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ARCHIV
FÜR
NATURGESCHICHTE.
GEGRÜNDET VON A. F. A. WIEGMANN, FORTGESETZT VON W. F. ERICHS ON.
IN VERBINDUNG MIT
PROF. DR- R. LE UCK ART IN LEIPZIG
HERAUSGEGEBEN
DR. F. H. TROSCHEL,
PROFESSOR AN DER FRlEDRICH-Wn.HELMS-UNTVERSITÄT ZU BONN.
SECHS UND YIEEZIGSTEB JÄHEaANa, Erster Band.
Mit 18 Tafeln.
Berlin,
Nicolaische Verlags-Buchhandlung
B. Stricker.
1880.
Inhalt des ersten Bandes.
Seite.
Zur Kenutniss der Echinorhynchen. Von Carl Baltzer in
Marburg. Hierzu Tafel I und II 1
Helminthologische üntersucbungen von Dr. v. Linstow in Ha- meln. Hierzu Tafel III . . 41
Beschreibung einiger neuen Peltidien. Von Dr. G. Haller in
Bern. Hierzu Tafel IV und V 55
Rhynchopsyllus, eine neue Puliciden-Gattung, in einigen Worten
gekennzeichnet. Von Dr. G. Ha 11 er 72
Ueber Echiuren und Echinoderraen. Von Dr. Richard Greeff, Professor in Marburg. (Aus den Sitzungsberichten der Gesellschaft zur Beförderung der gesammten Naturwissen- schaften zu Marburg.) 88
Ueber die postembryonale Entwicklung bei der Milbengattung
Glyciphagus. Von P. Kr am er in Halle 102
Ueber Mustela patagonica. Von H. Burmeister . . . . 111
Ueber die Arten von Bdellostoma. Von Professor A. Schneider
in Giessen 115.
Beitrag zur Kenntniss einiger blinden Amphipoden des Kaspi-
sees. Von Dr. Ose. Grimm in St. Petersburg .... 117 Die homerische Thierwelt. Ein Beitrag zur Geschichte der
Zoologie. Von Otto Koerner, Stud. med 127
Neue Amphibien und Reptilien. Beschrieben von Dr. J. G.
Fischer in Hamburg. Hierzu Tafel VIH und IX . . 215 Zur Kenntniss der Galeodiden. Von Dr. F. Karsch in Berlin.
Hierzu Tafel X Fig. 1—25 228
Zur Kenntniss der Tarantuliden. Von Dr. F. Karsch in
Berlin. Hierzu Tafel X Fig. 26 244
Ä2I06'
IV Inhalt.
Seite. Ueber Lacerta oxycephala Fitzinger und Lacerta judaica Ca- merano. Von Dr. J. von Bedriaga in Heidelberg. Hierzu Tafel XI 260
Geositta antarctica. Von Landbeck in Santiago de Chile,
Hierzu Tafel XII . • 274
Ctenomys fueginus Ph. Von Dr. R. A. Philippi. Hierzu
Tafel XIII 276
Beitrag zur Kenntnies der Verbreitungsgrenzen der fliegenden Fische im südindischen Ocean. Von E. von Danckel- mann, Assistent am meteorologischen Institut zu Leipzig. 280
Ueber die Mundtheile der Arachniden. Von A. Croueberg in
Moskau. Hierzu Tafel XIV— XVI 285
Die Gobiidac und Syugnathidae der Ostsee nebst biologischen Bemerkungen. Von Dr. Friedrich Heincke in Olden- burg i. Gr. Hierzu Tafel XVI Fig. 5 301
Acarinologisches. Von Dr. G. Haller. Hierzu Tafel XVII 354
Ueber einige neue Cymothoinen. Von Dr. G. IIa 11 er in Bern.
Hierzu Tafel XVIH 375
Zur Kenntniss der Echinorhynclieii.
Von
Carl Baltzer
in Marburg.
Hierzu Tafel I und IL
Hat auch in den letzten Jahrzehnten die Anatomie der EchinorhyncJien durch eine Reihe hervorragender Forscher eine eingehende Bearbeitung erfahren, so ist trotz- dem in einigen Punkten die Kenntniss des feineren Baues dieser so merkwürdigen Würmer lückenhaft geblieben. Besonders sind in dieser Hinsicht das äussere Hautgewebe, der Hals und Rüssel zu nennen, welche, wie auch (we- nigstens bei den kleineren Arten) die Rüsselscheide, nebst ihr eingelagerten Gebilden und die Geschlechtsorgane auf Schnitten bis jetzt nur wenig, oder noch gar nicht unter- sucht worden sind.
Einen kleinen Beitrag zur Kenntniss genannter Theile versucht vorliegende Arbeit zu geben, welche sich im All- gemeinen auf E. Proteus Westrumb und E. angustatus Rud. beschränkt; zur Untersuchung des Hautgewebes standen mir aber auch E. gigas Göze und ausgebildete Larven des E. polymorphus Brems, zur Verfügung.
Bevor ich indessen mit meiner eigentlichen Aufgabe beginne, will ich einige geschichtliche Bemerkungen vor- ausschicken und das Wichtigste aus der auf die Echino- rhynchen bezüglichen Literatur hervorheben.
Als Entdecker unserer Würmer kann wohl der be-
Archiv f, Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 1
2 Carl Baltzer:
rühmte IlolUluder Anton von Leeuwenhoek') angeschen werden, welcher die einem Aale entnommenen Parasiten beschrieb und abbildete, sie aber noch zu den Bandwürmern stellte; doch erkannte schon Gözc"), dass Leuwenhoek, wie seine Abbildungen zeij^ten, nicht J5andwürmer, sondern Echinorhynchen vor Augen gehabt haben müsse.
Zoega nannte sie TJchinorkpichen, von Koelreuter^) stammt die Bezeichnung Acanthocephalns , den Namen Kratzer gab ihnen 0. F. Müller^).
Eine anatomische Beschreibung finden wir zuerst bei G()ze^), welcher, soweit es die hr»chst unvollkfmimenen Hilfsmittel der damaligen Zeit erlaubten, den E. (ßijas unter- suchte und sich eine ziemlich klare Vorstellung von dem anatomischen Bau der Kratzer verschaffte.
Die Reihe der speciell auf Systematik und Anatomie der Echinorhynchen sich beziehenden Schriften eröffnet die höchst wichtige Arbeit von Westrumb^), welche eine Zusannneustellung aller bis dahin bekannten Arten und zugleich eine anatomische und ])hysiologische Beschreibung der Acanthocephaleu gibt. C. H. A. Burow'') veröffent- lichte 1836 seine Untersuchungen über den Ech. strnmosns aus dem Darm des Seehundes, eine Schrift, insofern von besonderem Interesse, als sie zuerst der später noch so häufig untersuchten Uterusglocke Erwähnung thut, und den, auch schon von Westrumb^) bekämpften Irrthum, es würden die Eier durch den Rüssel nach Aussen geschafft, beseitigte. Genauere auf die Anatomie bezügliche Ml- theihmgen machte von Siebold ^), ihnen schlössen sich
1) Arcana uatur. detect, Epist. 75. pag. 314.
2) Versuch einer Naturgeschichte der Eingeweidewürmer. Qued- linburg 1782. pag. 145.
3) Nova Commentar. Ac. Petropol. Vol. XV. pag. 499.
4) Naturforscher XII. St. pag. 178.
5) A. a. 0. pag. 147.
6) De helminthibus acanthocephalis commentatio Hannoverae 1821.
7) Echinorhynchi strumosi anatome. Dissert. Kegiomont. 1836.
8) A. a. 0. pag. 64.
9) Burdach's Physiologie II. Bd. 2. Aufl. 1837 u. Lehrbuch d. vergl. Anatomie 1848.
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 3.
die Arbeiten von Duj ardin und Diesing an. Stein lieferte in den zootomisclicn Atlas von V. Carus einige Abbildungen, die indessen wenig Neues boten. Wiebtiger sind die Unter sucbuugen von Wagener^) und Pagen- stecber-). Interessante Mittbeilungen macbte Greeff^) 1864 über den E. miliarius, welchen er mit Ech. poly- morpJms identisch nachwies und liess auch in demselben Jahre eine genauere Beschreibung der Uterusglocke des E. Proteus folgen. Schneider^) verdanken wir wichtige Aufschlüsse in Bezug auf die Muskulatur und das Nerven- system. Beiträge zur Kenntniss des EcJi. angustatus ver- öffentlichte 1872 V. Linstow^) und R. Leuckart^) gibt in seinem die menschlichen Parasiten behandelnden Werke eine eingehende Schilderung aller Organe.
Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen stellte zuerst Leuckart"^) an, ihm folgte Greeff^) mit E. mi- liarius, Schneider^) untersuchte die Entwicklung des E. gigas und Leuckart*^) gab 1873 eine ausführliche Be-
1) Helminthologische Bemerkungen etc., Zeitschrift für wissensch. Zoologie IX. Bd. 1858.
2) Zur Anatomie von Ecli. proteus, Zeitsch. für wissensch. Zoologie XIII. Bd. 1863. pag. 413 ff.
3) Untersuchungen über die Naturgeschichte von Ecliin. mili- arius u. Ueber den Bau d. üterusglocke und d. Ovarium d. Echin. Archiv für Naturgesch. 1864.
4) Ueber den Bau d. Acanthocephalen Archiv für Anatomie u. Physiologie 1868. u. Sitzungsber. d. Oberhess. Gesellsch. f. Na- turk. 1871.
5) Zur Anatomie u. Entwicklungsgeschichte d. E. angustatus. Archiv für Naturgesch. 1872.
6) Die menschl. Parasiten, Heidelb. 1876.
7) Leuckart, helminthologische Experimentaluntersuch, Nach- richten von d. Georg-August-Univers. u. d. K. Gesellsch. d. Wissensch. zu Göttingen. 1862.
8) Untersuchungen über d. Bau u. die Naturgeschichte d. E. miliarius. Arch. für Naturg. 1864.
9) Ueber die Entwickl. von E. gigas. Sitzungsberichte d. Ober- hess. Gesellsch. für Natur- u. Heilkunde 1871.
10) De statu et embryonali et larvali Echinorhynchorum eorum- que metamorphosi. Akadem. Programm. Leipz. 1873.
4 Carl Baltzer:
Schreibung der Entwicklungsgeschicbte des E. proteus und an(ßistatus.
1. Das Hautgewebe des Hinterleibes.
Scbon Göze*) war bekannt, dass die Haut der Kratzer niebt aus einem boniogenen Gewebe bestebe, sondern aus mindestens zwei Ubcreinandergelegenen Schiebten gebildet sein müsse, da man, nachdem ein solcher Wurm eine Zeit lang in lauem Wasser gelegen, die äussere Lage von einer unter ihr betindlichcn leicht abtrennen könnte. Aber auch diese al)lösbarc äussere Membran ist wieder, wie schon länger bekannt, aus drei differcnten vSchichten gebildet. Die von diesen am weitesten nach Aussen gelagerte Cu- ticula ist homogen, stark lichtbrechend und chitinartig, ihre meist sehr geringe Stärke beträgt bei Ech. gujas un- gefähr 0,0012 mm, bei proteus und angustattis 0,0007 mm Fig 1 a. Diesem dünnen Iläutclien lagert sich Innen eine zweite, ebenfalls cuticulaähuliclie Schicht auf, welche an dünnen Schnitten eine feine, radiäre Streifung erkennen lässt, die auf der Flächenansicht als helle rUnktchen er- scheint. Ob es diese Pünktchen waren, welche die älteren Forscher Göze2), Treutler^), Zeder^) und Rudolphi^) veranlasste den Kratzern Porenkanäle in der Haut zuzu- schreiben, lasse ich dahingestellt, will aber bemerken, dass Westrumb^) dieselben nicht beobachten konnte, sich aber trotzdem durch die Fähigkeit unserer Würmer, ihren Leib mit Flüssigkeit schnell zu füllen, bewegen Hess, die Rich- tigkeit der älteren Angaben zuzugestehen. Später hat Greeff bei £". pohjmorphus ebenfalls eine feine Punktirung der Haut beobachtet und auch mit der Absorptionsfähigkeit in Verbindung gebracht^). Leuckart^j, welcher die Haut
1) a. a. 0. pag. 147.
2) a. a. 0. pag. 146.
3) Quaedam de Echin. structura pag. X.
4) Naturgesch. pag. 143.
5) Entozool. Vol. I pag. 253.
6) a. a. 0. pag. 49.
7) a. a. 0. pag. 128.
8) Mensch). Parasiteu II. pag. 735.
Zur Kenntnisa der Echinorhynchen. 6
auf Sclmitten untersuchte, bestätigte Greeff s Angaben, nur fügte er hinzu, dass die äussere Cuticularschicht voll- kommen homogen, dagegen die tiefer gelegene von feinen Kanälchen durchzogen sei. Auch ich habe hier bei E. gigas und Proteus (schwerer bei E. angiistatus) eine deutliche Radiärstreifung beobachten können, möchte diese aber lieber für den Ausdruck einer Faserung halten, wie sie auch bei den Nematoden in der entsprechenden Lage öfters gefunden wird. Was ihre sonstige Eigenschaften anlangt, so ist zu bemerken, dass sie mächtiger als die äussere Schicht ist und sich auch in der Substanz von dieser verschieden ergibt. Denn während letztere bei durchfallendem Licht hell, stark lichtbrechend erscheint, besitzt die streifige Cu- ticula eine trtibweissliche Färbung. Der Unterschied tritt beim Färben noch deutlicher hervor, die tiefere Lage färbt sich z. B. mit Pikrocarmin leicht und stark, die äussere nimmt selbst bei längerer Einwirkung des Färbüngsmittels wenig oder gar keine Farbe an.
Unter den beiden so beschaffenen Cuticularschichten liegt die Subcuticula, ein eigenthtimliches aus Fasern ge- bildetes Gewebe, welches von zahlreichen labyrinthartigen, vielfach mit einander anastomosirenden Lückenräumen durchbrochen ist (Fig. 1 g). Schon bei oberflächlicher Betrachtung zeigt es sich aus zwei Theilen aufgebaut, einem tieferen, aus Radiärfasern gebildeten (Fig. 1 d) und einem mehr nach oben gelegenen, welcher neben den radiären auch wellige, circulär und longitudinal verlaufende Fasern enthält. Leuckart^) hat die erste Schicht als „Faser- schicht", von der letzteren, welche er als „Körnerlage" bezeichnet, unterschieden. Eine Bezeichnung, die mir nicht recht passend scheint, da, wie die genaue Beschreibung besagter Theile ergeben wird, die sogen. Körnerlage an Reichthum der Fasern die Faserschicht bei Weitem über- trifft.
Von dem die Subcuticula gegen die Ringmuskulatur abgrenzenden Bindegewebe entspringt, bisweilen (E.proteus), aus einer dichteren Grenzzone sich erhebend, das Radiär-
1) a. a. 0. pag. 736.
6 Carl Baltzer:
faserwerk in gr(')ssere und kleinere Gru])pcn gesammelt. Wo eine solche Gruppe nach Aussen aufsteigt, springt meist das Bindegewebe etwas vor und bildet nicht selten mehr- fach ge/ackte Trotuberan/cn, welche den Fasern bessere Ansatzstellen darbieten (Fig. 1 f). Die Zahl der in eine Gruppe eintretenden Fasern ist gross bei E. gigaSj geringer bei E. angustatus, und bei E. proteus ist es meist nur eine beschränkte Anzahl verhältnissniässig starker, oft auch verklebter Fasern, die eine Grup))e bilden. Die Anordnung dieser Gruppen selbst wird am besten auf dem Tangential- schnitt erkannt, wo sie natürlich als Häufchen kleiner Körnchen erscheinen, welche in unbestimmten Abständen placirt sind. Die zwischen ihnen bleibenden Hohlräume gehiU'cn dem Gefässsystem an, dessen labyrinthartiger Bau auf diese Weise am besten zur Anschauung gebracht wird. Die Gefässliickcn beschränken sich auf die innere Faser- lage und entbehren durchaus eigener Wandungen. Seitlich werden sie von den Radiärfaseru begrenzt, die auch nach Aussen tiberneigend sie gewölbeartig überdecken; doch nimmt auch das äussere Faserwerk hier an der Begrenzung Theil (Fig. 1). Bei E. proteus und amjustatus liegen die Gefässräume stets nebeneinander, bei E. yigas auch über- einander.
Die äussere Lage der Subcuticula steht durch die in sie einstrahlenden Radiärtibrillcn mit der tieferen in Ver- bindung. Während aber hier dieselben in Gruppen ge- sammelt sind, strahlen sie in der Aussenlage derart aus- einander, dass das ganze Gewebe von in ziemlich gleicher Entfernung parallel verlaufenden Kadiärfasern durchsetzt erscheint (Fig. 1). Die Zahl dieser Fibrillen ist bei E. proteus in der äusseren Schicht meist grösser als in der tiefer gelegenen, und man erkennt auch, wie von be- sonders dicken und kräftigen Radiärfaseru der tieferen Lage, da, wo sie sich der äusseren nähern, Seitenzweige abtreten. Ob nun genannte Verästelungen als wirkliche Abspleissungen oder Trennungen vorher verklebter Fasern zu betrachten sind, lässt sich schwer entscheiden, wahr- scheinlicher aber scheint mir das letztere.
Zwischen diesem, von Radiärfibrillen gebildeten Stab-
Zur Kenntniss der Echiuorhynchen. 7
werk winden sich, dem Geflechte eines Korbes ähnlich, wie der Querschnitt (Fig. 1 ) zeigt, die circulär verlaufenden Fasern wellig durch und erscheinen bei JE. proteus und angustatm zu mehreren Zügen gesammelt, welche in einer ihrer doppelten Breite ungefähr gleichen Entfernung ver- laufen. Die zwischen den einzelnen Zügen bleibenden Räume (Fig. 1 i) durchsetzen im Bogen von einem circu- lären Zug zum andern ablenkende Fasern, mischen sich den Fasern des betreifenden Zuges bei und sind im wei- teren Verlauf von den dem Zuge eigenen nicht zu unter- scheiden. Diese meist auf eine grosse Strecke hin nach derselben Seite gerichteten Ablenkungsbogen liegen stets einzeln, und der zwischen je zwei bleibende Raum ist von einer gewöhnlich nicht geringen Zahl heller Körnchen er- füllt. Wahrscheinlich verdankt diesen Körnchen die ganze äussere Lage die Bezeichnung „Körnerschicht". In ihr unterscheiden wir somit: die Radiärfibrillen, die parallelen Circulärzüge und die ihnen gleichverlaufenden Körnchen- streifen nebst den sie durchsetzenden Faserbogen.
Welche Bedeutung mögen die so regelmässig ange- ordneten Körnchen haben? Auf diese Frage gibt uns der Längsschnitt sofort Aufschluss. Er zeigt eine dem Quer- schnitt vollkommen gleiche Bildung, nur treten hier statt der circulären, längs verlaufende Fasern und Körnchen- reihen auf; die Radiärfasern sind natürlich dieselben. Nun lassen sich aber leicht die Körnchenzüge als die durch- schnittenen Circulärfasern des Querschnittes erkennen, und die längsverlaufenden Faserzüge des Längsschnitts müssen den Körnchen des Querschnittes entsprechen. Nicht überall tritt indessen Längs- und Circulärfaserung in derselben Klarheit auf, denn da, wo sich Cuticula und Subcuticula faltenähnlich einsenkt, wie dies bei E. proteus sowohl in der Längsrichtung als auch in die Quere ausserordentlich häufig gefanden wird, verkleben sich die Fasern derart, dass von einer regelmässigen Anordnung kaum mehr die Rede sein kann. Aus der äussersten Circulärschicht strahlen zahlreiche Fasern nach der Cuticula und befestigen sich hier.
So stellt die Subcuticula des E. angustatus und proteus ein complicirtes Flechtwerk dar, von dem die entsprechende
8 Carl Baltzer:
Lage des E, gigas nicht uncrlieblicb verscliieden ist. Hier finden sich zwar auch circiilär und lon^ntndinal verlaufende Fasern durcli die Kadiärfihrillrii ^^efloclitcn, eine Vertlieilnn^ derselben in verschiedene Ziii;*e ist indessen nicht vorhan- den, und das Gewehe erscheint als ein regelloses Cewirre von Fasern.
Es fragt sich nun, ob die beiden äusseren Fibrillen- systeme als selbständig zu betrachten sind, oder ob ihr Ur- sprung in den Uadiärfasern zu suchen ist. Leuckart^) bemerkt in dieser Ikv.iehuni;: „Die Fibrillen der äusseren Körnernerlage l)ilden dem Anscheine nach eine directe Fort- setzung der tieferen Faserziige^'. E. profeus ist zur Ent- scheidung der Frage wohl am besten geeignet, da die hier nicht in so grosser Zahl vorhandenen, starken Uadiärfasern leicht verfolgt werden können. Nirgends aber konnte ich hier ein Ablenken derselben in die circulären oder longi- tudinalen Züge beobachten. Für die Sell)ständigkcit dieser Fasern spricht auch der Umstand, dass ihre IJeschaiTcnheit bisweilen von der der Kadiärlibrillen etwas verschieden ist. So sind bei E.proteus letztere ein wenig derber und stär- ker als die äusseren Fasern, bei E. gigas umgekehrt die äusseren wellig verlaufenden Fasern etwas kräftiger als die radiären.
An den tönnchenfr>rmigen Larven des E. proteiis fand ich das subcuticulare Fasersystem schon vollständig aus- gebildet. Die Cuticula verläuft auf demselben stark gewellt •und springt von Strecke zu Strecke zackenförmig nach Innen vor*).
Eigenthümliche Zellen liegen in der Subcuticula zer- streut. Schon Wagener beobachtete diese Gebilde in der Haut und in den Lemnisken^) und hielt sie auch für Zellen;
1) a. a. 0. pag. 737.
2) Höchst eigentliümlicb zeigt sich auf dem Querschnitt die entsprechende Larvenform des E. polymorphus ; unter einer dünnen Cuticula liegt hier, da wo später die äussere Subcuticularschicht sich findet, eine homogene fast chitinige Masse, in welcher am vorderen und hinteren Pole eine Faserung sich bemerkbar zu machen beginnt.
3) a. a. 0. pag. 80.
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 9
Schneider bezeiclmete sie dagegen als Kerne, und Lenckart*) gebranelit neben diesem auch den Ausdruck Blasen. Ihre Zahl ist bei den verschiedenen Arten ver- schieden, bei E. gigas geringer als bei proteiis und bei diesem kleiner als bei angusfatus. Sie sind blasenförmig, in der Form ziemlich sehwankend, bald mehr rund oder oval, bald mehr in die Länge gezogen. Neben einem mehr oder weniger scharf hervortretenden Kern besitzen sie an Alkohol- exemplaren einen meist trüben, körnigen Inhalt, in welchem mehrere dem Kern an Grösse sich nähernde, helle Körper- chen gelegen sind. Auch Wagener 2) bemerkte sie und Hess dieselben aus dem Kern durch Theilung entstehen, was ich indessen nicht beobachten konnte. Diese Zellen findet man imr in der unteren Subcuticularschicht, bald, wie der Tangentialschnitt deutlich ergibt, von Fasern ganz umschlossen, bald in die Lückenräume frei hineinragend. Sie stammen von den Zellen, welche bei jungen Larven der den Embryonalkern umgebenden Masse eingelagert sind; diese vermehren sich durch Theilung, welche auch an Exemplaren, deren Fasersystem schon ausgebildet, noch in Thätigkeit gefunden wurde.
Leuckart^) und von Linstow^) lassen dagegen aus ihnen die späteren Gefässräume entstehen, ich glaube mich dieser Ansicht nicht anschliessen zu können, denn die scheinbare Verschmelzung zweier Zellen, wie sie z. B. V. Linstow abbildet, wird wohl eine Zelltheilung sein. Uebrigens Hesse sich nach der anderen Auffassung auch kaum erklären, woher die bei manchen Arten so zahlreichen Zellen^) der Subcuticula stammen sollten, wenn schon die geringe Zahl derselben im Embryo zu der Gefässbildung verwendet würde.
Die weiter nach Innen folgenden Theile der Haut, die
1) a. a. 0. pag-. 737 und pag. 841.
2) a. a. 0. pag. 80. Tab. VI. Fig. 18 u. 19. 8) a. a. 0. pag. 841.
4) a. a. 0. pag. 11. Tab. I Fig. 5.
5) Was ihre Natur betrifift, so möchte ich diesen Zellen eine secretorische Function zuschreiben.
10 Carl Baltzer:
Ring- und Längsmuskulatur des Hinterleibes, habe ich nicht in den Kreis meiner Untersuchungen gezogen! —
2. Der liiiii des Halses und Rüssels.
Neben Westrum b *), welcher bereits eine J^eschreibung des Halses und des lliissels gab, 'finden sich nur noch wenige Forscher, die sich mit der Untersuchung dieser Theile beschäftigten; unter ihnen sind besonders Leuckart und Schneider zu nennen, deren Mittheilungen sich aber auch nur auf einzelne Punkte beziehen. Ich will in Fol- gendem eine kurze l>eschreibung sämmtlicher in die Bil- dung der genannten Leibestheilc eintretenden Uebildc zu geben versuchen.
a. Fxh. Proteus.
Der Hals dieser Art ist ausserordentlich entwickelt, im Durchschnitt 3,5 mm lang. Drei Abtheilungen lassen sich an demselben unterscheiden: Der verbreiterte, conische Basilartheil, das fadenförmige Mittelstück und das kopf- artig angeschwollene obere Ende, dem der Rüssel aufsitzt.
Schon äusserlich setzt sich der Hals vom lliiiterleibe durch eine tiefe Einschnürung ab, dünne Längsschnitte er- geben, dass an dieser Stelle durch die bis zum Bindegewebe wellig sich einsenkende Cuticula des Halses, wie auch Schneider angibt, eine vollkommene Scheidung der Sub- cuticula dieses Abschnittes von der des Hinterleibes be- wirkt wird^). Die äussere Lage der Subcuticula begibt sich mit der Cuticula nach Innen und berührt ebenfalls das Bindegewebe, ähnlich verhält sich die entsprechende Schicht des Hinterleibes auf der anderen Seite der Falte.
1) a. a. 0. pag. 46.
2) Für die gänzliche Trennung der Gefässräume des Vorder- und Hinterleibes durch die Cuticularfalte spricht auch noch folgende Erscheinung. Legt rnan einen Kratzer (z. B. E. proteus) in Farb- lösung, so tingirt sieh der Hinterleib verhältuissmässig schnell, der vordere Leibesabschnitt, der ein geringeres Absorptionsvermögen zu besitzen scheint, bleibt dagegen blass. Würde nun eine Verbindung der Gefässräume vorhanden sein, so müsste durch diese vom Hinter- leib aus sich der Hals färben ; Längsschnitte zeigen aber, dass sich die Färbung nur bis zur Ringfalte, nicht aber über diese hinaus in den Halsabschnitt erstreckt.
Zur Kenutniss der Echiuorhyncben- 11
Cuticiila und unter ihr gelegene Streifeu-Cuticula findet sich auch an dem Halse; aber, der geringeren Stärke dieses Abschnittes entsprechend, weniger mächtig entwickelt. Ebenso verhält sich die Subcuticula, welche aus den oben genannten Fasersystemeu zusammengesetzt ist. Schneider spricht dem Vorderleib den Besitz von Radiärfasern ab; aber schon Leuckart machte mit Recht darauf aufmerk- sam, dass die Gefässräume wohl auch hier von Fasern be- grenzt sein würden. Die tiefere Lage der Subcuticula ent- hält das Gefässsystem, welches, wie auch am Hinterleib, wenigstens im unteren und mittleren Abschnitt des Halses, zwei direct nach oben ziehende Stämme enthält. Nur darin gibt sich ein Unterschied dieser Schicht von der ent- sprechenden des Hinterleibes zu erkennen, dass die Cir- culär- und Longitudinalfasern, nicht in so scharfgetrennte Züge gesondert, mehr verklebt sind und hierdurch schwerer in ihrem Verhalten erkannt werden.
Im kopfförmig angeschwollenen Halstheil reducirt sich die Subcuticula auf ein Drittel der früheren Stärke und zeigt, wie dieser Abschnitt überhaupt, eine Bildung, die sich der des Rüssels nähert. Die Gefässräume erscheinen wie dort regelmässiger angeordnet und treten auch, da die dünne Subcuticula wenig Raum gewährt, bereits bogen- förmig nach Aussen und Innen vor. Nicht minder ver- schieden zeigt «ich hier das unter der Subcuticula gelegene Bindegewebe, das an Stärke dem so sehr entwickelten des Rüssels nahe kommt. Dieser Abschnitt findet sich bei jungen Exemplaren noch nicht kopfförmig angeschwollen. •Bei älteren enthält sein Hohlraum eine die Rüsselscheide umgebende, körnige Exsudatmasse, durch welche der Kopf wahrscheinlich in stets prallem Zustand erhalten wird. Zellen, wie wir sie in der Subcuticula des Hinterleibes fanden, sind auch hier, -besonders im unteren und mittleren Halsabschnitt, vorhanden; dem obersten scheinen sie zu fehlen.
Die den Hinterleib umgürtende Ringmuskulatur er- streckt sich nur bis zum Anfang des Halses; ein Theil der Längsmuskeln aber tritt in den Hals ein, durchzieht ihn bis zur Basis des Rüssels und setzt sich hier fest.
12 Carl l'.altzer:
(Fig. 3 o). In der unteren Partie des Halses liegen sie dicht gedrängt, so dass auf dem Querschnitt (Fig. 18) der zwischen Haut und RUssclscheide gelegene Raum von Muskeln fast ganz erfüllt ist. Anders in dem aufgctriehenen oherstcn Ahselinitt, wo dieselben, weit auseinandergerückt, einzeln gelagert sind. Ganz scheinen aher auch die Ring- nuiskeln dem Vorderleihc nicht zu fehlen, denn zwischen Längsmuskeln und dem unter der Suhcuticula gelegenen Rindegewebe linden sich Fasern, welche, die geringere Dicke ausgenommen, ganz mit den Ringmuskeln des Hinter- leibes übereinstinnncn. Sie heginnen über dem Ringgeiass an der Rasis des Halses, nehmen nach oben an Stärke ah und werden im obersten Theile verniisst. Leuckart*) da- gegen bemerkt, dass nur an der Rasis ein Ringmuskel zu finden sei, und bloss in seltenen Fällen (F. gigas) noch in der unteren Hallte eine dünne Lage von Längsfasern he- obachtet werde. Für die von mir untersuchten ^Xrten gehen aher Schnitte auf den ersten Rlick das geschilderte Ver- halten zu erkennen^).
Als Anhänge der Subcuticula des Halses sind die Lenniisken zu betrachten, welche in Form ovaler, lehhaft braungelb pigmentirter Läppchen in die l^eibeshJihle hinab- hängen. Sie inseriren sich dem Hals an der Stelle, wo die ringfijrmige Cuticularfalte gelegen ist und stehen mit dem Gefässsystem des Vordcrleibes durch das an der Rasis desselben befindliche Ringgefäss in innigstem Zusammen- hang. Wie die Subcuticula bauen auch sie sich aus drei Fasersystemen auf, die mit dem Fasergewebe des Halses verbunden sind. Die Beziehungen desselben zu den Lem- nisken geben am besten dünne Längsschnitte zu erkennen. Das unter der Subcuticula des Vorder- wie auch Hinterleibes gelegene Bindegewebe tritt auf die Lemniske über, sie als ein dünnes Häutchen überziehend. Nie fand ich weder auf
1) a. a. 0. pag. 752.
2) Da die Echinorhynclien die Fähigkeit haben ausser dem Rüssel auch den Hals einzuziehen, so werden die Ringmuskeln als Zusammcnsclinürer, die Längsmuskeln in einer dem retractor proho- scidis ähnlichen Weise zur Wirkung kommen und so die Leistung der ret.ractores receptaculi unterstützen.
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 13
dem Längsschnitt, noch auf dem Querschnitt einen com- pressor der Aussenseite auli^clagert, was mir um so merk- würdiger scheint, als bei E. angustatus und (jigas sehr deut- lich ein solcher erkannt wird. Rechts und links biegen an der Ansatzstellc der Lenniisken die Längsmuskeln ab, für diese eine Durchtrittstelle biossiegend.
Im Querschnitt (Fig. 19) erscheinen die genannten Läppchen ungefähr halbmondförmig mit verdünntem Mittel- und keulenartig angeschwollenen Seitenstücken. Die Dicke beträgt durchschnittlich 0,13 mm. Auf der convexen Seite zeigt die nicht vollkommen glatte Oberfläche im Mitteltheil drei wulstenförmige Erhebungen, auf der gegenüberliegenden concaven Seite eine ; es sind die nach Aussen vortretenden Längsgefässstämme dieses Abschnittes (Fig. 19 g. h). Dem dünnen, ungefähr 0,001 mm dicken Bindegewebe lagert sich eine Schicht auf, welche, gegen 0,01 mm stark, von zahl- reichen, parallelen, radiär verlaufenden Fasern gebildet wird. Eine helle Membran, zu welcher die Fasern vordringen, scheint diese äussere Lage von dem Innengewebe der Lem- nisken zu scheiden. Eine scharfe Trennung ist aber, wie sehr dünne Schnitte lehren, nicht vorhanden, denn die ver- meintliche Membran löst sich auf diesen in eine Anzahl cirkulärverlaufender Fasern auf. Zahlreiche diesen ange- lagerte Körnchen deuten auf gleichfalls in den Zug einge- schlossene Längsfasern hin, deren Existenz auch durch den Längsschnitt bestätigt wird. Diesen höchstwahrscheinlich selbständig verlaufenden circulären und longitudinalen Fa- sern scheinen sich aber auch der äusseren Lage entstam- mende beizumischen. Hierfür spricht wenigstens der Um- stand, dass manche derselben sich nur bis zu ihnen, nicht aber in das Innere der Lemnisken verfolgen lassen. Letz- teres ist mit den schon erwähnten Radiär-, Längs- und Circulärfasern erfüllt. An Zahl walten die Radiärfasern entschieden vor, ihnen sind in der mittleren Zone die Cir- culär-, an den beiden Aussenseiten die Längsfasern einge- flochten. Die Radiärfibrillen geben sich als die in das Innere vorgedrungenen Fasern der äusseren Lage zu er- kennen ; doch mischen sich auch aus den die scheinbare Schei- dewand bildenden eine Anzahl bei. Dieses Fasergewebe ist
14 Carl Baltzer:
nun nirgends so dicht verflocliten, dass nicht die in die Lemnisken eintretenden Fliis8ii;keiten dasselbe nach allen Richtungen durclitränken kinniten. Zur höheren Commu- nication sind a])or ausserdem (iefässräunie vorhanden, wenn auch in l)eschriinkterer Zahl als in der 8u})cuticula. Neben einer Air/ahl kleinerer Räume sind besonders die beiden grossen, am seitlichen Rande gelegenen, im directen Ver- lauf von Unten nach Oben ziehenden Stännne zu nennen, 7U denen dann im mittleren Al)schnitt, sowohl aufdercon- vexen wie der concaven »Seite, drei mehr oder weniger stark nach Aussen vorspringende Kanäle kommen. Das ganze Fleclitwerk der l^emnisken ist von einer körnigen Masse erfüllt, welche in den Gefässräumen in grösserer Menge auf- tritt. Eigene Wandungen besitzen diese Gelasse ebensowenig wie die der Subcuticula, sie sind aber durch dicht ver- flochtene Fasern von dem Fibrillensystem geschieden. Zellen der schon meiirerwälinten Art liegen meist in grosser Zahl den Gelassräumen eingestreut; besonders reichlich Hnden sie sich in den beiden Seitenkanälen, wo selbst auf dünnen Querschnitten oft bis 8 Stück dicht verpackt gefunden werden. Auch sonst bemerkt man sie dem Gewebe einge- bettet; aber stets beschränken sie sich hier auf die Rand- zone. Von einem kapselälmlichen, um sie geflochtenen Faser- werk getragen, ist ihre Anordnung dort so regelmässig, dass man bisweilen auf Längsschnitten geradezu Reihen solcher Zellen beobachten kann. In die äussere Parallel- faserschicht treten die Gelasse nie ein, sondern sie bildet nach Aussen sich vorwölbend einen Theil der Begrenzung derselben, ebenso entbehrt sie der Zellen. Eine Mündung der Lemnisken auf der Leibesoberfläche, wie solche P agen- steeher beobachtet zu haben glaubt, konnte ich nie ent- decken.
Neben der schon von Leuckart^) hervorgehobenen Wirkung als Pumpwerk zur Füllung der Gefässräume des Rüssels und des Halses, wird die hauptsächlichste Function der Lemnisken darin bestehen, für den im subcuticularen Fasersystem schwach ausgebildeten Hals und Rüssel und
1) a. a. 0. pag. 740.
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die in denselben gelegenen Tlieile die nötbigen Nahrungs- mengen aul'/Ainehnien und zu verarl)citen.
Der l^ulla des Halses scblicsst sich der walzenKJrmige Rüssel an, dem schon Westrumb*) eine eingehende Be- schreibung widmet. Er gibt ihm eine knorpelartfge Be- schaftenheit und erkannte auch das in ihm befindliche Ge- fässsystem. Die Ijänge des genannten Abschnittes beträgt ungefähr 0,7 — 0,8mm und seine bis zur Spitze ziemlich gleiche Dicke 0,3 mm. Nirgends findet sich in dem Haut- gewebe eine Abgrenzung des Küsseis von dem Hals, sondern Cuticula wie auch Subcuticula stellen geradezu nur eine Verlängerung der entsprechenden Theile des letzteren dar. Die Subcuticula, an Dicke ungefähr der des angeschwollenen Halstheiles gleich, besitzt auch dieselben Faserelemente. Die äussere Lage ist verhältnissmässig schwach entwickelt (Fig. 6 b) und bildet die Begrenzung der Gefässräume nach Aussen. Um die Haken placiren sich, meist dicht gedrängt, die Radiärfibrillen und liefern eine vollkommene Umhüllung derselben. Im Allgemeinen ist jedoch das sub- cuticulare Fasersystem im Rüssel bei weitem nicht in der Deutlichkeit ausgebildet, wie selbst noch im Halstheil, denn von einer körnigen, an Alkoholexemplaren geronnenen Masse verklebt, lassen sich bei oberflächlicher Betrachtung die dünnen Fibrillen leicht übersehen.
Das Gefässsystem besitzt hier eine schon in der kopfartigen Anschwellung des Halses vorbereitete Anordnung. Da die so regelmässige Vertheilung seiner Stämme augen- scheinlich durch das Auftreten der Haken bewirkt wird, so dürfte es sich empfehlen, mit der genaueren Beschrei- bung dieser zu beginnen. In 18 Längs- und 10 — 20 Quer- reihen ordnen sie sich alternirend und stehen im unteren Theil des Rüssels weiter entfernt, als in dem oberen, wo der Wurzelfortsatz des einen meist dem Wurzelende des anderen sehr genähert ist. Die ersten Haken sitzen an der Basis des Rüssels gerade da, wo sich die Rüsselscheide der Subcuticula anfügt. Diese, wie auch die nächstfolgenden, sind noch verhältnissmässig klein, so dass sie sich nur
1) pag. 44 a. a. 0.
IG Carl Baltzer:
wenig über die Ciiticula erbeben, wilbrend die im oberen Tbeil gelegenen weit über dieselben bervorrageu. Aucb ibre Gestalt ist nicbt überall dieselbe, denn wäbrend die untersten einen last geraden, die näebst folgenden einen nur wenig ge- krüumiteu Stiicbel vorstellen, sind die weiter naeb Oben gelegenen ausserordentlicb gebogen. Sie lassen sich einem von zwei Seiten zusammengedrückten Halbkreise vergleichen, dessen allmablicb verschmälertes Ende die Spitze und dessen anderes angescb wollenes den Wurzeltheil bildet (Fig. 3). Die directe Entfernung der so ziemlich (allerdings ragt die Spitze meist etwas vor) auf gleicher Höhe gele- genen Wurzel und Spitzenende beträgt 0,04 mm ; die Höhe des Bogens 0,00 mm. Ebensolang ist der über die Cuticula sich erhebende, nach abwärts gerichtete Tbeil, dessen AuRsenseite der Oberlläche des Rüssels ziendich parallel verläuft, und dessen innere mit ibr einen spitzen Winkel bildet. Ein oberer Wurzelfortsatz, wie ihn die Haken vieler Handwürmer besitzen, fehlt. Ihre Substanz ist eine matt weisse, chitinartige Masse, welche am Wurzelstück wie der Querschnitt deutlich zeigt, einen etwas dreieckigen, im oberen Tbeil mehr rundlichen Kanal enthält. Schon Zeder ^) will in den Haken einen Kanal gefunden haben, den er mit der Nabrungsaufnabme in Beziehung brachte, Westrum b-) stellt aber die Existenz eines solchen ent- schieden in Abrede. Die Haken durchdringen die Sub- cuticula in ihrer ganzen Dicke und pflanzen sich in dem hier ungemein entwickelten, bis 0,006 mm dicken Binde- gewebe mit dem verbreiterten, unten abgerundeten Ende ein. Rings senkt sicli um sie die Cuticula hinab und steigt an denselben bis in die Nähe des Bindegewebes nach Unten, biegt dann in Schlingenform um und folgt ihnen bis zur Spitze, sie wie eine Düte umkleidend. Der in das Binde- gewebe eingesenkte Tbeil entbehrt natürlich des Ueber- zuges.
Wie sich das Gefässsystem zu dem Hakenwerk ver- hält, ergeben am besten die Querschnitte (Fig. 4). Sie
1) Erster Nachtrag zu Göze's Naturgesch. d. E.-W. pag. 120.
2) a. a. 0. pag. 44.
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zeigen, wie auf dem sehr rcgelmiissig gebauten Rüssel nach Aussen 18 ungeialir gleich grosse Wülste sich hervor- wölben, deren 9 von Haken durchsetzt sind. Die übrigen, je zwischen zwei der vorliergenannten gelagert, enthalten einen halbkreisförmigen Hohlraum. Im oberen Theil des Rüssels, wo die Haken dichter stehen^ ragt in jeden dieser Hohlräume der dem Bindegewebe eingepflanzte Wurzel- tortsatz des nächst höheren Hakens. Jedem unserer Wülste entspricht somit eine Hakenreihe und ein durch die Haken unterbrochener, von unten nach oben ziehender Gefässstamm. Die seitliche Begrenzung des letzteren bilden die die Haken umstellenden Radiärfibrillen, und sie sind es besonders, welche auch den directen Verlauf des Gefässes nach Oben fast ganz aufheben. Eine Communication des gesammten Lückensystems wird indessen dadurch bewirkt, dass das je zwei benachbarten, übereinander gelegenen Haken zweier nebeneinander hinziehenden Züge angehörige Radiärfaser- werk etwas auseinanderrückt, und der so entstehende Raum eine Verbindung für je zwei benachbarte Gefässe darstellt. Für EcJi. xmlymorphus verdanken wir Greeff ^) eine Beschreibung und Abbildung der Rüsselgefässe, welche mit den vorstehenden Angaben im Allgemeinen überein- stimmen, nur sollen sich hier die schmalen längs verlaufenden, durch seitliche Anastomosen verbundene Stämme direct nach Oben begeben, was ich bei E. proteus indessen nicht beob- achtete. Die in der Subcuticula des Hinterleibes und Hal- ses gefundenen Zellen fehlen hier vollkommen. Wie die Cuticula nach Aussen in 18 Wülsten sich erhebt, so das innere, kräftige Bindegewebe in den Hohlraum des Rüssels, so dass auch die Innenfläche eine regelmässige Wellen- bildung besitzt. Ihm lagert sich nach Innen eine dünne auf dem Querschnitt (Fig. 5) ringsverlaufende Schicht auf, die an der Basis des Rüssels am stärksten entwickelt nach Oben an Mächtigkeit abnimmt. Sie erinnert an die ent- sprechende Lage in dem Hals und zeigt sich auch auf dem Längsschnitt aus einzelnen durch Bindegewebe verbun- denen Ringfasern bestehend. Ihrem Ansehen nach könnte
1) a. a. 0. pag. 101.
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd.
18 Carl Baltzer:
man sie für eine schwach entwickelte Ringsmuskelschicht deuten.
