er- scheint und die umgekehrte Gestalt eines Herzens besitzt (Fig. 22b^ f ; Fig. 22c). Dieses eigenthümliche Organ ist lederartig anzusehen und von sich verzweigenden feinen Aederchen durchzogen. Yon diesen drüsigen Theilen glaube ich, dass das Gift der Wespen abgesondert wdrd. Diese Behauptung sei jedoch nicht als durchaus zuver- lässig hingestellt, da, wie gesagt, meine Beobachtung, wenn sie auch mit der grössten Sorgfalt angestellt wor- den ist, auf irgend einer Täuschung beruhen kann, und es wäre desshalb zu wünschen, dass die Anatomen diesem *) Bibel der Natur, p. 184. Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 175 Gegenstande ihre besondere Aufmerksamkeit zuwendeten. Im Falle sich durch anderweitige Untersuchungen ein anderes Resultat herausstellen sollte^ würde es mich freuen^ hiervon Mittheilung zu erhalten, insofern ich in nächster Zeit durch eigene Untersuchung auf diesen Ge- genstand nicht zurückkommen kann. V. lieber den Oiftapparat der Ameisen. Was endlich die Ameisen anbelangt, so finden wir bei allen ($ $) ein Organ, welches in der Art des Gift- apparates dem Thiere zur Vertheidigung dient. Dieses Organ besitzt entweder einen einfachen Ausführungsgang ohne Stachel (wie es bei allen Formiciden *), ausser der Gattung Poljergum Ltr. **) vorkommt), oder es ist mit einem Stachel versehen (was der Fall ist bei allen Myr- miciden***), Poneriden f) und bei der Gattung Polyergum unter den Formiciden). Dieser Stachel besitzt dieselbe Zusammensetzimg, wie wir sie bei den übrigen Hyme- nopteren beschrieben haben. In Bezug auf seine Gestalt gleicht er besonders dem Stachel der Hummel- und Bie- nenkönigin, insofern er gegen den Rücken hin aufgebo- gen ist (Fig. 25). Er unterscheidet sich jedoch von dem- *) Unter den Formiciden begreift man diejenigen Ameisen, welche zwischen Brast und Hinterleib ein eingliederiges Stielchen besitzen, das entweder eine knotenförmige oder aufwärts gerichtete Schuppe trägt, und deren Hinterleib zwischen dem Iten und 2ten Segmente keine Einschnürung zeigt, **) Die Charakteristik der Gatt. Polyergus besteht darin, dass die Oberkiefer bogenförmig gekrümmt, sehr schmal, zugespitzt und ohne Zähne sind. ■'•■""■■•) Unter den Myrmiciden begreift man alle Ameisen, welche zwischen Brust und Hinterleib ein zweigliederiges Stielchen tragen, dessen jedes Glied knotenförmig verdickt ist. i) Die Poneriden sind Ameisen, deren Hinterleibstielchen ein- gliederig ist und eine Schuppe trägt, und bei denen ausserdem der Hinterleib zwischen dem ersten und zweiten Segmente eingeschnürt erscheint. 176 Fenger: selben dadurch, dass die Scliienenrmne nicht in einen Buckel anschwillt, sondern von der Spitze aus sich nach und nach regelmässig gegen die Basis hin erweitert. Ferner ist jene hornige Vorrichtung, welche wir hei der Biene und Wespe mit dem Gabelheine der Vögel verglichen haben, bei den Ameisen etwas complicirter gestaltet (Fig. 25, bb, c, dd; Fig. 14). Zunächst schliessen sich nämlich an die Basis der Schienenrinne zwei etwas con- vergirende Hornbeinchen (b, b) an, die sich jedoch nicht, wie bei der Biene und Wespe in eine Spitze vereinigen, sondern durch ein horniges Querbeinchen mit einander verbunden werden (c) ; an letzteres setzt sich nun noch ein, aus zwei mit einander verwachsenen Stücken beste- hendes Horntheilchen (dd) an, mit dem die ganze Vor- richtung schliesst. Weder auf der Schienenrinne noch an den Schiebern habe ich Widerhaken gefunden, und man kann es dess- halb nicht wunderlich linden , dass die Ameisen so oft stechen können, als sie nur wollen, ohne jemals die üblen Folgen hervorzurufen , welche die Bienen und Wespen sofort nach geschehener That ereilen. Die Giftblase der Ameisen (Fig. 26) ist weiss, sehr durchsichtig und rund; ihre äussere Membran ist durch sehr feine, kurze, verschiedenartig gekrümmte und sich kreuzende Linien ausgezeichnet. Eben so merkwürdig, wie es bei der Betrachtung der Giftdrüsenschläuche der Wespen war, dass die Anatomen dort zwei solcher Schläuche vorgefunden haben wollen, die ich niemals gesehen habe, ebenso merkwürdig erscheint es, dass sie in Bezug auf die Ameisen behaupten, diese hätten nur einen Giftdrü- senschlauch *), während ich derselben stets zwei vorge- funden habe, welche an verschiedenen Stellen etwas an- geschwollen sind (Fig. 26, b, d). Der Hals der Giftblase (Fig. 26, c) ist ebenfalls insofern eigenthümlich gestaltet, als er an vielen Stellen *) Leon Dufour, Reclierclies sur les Orthopteres, p. 413. Ferner C. Th. v. Siebold, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der wirbellosen Thiere p. G29. Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d. Hymenopteren. 177 regelmässig zusammengeschnürt erscheint^ so dass er fast das Ansehen gewährt^ als bestehe er aus einzelnen anein- ander gereihten Bläschen. Diese wären also kurz die Resultate meiner Unter- suchungen über den Giftapparat der Hymenopteren, ein Organ, welches gewiss zu den merkwürdigsten des Thier- organismus gehört, weil es eine solche bewunderungswür- dige Kunst und Zweckmässigkeit in seinem Baue bekun- det, dass man sich gestehen muss, kein Theilchen des- selben hätte die Weisheit des grossen Schöpfers schöner und zweckdienlicher einrichten können. Ausser bei den Bienen, Wespen und Ameisen kommt unter den Hymenopteren noch ein Giftapparat vor bei den Fossores und Andreniden, welche ich bisher einer Untersuchung nicht unterwerfen konnte. Ich zweifle jedoch durchaus nicht, dass auch dieser Apparat mit dem besprochenen im Wesentlichen übereinstimmt. Schliesslich fühle ich mich verpflichtet, meinem Freunde, Herrn Ritterbecks, für die Bereitwilligkeit, mit der er mir stets in der Beschaffung von Material zur Seite gestanden hat, öffentlich meinen Dank zu bekunden. Erklärung der Abbildungen. Taf. IX. Fig. 1. Der rechte Schieber des Stachels von der Honigbiene. „ 2, 3, 4, 5, 6. Querschnitte an verschiedenen Stellen dieses Schiebers, „ 7. Die Schienenrinne des Bienenstachels. „ 8 und 9. Querschnitte derselben. „ 10a und IQh. Querschnitte des linken und rechten Schienen- fortsatzes. „ 11. Vorderer Theil der Schienenrinne mit aufliegenden Schiebern. „ 12. Gabelb einförmige Hornbeinchen der Schienenrinne bei der Honigbiene und Hummel. „ 13. Dieselben bei der Wespe. „ 14. Dieselben bei der Ameise. „ 15. Schienenfortsatz der Wespe. Arohiv f. Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 12 « 178 Fenger: Anat. u. Physiol. d. Giftapparates b. d, Hymenopt. Fig. 16. Stacliel der Honigbiene von der Seite gesehen. 17. Derselbe von der Wespe. 18. Derselbe von der Hummelkönigin. 19. Untere Ansicht des Giftapparates von der Honigbiene. 20. Derselbe von der Seite gesehen in seiner natürlichen Lage, 21. Seitenansicht des Giftapparates von der Wespe. 22a. Giftblase der Wespe mit ihrer Muskelhaut. 22l>. Dieselbe ohne äussere Muskelhaut. 22c. Die umgekehrt herzförmige Drüsenmasse im Inneren der- selben. 23. Querschnitt der Schienenrinne von einem Hornissenstachel. 24. Ansicht der Hälfte des Schienenrinnenbuckels von der Biene. 25. Der Stachel einer Ameise. 26. Die Giftblase der Ameise nebst ihrem Halse und den bei- den Giftdrüsenschläuchen. 27. Eine Hüllschuppe vom Giftapparate der Biene. 28. Längsschnitt eines Giftdrüsenschlauches der Biene. lieber eigenthümlielie Gebilde in der Samenflüssigkeit von Janthina. Von Fritz fflüUer in Desterro. (Hierzu Taf. X. Fig. 1—10.) Selten nur verirren sich in den buchtenreichen Mee- resarm; der die Insel Santa Catharina von dem südameri- kanischen Festlande scheidet, Thiere des hohen Meeres. Zu diesen bisweilen Jahre lang vermissten Gästen gehören auch zwei Arten von Janthina , die als Begleiter von Yelellaschwärmen zu erscheinen pflegen. Die eine, mit spitzerem Gewinde (J. exigua Lam.), von der ausser leeren Schalen nur einmal einige Weibchen gesehen wurden, trägt ihre Eier an dem schaumigen Anhange des Fusses ; die andere, wiederholt gefundene, mit flacherem Gewinde (J. pallida Harv.) ist lebendig gebärend, und bei ihr konnte ich mich üb erzeugen, dass der schaumige Anhang in ga nz gleicher Weise beiden Geschlechtern zukommt. In der Samenflüssigkeit der letzteren Art finden sich sehr eigenthümliche Gebilde, auf die ich die Aufmerk- samkeit der Besucher des Mittelmeeres und Anderer len- ken möchte, die Gelegenheit haben zur Untersuchung dieser merkwürdigen Schnecken. Mir selbst bietet sich vielleicht in Jahren eine solche Gelegenheit nicht wieder, und dies möge mich entschuldigen, wenn ich abgerissen und unfertig, wie sie sind, meine Beobachtungen über jene Gebilde mittheile. Schon mit blossem Auge gewahrt man in der Sa- 180 Müller: menflüssigkeit der Janthina *) zahlreiche weisse wurmför- mige Gebilde, die darin lebhaft herumschwimmen. Ihre Länge beträgt etwa 0,5 Mm. (ohne das unten zu erwäh- nende Schwimmwerkzeug). Das bewaffnete Auge unter- scheidet an ihnen zunächst zwei scharf abgesetzte Ab- schnitte, die der Kürze wegen als Kopf und Schwanz bezeichnet werden mögen. Der Kopf nimmt etwa ein Viertel der Länge ein, ist bald ziemlich regelmässig ke- gelförmig (Fig. 7), bald in seinem hinteren, dickeren Theile mit unregelmässigen Yorsprüngen versehen (Fig. 8, 9), und vorn bisweilen statt der einfachen in eine doppelte Spitze auslaufend (Fig. 9). Es sind ihm zahlreiche dun- kelgerandete Körnchen von verschiedener Grösse einge- lagert, die ihn ziemlich undurchsichtig machen; eine be- sondere Haut liess sich um ihn nicht unterscheiden. Der Schwanz, von etwa dreifacher Länge des Kopfes, ist vorn weit schmäler als der hintere Kopfrand, verbreitert sich nach hinten allmählich und endet abgerundet; er ist fast ganz undurchsichtig und dicht mit etwa 0,03 Mm. langen zarten Haaren besetzt (Fig. 7, 8, 9). Diese Haare sieht man lebhaft sich bewegen, aber nicht regelmässig in gleicher Richtung schlagen, wie Flimmerhaare thun, son- dern unregelmässig durcheinander wallen und wimmeln, so dass man in ihnen nicht die Ursache der raschen Be- wegung suchen kann, mit der die Gebilde in weiten Bo- gen durch das Wasser ziehen. Kopf und Schwanz schei- nen bei dieser Bewegung als träge Masse von einer ausser ihnen liegenden Kraft fortgeschleift zu werden; und so ist es in der That. Fast um die doppelte Länge des Kopfes von dessen Spitze entfernt, geht demselben bahnbrechend eine kegelförmige Spitze voraus, mit zarten aber scharfen Umrissen, von der aus, wie ein flatternder Schleier, eine vollkommen durchsichtige zarte Haut etwa bis zur Mitte des Kopfes niederwallt. Bisweilen konnte ich in dieser Haut eine äussert zarte Längsstreifung er- *) Wahrscheinlich nicht während des ganzen Jahres ; meine Beobachtungen vor zwei Jahren fielen, wie die diesjährigen, in den Oktober, dem im Mittelmere der April entsprechen würde. üeber eigenth. Gebilde in d. Samenflüssigkeit d. Janthina. 181 kennen. Ihre Umrisse werden nacli hinten zu verschwin- dend zart^ so dass ich sie fast nie bis zum hinteren Rande verfolgen konnte ; ein einziges Mal bei einem jüngeren Exemplare (Fig. 6)^ sah ich deutlich den hinteren Rand, an dem sich die Haut in zarte Fasern aufzulösen schien. Yom Vorderende des Kopfes liess sich einigemal (Fig. 5, 7) ein schmaler, nicht scharf umrandeter Strang bis in die Nähe der kegelförmigen Spitze verfolgen. Ob diese wal- lende Haut (,,undulirende Membran'^) eine kegelförmige Hülle bildet, die durch einen mittleren freien Stiel mit dem Kopfe in Verbindung steht, oder ob sie flächenhaft sich ausbreitet und unmittelbar dem Kopfe angeheftet ist, muss ich unentschieden lassen; als ich eben dieser Frage meine Aufmerksamkeit zuwandte, raubte mir die schwarze Wolkenwand • eines heraufziehenden Gewitters das zur Fortsetzung gerade dieser Untersuchung so un- entbehrliche Licht, und als ich dieselbe wieder aufnehmen konnte, fand ich meinen ganzen Vorrath durch begin- nende Zersetzung unbrauchbar geworden. In der Nähe der kegelförmigen Spitze lösen sich von der Haut meh- rere schmale Flimmerhaaren ähnliche Zipfel ab. Während des Schwimmens nun schwingen diese Zipfel rasch und kräftig und die ganze Haut ist in lebhafter wallender Be- wegung. Im Schlepptau dieses eigenthümlichen Schwimm- werkzeuges fortgezogen, schien mir der Schwanz sich stets völlig ruhig zu verhalten; das ganze Gebilde, von der kegelförmigen Spitze der wallenden Haut bis zum abgerun- deten Ende des Schwanzes bildet dann einen schwach ge- krümmten Bogen (Fig. 4, 5, 7, 8), und ähnlich gekrümmt ist die Bahn, die es durchzieht. Ruht die Haut und mit ihr der Kopf, so sieht man den Schwanz langsam sich winden und krümmen (Fig. 9), ohne dass dadurch eine merkliche Ortsveränderung bewirkt würde. Getäuscht durch so mannichfache Bewegungen hatte ich vor zwei Jahren unsere Gebilde für Schmarotzer- thiere gehalten, an denen ich freilich vergeblich mich abmühte, Spuren von Mund, Darm u. s. w. zu entdecken. Als ich kürzlich wieder eine männliche Janthina unter- suchen konnte, fand ich in deren Samen meine Schma- 182 Müller: rotzer so dicht gedrängt, dass mir schon dadurch Zweifel aufstiegen, ob ich es nicht vielmehr mit einem wesentli- chen Bestandtheile des Samens zu thun habe. Und nun fiel mir dann auch sofort die Aehnlichkeit auf zwischen den wimmelnden Haaren des Schwanzes imd Samenfäden, die, der Reife nahe, sich noch nicht von ihrer Bildungs- stätte gelöst haben, — und bald gelang es, mehrere Schwänze in Gruppen unverkennbarer Samenfäden zu zerdrücken, die aufs Haar den in der Samenflüssigkeit frei umherschwärmenden glichen (Fig. 10). Somit war die Bedeutung unserer Gebilde als we- sentlicher Bestandtheil des Samens festgestellt; aber sind es die Bildungsstätten der Samenfäden, von denen diese später, gereift, sich ablösen, oder sind es Samenträger („Spermatophoren^), um die sich die reifen Samenfäden gesammelt haben? Erstere Annahme ist mir die wahr- scheinlichere; es sprechen für sie namentlich mehrfach beobachtete Exemplare (Fig. 6), an denen die Samenfäden nicht nur regungslos waren, sondern mir auch kürzer erschienen. Ausser diesen wurden zahlreiche andere, noch jüngere Formen gesehen; die jüngsten, die zur Beobachtung kamen (Fig. 1), hatten die Gestalt eines lang- gezogenen Eies von etwa 0,2 Mm. Länge und 0,1 Mm. Dicke. Der grösste Theil dieser eiförmigen Körper er- scheint vollkommen durchsichtig, leer; nur das dickere Ende ist von einer rundlichen Masse gefüllt, die durch dicht eingelagerte Körnchen undurchsichtig wird. Sie erscheint dunkler auf der der Spitze des Eies zugewand- ten Seite, heller auf der entgegengesetzten, ohne dass jedoch eine scharfe Grenze zwischen dem dunkleren und dem helleren Theile zu erkennen wäre. Eine solche Grenze hat sich ausgebildet, wenn die Körper zu etwa 0,3 Mm. Länge herangewachsen sind (Fig. 2) ; der hellere und dunklere Theil erscheinen jetzt etwa wie eine Eichel und der sie umfassende Becher. Später verlängert sich der hellere Theil und wächst aus in den Schwanztheil unserer Gebilde (Fig. 3, 4, 5), während der dunklere Kopf- theil allmählich Kegelform annimmt (Fig. 4, 5), und der vorderste häutige Theil seine bewegende Thätigk^it be- Ueber eigenth. Gebilde in d. Samenflüssigkeit d. Jantbina. 183 ginnt; noch aber unterscheidet sich der Schwanz_, im Gegensatze zu späterer Zeit^ von dem Kopfe durch sein weit helleres Aussehen und seine Oberfläche ist^ statt mit Samenfäden, bedeckt mit kleinen, rundlichen, durchsich- tigen Körnchen (Bläschen ?) und erinnert dadurch an die kugHgen oder länglichen Körper, an denen z. B. in der Leibeshöhle der Ringelwürmer die Samenfäden sich ent- wickeln. Erklärung der Abbildungen. Taf. X. Fig. 1 — 9. Eigenthümliche Gebilde aus der Samenflüssigkeit von Janthina, auf verschiedenen Entwickelungs stufen; 90mal vergrössert. Fig. 1—3 u. 9 ruhend ; Fig. 4—8 schwimmend ; in Fig 9 der Schwanz in langsam windender Bewegung. „ 10. Samenfäden, durch Druck vom Schwanztheile dieser Gebilde abgelöst, 360mal vergrössert. Desterro, Anfang November 1862. Heber die Chilenischen Gänse. Von Dr. R. A. Philippi und Ludw. Landbeck in Santiago. In der Liste der Chilenisclien Vögel, welclie Hart- laub in der Naumannia von 1853 bekannt gemacht bat, werden nur zwei Gänse erwähnt, nämlich Chloephaga mageilanica Gm. "und Bernicla melanoptera Ejt. — In der von G o u 1 d verfassten Ornithologie des Voyage of the Beagle sind drei Chilenische Gänse erwähnt: 1) An- ser melanopterus Eyt., 2) Chloephaga mageilanica Gm., 3) Bernicla antarctica Steph. — In der United States Naval astronomical Exped. führt Cassin ebenfalls Ber- nicla antarctica Gm., B. mageilanica Gm. und B. mela- noptera Eyt. auf; endlich finden wir in dem Werke von Gay, dassDesmurs vier Chilenische Gänse beschreibt, nämlich ausser den drei genannten noch B. inornata King. Es ist sicher, dass in Chile vier Arten Gänse vor- kommen, die sehr leicht von einander zu unterscheiden und den Einwohnern wohl bekannt sind, der Piuquen (spr. Piukehe), der Gansillo (spr. Ganssiljo), der Canquen (spr. Kankehn) und der Cague (spr. Kage), allein in dem bewohnten Theile Chile' s existirt weder Chloephaga ma- geilanica noch Bernicla inornata. Zwei von diesen Arten leben im Sommer auf der hohen Cordillere der mittleren und nördlichen Provinzen, steigen im Winter in die Ebene derselben herab, aber finden sich nie im Süden, weder in Valdivia noch in Chiloe; es sind der Piuquen und Gan- sillo; zwei andere Arten finden sich nur im Süden, auf Chiloe, den Guaytecas-Inseln und bis zur Magellanstrasse ; Pliilippi und Landbeck: Ueber Chilenisclie Gänse. 185 sie gehen im Winter höctistens nach der Provinz Valdivia vielleicht nach dem Araukanerland, sind aber kaum je in den mittleren Provinzen angetroffen^ nämlich der Canqnen und der Cagiie. Zwei dieser Arten lassen keine grosse Verschiedenheit je nach den Geschlechtern wahrnehmen, der Piuqiien und der Canquen, bei den anderen beiden Arten aber sind Männchen und Weibchen auffallend ver- schieden, nämlich beim Gansillo und beim Cague. Das Museum in Santiago besitzt diese Gänse in beiden Ge- schlechtern und ausgefärbt, und halten wir es für der Mühe werth, sie hier vollständig zu beschreiben, womit hoffentlich die Verwirrung und Confusion, die bisher über die Chilenischen Gänse geherrscht hat, ein Ende erreichen wird. Wir bemerken, dass alle vier Arten ziemlich die- selben Flügel und einen stumpfen Sporn am Flügelbuge haben, so dass von den Flügeln kein unterscheidendes Merkmal hergenommen werden kann , endlich dass wir alle vier Arten zu Bernicla rechnen, indem wir keinen Grund einsehen, weshalb Gould die Piuquen lieber zu einem Anser machen will. ObGmelin's Anas magella- nica verdient ein eigenes Genus, Chloephaga, zu bilden, müssen wir dahin gestellt sein lassen, da wir diese Art nicht in natura kennen. 1. Bernicla melanoptera Eyton. Weiss, Oberrücken und Schultern mit grossen, schwar- zen Längsflecken; Schnabel und Füsse roth. Otis chilensis Molina Saggio sulla storia naturale del Chili. 1782. p.260. Anser melanopterus Eyton 1838 Monogr. Anat. p. 93. Anser melaiiopterus Gould 1841 Voyage of theBeagle. Birds. p. 133. tab. 50. Anser anticola Tschudi Conspect, avium etc. nr. 342. Anser montanus Tschudi Wiegm. Arch. 1843. p. 390. — Fauna peruana. p. 308. Berniola melanoptera Desmurs 1847 bei Gay hist. de Chile Zool. I. p. 443. Helsst bei den Chilenen Piuquen, bei den Peruauera Huacha. 186 PhiliXjpi und Landbeck: Beschreibung, Fuss Zoll 6 1 1 Linie 11 6 10 10 Ganze Länge (des Männchens) Länge des Schnabels Höhe des Schnabels Breite des Schnabels Länge des Schwanzes ... — 6 Ausdehnung der Flügel Länge des Flügels vom Bug bis zur Spitze ..... 1 Länge des Tarsus Länge der Aussenzehe Länge der Mittelzehe Länge der Innenzehe Länge der Hinterzehe Der Schnabel ist hell zinnoberroth , sein Nagel schwarz; der nackte Theii des Fusses ebenfalls schön zinnoberroth; die Nägel schwarz; die Iris graubraun. — Der ganze Vogel ist bis auf folgende Ausnahmen weiss. Der Eckflügel, die zehn Schwungfedern erster Ordnung, die sechs bis acht letzten Schwungfedern, die grossen Oberflügeldeckfedern und der Schwanz sind schwarz mit grünem Metallschimmer; die vordem grossen Deckfedern der Schwungfedern zweiter Ordnung sind purpurroth und bilden einen prachtvoll metallisch glänzenden Spiegel. Die kleineren Schulterfedern sind weiss mit breitem, schwarzen Mittelfleck geflammt, der sich bei der grösse- ren dieser Federn immer mehr ausdehnt, so dass die letzten und längsten die Farbe der hinteren Schwungfe- dern zeigen. Am Flügelbug befindet sich ein stumpfer Höcker , welcher wohl zum Kampfe und zum Klettern gebraucht wird. Männchen und Weibchen sind im Ganzen gleichge- färbt, letzteres ist aber merklich kleiner und hat weisse Eckflügel. Unmittelbar nach der Mauser zeigt die Brust — besonders aufiPallend beim Weibchen — eine schmutzig graubräunliche Färbung, welche genau so aussieht, als -eb - sie ein- durch thonhaltiges Wasser hervorgebrachter Schmutz wäre; im Verlaufe des Sommers reiben sich aber Ueber die Chilenischen Gänse. 187 die bräunlichen Ränder der Federn ab und erscheint dann eine rein weisse Farbe. Auch die ausgewachsenen Jungen sind den Alten sehr ähnlich gefärbt; beim Männchen ist der Eckflügel und die grossen Deckfedern der Sch^vung- federn erster Ordnung schwarz an der Spitze weiss ge- fleckt, und bei beiden Geschlechtern ist der Spiegel klein und weniger glänzend. Auch ist der Schnabel braun- schwarz mit röthlichem Schimmer, die Füsse roth mit dunk- ler Schattirung und mit horngrauen Nägeln. Die kleinen Jungen im Dunenkleide sind sehr hübsch. Schnabel und Füsse sind schwarz, ersterer an der Wurzel des Unter- schnabels roth, letztere mit roth em Schimmer imd orange- gelber Sohle. Die Iris ist dunkelgrau. Der ganze Vogel ist weiss mit gelblichem Anfluge an den Halssei- ten und auf dem Rücken. Von der Stirn beginnt ein schwarzer Streif, welcher, bald breiter, bald schmaler, sich über Hals und Rücken bis zum Schwänze hinabzieht. Er ist auf der Stirn am schmälsten, wird auf dem Schei- tel breiter, verschmälert sich auf dem Hinterhals, breitet sich auf dem Unterhals in zwei Spitzen aus , beginnt sehr breit auf dem Oberrücken, dehnt sich seitAvärts über die Hälfte der Breite der Flügel aus, yerschmälert sich wieder vor der Schwanzwurzel, um dann, wieder breiter werdend, die ganze Oberfläche des Schwanzes zu bedecken. Vom Hüft- bis zum Fersengelenke zieht sich auf der Hin- terseite der Beine ebenfalls ein breites schwarzes Band hinunter. Endlich befindet sich am Ohrende ein kleines schwarzes Fleckchen. Peruanische Exemplare weichen von den Chileni- schen Exemplaren nicht ab. Ueber Verbreitung und Fortpflanzung der Piuquenes sind die Nachrichten sehr verschieden und zum Theil widersprechend. So sagt V. Tschudi in seinen Untersuchungen über die Fauna peruana p. 309 von dieser Gans: „die Indianer nennen diese Gans Huacha. Sie lebt in Peru paarweise auf dem Hochgebirge, besonders in den sumpfigen Gegenden der Puna- Region, wo sie das kurze Rietgras abwei- det. Jung eingefangen lässt sie sich sehr leicht zähmen, pflanzt sich in der Gefangenschaft aber nicht fort. Im 188 Philippi und Landbeck: Zustande der Freiheit legt das Weibclien vier Eier und macht sein Nest auf steilen Felsen, gewöhnlich in der Nähe eines Flüsschens. Sobald die Jungen fi.\iggQ sind, wirft sie das Weibchen aus dem Neste. Diejenigen, welche nicht stark genug sind um zu fliegen, werden gewöhnlich an den Felsen zerschellt. Das Fleisch der Huacha ist dunkelroth, hart und zähe. Nur wenn es einige Tage in der Erde eingegraben ist, wird es weich, und beim Kochen schmackhaft." So weit Herr von Tschudi. Was die Verbreitung anbelangt, so ist Folgendes zu bemerken. Diese Gans scheint nicht weit nach Süden zu gehn, und dürfte in der Provinz Yaldivia höchstens ein- mal als verirrter- Yogel vorkommen , dagegen erstreckt sich ihre Verbreitung unzweifelhaft über Bolivien und Peru, und erreicht fast die brasilianische Grenze. Im höheren Norden lebt sie im Sommer an den Hochseen der Anden bis zu einer Höhe von 16,000 Fuss über dem stillen Ocean, in Chile bewohnt sie um diese Zeit viele der kleinen Seen der Cordillere bis zu einer Höhe von etwa 10,000 Fuss, wo wir selbst sie brütend fanden. Sie lebt daselbst nur in einzelnen Paaren, nie in grösserer Gesellschaft wie manche andere Gänse. Nach vollbrach- ter Brut kommt sie herab in die sumpfigen Ebenen, und lebt während des Winkers gewöhnlich in Familien, oft aber auch in grösseren Schaaren in den Sümpfen und am Bande der Seen, wo die von ihr beliebten Gräser wach- sen. Sie ist in Chile sehr gemein und viele Seen der Cordillere sind nach ihr „Laguna de los Piuquenes*' benannt. In Betreff der Fortpflanzung hat Herr v. Tschudi den Indianern von Peru zu viel Glauben geschenkt, denn erstens ist an und für sich unwahrscheinlich, dass eine Gans ihre Jungen aus dem Kröpfe, wie Raubvögel, Kernbeisser und Tauben füttert, und dies wäre doch nöthig, wenn die Jungen so lange im Neste blieben, bis sie üügge sind, wozu eine Zeit von mindestens acht bis zehn Wochen nöthig wäre; zweitens klingt es höchst abenteuerlich, dass die alten Gänse ihre grossen Jungen aus dem Neste lieber die Chilenischen Gänse. 189 werfen sollten^ und drittens wäre es für die Aeltern wohl iinmögllcli_, so Tiel Futter zu sammeln, um die Jungen gross zu ziehen, da ihre Nahrung mühsam abgeweidet und Halm für Halm abgebissen wird, so dass die x\lten mit ihrer eigenen Ernährung vollauf zu thun haben. Nach unseren eigenen Beobachtungen, die mit den Angaben glaubwürdiger Cordillerenjäger vollkommen übereinstim- men, verhält es sich mit dem Brutgeschäft folgendermas- sen. Im November oder December, je nach der Witte- rung des Jahres, erscheint diese Gans in einzelnen Paaren an den höchstgelegenen Cordillerenseen, deren Ufer felsig und zum Theil noch mit Schnee bedeckt sind und an de- ren Ausflüssen sich ein dichter, grüner Rasen von kurzen Grasarten bildet. An diesen Ufern sucht sie zwischen Steinen ein bequem.es Plätzchen aus, räumt den Schutt hinweg und bildet sich eine flache, muldenförmige Ver- tiefung, die sie mit feinen Reisern und Grashalmen be- legt und mit aus Brust und Bauch ausgerauften Federn und Flaum bedeckt, so dass das Nest warm ausgefüttert ist. Auf diese weiche Unterlage werden sodann acht bis zehn (nicht bloss vier wie Tschudi angiebt) weisse, denen anderer Gänse ähnliche Eier gelegt und wohl grösstentheils allein vom Weibchen ausgebrütet. Sobald die Jungen ausgeschlüpft und so weit erstarkt sind, dass sich das Bedürfniss nach Nahrung bei ihnen einstellt, sollen sie den Rücken der Alten besteigen und sich an das Ufer des Sees auf die Weide tragen lassen, oder, wo keine Hindernisse im Wege sind, selbst hingehn. Obgleich wir diesen Transport nicht gesehen haben, so ist er doch nicht gerade unglaublich, da es den zarten Gänschen schwer fallen dürfte , die Reise über die rauhen Stein- trümmer zu machen. Man bemerkt vom Weideplatze oder vom Uferrande bis zum Neste bald eine ziemlich betre- tene Strasse, woraus mit grosser Wahrscheinlichkeit fol- gen dürfte, dass Alte und Junge gewöhnlich die Nächte im warmen Neste zubringen, also Abends dahin zurück und Morgens wieder herunterspazieren dürften. Sind die Jungen einmal mit Federn bedeckt, dann suchen sie das Nest nicht mehr auf, welches auch dann viel zu klein 190 Pliilippi und Landbeck: wärest da es ja keinen grösseren Umfang hat, als der Körper der alten Gans; sie bleiben vielnlehr in Gesell- schaft der Alten im Wasser oder an dessen Ufern, gehen und fliegen von einem Cordillersee nach dem andern, kehren aber gewöhnlich Abends nach ihrer Heimath zurück. Sie brüten, wie oben bemerkt, nicht alle Jahre zur nämlichen Zeit, weil durch bedeutenden Schneefall nicht selten ihre heimathlichen Felsen, ja selbst die Seen voll- ständig bedeckt sind. So fanden wir z. B. in der näm- lichen Laguna de los Piuquenes im Vallelargo in einer ungefähren Höhe von 10,000 Fuss im Anfang des Februars 1861 eine Brut halberwachsener Jungen, welche am 13. März von den Alten kaum zu unterscheiden waren, während die acht Jungen desselben alten Paares zu An- fang des Februar 1862 kaum das Ei verlassen hatten. Ihre Jagd hat an kleinen Seen, welche von einem Ufer zum anderen beschossen w^erden können, keine be- sondere Schwierigkeit, besonders wenn die Gänse noch nicht dem Jagen mit Schiessgewehr ausgesetzt waren, in welchem Falle sie sich nicht mehr schussgerecht ankom- men lassen; auf grösseren Seen dagegen flüchten sie sich auf die Mitte, wo sie von Schüssen mit Hagel nicht mehr erreicht werden können. Uebrigens interessirt ihre Er- legung nur den Naturforscher, da ihr Fleisch einen unan- genehmen Geschmack hat und als sehr mittelmässiges Wildbrät bezeichnet werden muss. Man hat diese sehr hübsche Gans in Chile öfters gezähmt und Jahre lang auf dem Geflügelhofe unterhal- ten, sie hat sich aber nicht so weit domesticiren lassen, dass sie in der Gefangenschaft Eier gelegt und gebrü- tet hätte. 2. Bernicla dispar Ph. et Ldb. Männchen: Schnabel und Füsse schwarz, Unterseite weiss mit schwarzen Querbändern. Weibchen: Schnabel schwarz, Füsse roth; Unterseite schwarz mit weisslichen Querbänder. B, magellatiica Cabanis United States Naval Astr. lieber die Chilenischen Gänse. 191 Exp. Vol. II. p. 201. t. 24 mas et fem., non B. m^gella- nica Gm., Lesson etc. Bei den Chilenen lieisst diese Gans Gansillo. Fuss. Zoll. Linie. 2 6 7 — 1 — — — 10 — — 11 — - 6 6 1 4 6 — 3 5 2 8 — 3 3 — 2 4 — — 10 B eschr eibung. Gesammte Länge des Männcliens Länge des Schnabels Breite des Schnabels Höhe des Schnabels Länge des Schwanzes Länge des Flügels vom Bng bis zur Spitze . . . Länge des Tarsus . . . . Länge der Aussenzelie, inclus. ihres Nagels Länge der Mittelzehe . Länge der Innenzehe . Länge der Hinterzehe . Das Weibchen ist um 4 Zoll kürzer und die Länge seines Flügels vom Flügelbuge an beträgt nur 1 Fuss 2 Zoll 10 Linien. Die beiden Geschlechter sind in Farbe und Zeichnung so verschieden, dass man sie leicht für verschiedene Arten halten könnte. Altes Männchen im Winter kleid e. Schnabel und Füsse sind glänzend schwarz, ebenso die starken Nä- gel; die Iris ist dunkelbraun. Kopf, Hals, Oberrücken, Schulter, sämmtliche kleine Oberflügeldeckfedern und sämmtliche Unterflügeldeckfedern mit Ausnahme der vier bis fünf letzten, sämmtliche Schwungfedern zweiter Ord- nung, der Unterrücken, Bürzel und Ob er schwanzd eckfe- dern, die äussere Schwanzfeder jederseits, die Schien- beinbefiederung und die ganze Unterseite sind weiss, auf der Hinterseite des Halses fein grau gewellt, auf Ober- rücken, Schultern, Brust, Magen, Bauch, Seiten zeigen die Federn schöne schwarze, breite Querbänder, so dass auf der Unterseite nur die Mitte des Bauches, die After- gegend und die Unterschwanzdeckfedern rein weiss sind. Die grossen Deckfedern der Flügel sind prachtvoll atlas- 192 Philipp! und Landbeck: artig grau mit röthlicliem Metallschimmer, und haben an den Spitzen eine breite, weisse Einfassung. Der Eck- flügel, die grossen Deckfedern der Schwingen erster Ordnung, diese selbst und der Schwanz mit Ausnahme der äussersten Feder, welche theils ganz, theils nur auf der inneren Fahne weiss ist, sind graubraun mit grün- lichem Bronceschimmer, und fast von derselben Farbe ebenfalls mit Bronceschimmer aber reiner grau sind die sämmtlichen grösseren Schulterfedern, so wie die letzten Schwungfedern zweiter Ordnung. Altes Weibchen im Winterkleide. Der Schnabel ist schwarz, an der Wurzel mit röthlichem Schimmer ; die Füsse mennigroth mit schwarzen Nägeln. Kopf und Hals siiid matt graubraun ; Brust, Magen, Seiten, Bauch, Aftergegend und Unterschwanzdeckfedern sind schwarz mit ziemlich schmalen, rostbräunlichen, weiter nach dem Bauche zu weisslichen, in der Aftergegend rein weissen Querbändern. Dieselben schwarzen und weissen Querbinden zeigt auch die Schienbeinbefiederung. Die ganze Oberseite ist bräunlichgrau mit grünlichem Metall- schimmer, und auf Oberrücken und Schultern zeigen sich vor den rostfarbigen Binden an der Spitze der Federn ein bis zwei dunkle Querbinden. Der Unterrücken, die Bür- zel- und Oberschwanzdeckfedern so wie der Schwanz selbst sind schwarz mit grünem Metallglanze. Der Flügel hat genau dieselbe Zeichnung und Färbung wie beim Männchen. Das Sommerkleid dieser Gans ist uns nicht be- kannt, es scheint aber nach den alten, zerriebenen und verbleichten Federn, welche ein Exemplar des Museums noch besitzt, vom Winterkleid wenig verschieden zu sein, und das einzig Bemerkenswerthe ist, dass die After- und Unterschwanzfedern des Weibchens weiss und graubräun- lich gewellt und getüpfelt sind. Ebenso wenig können wir bis jetzt vom Jugendkleide mittheilen. Diese sehr schön gefärbte Gans scheint nicht so weit verbreitet zu sein, wie die vorhergehende, sie scheint kaum die nördlichen Gränzen Chile's zu erreichen, und auch ihre Ausbreitung nach Süden ist beschränkt, indem üeber die Chilenisclien Gänse. 193 sie sdiwerlich südlicli von Biobio vorkommen dürfte. Sie brütet in den mittleren Provinzen Chile's an den Cordil- lereseen^ z. B. an der Lagima de CanqueneS; in Gesell- schaft der Flamingos und anderer Wasservögel^ erscheint aber im Winter wie die Piuquenes auf den Vegos (sum- pfigen Wiesen) der Ebene, deren Gras sie abweidet. üeber die -Fortpflanzung ist uns nichts Näheres be- kannt, doch besitzt das hiesige Museum ein Ei des Gansilla. Dasselbe ist 2 Zoll 4 Linien lang und 1 Zoll 11 Linien dick; es ist hübsch eiförmig, auf beiden Seiten ziemlich zuge- spitzt, die Schale äusserst feinkörnig mit kaum bemerk- baren Poren, mattem Glänze und milchweisser Farbe ; ge- gen das Licht gehalten scheint das Lmere gelb durch. Der Gansillo ist leicht zu zähmen und wir wissen, dass er mehrere Jahre in einem grossen Garten bei San- tiago in Gefangenschaft gelebt hat, aber ohne sich fort- zupflanzen. Es ist sonderbar, dass diese im Winter bei Santiago gemeine Gans den meisten Naturforschern, welche Chile besucht haben, entgangen ist. Gay scheint sie nicht ge- kannt zu haben. Cassin giebt eine gute Figur vom Männchen und Weibchen a. a. 0., aber nimmt sie wun- derbarer Weise für die Bernicla magellanica oder leuco- ptera, von welcher beide Geschlechter himmelweit ver- schieden sind. Er sagt: „Gancillo. Gemein in Chile, obgleich wahrscheinlich nur während seiner Wanderun- gen. (Er scheint also zu glauben, dass sie im Winter von der Magellanstrasse komme, was ganz falsch ist.) Die Exemplare der Sammlung haben die Bezeichnung „vom Lmern^. Alle Weibchen der Sammlung unter- scheiden sich auf dieselbe Weise von den Männchen. Ein Exemplar, welches wir für ein junges Männchen halten, hat die Brust und Seiten mit bräunlichem Schwarz ge- streift, wie die oberen Theilo des Körpers.^ Da die Magellanische Gans unstreitig bei der Chile- nischen Colonie in der Magellanstrasse vorkommt, so sei es erlaubt, hier ein paar Worte über dieselbe zu sagen, wodurch zugleich der grosse Unterschied von unserer dispar klar werden wird. Aroh. für Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 13 194 Philipp! und Lau db eck: Bermöla leucoptera Gm. Bei dieser x\rt sind die beiden Geschlechter eben- falls sehr abweichend von einander^ wie beim Gansillo und beim Cague^ so dass die Naturforscher sie als zwei verschiedene Arten beschrieben haben: B. leucoptera ist das Männchen, B. magellanica Gm. das Weibchen, und scheint uns, dass der Name des Männchens für die Art vorzuziehen ist. Es ist dasselbe in „le Regne animal etc. parG. Cuvier, edition accompagnee de planches gravees tab. 96^ nach einem Exemplare des Pariser Museums ab- gebildet, und die flüchtigste Vergleichung dieser Abbil- dung mit der von Cassin gegebenen Figur des Gansillo zeigt auf den ersten Blick, dass beide Arten total ver- schieden sind. - Die Herrn Lesson und Gar not haben Gelegen- heit und Müsse gehabt, diese Gans auf den Falklandsin- seln zu studiren. In dem „Voyage autour du monde de la Coquille Zool. 1826^ sagen sie p. 735 : „die Bernicla leucoptera oder magellanica lebt in grossen Schaaren, die es lieben sich auf den kleinen Seen und Teichen aufzu- halten. Wir tödteten eine enorme Quantität derselben und fanden ihr Fleisch köstlich. Das Männchen die- ser Artist grösser als das Weibchen; sein Gefieder ist rein weiss, aber der Rücken und die Deckfedern der Flügel sind grau mit schwarzen Schuppen (oder Rändern der Federn). Das Weibchen im Gegentheil, schlanker von Gestalt, hat Kopf und Hals lebhaft kastanien- braun, den Körper grau und die Brust braun geschuppt, und von letzterer Farbe ist die Iris^. Von der Farbe des Schnabels und der Füsse sagen die Verfasser nichts, und ist es überhaupt zu bedauern, dass sie diese Gans, von der sie enorme Quantitäten getödtet und gegessen, so kurz, man möchte fast sagen ungenügend, beschrie- ben haben. HerrDesmurs, welcher die Ornithologie in Gaj's historia de Chile bearbeitet hat, begnügt sich p. 443 damit, die eben angeführten wenigen Worte zu copiren, und Herr Gay fügt hinzu, die Magellanischen Gänse hiessen üeber die Chilenisclien Gänse. 195 Canquenes, seien häufig in Chiloe etc., und verwech- selt also die folgende Art, unsere Bernicla chiloensis, mit der B. leucoptera. — Darwin sagt (Zool. of theVoyage of H. M. S. Beagle. Ornitliology p. 134) : ,,die Magellani- schen Gänse finden sich auf dem Feuerlande und auf den Falklands-Insehi und sind sehr gemein auf den letzteren. Sie leben paarweise oder in kleinen Schwärmen im Innei'n der Inseln, und finden sich selten oder nie am Ufer des Meeres und auch nur selten an den Süsswasser- seen. Die Matrosen nennen sie Upland-Guse (also In- landgänse). Ich glaube, dass dieser Yogel nicht von den Falklands-Inseln fortwandert ; er macht sein Nest auf den kleinen Inseln, welche die Hauptinsel umgeben.'^ 3. Bernicla chiloensis Ph. et Ldb. Der Schnabel ist schwarz, Kopf und Ober hals aschgrau, Unterhals, Brust und Unter schwänz deck fe- dern rostroth; die Füsse schwarz, orangegelb gestreift. Bernicla in ornataT>Qsm.\n:s, das Weibchen, Gayhist. Chile, Zool. I. p. 440, nicht B. inornata King. Diese Gans ist im südlichen Chile, namentlich in Chiloe, unter dem Namen Canquen sehr bekannt. Bes ehre ibung. Gesammt-Länge des Männchens Länge des Schnabels . . Höhe des Schnabels . . Breite des Schnabels . . Länge des Schwanzes . . Flügelspannung .... Länge des Flügels vom Bug zur Spitze Länge des Tarsus . . . Länge der Aussenzehe Länge der Mittel zehe . . Länge der Innenzehe . . Länge der Hinterzehe . . Fuss. 2 Zoll. 1 1 Linien 6 5 9 __ 9 — 5 - bis 1 6 2 6 2 3 1 7 — 8 196 Philipp! und Landbeck: Männchen. Der Schnabel ist vorn an der Spitze sanft abgerundet, an der Wurzel etwas hoch, glänzend schwarz; die Iris ist braun; der genetzte Tarsus ist auf der Vorder- und Innenseite so wie die Zehen und die Schwimmhaut schwarz; auf der Aussen- und Hinterseite dagegen so wie die Aussenseite der Aussenzehe schön orangegelb; die stumpfen Nägel sind schwarz. — Kopf und Oberhals sind aschgrau, unten dunkler als oben; die Stirn ist weiss, welche Färbung auf dem Scheitel allmäh- lich in Grau übergeht; auch die Umgebung der Augen ist weiss. Im Genick stehen verlängert rostgraue Federn. Unterhals und Brust sind lebhaft rostroth, unten und oben mit einigen schwarzen Querbinden; Rücken und Mantel so wie die vier letzten Schwungfedern sind bräunlich grau, auf den Schultern mit bräunlich weissen Rändern der Federn, vor welchen je eine schmale, schwarze, zackige Querbinde ist, sonst sind diese Theile ohne weitere Zeich- nung. Unterrücken, Bürzel und Schwanz sind glänzend schwarz mit metallisch grünem Schimmer. Der Flügel ist mit Ausnahme der grossen Schwung- und Deckfedern rein weiss. Die Daumenfedern und die zehn Schwung- federn erster Ordnung, von denen die zweite die längste ist, sind grauschwarz; die elf Schwungfedern zweiter Ordnung sind schnceweiss; die Deckfedern der Schwung- federn erster Ordnung schwarzgrün , die der übrigen Schwungfedern metallisch grün mit prächtigem Atlasglanz, wodurch ein sehr schöner Spiegel entsteht. Die ganze Unterseite des Flügels mit Ausnahme der zehn Schwung- federn erster Ordnung, welche auch unten schw^arz sind, ist einfach weiss. Die Unterseite des Körpers ist eben- falls weiss; die Seiten sind in der Breite von vier Zoll mit schönen, schwarzen Querbändern verziert. Die Be- fiederung der Schienbeine ist innen und vorn weiss, hin- ten und aussen schwarz. After- und Schwanzdeckfedern sind rostroth, seitwärts schwarz eingefasst. Das Weibchen ist bedeutend kleiner als das Männ- chen, aber ganz ähnlich gefärbt, und unterscheidet sich hauptsächlich dadurch von diesem, dass Unterhals, Brust, Oberrücken und Schultern mehr kastanienbraun und durch- üeber die Chilenischen Gänse. 197 aus schwarz gebändert sind^ während diese Tlieile beim Männchen einfarbig rostroth sind. Bei jüngeren Vögehi sind diese Binden häufiger, breiter und schwärzer. Das Sommer- und Winterkleid scheint nicht zu dif- feriren , w^enigstens zeigen Yögel vom Februar, April und November keinen Unterschied. An der Luftröhre befindet sich bei beiden Geschlech- tern eine häutige durchsichtige Blase von der Grösse einer gewöhnlichen Wallnuss. Diese Gans ist auf der ganzen Insel Chiloe sehr häufig, imter dem Namen Canquen allgemein bekannt, oft domesticirt, und es ist mir im hohen Grade wahr- scheinlich, dass das, was Gay p. 444 von der Lebensart seiner B. magellanica sagt, unsere Art betrifft. Es heisst daselbst: .,die Canquenes finden sich in der Magellan- strasse (hierfür haben wir kein Zeugniss auffinden kön- nen, und Herr Gay ist bekanntlich dort nicht gewesen; diese Behauptung beruht w^ohl nur darauf, dass er die Art verkannt imd den Canquen mit der Magellanischen Gans verwechselt hat), und gehen zuweilen nach Norden bis zum Rio-Rapel (34'^ S. B.). Sie sind häufig in Chiloe und man sieht sie in Flügen von mehr als hundert. Sie nähren sich von Kräutern, machen grossen Schaden am grünen Waizen, fressen aber auch Körner. Das Weib- chen ist etwas kleiner als das Männchen, legt zehn bis fünfzehn Eier am Ufer der Seen zwischen den Binsen und Gräsern, die denen der Hühnereier gleich sind und von den Landleuten sehr gesucht werden, um sie den Hühnern zum Bebrüten unterzulegen. Das Huhn, welches sie ausbrütet, sorgt für sie und beschützt sie wie ihre eigenen Küchlein. Auch hält man die genannten Vögel in vielen Häusern, nicht nur wegen der Eleganz ihrer Gestalt und ihres Gefieders, sondern noch mehr wegen ihres vortrefi'lichen Fleisches. Man füttert sie mit Waizen, aber wiegen ihres Schnabels (!) sind sie nicht so geschickt, wie die Hühner und erfassen w^enig Körner ; so sind sie gezwungen, zu Kräutern ihre Zuflucht zu nehmen, welche sie den ganzen Tag abweiden. Wenn sie böse werden werfen sie Kopf und Hals nach hinten und schreien 198 Philipp! und Landbeck: schwach und wiederholt piö pio. Es wäre dies ein sehr nützlicher Vogel für die Hühnerhöfe, denn er wird leicht zahm lind ist so wenig scheu, dass man ihm auch auf dem Felde nahe kommen kann.'^ Man sieht häufig in den Strassen der Stadt Ancud zahme Canquenes herumlaufen. Herr Dr. Segeth hat mehrere Jahre hindurch zahme Canquenes in Santiago gehalten und sie haben sich fort- gepflanzt. Als er sie einem Chilenischen Gutsbesitzer gab, wurden sie bald durch die Nachlässigkeit desselben von dessen Hofhunden zerrissen. Diese Gans, unstreitig die schönste unter den Chi- lenischen Gänsen, kommt auch ab und zu nach der Pro- vinz Valdivia, wir haben einzelne Exemplare derselben von Februar bis April in der Nähe der Stadt gesehen; auf den feuchten Wiesen im Innern der Provinz ist sie häufiger, namentlich im Winter und schadet den Waizen- und Hafersaaten. (Man säet dort nämlich auch den Hafer im Herbst.) Die Eier sind denen der vorigen Art ähnlich, 3 Zoll lang, 2 Zoll dick, regelmässig eiförmig, am breiten Ende sanft abgerundet; die Schale ist äusserst feinkörnig, matt- glänzend, kalkweiss mit bläulichem Sbhimmer. Wir haben oben gesehen, dass im Gay' sehen Werke der Canquen mit der B. magellanica oder leucoptera ver- wechselt ist, und derselbe Canquen wird in dem erwähn- ten Werke von Herrn Desmurs als B. inornata King beschrieben. Es heisst nämlich daselbst p. 445: ;,King entdeckte das Männchen dieser Art in der Magellan- Strasse, und von Chile haben wir das Weibchen gebracht, deren Beschreibung wir hier geben," folgt nun die Be- schreibung der weiblichen B. chiloensis. King ist das Weibchen seiner B. inornata unbekannt geblieben; wo- her konnte also Herr Desmurs wissen, dass ein aus Chile, also etwa 17 Breitengrade und 255 deutsche Meilen von der Magellanstrasse entfernt, hergebrachtes Weib- chen zu dieser Art gehöre? Es war eine rein willkühr- liche, auf kein Faktum gegründete und durchaus falsche Annahme. üeber die Chilenisclien Gänse. 199 Bernicla inornata King. Von diesem Vogel existirt nur die sehr kurze Be- schreibimg des Männchens von King^ welche D esmurs bei Gay übersetzt hat. Sie lautet: ., Ausgewachsenes Männchen. Weiss, mit schwarzen Flecken im Nak- ken, im oberen Theile des Rückens und der ganzen Länge der Seiten, wo die sclnvarzen Flecken die Gestalt grosser Schu2)pen annehmen; der untere Theil des Rückens ebenfalls schwarz; Schwungfedern schwarz mit metallisch grünem Schimmer; Deckfedern der Flügel und Spitze der Schwungfedern zweiter Ordnung weiss, einen bronce- schimmernden Spiegel umgebend. Gesammtlänge drei Zoll (!)^ Diese Beschreibung stimmt vollkommen mit der der B. leucoptera, wie sie L e s s o n giebt, und mit der Abbildung bei Cuvier, bis auf die schwarzen Flecken im Nacken. Sollte es ein junges, noch nicht vollständig ausgefärbtes Individuum der magellanischen Gans gewe- sen sein? In der Ornithologie des Voyage of the Beagle wird diese Art mit keiner Silbe erwähnt. Bernicla antarctica Gm. *). Füsse gelb; Rücken, Bürzel, Schwanz, Bauch, After- gegend und Schienbeinbefiederung schneeweiss ; das Weib- chen grösstentheils schwarz mit weissen Querbändern. Anas hybrida Molina Saggio suUa storia del Chili. 1782. p.241. Cague. Anas antarctica Gmel. Sjstema natur. I. p. 505. 1788. Anser antarcticus Less. et Garn. Voy. de la Coq. t. 50. femina. Bernicla antarctica Steph. Voyage of the Beagle, Ornith. p. 134. Bernicla antarctica Gay p. 443. Bernicla antarctica Cassin United States N. A. Exp. p. 200. t. XXIII. mas et femina. *) Da Molina diese Gans sechs Jahre vor Gmelin benannt und vollkommen kenntlich beschrieben hat, so sollte man sie billig Bernicla hybrida Mol. nennen. 200 Philipp! und Landbeck:- Anas ganta Forst. Descr. anim. 1844. p. 336. In CKile^ namentlich auf Cliiloe^ unter dem Namen Cague bekannt. Beschreibung. Fuss. Zoll. Linien. Gesammt-Länge des Männchens 2 5 — Länge des Schnabels .... — 1 7 Höhe des Schnabels .... — — 10 Breite des Schnabels .... — — 9 Länge des Schwanzes .... — 5 6 Länge des Flügels vom Bug bis zur Spitze 1 2 — Länge des Tarsus — 2 8 Länge der, Aussenzehe ... — 2 9 Länge der Mittelzehe .... — 3 1 Länge der Innenzehe .... — 2 3 Der Schnabel ist schwarzroth^ die Füsse orangegelb, die Nägel bläulich hornfarben, die Iris dunkelbraun. Das ganze Gefieder ist schneeweiss. Das Weibchen ist um drei Zoll kürzer und in allen Körpertheilen verhältnissmässig kleiner. Auch der Schnabel ist bei ihr orangegelb^, Füsse und Iris sind wie beim Männchen. Die Augenlieder sind weiss. Die Haube bis zum Genick ist von einem schmutzigen, hellen Grau- braun wie verblichen, auf der Stirn, die mehr ins Braune zieht, mit schwai'zen und weissen Querwellen und Binden. Das Uebrige des Kopfes, Zügel, Wangen, Kinn, Kehle, der ganze Hals, Brust, Oberrücken, Magengegend, Seiten tief sammtschwarz, im Gesicht und Hals mit sehr feinen weissen Querwellen, welche auf Hinterhals und Ober- rücken fehlen, auf dem unteren Theile des Vorderhalses aber grösser werden, und auf Brust, Magengegend und Seiten in zollbreite, weisse Querbinden übergehen. Jede Feder besitzt ungefähr drei solcher Querbinden. Sämmt- liche kleine Flügeldeckfedern, die Schwungfedern zweiter Ordnung mit Ausnahme der letzten, Bauch, Aftergegend, die untern Schwanzdeckfedern, fast der ganze Rücken sind sammtschwarz. Die Befiederung der Schienbeine lieber die Chilenischen Gänse. 