Auf der äusseren Gipfelfläche des Rüssels bemerkt man bisweilen eine kleine, aber scharf umschriebene Pa- pille; Westrumb^) beobachtete sie bei verschiedenen Arten und hielt sie für ein Saugorgen 2), eine Ansicht, die jetzt natürlich Niemand mehr vertheidigen wird. Leuckart ist geneigt ihr die Bedeutung eines Tastorganes beizulegen und dürfte wohl hierin Recht haben.
Legt man durch einen zum Thcil eingestülpten Rüssel einen Querschnitt, so erhält man natürlich zwei Schnitte zugleich, von welchen der innere, von dem äusseren rings umschlossen, einer weiter nach Oben gelegenen Rüssclregion angehiirt. Zwischen der Innenseite des äusseren und der Aussenseite des inneren Schnittes erblickt man, der vor- hin erwähnten Ringfaserschicht angelagert, durchschnittene Längsmuskeln, die zu der Vcrmuthnng Veranhissung geben kiumten, es besässe auch der Rüssel eine Läugsmuskulatur. Indessen sind diese unten noch genauer zu beschreibenden Muskelfasern, die an der Innenfläche des Rüssels herablau- fenden Thcile des retractor proboscidis.
b. E. angustatus.
Im Bau des Halses unterscheidet sich E. angustakis von proten>i vor Allem durch die viel geringere Grösse, er misst ungefähr 0,7 mm, somit etwa V5 der bei profms ge- fundenen Länge. Dieser so gering entwickelte Leibestheil tritt noch mehr dadurch zurück, dass er stets mehr oder weniger eingezogen, meist nur in einer Länge von 0,5 mm, sichtbar wird. Von dem Hinterleib setzt er sich durch eine ringlormige Cuticularfalte ab und unterscheidet sich in seiner Gewebebildung, wenigstens imbasilaren Theil, in Nichts von dem vorhergehenden Abschnitt. Erst weiter oben, wo die Lemnisken abgehen, verliert der Hals in dem Bau des
1) a. a. 0. pag. 45.
2) Der von der Papille aufgenommene Nahrungssaft soll dann durch einen im Rüssel vorhandenen Kanal (wahrscheinl. der retract. prob.) in die Scheide befördert werden und von hier in die nach der damaligen Ansicht mit ihr in Verbindung stehenden Lemnisken über- treten, pag. 45 u. 62.
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 19
Faserwerkes die AehnlicLkeit mit dem Hinterleib. Die Radiärfasern werden sparsamer, und die äussere Wellen- lage, aus stark verklebten Fibrillen gebildet, reducirt sich auf einen Brucbtbeil der früheren Stärcke. King und Längs- muskeln erstrecken sich über den Cuticularriug hinaus, erstere fehlen dem oberen Abschnitt.
Die Lemnisken erscheinen auch hier als Anhangs- gebilde des Halses, dem sie aber nicht, wie bei E. proteus an der Basis, sondern weiter oben eingefügt sind. Einen weiteren Unterschied liefert der Compressor, der aus ab- gelenkten Längsmuskeln bestehend die Lemnisken ganz um- hüllt. Im Querschnitt erscheinen diese schwach halbmond- förmig gebogen und entbehren hervortretender Längswulste. Das Fasersystem ausser der Muskellage von einem dünnen, mit dem der Subcuticula des Halses in Verbindung stehen- den Bindegewebe bedeckt, zeigt diesem direct aufliegend eine helle, vom Innengewebe verschiedene, dünne Zone, die aber eine Bildung, wie sie oben für E. proteus beschrieben wurde, nicht erkennen lässt. Aus ihr entspringen die hier allein vorhandenen Radiärfasern und ziehen dicht gedrängt, ziemlich parallel verlaufend zur gegenüberliegenden Wand. Wie schon aus dem Fehlen nach Aussen vorspringender Längswulste sich vermuthen lässt, sind die bei E. proteus im mittleren Abschnitt stark entw^ickelten Gefässstämme hier nicht vorhanden, und das ganze Gefässsystem beschränkt sich auf die beiden, am Seitenrande gelegenen Hohlräume (Fig. 17).
Auf dem ungefähr 0,7 mm langen Rüssel sind die Haken in 10 Längsreihen gelagert. Eine dünne Cuticula mit deutlich erkennbarer, nach Innen gelegener Schicht deckt das subcuticulare Fasersystem, dessen äussere Zone die Dicke der Cuticula nicht viel übersteigt. Die sehr dünnen und sparsam vorhandenen Fasern lassen sich noch schwieriger erkennen als im Rüssel des E. proteus. Den 10 Hakenreihen entsprechend, tritt das Hautgewebe etwas hervor; doch sind diese Wulste bedeutend schwächer als bei der ebengenannten Art. Die Haken, an Form denen des E. proteus ungefähr gleich, sind etwas grösser als diese. Ihre ganze Länge beträgt 0,14 mm, die des über die Cuti-
20 Carl IJaltzer:
cula hervorragenden Thciles 0,12 und die Grösse des Wur- zelabschnittes 0,11 mm. Im Bau des Letzteren ergil)t sich ein weiterer Unterschied von E. proteus, bei ihm fehlt der obere Wurzelfortsatz, hier besitzen alle einen deutlich her- vortretenden, zweischenkligen oliercn Wurzelabschnitt, wel- cher indessen dem unteren einfachen an Läu^e bedeutend nach steht. An den Haken senkt sich wie auch bei K Pro- teus die Cuticula ein, der von ihr freigelassene Wurzeltheil inscrirt sich dem hier schwächer entwickelten Bindej^ewebe. Um so stärker ist die ihm innen anliegende Rini^muskel- schicht entwickelt; sie erscheint auf der Flächenansicht des gefärbten, eingestülpten Rüssels als eine, von Bindegewebe durchsetzte, von Kingfasern gebildete Platte, deren innere Oberfläche, besonders auf dem Längsschnitte, ])apill«*>se Er- hebungen zeigt. Weiter nach innen folgen dann die an der Rüsselwand herablaufenden Fasern des retractor proboscidis.
3. Bau der Rüsselscheide, des retractor proboscidis und des Ganglion.
Neben den Lemnisken liegt in dem vorderen Theil der Leibeshiihle die Riisselscheide, bestimmt den Rüssel bei der Einstülpung aufzunehmen. Sie bietet aber nicht allein die- sem Organ eine Hülle, sondern umschliesst auch dessen Rückzieher und den Ccntraltheil des Nervensystems. Un- gefähr cylinderf(»rmig, wird sie von zwei kräftigen Muskel- blätteru gebildet, die im Allgemeinen ziemlich gleich gebaut, doch einige Unterschiede bei E. proteus und angustatus zeigen, so dass die gesonderte Beschreibung beider gerecht- fertigt sein wird.
a. E. proteus.
Die Länge der Rüsselscheide beträgt ungefähr 2 mm, der Durchmesser, je nach der Contraction bald grösser, bald kleiner, im Mittel 0,4 mm. Wie schon erwähnt baut sich dieselbe aus zwei cylinderfönnigen Muskelrollen auf, einer inneren, der eigentlichen Scheide, und einer äusseren diese umgebenden, welche vorn und hinten offen, während die innere hinten geschlossen, nur den Fasern des Rück- ziehers den Durchtritt gestattet. Man findet den unteren, meist verschmälerten Theil der inneren Röhre bald durch
Zur Kenutuiss der Echinorhynchen. 21
die Oeffiiung der äusseren hervorgetreten, bald auch in diese vollkommen zurückgezognen; dieses Verhalten spricht für einen gewissen Grad von Verschiebbarkeit beider Schei- dentheile. Ausgezeichnet ist sowohl die äussere, als auch die innere Muskelplatte durch die kräftigen Einstrahlungen des Bindegewebes, welche auf ersterer mehr oder weniger horizontal, auf letzterer dagegen schief gestellte Spalten im Muskel bilden. In Folge der Verschiedenheit dieser Lage- rung erscheint auf dem Querschnitt die innere Schicht des Receptaculum von Radiärfibrillen durchsetzt, welche der äusseren fehlen; in beiden dagegen zeigt sie der Längs- schnitt. Erhebliche Verschiedenheit in der Form geben die beiden Lagen auf dem Querschnitt zu erkennen. Direct an der Basis ist diese Differenz allerdings nur wenig oder noch gar nicht entwickelt, findet sich aber schon in der Gegend des Ganglion deutlich ausgeprägt. Der innere Cy- lindermantel stellt hier einen mehr oder weniger kreisrunden Ring dar, während der äussere sich gleichsam aus zwei mit den spitzen Enden aneinandergelegten Halbmonden zusammengesetzt erweist (Fig. 8 B). Die Muskelmasse, welche an der breitesten Stelle derselben ungefähr doppelt so stark ist wie die innere Scheidenlage, nimmt nach der Spitze zu allmählich ab und verschwindet an der Bertih- rungsstelle fast vollständig, so dass die beiden Hälften ge- wissermassen nur durch das die Muskelsubstanz überzie- hende Bindegewebe zusammengehalten werden. Weiter nach Oben reducirt sich die Mächtigkeit dieser halbmond- tV)rmigen Gebilde und ist in dem kopfförmig aufgetriebenen Halstheil, also nicht weit von der Ansatzstelle der Scheide nicht stärker als die innere Lage. Der Aussenfläche der äusseren, wie der inneren Röhre liegt ein kräftiges Binde- gewebe auf, dessen in die Muskelmasse einstrahlenden Aus- läufer die schon genannten Spalten bilden. Der äussere Theil zeigt auf dem Querschnitt auch eine feine circuläre Faserung, welche dem inneren fehlt. Der Innenfläche bei- der sitzen papillenartige Erhebungen in grosser Zahl auf; die Flächenansicht ^} ergibt, dass sie eine etwas längliche
1) Wie man auf der umgestülpten Scheide findet.
22 Carl Baltzer:
Form besitzen und schief gestellt sind. Pag-enstecher hielt sie für Zellen, sie sind indessen, was schon Leuckart*) hervorhob, Hindegewebsgebilde und wirken wahrscheinlich als elastische Polster. Papillen von hervorragender (rrössc finden sich häufig da, wo die beiden Hälften der äusseren Schicht zusammenstossen, hier sind dieselben bisweilen der- art aneinander gefügt, dass an der Beriihrungsstelle ein kanalartiger Kaum entsteht (Fig. 8 ß. h).
Wird ein Querschnitt durch das Peceptaculum unge- fähr da gelegt, wo die beiden Ketinacula in dasselbe ein- treten, so findet man, sowohl aut dem äusseren, als auch inneren Theil an zwei Stellen, nicht weit von einander entfernt, die Muskelmasse sich in Kreisform blasenartig er- heben (Fig. 8 A. e. k). Auf dem Ijängsschnitt besitzen diese Plasenräume eine mehr längliche Form (Fig. 7. h). In jeder dersellicn liegt ein kräftiger Kern mit Kernkör- perchen in ein kapselartiges Gehäuse eingeschlossen, zu dem, wie die Schnitte ergeben, von der Muskelsubstanz Fasern ziehen. Solcher in Papillen eingelagerter Kerne besitzt der äussere und innere Scheidentheil mehrere, von welchen besonders 4, nicht weit vom Grunde des inneren Theiles gelegene, stark hervortreten. Auch Pagenstecher und Gree ff beobachteten diese Kerne in der lUisselscheide, aber während sie ersterer als Driisenzellen deuten zu müssen glaubte, brachte sie Greeff mit dem Nervensystem in Be- siehung 2). Uebrigens bemerkte schon Pagenstecher, dass sie in den Scheidenraum vorspringenden Papillen ein- gebettet seien, ein Umstand, der ihn zu dem Irrthum ver- leitete, allen papillösen Erhebungen der inneren Scheiden- oberfläche Kerne zuzuschreiben.
Im inneren Cyliuder des Receptaculum zieht sich, im Grunde befestigt, der Retractor proboscidis nach Oben und besteht im unteren Theil aus blattförmigen, eingerollten Fasern, welche den sie bergenden Hohlraum fast ganz er-
1) a. a. 0. 759.
2) üeber die Natur der genannten Gebilde kann kaum ein Zweifel bestehen, sie sind Muskelkerne wie auch die beiden auf der Vorderseite der Uterusglocke gelegenen, in ganz ähnlichen Blasen be- findlichen Kerne. Fig. 13 Bg.
Zur Kcnntniss der Echinorhynchcn. 23
füllen. Schon etwas iintcrhall) ihres Eintrittes in den Rllssel ändert sich indessen ihre Form, indem sie hier entschie- dener röhrenförmig werden und verlaufen in dieser Gestalt bis zur Rüsselspitze. Die im unteren Theil noch geringe Zahl der Fasern vermehrt sich nach Oben durch Spaltung. Vier Kerne sind ihnen dort eingelagert und zwar befinden sich dieselben- in dem Hohlraum der Muskclröhre, von einer Hülle umgeben, zu welcher von der Wand Fibrillen sich begeben. In der Nähe der Rüsselspitze strahlen die Muskelfasern auseinander, so dass ein derselben zugerich- teter trichterartiger Hohlraum entsteht, setzen sich an der Peripherie der Spitze fest und verlaufen dann, an Zahl un- gefähr 22, längs der Innenwand herab bis zur Ansatzstelle der Scheide und endigen hier (Fig. 3p.). Durch Bindege- webe an der Ringfaserschicht des Rüssels befestigt, zeich- nen sich alle durch ihre regelmässige Anordnung und gleichmässige, aber eigenthümliche Form aus. Sie stellen nämlich Längsmuskelplatten vor, welche die Innenfläche des Rüssels vollkommen auskleiden. Je zwei benachbarte Ränder treten, sich nach Innen einschlagend, in Verbindung, lieber den eingerollten Rand setzt sich aber das die Mus- kelmasse überziehende Bindegewebe fort und bildet eine in den Hohlraum des Rüssels einspringende Papille. Man kann diese so ausgebildeten Längsmuskeln einer gewöhnlichen Faser vergleichen, welcher auf der einen Seite die Muskel- substanz geschwunden, so dass nur das Bindegewebe übrig geblieben. Die Hohlräume dieser Papillen sind häufig mit einer körnigen Masse erfüllt (Fig. 4 i).
Auf der Innenfläche der Rüsselspitze liegen zwei birn- förmige Zellen, welche in den trichterförmigen, von den Muskelfasern gebildeten Hohlraum hineinragen (Fig. 3 1. Fig. 6 f).
An der Basis der Scheide treten einzelne Fasern des Rückziehers in die beiden Retractoren derselben ein, welche sich an der Leibeswand befestigen und so die Veranlassung sind, dass bei eingezogenem Rüssel und Hals die Scheide in Schlingenform gelegt ist und auf Querschnitten z. B. der tönnchenförmigen aus Gammariden genommenen Larven sich zweimal durchschnitten findet.
24 Carl Balizer:
Nicht weit vom unteren Knde des Rcceptaciiluni liegt im inneren Sclieiilentlieil, von Muskeln rini;s umgeben, das von Siebold entdeckte Ganglion. Es stellt einen ovalen ^) ungefähr 0,4 mm langen und 0,2 mm breiten Zellhaufeu vor, dessen Querschnitt elliptisch ist und eine mittlere Breite von 0,1mm besitzt. SieboUrs Deutung haben sich die meisten der si)äteren Untersucher angeschlossen, nur Ley- dig2) erblickt in ihm eher eine Drüse, auch Carus^) ist im Zweifel, und Lindemann ^) stellt Uberhaui)t die Exi- stenz eines solchen Gebildes in Abrede. Die genauere Be- schreibung des (Jaugliou und der von ihm austretenden Nerven folgt weiter unten bei Fxh. amjustatus.
b. Eck. angustatus.
Da Ech. (üujHstcdus im Bau des Receptaculura mit E. protcus in vielen Punkten übereinstimmt, so will ich nnch hier auf die Anführun;:: der wichtigsten DüTerenzen beschränken. Der hauptsäcli liebste Unterschied beruht in der bei angustatus vollkonunen gleichen Bildung des aus-* seren und inneren Scheidentheiles, welche auf dem Quer- schnitt als zwei concentrische Kreise erscheinen. Auch der äussere ist unten geschlossen und wie die innere K(>hre von schräg verlaufenden Bindcgewebsstrahlen durchsetzt. Papillen sitzen der Inneniläche beider auf und sind auf dem inneren Theil stärker entwickelt als auf dem äusseren, während bei Ech. 2^>'oteus das umgekehrte Verhalten sich findet. Kerne liegen auch hier an der Basis der Scheide in Blasenräume eingebettet. Der Rik'kzieher des Rüssels zeigt sich auch schon im unteren Theil aus weiteren R(»hren gebildet. Sie vermehren sich nach Oben ebenfalls durch Spaltung, setzen sich im Umkreis der Rüsselspitze fest und verlaufen an der Innenfläche bis zur Ansatzstelle der Scheide nach Abwärts.
Das von Muskelfaseni vollkommen umgebene Ganglion
1) Pagenstecher gibt ihm eine dreieckige Gestalt, eine Form durch den Druck veranlasst, den er nach eigener Angabe anwandte, um das Object durchsichtiger zu machen.
2) Vgl. Anatomie d. wirbellosen Thiere 1845. pag. 128.
3) Handbuch d. Zoologie von Carus und Gerstäcker II. Bd. pag. 457 .
4) Bull. Soc. imper. Moscou 1865 pag. 490.
Zur Konntniss der Echinorhynchen. 25
besitzt ung'cfähr die Grösse desjenigen von E. proteus und hat ebenfalls eine ovale Form. Nach der Angabe Leiic- kart's *) gruppiren sich die Fasern des retractor derart nm dasselbe, dass auf der einen Seite fast alle, auf der gegen- überliegenden nur einige wenige verlaufen, meine Schnitte Hessen indessen eine solche Anordnung nicht erkennen, mochten auch an einer Stelle eine oder zwei Fasern mehr gelegen sein als an der gegenüberliegenden, so war doch im Uebrigen die Vertheilung eine ganz gleichmässige. Da die Beobachtung des Ganglion, besonders aber der von ihm abtretenden Nerven durch die Fasern des Rückziehers un- gemein erschwert wird, so habe ich dasselbe isolirt und der genaueren Untersuchung hierdurch besser als selbst durch Längsschnitte zugänglich gemacht.
Zum Bau desselben treten länglich runde, ungefähr 0,03 mm grosse Zellen zusammen und ordnen sich derart, dass eine Aussenlage und eine von dieser umschlossene Innenschicht zur Bildung kommt. Durch den gegenseitigen Druck platten sich die Zellen an den Bertihrungsstellen etwas ab und besitzen aut Schnitten die Form eines Fünf- oder Sechseckes. In der peripherischen Lage sind sie so gruppirt, dass meist der verschmälerte untere Theil einer oberen Zelle von dem verbreiterten der nächst nach Unten folgenden bedeckt wird, oder sich zwischen zwei untere Zellen einschiebt. Hierdurch erscheint auf Querschnitten zwischen zwei grosse Zellen häufig ein kleines Zellen- stückehen eingefügt. Dass eine Umhüllung dem Ganglion nicht zukommt, ergibt ebenfalls der Querschnitt und weiter zeigt er, dass die innere Schicht im Verhältniss zur äus- seren wenig Zellen enthält. Durch Auslaufen in Nerven- fäden geben sich unsere Zellen als echte Ganglienzellen zu erkennen '^). Solcher Fäden vereinigen ^ch stets mehrere zur Bildung eines Nerven, deren 6 kräftige stets leicht ge-
1) a. a. 0. pag. 765.
2) Eine Verschiedenheit der Ganglienzellen von E. proteus und E. angustatus in Beziehung der Kerne, wie sie v. Liustow aus der Abbildung des Gehirns von E. proteus bei Pagenstecher vermuthet, ist nicht vorhanden.
26 Carl Baltzor:
l'unden werden '). Es sind dies: Ein vorderer und hinterer Mediaiinerv und zwei vordere und liintcre Seitcnnerven. Der vordere ]\redijinnerv setzt sich aus 4 Fasern zusammen, deren zwei aus zwei ziendich weit nach Unten gelegenen Zellen stammen (Fig. 0 h.) Fünf bilden die benachbarten Seitenncrvcn, sind an der l^asis derselben in zwei Portionen gesondert und vereinigen sich erst über dem Ganglion. Gelingt es durch Zerzupfen die Fasern dieses Nerven zu isoliren, wie dieses Fig. 6 c zeigt; so erkennt man, dass alle aus Zellen des nächsten Bezirkes entspringen. Be- sonders deutlich sind die beiden Zellen Fig. (> f. Sie liegen einander genähert und sind bipolar. Der eine Fortsatz läuft aufwärts, der andere, mit dem gegenüberliegenden conver- girend, nach Unten. Eine ähnliche bij)olarc Zelle findet sich weiter unten ; sie ist (luergelagert und gibt rechts und links eine Faser ab. Die hinteren Seitennerven sind, wie Querschnitte durch das Ketinaculum leicht zu erkennen geben, aus (>— 7 Fasern gebildet. Sie treten in den ge- nannten Muskel ein, der eine eingerollte Platte darstellt, deren Kändcr durch das die Berührungsstelle ü))erbrückende Bindegewebe in ihrer I^age fixirt werden. Der vordere Mediannerv durchzieht den Rüssel bis zur Spitze, wo bei E. Proteus die beiden der Innenseite aufgesetzten Zellen sich befinden. Sie haben die GriJsse der Ganglienzellen und treten sowohl auf dem Längsschnitt (Fig. 3 1), als auch auf dem Querschnitt (Fig. 0 f) deutlich hervor. Leicht lassen sie sich sichtbar machen, indem man einen einge- stülpten Rüssel aus der Scheide präparirt. Hier sind sie natürlich der Aussenfläche der Spitze angefügt. Wahr- scheinlich stehen diese Zelleu mit einem hier vorhandenen Tastvermögen in Beziehung.
4. Bau der weiblichen Geschlechtswege.
Wie schon in der Einleitung erwähnt, war es C. H. A. Burow, welcher die ältere Ansicht, es würden die Eier der
1) Leider kann ich nicht mit ßestimratheit sagen, oh neben den genannten stärkeren auch feinere Ncrvenstämmchen das Ganglion verlassen, da bei der Isolation diese abreissen und übersehen werden,
Zur Kcniituiss der Ecbinorhyncheu. 27
Echinorliy lieben am Vorderlcibc nach Aussen bcfcirdert, end- gültig beseitigte und zuerst darauf aufmerksam machte, dass dieselben durch eine in die Leibeshöhlc sich (iffnende Gh^ckc in den Eileiter aufgenommen, am ITinterleibsende geboren würden. Indessen erkannte er, durch die Leibes- decke beobachtend, nur ihren äusseren Umriss, der feinere Bau hingegen blieb ihm verschlossen. Später gab v, Sie- bold eine genauere Beschreibung dieses Organes und schil- derte auch auf eine treffliche Weise den höchst eigenthüm- lichen Mechanismus desselben, durch welchen die reifen Eier in den Uterus gelangten, die unreifen dagegen durch eine an der Basis der Glocke gelegene Oeflfuung der Leibes- höhle zurückgegeben würden. Zugleich bemerkte derselbe, dass der Ursprung der Eier in dem Ligament zu suchen sei, dessen Innenfläche' er die Fähigkeit der Eibildung zu- schrieb. Die folgenden Arbeiten über die Uterusglocke von DujardinO^ Die sing 2) und Wagener^) schlössen sich ganz der Darstellung v. Siebold's an, nur ist zu bemerken, dass Du j ardin das Ligament nicht als Ort der Eibildung annahm, sondern diese Fähigkeit der ganzen inneren Leibes- wand zuerkannte. Wahrscheinlich wurde diese Ansicht, neben dem vermeintlichen Finden einer Art (Ecli. agilis), der das Ligament fehle, besonders dadurch hervorgerufen, dass fast immer der zwischen Quer- und Längsmuskeln bleibende Raum bei weiblichen Kratzern von Eiern erfüllt ist, wie dies auch schon Westrumb^) mit Verwunderung beobachtete. Wag euer und Pagenstecher schlössen sich der Siebold'schen Ansicht an. Eine Entscheidung dieser Frage gab dann da^ Auffinden der wirklichen Ovarien durch Greeff^). Widerspruch fanden die v. Siebold in Bezug auf die Uterusglocke gemachten Angaben in der 1863 er- ganz jange Exemplare, bei welchen die Scheide noch durchsichtig ist, aber von E. angustatus mir nicht zu Gebote standen.
1) Hist. nat. d. Ilelrainth. 1845 pag. 494.
2) Zwölf Arten von Acanthoc. XL Bd. d. Denkschr. d. math.- nat. Classe d. kais. Ak. d. Wissensch.
3) a. a. 0.
4) a. a. 0. pag. 57.
5) Ueber d. Uterasglocke u. d. Ovarium d. Ech. Archiv für Naturgesch. XXX. Bd. 1864 pag. 369.
28 Carl IJaltzcr:
schicnciicn Abhandlung Pagenstecher's über den Ech. protens. Er stellte die Existenz einer besonderen Glocke in Abrede und erblickte in diesem Ap])arate nichts, als eine stärker niuskuliJse Entwicklung des Ligamentralstranges, der als Eileiter fungire. Diese Ansicht wurde durch die im t'olgeuden Jahr erschienene eben genannte Arbeit Greei'f's widerlegt. 1872 neigt jedoch v. Linstow der Pagen- stecher'sehen Meinung zu, indem er das Ligament (in seiner mir nicht verständlichen Ab])ildung der Uterusglockc des Ech. angustatus) bis tief in den Uterus sich fortsetzen lässt und auch einer unteren Glockenr>lTnung niclit Erwäh- nung thut. Eine genauere Besclireibung der Glocke dieser Art gibt Leuckart^), mit welcher aber, was besonders für den unteren Theil des A])parates gilt, meine l^eobach- tungen iiiclit übereinstimmen. Ganz neuen Datums ist eine eingehende Schilderung der Uterusglocke des E. gi(jas von A. Andres ^).
An das untere Ende der Kiisselscheide befestigt sich das Ligament, ein von zaliireiclien Fasern gebildetes Muskel- nctz, dem im oberen und unteren Abschnitt einige Kerne eingelagert sind. Es zieht sich in zwei diiime Stränge aus, deren einer in die Glocke tritt, während der andere sich an zwei hinter derselben gelegenen Zellen befestigt. So bei Ech. protcuSj dagegen verlängert sich bei E. angustatus das Ligament nur in einen, dafür aber auch sehr langen Strang, welcher in die Uterusglocke aufgenommen wird.
Zeigen auch E. proteus und angustat^is in der Bildung der einzelnen den Ausführungsapparat aufbauenden Elemente mancherlei Verschiedenheiten, so lässt sich doch in der An- ordnung derselben in allen Theilen ein, den nämlichen Mechanismus bedingendes Princip erkennen. Hier wie dort zerfällt der Leitungsapparat in drei Abschnitte, einen oberen zum Ergreifen der in der Leibeshöhle flottirenden Eior be- stimmten, die Glocke, einen mittleren, den Uterus, und einen unteren, den Auswurf besorgenden, die Vagina.
1) a. a. 0. pag. 791 ff.
2) Ueber d. weibl. Geschlechtsapparrat d. Ech. gigas. Mor- phol. Jahrb. 4. Bd. 4. Heft. pag. 584.
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 29
Beginnen wir mit der I^eschreibung der Uterusglocke von F. protctis. Sie stellt eine beclierf()rmige ungefähr 0,29 mm lange und je nach der Contraction 0,14 — 0,18 mm breite, muskulöse Röhre vor. Mit dem ol)eren etwas erwei- terten p]ndc ött'uet sie sich in die Leibeshöhle, die untere Oeffnung schaut in den complicirten von Leuckart „Glo- ckenmund" bezeichneten Theil, welcher dem Uterus direct aulsitzt. Jenem fügt sich auch vorn und seitlich das untere Ende ihrer Wandung an, während an der Basis der Hinter- seite durch einen Ausschnitt eine ebenfalls in die Leibes- höhle blickende Oeffnung entsteht (Fig. 10 u. 12 n). Die Substanz der Glocke bildet eine circa 0,01 mm dicke Muskel- schicht, welche auf der Flächenansicht durch die Einstrah- lungen der starken sie umhüllenden Bindegewebslage eine verworren faserige, bei oberflächlicher Einstellung auch eine parallel ringsverlaufende Zeichnung erhält. Eine von Leydig^) der Glocke zugeschriebene quergestreifte Musku- latur wird mit Recht von Leuckart 2) in Abrede gestellt, und wie ich schon hier bemerken will, ist auch die von Greeff^) an dem Uterus beobachete Querstreifung durch Bindegewebseinstrahlung hervorgerufen. In das Innere der Glocke springen, wie Quer- und Längsschnitte deutlich zeigen, zahlreiche Papillen der Muskellage vor, die an Grösse im Allgemeinen sehr wechselnd, besonders an der oberen Oeff- nung, wo auch die Muskelsubstanz etwas mächtiger ist, stärker hervortreten. Hierdurch kommt an der genannten Stelle eine Art Lippe zu Stande, die sich schon äusserlich als ein wulstiger Ring absetzt (Fig. 9. s). Vor Allen aber zeichnen sich zwei Papillen, an der Basis der Vorderfläche gelegen, durch ihre Grösse aus. Sie stossen aneinander und ragen so sehr in den Hohlraum der Glocke, dass die- ser hier stark verengt erscheint. Auf dem Längsschnit besitzen sie eine länglich ovale Form, von der Fläche ge sehen gleichen sie dagegen zwei, mit den ebenen Seiten aneinander gelegten Halbkugeln. Im Innern jeder dieser
1) Lehrbuch d. Histiologie 1857. pag. 135.
2) a. a. 0. pag. 791.
3) a. a. 0. pag. 373.
30 Carl Ilaltzer:
Blasen befindet sicli ein Kern iukI zwar ganz auf dieselbe Weise mit deren Wandung verbunden, wie wir es oben bei den im unteren Tlieil der Iiüsselscbeide gelegenen Kernen gefunden haben. Durch die nach der Wand verlaufenden Fasern hat es oft den Anschein, als wenn der Kern selbst sternf()rniig ausstrahlte (Fig. 13 B. g.).
Oben wurde bemerkt, dasR das vordere und seitliche Knde der Glocke sieh an dem unter ihr gelegenen Glocken- mund festsetze. So scheint dies beim ersten Anblick aller- dings sich zu verhalten, genauere Untersuchung der Seiten- ansicht, besonders aber Querschnitte ergeben, dass die Ver- bindung keine directe, sondern durch einen zwischenge- Hcli()l)enen Muskelring vermittelt wird (Fig. 130. D.E.i ). Legt man einen Schnitt durch die («locke unterhalb der genannten Kerne (Fig. 13 C), so erscheint dieselbe an Stärke der Wandung bedeutend reducirt und von einem kräftigen Muskel umschlossen (i). Vorn erblickt man die unteren Theile der genannten lUasenräume, welche hier, wie auch S(nist, von Fasern dureiizogen sind (c). Etwas abwärts fällt durch den an der Basis der Glocke befindlichen Ausschnitt der hintere Thcil der Wand weg, und es bleibt nur noch der vordere übrig (Fig. 13 D. c). Noch weiter unten fehlt auch dieser (Fig. 13 E.).
Hinter der Glocke finden sich, wie die Ansicht von der Seite (Fig. 9 I), besser die von hinten (Fig. 12 1) erkennen lässt, zwei längliche, ungefähr 0,4 mm lange Zellen, welche mit ihrem unteren P^nde einer nach oben gerichteten Verlängerung des Eileiters aufsitzen und oben mit dem zweiten Strang des Ligamentes in Verbindung treten. Der Querschnitt zeigt sie von Bindegewebe überzogen und einer Muskelröhre nicht unähnlich, ihren Hohlraum durchsetzen Fibrillen (Fig. 13 B. h, r, s). Am oberen Ende besitzt jede einen grossen einem blasenartigen, kreisrunden Raum eingebetteten Kern, der wie alle noch zu erwähnenden, gleich denen der Glocke an der Wand befestigt ist.
Leuckart's ^) Beschreibung des weiter abwärts fol- genden Glockenmundes stimmt, wie schon oben erwähnt,
i. a. a. 0. pag. 793.
Zur Kenntniss der Echiuorhyncheri. 31
mit meinen Beobachtungen nicht übercin. Nach seiner An- gabe gehen in die Biklung dieses Abschnittes 10 Zellen ein, G äussere und 4 innere, von welchen letztere, von den ersteren ganz umschlossen, das Lumen des Eikanales ver- engen sollen. Mehr als 7 Zellen konnte ich jedoch nie hier entdecken, deren Anordnung auch nicht derart war, dass ein Theil nach Innen gedrängt, von den übrigen gänz- lich umschlossen wurde. Was ich sah, lässt sich in Folgen- des kurz zusammenfassen.
Den beiden hinter der Glocke sich findenden Zellen (Fig. 13 B h, Fig. 12 1) legen sich auf der unteren Innen- seite, gerade der hinteren Oeffnung der Glocke gegenüber, zwei 0,2 mm lange und 0,1 mm breite, auf der Seitenansicht stark gewölbte Zellen an Fig. 9, 10 m. Sie erscheinen vom Rücken betrachtet an der Basis verjüngt und treten zu einer herzförmigen Figur zusammen (Fig. 12 m.). Ihrer meist dicht körnigfaserigen Substanz ist in ähnlicher Wei«e wie bei den vorhergenannten Zellen je ein Kern eingelagert (Fig. 13 C. g. k). Der oben beschriebene Muskelring verbindet sich ihnen derart, dass eine, allerdings sehr kurze Längs- röhre gebildet wird, deren hintere Wand diese beiden Zellen, und deren seitlichen die Seitentheile des Muskelringes vor- stellen. In die so beschaffene, oben offene Röhre führt die hintere, querverlaufende Oeffnung der Glocke ein. Nach- dem der Ringmuskel letztere umgürtet, verläuft er, sich verbreiternd, nach Vorn und Unten und bildet die äussere Begrenzung der Vorderseite bis in die Nähe der sich erhe- benden Uterus wand (Fig. 9. 10. 11 f). Etwas unterhalb der beiden grossen Papillen der Glocke besitzt er rechts und links einen kräftigen Kern (Fig. 9 fj.
Den beiden hinter der Glockenöffnung gelegenen Zellen (Fig. 9. 10. 11. 12 m) verbindet sich auf jeder Seite eine grosse, im oberen Theil nach Aussen stark vorgewölbte, im unteren verschmälerte und lang ausgezogene Muskelzelle (Fig. 9. 10. 12 q), welche ich in Zukunft „Seitenzellen" nennen werde. Sie besitzen in der Nähe der Ansatzstelle einen deutlichen Kern und fügen sich vorn einem maschen- reichen, von Muskelfibrillen gebildeten Gewebe an, dem, ungefähr in gleicher Höhe mit dejn ebengenannten, zwei
32 Carl Baltzer:
Kerne eingebettet sind (Fig. 10). Auf der Vorderseite scbliesst dieses Masebenwerk eine langgestreckte mit den Rändern ein- gescblagene Zelle ab, welcbe oben von dem Kingmuskel und den beiden blasentormigen llervorragungen der Glocken- wand auf der äusseren Fläcbe, auf der inneren von den beiden im Ligamentalstrang gelegenen keulenförmigen Zellen bedeckt wird (Fig. 10 q). Letztere sind nicbt viel kürzer als die Glocke selbst, entbebren im unteren Tbeil des Muskel- überzuges und befestigen sieb ausser an genannter lang- gestreckter Zelle aucb an dem Maseben werk Fig. 10. Die im oberen Abscbnitt uacb Aussen wulstig bervortretenden beiden Seiten/eUen (Fig. 9. 10 (j) scbeinen auf der Fläcben- ansicbt zur Bildung eines Tricbters sieb mit ibreu einge- rollten Rändern zu vereinigen, wie dies aucb Greeff ab- bildete. Der Quersclinitt (Fig. 1:» E) beleb rt uns aber, dass ein Tricbter bier in Wirklicbkeit nicbt vorbanden ist. Die beiden Zellen sind zwar nierenfi'>rmig eingekrümmt, die Ränder stosscn aber nicbt zusammen. Sie bieten dem Ringmuskel i eine weitere Ansatzstelle, dessen Kern bier jederseits getroffen ist. Den Innenraum füllt das scbon mebrerwäbnte Masebenwerk o, dessen vordere Begrenzung die Zelle m bildet (Fig. 9 g).
Fig. 13 F zeigt diesel])en Tlieile etwas weiter unten durcbscbnitten. Der Ringmuskel ist aber bereits ge- scbwundcn, und die bedeutend verbreiterte Zelle m berübrt den Vorderrand des Wulstes p. Dem Masebenwerk geboren die beiden Kerne r an. Vorn und binten liegen die durcb- sebuittenen oberen Enden des Uterus (t). Geben wir noch weiter abwärts, bis dabin, wo die beiden kuglig nacb Aussen vorspringenden Seitenzellen in die langen Säulen (Fig. 9 r) plötzlich sich verjüngen, so zeigt uns hier der Querschnitt gänzlich umgestaltete Verhältnisse. Alle Tbeile sind von dem oberen Ende des Uterus umschlossen, das Maschenwerk umfliesst die Säulen x, die, in das Innere gedrängt, als zwei mit den Oeifnungen gegeneinander ge- richtete Halbmonde erscheinen. Nicht selten sind sie auf dem Querschnitt geradezu als Röhren zu erblicken; doch stellt diese Form nur einen besonderen Contractionszustand vor. Die vordere Begrenzung bildet die Zelle m, welcbe
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 33
meist von einer körnigen Masse umgeben ist. Sie scheint aus der Zelle selbst zu kommen, deren Innenraum, besonders am Rande, eine ebenso beschaffene Masse enthält.
Neben den Querschnitten ist besonders die Ansicht von hinten für die Untersuchung geeignet. Unterhalb des sich scharf absetzenden Muskelringes (Fig. 12 w) liegen, sich an das herzförmige Zellenpaar (m) ansetzend, die Seitenzellen q. Ihre Form prägt sich hier viel deutlicher aus als auf der Seitenansicht. Man kann sie einem im Obertheil stark verdickten eingerollten Blatte vergleichen. Während der obere Theil nach Aussen frei hervorragt, ist der verschmälerte untere von dem Maschenwerk umschlossen, (r, k), welches auch auf der Rückenseite nach Oben ver- jüngend sich emporhebt und von dem gleichfalls zungen- artig emporsteigenden oberen Uterusende (v) bedeckt wird.
In die Bildung des gesammten dem Uterus aufsitzenden Apparates gehen, um noch einmal einen kurzen Ueberblick zu geben, 15 Zellen ein, die sich folgendermassen vertheilen: Aus zwei entsteht die Glocke, zwei bilden den Muskelring, hinter der Glocke liegen zwei lange Zellen, an deren Basis sich die beiden der hinteren Glockenöffnung gegenüberge- stellten anschliessen, sie stützen die beiden Seitenzellen, aus zwei Zellen geht das Maschenwerk hervor, zwei birgt der Ligamentalstrang und eine unpaare Zelle ist auf der Vorderseite dem Mas eben werk angefügt. Die drei letzten scheinen drüsiger Natur zu sein.
In den Uterus gelangen die Eier auf folgende Weise. Zuerst öffnet die Glocke, sich nach Oben vorreckend, ihren Mund, fasst die ihm zunächst liegenden Eier und drängt dieselben durch Zusammenschnüren der Lippen in den bei diesem Akte sich erweiternden unteren Hohlraum, aus welchem sie durch den alsdann in Wirkung tretenden Ring- muskel entfernt werden. Ein Theil tritt sofort durch die hintere Oeffnung der Glocke nach der Leibeshöhle zurück, ein anderer wird gegen das zwischen den beiden Seiten- zellen gelegene Maschenwerk gepresst. Die verhältniss- mässig engen Lückenräume desselben vermögen aber nur die langen, spindelförmigen, d. h. die reifen Eier zu pas- siren, die übrigen werden bei der dann erfolgenden Con-
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 3
34 Carl Baltzer:
traction der Seitenzellcn und des Masehenwerkes wieder nach oben gedrückt, während die ersteren, abwärts fort- rückend durch die, in ihrer Wirkung von der unischlies- senden Uterusmuskuhitur unterstützten, unteren Enden der genannten Zellen in den Uterus befördert werden.
Dieser ist eine ungefähr 2 mm lange ausserordentlich erweiterungsfähige Rühre, deren Innenlläehe längsverlau- fende Papillen aufsitzen, zu welchen von dem äusseren Bindegewebe, wie der Querschnitt deutlich zeigt, Kadiär- fasern durchdringen. Auf der Ilinterseite sind ihm im oberen Abschnitt zwei grosse Kerne eingefügt (Fig. 12 p).
Einen complicirteren Bau besitzt wieder der Aus- führungkanal des Uterus, die Scheide. Leu cka rt ^) ver- danken wir eine voi*trcfliiche Beschreibung dieses Organes für Ech. anf/usfafus, von dem sich Jedoch auch in dieser Beziehung Txh. jrrotens etwas unterscheidet. Gegen 0,2 mm lang, setzt sich die Vagina aus einem äusseren und inneren Muskelring und einer dunkel|)igmentirten, das Lumen der Ausmündungsridire begrenzenden Masse zusammen (Fig. 20 A. b. d. g). Der äussere einem Kegelstumpf im Umriss ähnliche Compressor umgreilt das untere Ende des Uterus und befestigt sich auf der entgegengesetzten Seite mit kräf- tigen I^indegewc))sbändern an der Haut. Seine Oberfläche wön)t sich in zahlreichen Längsfalten vor, denen unten die genannten l^änder ansitzen. Wie der Längsschnitt (Fig. 20 B) ergibt, besitzt er unter dem Bindegewebe eine dünne Lage Muskelsubstanz, von welcher nach der gegenüberlie- genden Wand zahlreiche Fibrillen ausstrahlen (r). Oben und unten sind ihm je 2 Kerne eingebettet. Von dem äus- seren Constrictor wird der innere umschlossen, der aus drei T heilen, einem oberen grösseren und zwei unteren kleineren Ringen besteht. Im oberen strahlen ebenfalls von einer dichteren nach Innen zackig vorspringenden Randzone (Fig. 20 B. h) zahlreiche Fasern aus, die von oben rechts schräg nach unten links und in umgekehrter Richtung verlaufen. Hierdurch lässt auch die Flächenansicht eine sich kreuzende Streifung erblicken. Der mittlere Abschnitt enthält zwei
1) a. a. 0. pag. 799.
Zur Kenntniss dor Echinorhynchen. 35
Kerne und ist wie auch der unterste, fast ganz freilie- gende, dem obersten ähnlich gebildet.
Der innere Constrictor umgürtet den mittleren cylin- derformigen Abschnitt eines dunkelpigmentirten Körpers, dessen oberer und unterer Theil mehr kugelartig hervor- ragend je 4 Kerne enthält (Fig. 20 A. g). Ersterer be- grenzt einen trichtertormigen Raum, welcher in die Uterus- röhre hinaufschaut; der untere umschliesst, wie auch der mittlere Theil, eine kreisrunde Röhre. Des dunklen In- haltes wegen hat man diesen Körper meist für eine Drüse gehalten, da er aber, wie der Längsschnitt lehrt (Fig. 20 B. 1), von langen direct von Oben nach Unten durchstrah- lenden Fibrillen durchsetzt wird, io möchte ich ihm lieber einen muskulösen Charakter zuschreiben. Contrahiren sich die Fasern, so wird die ganze Masse verkürzt, den Con- strictoren entgegenwirkend erweitert sich der Eikanal, in ihn treten, durch die Contraction des Uterus vorgeschnellt, die Eier und werden von hier in Folge der Zusammen- schnürung der Constrictoren nach Aussen befördert.
b. E. anyustatus. Wie schon oben erwähnt zeigt sich Ech. angiistatus im Bau der weiblichen Geschlechtswege von Ech. Proteus nicht sehr verschieden. Alle zur Bildung der Uterusglocke des letzteren zusammentretenden Zellen finden wir hier wieder, nur die beiden langen, hinter der Glocke gelegenen fehlen, wie ja auch das Ligament bei angustatus sich nicht in zwei, sondern einen langen Strang auszieht, das Bedürfniss einer zweiten Ansatzstelle somit wegfällt. Die Form der Glocke differirt, sie stellt ein mehr längliches, unten verbreitertes, krugförmiges Gebilde vor. Im Allgemeinen ist der ganze Apparat weniger als bei E. Proteus in die Breite ^), dagegen mehr in der Längs- richtung entwickelt. Der Glocke sitzen über der hinteren
1] Der Bemerkung Leuckart's, es sei die Uternsglocke des E. angus. zur Untersuchung und für das Verständniss der Verhält- nisse besser geeignet als der von Greeff untersuchte E. proteus, möchte ich mich nicht anschliessen. Der kräftigere, in die Breite mehr ausgezogene untere Abschnitt Aer Glocke des E. proteus gewährt viel eher einen Einblick in seinen Bau, als der entsprechende schmächtige Theil bei Ech. angibst.
36 Carl Raltzer:
Oeffnung zwei blasenartige Taschen auf, welche E. protens fehlen (Fig. 15 s). Sie wird an der Basis von einem Mns- kelring ebenfalls umgürtet (Fig. 14 f). Die beiden hinter der erwähnten Oeffnung gelegenen Zellen sind derselben hier mehr genähert und verbinden sich oben mit den bei- den kleineren Zellen des Ligamentalstranges, was bei E. protens nicht der Fall ist (Fig. 16 B, d e.). Die zwei im oberen Theil ebenfalls angeschwollenen Seitenzellen ragen auch hier frei nach Aussen vor, während sie im unteren von einer dem Maschenwerk bei E. x>roteus entsprechenden Lage umschlossen sind. Diese besitzt ebenfalls zwei Kerne und wird auf der Vorderseite durch eine langgestreckte Zelle begrenzt.
Der Uterus ist dem des E. proteus im Allgemeinen gleich gebaut, nur von verhältnissmässig geringerer Länge. Ebenso verhält sich die Vagina, deren llauptuntcrschied in dem schwächeren der Längsfahen entbehrenden äusseren und dem nur einen, aber kräftigen Hing vorstellenden inneren Constrictor besteht.
Mit E. giyas lässt sich wohl kaum der geschilderte Bau der Uterusglocke des E. proteus und E. angustatus in Beziehung bringen. Leider standen mir weitere Arten nicht zur Verfügung, so dass ich nicht beurtheilen kann, ob diese Gestaltung der Uterusglocke unter den Echino- rhynchen eine weitere Verbreitung besitzt. Die in der Literatur sich findenden Beschreibungen und Abbildungen sind dagegen zu ungenau, um zu weiteren Schlüssen zu berechtigen; doch hoffe ich auch in dieser Beziehung Mit- theilung machen zu können, sobald ich in den Besitz des nöthigen Materials gelangt sein werde.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. I und IL
Fig. 1. Querschnitt durch die äussere Hautschicht des E, proteus. a Cuticula, b Streifencuticula, c Circulärfasern, d Radiär- fasern, e die eingelagerten Zellen, f das sich erhebende Bindegewebe, g die Gefässräurae, i die Körnchenstreifen. 50 : 1.
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 37
Fig. 2. Längsschnitt durcli das obere Ende des Hinterleibes, die Basis des Halses und die von ihm ausgehende Lcmniske. E. proteiis. a die lougitudinalen Fasern, b die längsver- laufenden Körncheuzüge, c die Subcuticula des Halses, d die cuticulare Ringfalte, e die durchschnittenen Ring- muskeln des Halses, f die Zellen in der Lemniske, g die äussere Parallelfaserschicht derselben, h das sie deckende Bindegewebe, i die Längsfasern in der Lemniske, k Radiär- fasern, 1 der mittlere Theil der L., wo die Circulärfasern liegen, 35 : 1.
„ 3. Längsschnitt durch den obersten Halsabschnitt und den Rüssel des E. proteus. a Subcuticula des Halses, b dessen Längsmuskeln, c Rüsselscheide, d Subcuticula des Rüssels, e Gefässraum desselben, f Haken, g die unter dem starken Bindegewebe h gelegenen Ringfasern, k die an der Wand herablaufenden Fasern des Rückziehers m, 1 die beiden Zellen an der Spitze, o das Ende der Rüsselscheide, p das der Fasern des retractor. 55 : 1.
„ 4. Querschnitt durch den mittleren Theil des Rüssels von E. proteus. a Cuticula, b subcuticulares Fasersystem, c Ein- senkung der Cuticula an den Haken, d der von dieser un- bedeckt im Bindegewebe sitzende Wurzeltheil, f die Ge- fässräume, g die sie seitlich begrenzenden Radiärfasern, h die Ringfaserlage, i die an der Wand herablaufenden Fasern des Rückziehers 1, k die in den Innenraum vor- springenden, den Muskelrändern aufsitzenden Papillen. 120 : 1.
„ 5. Der Rüssel des E. proteus in der Nähe der Spitze quer durchschnitten, a b c wie in voriger Figur, d der durch- schnittene untere Wurzelfortsatz der nächst höheren Haken, e die an der Wand herablaufenden Fasern des retractor, f die Zellen an der Spitze (Fig. 3 1) quer durchschnitten. 120 :L
„ 6. Das Ganglion von E. angustatus. a vorderer Mediannerv, b der linke obere Seitennerv, c der rechten Seite, die Fasern isolirt, f zwei lange, bipolare den Seitennerven zu- gehörige Zellen, d die hinteren Seitennerven, e hinterer Mediannerv, g eine quer gelagerte bipolare Zelle, h der vordere Mediannerv mit zwei ihm zugehörigen Ganglien- zellen (stärker vergrössert). 150: 1.
„ 7. Längsschnitt durch die Rüsselscheide des E. proteus. a das äussere Bindegewebe, b die Muskellage, c die Papillen, d das Bindegewebe des inneren Scheidentheiles, e die Muskel- lage, wie die äussere von radiären Bindegewebsfasern durch- setzt, f die Papillen der inneren Scheidenröhre, g das untere,
38 C a r 1 b a 1 1 z e r :
durch die Oeft'uung des äusseren hervorgetretene innere Scheidenende, h Kern im Blasenraum der äusseren, i und k in blasenartigen Räumen der inneren Scheide gelegen. 90: 1. Fig. 8 A. Querschnitt durch die Rüsselscheide von E. proteus in der Nähe der Baais. a Bindegewebe des äusseren Scheiden- theils, b dessen Muskellatjo, g seine Papillen, c Retinacu- lum, d das Bindegewebe des inneren Theiles, h Muskellage, i Papillen, e die äusseren, k die inneren Kerne, 1 der Rück- zieher. „ 8 B. Scheide weiter oben durchschnitten, a b d wie vorher, c Papillen des äusseren Theiles e Muskellage, f Papillen des inneren Theiles, g Rückzieher, h Raum an der Bcrührungs- stelle der äusseren Hälften. 14U : 1. „ 9. Die Uterusglocke des E. proteus von der Seite gesehen, ä der eine Ligamentalstrang, b der andere, c die Glocke, d die an ihrer untern Vorderseite gelegenen 2 Kerne, e Zellen im Ligamentalstrang, f Muskelring, g die langgestreckte, eingerollte Zelle, welchii den Abschluss der Vorderseite bildet, h die umschliessende Uteruswand, i und k das Maschenwerk, 1 die hinter der Glocke gelegenen länglichen Zellen, m die ihnen sich anfügenden der hinteren Glocken- öffnung opponirten Zellen, o Verbiiidungsfäden der Glocice mit dem Ligament, p dem Uterus angehörige Kerne, q das verbreiterte obere Ende d. Seitenzellen, r das verschmälerte untere, s die Lippe der Glocke. 100: 1. 10. Die Uterusglocke von E. proteus nahe der Seitenwand längs durchschnitten. Signatur wie vorher, nur t die dem Ma- schenwerk eingefügten Kerne. 100:1. „ IIA. Uterusglocke des E. proteus von Vorn. Bezeichnung wie
vorher. B. Die Kerne d vergrössert. 100 : 1. n 12. Uterusglocke von E. proteus von hinten, die oberen Theile durchsichtig gedacht, um die unter ihnen gelegenen eben- falls zu zeigen. Buchstaben wie vorher, nur t hinteres, oberes Ende des Maschenwerkes k, o die zungenartige Spitze der hinteren Uteruswand, w der sich scharf absetzende Muskelring, z die innere Rinne der Seitenzellen fq, r). 100 : 1. „ 13. Querschnitt durch die Uterusglocke von E. proteus. 80:1. A. Durch die Glocke, a Bindegewebe, b Muskellage, c Pa- pillen, d Ligmentalmuskeln, die Zellen e umschliessend. „ B. weiter unten die Glocke durchschnitten, a, b, c wie vor- her, d die Kerne in der Glocke, e Muskel des Ligamentes, f die in ihm gelegenen Zellen, g die hinter der Glocken- öffnung gelegenen (Fig. 9, 10 m), die hinter diesen sich anschliessenden Zellen (Fig. 9, 10 1) aus einer Muskelschicht
Zur Kennt uiss der Ecbinorhy neben. 39
r und einem den Hohlraum durchsetzenden Faserwerk s ge- bildet. Fig. 13 C. etwas mehr abwärts; e die im Ligament gelegenen Zellen, c die unteren Enden der beiden Blasenräume der Glocken- vorderseite, f die reducirte Wand der Glocke, g und h wie vorher, in g die Kerne k.
D. noch weiter abwärts, Buchstaben wie vorher, neu: m die langgestreckte Zelle der Vorderseite (Fig. 10g), n die An- satzstelle des Muskelrings an die Zellen g.
E. Schnitt da, wo die beiden Seitenzellen p beginnen, s Kern derselben, i Muskelring mit seinen Kernen r, o das Maschen- werk, die übrigen Buchstaben wie vorher.
F. Uterusglocke gerade über der Verjüngungsstelle der Seiten- zelle p durchschnitten. Die Zelle m zeigt ihren Kern (v) und berührt den Vorderrand der Zellen p, dem Maschen, werk 0 sind vorn zwei Kerne r eingebettet, t ist der vordere und hintere Fortsatz der Uteruswand.
G. Uterusglocke des E. proteus da durchschnitten, wo der ganze untere Theil derselben von der Uteruswaud bereits umschlossen wird, x das untere verschmälerte Ende der Seitenzellen, m und o wie vorher.
„ 14. Uterusglocke des £. angiistatus von der Seite, a Ligamen- talstrang, b die Glocke, c die dieser unten auf der Vorder- seite eingelagerten Kerne, d Zellen im Ligament, e die der hinteren Glockenöffnung gegenübergestellten Zellen, f der Muskelring mit seinem Kern, g hintere Glockenöffnung, h die der Vorderseite angehörige unpaare Zelle, i das die Seitenzellen k, 1 umlagernde Gewebe, dem vorn zwei Kerne eingefügt sind, m die Uteruswand, n ihre Kerne.
„ 15. Uterusglocke des E. angiistatus vom Rücken gesehen. Be- zeichnung wie in Fig. 14. 150 : 1.
„ 16. Querschnitte durch die Uterusglocke von E. angiistatus 150 : 1.
A. Schnitt durch die Glocke, a Bindegewebe, b Muskellage, c Papillen, d Zellen im Ligamentalstrang mit ihren Kernen e.
B. Glocke unterhalb ihrer hinteren Oeffnung durchschnitten, a der Muskelring, b das untere Ende der Glockenwand, c die Seitenzellen, e die Zellen im Ligament, sich an die hinter der Glockenöffnung gelegenen Zellen d festsetzend.
G. Schnitt dicht über der Verjüngungsstelle der Seitenzellen h, f die sie umschliessende Lage, g ist der obere durch- shnittene Theil der vorderen unpaaren Zelle.
D. Der Apparat weiter unten durchschnitten, h die verjüngten Fortsätze der Seitcnzellen, f die sie umgebende Lage, g die vordere unpaare Zelle.
40 CarlBaltzer: Zur Keuutuiss der Echinorhynchen.
Fig. 17. Querscbnitt durch 1j. angvstatus. a Cuticula, b äussere, c innere Schicht 'der Subcuticula, d die derselben einge- streuten Zellen, e Ring, f Läugsmuskeln, g Lenmisken, h Rüsselscheide. 75 : 1.
„ 18. Querschnitt durch den Hals des E. proteus. a Cuticula, b Streifencuticula, c äussere, d innere Schicht der Subcuti- cula, c Gefässräume, g Ring, f Längsmuskeln, h Rüssel- scheide.
„ 19. Querschnitt durch die Lemuiske von E. proteus. a Cuti- culares Bindegewebe, b äussere Parallolfaserschicht, c die scheinbare Scheidewand (cf. Text), d Circulärfasern, e Ra- diärfasern, f Seitengefässe, g die drei Gefässe der convexen, h der concaven Seite, i Zellen. 45 : 1.
„ 20 A. Vagina von E. proteus von der Vorderseite gesehen, a [Jterus, b äusserer Constrictor, c Falten desselben, d oberer, e mittlerer, f unterer Ring des inneren Constrictor, g, h der innere dunkclpigmeutirte Körper. 125: 1. ß. Längsschnitt, a Bindegewcbsüberzug des Uterus, b Muskel- lage, c längsverlaufeude Papillen, d äusserer Constrictor, e und f Kerne desselben, g unteres Ende mit einem Band au der Haut n befestigt, h oberer, i mittlerer, k unterer Ring des inneren Constrictor, 1 m die Wandung des Aus- führungscanals mit zahlreichen Längsfasern, r die den Hohl- raum des äusseren Constrictors durchziehenden Fibrillen.
„ 21. Querschnitt durch die Rüsselscheide des E. am/ustatiis. a äusserer Scheidentheil, b seine Papillen, c innerer Theil,, d dessen Papillen , e Muskelfasern des Rückziehers , f Ganglion. 100:1.
Helminthologische Uatersuchnngen
von
Dr. V. Linstow
in Hameln.
Hierzu Tafel HL
Die Gelegenheit zur Untersuchung der hier beschrie- benen Helminthen verdanke ich grösstentheils der Güte des Herrn Professor Mob i US in Kiel, welcher mir die noch un- bestimmten Formen der Kieler Universitätssammlung zur Beschreibung gütigst überliess, wofür ich hier meinen ver- bindlichsten Dank sage. Diese Kieler Exemplare habe ich durch ein hinter den Namen gesetztes K. unter Anfügung der Nr., welche die Gläser tragen, kenntlich gemacht.
1. Ascaris patagonica n. sp. (K. Nr. 40)
Fig. 1 aus dem Magen von Phoca jubata. Patagonien.
Die Gestalt ist dick und gedrungen. Lippen ohne Zwischenlippen mit doppelten Zahnleisten; bei allen dreien ist die Pulpa an der Innenseite in zwei rundliche Aus- läufer gespalten. Die Aussenseite der Oberlippe ist längs- oval mit schmaler Basis. Die Haut zeigt Querstreifen in ziemlich breiten Abständen, zwischen denen wieder viel feinere Querstriche eng gedrängt stehen. Das Schwanzende ist kolbig, beim Männchen in eine stumpfe, conische Spitze ausgezogen.
Die Länge des Männchens beträgt 28, die Breite 1 Vs mm; die Papillen am Schwanzende stehen sehr dicht und sind sehr zahlreich.
42 V. Linstow:
Das Weibchen hat eine Länge von 57 und eine Breite von 2 mm.
Die Eier sind kugeh'und; sie haben eine hyaline, von dem Dotter weit abstehende Hülle und einen Durch- messer von 0,06 mm.
Die bekannten Formen, welche hier in Frage kommen könnten, sind Äscaris osculata, decipiens und simüis, welche von dieser Form durchaus verschieden sind, wie aus Krab- be^s*) neuester Darstellung der in Robben und Walen ge- fundenen Askaris-Arten ersichtlich ist.
2. Ascaris arctica n. sp. (K. Nr. 23)
Fig. 2—3
aus dem Magen und Oesophagus von Biomeäea leucops; Nördliches stilles Meer.
Die Lippen haben einen äusseren und einen inneren Gipfel, der Vorderrand trägt eine Zahnleiste. Die Oberlippe ist aussen halbkreisförmig, der innere Vorsprung ist schwach
zweilappig. Der Oesophagus nimmt ^7; der Gesammt-
länge ein.
Die Länge des Männchens beträgt 60 mm, die Breite
2 mm. Die Spicula sind 1,7 mm lang und schwach ge- bogen. Der Schwanz ist abgerundet, der Anus steht dicht vor der Schwanzspitze. Hinter dem Anus stehen jederseits
3 Papillen, vor demselben erst 15 an der Bauchseite, nach vorn und mehr seitlich 10.
Das Weibchen ist 70 mm lang und IV^mm breit; es wird wohl noch grösser, denn die Exemplare waren noch nicht geschlechtsreif.
3. Ascaris angnlata Rud. (K. Nr. 57 u. 66)
Fig. 4-5
aus dem Darm von Cottus scorpius und dem Magen von Lophius piscatorius. Die Oberlippe ist an ihrem Umfang
1) Saelernes og Tanlivalernes Spolorrae; K. Vidensk Selsk. Forh.; Kjöbeubavü 1878, pag. 43—51, Tab. I.
Helminthologische Untersuchimgen. 43
5 seitig, die Pulpa längsquadratiscb, ihr innerer Theil hat vorn zwei rundliche Vorsprtinge; die beiden Papillen stehen an den vorderen Ecken. Die hyaline Aussenmembran zeigt mehrere Faltungen, die aus der Zeichnung ersichtlich sind. Der Körper ist gestreekt-cylindrisch.
Das 26 mm. lange und -/s mm breite Männchen hat ein abgerundetes Schwanzende mit. kleiner Cutisspitze; die Cloake steht dicht vor derselben, und misst der Schwanz nur Vi 45 der Gesammtlänge.
Die Girren sind gebogen mit breiten, hyalinen Flü- geln; sie sind vorn abgerundet und messen 0,72 mm. Die Papillen sind sehr klein und äusserst schwer zu sehen; jederseits stehen 7 postanale, präanale habe ich nicht finden können.
Das Weibchen ist 43 mm lang und 1 mm breit. Die Eier haben eine hyaline, vom Dotter weit abstehende Hülle; sie sind elliptisch und 0,085 mm lang und 0,062'mm breit. Das Schwanzende hat eine stumpfe, conische Spitze.
4. Ascaris clavata ßud. (K. Nr. 49) Fig. 6—7
aus Gadns morrhua^ im Darm.
Kopf und Schwanzende sind eingerollt. Die Ober- lippe ist lang gestreckt, die Pulpa ist cylindrisch, in der Mitte etwas verengt, die der Innenseite mit zwei rundlichen Vorragungen; Vorderrand und Basis der Oberlippe sind gleich gross, halb so gross als die grösste Breite. Die zwei Papillen sind klein und weit nach vorn gerückt. Der Oesophagus misst Vi 4 der Körperlänge. Der Darm ver- längert sich nach vorn, wo er vom Oesophagus entspringt, in einen neben diesem liegenden 1,8 mm langen Blinddarm, während der Oesophagus sich nach hinten in einen neben dem Darm liegenden, ebenso langen Blinddarm fortsetzt, der aber nur halb so breit ist als ersterer.
Das Männchen ist 45 mm lang und 1 mm breit, der Schwanz misst V285 der Körperlänge; das Schwanzes .e ist zugespitzt, die Girren messen 2,2 mm, sind also relativ
44 V. L in stow:
sehr lang, mit breiten Flügeln und rundlichem Ende. Pa- pillen finden sich 27 prä- und 6 postanale.
Die äusserste Schwanzspitze ist mit kleinen glänzen- den Erhabenheiten besetzt.
Das Weibchen hat eine Länge von 70 und eine Breite von 1,3 mm; der Schwanz ist stumpf-kegelförmig mit etwas verjüngter Spitze; er nimmt Vi 47 der Körperlänge ein.
5. Ascaris rotundata Rud. (K. Nr. 53)
Fig. 8—9
aus Baja radiata.
Der Körper ist nach dem Kopfende zu beträchtlich verdünnt. Der Oesophagus misst Ve der Körperlänge, hat am Hinterende eine rundliche Anschwellung und ist ohne Blinddärme. Das Schwanzende ist gekrümmt. Die Haut ist fein quergeringelt. Die Lippen sind klein und sehr eigenthümlich gebildet, der äussere Theil ist rundlich, von der Form eines Kugelsegments, der innere quergestreckt mit einer Zahnleiste. Die Papillen sind gross ; nach innen sind die Lippen ohne deutliche Grenze.
Das Männchen ist 24mm lang und 0,3 mm breit; der Schwanz misst Vso der Körperlänge ; er führt jederseits 7 grosse prä- und 5 postanale Papillen; von letzteren steht eine dicht neben dem Anus, zwei weiter hinten an der Bauchseite des conischen Schwanzes und zwei ganz seit- lich. Die Girren sind dick mit rundlichem Ende, 0,72 mm lang, am Ursprung kolbig aufgetrieben.
Das Weibchen hat eine Länge von 50 und eine Breite von 1,4 mm. Das Schwanzende ist gestreckt-kegelförmig mit abgerundeter Spitze und misst Vto der Körperlänge. Die Eier sind 0,092 mm lang und 0,082 mm breit. Die äus- sere hyaline Hülle steht weit vom Dotter ab und zeigt feine, regelmässig gitterartig gestellte Leisten.
6. Ascaris osculata Rud. (K. Nr. 9)
aus dem Magen von Halichoerus grypus. Die Oberlippe sehe ich etwas anders als Krabbe*). Der Rand ist bei
1) 1. c. Tab. I Fig. 1.
Helminthologische Untersuchungen. 45
den voD mir untersuchten Exemplaren gezäbnelt; die rund- lichen Seitenausläufer geh()ren einer inneren Schicht an und liegen also in derselben Ebene mit der Aussenfläche.
7. Ascarls capsiilaria Rud. (K. Nr. 26)
aus dem Magen von PJwcaena communis. Die Embryonal- form mit Bohrzahn, 40 mm. lang, in Häutung. Äscaris capsularia ist bisher nur in Seefischen als Embryonal- oder Larvenform gefunden, und kann mit diesen leicht in den Magen von FJiocaena communis gelangen. Der Umstand aber, dass die Form in Häutung ist, scheint mir dafür zu sprechen, dass sie hier den zur "Weiterentwicklung gün- stigen Boden gefunden hat, und scheint es sehr wahr- scheinlich, dass wir in der Äscaris capsularia den Lai-ven- zustand von Äscaris simplex Und. vor uns haben.
Leider besitze ich keine Exemplare von Äscaris sim- plex^ um die Frage endgültig entscheiden zu können.
Aus der relativen Länge von Oesophagus und Schwanz, Fehlen oder Vorhandensein von einem oder zwei Blind- därmen, deren relativen Länge und Breite Hessen sich schon genügend Anhaltepunkte zur Vereinigung oder Tren- nung der Formen finden.
8. Ascai^is constrlcta Rud. (K. Nr. 62)
aus Tracliinus draco. Eine grosse Embryonalform mit Bohr- zahn, die sich äusserlich von Äscaris capsularia in nichts unterscheidet.
Die geschlechtsreifen Formen des Genus Äscaris schei- nen lediglich im Oesophagus, Magen und Darm zu wohnen und kann man also, wenn Exemplare, wie die vorstehend angeführten im Peritoneum, an einem andern Ort gefunden werden, immer erwarten, Embryonal- oder Larvenformen vor sich zu haben.
9. Filaria Strigis m.
Für diese Form kann ich als neuen Fundort die Darm- und Oesophaguswand, das Peritoneum und die Magenmus- kulatur von Strix noctua angeben, wo ich sie in einem Exemplar zu Tausenden fand.
4ö V. Linstow:
10. Filaria liorrida Latham. (K. Nr. 25)
in der Brusthöhle von Bhea americana früher aufgefunden ; das Kieler Museum besitzt Exemplare aus ^S'^. Crux in Bra- silien, die im Oberschenkel des genannten Thieres wohnten.
11. Oxyuris hidentata n. sp. (K. Nr. 74)
Fig. 10
in dem Darm einer Froschlarve gefunden; die Art ist leider unbekannt. Es sind nur Weibchen vorhanden von 2,7 mm Länge und 0,32 mm Breite. Die Gestalt ist spin- delförmig; das Kopfende ist gerade abgestutzt und trägt zwei kleine kegelförmige Spitzen. Die Haut ist querge- ringelt. Der Oesophagus ist von ^-^ der Gesammtlänge und
hat am Ende einen starken Bulbus mit Zahnapparat. Auffallend deutlich sind die Kerne der Muskelzellen mit den glänzenden Kernkörperchen. Der Schwanz nimmt Vö der Gesammtlänge ein; die Vulva theilt den Körper so, dass der vordere Abschnitt sich zum hinteren verhält wie 22: 23; sie zeigt zwei kleine Chitinstückchen, die durch Muskeln zurückgezogen werden können und zum Verschluss zu dienen scheinen. Die 0,1 mm langen und 0,05 mm brei- ten Eier sind elliptisch und doppelschalig; die äussere Haut ist fein granulirt und steht von der Dottermasse weit ab. In Fröschen ist überhaupt noch keine Oxyuris ge- funden, in Kröten nur die Oxyuris mucronata Molih*) deren Beschreibung „Caput epidermide inflata^'^ etc. durch- aus nicht passt.
12. Angiostonmni sanguinolentuni n. sp.
Fig. 11
in der Bauch- und Brusthöhle von Strix flammea gefunden. Nur 3 Weibchen konnte ich auffinden, die sehr auffallend sind durch ihre blutrothe Farbe, und scheint der spiralig aufgerollte Darm wie ein breites, dunkelbraunes Band durch die Haut hindurch.
1) Denkscbr. d. k. Akad. XIX pag. 278.
Helminthologische Untersuchungen. 47
Die Lilnge beträgt 11, die Breite 1 mm. Am Kopf- ende bemerkt man einen miichtigen, 0,48 mm langen und 0,6 mm breiten chitinigen ]\Iiind))echer, an dessen Grunde 8 Zähne stehen, welche die Oesophagusmündung umgeben. Die Benutzung derselben kann wohl nur die sein, dass das Thier durch Saugbewegungen des Oesophagus das weiche Lungen-Parenchym in den grossen Mundbecher hineinzieht, mit den Zähnen anschneidet und dann das Blut aussaugt. Der Oesophagus ist kurz aber sehr mächtig in seiner
Muskulatur, von y^^ der Gesammtlänge. Das Schwanz- ende ist kegelförmig zugespitzt, ein Anus ist nicht aufzu- finden und scheint, wenn er vorhanden, nicht zu funktio- niren, denn Excremente finden sich nicht. Die Eier waren unbefruchtet, elliptisch, dünnhäutig, 0,072 mm lang und 0,002 mm breit.
Die Art muss sehr selten sein, denn sie ist sehr in die Augen fallend. Ob sie mit Strongylus JButeonis ruft Bellingham ^) aus der Bauchhöhle von Fdlco rufus identisch ist, lässt sich wegen mangelnder Beschreibung nicht be- stimmen; es ist nur der Name angegeben.
Leider kenne ich von Angiostomiim entomelas, macro- stomum und sangumolentum nicht die Männchen ; vielleicht ist die Gattung mit Sderostomum oder Syngamus zu ver- einigen, was sich aber wegen Unbekanntseins der Männ- chen nicht bestimmen lässt; jedenfalls gehören die Formen zu Molin's Äcrofalli; die Mundbildung des hier 2) beschrie- benen und abgebildeten Beletrocephalns dimidiatus hat mit der von Äng. macrostonmm entschieden Aehnlichkeit. Mol in geht übrigens in der Trennung des Genus Strongylus sieher viel zu weit.
13. Strongylus depressus Diij.
Fig. 12 aus dem Darm von Crocidura leucodon.
Eine sehr zarte Art, die im Wasser gelegt sofort birst
1) Ann. of natural history XIII pag. 105.
2) II sottordine degli Äcrofalli pag. 150—153, tab. VIII fior. 1-3.
48 V. Linstow:
und den Verdauiings- und Genitaltract hervortreten lässt. Dujardin's genaue und ausführliche Beschreibung lässt nur eine Darstellung der Bursa vermissen. Dieselbe be- steht aus 2 grossen, seitlichen und einem viel kleineren Mittellappen; erstere tragen 5 aus einem gemeinsamen Stamm entspringende, letzterer 4 Rippen, wie aus der Ab- bildung ersichtlich.
14. Strongylus filaria ß. (K. Nr. 42).
Für diese Art kann ich einen neuen Fundort, nämlich die Bronchien des Kalbes anführen.
15. Pseudalius fninor Kuhn (K. Nr. 29. u. 36)
Fig. 13—14
aus den Höhlen unter den Augen von PJiocaena communis und dem Cavum tympani von DelpJiinus phocaena.
Der Körper ist lang gestreckt und besonders nach dem Schwanzende zu verschmälert; der Kopt zeigt einen chitinisirten Mundbecher, der an Filaroides erinnert; hinter ihm stehen kleine, wenig auffallende Papillen in der Haut.
Der Oesophagus ist sehr kurz, er nimmt nur V45 der Gesammtlänge ein.
Das Männchen ist 23 mm lang und Vs mm breit ; die halbmondförmigen Girren messen 0,13 mm; das Schwanz- ende hat eine breite Bursa, die am Ende dreilappig ist, jeder Lappen ist von einer Rippe gestützt; die mittlere endet einfach rundlich, die seitlichen in drei runde Vor- sprünge.
Das Weibchen ist 28 mm lang und 1 mm breit, das abgerundete Schwanzende ist aufgetrieben. Das dünne, schmale Ovarium geht ptötzlich in den etwa 6mal dickeren Uterus über. Der Anus steht terminal, dicht davor auf einer Ver Wölbung mündet die Vulva, vor der zwei merk- würdige, eiförmige, mit einem Griffel versehene Erhaben- heiten, die nach vorn gerichtet sind, stehen, wie ich sie bei keinem anderen Nematoden kenne. Das Weibchen ist vivipar und der Uterus von Tausenden von Embryonen erfüllt.
Helmmthologische Untersuchungen. 49
16. I*seiidallus hißexus ünj. (K. Nr. 27, 30 u. 84)
Fig. 15
aus dem Schlund und den Bronchien von Fhocaena communis * und den Bronchien von BelpMnus phocaena. Diese Art ist ohne Mundbecher und viel grösser und breiter als die vorige. Das männliche Schwanzende ist aus Sehn ei der 's ^) Abbil- dung leicht zu erkennen und erwähne ich die Form nur, um die noch fehlende Darstellung der weiblichen Genital- öffnung zu geben ; diese steht dicht vor dem abgerundeten Schwänze und mündet in einen auffallenden, stumpfen Kegel, der schon mit blossen Augen sichtbar ist.
17. Trichosonia Felis cati Bellingliam.
aus der Harnblase von Felis catus.
Eine genaue Beschreibung dieser x4rt kann ich leider nicht geben, und erwähne nur, dass ich in der Blase der Wildkatze 2 ganz junge, unentwickelte, ungemein feine Exem- plare fand, die 7,5 mm lang und 0,036 mm breit waren. Das Männchen ist noch ganz unbekannt; geschlechtsreife .Weibchen dagegen hat Wedl^) beschrieben.
18. TricJiosomct oMtisum Rud.
ein neuer Fundort dieser Art ist der Darm von Strix noctua.
19. Fchinorhynchiis capitatus n. sp. (K. Nr. 37)
Fig. 16
aus Pseudorca crassidens.
Der Rüssel ist cylindrisch und kurz, die Zahl der Haken- reihen ist 12—14; auf denselben folgt ein glockenförmig an- geschwollenes Receptactdtimj das auch und zwar etwa 20 Reihen Haken trägt; dahinter verschmälert sich der Kör- per allmälig zu einem Hais, der dann in den langgestreckten, cylindrischen Körper übergeht, der unbewaffnet ist.
1) l. c. tab. XII flg. 10.
2) Sitzungsber. d. k. Acad. XVI pag. 392.
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd.
50 V. Linstow:
Das Männchen ist 53 mm lang und 2 mm breit, das Weibchen 100 mm lang und 2,5 mm breit.
Die Art hat einen nahen Verwandten in JEehinorhynchus porrigens aus dem Walfisch; bei dieser Form nimmt der Körper vom Halse an langsam an Dicke zu, während er bei capitatus gleich hinter demselben ebenso dick ist wie am Ende; das Receptaculum ist bei porrigens vorn am breitesten und unbewaffnet, bei capitatus dagegen hinten und mit Haken bewaffnet; es ist bei beiden kegelförmig, bei E. porrigens aber ist die Kegelspitze nach dem Schwanz- ende, bei capitatus nach dem Kopfende gerichtet. Das Rostellum hat bei porrigens 3 — 4, bei capitatus 12 — 14 Hakenreihen. Eine Häutung muss bei Eck. capitatus noch sehr spät eintreten, denn die ringförmig in Runzeln um den Körper an mehreren Stellen zusammengezogene Haut, die abgestreift werden soll, findet sich noch an einem 95 mm langen Exemplar.
20» Distoniuni semifiavuTii n. sp.
aus dem Darm von Fetromy^on fluviatilis.
Die Länge beträgt 1,4 die Breite 0,65 mm, der Mund- saugnapf misst 0,16, der Bauchsaugnapf 0,25 mm, beide stehen sehr genähert, letzterer im ersten Viertel des Kör- pers; mitten zwischen beiden die Geschlechtsöffnungen. Der Schlundkopf ist sehr gross ; der ganze Körper ist un- bewaffnet. Die bohnenförmig gekrümmte Vesicula seminalis superior liegt fast in derselben Höhe wie der Bauchsaug- napf, nur etwas weiter nach hinten; hinter letzterem findet sich zunächst der Keimstock, dann die Hoden ; der Dotter- stock ist auf das hinterste Körperviertel beschränkt; der Eiergang findet sich in der hinteren Körperhälfte und ragt nur mit dem Ausmündungsgange in die vordere hinein. Die Eier sind 0,023 mm lang und 0,016 mm breit. Bei Bi- stomum fasciatum Rud. ist der Bauchsaugnapf doppelt so gross wie der Mundsaugnapf und nimmt der Dotterstock den ganzen Körperrand ein.
Distomum Bergense Olsson ähnelt dieser Art am mei- sten, doch auch hier hat der Bauchsaugnapf die doppelte
Helniinthologische Untersuchungen. 51
Grösse des Mimdsanguapfes, die Gestalt ist breiter und reichen die Windungen des Eierganges viel weiter nach vorn als bei D. semiflavnm.
21. Distotmini splnostifn n. sp.
aus dem Darm von Sylvia 7'ufa.
Die Länge des rundlichen Körpers beträgt 1,3, die Breite 0,48 mm. Der ganze Körper ist mit Dornen besät. Der Mundsaugnapf hat eine Grösse von 0,19, der Bauch- saugnapf eine von 0,12 mm, letzterer liegt etwas vor der Körpermitte; die Darmschenkel reichen bis an' s zugespitzte Körperende; die grösste Breite hat der Körper im hinteren Viertel. Die Hoden liegen im hinteren Körperdrittel schräg hinter einander; die Vesica seminalis superior schlägt sich halbmondförmig um den Bauchsaugnapf herum; zwischen ihm und dem vorderen Hoden liegt der Keimstock. Der Dotterstock nimmt den Rand der hinteren Vs des Körpers ein. Der Eiergang verläuft wenig geschlängelt von vorn nach hinten und scheint auffallender Weise am hinteren Körperende zu münden. Die Eier sind 0,043 mm lang und 0,023 mm breit.
In unseren Singvögeln sind bis jetzt gefunden Bisto- mummacrourum^ jene langgestreckte, die Gallengänge be- wohnende Form, Bistomum ovatuni, aus der Bursa Fabricii, dessen Hoden neben einander liegen, Bistomum mesosto- mum und macrostonium, die beide einen unbewaffneten Körper und gleich grosse Saugnäpfe haben, B. filwn, das 15 mal so lang wie breit ist, B. coelebs, eine eingekapselte Larven- form und endlich B. elegans, das mit unserer Art Aehnlich- keiten aber keine Stachelbewaffnung hat, die bei B. spinosum sehr auffallend ist.
22. Distqmum moleciiliini n. sp.
aus dem Darm von Eallus pygmaeus.
Ein winziges Thierchen von eiförmiger Gestalt, nur das Kopfende ist etwas verschmälert; die Länge beträgt 0,48, die Breite 0,36 mm. Die Grösse des Mundsaugnapfes ist 0,06 und die des im vorderen Körperdrittel liegenden
52 V. Linstow:
Bauchsaugnapfes 0,036 mm. Die Eier, welche nur das vordere Viertel und das hintere Achtel des Körpers frei- lassen und alle übrigen Organe verhüllen, sind 0,029 mm lang.
Verwandte Formen sind D. arenula, dessen Bauch- saugnapf grösser als der Mundsaugnapf ist und D. micro- coccwm, das grössere Eier und viel grössere Saugnäpfe hat.
23. Taenia scalaris Dujardin
. Fig. 17
aus Crocidura aranea. Man findet 13 Haken die 0,029 mm lang sind.
Der Hakenast ist fast doppelt so lang wie der Hebelast.
Die Eier haben eine dreifache Hülle; die äussere ist eiförmig, die mittlere mehr gestreckt, unregelmässig, die innere 0,039 mm lang und 0,029 mm breit. Die Embryonal- haken haben eine Länge von 0,016 mm.
Der Form der Haken wegen erwähne ich diese und die beiden folgenden Arten, welche noch keine richtige Darstellung gefunden hat.
24. Taenia uncinata Stieda
Fig. 18
aus Cocidura aranea und leucodon-.
Es finden sich 18—20, meistens 19 Haken, die 0,019 bis 0,02 mm lang sind; Haken- und Hebelast sind fast gleich lang. Auch hier haben die Eier eine dreifache Hülle; die äussere ist elliptisch, die mittlere mehr kugel- förmig, die innere 0,039 mm lang und 0,033 mm breit Die Embryonalhaken haben eine Länge von 0,016 mm. Die sehr kleinen Girren stehen einseitig, sie sind cylin- drisch, unbedornt, und sind 0,013 mm lang und 0,003 mm breit.
Helminthologische Untersuchungen. 53
25. Taenüi tlara Dujardin
Fig. 19 aus Crocidiira aranea.
Diese Art hat 34 Haken von 0,026 mm Länge, die sehr dünn und gestreckt sind.
Notiz.
Im Jahrgange 1878 dieses Archivs habe ich ver- sehentlich zwei schon vergebene Namen für neue Arten gebraucht, nämlich Äscaris Siluri (1. c. pag. 239) und Bothriocephaliis lanceolatus (pag. 218), welche ich in ^5- cciris Glanidis und Bothriocephalus ellipticus zu ändern bitte.
Was das Genus Angiostomum betrifft, so bin ich neuer- dings, da ich von A. enfomelas und macrostomum Hunderte von Exemplaren untersucht und immer nur Weibchen ge- funden habe, auf die Vermuthung gekommen, dass in das- selbe „Ascaris''^ nigrovenosa gehört, welche Form die Mus- keln der Meromyarier hat, so dass also die parasitischen Exemplare von Angiostomum nur als parthenogenetische Weibchen auftreten, während sich deren Brut im Freien zu kleinen, geschlechtlich differenzirten Thieren entwickelt, deren Nachkommen wieder in die Lungen von Reptilien und Amphibien einwandern und zu den bekannten Weib- chen werden.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. IIL
1. Oberlippe von Asearis patagonica.
2. Oberlippe von Äscaris arctica.
3. Männliches Schwänzende derselben Art.
4. Oberlippe von Äscaris angiüata.
5. Männliches Schwanzende derselben Art,
6. Oberlippe von Äscaris clavata.
54 V. Li n stow: Helminthologisclie Untersuchungen.
7. Männliches Schwanzende derselben Art.
8. Kopf von Äscaris rotundata.
9. Männliches Schwanzende derselben Art.
10. Kopf von Oxyuris bidentata.
11. Kopf von Angiostomum sangitinolentum.
1-2. Männliches Schwanzende von Strongylus depressus.
13. Kopf von Pseudalitis minor.
14. Weibliches Schwanzende derselben Art von der rechten Seite,
a. Vulva, b. Anus.
15. Weibliches Schwanzende derselben Art von Pseiidalms inflexus,
a. Vulva, b. Anus.
16. EcJiinorhynchus capitatus, natürliche Grösse.
17. Haken von Taenia Scolaris.
18. „ „ „ uncinata.
19. „ „ „ tiara.
Beschreibung einiger neuen Peltidien.
Von
Dr. G. Hall er,
Bern.
Hierzu Tafel IV und V.
Während eines kurzen Aufenthaltes in Messiua fiel mir die gleichzeitig ebenso angenehme, wie dankbare Auf- gabe zu, für die Privatsammlung von Prof. Dr. Fol die Copepoden der dortigeu Meeresfauna zu praepariren. An- genehm war diese Arbeit deshalb, weil ich dadurch mit den eben so formenreichen als mitunter prächtigen Thieren bekannt wurde: unter ihnen stehen die Peltidien entschieden vorne an und können sowohl wegen ihrer schönen Farben, als wegen des meist sehr stark inkrustirten Panzers die Buprestiden unter den Entomostrakeu genannt werden. Namentlich das Präpariren der letzteren, weniger dasjenige der farblosen und sehr weichhäutigen Calaniden war über- diess eine leichte Mühe. Sie wurden noch lebend in eine Mischung von einem Theile Alkohol, einem Theile Gly- cerin, zwei Theilen Wasser und zwei bis drei Tropfen Kar- bolsäure ertränkt und nach Verlauf von wenigen Minuten in Farrant'schem Medium, nach der neueren Formel zu- bereitet, eingeschlossen. Auf diese Weise präparirt hielten sich namentlich die hartpanzerigen Arten sehr gut und blieben deutlich erkennbar. Noch jetzt nach bald andert- halb Jahren sind die Präparate äusserst deutlich und lassen selbst die feinsten Kleinigkeiten mit voller Sicher- heit erkennen, was gestattete, die Beschreibungen und Ab-
56 G. Haller:
bilduDgen nach eingeschlossenen Individuen zu machen. Die meisten Präparate befinden sich im Besitze von Herrn Prof. Fol, allein seiner gütigen Erlaubniss verdanke ich es, wenn es mir möglich wurde, einige Doubletten für mich selbst anzufertigen.
Dankbar und interessant nenne ich die obige Aufgabe desshalb, weil ich bei dieser Gelegenheit viele der von Claus beschriebenen Arten kennen lernte. Bei einer Durch- musterung meiner Präparate finden sich jedoch einige, welche mit keiner der vorhandenen Beschreibungen und Abbildungen tibereinstimmen und welche ich mir daher als neue Arten zu schildern vorgenommen habe. Vor- läufige Diagnosen derselben finden sich bereits im zoolo- gischen Anzeiger von Carus, und zwar in Nummer 25 des IL Jahrganges 1879. Dieselben wurden schon von Villafranka aus an die Redaktion übergeben und haben nun durch reiflichere üeberlegung einige Veränderung erfahren.
Die Familie der Peltidien in ihrem jetzigen Umfange wurde zum ersten Male von Claus in dessen „Freilebenden Copepoden^' ^) errichtet und und kurz charakterisirt wie folgt.
Körperform glatt, meist mit breiten Seitenflügeln der einzelnen Abschnitte. Gliederung meist vollzählig, Kopf und Thorax verschmolzen. Chitinpanzer sehr kräftig. Die vorderen Antennen des Männchens sind beide zu Fang- armen umgebildet. Die hinteren Antennen mit Nebenast und knieförmig gebogenen Borsten. Die Taster der Man- dibeln und Maxillen ansehnlich entwickelt. Das fünfte Fusspaar blattförmig, in beiden Geschlechtern wenig ver- schieden. Herz fehlt. Augen einfach, in der Mittellinie verschmolzen, mit lichtbrechenden Körpern. Der männliche Geschlechtsapparat paarig, symmetrisch. Ein Eiersäckchen.
Am hauptsächlichsten, scheint mir, muss das Gewicht auf die platte Körperform, welche durch die fast stets vor- handenen Seitenflügel noch übcrdiess ein eigenthümliches Gepräge erhält, ferner auf die mit Nebenast versehenen
1) Dr. C. Claus. Die freilebenden Copepoden. Mit beson- derer Berücksichtigung der Fauna Deutschlands, der Nordsee und des Mittelmeeres. 1863.
Beschreibung einiger neuen- Peltidien.
57
hinteren Antennen, auf die kräftigen Taster der Mandibcln und Maxillen, sodann vor Allem auf die Verhältnisse des ersten und letzten Fusspaares gelegt werden. In der That konnte ich mich denn auch bei den allermeisten neuen Formen durch die Aehnlichkeit mit schon vorhandenen und durch die Summe der Merkmale leiten lassen; nur für wenige Thiere, die in späteren Abhandlungen beschrieben werden sollen, wurde es mir schwer, die Stelle im Systeme mit Sicher- heit zu finden. Die bereits von Claus gegebene übersicht- liche analytische Tafel wird zwar durch die neuen Formen wenig verändert, nichts destoweniger folgt dieselbe mit Angabe der beiden neuen Subgenera und zur leichteren Uebersicht der neuen Arten.