201 ist scbneeweiss. DieScliiilterfedern zweiter Ordnung^ so wie die Schwungfedern erster Ordnung^ deren Deckfe- dern und die Eckflügel sind rostbraun mit schwachem Bronceschimmer ; fast sämmtliche grosse Deckfedern der Schwungfedern zweiter Ordnung sind schön metallisch grün und atlasglänzend. Diese in beiden Geschlechtern so auffallend verschie- den gefärbte Gans ist eigentlich ein antarktischer Vogel, der jedoch im Winter ziemlich ausgedehnte Reisen nach dem Norden macht. Lesson sagt im Yojage de la Co- quille Zool. p.735: ^die antarktische Gans kam ersteinige Tage vor unserer Abreise (gegen den 10. December un- gefähr) auf den Falklands -Inseln an, was, vorausgesetzt, dass sie von Staatenland und den Ufern der Magellan- strasse während des Sommers dieser Klimate kommt, um gegen den März, welcher unserem Herbstanfänge ent- spricht, wieder fortzugehn'^. Gay bemerkt p. 443 das Gegentheil. „Sie findet sich an der Südspitze Amerika's und auf der Wanderung während des Winters auf den Falklandsinseln und an den Ufern der Magellanstrasse im Sommer. Sie ist einsam, scheu, nährt sich von Mee- resmollusken und Tang, weshalb ihr Fleisch abscheulich und von schlechtem Geschmack ist." Darwin sagt von dieser Art a. a. 0.: „Diese Gans ist gemein auf dem Feuerlande, auf den Falklands -Inseln und der West- küste Amerikas bis Chiloe. (Hiernach klärt sich der Widerspruch zwischen Lesson und Gay auf: wir kön- nen bestätigen, dass sie sich bis zu dieser Insel findet und auch auf derselben brütet.j Die Matrosen nennen sie Rock-goose, Felsengans, weil sie ausschliesslich an den felsigen Theilen der Küste lebt. In den tiefen und zu- rückgezogenen Kanälen des Feuerlandes sieht man häufig das schneeweisse Männchen auf einem entfernten Felsen sitzen, begleitet von seiner dunkeln Gattin.'*' Sie erscheint gewöhnlich zu Anfang des Winters im Hafen von Corral und bei Arique in der Provinz Val- divia, wir bemerkten z. B. im Jahre 1857 eine Truppe von sieben Stück vom 6ten Juni bis Ende August auf dem Callecallefliissc bei Coilico oberhalb Valdivia. Wir 202 Philipp! und Landbeck: iiaben keine Nacliriclit_, dass sie weiter im Norden gese- hen wird. Zu verscliiedenen Malen haben wir versucht auf diese Gänse Jagd zu machen, sie aber stets sehr scheu gefunden, so dass sie uns, wenn wir im Bote wa- ren, nicht auf schussmässige Entfernung herankommen Messen, und auch stets sich so weit vom Ufer entfernt hielten, dass wir ihnen nichts anhaben konnten. In Ancud haben wir ein Paar gezähmt gesehen. Das Ei ist 2 Zoll 8 Linien lang und 1 Zoll 11 Li- nien dick, im Ganzen mehr gewölbt und abgerundet als die Eier der vorhin beschriebenen Gänse; die Schale ist sehr feinkörnig, milchweiss, mit mattem Glänze. Ueber das Brutgeschäft ist uns nichts Näheres bekannt. Beschreibung eiuer ueuen Ente und einer neuen Seeschwalbe, von Denselben. Querquedula angustirostris Ph. et Ldb. Der Qu. creccoides ähnlich, aber der Schnabel lang, schlank, gelb, mit schwarzem Rückenstreifen; die Flügel länger, der Spiegel weit grösser. Dimensionen der Qu. angustirostris. Qu. creccoides. Ganze Länge desYogels V 5" 6'" V 4" 6'" Länge des Schnabels . — 1 8 — 1 6 Breite desselben . . . — — 6 — - 7 Höhe desselben . . . — - ßVz — — 8 Länge des Flügels vom Bug bis zur Spitze . — 8 8 — 7 6 Länge des Tarsus . . — 1 5 — 1 3 Länge der Mittelzehe sammt Nagel . . . — 1 9 — 1 8 Länge der Innenzehe . — 1 5 — 1 3V2 Beschreib, einer neuen Ente u. einer neuen Seeschwalbe. 203 Dimensionen der Qu. angustirostris. l^CJ' creccoides. Länge der Aussenzehe . — 1" 7'" — 1" 7'" Länge des Hinterzehe . — — 6V2 — — ^ Länge des goldgrünen Spiegels der Flügel . — 3 — — 1 11 Der Schnabel ist sehr schlank und bildet am unte- ren Rande einen sehr flachen Bogenabschnitt; der Rücken erhebt sich^ vor dem Nasenloch beginnend^ ziemlich steil gegen die Stirn^ so dass die Oberseite des Schnabels einen stumpfen Winkel zeigt; er ist gelb, der Schnabel- rücken aber schwarz mit scharfer Begrenzimg, ebenso sind Nagel und Vorderrand schwarz. Der Unterschnabel ist gelb mit schwärzlicher Spitze, die Iris dunkelbraun, die Füsse licht grüngelb mit grauen Schwimmhäuten. Der Kopf und die obere Hälfte des Halses sind fein blassbraun, weiss und schwarz in die Quere gewellt. Unterhals, Brust, Bauch, Seiten, Aftergegend, die unteren Deckfe- dern des Schwanzes sind graulich weiss, an Hals und Brust licht hellbräunlich überflogen. Sämmtliche Federn des Halses, der Brust und Magengegend haben in der Mitte einen halbmondförmigen, schwarzbraunen Fleck, wodurch diese Theile schwarz geperlt erscheinen. Die Befiederung der Schienbeine ist licht grau. Oberrücken- und Schulterfedern sind hell rostfarbig mit einem runden schwarzen Fleck vor der Spitze. Die langen Schulter- federn sind mattgrün mit Metallglanz und haben eine breite, rostgelbliche Einfassung. Sämmtliche Oberflügel- deckfedern sind bräunlich grau, die grossen mit hell rost- farbiger Binde vor der Spitze. Die Schwungfedern erster Ordnung sind schwarzgrau, an den dunkleren Spitzen mit grünlichem Metallschimmer ; die Schwungfedern zweiter Ordnung sind bis auf die acht letzten auf der Aussen- fahne sammetschwarz mit breiter bräunlichweisser Spitze; die Innenfahnen sind dunkelgrau. Hierauf folgen zwei bis drei Federn mit prachtvollen goldgrünen Aussenfah- nen, wogegen die letzten dieselbe Färbung zeigen, wie die langen Schulterfedern. Auf diese Weise zeigt der Flügel einen herrlichen Spiegel, dessen eine Hälfte sammt- schwarz, die andere grün ist und die beide von rostweiss- 204 Philipp! und Laiidbeck: liehen Qiierbinden am Anfange und Ende begränzt sind. Die grossen Federn der Unterseite des Flügels sind hell- grau, die Deckfedern weiss, zum Theil schwärzlich ge- bändert. Der Unterrücken, der Bürzel, die oberen De ck- fedex'n des Schwanzes und die Schwanzfedern selbst sind schmutzig aschgrau mit dunkleren Mittelstrichen und Flecken. Diese Ente hat grosse Aehnlichkeit mit Qu. oxyptera oder creccoides, ist aber grösser, der Schnabel länger, schlanker, weniger hoch und durch die scharf begränzte schwarze Färbung des Rückens verschieden; der Tarsus ist länger, der nackte Fuss anders gefärbt; der Flügel ist vom Bug bis zur Spitze um 1 Zoll 2 Linien länger, der grüne Spiegel ist um einen vollen Zoll länger, end- lich ist die gan^e Färbung lichter, Brust- und BauchÜecke sind kleiner und blasser, der Bauch und die Aftergegend ebenfalls heller. Das im Vorstehenden beschriebene Exemplar ist ein altes Männchen und Avurde im Juli 1852 an der peruani- schen Lagune Cucullata vom verstorbenen Frobeen in Tacna erlegt. Ueber das Aveitere Vorkommen desselben oder dessen Lebensweise können w^ir nichts mittheilen, auch weissen wir nicht, ob von Tschudi in seiner Fauna peruana unter dem Namen Anas oxyptera vielleicht diesen Vogel gemeint hat, da er keine Beschreibung dieser Ente mittheiit. Sterna atrofasciata Ph. et Ldb. Schnabel schwarz, Iiis dunkelbraun, Fuss dunkelroth. Der Vorderrand des Unterarms hat eine weisse und schwarze Längsbinde. Dimensionen. Zoll. Linien. Länge des ganzen Vogels .... 10 6 Länge des Schnabels von der Spitze bis zur Stirn 1 — Länge des Schnabels von der Spitze bis zum Mundwinkel ..... 1 6 Beschreib, einer neuen Ente u. einer neuen Seeschwalbe. 205 Zoll. Linien. Höhe des Schnabels — 4 Breite desselben — 3 Länge der Mittelfedern des Schwanzes 2 4 Länge der Aussenfedern desselben . 4 — Länge der Flügel vom Bug bis zur Spitze 9 -— Länge des Tarsus — 7 Länge der Lmenzelie nebst Nagel . — 6 Länge der Mittelzehe — 9 Länge der Aiissenzehe — 8 Länge der Hinterzehe — 2V2 Der Schnabel ist sanft gebogen^ vom Nasenloch an stark seitlich zusammengedrückt^ die Spitze scharf, der Schnabelrücken scharfkantig, die Schnabelränder stark eingezogen. Das Nasenloch liegt nahe an der Stirn, ist drei Linien lang, oval. Der Schnabel ist schwarz, an der Wurzel roth, an der Spitze hornfarbig, durchsichtig; die L'is dunkelbraun, die Augenliedränder schwarz 5 die Füsse dunkelroth. — Die Stirn bis hinter die Augen, die Mitte des Scheitels bis zum Hinterhaupte, die Seiten des Halses und die ganze Unterseite sind weiss ; dieselbe Farbe zeigt der Bürzel, die oberen Schwanzdeckfedern, die mittleren Schwanzfedern und sämmtliche untere Deck- federn des Flügels. Die Umgebung des Auges, die Wangen, die Seiten des Kopfes, das Genick und der Hinterhals sind matt kohlschwarz, die übrige Oberseite ist dunkel aschgrau; die oberen Deckfedern der Flügel haben einen dunkeln Mittelstrich und weissliche Kanten. Der Vorderrand des Unterarmes ist weiss, und dahinter folgt eine mattschwarze, breite Binde. Die Schäfte der Schwungfedern erster Ordnung sind weiss , die Barte dunkel aschgrau, doch ist der grösste Theil der Lmen- fahne weiss und die weisse Färbung scharf abgeschnitten. Die Schwungfedern zweiter Ordnung sind hell aschgrau mit weissen, graubraun gesprenkelten Spitzen. Die Eck- flügel und die grossen Deckfedern der Schwungfedern erster Ordnung sind dunkelgrau. Die drei äussern Schwanz- 206 Philipp! undLandbeck: Beschreib, einer neuen Ente etc. deckfedern jeder Seite sind auf der Aussenfahne schwarz- graU; auf der Innenfahne weiss. Dieser Vogel ist ein junges Weibchen und wurde am 4ten December 1861 in Llico (Prov. Colchagua) zwi- schen dem Ausflusse des grossen Salzsees von Vichuquen und dem Meere erlegt; er gehörte einer grossen Schaar an^ welche sehr scheu war und nach dem Schusse aus der Gegend verschwand. Da uns keine Seeschwalbe bekannt ist^ zu welcher dieser Vogel gehören könnte^ so müssen wir denselben für neu halten und bemerken schliesslich, dass derselbe wahrscheinlich das erste Herbstkleid trägt, und dass dem- nach vermuthlich im Sommerkleide die Oberseite des Kopfes ganz schwarz sein dürfte. Santiago, den 27. December 1862. Kurze Nachricht über ein paar Chilenische Fische. Von Br. R. A. Philipp! in Santiago. (Hierzu Taf. X. Fig. a und b.) Meine im Jahre 1857 ausgesprochene Hoffnung von Yelasia chilensis mehrere Exemplare zu erhalten und eins zergliedern zu können, ist nicht in Erfüllung gegangen. Weder aus der Provinz Yaldivia noch aus hiesiger Pro- vinz (Santiago), wo gleichfalls Angviillas, sicherlich keine Aale, sondern Neunaugen, vorkommen, habe ich, trotz vielfacher Versprechen, keins dieser Thiere erhalten kön- nen. Erst vor nicht langer Zeit sandte mir Herr Apo- theker A n w a n d t e r zur Ansicht zwei Valdivische Neun- augen; die eine war Velasia chilensis, die andere aber eine neue Art, die ich vorläufig Petromyzon Anwandteri nenne; die Europäischen Ichthyologen, welche mehr Er- fahrung in diesem Zweige der Zoologie besitzen als ich, und über Bücher und Sammlungen zum Vergleichen ge- bieten können, mögen den Namen berichtigen, wenn es nöthig ist. Petromyzon Anwandteri Ph. Das Exemplar ist in sehr starkem Weingeiste auf- bewahrt; und demzufolge sehr runzelig geworden. Es ist einfach schiefergrau und auf dem Rücken dunkler. Seine gesammte Länge beträgt 10% Zoll, die Höhe in der Gegend des letzten Kiemenloches TVx Linien, die Dicke des Körpers im Allgemeinen 5 Linien ; die Entfernung des Auges von der Spitze der Schnauze beträgt 14 Linien, 208 - Philippi: die Entfernung des hintersten Kiemenloches 3 Zoll 11 Li- nien; die Entfernung des Afters von der Schwanzsj^itze IV2 Zoll. Die erste Rückenflosse beginnt ziemlich genau in der halben Körperlänge; sie ist 10 Linien lang, 3 Linien hoch, verhältnissmässig etwas kürzer und höher als bei Yelasia chiiensis. Nach einem Zwischenräume von 10 Li- nien beginnt die zweite Rückenflosse, welche sich anfangs ebenso hoch erhebt wie die erste, dann aber bald senkt und immer niedriger werdend mit der Schwanzspitze en- digt. Die Afterflosse beginnt erst etwa 3% Linie hinter dem After, erreicht höchstens wie der hintere Theil der Rückenflosse IV2 Linie Höhe und senkt sich ebenfalls allmählich gegen die Schwanzspitze, so dass die hintere Extremität des Thieres verjüngt, nicht — wie bei Valesia chiiensis — verbreitert erscheint. Der Kopf ist stumpf, schräg nach unten und hinten geneigt, und ragt unten weiter hervor als der Rumpf, dann folgt eine sackförmige Erweiterung der Kehle, welche bis zur sechsten Kiemen- öflnung reicht. Es sind sieben Kiemenöfi'nungen vorhanden. Die Lage der Augen und die Nasenröhre sind wie bei Velasia. Vor jedem Auge ist eine Reihe von fünf war- zenförmigen Drüsen, vermuthlich Schleimdrüsen, die von der Mitte des unteren Augenrandes schräg nach vorn und oben verläuft und die ich bei Yelasia chiiensis nicht an- getrofi:en habe. Der Mund bildet eine Längsspalte. Die Lippen ha- ben einen scharfen Rand, der aussen mit einer Reihe kurzer Girren, etwa 20 bis 24 jederseits, besetzt ist, und es ist keine der quergestellten, gefranzten Lamellen vor- handen, die das Maul von Yelasia so auffallend machen. Oeff'net man unserer neuen Art das Maul, so sieht man un- ten im Schlünde eine Querreihe von neun, vollständig? von einander getrennten Zähnen, dann eine Querreihe Falten und ganz nach innen zwei starke Schlundzähne wie bei Yelasia, allein statt der vier in Bogen gestellten Gaumenzähne der letzteren erblickt man jederseits drei sehr spitze, fast hakenförmige, gleichgrosse Zähne, die im Dreiecke, zwei oben, eine unten, stehen. Zwischen allen erwähnten Zähnen und den Lippenzähnen ist ein Kurze Nachricht über ein paar Chilenische Fische. 209 ziemlich weiter^ zahnloser Raum. Die Lippenzälme neh- men von innen nach dem Rande hin an Grösse ab und an Zahl zn, auch sind die oberen weit grösser als die unteren. Zu inner st steht ein Kranz von vier Reihen^ welcher im unteren Theile des Maules innen und aussen von einer Furche eingefasst und durch strahlenförmige Furchen gleichsam in Felder getheilt ist. Zwischen die- sen vier Reihen und dem Lippenrande sind zahlreiche, kleine und spitze Zähnchen^ die in der Zeichnung nicht sichtbar sind. Der Unterschied im Gebiss beider Arten wird durch beifolgende Zeichnung noch deutlicher werden, a ist der geöffnete Mund von Velasia chilensis, b von Petromyzon Anwandteri. Heber zwei ueue Chilenische Barsch-Arten. Unter den verschiedenen kleinen Seen oder Teichen der Provinz Santiago^ welche im Winter der Aufenthalt zahlloser Enten und anderer Wasservögel sind, und an deren grasigen Ufern alsdann die Cordilleren- Gänse, Bernicla melanoptera, der Piuquen und der Gansillo, B. dispar Ph. et Ldb. (B. magellanica Cassin non Gm.) weiden, zeichnet sich der von Peine aus, welcher einen ziemlich rasch strömenden, von Wasserpflanzen, nament- lich dem hohen Senecio Hualtata, eingefassten Abfluss hat. In diesem kleinen Bach kommen in ungeheurer An- zahl kleine Fische vor, welche Pocha und Carmelita ge- nannt, wegen ihrer Kleinheit aber nicht gegessen wer- den. Um sie zu fangen genügt es, in dem Wasser mit einem Korb in der Hand herumzuwaden und die Ufer- pflanzen über dem Korbe stark zu schütteln, in kurzer Zeit hat man den Korb voll Fische. Vor ein paar Wo- chen brachte mir mein Freund, der Dr. Segeth, eine Partie* dieser auf solche Weise gefangener Fische und die Untersuchung derselben ergab, dass es zwei neue Arten Perca sind. Es ist wohl überflüssig zu bemerken, dass sie nicht allein in dem erwähnten Bach vorkommen, Archiv f. Naturg. XXIX. Jahrg. l.Bd. 14 210 Philippi: sondern an allen geeigneten Lokalitäten der Provinz an- getroffen werden. Perca Poclia Ph. P. qnadri- vel quinquepollicaris, leviter elongata, dorso fusco-grisea^ abdomine albicans ; infraorbitali nudo, margine distincte serrulato; rostro supra valde scrobicu- lato ; linea laterali dorso subparallela ; alis omnibus basi albidis, apice nigricantibus ; dorsalis anticae spina maiore mediam corporis altitudinem siiperante. — D. 9 — 1 . 10. A. 3 . 9. C. 15. P.. 15. V. 1 . 5. Frequens in prov. Santiago, incolis Pocha. Man kann diesen Fisch leicht für eine junge Trucha, Perca trucha (Trucha heisst eigentlich Forelle !), halten, er soll aber niemals grösser als 5 Zoll werden. Das von mir genauer untersuchte und abgezeichnete Exemplar ist 4 Zoll 4Lin. lang, 13 Lin. hoch und 6^/2 hime dick. Die Flossen sind am Grunde beinah farblos, nach der Spitze hin schwärz- lich, während sie umgekehrt bei der Trucha am Grunde schwärzlich und nach der Spitze hin hell sind. Der Bauch ist bei der Trucha mehr gelb, bei der Pocha mehr grau; die Schwanzflosse ist bei der Pocha nur am Grunde beschuppt , bei der Trucha geht die Beschuppung viel weiter; das Suborbitale ist bei der Trucha beschuppt, bei der Pocha unbeschuppt und die Gruben desselben daher auffallender. Der auffallendste Unterschied ist indessen die Höhe der Rücken- und xlfterfl.osse. Bei einer 9V2 Zoll langen Trucha ist der zweite Strahl der ersten Rücken- flosse nur I2V3 Lin. lang, während die Höhe des Kör- pers 27 Linien beträgt; bei der kaum halb so langen Pocha misst dieser Sti*ahl 8 Linien und die Höhe des Körpers nur 13. Ebenso misst bei demselben Exemplare der Trucha der zweite 'Strahl der Afterflosse 7 Linien, bei der Pocha 5 Linien. — Der Hinterrand des Praeoper- culum ist sehr deutlich, wenn auch fein und dicht gesägt. Der ganze Fisch ist mit feinen, schwarzen Pünktchen ge- tüpfelt, die auf der hellen Bauchseite besonders deutlich sind. Die Schuppen sind im Vei'hältnisse weit länger als bei der Trucha, und auch sonst etwas abweichend, ich Kurze Nachricht über ein paar Chilenische Fische. 21 1 miiss aber bekennen, dass ich niclit weiss und niclit un- tersucht habe; ob die Schuppen von verschiedenen Kör- pertheilen desselben Fisches wesentliche Verschiedenhei- ten in der Gestalt zeigen. Ein anderes unterscheidendes Merkmal bietet die Oberfläche des Kopfes und das vor- dere Nasenloch dar. Bei P. trucha ist die Oberseite des Kopfes glatt; ohne Leisten und Gruben, und bis zum Nasenloch beschuppt; das vordere Nasenloch zeigt eine trichter- oder trompetenförmige Erweiterung und Verlän- gerung seines Randes. Bei P. pocha ist nur der Hinter- kopf deutlich beschuppt; zwischen den Augen verlaufen nach vorn zwei LängskielC; die in der Höhe des hinteren Augenrandes beginnen^ parallel verlaufen bis sie die Höhe des vorderen Augenrandes erreichen, dann etwas diver- giren und sich wieder in der Höhe des vorderen Nasen- loches vereinigen, so dass drei Längsgruben entstehen, eine zwischen den Kielen und eine jederseits zwischen Kiel und Auge. Der Rand des vorderen Nasenloches ist einfach, kaum vorspringend. Perca SegethiVh. P. tripoUicaris, leviter elongata, dorso fusco-grisea, ventre flavescens, squamis nonnullis subaeneis; linea dor- sal! cum dorso fere parallela; infraorbitali nudo, margine mutico, pinna dorsali grisea, ad apicem spinarum rubra, aliquis rubris; margine infraorbitalis, membranae bran- chiostegae, labiisque rubris. — D. 7 — 1 . 10. A. 3.8. C. 15. P. 13. V. 1.5. Frequens in prov. Santiago, incolis Carmelita. Bei einer Länge von 2 Zoll jlO Linien beträgt die Höhe 9 Linien, die Dicke 4V2 Linien. — Auf den ersten Blick unterscheidet sich dies Fischchen durch seine rothen Flossen, rothen Lippen, rothen Rand der Kiemenhaut und des Infraorbitalknochens, so wie durch die geringere Zahl von Stachehi in der ersten Rückenflosse. Die Stacheln derselben so wie die der Afterflosse sind wie bei der Pocha im Verhältnisse weit länger als bei der Trucha. Die Schuppen sind nicht nur relativ sondern sogar abso- 212 Philippi: Kurze Nachr. üb. ein paar Chilenisclie Fische. lut grösser als bei der Poclia^ und während bei dieser z. B. wenigstens fünf Reihen Schuppen zwischen Rücken- flosse und Seitenlinie stehen ^ stehen bei der Carmelita deren nur drei. Auch die Gestalt der Schuppen ist an- ders. Nicht nur der vordere Theil des Kopfes^ sondern auch das Hinterhaupt sind schuppenlos; es fehlen dem Kopf die Längsleisten und Gruben^ die bei der Pocha so auffallend sind; der Rand des Infraorbitalknochens ist ungezähnt^ auch der Hinterrand des Praeoperculum ist ungezähnt und nur der Winkel desselben zeigt feine Sägezähne^ während der Unterrand die gewöhnlichen, nach vorn gerichteten Zähne besitzt. Der Stachel des Kiemendeckels ist wenig merklich. Endlich zeigt der Rand des vorderen Nasenloches keine Verlängerung und trichterförmige Erweiterung. Santiago, den 27. December 1862. Monographie des Nandu oder südamerikanischen Strausses (Rhea americana). Von Dr. Adolph Böcking in Bonn. In dem ungelieuren Ländercomplex Südamerika' s, welcher zwischen dem atlantischen Ocean und den Cor- dilleras liegt, sich von den Urwäldern Bolivias, des Gran Chaco, Paraguays und Brasiliens in unabsehbarer Ebene bis weit nach Patagonien hinein erstreckt und unter dem Sammelnamen der Staaten des Rio de la Plata bekannt ist, lebt, wenige Orte ausgenommen, der amerikanische Strauss. Die Indianer nennen denselben ononartopöetisch Nandu, nach dem weit hörbaren Rufe, welchen zur Balz- zeit der Hahn hören lässt. Er ist nur in einer Species vertreten. Die tief im kalten Süden vorkommende nach dem berühmten Dar- win zu Anfang dieses Jahrhunderts von Gould zuerst Rhea Darwinii, später von d'Orbigny Rhea pennata genannte (Avestruz petiso heisst er bei den Gauchos), ist nach meinem Dafürhalten nur als klimatische Subspecies anzusehen. Für die ganze Pampa der freien Indianer, des argen- tinischen Staatenbundes, der südlichen Provinzen des brasilianischen Kaiserreiches und der ganzen Banda oriental Uruguay, bleibt er in der ornithologischen Fauna weit- aus die charakteristischste Erscheinung. Seine Morphologie und Systematik darf ich, als all- gemein bekannt, voraussetzen, denn, obgleich zu Anfang dieses Jahrhunderts in Europa noch so gut wie fremd, 214 Böcking: fehlt er docli jetzt kaum mehr Irgend einem Cabinette oder zoologischen Garten. Speciiischer Steppenvogel, der er ist_, vermeidet der Nandu sowohl -wirkliche Berge als den tropischen Urwald. Die lichten Algarrobenwälder, so wie die inselartig in dem Grasmeere liegenden Myrthen-, Quebracho- oder Pal- menbosquets besucht er sehr gern, und nimmt aufge- scheucht vorzugsweise seine Flucht dahin. Der Mittelpunkt seiner klimatischen Heimath ist etwa da zu suchen, wo der 32. Breitengrad südlicher Breite den 63. und 64. Längengrad durchschneidet und von hier aus verbreitet er sich bis in die Tropen wie in die eisi- gen Steppen um die Magellanstrasse. Einzelne Beobachter wollen ihn auf den Vorcordille- ren gesehen haben, auf dem Paso de Cumbre z. B., wel- cher über Uspallata für diejenigen führt, welche von Mendoza nach Santiago de Chile gehen. Dieser Pass jedoch ist nach des schottischen Arztes Gillies Baro- metermessungen 12,530, nach Miers Messung 11,930 Fuss über dem Spiegel des Pacific gelegen; auf der Höhe des Passes kömmt sicher kein Nandu mehr vor, auf dem Wege zu diesem Passe mögen dieselben bis zu einer massigen Höhe dann und wann sein, unrichtig aber jedenfalls ist der in Berghaus physicalischem Atlas angedeutete Verbrei- tungsbezirk über den 7^ n. B. hinaus; der Strauss er- reicht in nördlicher Richtung gewiss den Aequator nicht, weil ihm dort sein wahres Element, die Steppe fehlt. Er überschreitet die Pampagrenze nördlich und westlich zwar hie und da, aber selten, und dann nur in vereinzelten kleinen Trupps. Im Osten geht er an die Küste des atlantischen Oceans, lebt sogar mit Vorliebe hier, und im Süden bildet die Grenze der Grasvegetation auch seine Grenze. Zwischen der Rhea americana und pennata ziehe ich keine Verbreitungsgrenze, weil ich, wie bereits berührt, die zweite nur als klimatische Varietät ansehe, und der Uebergang der einen in die andere ein sehr allmählicher ist. Sie unterscheiden sich wesentlicher nicht von einan- der als die Perdix cinerea mit grauen und mit gelben Monographie des Nandu. 215 Füssen, welche wir im Moselthale antreffen. Will man durchaus eine Grenze haben, so wird diese der Cusu Leubu oder Rio Negro bilden, in der ungefähren Breite von Valdivia in Chile, also 40*^ s. B. Auf dem oben genannten Räume finden sich wenige Striche, wo der Nandu ganz fehlte, er ist überall, wo seine Hauptnahrung, die Gräser, zu finden sind, selbst an den Ufern der von Salz wie von Schnee weissen Sali- trales des Urre-Lauquen. Der Hahn lebt mit fünf bis sieben, selten mehr oder weniger Hennen in gesonderter Familiengruppe innerhalb des vom Männchen gewählten und gegen andere behaup- teten Standes; die übrige Zeit des Jahres thun sie sich in Heerden bis sechzig und mehr Individuen zusammen; so fest der Familienverband für das kontraktmässige Jahr ist, so losen Zusammenhang haben die grossen Zusammen- rottimgen. Die erste beste Zufälligkeit, wie ein Nacht- raubthier, ein Pampero u. s. w. , trennt diese Schwärme, und schlagen sich deren Theile mit dem nächsten wei- denden Trupp wieder zusammen. So scheinbar planlos dies Umherziehen ist, so entfernen sie sich doch nie sehr weit von ihrem Geburtsorte, höchstens zwei Leguas, was ich sehr genau an einem verwundeten aber wieder ver- heilten Exemplare controlliren konnte, welchem der rechte Flügel ganz herunterhing. Dieser von den Peonen „el lastimado" genannte Strauss war oft tagelang von meinem Beobachtungsorte aus nicht zu sehen, wurde aber dafür dann in dem Reviere unserer Nachbarn auf zwei Leguas in die Runde bemerkt und kam mit viel oder wenig Ge- sellschaft doch immer wieder zurück. Sie sind durchaus inoffensive Thiere, die Männchen kämpfen zur Balzzeit zwar heftig unter einander mit Schnabel und Flügel, welch letztere zum Schlagen und Pariren zugleich dienen, auch wissen sie sich im Laufen ihrer Ständer durch Ausschlagen vortrefflich zu bedienen, aber gegen den Menschen vertheidigen sie siclx ange- schossen höchstens durch einen leicht zu vermeidenden Schnabelhieb. • Ihre bemerkenswertheste Eigenthümlichkeit ist ihr 216 Böcking: mit Recht sprüchw örtlich gewordener Appetit, denn man sieht sie selten anders als weidend. Im Frühlinge, wenn der vorherrschend graubraune Ton, welcher den kurzen Wachsthumsstillstand der dorti- gen Vegetation kennzeichnet, dem jungen Grün Platz macht und der „trebol^ oder Klee in seinen verschiede- nen Arten noch das Uebergewicht über die monokotyle- donischen Kräuter hat, geniesst er vorzugsweise diesen und Insekten, es ist der Zeitpunkt, wo sein Gefieder am schönsten, sein Gang am stolzesten ist, und wo der Hahn den tiefen besonders in stillen Nächten leguaweit ver- nehmbaren sonoren Kehlton in minutenlangen Pausen erschallen lässt, ein Locklaut für seinem Weibchen, eine Herausforderung für den kühnen Nebenbuhler und ein Warnungsruf für den altersschwachen oder noch unzu- rechnungsfähigen Ritter ! Dieser tiefe schwermüthige Laut verfehlte seines Eindrucks nie auf mich, wenn ich allein, nur meine Thiere um mich, im Camp übernachtete. Er war die Aeusserung einer lebendigen und zu- gleich friedlichen Natur rings in der unemnesslichen Stille. So lange dieser Ruf, der selbst noch im Schlafe vernehm- bar ist, die Nacht durchhallt, ist man sicher vor jedwedem Ueberfall. Der Nandu ist von allen wachsamen Pampa- geschöpfen das wachsamste, verstummt derselbe, so spitzt das Pferd die Ohren und hört auf zu weiden und die Hunde schnüffeln in die Luft, um zu sichern. Sobald die Paarzeit vorüber, hört man von beiden Geschlechtern einen etwa einen halben Ton langen cres- cendo und decrescendo gehaltenen und wie ein Pfeifen klingenden Ruf, an welchem keine andere Modulation wahrzunehmen ist als diejenige, welche durch die ver- schiedene Körperstärke der einzelnen Individuen bedingt ist. Man hört diesen Ton nicht häufig, besonders nicht in der heissesten Zeit, und dann meistens nur, wenn die Heerde in den Espinillowäldern weidet als Sammellaut. Die jun- gen piepen wie die Truthühner. Einen Schmerzens- oder Schrecklaut habe ich unter keinen Umständen vernommen. Ein zahmer fauchte im Zorne wie ein Puter. Im Früh- Monographie des Nandu. 217 llng- ist der Strauss äusserst lebhaft und Tag und Nacht am Wandern ; im Sommer^ wo er, wie alles Wild und Vieh, Mittags drei bis vier Stunden Ruhe hält, holt er diese Zeit in den erfrischenden Nächten nach, übrigens ist er ein echtes Tagthier, und in der kalten Zeit habe ich ihn nie Nachts ein Lebenszeichen geben hören. Alle seine Sinne, den Geschmack bedingt ausgenom- men, sind sehr scharf, ich hatte oft Gelegenheit sie auf die Probe zu stellen, und der Jäger muss den Wind und jeden Terrainvortheil benutzen, so wie jedes Geräusch ver- meiden, wenn er ihm ankommen will, sein Schleichen wird in den meisten Fällen dennoch ein vergebliches sein. Im Sommer frisst der Nandu Gras und mit Vorliebe Blumen- knospen, selbst die unentwickelteren der verschiedenen Distelarten, besonders der wilden Artichocke, ob ihres Nah- rungsgehaltes wegen oder als Beförderungsmittel für Ver- dauung, bleibe dahingestellt, ich fand dieselben aber in allen Mägen, welche ich zu dieser Zeit untersucht habe, vermischt mit den Resten von Heuschrecken und hart- flügeligen Coleopteren. Im Herbste sucht er gern die mit Saliceen und Lorbeeren bewachsenen Stromufer oder „bajos^^, Niede- rungen, auf, der Myrthen- und anderer Beeren wegen, die ei- dann neben seiner Hauptnahrung, den Gräsern, liebt, oder er zieht sich, wo kein Strauchwerk existirt, in die „Cardales'* Distelwälder zurück. Die Distel (Cy- nara cardunculus) von den Spaniern als Küchen- und Gartengewächs schon zur Zeit der Conquista nach Süd- amerika gebracht, ist dort verwildert und bedeckt jetzt in der Pampa viele tausend Quadratmeilen Landes dicht mit ihren stachligen Blättern und über manneshohen Blüthenschäften. Auf der ebenen Fläche wehen die Stürme den mit einem Pappus versehenen Samen grosse Strecken fort, so wachsen die Cardales von Jahr zu Jahr an Ausdehnung und beschränken auf diese Weise den Raum, welchen nützlichere Futterpflanzen ohnedies ein- nehmen würden. Die Distelblätter werden bloss hier und da zur Abwechselung von Pferden oder Maulthieren ge- fressen, das übrige Vieh verschmäht sie hartnäckig. Ist 218 Bock mg: der Reisende genöthigt tagelang dtircK ein Cardal zu reiten, so muss er den Pferden um Brust und Beine Schaffelle wickeln; den Strauss hingegen hindern die tausend und aber tausend Spitzen nicht, welche sich an ihn hängen, er ist durch seine Brustfedern und dichte Haut, unter welcher sich zu dieser Zeit ausserdem eine ziemliche Fettlage zu bilden anfängt, hinlänglich geschützt. Im Hochsommer verdorrt in der offenen Pampa das Gras oft zu einer zerreiblichen braunen Masse, welche auch später der Wind fortfegt, dieses Heu nun frisst das Weide- vieh so lange nur noch welches existirt, sehr gern, und nimmt dabei an Körperumfang sogar zu, wenn, was häufig genug geschieht, nicht auch Wassermangel in den Cana- das und Lagunas oder Sanjas eintritt und dann jene schrecklichen Auswanderungen der Heerden veranlasst, welche den Estanciero in die grössteNoth versetzen, und wovon vorzugsweise Entre Rios heimgesucht zu werden scheint. Im Distelwalde dagegen giebts immer noch grüne Weide, sein Schatten auf dem Boden giebt Schutz für allerlei niedrige Kräuter und desshalb ist er denn auch voll von Straussen, welchen grüne Nahrung Naturbedürf- niss zu sein scheint. Zur Winterszeit aest der Nandu alles was grün ist, besonders gerne steht er dann auf von Yiehheerden re- gelmässig befressenen Strichen, wo das Gras immer kurz gehalten und darum zarter ist; sein Lieblingsstand vor allen sind verlassene Rodeos, d. h. Stellen, auf welchen früher das Vieh von allen Richtungen her der Controle halber täglich zusammengetrieben wurde und auf denen der grossen Anhäufung thierischen Düngers wegen die Vegetation üppiger ist. Vieh und Wild lieben nicht den Pasto, welcher aus Dünger, vor allem wenn er der ihrer eigenen Art war, entspriesst, der Strauss zieht ihn allem übrigen vor. — Zu allen Zeiten findet man in dem Magen des Nandu Steinchen, nie aber habe ich Reptilien oder überhaujit Lurche irgend welcher Art darin entdeckt, obgleich mich alle Gauchos auf das Bestimmteste versichert haben, das« Monographie des Nandu. 219 er kleine Schlangen fresse. Ferner beobachtete ich^ dass er nur die Blätter und unreifen Stengel der Gräser liebt, nicht aber die Samen, welche zu ihrer Reifezeit das Yieh der Ansiedler so fett machen. Selbst zahme Nandus, die sich übrigens gerne allem Futter anpassen, habe ich nie- mals rohe Maiskörner fressen gesehen. Für viele euroj^äische Culturgewächse zeigt er eine seinen Geschmack ehrende aber dennoch unmoralische Vorliebe, und hat ein Trupp die Alfalfafelder oder den Gemüsegarten eines Colonisten entdeckt, so giebts zu hü- ten, wenn noch ein grünes Blatt übrig bleiben soll. Diese Liebhaberei an ausländischer Kost theilt er übrigens mit allem Wilde ; wer weiss nicht, welche Schwierigkei- ten seiner Zeit durch Yerbeissen der Robinia pseudacacia das Rothwild dem Förster gemacht hat, und welchen Ge- schmack findet nicht unser gewöhnliches Kaninchen an der Gartennelke ? Der Nandu trinkt selten, nur zur Zeit der grössten Hitze habe ich einzelne Individuen dies thun gesehen, niemals ganze Trupps, wie dies bei anderen gesellig lebenden Vögeln jener Länder vorkömmt. Den grössten Theil des Jahres hindurch genügt der Regen und Thau auf und das Wasser in seinen Nähr- pflanzen, ihm das benöthigte Feuchtigkeitsquantum zu liefern. Säuft er, so schöpft er mit dem Schnabel und lässt das Wasser durch Emporhalten des Kopfes in den Schlund hinabfliessen, wie dies bei der Mehrzahl der Vögel geschieht. Er badet sich niemals im Wasser, sondern hudert sich im Staube wie ein echter Hühnervogel. Die einzige Abkühlung, welche er bei aussergewöhnlich hoher Temperatur nimmt, ist: dass er das Gefieder lockert, die Flügel hoch ausbreitet und lechzend den Schnabel nach der Richtung zu, woher der Wind kommt, weit aufsperrt. Nicht gerne lässt er sich den Luftzug in die Federn blasen, desshalb weidet er auch meistens und zugleich aus nimmer ruhender Wachsamkeit, gegen den Wind. Die Excremente sind seiner Gefrässigkeit angemessen, aber selbst im Verhältnisse zu seinem enormen Körper voluminös, sie sind sehr kalkhaltig, besonders um den härteren ersten Theil und viel Unverdautes und nicht 220 Böcking: Assimilirbares enthaltend. Er urinirt nicht wie sein grös- serer afrikanischer Vetter. Der Nandu kann sehr fett werden; aber im. Frühling ist er mager, wegen der Substanzlosigkeit seiner Winter- nahrung und weil die Paarung und das Eierlegen ihn sehr erschöpfte. Sobald der Oktober kömmt, der Lenz der südlichen Hemisphäre; sammelt das Männchen, wel- ches wie das Weibchen erst nach Ablauf des zweiten Jahres fortpllanzungsfähig wird, drei bis sieben, in selte- nen Fällen mehr Hennen um sich, bekämpft die anderen Hähne durch Schnabelhiebe und Flügelschläge aus seinem Bereiche, und das Eierlegen beginnt dann von Mitte December ab. Die nicht zur Begattung kommenden Individuen, also die zu alten oder unreifen Männchen und die gelten Weibchen, bilden zu dieser Zeit gesonderte Trupps, wel- che planlos umherschweifen und allerseits von den wirkli- chen Familienvätern umhergejagt werden. Ganz alte Hennen bekommen durch Virilescenz eine Andeutung der schwarzen Na c kenplatte und der Brust- federn des Hahnes, welche Theile sonst schief er grau sind. Die ersten Eier, welche die Reiter einzeln mit nach Hause bringen, sind die sogenannten Guachos, Stiefkin- der oder Findlinge, man findet sie da und dort im Camp, und legen sie die zuerst brünstig gewordenen Hennen so lange dahin, wo die Geburt sie gerade überrascht, bis das Männchen sich für einen Nestplatz entschieden hat und die ganze Familie das regelmässige Legegeschäft beginnt. Das Nest ist stets eine flache Aushöhlung an einem der Üeberschwemmung nicht ausgesetzten und auch übri- gens trockenen Orte, welcher möglichst verborgen seit- lich von Disteln oder hoher „Paja'' geschützt wird. Allermeist sind es die Löcher, welche die wilden Stiere machen, indem sie sich mit dem Schulterblatte auflegen und vermittels der Hinterbeine um ersteres als Centrum herumbewegen, in der Absicht, sich der Oestrus- larven in ihrer Haut zu entledigen. Eine solche Stelle derart von ihrer Grasnarbe entblösst, benutzt das Vieh Monographie deS Nandu. 221 gerne regelmässig als Staubbad so lange^ bis dieselbe anderthalb oder zwei Fiiss tief geworden^ diesem Behufe nicht mehr entspricht und eine neue angelegt werden muss. Diese Vertiefungen haben gewöhnlich 4V2bis5Fuss Durchmesser, bewachsen durch Öamenanflug bald wieder, und man findet dieselben zahllos im Camp zerstreut. Sie verändern unter ihrer Vegetationsdecke nie wie- der ihre Form und bieten dem Nandu ein Nest, an wel- chem die grösste Arbeit bereits gethan; findet das Thier kein derartiges Stierbad vor, so scharrt es nur an einer ihm zusagenden Stelle den Pflanzenüberzug weg, füttert dieselbe sehr nothdürftig am Boden und Rande mit eini- gen Grashalmen aus und lässt seine Weibchen 7 bis 23 Eier hineinlegen. Die Gauchos behaupten, es gäbe Gelege bis zu 50 Stücken, ich habe selbst nie mehr Eier als 23 ge- zählt und im Durchschnitte 13 bis 17 gefunden, auch wüsste ich nicht, wie obige Zahl in dem zur Grösse der Eier verhältnissmässig engen Räume Platz finden sollte. Sieben Hennen mögen mit den „Guachos" gerne zusam- men fünfzig Eier legen, diese Anzahl aber im Neste allein halte ich für übertrieben und für ein Produkt der sehr fruchtbaren Gauchophantasie. Die Eier sind von sehr ver- schiedener Dimension, von Gänseeiergrösse an bis zum Durchmesser von 5 Zoll nach der Längenaxe. Sieben bis acht gehören zum Gewichte einer spanischen Arrobe. Um das Nest herum, von seinem Rande an bis zum Abstände von 50 Schritten, findet man stets „Guachos^, welche von jüngerem Datum sind als die Nesteier. Man kann dies leicht an der Farbe der Schale erkennen. Frisch ist das Straussenei gelblichweiss mit kleinen unregelmässigen grüngelben Pünktchen um die übrigens sehr grossen Poren; hat dasselbe aber auch nur einen einzigen Tag der Sonne ausgesetzt gelegen, so bleicht es schon an der Oberseite, und ist nach acht Tagen bereits schneeweiss. Man findet aber, nachdem die Nesteier be- reits vollständig verbleicht sind, noch ganz frische „Gua- chos^. Der Grund hierzu scheint mir darin zu liegen, dass diese spät zur Reife gediehenen Eier desshalb 222 Böcking: nicht mehr im Neste zugelasseii werden, damit das Aus- schlüpfen der Jungen, Avelches ohnehin schon mehrere Tage währt, nicht noch verzögert werde. Oder es sind Versuche verwittweter Hühner, ihre Eier einer anderen FamiKe anzuvertrauen, welche aber zurückgewiesen wer- den müssen; oder aber endlich es sind, bei übergrosser Zahl von Weibchen zum Verhältnisse der männlichen In- dividuen, gar nicht befruchtete Eier, welche der Instinkt ihre Erzeugerinnen wenigstens in den Schatten eines Fa- milienlebens legen heisst. — Dass diese letzten ,jGuachos'^ den jungen als erste Nahrung dienen sollen, halte ich aus dem Grunde für eine unmotivirte Ansicht, weil einmal weder ein Naturforscher noch besonderer Beobachter als Zeuge dafür einstehen kann, gesehen zu haben, wie der Hahn die Findlinge zertreten oder aufgepickt hätte und die kleinen „Pollos ^ sich über den Inhalt hergemacht hät- ten. Die Jungen fressen sobald sie stehen können Insekten, an denen wahrlich kein Mangel zu dieser Zeit ist! Dann aber auch muss obige Conjektur, denn weiter ist sie nichts, desshalb verlassen werden, weil während des zum mindesten 6 — 7 Wochen dauernden Lege- und Brüte- prozesses alle Guachos, welche nicht inzwischen von den kleineren Raubthieren zerstört worden sind, durch den vollen Einfluss der in diesen Landstrichen sehr schroff wirkenden Atmosphärilien und plötzlichen Temperatur- abstände sicher durch Fäulniss verdorben sind. Dass seit Lichtenstein's afrikanischer Reise diese Ansicht die allgemein verbreitete geworden ist, und ich dieselbe im Lande selbst da und dort von Eingeborenen als solche habe äussern hören, ist immer noch kein Beweis und fehlt in der ganzen befiederten Welt für solchen Canni- balismus jegliche Analogie. Die Natur lässt in ihren sämmtlichen organischen Schöpfungen bei weitem mehr Keime, welche nie zur Entwickelung kommen, entstehen als sie Existenzen duldet, die Welt wäre sonst für alle dies Leben zu klein, und wer kann wissen wesshalb sie dies thut ? Doch zurück zum Nandu! Nachdem das Nest seine Eierzahl voll hat, besorgt das Männchen das Brut- geschäft allein. Die Hennen entfernen sich sorglich von Monographie des Nandu. 223 demselben^ bleiben aber zusammen und innerhalb des vom Hahne behaupteten Revieres. Letzterer sitzt die Nacht über und am Morgen so lange, bis der Thau abgetrock- net ist, fest, verlässt aber dann in unregelmässigen Ab- ständen, welche sich nach der Temperatur richten, das Nest um zu weiden, jedoch sind diese Zwischenräume ohne Schaden für die Entwickelung des Fötus sehr gross. Vom Rande eines Flusses aus, in welchem ich fischte, beobachtete ich einst eine vierstündige Abwesenheit des Strausses vom Neste, vor Abend verjagte ich ihn, zählte die Eier nach und ein paar Wochen darauf war die junge Schaar, ohne dass ein faules Ei im Neste liegen geblieben wäre, lustig ausgekrochen. Anfangs sitzt der Hahn nur lose und schleicht sich beim geringsten verdächtigen Geräusche stille abseits biß die Gefahr vorüber ist, später sitzt er dagegen sehr fest und schnellt oft erst dicht vor dem Reiter zum grossen Schrecken des Pferdes empor. Es kann dies für den noch nicht zum vollständigen „Gaucho'^ gewordenen Euro- päer leicht unangenehme Folgen haben, denn wird er von dem bäumenden Gaule abgesetzt, so läuft dieser seinem Weideplatze zu, sprengt Sattelgurt und Zaum und der Reiter zu Fusse ist den Angriffen des wilden Viehes, welches aller Orten weidet, besonders der fetten Stiere und derjenigen Kühe, welche noch junge Kälber haben, ausgesetzt. Selbst sein Renommee leidet darunter, denn kömmt er auch glücklich bis zu einem Rancho, so werden ihn die braunen Gesichter höhnend anblicken , für sie giebt es keinen verächtlicheren Menschen als einen Fuss- gänger, und glaubt man ihm auch schliesslich sein Aben- teuer, so kann er doch sicher sein wegen seiner Unge- schicklichkeit im Reiten ausgelacht zu werden. Behält der Reiter Schluss, so sieht er, dass der Strauss im Aufspringen nicht schonend mit seinen Eiern verfahren ist, einige davon wird er zertreten haben, an- dere werden aus dem Neste geschnellt sein; dabei stellt er sich eine kurze Zeit gegen den Reiter mit ausgebreite- ten Flügeln und krausem Gefieder, wodurch er scheinbar noch einmal so gross wie gewöhnlich aussieht. Er be- 224 Böcking: sinnt sich aber bald und läuft im Zickzack und hinkend langsam weg, um die Aufmerksamkeit von seiner Brut ab auf sich hin zu lenken , wollte man ihm folgen, so würde er diese Verstellung bald müde werden. Es ist dies ein Kniff, den man sehr viele Vögel im Instinkt der Elternliebe anwenden sieht, und wahrlich sie werden an den denkenden Menschen nie vergebens appelliren. Das öftere Besuchen sieht er zwar nicht gerne, lässt sich selbst einzelne Eier fortnehmen, verlässt aber das Nest ohne wirkliche Zerstörung desselben nicht. Ein zweites Gelege, wenn das erste geraubt worden, findet nicht statt, und die Nester, welche nur drei bis sieben Eier enthalten, rühren stets von jungen Hähnen her, wel- che noch nicht mehr Weibchen zusammenbringen kannten. Ob einzelne Eier, welche der Mensch fortnimmt, durch andere ersetzt werden, kann ich nicht sagen, weil, wenn ich dieses selbst gethan, es an Orten geschehen ist, wo mir nachträgliche Beobachtungen nicht möglich waren. Gegen Stinkthiere, Beutelratten und Schlangen soll er seine Proles vertheidigen und sogar erstere tödten, ich habe aber ebensowenig je ein todtes Raubthier oder Reptil in der Umgebung seines Nestes bemerkt, wohl aber dicht daneben, also im Bereiche seines Schnabels, zerstörte „Guachos'* gefunden. Die Gauchos haben unter den vielen eigenthümlichen zu ihrer Lebensweise nothwendigen Kunstgriffen auch den, ein ganzes Straussennest seiner Eier zu berauben und dieselben, ohne dass ein einziges zerbräche, nach Hause zu bringen, ein Geschenk, welches von den hüb- schen „Chinas'"' stets mit Dank aufgenommen wird; ich theile dasselbe mit, weil es dem naturhistorischen Samm- ler vielleicht von Interesse ist. Der Gaucho legt die Eier mit deren Seiten neben einander auf den „Sobrepuesto^ die oberste dünne Decke seines Sattels, rollt dieselben dann in letzterem zusammen und schnürt den so gebil- deten Wulst mit Riemchen von rohem Füllenleder, welche er stets in den Taschen hat, um Schäden an seinem Reitzeug sogleich ausbessern zu können, so zusammen, damit zwi- schen die einzelnen Eier so viel Abstand kömmt, dass Monographie des Nandu. 225 sie sIcTi nicht berühren können^ legt sich das ganze gleich einem Gürtel dann um die ^veichen Hüften und bindet denselben vorne wieder mit „lonja de potro'^ zusammen. Auf solche Weise kann bei den 5 wildesten Bewegungen des Pferdes kein Ei zerbrechen und der Reiter bleibt voller Herr seiner Bewegungen. Mit Anfang Februar erscheinen die ersten jungen Nandu^ im Norden früher^ im Süden später. Sie sind nach zwei Wochen schon IV2 Fuss hoch und sehn in ihrem gestreiften Flaumkleide niedlich aus. Den dritten, vierten Tag nach der Geburt ist bereits kein Mensch mehr im Stande sie im freien Felde einzuholen, vorher ist dies möglich, aber schon schwierig und muss man acht haben dieselben nicht todt zu treten, weil sie, wenn beinahe erreicht, sich plötzlich platt an den Boden drücken. Sie folgen dem Vater ungefähr fünf Wochen lang in die ge- schütztesten Orte des Reviers, besonders gegen Abend hört man in den Cardales dann ihr Locken, und nach und nach gesellen sich auch die Weibchen wieder dazu. Im Herbste, also April und Mai, hat der junge Ave Struz sein Flaum- kleid schon mit einem Federkleide vertauscht, welches aber noch schmutzig gelbgrau ist. Das Gefieder der Alten sieht aus einiger Entfernung schön bläulichaschgrau aus und wird dasselbe zu der Zeit gewechselt, wo die jungen im Flaum herumlaufen. In einem Trupp junger Individuen lassen sich schon sehr bald die jungen Hähne an ihrem stärkeren Wüchse unterscheiden; und, merkwürdig genug, in jeder jungen Heerde findet man einzelne verkümmerte Individuen. Ich konnte nicht erforschen, ob dies Junge aus mangelhaft gebildeten Eiern waren, oder während des Brütegeschäfts durch irgend einen unglücklichen Zufall im Fötuszustande Einbusse erlitten hatten, ob sie durch Insekten verküm- mert waren, an denen das Gras überreich ist, oder ob sie durch ein Raubthier verwundet im Wüchse den Uebrigen nicht im Stande waren zu folgen. Die Thatsache steht fest, und ebenso, dass man nach dem Winter keine be- sonders auffallenden Grössenunterschiede mehr bemerkt, die Kranken haben dann also entweder ihr Siechthum Archiv f. Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 15 226 Böcking: überstanden, oder sind den „Temporales^ Winterstürmen erlegen. Besondere Grössen- und Farbenvarietäten oder Mon- struositäten sind mir nicht bekannt geworden, anch habe ich Nachts an den Lagerfeuern, wo oft Straussenjagden verhandelt und besungen werden, niemals von Kakerlaken gehört, nicht einmal Schecken scheinen vorzukommen, sonst wüssten die auf solche Merkmale äusserst aufmerk- samen Eingebornen, welche mehr als 300 specielle Be- nennungen für die Farben der Pferde haben, sicherlich davon zu berichten. Darwin's Nandu unterscheidet sich durch seine geringere Grösse und dichtere Federbedeckung von dem gewöhnlichen, er ist durch Nahrungsarmuth und Witterungsunbill (hat er doch kaum zwei Monate Zeit vom ebengebornen bis zum harten Winter) unter den Straus- sen geworden, was der Pescheref im Vergleiche zu dem muskelstarken und grossen Patagonier ist. lieber das Alter des Nandu lassen sich nur Schlüsse ziehen, nichts Bestimmtes sagen, will man die Lebens- dauer auf das Siebenfache seiner Entwickelung zum reifen Individuum annehmen, so kommen 14 bis 15 Jahre her- aus, und dies stimmt mit den Nachrichten, welche ich an Ort und Stelle eingezogen habe. Zur Winterszeit habeich öfters Strausse noch lebend im Camp liegend gefunden, welche keine Spur äusserer .Verletzung oder innerer Vergiftung an sich trugen, meine Peone sagten von ihnen: „que tenian las patas pasmadas de frio,^ dass sie die Beine erfroren hätten. So leicht dieser Fall bei plötzlichem Sinken der Temperatur ein- treten mag, so konnte dies an den eben berührten Bei- spielen dennoch keine Anwendung finden, weil eine solche Differenz der Thermometerstände nicht statthatte, und neige ich mich zu der Ansicht hin, dass dies alters- schwache Exemplare waren, welche ihrem Greisenthume erlagen. In der Thierwelt hat der Nandu so zu sagen keine Feinde, hier amd da wird ein Erwachsener die Beute des Cuguars, Aguarä's oder Simarons, oder ein junger wird von einem Adler oder Fuchse weggeschnappt, diese Fälle Monographie des Nandu. 227 sind aber bei seiner Waclisanikeit jedenfalls selten. Oefter trifft man seine Eier von einem Zorillo oder Comadreja ansgesoffen^ seine Hanptfeinde aber bleiben der Mensch und die Steppenbrände^ besonders die letzteren. Der Campbewohner sammelt ohne Rücksicht alle Nandueier; deren er habhaft werden kann^ der Mensch ist überall undankbar^ oft habe ich bei Pueperos und Ran- cheros Vorräthe von mehreren hundert Stück Eiern gese- hen. Ein einziges Ei ist an Substanz und Nährkraft 15 bis 20 Hühnereiern gleich zu achten, und gehören zwei gute Magen dazu ein ganzes, das Weisse mit dem Gelben, zu verzehren. Gewöhnlich öffnet man eine Spitze, giesst das Weisse, welches ziemlich grob schmeckt, ab, macht eine geringe Zuthat von Fett, Pimiente und Salz, kocht es dann in der eigenen Schaale unter stetem Umrühren, so giebt das- selbe eine kräftige und kräftigende Nahrung. Dies ist die gemeinste Art, wie die Eingebornen sie zubereiten. Um ein Ei im Wasser hart zu sieden, bedarf es guter 40 Mi- nuten, dies thun die Europäer meistens und gemessen es dann mit Citronensaft, weil es so gesunder und leichter verdaulich ist. Uebrigens ist es zu allen Küchenzw^ecken, zu welchen man Hühnereier gebraucht, ebenso dienlich. Die Eier halten sich nicht lange, gehen rasch inFäulniss über und platzen dann entweder mit einem Knall, oder das Innere vertrocknet und kleine dünne Würmer, w^elche man nach Aussen imd Innen durch die porösen Schalen circuliren sehen kann , fressen die organische Substanz heraus. In. dem leichten Luftzutritt ist auch jedenfalls diese schnelle Auflösung zu suchen; in Kalkwasser oder unter hermetischem Luftabschlüsse werden sie sich sicher länger (warum nicht selbst zu einem Transporte nach Europa?) conserviren lassen. Alle Zerstörung der Eier durch Menschen und Thiere ist jedoch nichts im Vergleiche zu der destructiven Ver- heerung durch das Feuer. Zur Zeit gerade, wenn die Vögel brüten, pflegen die Estancieros den Pasto an Ta- gen, wo frischer Wind weht, in langer Linie, und wobei die ganze Peonada mithilft, anzuzünden. Der Zweck 228 Böcking: dabei ist theils das vorjährige trockne , theils das noch zurückgebliebene nicht abgeweidete^ also . schlechte oder überflüssige Futter zu entfernen. Ich habe dies oft selbst gethan aus ökonomischen Rücksichten und in dem wenig bewohnten Innern sogar der blossen Jagd wegen, denn vor einem solchen ^^Quemazon'^ flieht Alles in die stets feuchten Niederungen, Cuguar wie Hirsch und Strauss. Für das Studium der Adler-, Falken- und Geierarten der Pampa ist das Feuer ebenfalls ein prächtiges Hülfsmittel, denn bei der geringsten Rauchwolke finden dieselben sich ein und schweben vor der Flamme her, reichlicher Beute gewiss; 'gegen den Wind brennt das Feuer nie so schnell, dass Gefahr für den Jäger wäre, und er hat hier Gele- genheit Thiere zu sehen, welche er ohne dies schwerlich erblicken würde, wie den schlauen Aguarä. Die Asche, welche nach einem solchen Feuer zurückbleibt, macht den Humus für die in wenigen Tagen wieder sich erhebende Vegetation löslicher , es werden viele nutzlose Pflanzon verbrannt, die nutzbareren, weil schnellwüchsigeren be- kommen das Uebergewicht und so ist es im Interesse des Landbesitzers, diese Manipulation jährlich zu wiederholen, er zerstört dadurch gleichzeitig massenhaft schädliche Thiere (Heuschrecken, Fliegen und Schlangen), aber leider auch alle Vogelnester. Wie viele solcher ihren Untergang finden, möge aus der Ausdehnung des Quema- zöns von 1854 hervorgehen. Das Feuer kam aus der Gegend des oberen Uruguay um die Wasserscheide zwischen den Flüssen Jacuhy und Ybicuy, in der brasilianischen Provinz Sau Paulo her, dehnte sich rasch bis an den unteren Theil der Laguna Dos patos und den Uruguay aus und brannte, durch keine menschliche Macht aufzuhalten, Flüsse, wie den Rio Negro überspringend, durch die ganze Banda oriental bis wenige Leguas von Montevideo, also auf mehr als fünfzehn Qua- dratbreitengraden. Solche ungeheure Feuer sind Gottlob selten, und existiren Reglerungsverbote gegen das soge- nannte Campbrennen, unter Androhung von harten Stra- fen, allein es geschieht dennoch immer wieder. Von Schmarotzerthieren des Nandu kenne ich nur Monographie des Nandu. 229 die „Agarrapata", Straiissenzecke^ eine ihm eigenthümliche Ricinus- Art ^ und ein wnrmförmiges Entozoon^ welches man zu jeder Zeit des Jahres bei ihm zwischen Haut und Muskelfleisch über seinen RijDpen und unter den Flügeln, in concentrischen Ringen, bündelförmig^ wie Suppennu- deln zusammengeballt findet, diese Würmer haben die Farbe des Straussenwildprets und fühlen sich beim Drücken an, wie die Luftröhre eines kleinen warmblütigen Thieres. Schaden richtet der Strauss , mit Ausnahme seiner Liebhabereien an weissen Rüben und Luzernklce, durch- aus nicht an, wohl aber ist er in mannigfacher Hinsicht nützlich durch das Verzehren vieler Lisekten, so wie verschiedener klettenartiger Samen, so lange dieselben noch grün sind. Die Abrojo und Caretilla sind solche Samen, und durch ihre Häufigkeit in manchen Gegenden für den Viehzüchter ein wahrer Fluch, sie setzen sich in Mähnen und Schweife der Pferde und das Vliess der Schafe, filzen sich durch die Bewegungen des Thieres darin fest und machen die Wolle dadurch total unbrauch- bar. Nicht selten führen sie den Tod des Thieres her- bei, der Reiz auf der Haut veranlasst dasselbe sich am ersten besten Gegenstande zu reiben und kömmt bei fort- gesetztem Scheuern Blut, so ist es verloren, Fliegen le- gen ihre Eier in die kleine W\mde, die Maden derselben „guganos^, fressen sich darin fest, neue Eier und neue Maden kommen hinzu und wenn nicht schleunige Hülfe geschafft wird, erliegt das gequälte Thier schon nach we- nigen Tagen. Wer einen einzigen Straussenmagen im December untersucht hat, weiss in welchen Massen der Strauss diese Samen verzehrt, und schon dieserhalb allein verdiente er die Schonung allgemein, welche man ihm von den denkenden Landbesitzern auch bereits angedei- hen lässt. Sein Wildpret ist grob wie Pferdefleisch und auch von der Farbe dieses, wird aber von den Indianern ge- gessen, die Europäer essen nur die Jungen, welche recht gut schmecken und von erwachsenen Exemplaren das den Flügelknochen umgebende Fleisch ; meinen Hühnerhunden warf ich oft Straussenfleisch vor, sie verschmähten es 230 Böcking: aber selbst beim gvössten Hunger und markirten niclit einmal die Fährte des Nandu. Schweine fressen dasselbe gerne, jedoch muss man vorher dann die Haut abziehen, weil, wenn sie Federn mit verschlucken, ihnen Gefahr daraus erwächst. Das Fett ist sehr reichlich und ölig dünnflüssig, es eignet sich frisch vortrefflich zum Küchengebrauche, hält sich aber nicht lange und ist, erst ranzig geworden, nicht einmal mehr tauglich zur Lederschmiere. Ueberhaupt hüte man sich selbst mit frischem zur Sommerzeit lohgah- res Sattel- oder Riemenzeug, welches der Sonnenhitze ausgesetzt werden muss, einzureiben, dasselbe wird rissig und brüchig darnach. Zum Fettgahrmachen frischer Thierhäute, worin die Eingebornen sehr geschickt sind, ist das Schmalz des Nandu dagegen das beliebteste. — Das Leder der Nandu hat, obgleich es ziemlich wider- standsfähig ist, in dem an Häuten so reichen Lande kei- nen Gebrauchswert!!, nur aus der Halshaut machen die Gauchos sehr weiche kleine Säcke zu verschiedenen Haus- zwecken. Aus den sehr biegsamen des Bartes entkleide- ten Federschäften fertigen die Knaben ihre Schlingen, mit welchen sie auf verschiedene Weise die Rebhühner (Tinamii, perdig grande j chice) fangen. Die Erwachse- nen flechten daraus sehr zierliche und starke Reitzäume, und die Frauen weben davon in allerlei Zeichnungen schöne Fussteppiche, welche sehr theuer sind. Wozu man die Federn in Europa gebraucht, ist allbekannt, der Preis in den diesseitigen Häfen variirt nach der Nachfrage, die gewöhnlichen grauen zur Fa- brikation der Staubwedel dienenden sind äusserst wohl- feil, die besten und längsten schwarzen wde w^eissen aber, die das Männchen allein liefert, sind stets theuer. Ein mir vorliegender Coursbericht Hävre 16. Juni 1859 ergiebt 10 pesos de plata für das spanische Pfund. Dem Naturfreunde gewährt der Strauss einen grossen Genuss, schon der alleinigen Beobachtung wegen, beson- ders in seinen Beziehungen zum wilden Indianer, zum rohen Gaucho, zum civilisirten weissen Menschen und zu den wilden und zahmen Thieren seiner Heimath. Monographie des Nandu. 231 Er ist feiner Beobachter und weiss sich nach den Umständen zu richten. Um die Wohnungen friedlicher Ansiedler, welche ihm Ruhe lassen, wird er so vertraut, dass er sich unter die an der „Palenka^ angebundenen Pferde und Milchkühe mengt und Menschen und Hunden eben gerade nur aus dem Wege geht. Er weidet da mitten unter den Heerden der Einwanderer unbekümmert und sorglos, selbst ein halbes Hausthier. So sehr er den Reiter meidet, so flieht er den Weissen, wenn derselbe nicht von Hunden gefolgt ist, höchstens ein Paar hundert Schritte und blickt demselben neugierig nach. Der Gaucho, der sich einzig und allein nur um seine Pferde und sein „Ganado'^ bekümmert, erweist dem Nandu und wenigen anderen grösseren Vogel -Arten die Ehre ihn „Ave" „einen wirklichen Vogel*^ zu nennen, wenn er sich collectiv ausdrückt , die übrige gefiederte Welt sind für ihn nur „Päjaro's", Sperlinge. Er jagt den Nandu häufig, und desshalb meidet derselbe jenen wo er nur kann und wendet alle ihm nur zu Gebote stehenden Listen an, der Aufmerksamkeit seines Feindes zu entge- hen. Man sieht den Nandu niemals um die Ranchos eines Eingeborenen, unter dessen Vieh nur in angemessener Entfernung, am häufigsten noch zwischen den Rudeln der scheuen „Venados'* (Cervus campestris), und man kann dann beobachten, wie bald das eine bald das andere In- dividuum beider Thiergattungen sichernd den Kopf empor- hebt, immer misstrauisch und beim leisesten Anscheine von Gefahr schnell wie der Wind beide zusammen nach einer Richtung hin entfliehen. Eine Horde Indianer flieht er als wenn der jüngste Tag anbräche in der äussersten Angst. Stunden weit läuft er dann gerade aus, theilt seine Bestürzung anderen Trupps mit, welche mitfliehen, Pferde- und Rinderheerden galoppiren auf ihren „Rodeo" zu, und fegt eine solche tolle Jagd an einer Grenzerwohnung vorbei , so flattert selbst das Federvieh wie vor 'einem Raubvogel auf und versteckt sich unter kläglichem Geschrei. Reisende und Colonisten kennen diese Anzeichen genau und nehmen ihre Vorsichtsmassregeln demgemäss. 232 Böcking: Spasshaft ist die Abneigung, welche der kleine Teru- teru (Yanellus ayanus) gegen den Strauss hat, obschon dieser ihm gewiss niemals ein Leid zufügt. Nähert sich nämlich ein Nandu dem Stande eines solchen Kiebitz- paares, so stossen diese auf ihn unter unaufhörlichem Geschrei, wie die Krähen auf einen Falken; eine Zeit lang amusirt dies den Riesen, indem er durch Seiten- sprünge und Flügelschwenken den Stössen ausweicht, bis er nach und nach der Hartnäckigkeit seiner kleinen Quäler nachgiebt und sich entfernt, nicht ohne von ihnen noch eine Strecke Weges höhnend verfogt zu werden. Die Jagd auf Strausse wird auf verschiedene Weise ausgeübt. Die Indios und Gauchos erlegen sie mittels der „Bolas'^, und hetzen sie durch Hunde, weniger der zu erlangenden Beute selbst wegen, als vielmehr um die Schnelligkeit und Ausdauer ihrer herrlichen Pferde und die eigene Geschicklichkeit in Handhabung ihrer Wurf- kugeln auf die Probe zu stellen. Zu solcher Jagd versammeln sich mehrere Reiter, die Bolas am Recado hängend, sie suchen unter Wind die Strausse auf und nähern sich im Schritte denselben so viel sie. können; werden die Thiere unruhig, so lösen sich die Jäger in eine Linie auf und das Rennen beginnt. Aus der Heerde sucht man ein Lidividuum zu trennen, und sobald dies gelungen, gilt diesem allein die Verfol- gung. Der Strauss, dessen gewöhnliche Schrittweite im Schritte 20—24 Zoll beträgt, lüftet dann die Flügel ganz so wie die Schwäne, wenn sie damit den Wind fangen, trabt scheinbar nachlässig, in Wahrheit aber schon 3V2 Fuss Terrain bei jedem Niedertreten gewinnend vorwärts, Hals und Kopf noch hoch erhoben. Sieht er, dass es Ernst wird, so greift er mit weit vorgestrecktem Halse aus und macht dann Sätze von 5 Fuss, wobei man der Geschwindigkeit seiner Bewegun- gen halber seine Beine nicht mehr erkennen kann. Oft weicht er plötzlich mitten im Jagen von der geraden Li- nie bis zu einem Winkel von 25 bis 30 Graden ab, wobei er einen Flügel hoch aufhebt und den andern andrückt, aber diese Listen helfen ihm wenig. In kürzerer Zeit als Monographie des Nandu. 233 die Beschreibung dieser Jagd erfordert, sind die Gauchos dicht hinter ihm und der Reiter, welcher dann seine linke Seite hat, schleudert ihm die Kugeln über, welche Hals und Beine zusammenschnürend ihn einem riesigen rollen- den Federklumpen ähnlich machen und durch die Gewalt des eigenen Laufes tödten. Es ist ein poetischer Moment, wenn in dem pfeilge- schwinden Laufe die Bolas fliegen, in der Luft einigemale umherwirbeln und das eine Secunde vorher noch so stolze schlanke Thier sich im Sturze fortwältzt Fehlt, was selten geschieht, die eine Bola, so tritt ein anderer Reiter für den zurückbleibenden ein, und gelingt es dem Thiere nicht einen Sumpf zu erreichen, worin die Pferde stecken bleiben, oder ein Gebüsch, wo die Wurf kugeln am Strauchwerk hängen bleiben, so ist es jedesmal verloren. Als ganz kleine Knaben schon machen sich die Eingebornen Waffen ihren Kräften angemessen, und er- wachsen ist ihre Fertigkeit im Gebrauche derselben Stau- nen erregend. Auch nicht bloss die Menschen sind lei- denschaftliche Liebhaber dieser Wettkämpfe, sondern auch die Pferde, und sind mir dort zu Lande oft solche „Pa- rejeros^ zu Gesichte gekommen, welche beim Anblicke eines Nandu gleich im Galoppe ansetzten und beim Ver- folgen durchaus nicht zu pariren waren. Aus Freude an der Jagd, habe ich oft derartige Rennen mitgemacht und dabei beobachtet, dass der Nandu nicht eben wählerisch in der Richtung seiner Flucht ist ; ist Buschwerk in der Nähe, so nimmt er allemal seinen Lauf dahin, und in Sümpfe und flache Gewässer stürzt er sich unbedenklich. „Barancas^ (Erdrisse) und Bäche von zehn Fuss Breite überspringt er mit Leichtigkeit, wobei er einen Augenblick mit den Flügeln flattert, steile Ufer aber und tiefe Gewässer meidet er sorgfältig. Nie- mals habe ich, wie Pöppig dies behauptet, Nandu's schwimmen sehen, ganz im Gegentheile, alle Mühe, wel- che wir zum öftern uns in der Absicht gegeben haben, ihn mit Gewalt in einen tiefen wenn schon nicht breiten Strom zu jagen, war vergeblich. Er überwand eher seine Schüchternheit und durchbrach unsere Linie, als dass er 234 Böcking: sicli zu einem Schwimmversuch entschlossen hätte, oder auch nur bis an den Hals ins Wasser gegangen wäre. Das Vieh zeigt dem Reisenden, welcher an einen Fluss kömmt und keine Fuhrt darin kennt, stets dieselbe, er braucht dasselbe nur rege zu machen, und wo dasselbe durchgeht, können seine Packpferde ohne Schaden in den meisten Fällen nachgehen; der Strauss ist hierzu nicht zu gebrauchen, er weicht dem Wasser aus und niemals habe ich einen auf den unzähligen Inseln im Uruguay oder Parana gesehen, mochten dieselben dem Ufer auch noch so nahe liegen und der Wasserstand so niedrig wie möglich sein. Um den Nandu zu hetzen bedient man sich einer Blendlingsrace von grossen Metzger- oder Schäferhunden mit Windhunden. In dem hohen und dichten Grase müssen die Hunde gewölbtere Sprünge machen, als der Windhund bei seinen flachen und gestreckten Sätzen von Natur thut. Gebraucht man reine Windhunde zu dieser Jagdart, so werden dieselben bald buglahm, auch aus einem anderen Grunde taugen sie wenig dazu, weil sie nicht viel Geruchsvermögen noch Ortssinn haben, ihr Lauf sie aber nicht selten weit wegführt, wo sie sich dann verirren und entweder umkommen oder einer Rotte Si- marones (verwilderte Hunde) beigesellen und arge Schaf- räuber werden. Für den Unkundigen ist beim Hetzen auf Nandu's noch zu beobachten, dass man junge Hunde nie ohne Assistenz eines alten erfahrenen die ersten Male auf einen erwachsenen Strauss laufen lässt, weil diese Neulinge im Augenblicke des Greifens so von der Klaue des Strausses werden berührt werden, dass sie hintenüberschlagen und entweder sich beschädigen, oder so eingeschüchtert wer- den, dass sie für ihren eigentlichen Zweck leicht auf immer unbrauchbar bleiben. Bei der Erlegung mittelst Schiessgewehr habe ich beobachtet, dass die Achillesferse des Nandu sein Abdominaltheil ist, dort getroffene Thiere sind mir nie mehr entgangen. Im Allgemeinen ist er ein rauher Bursche und äusserst zählebig. Mit der Büchse angeschossenen Nandu's liabe ich Monographie des Nandu, 235 oft noch leguawelt nachreiten müssen, ehe ich ihrer hab- haft werden konnte, es scheint, dass die Kugel auf dem, dem äusseren Anscheine nach lockeren Gefieder, dennoch abmattet oder abgleitet; besonders meine ersten Versuche, wo ich auf den Schultertheil visirte, liefen aus diesem Grunde und dann auch, weil in diesen endlosen Ebenen mein Auge noch nicht an eine richtige Distancenschätzung gewöhnt war, sämmtlich unglücklich ab. Tage lang nach- her fand ich von meinem Wilde bloss noch die herum zerstreuten Federn, welche die Füchse und Aasgeier übrig gelassen hatten. Später versuchte ich es mit grobem Schrot und hier bemerkte ich, dass der Erfolg wirksa- mer w^ar. In entfernten Gegenden, wo der Nandu selten Men- schen zu sehen bekommt, ist er zwar scheu vor dem Reiter, nicht aber vor dem Fussgänger, den er ebenso wie das Venado gar nicht zu kennen scheint, und hierauf basirt sich eine eigenthümliche Jagdmethode. Hat der Jäger eine Heerde Strausse über dem Winde, so kriecht derselbe auf Händen und Füssen möglichst unbemerkt durchs Gras so nahe an sie als er kann, dann setzt er oder legt sich auf den Bauch, schwenkt mit einem Tuche, welches er an den Ladestock gebunden, einigemale hin und her, bis er sieht, dass die INandu's aufmerksam dar- auf geworden sind, dann w^artet er das Gewehr im An- schlag ruhig den Erfolg seines Manövers ab. Der Strauss ist äusserst neugierig, er kann der Verlockung nicht wi- derstehen, sich von der ihm unbekannten Erscheinung persönlich zu vergewissern ; sein Misstrauen bleibt aller- dings stets wach, aber die Neugierde überwiegt; bald wird der Jäger die ganze Gesellschaft, den Hahn voran, mit langen Hälsen und vorsichtig auftretend als fürchteten sie Geräusch zu machen, sich nähern sehen. Dabei gehen sie hin und her, bleiben kurze Pausen lang stehen, weiden selbst, aber wenn der Schütze die Geduld nicht verliert, so werden sie ihm, der Wind müsste denn umspringen und ihn so verrathen, bis vor die Flinte kommen. Fällt auf den Schuss einer aus der Compagnie und zappelt noch, so umspringen die üebrigen ihren verenden- 236 Böckiiig: den Cameraden unter den sonderbarsten Capriolen y als wenn sie Zuckungen in Flügeln und Beinen hätten, noch eine Weile, so dass der Schütze Zeit hat einen zweiten Schuss abzugeben wenn er will. Hat hingegen auf den ersten Schuss einer der ande- ren Blei mitbekommen, so reisst er aus und alle folgen. Der Knall an und für sich erschreckt sie gar nicht, denn hat man total gefehlt, so fliehen sie nicht nur nicht, sondern kommen noch näher, bis sie den Menschen er- kannt haben. Der verwundete Strauss folgt seinem Rudel so lange er dies vermag, schlägt sich dann aber abseits und veren- det allein. Ein sogenanntes Zeichnen nach dem Schusse, woraus man an den Körperbewegungen sogleich auf die etwa getroffene Stelle schliessen könnte, habe ich nie bemerkt, wohl aber, dass letal getroffene Individuen gleich als wenn ihnen nichts fehle, mit den gesunden flüchteten und erst nach einiger Zeit plötzlich zusammenbrachen. Jung eingefangen, wird der Nandu äusserst zahm und ist er so als halbes Hausthier allerorten in seiner Heimath zu sehen, man sperrt ihn nie ein, denn wenn er sich auch einmal entfernt hat, vor Abend ist er immer wieder da. Mir brachte einst ein Peon vier Stück, welche er so eben gefangen hatte, sie mochten zwei Tage alt sein, ich sperrte dieselben in eine Kammer und hier liefen sie laut rufend mit dem Kopfe wider die Wände , so dass ich nicht übel Lust hatte, sie der Freiheit wiederzugeben. Am anderen Morgen aber war ihre Wildheit schon voll- ständig gebrochen und kamen sie mir, als ich ihnen eine Straussenhaut vorhielt, entgegen. Sie pickten das gehackte Fleisch, welches ihnen vorgestreut wurde, gierig auf und wurden äusserst zahm, folgten mir, wenn ich zu Fusse war, überall hin, selbst wenn ich ums Haus herum Reb- hühner jagte und gewöhnten sich an fast alles Essbare ; frisches rohes Fleisch zogen sie aber jedem anderen Fut- ter vor", und als sie einmal die „Dispensa'' (Fleischkam- mer) kennen gelernt liatten, musste ich die Fenster der- Monographie des Nandu. 237 selben enger vergittern lassen, um ihren Diebereien zuvorzukommen. Mit dem zahlreichen Federvieh jeder Gattung lebten sie im friedlichsten Einvernehmen ; oft lagen sie mitten unter den Hunden, um sich wie diese zu sonnen, wenn eine kalte Nacht gewesen w^ar, auch liessen sie sich von einem zahmen Papageien geduldig so lange das Gefieder krauen, bis dieser einmal einen gebissen hatte. Von da an mieden sie ihn und wichen aus, w^enn ich denselben auf der Hand hatte, auch liebten sie es nicht, wenn die Menschen sie mit den Händen anfassten. Zahme Nandu's muss man nicht ins Haus gewöhnen ihres Unrathes wegen und weil sie mit Allem was zer- brechlich ist w^enig schonend umgehen. War ich von Hause abwesend, so genügte es zwei Stäbe auf zwei und drei Fuss Höhe quer in der Thüre zu befestigen, um sie vom Eintritte abzuhalten. Zahme Nandu's haben, wie die Rabenarten, Liebhaberei an glänzenden Sachen, sie ver- schleppen dieselben um damit zu spielen, verschlucken auch wohl Glasknöpfe, w^elche sie im Kehricht finden, verstecken aber nie etwas, sondern lassen alles fallen, was ihr Interesse nicht mehr hat, wo dies gerade ist. Ihre Vermehrung im zahmen Zustande ist in ihrer Heimath sicher, zum Nestbau kommt es dabei allerdings nicht, w^eil man ihnen die nöthige Buhe nicht lässt und die Eier gleich fortnimmt, sie legen desshalb nur „Gu^- chos'^, würden aber unzweifelhaft bei gehöriger Vorsorge naturgemässe Reproduktion der Species liefern. In europäischen zoologischen Gärten habe ich kein Exemplar gesehen, Avelches seine normale körperliche Entwickelung erlangt hätte, wahrscheinlich unzureichen- den Futters wiegen. Wollte man einen ernsten Versuch der Acclimatisirung in englischen Parks machen, so würde dieser sehr wenig Ausgaben verursachen und, falls er gelänge, unsere eingebürgerten Thiere um ein schönes und nicht wie so manches andere eingeführte Geschöpf, ganz nutzlose, vermehrt werden. Climatisch ist die ganze südliche Hälfte von Europa der südlicheren Verbreitung des Nandu in seiner Heimath gewiss sehr ähnlich. Der 238 Böcking: VersTicli wäre in grösseren Gehegen leicht gemacht und gelänge seine Vermehrung darin^ so bekämen "wir viel- leicht eine Yarietas: Rhea europaea^ welche unserem Dammwild das Monopol^ als Staffage zur Landschaft zu dienen^ streitig machen könnte ; und würde ein gemäste- ter Straussenkapaun auf der ausgesuchtesten Tafel nicht einen imposanten Braten abgeben? Erst seine Vermeh- rung bei uns gesichert, so würde die heutige englische Thierzucht und die französische Küche schnell beides erreicht haben. ^ Bei dem löblichen Streben unserer Zeit , fremde Nutzungsthiere bei uns einzuführen, wäre es wissenswerth generelle Zusammenstellungen und Ueb ersichten zu be- sitzen, welche es uns erleichterten, bei Verfolgung dieses Zweckes, der Natur ihre Geheimnisse abzulauschen. Sind Analogie des Climas und der Nahrung, wie dies allge- mein angenommen wird, die beiden Hauptfaktoren bei der Möglichkeit, Fremdlinge bei uns reproductiv anzu- siedeln? Eine Gegenfrage möge dazu beitragen, dies Problem seiner Lösung zuzuführen ! Meine Rhea euro- paea wird vielleicht einst Nutzen davon haben. Als ich noch im Lande der Strausse war, machte einer meiner Freunde den Acclimatisationsversuch Fringilla canariensis und domestica um seine Wohnung herum anzusiedeln. Der Ort war wie dazu gemacht und das Clima dasjenige der canarischen Liseln. Die Vögel lebten in voller Frei- heit, der Canarienvogel hatte sein Bosquet und die ihm von der Natur zugetheilte mehlige Körnernahrung rings in der Pampa, der Sperling piepte ums Haus imd zwi- schen dem Geflügel auf dem Miste herum und hielt sich drei Jahre daselbst; aber Nachkommen hatte keiner er- zielt. Die Hänflinge verloren sogar im zweiten Jahre ihren Gesang. Der Versuch war eben wie alle von so vielen schon vorher in der Stube angestellte misslungen. Was ist der Grund zu dieser Erscheinung? dass das Vaterland durch den Aequator und den ersten Meridian von der künstlich zu schaffenden Heimath getrennt, ist kein Grund. Alle Hausthiere und der Mensch selbst liefern in den südlich gemässigten Zonen der westlichen Monographie des Nandu. 239 Hemlspliäre den eclatantesten Beweis einer en gros schaffenden Natur; warum misslang' es bis jetzt stets den eifrigsten Naturfreunden daselbst als freundliche Erinne- rung an die alte Heimatli den Spatz um ihre Gehöfte zu haben^ oder die sonst fast über die ganze Erde verbrei- teten Rabenarten? Doch genug hiervon! Die Existenz des Strausses als Art wird in seinem Vaterlande trotz Verfolgung seitens des Menschen und trotz der Steppenbrände immer noch so lange gesichert sein^ als das Land in der jetzigen Weise als blosses Weide- land benutzt wird. So dünn bevölkert aber die Laplata- staaten auch noch sein mögen und so grosse politische Unsicherheit bis jetzt auch dort geherrscht haben mag, so ist doch bei den überreich gebotenen allseitigen Hülfs- quellen und bei dem üebergewichte^ welches von Anfang an bis auf unsere verkehrsschnelle Zeit das civilisirende europäische Blut gehabt hat, leicht abzusehen, dass ge- setzliche Ordnung die politischen Zustände daselbst bald consolidiren und die Einwanderung hiermit in Masse provociren muss. Bei einer Bevölkerungsdichtigkeit von noch nicht drei Seelen auf die Quadratlegua ist Viehzucht für den Grundbesitzer in der Pampa, vor Allem für den grossen, ein Geschäft , welches ihm im Vergleiche zum Preise seines Grundes und Bodens unverhältnissmässig grossen Gewinn einträgt, steigt aber durch eine stärkere Bevöl- kerung der Preis des Landes progressiv so fort, wie er seit den letzten zehn Jahren gestiegen ist, so wird der Ackerbau zur gründlicheren Ausbeutung zu Hülfe genom- men werden müssen. Ist dieser nicht ferne Zeitpunkt erst gekommen, dann fahre wohl Nandu I Wie die Ori- gines menschlicher Race wirst du nur mehr ein Asil auf den entfernteren und werthloseren Landstrichen finden, man wird dich immer mehr und mehr restringiren, bis dich unsere Enkel einst auf der allerwerthlosesten Qua- dratmeile, vielleicht wie den Wisent im bialowitzer Walde, als naturhistorisches Curiosum noch so lange hegen, bis 240 B ö c k i n g : irgend eine Catastroplie deinem Geschleclite ein scKliess- liches Ende macht. Wenn der Pflug einst als Haupternälirer des An- siedlers den tausendjährigen Grashumus deiner Heimath umwühlt, dann ist deine Zeit gekommen, für den iVcker- bau ist dein Magen und Fuss zu gross, dein persönlicher Nutzungswerth zu klein. Jahrhunderte mögen vielleicht noch darüber hingehen, und ich weiss nicht, ob mein Wunsch den Augenblick beschleunigen oder ferner rücken soll, dein Geschick aber ist bestimmt, dein Untergang gewiss, mit Civilisation und Cultur verträgst du dich nicht, wenn deine Natur sich nicht der Dienstbarkeit unter die Herrschaft des Menschen anbequemen kann. Die Diluvialschichten der Pampa -Ebenen sind das Grab vieler Geschöpfe früherer geologischer Perioden, deren Untersuchung bis jetzt nur erst oberflächlich statt- finden konnte, das Land ist noch zu wild, unter den bis jetzt bestimmten fossilen Ueberresten ist der Nandu noch nicht aufgeführt, auch habe ich selbst ihn an mir zugäng- lich gewesenen Fundorten von Versteinerungen nicht an- getroffen. In den abenteuerlichen nur improvisirten nicht überlieferten (wenigstens was die Form angeht) Gesängen, welche die Gauchos zum eigenen Ruhme oder zur Ver- herrlichung irgend eines berühmten Helden 'der „cam- pana" Abends zur Guitarre singen, spielt der Nandu oft eine Rolle. Bald hat er den „Guapo'^ beim Verfolgen in weite Ferne verführt, woraus erst nach langer Zeit Rückkehr möglich war, oder er hat ihn auf jene trügerischen grünen Teppiche verlockt, die lachend den Tod in der Tiefe ver- bergen und wovon ihn nur mit genauer Noth die Tüch- tigkeit seines Pferdes errettet hat ; oder er verleitete auf Veranlassung eines beliebigen Santo einen bösen Gaucho bis an den Rand einer „Barranca," wo es diesem nicht mehr möglich war umzukehren, er also herabstürzen musste und das von Rechtswegen. Dann und wann, aber selten, thut die „purisima Virgen^ oder der „poderoso San Ramon^ ein Mirakel und lässt zu einer Zeit, wo es Monogi'aphie des Nandu. 241 sonst deren keine giebt^ einen armen Schelm ein Straus- sennest neben sicli finden^ um ihn^ da er mit dem Pferde gestürzt und ein Bein gebrochen bat, vor dem Verhun- gern zu retten. Auch in den Ortsbenennungen findet man den in- dianischen wie spanischen Namen des Nandu öfter wieder und dann ist gewöhnlich auch in roher Ausführung eine Feder oder Klaue oder der Kopf des Strausses die ange- erbte Marke, welche, als heilig gehaltenes Symbol des Eigenthums, der Estanciero seinen Pferden oder Kühen aufbrennt. Und nun lebe wohl, geneigter Leser! Im Leben ist alles nur durch Vergleich mit anderem gross oder klein. Einst schoss ich auf einem Stande einen Strauss und einen Colibri, letzteren befestigte ich mit einer Stecknadel an meinen Hut wie einen Käfer, und ersterer reichte, als ich ihn zu meinem Gaul schleppte, mir mit seinem Kopfe vorne an die Kniee und berührte mit seinen Beinen noch hinter mir den Boden. Stelle nach Durchlesung meiner Zeilen keine Ver- gleiche an ! Was ich beabsichtigte, war. Dir meine Beob- achtungen, welche ich an Ort und Stelle über die Rhea zu machen Gelegenheit hatte, mitzutheilen. Hast Du eini- ges Dir vorher Unbekanntes darin gefunden und verwirfst meine Arbeit nicht ganz, so macht mir dies Freude I !> Besseres und Anschaulicheres über denselben Ge- genstand findest Du in: Hammer: Ann. du Mus. XIL 1808. p. 427—433. Cuvier: K. anim. PL IV. fig. 5. R. anim. ed. ill. Ois. PL 67. fig. 2. Gould: Proceed. of the zooL Soc. 1837. p.35, Gray: Gen.* of birdsJPI. CXXXVIIL Arohiy f. Nalurg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 16 lieber eine Brachiolaria des Kieler Hafens. Von Dr. y. Hensen. Nachfolgende BeobacKtungen vom Sommer 1862 er- laube ich mir zu veröffentlichen ; sie sind noch unvollstän- dig ; einen Abschluss darin zu machen soll zwar in diesem Jahre versucht werden, steht aber nicht in sicherer Aus- sicht. Die Detailbeobachtungen halte ich vorläufig zurück. Anfang Juni geriethen in das dichte Netz sehr häufig junge Formen einer Bipinnaria, welche durch die Schönheit ihrer Färbung und Gestalt, bald auch durch ihre bis 0,11 Zoll gehende Grösse meine ganze Aufmerk- samkeit erregten. Schon am 18. Mai hatte ich kleine kuglige Thiere gefunden, welche aus einer mit etwas sternförmigen Zellen versehenen Gallertkugel und einer diese einhüllenden blasscitronengelben wimpernden Zel- lenschicht bestanden. Von letzterer ging an einer Stelle ein langer mit geschwollenem Knopfe versehener Zellen- zapfen in die Gallertmasse hinein. Damals wusste ich diese Thierchen gar nicht unterzubringen, trotz dem, dass ich sie oft und genau untersuchte. Sie zogen nämlich die Aufmerksamkeit durch ihre zellige Gallertsubstanz sehr an, denn dieselbe hatte nur sehr wenig Zellen, aber ich beobachtete, dass von dem Zapfen aus sich Zellen vor- buchteten und in die Gallertsubstanz hineindrängten, zu- letzt nur noch durch einen langen Faden mit dem Zapfen in Continuität stehend. Während dieser, wiederholt ge- machten, Beobachtung, die nie länger als V2 Stunde ge- lang, änderten auch die anderen Zellen der ^Gallertsub- stanz ihren Platz und ihre Gestalt. Letzteres Verhalten ist, meine ich, für die Zellen der Medusengallerte schon beobachtet und jedenfalls leicht auch bei diesen zu con- Hensen: lieber eine BracMolaria des Kieler Hafens. 243 statiren^ die Loslösung aber der Zellen von der Epitbel- schicht schien gerade von Gewicht mit Rücksicht auf die Genese der Gallertscheibe Jener. So kam es, dass ich eifrig jüngeren Formen nachspürte die etwa zellenfreie Gallert- substanz hätten, aber die Kugeln wurden überhaupt immer seltener und statt dessen traf ich auf kleine Bipinnarien noch ohne Wimpel von derselben Färbung, namentlich der Wimpersäume, und mächtiger Gallertsubstanz mit reichlichen sternförmigen Zellen. Damals dachte ich gar nicht an einen Zusammenhang dieser beiden Thierformen und habe wohl deshalb keine Uebergangsstadien gefunden, doch glaube ich, wenn ich alle Umstände und die betref- fenden Beobachtungen Anderer in Betracht ziehe, nicht zu irren, wenn ich beide Formen auf einander beziehe. Doch die Sache hat kein grosses Gewicht. Die schöne Bipinnaria nun verfolgte und zeichnete ich zu meiner Uebung, indem ich mich zugleich eifrigst nach dem muthmasslichen Urheber derselben umsah. An den Thieren entwickelten sich allmählich zehn Wimpel, die Wassergefässe verschmolzen oberhalb des Schlundes und höhlten den Körper mehr und mehr aus, aber noch immer legte sich der Seestern nicht an. Da bemerkte ich, dass an der Spitze des vorderen Flimmersaumes ein besonderer etwas dunklerer Fleck entstand, und dass auf dem oberen Rande der obersten Wimpel eine Yerwulstung auftrat. Bald wuchsen an die- sen drei Stellen rundliche Arme mif elf Höckern an ihrer Spitze hervor, vom Aussehen wie diejenigen der älteren Brachiolarien von Joh. Müller^), während die Körper- wand zwischen dem ersten einer- und den beiden anderen Armen andererseits eine tiefe Einbuchtung bildete. Im Grunde dieser Bucht entstand nun eine dunkle Platte und nachdem diese gebildet war, bog das Thier beim Schwim- men sein Vorderende so stark zurück, dass die Einbuch- tung ganz verstrich und jene (auch von Müll er gezeich- nete Platte) das Yorderende des Thieres bildete. Zwischen der früheren Spitze und dieser Platte hatte sich noch der 1) Abhandlungen der Berliner Akademie 1848. Taf. IIL 244 H e n s e n : Wimpersaiim erhalten, war aber durch 3 — 4 kleinere Höcker unterbrochen, so dass unsere Form in dieser Be- ziehung mit der merkwürdigen Brachiolaria von Messina ^) eine gewisse Aehnlichkeit hatte. Jedenfalls war so viel klar, dass unsere Bipinnaria zu einer Brachiolaria sich umgewandelt hatte, und zwar zu einer solchen, die sich sehr nahe an die von Joh. Müller im Sunde beobach- teten Formen anschliesst. Das ganze Thier hat unter seinem Epithel Muskulatur und zieht sich auf Berührung klumpig zusammen, es könnte wohl sein, dass darauf die Unterschiede in Form und Haltung der Thiere von Joh. Müller und mir sich zurückführen Hessen. Die charakteristischen Höcker und Platten tragen auf ihrer Spitze feine, steife und unbewegliche Häärchen, von jener Art, wie sie ähnlich jetzt schon von so vielen niederen Thieren als nervöse Apparate beschrieben wer- den, die Platte tritt nicht in Beziehung zum Wassersystem und es dürfte nichts im "Wege sein, die ganze Bildung als Sinnesapparat des Thieres aufzufassen. Für den Fall läge gar nichts besonders Wunderbares in der Metamorphose der Bipinnaria in eine Brachiolaria, dass aber dieselbe faktisch geschieht, scheint doch unzweifelhaft. Ich habe nämlich während des Juni fast täglich diese Thiere beob- achtet und erstlich in unserem larvenarmen Wasser wäh- rend der Zeit nie eine zweite Larve von Echinodermen gefunden, dann aber hat nie eine der Bipinnarien die Anlage des Seesterns gezeigt, während ich andererseits nie kleine Brachiolarien ge- sehen habe. Dass es Bipinnarien giebt, die den Stern entwickeln, ist ja völlig gewiss, aber das müssen eben andere Genera sein. Kehren wir nun zur Verfolgung unserer Brachiolaria zurück. Gleichzeitig mit der Entwicklung der Arme legt sich schräg zur Medianebene der Seestern an; es ent- wickeln sich abgerundete Saugfüsschen und eine fünfstrah- lige Scheibe, die bald auf sich vier Wärzchen entwickelt^ gleichzeitig erscheint das Netz von Kalkstäbchen. Er- 1) Joh. Müller Abhandl. d. Berl. Akad. 1854. Taf.LX.Fig.8. üeber eine Brachiolaria des Kieler Hafens. 245 wähnt mag werden, dass gerade über dem Eintritte des Oesophagus in das Thier ein Herzschlauch 5—6 Mal in der Minute pulsirt. Die letzten Stadien, die ich an der Larve sah, zeigten, dass auch auf der Rückenfläche des Sterns sich kleine Wärzchen entwickelten. Dann fand ich, nachdem die ältesten Larven einige Tage gehalten waren , am Boden der Schüssel festhaftend ganz junge freie Sterne ohne Larvenreste, oder doch nur mit einem hervorhängenden Stück des Oesophagus versehen, die un- zweifelhaft zur Brachiolaria gehörten ; von diesen habe ich nur noch notirt, dass ihre Unterfläche durch eine grosse Menge von Saugfüsschen ganz dicht besetzt war. Dauern- des Unwetter schnitt plötzlich jede weitere Beobachtung ab. Wir dürfen billig fragen, zu welchem Thiere gehört unsere Brachiolaria? Meyer und Möbius^) berichten in ihrem Ueb erblicke der Kieler Bucht nur von Astera- cathion rubens, die zoologische Sammlung besitzt aus un- serem Hafen nur diesen Seestern, ich habe sehr viel ge- fragt, gefischt und von einem intelligenten Bootführer fischen lassen, um einen zweiten Seestern aufzufinden, aber trotzdem, dass keine Terrainschwierigkeiten vorhanden waren, alles ohne Erfolg. Andertheils war die Bipinnaria in grosser Menge vorhanden, ich habe davon an einem Waschstege der Stadt -), an dem ich stets fische, oft über 40 in einer Viertelstunde fangen können und habe sie wäh- rend der langen Zeit eines Monats nie dort vermisst. Es war im Jahre 1856 meine ich, da fischten mein Freund C. S e m p e r und i ch an derselben Stelle im Spät- herbste regelmässig einen Pluteus ; die Thiere sind sehr klein, so dass über ihre Menge zu urtheilen schwer war, doch sind sie nicht so reichlich wie die Bipinnaria vor- handen gewesen. Die Thiere entwickelten sich ganz voll- ständig, was uns sehr wunderbar erschien, da wir von keiner Ophiure im Hafen wussten. Damals wurde von mehreren Seiten versichert, dass sie vom Sunde und Kat- tegat hierher getrieben würden. Später nun habe ich und 1) Troschel's Arctiiv f. Naturgeschichte 1862.1. 2) Der Schlosstreppe. 246 Hensen: lieber eine Brachiolaria des Kieler Hafens. ebenso Mob ins und Meyer Opliiolepis ciliata M. T., aber anch nur diese Opliiure in solcher Menge eine halbe Stunde von der Stadt entfernt angetroffen, dass jeder Qua- dratfuss des Bodens fast eine Ophiure beherbergen muss. Es ist zu bemerken, dass im Spätherbste 1856, wo wir fast jeden Abend fischten, im Ganzen auch 2 — 3 Seeigel- larven vorkamen. Auch ein Seeigel findet sich ganz vereinzelt im Hafen. Ich glaube an Strömungen, welche auch nur vom hohen Meere her bis an die Oberfläche des innersten Theiles unseres Hafens Tag für Tag bei Ost- und West- wind die jüngsten Bipinnarien wie die ältesten Brachiola- rien, die sich wegen des Gewichtes ihres Sterns kaum noch oben erhalten können, in grosser Menge hineintrei- ben, durchaus -nicht. Dass ein zweiter Seestern sich hier im Hafen in nur irgend nennenswerther Menge finde, ist wirklich, wie die Sachen jetzt liegen, gar nicht anzuneh- men, es bleibt nur übrig zu glauben, dass der Asteracan- thiön sich in zwei Weisen fortpflanze. Wie das nun ist, wird sich hoffentlich noch aufklären, doch will ich auf Fol- gendes aufmerksam machen. Es ist gewiss eine höchst aufiallende Thatsache, dass nach Koren und Danielsen ^) Pteraster militaris nur 8 — 20 Junge zeugen, während doch sonst bei den niederen Thieren, und irre ich nicht, auch bei den Echinodermen die Brut sich zu Tausenden zählt. Ferner ist es doch wohl sehr bemerkenswerth, dass Opidolejpis sqiiamata nach Schnitze lebendig gebärt, während unser Pluteus doch wohl nur auf Ojphiolepis ciliata zu beziehen ist. Gar gerne hätte ich in dieser Beziehung direkte Beobachtun- gen gegeben, aber Anderes hat mir alle Zeit dazu geraubt. Schliesslich will ich doch noch erwähnen, dass eine direkte Vergleichung sehr kleiner Asteracanthien keinen Unterschied in der Form der Höcker und der Anordnung der kleinen Kalkstrahlen von den Brachiolariasternen er- geben wollte. Kiel, den 31. Januar 1863. 1) Fauna litt/ Norweg. II. lieber die Zusammensetzung des Kopfes und die Zahl der Abdominalsegmente bei den Insekten. Von Prof. H. Schaum. (Aus The Annais and Mag. of nat. bist. 1863. no. 3 vom Verf. übersetzt.) (Hierzu Taf. XI.) Die Ansicht, dass der Kopf der Arthropoden aus einer Anzahl von Segmenten zusammengesetzt ist, hat bei den englischen vergleichenden Anatomen besonders durch Huxley's embryologische Untersuchungen ^) Eingang gefunden. Ich beabsichtige hier auf einige Thatsachen hinzuweisen, die mit dieser Annahme nicht wohl verein- bar sind. Mit Rücksicht auf die grösste Zahl der Anhänge, die am Kopfe der Podophthalmen Crustaceen angebracht sind, nimmt Huxley an, dass sechs Segmente bei den Arthropoden in die Bildung des Kopfes eingehen, von denen das Iste die Augen, das 2te und 3te die beiden Fühlerpaare, das 4te bis 6ste die drei Kieferpaare (deren drittes bei den Insekten zur Unterlippe verwachsen ist) trägt. Für die Insekten reducirt er die Zahl auf fünf, da hier nie mehr als ein Fühlerpaar vorhanden ist. Bei der Darlegung der Gründe, die gegen diese Auffassung sprechen, gehe ich, indem die Behauptung, dass jedes Paar beweglicher Anhänge auf ein besonderes Segment zurückzuführen sei, erst zu beweisen ist, nicht 1) On the agamic reproduction and morphology of Aphis. Trans. Linn. Soc. XXU. p. 229 sq. 248 Schaum: ] von dem Kopfe der Crustaceen mit der grössten Zahl : bewegliclier Anhänge^ sondern von dem Kopfe der In- sekten aus^ weil unter den Arthropoden nur bei den In- i sekten der Kopf einen Abschnitt des Körpers für sich l allein bildet. Bei den Myriapoden und Crustaceen ist ein Theil des Thorax (bei Isopoden, Amphipoden) oder i selbst der ganze Thorax (Decapoden) mit dem Kopfe zu einem Abschnitte verschmolzen^ und bei den Arachniden existirt ein selbstständiger Kopf gar nicht. ] Am Kopfe der Insekten treten fünf Paare von An- hängen auf^ wenn wir mit Rücksicht auf die beweglichen ^ Augen der Podophthalmen die festsitzenden Augen als i Anhänge des Kopfes betrachten, die mit den Fühlern und Maxillen auf eine Linie zu stellen sind. Man könnte zu- S nächst, da der zweite und dritte Thoraxring den Beweis j liefert, dass dasselbe Körpersegment ein Paar Anhänge j an der Rücken- und ein anderes Paar an der Brustfläche tragen kann, die Augen und Fühler für die Rückenanhänge ^ derselben Segmente halten, deren Brustanhänge wir in ■ den Kiefern vor uns haben. Wir würden auf diese Weise ' zu drei Segmenten des Kopfes gelangen, die in der That ; auch von manchen Forschern angenommen werden ^). ! Huxley hat aber aus seinen Beobachtungen über die ; embryonale Entwickelung von Aphis den Schluss gezo- • gen, dass sowohl die Augen als die Fühler nicht tergale, ' sondern sternale Anhänge des Kopfes sind. Ein schwieri- geres Objekt, um diese Thatsache zu ermitteln, dürfte aber \ kaum zu finden sein, als gerade die Gattung Aphis, deren " Entwickelung fast ganz eine embryonale ist, insofern sie nach den Auskriechen fast gar keine Metamorphose mehr , durchmacht, und bei der die Stirn und selbst der Scheitel ganz nach unten umgebogen sind, und geradezu die untere \ 1) Die Oberlippe ist hier gar nicht in Betracht gezogen) weil Brulle's Annahme (Ann. de scienc. nat. 1844. p. 345), dass sie als ein verwachsenes über den Mandibeln liegendes Kieferpaar aufzu- fassen sei, durch Huxley's Beobachtung (a. a. 0. p. 2o2, q), dass sie sich in der Mittellinie des Körpers entwickelt, als völlig wider- legt zu betrachten ist. üeber d. Zusammensetzung: d. Kopfes b. d. Insekten. 249 Fläche des Kopfes einnehmen. Wie ist es bei einem solchen Embryo festzustellen^ welches der Tergal- und Sternaltheil der b eiden S egm en te ist, die nach Huxley vor dem Munde liegen sollen? Ohne aber hier weiter auf die Frage einzugehen, ob die Augen und Fühler tergale oder sternale Anhänge sind, ist die Annahme an sich, dass jedes Paar von Anhängen der Exponent eines Segments ist, mit den Thatsachen nicht vereinbar. Es ist ein ganz allgemeines Gesetz, dass die Insekten das Ei mit der vollen Zahl ihrer Segmente ver- lassen, und dass dieselbe sich nie während des Wachs- thums oder der Metamorphose vermehrt, während umge- kehrt einige Segmente des Hinterleibes am vollkommenen Insekte verschwinden können. Eine grosse Zahl von Lar- ven verlässt aber das Ei ohne Augen, einige selbst ohne Fühler und Mundtheile, mit einem Kopfe, an dem nicht eine Spur einer Abtheilung in Subsegmente zu erkennen ist. Wie können in diesem Falle die sich erst während des Puppenstadiums bildenden Augen, Fühler ^) und Mund- theile als Anhänge besonderer Subsegmente aufgefasst werden, die im Larvenstadium so wenig als sonst nach- weisbar waren? Und wie ist das Auftreten der Ocellen zu erklären, die, wie die Flügel der Insekten, erst im Imago-Zustande erscheinen, die aber nicht, wie jedes der Flügelpaare , an einem besonderen bereits existirenden Segmente sich ausbilden? ^) Die Abdominalsegmente der Juliden liefern weiter einen Beweis, dass dasselbe Seg- ment mit mehr als einem Paare selbst ventraler Anhänge ausgestattet sein kann. Man hat diese Thatsache mit der Annahme entkräften wollen, dass hier je zwei Segmente zu einem verschmolzen sind, aber keine Beobachtung über die Bildung dieser Segmente während des Wachsthums 1) In diesem Falle sind die Augen und Fühler ganz bestimmt Tergal-Anhänge. 