Körper vollzählig gegliedert. Mandibularpalpus zu einem Greiffusse verlängert 1. Porcellidnim.
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Beide Aeste |
Der fünfte Fuss sehr breit blattförmig Der fünfte Fuss schmal, griffeiförmig Der innere Ast dreiglie- |
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4. Eupelte. |
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2. Siibgen. Onisci- dium. |
1. Gen. J^orcellidlum Cls.
{Taf. I. Fig. I. II a. b. und 1 bis 5).
Thyone PhiUpin. Zoologische Bemerkungen von Dr. A. Philipp! (Fortsetzg. mit Taf III u. IV.) in Wieg-
58 G. Haller:
mann's Archiv für Naturgeschichte VI. Jahrg. 1. Band 1840. S. 190. Taf. IV Fig. 2. Forcellidium Claus. Die freilebenden Copepoden mit beson- derer Berücksichtigung der Fauna Deutschland's, der Nord- see und des Mittelmeeres 1863. S. 140. Taf. XXII Fig. 1—5.
Claus beschrieb diese Gattung auf Grund zweier in Nizza und einer in Messina gefundenen Art. Von diesen habe ich Forcellidium fmihriatum Claus aus Messina, Por- cellidium dentatum aus Villafranka präparirt. Ausserdem erhielt ich zwei neue Arten, von denen namentlich die Eine allgemeines Interesse verdient. Vorher erlaube ich mir noch wenige Worte über die Gattung selbst.
Dr. A. Philippi beschrieb schon 1840 eine Gattung Thy- one, mit der Species Thyone viridis Phil, aus dem Mittelmeere. Aus seiner wiewohl mangelhaften Zeichnung und Beschrei- bung geht zur Genüge hervor, dass Thyone synonym ist mit Forcellidium, nur die Species scheint mir nicht wieder er- kennbar. Allein der Name war schon von Ocken für eine Gattung der Hoiothurien vergeben. So war denn Claus in vollem Maase berechtigt, als er 1840 das System der Co- pepoden neu bearbeitete, das Genus umzutaufen. Sein Name ist übrigens ebenso bezeichnend, wie die Diagnose der Gattung, welche dieselbe als eine vollkommen natür- liche Einheit hervortreten lässt. Sie lautet:
Corpus depressum, feminae sex-, maris septem-articu- latum. Mandibularum palpus appendice pectinata et ramo prehensili triarticulato instructus. Maxillipedes inferiores breves, triarticulati, basali triangulari, apicali uncinato. Furca lamelliformis.
Es folgen nun die neu zu beschreibenden Arten f
Forcellidium ovatum Hallel*. Taf. IV Fig. I; 1—3.
Forcellidium ovatum mihi. Vorläufige Diagnosen einiger Pel- tidien aus Messina in Zoologische Anzeiger Nr. 25 IL Jahrgang 1879. S. 479.
Die Körperumrissc beschreiben eine sehr gedrungene
Eiform mit nach hinten gerichteter, stark zugerundeter
Beschreibung einiger neuen Peltidieu. 95
Spitze, deren Breite ungefäbr 1 mm, und deren Länge 1,3 mm beträgt. Von letzteren sind 0,6 auf den Ceplialo- thorax zu rechnen, welclier mitiiin nur sehr wenig kürzer ist wie der Hinterleib, wie ich den hinteren segmentirten Leibesabschnitt der Kürze wegen bezeichne. An den An- tennen zählt man wie bei Forc, fimbriatum 6 Glieder, die sich aber beim Weibchen verschieden verhalten. Das Grund- glied ist nämlich sehr kurz, von den drei folgenden ist das erste am längsten und ungefähr von der doppelten Länge des dritten. Vom zweiten bis zum letzten werden die Abschnitte in umgekehrter arithmetischer Progression kürzer und schmächtiger. Dabei erscheinen die Antennen durch lange Haare leicht buschig. Der lange und schwach gebogene Mandibularpalpus (Taf. IV Fig. 2) trägt vier eigenthümliche, gekrümmte und dornartige Borsten, die dicht mit feinen Härchen besetzt sind. Nahe der Spitze der Krallen des zweiten Maxillarfusses (Taf. IV Fig. 1) beob- achtet man überdiess ein eigenthümliches plättchenförmiges Gebilde, das sich nahe an der Basis einer Dornborste er- hebt und das vielleicht als Sinnesorgan zu betrachten ist. Das fünfte Fusspaar (Taf. IV Fig. 3) bildet lange und schmale Platten von Sichelform, deren freie Spitzen hinten sich fast berühren und die das ganze Abdomen nebst den Furcallamellen zwischen sich fassen. Sie werden an ihrem freien äusseren Rande von einem leichten Haarsaume be- gleitet. Ueberdiess finden wir hier ungefähr am Anfange des letzten Drittheiles einen kurzen einzeln stehenden Dorn.
Das vordere Abdominalsegment verlängert sich in kurze Seitenflügel, welche kaum länger sind als breit. Die Länge der Furcallamellen ist bedeutender als deren Breite; der innere Rand der Lamellen ist gerade, der äussere stark geschweift und diese selbst zugespitzt.
Forc. ovatum, wie ich die neue Art ihrer Eiform wegen heisse, ist durchaus farblos, erscheint aber dadurch gefärbt, dass die rothen und gelben Fettkugeln im Innern ihrer Organe durch den Panzer hindurchschimmern. Mit Farbstoff imprägnirt, wie viele Verwandte, ist das Thier- chen also nicht. In unserer Figur (Taf. IV Fig. I), sehen wir ein weibliches Thier mit zwei festgeklebten ovalen
60 G. Haller:
Spermatophoreu. Es stellt von denselben jederseits einer und sie senden ihre Ausführungsgänge durch den Spalt zwischen dem fünften Fusspaare und den Seitenfortsätzen des vorletzten Hinterleibsegmentes nach innen. Die Art stammt gleich der nachfolgenden aus Messina, wo ich sie auf Corallengrund und in einer Tiefe von etwa 80 bis 150 M. häufig fing. Gleich xlen meisten Peltidien scheint sie fürs Gewöhnliche an den grösseren vom Grunde heraufge- brachten Steinen festzuhängen und kann nur durch Bürsten oder Schlemmen derselben veranlasst werden, diesen Schlupf- winkel zu verlassen. Sie schwimmt dann sehr lebhaft um- her, sucht sich jedoch immer wieder ähnliche Ruhepunkte aus.
Forcellidnim parvulum Haller. Taf. IV. Fig. II a u. b. 4. 5.
Pore, parvulum mihi Vorläufige Diagnosen einiger Pelti- dien aus Messina loc. cit. S. 179.
Männchen (Taf. IV Fig. II a) und Weibchen (Fig. II b) zeigen bedeutenderen Dimorphismus als die übrigen Peltidien. Sie kommen eigentlich nur in den allgemeinen Körper-Um- rissen überein, da diese bei beiden ein gedrungenes Oval be- schreiben; doch erreicht das Weibchen bei imgefähr gleicher Breite wie jenes nur eine Länge von 0,55 mm, während das Männchen selbst 0,75 lang wird. Bei beiden Geschlechtern fällt ungefähr 0,3 mm auf den Cephalothorax. Es geht schon daraus hervor, dass der Hinterleib bei beiden sehr ver- schieden gebildet ist, dasselbe muss auch bezüglich des Rostrums, der Fühler und der hinteren Leibesanhänge, wie Furcallamellen und fünftes Fusspaar gesagt werden.
Beim Männchen sind die drei vorderen freien Segmente ziemlich gleichmässig entwickelt ; beim Weibchen blieb da- gegen das letzte derselben an Länge ganz beträchtlich hinter den anderen zurück. Dasselbe beobachten wir auch für das durch Verschmelzung hervorgegangene Abdomen, welches beim Männchen merklich umfangreicher ist als beim Weibchen. Gleichwie die Thiere selbst habe ich eine der Furcalplatten (a) und den rechten fünften Fuss (b) jeweilen vom Männchen und (Taf IV Fig. 5 a u. b) Weib- chen (Taf. IV Fig. 4 a u. b) unter ein und derselben Ver-
BeschreibuDg einiger neuen Peltidien. Cl
grösserung abgebildet, und man wird daraus ober als aus einer noch so eingebenden Beschreibung den bedeutenden Dimorphismus erkennen, welcher auch hierin ausgesprochen ist. Ausser der Form und Grösse dieser Endstücke erweist sich auch deren Eandbesatz als gänzlich verschieden; hierzu einige Worte der Erläuterung. Beim Männchen sind sowohl Furcalplatten, wie fünftes Fusspaar scheinbar leicht ge- wimpert; über diesen Besatz feiner Härchen ragen an beiden Stücken sieben eigenthümliche Borsten vor. Die Basis derselben ist verbreitert und braun gefärbt, ihre Spitze blass, farblos und lang ausgezogen. Von diesen Aus- zeichnungen finden wir beim Weibchen nur den blassen Härchensaum wieder; dagegen bemerken wir, dass der hin- tere Rand des fünften Fusspaares gezähnelt ist, sodann trägt die äussere Ecke der Furcalplatte ein massig langes und zwei ganz kurze Haare. Kommen wir endlich auf die Fühler zurück, so sind diejenigen des Männchens stark chitinisirt, was sich sofort durch die dunkelbraune Färbung zu erkennen gibt. Sodann sind sie hakenförmig gekrümmt und starke vorragende Chitinspitzen beweisen, dass sie ihrem ursprünglichen Berufe entfremdet und Greifwerkzeuge geworden sind. Das Amt des Tastens übernehmen nun- mehr lange, blasse Haare, von denen die Antennen leicht buschig erscheinen. Die vorderen Fühler des Weibchens verhalten sich viel einfacher, sie erweisen sich als schwach spindelförmig und kurz. Sie sind sechsgliederig, ihre drei letzten Glieder bleiben kurz und ringförmig.
Selbst in der .Körperfärbung spricht sich dieser be- deutende geschlechtliche Unterschied aus. Die Weibchen erinnern in der Art, wie ihre Färbung zu Stande kommt, an die vorhergehende Species, die Männchen sind dagegen gänzlich mit braunem Farbstoffe imprägnirt. Was über ihr Vorkommen zu sagen, wurde bereits bei der vorigen Art erwähnt. Ich fing mehrere dieser Thierchen in Be- gattung, das Männchen hielt das Weibchen mit seinen modificirten vorderen Antennen derartig fest, dass sie ohne sich zu trennen präparirt wurden.
62 G. Haller:
II. Gen. Oniseidiuni mihi non Clans.
(Taf. IV Fig. III u. IV, 6. 7. Taf. V Fig. III u. IV, 1. 2. 3. 4.)
Corpus depressum, porrectum, profunde iiicisum, feminae novem, maris decem articuiatum, abdomine magnopere atte- nuato. Palpus mandibularum biramosus, ramo utroque simplici. Maxillipedes inferiores magni, manu prehensili armati. Pedum primi paris ramus internus biarticulatus, rarissime triarticulatus, externus longior, triarticulatus uncis compluribus armatus, prehensiiis. In Subgenere secundo quo- que ramus externus prehensiiis. Pedes postici tenues setosi.
Die alte gleicbbenannte Gattung von Claus umfasste nur eine einzige Art Oniscidmm armatum aus Messina. Ich habe dieselbe nicht wieder aufgefunden, jedoch zwei nahe verwandte, von denen keine ganz mit der alten Gattungs- bezeichnung übereinstimmt. Oniseidiuni hiarticidatum mihi besitzt nämlich einen dreigiiederigen inneren Ast; Onis- cidium incrustatum keinen flachen Körper, sondern ist hoch gewölbt. Das sind nun, ich gebe es zu, Merkmale von sehr untergeordneter Bedeutung, welche die Errichtung eines Subgenus noch nicht erfordern würden. Allein eine dritte neue Art zeigte in Bezug auf ihr erstes Fusspaar so gänzlich abnorme Verhältnisse, dass sie mit dem alten Gattungsbegriffe nicht wohl vereinigt werden. Die beiden Aeste des ersten Fusspaares sind zu Greiffüssen umgewandelt, also ähnlich wie uns Claus die entsprechende Extremität von Zaus beschreibt. Im Uebrigen war die gesammte Kör- pergestalt gänzlich die von Oniscidium Cls. und sämmtliche feineren Verhältnisse erinnerten an diese alte Gattung. Es wäre somit die Errichtung eines neuen Genus für diese einzige Art ungerechtfertigt. Dagegen Hess sie sich bei etwas veränderter Diagnose leicht als Subgenus bei Onis- cidium mihi non Claus unterbringen, wobei freilich die ehemalige Gattung von Claus zum Range eines Subgenus herabsank. Der Name, mit welchem Claus sein Genus be- legt hatte, war aber zur Bezeichnung der Thiere so muster- haft gewählt, dass ich ihn, um die Nomenclatur nicht un- nöthiger Weise mit einem neuen Namen zu bereichern, bei- behalten habe.
Beschreibung eiuiger neuen Peltidien. 63
Die Diagnose verlangte übrigens noch aus einem wei- teren Grunde eine leichte Aentlerung. Claus gibt in seiner lateinischen Diagnose von den unteren Maxillarfüssen an, sie seien subcheliformes. Wir verstehen unter subcheliibrm Bildungen ähnlich solcher, wie sie an den Scheeren mancher Decapoden vorkommen. Ich kann nun eine Aehnlichkeit weder aus der Abbildung von Claus, noch aus den von mir nach den Maxillarfüssen zweier neuen Oniscidien an- gefertigten Zeichnungen herausfinden. Sie erinnern mich viel mehr an die Greifhand mancher Crustaceen, insbe- sondere vieler Copepoden. Es möchte daher die Bezeich- nung subcheliform nicht ganz passend gewählt sein, wess- halb ich mir erlaubt habe, es durch manu prehensili armata zu ersetzen.
I. Subgeuus. Peltidium PMlippi; Oniscidium Claus.
(Taf. IV Fig. III u. IV, 6. 7. Taf. V Fig. 1. 2. 3.)
Peltidium PMlippi. Einige zoologische Notizen von Dr. A. Philip pi. (Hierzu Tafel III u. IV.) in Wiegmann's Ar- chiv für Naturgeschichte 1839. V. Jahrg. 1. Band. S. 131. Taf. IV. 12 u. 13. Oniscidium Claus. Die freilebenden Copepoden, mit be- sonderer Berücksichtigung etc. etc. 1863. S. 141. Taf. XXII Fig. 6-9.
In Peltidium purpureum von Philippi erkennen wir leicht sowohl aus Abbildung wie Beschreibung eine Art der von Claus als Oniscidium benannten Gattung. Die Spe- cies selbst ist leider nicht wieder zu erkennen. Dagegen berechtigen mich die sowohl in Zeichnung wie in der Diagnose hervorgehobenen Merkmale, an Stelle des modernen Namens den alt hergebrachten Philippi 's zu setzen. Es gibt nun allerdings in der Systematik zur Bezeichnung eines Genus der Coleopteren einen ähnlichen Namen. Allein derselbe bezieht sich auf eine Gattung, nicht auf ein Sub- genus, lautet zum Ueberflusse nicht Peltidium, sondern Pelti- dion. Eine Verwechslung kann somit nicht leicht Statt haben. Das Subgenus Peltidium kann bezeichnet werden: Pedum primi paris ramus internus bi-rarissime tri-articulatus, setis armatus, oder wie sich Claus etwas verschwommen
64 G. Haller:
ausdrückt: Der untere Ast des ersten Fusspaares zweiglie- derig, kein eigentlicher Ruderfuss. Hierher gehören:
1. Oniscidium armatum Cls.
Oniscidinm armatum Cls. Die freilebenden Copepoden von Dr. Claus. 1864. S. 141. Taf. XXII Fig. 6-9.
Claus besass diese Art aus Nizza und Messina. Ich habe sie nicht wieder aufgefunden.
2. Onisc. triartioulatum Hall. (Taf. IV Fig. III u. 7. Taf. V Fig. 1.)
Oniscidium triarticiäatum mihi in Vorläufige Diagnosen etc. loc. cit. S. 180.
Körper nur wenig gewölbt, fast ganz flach, von der Form eines mit der Spitze nach hinten gerichteten Eies. Das Thierchen erreicht bei einer Breite von 1 mm eine Länge von 1,5, jene verhält sich also zu dieser genau wie 2 : 3. Von der gesammten Länge fallen 0,62 auf den Cepha- lothorax. Das Rostrum ist quer rechteckig, an den Seiten etwas stärker chitinisirt. Die vorderen Ecken des Cepha- lothorax sind stark abgerundet, die hinteren in Spitzen ausgezogen. In der Mitte desselben erscheint ein offenbar den Mundtheilen entsprechender dunklerer Fleck, am hir^^ teren Rande desselben eine längliche Verdickung der Chitin- decke. Wir werden später fünf ähnliche finden, die hinter- einander in einer Reihe liegen und von denen jeweilen eine am Ende eines der freien hinteren Segmente steht. Nur dem letzten Gliede fehlt sie. Dieses ward daher nicht mehr dem Cephalothorax, sondern dem ersten mit ihm ver- schmolzenen Hinterleibssegmcnte entsprechen. Von den sechs freien Segmenten des Hinterleibes wird ein jedes immer um etwas kürzer als das Vorhergehende, das erste als der Cephalothorax. Dieser Abschnitt, oder wie ich ihn mehr kurz als correkt bezeichnen will dieser Hinter- leib ist an den beiden Seitenrändern tief eingeschnitten, die Seitenflügel haben glatte Ränder und laufen in scharfe Spitzen aus. Sie legen sich je weiter nach hinten zu
Beschreibung einiger neuen Peltidien. 65
immer enger an den Leib an, so dass sie vom dritten Seg- mente an jeweilen das folgende Segment mit dessen Seiten- flügel zwischen sich fassen. Das letzte Segment entbehrt derselben ganz. Es ist kurz und höckerförmig. Seitwärts von ihm stehen die Furcalglieder, welche in zwei Abschnitte zerfallen. Wir sehen ein kürzeres Grundglied und ein längeres, am Ende schwach verbreitertes Endglied, welches eine massig lange und drei kürzere Borsten trägt. Jene ist ungefähr von der Länge des Cephalothorax. Beim Weibchen sind die Antennen siebengliederig (Taf. IV Fig. 7), die drei ersten Glieder lang und gut ausgebildet, die vier folgenden sehr klein, namentlich das zweitletzte erscheint nur ringförmig; dabei ist ein reichlicher Besatz mit langen Haaren vorzumerken. Der zweite Maxillarfuss ist sehr gross, mit nur wenig langem Stiele, dickem Handgliede und bedeutender Kralle (s. Taf. IV Fig 1 a). Das erste Beinpaar (Taf. V. Fig. 1. b. b) kennzeichnet sich sofort durch den kurzen und dicken inneren Ast, welcher deut- lich aus drei Gliedern besteht, nämlich einem kurzen End- gliede und zwei längeren am Anfange. Doch auch der äussere erscheint ziemlich kurz und nur zweigliederig. Jener trägt einige lange Schwimmborsten, dieser am Ende drei verschieden lange stark gekrümmte und spitze Krallen. Die Farbe dieser Art, welche ihren Namen von der Beschaifenheit des inneren Astes ihres ersten Fusspaares erhalten hat, ist ein helles Carminroth. Nur vor dem dunk- len Flecken auf der Mitte des Cephalothorax findet sich ein mondförmiger gelblicher Fleck. Der Panzer ist nur schwach inkrustirt und von Skultpur ist wenig zu sehen. Die Art stammt von verschiedenen Punkten um Messina, wo sie nicht selten zu sein scheint.
3. Oniscidium scriptum Haller. (Taf. IV Fig. IV u. 6, Taf. V Fig. 2. 3.)
Onisc. sculptum mihi. Dr. G. Ha Her Vorläufige Diagnosen etc. loc. cit. S. 180.
Die Kückenfläche stark gewölbt, die Bauchfläche wenig concav, Körper daher kaum durchsichtig. Seine Umrisse sind eiförmig; dabei erreicht er bei einer durchschnittlichen
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 5
66 G. Hall er:
Breite von 1,0, eine Länge von 1,7 mm, also ist die Art nur wenig gestreckter als die vorhergehende. Der Hinterleib ist tief eingeschnitten, seine Seitenflügel quer abgestutzt, etwas zackig. Die zwei hintersten derselben erscheinen stark nach hinten gerichtet, so dass sie das folgende Kör- persegment zwischen sich fassen. Das letzte Segment ver- hält sich wie in der vorigen Art. An dem ausserordentlich stark inkrustirten Thiere haben wir verschiedene Skulp- turen zu beachten. Vor allem ist die Mitte des Cephalothorax in der ganzen Längenrichtung kielartig erhöht. Nur vorne verbreitert sich dieser Kiel zu einer Art Knauf; hinter demselben beginnen zwei breite ausgehöhlte Furchen, welche mit nach aussen gekehrtem Bogen auseinandertreten, sie bilden eine V-förmige Figur von der ganzen Länge des Cephalothorax. Sie verbreitern sich allmählich nach vorne hin. Ihr Rand wird von einer tiefen und schmalen Rinne umsäumt, welche nach aussen hin vier kurze Zweiglinien sendet. Das Rostrum ist sehr breit und kurz, vorne leicht ausgerandet. Auf der Mitte der freien Segmente des Hinter- leibes bezeichnen die steil abfallenden Ränder einer wulst- fömigen Verdickung die Grenze zwischen dem Körper und dessen Seitenflügel. Auch um diese Wälle zieht sich eine tiefe und schmale Rinne und gränzt sie gegen Aussen scharf ab. Etwas modifizirt zeigt sich das letzte geflügelte Seg- ment. Hier fehlt die abgerundete Rinne und der Wall ist undeutlicher, üeberdies ist der vordere Rand dieses und des vorhergehenden Segmentes durch eine kurze aber tiefe Längsfurche in zwei gleiche Hälften getheilt. Die Furcal- glieder sind kurz und griffeiförmig; sie stehen nicht ganz um das Doppelte ihrer eigenen Länge auseinander und tragen nur eine einzige und gefärbte Endborste, welche etwa von der Länge des Cephalothorax ist. Auf der ganzen Rücken- fläche, namentlich aber auf dem vorderen Körperabschnitte finden sich zahlreiche porenartige blasse Stellen. Wie wir am Seitenrande bemerken, entsprechen dieselben ebenso vielen Oeffnungen kleiner kraterähnlichen Erhabenheiten.
In der Bildung des oberen Maxillarfusses (Taf. V Fig. 2) glaube ich Aehnlichkeiten mit der von Claus gegebenen Abbildung des entsprechenden Gebildes von Oniscidium ar-
Beschreibung einiger neuen Peltidien. 67
matum zu erkeiiDcn. Ebenso entspricht auch die Bildung des ersten Fusspaares (Taf. V Fig. 3) den für die Gattung allgemein geltenden Verhältnissen. Der äussere Ast besteht aus drei langgestreckten Gliedern, trägt am Ende eine lange Kralle und zwei kürzere Borsten, der innere Ast ist da- gegen aus zwei ungefähr gleich langen Gliedern zusammen- gesetzt, das zweite derselben trägt am quer abgestutzten Ende zwei lange Borsten. Der innere Ast steht dem äus- seren an Länge nur wenig nach. Der fünfte Fuss (Taf. IV Fig. 6) ist einfach, massig lang, stielrund und gebogen, was ich als hornförmig bezeichnen möchte. Auf seiner äusseren Seite stehen sechs bis sieben steife, starke und nur wenig lange Borsten von dunkelrother Färbung. Ueber- haupt sind die meisten Haargebilde tiefer gefärbt als der Körper. Dieser ist bei auffallendem Lichte purpurroth, bei im Präparat durchfallendem carminroth gefärbt. Nur etwas vor der Mitte des Cephalothorax und zu beiden Seiten von dessen zugerundetem Kiele stehen zwei grosse helle und gelbliche Flecken. — Ich brachte das hübsche Thier in zwei Exemplaren von einer kleinen Excursion nach Lipäri mit.
U. Subgeniis Zausoscidiiim.
(Taf. V Fig. III. IV u. 4.)
Zausoscidium gen. nov. mihi. Vorläufige Diagnosen etc. loc. cit. S. 179.
Pedum primi paris rami ambo prehensiles, externus articulo tertio, minimo, apice uncis armatus; internus crassus biarticulatus, subcheliformis.
Die einzige hierher gehörende Art, einer der kleineren Copepoden, bietet in dem Baue seines ersten Fusspaares so abweichende Verhältnisse von dem von Claus für die Gattung Oniscidium Geforderten, dass ich sie lange Zeit für den Repräsentanten einer besonderen Gattung hielt, welche ich denn auch in der oben citirten Mittheilung beschrieb. Allein bei noch sorgfältigerem Studium erweisen sich alle übrigen Verhältnisse so übereinstimmend mit Oniscidium, dass ich mich leicht überzeugte, die gegenwärtige Stellung sei die naturgemässere. Der Name ist zusammengesetzt
68 G. Haller:
aus Zaus und Oniscidium, wo bei letzterer GattuDgsbezeicbnuug eine Silbe weggelassen wurde, damit nicht ein allzulanges vielsilbiges Wort entstünde.
Die einzige bis jetzt bekannte Art ist:
Zausoscidium Folii mihi. (Figuren wie oben.)
Zausoscidium Folii mihi. Dr. G. Ha 11 er Vorläufige Dia- gnosen etc. loc. cit. pag. 179.
Das Thierchen erreicht bei einer Breite von 0,9 mm eine Länge von 1,4 mm, von letzterer fallen 0,6 mm auf den Cephalothorax. Im Allgemeinen sind die Körperumrisse wie bei den übrigen Arten von Eiform. Vorn ist der Kör- per stark verdickt und massig convex, nach hinten wird er immer dünner und flacher. Die Bauchfläche erscheint im Ganzen ziemlich flach. Vorn ist der Cephalothorax quer abgestutzt und bildet in einer leichten Aushöhlung Raum für die beiden Antennenpaare (m. vgl. Fig. III Taf. V), von denen das vordere hinter dem unteren steht. Sein Rostrum ist kurz und breit, leicht ausgerandet, zu beiden Seiten desselben leichte Chitinverdickungen; seine vorderen Schulterecken sind zackig abgebrochen, die hinteren in abstehende Spitzen ausgezogen. Der hintere leicht doppelt ausgebuchtete Rand trägt einen röthlich gefärbten Chitin- höcker, welcher auch hier wieder dem mit jenem ver- schmolzenen ersten Hinterleibssegmente anzugehören scheint, denn wir treffen auch hier die nämliche Reihe Höcker wie bei Oniscidium friarticulatum. Der Hinterleib ist tief und breit ausgeschnitten, seine Seitenflügel sind lang, nach hinten zugespitzt und scharf gezackt; sie treten noch weit stärker nach hinten zurück als bei den vorigen Arten. Schon diejenigen des dritten Segmentes fassen einen grossen Abschnitt der folgenden zwischen sich, die letzten sind starr nach hinten gerichtet und überragen das Körperende beträchtlich. Diejenigen des drittletzten Hinterleibssegmentes sind die mächtigsten und stark blattförmig; sie scheinen zwei verschmolzenen Segmenten anzugehören; diejenigen des vorletzten sind die kleinsten. Das letzte Körpersegment
Beschreibung einiger neuen Peltidien. 69
ist kurz und liöckerartig. Es entbehrt ihrer ganz. Auf der Rücken- wie Bauchfläche bemerken wir zwei Systeme von sich kreuzenden und unter sich winkelige Figuren bildenden Chitinleisten, von denen das eine mehr dem Rande ange- hört und die entsprechenden Abschnitte umsäumt, das andere mehr die Mitte inne hält. Die Furcalglieder sind länger als das höckerartige letzte Körpersegment; sie stehen nahe bei einander und dei* Zwischenraum beträgt etwa die Hälfte ihrer eigenen Länge. Sie tragen eine einzige lange und mehrere ganz kurze Endborsten. Jene ist ungefähr von der Länge des Cephalothorax.
Der untere Maxillarfuss ist sehr gross, mit einer Greif- hand bewaffnet. Sein Stiel ist nur von massiger Länge. Am auffallendsten verhält sich der erste Fuss, da dessen Aeste beide zum Greifen eingerichtet sind (Fig. III u. 4. Taf. V). Derselbe erinnert in der Bildungsweise der ba- salen Grundstücke vollkommen an die entsprechende Extre- mität der Oniscidien, derjenige des äusseren Astes an einen Harpacticus, der innere Ast ist dagegen eine ganz eigenartige Bildung. Darin dass beide x\este zu Greif- armen umgewandelt sind, muss Verwandtschaft mit Zaus erkannt werden, von welcher Gattung Claus in seiner la- teinischen Diagnose sagt: rami ambo prehensiles. Versuchen wir nun .diese Verhältnisse auch durch die Beschreibung zu veranschaulichen. Der äussere Ast besteht aus zwei ungefähr gleich langen Grundgliedern, die ungefähr drei bis vier mal so lang sind wie breit. Ein jedes derselben trägt in der Mitte an seiner Innenseite, das zweite auch an seiner Aussenseite nahe dem sich verschmälernden Ende eine Borste. Das dritte Glied ist sehr klein, ungefähr dreieckig und trägt zwei kurze Krallen verschiedener Grösse. Der Aussenast ist fast zwei Mal so dick wie der innere und besteht aus zwei gedrungenen Gliedern, von denen das erste an beiden Enden, das zweite nur am Grunde etwas verschmälert ist. Es endet breit abgestutzt und bietet an seiner äusseren Seite Raum für eine starke Kralle, nach innen für einen Höcker. Es entsteht mithin eine Bildung, welche einiger Massen an die subcheliformen Scheeren der Decapoden erinnert. Auf diesem Höcker, sowie nach aussen
70 G. Haller:
vom Ende des ersten Gliedes finden sich jeweilen zwei längere Borsten. Die übrigen Beine sind schmächtig und etwas abgeflacht; das fünfte Paar kurz, einfach und horn- förmig (Fig. 6 Taf. IV). Die Färbung dieser Art, welche ich in Messina in einigen Exemplaren sammelte, ist ein helles Braun, gegen das sich die rothen Höckerchen auf der Rückenfläche hübsch abheben.
In oben oftmals erwähnter vorläufiger Mittheilung habe ich unter der Bezeichnung Oniscidium incertum mihi noch eine weitere neue Peltidie zu kennzeichnen gesucht. Die- selbe ist mir aber leider durch einen unglücklichen Zufall verloren gegangen, bevor ich eine Zeichnung oder ausführ- liche Beschreibung davon hätte anfertigen können; so muss ich denn von einer weiteren Schilderung derselben abstehen.
Erklärung der Abbildungen auf den Tafeln IV und V.
Taf. IV. Fig. I. Porcelliäium ovatum Hall. Oc. 4. Syst. 4.
„ n. Porcellidium parvulum Hall. Oc. 3. Syst. 4.
a. Männchen, b. Weibchen. „ HI. Oniscidium (Peltidium) triarticulatum Hall, unter
nämlicher Vergrösserung wie die Vorigen. „ IV. Oniscidium (Peltidium) sculptum Hall. Unter näml. Vergr. bei auffallendem Lichte gemalt. Fig. 1. Eigenthümliche Dorne mit Plättchen, an der Spitze der Krallen des zweiten Maxillarfusses. Oc, 4. Syst. 7. „ 2. Maxillarpalpus. Oc. 4. Syst. 7.
„ 3. Fünfter Thoracalfuss. Oc. 4. Syst. 6. gleich den vorher- gehenden Figuren von Porcellidium ovatum Hall. „ 4.. a rechte Caudalplatte, b fünfter Thoracalfuss der nämlichen
Seite des Weibchens. „ 5. a linke Caudalplatte und b rechter letzter Thoracalfuss des Männchens von Porcellidium ovatum^ beide Figuren unter Oc. 4. Syst. 6. „ 6. Fünfter Thoracalfuss von Oniscidium sculptum Hall. Oc. 4.
Syst. 6. „ 7. Vorderer Fühler von Oniscidium triarticulatum Hall. Oc. 7. Syst. 6.
Beschreibung einiger neuen Peltidien. 71
Taf. V. Fig. I. Oniscidium (ZausoscidiumJ Folii Hall, von der
Rückenseite Oc. 3. Syst. 6.
„ II. Oniscidium (Zausoscidium) Folii Hall, von der
Bauchseite. Oc. 3. Syst. 4.
Fig. 1, a Unterster Maxillarfuss rechter Seite, bb' erstes Thoracal-
fusspaar von Oniscidium triarticulatum Hall. Oc. 3. Syst. 6.
„ 2. Oberer Maxillarfuss von Oniscidium sculptum Hall. Oc. 3.
Syst. 6. „ 3. Erster Thoracalfuss von Oniscidium sculptum Hall. Oc. 3.
Syst. 6. „ 4. Erster Thoracalfuss von Oniscidium Folii. Oc. 3. Syst. 6.
NB. Die Zeichnungen wurden unter Anwendung der Camera lucida von Nachet nach Präparaten in Farrant'schem Medium gemacht. Zu den Beobachtungen wurde ferner nur ein kleines Hartnack'sches Mikroskop benutzt und die Angaben der combinir- ten Linsensysteme beziehen sich auf dasselbe bei eingestossener Kammer.
Rhynchopsyllus, eine neue Puliciden-Gattung,
in einigen Worten gekennzeichnet.
Von
Dr. Gl. Haller.
Hierzu Tafel VI.
Grattungscliarakteristik : Kopfgross, Thoracalseg- mente sehr schmal, einen halsartigen Uebergang zwischen Kopf und Abdomen bildend. Hinterleib der Weibchen zur Zeit der Reife zu einer maden- förmigen, deutlich segmentirten Masse anschwel- lend. Fühler viergliederig, denjenigen der übrigen Puliciden ähnlich. Punktaugen äusserst klein, weit nach vorne verlegt. Mundtheile sehr ausgebildet. Rüssel überaus lang. Mandibeln sehr deutlich, von der Form eines Reisszahnes mit rückwärts ge- krümmtem bogenförmigem und viergliederigem Taster. Unterlippe so lang wie die Unterkiefer, einfach, muldenförmig mit zweigliederigem ein- schlagbarem Taster. Füsse Springbeine und wie bei den übrigen Aphanipteren beschaffen.
Verwandtschaftsverhältnisse: Der Parasit, dem obige kurze Diagnose gilt, kennzeichnet sich wie aus nachfolgen- der Beschreibung und beigefügter Zeichnung aufs Deut- lichste hervorgehen wird, sowohl durch die äussere wie innere Anatomie als einen ächten Puliciden. • Er bietet uns die deutlichsten Anknüpfungspunkte mit den drei bis
Rhynchopsyllus, eine neue Puliciden-Gattung. 73
jetzt mit voller Sicherheit bekannten Gattungen Pulex, Cera- topsyllus und Sarcopsyllus (Rhynchoprion Oken) dar. Mit dem menschlichen Flohe stimmt er durch die Gestalt, nament- lich durch die schmalen Tlioracalsegmente, lerner durch das Fehlen des Rückenkammes iiberein. Wir haben aber bis jetzt noch keinen ächten Pulex auf einem anderen Säuge- thiere als den Bimanen gefunden. Durch seinen Aufenthalt auf einem Cheiropteron erinnert das Thier an Ceratopsyllus, welcher ebenfalls als Parasit auf Thieren dieser Ordnung vorgefunden worden ist. Sonst lassen sich zwischen beiden Gattungen noch verschiedene gemeinschaftliche Merkmale auffinden. Mit Rhynchoprion Oken besitzt das Thierchen unter anderem die gemeinschaftliche Eigenthümlichkeit, dass seine Weibchen unter gewissen Bedingungen ihr Körper- volumen verändern und unförmlich aufgedunsen erscheinen; freilich mit dem Unterschiede, dass dort ihre Gestalt eine unförmlich kugelige wird, hier immer eine deutlich segmen- tirte, madenförmige bleibt. Es bildet mithin diese Gattung ein Bindeglied zwischen Ceratopsyllus Pulex und Rhyncho- prion, vermittelt aber namentlich den Uebergang zwischen den beiden letzten Genera. Unterschieden ist sie von allen Gattungen durch die muldenförmige Unterlippe nebst deren langen, zweigliederigen Tastern, den deutlichen Unterkiefern und durch die beträchtliche Länge des aus Mandibeln und Labrum gebildeten Rüssels, welche beinahe derjenigen des halben Leibes gleichkommt. Von letzterer Eigenschaft habe ich den Namen der neuen Gattung hergeleitet und glaube dadurch auch ein bequemes Mittel gefunden zu haben, um die verschiedenen verwandtschaftlichen Beziehungen zu be- zeichnen; man sieht nämlich leicht ein, dass in Rhyncho- psyllus das erste Wort der Gattung Rhyncho-prion, das zweite Cerato-psyllus entnommen ist, durch den Species- namen ist die dritte und hauptsächlichste Annäherung aus- gedrückt worden.
Gilt es nun diese anatomischen und phyisologischen Verwandtschaften zwischen den vier nunmehr mit voller Sicherheit bekannten Gattungen durch eine dichotomische Zusammenstellung sichtbar zu machen, so kann es folgender Maassen geschehen:
74 G. Haller:
^r ■■, ■, ■ i ^iß Gliederung wird
Weibchen zu emer Im . , , -n, •,
TT . T J vollkommen verwischt . , Bhynchopnon.
gewissen Lebensperiodex t^- /^i- j i i i i
^.. ,. , , „ -,1 Die Gliederung bleibt
umormlich anschwellend!, ,,. , -r.» ,
V deutlich Ehynchopsyllus.
Die Weibchen verän- ( Rückenkämme vor- dem ihr Volumen nie < banden Ceratopsyllus.
auf so auffallende Weise ( Rückenkämme fehlen. Pulex.
Material: Der Ectoparasit, welcher dieser beschei- denen Studie zur Grundlage dient, wurde von mir auf einem Molossus gesammelt, welcher als Weingeistpräperat aus Brasilien nach Genf gekommen war. Aufmerksam gemacht durch den Präparator des Museums beobachtete ich sie als ungefähr reiskorngrosse madenförmige Schmarotzer hinter den Ohren. Diesen Standpunkt scheinen sie mit grosser Vorliebe zu wählen, denn an dem einzigen von mir unter- suchten Individuum fand ich hier ungefähr 25 Individuen und nur noch sechs bis acht am übrigen Körper. Obwohl mein Material mithin ein sehr reichliches genannt werden könnte, blieb es doch sehr unvollständig. Vor Allem ist mir kein einziges Männchen zu Gesicht gekommen; unter den 33 Weibchen gelang es mir sodann nur zwei im normalen, mithin nicht aufgedunsenen Zustande aufzufinden, und auch diese nur beinahe unversehrt. Unter den madenförmig auf- getriebenen Weibchen konnte ich trotz aller angewandten Sorgfalt nur zwei ohne Zurticklassung des Kopfes losprä- pariren, und kein einziges unter diesen besitzt die voll- kommene Ausrüstung mit Locomotionsorganen. Mein Mate- rial erinnert so eher an dasjenige eines Paläontologen, wie eines Zoologen. Von einer Beschreibung der Species will ich mithin absehen, doch ist es mir möglich an Hand dieser Bruchstücke die Gattungscharaktere in einigen Worten zu schildern und sodann einen Blick auf einzelne anatomische Verhältnisse zu werfen.
Aeussere Körperverliältnisse: Aus eben angeführten Gründen gilt die Beschreibung der äusseren Anatomie einzig dem Weibchen, welches jedoch die auffallendsten Merkmale der uenen Gattung zur Schau trägt. Die äusseren Körperver- hältnisse des Männchens weichen vermuthlich nur sehr wenig von den nachzubeschreibenden ab. Was die Weibchen
Rhynchopsyllus eine neue Puliciden-Gattung. 75
anbelangt, so werden wir zwei Formen unterscheiden müssen. Die eine, welche ich als die madenförmige bezeichnen werde, bietet uns das weibliche Thier zur Periode der Eierablage dar, mithin wenn dessen Hinterleib voll Eier gepfropft ist, die andere heisse ich im Gegensatze zu dieser die normale. Das Weibchen zeigt sich uns unter derselben ausserhalb jener Periode. Es erinnert diese Gestaltsveränderung einiger Maassen an das, was wir für einige Milben (Dermaleichen) kennen. Auch Hesse sich ein äusserer Vergleich des Weib- chens von Ceratopsyllus mit der Königin der Termiten leicht festhalten.
Das normale Weibchen bietet nun vollkommen den für die Puliciden allgemein geltenden Körperbau dar. Wir bemerken an ihm (Taf. VI Fig. 1) einen achtgliederigen Hinterleib, drei deutlich getrennte Thoracalsegmente und einen grossen, im seitlichen Umrisse fast dreieckigen Kopf. Der Hinterleib erweist sich als stark compress, der Form nach als ungefähr oval und als wenig stark chitinisirt. Die schmalen und wenig umfangreichen Chitinschilder nehmen namentlich seinen Rücken- und Bauchtheil in An- spruch. Seine Seitentheile werden dagegen fast ganz von der weichen Haut bekleidet, welche die Chitinschilder unter sich, verbindet; diese reichen weder an der Rückenseite weit herab, noch an der Bauchseite weit herauf. Es wird dadurch dem Körper jene grosse Ausdehnung ermöglicht, welche wir bald für das reife Weibchen kennen lernen. Vor allen übrigen Puliciden kennzeichnet sich sodann unsere neue Gattung durch die überaus schmalen Thoracal- segmente. Diese verschmelzen bei den Flöhen bekanntlich nie zu einem Thorax, wie es doch bei den übrigen Dipteren der Fall ist. Auch bei Rhynchopsyllus bleiben sie deut- licher getrennt und bilden nur durch ihre Gesamlntheit einen schmalen halsähnlichen Uebergang zwischen Kopf und Abdomen. Dieser Abschnitt, welchen wir als Thorax bezeichnen können, wird an Länge von dem mächtigen Kopfe mehr als um die Hälfte übertroffen und jener steht ihm auch an Höhe nicht nach.
An dem aufgedunsenen Weibchen ändern zwar diese Verhältnisse wesentlich, jedoch nie so weit, dass die allge-
76 G. Haller:
meine Gliederung so sehr gestört würde wie bei Rhyncho- prion. Dieselbe gibt sich im Gegentheil immer noch als die normale eines Puliciden zu erkennen. Vergleichen wir aber dieses Stadium — es wurde in Fig. 2 unter näm~ lieber Vergrösserung wie Fig. 1 unter der Camera lucida gezeichnet, so stossen wir auf einen so augenfälligen Unter- schied, wie wir ihn weder von Ceratopsyllus, noch von Pulex kennen. Derselbe erinnert etwas an die auffallende Körperveränderung von Rhynchoprion. Der Hinterleib schwillt nämlich durch die sich immer mehr mehrende Masse von Eiern auf's Auffälligste an und erhält schliess- lich ein Volumen, das dasjenige des normalen Weibchens fast um das Dreifache übertrifft. Gleichzeitig geht seine stark compresse Form in eine durchaus walzliche über, die dadurch, dass seine beiden Enden etwas verjüngt sind, an diejenige eines Reiskornes erinnert. Bei dieser auffallenden Gestaltsveränderung, welche eine sehr allmähliche ist, durch die grosse Weichheit des Körpers ermöglicht wird und wahrscheinlich von einer bis mehreren Häutungen unter- brochen ist, geht die Segmentirung nicht verloren, doch ändert sich das Verhalten der einzelnen Segmente unter einander. Am mächtigsten erscheinen fünf bis sechs, nur wenig stehen ihnen zwei, drei und sieben an Grösse nach, dagegen sind das erste und achte sehr klein, ja letzteres scheint sich so sehr in das Vorhergehende zu verlieren, dass nur sein Ende, mithin Geschlechtsöffnung und After hervorgucken. Die beiden vorderen Tboracalsegmente sind dieser Gestaltsveränderung nicht unterworfen und bleiben durchaus unverändert, nicht so das Dritte. Dieses dehnt sich erstlich namentlich in seinen unteren Parthien etwas nach hinten aus und erhält ferner einen kragenähnlichen flachen Chitinrand massiger Breite, welcher sich dem ge- dunsenen und weichen Hinterleib von vorne aufs Innigste anschmiegt, und wohl ganz mit ihm verwächst. Er kann etwa mit dem Rückenschilde von Ixodes verglichen werden und unterstützt die Volumsveränderung des Körpers auf ähnliche Weise wie dieser. Durch seine dunkle Färbung hebt er sich auffallend von dem gelblichen Hinterleibe ab
Rhynchopsyllns eine neue Puliciden-Gattung. 77
und gibt sich auf den ersten Blick als zu den Thoracal- segmenten gehörig zu erkennen.
Mit Ausnahme dieser Gestaltsveränderungen besitzen natürlich die Weibchen alle übrigen Merkmale gemeinsam und ich kann mich daher darauf beschränken, dieselben für eine dieser Formen — nehmen wir dafür die normale — zu beschreiben. Einiger vielleicht mehr zufälligen Ver- schiedenheiten werde ich beiläufig gedenken.
Der Kopf (vergleiche Fig. 1 — 3) ist gross, sein Vo- lumen übertrifft bei weitem dasjenige der drei Thoracal- segmente. Seine Form erweist sich, wie bereits oben er- wähnt, im Umrisse und von der Seite gesehen ungefähr als dreieckig. Die eine Spitze desselben wird durch die stark zugerundete Stirn, die zweite hintere und obere durch das etwas vorspringende zugerundete Occiput gebildet, die dritte endlich liegt fast senkrecht unter diesem und in gleicher Flucht mit den Bauchplatten. Die obere Kopf- gegend ist stark gewölbt, ebenso die seitlichen, die hintere etwas nach vorn verzogen und kaum merklich ausgerandet, die untere wagerecht abgestutzt. Die hinteren Ränder werden nebst den unteren von einer dunklen Chitinleiste umsäumt, welche in der Wangengegend jederseits einen nach oben aufsteigenden Stamm ausschickt, der sich unge- fähr in halber Höhe des Kopfes in zwei Aeste theilt, der kürzere und einfache zieht nach vorn. Der nach hinten gerichtete erscheint als Fortsetzung des unteren einfachen Stammes und bildet mit dieser eine schwach concave Linie, welcher sich die Fühler anschmiegen. Er schwillt nach oben kolbig an und scheint eine Höhlung zu umschliessen, welche nach innen durch eine elliptische oder rundliche OeflPnung mit dem Kopfinnern in Verbindung steht. Die Bedeutung dieses Gebildes kann ich nicht angeben, ich hielt dasselbe Anfangs für das Auge und es tritt auch ähnlich einem solchen in unserer Zeichnung hervor.
Die untere Seite des Kopfes ist in zwei Hälften ge- trennt, von denen die vordere über die hintere etwas vor- ragt, dicht unter der eben beschriebenen Leiste endet sie durch einen nach hinten vorstehenden Hackenfortsatz deut- lich abgesetzt von der hinteren einfachen Parthie. Die
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vordere deutlich vortretende Hälfte trägt die Mundtheile (vergleiche Fig. 3), die einen eigenthümlichen für die Gat- tung charakteristischen Bau zeigen. Zuvörderst und dicht unterhalb der Stirn fällt ein ausserordentlich langer und stark gebräunter Rüssel (Fig. 3 md) in die Augen, welcher an seinem unteren Ende etwas nach vorne gekrümmt ist. Er kommt an Länge ungefähr Kopf und Thorax gleich, es kann mithin unter den übrigen Puliciden mit ihm nur der Rüssel von Rhynchoprion verglichen werden. Auch besteht er gleich diesem nur aus den paarigen Mandibeln (Fig. 3 u. 6 md), welche die Scheide bilden und der un- paaren Oberlippe (Fig. 6 1), welche ganz im vorderen Ab- schnitte des letzteren verborgen liegt, Stechborsten fehlen. Die Oberkiefer sind zwei schmale und flache degenförmig zugespitzte Chitinstücke von der Länge des gesammten Rüssels. Ihre beiden Ränder sind von einer doppelten Reihe starker Höcker besetzt, welche ungefähr die Form kurz begrannter Getreidekörner haben (Fig. 7), welche ihre Grannen nach oben kehren, und zwar richten dieje- nigen der inneren die ihren nach innen, diejenigen der äusseren nach aussen. Es entsteht so ähnlich dem mit Widerhacken besetzten Rüssel der Ixoden ein fürchter- liches Instrument. Ist dasselbe einmal als Anker in den Körper des Wirthes eingelassen, kann es wider Willen des Parasiten nicht mehr zurückgezogen werden. In der That sahen wir denn schon oben, dass ähnlich wie bei den Zecken, der Körper meiner Rhynchopsyllen nicht anders als mit Zurücklassung des Kopfes entfernt werden konnte. Nach vorne schliesst diese Scheide die unpaare Oberlippe ein. Wenn von den Oberkiefern gesagt werden muss, dass sie stark compress sind, ist dieses in eben so hohem Maasse vom Labrum der Fall. Es tritt dasselbe daher nur zu Tage, wenn die es zwischen sich fassenden Oberkiefer entfernt oder durch Zufall abgebrochen sind (Fig. 6 Ir). Wir sehen dann dass dasselbe ebenfalls ein degenförmiges und schma- les, jedoch unpaares Stück bildet. Seine vordere Kante zeigt eine Reihe concaver Ausschnitte, zwischen denen er- habene Spitzen stehen, die durch Chitinknoten verstärkt sind. An seinen Seitenflächen treten erhabene Mittelkanten
Rhynchopsyllus eine neue Puliciden-Gattung. 79
hervor, welche man vielleicht als die mit der Oberlippe verschmolzenen Stechborsten betrachten kann. Nach hinten folgen auf diesen Rüssel die Unterkiefer (Fig. 3 m u. Fig. 8 mx). Diese sind deutlich vorhanden und zwar unter der Form starker schwarzbrauner Reisszähne; sie tragen an ihrem oberen Ende nach vorne einen rückwärts gekrümmten Jfaster (Fig. 3 pmx) von beträchtlicher Länge. Dieser besteht aus vier verschiedenen Gliedern; von diesen ist das erste bogen- förmig gekrümmt und das längste. Die zwei folgenden erweisen sich als kurz und unter sich von gleicher Länge, das vierte endlich hält die Mitte zwischen diesen und dem ersten. Der Form nach ergibt es sich als doppelt konisch, gegen das freie Ende hin als zugespitzt, gegen die Arti- culation hin aber als abgestutzt. Der ganze Taster starrt von kurzen Härchen. Als letztes Stück finden wir endlich eine deutliche Unterlippe (vergl. Fig. 8 C) vor. Sie steht an Länge nur wenig hinter den Maxillen zurück und besteht aus einem unpaaren Stücke. Dieses hat ungefähr die Form einer nach unten und wenig nach vorn vorstehenden Mulde, deren oberer Theil im Kopfe verborgen ist. Ihre Taster (Fig. 3 It u. Fig. 8 It) bestehen aus zwei deutlich getrennten Gliedern, stehen zwar an Länge bei weitem hinter den Mandibeln zurück, erhalten aber eine Grösse und Ausbil- dung, wie wir sie einzig an den Rhynchopsyllen finden dürften. Ihre beiden Glieder sind ungefähr von gleicher Länge, aber von verschiedener Form. Das erste ist einfach, stielförmig. Das zweite erweist sich dagegen nach dem Streckungsrande hin als in der Mitte verdickt, nach dem Ende hin in eine stumpfe Spitze auslaufend. Es ist vom vorhergehenden deutlich abgesetzt und scheint am Beugungs- rande gleich einer Messerklinge schneidend zugeschärft. Diese Taster werden wohl gewöhnlich eingeklappt getragen, wie wir dieses in Figur 3 sehen.
Die Bedeutung dieser Mundtheile scheint mir selbst- verständlich. Der mächtige Rüssel dringt unter sägeför- miger Bewegung der Oberlippe in den Körper des Wirthes ein und die mit rückwärts gerichteten Widerhacken be- setzten Mandibeln verankern sich in der Haut. Wie wirk- sam diese Befestigung ist, haben wir oben gesehen. Nun
80 G. Hailer:
kneipen die zangenförmig nach einwärts und gegen ein- ander gerichteten Maxillen die Haut zu einer Falte zu- sammen, nach welcher sofort ein vermehrter Blutandrang stattfindet. Die Labialtaster werden gleich einem Schlacht- messer aufgeklappt, das zweite Glied derselben dringt in die W<unde und erweitert dieselbe. Das nunmehr reichlich hervorquellende Blut wird von der muldenförmigen Unter- lippe gierig aufgeschöpft und durch den engen Oesophagus eingesogen. Am Ende desselben befindet sich, wie wir später sehen werden, ein Pumpwerkzeug, das gleichzeitig die Zermalmung der Blutkörperchen besorgt.
Am Kopfe treffen wir endlich zwei Sinnesorgane, nämlich Fühler und Augen. Erstere (Fig. 3 f u. Fig. 4) erinnern in ihrer Form durchaus an diejenigen der übrigen Puliciden. Ihrer allgemeinsten Form nach erweisen sie sich als bogenförmig gekrümmt, sie enden kolbenförmig und bestehen aus vier deutlichen Gliedern. Das erste derselben ist glockenförmig, seine Articulation schräge nach innen abgestutzt. Das zweite krümmt sich an der convexen Seite des Fühlers in weitem Bogen, um sich mit dem ersten zu verbinden, sein inneres kurzes Ende ergibt sich als in einen flachen und breit zugerundeten Fortsatz ausgezogen, der einige Borsten trägt. Das dritte Glied ergibt sich als schmal und ringförmig. Der letzte Abschnitt ist weitaus der mächtigste und scheint durch Verschmelzung einer grösseren Anzahl von Gliedern hervorgegangen zu sein. Wenigstens glaube ich muss man für den Ausdruck der- selben die acht am Ende spitz auslaufenden Platten des complicirten Sinnesapparates halten. Was das Ange anbe- langt (Fig 3 a), so ist dasselbe äusserst klein und besteht nur aus einem schwärzlichen Pigmentflecken, welchen wir ganz nach vorne fast hart über der Wurzel des Rüssels ver- legt finden.
Am ersten und letzten der drei schmalen Thoracal- segmente erkennen wir die nämlichen rudimentären Ge- bilde, wie bei den übrigen Flöhen. Am ersten treten uns dieselben unter der Form eines halbrunden Chitinplättchens (Fig. 5 fl) entgegen. In gleicher Flucht mit ihm, doch ganz am hinteren Ende seines Segmentes liegt das beträchtlichere
Rhynchopsyllus eine neue Puliciden-Gattung. 81
Rudiment des zweiten Fingelpaares Fig. fl'), welches im Ganzen noch eine flitgeli'ürmige Gestalt bewahrt hat und an Umfang dasjenige des ersten wohl um das Dreifache übertrifft. Etwas unterhalb der Linie, welche man sich durch den Ursprung beider Rudimente gezogen denken kann, liegt das stark vortretende Mittelbruststigma. Es ist das einzige des ganzen Thorax und kennzeichnet sich vor den homogenen Bildungen des Abdomens durch seine apfel- kernf()rmige Gestalt; seine Spitze ist schräg nach unten und vorn gerichtet, seine Ränder werden von starken Chitin- leisten umsäumt. Die Bauchplatten der Thoracalsegmente erfreuen sich einer gewaltigen Ausbildung und tragen nach hinten einen starken flachen gebräunten Dorn. Die mit ihnen verbundenen Füsse sind vollkommen nach dem Typus derjenigen von Pulex geformt. Ohne mir weiter daraus eine Schlussfolgerung zu gestatten, erwähne ich, dass nur die beiden normalen Weibchen sämmtliche Locomotions- organe besassen, bei den zahlreichen madenförmig aufge- triebenen Formen fehlten dieselben theilweise oder ganz.
An den ersten Hinterleibssegmenten fehlen die für die Gattung Ceratopsyllus wichtigen Hornkämme durchaus. An ihrer Stelle treffen wir auf dem ersten und zweiten Ringe eine -einfache Reihe steifer Borsten. Das achte Segment ist nach hinten einfach zugerundet und besitzt eine lange von doppelter Vulva umsäumte Geschlechtsspalte. Längs derselben steht eine doppelte Reihe starker Borsten. Dicht überhaib derselben ist das eigenthümliche sattelförmige Chitinfeld zu bemerken, das für sämmtliche Puliciden cha- rakteristisch ist. Es zerfällt dasselbe in eine vordere und eine hintere Hälfte. Auf der vorderen Hälfte erheben sich zahlreiche, dicht gedrängte Ohitinspitzen von ausserordent- licher Feinheit. Rechts und links von der Rückenkante und am Grunde jener Spitzen sehen wir eine Gruppe kreis- runder Figuren, aus deren Mitte sich je ein Chitinhaar er- hebt. Dieses ist w^ahrscheinlich als specifische Nervenen- digung zu betrachten und unterscheidet sich durch Feinheit und Farblosigkeit von den starren dicken und braunge- färbten Borsten, welche sich dicht gedrängt auf dem hin- teren Theile des Sättelchens erheben (Vergl. Fig. 12).
Archiv f. Natnrg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 6
82 G. Hall er:
Species. Trotz meiner sorgfältigsten Studien der ein- schlägigen Litteratur ist es mir nicht gelungen, auch nur die Spur eines hierher zu beziehenden Thieres ausfindig zu machen. Ich nehme desshalb an, dass die Art, welche dieser Skizze zu Grunde lag, auch die einzige hierher ge- hörende ist. Aus gänzlichem Mangel an Männchen muss ich es unterlassen dieselbe genau zu diagnosticiren. Viel- leicht ist sie auch schon durch obige Schilderung kenntlich gemacht und in diesem Falle möchte ich vorschlagen, sie ihrer Aehnlichkeit mit dem gemeinen Flohe halber Rhyn- chopsyllus pulex zii heissen. Dieselbe mag hier ferner durch Angabe einiger Grössenverhältnisse und durch Beschreibung der Farben noch näher signalisirt werden.
Die Grössenverhältnisse der von mir untersuchten dreissig madenförmigen Weibchen stimmten im Ganzen überein. Sie maassen von der Stirnspitze an bis zum hinteren Körper- ende 3 — 3,5 mm, die Höhe des Hinterleibes 1,2 bis 1,5, die Länge dieses letzteren allein 2,5 bis 3 mm. Begreiflicher Weise ändern diese Verhältnisse für die Weibchen im nor- malen Zustande wesentlich. Ihre Länge betrug etwa 1,3 bei einer grössten Höhe von 0,6. Zur Vergleichung und Beurtheilung der Länge des Rüssels führe ich noch an, dass diese 0,6 bis 0,7 beträgt.
Was die Färbung anbelangt, so geht dieselbe schon aus meiner Farbenskizze hervor. Sie ist für Kopf, Thorax- segmente und Mundtheile, soweit letztere stark chitinisirt sind, ein dunkles Braun, das sich namentlich an den Unter; kiefern fast bis zu Schwarz steigert. Die weniger chitini- sirten Mundtheile verrathen sich durch eine mehr oder we- niger hellgelbliche Färbung. Bräunlichgelb erscheinen end- lich der Hinterleib im nüchternen Zustande und die Loco- motionsorgane.
Was das Vaterland der Species anbelangt, so stammt dieselbe wie bereits oben erwähnt aus Brasilien. Sie wurde in grosser Anzahl namentlich in der Ohrgegend und am Hinterhaupte eines Molossus gesammelt.
Anatomisches. Es liegt nicht in meiner Absicht, die vollständige Anatomie von Rhynchopsyllus zu geben, die doch nur eine Wiederholung desjenigen wäre, was wir für
Khyncliopsylliis eine neue Puliciden-Gattung. 83
Pnlex Tind Verwandte keimen. leb beschränke micb auf die Andeutung- einiger wenigen Verbältnisse, welche mir für die Kenntniss der Gattung interessant scheinen und die man bei Anfertigung der Präparate so nebenbei erfährt.
Der Verdauungstractus entspricht durchaus demjenigen der Uhrigen Puliciden mit Ausnahme von Rhynchoprion, welcher einen eigenen Stempel zu tragen scheint. Die Speiser()hre ist sehr eng, lang und in der Mitte winklig nach oben gebogen. Auf sie folgt eine kleine halbkugelige Blase (Fig. 10), welche als kropfähnliche Ausstülpung des Magens 7a\ betrachten ist. Sie besteht aus zwei Schichten einer inneren chitinösen ohne Epithelialbelag und einer äusseren stark muskulösen. Diese letztere wird von zahl- reichen dicht gedrängten Ringfaserbündeln zusammenge- setzt. An der inneren Chitinwandung nehmen wir eine deutliche Streifung wahr, die von allen Seiten nach dem Mageneingange hin strebt. Isoliren wir diesen Kropf und setzen wir ihn starkem Drucke aus, so gelingt es zu zeigen, dass diese Streifen ebenso vielen Reihen kleiner acht- eckiger und gezackter Chitinplättchen (Fig. 11) entsprechen. Diese stehen senkrecht nach innen und nehmen von der Peripherie nach dem Mittelpunkte hin an Grösse zu. Wir haben also hier den Zerkleinerungsapparat der kauenden Insekten, die kropfähnliche Magenaussackung vereinigt mit dem blasigen Saugapparat der Dipteren. Dieser Abschnitt dient mithin gleichzeitig zum Einsaugen des Blutes und zur Verkleinerung der Blutkörperchen und zufällig mitgerissener Fleischtheilchen. Es folgt sodann ein weiter Chylusmagen und ein kurzer Enddarm.
Einer eigenartigen Ausbildung erfreut sich das Tra- chealsystem (vergl. Fig. 9. 12. 13). Des Mesothoracal- stigma's ist schon weiter oben gedacht worden. Die Oeff- nungen des Tracheensystemes am Abdomen haben wir bereits im normalen Zustande sehr weit nach oben zu suchen, am madenförmigen Weibchen (vergl. Fig. 2) liegen sie nun vollends ganz an der Rückenfläche. Es sind ihrer wie bekannt ursprünglich eben so viele angelegt, wie Meta- meren vorkommen, mithin, acht. Am ausgebildeten Thiere zählen wir aber nur sieben Stigmen, dasjenige des achten
84 G. Ha Her:
Ringes fehlt gänzlich. Die sieben vorhandenen Abdomi- nalstigmen haben eine Form, welche einiger Maassen an diejenigen der Mittelbrust erinnert, nur erscheinen sie viel breiter. Doch werden sie im Gegensatze zu jenen nur von einer sehr dünnen mitunter lückenhaft unterbrochenen Chitin- leiste umrahmt. Endlich unterscheiden sie sich von den Thoracalstigmen durch die eigenthümliche Verschlussvor- richtung, welche ich an diesen nicht beobachtete. Auf den ersten Blick scheint es nämlich, als ob die Luftlöcher des Hinterleibes durch eine, feine Membran gänzlich geschlossen würden. Mit sehr starker Vergrösserung erkennt man aber, dass diese Haut durch einen gebogenen und kaum wahr- nehmbaren Spalt in zwei symmetrische Hälften getheilt wird (vergl. Fig. 9). Gleichzeitig sieht man nach oben von demselben zwei, nach unten einen einzigen stark licht- brechenden Chitinpunkt von hellgelblicher Färbung. Diese Verdickungen geben sich bald als die Endpunkte ebenso vieler feiner stäbchenförmiger Muskeln zu erkennen, weiche von schräg unten und aussen nach oben und innen ziehen, um sich an der Membran festzusetzen. Sie dienen offen- bar dazu, die feine Verstopfungshaut zurück zu ziehen, damit durch Vergrösserung des Spaltes die einzuathmende Luft freien Zutritt zu den Tracheen hat. Nach Erschlaffung der Muskeln verschliesst die Membran in Folge ihrer eigenen Elastizität die Oeffnuug wieder. Durch die verschlossenen Stigmen hindurch scheinen die Anfangsstämme der Tra- cheen, deren Lumen ein verhältnissmässig kleineres, wie dasjenige der ersteren ist.
Der Anfang sämmtlicher Tracheen ist ein doppelter und zwar wiederholen sich die entsprechenden Theile mit geringen Abweichungen succcssiv (vergl. Fig. 12 u. 13). Es folgt dem Stigma zuerst ein kurzer Anfangsstamm, der sich von der nachfolgenden Wiederholung durch wenig be- deutendere Weite und durch die schwächere Chitin isirung des Spiralfadens auszeichnet, welchen ich in einigen Fällen fast ganz habe verschwinden sehen. Nach kurzem Verlaufe verengert sich der Stamm plötzlich, um einem zweiten Platz zu machen. Es findet sich an dieser Stelle ein zweites inneres und unvollkommenes Stigma, wenn wir es so heissen
Rhynchopsyllus eine neue Puliciden-Gattuiig. 85
dürfcD. Als solches betrachte ich einen halben Chitinreif, welcher dieser Verengerung des Tracheensystemes zur An- heftung dient. Der zweite und wohl eigentliche Anfangs- stanim beginnt stark zugespitzt. Er zeigt sodann einen vorderen deutlich abgeschnürten, köpfchenförmigen An- fangstheil, dessen grösstes Lumen aber ganz das nämliche ist wie dasjenige der nachfolgenden Stämme. Durch die starke Chitinisirung des Spiralfadens oder besser durch die dadurch hervorgerufene bedeutende Lichtbrechung des letz- teren hebt sicli dieser zweite Anfangsstamm gleich dem übrigen Tracheensystem auffallend von dem vorerwähnten ab. Nach kurzem Verlaufe erfolgt der Eintritt des senk- rechten Stammes in den Längsstamm, jener tritt aber so- fort wieder aus um nach kurzem Verlaufe in eine Wieder- holung des Längsstammes einzumünden. Diese unterscheidet sich von jenem, dass sie je zwischen zwei senkrechten Stämmen nach unten winklig gebogen ist. Nun erst treten die sich verzweigenden Tracheenstämme auf und zwar nimmt ein jeder seinen Ursprung an der winklig gebo- genen Stelle, nicht etwa gegenüber einer jener senkrechten Anastomosen. Da die senkrechten Anfangsstämme jeweilen den vorderen Einkerbungen der Segmente entsprechen, so entstehen vom ersten bis zum siebenten Segmente eine Reihe fünfeckiger Figuren von der Breite der Segmente (vergl. Fig. 13), deren Seiten von den verschiedenen Tra- cheenstämmen umrahmt werden (Fig. 13). Diese Regel- mässigkeit wird nur von den Tracheen des achten Ringes unterbrochen und erstrecken sich von da auf den siebenten. Wie bereits erwähnt fehlt das Stigma des achten Rings unseren Thieren durchaus, die Tracheen enden daher blind und erleiden wohl in Folge dessen eine bedeutende Modifikation. Sie schwellen nämlich zu einer beträchtlichen Blase an, deren Volumen noch durch verschiedene Aus- stülpungen, nämlich eine mächtige hintere und zwei klei- nere vordere vergrössert wird (vergl. Fig. 12). Die Ver- hältnisse der beiden Anfangsstämme verhalten sich ähnlich wie die der vorhergehenden Ringe, wesshalb man für das oben Gesagte unsere Figur zu Rathe ziehen möge. Ein geringer Unterschied findet darin statt, dass sie statt senk-
86 G. Ha 11 er:
recht nach unten, schräg nach unten und vorne ziehen. Sie treffen auf den ersten Längsstamm etwas vor der letzten Einkerbung, von da an zieht der letzte einfache senkrechte Stamm als Fortsetzung der beiden vorhergehenden wieder schräg nach vorne, um sich mit dem homonymen Theile des vorletzten Ringes zu vereinigen. Ein zweiter Längs- stamm fehlt und der sich verzweigende Tracheenbaum des siebenten. Abdominalsegmentes erscheint daher als directe Fortsetzung des senkrechten des nämlichen Abschnittes. Noch ist eines kleineren Tracheenbaumes zu gedenken, welcher sich gegenüber dem Ende des oberen Längsstammes schräg nach hinten und unten abzweigt und wohl als dessen Fortsetzung anzusehen ist.
Der Nutzen der Modifikation des achten Segmentes ist leicht einzusehen. Wie wir oben erkannten ist bei den madenförmigen Weibchen dieser Abschnitt fast gänzlich in den vorletzten zurückgezogen. Ein Stigma wäre daher- tiberflüssig. Ein Luftreservoir leistet hier bessere Dienste, es wird dasselbe von den übrigen Tracheen ausgefüllt und versorgt seinen eigenen Ring mit dem nöthigen Bedarfe.
Wie schon oben gesagt wurde, fällt das Anschwellen des Hinterleibes der Weibchen mit der Periode zusammen, wo die Eiablage beginnt. Wir sehen dem entsprechend denn auch jederseits zwei mächtige Eierschläuche durch die Körperwandungen hindurch scheinen. Sie sind zu mehrfachen Windungen zusammengeknäuelt, und diese legen sich in aufsteigender Reihenfolge über einander. Es enthält somit die unterste Windung die reifen Eier. Die Zahl dieser letzteren ist eine beträchtlich grössere, wie je- mals bei Ceratopsyllus oder Pulex. Ich zähle derselben durchschnittlich ca. 20 in einem Weibchen. Rechnet man dazu, dass den abgegangenen immer neue nachfolgen, so ist die Zahl der Eier, welche eine Mutter ablegen kann, eine recht beträchtliche.
Rhynchopsyllus eine neue Puliciden-Gatung. 87
Erklärung: der Abbildungen auf Tafel VI.
Fig. 1. Normales Weibchen als Farbenskizze, zugleich zur Ver-
gleichung mit uachfolgeuder Form unter der nämlichen
Vergrösserung wie diese gezeichnet. ,, 2. Das einer Termitenkönigin ähnliche Weibchen unter Oc. 3
Syst. 1. „ 3. Kopf und Thorax von Rhynchopsyllus unter Oc. 3 Syst. 4. 1. 2. 3. Die Thoracalsegmente mit 1' 2' 3' den Extremitäten.
a. Auge,
f. Fühler,
1. Labium,
lt. Labialtaster,
md. Mandibeln,
mx. Maxillen,
pmx. Palpus maxillaris. 4. Fühler. „ 5. Die Anhänge der Thoracalsegmente.
fl. Flügelrudiment des ersten, . *
fl'. des dritten Ringes,
s. Mittelbruststigma. „ 6. Der lange Rüssel. Oc. 3 Syst. 6.
md. Mandibeln nahe dem Ursprünge abgebrochen. Ir. Ober- lippe. „ 7. die randständigen Höcker der Oberkiefer Oc. 4 Syst. 7. „ 8, Labium 1, Labialtaster (aufgeklappt) It und reisszahnförmige
Maxillen mx. Oc. 3. Syst. 6. ,, 9. Ein Hinterleibsstigma. Oc. 4 Syst. 7. „ 10. Kroj)fähnlicher Anfangstheil des Magens. ,, 11. Dessen Chitinzähne. Oc, 4 Syst. 7.
„ 12. Anfangsblase des Tracheensystemes ded achten Abdominal- segmentes Oc. 3 Syst. 7 ; in verkehrter Stellung gezeichnet. „ 13. Tracheensystem des vierten bis achten Abdominalsegmentes. Die Zeichnungen wurden nach in Canadabalsam eingeschlos- senen Präparaten unter Anwendung einer Camera lucida von Nachet gezeichnet. Die Angaben der Combinationen beziehen sich auf ein kleines Hartnack'sches Instrument.
lieber Echiureii und EeWnodermeu
von
Dr. Richard Greeff,
Professor in Marburg.
Aus den Sitzungsberichten der Gesellschaft zur Beförderung der gesammten Naturwisssenschaften zu Marburg.
(Sitzung vom 9. Mai 1879 Nr. 4 S. 41.)
I.
lieber den Bau der Echiuren.
Dritte Mittheilung i).
Thalassema Moebii nov. spec. — Die Analschläuche der Echiuren sind Kiemen, analog den »Wasser- lungen« der Holothurien.
Bei meiner Anwesenheit in Kiel im vorigen Herbste hatte Herr Professor Möbius die Güte mir eine von ihm auf Mauritius aufgefundene Echiure in einigen Exemplaren nebst den von ihm an Ort und Stelle darüber gemachten Notizen und Zeichnungen, zur genaueren Untersuchung zu übergeben. Wie die bald darauf hier jn Marburg vorge- nommene Zergliederung der interessanten Thicrform, die ich Thalassema Moebii genannt und in meiner dem- nächst erscheinenden Monographie der Echiuren genauer beschrieben habe, ergab, trugen die beiden sehr langen in den Enddarm mündenden braunen Schläuche keine Spur
1) 1. Mittheilung, Sitzungsberichte d. Ges. z. iJeförd. d. ges. Naturw. zu Marburg 1874, 25. Febr. Nr. 2. — 2. Mittheilung, Eben- da 1877, 4. Mai, Nro. 4 und dieses Archiv 1877 S. 343.
Ricliaid Grceff: 89
V 0 11 W i m p e r t r i c li t e r 11 , soii derii waren zu meiner Ueber- rasebung gegen die Leibes böble bin allseitig ge- scblossen. So genau icli aucb die Aussenfläcben dieser Organe und Durcbsebuitte derselben untcrsucbte, nirgendwo vermocbte ich Trichter oder grössere Oeffnungen zu finden. Dieses veranlasste mich, als ich später wieder in den Be- sitz geeigneten Materiales gelangte, noch einmal die mit äusseren Wimpertrichtern reichlich versehenen braunen Schläuche des Echiurus Pallasii einer erneueten Prüfung zu unterwerfen, deren Resultat, wie ich glaube, den Bau und die Bedeutung dieser bisher räthselhaften Schläuche, die bald für Respirations- und Excretions-Organe, bald für Secretions- Organe, Segmentalorgane etc. gehalten wurden, für die aber in jedem Falle von den meisten Beobachtern eine durch die Trichter vermittelte Verbindung zwischen Leibes- und Schlauch-Höhle angenommen wurde, vollständig- aufgeklärt hat. Ich injicirte zunächst die fraglichen Schläuche von ihrer Einmündung in den After aus mit farbiger Flüssig- keit und fand, wenn die Injection vollkommen gelungen und der Schlauch nicht eingerissen war, dass keiner der die äussere Fläche des Schlauches sehr zahlreich be- deckenden Wim pertrichter und der von ihnen nach innen ausgehenden Kanäle auch nur eine Spur von Farbstoff enthielt. Auf feinen Querschnitten durch diese injicirten Schläuche bot sich nun ein sehr über- raschendes Bild. Der Farbstoff erfüllte die zahllosen spalt- förmigen Zwischenräume die von den, von der inneren Wandung des Schlauches in seine Höhlung vorsprin- genden, Leisten und Wülsten gebildet werden, bis in die feinsten nahe an die Oberfläche des Schlauches vordringenden Gänge. Niemals communicirten diese injicirten Gänge mit den Wimpertrichtern, noch traten sie sonst durch die Schlauchwandung nach aussen. Ebenso wenig war in die das innere Kanalsystem bildenden Zwischenräume resp. Leisten und Wülste selbst Farbstoff eingedrungen. Dieselben zeigten aber eigenthüm- liche helle oder bräunlich gefärbte Streifen und Körner- Haufen, die aus der blauen Injectionsmasse sehr deutlich hervortraten, und -die ich schon früher gesehen und
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für ExcretioDSstoffe gehalten hatte. Ich fasste nun die wohl erhaltenen äusseren Wimpertrichter ins Auge und konnte auch hier constatiren, dass der von jedem derselben nach innen tretende Kanal keineswegs, wie ich früher glaubte, in die Schlauchhöhle mündete, sondern in die erwähnten Gänge und Streifen der Leisten oder in eine nach innen vorspringende grössere Blase üb erging. Kurz ich fand ein zweites die Schlauch- wandung und die von ihr nach innen vorspringenden Leisten und Wülste durchlaufendes Kanalsystem, das mit den Wassertrichtern communicirt, aber gegen das erste in die Schlauchhöhle sich öffnende Kanal- system bei innigster und allseitigster Berührung mit dem- selben vollständig abgeschlossen ist. Weitere Untersu- chungen, namentlich nach Injectionen von Farbstoff in die Leibeshöhle der lebenden Thiere, gaben Be- stätigung und genauere Resultate über die Anordnung und Ausdehnung des erwähnten Kanalsystems. Zu bemerken ist noch, dass die in den Schlauchwandungen streifen- und haufenweise vorkommenden gelben und braunen Körper mit den nach meinen früheren Mi ttheilungen i) in der Leibeshöhle vorkommenden Blutkörperchen eine grosse Uebereinstimmung zeigen. Ich habe früher, ebenfalls auf Grund von Injectionen mit nachfolgenden Durchschnitten, nachgewiesen, dass das Blutgefässsystem auf der Spitze des Rüssels mit der Leibeshöhle communicire, indem die Rüsselarterie hier in zwei an den Rändern des Rüssels nach hinten ver- laufende Kanalsysteme übergehe, eins dem Blut- gefässsystem angehörig und in den Bauchgefäss- stamm mündend, das andere von der in den Rüssel in sinuöscn Kanälen sich fortsetzenden Leibes- höhle gebildet 2). Durch diese Leibeshöhlenkanäle des Rüssels wird, wie durch günstige Injectionen von der Rüssel- arterie aus nachgewiesen werden kann, ein Theil des Blutes
1) 2. Mittheilung S. 72.
2) ibid. S. 71.
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der Riisselarterie direkt in die Leibesliöhle geführt. Ausser- dem habe ich, im Zusammenhang hiermit, das bereits oben erwähnte massenhafte Vorkommen von Bhitkcirperchen in der Leibeshöhle nachgewiesen.
Die Bedeutung der beiden Analschläuche der Echiuren kann hiernach ferner nicht zweifelhaft sein: es sind Re- spiration so rgane in vollem Sinne des Wortes, Kiemen und wahrscheinlich nichts als diese. Hierdurch tritt aber von Neuem eine sehr bemerkenswerthe Ueberein- stimmung dieser Organe mit den sogenannten Wasser- lungen oder Kiemen der Holothurien hervor. Auch die Leibeshöhle der Holothurien, und der Echino- dermen überhaupt, ist mit Ernährungsflüssig- keit, mit Blut, erfüllt, den bei den Holothurien, wie bei den Echiuren, die beiden in die Leibeshöhle hineinra- genden und in die Kloake mündenden Schläuche als Kiemen dienen. Für die Seesterne habe ich schon in früherer Zeit die Circulation des Blutes in der Leibeshöhle nachgewiesen ^). Hier sind zwar Homologa der Analkiemen der Holothurien vorhanden, aber verkümmert oder kommen, wo ein After fehlt, nicht zur Funktion. An ihre Stelle treten die nach Aussen über die Haut durch die „Tenta- kelporen^' ampullenartig hervorragenden schwellbaren Bläs- chen, die sogenannten „Hautkiemen". Ausserdem dient bei den Echinodermen das mit der Aussenwelt in Verbindung stehende und von ihr Seewasser aufnehmende Wasserge- fässsystem mit seinen in die Leibeshöhle gerichteten blasen- förmigen Anhängen, den Poli'schen Blasen und Ampullen der Ambulacra etc., dem Leibeshöhlenblute zur Respiration.
Die Geschlechtsorgane der Echiuren.
ThalassemaMoebii trägt hinter den vorderen Haken- borsten drei Paare von Geschlechtsschläuchen, in der Lage und Form den zwei Paaren von Echiurus Pallasii entsprechend. In den von mir untersuchten Exemplaren
1) üeber den Bau der Echinodermen 1. Mitth., Sitzungsbe- richte, etc., Nov. 1871 Nr. 8- (3. lieber d.Blutgefässsyst. u. d. Athmuugs- erg. d. Seesterne).
92 Ueber Echiuren und Echinodermen.
waren die Schläuche entweder alle mit reifen Eiern oder mit Saamenmassen erfüllt. Von der Basis eines jeden Geschlechtsschlauches ragt, alsbald erkennbar, ein Paar mit der Schlauchhöhle communicirender und in halb- kanalartige, gekräuselte Spiralfalten ausgezogener Tuben in die Leibeshöhle hinein, offenbar dazu bestimmt, die Ge- schlechtsprodukte aus dieser aufzunehmen und in den Schlauch zu führen. Eine weitere Untersuchung bestätigte die hiernach nahe liegende Vermuthung, dass, ähulich wie bei Bonellia, die eigentlichen Geschlechtsdrüsen auf dem hinteren Theil des Bauchstranges sich befinden. Dasselbe scheint bei Thalassema gigas der Fall zu sein, wie mir Herr Dr. Graeffe in Triest im Februar dieses Jahres mittheilte. Er schrieb: „Thalassema gigas scheint keine wahre Thalas- sema, sondern eine Bonellia zu sein. Sie hat nur 1—2 Bauchdrüsen, Segmentalorgane mit Eiern stets gefüllt. Männliche Organe noch nicht beobachtet, vielleicht zwerg- hafte Männchen oder ebenso grosse Männchen, die ich aber noch nie bekommen konnte". Früher hatte schon Sempera) an Thalassema von den Philippinen die vor- deren Genitalschläuche als Eier- und Saamen- Taschen ge- deutet und an ihnen Trichter beobachtet, durch welche die an einer anderen Stelle entstehenden und in die Leibes- höhle übertretenden Geschlechtsprodukte aufgenommen wur- den. Mittlerweile hat auch Spengel-), wie ich aus einem kürzlich erhaltenen Separatabdruck ersehe, an von Herrn Dr. Graeffe an ihn übersandten Exemplaren von Thalas- sema gigas die Keimdrüse auf dem hinteren Theil des Bauchstranges gefunden. Ebenso bei Echiurus, an deren vorderen Geschlechtsschläuchen er auch trichterförmige Or- gane fand, in „der gleichen Form und Lage wie bei Bo- nellia". Ich hatte früher vergeblich bei Echiurus Pallasii nach einer dem Ovarium der Bonellia entsprechenden Ge- schlechtsdrüse auf dem hinteren Theil des Bauchstranges
1) Zeitschr. f. wiss. Zoolog. XIV. Jahrg. 1864' S. 419.
2) Beiträre zur Kenntuiss der Gephyreen, die Eibildung, die Entwickelimg und das Männchen der Bonellia, Mitth. aus d. zool. Stat. zu Neapel I. Bd. S. 358.
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gesucht und auch die Tuben der Geschlechtschliiuche tiber- sehen. Nachdem ich beides bei Thalassema Moebii con- statirt hatte, unterzog ich, als mir wieder im Laufe des Winters geeignetes Untersuchungsmaterial zu Gebot stand, diese Echiure auch hierin einer erneucten Prüfung und fand nun ganz an der Basis der Geschlechtsschläuche eine kleine an die Leibesvvand angeheftete gekräuselte Falte, die in die Höhlung des Schlauches führte. An Durch- schnitten durch das hintere Körperende der trächtigen Weib- chen erkannte ich nun auch das auf dem Bauchstrang liegende Ovarium, das aber selbst bei den Individuen, bei welchen die Geschlechtsschläuche mit reifen Eiern strotzend erfüllt waren, aus einer Bauchfellfalte mit sehr kleinen und desshalb, namentlich im Hinblik auf das Ovarium der Bo- nellia und Thalassema Moebii, leicht zu übersehenden Ei- zellen besteht. Dieselben scheinen sich in dieser primitiven Form zu lösen und erst in der Leibeshöhle zu reifen.
Hiernach ist, wie auch Spengel hervorhebt, eine völlige Uebereinstimmung in der Lage und dem Bau der Geschlechtsorgane bei allen Echiuren sehr wahrscheinlich, indem bei allen die eigentliche Keimdrüse, ähnlich wie das von Lacaze-Duthiers entdeckte Ovarium der Bo- nellia, auf dem hinteren Theil des Bauchstranges sich befindet, während die vorderen hinter den beiden Hack^nborsten liegenden mit den Geschlechtsprodukten er- füllten Schläuche blosse Ei- und Saamen- Taschen und -Leiter nach aussen sind, die somit in der That als die wahren Segmentalorgane anzusehen sind, während, wie oben ausgeführt, die beiden hinteren Analschläuche als homolog und analog den Kiemen der Hoiothurien gelten können.
Ob der merkwürdige nach den neueren Untersuchungen von Vejdovsky und Marion zweifellose Dimorphismus der Bonellia auch noch bei anderen Echiuren, wie vielleicht nach den Mittheilungen von Herrn Dr. Graeffe bei Tha- lassema gigas, sich findet, müssen weitere Beobachtungen entscheiden. Bei Echiurus Pallasii, Thalassema Baronii und Thalassema Moebii sind sicher beide Geschlechter gleich in Grösse, äusserer Form und Organisation.
94 Ueber Echiuren und Echinodermen.
II.
lieber den Bau und die Entwickelung der Echinodermen.
Sechste Mittheihing ^).
Eütwickelung von Asterias (Asteracanthion)
rubens^).
1. Umbildung des Keimflecks.
Nachdem das den Ovarien entnommene reife, unbe- fruchtete Ei von Asterias rubens in frisches Seewasser ge- bracht worden ist, beginnt, in der Eegel schon nach Ab- lauf von 5 — 10 Minuten, die von Ed. van Beneden und mir früher beschriebene sehr charakteristische Umbildung des Keimflecks ^). Der Keimfleck wird granulös. Zu- erst treten einzelne sehr kleine, glänzende Granula in der homogenen Keimflecksubstanz, namentlich an der Peripherie und in der Umgebung der meist im Centrum gelegenen, aus der Verschmelzung kleinerer Vacuolen entstandenen, grösseren Vacuole. Die Granula mehren sich sehr rasch, überall sieht man kleine glänzende Knöpfchen aufspringen und nach weiteren 5—10 Minuten, zuweilen früher, zuweilen später, hat der Keimfleck ein völlig granulöses An- sehen gewonnen. Er gleicht nun der Form nach einer sehr kleinen Maulbeere.
Alsbald aber beginnt eine neue sehr merkwürdige Veränderung. Die kleinen Granula des Keimflecks vergrössern sich wieder zusehends, indem die benachbarten überall mit einander verschmelzen. Dieser Prozess ist anfangs ein so stürmischer, dass man
1) Erste Mittheilung: Sitzungsberichte etc. Nov. 1871 Nro. 8. _ Zweite Mittheilung: dieselben Juli 1872 Nro. G. — Dritte Mit- theilung: dieselben Nov. und Dez. (5. Dez.) 1872 Nro. 11. — Vierte Mittheilung: dieselben Januar 1876 Nro. 1. — Fünfte Mittheilung: dieselben Mai 1876 Nro. 5. —
2) Die hier mitgetheilten Resultate über die Entwickelung von Asterias rubens sind schon in der Sitzung vom 21. Juni 1878 vor- getragen worden (Sitzungsbericht Nro. 3 Nov. 1878).
3) Fünfte Mitth. S. 85.
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die Wiedervereinigung, das rasche Ineinander-Ueberspringcn der kleinen durcheinander wandernden Sarkode-Tröpfchen nur mit Mühe verfolgen kann. Allmählich aber, und in dem Verhältniss wie die Körner grösser werden, erfolgt die Ver- einigung langsamer und nun kann man aufs Deutlichste und Schritt für Schritt beobachten^ wie zwei sich begeg- nende Körner sich aneinanderlegen und unter Brücken- bildung in einander fliessen. Das Resultat dieses Verschmelzungsprozesses ist zunächst die Zurückführung der anfangs den Keimfleck bildenden sehr zahlreichen feinen und zusammenhängenden Granula auf einige wenige grös- sere Sarkode-Körper, die, unter sich ungleich, oft ohne äusseren Zusammenhang, in dem Keimbläschen liegen oder nur zum Theil zu einem unregelmässigen Haufen vereinigt sind. Sicher aber sind diese Körper, die auf diesem Sta- dium der Entwickelung regelmässig im Ei von Asterias rubens auftreten, Theile des in obiger Weise umge- bildeten Keimflecks.
2. Keimbläschen, Riclitnngskörperchen.
Erst nachdem die Verschmelzung der Granula des Keimflecks schon ziemlich weit vorgeschritten ist, beginnt das Keimbläschen zu schrumpfen, indem die Dotter- substanz gegen die Peripherie desselben andringt. Die Conturen werden unregelmäsig, es bilden sich Einbuch- tungen und Zacken und zu gleicher Zeit bemerkt man deut- lich eine Lage-Veränderung. Das schon ursprünglich excen- trisch liegende Keimbläschen wird auf dem kürzesten Wege durch den Dotter nach der Ei-Peripherie gedrängt. Man sieht dieses sowohl in der Seitenlage, als wenn dasselbe nach oben gerichtet ist. In letzterem Falle erscheint eine helle körnchenfreie Stelle an der Ei-Oberfläche, umgaben von sehr feinen Körnchen, die bald rundum eine strahlige Anordnung annehmen. Die helle Stelle rückt immer mehr nach oben, wölbt sich schliesslich über die Ei- Oberfläche hervor und wird als erstes Richtungskörperchen her- vor gestossen. Unter diesem sieht man aber noch einen, zweifellos dem Keimbläschen entstammenden, un- regelmässigen, hellen Hof und in ihm bald mehr,
9G lieber Echiuren und Echinodermen.
bald weniger deutlich die oben beschriebenen Reste des Keimflecks.