2) Auf die Ocellen der Larven und der Myriapoden, die in Mehrzahl an jeder Seite des Kopfes auftreten, nimmt die Ansicht, dass ein besonderes Augensegment bei den Arthropoden existire, gar keine Rücksicht. 250 Schaum: des Thieres begründet diese Theorie, Newporfs Beob- achtungen und Abbildungen beweisen im Gegentheile dass die neu dem Abdomen hinzutretenden Segmente von An- fang an zwei Beinpaare tragen und keine Theilung in zwei Subsegmente erkennen lassen. Wenn somit die Zahl der Anhänge nicht den Massstab für die Zahl der Segmente abgeben kann, so bleibt es festzustellen, was die Requi- site eines Segmentes sind, wenn wir die Zahl der in den Kopf eingehenden Segmente bestimmen wollen. Der Nach- weis einer queren Demarcationslinie in der Körperbedek- kung, wenigstens in den früheren Stadien der Entwickelung, ist jedenfalls die erste Bedingung für die Annahme eines Segmentes ; weitere sind, das-s es einen Ring bildet, der normal aus einem Rücken- und aus einem Bauchhalbringe zusammengesetzt ist, dass es eine besondere Gruppe von Muskeln, ein Ganglion der Bauchkette und etwa ein Stig- menpaar hat. Ein Ganglion braucht allerdings nicht für jedes Segment im Imagozustande, in dem die einzelnen Segmente sich zu grösseren Körperabschnitten vereinigen, nachgewiesen zu werden, aber bei den Larven mit homo- nomen Segmenten bildet das Nervensystem regelmässig eine den Segmenten entsprechende Ganglienreihe, und nur dem letzten Segment fehlt stets das Ganglion. Wenn nun thatsächlich keine Spur eines Einschnittes an der Haut des Kopfes in irgend einem Stadium der Entwicke- lung, keine verschiedenen Gruppen von Muskeln und nie mehr als ein Ganglion der Bauchkette im Kopfe (das Ganglion infraoesophageum) gefunden werden, so er- scheint der Schluss gerechtfertigt, dass der Kopf der Insekten nur aus einem Segmente besteht, zumal da wir bei manchen Käfern die Zusammensetzung desselben aus einem dorsalen und ventralen Halbringe nachweisen kön- nen, die in zwei tief eingedrückten, an der Kehle befind- lichen Linien mit einander verschmelzen. Die Anwendung derselben Kriterien auf die Crusta- ceen ergiebt, dass wir auch bei diesen nicht mehr als ein Kopfsegment anzunehmen haben, selbst bei Squilla nicht wo die Augen und inneren Fühler allerdings auf einer besondern beweglichen Platte angebracht sind, die als Ueber d. Zusammensetzung d. Kopfes b. d. Insekten. 251 Augensegment bezeiclmet wird, die aber keine wahre Analogie mit einem Segmente bat Wenn wir die festgestellten Requisite eines Segmen- tes im Auge bebalten, gelangen wir auch zu einem be- stimmten Resultate über die normale Zahl der Hinterleibs- ringe bei den Insekten, die ebenfalls in Huxley's Ab- handlung über die Embryologie von Aphis erörtert wird. Als dieses Resultat ergiebt sich, dass die Zahl der Hin- terleibsringe neun nie überschreitet. Bei den Insekten mit voUkommner Verwandlung wird dies schon durch die Thatsache bewiesen, dass keine Larve mehr als neun Hinterleibsringe hat ^). N ewp o r t (To d d's Cyclop.) und Westwood (Introd. to the modern classific. of insects I. p. 194 und II. p. 240) legen zwar den Larven der Hyme- noptera aculeata und der Maikäfer zehn Hinterleibsseg- mente bei, indem sie von 14 Körpersegmenten derselben (1. Kopf, 2.-4. Thorax, 5. — 14. Abdomen) sprechen, ebenso wie einige Lepidopterologen ein 14tes (Anal-) Segment der Raupen annehmen, es ist aber längst vonErichson und Stein ^) nachgewiesen, dass dieses vermeintliche zehnte Hinterleibssegment nichts Anderes als der nach aussen umgestülpte After und dem Nachschieber vieler Käferlarven, der nirgends als Segment betrachtet wird, analog ist. Da die Zahl der Segmente nach dem Aus- schlüpfen der Larve aus dem Ei sich nie mehr vermehrt, können wir bei allen Insekten mit vollkommener Ver- wandlung auch nie mehr als neun Segmente finden. Diese neun Segmente sind aber im Imago-Zustande der holometabolen Insekten selten nachweisbar, und zwar sind es stets nur die Rückenhalbringe derselben. Die Zahl der sichtbaren Bauchhalbringe ist stets geringer als die der Rückenhalbringe, obgleich beide Halbringe bei der Larve gleich ausgebildet sind. Da wo die Zahl der Rückenhalbringe neun nicht erreicht, ist das letzte oder die letzten derselben während der Verwandlung 1) Manche Larven, wie die der Dytisciden und Hydrophiliden haben nur acht. 2) Vergl. Anat. d. Insekt, p. 23. not. 4. 252 Schaum: zum vollkommenen Insekte an der Spitze des Hinter- leibes in die Höhle desselben eingezogen. Von den Bauclihalbringen werden nicht nur der letzte oder die letzten an der Spitze des Hinterleibes während des Pup- penstadiums eingezogen, sondern es verschwindet auch regelmässig der erste und oft sogar der erste und zweite an der Basis des Hinterleibes, indem sie nach innen eingezogen und zur Bildung einer Scheidewand zwischen Thorax und Abdomen verwendet werden. Der erste sichtbare Yentraihalbring ist daher niemals der dem ersten, sondern der dem zweiten oder dritten Dorsalhalb- ringe entsprechende. Auf diese Weise erklärt es sich, wie die Zahl der Ventralsegmente beim ausgebildeten Käfer oft auf 5, 6 oder 7 reducirt ist, während die der Rücken- segmente 7, 8 oder 9 beträgt. Bei der Zählung der Dorsalhalbringe des Hinter- leibes haben wir stets mit demjenigen zu beginnen, welcher das Paar grosser, für das erste Abdominalseg- ment so charakteristischer Stigmen trägt, mag die Ver- bindung dieses Halbringes mit dem Metathorax auch noch so fest sein. Bei den Staphylinen ist sie z. B. so innig, dass beim Abreissen des Hinterleibes das erste Dorsalsegment stets am Metathorax hängen bleibt, und dass selbst Erichson, ohne die Stigmen in Betracht zu ziehen, dasselbe früher (Gen. et Spec. Staph. p. 14) als einen Theil des Metathorax beschrieb ^). Noch inniger ist diese Verbindung bei den' Hjmenopteris aculeatis, bei denen der ez'ste Dorsalhalbring des Abdomen durch einen tiefen Einschnitt vom übrigen Hinterleibe abgesondert und unbeweglich mit dem Metathorax verbunden, denjenigen Theil bildet, der von Mac Leay, Newport undWest- w o o d das Postscutellum des Metathorax genannt und in den Beschreibungen der Hymenopteren gewöhnlich als Metanotum bezeichnet wird ^). 1) Stein Vergl. Anat. d. Ins. p. 11. not. 4. 2) Dass -das sogenannte Postscutellum des Metathorax der Hy- menoptera aculeata in Wahrheit der erste Dorsalhalbring des Abdo- men ist, wie diesAudouin und Latreille behauptet haben, wird Ueber d. Zusammensetzung d. Kopfes b. d. Insekten. 253 Bei der Bestimmung der Hinterleibssegmente der In- sekten mit imvollkommner Verwandlung ^) kann man nicht von der einfacheren Organisation der Larven ausgehen^ es sind aber auch hier die Stigmen ein sicherer Führer. Mit der Ausnahme des letzten haben alle Segmente des Abdomen ein Paar Stigmen, die in der Yerbindungshaut zwischen den Dorsal- und Ventralhalbringen gelegen sind; das erste derselben ist auch hier durch seine Grösse und durch seine Lage auf dem Rücken des Hinterleibs ausge- zeichnet. Wenn wir mit.demKinge^ der diese Stigmen trägt^ beginnen, so zählen wir auf dem Rücken von Locz^s^a (Taf.XI. Fig. I u. n) zehn Theile, die auf den ersten Blick Segmente zu sein scheinen ; bei genauerer Untersuchung ergiebt sich aber, dass der zehnte Theil — der von den beschreibenden Entomologen Lamina supra-analis genannt wird — gar kein wirkliches Segment ist. Die ersten acht Dorsalhalb ringe nicht nur durch die Grösse und Lage seiner Stigmen, die denen des ersten Abdominalringes der Larve entsprechen, sondern auch durch die Veränderungen bewiesen, die mit den Segmenten während der Ausbildung zur Puppe vor sich gehen. Es ist das sechste Körper- segment (zweites Hinterleibssegment), welches den sogenannten Stiel bildet, mit dem der anscheinend ganze Hinterleib an den Metathorax angehängt ist, während der fünfte Ring (erster Hinterleibsring) sich eng an den Metathorax anlegt. (S. Ratzeburg Act. Leop. Vol. XVI. tab. IX copirt von Westwood Introd. to the mod. classif. of ins. II. p. 226. fig. 86. e. 5 Ring, f. Stiel.) Die drei in die Augen fallenden Abschnitte an dem Körper der Wespe entsprechen daher nicht, wie man gewöhnlich annimmt, der erste dem Kopfe, der zweite dem Thorax und der dritte dem Hinterleibe, sondern der erste dem Kopfe, der zweite dem Thorax -f dem ersten Dorsalhalbring des Hin- terleibs, der dritte dem Hinterleib — dem ersten Segmente, dessen Ventralhalbring eingegangen ist. 2) Es ist in neuerer Zeit, namentlich mit Rücksicht darauf, dass manche holometabole Neuropteren sich als Puppen (gegen das Ende dieses Stadiums hin) bewegen, von mehreren Seiten behauptet worden, dass eine bestimmte Grenze zwischen den holometabolen und hemimetabolen Insekten gar nicht existire. Bei dieser Behaup- tung wird der durchgreifende Unterschied nicht ins Auge gefasst, dass bei den Puppen der holometabolen Insekten die Puppenhaut Mund und After verschliesst, die bei den Pseudopuppen der hemi- metabolen Insekten offen sind. 254 Schaum: sind mit Stigmen versehen^ der neunte, der in beiden Geschlechtern verschieden gebildet ist, hat keine Stig- men, ist aber noch wie die vorhergehenden mit den Ventralhalbringen durch eine weiche Haut verbunden, der zehnte (c) dagegen, der auch in beiden Geschlechtern ver- schieden gebildet ist und ein Paar Griffel, (styli d) trägt, wird nicht mit den Ventralhalbringen durch eine Membran verbunden. Die Zahl der letzteren beträgt beim Männ- chen 8, beim Weibchen 7 ^), von denen der letzte wieder in beiden Geschlechtern verschieden gebildet ist und beim Männchen ein Paar Griffel (e) trägt. Mit dem letzten Ventralhalbringe (acht, beim Männchen, sieben beim Weibchen) zusammen bildet der neunte Dorsal- halbring die Spitze des Hinterleibs und ein Involucrum für den Anus und die Mündung der Geschlechtsorgane, der Dorsalhalbring als Träger des Anus, der Ventralhalb- ring als Träger der Sexualmündung -). Es bildet daher der neunte Dorsalring, insofern er den After enthält, den letzten des ganzen Körpers, und der zehnte Theil (c) ist nichts als eine Platte, die den blossliegenden After von oben bedeckt, wie die Oberlippe der Mundöffnung, und kann ebenso wenig als die Oberlippe oder der nach aussen umgestülpte After der holometabolen Larven als ein besonderes Segment betrachtet werden. Bei Fachytylus migratorius zählen wir ebenfalls neun Dorsalhalbringe in beiden Geschlechtern, acht Ventralhalb- ringe beim Männchen Fig. HI und sieben beim Weibchen 1) Der hintere zwischen den Hinterhüften ausgebreitete Theil des Metasternum könnte bei Locusta, da er durch eine eingedrückte Linie von dem vorderen getrennt ist, leicht für den ersten Ventral- halbring des Hinterleibes gehalten werden, wodurch die Zahl der Ventralhalbringe beim Männchen auf 9, beim Weibchen auf 8 stei- gen würde; dass er aber in der That ein Theil des Metathorax ist, ergiebt sich, wenn man den entsprechenden Theil bei Pachytylus und Forficula vergleicht, wo über die Natur desselben kein Zweifel sein kann. 2) Die Lage des Rectum ist in Taf. XL Fig. H durch eine doppelte Linie blauer, die der Vagina durch eine doppelte Linie rother Punkte angedeutet. üeber d. Zusammensetzung d. Kopfes b. d. Insekten. 255 Fig. IV. Der nennte Dorsalhalbring zeigt hier allerdings in beiden Geschlechtern Fig.IV- A.n. B. g eine eingedrückte Linie, durch die er scheinbar in zwei Segmente getheilt wird, in der That ist er aber einfach und die Linie nur eine Sculptur. Die Lamina supra-analis (Fig. IV. A. u- B. c) die den After bedeckt und die Styli (d) sind denselben Theilen bei Locusta analog. Der letzte (8.) Bauchhalbring hat beim Männchen ebenfalls jederseits eine quere • eingedrückte Linie, die auch hier nur mit Unrecht als Demarcations- linie zweier Segmente aufgefasst werden könnte; der letzte (7.) Bauchhalbring der Weibchen ist ohne eine Spur dieser Linie. Der letzte Rückenhalbring und der letzte Bauch- halbring involviren wieder den von der Lamina supra- analis bedeckten After und die OefFnung der Generations- organe, die hier durch eine quere äusserlich sichtbare Scheidewand Fig. IV. A. b geschieden sind, und von denen die weibliche sich zwischen den vier Stücken des Ovipo- sitor wie bei Locusta zwischen den vier constituirenden Stücken des Legesäbels befindet ^). Bei dem Männchen von Forficula gigantea Fig. V und den verwandten Arten sind ebenfalls neun Rückensegmente und acht Bauchsegmente vorhanden, der die Zangen tra- gende Abschnitt (c) ist die Lamina supra-analis, die hier eine grosse Entwickelung erlangt, und die Zangen (d) selbst entsprechen den Griffeln (Styli) der Locusten und Acridier. Beim Weibchen sind nur sieben Dorsal- und sechs Ventral-Segmente äusserlich sichtbar, indem die zwei letzten Segmente eingezogen sind. Das erste Dorsalseg- ment Fig. VL 1 ist in dieser Gattung, wie bei den Sta- phylinen, sehr fest mit dem Metathorax (M) verwachsen und von Westwood in einer Abhandlung über Forficula (Trans. Ent. Soc. Vol. I. pl. XVI) als ein hinterer Theil des Metathorax betrachtet worden^). 1) In der Abbildung Taf. XL Fig. IV. A ist die Lage des Rectum im Abdomen wieder durch eine Doppelreihe blauer, die der Vagina durch eine Doppelreihe rother Punkte angedeutet. 2) Westwood glaubt, mit diesem Falle darzuthun, dass der Metathorax der Insekten wenigstens in einzelnen Fällen ein Stigmen- 256 Schaum: Bei allen diesen Insekten ist^ wie in der Abtheilung mit vollkommerer Verwandlung^ die Zahl, der BauchKalb- ringe (acht beim Männcben von Locusta, PachytyluS; For- ficula, sieben beim Weibchen von Locusta Pachytjlus) geringer als die der Rückenhalbringe (die in den genann- ten Fällen neun beträgt), und zwar ist es hier, wie bei den holometabolen Insekten, der erste Rückenhalbring, der keinen entsprechenden Bauchhalbring hat ^). Es bleibt aber noch eine Gruppe von Insekten übrig, denen nach der allgemeinen x\nnahme zehn Segmente und zwar zehn Rücken- und zehn Bauchhalbringe zukommen, und bei denen das zehnte die Analanhänge tragen soll, die Libellen. Bei diesen Insekten gehört aber der ge- wöhnlich als erster Hinterleibsring gezählte Theil in Wahrheit gar nicht zum Abdomen, sondern ist ein hin- terer Theil des Metathorax, der allerdings durch einen tiefen Einschnitt und durch eine weichere, einer gewissen Ausdehnung fähige Haut ^) vom vorderen Abschnitte desselben getrennt ist. Zwei Gründe scheinen diese An- nahme ausser Zweifel zu stellen. Erstens entbehrt dieses scheinbare Segment der Stigmen, indem das erste Paar derselben in der Verbindungshaut des Rücken- und Bauch- paar habe. Dass der betreffende Abschnitt aber gar nicht zum Metathorax gejiört, wird nicht bloss gerade durch die Stigmen und die Analogie des King§s mit dem entsprechenden der Staphylinen, sondern auch durch die Bildung dieses Theils bei der Forficuliden- Gattung Chelidura bewiesen. Hier liegt dieser Abschnitt als ein ganz selbstständiges Segment in der hinteren Ausbuchtung des Me- tathorax und wird an den Seiten, wo er die Stigmen hat, ganz von den Hinterecken des letztern bedeckt. Einen mir unerklärlichen Irrthum hat "Westwood in dieser Abhandlung ferner darin began- gen, dass er das Metasternum (an dem die Hinterbeine eingelenkt sind), als ersten Ventralhaibring des Hinterleibes bezeichnet. In Folge dieses Irrthums erhält er die Zahl von 9 Ventralhalbringen bei For- ficula ^. 1) Bei den Weibchen, die zwei Bauchsegmente weniger haben, ist ausser diesem ersten das letzte eingegangen. 2) Bei einigen Chalcidiem (Eupelmus) ist eine solche dehn- bare Haut zwischen zwei Theilen (Scutum und Scutellum) des Me- sonotum ausgespannt. üeber d. Zusammensetzung d. Kopfes b. d. Insekten. 257 halbrings des scheinbar zweiten Segmentes sieb befin- det ^). Ein erstes Abdominalsegment ohne Stigmen ist aber ohne Analogie bei den Imagines der Insekten, wäh- rend es gerade charakteristisch für den Metathorax ist, dass er keine Stigmen trägt. Zweitens entwickelt sich das scheinbar erste Segment während der Metamorphose des Thieres im Verhältnisse mit der Ausbildung der Flü- gel. Bei der jungen Larve zählen wir nur neun Ab- dominalsegmente, von denen das neunte die Analplatten trägt, an einer Larve von mittlerer Grösse, die einige Häutungen bestanden hat, und bei der am Rücken der Thoraxringe Flügelhöcker erscheinen, fängt der hintere Theil des Metathorax an, sich abzusetzen, selbst bei der Pseudopuppe (vor der letzten Häutung) ist er noch wenig entwickelt und erst bei der geflügelten Libelle nimmt er ganz das Aussehen eines Abdominakinges an. Der Metathorax erlangt auf diese Weise eine ungewöhnliche Entwickelung, aber eine Entwickelung ganz im Verhältnisse zu den Hin- terflügeln, die hier sogar grösser als die Vorderflügel sind und im Fluge durch ein besonderes System von Muskeln bewegt werden, während sie in anderen Ord- nungen (Flymenopteren) beim Fluge durch dasselbe System von Muskeln wie die Vorderflügel, mit denen sie mittelst der Haken ihres Vorderrandes in Verbindung stehen, in Bewegung gesetzt werden. Nach der hier entwickelten Ansicht befindet sich also der Penis der Libellen nicht, wie allgemein ange- nommen wird, am zweiten, sondern am ersten Bauch- halbringe des Hinterleibes, und die Mündungen der Ge- nitalien in beiden Geschlechtern am achten und nicht am neunten Bauchsegmente, die des Männchens in der Mitte, die des Weibchens an der Basis desselben. In dieser Gruppe liegt der hintere Theil des achten und der ganze neunte Bauchhalbring zwischen der Vulva und dem Anus, der am Ende des neunten die Analan- hänge tragenden Segmentes sich befindet, und hier sind auch, abweichend von den anderen Insekten, die neun 1) Hagen Stett. Entom. Zeit. 1853. S. 319. Archiv f. Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd, 17 258 Schaum: Ventralhalbringe im Imagozustande sämmtlich nachweis- bar i). 1) Ich bin nicht im Stande, die Angaben von Lacaze-Du- thiers in seiner Abhandlung Sur l'armure genitale femelle des insectes ( Anüal. d. scienc. nat. 1853. Vol. XIX ) zu bestätigen, dass bei den Neuropteren , Orthopteren und Hemipteren elf Abdo- minalsegmente (Somiten) vorhanden sein, dass die Vulva sich zwi- schen dem 8ten und 9ten Hinterleibsringe öffne , der Anus sich am 11. Hinterleibsende an dem äussersten Ende des Hinterleibes befinde, und dass somit die beiden Oeffnungen durch drei Segmente getrennt seien. Meine eigenen Beobachtungen führen dahin, dass ein 11. Segment nirgends existirt, dass bei den Orthopteren After und Geschlechtsöffnung von dem letzten Rücken- und dem letzten Bauch- halbringe eingeschlossen werden (dem 9, Dorsal- und dem 8. Ven- tralringe, wo die grösste Zahl der Segmente vorhanden ist), und dass bei den Hemipteren, wie Fieber und Flor, die besten Mo- nographen dieser Ordnung, angeben, nie mehr als sieben Hinterleibs- ringe existiren. Ich sehe überhaupt nirgends auch nur die Mög- lichkeit, elf Segmente am Hinterleibe zu unterscheiden, ausser etwa bei Pachytylus $, wenn hier das durch eine quere Linie getheilte 9. Segment als doppelt (9. und 10.) und die quere Scheidewand zwischen Anus imd Vulva (b in Fig. IV. A) als 11. Segment aufge- fasst wird. Die Thesis von Lacaze-Duthiers, dass die verschiedenen weiblichen Legeapparate (Stachel , Bohrer , Ovipositor, Legesäbel, deren übereinstimmende Zusammensetzung bei den Hymenopteren schon von Hart ig und West wood nachgewiesen ist) , aus mo- dificirten Theilen des neunten Hinterleibsringes gebildet werden, könnte nur durch Beobachtungen über die Veränderungen dieses Segments im Puppenstadium holometaboler Insekten bewiesen wer- den, die Lacaze-Duthiers nicht gemacht hat. Erichson ge- langte durch seine an Käferpuppen gemachten Beobachtungen zu dem Resultate , dass die äusseren Genitalorgane sich unabhängig von dem 9. Segmente ausbilden. Lacaze-Duthiers sucht seine Thesis durch die Zusammensetzmig der Legeapparate zu beweisen, und geht dabei von dem theoretischen Satze aus, dass jedes Segment der Insekten der Norm nach aus sechs Stücken, drei tergalen, dem Tergum und den beiden Epimeren, und drei ventralen, demSternum und zwei Episternen zusammengesetzt sei, und dass es zwei Paar Anhänge, ein Paar am Rücken (wie die Flügel) Tergorhabditen von Lacaze-Duthiers genannt, und ein Paar am Bauche, Sternorhab- diten, trage. Er deutet dann die einzelnen Stücke der Legeap- parate bald als Tergum, bald als Epimeren, bald als Sternum, bald Ueber d. Zusammensetzung d. Kopfes b. d. Insekten. 259 Nachschrift. Nachdem obiger Aufsatz schon dem Drucke übergeben war, ist die Abhandlung von Dr. A. Weissmann ^die Entwickelung der Dipteren im Ei" (Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XII. S. 107 ff.) erschienen. Nach der Darstel- lung W.'s entstehen in der ersten Entwickelungsperiode des Embryo's der Insekten drei Kopfsegmente an dem- jenigen Theile des ventralen Schenkels der Keimwülste, der zur Bildung des Kopfes verwendet wird, „die sich als segmentartige, durch halbmondförmige Ausschnitte des Dotters bezeichnete Abschnitte der Keimwülste markiren^ (S. 121), und die später unmittelbar in die drei Kiefer- paare auswachsen. Ebenfalls nach der Darstellung des Verf. bilden aber diese drei Abschnitte mit ihren Anhän- gen (den Kiefern) nicht für sich allein die Urbestand- theile des Kopfes, sondern es gehen in die Bildung des letzteren ausserdem auch zwei Scheitelplatten mit dem Antennenfortsatze und ein als Vorderkopf bezeichneter Theil ein (S. 126), an denen segmentartige Abschnitte nicht nachweisbar sind. Bei dieser Zusammensetzung des Kopfes ist kein Grund vorhanden, die drei nur „an dem ventralen Schenkel des Keimstreifen" auftretenden wulst- artigen Abschnitte als Ursegmente auf^zufassen, da ein Segment des Insektenkörpers sich nicht bloss als eine Wulst an ein er Körperfläche darstellt, sondern aus einem dorsalen und ventralen Theile besteht und auch in der inneren Organisation durch besondere Muskeln, durch ein Ganglion der Bauchkette und meistens auch durch ein Stigmenpaar markirt ist. Das Ganglion der Bauch- kette fehlt allerdings im letzten, auch der Stigmen regel- mässig entbehrenden Segmente, aber nie in einem der vorderen. Es müssten daher drei zu den an der Bauch- fläche hervortretenden Wülsten gehörende Dorsaltheile als Episternen, bald als Tergorhabditen, bald als Sternorhabditen. Es sind indessen diese Theile überhaupt nur am 2. und 3. Thorax- ringe nachzuweisen, und hier sind die Epimeren nicht tergale, son- dern wie die Episternen, sternale Stücke. 260 Schaum: Ueber d. Zusammensetzung d. Kopfes b. d. Insekten. oder drei den Wülsten entsprechende Ganglien der Bauch- kette nachgewiesen werden^ um die Deutung dieser Wülste als Segmente zu rechtfertigen. Aus der Darstellung, die der Verf. von dem weite- ren Verlaufe der Entwickelung giebt, ziehe ich den Schluss, dass die Ausbildung des Kopftheils zu einem bestimmten Segmente überhaupt erst in der zweiten Entwickelungs- periode des Embryo ^jmit der Vereinigung der Urtheile des Kopfes zu einer Gruppe, dem Kopfe ^ (S. 129) und ,,mit der Abschnürung durch eine quere Furche^ (S. 132) beginnt, und finde eine Bestätigung dieser Ansicht be- sonders in dem Umstände, dass gleichzeitig mit diesem Vorgange oder immittelbar nach demselben auch der übrige Körper sich in Segmente abtheilt (S. 133). Erklärung der Abbildungen. Fig. I. Locustn mridissima ^. von der Seite gesehen. „ n. Dieselbe J; Spitze des Hinterleibes. „ III. A. Pachylijlus migratorivs f^, von unten gesehen. HI. B. Derselbe, Spitze des Hinterleibes, von der Seite gesehen. IV. A. Pachytylns migratorius $. Letzte Hinterleibssegmente von der Seite gesehen. IV. B. Derselbe von unten. V. Forficula giganfea (-/*, von der Seite gesehen. VI. Dieselbe. Metathorax (M) und die 2 ersten Abdominalringe. V) Eine Frage an die Herreu Botaniker über die Ursaclieu der schönen Herbstfärbung der Baumvegetation im nördlichen Amerika. Von Prinz Maximilian zu Wied. Es ist den Beobachtern der Natur bekannt, dass ein jedes Clima, eine jede Zone, ein jeder Welttlieil unserer Erde seinen eigenen^ niclit zu verkennenden Charakter von der Natur eingeprägt erhielt, auch ist es ebenso be- kannt, dass es vorzüglich die Vegetation eines jeden Erd- striches ist, welche jenen eigenthümlichen, sogleich ins Auge fallenden Habitus verleiht. Gehen wir in diese Materie etwas tiefer ein, so fin- den wir z. B. das mittlere Europa ausgezeichnet durch seine anziehenden frischgrünen Wiesen, durch schatten- reiche, jedoch nur massig hohe Wälder, welche meist ziemlich gleichartig aus gesellschaftlich vereint vorkom- menden Baumarten zusammengesetzt sind. Nähern wir uns aber nunmehr den südlichen Ländern, den wärmeren Zonen, so nehmen die Gramineen der Wiesen eine här- tere Textur an, zeigen ein weniger frisches Grün und schon viel früher als bei uns sind sie von der Sonne verbrannt, gelb und ohne allen Reiz für das xluge. Schon in den Monaten Juni und Juli ist z. B. der Anblick der portugiesischen und spanischen Landschaften ein trauriger, steril vertrockneter. Hier sind auch die Waldungen nicht mehr frisch und lebhaft grün, wie bei uns, sondern dun- kel oder graulichgrün, weil die Pinien, die Cypressen, die Oelbäume und die myrthenähnlichen Gewächse vor- herrschen und die todte, dunkle Färbung hervorbringen. 262 Prinz Maximilian zu Wied: Von den drei Welttheilen Asien, Afrika und Austra- lien kann hier speciell nicht geredet werden, da die eigene Ansicht diesen Zeilen nicht zum Grunde liegt; allein durch eine grosse Anzahl von Reisebeschreibungen wer- den wir belehrt, dass es in den genannten Welttheilen etwa dieselbe Bewandtniss hat, wie in Europa, nämlich dass die gemässigteren Gegenden sich auch dort von den heisseren durch dieselben Hauptzüge auszeichnen, wie bei uns. Die kühlere Temperatur, im Vereine mit Feuch- tigkeit und hinlänglicher Bewässerung giebt ein frisches schönes Grün, ein belebtes Bild, dagegen die heisse ein mehr vertrocknetes und im Allgemeinen weniger liebli- ches und anziehendes, das aber an ausgezeichneten For- men und kunstvolleren Naturprodukten reicher ist. Wenden wir uns nun zu dem fünften uns noch übrigen Welttheile, Amerika, so können wir hier eine genauere Yergleichung nach eigener Ansicht aufstellen. Wir finden alsdann, dass der Süden dieses ausgedehnten Continentes, die heisse Zone daselbst allerdings durch ihre herrlich grossartige Vegetation, ihre endlosen, ge- drängt aufsteigenden Urwälder das Ideal des Botanikers sind ! Unzählige Pflanzen- und Baumformen drängen sich hier dicht geschlossen , von zahlreichen Schlingpflanzen und Baummördern verflochten, himmelan, und beinahe alle zeigen mehr oder weniger, meist grosse, schöne, pracht- volle Blumen von den lebhaftesten Farben und dem son- derbarsten Baue, auch oft ganz original gebildete Früchte, wo aromatische Gerüche von dem leisesten Lufthauche her- beigeführt werden, wo die ganzen Waldungen auf grosse Strecken von dem Gerüche der Vanille, des Zimmets, des peruvianischen Balsams und dergleichen Aromen beherrscht werden. Für diese herrlichen Waldungen ist die Zeit, wo die trockene Hitze zuerst durch die neu eintretenden Gewit- terregen belebt imd befruchtet wird, der Augenblick des höchsten Lebens und des grössten Genusses für den Na- turfreund ! Denn jetzt haben einzelne Baumarten ihre Blätter abgeworfen, um dieselben sogleich wieder neu zu ersetzen, und dieses junge Laub erscheint beinahe bei Ueber die Färbung der Baumvegetation im nördl. Amerika. 263 einer jeden Species in einer anderen Färbimg, bald ro- renroth, sctiarlaelirotb , rothbraun, gelb, hellgrün oder weisslich. Alsdann sieht man die höchsten ausgedehnte- sten Baumkronen vollkommen rosenroth oder von den anderen genannten Farben in allen möglichen Stufen und Mischungen in unbeschreiblicher Schönheit glänzen ! Hier muss eine jede Beschreibung weit hinter der Natur zu- rückbleiben! Eine solche grossartige Natur kann nicht beschrieben werden! Andere Bäume bedecken sich, sobald sie das Laub abgeworfen haben, mit unzähligen grossen Blumen, so dass die ganze Baumkrone ebenfalls wieder, nur auf andere Art, in einer der lebhaftesten und schönsten Farben erglänzt; allein nach einigen wenigen Tagen liegen alle diese grossen prachtvollen Röhrenblumen abgefallen auf dem Boden und die bunten jungen Blätter beginnen zu sprossen. Dieser Vorgang zeigt sich besonders in der Familie der Bigno- niaceen und den zahlreichen Gattungen verwandter Bäume, deren grosse Röhrenblumen in allen Abstufungen von weiss, gelb, orange, rosenroth, violet und hochroth das menschliche Auge erfreuen. Die Brasilianer kennen diese nützlichen und schönen hohen Waldbäume unter dem allgemeinen Namen Ipe, indem sie für eine jede Spe- cies noch andere Bezeichnungen haben, und sie benutzen das zähe Holz gewöhnlich zu ihren Waffen, den Bogen. Noch eine andere Form der Gewächse spielt in diesen Urwaldungen eine Hauptrolle, ich rede von den holzigen Schlinggewächsen, dem Cipo's der Portugiesen, welche oft von mächtiger Stärke und hartem zähen Holze, die Bäume umranken und verstricken, bis auf die höchsten Baumgipfel hinaufsteigend die ganzen Kronen überran- ken, dort oben am Lichte nur erst blühen und nach deren Blüthen der Botaniker vergebens strebt, bis er sie abge- fallen und verwelkt auf dem Boden findet. Diese Baum- mörder sind es, welche die grössten Waldstämme ersticken, die alsdann oft absterben und nur den Mörder in seinen tausendfältigen Windungen als eine colossale Riesen- schlange stehen lassen. Die erwähnten Naturschönheiten, die Grösse, Aus- 264 Prinz Maximilian zu Wied: dehnimg und Erliabenlieit jener Waldvegetation dürften also wohl als der ausgezeichnetste Charakterzug des heis- sen Süd - Amerika's anzusehen sein; jedoch es gilt das Gesagte weniger für die höher gelegenen Gegenden, welche Mangel an Wasser haben. Nur dieses so nöthige Lebensprincip, die Menge grosser Flüsse der ebenen Ge- genden, z. B. des Gebietes des grössten der Ströme, des Amazonas und seiner colossalen Nebenflüsse, des Madera, Huallaga, Rio-Negro, Cussiguiara, des Orinoco und anderer, bringt vorzüglich jene weit ausgedehnten Urwaldregionen hervor , worüber Alexander v. Humboldt uns so vortreffliche und anziehende Schilderungen entworfen hat. Schreiten wir aber jetzt nach dem nördlichen Ame- rika in die gemässigte Zone hinauf, so zeigen sich bier zwar auch Urwaldungen , welche unsere europäischen Wälder an Majestät des Holzwuchses , besonders auch durch die Mannichfaltigkeit der Baumarten übertreffen; allein sie stehen dennoch unendlich weit hinter den süd- amerikanischen zurück, zeigen auch selten schöne Blüthen, sondern mehr die Inflorescenz der Kätzchen (Amenta). Sie bilden aus diesem Grunde ein ganz natürliches Mittel- glied, einen deutlichen Uebergang von der europäischen zu der brasilianischen Vegetation der heissen Länder von Süd-Amerika. Die höheren Gegenden von Nord- Amerika sind meist mit prachtvollen Nadelwaldungen bedeckt, wo weit meh- rere Arten von Pinus vorkommen, als bei uns in Europa, und hier sind alsdann auch ächte Bärenwildnisse zu fin- den, wo die alten colossalen Wurzeln der canadischen Tannen Felsblöcke umstricken, sprengen und durchranken, um dunkele Schlupfwinkel für viele wilde Thiere zu bilden. Hier ist der unternehmende Europäer zwar mei- stens auch schon eingedrungen, allein er hat dennoch über jene Wildnisse noch nicht Herr werden können, sondern hat sich nur einzeln zerstreut, als Holzhauer, Schneide- müller , Schindelverfertiger oder als Jäger anzusiedeln versucht, indem er ein einsames rohes Leben führt, wo ihn seine Pürschbüchse grossentheils ernähren muss. Auch in Hinsicht der Fauna steht Nord- Amerika üeber die Färbung der Baumvegetation im nördl. Amerika. 265 gerade in der Mitte zwischen Europa und Süd- Amerika ; denn die Genera und Species der Thiere sind hier schon viel zahlreicher vertreten^ als bei uns, es kommen Reprä- sentanten südlicher Familien und Gattungen schon vor, und die schön gefärbten Vogelarten sind daselbst weit zahlreicher, aber der Hauptcharakter dieser Fauna, vor allen anderen Welttheilen und Ländern ausgezeichnet, besteht in der unendlichen Menge von Individuen und Arten der Süsswasser- und Sumpf- Schildkröten (Emys), deren Menge schöner bunt gefärbten Arten diejenigen aller anderen Welttheile weit übertrifft. x\uch die son- derbaren Fischmolche der Flüsse fügen ihre Originalität zu jenem ausgezeichneten Zuge hinzu. Der Sommer ist schön in jenen Gegenden, Frühling und Herbst sind kürzer als bei uns, die Hitze und die Kälte treten schneller ein; allein der hervortretendste Zug für die Vegetation von Nord -Amerika bleibt uns noch zu erwähnen, und dieser tritt auf sobald der Herbst das Laub der Bäume zu färben beginnt. Jetzt entsteht eine Zeit, welche man selbst gesehen haben muss, um sich einen Begriff davon machen zu können ! Auch ist dieser auszeichnende Zug gewiss einzig und allein in jenem Lande zu finden! Wenn man alle die unendlich zahlreichen Reisebe- schreibungen über Nord- Amerika über dieses schöne, jetzt von dem unglücklichen Kriege verwüstete Land durch- blättert, so findet man beinahe nirgends eine Erwähnung dieser ganz originellen Naturerscheinung, der bunten Färbung der dortigen Waldungen im Herbste. P ö p p i g ist der einzige Reisende, so viel mir bekannt ist, der in seiner Relation über Peru imd den Lauf des Huallaga, wo er auch Nord - Amerika berührte, diesen Gegenstand erwähnt und hervorhebt und er hat vollkommen recht! In dieser Jahreszeit färben sich dort alle Baumblätter citonengelb, rosenroth, blutroth, purpur- oder zinnober- roth. Hierhin gehören besonders alle Eichen, Ahorne, Wallnuss-, Eschen- imd Sumach-Bäume, besonders Rhus typhinum, alle Kirschbäume u. s. w. — Der fünfblättrige Epheu umrankt die höchsten Waldstämme und bildet 266 Prinz Maximilian znWied: üeber d. Baumvegetat. u. s. w. \ überall prachtvoll zinnoberrothe colossale Säulen von un- < beschreiblicher Pracht! was er indessen bei uns nur höchst unvollkommen zeigt. Besonders im Lichte eines glänzen- ' den Sonnenscheines entsteht in diesen Waldungen ein ! v^underbarer Anblick! Man glaubt sich in einen Feen- palast versetzt, indem rundum das Laub in den schönsten - rothen Tinten in Feuer zu stehen scheint ! Nirgends w^ird ' man eine ähnliche Pracht wieder finden! ! Aber wie kommt es, so darf man nun wohl den Botaniker fragen, dass dieselben Baumarten, welche dort in so herrlichen transparenten Farben im Herbste er- glühen, hier bei uns kaum eine Spur jener Tinten zei- ■ gen? Ja, dass sie, besonders die Ahorne (Acer), gänzlich i grün bleiben, bis ihre Blätter verwelken und abfallen? ; Das ist eine Frage, die sowohlin die Geologie als i in die Botanik und die Meteorologie einzuschlagen scheint, und deren specielle Beantwortung gewiss von Interesse i ist. Bei der dortigen Allgemeinheit dieser Erscheinung ist es nicht zu bezweifeln, dass eine gleichartige, bedeu- : tende, weit hinwirkende Ursache zum Grunde liegen ; müsse. Von den amerikanischen Bäumen sehen wir hier in Deutschland nur einige wenige, die rothe Herbstfarbe an- nehmen, hierhin gehört besonders der Hirschkolben-Baum (Rhus), einige Eichen und der fünfblättrige Epheu, allein diese selbst bleiben bei uns so weit hinter ihrem Vater- lande zurück, dass man sie verkennen könnte. Diese Frage wünschte ich den Herren Botanikern vorzulegen, da sie noch wenig zur Sprache gekommen zu sein scheint. | Ein Paar zoologische Bemerkungen ans unserer unmittelbaren Umgebung. Von Prinz laximilian zu Wied. Die Fauna der Rheinprovinz ist bereits vielfältig un- tersucht und bearbeitet, und es bleiben dem Beobachter für die höheren Ordnungen der Thiere vorzüglich nur die Untersuchungen aus der Micro-Mammalogie übrig, um noch einige Nachforschungen zu unternehmen. Vorzüg- lich in den Familien der Insectivora und der Muridae zeigen sich immer noch einige Unsicherheiten, so wie auch die Chiroptera nicht leicht zu untersuchen sind. — Gerade die genannten Thiere entziehen sich am leichte- sten der Beobachtung und der Zufall muss häufig dazu behülflich sein, wenn man etwas Neues oder Interessan- tes beobachten will. Einige wenige Bemerkungen erlaube ich mir in den nachstehenden Zeilen mitzutheilen. Zu den sonderbarsten Eigenheiten der Natur der Yögel gehört es gewiss, dass einige Arten derselben nur ein einziges Ei legen. Der menschlichen Beurtheilung zu Folge hätte die Natur wohl besser gethan, jedesmal ein Paar junge Vögel von beiderlei Geschlecht entstehen zu lassen, damit die Art erhalten werde. Gewiss würde es indessen Anmassung und Vermessenheit sein, wenn wir die Endursachen der Natur aufsuchen und zu erklä- ren suchen wollten, wie so viele Beobachter schon gethan haben und noch zu thun pflegen. Solche Urtheile und Erklärungen des kurzsichtigen menschlichen Verstandes gegenüber der unendlichen Weisheit des Schöpfers kom- men schief und erbärmlich heraus! Ihr Ungrund kann häufig schon von einer schlichten Beurtheilungsgabe durch- schaut werden. 268 Prinz Maximilian zu Wied: So viel ist aber gewiss , dass manche Vogelarten jedesmal nur ein einziges Ei legen, und hierhin gehören be- sonders manche Raubvögel, Wasservögel, Pinguine, Lum- men, Möven und dergleichen Arten, welche besonders die nordischen Felsgestade bewohnen. Von den grossen, nur schwierig zu ernährenden Raubvögeln, z. B. den Steinadlern, scheint es selbst dem gewöhnlichen Men- schenverstände natürlich, dass diese räuberischen Thier- arten nicht zu sehr vermehrt werden dürfen, und ein jedes Paar derselben bedarf eines weitläuftigen Jagdrevieres, duldet auch kein zweites Paar in seiner Nähe. Weniger aber ist es unserem Verstände begreiflich, wie Vogelarten, die ihre Nahrung aus dem Meere neh- men, auf eine so schwache Fortpflanzung angewiesen sind, da der Ocean unbedingt eine der reichhaltigsten Vorrathskammern der Erde ist. Auch unter den Raub- vögeln unseres Landes giebt es eine Species, von welcher jetzt bewiesen zu sein scheint, dass sie jedesmal nur ein Ei lege, und dieses ist der sogenannte Schlangenbussart (Circaetus gallicus) , der im Allgemeinen den deutschen Ornithologen noch immer interessant ist, da er nicht überall vorzukommen pflegt. Wir besitzen ihn hier in den ge- birgigen Waldungen der Rheinufer alljährlich , und er horstet hier, obgleich es uns nicht immer hat gelingen wollen, das Nest zu entdecken. Zweimal ist es indessen geglückt diesen interessanten Fund zu machen. Das erstemal befand sich ein Ei in dem Horste. Ein Förster schoss den männlichen Vogel und das Weibchen brütete nun ungewöhnlich lange, bis man ihm das Ei nahm, das nun als verdorben erkannt wurde. Bei dem zweiten Falle, im Juni 1862, war ebenfalls wieder nur ein Ei vorhanden, welches ausgebrütet wurde. Als der junge Vogel schon stark w^ar, aber noch die Kiele der grossen Schwung- und Schwanzfedern trug, schoss man die beiden alten Vögel, von welchen der eine dem Jungen eben eine Schlange (Coronella laevis oder austriaca) hatte zutragen wollen. Die Schlange fiel auf die Erde, der verwundete Vogel aber auf das Nest, und hier hatte er im Todcskrampfe mit seinen scharfen Klauen Ein Paar zoologische Bemerkungen. 269 zufällig sein eigenes Junges ergriffen. Als man nun den todten Raubvogel mit einer Stange von dem Horste lier- abstiess, brachte derselbe das Junge mit herunter^ und das letztere hatte sich ohne Zweifel bei dem Falle im Rückgrate beschädigt; denn nachdem dasselbe sechs Wo- chen lang mit vieler Sorge gepflegt worden war, starb es, und es hatte nie auf seinen Füssen sitzen oder stehen gelernt. Dass der Schlangenbussart nur ein Ei lege, be- stätigen übrigens auch die Nachrichten aus Oesterreich, wo Seidensa eher in Steiermark diese Vögel oft brü- tend, aber immer nur ein Ei bei denselben fand, und aus anderen Gegenden. Ein anderes interessantes Thier aus der Mlcro- Mammalogie ist der bekannte kleine Mus minutus, die Zwergmaus, die im Allgemeinen in unserer Gegend wenig bekannt ist. Wir haben sie oft vergebens gesucht und es wollte mir nicht glücken, sie hier zu erhalten. Vor einigen Jahren aber entdeckten wir plötzlich in einem tiefen einsamen Thalkessel, der rings von ansehn- lichen Waldbergen umgeben und von dem Wiedbache durchschnitten wird, in einem Haferfelde neun der niedli- chen und kunstvollen kleinen Nestchen dieser Maus, wel- ches auf eine ziemlich zahlreiche Colonie dieser Thierchen schliessen Hess. Sie kamen sämmtlich glücklich davon, und dennoch hat man seitdem in mehreren Jahren nicht die geringste Spur mehr von ihnen gehabt. Das sporadische Vorkommen so mancher der kleinen Säugethierarten ist überhaupt interessant, und wir haben dasselbe auch für andere Gegenden, z. B. für Brasilien bestätigt gefunden. Auch bei den kleineren affenartigen Thieren, den Sahui's der Brasilianer (Jacchus, Hapale und Midas) kommt dieses gewöhnlich vor und wir haben sie zuweilen an einer gewissen Stelle, z. B. zwischen ein Paar Flüssen, die ihrer Verbreitung hinderlich waren, sehr häufig gefunden, und dann erst in weiter Entfernung wieder, oder sie auch gar nicht mehr beobachtet. Die einheimischen Jäger, welche die meisten etwas ausgezeich- neten oder leicht kennbaren Thierarten wohl unterschei- den, sagten den Reisenden schon vorher, wir würden 270 Prinz Maximilian zu Wied: EinPaar zool. Bemerk. diese Thierart min bald erreichen, und die Aussage be- stätigte sich immer. So erging es uns z. B. mit Geof- froy's lacchus leucocepbalus, der durch sein schneeweis- ses Gesicht sehr kenntlich ist. Wir fanden ihn auf einem ziemlich eingeschränkten Räume in den Waldungen am Espirito Santo und bei Arassatiba, und an keinem ande- ren Orte wieder, wie man uns vorhergesagt hatte. Später haben einige Zoologen behauptet diese Thier- art sei nicht Species, sondern nur Varietät einer anderen ; allein der beste Beweis des Ungrundes dieser Behauptung liegt schon in dem erwähnten beschränkten Vorkommen desselben, weil dort an der genannten Stelle beinahe nur diese weissköpfige Art gefunden wurde. Eine andere Maus scheint noch für unsere Gegend interessant zu sein, die wir aber hier noch nicht aufge- funden haben. Ich rede von Arvicola glareolus, welche Professor Blasius aus Braunschweig im Siebengebirge bei Bonn beobachtet hat. Sie kommt nach diesem gründ- lichen Beobachter auch noch an anderen Orten unserer Gegend vor und wir werden uns bemühen noch fernere Nachsuchungen nach diesen Mäusen zu machen, da ihr Vorkommen in unseren Bergen höchst wahrscheinlich ist. Ueber den Unterschied zwischen dem Schädel von Dicotyles labiatns Cuy. und D. torquatus Cut. Von %. Prof. Dr. Krauss in Stuttgart. Durch Herrn A. Kappler erhielt das K. Natura- lien-Cabinet in Stuttgart aus Surinam 27 Dicotyles-Schädel von allen Altersstufen und von verschiedener Grösse. Die Schädel waren entweder mit D. torquatus oder mit D. labiatus bezeichnet^ es zeigte sich aber bald, dass der erstere Namen an die kleinen, der letztere an die grossen Schädel ohne Rücksicht auf das Alter geschrieben und die Bestimmung meist nicht richtig war. Bei der grossen Anzahl von Schädeln, wie sie wohl nicht leicht Jeman- dem zu Gebote stehen wird, lag es mir daran, ein auffal- lendes Kennzeichen zur Unterscheidung beider Arten zu finden. Rengger hat wohl in seiner Naturgeschichte der Säugethiere von Paraguay p. 320 und nach ihm andere Naturforscher eine Verschiedenheit im Gebisse bei beiden Arten nachzuweisen gesucht, ich muss aber gestehen, dass diese Merkmale schon schwer zu erkennen sind, wenn man beide Arten neben einander liegen hat. Jeder- mann aber in Zweifel lassen werden, wenn nur der Schä- del der einen Art bestimmt werden soll, oder wenn die Zähne noch nicht alle entwickelt oder endlich ihre Kro- nen stark abgekaut sind. Ebenso richtig ist es, dass der Schädel von D. torquatus kleiner, kürzer und hinten nie- derer ist, als der von D. labiatus, allein das Grössen-Ver- hältniss kann nur dann einen sicheren Anhaltspunkt ge- ben, wenn man beide Arten miteinander vergleichen kann. Von Wichtigkeit sind die Unterscheidungs-Merkmale am 272 Krauss: Schädel^ namentlich die bei beiden Arten abweichende Gestalt der Nasenbeine und des Infra'orbitallochs , auf welche schon Rengger (1. c. p. 329^ und neuerdings auch Bur meist er (syst. Uebersicht der Thiere Brasi- liens I. p. 326) aufmerksam gemacht hat. Ich kann den eben erwähnten Merkmalen noch einige andere hinzufügen und will nun zur leichteren Uebersicht die Unterschiede beider Arten einander gegenüber stellen, die genügen werden, jede Art, ohne sie der andern ver- gleichen zu müssen, zu bestimmen. DiGotyles lab latus Cuv. * zeichnet sich am Schädel durch folgende Merkmale aus: 1) Die Nasenbeine sind zwischen der Ton dem Foram. supraorbitale vorwärts laufenden Gefässrinne flach und etwas eingedrückt, der obere Theil des Nasenrückens ist glatt und breit. 2) Der Einschnitt zwischen dem Nasenbeine und dem vorderen Rande des aufsteigenden Astes des Zwischen- kieferbeins, der schief nach hinten verläuft, ist hinten eng und reicht fast bis zum Eckzahne, daher die freie Spitze der Nasenbeine lang ist. 3) Die Gefässrinne, welche vom Foram. supraorbitale beginnt, verläuft nur schief nach aussen und vorwärts bis zum hervorragenden Rand des Oberkieferbeins (nur an Einem Schädel bis zum Einschnitte an der Nasenhöhle). 4) Das Oberkieferbein ist am Nasenfortsatze platt. 5) Das Foram. infraorbitale ist schmal, halbmondför- mig und liegt frei in der fast senkrechten Seitenwand und vor dem steil aufwärts verlaufenden Yorsprung des Ober- kieferbeins. 6) Das Jochbein ist auf der äusseren Fläche platt, ohne Vertiefung. 7) Das Oberkieferbein hat am Alveolarfortsatz vor dem ersten Backenzahn eine stark hervorstehende Wulst und erscheint dadurch breiter als am hinteren Backenzahn. 8) Das Oberkieferbein zeigt auf der Grundfläche querlaufende, wellenförmige Erhabenheiten und Vertiefun- gen, die mit dem Alter deutlicher werden. Ueb. d. Untersch. zwisch. d. Schädel v. D. labiatus u. torquatus Cuv. 273 Dicotyles torquatus Cuv. zeichnet sich am Schädel durch folgende Merkmale aus: 1) Die Nasenbeine sind zwischen der von dem Foram. supraorbitale vorwärts laufenden Gefässrinne gewölbt, eben- falls ist der ganze Nasenrücken der Quere nach convex. 2) Der Einschnitt zwischen dem Nasenbein und dem vordem Rand des aufsteigenden Astes des Zwischenkiefer- beins, w^elcher fast gerade aufwärts steigt, ist hinten weit und reicht nur his zum zweiten Schneidezahn, daher die freie Spitze der Nasenbeine kurz ist. ^ 3) Die Gefässrinne, welche vom Foram. supraorbitale beginnt, verläuft zuerst in einem Bogen nach aussen und vorwärts, dann abwärts bis zum Rand des durch das Ober- kieferbein gebildeten Vorsprungs und zuletzt gerade bis ganz vorn zum Einschnitt an der Nasenhöhle. 4) Das Oberkieferbein ist am Nasenfortsatz concav. 5)^ Das Foram. infraorbitale ist rundlich und liegt in einer tiefen länglichen Grube und unter einem dachför- migen Vorsprung des Oberkieferbeins, die parallel mit den Backenzähnen vom Jochbein bis fast zum Eckzahn vor- wärtslaufen. 6) Das Jochbein ist auf der äussern Fläche vertieft. 7) Das Oberkieferbein hat am Alveolarfortsatz vor dem ersten Backenzahn nur eine schmale Wulst, erscheint daselbst eingeschnürt und schmäler als am hintern Backen- zahn. 8) Das Oberkieferbein hat auf der Gaumenfläche keine wellenförmigen Erhabenheiten, dagegen eine auffallende vom ersten Backenzahn bis nach vorn verlaufende Gefäss- rinne. lieber die bei D. torquatus unter 1 und 4 erwähnten Merkmale ist noch zu bemerken, dass an dem Schädel eines neugebornen Thiers der Nasenrücken platt und con- vex und dass das Oberkieferbein am Nasenfortsatz gewölbt ist. Sie scheinen sich aber mit dem Alter schnell aus- zubilden, denn schon am Schädel No.VIII, an welchem noch alle Milcheckzähne vorhanden sind, ist der Nasen- ArcMv f. Nalurg. XXIX. Jalirg. 1. Bd. 18 274 K r a u s s : rücken convex und die Grube am Naseiifortsatz des Ober- kieferbeins schon angedeutet. Ein weiteres Merkmal betreffend die Gestalt der ein- zelnen Schädelknochen zur Unterscheidung beider Arten lässt sich an Schädeln jüngerer Thiere, an welchen die Suturen noch nicht verwachsen sind, beobachten. Bei D. torquatus ist nämlich der obere das Nasenbein berührende Rand des aufsteigenden Astes convex und das Nasenbein in seinem vorderen Drittel (ohne Berücksichtigung der freien Spitze) verschmälert, während bei D. labiatus dieser Rand gerade abgestutzt und das Nasenbein gleich breit ist. Bei beiden Arten verwachsen jedoch die Suturen frühzeitig, indem an Schädeln, welche noch einen Theil der Milchzähne haben, schon die beiden Schläfen-, Stirn , Oberkiefer- und Gaumenbeine mit einander verwachsen sind. An den Schädeln verwachsener Thiere ist kaum noch eine Sutur zu erkennen, am längsten bleibt die Su- tur zwischen Jochbein und Jochfortsatz des Schläfenbeins erhalten. Die Wölbung des Schädeldachs kann nicht zur Un- terscheidung beider Arten zu Hülfe genommen werden, obgleich Burme ister von D. labiatus angiebt, dass er eine gewölbtere Stirn als D. torquatus habe. Ich finde im Gegentheil, dass die Schädel von D. labiatus im Allge- meinen eine flache, die von D. torquatus eine gewölbte Stirn haben, aber es giebt Schädel von D. labiatus mit gewölb- tem und von D. torquatus mit eingedrücktem Schädeldach, die Schädel beider Arten haben aber im jüngeren Alter, selbst da noch, wo schon alle bleibenden Zähne vorhanden sind, immer eine gewölbte Stirn. Auch der durch das Schläfen- und Hinterhauptsbein gebildete Kamm,' der den obern schmalen Theil des Hin- terhaupts einfasst, scheint mir kein sicheres Merkmal ab- zugeben. Die Hinterhauptsschuppe ist zwar bei der klei- neren Art etwas weniger vertieft als bei D. labiatus, aber ihre Breite wechselt bei torquatus von 3,4 bis 3,8, bei dem grösseren D. labiatus von 3,7 bis 4,6 Centimetres. Was endlich die Verschiedenheit in dem hintersten Backenzahn beider x\rten anbelangt, so wird es, wie schon Ueb. d. üntersch. zwisch. d. Schädel v. T>. labiatus u. torquatus Cuv. 275 oben erwähnt, schwierig sein_, die Art zu bestimmen, be- sonders wenn man nicht beide neben einander liegen hat. Die bleibenden Backenzähne des D. labiatus sind ziemlich grösser als die von D. torquatus. Im Oberkiefer des D. labiatus hat der erste eine 0,9 bis 1/J Centim. lange und breite, der sechste eine 1,6 bis 1,7 (bei einem sogar 1,8) Centim. lange und 1,4 bis 1,5 (bez. 1,6) Centim. breite Krone ; bei D. torquatus hat der erste eine 0,8 — 0,9 lange und 0,7—0,8 breite, der sechste eine 1,3 — '1,4 Centim. lange und 1,2 — 1,3 Centim. breite Krone. Im Unterkiefer hat der erste von D. labiatus eine 0,9 — 1,0 lange und 0,5 — 0,6 breite, der sechste eine 2,1 — 2,3 Centim. lange und 1,4—1,5 Centim. breite Krone, während bei D. torquatus der erste eine 0,7 — 0,8 Centim. lange und 0,4—0,5 Centim. breite, der sechste eine 0,6 — 0,7 (einmal 0,8) Centim. lange und 1,0—1,1 Centim. breite Krone hat. Die Backenzähne des Oberkiefers beider Arten sind, die Grösse ausgenommen, kaum von einander verschieden und bei den verschiedenen Individuen einer Species unter sich wieder nicht ganz gleich, wenn man scharfe Unter- schiede machen wollte. Die Kronen der 3 ersten Backen- zähne sind mehr abgerundet-dreieckig und durch Ein- schnitte in 3 — 4 Höcker getheilt, die der 3 letzten grösse- ren viereckig mit zwei durch eine tiefe Querfurche ge- trennten Höckerpaaren, vor w^elchen in der Mitte je noch ein kleiner Höcker sitzt. Am vordem und hintern Rand der Krone der wenig gebrauchten Zähne ist ein deutlicher und gekerbter Zahnkranz; der hintere Zahnkranz des letz- ten Backenzahns ist bei beiden Arten bald mehr bald we- niger ausgebildet und vor ihm sitzt ein kleines Höcker- chen. Es kommt zwar hin und wieder vor, dass am letz- ten Backenzahn des D. labiatus dieses Höckerchen etwas stärker und der hintere Zahnkranz unregelmässig und grö- ber gekerbt ist, als bei D. torquatus, aber es gibt von beiden Arten Uebergangsformen, welche den Unterschied ausgleichen. Der Ansatz eines fünften Höckers zwischen den zwei hintern Höckern des dritten Backenzahns von D. labiatus, den R e n g g e r als Unterschied von D. torquatus angibt, ist 276 Krau SS : bei einigen Schädeln deutlicli, fehlt aber auch bei andern, bei unseren D. torquatus allerdings immer. Im Unterkiefer dagegen hat der sechste Backenzahn hinter den beiden Höckerpaaren einen starken Ansatz, der bei D. labiatiis gewöhnlich grösser zu sein und aus mehreren (4 — 6) Höckerchen zu bestehen scheint als bei D. torquatus, wo in der Regel 4, an einem Schädel sogar nur 2 Höckerchen vorhanden sind. Hält man aber die Extreme beider Arten zusammen, so scheint mir auch hier unter Berücksichtigung der Grösse der Unterschied zur Trennung der Arten nicht scharf genug zu sein. Die 2 vorderen Backenzähne des Unterkiefers sind von den Seiten stark zusammengedrückt, ihre Kronen bestehen, ehe sie abgekaut sind, aus einem starken Höcker, der am ersten Zahn meist einfach, am zweiten immer durch einen Einschnitt getheilt ist, und aus einem vordem kleinen ein- fachen und einem hintern mehrhöckerigen Ansatz. Der dritte Backenzahn hat, wenngleich kleiner, Aehnlichkeit mit den 2 folgenden deutlich vierhöckerigen. Unter allen Schädeln ist nur einer von D. torquatus, bei dem die Höcker vollständig abgekaut sind, aber nur am vierten, dem zuerst hervorbrechenden bleibenden Backenzahn so stark, dass die Krone ein einziges Feld darstellt, bei allen übrigen ist die Schmelzleiste der die Höckerpaare trennenden Furche sichtbar. Von jungen Thieren konnte ich nur einen Schädel von D. labiatus, dagegen 5 von D. torquatus vergleichen. Der Schädel von D. labiatus (No. V der Tabelle) hat den ersten und dritten Schneidezahn jeder Unter kieferhälfte, alle Eckzähne und den vierten und fünften Backenzahn als bleibende Zähne, die übrigen Schneidezähne brechen erst hervor. Von Milchzähnen steckt in jeder Kieferhälfte nur noch ein vorderer oberer und ein mittlerer unterer Schneidezahn vor dem hervorbrechenden bleibenden, beide und namentlich der obere sind viel schmäler und kleiner als die bleibenden; die drei vorderen Milchbackenzähne sind mit Ausnahme des ersten unteren stark abgenutzt. Die Schädel von D. torquatus (No. V bis IX) gehö- ren verschiedenen Jugendstufen an. Die zwei ältesten Ueb. d. Untersch. zwisch. d. Schädel v. D. labiatus u. torquatus Cuv. 277 (No.V und VI) haben von bleibenden Zähnen in beiden Kiefern den vierten und fünften Backenzahn, alle 4 Eck- zähne, welche schon 2,0 bis 2,5 Centimeter über den Al- veolarrand herausstehen, und in jeder Oberkieferhälfte den vordersten, in jeder Unterkieferhäifte den ersten und dritten (äussersten) Schneidezahn. Von Milchzähnen ist in jeder Unterkieferhälfte beider Schädel der zweite (mitt- lere) Schneidezahn noch vorhanden, dagegen im Ober- kiefer des älteren der hintere Milchschneidezahn schon ausgefallen und der bleibende im Hervorbrechen, während im andern der hintere Milchschneidezahn, der ebenfalls viel schmächtiger ist, als der bleibende, noch feststeckt. Die drei ersten Milchbackenzähne sind beim älteren sehr stark abgeschliffen (der erste obere so stark, dass nur noch seine zwei Wurzeln und zwar von einander getrennt vor- handen sind) und daher ihre Ersatzzähne an den offenen Seiten des Kiefers schon sichtbar, beim andern sind sie wenig abgenutzt. An diese beiden Schädel reihen sich zwei andere (No. VII und VIII) an, welche nur den vierten bleibenden Backenzahn vollständig entwickelt haben, der fünfte steckt noch in der Alveole. Der ältere von beiden hat schon alle bleibende Eckzähne, aber sie ragen oben kaum 1,0, unten 1,5 Centimeter über die Alveole hervor und die Milchzähne sind schon ausgefallen, im Jüngern stecken alle Milcheckzähne noch unmittelbar hinter den kaum 1,0 Centimeter herausragenden bleibenden und sind viel län- ger und schmächtiger als letztere; beide haben ausser dem dritten (äussersten) bleibenden noch alle übrigen Milchschneidezähne und die 3 vorderen Milchbackenzähne sind noch wenig gebraucht. Der fünfte nur 8,5 Centimeter lange Schädel eines neugebornen D. torquatus (No. IX) hat von Milchzähnen nur die Eckzähne und den äussersten untern Schneide- zahn entwickelt, die übrigen stecken noch in den Alveo- len und nur der zweite Backenzahn ist schon etwas über den Rand hervorgeschoben. Nach Vorstehendem ist also anzunehmen, dass die Zähne in folgender Reihenfolge hervorbrechen, was auch 278 Krauss: mehr mit Rengger's als mit Burmeisters Angabe übereinstimmen würde. Von den Milchzähnen brechen zuerst alle Eckzähne und der äuss erste untere Schneide- zahn hervor, dann folgen der zweite Backenzahn und hier- auf die übrigen Schneidezähne, sowie der erste und dritte Backenzahn. Von den bleibenden ist der vierte Backen- zahn schon vollständig entwickelt, wenn die Ersatz-Eck- zähne hervorbrechen ; nach ihm kommen aber gleich alle Eckzähne, hierauf jederseits der fünfte Backenzahn, dann der erste (innerste) Schneidezahn jeder Kieferhälfte. Wenn der äussere obere und der zweite untere Schneidezahn aus der geöffneten Alveole heraussehen, sind die 3 ersten Milchbackenzähne schon stark abgekaut und an der Seite des Unterkiefers eines D. torquatus die 3 Ersatzzähne sichtbar, von welchen nach ihrer Entwicklung zu schlies- sen, der dritte zuerst und der erste zuletzt hervorbrechen muss. Der Wechsel dieser drei Backenzähne scheint im Oberkiefer in derselben Reihenfolge vor sich zu gehen und mit dem dritten der sechste hervorzubrechen. Zu welcher Zeit der äusserste Schneidezahn des Unterkiefers gewechselt wird, konnte ich nicht mit Sicherheit ermitteln, er scheint zuerst ersetzt zu werden. Die Ersatzzähne brechen also in nicht ganz derselben Ordnung hervor als die Milchzähne. Schliesslich lasse ich die Maassverhältnisse der auf- fallenderen im k. Naturalienkabinet aufbewahrten Schädel beider Arten, in Centimetres, folgen. üeb. d. Unterscli. zwisch. d. Schädel v. I). labiatus u. torquatus Cuv. 279 Maas s Verhältnisse des Schädels von Dicotyles labiatus Cuv. I. IL III. IV. Backen- Backen- Backen- Backen- zähne zahne zähne zähne abge- abge- halb kaum schliffen. schliffen. abge- abge- schliffen. schliffen. V. jung,6ter Backen- zahn noch in d. Alveole. Ganze Länge von der Mitte des durch das Scheitelbein und die Hinterhauptsschuppe gebildeten Kamms bis zur Spitze der Na- senbeine, in gerader Linie . . Ganze Länge auf der untern Fläche vom untern Rand des Hinter- hauptslochs bis zum vordem Rand der vordem Schneidezähne Höchste Höhe des auf dem Unter- kiefer ruhenden Schädels von dem Kamm der Scheitelbeine, in senkrechter Linie .... Grösste Breite des Schädels von einer äussern Wand des Joch- bogens zur andern, in gerader Linie Grösste Breite des Schädeldachs von einem Orbitalfortsatz des Stirnbeins zum andern, in ge- rader Linie Breite der untern Fläche des Ober- kieferbeins, von einem Alveolar- fortsatz zum andern, unmittel- bar vor dem ersten Backenzahn Länge des Unterkiefers vom hin- tern Rand des aufsteigenden Astes bis zur Spitze der Schnei- dezähne Grösste Breite des Unterkiefers von einem äussern Rand des Gelenkskopfes zum andern . . Geringste Breite des Unterkiefers, zwischen den Eck- und Backen- zähnen gemessen 27,8 26,4 24,5 24,6 20,2 18,9 12,5 12,6 9,7 9,8 5,7 6,2 21,5 21,0 12,0 11,7 3,1 3,2 24,0 9,3 5,5 21,2 11,3 3,0 26,7 26,6 24,2 19,2 18,8 11,9 9,2 5,7 21,4 11,1 25,1 22,0 17.8 11,2 5,6 20.0 10,3 2,^ 280 Kraus s: Ueber den Unterschied u. s. w. Q Q td CO td^ P CD O 2 "^ Ö CD IS ►!: ^5 gl ^ I S ET. P CD S^ 3: Og ö CD CO CD (JQ CD Pj •^ CD S. O Pj CQ g p, CD tS! CD CD tT- . P CD P^ K) 2 Qj p: pJ P CD Pj M N CD CO p: DQ 2 {=- P P «"& P • (Tl- P CD PjP Q CD P B CD CD -j P O g CC i-j CD ^- ^ g ^pt P N O P- P- P N CD P CD P o a 2 Dd Q CD CQ c-t- C_| CD p p^ O^ CD CD vT OS. CS) p: P Pj B 2- P P pj t3^ Q SO Sg '^ CD p S g:| CD O i-j Pj ö CD ^P^ p CD B ^ P CD B C« ^^ ^B 2.Ö CD CD 5 s ^ s O P P= p"5^ '^^ p 2 ^=5 2. P^^ P.P p CD P Ö p: n- ^ CC p, P O <^ CD O '^ r^P P ^ » S P N "^ PjCD I p PJ CD P „- er" «2 CD fi CD o! tili S- p p Pj ö' CD O) trip: P'g CD S Pj S § tr-P t^p: P CD P P pj ?;r ^^ CD ^ P P| P. 'o CD g-CD OQ CfQ CD C P ^^ 2 ^P. * CD p t-lP «^ ^■p 5^ g CD . P S-" S 2- • cc" P l-i h-i to J^ J-" 5" o "m "co "01 "ü:». CO J-i "05 Üt "hi ^ "01 Ol 1-4 "«£> CD o p" p Cn Pj c ty «c f* p 0 CD -* f5 Pi s rfT a CQ 0» 0 0 p' p: ^ s- ca •«J 0 P Pill ? g- S- !=^ H. ?? !^2. td o rr !=- f H . T lllligä Heber den Hering der pommerschen Küsten und die an denselben sich anschliessenden Industriezweige. Von Prof. Dr. J. lünter, Director des zoologisclieii Museums zu Greifswald. Hierzu Taf. XII. Während König Philipp II. von Spanien den Genuss der Fische vermied, weil er in ihnen nur ,, verdicktes Wasser'^ sah vmd die Syrer ^) im grauen Alterthume sich des Fischgenusses desshalb enthielten, weil sie wähnten. Jeder der sich dieses unerlaubten, ihrer Göttin liTaqyatLg geweihten Nahrungsmittels bediene, werde von Geschwüren heimgesucht, so dass in der That nur Fische im gebratenen oder gekochten Zustande oder auch in silberner und goldener Nachbildung der Göttin geopfert werden durften, verehrte dagegen nach Richter^) eine deutsche Relchsgräfin die „Heringsbäcklein^ d. h. die zwischen den Infraorbitalknochen und dem Kiemendeckel sitzenden Muskeln so sehr, dass sie zu ihrem Lieblings- gerichte stets acht Tonnen Hering verbrauchte und zu- letzt über diese Verschwendung, die ihr allmählich eine Million Thal er gekostet haben soll, tief In Schulden ge- rieth. — Kann man In diesen historischen Thatsachen nur 1) Plutarch, de superstitione cap. 10. — Athenaeus lib. VIII p. 346 schreibt IdrsQycaig, und berichtet, dass diese als Königin ihren Syrern das Fischessen verboten haben soll. Movers, Die Phönicier Bd. I p. 591. Bonn 1841. — Stark, Gaza und die philistäi- Bchs Küste. Jena 1852. 8°. p. 571. 2) Ichthyologie. Lpz. 1754. 8". p. 829. 282 Munter: anderweite Beweise für den längst anerkannten Satz ^de gustibus non est disputandiim'^ finden, so lässt sich ferner- weit auch wohl noch über den Nahriingswerth (Fut- terwerth) des Fisch fleisches im Allgemeinen, gegen- über dem Nahrungswerthe z. B. guten Ochsen flei- sch es pro und contra sprechen. Inzwischen aber, wie zuvor, so auch nach Abschluss dieser ^^schwebenden Frage ^, wird man fortfahren müssen, den in süssen und salzigen Wassern in Form von Fischen erzeugten „Proteinverbindungen und Kohlenhydraten^^, mit Anwen- dung verbesserter Fangapparate, zu Nutz und Frommen der hungernden Menschheit nachzustellen, man wird sich fortgesetzt bemühen müssen, die werthvollen Producte der sonst so unproductiven Wasserflächen wirthschaftlicher auszunutzen, ja man wird allen Ernstes Bedacht zu neh- men haben, die Massenerzeugung der Fische sorgsamer zu überwachen und so viel als thunlich absichtlich herb eizuführ en. Von diesen letztern Gesichtspunkten aus verdient, unter den Fischen der Ostsee südbaltischen Antheils, Keine der bekannten Arten so sehr die Beachtung als der Hering (Clupea harengus Linne), der bei absolut grossester Individuenzahl relativ sich am leichtesten fangen lässt und dessen mannigfaltigste Verwerthungsweise zu- gleich den Vortheil längst überwundenen Vorurtheils besitzt. Um aber dem Leser die volle Gewissheit zu ver- schaffen, dass auf den nachfolgenden Blättern der eigent- liche und ächte Clupea harengus L. Gegenstand der Verhandlungen sein wird, dürften einige Vorbemerkungen wohl unerlässlich sein. 1. Zur Systematik. Der Hering der pommerschen Küsten besitzt freie von einem Kiemendeckel rechter und linker Seits be- deckte Kiemen; im bulbus arteriosus zwei Klappen und sein Skelett besteht aus ächter Knochensubstanz mit deut- lich gesonderten Wirbeln. Gehört er auf Grund dieser leicht nachweisbaren Thatsachen somit zur Ordnung der lieber den Hering- der pommer sehen Küsten u. s. w. 283 Teleostier, so weisen ihm: der von der Schlundbasis zur Mitte der einfachen Schwimmblase sich erstreckende Luft- gang, der völlige Mangel aller ungegliederten Sta- chelstrahlen, die Anwesenheit weicher gegliederter, am Ende getheilter Strahlen in sämmtlichen Flossen, so wie das Vorhandensein doppelter Schlundknochen, seine sy- stematische Stelle in der Unterordnung der Physostomen an und zwar wegen der weit hinter den Brustflossen sit- zenden, paarigen Bauchflossen in der Section der Phy- sostomi abdominales des Müll er' sehen Systems der Fische. Die Haut unseres Fisches ist während des Le- bens dicht mit dachziegelförmig sich deckenden Cycloid- schuppen bedeckt, die jedoch in Folge der üblichen Fangmethode sich so vollständig ablösen, dass die Haut endlich nackt erscheint. Bei den Silur oideen ist die Haut bekanntlich schon während des Lebens nackt oder mit Knochenschilden, statt mit Schuppen bedeckt. — Unser Fisch ist demnach nicht zu den Welsen zu ziehen. — Die Anwesenheit von etwa 20 appcndices pyloricae, welche in doppelter Reihe hinter dem Magen und am Anfange des geraden Darmrohrs sich finden, so wie die Zusammen- setzung der den Mund von Oben begrenzenden Knochen, welche hauptsächlich von dem aus 3 Stücken zusammen- gesetzten Oberkiefer gebildet werden, schliessen die Mög- lichkeit aus, unsern Fisch den Karpfen {Cyprinoiden)^ oder den Zahnkarpfen (Cyprhiodonten) einzureihen, ob- schon er mit den Letztern die einfache, in der Mitte nicht zusammengeschnürte Schwimmblase gemein hat. — Die Abwesenheit einer Fettflosse bei unserm Fische ge- stattet auch keine Vereinigung mit den Characinen, Sco- pelinen und Salmoniden; mit den Letztern insbesondere auch desshalb nicht, weil bei unserm Fische Hoden und Eierstöcke einen directen Ausführungsgang nach Aussen haben und die Geschlechtsstoffe mithin nicht in die Bauch- höhle fallen können, wie es bei den Salmoniden der Fall ist. — Obschon die Esoces ebenfalls eine einfache Schwimm- blase besitzen, so fehlen ihnen doch die appendices pj- loricae; ausserdem ist ihr Kopf von oben nach unten zusammengedrückt flach, während der Kopf unseres Fi- 284 Munter: sches von den Seiten her der Art zusammengedrückt er- scheint, dass die untere Kante fast schneidend wird. — Unsern Fisch den Nilhechten anzureihen, würde theils aus den eben angegebenen Gründen, theils aber auch desshalb nicht zulässig sein, weil den Nilhechten eine von den daselbst befindlichen electrischen Organen her- rührende Schwanzverdickung zukömmt, die unserem, in der Schwanzregion stark comprimirten, Fische gänzlich abgeht. — Von den Reteropygiern u. a. Familien der Physostomi abdominales ist ohnehin schon deshalb abzu- sehen, weil der After unseres Fisches am hintern Rumpf- ende unmittelbar vor der Afterflosse und weit hinter den Bauchflossen, nicht wie bei Jenen, vor den Bauch- flossen unter der Kehle gelegen ist. Werden aber durch die angeführten Merkmale alle die genannten Familien sicher ausgeschlossen, so bleibt für unsern Fisch eben nur die Familie der Glupe- oiden übrig, deren stark, von beiden Seiten comprimirter langstreckiger, mit leicht lösbaren Schuppen bedeckter Leib, fast in der Körpermitte eine Rückenflosse ohne irgend welchen Stachelstrahl besitzt, und deren Mundöffnung oben, von einem kleinen in der Mitte aus- gerandeten Zwischenkiefer und einem aus 3 Stücken zusammengesetzten Oberkiefer, unten aber vom Unterkiefer begrenzt wird. Diese Familie wird in der Ostsee und zwar an den pommerschen Küsten vertreten 1) durch das Genus : Alausa Ysl, — Während Zunge und Gaumen zahnlos sind, be- sitzt der Ober- und Zwischenkiefer leicht abfallende, kurze, zugespitzte Zähnchen. — Der Darm hat zwei Windungen, die Bauchkante ist gesägt und die Schuppen zeigen sich am freien Rande fein gekerbt. Diese Charactere besitzt von den Ostseefischen nur der sogenannte Goldfisch (Alausa vulgaris Val. ^) ; also genannt, weil bei der landes- üblichen sogenannten Räucherungsmethode seine fester anhaftenden Schuppen hochgoldgelb gefärbt Averden. 1) Cuvier u. Valenciennes, Histoire naturelle des poissons. Paris 1847. 8". Tom. XX. p. 391 , üeber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 285 Die angegebenen diagnostischen Merkmale fehlen eben dem Fische, den man in Pommern Hering nennt. Ebensowenig aber lässt sich 2) der specifische Cha- racter des Valenciennes'sclien Genns : Harengula'^), welches unzweifelhaft durch den Breitling (Harengula latulus Val.) und die Sprotte (Harengula sprattus Val.) in der Ostsee vertreten ist, am Heringe der Ostsee nachweisen. Denn beim Letztern findet sich in allen Altersperioden, sowohl beim 2" wie 9" 9'" langen Fische, stets der vomer mit kleinen Zähnchen besetzt, während die Arten der Gattung: Harengtda Yal. zu keiner Zeit ihres Lebens Zähnchen auf dem vomer trafen. o Ausser den genannten beiden Gattungen der Clu- peoiden findet sich nur noch das Genus: Clupea in der Ostsee vertreten und dürfte es daher überflüssig sein, die bis jetzt noch nicht beobachteten Genera: Sardinella, Fel- lonaj Pristigaster, Uogetiia, Clupeonia, Spratella, Kowala und Meletta genauer zu characterisiren. So fehlen, um nur einige Beispiele anzuführen, den Sardin eilen die Vomer- und Kieferzähne; die Meletten aber haben nur noch einige Rauhigkeiten auf der Zunge, während die übrigen Genera bis auf Rogenia und Spratella meist exotischen Ursprungs sind. Die Sprat eilen haben aber nur Gaumen und Zungenzähne und die Ro- genien (White-Bait), obschon in der Zahl der Wirbel und der Zahl der Flossenstrahlen dem Heringe am näch- sten kommend, besitzen doch ungeachtet ihrer Kleinheit (bei höchstens 6" Länge) eine grössere Menge von Zähnen auf vomer, ossa palatina, pterjgoidea und Zunge, während die Kieferzähne mehr gefühlt, als gesehen werden können. Der Ostseehering aber erfüllt alle Postulate des Cuvier'- schen Genus: Clupea''-) in exactester Weise. Zähnchen auf dem Z wi sehe nkieferkn o che n, feine Crenelirungen auf dem freien Rande der Ober- kieferknochen, die noch zu sehen und ebenso leicht zu fühlen sind; Zähnchen auf der Symphyse 1) Ibidem p. 277. 2) Ibidem p.28. 286 Munter: des den Oberkiefer an Länge überragenden Unter- kiefers; leicht erkennbare spitzkonische Zähne auf dem vomer^ sodann auf einer navicula - ähnlichen V4" langen Fläche hinter der Zungenspitze auf der Zungen ober- flache und endHch 2 — 3 ^klehie leicht abfallende Zähne auf dem äusseren Rande der ossa palatina^ während die ossa pterygoidea zahnlos erscheinen. Der bis 9", 9'" lange Körper ist auf dem Rücken zugerundet und schärft sich nach beendeter Laichzeit^ so wie vor dem Eintritt der Geschlechtsreife zu einer mas- sig scharfen Kante zu, besitzt demnach beim Querschnitt z. B. in der Gegend der Rückenflosse die Gestalt eines länglichen umgekehrt eiförmigen Blattes (fol. oblongum obovatum). Das FlossensYstem ist Tollständig. Die paarig vorhandenen Brustflossen sitzen am Schulterknochen hinter und unter dem Kiemendeckel und man zählt in ihnen 17 weiche, am Ende gespaltene Strah- len^) von 1" Länge. Die paarig vorhandenen B a u c h f 1 o s s e n, weit hin- ter den Brustflossen inserirt, finden sich in der Bauch- gegend fast gegenüber der unpaaren Rückenflosse. Man zählt in jeder Bauchflosse 9 Flossenstrahlen. — Seitlich und ein wenig hinter den Bauchflossen findet sich eine V2" lange freie Flossendeckschuppe mit ausgezeichneten langgestreckten, parallel laufenden Farbstofizellen auf der Oberhaut derselben. Das System der unpaaren Flossen ist vertre- ten 1) durch die in der Mitte der Körperfirste inserirte Rückenflosse, deren erster Strahl nur kurz, deren zweiter aber der höchste der Flosse (bis 10") ist, von welchem ab die Höhe der getheilten Weichstrahlen bis zum letzten Strahle (dem 18ten der ganzen Reihe) allmäh- lich abnimmt ; sodann 2) durch die hinter den Bauchflos- sen und dem After gelegene After f los s e von 4'" Höhe 1) Bloch (Oekonom. Naturg. d. Fische Deutschlands 1782. 4°. p. 186) giebt 18 Strahlen an und gründet hierauf vorzüglich die Species: harcngns. lieber den Hering der pommerschen Küsten a. s. w. 287 mit 16 bis 17 WeichstraWen ^) und 3) durch die vertical gestellte, g^blig ausgeschnittene Schwanzflosse mit etwa 23 bis 25 Weichstrahlen (die Bloch jedoch nur zu 18 angiebt), deren längster Strahl 1" 4" lang ist. In der Kiemenhaut befinden sich 5 einzelne runde und unge- theilte Kiemen strahlen und 3 plattenförmige Kiemen- hautstützen, also im Ganzen 8 Strahlen. Die Formel für die Flossenstrahlen des Ostseeherings lautet demnach für die unpaarea Flossen : D. 18; A. 16(17); 0.23(25) und für die paarigen: B.8; P. 17(18); V.9. Vergleicht man hiermit die von Valenciennes^) ge- gebene Formel: B. 8 ; D. 18; A. 16; 0.23; P. 17; V. 9, offenbar das Resultat sorgfältiger Zählungen der Flossen- strahlen des N 0 r d s e e h e r i n g s, so ergiebt sich mit Evi- denz, dass alle wesentlichen Merkmale des Nord- seeherings sich im vollsten Einklänge mit den am Ostseeheringe gefundenen Thatsachen befinden. Durch den geführten Beweis der Species - Identität beider weit von einander getrennt lebender Fische ist aber auch zugleich b e wies en, dass der im östlichen und nordöstlichen Thelle der Ostsee vorkommende Ström- ling (Strömming der Schweden), den LInne (Fauna suec. p. 128) Clupea i^Harengus) Memhras nannte, keine von der ächten Olupca harengus L. der Nordsee verschie- dene Species, sondern nur eine durch die Eigenthüm- lichkeiten der Ostsee herbeigeführte Abänderung desselben darstellt, die ebenso wie der Nordseehering in ihre be- sonderen Ra^en zerfällt. An sich ist dieses Resultat nicht neu, denn dieselbe Behauptung stellten bereits Bloch (L c.) und Nilson^) auf, aber beide Autoren haben es 1) Bloch, ibid. zählt 17 Strahlen. 2) 1. c. p. 36. 3) Skandinavisk Fauna 4 Deel. Lund 1855. p. 499 fgd. — Auch übersetzt von Dr. Creplin in der Halle'schen Zeitschrift für die ges. Naturwissenschaften. 1860 No.VII.VIII. Juli — August p. 2 und P 14. 288 Munter: unterlassen, den Beweis für ihre Behauptung exact zu fuhren. — Ekström^), der augenscheinlich von •unserem Fische ausführlicher handelt, war aber seiner Zeit ebenso wenig wie Bloch im Stande den Beweis der Identität in ähnlich vollständiger Weise zu führen, weil erst durch Va 1 e n c i e n n e s die Gattung Glupea schärfer umschrieben und durch Charaktere sicher gestellt ward, die es uns jetzt verhältnissmässig leicht machen, unsern Fisch mit vollständigster Gewissheit zu diagnosticiren. Da nun zufolge meines Wohnortes und der in hie- siger Gegend eigenthümlichen Fangmethode mir öfters Ge- legenheit gegeben war, den schon seit vielen Jahrhun- derten berühmten Hering Rügens und N e u v o r- pommerns gründlicher kennen zu lernen und es mir überdies gelungen ist, unter Benutzung der landesüblichen Fangmethode ihn im vollkommen unversehrten Zustande, mit allen Schuppen versehen, auch für Universitäts- vorträge und Museen in entsprechender Weise herzu- stellen, so halte ich mich verpflichtet, ehe ich zur Aus- einandersetzung der Fang- und Nutzungsmethoden selbst übergehe, zuvor noch einige allgemeinere anatomische Vorbemerkungen voraufzuschicken. 2. Zur Anatomie. In Betreff des motorischen Apparats ist wenig Neues zu dem bereits Bekannten hinzuzufügen. Das Knochen- system imd vielleicht gerade das des 0 sts ee h er ings, hat durch Fr. K o s e n t h aP) (einem geborenen Greifs- walder und spätem Prof. der Anatomie zu Greifswald), zwar eine Abbildung aller seiner wesentlichsten Theile erfahren, allein die von der heutigen Systematik in den Vordergrund gestellten Zähne sind von dem sonst so ge- nauen Anatomen bis auf die in Fig. 1 abgebildeten, je- doch nicht erwähnten Zungenzähne ganz unberücksichtigt 1) Die Fische in den Scheeren von Mörkö. x4.us d. Schwed. V. Dr. Creplin. Berlin 1835. 8^ p. 206. 2) Ichthyotomische Tafeln. Heft I. Lief. I. Berlin 1812. 4^ Tab. IV und Erklärung zu dieser Tafel p. 21—26. lieber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 289 und unerwähnt geblieben. Obschon Rosenthal das eigent- liche Intermaxillare von den Maxillarknochen unterscheidet, ■wenn er auch beide Knochen (Beschreibung von Fig. 1) mit den Namen ^Intermaxill-Knochen'^ später aber (Fig. 8 und 10) mit dem Namen „Oberkiefer'^ belegt, so bildet er doch in Fig. 1 d. e das eigentliche os intermaxillare und den aus 3 Knochenstücken (Fig. 4) bestehenden Ober- kiefer ab, stellt aber die am vordersten grossen Stücke a, am frischen Thiere mit der Loupe so leicht erkennbaren und fühlbaren Crenulirungen des vordem Randes auffallender Weise nicht dar. Auch die Zahl der Flos- senstrahlen lässt sich aus keinerAbbildung mit Sicher- heit ermitteln, wodurch diese Darstellungen für die Sy- stematik bedeutend an Werth verloren haben. — • Doch werden von Rosenthal zuerst jene mit einem vorsprin- genden Kiele versehenen „Knochenschuppen'' erwähnt und abgebildet, insoweit wenigstens dergleichen „Deck- stücke''' auf den Beckenknochen aufgelagert waren. In- dessen finden sich dergleichen gekielte, zwischen den Hautschuppen hervortretende Bauchkantenknochen noch Mehrere, sowohl vor diesen rudimentären Becken- knochen, als auch hinter den Bauchflossen selbst, bis zum After hin, wo sie allmählich, durch Abnahme ihrer vordem, hintern und namentlich der langen seitlichen Fortsätze sich auf eiförmige, convex-concave gekielte Knochenschild- chen reduciren, die von der sehr dünnen Epidermis über- zogen bleiben und somit Schuppen nachahmen, während sie doch den Hautknochen der Ganoiden homolog sind. Die Wirbelsäule giebt zu mehreren interessanten Beobachtungen Veranlassung. In Betreff der Wirbel- zahl stehen sich die Angaben Bloch's und Rosenthal's einerseits und die von Valenciennes andererseits ent- gegen. Die beiden ersten Beobachter geben nämlich 56 Wirbel an, Valenciennes^) dagegen 55 (cinquante-cinq), 1) Valenciennes I.e. p. 45 zählt im 2ten Alinea: im Ganzen 55 Wirbel und zwar 33 rippentragende, von denen die 22 ersten mit Querfortsätzen. Rosentlial 1. c. nennt die ersten 38 Wirbel: Rückenwirbel, weil sie 2 Reihen freier Muskelgräten tragen; die letzten 18 Wirbel nennt er Schwanzwirbel. Archiv f. Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 19 290 Munter: und ebenso gehen in Betreff der Rippen die Angaben auseinander. Blocli^) tlieilt dem Hering-e 35 Rippen zu, während Rosenthal (1. c. p. 22) die directe Beantwor- tung dieser Frage dadurch umgeht^ dass er sub D sagt: ^38 Rückenwirbel^ welche Muskelgräten der obern und untern Reihe (etc.) zur Anheftung dienen;^ Valenciennes nimmt (1. c. p. 46. 47) aber nur 30 Paar Rippen mit 30 horizontalen Fortsätzen an^ während er auf der vorher- gehenden Seite von 33 rippentragenden Wirbeln spricht. Ich selbst fand wie Bloch ,,35 Ripp enpaar e^. Obschon diese Differenzen in den Angaben rück- sichtlich der Wirbel und Rippenpaare möglicherweise in den untersuchten Objecten ihre zureichende Erklärung finden könnten,, so nämlich, dass der Nordseehering eine geringere Anzahl derselben besässe, als der Ostseehering, so ist doch auch in Anschlag zu bringen, dass es wesent- lich darauf ankömmt_, wie man zählt. Ob z. B. also der letzte sehr complicirt gebaute Wirbel, an welchem ein Theil der Schwanzflossenstützen seine Befestigung findet, von dem einen oder andern Beobachter mitgezählt worden ist, oder nicht u. dgl. Auch rücksichtlich der Rippen kann man sehr leicht einige Paare übersehen_, so dass eine Angaben -Differenz nicht so sehr Wunder nehmen darf. — Viel auffallender ist es dagegen, dass der Wir- bel des Herings noch bis heute Gegenstand eines unentschiedenen Streites ist. Vergleicht man Rosen- thal's oben citirte Abbildung (Tab. IV) mit der im 2ten Bande Tab. VIII von Brandt und Ratzeburg („Medi- cinische Zoologie^) gegebenen Abbildung des Einzel- w^irbels (Fig. B. u. C) und findet bei den letztern beiden Autoren (Text. pag. 41 Anmerkung *)) die Notiz, dass ihre Vorgänger (Rosenthal, Pallas, Kühl) „eine ungenaue Dar Stellung desSceletts des Herings^ gegeben haben sollen, so müsste man sich doch nun we- nigstens der Hoffnung hingeben dürfen, dass die durch Brandt und Ratzeburg endlich erfolgte Verbesserung , 1) Oekon. Naturg. d. Fische Deutschlands. Th. I. Berlin 1782 p. 202. lieber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 291 in der bisherigen Darstellung, die Sache aufs Reine gebracht hätte. Mit Nichten! Der Heringswirbel ist durch Brandt und Ratzcburg's ideale Figuren viel- mehr der exacten Erkenntniss ferner gerückt und der Wunsch gerechtfertigt, dass das Knochensystem des Herings der Bearbeitung einer zukünftigen Preisaufgabe einmal anheimgestellt worden möchte. Mich würde es hier zu weit vom Thema abführen, wenn ich in detaillirte Untersuchungen aller Sceletttheile eintreten wollte, da- her gedenke ich, nur rücksichtlich der Wirbelsäule und einiger damit zusammengehöriger Knochengebilde, meine Beobachtungen hier darzulegen, um wenigstens für die zoologische Systematik einige ^vesentliche Punkte aufgehellt zu haben. Der Idealwirbel Brandt's und Ratzeburg's (L c. Tab. YIH. Fig. C)^) scheint einen Wirbel darstellen zu sollen, der in der Gegend vor der Rückenflosse gelegen, gedacht worden sein mag. Irre ich in dieser Voraus- setzung, so weiss ich doch leider nicht, wo dieses Wir- bels Bleiben sein soll, weil es ganz unmöglich ist, ihn weiter nach hinten zu verlegen, in welchem Falle ihm alsdann jedenfalls die Rippen fehlen müssten, die sich doch in den Zeichnungen finden. Vom Wirbelkörper a lassen die Verf. der med. Zoologie einen 2^^^^.^^^^^^ spi?iosus superior b zwei- wurzlig aufsteigen und ihn dann bei einem willkührlich angenommenen Punkte z mit dem von oben herabkom- menden Flossenträger h sich vereinigen. Hingegen ist zu erinnern, dass es in der ganzen Region der rippentragenden Wirbel auch nicht einen Einzigen giebt, der den ihm zugemutheten Bau besitzt. Dass auch Rosenthal das Sachverhältniss nicht erkannt hat, liegt wohl lediglich daran, dass er keinen Wirbel isolirte und isoli'rt darstellte, sondern alle Wirbel im Zusammenhange mit der Zwischengrätenhaut präpa- rirte und abbildete. Zur Controlle meiner gegentheiligen 1) s. Fig. 1 der beigefügten Tafel, welche wie das Original mit C bezeichnet worden ist. Ö92 Munter; Angaben empfehle Icli die Untersncliung eines Bücklings oder auch schwach gekochten Herings. An einem der- artigen Präparate (Fig. 3) ist es alsdann sehr leicht zu sehen, dass es in der Region der Rippen- tragenden Wir- bel keinen einfachen processus spinosus superior giebt und dass mithin in jener Region von einem zweiwurzligen, oberhalb des Medullarkanals sich ver- einigenden proc. spin. sup. niemals die Rede sein kann. — Beginnt man die Zählung der oberhalb des Medullar- kanals einen einzigen und einfachen proc. spin. sup. füh- renden Wirbel von der Schwanzregion aus und setzt die Zählung derselben nach dem Kopfe zu fort, so wird man finden, dass nur die ersten 26 Wirbel (d. h. die der Schwanzregion) einfache proo. spin. sup. (Fig. 13) besitzen, dass ab^r schon der 27ste Wirbel (von hinten gezählt) und von ihm ab alle Wirbel bis zum Hin- terhauptsbeine hin, nicht einfache, sondern ausschliesslich und nur: doppelte proc. spm. sap. be- sitzen. Die Gabelspaltimg an der Spitze des proc. spi- nosus setzt sich bei genauerer Untersuchung bis zum Wirbelkörper selbst fort, so dass der Medullarkanal in Wirklichkeit von zwei durchweg gesonderten proc. spin. sup. (Fig. 8 b, b) gebildet wird! Jedes Einzelstück dieser doppelten Dornfortsätze be- sitzt nun ausserdem da, wo es mit dem Wirbelkörper zusammentrifft, einen (nach rechts beim rechten Dorn- fortsatze, oder nach links beim links gelegenen Dornfort- satze abgehenden) seitlichenFort satz (Fig. 8f.f. und Fig. 3 f), der sich in einem Winkel von circa 45^ an der Insertionsstelle des zu ihm gehörenden Dornfortsatzan- theils und in innigster organischer Knochenverbindung mit demselben befindet, sich von der Insertionsstelle aus nach aus- und aufwärts wendet und an Länge deii zu ihm gehörigen Dornfortsatzantheil um etwas überragt. Dieser an der Basis eines jeden Dornfortsatzes inse- rirte seitliche Fortsatz ist von Brandt und Ratzeburg in Fig. B und C mit f ^) bezeichnet und von Rosen- 1) 8. beigefügte Tafel Fig. 1 und 2. lieber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 293 thal als ;, Muskelgräte der obern Reihe, welche an der Basis der Dornfortsätze vom Wirbelkörper entstehen^ (1. c. pag. 22. siib 11. D. a) beschrieben worden. Allein auch Rosen thal giebt nicht an, dass jeder Dornfortsatz- antheil in der vordem Kegion der Wirbelsäule, mit den ihm zugehörenden proc. transversus superior organisch verbunden, vom Wirbelkörper sich leicht ab- lösen lässt, während die letzten 26 proo. spin. sicj). mit dem Wirbelkörper innigst verwachsen und somit unablösbar sind. Ferner liegt auch das von Brandt und Ratze bürg abgebildete Stück h, die Flossenstütze, durchaus nicht unmittelbar an dem gabelspaltigen Dorn- fortsatzende in der Weise, wie es die Verf. darstellen, sondern vielmehr in den Rückenmuskeln selbst. So- dann ist von 'den ersten 28 Wirbeln (vom Hinter- hauptsbeine an gezählt) gegen Brandt und Ratze- burg's Angaben zu erwähnen, dass wenigstens bei den ersten 22 Rippenpaaren die in ihrer Fig. C. mit c. d. e bezeichneten Knochen unrichtig aufgefasst und darge- stellt sind. Allerdings existirt ein Fortsatz e und ist dieser auch gewöhnlich um etwas kürzer, als der Fort- satz f, allein einen Fortsatz d habe ich bis jetzt unge- achtet zahlreicher und sehr genauer Loupen-Untersuchun- gen im Zusammenhange mit der Rippe und deren transversus inf. noch nicht aufzufinden vermocht; noch viel weniger habe ich eine bogenförmige Vereini- gung dieses imaginairen Stückes d mit der Rippe c ge- funden. Der den Irrthum erzeugende Knochen liegt im Intercostalmuskel selbst und ist somit ein ächter Muskel- knochen, der zwischen 2 Rippen im Muskelfleische in der Nähe der Wirbel beginnt und bogenförmig im Interco- stalmuskel verläuft und auch darin sich verliert^ nachdem er einen sanften Kreisbogen gebildet hat. Ueberall sah ich, dass die Basis des proo. transversus inferior (Fig. 7. e. e), wie ich ihn nennen will, mit dem Rippenköpf- chen im organischen fossificirten) Verbände sich befand und sich stets nur mit der Rippe selbst vom Wirbelkörper ablöste. Dieser proc. transv. inferior steht ebenfalls in einem Winkel von ohngefähr 45<^ zur (künstlich gerad- 294 ' Munter: linig) gebogenen Rippe und die grosse Anzahl derartiger proc. trans. inf. liefert^ wie Kosenthai ganz richtig sagt^ die .,Muskelgräten der iintern Reihe, welche vom Wirbelende der Rippe abgehen". Vom 23sten Rippen- paare ab, nach dem Schwänze zu, ist der proc. transv. inf. nicht mehr mit dem Rippenköpfchen verwachsen, sondern für sich ablösbar. Was nun endlich die Rippe selbst anlangt (Fig. 7. c. c), so trifft auch für diese die Brandt- und Ratze- burg'sehe Abbildung und Beschreibung nicht zu. Was aus ihrer Fig. C nicht ganz deutlich wird, geht aus Fig. B^) bestimmter erkennbar hervor. Es soll sich nämlich an das sogenannte Sternalende der Rippe ein Stück des Sternums von eigenthümlicher Gestalt (siehe unten) un- mittelbar auflagern. Wenn nun auch ein ähnliches Gebilde existirt, wie es die etwas unvollkommene Abbildung dar- stellt, so legt sich doch das sogenannte Sternalende der Rippe keineswegs ohne Weiteres unter jenes vermeint- liche Sternalstück selbst. Diese beiden Theile haben überhaupt gar keinen Vereinigungspunkt, indem nämlich zwischen beiden, starke Intercostalmuskeln liegen. Was aber die Gestalt dieser sogenannten Ster- nalstücke anlangt, so trifft Rosenthal's Abbildung die Wahrheit viel mehr, als es durch die von Brandt und Ratzeburg Verbesserte (!) geschieht! Rosenthal bildete von derartigen „Knochenschuppen" wie er sie in der Beschreibung seiner Fig. 1 e. e. e (1. c. pag. 22) nannte, zwar nur circa 6 Stück ab und gedenkt derselben auch nur in der Region der Bauchflossen, während Brandt und Ratzeburg einer jeden Rippe ein solches Ster- nalstück zuertheilen; allein diese Stücke sind wenn auch unten gekielt, doch nicht „dreieckig V- förmig, sondern wie aus den Figuren 4. 5 und 6 der beiliegenden Tafel hervorgeht, es sind Knochenstücke, welche im Allge- meinen aus 2 fast gleichschenkligen sphärischen Drei- ecken mnp bestehen, die mit ihrer kleinen Grundfläche m n in einem Winkel von 65 — 70^ zusammentreffen, um 1) 8. beigefügte Tafel Fig. 2. üeber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 295 an der Vereinigungsstelle auf der Aussenoberflache einen Kiel zu bilden, dessen nach vorn gerichtete feindornige Spitze m sich unter die nach hinten gerichtete stumpfe Spitze n des nächst vorhergehenden Knochens schiebt, und auf der Bauchkante etwas hervorragt. Diese ab- gestumpften Hervorragungen leisten einer Messerschneide, welche auf der Bauchkante von hinten nach vorn vorge- rückt wird, Widerstand und veranlassen, da ihrer sich ohngefähr 38^) dachziegelförmig sich deckende Stücke finden, vermöge der vorspringenden Spitzen und Leisten die Sägekante des Heringsbauchs. Die seitlich sich verlängernden Spitzen der beiden Dreiecke p. p stei- gen in Form einer feinen Gräte rechts und links von der Bauchkante an den Aussenwänden des Bauches empor und sind unter der äusseren schuppentra- genden Haut verborgen, aber doch von aussen, gleich- viel ob der Hering frisch, gesalzen oder geräuchert unter- sucht wird, erkennbar und leicht bis an ihr freies Ende zu verfolgen. Das freie Ende aber legt sich nicht unmittelbar an die Rippe an, sondern deckt sie, durch eine V2" dicke Muskelschicht getrennt, von aussen; so dass beide Kno- chen (Hautknochen und Rippe) sich gegenseitig über- ragen; das freie Rippenende (Fig. 7) findet in der Bauchmittellinie, das freie Ende des Hautkno- chens (Fig. 4. 5) dagegen (in etwa 3 — 4'" Höhe) an der Aussenseite der Bauchwände seine Grenze. Von den Bauchflossen nach der Afterflosse zu nehmen die den Bauch umfassenden fadendünnen Fortsätze rasch an Länge ab, so dass zuletzt kurz vor dem After nur noch rhom- bische und zuletzt länglich- eiförmige Knochenblättchen übrig bleiben, die als das Mittelstück jener gekielten Kno- chen anzusehen und nicht einem Brustbeine zu ver- gleichen sind, sondern zur Categorie subcutaner Knochen gehören, die vielleicht passend mit dem Namen „g e- 1) Valenciennes fand beim Nordseehering 42, bei Jün- gern Thieren weniger, bis herab zu 35. 1. c. p. 37 und 38. 296 _ Munter: ki elter Bauclikantenknoclieii^ zn bezeichnen sein dürften. Aus dieser Darstellung geht nun zur Genüge hervor, dass die Brandt - Ratze burg'sche Abbildung des He- ringswirbels (1. c. Fig. B und C) ein unbewiesenes und unnachweisbares Ideal darstellt^ dass mithin im strengsten Sinne des Wortes wesentlichste Theile des Knochensystems des bekanntesten Fisches, des Herings, noch unaufgeklärt sind, daher ich mich veranlasst sehe^ auch noch einiges Andere nachzutragen, obschon ich wie- derholt nur jüngere Kräfte zu einer exacten Untersuchung des in so vielfacher Hinsicht interessanten Heringssceletts einladen kann. Ein Wirbel aus der Region der Rippen (Fig. 9. 10. 