In gleicher Weise wie das erste wird bald darauf ein zweites Richtnngskörperchen an derselben Stelle her- vorgewölbt und abgeschnürt. Aber auch jetzt erkennt man unterhalb der beiden dicht bei einander liegenden Kichtungs- kürper noch deutlich im Dotter den un regelmässigen nun noch kleineren hellen Hof, den Rest des Keim- bläschens und in diesem einige wenige sehr blasse und zarte Körper eben. Sind diese aus der oben be- schriebenen Umbildung des Keimflecks hervorgegangene Reste? Die Beobachtung wird hier sehr schwierig, aber einigemale glaube ich mit Sicherheit die dem Keim- fleck entstammenden Körperchen bis nach der Aus- stossung der beiden Richtungskörperchen verfolgt zu haben.
Das helle Feld des Keimbläschenrestes zieht sich nun immer mehr zusammen und von der Peripherie zurück, so dass es kaum noch mit dem Auge kann festgehalten wer- den. Bald darauf erscheint an derselben Stelle ein heller runder Fleck, um den die Dottersubstanz nach allen Seiten strahlenförmig sich anordnet. Die Strahlen verlängern sich und in dem hellen Fleck, dem Centrum der im Ei aufgehenden neuen Sonne, sieht man ein paar zarte, blasse kernartige Körper, voll- kommen ähnlich den aus dem Zerfall des Keimflecks übrig gebliebenen. Neben dieser ersten erscheint dann, häufig, aber nicht immer, entweder gleichzeitig oder bald nachher noch eine zweite ähnliche Strahlenfigur, aber in der Regel mit einem kleineren hellen Centrum und nur einem kernartigen Körper. Diese beiden Strahlen figuren nähern sich, wie ich wiederholt Schritt für Schritt verfolgt habe, langsam, treffen aufeinander, um sich schliesslich zu vereinigen. Die zwei oder drei kernartigen Körper der einen grösseren Figur verschmelzen während oder vor dieser Vereinigung ebenfalls zu einem Körper und mit diesem verbindet sich dann auch zuletzt das helle Körperchen der kleinen Figur. So entsteht aus den beiden Strahlenflguren eine einzige,
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die nun allmählich mit immer mehr sich ausdeh- nenden Strahlen in das Centrum des Eies rückt. Dann lässt die Strahlung allmählich nach, indem 7A\ gleicher Zeit das helle Centrum sich etwas erweitert. Diese ganze Verschmelzung nach Ausstossung der Richtungskör- perchen erinnert auffallend an die Vorgänge bei der Ver- einigung des „Eikerns" mit dem „Spermakern'', wie wir sie durch die ausgezeichneten Beobachtungen von 0. Her tw ig, Fol u. A. kennen gelernt haben. Doch bemerke ich aus- drücklich, dass ich die oben dargelegte Entwickelung an den, meiner Meinung nach, sicher unbefruchteten Eiern verfolgt habe. Ich habe, wie ich in Rücksicht hierauf und meine früheren Mittheilungen über die parthe- nogenetische Entwickelung von Atserias rubens gleich hier hervorheben will, 1 — 2 Tage lang vorher isolirt gehaltenen Seesternen die mit reifen aber intakten (d. h. mit unver- änderten Keimbläschen und Keimfleck) Eiern strotzend er- füllten Ovarien ausgeschnitten, diese letzteren hinterein- ander in drei oder vier bereitstehende Gefässe mit reinem Seewasser sorgfältig abgespült und dann erst in einem fünften oder nach nochmaliger Abspülung in einem sechsten Gefäss die Eier entleert. Trotzdem erfolgte die oben be- schriebene Entwickelung im Ei und später die Furch ung und Larvenbilduug aber, wie ich schon früher betont habe, meistens sehr spät; die erste Furchung trat in der Regel erst am folgenden Tage ein. Die einzige Möglichkeit einer Täuschungsquelle liegt hiernach noch, wie mir scheint, darin, dass jedesmal vorher, d. h. ehe die Seesterne in meine Hände gelangt waren, mit dem Seewasser Sperma in die Ovarien oder in die Leibeshöhle eingedrungen aber nicht zur Aktion gekommen war, sondern erst in dem reinen Seewasser, vielleicht durch dasselbe und nach der in diesem durch Umbildung des Keimflecks und Keimbläschens vollendeten Reife der Eier, befruchtungsfähig geworden war.
Der Prozess der Ausstossung der Richtungskörperchen, den wir so eben bei der Lage des Keimbläschens noch oben verfolgt haben, kann bei der Seitenlage derselben in ge- wisser Hinsicht noch deutlicher beobachtet werden und bietet auch zum Theil andere Erscheinungen. Wenn das
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 7
98 Ueber Echiuren und Echinodermen.
Keimbläschen schon zu einem kleinen unregelmässigen Feld geschrumpft ist, erscheint mehr oder minder deutlich der „Amphiaster'^ Der eine Pol desselben wird der Peri- pherie zugedrängt und als erstes Richtungskörperchen her- vorgewölbt und ausgestossen. Hierbei wird denn auch zu- weilen die „Richtungsspindel", namentlich in dem sich hervorwölbenden Richtungskörper wahrnehmbar. Nach Aus- stossung des zweiten Richtungskörperchen folgen dann ähn- liche Erscheinungen, wie wir sie oben berührt haben und die zur Bildung des centralen grösseren Kernes führen. Es würde dieser centrale Kern, da derselbe nach meiner An- nahme ohne Befruchtung im Ei entstanden ist, in seiner Bedeutung dem ,,Eikern" 0. Hertwigs (weiblicher Vorkern E. van Beneden' s) entsprechen. Aber ich habe, wie schon oben hervorgehoben, an denselben Eiern die Furchung und Weiterentwickelung bis zur Larvenbildung erfolgen sehen. Es bleibt somit in Rücksicht hierauf resp. der unter diesen Umständen angenommenen parthenogenetischen Entwicklung noch eine weitere Aufklärung übrig, zumal ich an den künst- lich befruchteten Eiern zum Theil andere Erscheinungen habe auftreten sehen.
3. Entstehnng des Mesoderins aus dem Ectoderm und Entoderm. Bildung des Kalksceletes aus dem Mcsoderm.
Ich habe bereits nach meinen früheren Beobachtungen mitgetheilt, dass die Lösung der Mesoderm-Zellen bei As- terias rubens von dem inneren Umfang des Ecto- derms vor der ersten Einstülpung, also vor der Bildung des Entoderms beginnt. Diese Beobachtung habe ich in den letzten Jahren wiederholen und zu gleicher Zeit dahin erweitern können, dass die Mesodermzellen nicht bloss an der Stelle des Ectoderms hervorsprossen, an wel- cher später die Einstülpung erfolgt und die somit zum Entoderm wird, sondern dass dieselben an jeder Stelle des inneren Umfangs des Ectoderms entstehen können, schon dann wenn noch keine Andeutung einer Entoderm-Bildung an der völlig einschichtigen Keimblase sichtbar ist. Wenn die Einstülpung erfolgt ist, und wäh- rend derselben, mehren sich die früher nur vereinzelten,
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mit lang ausgestreckten und sich verästelnden Pseudo- podien im Inuenraum umliervvandernden und sich theilenden Mittelblattzellen und entstehen nun wie es scheint von Ectoderm und Entoderm zugleich.
Ich habe in den letzten Jahren ein besonderes Augen- merk auf die Entwickelung des für die Echinodermen so bedeutungsvollen Kalksceletes gerichtet und dieselbe bei Asterias rubens von den ersten Kalkstäbchen der Bipin- narien bis zu dem ausgebildeten „Stern" der Brachiolaria verfolgt und insbesondere durch zahlreiche Durchschnitte feststellen können, dass das ganze Kalkscelet im Me- soderm entsteht.
Die erste Mittheilung über das fünfkammerige „Hei'z" der Crinoideen.
1. R. Greeff. lieber den Bau der Crinoideen. Sitzungs- berichte d. Ges. z. Bef. d. ges. Naturw. zu Marburg Nr. 1. Jan. 13, 1876. p. 16—29.
2. W. B. Carpenter. On the Structure, Physiology and Development of Antedon rosaceus. Proceedings of the Royal Society Nr. 116. Jan. 20, 1876. p. 211—231, pl. 8, 9.
3. H. Ludwig. Beiträge zur Anatomie der Crinoideen. Nachrichten v. d. Königi. Gesellsch. d. Wissensch. u. d. Univers, zu Göttingen. Nr. 5. Febr. 23, 1876. p. 105-114.
4. P. Herbert Carpenter. Remarks on the Anatomy of the Arms of the Crinoids. Part. I. Journal of Ana- tomy and Physiology. Vol. X. April 1876. p. 571—585.
5. W. B. Carpenter. Supplemental note to the above paper. Proceedings R. S. Nr. 169. 1876. p. 1—4.
6. R. Teuscher. Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. I. Comatula mediterranea. Jenaische Zeitschrift Bd. X. p. 243—260. Taf. VII.
7. A. Götte. Vergleichende Entwickelungsgeschichte der Comatula mediterranea. Arch. f. microsc. Anat. Bd. XII, 1876. p. 583—598. Taf. XXV- XXVIII.
100 Ueber Echiuren und Echinodermen.
8. R. Greeff. Ueber das Herz der Crinoideen. Sitzungs- berichte d. Ges. z. Bef. d. ges. Naturw. zu Marburg Nr. 13. Jan. 28, 1876. p. 88.
Das obige Literatur- Verzeichniss ist genau einer Ab- handlung von P. Herbert Carpenter^), dem Sohne von W. B. Carpenter, entnommen und von Jenem behufs Feststellung der chronologischen Reihenfolge einiger neue- rer Mittheilungen über die Crinoideen aufgestellt worden. Es kann wohl, namentlich bezüglich des Zeitpunktes der Veröffentlichung der Abhandlungen der beiden Carpenter selbst, eine völlige Richtigkeit angenommen werden. Hier- aus geht aber mit unzweifelhafter Sicherheit hervor, dass die Abhandlung von W. B. Carpenter^), in welcher sich seine erste Mittheilung über das fünfkammerige Organ der Crinoideen befindet, am 20. Januar 1876, die meinige über denselben Gegenstand, über das fünf- kammerige „Herz" der Crinoideen, schon am 13. Ja- nuar 1876, also 7 Tage früher veröffentlicht ist^).
Meine Mittheilung in dieser meiner ersten Abhand- lung über die Crinoideen lautet wörtlich:
„Die Höhlung des Herzens ist aber nicht, wie man bisherangenommen hat, einfach, sondern durch fünf radiär um die mittlere Dorso-ventral-Axe gestellte und hier sternförmig sich vereinigende Septa in fünf Kammern getheilt. Die Septa sind zarte Häute, dicht mit einem feinen Platten-Epithel bekleidet und mit spärlichen Muskelfasern durch- setzt.
Ich glaube hiernach die Priorität für die Beobachtung, dass das Herz der Crinoideen durch fünf Scheidewände in der beschriebenen Weise in fünf Kammern getheilt ist, in Anspruch nehmen zu dürfen. Veranlasst werde ich zu dieser Erklärung durch einige gegentheilige Angaben, nach
1) On the arms of Antedon rosaceus. Journal of Anatomy and Physiology Vol. X. April 1877.
2) Siehe oben S. 99. 2.
3) Siehe oben S. 99. 1.
Richard Greeff: lieber Echiuren und Echinodermen, 101
denen Carp enter als der Entdecker des ftinfkammerigen Organs oder Herzens der Kelcbbasis der Crinoideen ange- führt wird, wie H. Ludwig z. B. sagt*): „Eine genauere Kenntniss des „Herzens'' ist uns erst vor Kurzem geworden durch die Untersuchung Carp enter 's sowie durch die un- abhängig davon gemachten Beobachtungen Gree ff s und TeuscherV. Und ferner: „Carpenter zeigte zuerst, dass das Herz nicht einen einfachen Hohlraum besitzt, wie Job. Müller geglaubt hat, sondern durch fünf Scheide- wände, welche von einer centralen Axe radiär ausstrahlen, in fünf Kammern zerlegt wird, was durch Greeff 's, Teu- s eher 's und meine eignen Beobachtungen bestätigt wird". Diese Angaben Ludwig 's sowie andere ähnliche würden somit im obigen Sinne zu berichtigen sein.
Auch dass der -von mir beobachtete merkwürdige Bau des Herzens und der Kelchbasis der Comatulen an den fossilen Crinoideen sich nachweisen lasse, glaube ich zuerst auf Grund sorgfältiger Untersuchungen, namentlich von Schliffen der Kelchbasis von Encrinus liliiformis, ausge- sprochen zu haben.
In meiner fünften Mittheilung über den Bau und die Entwickelung der Echinodermen heisst es:
„Zum Schluss will ich noch auf die interessante That- sache hinweisen, dass der von mir dargestellte Bau des Herzeus, sowie fast die gesammte Organisation der Kelch- basis sich mit ziemlicher Sicherheit auch an den fossilen Crinoideen, namentlich an Encrinus liliiformis nachweisen lässt''.
1) Zeitschr. f. wiss. Zool. B. XXVIII. 1877. Beiträge zur Ana- tomie der Crinoidesu. S. (Sep.-Abdr.) 61.
Ueber die postembiyonale Entwicklung bei der Milbengattung Glyciphagus.
Von
P. Kramer
in Halle. Hierzu Tafel VH.
Die postembryonale Entwicklung der Milben ist im Allgemeinen durch die mustergültigen Arbeiten von E. Claparede und Prof. P. M e g n i n bekannt geworden, auch hat der letztere von beiden eine Art Schema derjenigen Formen aufgestellt, welche ein Acaride bis zum erwachsenen Stadium durchlaufen muss. Er führt die Namen Larve und Nymphe dabei ein und gründet den Unterschied der letzteren von den geschlechtsreifen Thieren nicht nur auf die geringe Entwicklung der inneren Geschlechtsorgane, sondern auch auf den Mangel der äusseren Geschlechts- öffnung. Seine Studien an Mitgliedern der Gattung Gama- sus, aber wohl auch anderer Gattungen haben ihm dies zur Evidenz erhoben. Dennoch ist ein solcher Unterschied kein allgemeiner und ich bin in der Lage, durch Be- obachtungen an einem Glyciphagus, welcher mir in grosser Menge und in allen Stadien der Entwicklung zu Gebote stand, nachzuweisen, dass hier die Geschlechtsöffnung selbst mit den accessorischen Geschlechtscharakteren sehr früh bei den jungen Thieren auftritt. Man hat vielfach drei Häu- tungen bei den Acariden ; bei dem Glyciphagus, der in Rede steht, tritt bereits nach der ersten Häutung die Ge- schlechtsöffnung auf. Auch in anderer Hinsicht ist die
P. Krämer: Ueber die postembryooale Entwicklimg etc. 103
Milbe* nicht ohne Interesse, da sie, als der einige Glyci- phagiis, Augen besitzt, wie es ja auch einen Cheyletus giebt, der Augen hat, nämlich Cheyletus venustissimus Koch, den Prof. Megnin in seinem Aufsatz: Memoire sur les Chey- letides parasites (Journ. d'anat. et de phys. 1878) unter dem andern Namen Ch. longipes als neu beschreibt und abbildet. (Es würde demnach die Diagnose der Cheyletiden auch nicht beginnen dürfen : Acariens sans yeux). Die Augen des Glyciphagus werden schon beim Embryo angelegt, wo ich sie auch zuerst durch die Eihaut durchschimmern sah und nur successive bei den kleineren, dann auch bei den grösseren Thieren wiederfand.
Der Darstellung des Entwicklungsprocesses möge eine kurze Beschreibung der erwachsenen Thiere voraufgeheu. Das erwachsene Weibchen erreicht eine Länge von 0,44 mm. Der Rumpf ist abgerundet viereckig und erreicht eine Länge von 0,40 mm^ eine Breite von 0,22 mm. Eine Trennungsfurche zwischen Vorderrumpf und Hinterrumpf existirt nicht — dies das charakteristische Unterscheidungs- merkmal gegen die verwandte Gattung Tyroglyphus ^ — . Das Rostrum ist kurz, etwas kegelförmig und wird nach unten geneigt getragen. Auf dem Rücken sieht man bei vielen Thieren und nicht bloss bei solchen, die ihr voll- ständig ausgebildetes Ei abgelegt haben, zwei parallele Längseindrticke. Die Behaarung ist spärlich, aber charak- teristisch. Am Hinterrand sind 4 den Körper an Länge übertreffende Haarborsten befindlich. Die übrigen Haare sind ganz kurz. Man bemerkt am Vorder- und Seitenrand im Ganzen jederseits 10 Borsten, von denen jedoch 3 einer tieferen Region angehören als die 7 andern. Die vier langen Hinterrandborsten stehen der Unterseite des Thieres sehr nahe, zwei davon gehören vielleicht sogar schon dazu, und schleifen daher beim Laufen auf der Erde nach, wo- durch man den Eindruck bekommt, als wäre die Milbe geschwänzt.
1) Den zapfen form igen Fortsatz am Hinterleibseude des Weib- chens besitzt die vorliegende Milbe nicht.
104 P- Kramer:
Die Unterseite des Körpers zeigt ein deutliches Stütz- leisten-System für die vier Fusspaare, welches sich bei den Jungen anders verhält, als bei den erwachsenen Thieren. Bei dem erwachsenen Weibchen berühren sich die Stütz- leisten des ersten Fusspaares nur in einem Punkte und gehen dann wieder weit auseinander, ehe sie mit denen des zweiten Fusspaares sich treffen. Die Figur, die hier- durch auf der Unterseite entsteht, ist eine sehr charakteri- stische, wie die Abbildung 3 auf Tafel VII zeigt. Die Stützleisten der anderen Fusspaare sind ohne Verbindung mit denen der beiden ersten Fusspaare wie unter sich. In dem Zwischenräume zwischen den Leisten der beiden vorderen und der beiden hinteren Paare befindet sich die Geschlechtsöffnung. Dieselbe ist jederseits von zwei unter sich in Verbindung stehenden Saugnäpfen begleitet, welche die bei Glyciphagus bekannte Bildung besitzen. Die vier Füsse zeigen fünf freie Glieder, von denen das zweite und vierte je ein längeres Haar führen, das zweite auf der Unterseite, das vierte auf der oberen Fläche. Sonst ist die Behaarung ebenfalls eine sparsame, nur das vordere Ende des fünften Gliedes zeigt einen grösseren Büschel kürzerer Haarborsten, aus dem ein längeres Haar sich her- aushebt. Der Haftlappen ist auffallend ausgebildet und trägt am vorderen Rande die einzige, aber kräftige Kralle. Auf der Fläche des Haftlappens bemerkt man zwei parallel verlaufende Chitinleisten, welche einer selbstständigen Be- wegung fähig sind und vermuthlich mit dazu dienen, den Haftlappen zu heben und zu senken. Das erwachsene Männchen erreicht eine Körperlänge von 0,40 mm, der etwa 0,35 mm lange Rumpf ist 0,18 mm breit und nach vorn zugespitzt, auch nach hinten etwas verjüngt. Die Behaarung ist mit der der Weibchen übereinstimmend. Die Unterseite bietet wegen der durchaus besondern Anordnung der Stützleisten und der Lage der Geschlechtsöffnung einen von dem bei dem Weibchen beobachteten sehr verschie- denen Anblick, wie Figur 4 zeigt. Die Stützleisten der beiden vordem Füsse berühren sich auf einer langen Strecke und biegen sich dann kurz nach aussen, um eine Berüh- rung mit den Leisten des zweiten Fusspaares einzugehen.
Postembryonale Entwicklung der Milbengattung Glyclphagub. 105
Die Leisten des dritten und vierten Fusspaares verbalten sich ähnlich wie beim Weibchen. Die Geschlechtsöffnung liegt in der Höhe der Leisten des vierten Fusspaares, und ist somit weit von denen der ersten Fusspaare entfernt. Eine Vergleichung der Abbildungen 3 und 4 wird den Unterschied in der Anordnung der Leisten und Geschlechts- ()ffnung bei Männchen und Weibchen leicht in's Auge fallen lassen. Die Füsse der Männchen sind verhältniss- mässig lang, da z. B. die des vierten Paares, wenn man die übrigen, oben mitgetheilten Maasse als die dazuge- hörigen ansieht, bis 0,2 mm beträgt, während dasselbe Fusspaar auch beim Weibchen nicht länger ist.
Die Farbe beider Geschlechter ist ein mattes Weiss, nur die Spitze des Rostrum und die Stützleisten der Füsse sind dunkler. Sehr deutlich treten daher die beiden dun- kel kastanienbraun gefärbten Hautdrüsen an den Seiten- rändern des Hinterleibes hervor. Diese Gebilde bleiben bei jeder Häutung vollständig mit der alten Haut zurück, erweisen sich somit als ächte Oberhautanhänge und sind bei unserer Milbe mit einer zähen Flüssigkeit gefüllt, welche durch eine deutliche, auf der Rückenfläche befind- liche Oeffnung austreten kann. Da die Wandung der Drüse ziemlich dick ist, so führt ein ebenfalls deutlich erkennbarer Kanal aus dem inneren Hohlräume durch diese Wandung durch bis zur Rückenfläche Hiermit ist der Charakter dieser ,, Seitenorgane" klar und sicher bestimmt.
Die Weibchen tragen stets nur wenige Eier bei sich, in der Regel sogar nur eins, welches zum Ablegen genü- gend ausgebildet ist. Die Begattung habe ich bei der vor- liegenden Art nicht beobachtet, muss aber annehmen, dass sie auf gleiche Weise geschieht, wie bei einer mit ihr zu- sammengefundenen Tyroglyphus-Art. Ich glaube nicht, dass diese Art und Weise bisher beobachtet ist, denn Prof- Megnin, der in dieser Hinsicht der competenteste Beo- bachter sein dürfte, ist der Ansicht, dass ein Tyroglyphus- Männchen, welches seinen Hinterleib über den Hinterrücken des Weibchens geschoben hat und nun rückwärts marschiren muss, sobald das Weibchen vorwärts schreitet, mit diesem in Copulation begriffen ist. Er bildet ein solches Pärchen
106 P. Krämer:
auf der Tafel VIII, im Jahrgang 1874 des Journal d'ana- tomie et de pbys. ab und führt auch damals schon aus, dass die Befruchtung durch den After vor sich gehe.
Dieser Ansicht kann ich aus* mehreren Gründen noch nicht beitreten. Es würde nämlich selbst bei der erwähnten Stellung des Tyroglyphus-Männcheus dessen Geschlechts- öffnung immer noch mit der Rückenfläche des Weibchens in Berührung bleiben, und der nach dem Kopf des Männ- chens hingerichtete Penis kann nirgends eine Oeffnung des Weibchens erreichen. Dann aber findet man Tyroglyphus- Männchen auch in einer der wirklichen Begattung viel günstigeren Stellung an den Weibchen haftend. Eine Be- gattung durch den After bei dem augenblicklich in Rede stehenden Glyciphagus anzunehmen, wäre auch wegen des frühzeitigen Auftretens der Geschlechtsöffnung nicht nöthig (bei Tyroglyphus-Jungen reichen meine Beobach- tungen noch nicht aus). Ich halte die von Megnin be- schriebene Stellung nur für eine die Begattung vorbereitende. Die eigentliche Begattungsstellung für das Männchen des von mir beobachteten Tyroglyphus ist die, welcher man gelegentlich, wenn auch lange nicht so häufig, wie jener andern begegnet, wo das Männchen seine untere Leibes- fläche der des Weibchens angedrückt hat, und daher seinen Rücken dem Erdboden zukehrt. In dieser Stellung wird es von dem Weibchen mit fortgeschleppt. Es hat sich da- bei so weit unter das Weibchen geschoben, dass mit Leich- tigkeit die beiden Geschlechtsöffnungen aufeinanderfallen.
Diese bei Tyroglyphus gemachten Beobachtungen über- trage ich auf die Gattung Glyciphagus, bei welcher jene vorbereitende Stellung niemals vorkommt, da dem Männ- chen die den After begleitenden Saugnäpfe fehlen, durch welche jene Stellung hauptsächlich möglich wird. Vor- bereitet wird die Begattung bei Glyciphagus dadurch, dass das Männchen den Rücken des Weibchens besteigt, wie solches von mir ganz sicher beobachtet worden ist, da ich bei einem Männchen in solcher Stellung schon deutlich die Bewegungen des Penis mittelst einer starken Loupe, (Hart- nack, Obj. 7.) bemerken konnte.
Ich konime nun auf die Entwicklung des Glyciphagus,
Posterabryonale Entwicklung der Milbengattung Glyciphagus. 107
wobei sich berausstellen wird, dass es keine rechte Gränze zwischen den von M6gnin besonders unterschiedenen Sta- dien der Larve und Nymphe geben wird.
1. Stadium: Die aus dem ca. 0,12 mm langen Ei geschlüpfte Larve ist sechsfüssig und besitzt noch keine Geschlechtsöffnung. Die Füsse stellen das 1 — 3. Paar des erwachsenen Thieres dar. Am Hinterleibsrande stehen nur zwei lange Borsten, während das erwachsene Thier deren vier besitzt. Deutlich ausgebildet sind die zwei im hintern Leibesabschnitt befindlichen Hautdrüsen, ferner der Nah- rungskanal, dessen feine Speiseröhre und die mit dicken Zellenwänden versehene Magenpartie schon beobachtet werden können. Man bemerkt auch ein ziemlich umfäng- liches Nervencentrum und kann die beiden Hornhäute am vordem Theil des Vorderrückens scharf erkennen. Die Mundtheile sind vollständig vorhanden. Von den Stütz- platten berühren nur die des ersten Paares einander an der äussersten Spitze. Das Wachsthum des Thieres während dieser ersten Periode ist nicht bedeutend, Milben, welche zur Häutung bewegungslos daliegen, übersteigen an Länge kaum 0,15 mm. Hat sich der Leibesinhalt concentrirt und ist die Neubildung des zweiten Stadiums im Gange, so bemerkt man auf der inneren Fläche der todten Haut amöbenartige Häufchen langsam hin und her kriechen, so wie es auch schon auf der inneren Eihautfläche bemerkt wird. Was wird aus diesen, von den zur Neubildung der Milbe abgeschiedenen Theilchen der alten Milbensubstanz? Sie für verirrte Blutkörperchen zu halten, geht wegen ihrer Grösse nicht an.
2. Stadium: Die durch die erste Häutung durch- gegangene Milbe hat sich wesentlich vervollkommnet. Sie besitzt jetzt vier Paar Füsse, vier lange Borsten am Hinter- leibsrande und bereits eine Geschlechtsöffnung, aber nur begleitet von einem einzigen Paar von Saugnäpfen. Auch jetzt noch sind nur die Stützleisten der Füsse des ersten Paares unter sich in Berührung getreten, eine An- ordnung, die von der bei den erwachsenen Thieren recht verschieden ist. Das neu dazugekommene Fusspaar besitzt noch keine lange Borste auf dem vorletzten Gliede. Hierin
108 P. Kramer:
finde ich den Beweis dafür, dass es das vierte Fusspaar ist, welches bei Glyciphagus in dem zweiten Stadium zu den übrigen hinzutritt. Die Füsse der Larve des ersten Stadiums führen sämmtlich, wie bei den erwachsenen Thieren, auf der obern Fläche des vorletzten Gliedes eine ansehnliche Borste; diese findet sich nun auch auf den Füssen der drei ersten Paare der Larve des zweiten Sta- diums, und es ist mir wahrscheinlicher, dass ein Fuss, der in einem früheren Stadium bereits eine so charakteri- stische Borste besass, sie in dem nachfolgenden ebenfalls besitzen wird, als dass er sie im folgenden verliert, um sie im zweiten folgenden wieder zu bekommen. Die Ge- schlechtsöffnung ist ein kürzerer Spalt, mit einem sehr deutlichen Saugnapf von der bei Glyciphagen gewöhnlichen Form zu jeder Seite.
Die Larve wächst in diesem Stadium etwa bis zu 0,29 mm Gesammtlänge, um abermals einer Häutung ent- gegenzugehen.
3. Stadium: Die durch die zweite Häutung durch- gegangene Milbe zeigt folgende Neubildungen. Die sämmt- lichen vier Fusspaare besitzen jetzt eine lange Borste auf dem vorletzten Fussgliede, und die Geschlechts Öffnung wird bereits von jederseits zwei Saugnäpfen, im ganzen also von vier, wie beim erwachsenen Thiere, begleitet. Sonst hat sich nichts geändert. Die Stützleisten der Füsse des zweiten Paares sind wie früher, noch immer weit ge- trennt von denen des ersten Paares, diese letzteren dagegen sind unter sich verbunden. Die Augen sind sehr deutlich zu beobachten. Die Behaarung stimmt ganz mit der bei den erwachsenen Thieren überein. Die Lage der Ge- schlechtsöffnung ist bemerkenswerth. Sie findet sich durch- gehends zwischen den Stützleisten der hintern Fusspaare und hat bei allen zur Beobachtung gekommenen Milben durchweg ein und dieselbe Gestalt, so dass es scheint, als wären die Geschlechtsunterschiede in diesem Stadium noch nicht vorhanden.
Die Milbe wächst während dieser Lebensperiode bis zu 0,36 mm Länge.
4. Stadium: Die durch die dritte Häutung gegan-
Postembryoiiale F]iitwicklaiio' der Milben^attung Glyciphagus. 109
gene Milbe hat die endgültige Form, wenn sie auch noch dem Wachsthum unterworfen ist, bis sie die gehörige Länge 0,44 für das Weibchen, und 0,40 für das Männchen erreicht hat.
Das Resultat, welches hiernach für Glyciphagus sich ergiebt, ist dies, dass die Geschlechtsöffnung sich bereits verhältnissmässig sehr früh, nämlich im zweiten Stadium, einstellt, und dass ein Nymphenstadium im Gegensatz zu einem Larvenstadium nicht genügend definirt werden kann. Ich bin weit entfernt, hieraus Folgerungen für andere Gat- tungen zu ziehen, bin vielmehr der Ansicht, dass wir trotz aller in den letzten Jahren gewonnenen Kenntnisse über die Acariden, doch noch nicht im Stande sind, ein allge- meines Bild der Lebensvorgänge dieser Thiere zu ent- werfen. Es sei mir nur noch gestattet, zur Vergleichung der verschiedenen Entwickluugsphasen das für alle Milben von Prof. Megnin aufgestellte Schema hier herzusetzen. Er unterscheidet drei Stadien (Journ. de l'anat. et de la phys. XIIL pag. 228).
Das erste Stadium ist das der Larve, welche immer sechsfüssig ist.
Das zweite Stadium ist das der Nymphe (D u g e s). Es umfasst die achtftissigen Acariden ohne Geschlechts- organe — und wie es scheint sind darunter auch die äusseren gemeint — dabei kann das Thier eine oder mehrere Häutungen tiberstanden haben.
Das dritte Stadium ist das der erwachsenen, ge- schlechtsreifen Thiere.
Es ist nach den vorstehenden Beobachtungen ersicht- lich, dass eine Nymphe in dem von Duges und nach ihm von Prof. M^gniu gebrauchten Sinne bei unserm Glyci- phagus nicht vorkommt, da das erste achtfüssige Stadium bereits mit einer, wenn auch nur von zwei Saugnäpfen begleiteten Geschlechtsöffnung versehen ist. Wenn nun Prof. M6gnin im Verlauf jener mit Ch. Robin gemeinsam unternommenen Untersuchungen sagt : „Man weiss, dass die Tyroglyphus und die Glyciphagus, welche bereits er- kennbare, aber noch unvollkommen entwickelte männliche oder weibliche Geschlechtsorgane besitzen, noch eine Hau-
110 P. Kramer:
tung durch machen" (1. c. Seite 235), so kann hier nicht etwa von Geschlechtsorganen der Nymphen die Rede sein, denn die Nymphen „sont depourvus d'organes sexuels". Es sind wohl darunter Thiere zu verstehen, welche bereits in das dritte der auf voriger Seite erwähnten Stadien ein- getreten sind, in diesem aber noch eine Häutung bestehen müss.en. Unsere Beobachtungen können aber den oben von Prof. Megnin angegebenen Lauf durch die verschiedenen von ihm angegebenen Stadien für den vorliegenden Glyci- phagus nicht ganz bestätigen ; es ist also auch die von ihm aufgestellte Regel nicht ohne Ausnahme.
Halle, Juli 1879.
Erklärung der Figuren auf Tafel VII.
Fig. 1. Erwachsenes Weibchen (70fach vergrössert). Fig. 2. Erwachsenes Männchen (70fach vergrössert). Fig. 3. Das Stützleistengerüst des Weibchens: a—d Stützleisten des
1 — 4. Fusspaares, e GeschlechtsöfFnung (die Saugnäpfe sind
nicht gezeichnet). Fig. 4. Das Stützleistengerüst des Männchens: a — d die Stützleisten
des 1 — 4. Fusspaares. e Geschlechtsöffnung. Fig. 5. Ein Fuss des zweiten Paares. Fig. 6. Eine Larve im ersten Stadium, a Augen, b Ganglion,
c Magen, d Hautdrüse.
üeber Mustela patagonica.
Von
H. Burmeister.
Unter der überschriftlich gegebenen Benennung hat D'Orbigny in seiner Voyage dans l'Amer. merid.; IV. 2. Mammiferes, page 20, pl. 13. Fig. 4, den Schädel eines wieselartigen Thierchens abbilden lassen, von dem bisher nichts weiter als dieser Schädel bekannt war. Derselbe ist auch von Blainville in seiner Osteographie, genre Mustela pl. 13. abgebildet, und im Texte, page 42 als Mustela de Paraguay (oder Chili) aufgeführt. D'Orbigny hatte den Schädel in Patagonien, in der Nähe von El Car- men am Rio Negro, gefunden, aber nichts weiter von dem Thierchen, dem er angehört, in Erfahrung bringen können.
Der Schädel ist in D'Orbigny's Abbildung etwas zu breit gerathen, er gleicht dem des Hermelin in seiner schlanken Form völlig, übertrifft denselben jedoch ein wenig an Grösse ; aber das Gebiss ist ganz verschieden, es be- steht nämlich, bei gleicher Zahl der Schneide- und Eck- zähne, aus nur drei Backzähnen in jedem Kiefer an jeder Seite, wie im Milchgebiss der Wiesel und Iltisse. Aber der Schädel zeigt ein erwachsenes, altes Thier an, das Gebiss war also sicher kein Milchgebiss. —
Dieser Umstand bestimmte Gervais, eine neue Gat- tung der Iltisse auf besagten Schädel zu gründen, und ihr den Namen Lyncodon beizulegen weil die Zahl der Back-, Zähne mit der der Luchse übereinstimme. (D'Orbigny, Diction. univ. d'hist. nat. article: Dents, tome IV. 685.)
Während meiner Anwesenheit in Mendoza, im Jahre 1857, erzählten mir mehrere Landleute, welche die einhei-
112 H. Biirme ister:
mischen Thiere kannten, dass es in der dortigen Gegend ein kleines, wieselartiges Thierchen gebe, welches sehr scheu und vorsichtig sei, in Erdlöchern zwischen Gesteins- schutt lebe, und schwer gefangen werde. Obwohl ich die- sen Leuten eine gute Belohnung versprach, so erhielt ich doch kein Exemplar, und musste mich mit der dürftigen Notiz begnügen, das Thierchen in meiner Reise, II. Bd. S. 403, als vorhanden anzeigend und muthmasslich deu- tend. Jetzt weiss ich, dass es mit der genannten Mustela (Lyncodon) patagonica einerlei ist und wirklich eine eigen- thümliche Form der Wiesel darstellt, deren Gattungsrechte keinem Zweifel unterliegen können. Hier folgt nun die vollständige Beschreibung derselben, auf 2 Exemplare ge- gründet, die mir vor kurzem mitgetheilt wurden.
Im äusseren Ansehen gleicht das Thierchen völlig einem grossen Wiesel oder Hermelin, mit Ausnahme des Schwanzes, der entschieden kürzer ist und nur ein Drittel des Hermelinschwanzes Länge hat; ferner in der Färbung, die zwar ebenfalls aus rothbraun und weiss besteht, aber in ganz anderer Vertheilung. Soll ich zunächst davon reden, so bemerke ich, dass Farbe und Zeichnung einiger- massen an die der Mustela (Futorius) sarmatica erinnert, noch mehr aber in der Vertheilung beider Farbentöne mit der von Galictis vittata übereinstimmt. An diese Marder- form errinnert auch der kurze, nur ein Viertel der Körper- länge betragende Schwanz, aber Kopf und Rumpf sind feiner, zierlicher gebaut und völlig wieselartig. Das mir vorliegende, ausgewachsene männliche Exemplar ist von der Nase bis zur Schwanzspitze 15 Zoll englisch Maass lang, wovon 2^/2" auf den Kopf, fast ebenso viel auf den Hals, 1" auf den Rumpf und 3" auf den Schwanz kommen; die Höhe des wagerecht stehenden Thierchens beträgt in der Mitte des gebogenen Rumpfes 4 Zoll. — Die Haupt- farbe ist braun, ziemlich dunkel an der Kehle, dem Vor- derhalse, der Brust und an den Beinen; heller, röthlicher am ganzen Rücken und am Schwanz; aber diese ganze hellere Strecke ist nicht einfarbig, sondern ein Gemisch von rothbraun und weiss, indem die sehr langen weit ab- stehenden Grannenhaare eine breite weisse Spitze, oder
lieber Mustela patagonica. 113
einen breiten, weissen Ring vor der Spitze haben. Die Haare des Kopfes, Nackens, Vorderhalses und der Beine sind kurz und glatt anliegend, nur über jedem Ohr beginnt ein Büschel längerer Haare, die sich als Franzen an bei- den Seiten des Halses fortsetzen, und bis zur Mitte dessel- ben hinabreichen. Diese längeren Haare sind, so weit sichtbar, rein weiss, und eben diese Farbe haben die kurzen Haare des Scheitels und der Stirn bis zwischen die Augen; aber Nase, Backen unter den Augen und Lippen sind braungrau, viel heller als die Haare des Nackens, Vorder- halses und der Beine, die in's Schwarzbraune fallen. Die ziemlich langen Schnurren in der Oberlippe und an der Stirn, über den Augen, bleiben reiner braun.
Zur äusseren Gattungscbarakteristik gehört besonders, neben der Länge des Schwanzes, die Ungleichheit der Krallen an den Vorder- und Hinterfüssen. Die der er- steren sind lang, dünn, fein zugespitzt, massig gekrümmt; die der hinteren ganz kurze, feine Spitzen ; jene etwa 4 — 5 Linien lang, diese nicbt mehr als 1 Linie.
Was nun Schädel und Gebiss betrifft, so habe ich schon erwähnt, dass der erstere dem des Hermelins ganz ähnlich sieht, nur ein wenig grösser ist. Das mir vor- liegende Exemplar von Lyncodon ist 2V2" lang, der Schä- del eines alten Hermelin nur 2''. Im Einzelnen verglichen, ist der Jochbogen von Lyncodon stärker, der darauf sitzende Orbitaldorn höher und das foramen infraorbitale beträcht- lich kleiner; die Paukenblasen sind kürzer und flacher, nach vom mehr zugespitzt; die Choanenspalte aber länger.
Im Gebiss zeigt sich an den Schneide- und Eckzähnen nur ein relativer Unterschied; beide sind bei Lyncodon höher und schlanker zugespitzt, also schärfer. Die drei Backzähne jedes Kiefers gleichen ebenfalls den correspon- direnden des Hermelingebisses völlig, sind aber einzeln etwas grösser und kräftiger. Dem Oberkiefer fehlt der erste, sehr kleine Lückenzahn des Hermelin, obgleich ein Abstand zwischen dem Eckzahn und dem vorhandenen Lückenzahn, der dem zweiten des Hermelin gleicht, vor- handen ist. Im Unterkiefer fehlt nicht bloss der ent- sprechende erste kleine Lückenzahn, sondern auch der
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. l. Bd. 8
114 H. Bur meist er: Üeber Mustela pathagonicä.
ebenfalls sehr kleine Kauzahn des Hermelin völlig. Oben hat also Lyncodon einen Ltickenzahn, den Fleischzahn und den Kauzahn; unten zwei Lückenzähne und den Fleischzahn, aber keinen Kauzahn.
Das Thierchen findet sich im westlichen Patagonien, von Mendoza südlich bis in das Quellgebiet und den oberen Lauf des Rio Negro; weiter nach Osten wird es seltener. Es kommt jedoch auch mehr nach Norden noch vor, denn das eine der mir zugegangenen Exemplare wurde bei Azul, im Süden der Provinz Buenos Aires, gefangen. Seine Lebensweise ist genau die der Wiesel; es jagt besonders Feldmäuse und wird auch von Landleuten im Hause des- halb, wie das Frettchen, gehalten. —
Buenos Aires; Ende Juli 1879.
lieber die Arten von Bdellostoma.
Von
Professor A. Schneider
in Giesen.
Von der Myxinoidengattung Bdellostoma kennen wir mit Sicherheit nur eine Species, Bdellostoma Forsteri, welche Joh. Müller in der vergleichenden Neurologie der Myxinoiden') aufstellte, nachdem er die von ihm früher angenommene Species von Bdellostoma als Varietäten, oder wie Bdellostoma Dombeyi als völlig zweifelhaft erkannt hatte. Günther^) führt zwei Species auf. Bd. cirrhatum ^= Bd. Forsteri Müller und JBd. polytrema, welche nach ihm möglicherweise gleich Domheyi ist. Letztere konnte er je- doch nur nach einem sehr schlechten Exemplar beschreiben, so dass ihre Charakteristik jedenfalls der Bestätigung bedarf. Das zoologische Museum unserer Universität ist in der glücklichen Lage, zwei Species von Bdellostoma zu besitzen. Die eine derselben, Bdellostoma polytrema Günther, habe ich selbst vor einigen Jahren von Salmin in Hamburg für das Museum erworben. Als Myxine glutinosa lag sie in mehreren Exemplaren unter einer Anzahl der letztern. Ihr Vaterland ist unbekannt. Die andere Species ist bis jetzt nur in einer Schrift bekannt gemacht, welche kaum grosse Verbreitung gefunden haben wird^).
1) Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1838. S. 174.
2) Catalogue of the fishes of the british Museum, Bd. VIII. (1870) S. 511.
3) Das neue Anatomiegebäude zu Giessen, beschrieben von Dr. Th. L. W. Bischoff, Giessen 1852, S. 18.
il6 Professor A. Schneider:
Es heisst dort : „In Beziehung auf die Fische will ich hier erwähnen, dass ich unter den aus der Froriep'schen Sammlung herstammenden Gläsern, in einem eine halbver- faulte Myxine fand. Es gelang mir noch die Kiemenar- terien und Venen zu injiciren, u^id da zeigte es sich, dass das Thier eine neue, bisher unbekannte Species mit 10 Kiemensäcken und Kiemenlöchern ist. Leider sind alle anderen Organe gänzlich zerstört.^
Ich gehe nun zur genauen Beschreibung über.
JBdeUostoma polytrema^ Gthr.
Totallänge 49 cm. Vom Afterende bis zum Schwanz- ende 5 cm, erstes Kiemenloch 6 cm, letztes Kiemenloch 13j5 cm von der Kopfspitze.
Kiemenlöcher links 14 und die Oeffnung des Ductus oesophago-cutaneus, rechts 13. Zahnplatte, vordere Zahn- reihe 12, hintere 13 Zähne.
Augen vorhanden.
Günther giebt jederseits 14 Kiemenlöcher an, be- merkt aber selbst, dass er an dem einen Exemplar die Zahl nicht mit Sicherheit bestimmen kann.
Sdellostoma ^ischoffii nov. spec,
Totallänge 55 cm. Vom Afterende bis zur Schwanz- spitze 9 cm. Erstes Kiemenloch 11 cm, letztes Kiemen- loch 20 cm von der Kopfspitze.