11), seiner Anhänge durch Kochen entkleidet, besitzt die Form einer Sanduhr, sowol von Aussen gesehen, als nament- lich auch in seiner inneren Construction. Die beiden spitzkonischen Aushöhlungen der vordem und hintern Hälfte treffen in einem verhältnissmässig grossen sub- central-gelegenen Loche zusammen. Die Form der weit- mündigen vordem und hintern Apertur entspricht jedoch nicht sowohl der einer Kreislinie, als vielmehr der einer Ellipse. Vom äussersten Trichterrande bis zum Loche im Boden des Trichters zeigen sich zahlreiche concentrische Linien. Die Trichterhöhlen sind mit einer salzigen, fast knorpligen Masse erfüllt. Auf der Aussen fläche des innen doppelt-conisch- ausgehöhlten Wirbelkörpers zählt man 7 hervorsprin- gende Knochenleisten, welche die beiden Trichtermün- dungen von vorn nach hinten verbinden. Drei einander parallel- und geradlinig-laufende Leisten durch zwei entsprechend tiefe Thälchen getrennt, befinden sich auf der untern Aussenfläche des Wirbelkörpers (Fig. 11 u u" u"). Rechts und links von diesen 3 pa- rallelen untern Leisten, durch ein etwas breiteres Thäl- chen (Fig. lOv) getrennt, und zwar an den seitlichen Aussen flächen des Körpers befindet sich abermals eine voi^springcndc Längsleiste (Fig. 10 t). Dieses üeber den Hering der pommersch.en Küsten u. s. w. 297 also begrenzte Längs - Thälchen nimmt den Kopf der Rippe mit seinem proc. transv. inf. und ausserdem ein schuppenartiges basales noch innen zugeschärftes Deck- stück mit 2 freien Spitzchen auf (Fig. 7 bei n. n). Auf der 0 b e r n Aussenfläche des Wirbelkörpers . befinden sich wiederum zwei Längsleisten (Fig. 9. rs. rs), jedoch von abweichender Construction. — Die vordere Hälfte einer jeden Leiste (Fig. 9. r) ist nämlich durch eine rund- liche Grube ausgehöhlt^ in welcher das Köpfchen ein- gelenkt ist^ das den proo, spin. sup. und proo. transv.' siiperior an der Basis vereinigt (Fig. 8. E. F bei a. a); die hintere Hälfte (Fig. 9 bei s) dagegen steigt als scharfer Grat nach dem hintern obern Trichterrande empor, und nachdem die beiden Leistchen nach hinten diver^ girend, den Trichterrand erreicht haben, steigen sie fast unmerklich über denselben hinaus und bilden eine jede für sich eine hervorragende kurz-dornige Spitze (Fig. 9 bei 1), die an der Grenze des nächstfolgenden Wirbels ihren höchsten Punkt erreicht. In der Gegend nun, wo die Dornfortsätze allmählich aufhören aus getheilten und ablösbaren Stücken zu be- stehen, d. h. etwa in der Gegend des SOsten Wirbels von hinten her gezählt, sind dieselben auch schon inniger mit dem Wirbelkörper organisch verschmolzen und besitzen keinen weit hinaustretenden proc. transv. sup. y sondern jederseits nur eine nach vorn gerichtete kurze Spitze, die der oben beschriebenen Leistenspitze sich entgegen- stellt (Fig. 13 bei m.m), so dass von der Wurzel eines jeden Dornfortsatzes eine V2" lange Dornspitze sich nach vorn gerichtet findet. In der Gegend des 27sten Wirbels (von hinten gezählt) entwickelt sich auch an den proo, Spin, inferiores ein ähnlicher gleichlanger Fortsatz mit derselben Richtung nach vorn (Fig. 13 m'. m'. m'), so dass z.B. ein isolirter Wirbel aus der Gegend der After flosseninsertion um den nach vorn ge- richteten Trichtereingang seines Körpers von vier nach vorn gerichteten langen Dörnchen umgeben ist, zwei obern und zwei untern, die offenbar den proo, transv. superiores vrnd -inferiores und nicht den Articular- 298 Munter: fortsätzen zu vergleichen sind^ während der hintere Ein- gang zum Trichter des Wirbelkörpers zwar auch von 4 Dörnchen (2 obern und 2 untern) umstellt ist, welche jedoch den hintern Trichtereingang nur eben erreichen^ aber nicht über ihn hinausragen. Die 'proc. spin. inferiores sind vom 23sten Wirbel (von hinten gezählt) ab^ nach dem Schädel zu, nicht mehr an ihrer Spitze einfach, sondern deutlich getheilt, und zwei spitzig (Fig. 12 r. r. r). Am o3sten Wirbel (von hinten gezählt) fehlt die an den nächst vorherge- henden Wirbeln sehr deutlich ausgesprochene verbindende Brücke zwischen den Dornfortsatzästen, die dadurch einer Lyra gleichen (Fig. 12. r. r. r) und so sind am 33sten und und 34sten Wirbel (von hinten gezählt) nur noch 2 freie Spitzen vorhanden, welche rechts und links von der nun- mehr nur einfach vorhandenen Leiste auf der Grundfläche des Wirbelkörpers sich inserirt und mit der Knochenmasse des Körpers verschmolzen zeigen. Alle Wirbel vom 34sten ab bis zum Hinterhauptsbeine be- sitzen auf ihrer Basis stets die 3 parallelen oben beschriebenen Längsleisten (Fig. 11. u. u". u'") und sind dadurch so characterisirt, dass sie sich durch dieses Erkennungszeichen sofort diagnosticiren lassen, während alle mit proc. spin. inf. versehenem Wirbel ent- weder nur eine Längsleiste oder zuletzt auch diese nicht mehr auf der unteren Aussenfläche der Wir- belkörper zeigen. Die beiden Aeste, aus denen die proc. spin. inf. her- vorgehen, sind stets nahe dem vordem Trichterein- gange zum Wirbelkörper inserirt (Fig. 12. r. r. r), und von ihrer Insertionsstelle aus, nach der hinteren trichterför- migen Apertur zu, erstreckt sich eine dünne zuge- schärfte Knochenleiste, die zw^ar auch bei den Wirbeln angedeutet ist, denen die unteren Dornfortsätze fehlen, sich aber ihrer geringen Grrösse willen leicht über- sehen lässt, während sie bei allen Wirbeln mit deutlich ausgesprochenen unteren Dornfortsätzen sich stark mani- festirt und wesentlich dazu beiträgt, dass auch bei den Wirbeln dieser hinteren Region am Körper sich 7 Kno- üeber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 299 chenleisten zählen lassen^ die jedoch eine ganz andere Lage und Bedeutung besitzen. Bevor ich die Knochen der Rumpfregion verlasse, scheint es mir angemessen, auf den eigenthümlichen Bau des letzten Schwanz wirbeis hinzuweisen, der sich von allen Wirbeln dadurch leicht unterscheidet, dass er am Körper nur eine und zwar die nach vorn gerichtete trichterförmige Apertur besitzt, während die hintere gänz- lich fehlt, der Wirbelkörper mithin einer Pauke, oder einem kupfernen Kessel gleicht, der sich mit einem star- ken, gabiigen Anhange in eigenthümlicher Weise deco- rirt zeigt. Denkt man sich eine Pauke, an deren bau- chigen Kessel an irgend einer beliebigen Stelle ein schief nach aufwärts steigender gabelspaltiger Schwanzanhang inserirt wäre, so würde ein solches Gebilde ohngefähr dem letzten (Schwanz -)Wirbel des Herings gleichen. Der gabelartige Anhang mag der wieder doppelt auftre- tende proc. spin. sup. sein, aber er trägt ausserdem einige Schwanzflossenstützen so, dass man meinen möchte, sie wären mit ihm organisch verbunden. Indessen überzeugt man sich doch bei öfters wiederholter Untersuchung fri- scher Schwanzwirbel, dass die scheinbar organisch mit ihm verbundenen Stücke: Schwanz-Flossenstützen sind, die durch Bänder mit ihm in Verbindung stehen. Die Darstellung des Schädels bei Brandt ilnd Ratzeburg sowol, als bei Rosenthal mit allen ihren Details, habe ich genau verglichen, bin jedoch nicht zu wesentlich abweichenden Ansichten gekommen, daher ich hier zur Vermeidung von Wiederholungen auf eine de- taillirte nochmalige Auseinandersetzung bekannter That- sachen verzichte. Desgleichen geben die Darstellungen der Weichtheile von Brandt und Ratzeburg (1. c. Tab. VIII. iig. 1) zu besonderen Gegenbemerkungen keinen Anlass. Die Messung des Schlundes ergab beim ausgewachsenen Weibchen eine Länge von 9'", ebenso die des Magens von 9'" ; die des Blinddarms von 1" 3"' ; die der append. pyloricae von 1" 2'" Länge. — Das Darmstück, längs welchem die appendices sich in das- selbe einmündeten war 4' , der übrige Theil des Dar- 300 Munter: mes 3" 8'" lang. Die Länge der Schwimmblase endlich betrug 4". Ebenso wenig wie Valen ciennes- (1. c. pag. 41) fand ich einen Zusammenhang zwischen der Höhle der Schwimmblase und dem Gehörorgane. Zwischen beiden Apparaten besteht keine andere, als eine einfach ligamen- töse Verbindung. Dagegen steht die einzellige Schwimm- blase mittelst eines ungewöbnlich langen, vom unteren Theile des Schlundes ausgehenden und von da allmählich bis zur Schwimmblase selbst sich mehr und mehr ver- engernden Canals mit dem Schlünde selbst in directem Zusammenhange, so dass man nach unterbundenem Magen vom Schlünde aus, leicht Luft in die Schwimmblase ein- treiben kann. 3. Der Schuppenpanzer grösserer Individuen ist zwar durch Bloch, Brandt und Ratzeburg sowie durch Valenciennes ab- gebildet worden; allein ich glaube nicht, dass einer der genannten Autoren jemals ein Thier mit vollen Schup- pen seinem Zeichner vorlegen konnte. Geeignete Präpa- rate fehlen allen Museen und zwar deshalb, weil die in der Nordsee übliche Fangmethode es unmöglich macht, einen Fisch unversehrt aus den starken und grossen Netzen herauszunehmen. Wenigstens mir ist es mit den hie- sigen sogenannten Netzenheringen niemals geglückt und auch die exorbitantesten Preise, die ich für ein völlig be- schupptes Individuum bot, lieferten mir keine normalen Thiere. Nachdem ich aber die grossen hierorts landesübli- chen Reusen näher kennen gelernt hatte, war ich fernerhin besorgt, vollständig erhaltene Thiere zu acquiriren. Zur Vermeidung eines unverhältnissmässigen Kostenaufwandes begab ich mich selbst im April 1855 des Morgens um 4 Uhr mit den Besitzern einer Reuse auf der Halbinsel Mönchgut (Rügen) zu ihrer am Binnenstrande aufgestellten Reuse, und nachdem die während der Nacht in der Reuse eingetroffenen Fische durch Heben des grossen Appa- rats in die hintere Abtheilung getrieben worden waren, erfasste ich die an die Oberfläche des Wassers kommenden Ueber den Hering der pommersclaen Küsten u. s. w. 301 Thiere beim Schwänze und steckte sie, so rasch als mög- lich, in ein bereit gehaltenes grosses Glasgefäss, welches mit Spiritus vini (von 90% Tralles) erfüllt war. Dieses auch später mehrmals ausgeführte Verfahren hatte zur Folge, dass die so behandelten Heringe ebenso wie die bei Triest in gleicher Weise eingefangenen Sardinen mit wohlerhaltenen Schuppen für die Zwecke des Unter- richts und des hiesigen Museuuis gewonnen werden konnten. Heringe, welche auf diese Weise behandelt wurden und jedem Zeichner als vollgültige speclmina gelten können, besitzen 15 bis 16 parallele Schuppenrelhen und in einer der längsten, in der Gegend der llnea alba etwa gelegenen Reihe, gegen 58 Schuppen. Dem blossen Auge erscheinen die Schuppen rundlich, bei einer hun- dertmaligen Vergrösserung aber erkennt man, dass die freie Hälfte der Schuppe mit concentrischen Streifen ver- sehen ist, w^ährend die in der Haut verborgene andere Hälfte radiale Erhabenheiten besitzt, die am hintern Rande in schwache Zähnchen auslaufen, auf deren Ober- fläche isollrte dunkelfarbige Pigmentmassen von elgen- thümlicher Configuratlon sich befinden. Diese Pigmente sitzen In radial gestellten, wellenllnigen Gängen von ge- ringer Länge, so dass die strahllgen Pigmentmassen höch- stens einen Durchmesser von der Breite der kleinen Zähn- chen des Schuppenhinterrandes besitzen. Der mit con- centrischen halbkreisförmigen Linien bedeckte andere Schuppentheil Ist von einer dünnen Zellgewebsschicht be- deckt, in welcher parallel laufende die concentrischen Bogenllnlen im Sinne der Radien kreuzende Langzellen mit farbigen Pigmenten erfüllt, sich befinden. Diese mit rothen, blauen, gelben Pigmenten erfüllten verschieden- langen Zellen bringen die köstlichsten Farbentöne hervor, durch die der frische Hering so ungewöhnlich prachtvoll gefärbt erscheint. Die Farben sind durchaus constant und ändern sich wenig durch auffallendes Licht;, es ist also kein blosses L'Isiren, ein Lichtbrechungsphänomen etwa, sondern ein von abgelagerten Farbstoffen herrührendes Farbenschillern. 302 Munter: Bei den Rückenscliuppen herrscht stahlblau vor^ das beim Uebergange zu den Seiten des Fisches durch eine Mischung von gelb und blau (smaragdgrün) verdrängt wird, dem nach der Bauchkante zu, die atlasglänzende leuchtende Silberfarbe folgt, die nunmehr zur herrschenden wird. Durch die constant abwechselnden drei Hauptfarben gelb, blau, roth in den kleinsten Räumen auf einer und derselben Schuppe dürfte vielleicht die silberweisse Farbe zu erklären sein, da ja bekanntlich die Summe aller Farben stets weiss d. h. farblos erscheint. Das Vor- herrschen eines bestimmten Pigmentes aber, auf einer und derselben Schuppe, erzeugt die gleichmässig stahl- blauen Farben, während die abwechselnd gelb und blau gefärbten Langzellen die smaragdgrüne Farbe hervor- rufen. Was nun ferner 4. die Generationsorgane und die sich entwickelnde junge Brut anlangt, so fand ich die ersten sicheren Beweise der Ge- schlechtsreife bei 6V2" langen Weibchen, während 6zöl- lige Weibchen noch nicht mit ablöslichen Eiern versehen waren. — Die Frage ob ein und derselbe Hering zweimal im Jahre zu laichen vermag, glaube ich mit Nein be- antworten zu müssen, ungeachtet die Production der Ge- schlechtsstoffe eine so überaus reiche ist, und ungeachtet experimentelle Beweise mir nicht zur Seite stehen. Die Inwyken des Stralsunder Regierungs-Bezirks, zumal die weitaus ergiebigsten Fangorte liefern nämlich nur einmal des Jahres und zwar während des Frühlings hinreichend lohnende Erträge, während wenn eine doppelte Laichzeit bei allen Stümen (Heringszügen) stattfände, unzweifelhaft auch eine doppelte Fangzeit längst bestehen und die, i m Juni bereits, aus dem Wasser genommenen grossen Reusen unzweifelhaft zum zweiten Male aufgestellt werden würden, indem das Wohl und Wehe zahlreicher Fischerfamilien auf das Innigste an die Erträge der He- i'ingsfischerei sich anknüpft. üeber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 303 Demungeaclitet kann nicht in Abrede gestellt werden, dass, gleich den Heringen der Nordsee, auch die der Ostsee, theilweise, ja man darf sagen, m eiste ntheils im Frühjahre, theilwelse aber auch im Herbste lai- chen; aber es sind nach meinem Dafürhalten wenigstens andere Stüme, die i m He r b s t e, und wieder Andere, die im Frühjahre laichen. — Form, Grösse, La- gerung und Ausführungsgänge der keimbereitenden Or- gane sind so allgemein und zur Genüge bekannt, dass es überflüssig erscheint, hier noch einmal ihrer ausführlich zu gedenken. Die Micropyle an den reifen Eiern auf- zufinden und offen zu sehen, ist mir ebenso wenig ge- lungen, als es mir möglich war, über die Form der Sper- matoiden ganz ins Klare zu kommen. Abgesehen von der Schwierigkeit den rechten Augenblick zu treffen, sind auch die Umstände, unter denen man dergleichen Beob- achtungen auszuführen im Stande ist, gewöhnlich so un- günstig, wie nur irgend möglich. — Den Spermatoiden schien stets der schwanzförmige Anhang zu fehlen, doch dürfte diese meine negative Behauptung noch keineswegs als schlussgültig anzusehen sein. Auch die künstliche Befruchtung und Erziehung der jungen Brut ist mir, der ungünstigen Umstände willen, bisher nicht geglückt. Dagegen habe ich keinen Grund zu zweifeln, dass die an den Blättern der Zostera ma- rina L. und den Zweigen der Charen während des Mai zahlreich anhaftenden Eier dem Heringe angehörten, zumal ich zu Ende des Juni bereits junge Heringsbrut gefunden habe. Ein sehr junges Individuum von 2" 4"' Länge wurde einstens im Rykflusse gefangen, in welchem das süsse Wasser wesentlich vorherrscht und das See- wasser durch die zeitweilig einströmenden Wasser des Boddens sehr schwach vertreten ist. Bei diesem sehr jungen, wahrscheinlich erst 2 — 3 Monate alten Lidividuum fand ich folgende Längenverhältnisse: 1) Von der Schnauzenspitze bis zur Endspitze des bereits gabeligen Schwanzes 2" 4'" 2) Von der Schnauzenspitze bis zum Hinterrande des Kiemendeckels 0" 6'" f'" 304 Munter: 3) Von der Sclinauzenspitze bis zum Anfange der Rückenflosse 1" 0 4) Von der Schnaiizenspitze bis zum vordem Rande der Bauchflosse l"lp 5) Von der Schnauzenspitze bis zum vordem Rande der Afterflosse .• 1" 7'" 6) Von der Schnauzenspitze bis zum vordem Rande der Schwanzflosse 2" 0"' 7) Umfang des Leibes in der Gegend der Rücken- flosse 0"10"' 8) 'Höhe des Leibes 0" 5'" 9) Durchmesser des Auges 0"1^2"' Zahlreiche Individuen von 4" und 5V2' Länge wurden während mehrerer Frühlingsfangzeiten mit grossen aus- gewachsenen Individuen in den Reusen gefangen^ so dass es scheint, als gesellten sich auch die M a t j e s- (Jungfern-) Heringe zu den Vollherin- gen, um mit ihnen di e Laich platz e zu besu- chen und von denselben vorläufig bis auf Wei- teres Kenntniss zu nehmen. Die Längenverhältnisse eines derartigen 4" langen Thierchens stellten sich folgenderweise: 1) Von der Schnauzenspitze bis zur Endspitze des gabiig ge-theilten Schwanzes .... 4" 0'" 2) Von der Schnauzenspitze bis zum Hinterrande des Kiemendeckels 0" 10'" 3) Von der Sclmauzenspitze bis zum vordem Rande der Rückenflosse 1" 9'" 4) Von der Schnauzenspitze bis zum vordem "•■•* Rande der ßauchflosse 1" 10'" 5) Von der Schnauzenspitze bis zum vordem Rande der Afterflosse 2" 6'" 6) Von der Schnauzenspitze bis zum vordem Rande der Schwanzflosse 3" 3" 7) Umfang des Leibes 1" 6" 8) Höhe des Leibes 0" 7"' 9) Durchmesser des Auges 0" 2" Die durchschnittliche Länge der in Reusen gefan- genen Frühlingsheringe beträgt wohl 8 " ; während die Ueber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 305 durchschnittliche Länge der in Mansen und im Ziehgarn gefangenen Heringe je nach der Lokalität; woselbst sie gefangen wurden, 9" betragen dürfte, o bschon alte weib- liche Thiere besonders kurz nach Aufgang des Eises ge- fangen, nicht selten eine Länge von 9" 2'" bis 9" 9"' er- reichen. — Es scheint als ob die grossesten und ältesten Thiere zuerst zu Laichen beginnen, während die mittel- langen Thiere im Allgemeinen später laichen, obschon freilich auch zwischen durch einmal wieder ein Zug (Stüm) von grössern Thieren gefangen wird. Ein 9" 9'" langes Weibchen (Vollhering) ergab fol- gende Maasse: 1) Von der Schnauzenspitzo bis zur Schwanz- spitze 9" 9'" 2) Von der Schnauzenspitze bis zum Hinterrande des Kiemendeckels , . . 1" 9"' 3) Von der Schnauzenspitze bis zum Anfange der Rückenflosse 4" 6'" 4) Von der Schnauzenspitze bis zum Anfange der Bauchflossen 4" 10'" 5) Von der Schnauzenspitze bis zum Anfange der Afterflosse 6" 9'" 6) Von der Schnauzenspitze bis zum Anfange der Schwanzflosse 8" 6'" 7) Umfang des Leibes vor der Rückenflosse . 4" 4'" 8) Höhe des Leibes (von der Rückenflosseninser- tionsstelle bis zur Bauchkante in gerader Linie gemessen) 1" H'" 9) Grösster Querdurchmesser des Körpers . . 0" 10'" 10) Grösster Durchmesser des Auges (von aussen gemessen) 0" 5"' Dass ein Weibchen von diesen Dimensionen denen der Nordseefische nahe steht, bedarf keines Beweises. Der Nor dseehering besteht wegen der angenom- menenMaschen weite der gebräuchlich en Netze nur durchweg aus derartigen Fischen, während der Ostseehering, zumal der in Reusen gefangene pom- mersche Küstenhering aus Thieren verschie- denster Grösse besteht. Arohiv f. Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 20 306 Munter: 5. Die Nahrung des Herings anlangend^ so fand ich nur ein einziges Mal im Herings- magen ein unvollständiges Individuum einer Orchestia- Species; in allen übrigen sehr zahlreichen Fäl- len, und zu allen Jahreszeiten fand ich stets mehr oder weniger veränderte Bruchstücke oder auch ganz er- haltene Thiere, die sich indessen bei genauerer Prüfung nicht sowohl der Gruppe der Amphipoden, sondern der Gruppe der Copepoden zugehörig erwiesen. — Nach Eckst röm^) findet man im Heringsmagen: kleinere Fische, Seewürmer, Mollusken und Krebsthiere. — Bloch^) bezieht sich auf die Angaben von Neu Crantz, welcher kleine Krabben im Magen gefunden, während L e u- wenhoek auch Fischrogen daselbst gesehen haben wdll. Was Bloch ausserdem vom „Roe-aat" der Nor- weger'anführt, die nach Fahr icius kleine Krebse, nach der Meinung der Norweger kleine rothe Würmer sein sollen, lässt sich jetzt kaum mit Sicherheit auf seinen wahren Werth zurückführen. So viel ich aus Bock's^) Mittheilungen über den Boe-Aat schliessen kann, sind hierunter wurmförmige Thiere zu verstehen, die sich in den norwegischen Gewässern während des Sommers so zahlreich finden, dass die Wasser davon roth gefärbt er- scheinen sollen. Von den Heringen verschluckt sollen sie denselben schädlich werden, so dass eine „gänzliche Auszehrung erfolget^. Aehnliches habe ich bei den Ostseeheringen nicht beobachtet, sondern in deren Magen, wie bereits ange- deutet: fast ausschliesslich Copepoden gefunden, und zwar den : Diaptomus castor (J. 0. Westwood) Jurine. — Diese Copepoden- Art wird von W. Liljeborg^) zwar nur unter den Süsswasserformen genannt, allein ich habe diese 1) 1. c. p. 220. 2) 1. c. p. 194. 3) Versuch einer vollständigen Natur- und Handlungsgeschichte der Heringe. Königsberg 1769. 8° p. 28. 4) Ora de inora skäne förekommende crustaceer af ordningerne Cladocera, Ostracoda och Copepoda. Sect. I. Lund 1855. 8° p. 135. tab. Xm. fig. 1—10. Ueber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 307 Species doch auch sehr häufig unter den Copepoden unserer pommerschen Brackwasser (versüsstes Seewasser) beobachtet und wunderte mich daher gar nicht, diese Thierchen im Magen des Küstenherings Pommerns zu Tausenden wiederzufinden. Wunderbar erscheint es mir nur, dass der Hering diese fast mikroskopisch-kleinen Krebschen findet und sie so rein aus der anderweit sich darbietenden Nahrung heraus zu suchen vermag. Nur weil die kuglige Linse im Heringsauge so stark vergrös- sernd wirkt (ich schätze die Vergrösserung weit über eine 20fache lineare), wird dem Heringe das Auffinden so kleiner Crustaceen möglich. Das menschliche Auge erkennt sie auf we isser Unterlage z.B. einer Porzellan- schale allerdings noch ziemlich gut, allein in dunkelge- färbten Gefässen sind sie nicht mehr zu bemerken. Der Hering erkennt diese kleinen Copepoden aber doch in den dunklen Tiefen des Seegrundes. Während ich also nur den Diaptomus castor Jurine, eine vorwiegende Süsswasser-Copepodenform im Herings- magen fand, berichtet V a 1 e n c i e n n e s ^) auf Grund von Untersuchungen, zu welchen ihm Rob. Knox aus den Mägen schottischer Heringe das Material zugesandt hatte, dass er nur: „Cyclops furcatus Baird und Cyclops Strönici^BAY^ gefunden habe, kleine Entomostraceen, die Milne-Edwar ds zu seinem Genus Cyclopsine zöge^'. — Abgesehen von der in Folge eines Druckfehlers wohl entstandenen irrthümlichen Bezeichnungswelse : „Strönici*^ statt „Strömii^^, haben wir in diesen beiden Copepoden zwei Arten aus zwei verschiedenen Meerwasser- Copepoden-G attungen, die mit L i 1 j e b o r g zu be- zeichnen sein würden : Tishe furcata Baird und Cantho- camptics Strömu Baird. Die schottischen Heringe leben in der eigentlichen Salzsee und ihnen bieten sich folglich auch nur ächte Seewasser-Copepoden dar. Der Ostsee- hering dagegen lebt im Brackwasser und kann daher auch nur zu denjenigen Copepoden gelangen, die ihm ein so schwach gesalzenes Seewasser zu liefern vermag, — 1) 1. c. p. 69. 308 Munter: Allein die beiden von V a 1 e n c i e n n e s im Herings- magen gefundenen Copepoden-Formen fand Liljeborg auch in der Ostsee^ nur fand ich sie niclit im K r e b s- m a g e n und daher schliesse ich aus dieser meiner Mei- nung nach bemerk enswerthen Thatsache, dass der Ostsee- hering wie er in Greifswald z. B. in so grosser Menge zur Verwendung kommt, nicht aus der eigentlichen freien Ostsee, sondern aus den zahlreichen mit Brackwasser erfüllten Inwy ken und Bodden stammt, in denen er gefangen ward. Andere diese Behauptung rechtfertigende und unterstützende Thatsachen werden weiter unten zur Sprache kommen. 6. Der Aufenthaltsort und die geographische Verbreitung des Ostsee-Herings ist, wie schon mehrmals angedeutet und es auch anderweitig hinlänglich bekannt ward, zu- nächst das eigentliche Seewasser, dann aber auch das Brackwasser der Ostsee. Steht mir leider keine neue Analyse der Brackwasser zur Disposition, so geht doch aus den Untersuchungen und Mittheilungen der Herren Goebel und Seetzen^), auf welche sich Ha- mel-) stützt, hervor, dass der Salzgehalt der Ostsee zwi- schen V2% (bei Riga) bis 1, 1% (bei Kiel) schwankt, so dass in der Gegend zwischen Swinemünde und Greifs- wald etwa, reines Ostseewasser gegen 1% an gelösten Salzen besitzen dürfte, die aus Chlornatrium, Chlorkalium, Chlor magnesium, schwefelsaurem Kalk und Magnesia und vielleicht auch aus kohlensaurem Kalk und Magnesia be- stehen, während von Jod- und Bromverbindungen sich nur erst geringe Spuren zeigen. — Die Nordsee dagegen besitzt ein Minimum an Salzen von 3V4% an der West- seite Holsteins, und ein Maximum von 3, 9Vo an der englisch- französischen Küste. — Unter diesem extremen , Salzgehalte von V2% bis 3, 9% lebt der Hering überhaupt, 1) Das Seebad zu Pernau an der Ostsee. Lpz. 1845. 2) Bulletin de l'acad. imper. des sciences de St. Petersbourg 1852. Tom. X. No. 18—20 p. 313. lieber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 309 und so kann es uns nicht Wunder nelimen, wenn er auch in den^ mit versüsstem Seewasser (Brackwasser) erfüllten zaMreichen Buchten (Inwyken und Bodden) der pommer- schen Küste lebt, deren Salzgehalt von etwa V2V0; dem bei Riga und Reval entsprechen dürfte. Nach mündlichen und schriftlichen Berichten^ die ich aus diversen Ostseestädten in Folge eingezogener Erkundigungen erhielt^ geht nun aber mit Evidenz her- vor, dass der Salzgehalt das massenhafte Vorkommen des Herings in der Ostsee durchaus nicht bestimmt. Nach Ecks tröm^) findet sich der S tr ömming (Clupea harengus Membras L.), offenbar eine Formvarietät unseres Heringes, die sogar die Länge von 9" und eine Breite von 2" erreicht, am häufigsten in dem scandinavischen Theile der Ostsee unterm 60« n. Br., folglich in den an Salzen ärmsten Gewässern; Eck ström fügt aus- drücklich hinzu, ^bei Tornea, wo das Wasser kaum noch dem Seewasser gleicht'^ In Eckström's reichen natur- geschichtlichen Beobachtungen über die mannigfachen Abänderungen und die verschiedenartigen Fangmethoden des Strömlings findet sich durchaus kein Widerspruch mit seiner Behauptung über die Häufigkeit dieses Fisches in Mörkö, der sogar dort noch gesalzen und geräu- chert wird. — Dass auch an den Küsten der Ostseepro- vinzen des russischen Reichs Hering (Strömling auch hier genannt) vorkommt, findet unzweifelhaft in dem dem- nächst erscheinenden grossen Werke von Baer's seine Bestätigung, welches derselbe im Auftrage seiner Regie- rung über den Zustand des Fischfanges in Russland publi- ciren wird ^). Freunde aus Esth-, Liv- und Curland haben mir übrigens oft genug von ihrem heimischen Ström- linge erzählt; ob derselbe aber so häufig sei, um, wie in den Scheeren von Mörkö grössere Salzereien und Räuchereien zu versorgen, ist mir nicht sicher bekannt geworden. 1) 1. c. p. 212. 2) Kon er, Zeitschrift für allg. Erdkunde Bd. XIII. Berlin 1862. p. 360. 310 Munter: An der Küste des ostpreussischen Samlandes ^) fängt man auch noch „Strömlinge'^ imd benutzt zu deren Fange ein frei schwimmendes grosses Netz (ob Mause oder Ziehgarn ist nicht genau angegeben). iVehnliche bestätigende Mittheilungen erhielt ich während der Na- turforscher-Versammlung in Königsberg undDanzig 1860^), auch ergeben sie sich aus den unten (^) citirten Rathke'- schen Verzeichnissen zur Genüge. Von der hinterpommersch-westpreussi- schen Grenze bis Swinemünde hin^ findet sich der Hering jetzt vorzugsweise im Herbste, und zwar doch auch nur in so geringer Quantität, dass er zu technischen Unternehmungen durchaus nicht aufmuntert und kaum hinreicht, um im frischen Zustande der Nachfrage zu ge- nügen (^). An der Küste von Usedom dagegen habe ich vor 5 — 6 Jahren etwa noch mehrere Vitten (mit ober- behördlicher Erlaubniss angelegte Heringspacke- re i e n) gesehen, bin zu Oefterm Zeuge von ausgiebiger Ausbeute des dortigen Heringsfangs gewesen und kann mich ausserdem in dieser Beziehung auf Christo ff el's Schrift über die Ostseefischereien, so wie auf die Steuer- Register des Haupt-Zoll-Amtes zu Wolgast beziehen, aus deren Angaben die an die Usedomer Vitten gelieferten Quantitäten bonificirten Salzes sich mit Zahlen belegen Hessen. — ■ Ausserdem finden sich in Peenemünde, so wie in C r ö s 1 i n ( Fischerdörfer am Eingange der Peene), bereits grössere Veranstaltungen zum „Räuchern^' der Bücklinge, so dass selbst eine Ausfuhr derselben von da nach dem Hinterlande möglich wird. Seit 600 Jahren aber sind die Küsten Rügens, besonders des südlichen 1) Hau de und Spener'sche Zeitung Jahrg. 1855. No. 271. Beilage No. 2. 18. Novbr. in den Streiflichtern aus Preussen und Rathke's „Verzeichniss der in Ost- und Westpreusseu vorkom- menden Wirbelthiere" in den Neuen Preussischen Provinzialblättern Bd. II. Königsbg. 1846. p. 18. No. 55. 2) Ueber das Vorkommen des Herings in dortigen G-egenden während des 13ten Jahrhunderts wird weiter unten Bericht erstattet werden. lieber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 311 und südöstlichen Theils, wegen ihres grossen Reichthums an Heringen weit und breit berühmt. Wird doch sogar durch ein altes Wiegenlied der hoffnungsvollen Jugend der wackern Mönchguter die Bedeutung des Herings be- greiflich gemacht und im frischen Andenken erhalten, welches plattdeutsch also lautet: .jHüsse^ büsse, lewes Kind^ Vadder, de fängt Hiering; Moder^ de sitt an den Strand Vadder^ de kümmt bald an Land Met en Föder Hiering !^ So wie der Fang des Herings an den südlichen und südöstlichen Rügenschen und den ihnen gegenüber- liegenden neu vor pommerschen Küsten blüht^ so auch die daran sich anschliessenden Industrieen und kann es daher kein Wunder nehmen, wenn Greifs- wald, die nächst grösste Stadt an diesen heringsreichen Küsten, die umfänglichsten Veranstaltungen zum „Salzen" und „Räuchern^ dieser in grosser Fülle gefangenen Fische besitzt und mutatis. mutandis in der Ostsee, die Rolle von Y a r m 0 u t h in der Nordsee spielt. Um vieles ärmer an Heringen sind zur Zeit die Westküsten Rügens, so wie die pommersche Fest- lands-Küste um Stralsund und Barth. — Selbst der Aus- senstrand der Halbinseln und Inseln: Zingst, Dars und des meklenburgischen Fischlandes geben nur geringe Aus- beute; kaum etwas mehr als der inländische Bedarf erheischt und nur ab und zu kömmt es zu grösseren Ab- fuhren. Und doch ist der Salzgehalt der Ostsee um diese Lande herum entschieden höher, als der im Greifs- walder Bodden. Bei Rostock beträgt der Salzgehalt sogar schon circa 1, 6% ^iid nimmt von da nach den holsteinischen Ostseeküsten noch stetig zu. Aber mit dem Salzgehalte wächst keineswegs die Quantität des Herings, denn selbst an den Küsten der dänischen Inseln und an der einstmals so heringsreichen südlichen Küste Schwedens kommt er jetzt in so geringen Mengen nur vor, dass seit mehreren Jahren bereits schwedische Fischerboote nach Mönchgut kommen, um fri- 312 Munter: sehen Hering aufzukaufen; wie ich selbst durch mündliche Mittheilungen der Fischer ermittelt habe und es auch aus Fock's interessanter Schrift^') weiter zu be- weisen im Stande bin. Aus der Yerbreitung des Herings in der Ostsee geht demnach hervor^ dass nicht sowohl die Zunahme des Salzgehaltes dessen Massenerzeugung bedingt, sondern diese vielmehr abhängig sein dürfte von der Con- figuration der Küste und der Bodenverhältnisse der be- nachbarten Gewässer. — Grenzen nämlich an tiefe Stellen, sandige und seichte Ufer, finden sich zahlreiche Inwyken, von scheerenartiger Beschaff enheit, wie an den norwegischen und schottischen Küsten, da tritt auch der Hering massenhaft auf. Langgedehnte Kü- stenstrecken dagegen, mit weit in die See vorspringenden Sandbänken, bieten weder einer reichen submarinen Vegetation, noch auch der Massenerzeugung desDiap- tomus castor Jur. und der Heringe die geeigneten Lokalverhältnisse dar. Bei der Erklärung 7. der Massenerzeugung spielt also, wie wir eben sahen, nicht sowohl der Salzge- halt, als vielmehr a) das zur Ernährung zahlreicher Individuen zureichende Quantum von Copepo- d e n (und zwar an den pommerschen Küsten : des Dia- ptomus castor Jurine [Cyclopsine castor Jur.], bedingt durch reiche Seegrundsvegetation) und sodann b) die möglichst reiche Küstenentwicklung mit b e- nach harten tiefgründigen Stellen eine hervor- ragende Rolle. Aber es ist auch noch ein 3t es Mo- ment dabei in Betracht zu ziehen, nämlich: das grosse Productionsvermögen der keimbereitenden Organe. Ein Gramm frischer Eier enthielt nach meiner Zäh- lung: 1950 Eier; allein diese Zahl dürfte sich unbedenk- 1) Rügensch-Pommersche Geschichten aus sieben Jahrhunderten Heft IL Lpz. 1862. p. 166. Nota **. lieber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 313 lieh auf 2000 erhöhen lassen, weil es bei der Kleinheit der Heringseier und der Klebrigkeit ihrer Oberfläche allziüeicht geschieht; dass die für die Zählung abgetheilten Sectionen unbemerkt Verluste erleiden. Der ganze Rogen eines 8" langen Weibchens aber^ welches 3V2" Umfang an der dicksten Stelle seines Leibes besass, wog (auf einer chemischen Waage sorgfältig abgewogen) genau I2V2 Gramme. Multiplicirt man 1950 mit I2V2; so ergeben sich 23;400 Eier für ein zeugungsfähiges Weibchen mitt- lerer Grösse. Dass aber Weibchen von 9" 9'" mehr Eier besitzen^ so wie Weibchen von geringe r e r Grösse, weniger Eier ablegen werden, muss als selbstverständ- lich vorausgesetzt werden. Die Zahl von 24,000 Eiern als Durchschnittszahl für alle laichenden Individuen ist daher jedenfalls gewiss nicht zu hoch gegriffen. Bloch ^) berechnet dagegen die Durchschnittszahl der Eier eines Herings Weibchens mittlerer Grösse auf 68,656, während Harm er-) die Zahl der Eier zwischen 21,000 bis 36,000 schwankend fand. Meine Zählung würde demnach für den kleineren Ostseehering das mittlere Quan- tum angeben, während ohngefähr 28,000 die Durch- schnittszahl für den Nordseehering sein dürfte. Nimmt man nun auf ein Weibchen zwei Männ- chen an, wie es wohl meistens der Fall ist, und berechnet die Zahl der Weibchen für einen Heringszug z. B. wie er am Abend des 22. März 1831 ^) bei Gross-Zicker auf Mönchgut mit dem grossen Ziehgarn eingefangen wurde, so ergiebt sich für 280,000 laichende Weibchen die un- geheure Zahl von 6720 Millionen entwicklungs- fähiger Eier, die von einem einzigen derartigen Herings- zuge, wenn er den Gefahren der Nachstellung entgeht, abgelegt werden könnten! Ich selbst war zugegen, als im April 1855: 1200 Wall (a 80 Stück) in einer Reuse 1) 1. c. p.202. 2) Philosophical Transactions Vol. LVII. p. 291. — Bloch gl ebb (1. c.) an, dass Harm er nur 10,000 Eier gezählt habe, eine Angabe die mit Harme r's Notiz (I.e.) nicht zu vereinbaren ist. " 3) Sundine, Jahrgang 1831 No. 14. p. 111. Es wurden 10,500 Wall ä 84 Heringe gefangen. 314 Munter: gefangen wurden. Wären die auf ^3 zu reducirenden Weibchen zum Laichen gekommen^ so würden durch diesen einzigen Heringszug 768 Millionen Eier abgesetzt worden sein^ die^ wenn alle zur Entwicklung gelangt wären, in einigen Jahren 400,000 Tonnen (a 24 Wall) Salzhering geliefert haben würden. Dass dies nun in der Wirklichkeit nicht geschieht, dafür sorgt der Mensch nicht nur zur Genüge, sondern es helfen ihm auch die Meerschweine (Pliocaena Ronde- letii Van Bened.), die Halichoerus- und Phoca-Arten, der Dorsch und der Schnepel; abgesehen davon, dass ausserdem immense Mengen der Eier überhaupt gar nicht befruchtet und Legionen der jungen Brut ihren zahllosen Verfolgern allerlei Art zur Beute werden. Es kann somit aber auch nicht Wunder nehmen, wenn ungeachtet der beträchtlichen Production von Ge- schlechtsstoifen es doch bereits an verschiedenen Küsten- punkten der Ostsee dahin gekommen ist, dass man den Fang ganz einstellen musste, wie es z. B. auf der Südspitze Schönens (Falsterbo etc.) im 14. Jahrhunderte der Fall gewesen, und wie um 1587 und dann zum zweiten Male in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts die Bohus- län-Scheeren an der Westseite Schwedens des colossal- sten Heringsfanges verlustig gingen^), der wohl jemals betrieben worden ist. Aber auch an den nördlichen Küsten der eigentlichen Ostsee ist der Heringsfang, so wie an verschiedenen Punkten der südlichen Küsten, in zeit- weiliger Blüthe gewesen, später aber wieder eingestellt worden. — - Nur von Rügen liegt der historisch leicht zu führende Beweis vor, dass der nur kurze Zeit ruhende Fang wiederum zu grösserer Blüthe gelangt ist, und sich jetzt vorwiegend an den östlichen, besonders aber an den südöstlichen und südlichen Küsten dieser schönen Insel im vollsten Betriebe befindet. Prüft man die Millionen von Heringen, welche von diesen Punkten Rügens aus nach Greifswald gelangen, so ergiebt sich mit grösster Leichtigkeit und Gewissheit, dass die von verschie- 1) Nil 8 8 011 Skandinavisk Fauna 1855. 4 deien p. 500. üeber den Hering- der pommerschen Küsten u. s. w. 315 denen F a n g p 1 ä t z e n eingehenden Heringe unter sich ver s chied en sind_, während ein und de 1" selbe Fangplatz ziemlich gleichartiges Gilt liefert^ dass also^ um es mit einem allgemein bekannten Ausdrucke zu bezeichnen^ sich bestimmt unter- scheidbare 8. Rac en erkennen lassen^ wie deren auch schon Eckström') wenigstens vier (Abänderungen) in den Scheeren von Mörkö unterscheiden zu müssen glaubte. Allein die von ihm unterschiedene Not-S t r ö mm i ng-, so wie die Knif- Strö mm ing- Abänderung dürfte auf den Namen einer Race wohl keinen Anspruch zu machen berechtigt sein^ da sie nach Eckström's eigener Angabe ,,ver- muthlich jüngere Individuen" sind^ zum Theil von nur 4" Länge und stark zusammengedrücktem Leibe. Anders ist es schon mit sein om L e k - S t r ö m m i n g e von 9" Länge und dem Sköte-Strömminge von 6" Länge. Von diesen beiden Abänderungen laicht die erste im Frühlings die andere im Herbste. Der Lek- Strömming ist langgestreckt und stark zusammengedrückt^ der Sköte-Strömming kurz, dick im Rücken und nur der Bauch stark zusammengedrückt. — Diesen beiden Racen des Strömlings im nördlichen Theile der Ostsee dürften die beiden Racen entsprechen, welche ich auf dem Aussen- und Innenstrande der Halbinsel Dars und Zine-st beob- achtete. Der A u s s e n s t r a n d h e r i n g dieser westlichen Küste Neuvorpommerns ist auch im Mittel 9" lang und der Rücken verhältnissmässig schmal, w^ährend der im Saaler und Barther Bodden gefangene Binn en s trand- hering, der in einem sehr versüssten, nur durch den Prerower Kanal mit Salzwasser gespeisten Wasser laicht, höchstens 6" lang wird und ziemlich dick im Rücken ist. Waren Eckström's Beobachtungen geeignet, zum wei- tern Verfolge der durch ihn angeregten Frage nach Art- abänderungen einzuladen, so ist es zunächst V a 1 e n- 1) 1. c. p. 208-212. 316 Munter: ciennes^j Verdienst auf die Racen aufmerksam ge- macht zu haben, die von Dieppe und Calais aus nach Paris geliefert wurden und den französischen Kaufleuten als leicht erkennbare Abänderungen seit langer Zeit bekannt waren. Der Hering von Calais ist lang gestreckt und ein wenig von der Seite comprimirt, der Hering von Dieppe dagegen stämmiger {„iplus trapu^), und abge- rundeter. Dass man am Heringe aus den nördlichen Theilen der Nordsee nicht schon längst ähnliche Beobachtungen gemacht hat, liegt wohl hauptsächlich an der gesetzlich normirten Maschenweite der holländischen Netze und so- dann auch wohl am mangelnden Interesse für einen so untergeordneten Gegenstand. Indessen ist es doch dem scharfsichtigen Nilsson^) nicht entgangen, dass der norwegische Graebenssill, der sundische Kullasill, der schonensche Kiviksill und der Strömming in dem nördlichen Theile der Ostsee nicht bloss leicht unter- scheidbare Abänderungen des Clupea Harengus L. vorstellen, sondern, dass sich auch im Speciellern der Hering aus dem Sunde vor Malmö, so w^ie der aus der Ostsee vor Cimbrishamm, desgleichen der Hering aus der Morupsseite bei Halland, vom Heringe aus der Ku Ha- ge gen d bei Schonen unterscheiden lässt. Vergleicht man grosse Quantitäten von Heringen, wie sie von den Rügen'schen und Neuvorpommer'schen Fang- plätzen in Greifswald abgeliefert werden, so kann man, ist der Blick hinlänglich praktisch geübt, mit ziemlicher Sicherheit den Fangort namhaft machen, von welchem dieEinlieferung statt fand, auch ohne dass man die Lieferanten nach ihrer Heimath befragt. Während man im nördlichen Theile Rügens, auf der Halb- insel Wittow sowohl, als auf Jasmund, im Frühlinge nur kleinen und magern Hering und auch diesen noch so spärlich fängt, dass er wohl nur als Köder für Lachs und Dorsch, nicht aber für die Nachfrage der um- 1) 1. c. p. 47. 2) Skandinavisk Fauna 4de delen. Lund 1855. p. 503. lieber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 317 wohnenden Bevölkerung zureicht, wird daselbst vom Au- gust bis zum October fetter grosser Hering ge- fangen, der sich dreist gutem Bergen'schen (Norwegischen) Fettheringe an die Seite stellen lässt und wenn nur in hinreichender Quantität zugänglich, unzweifelhaft das Re- nommee des pommerschen Küstenhorings in besseren Credit bringen würde. Rücksichtlich der Qualität lässt sich Aehnliches von jenen Heringen sagen, welche am Strande beim Dorfe Binz und sodann an der Mönch gut er Nord- und Ost- küste bei den Dörfern Göhren und Lobbe gefangen werden, von denen der Binzer unbedingt den Vorzug hat. Merkwürdig aber ist es, dass bei einer Distanz von höch- stens 4 Meilen (von Nord nach Süd) an derselben Ostküste Rügens, die Laichzeit des im südlichen Theile gefangenen Fisches, in das erste Frühjahr fällt und zu dieser Zeit Massenerträge liefert, während der nördlicher gefangene Fisch nur im Herbste^ laicht und folglich dann auch erst in grösseren Quantitäten gefangen werden kann. Während nun der Lobbe - Göhren'sche Vollhering im Allgemeinen etwas kürzer, aber dicker im Rücken und fetter ist, auch der Hohlhering (Ylen oder Ihlen der Nordländer und Holländer) noch breit- rückig erscheint, ist die Race welche eine Meile süd- licher, am Thiessower Hövt (südöstlichstes Cap der Sarmigen Halbinsel Mönchgut), so wie die, welche beim Klein- und Gross-Zi cker'schen Hövt in grosser Fülle gefangen wird, länger und höher, als derLobbe- Binzer, aber nicht so dick im Rücken. Der westlichste Arm der Mönchguter-Halbinsel, der längste und schmälste von Nordost nach Südwest sich erstreckend, die Reddevitz genannt, wird von Herings- zügen besucht, deren Individuen bei massiger Länge we- sentlich schmalrückiger als die Zickerschen sind, während der beim Dorf Babe gefangene Hering die schmälste der langstreckigen Racen aller Mönchguter Küsten dar- stellt. Das westlich von Babe gelegene Dorf Strehsow, am südlichen Ufer Rügens, lange Zeit Mittelhering liefernd, wird seit einigen Jahren von grossen Herings- 318 Munter: Stümen besucht^ die gewöhnlich grössere Individuen führen^ während die kleineren Stüme aus kleinen Indivi- duen zusammengesetzt zu sein pflegen. Fast nur Yoll- hering m i t tle r er Gr ös se und Dicke liefert die WrecherBeck^ an deren Fange sich drei Dorfschaften betheiligen. Die an den Usedomer Küsten vorkommenden Racen, obschon unzweifelhaft ebenso constant, wie die der Rü- gen'schen^ sind mir nicht so detaillirt bekannt geworden, weil sie nicht in regelmässigen Lieferungen hier zu Markte kommen. Dagegen sind die im Greifswalder Bodden an den Küsten des neuvorpommerschen Festlandes gefangenen RaceU; die sich sehr leicht durch geringere Länge und Höhe^ so wie geringere Dicke im Rücken von den ge- genüber am Mönchguter Ufer gefangenen Heringen unter- scheiden lassen, am hiesigen Platze zur Genüge bekannt. Diese auffallende Constanz gewisser Abänderungen, also der Racen, an ein und demselben Fangorte, in Verbindung mit der im Magen aller pommerschen Küsten- Heringe gefundenen Copepoden ( Diaptomus Castor Jurine), so wie die aus der oben dargelegten geographischen Ver- breitung resultirenden Ergebnisse beweisen zur Genüge, dass von eigentlichen grössern Wanderungen der Heringsstüme nicht wohl füglich die Rede sein kann, es sei denn etwa, dass man darunter den übrigens bei allen Fischen vorkommenden Trieb verstehen will, sich zu versammeln, um sich in grösseren Gesellschaften an die bekannten Laichplätze zu begeben und dort Eier und Spermatoiden abzusetzen. Dass aber nur der Trieb zum Laichen den Hering zur Association treibt, ersieht man unzweifelhaft aus der einfachen Thatsache, dass weitaus die überwiegendste Menge der gefangenen Heringe im Frühjahre sowohl als im Herbste, und zumal zu Anfang der „Saison", stets aus V 0 1 1 h e r i n g e n besteht, während wenn Nahrungs- mangel die Auswanderungsgesellschaften zusammen- brächte, doch jedenfalls es auffallend erscheinen müsste. lieber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 319 dass nur die reich ernährten und von Geschlechtsstoffen am meisten trotzenden Individuen, deren Magen überdies mit zahh-eichen Copepoden erfüllt ist, sich zur Aufsuchung anderer Futterplätze anschicken sollten. Nahrungsmangel ist es also wohl sicherlich nicht, der die Heringe zur Bildung von transitorischen Genossenschaften (Stümen") veranlasst, sondern einzig und allein die Reife der Geschlechtsstoffe, die sie an geeig- neten Stellen abzusetzen bemüht sein müssen, um ihre Art zu erhalten. Dass sich aber Männchen und Weib- chen, auch ohne vom Begattungstriebe dazu veranlasst zu sein, sich dennoch zum Zwecke der Art -Erhaltung so massenhaft zusammenfinden, ist eine jener imbegreiflichen Thatsachen, zu deren vollem Verständnisse der Schlüssel fehlt und wohl auch nie gefunden werden wird. Nicht minder merkwürdig und unbegreiflich ist es, dass sich die Gesellschaften unter Führung eines He- rin g s k ö n i g s an die ihnen bekannten Laichplätze bege- ben, wo dereinst ihre eigene Wiege unterm Schatten und Schutze des Seegrases stand. — Man wolle aber nur nicht meinen, dass der Heringskönig zu jenen fabulösen Fischen gehöre, wie einst der Fisch „musculus^ j welcher zu den Zeiten des Plinius dem grossen Walthiere des Mittel- meeres vorangeschwommen sein soll. Freilich meldet ein neuerer Berichterstatter im Anhange zur Z o b e r'schen üebersetzung des von Seil 1797 bearbeiteten Stettiner- Schulprogamms (Stralsund 1831. 8^ p. 26) .,er habe sich alle Mühe gegeben, den Heringskönig (Zeus faber) wel- cher nach Aussage glaubhafter Fischer solchen Zügen immer voran gehn soll, habhaft zu werden — aber umsonst'^. Was aber auch in aller Welt berechtigte denn jenen Berichterstatter den Zeus faber in der Ostsee zu erwarten und zu suchen? Verzichtet man auf Zeus faber und sucht unter einem Heringskönige nichts Anderes als einen massig grossen männlichen oder weib- lichen Hering mit massig blutroth gefärbten Kiemen- deckeln, massig blutroth gefärbten paarigen und unpaa- rigen Flossen, so kann man deren zur Genüge haben, wenn man mit den Fischern einiger Dorfschaften auf 320 Munter: Höhe eines Preises von 5 Sgr. pro Stück accordirt. — Mir wurden wenigstens für diesen Preis von verschiedenen Fischerdörfern zahlreiche Individuen zugebracht, ohne dass es zuvor einer weiteren Beschreibung und Verstän- digung über den Heringskönig bedurft hätte. Alle He- ringsfischer kennen diesen rothgefärbten Zugführer^ werfen ihn aber an unsern Küsten nicht; wie es die Heringsfänger der Nordsee^) thun sollen^ wieder ins Meer zurück^ son- dern liefern ihn wie jeden andern Hering an die Salze- reien ab. — Eck ström (1. c p. 210) nennt als charak- teristische Farbe des auch in den Scheeren von Mörkö wohlbekannten und Strömmings-Kungar benannten He- ringskönigs violett und sagt; dass der ^^ganze Kopf und dann und wann der ganze Körper violett '^ sei. Die neuvorpommerschen Heringskönige waren in keinem der mir vorgekommenen Fälle violett und überhaupt war die mehr hell-blutröthliche Farbe niemals über den ganzen Körper verbreitet. — Der Heringskönig ist aber nicht bloss aus sehr verschiedenen Theilen der Ostsee^) bekannt^ sondern auch aus der Nordsee. Nach Anderson^) sollte es um Island V4 Ellen lange Heringe geben, die drei Querfinger Breite besässen und seiner Meinung nach wohl die Heringskönige sein möchten^ die Heerführer der grossen Schwärme; während Klein (1. c.) dies mit Recht be- zweifelt und ausdrücklich hinzufügt: .,noster minor halece vulgari^. — Die Kl ein' sehe Beschreibung des Herings- königs ist aber überdies so sehr mit meinen Beobach- tungen in Uebereinstimmung; dass ich nicht unterlassen kann, dieselbe hier wiederzugeben. ^^Harengus^ capite aureo, ruberrimoque colore in commissuris et ad mandi- buloS; splendente; dorso toto intense cyaneo^ ventre ar- gentatO; ano semper cruentato ac prominulo Helensibus : Heringskönig mit feuerrothemKopf. Non superat magnitudine iconismos; habet tamen foemina pal- 1) Pontoppidan — Natürl. Historie von Norwegen Bd. IL p. 272. 2) Klein Missus V. tab. XIX. p. 71. 3) Nachrichten von Island. lieber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 321 lidiores pinnas, caudamque cineream, mas vero pinnas caudamque aureas. Nondum descrlptus^. — ^ Klein kannte also männliche und weibliche Heringskönige, so wie ich dieselben auch geliefert erhalten habe. Unter Führung eines solchen vorwiegend roth (und zwar von der Farbe des arteriellen Blutes) gefärbten Herings steigt der S t ü m von den tiefgründigen Ver- sammlungsplätzen nach den wärmer temperirten flachen Küsten, jedoch nicht oder doch nur sehr selten bis zur unmittelbaren Grenze von Land und Meer, sondern viel- mehr nur nach solchen Stellen, die entweder kiesigen Grund oder hinreichend bewachsenen Boden besitzen, um bei einer Temperatur von + 6 bis -|- 7^ R. ^) ihren Laich abzusetzen. Kurz nach Aufgang des Eises, wo die Tiefen höchstens -f # R. Wärme besitzen, sind die Untiefen von 8' bis 12' bald auf + 6« und + 7^ R. erwärmt, und dies scheint die Temperatur zu sein, bei der das Lai- chen der Ostseeheringe zunächst stattfindet und die Be- fruchtung Erfolg hat. — ^Je höher die Temperatur steigt, desto tiefer laichen die Heringe, so dass sie zu Ende des Mai i n R e u s e n nur bei einer Tiefe von 20' bis 24' gefangen werden können. — Im Frühjahre 1863 hatten wir seit Anfang Januar kein Eis mehr auf dem Greifswalder Bodden, demungeachtet wurden die Reusen erst zur gewohnten Zeit im März aufgestellt. Allein der Fang war denn auch so schlecht, wie nie zuvor; offenbar weil bei dem ungewöhnlich warmen Winter die Heringe in Tiefen laichen konnten, die in andern Jahren viel zu kalt gewesen sein würden, so dass sie sich dess- halb von den bekannten Fangplätzen fern hielten, die bisher so reiche Erträge zu liefern pflegten. — Dass eine solche Veränderung der Laichplätze auch eine Verlegung 1) Der Director des meteorologischen Instituts der Nieder- lande Dr. Buys, veröffentlicht in Koner's Zeitschrift f. d. allg. Erdkunde (Neue Folge Bd. VIII. Heft 1. 1860. p. 68) auf Grund der Berichte der Heringsfischer der Nordsee die Beobachtung, dass der Fang am Meisten bei + 12^' bis + 14*^ C. lohnt, so dass unter 5 Zü- gen nur ein Fehlzug; bei +9*^ bis 13" C. unter 2—3 Zügen; ebenso bei + 14 bis 16" C. ein Fehlzug erfolge. Arohiv f. Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 21 322 Munter: der stehenden Reusen zur Folge haben müsse, ist zwar behauptet worden und es ist allerdings wahr, dass i n der Regel die Fische nach ihrer "Erzeugungs- stätte, zu der Stelle wo ihre Wiege stand, zu- rückkehren, um daselbst auch wieder zu lai- chen. — Bedenkt man aber, dass nach Quatrefages Untersuchungen^) die Spermatoiden nur bei einer be- stimmten Temperatur zu lebenerweckender Befruchtung befähigt sitid, so darf man sich doch der Hoffnung hin- geben, dass wenn, wie gewöhnlich, in den nächsten Jahren der Bodden längere Zeit wieder zugefroren gewesen sein wird, die Heringe unzweifelhaft wieder nach den am frühesten erwärmten Küsten hinsteuern werden, um diejenige Temperatur zu finden, die für die Befruchtung am. zuträglichsten ist, so dass demnach eine Verlegung der Fangplätze nicht nothwendig werden wird^). Nach beendeter Laiche, die erwiesenermaassen nur wenige Tage andauert, während welcher der furchtsame Hering von Geräuschen aller Art, Dampfschiffen etc. ver- schont sein will, steigt der Stüm in die tiefern Wasser allmählich wieder hinab. Dass er aber zu dieser Thätig- keitsäusserung meilenweite Reisen machen sollte, lässt sich durchaus nicht erweisen. Wenige Meilen sind dazu vollkommen hinreichend. So langte am 10. Juni 1856 ein sehr grosser Stüm an den Reusenplätzen bei Gross- Zicker an, von dem jedoch nnr ein gewisser Antheil ge- fangen werden konnte, aber erst am 12. Juni ward ein anderer Theil desselben Stüms mit seinen leicht erkenn- baren durchweg grossen Heringen in der Having bei Alt-Reddevitz gefangen, welche sich ohngefähr in einer Meile Distanz vom ersten Fangplatze befindet. Es ge- hörten demnach fast zwei Tage zu dieser Reise von einer Meile. Ganz Aehnliches berichtet auch Bloch^) 1) Comptes rendus 1853. N. 22. Maiheft. 2) Die Aufstellung der grossen stehenden Reusen bedarf näm- lich der seepolizeiHchen Erlaubniss seitens der Königl. Fischmeister, um zu verhüten, dass sie nicht an Stellen etablirt werden, wo sie die Schiffe der Handelsmarine behindern. 3) 1. c. p. 165. lieber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 323 über die Wanderungen der von einem voranschwimmenden Leitthiere geleiteten Sclinepelzüge imd (1. c. p. 135) über die Wanderungen des Lachses^ obschon diesem kräftigen Scbwimmer, wie auch schon Bloch gegen Giesler vermuthet^ zuzutrauen sein dürfte^ dass er seine grossen Wanderungen in das Innere der Länder in kürzerer Zeit absolviren möchte. Ich stimme daher vollkommen Nils- sonM bei; welcher den Hering für einen schwachen Schwimmer ausgiebt^ der eben deshalb keine langen Reisen vornehmen und ausführen kann. Es ist auffallend; dass selbst noch in neueren Schrif- ten-) fort und fort das durch Dott^) und Anderson*) erdichtete Mährchen von den grossen Heringszügen vom Nordpol- Eise aus^ nach dem Süden, nacherzählt und geglaubt wird. Allerdings zieht ein grosser Theil der Vögel auf der östlichen^ wie auf der westlichen Erdhälfte, alljährlich von Nord nach Süd und Süd nach Nord, aber alle diese W^andervögel sind mit einem Locomotions-Ap- parate versehen, dessen Leistung doch in der That nicht mit der jenes kleinen Fisches sich vergleichen lässt. Zudem ist es durch Valenciennes genügend erwiesen, dass jene präsumirte nach Westen dirigirte Heringswanderung, d. h. also nach den amerikanischen Küsten hin, deshalb nicht angenommen werden kann, weil sich nicht erweisen lässt, dass der ächte Clupea Ha- rengus L. an jenen Küsten vorkömmt, wohl aber steht fest, dass die dort vorkommende Species: Clupea elong ata Lesueur ist, von der man begreiflich nicht annehmen kann, dass sie auf und während der Wanderung aus Clupea harengus L. entstanden sei. Ebenso ungereimt ist es aber anzunehmen, dass ein Theil des östlichen Flügels jener Herings beere, von den Dänen und Schweden 1) I.e. p. 6 der Uebersetzung von Dr. Creplin in Giebel's u. He int z's Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften 1860. No. VIT u. yiii. 2) Buys 1. c. in der Zeitsclu-ift für allg. Erdkunde p. 68. 3) Atlas maritimus et commercialis 1728. 4) Nachrichten von Island p. 58—78. 324 Munter : unbemerkt, in die Ostsee sich verlieren sollte, um sdiliesslich an den rügianisch-neuvorpommerschen Küsten deutschen Fischern in die Reusen zu laufen, und über- dies während der Reise sich in die zahlreichen oben be- schriebenen Racen umgewandelt hätte! Genug, es ist heute nicht mehr an der Zeit, das romantische Geschicht- chen A.nderson's, das durch Oken u. A. verbreitet worden ist, mit den Waffen einer exacten Forschung zu bekämpfen, Auch wenn Dr. Buys, der Director des nie- derländisch-meteorol. Instituts, dasselbe noch 1860 zu ver- theidigen scheint. Bloch (1. c. p. 189 — 190) hat, nach meinem Dafürhalten zur Genüge, mit neun numerirt aufgeführten Gründen Anderson's Phantasiebild bereits beseitigt und Nilsso n stimmt Bloch vollständig bei. Leider fanden die Bloch'schen Gründe beim schwedischen und norwegischen Volke kein Gehör, und so möge sich dasselbe über die Abnahme seiner Heringsfischereien nicht wundern und ferner beklagen; wohl aber ist es zu be- dauern, dass Nilsson und Bloch vergebens gewarnt haben und der Nationalwohlstand des scandinavischen Volkes so schwere Verluste erleiden musste. Dass aber auch des verständigen und umsichtigen Nilsso n's Rath: die Brut und den unr eif enFis ch zu schonen (1. c. p. 8 der Cr e p li n'schen Uebersetzung sub No. 5) heute noch ohne allen Einfluss geblieben ist, habe ich im Mai 1863 zur Genüge erfahren, wo meherere hundert Tonnen Salzhering aus einem Norwegischen Hafen in Greifs- wald anlangten, welcher durchweg aus 6V2 — ''^" langen, 1 — 1%" hohen und kaum 4'" dicken Individuen bestand, mithin folglich einer Altersklasse angehörte, die noch nicht fähig ist, Laich abzusetzen und also im Puber- tätsalter vor entwickelter Geschlechtsreife weggefangen war! — • Genug, der Hering kommt nicht als Einwanderer aus der Nordsee in die Ostsee, sondern gehört ihr ursprünglich an; an ihren Küsten geboren und aufgewachsen, erhalten sich seine Stüme so lange, bis sie nicht ausgefischt oder durch grosse Naturereignisse vertrieben sind; ziehen all- jährlich aus ihrem V^interlager an geeignete höher tem- lieber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w 325 perirte Laichplätze und kehren nach beendeter Laichzeit zu den benachbarten tiefgelegenen Stellen zurück, ohne zuvor oder nachher, ausgedehntere Wanderun- gen angetreten oder ausgeführt zu haben. Ueber den Nutzen des Herings und den Heringsfang im Allgemeinen einen vo- luminösen Band zu schreiben; dürfte bei der Umfänglich- keit der vorhandenen Literatur heutigen Tags mit nur geringen Schwierigkeiten verbunden sein. Allein da ich mir nur die Aufgabe gestellt habe^ über den Hering der pommerschen Küsten einige weniger allgemein bekannte Thatsachen zusammen zu stellen, so muss und kann ich nur auf die grösseren Arbeiten Valen- ciennes und Anderer aufmerksam machen und verzichte daher auf die Ehre eines fleissigen Compilators. Zunächst ist anzuführen, dass weder dem frischen, noch dem in irgend welcher Form präparirten pommer- schen Heringe die Ovationen zu Theil werden, deren sich seine wohlbeleibtem Vettern der Nordsee (z. B. in Holland) zu erfreuen haben. Vielleicht kam seit dem Aussterben der pommerschen herzoglichen Dynastie, d. h. seit Bogislav's des XIV. Zeiten, der Küstenhering nicht mehr zu der Ehre, auf der Tafel regierender Herren zu erscheinen, obschon er, wie vormals, so auch jetzt noch, bei Reichen und Armen, Alten und Jungen in gebüh- rendem Ansehen steht und überall gern gesehen wird, wo er erscheint. Bereitwillig öffnet man ihm wenigstens Küche und Speisekammer und setzt sich gern mit ihm zu Tisch. Hat er doch oft Monate lang mit der Kartoffel die Aufgabe zu lösen, der Familie des Fischers, des Ta- gelöhners, des Fabrikarbeiters u. s. w. die während der Tagsarbeiten verbrauchte Muskelsubstanz wieder zu er- setzen und zur weiteren Kraftäusserung vorwiegend das nothwendige Material zu liefern. Zur Zeit der eigentli- chen Heringssaison, vom März bis Mai, durch die soge- nannten Grünfahrer weit von den Küsten, bis über die Grenzen der Mark Brandenburg hinaus, verfahren, ernähren 326 Munter: sich von dem Heringe Pommerns alltäglich viele Taiisende von Menschen; so dass man ohne Uebertreibimg annehmen darf, dass alljährlich mindestens 50 Millionen Heringe, theils an den Küsten selbst, theils im Innern des Landes im frischen Zustande verzehrt werden. Die Form aber, in welcher derselbe frisch verbraucht zu werden pflegt, ist verschieden. Man kocht ihn einfach in Salz und Wasser gar und geniesst ihn warm, mit Zusatz von kaltem Essig und brauner Butter, oder man giebt eine Petersilien-Sauce oder auch eine saure Zwiebelbrühe zum warmen Fisch, oder man servirt ihn gebraten wie Barsch und Hecht. Andere Formen, in denen man den zuvor dauerfähig gemachten Hering geniesst, werden weiter unten zur Sprache kommen. Dagegen dürfte es hier der geeignete Ort sein zu erwähnen, dass nicht nur der Mensch, sondern auch die Hausthiere an den reichen Heringser- trägen participiren. Schon im Jahre 1819 berichtet v. Wehrs^), dass zu den Zeiten der napoleonischen Herrschaft oder mit andern Worten zur Zeit der Continentalsperre, als das spanische Seesalz viel zu theuer war um Salzereien oder Räuchereien anzulegen oder zu unterhalten, überall auf den von ihm beschriebenen Territorien, wo seiner Zeit der Heringsfang in schönster Blüthe stand, sowohl die Schweine, als auch die Pferde mit frischen Ileringeh gefüttert wurden. „Wenn ich nicht selbst (fügt v. Wehrs hinzu) mich davon überzeugt hätte, würde ich mich scheuen so etwas nachzuerzählen." — Heute, wo der Heringsfang längs des Dars und Zingst unbedeutend ist, muss der Dorsch denselben Dienst leisten, den man, um ihn zum Futter für die Schweine längere Zeit hindurch verwenden zu können, an der Luft zu trocknen pflegt, wie ich es noch unlängst selbst gesehen; dass aber auch Pferden gedörrte Fische vorgelegt sein mögen, ist mindestens eben so glaubhaft, als dass Isländer ihren Kühen Fische reichen, wovon so einstimmige und unzweifelhafte Beweise 1) Der Dars und der Zingst, ein Beitrag zur Kenntniss von Neuvorpommern. Hannover 1819. S". p. 141. üeber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 327 vorliegen. — Ausser diesem Einhufer und dem genannten Vielhufer wenden sich mit Vorliebe Hund und Katze, als geborne Fleischfresser, und unter den Nagern insbe- sondere die Wanderratte dem gefangenen Heringe und dessen Abfällen zu, während Seeadler, Flussadler, M ö V c n, Reiher und Cormorane sich lieber direct an den noch schwimmenden Heringsstümen betheiligen. Nachdem man in den Fischabgängen einen werth- vollen Ersatz für Peru-Guano erkannt hat, darf es nicht Wunder nehmen, wenn man sowohl die Abgänge als auch unter Umständen die ganzen Fische als Düngermate- rial zur Verwendung zu bringen bestrebt gewesen ist. — Während somit der frische Hering an sich schon durch seine sehr mannichfache Anwendung den Küstenbewohnern Pommerns erheblichen Nutzen stiftet, wird er gleichzeitig auch für die Hebung und Förderung der Schifffahrt von grosser Bedeutung. Die Erziehung tüchtiger Matrosen durch den Heringsfang darf man nicht als den geringsten Gewinn des Betriebes dieses Zweiges der Seefischerei ansehen, zumal in einer Zeit, welche für Er- richtung einer tüchtigen Kriegsmarine ernste und nach- haltige Sorge zu tragen Veranlassung genommen hat. Sodann aber dürfte es in Anschlag zu bringen sein, 'dass der Heringsfang einen Industriezweig voraussetzt, dessen er sich nicht entschlagen kann, nämlich den S chiffsbau. Freilich bedarf der pommersche Herings fang noch keiner Dampfboote, ja noch nicht einmal grösserer Segelschiffe (Buysen), aber auch schon die Construction der kleinern und grössern Segelboote, wie sie jetzt noch üblich sind, hielt dennoch jedenfalls seit 800 Jahren den Schiffsbau in frischem Athem und machte ihn allmählich zu einer naturwüchsigen grossen Industrie. — Das Heringsboot ist unzweifelhaft die Grundlage und der Aus- gangspunkt des heute so erfreulich blühenden heimathli- chen SchifFsbaues gewesen, der nun freilich hauptsächlich die Handels- und Kriegsflotte in Betracht zu ziehen hat und diese zu zeitgemässer Höhe zu entwickeln und auf 328 Munter: derselben zu erhalten bemüht sein miiss; allein bei alledem kann es doch wohl kaum grossen Bedenken unterliegen, dass die Verbesserung des Schiffsbaues im Allgemeinen auch im Fischerboote der G-egenwart sich re- flectirt und documentirt. — Das Heringsboot ist heute ent- schieden leichter lenkbar; kräftiger, ohne unbeholfene Form und überflüssige Beithat, dabei ein sicherer und guter Segler und somit unzweifelhaft vollkommener, als in der Zeit des einst hier herrschenden heidnischen Wendenthums und zu den Zeiten der Hansa. Sind nun auch die Fischer selbst beim Bau ihrer Boote nicht immer unmittelbar betheiligt, so besorgen sie sich doch späterhin die Ausrüstung und die Ausbesserung der Takelage selbst. Sie theeren ihre Boote, dichten sie, setzen sich auch wohl ein neues selbstgefertigtes Ruder ein, bearbeiten ihre Ruderstangen (Rehme), repariren ihr Segel- und Tauwerk, construiren sich Anker aus Holz und Steinen u. s. w. und werden dadurch auf das Genaueste mit dem Schiffs- wesen vertraut; auch lernen sie schon im frühesten Kin- desalter Ruder und Steuer führen, Windrichtung und Meeresströme kennen und verwachsen somit auf das In- nigste mit dem Wasserleben. Aber wie auch der Fort- schritt auf diesem Gebiete der Industrie sich Bahn ge- brochen hat, noch ist derselbe weit entfernt, überall und nach allen Seiten hin zur Geltung gekommen zu sein; das ganze System des Heringsfangs mit Allem, was sich daran schliesst, bedarf noch zu sehr der Leuchte der rationellen Gewerbskunde unserer Zeit. Yiel Mittelalter- liches, viel Althergebrachtes und eben deshalb auch schwer Ausrottbares umlagert noch diesen Zweig der Industrie. So z. B. kennt man ausser den Laichplätzen an den Küsten selbst, die etwa im freien Meere Vorhandenen, einfach deshalb nicht, weil man sich mit dem offenen Boote nicht allzuweit von der Küste hinwegwagen darf, ohne sich den grössten Lebensgefahren Preis zu geben. Aber zur Ergründung derartiger neuer Fangplätze, die unzweifel- haft bestehen, fehlt es an geeigneten Fahrzeugen, die auch die Association der Fischer noch nicht zu erübrigen und herbeizuführen vermochte, weil dieselben aus nahe T"^eber den Hering: der pommerschen Küsten u. s. w. 329 liegenden Gründen angewiesen sind, sich auf die zum Lebensimterlialtc nothwendigen , crfahrungsmässig aber doch einigermassen sichern Erträge zu stützen, auch wenn diese einmal nachlassen. Ein anderer mit dem Heringsfange in unzertrennlicher Verbindung stehender Industriezweig, der jedoch mehr oder weniger ganz In den Bereich der Thätigkeit der Fischer selbst fällt, ist die Netzfabrication, welche hier passend mit dem Heringsfange zu be- sprechen sein dürfte. Zum Fange des Herings auf seiner kleinen Wande- rung von der Winterstation und seinen Futterplätzen zur Laichstelle an der benachbarten Küste, bedarf man grosser Netzwände, die von der Wasseroberfläche 16 — 20' tief in das Seewasser hinab, so wie ohngefähr unsere Tüll- Gardinen vor den Fenstern herabhängen. Diese Art Netze .jM a n s e n'^ auch „M ansehe n" genannt, sind aus selbst- gesponnenen feinen Flachsfäden construirt, besitzen Ma- schen von gesetzlich vorgeschriebener Grösse (26 bis 30 Knoten d. h. Maschen gehen auf 1 Elle Netz), sind ge- theert oder gelohet und werden durch Flotthölzer an der Luft- und Wassergrenze suspendirt erhalten, während Steine längs des untern Netzrandes die hohe Netzwand straff halten. Um die am Abend ausgelegten „Mansen^ andern Morgens wieder finden zu können, sind sie mit kleinen Signalfähnchen bezeichnet und Nachts über vor Anker gelegt. Die mit diesen Im freien tiefen Seewasser suspendirten Netzen gefangenen Heringe werden „Netzen- heringe ^ genannt und theurer bezahlt als andere Heringe; nicht sowohl der grössern Mühe und Gefahr willen, durch welche man sie erzielte, sondern weil die mit den Mausen gefangenen Heringe grösser sind und gleichmässiger ausfallen, als die mit andern Fangapparaten Erzielten. Die gesetzlich vorgeschriebene und durch die Königl. Fischmeister controllrte Maschcnw^elte der l^Iansen gestattet den kleineren Fischen den ungehinderten Durchgang, hält aber die grössern zurück, die, nachdem sie durch 330 Munter; die Masche zu dringen sich angestrengt haben, ihrer Kiemen wegen, nicht wieder zurück können und sich so- mit gleichsam erhängen, obschon sie sich doch nicht im eigentlichsten^Sinne des Wortes durch Strangulation tödten. Derartige Netzwände sind auch beim Heringsfange der Nordsee üblich und unzweifelhaft sehr alt, werden aber dort nicht mehr aus Flachsgarn angefertigt, sondern grossentheils schon aus Seide, einem haltbareren Stoffe und dann wahrscheinlich auch nicht mehr, wie es von den Fischern Neuvorpommerns noch geschieht, selbst angefertigt. Ein anderer Fangapparat, der seit langen Zeiten an den Küsten der Nordsee ebenfalls zur Anwendung kommt, ist das hier mit dem Namen „die Waade'^ be- legte Ziehgarn. Sobald die Stüme sich den Küsten nähern, sucht man Sorge zu tragen, den möglichst grössten Theil des Zuges zu acquiriren. Man umzäunt den der Küste zusteuernden Stüm mit einem sackartig construir- ten, mit seitlichen Flügeln versehenen grossen Netze, zieht an beiden Flügeln dasselbe ans Land und sammelt das Ergebniss des Fisch -Zuges an dem Ufer selbst ein. Die Maschenweite der „Waade^ unterliegt ebenfalls der gesetzlichen Controlle, doch sind die Maschen kleiner und daher der mit diesem Apparate gefangene Hering nicht so ausgeglichen und gleichmässig gross, weil man auch nothwendigerweise kleinere Fische mit fangen muss. Die Netzmaterialien zur Waade sind dieselben wie bei der „Mansc", auch die Herrichtung gleicht sich vollkommen. Das Lohen (Gerben mit einem Eichenrinden- Aufgusse) und Theeren der Netze ist zwar noch nicht allgemein üblich und auch eines lohnendem Fanges wegen, nicht immer nöthig, jedoch conserviren .sich die flächsernen Netze besser, wenn sie also behandelt sind, während aus- serdem die Mausen dunkelgefärbt sein müssen, wenn anders die Heringe hindurch zu dringen veranlasst werden sollen. Ein dritter aus flachsenen Garnen construirter Apparat, vorzüglich beim Fange in dem — vom pom- morschen Festlande, Fischlande, Dars und Zingst einge- lieber den Hering- der pommerschen Küsten u. s. w. 331 schlosseneii — Complexe von Brackwassern (Saaler-Barther Bodden etc.) angewandt^ ist eine Bügel reuse mit zwei seitlichen Flügeln^ welche den von vorn andringenden Hering nach der trichterförmigen EingangsöfFntmg eines langgezogenen durch Tonnenbänder (Reifstöcke) straff ausgespannten Netzsackes führen. Im Innern der Reuse befinden sich ein oder zwei kleinere Trichter^ durch die hindurch der eingetretene Hering nach der am Ende der Reuse sich zuspitzenden Todtenkammer geleitet und durch Oeffnen dieses nur zugebundenen Behältnisses herausge- nommen wird. — Früher scheint dieser Apparat auch auf dem Aussenstrande und zwar in grösseren Dimensionen aufgestellt gewesen zu sein^ wenigstens spricht v. Wehrs ^) von einer Seehundsreuse^ die man zur Beseitigung des Erbfeindes des Herings aufgestellt habe. Jetzt ist der Aussenstrand vom Dars und Zingst zu wenig ergiebig, als dass die Aufstellung derartiger Reusen grosse Erträge zu liefern vermöchte. Ein vierter Apparat^ dessen Anwendung jedoch ausschliesslich nur an Pommerns Küsten stattfinden dürfte, ist die grosse Heringsreuse. Leider ist es aller Nachforschung ungeachtet, mir nicht geglückt, den Er- finder dieser sinnreichen Fangvorrichtung ausfindig zu machen, obschon die Erfindung in den Anfang (2tes De- cennium?) dieses Jahrhunderts fallen dürfte. Nach Mönchgut, wo die grosse Reuse ihre hauptsächlichste Ver- tretung findet, soll die Construction von Wittow aus, durch einen Fischer gekommen sein: allein Erkundigungen in Wittow ergaben leider keine weiteren Aufschlüsse. Die grosse Reuse ist ein riesiger Netzapparat zu dessen Aufstellung und Erhaltung ein Kapital von mindestens 200 Thlr. erforderlich ist. Deshalb associiren sich die Fischer; — 6 auch 12 Fischer (d. h. Büdner oder Bauern) je nach den Vermögensverhältnissen, bilden eine Com- pagnie. — Jeder zahlt einen gleichen Beitrag an Geld und leistet Hülfe und Arbeit bei der Herstellung des Apparates nach gleichen Theilen; erhält dafür aber auch 1) Der Dars und der Zingst. 1. c. p. 144. 332 Munter: nach beendeter Campagne seinen gleichen AntheiP). Die Reuse selbst aber besteht ans zwei Haupttheilen und zwar a) dem Wehr und b) dem Netz kästen. Das Wehr ist eigentlich eine geradlinig aufgestellte Manse, die nur durch Pfähle befestigt ist^ während die gewöhn- liche Mause durch Flotthölzer und Steine in aufrechter Stellung erhalten wird. Dieses Wehr, aus starken Fäden zum Netz gestrickt, hat eine Länge von 500 bis 800 Fuss und eine Höhe von 16 bis 20 Fuss, wird stark getheert, damit es den längern Aufenthalt im Seewasser vertragen kann und ist von der See aus auf das Ufer im rechten Winkel aufgesetzt. Niemals pflegt man das dem Lande zugewandte Ende des Wehrs unmittelbar an die Land- und Wassergrenze selbst zu bringen, sondern es bleibt, je nach Beschaifenheit der Küste, mehrere hundert Fuss davon fern. Das am meisten in See hinaus stehende Ende des (durch eingerammte entsprechend lange Pfähle) senk- recht aufgestellten Wehrs befindet sich dicht vor dem Netzkasten, ohne jedoch mit ihm in unmittelbarer Ver- bindung zu stehen. Der Netzkasten ist, so wie das 1) In diesen Associationen geht es so reell zu, dass es auf Mönchgut desshalb wohl noch niemals zu Rechtsstreitigkeiten ge- kommen ist. Der Theilhaber, den die Reihe zur Abfuhr des ge- wonnenen Guts trifft, geht mit seinem schwerbeladenen Boote ab und bringt genau so viel Geld zurück, als er nur irgend wie ver- dienen konnte, jedoch — in baarer klingender Münze, — weil sich die während der Heimfahrt möglicherweise eintretenden Regen und Seenebel mit dem in den Westentaschen transportirten Papiergelde schlecht vertragen würden. — Man ist dabei von allem Misstrauen so fern, dass man jedem Theilhaber an der Association jede belie- bige Summe mit vollstem Vertrauen Tage lang überlässt; wie es denn überhaupt kaum wohl einmal vorgekommen ist, dass ein Mönch- guter Heringsfischer seinen Landsmann belogen, geschweige denn betrogen hätte. Noch leiht man sich dort gegenseitig Geld und oft erhebliche Summen ohne schriftlichen Pfandschein und ohne Zinsen. Das Wort des Mannes genügt, und ein Treubruch würde unwiderruflich zur allgemeinen Verachtung führen; für einen Mönch- guter Fischer eine Schande ohne Gleichen, denn ihm bliebe nichts als der Tod, oder was ihm gleichbedeutend ist, die Auswanderung von seiner geliebten Heimath. Ueber den Hering der pomraerschen Küsten u. s. w. 333 Wehr, völlig unterm Wasserspiegel und je nach der Tiefe, in welcher er sich befindet, 20 bis 24 Fitss hoch; oben an der Luftgrenze unbedeckt, auf dem Boden und an den seitlichen Wänden aber aus starken zum Netz verarbei- teten Fäden construirt, wie das Wehr und ebenso mittelst eingerammter entsprechend langer Pfähle ringsherum be- festigt, und wird ausserdem durch seitlich an Stricken angebrachte Anker (aus rückwärts umgebogenen einen grossen Stein einschliessenden Holzstäben) festgehalten. Auch das am meisten in See hinausragende Ende des Netzkastens ist in ähnlicher Weise befestigt. Zieht man drei gleichlange Linien von circa 24' bis 30' Länge ein- ander parallel so, dass die mittelste der Linien circa 6' bis 8' die beiden äusseren Parallelen überragt^ und ver- bindet die Endpunkte der drei Linien durch gerade Linien, so erhält man die allgemeine Form des Netzkastens. Das See-Ende des Wehrs steht dicht vor der vorgeschobenen mittelsten Parallellinie, da, wo eine hohe Spalte in das Innere des schiefrhombischen Kastens führt. Rechts und links von den Endpunkten der Linien des nach dem Lande zugewandten Winkels, in welchem die Eingangsspalte sich befindet, gehen in geknickter Form hergerichtete Flügel ab, von der Höhe der Reuse und des Wehrs, ebenfalls aus Netzmaterial, welche den vordem Eingang in die Kastenspalte erleichtern, aber den Austritt hindern sollen. — Streicht nun ein Heringszug aus der Tiefe her- aufkommend, oder von ungünstigen Winden vertrieben, längs der Küste, so trifft er zuerst auf das grosse Wehr, findet dadurch sich behindert und zieht nun demselben entlang, nach dem Netzkasten zu ; der seitliche Flügel des Netzkastens ist ihm ebenfalls ein Hinderniss und des- halb geht der Hering nach der Eingangsspalte zu, passirt sie und gelangt somit in das Innere des Kastens. Ist nur erst ein Theil des Stüms passirt, so folgt der andere The^'l ihm sicher nach und mit ihm alle Begleiter und Verfolger; so wie es auch vom Thunfische bekannt ist. Deshalb finden sich denn auch im Innern des Netzkastens Fische und Säugethiere diverser Art; Flundern, Hechte, Barse, Kaulbarse, Hothaugen, Plötzen, Dorsche, Störe, Lachse, 334 Munter: Phocaenen, ja wohl auch Seehunde^ obschon diese letzteren meist zu klug sind, um durch die Spalte in das Gefäng- niss einzutreten. Gleichviel ob sich ni;n während des Abends und der Nacht ein oder einige Stüme gefangen haben oder nicht, andern Morgens fahren jedenfalls vier Boote mit je 2 Mann Besatzung nach der Reuse; heben erst den vordem Theil derselben, indem zwei Boote sich einander vis ä vis, rechts und links am Vordertheile der lieuse aufstellen, mittelst starker unter der Reuse herum gehender Taue empor und treiben so alle in dieser Ab- theilung befindlichen Fische nach der hintern Abtheilung; alsdann wird der mittlere Theil gehoben und der vordere Theil herabgelassen und nachdem der lebende Inhalt der- selben langsam in die hintere Abtheilung gedrängt ist, wird auch diese langsam erhoben und nun von der ge- sammten Mannschaft mittelst Handkescher (kleine gestielte Sacknetze) herausgenommen, was herausgenommen werden kann um in die Boote geworfen zu werden. Ist der In- halt der Reuse ganz geleert, dann wird das gehobene Hintertheil derselben (die Todtenkammer), wieder hinab- gelassen, befestigt und die beladenen Boote kehren mit ihrer im vollsten Aufrühre befindlichen Ladung nach dem Landungsplatze zurück. Dort harrt der rückkehrenden Männer der weibliche Antheil der Fischergesellschaft und deren fröhliche Jugend. Der eine Theil hält Netz- säcke ausgespannt, der andere Theil beginnt die Fische zu sichten, die noch immer springend sich in den inzwi- schen ans Land gezogenen Booten befinden, sie zu Wallen abzuzählen und in die Netzsäcke hineinzugeben; während die schweigende Boots-Mannschaft sich ausruht und die Boote sorgsam reinigt, nachdem ihr Inhalt ausgeleert ist. Sobald der Fang zu Ende, hat sich indessen ein anderer Theil der Compagnie fertig gemacht, um mit dem „gros- sen Boote''', das man inzwischen mit den vollen Netzsäcken beladen hat, nach den Heringsmärkten : Greifswald, Stral- sund oder Crüslin abzugehen, wo, namentlich in Greifs- wald, der Absatz unter allen Umständen gesichert ist; theils wegen der grossen Zahl von Grünfahrern, die mit Wagen und Karren sehnsüchtig der anlangenden Boote Ueber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 335 harren, tlieils wegen der nicht minder grossen Zahl von Heringshändlern, die meist ans dem Innern Mitteldeutsch- lands kommend, vom Februar bis Juni, des Bücklingsge- schäftes wegen, daselbst ihren constanten Aufenthalt ge- nommen haben, oder auch hierorts wohl selbst ansässig sind. x\n dem sonst menschenleeren Bollwerke, am östli- chen Ende der Stadt Greifswald entwickelt sich dann, besonders während der Monate März, April und Mai ein Leben und Treiben, wie man es sonst nur auf Jahrmärkten zu sehen gewohnt ist. Die zuweilen zahlreich versam- melten Heringsboote längs des Ufers; die Räucherhäuser und Salzereien, deren jetzt 8 neben einander stehen, mit ihren dampfenden Dächern und fröhlichen Arbeiterinnen im Innern, die Hundekarren, so wie die mit Pferden be- spannten Wagen zwischen den Häusern und Booten, das Herumtragen der zahlreichen Netzsäcke, das Bieten und Handeln seitens der Käufer und Verkäufer, die zum „Kehlen^^ der Heringe auf grünem Rasen lagernden Kna- ben und Mädchen, dazwischen auch die grosse Zahl der herbeigelockten Spaziergänger, das Alles entwickelt ein ebenso buntes als markiges Leben und bringt Capitalien in Umsatz, die während der Heringssaison oft zu erheb- lichen Summen heranwachsen. Denn wie die Herings- fischer, so sind auch meistentheils die in schlichter Blouse erscheinenden Bücklingshändler Thüringens und Sachsens associirt. Die Compagnien unterhalten meistens vier Viergespanne, die fortwährend zwischen Greifswald und Altenburg (dem Vororte des Bücklingshandels) cursiren und derentwillen der galvanische Strom der Telegraphen- linie gar oft in Thätigkeit versetzt wird, um die nöthigen Winke zu geben; denn bei diesen Geschäften stehen oft Tausende von Thalern auf dem Spiele; in klingender Münze muss Alles baar bezahlt werden, und von keiner Seite wird Kredit gegeben, noch auch verlangt. Dadurch aber wird dem Heringsfischer sein Gewerbe gesichert, der Besitzer des Räucherhauses findet dabei seine Rechnung und der Bücklingshändler erübrigt durch den Verkauf seiner Waare an die Kleinhändler des In- landes das nöthige Betriebscapital zu erneuter Unterneh- 336 Munter: mung. — Wenige Monate derartigen raschen Umsatzes fördern somit die Interessen vieler Tausende von Menschen. Sind die Küchen aller Räuchereien besetzt und die Grünfahrer haben ihren Bedarf gedeckt, dann wandert der Rest der angefahrenen Heringe in die Salzereien, die eigentlich mehr als ein Nebengeschäft neben der Bück- lingsräucherei bestehen. Selten noch wird in ., Witten" gesalzen, und dort auch nur wenn der Greifswalder Markt überführt ist oder der Fang nicht mehr hinreichend lohnt um eine volle Ladung abzusenden. — Denn die Preise für das „Wall'^ (diese kaufmännische Einheit zu je 80 Stück) Hering sind ausserordentlichen Schw^ankungen un- terworfen. Während das Wall im Februar oft mit V/2 und 1 Thlr. bezahlt wird, wird es zu Ende April oder im Mai bei starker täglicher Zufuhr und mangelnder Nach- frage wohl auch einmal mit 1 Sgr. bezahlt. Veranlassten die gegen die Küsten andrängenden Heringsstüme eine dem ländlichen Stillleben ergebene Küstenbevölkerung, Pflug und Egge zeitweilig zu ver- lassen, um ihr dafür das Steuer und das Segeltau in die Hand zu geben, damit sie statt der dauernden Furchen auf ihren Ländereien rasch verschwindende Furchen in das Meer ziehe, weckten die Stüme frisches fröhliches Leben an jenen einsamen stillen Küsten, wo sonst nur die Seeschwalbe ächzend ihr „Kriäh" ertönen lässt und ein leises Plätschern der aufschlagenden Welle ab und zu mit dem donnernden Getöse der sturmgepeitschten schäumenden Salzfluth wechselt, so sind es abermals die nunmehr unter die Botmässigkeit und in das Eigenthum der Menschen übergegangenen Heringe, die fern von ihren dermaleinstigen tiefen und dunkeln Weideplätzen selbst in ihrem Tode noch, den Scharfsinn und den be- triebsamen Fleiss der continentaien Bevölkerung in An- spruch nehmen, zur Rührigkeit während Tag und Nacht anspornen und Industrieen fördern, die auch wohl einer historischen Begründung Averth sein dürften; ich meine Ueber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 337 die Industriezweige, welche sich die Aufgabe gestellt haben, den Hering^ soweit er nicht kurz nach eben er- loschenem Leben als Nahrungsmittel verwandt werden kann, in einen Zustand zu versetzen, dass er der sonst unvermeidlichen baldigen Fäulniss entzogen, genussfähig bleibt und zu geeigneter Zeit genossen werden kann. Derartiger Industriezweige aber sind zur Zeit drei namhaft zu machen, und zwar: 1) die Herstellung des marinirten Bratherings, 2) die Herstellung des Bücklings und 3) die Herstel- lung des Salzherings, während die Conservirung der Heringe nach Morel-Fatio und Verdeil's Methode^) noch nicht für den pommerschen Küstenhering in An- wendung gebracht worden ist. a) Die Herstellung marinirter Bratheringe ist der jüngste der genannten Industriezweige, zugleich aber auch der am wenigsten entwickelte; indessen kann doch schon jetzt behauptet werden, dass ganze Ladungen marinirter Bratheringe nach dem Innern Deutsch- lands und auch schon manche Sendung nach dem Aus- lande gemacht worden ist, so dass es den Anschein nimmt, als ob diese Conservirungsmethode sich einer steigenden Beliebtheit zu erfreuen habe. Der frisch gefangene He- ring wird, nachdem er rein gewaschen und schwach ge- salzen worden war, abgetrocknet, mit sehr feinem Wei- zenmehl allseitig bedeckt und in Butter braun gebraten. Gehörig abgekühlt und schichtenweise mit diversen Würzen (Lorbeerblättern, Pfeffer, Piment und Citronenscheiben) in verschieden grosse hölzerne Tönnchen eingepackt, wird der Brathering soweit mit kaltem Essig übergössen, damit er nach erfolgtem dichten Verschluss der Tönnchen sich constant unterm Niveau desselben befindet. Die Herstel- lung dieser Delicatesswaare ist, wie selbstverständlich, zwar meist Sache geübter Frauenhände, allein in Folge 1) Dingler's polytechn. Journal 1855. Bd. 137 p. 300. Archiv f. Naturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 22 338 Munter: der theuren Zuthaten und der darauf verwandten Mühe und Zeit, so wie der Grösse der Tönnchen und je nach dem Einkaufspreise des frischen (und besten) Netzenhe- rings, kann der Preis nicht unter 20 Sgr. betragen, wäh- rend für die grösseren Tönnchen gern 2 Thlr. bewilligt werden. b) Die Heringsräucherei, oder die Herstellung des Bücklings, sowie c) die Heringssalzerei oder die Herstellung des Salzherings ist in Pommern fast ebenso lange bekannt, wie an den Rüstender Nordsee. Valenciennes berichtet (1. c. p. 184) dass die Stiftungsurkunden mehrerer englischen Klöster des Uten und 12ten Jahrhunderts, -z. B. des Klo- sters B erk in g, Bestimmungen enthielten, aus denen her- vorgeht, dass daselbst bereits Hering gesalzen und geräuchert worden sei, so wie dass Yarmouth, welches von Heinrich I. 1128 einen Magistrat erhielt, aus Fischer- hütten entstanden sei, welche von englischen, französischen und niederländischen Fischern bei Gelegenheit ihrer all- jährlichen Hcringsfischereien und Salzereien errichtet wären. Lässt sich nun auch bei dem Dunkel, welches die Geschichte Rügens vor der Ankunft des Bischofs Otto von Bamberg umhüllt (die Wenden und Slaven pflegten keine Chroniken zu schreiben), kaum durch sichergestellte Jahreszahlen angeben , in welchen Jahren man bereits Hering in Pommern gefangen, gesalzen und geräuchert habe, so steht doch erwiesenermaassen fest, dass ein deut- scher Priester aus Bardewyk^), der Begleiter des Bischofs Otto (welcher vom polnischen Könige Boleslaw III. zur Bekehrung der Wenden nach deren Stammsitzen ausge- sandt ward) innerhalb der Jahre 1124— 1128, die von den heidnischen Wenden bewohnte Insel Rügen zur Zeit des grossen Herings fangs in Gesellschaft von Kaufleuten besuchte, während Bischof Otto selbst im Jahre 1128 bei seiner zweiten Reise nach dem Lande der Rugier, 1) Fock, Rügensch-Pommersche Geschichten I. p. 37. Ueber den Hering der pommersclien Küsten u. s. w. 339 Llutizen n. s. w. in der Gegend zwischen Halbcrstadt und Demmin von einem einsam an einem Seeufer wohnenden Manne^ welcher sich hierher geflüchtet hatte, um Salz gebeten wurde: zum Einsalzen seiner Fische^), der einzigen Nahrung, die er seit 7 Jahren zu sich ge- nommen. — Da es auch anderweit erwiesen ist, dass schon im 12ten Jahrhunderte deutsche-) und nordische Kauf- leute ^) sich an den Rügenschen Küsten zum Einkauf von Hering einfanden, die Kunst des Einsalzens aber auch bereits allgemeiner bekannt w\ar, so darf man wohl er- warten, dass die fremden Käufer, nicht sowohl die Ab- fuhr des frischen, als vielmehr des zuvor gesalzenen Herings beabsichtigten; denn gegen eine Abgabe an den Tempel des Swantewit auf Arkona erhielten sie das Recht sich am Fischfange der Rugier zu betheiligen, event. die gefangenen Fische aufzukaufen. Der Rügenfürst Wizlav befiehlt ferner in einer von Dreier (Specim. circa inhumanum ius naufragii p. 190) erhaltenen Urkunde den fremden Kaufleuten und Fischern Einiges, was sich auf das Einsalzen der an den Rü- genschen Küsten gefangenen Fische bezieht. Sodann be- stätigt im Jahre 1270 Herzog Barnim I. dem Kloster B e 1 b u c k in Hinterpommern den Kauf des Sees und Flusses Rega; nimmt jedoch die Zahlungen von 2 Denaren an einen gewissen Bispravus (miles Bispravus) aus, die dort von den Wirthen für die Last ei ng es alz ener He- ringe entrichtet w^erden mussten ^) (^duobus solidis dena- riorum de Lastonc alleCj quod ab hospitibus ibidem sale conditiim fuerit). In der von Prof. Joh. Gottf. Ludw. Kosegarten 1) Andreas de vita Ottonis C. lY. ed. Valer. Jaschii. Colber- gae 1861. 4°. p. 172. 2) Nach einer Mittheilung des Dr. P allmann soll sich schon beiDitmar von Merseburg aus dem 11. Jahrhunderte eine Erwähnung des pommerschen Heringshandels nach dem Inlande finden. 3) Fock 1. c. p. 14. 4) D reger Cod. diplom. im ungedruckten Tom. II. No. 450. (cf. Seile Versuch einer Geschichte des Pomm. Handels. Stettin 1796, 4^. p. 22 Note 3.) 340 Munter: im Jahre 1833 publicirten Jubelschrift ^) zur 600jährigen Stiftungsfestfeier der Stadt Greifs wald, veröffentlichte der gelehrte Geschichtskenner seiner Heimath^ die von ihm im Stadt- Archive Greifswald' s entdeckte Handschrift einer Zoll rolle aus dem Jahre 1270, welche (1. c. p. 11 und 12) folgende Bestimmungen enthält: 1. c. p. 11. ;,Primo: Quicunque vult deducere allec dabit pro lasta allecis II solides. Item pro curru dantur IUI denarii. Item pro karruca II denarii.'"' ;,Item plaustrum sicci allecis, videlicet s pioliering VI den. et similiter recentis allecis VI den.^ ,,Item si aliquis danus, Normannus, seu eis similis vult abducere alleo dabit II sol. pro lasta. ^ 1. c. p. 12. ,,Item quicunque deducit vinum vel allecy non conputabit theoloneum nee dabit pro gravibus rebus quas swarlast vocamus, sicut de illis praescriptum est; sed dabit pro ipsis vino et alleoe ut dictum est theoloneum speciale.'^ In dieser interessanten und für unsere Frage sehr schwer wiegenden Urkunde ist der Gegensatz von fri- schem Hering (allec recens), dem einfachen allec gegen- über wohl nicht anders zu verstehen, als dass mit dem letztern gemeint sein soll: gesalzenerHering, indem doch nur dieser von den Hansa-Kaufleuten exportirt werden konnte. Nicht minder wesentlich ist die Anführung des Spickherings d.h. des Bücklings unserer Tage. Kosegarten erläutert (1. c. p. 12) in der Note zwar das Wort spic durch speo d. h. lardum (lardo simile), allein ich glaube doch dem leider nicht mehr unter uns weilenden grossen Sprachkenner gegenüber, die Ansicht aussprechen zu dürfen, dass das mit hering combinirte Wort spic in diesem Falle nicht wohl „F etthering" bedeutet, sondern dass darunter wegen des erklärenden Zu- satzes: „sicci allecis^ Bückling zu verstehen sein dürfte. Noch heute bedeutet nach Hey se (Wörterbuch der deut- schen Sprache p. 981) das schwedische ,Verbum „spicka'^ : 1) De Gryphisvaldia Hansae Teutonicorum socia. Gryphisv. 1833. 4«. Üeber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 341 räuchern und nach H o 1 m b o e (Det norske sprogs veesent- ligste Ortforred Wien 1852. #. p. 318) bedeutet das alt- nordische Verbum ^speikja" so viel als das dänische ^spege''' d. h. salzen und räuchern (ved Saltning og Törring). In den noch gebräuchlichen Zusammensetzungen Spickaal, Spickflunder etc. ist dasselbe Wort ^spio" erhalten und bezeichnet dort genau denselben Zustand wohlbekannter Fische, wie er uns im Bückling entgegentritt. Ich über- setze daher spichering der Greifs walder Zollrolle unbedenklich durch ^^Bückling'^ und trage kein Bedenken, dass, so wie schon im 12ten Jahrhundert die Herings- räucherei an englischen Küsten, dieselbe Conservi- rungs-Methode im 1 3 ten Jahrhunderte auch in Greifswald schon bekannt war und ausge- führt wurde. Aus diesen historisch-sichergestellten Thatsachen er- hellt, wenn anders es noch des Beweises bedürfte, zur Genüge, dass in dem oft genannten Jahre 1416 dieHe- ringssalzerei nicht erst erfunden und mithin auch Wilhelm Beukels oder Beukelsen (auch Johann Beu- kelem, Beukelszoon, Bukfeld, Belkinson, Bökel und Bu- kelt, ja sogar William Biervliet genannt) unmöglich der Erfinder dieser Kunst sein kann, wenn ihm auch zu Biervliet in Flandern (seinem angeblichen Geburts- orte^), nach seinem 1397 (alias 1449, alias 1474) erfolgten Tode von den Holländern ein Denkmal errichtet wurde und an dessen Grabe Kaiser Carl V. 1536, in Gesellschaft seiner Schwester Maria, Königin von Ungarn, einen He- ring verspeist haben soll. Möglich und wahrscheinlich ist es freilich, dass die etwas mythische Person des Beukelsen eine Verbesserung in der Verpackung des Salzherings angegeben haben mag, und somit für den Ruf des holländischen Fisches 1) Bloch (1. c. p. 187) führt in der Note an: „Andere wollen, er sei ein schottländischer Fischer gewesen, der aus Missvergnügen über sein Vaterland, dasselbe verlassen und die Flanderer das Ge- heimniss des Einsalzens der Heringe und selbige einzupacken ge- lehrt hätte." 342 Munter: wesentlicli wirkte, aber es ist notorisch unrichtig, diesen Mann, dessen Name so vielfach anders ange- geben, dessen Heimathsberechtigung den Holländern oben- ein von den Schotten abgesprochen wird^ dessen Todes- jahr endlich den grösstmöglichsten Varianten unterliegt, diesen Mann für den Erfinder der Heringssal- zerei auszugeben! — Ebenso geringe historische Be- rechtigung hat aber die Angabe, dass derselbe Beukels, v^ie es von Fr. Sam. Bock') behauptet worden ist, die Bücklingsfabrikation erfunden habe und daher auch der Name Bückling von dem Erfinder Wilhelm Beukel abzuleiten sei. — Bock setzt freilich hinzu, dass man auchPeckling oder P e ekel bering schreibe, welches vom Peckel (Salzlaache) abzuleiten sei, in welchem die Fische vorher liegen müssten. — Durch die Greifswalder Zollrolle von 1270 (die jedenfalls doch nicht nach 1275 geschrieben wurde) wird diese Annahme jedoch ein für allemal unmöglich gemacht. Der noch heute im Reg. Bez. Stralsund übliche Name „Spickhering^ ist noch nicht ganz durch den offenbar holländischen Namen „Bück- ling^ verdrängt worden und bcAveist zur Genüge das hohe Alter eines Productes der naturwüchsigsten pommerschen Industrie, die seit ihrem ersten Auftauchen in der Greifs- walder Zollrolle, so wie die ihr gleich alte Salzerei, sich in allen folgenden Jahrhunderten mit Sicherheit historisch nachweisen Hesse, wenn anders es einer ausführlichem Nachweisung und Begründung bedürfte. Schon im Jahre 1276 erhielt nach O. F o c k -) auf dem damals zu Dänemark gehörenden Schonen (wo seiner Zeit zu Falsterbo und Skanoer die Heringsfischerei in grossem Flor war, so dass die Kaufleute der Hanse- städte Lübeck, Wismar, Rostock sich behufs des Herings- salzes dort einfanden), Stralsund seine eigene Yitte (Heringspackerei) und darauf 1280 auch Greifswald und zwar für ewige Zeiten. Die Vitte der letzteren lag 1) Versuch einer vollst. Natur- und HandlungsgeschicMe der Heringe. Kgsbg. 1769. p. 71 Note 9. 2) 1. c. Heft n. p. 166 und 167. Ueber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 343 in Falsterbo zwischen dem Kirchhofe der Deutschen^ dem Meeresnfer imd der Stralsnnder Vitte. Die nach Scho- nen^ der südlichsten Provinz Schwedens dirigirten Fahrten, zu welcher die Pommerschen Salzer einen so ungehin- derten Zutritt und zahlreiche Geleitsbriefe vom dänischen Könige erhielten, hatten zur Folge, dass bei dem dama- ligen Associationsgeiste der handeltreibenden Küstenstädte neben der Hansa unter Lübeck's Vorsitze, auch die Kauf- leute eines und desselben Ortes sich zu gemeinsamem Schutz verbanden und Compagnien errichteten, die, wie einst in Hamburg, so nominell auch heute noch in Greifs- wald als ., Schonenfahr er-Compagnie^ besteht, freilich mit andern Tendenzen aber durch die 3 Heringe im Siegel der Gesellschaft zur Genüge auf ihren Ur- sprung hinweisend \). 1) Das Siegel und die Acten der zur Zeit noch bestehenden Schonenfahrer-Compagnie Greifs walds befindet sich gegenwärtig in den Händen des Vorsitzenden der Gesellschaft, nämlich des Herrn Senators Grädener, dem ich die Ansicht des Petschafts und der Acten verdankte. Dass man im 13ten Jahrhunderte lieber die damals gefahrvolle Seereise nach Schonen unternahm, um Heringe zu salzen, die man an der heimischen Küste doch zureichend besass*), könnte zu dem auch in der That gezogenen Schlüsse berechtigen, dass der Rügen- sche Heringsreichthum plötzlich zu Ende gegangen und der Fisch nach Schonen sich gewandt habe. Als Gegenstück hiezu berichtet freilich v. Wehrs (l. c. p. 141) dass zur Zeit der franz. Herrschaft unter Napoleon sich Hering in grosser Fülle an der pommerschen Küste eingefunden habe, während er sich an den schwedischsn und englischen Gestaden vermindert habe; Angaben, aus denen man auf grosse Wanderungen der Heringe schliessen müsste ! Allein da wir oben gesehen, dass Heringe zu grossen Wanderungen gar nicht befähigt sind und sie in Wahrheit auch gar nicht machen, so muss jener öfters wiederkehrende Schluss, der sich jedoch auf irrthümlich ausgelegte oder falsche historische Angaben stützt, als *) So musste nach Sell's (1. c. p. 7) Berichten der Flotte Waidemars I. von Dänemark, als sie unter Führung des Bischofs Absalon nach der Einnahme Stettins an den Eügenschen Küsten vor Anker lag, so viel Hering täglich geliefert werden, als die Mann- schaft bedurfte! cf Saxo Grammaticus Hist. Dan. lib. XIV. ed. Steph. p. 838 et 339. 344 Munter: Liess sicli, wie wir eben sahen, die Kunst des Ein- salzens des Herings bereits für das 12te und 13te Jahr- unrichtig von der Hand gewiesen werden. Allerdings wechseln Zeiten grosser Heringserträge mit Zeiten sehi' geringer Erträge, ja es sind Fälle vorgekommen, dass die Heringsproduction zeitweilig ganz nachgelassen hat. Nach Bock (1. c. p. 42), der sich auf Hartknoch (Alt und Neupreussen p. 206) stützt, sollen 1313 die Heringe von der preussischen Küste verschwunden sein und sich nach Schonen übergesiedelt haben. Aber die Originalquelle (Düsburg's Ordenschronik) sagt nur, dass man in diesem Jahre an Heringen, welche von undenklichen Zeiten her, in Preussenland so überflüssig gewesen sind, einen Mangel gehabt habe. Diese auffallenderweise mit dem angeblichen Verschwinden des Herings an den Rügenschen Küsten und dem Hervortreten desselben an den süd-schwedischen Küsten zusammentreffende Angabe Hesse eine weithin wirkende Ur- sache voraussetzen und in der That setzt eine alte Angabe praeter propter das Jahr 1309 fest, wo die Halbinsel Mönchgut vom Rüden durch eine grosse Sturmfluth getrennt worden sein soll. Wäre nun eine solche Katastrophe genau historisch nachzuweisen, so könnte man auch gern glauben, dass in Folge derselben die Heringsstüme von den Rügenschen Küsten verscheucht und nach Schonen gejagt wor- den seien; allein wir haben ja oben gesehen, dass die Schonenfahrer- Compagnien in Greifswald und Stralsund bereits 1276 und 1280 ihre Yitten in Falsterbo besassen und längst zuvor die altern Mitglieder der Hansa dort Heringe salzten: es ist daher eine ganz vage und nichtssagende Behauptung, dass der an der Südküste der Ostsee verschwundene Hering nach den Nordküsten derselben verschlagen sei. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass die Nachfrage nach Salz- hering grösser war, als das Angebot seitens der Rügenschen Fischer, und dass man sich daher veranlasst sah, an den reichern Fang- plätzen sich direct mit einer Vitte zu betheiligen und von den Vor- theilen des Grosshandels Nutzen zu ziehen, zu welchem Nowgorod u. a. Plätze der östlichen Küste der Ostsee zureichende Gelegenheit boten, so wie heute noch der Handel über Danzig, Königsberg und Memel den Greifswalder Küstenhering nach Polen und Russland führt. Massenhaftes Ausfischen hat freilich auch die einst auf Schonen bei Falsterbo blühende Heringsfischerei für die grosse Industrie des Salzens etc. vernichtet, so dass heute noch kaum der Bedarf des nächsten Hinterlandes durch den dortigen Fang gedeckt wird, wie die aus Ystad u. s. w. nach Rügen zum Einkauf frischen Herings kommenden schwedischen Boote genügend beweisen. Allein N i 1 s s o n (1, c. p. 5) konnte doch noch mit den Fischern seiner Heimath den üeber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 345 hundert in Pommern nachweisen und darthun, dass man nicht nur den an den heimischen, sondern auch den an den schwedischen Küsten gefangenen Hering vor und nach Beukelsen's Zeiten einzusalzen verstand und diese Kunst im Grossen ausübte, so lässt sich doch nicht in Abrede stellen, dass die bessere Yerpackungs-Methode der Holländer allmählich sich auch für den Küstenhering Pommerns Bahn brach, und mit ihr Worte und Namen in Aufnahme kamen, die ursprünglich wohl nicht in Pom- mern gebräuchlich waren. So bedeutet ,TVr akhering*" bei den Holländern ursprünglich , nicht ganz tadel- freien Hering'*' dem z. B. mitunter die Köpfe fehlen oder der noch nicht gehörig gepackt, sondern unregel- mässig durcheinander in Tonnen gelegt ist. Heutigen Tags dagegen ist dieser Name hierorts allgemein im Ge- brauch, obgleich man darunter die durch den Königl. Wrakmeister contrasignirte verkaufswürdige gute Waare versteht, also eigentlich das Gegentheil von dem. vor Malmö und den vor Cimbrisham gefangenen Hering nach Racen unterscheiden und p. 4 gedenkt er ausdrücklicli des Vorkommens des Herings im südlichen Schonen. — Derselbe Nilsson ist es, der auch von einem dermaleinst auf den Bohuslän'schen Scheeren blühenden Heringsfange berichtet, wo z. B. 1787 die ungeheure Zahl von 1,472,000 Tonnen Heringe gefangen wurden, davon 400,000 ge- salzen, 4000 geräuchert. 2000 gepresst (wohl getrocknet!) und 1,066,000 Tonnen zu Thran Calso Fischthran im strengsten Sinne des Wortes) verkocht wurden. Nilsson erwähnt aber nicht, dass eben da- selbst, an den Bohuslän'schen Scheeren, vor 1587 der He- ringsfang bereits im üppigsten Flor war, jedoch nach diesem Jahre so auffallend nachliess, dass man aufhörte von Gothenburg aus Hering auszuführen und deshalb auch nicht mehr die Bohuslän'schen Scheeren aufsuchte, bis in der Mitte des vorigen Jahrhunderts der Fang von Neuem wieder lohnend ward und zu jenem Maximum emporstieg, von welchem ab bis ins 3te Jahrzehnt dieses Jahrhun- derts man es dahin gebracht hatte nach Anwendung der verheerend- sten Fangmethoden und in der Meinung auf eine stete Einwanderung vom Norden her, sicher rechnen zu können, die in den Scheeren heimisch gewesenen Stüme gänzlich auszufischen*)! ') cf. Nilsson 1. c. p. 3 Note 2. 346 Munter: was der Holländer damit sagen wollte. Desgleichen hat man die Methode^ den gewrakten Tonnen ein Zei- chen aufzubrennen^ eingeführt, wie es in Holland seit langem geschieht; und Aehnliches mehr. Bei alledem aber ist man in Pommern noch weit entfernt, die Herings- salzerei zu der Höhe entwickelt zu haben, wie sie von den Holländern gehandhabt wird, wie sich am Besten aus einer Vergleichung der üblichen Methoden ergeben wird. Das Verfahren aber ist folgendes: 1) Der mittelst „Mansen^-artiger Netze gefangene Hering wird von den Holländern so frisch als möglich, auf den Buysen selbst, gekehlt. Der an den Küsten Pommerns unterliegt, weil er als Handelswaare an dritte Personen geht, einer zeitraubenden überflüssigen Zählung in Walle an der Fangstätte und wird von da im todten Zustande, mittelst grosser steifer Segelboote, 4 bis 6 Meilen weit, nach dem Yerkaufsorte verfahren. Die Reise bei widri- gem Winde zum Beispiel starken Verzögerungen ausgesetzt, kann, wie ich es selbst erlebt habe, von Morgens 7 Uhr bis Nachts 12 Uhr dauern! Dabei bleibt der in Netzsäcken aufeinander gepackte Fisch der Ein- wirkung von Wind und Sonne ausgesetzt! — Durch diese Transportmethode wird dem Blute des He- rings volle Zeit gegeben, aus den Gefässen zu extrava- siren und das Fleisch, so wie die Wirbelsäule blutig zu färben. Es ist daher unmöglich, schneeweisse Handels- waare zu erzielen. 2) Während die Holländer den frisch gefangenen Fisch sofort kehlen, d. h. durch Ausreissen des Kehlfleisches, der Kiemen, des Herzens und des Darms ihn der rascher faulenden Organe be- rauben, liegen zwischen dem Fange und dem Kehlen des pommer sehen Küstenherings wenigstens 12 Stun- den, häufig aber ein viel grösserer Zeitraum ! 3) Wäh- rend die Holländer das Kehlen auf dem reinlichen SchifFsdeck vornehmen, geschieht es an der po mm er- sehen Küste zwar auf grasbedeckten, aber nichts desto weniger mehr oder minder bestaubten und sandigen Flä- chen. 4) Während der Holländer seinen gekehlten lieber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 347 Hering in frischem Seewasser abwäscht, ihn stark mit Salz einreibt imd in frischbereitete starke Salzlaake legt, in welcher ein Ei schwimmt, worin er den Hering die ersten 12—15 Stunden liegen lässt, bringt man den pommerschen Hering in Kufen, welche 100 — 300 Wall aufzunehmen im Stande sind, bestreut ihn, wenn es rationell geschieht, mit St. Ybessalz (Spanisches Seesalz), Lässt ihn 12 — 18 Stunden darin, wäscht ihn als- dann in dieser Blutlaake und bringt ihn endlich zum Ab- laufen derselben auf Hürden. Die Blutlaake aber wird zu mehreren Malen in iVnwendung gebracht und ist nicht immer frei von übelriechenden Beimengungen! 5) Das Einlegen in buchene Tonnen, die vom pommerschen Heringe je nach dessen Grösse, 20 aber auch 26 Wall aufzunehmen vermögen, geschieht allerdings mit glei- cher Sorgfalt, so wie in der Nordsee. Zuerst streut man grobkörniges St. Ybessalz (welches die Königl. Re- gierung unter Steuererlass zu liefern Sorge trägt) auf den Boden der Tonne, schichtet sodann die erste Lage mit dem Rücken nach abwärts gelegter Heringe neben einander, sü'eut von Neuem bonificirtes Salz darauf, lagert abermals, jedoch im rechten Winkel zur ersten Schicht, eine neue Serie mit dem Rücken abwärts gewandter He- ringe neben einander, streut Salz u. s. w. bis endlich die Tonne vollgefüllt ist. — • Zu je 4 Tonnen Hering rechnet man 1 Tonne St. Ybessalz von 405 Pf. Gewicht; — auch trägt man einige Sorge, dass die grösseren und kleineren Heringe zuvor einigermassen gesondert und jede Sorte für sich verpackte werde. Ist die Verpackung also be- werkstelligt, so erhält die in Gegenwart der Königl. Steuerbeamten zugespunnte Tonne einen Brandstempel und zwar für grössere Heringe den „Zweiadler^^ — für kleinere den „Einadler-StempeP^ — Drei bis vier Wochen, auch wohl etwas später, nach der stattgehabten ersten" Verpackung müssen die Tonnen zur „Wrake" gestellt werden, d. h. sie werden vom Königl. Wrakmeister ge- öffnet, eine und die andere herausgenommene Probe wird mittelst eines Querschnitts untersucht, ob das Salz zu- reichend eingewirkt hat und sodann mit anderweitig ent- 348 Munter: nommenem Salzhering gleicher Grösse soweit erhöht, bis die während der ersten Periode entstandene Lücke im Fasse vollständig ausgefüllt ist. Die bis über den Rand nunmehr mit Salzhering erfüllte Tonne wird darauf vom Wrakmeister zugeschlagen und mit dem Reisseisen neben dem Brandstempel mit einem Zeichen versehen, welches die Qualität der gesalzenen Waare ausdrückt. Eine Tonne ^Zweiadler-Hering^ kostet je nach der Conjunctur 4 bis 7 Thlr.^ eine Tonne ^Einadler- He- ring 3 bis 6 Thlr., also meistens 20 Sgr. bis 1 Thlr. weniger. Der Salzprocess, welcher den frischen Hering in Salzhering umsetzt, geht gewöhnlich während der höheren Sommertemperatur in schattigen Räumen vor sich und macht, dass der Fisch im ungekochten Zustande geniessbar wird; die Laake, welche während dieses Umwandlungs- processes, aus den eiweisshaltigen flüssigen Bestandtheilen des Herings und dem St. Ybes-Seesalze entsteht, enthält als eigenthümliches Product der vor sich gehenden Zer- Setzung eine Imidbasis, das Trimcthvlamin € Hgj-N, -wel- ches mit Salzsäure ein zerfliessliches Salz liefert und rein dargestellt, selbst mit dem gleichen Volumen Wasser ge- mischt, noch brennbar ist, und dem die Laake ihren be- sondern Geruch verdankt. Nur mit grosser Schwierigkeit und mit grossen Kosten lässt sich diese Basis aus der Laake vollständig ausscheiden, um ein wieder brauchbares krystallisirtes Seesalz zu liefern, daher denn auch diese Ausscheidung im Grossen leider nicht ausführbar ist. Es ist eine nothwendige Folge dieser Eigenthümlichkeit der Laake, dass sie jetzt nicht mehr, wie vordem, als Salzlö- sung zur Versteuerung kommt, sondern dass dieses Neben- •product der Heringssalzerei mit Auflegung einer entspre- chend geringen Steuer in den deutschen Zollverein ein- geführt werden darf. Die Herstellung des Spickherings (Bücklings) ist, wie oben angegeben, ebenfalls ein in Pommern be- Ueber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. 349 reits vor dem Jahre 1270 ausgeübtes Verfahren, um den Hering in jenen eigenthümlichen Zustand zu versetzen, wodurch er fähig wird, sich eine gewisse Zeit hindurch zu erhalten und geniessbar zu bleiben. Gewöhnlich sieht man im Bückling einen geräu- cherten Hering, eine Voraussetzung die wenigstens für den pommerschen Bückling nicht zutrifft. Aber dieser Irrthum ist um so mehr zu entschuldigen, als ja selbst die Stätte, in welcher die Metamorphose zur Ausführung kommt, ganz allgemein hierorts mit dem Na- men „Raucher hau s^^ belegt wird. Zum ,,Räuc her- hause bringt der Bücklingshändler den am Bollwerk gekauften frischen Fisch, lässt ihn dort „räuchern^; bezahlt die Gebühren für das „Räuchern^^ an den Be- sitzer des „R^^^^^^^^^^ses^ und so fort. Alle diese Aus- drücke sind gang und gäbe geworden und fanden von den Küstenstädten aus, nach dem Inlande hin, ohne irgend welchen Widerspruch ihre Verbreitung. Der alt-pommersche Name „Spickhering^^ (Spic-he- ring) wohl von dem altnordischen Worte „speikja^ salzen, dörren^) abstammend, drückt den Zustand des Herings, der damit überhaupt bezeichnet werden soll, entschieden am besten aus, denn in der That ist der nach vorhergehendem Salzen eingeleitete „Dörrungs- process'^ einer der wesentlichsten Acte in der ganzen Manipulationsreihe. — ■ Durch den holländischen Namen: Bocksharing, Bucking, von „Backen^ (Dörren) mag auf dasselbe Verfahren hingewiesen worden sein, obschon die gegenwärtige Bücklings -Fabrications -Methode der Hol- länder von der Neuvorpommerschen wahrscheinlich ver- schieden ist. Leider stehen mir keine zuverlässigen Be- richte über das holländische Verfahren bei der Bücklings- Fabrication zu Gebote und kann ich daher nur über die 1) Holmboe, Det norske Sprogs veesentligste Oriforraed. Wien 1852. 4°. p. 318. Im Dänischen heisst spege, pöckeln, spicken; im Schwedischen nach Heyse's Wörterbuch der deutschen Sprache p. 981 heisst spicka: räuchern. — In Krünitz ökon. Encyclo- pädie p. 753 Note, bemerkt der Verf. des Art. Hering, dass bei den Westgothen speka, dörren bedeute. 350 Munter: von den Franzosen und Engländern gehandhabte Methode berichten ^ wie sie durch V a 1 e n c i e n n e s ^) zu unserer Kenntniss gekommen ist. Nach ihm producirt man im Departement de la Manche den vorzüglichsten „Hareng saur'^^ weil man sich dort gut getrockneten Buchenholzes zum Räuchern bedient^ und nicht wie an den übrigen Küsten Frankreichs ; feuchten Buchenholzes oder gar Kiefernholzes. Allein auch dort werden die Bücklinge nicht lange genug getrocknet^ so dass sie weniger haltbar sind. Zur Herstellung des Bücklings wird der Hering nicht eingesalzen^ wie Salzheringe sondern nur ein wenig mit Salz bestreut^ an Spiessen (ainettes) aufgereiht und im Schornstein aufgehängt ^ wo er bei einer massigen Wärme (chaleur douce) und sehr starken Rauche mehr oder weniger lange Zeit verbleibt. — Eine andere Methode der Bücklings-Fabrication an den französischen Küsten liefert den ^Hareng de trois nuits'^ d. h. Hering, der ein kleines weniger frisch ist als derjenige^ welchen man pöckelt. Doch soll der Hering ,,de pre- miere nuit'^ besser sein, als der andere. — ■ Zu 10 — 12000 Heringen giebt man drei (Grewichts-?) Einheiten (mesures) Salz; bevor die Fische aber in die Räucher- kammer kommen, wäscht man sie;- hier mit süssem Was- ser, anderswo mit Salzwasser. Gut gewaschen und abge- trocknet hängt man sie in der Räucherkammer so auf, dass sie sich nicht gegenseitig berühren, macht darauf Feuer (premier feu) und trägt Sorge, dass dies continuir- lich ungefähr 15 Tage unterhalten bleibt, dann lässt man mit dem Feuern und Rauchmachen nach, damit die He- ringe schwitzen und ihr Oel verlieren, sodann trocknet man sie fernerweitig in diesen oft 6 — 7mal hundert Tau- send Fische enthaltenden Räucherkammern 3 bis 5 Wo- chen lang, bis sie vollkommen trocken sind. — Endlich gedenkt Valenciennes einer oten Bücklingspräparation, wodurch die Fische indessen nur in den Gegenden ver- zehrbar werden sollen, wo sie präparirt wurden, weil sie weniger haltbar seien. — Leider berichtet Valenciennes 1) Hist. nat. des poissons Vol. XX. 1847. p. 239 u. fgd. Ueber den Hering der pommerschen Kücten u. s. w. 351 über dieses Conservirungsverfabren zu kurz^ um den ganzen Vorgang vollständig übersehen zu können. Man bringt die nocli nicht abgetropften Fische in die Räucher- kammer und räuchert sie sofort; das Wasser aber, wel- ches die Fische noch enthielten^ mache sie aufblähen, weshalb sie harengs bouffis oder auch craquelots genannt würden. •— So viel über die französischen Präpa- rationsmethoden. Schottische Bücklinge, die mir einst ein gün- stiger Zufall zuführte, schienen eine ähnliche Behandlung erfahren zu haben, wie die von Yalenciennes beschrie- benen französischen. Sie waren insbesondere sehr salzig und so stark geräuchert, wie man es in Deutschland sonst nur von Schinken und Speck gewohnt ist. Diese höchst pikanten Bücklinge dürften deutschen Gaumen schwerlich zusagen und werden sich daher auch wohl nie als Han- delswaare bei uns einbürgern. Aus den vorstehend aufgeführten Thatsachen ergiebt sich zur Genüge, dass man nun denn doch wohl be- rechtigt sein dürfte , den Bückling einen g e r ä u- cherten Hering zu nennen und dass meine im Ein- gange zu diesem Abschnitt gemachte Aeusserung: der Bückling (wenigstens der pommersche) werde mit Unrecht „geräucherter Hering'^ genannt, auf einem Irrthum meinerseits beruhe. Dem ist jedoch nicht so. Zu meiner Rechtfertigung sei es mir gestattet zuerst den Bericht eines Mannes abzudrucken, den ich unlängst kennen lernte, nachdem ich durch umständliche Studien längst das wahre Sachverhältniss ermittelt hatte. In der „Samm- lung von Natur- undMedicin- etc. Geschichten, die sich anno 1720 in den drei Winter- Monaten in Schle- sien und andern Ländern begeben haben, Leipzig und Budissin 1721. 4^. pag. 439", berichtet Dr. N. Chiliani, Arzt zu Wismar folgendes: „Was unsern Heringsfang anbelangt, so werden selbige im April nur, von Medio an, bis zu Ende dessen, gefangen, welche aber nicht in Tonnen können einge- saltzen werden, weil sie sehr klein seyn, sondern es werden hiesigen Ortes Bücklinge, Flickhering und trok- 352 Munter: kene Hering davon zum Gebrauch bereitet. Jene werden folgender Massen gemacbt: Sobald als selbige vom Wasser aufgebracht werden, so sind sie todt, werden sofort mit Salz besprenget und bleiben etliche Stunden im Salze liegen, alsdenn werden solche unter dem Kopff auf einem darzu aptirten Stock oder Spiessgen bei 30. 40 und mehr gestecket, hiernächst unter einer Tonne, oder in einem von Mauersteinen in länglichtem Quadrat zusammengesetzten Ofen, so aber ganz offen, reyhenweise oder Stock bei Stock gehangen (der Ofen in der Höhe ist 3 bis 4 Schuh hochj, alsdenn wird unten von altem Holtze, Moss und andern Sachen, so mehr rauchen, als brennen, Feuer gemacht; oben über die Heringe werden Sacke, Teppichte und andere Sachen gedecket, dass der Rauch so leichtlich nicht davon kommen kann. In sol- chem Rauch und Qualm hangen solche auf eine Stunde und länger, biss sie trocken und braun geräuchert sein; alsdann werden sie abgenommen, in Wallen gebunden, deren 70 bis 80 ingehen und zum Verkauff oder Verbrauch verwahret. — Flickheringe werden fast auf gleiche Art gemachet, nur dass diese in der Mitte der Länge nach von einander gespalten und also besser durchräuchert sind, wovon einige mehr Wercks machen, massen sie mit Butter bestrichen und hiernächst auf dem Rost gebraten werden. — ■ Die trocknen Heringe werden auf Stöcke gezogen, entweder in der Luft, oder auch im Rauche der Schornsteine, trocken gemacht, hernach mit gelben Rüben oder Wurtzeln gekochet, welches eine häufige Speise gemeiner Leute ist, wovon aber nicht viel besonderes.'^ Nach Bock^) der das Wesentlichste der Chiliani'- schen Mittheilung p. 71 und 72 reproducirt, soll sich im 23sten Bande des Hamburger Magazins p. 563 — 583 eine fast wörtlich gleichlautende Darstellung in der genannten Zeitschrift niedergelegt finden, und fast ganz derselbe Artikel findet sich auch in Krünitz ökonomischer En- cyclopädie Th. 20. p. 753 ohne dass bis zum Jahre 1780 1) Versuch einer vollständigen Natur- und Handlungsgeschichte der Heringe. Königsberg 1769. Ueber den Hering der pommersclien Küsten u. s. w. 353 Widerspruch gegen diese Angaben erhoben ist. Daraus aber darf man wohl den Schluss ziehen^ dass die Bück- lingsfabrication im vorigen Jahrhunderte an den Ostsee- küsten im x\llgemeinen nach denselben Grundsätzen aus- geführt worden ist; wie es beinahe auch heute noch der Fall ist; nur dass der Nachfrage entsprechend^ grossarti- gere Einrichtungen nöthig geworden sind. Auch heute noch wird der frische Hering, nachdem er in das „Räucherhaus^^ gebracht worden ist, während 6 — 12 Stunden mit gewöhnlichem Kochsalze (Product der hiesigen Saline) in langen Trögen schwach einge- salzen [zu 800 bis 1000 Wall (ä 80 Stück) giebt man eine Tonne Speis es alz von circa 405 Pf. Gewicht]; darauf treten eine Reihe Frauen an die Tröge, nehmen von den Gesimsen längs der Wand, an welcher der Trog steht, die daselbst befindlichen Spiesse (Holzstäbe von Fingerdicke und 3 Fuss Länge), reihen an diesen zuge- spitzten Stäben je 18 Stück Heringe auf, indem sie den Spiess durch die Mund- und eine Kiemenspalte hindurch- stecken und übergehen den Spiess einer Person, die ihn auf geeigneten Stellagen vorläufig behufs des Abtropfens neben einander hängt. Gleichzeitig sind andere Frauen damit beschäftigt, die also von den Spiessen herabhängen- den Heringe vom nicht freiwillig abtropfenden Schleime und anderen Unreinigkeiten zu säubern, indem sie vom Kopfe nach dem Schwänze zu die anhängenden Schleim- massen mittelst ihrer Hand abstreifen. Wieder andere Frauen tragen alsdann die abgestrichenen Heringe zur „Küche^, d. h. luftdicht schliessende Räume, welche eine etwa 3 Fuss hohe Brandmauer ringsherum vom Boden aus besitzen, und von da bis zu einer Höhe von in Summa 13 Fuss, hei 9— 12' Tiefe und 6—12' Breite aus Fachwerk erbaut sind. In einer Höhe von 5 Fuss gewöhnlich lie- gen die ersten freien Balken (Wiembäume genannt), denen in angemessener Höhe neue Serien von Balken folgen, so dass im Ganzen sich sechs solcher Balkenlagen (Eta- gen) über einander befinden. Auf diesem Gebälk werden nun die mit angereihten Heringen versehenen Stäbe so aufgelegt, dass die Fische etwa in 2" Distanz von ein- AroMv f. Nuturg. XXIX. Jahrg. 1. Bd. 23 354 Munter: ander abstehen imd frei in den Raum der Küche hinab- hängen. Eine Küche fasst gewöhnhch 100 bis 250 Wall. Ist das Aufhängen in der Küche bewerkstelligt^ so ^Yerden bei vorläufig offen stehender Eingangsthür 6—12 auf dem Boden der Küche übereinander gelegte Holzhaufen von trocknen Eichenspähnen oder trocknera Erlenholze ange- zündet und circa 6 bis 12 Stunde n im hellen Brande erhalten^ je nach der Entfernung, in welche der Bück- ling versandt werden soll. Die hellbrennenden freien Feuer erhöhen die Temperatur der Luft, in welcher sich die von den Spiessen herabhängenden Heringe befinden, auf 80^ R. Kaltes Wasser, in Blechgefässen auf verschie- denen „Wiembäumen^ der Temperatureinwirkung der be- treffenden Luftschicht ausgesetzt, gerieth in kürzester Zeit ins Kochen!. — Da nun eine so hohe Temperatur 6, ja selbst bis 12 Stunden hindurch unterhalten wird, so ist es eine natürliche Folge, dass alle derselben ausge- setzten Heringe in ihren eignen Flüssigkeiten kochen, und nachdem die tropfbar-flüssigen Bestandtheile ver- dampft sind, eintrocknen; eine Methode, die nicht einmal im „Braten an dem Spiesse^ ihr vollständiges Analogen findet. Sobald nun alle in den 6 Etagen übereinander frei aufgehängten Heringe gar gekocht und zureichend getrocknet sind, unterbricht man die lodernden Flam- men durch Aufstreuen feuchter kurzer Eichenspähne, wie sie der nachbarlich im Grossen betriebene Schilfsbau zur Genüge liefert, und unterhalt, indem man alle vorhandenen Luken und auch die Eingangsthür verschliesst, den nun- mehr entstehenden Dampf während einer Zeit von 4-6 Stunden, um die matt-grau weisslich aussehende Fischhaut goldglänzend (broncefarbig) erscheinen zu machen, wo- durch sich ihr appetitliches Ansehen um ein Wesentliches verbessert. Ist die gewünschte Farbe erzielt, so nimmt man, nachdem durch Oeffnen der Luken und der Thür die Heringe abgekühlt und der Raum zugänglich gemacht worden ist, die Spicssc heraus, streift die Fische ab und packt sie sofort auf den unter Dach bereit stehen- de n W a g e n, oder in Kisten, um sie sofort abzufahren. — Ein Wagen fasst je nach seiner Grösse 500 bis 1500 Wall Ueber den Hering- der pommerschen Küsten u. s. w. 355 Bücklinge. Die Abfuhr der je nacli der Entfernung (Berlin^ Leipzig, Altenburg u. s. w.), wohin sie versandt werden sollen, verschieden hart getrockneten Bücklinge besorgt entweder die Compagnie der associirten Bück- lingshändler oder der Besitzer des Räucherhauses, falls dieser den Einkauf des frischen Herings betrieb und lie- fert dieser Letztere alsdann sie in Kisten wohl verpackt, per Dampfschiff oder zukünftig per Eisenbahn an seine Comittenten ab. Im ersteren Falle aber sind die Fuhr- herren Eigenthümer des geräucherten Fisches, den sie frisch von den Fischern ankauften und dem Besitzer des Räucherhauses zur Fertigstellung gegen entsprechende Gebühren übergaben. Die vorstehende ausführliche Darstellung der viel- leicht noch nie zur Sprache gebrachten Bückli ngs fa- hr ication Pommerns, welche sich zur Zeit in Greifs- wald in höchster Blüthe befindet, führt jedenfalls den Beweis, dass der pommersche Bückling keines- wegs ein geräucherter Hering genannt werden kann und zwar deshalb nicht, weil er in seiner eigenen (thierischen) Flüssigkeit durch erhitzte Luft (bei einer Temperatur von 80^ R.) zuvor gar gekocht und dann ge- trocknet worden ist, ehe er einen wenigstündigen Rauch bekam, welcher lediglich dem Heringe eine für den Ge- niessenden angenehmere Farbe und einen etwas pikan- teren Geschmack geben soll. Der französische Bück- ling, welcher bei niederer Temperatur fünf Wochen lang geräuchert wird, verdient dagegen mit allem Recht den Namen eines geräucherten Fisches (ha- reng säur). Was nun den von Chiliani bereits im Jahre 1720 genannten F 1 i c k h e r i n g betrifft, so wird das von ihm beschriebene Verfahren zur Herstellung desselben auch heute noch nach fast V/2 hundert Jahren in derselben Weise zur Ausführung gebracht, jedoch keineswegs im Grossen, entweder weil man diese Zubereitungsform im Inlande nicht allzusehr beliebt, oder weil das durch Chiliani's Beschreibung (s. o.) bereits bekannte Präparat, der „F 1 i c k h e r I n g" d.h. ein auf dem Rücken aufge 356 Munter: sclinittener und ausgeweideter Fetthering, bald zum Ver- brauch kommen muss, damit es nicht ungeniessbar wird. Gewöhnlich wird der Flickhering wohl nur in den Kü- stengegenden als Nahrungsmittel, frisch präparirt, feil ge- boten und in kleinen Quantitäten in der Behausung der Fischer selbst hergestellt. Der ebenfalls bereits vonChi- 1 i a n i erwähnte ^,t r o c k n e Hering'*' wird gegenwärtig meines Wissens nirgends als Nahrungsmittel für Men- schen hergestellt, obschon es mir bekannt ist, dass man ihn hier und da zum Futter für Schweine herrichtet» Wäre getrockneter Hering eine verkäufliche Waare, oder wäre es so leicht Vorurtheile gegen neu einzuführende Nahrungsmittel zu beseitigen, so würde es ein Leichtes sein, mittelst der von Morel-Fatio und V e r d e i 1 an- gegebenen Methode getrockneten Hering im Grossen zu fabriciren. Diese Methode besteht bekanntlich^) darin, dass die Fische bei 4 — 5 Atmosphären in Dampf kurze Zeit hindurch gekocht werden, nachdem sie zuvor entweidet und etwas gesalzen sind. Man trocknet sie dann auf Hürden, wobei ein Dampfgebläse bei 26 — ^32^ R. unterstützend mitwirkt. — Allein bis jetzt haben die In- dustrieen, die der Hering Pommerns seit Jahrhunderten ins Leben rief und constant rege erhielt, die grosse Trieb- feder unserer Zeit, den Dampf, gänzlich ausgeschlossen und bleibt es daher zu wünschen, dass dieser mächtige Stellvertreter aller menschlichen Handthätigkcit auch noch für den Hering eine angemessene Verwendung fin- den möge. Resum e. Aus der vorliegenden Abhandlung erhellt A. in Betreff der Anatomie und der Lebens- verhältnisse: 1) dass der Herin o; der po mm ersehen Küste o pom; von dem grösseren Heringe der Nordsee speci- fisch nicht getrennt werden kann; 1) Dingler's polyt. Journal 1855. Bd. 137. p. 300. Ueber den Hering der pommerschcn Küsten u. s. w. 357 2) dass auch er_, so wie an allen übrigen europäischen Küsten ; in constant bleibende Ilacen zer- fällt; 3) dass er nicht von fernher alljährlich einwanden, sondern unweit der Laichplätze, wo er ge- boren ward, auch in der übrigen Zeit dauernd weilt; 4) dass nicht sowohl der Salzg ehal t, als vielmehr die zur Erzeugung einer reichen submarinen Vegetation geeignete Boden- undKüsten- b e s c h a f f e n h c i t auf das Vorkommen des Herings wesentlich influirt; 5) dass seine vorzüglichste Nahrung im Diaptomus castor Jur. besteht; 6) dass sein massenhaftes Erscheinen an den flachern Küsten nicht aus Nahrungsmangel, sondern deshalb erfolgt, weil er zur Erhaltung seiner Art die GcßchlechtsstofFe ablegen muss und dazu eines Wassers von mindestens + 6 bis 4- T^R. bedarf, welches ihm im Frühjahr die nur auf -\- ij^ oder -|-4^R. erwärmte Ti cfe der Ostsee nicht zu ge- währen vermag; 1) dass der pommersche Hering ausser der Früh- lingslaichzcit (März — Mai) an den südlichen Küsten Rügens, so wie am Dars und Zingst, auch eine Herbstlaichzeit hat, die sich namentlich an den nördlichen Küsten Rügens und Hin- terpommerns bemerklich macht; 8) dass sämmtliche rippentragenden Wirbel mit zwei nur durch Bandmasse verbundenen pro- cesstcs Spin 061 superiores versehen' sind, von denen der rechte sich mit einem processus transversus superior dexter und der linke mit einem processus transversus superior sinister in organischer (knö- cherner) Verbindung befindet, während jede Rippe rechts und links vom Wirbelkörper mit einem Processus transversus inferior dexter et sinister in ähnlicher Verbindung steht; so aber, dass beide spinosi superiores und beide costae mit ihren An- 358 Munter: hangsgräten vom Wirbelkörper ablösbar, d.h. nicht mit ihm verwachsen sind; 9) dass die Schuppen mit der Haut in Verbin- dung bleiben, wenn man den lebenden Fisch in Spiritus vini von 90% Tralles rasch tödtet; 10) dass die Farben blau, roth, gelb in langgestreckten Zellen eingeschlossen sind, weiche der Längsaxe der Schuppe parallel laufen und der Schuppe, in- sofern eine Farbe, z.B. die stahlblaue, vorherrscht, ein gleichfarbiges Colorit geben, während verschie- den gefärbte Langzellen, abwechselnd neben ein- ander gelagert, Farblosigkeit erzeugen. B. Rücksichtlich der an den Hering sich anschliessenden Industrieen ergeben sich sodann aus der vor- stehenden Untersuchung, dass 1) bei u n z w e ck m ä s s i g e n F a n g m e th o d e n die vorhandenen Heringsstüme gänzlich aus- gefischt werden können ; 2) dass die grosse Heringsreuse eine der neu- vorpommerschen und rügianischen Küsten ganz eigenthümliche Fang-Vorrichtung von verhältniss- mässig jungem Datum ist; 3) dass der pommersche Hering sich ebensogut zum Salzen eignet, wie der der Nordsee, und auch seit gleichlanger Zeit dazu verwandt wird; 4j dass der Transport und die Behandlung des frischen Küstenherings indessen noch wesentliche Verbes- serungen erfahren muss, um ein gleichwerthes Kaufmanns-Gut herbeizuführen ; 5) dass der Bückling Pommerns (welcher vor- wiegend im mittleren und östlichen Deutschland consumirt wird) kein geräucherter Hering ist, wie der französische und englisclie Bückling, sondern ein in seinen eigenen Säften bei erhöhter Temperatur in der Luft gekochter Fisch, dem man nach zuvorigem Dörren durch wenigstündiges Räuchern mit Eichenhobclspähnen eine goldgelbe Farbe gegeben hat, so wie endlich 6) dass die Bücklingsfabricati on und die Her- Ueber den Hering der pommersclien Küsten u. s. w. 359 Stellung des Salzherings an den pommer- schen Küsten bereits seit sechs Jahrhunder- ten^ also lange vor Wilhelm Beukelsen betrieben worden ist^ während die Flerstellung lufttrocknen He- rings nicht mehr, wenigstens nicht als Indu- striezweig sich im Betriebe befindet. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1 und 2 sind Copieen der Fig. B und C auf der 8ten Tafel des 2ten Bandes der von Brandt und Eatzeburg heraus- gegebenen „Medicinischen Zoologie', ^Yelche einen Herings- wirbel von der Seite (Fig. B) und von vorn gesehen (Fig. C) darstellen sollen, a Wirbelkörper, b Medullarkanal. c Rippe, d ein Bogenstück. e proc. transversus der Rippe, f proc. transversus des Dornfortsatzes, h Flossenträgerknochen. Die Brandt- und Ratzeb urg'schen Öriginalbezeich- nungen sind des leichtern Verständnisses wegen beibehal- ten vv^orden. „ 3. Schema eines Wirbels aus der Region der rippentragenden Wirbel, a Wirbelkörper, b jproc. spinosus superior sinister. b' proc. spinös, sup. dexter. c Rippe, e proc. transversus inferior sinister. e' proc. trans. inferior dexter. — f proc. transversus superior sinister. f proc. trans v. super, dexter. g gekielter Bauchkantenknochen. „ i. Gekielter Bauchkantenknochen von Innen gesehen, m vor- dere, n hintere Spitze, p seitliche Arme. ,, 5 Gekielter Bauchkauteuknochen von Aussen gesehen mit der zwischen m n befindlichen erhabenen Leiste x. „ 6. Drei gekielte Bauchkantenknochen in natürlicher Lage, von Innen gesehen; die feindornigen Spitzen m, welche nach vorn gerichtet sind, decken auf der inneren Oberfläche die stumpfern hintern Spitzen der Bauchkantenknochen, welche aussen (auf der untern Seite des Ileringsbauches) einer von hinten nach vorn vorgerückten Messerschneide Widerstand leisten. 7. A. c die rechte, B. c die linke Rippe mit ilirem proc transv. inferior dexter et sinister e. e. und dem ablösbaren Köpfchen n, welches in Fig. 10 bei v in das daselbst be- findliche Grübchen eingesenkt war. ,, 8. E. F linker und rechter Dornfortsatz b b und ff linker und rechter proc. transv. superior. bei a Köpfchen, welche bei Fig. 9 in den mit r r bezeichneten Grübchen der obern Fläche des Wirbelkörpers liegen. 360 Munter: Ueber den Hering der pommerschen Küsten u. s. w. (Fig. 4—8 stellen die betr. Knochen in natürlicher Grösse dar; Fig. 9—13 sind durch die Loüpe gesehen gezeichnet.) Fig. 9. Ein Wirbelkörper aus der Region der Rippen, von Oben gesehen, j) vordere Trichterhöhle, q hintere Trichterhöhle, rs rs zwei zarte Kno che nie ist eh, die sich bei 1 in eine über die Trichterhöhle q hinausragende rückwärts ge- wandte Spitze verlängern, vorn aber bei r r zwei Grübchen bilden, in welchen die Köpfchen der beiden proc. spin. sup. beweglich und auslösbar eingesenkt liegen. „ 10. Derselbe Wirbelkörper von der Seite in derselben Lage, p vordere, q hintere Trichterhöhle. 1 verlängerte Spitze einer obern Leiste, t seitliche Längsleiste, v Grube unter- halb t zur Aufnahme des auslösbaren Transverso-Costal- Köpfchens. ' „ 11. Derselbe Wirbel in gleicher Lage von Unten gesehen, p vordere, q hintere Trichterhöhle, w' w" w'" drei parallele Längsleistchen mit 2 Längsfurchen dazwischen. ,, 12. Drei Wirbel im Zusammenhange dargestellt, aus der Re- gion der allpiählich mit den Wirbelkörpern organisch sich vereinigenden proc. spin. sup. — Wirbel A noch mit ab- lösbaren und daher abgenommenen ])Y0c. spin. sn-p. , an seiner untern Fläche r befmden sich bereits lyraförmige proc. spin. inf. — Wirbel B zeigt nur einen proc. spin. sup. und zwar den der rechten Seite in organischer Ver- bindung mit dem Körper; der proc. spin. sup. der linken Seite war noch ablösbar und daher abgenommen. — Wirbel C zeigt zwei an den Spitzen freie, an der Basis aber mit dem Wirbelkörper organisch vereinigte proc. spin. sup. — Die proc. spin. inf. sind alle noch lyraförmig. „ 13. Drei Wirbel im Zusammenhange aus der Schwanzregion, bei m m m die obern nach vorn gerichteten grössern Dor- nenspitzen, die sich den bei Fig. 12 o' o" o'" nach hinten gerichteten entgegenstellen. Die jDroc. spin. sup. und infer. sind einfache an der Basis durchbohrte mit dem Wirbel- körper organisch vereinigte Fortsätze. „ 14. Schematische Figur des Grundrisses einer im Regierungs- Bezirk Stralsund gebräuchlichen grossen Heringsreuse, a bbb fcf bbb bezeichnet den grossen Netzkasten. Durch die mit g g g bezeichneten Anker wird derselbe mittelst langer Taue, welche vom obern Kastenrande zum Boden herabgehen, befestigt. f f f" f " bezeichnet die Flügel des Netzkastens. c Eingangsspalte zum Innern des Netzkastens, d d d d bezeichnet Pfähle des 800' langen Wehrs, welches bei e nach der Landseite zu endet. mm bezeichnet die Küste, vor welcher in mehr oder weniger grosser Entfernung die grosse Heringsreuse auf- gestellt ist. Die Köruchenbeweguug an den Psendopodien der Polythalaniien. Von Max SchHitze. Die Bemerkungen, welche Reichert in dem Archiv für Anatomie , Physiologie und wissensch. Medicin her- ausgegeben von ihm und Du BoisReymond Jahrg. 1863. p. 388 über die Körnchenbewegung an den Pseudopodien der Polythalamien im Anschlüsse an seine früheren den- selben Gegenstand betreffenden Mittheilungen und mit Beziehung auf meine Schrift: ^Das Protoplasma der Rhi- zopoden und der Pflanzenzellen-' veröffentlicht, leiten die Differenz, welche zwischen uns über die Natur der an den Pseudopodien der Polythalamien zu beobachtenden Bewegungserscheinungen bestand, aus der Bahn einer wis- senschaftlichen Discussion hinüber auf das Gebiet scherz- hafter Sprüchwörterspiele. Ich vermag den Ernst des Gegenstandes nicht so weit zu vergessen, dass ich Rei- chert auf dieses Gebiet zu folgen gedächte. Nur einige Worte zur Verständigung, die jetzt ganz nahe bevorzu- stehen scheint. Reichert hatte sich durch seine Mittheihingen über die Natur der Körnchenbewegung in Opposition gesetzt zu allen bisherigen Beobachtern derselben. Er hatte die Anwesenheit der Körnchen in den Pseudopodien geläug- net, die Körnchenbewegung für ein optisches Trugbild erklärt, das Verschmelzen der Pseudopodien ausserhalb der Schale in Abrede gestellt und die ganze Opposition an meine Adresse gerichtet. Jetzt nach dem Erscheinen meiner oben citirten Schrift giebt Reichert seinen Kampf gegen die Körnchenbewegung auf. Auffallend ist es nur, 362 Schnitze: Die Körnchenbewegung an d. Pseudopodien u. s. w. dass er dem •concedirenden Artikel eine heftig polemische Form gegeben hat. Reichert legt seine früheren jetzt als unrichtig erkannten Aussprüche^ g^g^^^ clie ich ankämpfte^ jetzt mir in den Mund, um sie selbst zu widerlegen; er giebt mit viel Glück sich den Anschein; mich und meine Beweise nicht zu verstehen; ja sein Beweis, mich gänzlich miss- verstanden zu haben, würde als gelungen betrachtet wer- den können, wenn nicht R eich er t die eigentliche Körn- chenbewegung und die „wirklichen Körnchen" nunmehr bald selbst zu entdecken nicht undeutlich in Aussicht stellte. Da Reichert diese Aussicht eröftnet, brauchte er gar nicht so weit zu gehen, die früher „am Faden fort- ziehende Schlinge'^ (ja nicht Oese!) jetzt in .-einen ein- fachen homogenen Körper mit sphärischer Endfläche- sich umwandeln zu lassen, der einem wirklichen Körnchen schon sehr nahe steht. Denn wenn diese Deutungsver- suche der Körnchenbewegung sich nur auf eine nicht näher bezeichnete Miliola und auf eine nicht näher bezeichnete Rotalia bezogen haben, so kann es Reichert ja leicht gelingen, bei diesen beiden Species, die eben, weil sie nicht näher bezeichnet sind, von Niemand controllirt wer- den können, auch ferner n i e Körnchenbewegung zu sehen. Wenn er nur für die übrigen Polythalamien die „eigent- liche Körnchenbewegung" als wirklich bestehend entdeckt haben wird, so ist ja die Verständigung zwischen uns, die Reichert so ganz fern wähnt, vollständig hergestellt. Nachtrag zo dem Aufsatze aber die Brachiolaria des Kieler Hafens (vergl. obeu p. 243). Von Dr. V. Heiisen. Es ist mir noch gestattet die genannte Arbeit in folgenden drei Punkten zu vervollständigen. 1) Asteracantliion rubens pflanzt sich wirklich durch zahlreiche frei schwärmende Larven fort. Befruchtimgs- versuche, die ich mit den reifen Eiern, von denen er im April und Mai strotzt, anstellte, ergaben mir helle, kug- lige in den Eiern rotirende Embryonen, die am zweiten und. dritten Tage austraten und dann den jüngsten For- men, welche ich von den Seesternlarven mit dem feinen Netze gefischt hatte, glichen. Sie entwickelten sich im Zimmer nicht weiter, doch war schon ganz klar, dass aus ihnen unmöglich die von Sars beschriebene rothe un- durchsichtige Brut des Asteracanthion hervorgehen könne. Auf einer zoologischen Vergnügungstour durch die Belte, (Ende Mai), zu der Herr A. Meyer so freundlich war, mich auf seinem Lustkutter mitzunehmen, konnte ich die Beobachtung so weit vervollständigen, dass einzelne Lar- ven bis zur Form der jüngsten Bipinnarien herangezogen wurden. Ich schreibe dem steten Schaukeln des Schiffes dies Resultat zu. Immerhin habe ich nur aus einer Zucht einzelne Thiere so weit gebracht; ich hätte wohl die Beobachtungen häufen sollen, aber für mich selbst hatte das kein Interesse mehr und dabei war das Wetter ein sehr unbequemes. Uebrigens ist bemerkenswerth , dass auf der ganzen Tour nur einmal eine zweite Asterie ge- fischt wurde und zwar im kleinen Belt, Solaster papposus. Wenige Tage vorher hatten die Herren A. Meyer und 364 Hensen: Nacht, zu d. Aufs. üb. d. Bracbiolaria. Dr. M ö b i u s Gelegenheit genommen, das zahlreiche Vor- kommen der damals zur Bipinnaria entwickelten Astera- canthionlarve in der Kieler Bucht zu prüfen. 2) Ueber die erste Entwicklung ist noch nachzutragen, dass die Furchung, irre ich nicht sehr, in einer Spros- sung gesteht, deren Produkt ein im Ei rotirender farb- loser Embryo ist, w^elcher aus einem Gallertkern und einer einfachen Schicht umhüllender Zellen besteht. Bei der Weiterentwickelung verdicken sich die Zellen an dem Orte, wo der After liegen wird und alsdann treibt ein solider, sehr bald hohler und nach aussen mündender, Zel- lenstiel in das innere der Gallertsubstanz hinein. Nach- dem der Stiel eine gewisse Länge erreicht hat, wendet er rechtwinklig umbiegend sich wieder der Oberfläche des Körpers zu, mit der er durch einen, zunächst sehr dün- nen, Fortsatz verwächst. Bald jedoch w^ird auch dieser hohl, die Körperoberfläche vertieft sich hier zum Munde und der Darmkanal ist damit gebildet. Gleichzeitig hat sich die Form der Larve so geändert, dass durch das alsbald erfolgende Auftreten der Wimpersäurae die Form der jüngsten Bipinnarien gegeben ist. Die ersten Larven sah ich dieses Jahr am 8. Mai. Ende Juli beobachtete Dr. Möbius noch die reife Brachiolarie. 3) Der kuglige Embryo besitzt in seiner Gallertsub- stanz noch durchaus keine Zellen, diese wuchern erst spä- ter, wie beschrieben worden ist, v^on dem Darmstiele aus in die Gallertsubstanz hinein. Dadurch ist nun also fest- gestellt, dass es eine Gewebsbildung durch Sekretion, ein Sekretgewebe, giebt. Ob solche Gewebsbildung allge- meiner vorkommt, wie w^eit ferner die doppelte Larven- bildung sich wird nachweisen lassen, sind Fragen, die, wie ich hoffen möchte, Andere bald energischer als ich ins Auge fassen werden. Nachtrag zu dem Aufsätze über die Zusammensetzung des Kopfes und die Zahl der Abdominalsegmente bei den Insekten (s. oben S.247). Von Prof. H. Schaum. Die Darstellung, die ich von den Körpersegmenten von Forficula gegeben habe (S. 247. Taf. XI), ist in einer kürzlich erschienenen Monographie der dänischen Forfi- culen von Fr. Meinert (Kiöbenhavn 1863), so weit sie die Unterscheidung zweier Segmente in dem bisher als Metathorax bezeichneten Skelettheile (Fig. VI) betrifft als richtig anerkannt, so weit sie die Deutung des die Zan- gen tragenden Abschnittes (Fig. V, c) als Lamina supra- analis betrifft, bestritten worden. In Bezug auf den ersten Punkt sei hier nur bemerkt, dass Meinert das hinter dem Metathorax liegende, des Ventralhalbringes entbehrende Segment, das ich als er- sten Hinterleibsring bezeichnet habe (Fig. V, 1; Fig. VI, 1) als einen vierten Thoraxring auffasst> und für dasselbe eine von Latreille in analogen Fällen ge- brauchte Bezeichnung, Segmentum mediale in Anwendung bringt. Diese Auffassung des Segmentes, die mit der gewöhnlichen Annahme, dass der Thorax der Insekten nur aus drei Ringen besteht, in Widerspruch tritt, stützt sich auf die enge Verbindung, die das Segmentum mediale bei den geflügelten Insekten gewöhnlich mit dem Tho- rax eingeht, und auf die ich selbst wiederholt aufmerk- sam gemacht habe (S. 252), Die Bezeichnung „erstes Hin- terleibssegment", der ich mich, wie in analogen Fällen Audoum (bei den Hymenopteren ) , Erichson und 366 S c li a u m : Stein (bei den Stapliylinen)^ bedient habe, stützt sich auf die Entwickelung, indem es der vierte, beinlose, aus einem Rücken- und Bauchhaibringe bestehende Körper- ring (excl. Kopf) der holometabolen Larven ist, welcher beim vollkommenen Insekte sich zum Segmentum mediale ausbildet und in diesem Zustande nur als dorsaler Halb- ring äusserlich wahrnehmbar ist. Was das dorsale, die Zangen tragende Skelettstück (Fig. Y. c) betrifft, welches icli als Lamina supraanalis und nicht als Segment auffasse, weil ihm kein Ventralhalbring und kein Ganglion entspricht, und w^eil sich schon das vorhergehende Segment (g) dadurch als letztes zu erken- nen giebt, dass es keine Stigmen hat, so macht M ei nert geltend, dass Avenn ich die Anwesenheit eines entspre- chenden Ventralhalbringes zur Annahme eines Segmentes für nöthig erachte, ich auch das Segmentum mediale nicht als Segment betrachten könne, dem der Ventralhalbring ebenfalls fehle. Diese Einw^endung ist aber nicht stich- haltig, denn das Segmentum mediale hat ein ihm ent- sprechendes Ganglion und hat bei den holometabolen Larven als ein vorständiger aus Dorsal- und Ventralbogen zusammengesetzter Ring existirt, ehe der Ventralhalbring bei der Verw^andlung eingegangen ist. Meiner t be- hauptet aber auch, dass der Zangenträger, der von ihm als 9. Segmentum abdominale bezeichnet wird, weil er das Segmentum mediale zum Thorax rechnet, einen ent- sprechenden Ventralhalbring habe, der unter den achten zurückgezogen und in der Mitte der Länge nach gespal- ten sei, und dass erst hinter dem Zangenträger sich die wahre Lamina supraanalis befinde. Die beiden Theile, die Me inert hier als gespaltenen 9. Ventralhalbring („rigtignok in Mitten klövet Bugskihne^ p. 45) auftasst, sind aber nichts Anderes als Grundtheile der Zangen. Man braucht den wahren letzten Ventralhalbring (8.), der diese Theile von unten bedeckt , nur abzutragen , oder die Theile selbst durch einen gelinden Druck hervorzu- pressen, um sogleich zu sehen, dass der After nicht an der Spitze, sondern vor der Basis der Theile, am An- fange der Spalte, die sie trennt, liegt, und dass diese Nacht, zu d. Aufsatze üb. d. Zusammensetzung d. Kopfes u. s. w. 367 Tlieile weder diircli ein Gelenk noch durch eine Naht mit dem vorhergehenden Ventralhalbringe (8.) verbunden sind. Man wird aber in der ganzen Klasse der Insekten vergeblich nach einem zweiten Falle suchen^ in dem der After an der Basis des letzten Ventralsegmentes gelegen oder in dem das letzte Ventralsegment nicht mit dem vorhergehenden verbunden wäre. Das von Mein er t als Lamina supraanalis bezeichnete^ hinter dem Zangen- träger gelegene und nach unten umgebogene Stück; führt diesen Namen wie Lueus a non lucendo, insofern es zu dem After in gar keiner Beziehung steht, nicht über, sondern weit hinter demselben gelegen ist ; es ist ebenfalls ein Theil des Zangenapparates der Forficulen und daher auch in beiden Geschlechtern gleichgebildet; während die La- mina supraanalis der Orthopteren bekanntlich nach dem Geschlechte verschieden gebildet ist, wie dies auch mit dem so von mir bezeichneten Tlieile der Fall ist. Ich habe diese Theile des Zangenapparates, die ich nach H. Meinert übersehen haben soll, die sich aber nicht der oberflächlichsten Untersuchung entziehen können; und die wiederholt beschrieben und die vermeintliche Lamina su- praanalis sogar abgebildet sind (Fischer Orth. eur. tab. VI. fig. 11;1. a); bei der Erörterung der Segmente von For- ficula gar nicht erwähnt; weil ich Missdeutungen derselben bei der Lage des Afters geradezu für undenkbar hielt. Bedürfte es noch eines Beweises, dass M einer t's 9. Segmentum abdominale kein Segment ist, so würde denselben das Weibchen von Forficula liefern; bei dem die beiden vorhergehenden Dorsalsegmente eingezogen sind. Es giebt meines Wissens kein Insekt mit sehr ent- wickeltem letzten und eingezogenem vorhergehenden Rückensegraente. Bonn, Druck von Carl Georgi, F. Müller Je] CF.StlimidL'lit}! \l i-Alt-"- 1863. 7a/: M. AiT-tor del C F S chmidt Inlt //V6j. Tafir. Assmaiin i'c.z. C.f . 3 chmidL lüK Taf F. 3o. 3 Oj. A"!;nar.ii {^ez F. ochmiat liip.. Taf.n. CR Schinidt lifh. Taf.m: W ^ yT\ 9\ Fix) 4 h Fi-g.S.cb. Aia 'WWW V t'.F. Kclmiidl lith. C I Schmidi li!h /<^^; 'rrj/i. •^ 1^ ^ ii—i- -^^-^^