Kiemenlöcher jederseits 10.
Zahnplatte 9 Zähne in jeder Keihe.
Augen vorhanden.
Die Zahnplatten selbst fehlen an unserm Exemplare, aber die Matrix ist erhalten.
Beitrag zur Keniitniss einiger blinden Amphipoden des Kaspisees.
Von
Dr. Ose. Grimm
in St. Petersburg.
Die Frage über den Ursprung und die Entwickelung blinder Thiere bat in letzterer Zeit viele Naturforscher beschäftigt, deren Untersuchungen der Wissenschaft so manche Thatsache von grösster Bedeutung überliefert haben. Die Zahl dieser Befunde ist noch durch die Tiefseeunter- suchungen gesteigert, die von enormen Tiefen höchst inte- ressante Formen an's Licht gebracht haben. Wenn man aber die heute schon grosse Anzahl blinder Thiere be- trachtet, kann man nicht umhin, die Frage von ihrer Her- kunft immer wieder aufzuwerfen^ da auch jetzt zwei ent- gegengesetzte Meinungen herrschen, die sich einander ausschliessen und nicht versöhnt werden können.
Vor 20 Jahren konnte man schon mit dem Lehrsatz zufrieden sein, dass die Geschöpfe blind geschaffen sind, weil sie zum Leben in finsteren Grotten und Seeuntiefen bestimmt waren, und also das Sehvermögen ihnen unnütz wäre. Nun wird aber diese Anschauung nur von wenigen Naturforschern vom Fach vertreten, die bedeutende Mehr- zahl erblickt in der Abwesenheit der Augen bei gewissen Thieren das Resultat des Aufenthalts im Finstern, wobei das Sehorgan gewiss in Rückbildung verfallen muss, da es nicht gebraucht werden kann und wird. Neben dem Ex- periment von Fries mit dem Gammarus pulex, ist es be-
118 Dr. Oscar Grimm:
kannt, dass PersoneD, die eine lange Reihe von Jabren in dunkeln Kerkern verschmachten mussten, ihr Augenpigment einbttssten und nachdem sie in's Freie gebracht wurden, eine längere Zeit die Gegenstände nicht unterscheiden konnten, vielmehr von dem Tageslicht Schmerzen empfin- gen, so auch dass „bei vielen Blinden die Augen buch- stäblich geschwunden sind. An den Leichen von Menschen, die im Leben vollkommen blind waren, findet man sogar die Sehnerven bis an's Hirn heran geschwunden, respec- tive in eine Masse umgestaltet, die keine Sehnervenfasern enthält" (Stricker, Studien über das Bewustsein. p. 54), So ist es denn sehr natürlich, dass Thiere, die in finstern Grotten, Brunnen, Seeuntiefen oder in der Erde selbst leben, ihr Sehvermögen verlieren, indem ihre Augen bis auf weniges rückgebildet werden, worauf schon die Thatsache hinweist, dass öfters Augen noch vorhanden sind, obgleich nur rudimentär, wie wir sie z. B. bei Sorex und Talpa vorfinden.
Nun wissen wir aber, dass in den Seetiefen, wo einige augenlose Thiere vorkommen und deren Augenlosigkeit namentlich durch die in den Tiefen herrschende Dunkel- heit erklärt wird, auch solche Formen existiren, die nicht nur gewöhnliche, sondern ungemein entwickelte, grosse, hervorragende und stark pigmentirte Augen haben. Ja die Gnathophausia der „Challenger-Expedition" aus der Tiefe von 1830 bis 4020 Meter besitzt sogar Stielaugen und dazu noch Nebenaugen an den Maxillen ; die Memida aus der Tiefe von 1000--1200 Meter hat gut entwickelte und höchst sensibele Augen; Gammaracanthus caspius, m. im Kaspisee aus der Tiefe von 108 Faden, Boeckia spinosa, nasuta und hystrix, m. aus der Tiefe von 70—150 Faden des Kaspisees, verschiedene Mysis- Arten daselbst aus der Tiefe bis 500 Faden haben alle sehr gut entwickelte, grosse, buckeiförmige und schwarzpigmentirte Augen. Dies be- weist schon hinlänglich, dass in den bezeichneten Tiefen das Sehorgan gebraucht werden kann und wird, da in denselben keine absolute Finsterniss, sondern nur eine dunkle Nacht herrscht. Man braucht sich nur zu entsinnen, dass die nächtlichen Thiere, wie Nachtraubvögel, Raub-
Zur Kenntnies einiger blinden Amphipoden des Kaspisees. 119
thiere u. s. w. sehr grosse und gut entwickelte, und zwar au die Dunkelheit angepasste Sehorgaue besitzen, um die feststeheude Thatsache zu erklären, dass die Seetiefen von Krebsen bewohnt werden, bei denen das Sehvermögen enorm gesteigert ist. Da aber, wie gesagt, in denselben Tiefen auch solche Thi erformen existiren, deren Augen schwach entwickelt oder unpigmentirt sind und sogar völlig rückgebildet erscheinen, so genügt augenscheinlich die Er- klärung nicht, dass die Rückbildung der Augen vom Tief- seeleben bewirkt wird. — Im Kaspisee habe ich unter 0» 12' E. (von Baku), 39^ 51' N. aus der Tiefe von 108 Faden in einem einzigen Schleppnetzzug 10 neue Gamma- ridenarten erbeutet, und zwar — Gammarus pauxillus, m. G. crassus, m. G. Gregorkowii, m. G. portentosus, m. G. coro- nifera, m. G. thaumops, m. Pandora coeca, m. Iphigeneia abyssorum, m. Gammaracanthus caspitis, m. und Ämathi- linella cristata, m., die alle mit Augen versehen sind, aber in höchst verschiedenem Grade der Ausbildung; — so hat Gammaracanthus caspius sehr grosse, runde Augen, Gam- marus eoronifera und Amathilinella cristata lange, aber schmale Augen, Gammarus thaumops dreieckige, unpig- mentirte, und Pandora coeca kleine, unpigmentirte Augen, die schwerlich mit dem Sehvermögen begabt sein können. Ein noch besseres Beispiel liefern folgende neue von mir im Kaspisee entdeckten Amphipoden :
Onesimus caspius aus der Tiefe von 75 — 250 Faden, „ pomposus „ „ » n 180 ^
platyuros , „ „ „ 40 u. 48 „ Pantopereia mierophthalma „ ;, 80 — 90 „
Niphargus caspius „ „ „ „ 35 — 90 „
von denen die 2 letzten Arten sammt Onesimus caspius, auch in einem Zug gefangen wurden und zwar in der Tiefe von 80—90 Faden, unter 0« 26' E. 41^ 6' N. Panto- poreia mierophthalma und Niphargus caspius besitzen pig- mentirte, aber kleine Augen, die Onesimus-Arten besitzen theils rothe, theils (On. caspius) vollkommen unpigmentirte Augen und sind bei der letzten Art w^enigstens des Seh- vermögens beraubt; und mit diesen mehr oder weniger blinden Arten leben Mysideen, deren grosse, gewölbte und
120 Oscar Grimm:
schwarze Augen gewiss in dem Dunkeln der Tiefen noch genug Licht absorbiren.
Diese Beispiele mögen genügen um zu zeigen, dass das Tiefseeleben allein noch nicht die Rückbildung der Sehorgane durchaus bedingen muss und bedingt. Jetzt wollen wir aber an unseren Kaspischen Amphipoden zeigen, wie sich die Thiere zu den Seetiefen verhalten, wie das Tiefseeleben auf die Organisation derselben einwirkt, wodurch eigentlich das Schwinden der Augen bewirkt wird, und womit die letzten ersetzt werden im Fall ihrer Rückbildung.
Wir können wohl für bewiesen annehmen, dass mit der zunehmenden Seetiefe die Quantität der Lichtstrahlen sich vermindert, so dass in einer gewissen Entfernung vom Wasserspiegel die Stärke des Lichts sehr gering ist, nie aber bis 0 fällt. Wie klein aber die Lichtstärke auch sein mag, so ist die Möglichkeit des Sehens nicht ausgeschlossen, und die Augen der in den Tiefen lebenden Thiere müssen nur an die relative Dunkelheit angepasst sein^). Als solche erscheinen aber die grossen, buckeligen und dunkelen Augen der kaspischen Mysideen, des Gammaracanthus cas- pius, Boeckia-Arten u. s. w. Es ist aber denkbar, dass bei vielen Thieren die Augen bei der anhaltenden Dunkel- heit sich nicht weiter entwickeln und durch andere Sinnes- organe ersetzt werden. Im letzteren Fall können <Ue Augen auch rückgebildet werden und um so schneller oder voll- kommener, je weniger sie benutzt werden, je weniger sie dem Inhaber Dienste leisten oder vielmehr leisten können. Nehmen wir als Beispiel Niphargus caspius^) und die ge- nannten Onesimusarten.
1) Ich glaube bezweifeln zu müssen, dass in einer Tiefe von 100 Meter die absolute Dunkelheit beginnt, wie es Forel im Genfer- see gefunden hat, denn ich kann mir überhaupt keine absolute Dun- kelheit vorstellen. Ich gebe gerne zu, dass in dieser oder jener Tiefe das Tageslicht nicht mehr auf gewisse Chemikalien reagirt, das schliesst aber noch nicht die Möglichkeit des Sehens aus.
2) Von dieser Art wird wohl N. puteanus abstammen. Es ist möglich, dass sie mit N. ponticus, Czern. identisch ist; leider
Zur Kenutniss einiger blinden Amphipoden des Kaspisees. 121
Bei der Untersuchung derselben finden wir höchst entwickelte Sinnesorgane, die wahrscheinlich nicht nur als Tast- sondern (bei den Onesimusarten wenigstens) auch als Geschmacks-Werkzeuge liinctioniren ^).
Niphargus caspius hat neben kleinen, aber dunkel pig- mentirten Augen, die wohl schwerlich in der Tiefe von 35—90 Faden functioniren und als Rest der ehemals fun- ctiouirenden Augen betrachtet werden müssen, höchst ent- wickelte Geruchs- und Tastorgane an den Fühlern und besonders an den oberen. Dabei ist zu bemerken, dass die mit kleineren Augen versehenen Männchen eine grössere Zahl dieser Gefühlsorgane besitzen als die Weibchen, die auch in Hinsicht anderer Merkmale, z. B. der Zahl der Nebengeisselglieder mehr den Gammarusarten gleichen und
konnte ich dieses nicht recht bestimmen, weil die Beschreibung der letzten, die Hr. W. Czernjawsky gegeben hat, höchst mangelhaft erscheint. Siehe dessen ,,Materialia ad zoographiam ponticam cora- paratam". Es muss aber bemerkt werden, dass unser N. caspius von den anderen Niphargus-Arten und so auch von N. puteanus in Vielem abweicht, so nach den kürzeren Fühlern, der anders geform- ten Hand des 1. Fusspaares u. s. w., so dass vielleicht unsere Art als Repräsentant einer neuen Gattung zwischen Niphargus uud Gam- marus angesehen werden kann. Ich thue dies aber nicht und ersehe in der abweichenden Organisation des Niphargus puteanus den Aus- druck einer weiteren Entwicklung unter dem Einfluss gewisser Be- dingungen, die das Fehlen der Augen veranlasst haben und damit auch die grössere Entwickelung der Fühler, die die Augen ersetzende Sinnesorgane tragen. Jedenfalls erscheint Niphargus caspius als die ältere Form, die sich (vielleicht auch etwas umgeändert) im Kaspisee bis zu unserer Zeit erhalten hat, wie auch andere Thierarten der Tertiärperiode bis jetzt fortbestehen, wie ich es in meiner „Kaspi- schen Fauna", Lief. 2, an Dreyssena rostriformis, Dr. Brardii, Dr. caspia, Cardium catillus, Planorbis micromphalus etc. gezeigt habe. Niphargus caspius ist sehr wahrscheinlich der „erloschene Gammaride" (S. Leydig, üeber Amphipoden und Isopoden. Z. f. w. Z. XXX. 2. p. 249.) den die anderen Niphargusarten als Vorfahren haben.
1) In manchen Fällen wird es wohl schwer zu entscheiden, ob ein gewisses Organ zum Tasten, Schmecken oder Höhren ange- passt ist; ja es ist höchst wahrscheinlich, dass bei manchen niederen Thieren das Tastvermögen nicht vom Geschmack oder dem Gehör getrennt ist.
122 Oscar Grimm:
also das conservativere Element darstellen, wie es überhaupt für das weibliche Geschlecht gilt. Wir finden an den ersten 4 Gliedern der 5gliedrigen Hauptgeissel der oberen Fühler des ^ sehr grosse cylindrische Organe, die noch von Leydig u. A. als Geruchs organe beschrieben worden sind. Diese Cylinder besitzen an ihren freien Enden je eine Oeffnung, aus der vielleicht auch wirklich dünne Haare austreten, wie es Leydig angiebt, und von Innen her tritt in einen jeden Cylinder ein Nervenästchen, welches erst eine Zellenanschwellung (im Cylinder selbst) bildet, um sich dann zu verlieren, was ich noch besser an lebenden Exemplaren einer anderen Art, nämlich Gamraarus priscus, m. in Krasnowodsk beobachtet habe. An der Nebengeissel des Niphargus caspius, sowie an dem letzten Stielglied der unteren Fühler, finden wir eigenthümliche Organe, die den Geruchspinseln des N. puteanus, nach Alais Hum- bert, ähnlich gebaut sind; — es sind nämlich grosse und derbe Stäbe, deren etwas spitz verlaufende Enden mit einer Unzahl höchst dünner und langer Chitinhaare besetzt sind. Im Innern eines jeden solchen Stabes verläuft ein Nerv, der vor dem Eintritt in denselben in eine Nerven- zelle mit Nucleus anschwillt. Ob aber dieses Nervenästchen in noch feinere zerfällt, die in die Chitinhaare eindringen, habe ich nicht sehen können, obgleich ich schon eine Ver- grösserung von 1500 und verschiedene Reagentien gebraucht habe. Der Organisation nach möchte ich diese Pinsel nicht als wirkliche und ausschliessliche Gehörorgane deu- ten, sondern als höchst sensibele Tastorgane, die die leiseste Bewegung des Mediums schon vermitteln können.
Diese verhältnissmässig allerdings höchst entwickelten Geruchs- und Tast- (resp. Gehör-) Organe können wohl dem Thiere in den von ihm bewohnten finstern Seetiefen die Augen entbehrlich machen, die dadurch in Rückbildung begriffen, aber bis jetzt noch nicht völlig verschwunden sind, weil sie vielleicht theils noch gebraucht werden, z. B. im Aufsteigen in die Tiefen von 35 Faden.
Ganz anders gestaltet es sich bei den Onesimus-Arten, von denen wir zur Betrachtung den meist typischen One- simus caspius benutzen.
Zur Kenutniss einiger blinden Ainphipoden des Kaspisees. 123
Die Augen von Onesiraus caspius sind klein, unregel- mässig oval, weit von einander gestellt und vollkommen unpigmentirt, so dass auch unter dem Mikroskope sie nicht sogleich unterschieden werden. Bekanntlich röthen sich die unpigmentirten Augen vieler in der Tiefe lebender Gammariden beim Einwirken des Sonnenlichts, was aber bei On. caspius nicht existirt. Es ist wohl erlaubt anzu- nehmen, dass wenn die Onesimusarten des Sehvermögens auch nicht vollkommen beraubt sind, so functioniren ihre Augen doch nicht in dem sie gewöhnlich beherbergenden Medium, respective in dem unterseeischen Schlamm, wo sie sich beständig aufhalten.
Ungeachtet aber der unentwickelten Augen, finden wir bei den Onesimusarten gar keine Gefühlsorgane an den Fühlern und anderen äusseren Körpertheilen, wie bei Niphar- gus. Ja die Fühler sind bei ihnen sogar der gewöhnlichen Haare fast gänzlich beraubt, indem solche nur an der un- teren Fläche der oberen, und an der oberen Fläche der unteren Fühler sitzen, und auch sehr winzig und in kleiner Zahl vorhanden sind. Bei näherer Untersuchung aber fin- den wir sehr entwickelte, aber verborgen gelegene Gefühls- organe an den äusseren Platten der Kieferfüsse, die schon früher von verschiedenen Autoren beschrieben oder abge- bildet worden sind. Es sind nämlich kurze und dicke Stifte mit abgerundeten Enden, die in entsprechenden cylindrischen Vertiefungen der Platte stecken, indem sie meist nur mit ihrer Kuppe nach Aussen hervorragen. Uebrigens erscheinen einige von ihnen viel länger, indem sie mehr hervorragen und auch mehr spitze Enden haben; dies sind nämlich die zwei an der Spitze der Platte stehenden Cylinder, die den Uebergang zu den gewöhnlichen Borsten darstellen und damit auch beweisen, dass wir es mit zu gewissem Zweck umgestalteten Chitinborsten zu thun haben ^). Diese Ge-
1) Solche Tasthaare mit mehr oder minder entwickelten Ner- ven und Nervenzellen finden sich gewöhnlich an den Mundtheilen der Arthropoden; so auch bei der Fliege, wie es allbekannt ist. Wo aber bei derselben Prof. N. Wagner eine Menge MundöfFnungen („Polystomie") gefunden hat, ist schwer zu errathen, wie auch die
124 Oscar Grimm:
schmackscylinder (so will ich sie bezeichnen) stehen längs dem inneren Rande der Platte in einer Reihe, indem ihre Zahl bei den verschiedenen Species von 8 bis 14 variirt, wie auch wahrscheinlich nach dem Alter der Individuen. Im Innern der Platte, unter den ovalen Matrixzellen ver- läuft ein dicker Nervenstrang, der zu jedem Geschmacks- cylinder einen Nervenast absendet; diese Aeste verdicken sich etwas beim Eintritt in den Cylinder, um weiter sich völlig zu verlieren; ob sie aber in der Verdickung eine Zelle bilden, habe ich nicht entscheiden können^). Jeden- falls ist die sensibele Natur dieser Cylinder so scharf aus- gesprochen, dass man doch wohl berechtigt ist, sie als Tast- und, ihrer Lage nach, auch als Geschmacksorgane zu betrachten.
So sehen wir denn, dass bei den blinden oder mit schwach functionirenden Augen versehenen Niphargus- und Onesimus-Arten das fehlende Sehvermögen durch die ge- steigerte Function anderer Organe ersetzt und auch bewirkt wird, insofern dieselben die Augen nicht unumgänglich und also ihre regressive Metamorphose möglich macht. Es fragt sich nun, woher es kommt, dass bei den verschie- denen Gattungen verschiedene Organe zur grösseren Ent- wicklung gelangen, und diese Frage wird durch Beobach- tung ihrer Lebenserscheinungen beantwortet. — Während meiner Schleppnetzuntersuchungen habe ich beobachtet, dass die mit sensibelen Fühlern versehenen Arten, und so auch Niphargus caspius, obgleich in den Tiefen, so doch im Wasser, nicht aber in dem Seeschlamme leben, was nicht nur durch das Experiment nach dem Heraufheben der
von ihm entdeckte ,,Wiedersaugung" (analog dem Wiederkauen ! !) der Nahrung bei der Fliege. Uebrigens wenn Wagner Epithelial- zellen im Speichel eines materialisirten Geistes gefunden und Haare einer aus der Geisterwelt gezauberten chinesischen Dame untersucht hat, (behufs Entdeckung der Vorfahren jetzt lebender Pediculiden?), so ist wohl von ihm alles zu erwarten. (S. Wagner 's und Baut- leron's spiritualistische Schriften im ,, Russischen Bothe/').
1) Zur Untersuchung dieser Cylinder sind die On. platyuros und On. pomposus, als grössere Arten, bequemer, als On. caspius; leider habe ich von jenen Arten nur wenige Exemplare.
Zur Kenntniss einiger blinden Amphipoden des Kaspisees. 125
Thiere bewiesen ist ^), sondern auch dadurch, dass alle In- dividuen der Niphargusart von Vorticellen stark besetzt sind.
Ganz anders verhalten sich die Onesimusarten, die beständig im Schlamm der See tiefen leben und hier, wie Maulwürfe, sich schnell durchgrabend, ihre Nahrung auf- suchen, indem sie den organische Stofftheile enthaltenden Schlamm zu sich nehmen. Selbstverständlich können ihnen die mit sensibelen Orgauen besetzten Fühler nicht dienen, da nicht nur so zarte und gebrechliche Bildungen wie die Riechcylinder und Pinsel, sondern auch die gröberen Bor- sten von den äusseren, dem Reiben an dem Schlamme ausgesetzten Flächen verschwunden sind, wie wir es schon früher angegeben haben, indem wir zeigten, dass solche Borsten bei den Onesimus nur auf den inneren, einander sich deckenden Flächen der Fühler vorhanden sind. Da aber äussere Gcfühlsorgane nicht zur Entwickelung kommen konnten, so " mussten die mehr verborgenen Körpertheile mit solchen versehen werden. — Wir haben schon gesehen, dass bei den Onesimusarten die Borsten der äusseren Kie- ferfussplatten zu sensibelen Organen ausgebildet sind, und obgleich es noch nicht entschieden ist, ob sie die Ge- schmacksorgane darstellen, so kann man doch nicht umhin sie als zur Bestimmung der Nahrungs Qualität eingerichtete Organe anzusehen, die beim unterirdischen Leben dieser Thiere die Augen ersetzen und also auch ihre regressive Metamorphose bestimmen.
Wir können alles gesagte kurz so zusammenfassen: In den Seetiefen, wo eine an 0 gränzende, doch keine absolute Finsterniss herrscht, sind die dort lebenden Thier- arten entweder mit höchst entwickelten Sehorganen ver- sehen oder aber werden die Augen durch andere Hülfs- organe ersetzt, die eine beträchtliche Entwickelung erlangen.
1) Die mit dem Schleppnetz herauf geschafften Thiere verlegte ich immer erst in kleine Wasserbassins behufs angedeuteter Beobach- tungen ; das Verhalten der Thiere zum Schlamm sieht man übrigens auch schon im Schleppnetz selbst, indem die Wasserthiere (entgegen den Schlaramthiereu) sich nur seicht in den Schlamm einwühlen und dort auch bald ersticken.
126 Oscar Grimm: ZurKenntniss einiger blinden Amphipoden etc.
Diese Organe entwickeln sich aber auf verschiedenen Kör- pertheilen, entsprechend den äusseren Bedingungen und der Lebensart des Thieres, was als primum movens des ganzen Prozesses der Rückbildung der einen Organe und derEnt- wickelung der anderen betrachtet werden muss.
Die homerische Thierwelt. Ein Beitrag zur Geschichte der Zoologie.
Von
Otto Koerner,
stud. med.
Die homerische Zoologie ist schon mehrfach bearbeitet worden, jedoch nur für Philologen oder wenigstens für Solche, die sich eingehender mit Homer beschäftigen wol- len. Die zoologische Seite des Gegenstands hat dabei selbst- verständlich eine eingehende, geschweige denn vorzugs- weise Berücksichtigung nicht finden können. Gleichwohl wird das richtige Verständniss Homers sicherlich nur dann gewährleistet sein, wenn auch dem zoologischen Standpunkt volle Beachfung zu Theil wird.
Unter diesen Umständen wird der Nutzen einer vor- zugsweise vom letzteren Standpunkt aus vorgenommenen Bearbeitung desselben Gegenstandes auch von den Philo- logen nicht verkannt werden können und der Verfasser nimmt umsoweniger Anstand, die nachfolgende Arbeit zu veröffentlichen, als er nicht nur von andern Gesichtspunkten als seine Vorgänger ausgegangen, sondern auch zu theil- weise ihn selbst überraschenden Ergebnissen gelangt ist, welche ihm von allgemeinerem Interesse zu sein scheinen, weil sie sowohl für die Geschichte der Zoologie, als auch für die richtige Würdigung Homers erheblich sind.
128 Otto Koerner:
Die Zoologie des classischen Alterthums, deren vor- nehmster Vertreter Aristoteles ist, konnte nach Carus^) nicht entstehen, ohne dass ihr eine „einfache und anspruchs- lose Kenntniss von Thieren" vorausgegangen wäre.
Wo eine solche Kenntniss von Thieren aus voraristo- telischer Zeit zu finden sei, hat Carus nicht näher be- zeichnet. Vieles der Art mag wohl durch mündliche Tradition tiberliefert worden sein, aber eine ungleich grös- sere Bedeutung musste hier eine schriftliche Aufzeichnung zoologischer Kenntnisse erlangen. Eine Solche ist in den besonders zahlreichen und anziehenden Schilderungen aus dem Thierleben, welche in llias und Odyssee enthalten sind, überliefert. So war Aristoteles nicht auf die urtheilslose mündliche Tradition angewiesen, sondern stand auf den Schultern Homers, der naturgeschichtliche Kennt- nisse seines Zeitalters, in die Fesseln der gebundenen Rede geschlagen und somit unverfälschbar im Laufe der Jahr- hunderte, hinterlassen hat. Eine geschichtliche Behandlung der Zoologie muss also mindestens bis auf Homer zu- rückgehen.
Die Anspruchslosigkeit der homerischen Thierkenntniss lässt sich schon daraus erkennen, dass der Dichter die Er- forschung der thierischen Natur nirgends zum Zweck seiner Darstellung erhebt. Aber gerade in dem Umstände, dass die Thierschilderungen ohne lehrhafte Absichten gegeben sind, liegt ein grosser Theil ihres Werthes. Treffend be- merkt über sie Buchholz^): „Die homerische Thierschil- derung muss den wahren Naturfreund erwärmen und hin- reissen. Er wird vor Allem an ihr die Treue und Wahrheit bewundern, welche mit fast mikrologischer Akribie, dem Naturleben selbst die feinsten Züge ablauscht; er wird staunen über die umfassende Beobachtungsgabe des Dich- ters, dessen Scharfblick in alle Naturgebiete eindringt, wie auch über das lebhafte Colorit und die Anschaulichkeit, welche er allen seinen Naturschilderungen zu verleihen weiss. — Und was die Beobachtung der Thierwelt bei
1) Carus, Geschichte der Zoologie. München 1872. p. 9.
2) Buchholz, Homerische Realien. Leipzig 1871, Bd. I. Abth. Tl. pag. 8 u. 3.
Die homerische Thierwelt. 129
Homer im Einzelnen betrifft, so ist es wunderbar, wie unendlich viele Züge derselbe dem Thierleben abgelauscht hat und wie er dieselben in Beziehung zum Menschen zu setzen weiss."
Bei diesen Schilderungen kommt ihm jene bekannte Eigenthümlichkeit seiner Darstellungsweise trefflich zu Stat- ten, welche darin besteht, dass er nur fortschreitende Handlungen schildert und alle einzelnen Dinge nur durch ihren Antheil an diesen Handlungen hervortreten lässt. Der Löwe z. B. ist ihm bald starkmähnig, bald hat er funkelnde Augen ; er ist auch wohl der Gewaltige, Verder- ben Sinnende. Weiter jedoch lässt sich der Dichter auf seine Beschreibung und Charakterisirung im einzelnen Falle nicht ein. Schildert er aber die nächtlichen Raubzüge desselben, wenn fernes Brüllen sein Herannahen verkündet und Mensch wie Thier angstvoll dem Morgen entgegen sieht; oder lässt er ihn kampflustig den versammelten Männern eines ganzen Gaues entgegentreten, dann streut er in die Schilderung der fortschreitenden Handlung man- cherlei den Artcharakter treffend bezeichnende Einzelheiten ein. Aus solchen zoobiologischen Schilderungen lässt sich dann eine im einzelnen Falle allerdings unvollständige Beschreibung des betreffenden Thieres herauslesen. Wenn z. B; kampfesmuthige Krieger mit den Wölfen verglichen werden, „die mit unsäglicher Kraft den Edelhirsch im Gebirgswald zerrissen und aufgezehrt haben, dann mit blutgerötheten Wangen in Rudeln hinziehen und, nachdem sie von der Oberfläche trüber Quellen mit schmaler Zunge Wasser geleckt haben, rothes Blut wieder ausspeien, mit furchtlosem Sinn in der Brust und aufgetriebenem Bauche" — so erfährt man aus dieser Schilderung: Der Wolf ist raub- gierig und gefrässig; er hält sich in Gebirgswäldern auf und jagt in Rudeln den Hirsch. Seine Zunge ist schmal und er trinkt, indem er das Wasser oberflächlich leckt.
Die in Betracht kommenden Stellen der Ilias und Odyssee enthalten meist sehr weit ausgeführte Ver- gleich ungen der Heldenthaten einzelner Führer oder der Bewegungen ganzer Heerschaaren mit ähnlichen Erschei- nungen im Thierleben. Da diese Gleichnisse dem Dichter
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 9
13Ö Otto Koerner:
nur dazu dienten, seinen Hörern*) einen Vorgang recht anschaulich zu machen, so konnte er darin aus dem Thier- leben nur das anführen, was diesen und ihm selbst aus eigner Erfahrung wohl bekannt war. Schon diese An- spruchslosigkeit der Angaben bürgt für ihre Richtigkeit.
Ferner veranlasst die Wichtigkeit der Hausthiere den Dichter oft zu anziehenden Schilderungen; auch manches Jagdabenteuer berichtet er und lässt nicht selten den Menschen aus dem Benehmen der Thiere den Willen einer Gottheit erkennen. Selbst im letzteren Falle ist seine Schilderung naturgetreu und nur das zu kritischer Zeit stattfindende und unvorhergesehene Eintreten eines Vor- gangs aus dem Thierleben bestimmt die Entschlüsse der Sterblichen.
Die Beobachtung der Thiere im homerischen Zeitalter wurde durch die beständige Berührung mit denselben aus- serordentlich begünstigt. Pferde- und Viehzucht betrieben die Edeln in gewaltigem Massstabe; die Heerden mussten vor zahlreichen Raubthieren geschützt werden; Jagd und Seefahrt lehrten die Lebensweise weiterer Thiere genau kennen. Ausserdem ging eine der am meisten frequentir- ten Zugstrassen der Vögel ^) über die Wohnsitze der home- rischen Griechen hin. Eine gewisse Abgeschlossenheit gegen Nichtgriechen schützte vor den Sagen von fabel- haften Thieren anderer Länder, die später so verbreitet und der Entwickelung der Zoologie vielfach hinderlich waren. Höchstens brachten phönicische Handelsleute Elfen- bein und den Saft der Purpurschnecke. Sie mögen es auch gewesen sein, die in ihrer reichen orientalischen Phantasie aus einem grossen Cephalopoden die fabelhafte Scylla, die einzige zoologische Ungeheuerlichkeit der home- rischen Gesänge, entstehen Hessen^).
1) Die homerischen Gesänge wurden ursprünglich mündlich überliefert. — Die Frage, ob sie von einem oder mehreren Dichtern stammen, hat auf vorliegende Untersuchungen keinerlei Einfluss.
2) S. u. Kranich und Krammetsvogel.
3) S. u. Mollusken. Mythologische Ungeheuer gehören natür- türlich nicht hierher.
Die homerische Thierwelt. 131
Die Volkstbitmlichkeit der zoobiologisclien Angaben Homers ist scbon dureb Zweck und Art seiner naturge- scbiebtlicben Gleichnisse (s. o.) hinreichend gewährleistet. Auch rauss noch in Betracht gezogen werden, dass ein Dichter auf seine Zeitgenossen und ihre Nachkommen nur zu wirken vermag als ein Sohn seiner Zeit, welcher dem Wissen seiner Epoche treffenden Ausdruck zu geben weiss (Jordan). Wenn irgend, so trifft das bei dem episcben Dichter und besonders bei Homer zu. Denn ein Dichter, dessen Gesänge ursprünglich nicht geschrieben waren, der genöthigt war, sie durch mündlichen Vortrag zur Kennt- niss seiner Zeitgenossen zu bringen, musste durch den Beifall, welchen diese seinen Werken zollten oder versagten, erkennen, was wirkungsvoll und was zu feilen oder gar auszuscheiden war. So ist seine Dichtung fast mehr ein Werk seiner Zeit, als sein eigenes.
Wenn aber Homer auf Aristoteles eingewirkt haben soll, so müssen seine Dichtungen auch zu des Letzteren Zeit noch volksthümlich gewesen sein. Aber lernte denn nicht die Jugend in den attischen Schulen während der ganzen classischen Zeit vor allem Andern die beiden home- rischen Gedichte kennen? Den Zeitgenossen des Aristo- teles, den Philosophen und Rednern seiner Zeit, ja der ganzen Nation galten die weisen Lehren des uralten Dich- ters als sinnvoller Schmuck der Rede und vertraten oft die Stelle des vollgültigen Beweises. Und so ist es wohl unzweifelhaft, dass eine einfache und anspruchslose Kennt- niss von Thieren, wie sie der classischen Zoologie der Griechen, der Zoologie des Aristoteles vorausgehen musste, in den homerischen Gesängen überliefert ist.
Dass die homerische Thierschilderung eine so wichtige Stelle in der Geschichte der Zoologie auszufüllen würdig ist, soll durch eine vollständige Darlegung und kritische Prüfung der zoobiologischen Kenntnisse des Dichters ge- zeigt werden. Der Verfasser ist bei der Bearbeitung dieses Gegenstandes zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Erklärer^) Manches bisher übersehen, Anderes falsch oder
1) Die homerische Zoologie wurde zuerst von Groshans in seinem Prodromus faunae Homeri et Hesiodi zusammengestellt.
132 Otto Koerner:
gar nicht verstanden haben, weil sie die betreffenden Dinge nur vom sprachlichen und nicht zugleich vom naturge- schichtlichen Standpunkte aus betrachteten. In neuester Zeit ist man darauf aufmerksam geworden, wie nahe Sprach- wissenschaft und Naturwissenschaft verwandt sind und wie sich ihre Resultate ergänzen müssen — und wo der Ver- fasser eine homerische Stelle auf Grund naturgeschichtlich feststehender Thatsachen anders erklären muss, als es bis- her geschehen, da scheint es ihm auch, dass seine Auf- fassung nicht nur sprachlich zulässig, sondern auch unge- zwungener ist, als die frühere.
Ueberhaupt dürfen zur Erklärung der betreffenden Stellen nur feststehende zoologische Thatsachen herange- zogen werden. Die früheren Bearbeiter sind bei der Iden- tificirung der homerischen Thiere mit denen, welche jetzt in den in Betracht kommenden Gegenden leben, nicht immer vorsichtig genug gewesen, denn sie bemühen sich oft, Thiere zu bestimmen, bei denen die Angabe der Species wegen ihrer kurzen Erwähnung ebenso unmöglich wie gleichgültig ist. Dabei nehmen sie meist Bezug auf Ari- stoteles; doch selbst hierbei können schon Fehler vor- kommen. So wird z.B. nachgewiesen werden, dass Homer unter ^wg den Schakal versteht, während bei Aristoteles dieses Thier eher eine Viverre zu sein scheint. Ueber ähn- liche Fälle von Unzuverlässigkeit der Tradition berichten Aubert und Wimmer^).
Bei der Uebersetzung der Farbenbezeichnungen hat der Verfasser aus zoologischen Gründen die von
Netolika brachte „Naturhistorisches aus Homer." Friedreich behandelt in seinen „Realien in der Ilias und Odyssee" die home- rische Zoologie kurz und in der neuesten Zeit lieferte Buch holz in den „homerischen Realien" eine ausführliche Bearbeitung des- selben Gegenstandes, die jedoch, was das Naturgeschichtliche betrifft, manche Irrthümer enthält. — Nicht berücksichtigt wurde die home- rische Zoologie von Lenz (,, Zoologie der alten Griechen und Römer") und von Carus („Geschichte der Zoologie").
Die übrige, sehr zerstreute Litteratur wird an den betreffen- den Stellen citirt v/erden.
1) Aubert und Wimmer, Aristoteles' Thierkunde, Leipzig 1868, vol. L p. 57.
Die homerische Thierwelt. 133
Geiger^) befolgten Prinzipien als die einzig richtigen anerkennen müssen.
Von wie grosser Wichtigkeit es ist, Homer möglichst aus sich selbst zu erklären, zeigt sich am deutlichsten, wenn man die geographische Verbreitung einiger ho- merischen Thiere mit den Wohnsitzen, welche sie jetzt inne haben, vergleicht. Dass in einem Zeiträume von etwa 2500 Jahren, wie er von der Entstehung der homerischen Ge- dichte bis zur Gegenwart verflossen ist, Aenderungen in der geographischen Verbreitung der Thiere stattfinden können, ist schon deshalb ausser allem Zweifel, weil noch gegenwärtig im Lauf weniger Decennien solche beobachtet worden sind und noch fortwährend beobachtet werden 2). Um wie viel mehr ist das bei einem so grossen Zeiträume möglich. Aber wie lässt sich vor Allem die geographische Verbreitung der Thiere zur Zeit Homers feststellen, da dieser so wenig sichere Ortsaugaben macht? Hierzu ist Folgendes zu bemerken:
Es besteht kein wissenschaftlich begründeter Zweifel darüber, dass die homerischen Gesänge ausschliesslich an der Westküste von Kleinasien entstanden sind. Wer nun des Dichters bis in alle Einzelheiten genauen und naturgetreuen Schilderungen aus dem Thierleben und den oben näher dargelegten Zweck seiner Gleichnisse betrachtet, müss zu der Ueberzeugung kommen, dass diesen Allen nur eigne Beobachtungen des Dichters oder von ihm als allge- mein bekannt vorausgesetzte Erfahrungen zu Grunde liegen können. Daraus folgt wieder, dass alle in den Gleichnissen der II las und der Odyssee genauer beschriebenen Thiere vor 2500 Jahren in den Küstengegenden Kleinasiens vor- gekommen, ja sogar häufig gewesen sein müssen — ein Schluss den auch Buch holz I.e. öfters zieht. Eine gegen- theilige Ansicht von Carus wird weiter unten, wo vom Löwen die Rede ist, erwähnt werden.
1) L. Geiger, Zur Entwickelungsgeschichte der Menschheit, Stuttgart 1871, und Ursprung und Entwickelung der menschlichen Sprache und Vernunft, ebenda 1872.
2) cf. Dr. F. C. Noll, Die Erscheinungen des sogenannten Instinkts, Frankfurt a. M. 1876, p. 47 ff.
134 Otto Koeriier:
Dass bei dem Nachweis von Veränderungen in der geographischen Verbreitung der Thiere auch nach der Ur- sache derselben gesucht werden muss, ist selbstverständ- lich. Es sei gleich hier bemerkt, dass klimatische Ver- hältnisse dabei nicht in Betracht kommen können, da Veränderungen des Klimas der kleinasiatischen Westküste seit Homer nachweisbar nicht stattgefunden haben ^).
Die Anzahl der dem Dichter bekannten Thierarten ist nicht gross — es sind ihrer etwa siebenzig. Aber diese hat er meist so trefflich charakterisirt, dass es nur in sehr wenigen Fällen unmöglich ist, aus seinen Angaben die Species mit Sicherheit zu bestimmen. Doch nicht die An- zahl der bekannten Thiere, sondern der Grad der Bekannt- schaft mit ihnen muss den Werth seiner Angaben be- stimmen.
Eine systematische Gliederung des Thierreichs ist bei Homer noch nicht vorhanden. Die zoologischen Systeme entsprechen immer mehr oder weniger dem Masse der anatomischen Kenntnisse ihrer Begründer und Homer besass deren nur sehr geringe. Er kannte zwar die grö- bere Anatomie der zu Opfern und culinarischen Zwecken getödteten Thiere einigermassen ; im Uebrigen war er aber ganz auf den Zufall angewiesen.
Jedoch bildet bei Homer die Vereinigung von mehreren Thieren unter einzelnen Gruppen gleich- sam den Urbeginn einer systematischen Gliederung, Die- selbe findet aber nur so statt, dass viele Thiere vereinzelt ausserhalb der Gruppen stehen. Für jede Gruppe hat der Dichter einen Ausdruck; jedoch für den Begriff „Gruppe" selbst fehlt ihm ein solcher. Nur unserer „Art" entspricht bei ihm das Wort yevog, z. B. yevog avd^QtoTitov, yevog ?]ini6viov, yivog ßoMv.
Das Wort ^ t] q, das in der späteren griechischen Literatur unserem „Thier" entspricht, hat bei Homer eine
1) Verfasser hat sich die Mühe genommen, sämmtliche auf klimatische Verhältnisse bezüglichen Stellen in Ilias und Odyssee zusammenzustellen und mit den Bemerkungen über das gegenwärtige Klima Kleinasiens, welche in Griesebach's Flora der Erde gemacht sind, zu vergleichen.
Die homerische Thierwelt. 135
speziellere Bedeutung; wir müssen es mit „grösseres Raub- thier" übersetzen. An einigen Stellen beisst es ohne Wei- teres „der Löwe*^
Das Wort S-rjQioVj das Homer einmal von einem gewaltigen Edelhirsche, also nicht diminutiv gebraucht, kommt bei Theokrit von der Biene, bei andern Späteren auch von Fischen und von der Spinne vor. Es wäre mög- lich, dass dasselbe dem sonst bei Homer fehlenden Begriffe „Thier" (im Gegensatz zu Mensch und Pflanze) entspräche.
Für unser „Säuget hier" findet sich bei Homer keine Bezeichnung.
Die Vögel in ihrer Gesammtheit heissen 7T€T£r]va, d. i. Alles was da fliegt. Der Vogel im Gegensatz zu anderen Thieren heisst o^v/c:.
Bei den Schlangen scheint offig die Gruppe zu be- zeichnen, während ögaKtov und vÖQog Species sind.
Der Fisch heisst Ix^vg-
Für die Insekten, sowie für die übrigen Klassen der niederen Thiere finden sich keine besonderen Gruppen- bezeichnungen.
Als Klasse im heutigen Sinne können nur die Vögel gelten, da ihnen eine Gruppe (die oliovol) unter- geordnet wird. Die Uebrigen, z. B. d. Fische, haben nur den Werth einer Gruppe, weil bei ihnen die eben erwähnte Bedingung nicht eintrifft.
Die Gruppen sind folgende :
1) Unter der Bezeichnung i9'^(>£ 4; vereinigt der Dich- ter die grösseren Raub thiere, z. B. H. 3, 449; 15, 586; 0. 5, 473; 24, 292 u. 0. (Der Berg Ida heisst H. 14, 283 ^Mutter der Raubthiere.")
2) Als liiTJAa, etwa „Kleinvieh" bezeichnet er Schafe und Ziegen, z. B. 0. 9, 184 inrjX\ oug xe '/,al aiyeg. cf. IL 4, 275; 10, 485; 16, 352.
3) Die wildlebenden Säugethiere, deren Jagd directen Nutzen gewährte, werden 0. 17, 317 unter dem Begriffe ■/.Vit) dal ov, Wild, zusammengefasst.
4) Die im Meere lebenden Säugethiere werden '/.rtog genannt; so die Robbe ((pco-/,^) 0. 4, 446; — 0. 12,
136 Otto Koerner:
96 ist von ;, Seehunden, Delphinen- und noch grösseren Seethieren (■nTjTogY die Rede.
5) Die grossen Raubvögel, namentlich diejenigen, welche als Weissagevögel in Ansehen standen, werden oicüvol genannt, cf. IL 1, 5; 24, 310; 0. 3, 259; 16, 216; 24, 292 etc.
6) Die Schlangen, s. o.
7) Zu den Fischen ih^i^'Q) rechnet Homer ausser dem Aal II. 21, 22 auch noch den Delphin, den er jedoch 0. 12, 96 mit den Meersäugethieren vereinigt (s. o.). Weitere Fischspecies nennt er nicht, sondern spricht nur von der ganzen Klasse oder besser Gruppe.
8) Verschiedene Mücken- und Schnakenarten vereinigt er unter dem Begriffe ßvlaij ohne jedoch die einzelnen Arten besonders namhaft zu machen. —
Eine Darstellung der homerischen Zoologie muss sich an diese Gruppirung halten, wenn sie den Anschauungen des Dichters möglichst gerecht werden will. Dabei ent- steht aber die Schwierigkeit, die ausserhalb dieser Gruppen stehenden Thiere unterzubringen. Wenn jedoch bei den Säugethieren der Marder (y-Ttg) den d^ijgeg angereiht wird und wenn zu den jurjXa die übrigen Hausthiere (Hund, Rind, Pferd, Esel, Maulthier und Schwein) gestellt werden, so ist nur noch die Fledermaus {vvxreQig) be- sonders zu behandeln.
Bei den Vögeln lassen sich die Wasservögel in des Wortes weitester Bedeutung leicht zusammenstellen, da auch der Dichter oft mehrere Arten derselben zusammen an- führt. Dann bleiben noch einige kleinere Vögel übrig.
Die niederen Thiere, welche nicht in die Gruppen fallen, sollen in der ihnen zukommenden Reihenfolge des gegenwärtig massgebenden Systems behandelt werden.
Die homerische Thierwelt. 137
I. I^äugethiere.
A. Raubthiere.
Der Löwe.
Felis leo, o, i] Utov oder lig. II. 10, 184 ist d^r^Q^ sonst „grösseres Raubthier", geradezu mit „Löwe" zu über- setzen (s. u.).
Beiwörter des Löwen sind:
yjxQOTcöq mit funkelnden Augen; svyivsiog mit starker Mähne; oloocpQtov Verderben sinnend; xgareQog stark; ILieyag gewaltig; aiS^wv feurig, muthig; to/iiocpayog fleisch- fressend, roh verschlingend; oiwi^g reissend; oQsairQOipog bergbewohnend.
Seine Farbe ist öacpoLvog gelbbraun (II. 10, 23).
Die jungen Löwen heissen oytif^ivol (II. 18, 320).
Löwenmuthig (ßvinoXicüv) wird Odysseus genannt und von Aeneas heisst es (II. 5, 299): „er schritt einher, wie ein Löwe auf seine Kraft vertrauend." Polyphem frisst wie ein Löwe (0. 9, 292).
Ferner ist der Löwe „Symbol des Todes", denn IL 21, 483 wird von der Artemis, welcher die plötzlichen Todes- fälle der Frauen zugeschrieben werden, gesagt, Zeus habe sie den Weibern zum Löwen gemacht^).
Den Lebenslauf des Löwen schildert der Dichter I. 5. 554: „Wie zwei 2) Löwen, auf den Höhen des Gebirgs von der Mutter unter dichtem Waldesdickicht aufgenährt, beide dann Rinder und fettes Kleinvieh raubend in den Hürden der Männer Verwüstung anrichten, bis sie unter den Händen der Hirten dem spitzen Erze unterliegen: so fielen die Achäer, bezwungen von Aeneas."
Die Liebe zu den Jungen wird in folgenden Stellen erwähnt: I. 17. 132: „Ajas hielt Stand, indem er den Me- nötiaden mit seinem Schilde deckte, wie eine Löwin bei ihren Jungen, wenn sie von Jägern angetroffen wird, wäh-
1) Friedreich, I. c. p. 101.
2) Die Löwin bringt meist zwei Junge zur Welt.
138 Otto Koerner:
rend sie die Kleinen im Walde herumführt; sie trotzt auf ihre Stärke und zieht die Stirnhaut nieder.^ ^)
Achilles seufzt an der Leiche des Patroklus: ;,wie ein Löwe mit starker Mähne, dem ein Jäger die Jungen aus dichtem Walde geraubt hat; grollt, weil er zu spät ge- kommen, und dann viele Schluchten durcheilt, nach den Spuren des Mannes suchend, ob er ihn wohl fände, denn heftiger Zorn hat ihn erfasst." II. 18, 318.
Den Beginn seiner nächtlichen Raubzüge kündet der Löwe zunächst durch Brüllen an 2). Homer schildert eine derartige Scene ganz wie Jules Gerard^), in dem schönen Gleichnisse II. 10, 183: „Wie die Hunde bei einer Schaf- heerde die Nacht in der Hürde wachend zubringen, wenn sie die Stimme des furchtlosen Löwen^) vernommen haben, der durch den Bergwald herabsteigt; viel Lärm entsteht seinetwegen unter den Männern und Hunden und der Schlaf weicht von ihnen: so schwand auch Jenen der erqui- ckende Schlummer von den Augenlidern, als sie die schlimme Nacht durchwachten, denn immer waren sie nach der Ebene gewandt, ob sie die Troer herannahen hörten."
üeber die Raubzüge des Löwen geben folgende Stellen weiteren Aufschluss :
,,Er schrittt einher, wie ein bergbewohnender Löwe, der, vom Regen nass und vom Sturm (an der Mähne) zer- zaust mit funkelnden Augen Rindern oder Schafen und den Hirschen des Waldes nachgeht; es zwingt ihn aber der Magen (d. h. der Hunger), sich an Schafen zu versuchen und in das feste Gehege einzubrechen." 0. 6, 130.
„Wie wenn im Dickicht des starken Löwen die Hirsch- kuh ihre neugeborenen, milchsaugenden Jungen gebettet
1) Das Niederziehen der Stirnhaut deutet den Zorn an.
2) ßrehm, Thierleben, Volksausgabe, Bd. I. p. 114.
3) Jules Gerard, der Löwenjäger, p. 12.
. 4) Es steht hier nicht Xitav, soudera nur d-tiQ. Da aber der Löwe das einzige Raubthier ist, das sein Herannahen durch Brüllen anzeigt, und überhaupt wohl kein homerisches Gleichniss gefunden werden dürfte, in dem der Ueberfali des Löwen treffender geschil- dert wäre, 80 sind wir gezwungen, hier &riQ ohne Weiteres mit „Löwe" zu übersetzen.
Die bomftrisuhe Thierwelt. 139
hat und Höben und Schluchten weidend durchsi)äht, wäh- rend jener in sein Lager zurückkehrend beiden Jungen ein schreckliches Ende bereitet; so wird auch Odysseus den Freiern ein schreckliches Ende bereiten." 0. 4, 335. Aehnlich IL 11, 113. (s. unter .Edelhirsch'').
II. 3, 23 ist als Beute des Löwen Hirsch und Steinbock angegeben. II. 16, 756 kämpfen zwei Löwen um eine erjagte Hirschkuh. Ebenda 824 überwältigt ein Löwe einen Eber im Kampf um das Wasser einer Quelle.
Die beiden Ajas halten den gefallenen Imbrios hoch empor und rauben ihm die Rüstung, sowie zwei^) Löwen eine den Hunden abgejagte Ziege davon tragen, indem sie dieselbe in ihrem Rachen hoch über die Erde halten IL 13, 198.
„Die Trojaner flohen mitten über die Ebene, wie Rinder, die ein Löwe in dunkler Nacht 2) erschreckte; eine Kuh traf das herbe Geschick; jener fasste sie und zerbrach ihr zuerst den Nacken mit starkem Zahn, dann schlang er das Blut und die Eingeweide hinunter". IL 11, 171. Aehnlich IL 5, 161. Vergl. ferner IL 18, 579. 15, 630.
IL 5, 136: „Jetzt ergriff den Diomedes dreifache Wuth, wie einen Löwen, welchen der Hirt im Felde bei den wolligen Schafen streifte, als er die Hürde übersprang, ohne ihn zu tödten: er hat ihm nur den Zorn erregt und wehrt ihn nicht weiter ab, sondern verbirgt sich im Stalle und Schrecken ergreift die verlassenen Schafe. Die nun sind dicht aufeinander gedrängt; der Löwe aber springt wüthend aus dem hochumbauten Gehege: in solcher Wuth stürzte sich der gewaltige Diomedes unter die Troer. ''^)
1) Nach Jules Gerard, 1. c. jagen nur junge Löwen gemein- schaftlich. Vgl. noch IL 18, 579. Ob das gemeinsame Wegschleppen der Beute naturhistorisch gerechtfertigt ist, kann wohl kaum ent- schieden werden.
2) Der Löwe geht vorzugsweise Nachts auf Raub aus. Vgl. IL 17, 657.
3) Diese Stelle ist bisher meist falsch verstanden worden. Man glaubte, die Worte cd /usv T^y^idTTvcu i7i''o:Xlr]X)jGi yJ/vvTtu bedeuteten : Die gemordeten Schafe liegen haufenweise auf einander.'' So Voss und Andere. Von Mord und Blut steht jedoch nichts da. Auch entfernt sich der Löwe nicht ,, nachdem er sich gesättigt" wie La Roche z. d. St.
140 Otto Koei^er:
Nicht immer gelingt dem Löwen der Ueberfall, das Ge- bell der Hunde, die Speere der Hirten verjagen ihn: ^es schaudert ihm das starke Herz und unwillig entfernt er sich von dem Gehöfte''. (H. 17, 110.) Aehnlich ebenda 657: „Menelaus entfernte sich (nach dem Tode des Patro- klos) wie ein Löwe von dem Gehöfte, wenn er Hirten und Hunde beständig reizend ermüdet hat, die während der ganzen Nacht wachend ihn nicht die fetten Rinder kosten lassen. Er aber, nach Fleisch lüstern, greift an; vergebens, denn dichtgedrängt fliegen ihm aus kühnen Händen Wurf- speere und brennende Fackeln entgegen, die er gar schnell flieht. Um das Morgenroth aber geht er mit betrübtem Herzen davon. So ging Menelaos etc."
Der hungrige Löwe jedoch lässt sich nicht verscheu- chen, auch wenn er seine Kühnheit mit dem Tode büssen muss. H. 12, 300.
Hat der Löwe sich an einem erbeuteten Thiere ge- sättigt, ohne es gänzlich aufzuzehren, so kehrt er, wie Gerard und Andere versichern, öfters in der nächsten Nacht noch einmal zu ihm zurück, um es vollends zu ver- tilgen. So lässt sich die Stelle II. 3, 23 erklären, wo ein Löwe den Leichnam eines Hirsches oder Steinbocks ver- zehrt. Doch verdient hier eine andere Erklärung vielleicht den Vorzug. Da nämlich an der betr. Stelle noch erwähnt wird, dass sich der Löwe beim Fressen selbst durch die
einschaltet — auch davon steht nichts da. Homer wusste recht gut, dass der Löwe nicht unnöthigen Massenmord liebt, uud dass er sein Opfer nicht in der Hürde verzehrt, sondern, es im Rachen tragend, über den Zaua zurückspringt und es weit wegschleift (cf. II. 13, 198, ferner Brehm, 1. c. p. 115.) Die Stelle ist vielmehr, so zu verstehen: Homer will die Wuth des Diomedes schildern. Deshalb sagt er: ein hungriger Löwe springt über die Hürde um sich zu sättigen. Da wird er verwundet, vergisst den Hunger vor Rache- durst, kann aber seinen versteckten Gegner nicht finden. Seine Wuth steigt auf's Höchste — die Schafe haben sich ängstlich in eine Ecke gedrückt — und er springt wieder aus der Hürde. In einer solchen Wuth wie der ungesättigte, verwundete und unge- rächte Löwe war Diomedes.
Ueber die bekannte Thatsache, dass der Löwe einen miss- lungenen Angriff nicht wiederholt, vergleiche Brehm 1. c. p. 117.
Die homerische Thierwelt. 141
in der Nähe befindlichen Hunde und Jäger nicht stören lasse, so liegt die Vermuthuiig nahe, dass er sich des von den Jägern verwundeten und eben verröchelnden Thieres bemächtigt habe. Der Fall hätte dann Aehnlichkeit mit einem II. 11, 474 berichteten (s. unter Schakal).
Natürlich wurde auf einen so gefährlichen Räuber, wo er sich nur blicken Hess, eifrig Jagd gemacht, z. B. II. 20, 164: „Von der andern Seite stürmte der Pelide heran wie ein reissender Löwe, den die versammelten Männer eines ganzen Gaues tödten wollen : er schreitet zu- erst verachtend einher; sobald ihn aber einer der Männer mit dem Speere trifft, duckt er sich mit weit geöffnetem Rachen, Schaum umhüllt seine Zähne, in der Brust stöhnt ihm sein starkes Herz und er treibt sich selbst zum Kampfe an, indem er beide Seiten und Hüften mit dem Schweife peitscht. Mit funkelnden Augen stürzt er muthig gerade aus, sei es dass er einen Mann tödte, oder dass er selbst vorn im Gedränge umkomme." Aehnlich wird diese Art der Löwenjagd, die nach Jules Gerard's Bericht^) bei einigen Araberstämmen in Algerien noch heutzutage üblich ist, IL 12, 40 und 0. 4, 791 geschildert.
Das Fell des erlegten Löwen wird als Mantel benutzt, z. B. von Agamemnon IL 10, 23.
Aus der Genauigkeit dieser Schilderungen^) geht un- widerleglich hervor, dass der Dichter den Löwen aus eigner Anschauung kannte. Wir sind deshalb nach dem, was wir in der Einleitung gesagt haben, zu der Behauptung berech- tigt, dass der Löwe im homerischen Zeitalter in Kleinasien häufig war — ein Schluss, zu dem auch Buchholz ^) ge- langt. Seine Verbreitung war überhaupt früher viel grösser
1) Jules Gerard, 1. c. p. 23 ff.
2) Prätorius (Die Hausthiere der alten Griechen, ZooL Garten XV. p. 459) sagt von ihnen: „sie haben eine auffallende Aehnlichkeit mit der Beschreibung, welche Brehm von den Zügen des afrikanischen Viehräubers gibt."
3) Buchholz, 1. c, I. Bd. IL Thl. p. 206.
142 Otto Koerner:
als jetzt. Er fand sich zur homerischen Zeit ausserdem in Indien^), in Syrien und Palästina ^j, dann in Meso- potamien und wahrscheinlich in ganz Afrika mit Ausnahme der Wüsten und in Griechenland und Macedonien. Dort findet er sich noch später zur Zeit des Xerxes, häufig zwischen Achelous (dem heutigen Aspropotamo) und Nestus (d. h. Struma). Dieses von Herodot (VII, 124—126) be- zeugte Vorkommen bestätigt Aristoteles^). Dort soll er noch um 150 nach Christus vorgekommen und öfters bis zum Olymp vorgedrungen sein (Pausanias 6, Eliac. 5).
Wir haben also drei Verbreitungsgebiete, das afrika- nische, das asiatische und das europäische, die höchstwahr- scheinlich in uralter Zeit nicht geschieden waren. Zuerst wird sich wohl das europäische vom asiatischen getrennt haben (entweder durch Verschwinden einer festen Verbin- dung am Hellespont oder am Bosporus, oder durch Aus- sterben des Löwen in einem das schwarze Meer umgehen- den verbindenden Verbreitungsgebiete. Dann (vielleicht schon in historischer Zeit) wurde das afrikanische Gebiet vom asiatischen durch die zunehmende Bevölkerung und die damit zusammenhängende Ausrottung des Löwen in Unterägypten abgeschieden.
In Europa werden Löwen nach 150 n. Chr. nicht mehr erwähnt. In Nordafrika wurden sie gegen Ende der römi- schen Republik und zur Kaiserzeit durch das massenweise Einfangen für die Circusspiele stark decimirt.
In Algerien wurden ihre Reihen neuerdings durch französische Löwenjäger (Jules Gerard u. A.) stark ge- lichtet. In Palästina sollen sie noch im 12. Jahrhundert
1^ W. Stricker, lieber die Thierfabel, bes. die indische, Zool. Garten XVIII, p. 264.
2) Rosenmüller, Handbuch der bibl. Alterthuraskimde, 4. Bd. 2. Thl. p. 111 fif.
3) Carus hält die Stellen des Aristoteles, wonach der Löwe in Griechenland vorkam (h. a. VI 31. 178 u. VIII 28 , 165), mit Siindcvall (die Thierarten des Aristoteles, Stockholm 1863, p. 47) für dem Herodot entnommen. Nach ihm soll auch der Löwe den homerischen Griechen nur aus Syrien bekannt gewesen sein (1. c. p. 41), was jedoch durch unsere Ausführungen hinreichend widerlegt ist.
Die homerische Thierwelt. 143
im Uferschilf des Jordans häufig gewesen sein (? Vgl. Rosenmüller, 1. c. p. 114.j.
Gegenwärtig kommt der Löwe in verschiedenen Varie- täten noch vor in Niibien, Algier, Tunis, Marokko und in der Oase Fessan (Leo barbarus); am Senegal (L. senega- lensis) ; am Cap der guten Hoffnung (L. capensis); in Persien (L. persicus) und im nordwestlichen Theil von Ostindien (L. googratensis). Diese verschiedenen Varietäten treten jetzt um so deutlicher hervor, als wahrscheinlich die in den dazwischen liegenden Bezirken ausgerotteten Löwen einen allmählichen Uebergang derselben vermittelt hatten.
Nach Alledem scheint es, als ob die Veränderungen in der Verbreitung des Löwen nur der steigenden Bevöl- kerung und der fortschreitenden Cultur der einzelnen Ge- biete zuzuschreiben wären.
Der Leopard.
TcaQÖahg, Leopardus antiquorum Brehm. Sein buntes Fell (Ttagöalerj uotKih]) diente dem Menelaos (IL 10, 29.) und dem Paris (IL 3, 17.) als Mantel. Sein Muth wird dem des Löwen und des Ebers gleichgestellt (IL 17, 20). Proteus nimmt die Gestalt des Leoparden an (0. 4, 57). — Die einzige über ihn ausführlicher berichtende Stelle ist IL 21, 573:
„Wie der Leopard aus tiefem Dickicht dem Jäger entgegengeht und im Herzen weder Furcht noch Schrecken hegt, wenn er das Hundegebell vernimmt; denn wenn auch jener ihn früher trifft und verwundet, so lässt seine Stärke doch nicht nach, bis er entweder auf den Gegner selbst trifft, oder erlegen ist; so wollte Agenor nicht fliehen, be- vor er sich an Achilles versucht hätte."
Noch im letzten Jahrhundert der 'römischen Republik fand sich der Leopard in Kleinasien. Nach Cicero, epist. ad fam. 2, 11 u. 8, 9, war er damals in Carlen, Pamphylien und bei Cibyra häufig, seltener in Cilicien^). Ueber sein Vorkommen in Palästina und Syrien vgl. Rosenmüller, L c. p. 134 ff. und Plinius 8, 17, 23. Jetzt ist er aus ganz Kleinasien verdrängt.
1) Lenz, Zoologie der alten Griechen und Römer, p. 141.
144 Otto Koerner:
Der braune Bär.
agytTogj Ursus arctos. Nur einmal (in einer sehr spät eingeschobenen Stelle der Odyssee, 11, 612,) wird eine bildliche Darstellung von Bären, Ebern und Löwen auf dem Wehrgehänge des Herakles erwähnt. In den Stellen II. 18, 487 und 0. 5, 273 ist agyiTog das Sternbild des grossen Bären.
Aus diesen wenigen Andeutungen können wir nur schliessen, dass der Bär zu Homers Zeit an der West- küste von Kleinasien nicht häufig war^). Wäre er ein dem Dichter bekanntes Thier gewesen, so hätte ihn dieser wohl in seinen Gleichnissen angeführt. Der Bär war ja von jeher überall, wo er sich zeigte, ein populäres Thier, wie schon seine Rolle im Märchen und in der Fabel zeigt, und hätte also jedenfalls dem Dichter für die Zwecke, die er mit seinen Gleichnissen verfolgte 2), höchst willkommen sein müssen.
In den weit später als Ilias und Odyssee entstandenen sogenannten „homerischen' ' Hymnen wird der Bär mehr- mals kurz erwähnt und als laoLavxrjVj mit zottigem Nacken bezeichnet^).
Er soll gegenwärtig in den Gebirgen Kleinasiens zu
finden sein.
Der Wolf.
kmog, Canis lupus, wird bezeichnet als noliog grau, HQccTeQtovv^ mit starken Klauen, iof,iocpayog roh verschlin- gend, GivTrjg reissend, ogiazegog im Gebirge wohnend. Er ist ein Sinnbild des Muths und der Verwegenheit.
Ein Wolfsfell wird von Dolon als Mantel benutzt (II. 10, 384).
Die Streiter „stürzen wie Wölfe auf einander los" (11.4,471.).
„Wie roh verschlingende Wölfe, die mit unsäglicher Kraft den Edelhirsch im Gebirge zerrissen und aufgezehrt
1) Wie Buchholz, 1. c. p. 206 zu dem entgegengesetzten Schluss kommt, ist uns ganz unverständlich.
2) Vgl. die Einleitung.
3) Homeri hymn. VII., /Iiowaog ^ yiriaral, 46. ed Bau- meister.
Die homerische Thierwelt. 145
haben, mit blutgerötheten Wangen in Rudeln hinziehen und, nachdem sie von der Oberfläche*) trüber Quellen mit schmaler 2) Zunge Wasser geleckt haben, rothes Blut wieder ausspeien, mit furchtlosem Sinn in der Brust und aufgetriebenem Bauche: so stürmten die Führer und Rath- geber der Myrmidonen um den trefflichen Gefährten des Aeaciden" (II. 16, 156.).
„Die Führer der Danaer wählten sich einzeln Gegner : wie reissende Wölfe Schafe oder Böcke anfallen, welche sie sich aus dem Kleinvieh, das sich in Folge der Unacht- samkeit des Hirten in den Bergen verlaufen hat, aussuchen und, sobald sie solche erblickt haben, schnell die Schwachen zerreissen" (IL 16, 352).
„Ungleichen Muth haben Wolf und Lamm" (IL 22, 263). Buch holz, 1. c. p. 199 schliesst aus diesen Stellen mit Recht, dass der Wolf zur homerischen Zeit in Klein- asien häufig gewesen sei. In den Gebirgen kommt er daselbst noch jetzt vor.
Der Schakal.
i9^wg3) Cauis aureus, wird Sacpoivog, gelbbraun, und w^ocpayog, roh verschlingend, genannt.
Ausführlich wird über ihn IL 11, 474 berichtet: „Den Odysseus umschwärmten die Troer wie gelb- braune Schakale in den Bergen den verwundeten Edelhirsch,
1) So trinken alle hundeartigen Raubthiere.
2) Ist richtig.
3) Merkwürdigerweise bestritt man noch bis vor Kurzem die Identität des ^w? mit dem Canis aureus, obwohl seine Natur in der angeführten Stelle so trefflich gezeichnet ist und obwohl schon Gros- hans (Prodromus faunae Homeri et Hesiodi, fasc. I. p. 10) über- zeugende Gründe für diese Auffassung beigebracht hat.
Der Grund der Unsicherheit über den homerischeu ^w? lag wohl darin, dass man zu seiner Bestimmung den Aristoteles heranzog. Nun scheint dieser aber ein anderes Thier unter dem ^w? verstanden zu haben als Homer. Seine Beschreibung passt nur auf eine Viverre oder Genette (Aubert u, Wim mer, 1. c. L p. 69), während der homerische ^(6g ein solches Thier unmöglich sein kann, da seine Farbenbezeichnung ^a(poiv6g hierzu nicht passt, und da eine Viverre oder Genette sich wohl von Mäusen, kleinen Vögeln und Lurchen nährt, aber nie an einem Edelhirsche vergreift.
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 10
146 Otto Koerner:
den ein Jäger mit dem Pfeile getroffen hat. Zwar entgeht er dem Jäger in eiliger Flucht, so lang noch sein Blut warm ist und seine Glieder sich regen. Sobald ihn aber der schnelle Pfeil bezwungen hat, zerreissen ihn roh ver- schlingende Schakale in dunkler Waldestrift der Berge. Kommt aber von ungefähr ein reissender Löwe daher, so zerstieben die Schakale und dieser speist: so umschwärm- ten den Odysseus viele Troer — als aber Aias erschien — flohen sie in alle Winde" ^)
Auch II. 13, 103 werden Schakale erwähnt.
Der Schakal kommt noch jetzt in Kleinasien häufig vor.
Der Marder.
zrtg. Einen Helm aus Marderfell, ytTidsrjv y,vver]v, be- sitzt Dolon (II. 10, 335). Der Scholiast bemerkt zu dieser Stelle: xrlg, auch hrig ist ein vogelfressendes und zu allen schlimmen Streichen fähiges Thier, grösser und auch dichter behaart, als das Wiesel (ycc^). im Uebrigen aber diesem ähnlich. Manche nennen es auch das wilde 2) Wiesel."
Nach Buchholz ist ytrlg der Iltis, Mustela putorius? Aubert und Wimmer verstehen unter dem aristotelischen ytTig den Steinmarder, m. foina.
B. Hausthiere. Der flund.
0, ij xvcovy Canis familiaris. ^)
Beiwörter: aQyog weiss oder schnell, agyiodovg mit weissen Zähnen; xaQxagodovg mit scharfen Zähnen; naöag
1) Die Stelle erinnert lebhaft anPfeffel's Gedicht „die Stufenleiter." Buchholz nennt sie die Tragödie des verwundeten Edelhirsches.
2) Aus der Bezeichnung „wildes" Wiesel lässt sich entnehmen, dass man zur Zeit des Scholiasten eine verwandte Art gezähmt hielt. Und in der That berichtet Aelian, 4, 26: „In Indien richtet man zur Fuchs- und Hasenjagd Adler, Raben, und Frettchen (IxTig) ab." Gezähmte Frettchen werden jetzt noch zur Kaninchenjagd benutzt. Lenz, 1. c. p. 288 versteht irrthümlich an dieser Stelle unter ixrlg einen Raubvogel.
3) Schon die homerische Zeit kennt den Hund nur noch als Begleiter des Menschen, Doch bemerkt Geiger (Sprache undVer-
Die homerische Thierwelt. 147
dgyog und ctqyiTtovg^ ebenso noöag loy^vg und raxvg schnell- ftissig; ^r]Ql ioiKwg einem Raubthiere gleichend ; vXaKo/iiwQog bellsüchtig; tgaitECxig am Tische genährt; ^vgawQog am Thore wachend; IvoGrjTtjQ wüthend*).
Der junge Hund heisst oyivla^. Er ist ein Symbol völliger Schwäche und Hülflosigkeit, 0. 9, 289. Beiwort veoyLlog jung.
Häufig ist xviov ein Scheltwort mit dem Begriffe der Unverschämtheit. Helena nennt sich z. B. selbst so (IL 6, 344 u. 356). Auch die tippigen, pflichtvergessenen Mägde des Odysseus werden yivveg genannt. Verächtlich sind auch die Ausdrücke -/.wwTtig und -/.wog o(,i(.iaT t^ayv^ mit dem Auge, dem Blicke des Hundes. Die Zusammensetzung xwccf^ivia, Hundsfliege, hündische Fliege, vereinigt den Begriff lästiger Zudringlichkeit von Hund und Fliege. Bei Männern gebraucht, bedeutet xvcov den Wüthenden, toll- kühn Anstürmenden, dessen man sich nicht erwehren kann (H. 8, 298 u. 527).
Odysseus fügt sich 0. 20, 18 in sein Schicksal mit den Worten: „Halt aus, mein Herz, du hast schon hündi- scheres (y,vvT€Qov) ertragen I"
0. 14, 29 wird geschildert, wie die Hunde des Eu- mäus den als Bettler verkleideten Odysseus fast zerrissen
nunft I. p. 468): „Die Zähmung und Abrichtung des Hundes ist in Asien und Europa wohl kaum so alt, als gewöhnlich geglaubt wird. Layard hat auf den Jagdscenen gerade der ältesten assyri- schen Denkmäler keinen Hund dargestellt gefunden. In der Bibel findet sich keine Spur von der Verwendung des Hundes zur Jagd, so sehr auch z. B. in der Geschichte Esau's sich Gelegenheit ge- boten hätte. Der Hirtenhund ist nur Hiob 30, 1 und Jesaias 66, 10 erwähnt; und das Schweigen in den älteren Schriften ist gewiss nicht zufällig, mitten unter den lebendigen Darstellungen aus dem Leben eines Hirtenvolkes, dessen Könige von der Heerde hinweg zum Throne geführt werden." —
üebrigens ist es noch bemerkenswerth, dass die homerischen Hunderagen offenbar noch nicht so verschieden waren, wie die heu- tigen. Es werden ausschliesslich grosse Hunde erwähnt.
1) In diesem Ausdruck hat man irrthümlich eine Anspielung auf die Hundswuth finden wollen, cf. Brendel, diss. de Hom. medic.Viteb. 1700.
148 Otto Koerner: •
hätten: „Sofort erblickten die bellsüchtigen Hunde den Odysseus und stürzten mit fortwährendem Gebell heran. Jener aber setzte sich mit Schlauheit nieder ^) und Hess seinen Stock zur Erde fallen. Da hätte er fast noch bei seinem Gehöfte unziemliches Leid erduldet, aber schnell stürmte der Sauhirt durch den Thorweg hin, ihnen mit schnellem Fusse nacheilend, und das Leder fiel ihm aus der Hand. Mit Rufen und wiederholten Steinwürfen scheuchte er den einen hierhin, den andern dorthin.*
Ganz anders benehmen sich dieselben Hunde, als sie den ihnen wohlbekannten Telemach erblicken, 0. 16, 4: „Als Telemach herankam, umwedelten ihn die bellsüchtigen Hunde und bellten ihn nicht an. Der göttliche Odysseus aber bemerkte, dass die Hunde wedelten, auch kam Ge- räusch von Schritten heran. Da richtete er schnell an Eumäus die geflügelten Worte: Fürwahr, zu dir kommt ein Freund oder ein anderer Bekannter, da ja die Hunde nicht bellen, sondern wedeln."
Eben dieselben Hunde fürchteten sich vor der über- natürlichen Erscheinung der Athene, 0. 16, 162: „Aber Odysseus und die Hunde sahen sie; diese Hessen jedoch ihr Bellen nicht hören, sondern flohen mit Gewinsel nach der andern Seite durch den Eingang 2)".
Ergreifend ist die Erzählung, wie Odysseus nach zwanzigjähriger Abwesenheit in Bettlergestalt wieder an die Schwelle seines Palastes tritt und Niemand, selbst nicht
1) Plinius 8, 39, 61 bei Lenz 1. c. p. 99: „Wenn die Hunde auch noch so wüthend sind, so kann man ihnen doch Einhalt thun, wenn man sich auf die Erde niedersetzt." Hierzu fügt Lenz bei: ,, Dieses merkwürdige Mittel wird auch in neuerer Zeit mit Erfolg angewendet. Siehe Daniel Schlatter's Bruchstücke aus Reisen, St. Gallen. Huber 1836, Seite 346". Da dieses Buch nicht aufzu- treiben war, so verweise ich noch auf die bei der Eroberung von Mexiko durch die Spanier berüchtigte Dogge Bezerillo, vor der sich eine alte Indianerin durch obiges Mittel errettete (Brohm, 1. c. Bd. 1. p. 199).
2) Die Fähigkeit, die Gegenwart einer Gottheit wahrzunehmen, soll auch in der altnordischen Mythologie dem Hunde zugesprochen werden. Doch konnte Verfasser nichts Näheres darüber finden. Die homerische Stelle entzieht sich natürlich der zoologischen Kritik.
Die homerische Thierwelt. 149
der treue Eumäiis seine Gegenwahrt ahnt: nur der ster- bende Hund Argos kennt noch seinen einstigen Gebieter : „So also sprachen sie Derartiges unter einander. Aber Argos, ein Hund des Dulders Odysseus, erhob Haupt und Ohren vom Lager. Dieser hatte ihn einst selbst aufgezogen, doch ohne Vortheil von ihm zu haben, denn zuvor zog er weg nach dem heiligen Ilion. Jenen aber führten einst Jünglinge auf die Jagd nach Steinböcken, Rehen und Hasen; doch nun lag er verachtet, da sein Herr fern war, auf dem Miste von Maulthieren und Rindern, der vor dem Thore in Menge aufgeschüttet lag, damit ihn die Knechte- als Dünger für die grossen Felder wegführen sollten. Dort nun lag Argos voll von Ungeziefer. Als er aber den Odys- seus in der Nähe bemerkte, wedelte er zwar noch mit dem Schwänze und Hess beide Ohren sinken, aber er konnte nicht näher an seinen Herrn kommen. Als der ihn von fern sah, wischte er sich eine Thräne ab, sie leicht vor Eumäus verbergend, und sagte schnell zu ihm : Wunderbar ist's, Eumäus, da liegt der Hund auf dem Miste, schön zwar an Gestalt, doch kann ich nicht sagen, ob er schnell zu laufen vermochte bei solcher Körperbildung, oder ob er nur so war, wie eben die Hunde am Tische der Männer werden, denn des Prunkes wegen erziehen sie die Fürsten! Ihm aber antwortetest Du, Sauhirt Eumäus: Freilich! dem in der Ferne gestorbenen Manne gehört dieser Hund. Wenn er noch so wäre an Gestalt und Thaten, wie ihn Odysseus bei seinem Weggang nach Troja zurückliess, so möchtest du schnell erstaunen beimx\nblick seiner Schnel- ligkeit und Stärke, denn nie entrann ihm in den Tiefen des dichten Waldes ein Wild, welches auch immer er ver- folgte, und im Spüren war er sehr erfahren. Jetzt aber ist er im Elend, da sein Herr fern von der Heimath starb und die lässigen Weiber ihn nicht pflegen" (0. 17, 290).
Wie wir aus den angeführten Stellen sehen, wurde der Hund hauptsächlich als Wächter von Haus und Hof und auf der Jagd verwendet. Aber auch als Wächter der Heerden dient er; z. B. bewachen D. 18, 578 neun Hunde eine Rinderheerde. Als diese von zwei Löwen angegriffen wurde, bellten sie zwar, wagten aber keine Vertheidigung.
150 Otto Koerner:
Die Wachsamkeit der Schäferhunde wird in dem schönen Gleichnisse IL 10, 183 geschildert: „Wie die Hunde bei einer Schaafheerde die Nacht in der Hürde wachend zu- bringen, wenn sie die Stimme des furchtlosen Löwen*) vernommen haben, der durch den Bergwald herabsteigt; viel Lärm entsteht seinetwegen unter den Männern und Hunden und der Schlaf weicht von ihnen: so schwand auch Jenen der erquickende Schlummer von den Augen- lidern, als sie die schlimme Nacht durchwachten, denn immer waren sie nach der Ebene gewandt, ob sie die Troer herannahen hörten.'*
Oefter werden Hunde als Begleiter des Jägers ange- führt. Sie jagen Hasen und Hirschkälber (II. 10, 361; 22, 189. 0. 19, 227 etc.). Besonders anziehend ist ihr Benehmen auf der Eberjagd geschildert, IL 17, 725: „Die Troer stürmten an wie Hunde, die dem getroffenen Eber vor den Jägern her nachsetzen; eine Zeit lang laufen sie in dem Verlangen, ihn zu zerreissen, aber sobald er auf seine Stärke vertrauend sich gegen sie umkehrt, weichen sie zurück und zerstreuen sich hierhin und dorthin: so folgten die Troer zuerst immer in Schlachtreihen — , so oft aber die beiden Ajas sich umwandten und ihnen ent- gegentraten, wurden sie bleich und keiner wagte vorwärts zu stürmen."
„Sowie ein Hund einen Waldeber oder einen Löwen von hinten anpackt und den hurtigen Füssen vertrauend jede Wendung der Lenden und Keulen beobachtet, ebenso war Hektor dicht hinter den Achäern und erlegte immer die hintersten." H. 8, 338.
Als Odysseus auf dem Parnass Wildschweine jagte, liefen seine Hunde vor ihm und spürten die Fährten auf (0. 19, 436).
Auch Luxushunde {ytvvsg tgccTisK^sg, wörtlich „Tisch- hunde", 0. 17, 309) hielten sich die homerischen Helden. Patroklus hatte deren neun, den Telemach begleiteten stets zwei in die Volksversammlung. Wedelnd umspringen solche Hunde ihren Herrn, wenn er vom Gastmahle heimkehrt,
1) Die Rechtferti<^ung dieser Uebersetzung siehe unter „Löwe*'.
Die homerische Thierwelt. 151
denn selten versäumt er, ihnen Näschereien mitzubringen (0. 10, 216). Doch sind sie nicht immer harmlos, der Geuuss frischen Blutes macht sie wilder und Priamus fürchtet, von seinen eignen Hunden zerrissen zu werden, wenn er vom Feinde getödtet ist (II. 22, 70). Ein solches Ende galt für das schlimmste Loos des Kriegers (II. 1, 4; 0. 3, 259 u. 0.). Auch ist es gefährlich, einer säugenden Hündin nahe zu kommen, denn „die zarten Jungen um- wandelnd, bellt sie einen fremden Mann kampfbereit an"
(0. 20, 14).
Das Pferd.
Equus caballus — o 'iTinog der Hengst, ?; %7iTtog oder Tj %7T7tog &r;leLa die Stute, o Tno'kog das Fohlen — wird bezeichnet als :
(ß'Avg schnell, omvTVovg schnellfüssig, TioScoy.vg cug oQvig vogelschnell, d^aoGcovlQrf/Aov schneller als Habichte, Ttoöag (xiolog mit beweglichen, raschen Füssen, evöv.aQd^fxog leicht hüpfend, aeqoiTiovg die Füsse hebend, f.uövv^ ein- hufig, z()a2:£(;wj^i'§ starkhufig, yakv.oTxovg erzhufig^), /.alUd^Qi^ und ev-d-Qt^ mit schönem Haar, schöner Mähne, od^Qi^ mit gleichem, gleichfarbigem Haar, igiavyjjv mit hohem, stolzem Hals, aed^loqiOQog den Kampfpreis davon tragend, ai^cov feurig, 'avölocov stolz, (.h^ötloq (poßow Erreger der Flucht, viprjxrj9 laut wiehernd, eglydovitog mit donnerndem Hufe.
Das Fohlen ist axakog^ zart.
Es finden sich folgende Farben Varietäten:
1. Der Schimmel, Xnnoi hcv/.oxEQoi yiovog „weisser als Schnee". H. 10, 438.
2. Der Fuchs, IL 23, 454: „Ein Pferd, das im Ganzen zwar röthlich (cpolvi^) war, auf der Stirn aber hatte es ein kreisrundes, weisses Zeichen, wie der Mond gestaltet." Dass hier kein braunes Pferd gemeint ist, ergibt sich aus den Worten „im Ganzen röthlich'^, tooov fniv (folvi^, denn für den Fuchs ist Einfarbigkeit (mit Ausnahme der weissen Blässe und der meist ebenfalls weissen Füsse) charakte- ristisch, während
1) Man hat fälschlich hierbei an Hufbeschlag gedacht, cf. Fried reich, 1. c. p. 104. Es soll mit dem Worte wohl nur die Festigkeit des Hufa bezeichnet werdeu.
152 . Otto Koerner:
3. das braune Pferd schwarz an Mähne und Schwanz und daher wohl mit dem II. 20, 224 erwähnten „Pferde mit dunkeler Mähne", %7t7ibq ■/.vavoxaixiqg^) iden- tisch ist. üebrigens kann auch hier ein falbes Ross mit dunkeler Mähne und Schwanz, wie es nicht selten vor- kommt, gemeint sein. Ein falbes Pferd mit heller Mähne und ebensolchem Schwanz ist
4. der %7t7iog ^avd-og (IL 9, 407; 11, 680 u. o.), denn ^av&oQj das bei Homer nur noch zur Bezeichnung von Haaren und sonnengebräunten Gesichtern vorkommt, mag ungefähr diese Farbe bezeichnen. Bavd^og kommt auch als Pferdename vor.
5. BaXiog kommt nur als Pferdename vor und be- deutet „Schecke".
Auffallend ist das Fehlen des Rappen. Es ist recht wohl möglich, dass diese Farbenvarietät den homerischen Griechen unbekannt war. Als eventuelles Analogon führen wir an, dass unter den arabischen Pferden keine Falben vorhanden sind.
Die am häufigsten erwähnte Farbenvarietät ist der mTiog ^avS^og. Man darf freilich aus der Häufigkeit der Erwähnung nicht ohne Weiteres auf häufiges Vorkommen schliessen. Doch muss bemerkt werden, dass in einer Race manchmal eine bestimmte Farbe vorherrscht. So ist bei den Arabern der Schimmel auffallend häufig. Die Falben sind unter den wilden Pferden vorherrschend, wenn nicht allein vertreten.
Als Futter für die Pferde wurde verwendet:
1) kqI XevKov weisse Gerste, (II. 5, 195; 8, 564; 0. 4, 41, 604.)
2) (^€ia oder olvga^) eine andere noch unbestimmte Getreideart, vielleicht Spelt (II. 5, 195 ; 8, 564; 0. 4, 41, 604).
3) TtvQÖg, Weizen (IL 10, 569 ; 0. 4, 604).
4) hüTog Steinklee (IL 2, 776; 0. 4, 603).
1) /aTrai heisst die Mähne des Rosses IL 6, 509. Dass xvnveos bei Homer nicht stahlblau sondern dunkel oder schwarz heisst, ist bekannt.
. 2) Nach Photius und Galen ist Cfif<==olvQa; Theophrast unterscheidet sie jedoch.
Die homerische Thierwelt. 153
5) TLVTteiQov Cy pergras (0. 4, 603).
6) ollivov ein in Sümpfen wachsendes Kraut (11.2, 776). „Man goss den Pferden auch wohl Wein zwischen den
Weizen, oder befeuchtete ihr Futter damit (J. 8, 188), viel- leicht um ihren Muth und ihr Feuer zu erhöhen, ähnlich wie auch jetzt noch die Leute in Weinländern den stark angestrengten Pferden gern Wein auf Brot geben, wie unsere Kutscher Bier und Schnaps.^ ^)
So bekommt auch der englische Renner nach dem Rennen eine Flasche Wein.
Das Pferd dient den homerischen Helden fast nur zum Ziehen des Streit- und des Rennwagens. Meist wur- den hierzu zwei, selten vier Pferde verwandt. Oefters aber war dem Zweigespann noch ein Handpferd, TragrjOQogj bei- gegeben, um die Stelle eines verwundeten oder gestürzten Pferdes gleich wieder ausfüllen zu können. Da es nur mit dem Zaum an einem Jochpferde befestigt war, so hatte es eine freiere Bewegung, die ihm im Lauf allerlei Sprünge gestattete. Wir begreifen daher, wie ein tibermüthiger Mensch Tcagr^ogog (H. 23, 603.) genannt werden konnte.
Das Reiten war im homerischen Zeitalter selbst im Kriege nicht üblich 2). Doch ist es dem Dichter nicht gänz- lich unbekannt. Als das Floss des Odysseus, auf welchem er von der Insel der Kalypso wegfuhr, vom Sturm zer- brochen wurde, rettete er sich auf einen Balken, auf dem er nun sass, wie auf dem Rücken eines Pferdes (0. 5, 37 L).
Als Diomedes und Odysseus bei Nacht die Rosse des Rhesus entwandten, schwang sich Diomedes auf den Rücken eines derselben, um schneller entfliehen zu können (H. 10, 514). „Wie von selbst ergibt sich auch die Scene, die IL 15, 679, geschildert wird; ein Mann hat aus der im Freien weidenden Heerde vier flüchtige Renner ausgewählt, er hat sie längs der Heerstrasse in die Stadt zu bringen, sitzt auf und schwingt sich während des gleichstrebenden Laufes von einem Rücken zum andern, zur Bewunderung
1) Buchholz, 1. c. p. 174.
2) Auch die älteren Bücher des alten Testaments kennen es nicht. Vgl. Geiger, Sprache und Vernunft, I. p. 464.
154 Otto Koerner:
der am Wege stehenden Menge" ^). Aus diesen drei Fällen lässt sich nicht auf wirkliches Reiten schliessen. Ja selbst als Telemaeh und Nestor's Sohn Pisistratus den gebirgigen Peloponnes durchreisen (0. 3.), reiten sie nicht, sondern fahren im Wagen. „Da später Menelaus dem Telemaeh zum Abschied drei Pferde mit dazugehörigem Wagen schenken will, lehnt Telemaeh die Gabe ab (0. 4, 601), indem er daran erinnert, dass in Ithaka weder weite Rennbahn, noch Wiese, oi;V' ag^ ögoiiog edgieg ovre ri XeL/nwv sich finde, wie in der Ebene, die Menelaus be- herrsche; keine der Inseln, die im Meere liegen, ist Itititj- Xazog, d. h. eignet sich zum Fahren im flüchtigen Wagen, von allen aber Ithaka am Wenigsten. Wer sich des Rosses freuen will, der bedarf also nicht blos fetter Wiesen, auf denen die Heerde weide — und Erichthonius besass eine solche von dreitausend Stuten 2), sondern auch weiten Raumes, Ttolv neöiov und ebener Wege leiat oöol, um auf diesen mit rasch rollenden Rädern dahinzufliegen; auf un- gleichem Boden mit steigenden und fallenden Gebirgspiaden, auf denen der Reiter wohl auf und abklettert, ist bei Homer das Ross von keinem Gebrauch"*).
Als Länder, die zur Pferdezucht geeignet sind, wer- den besonders angeführt Argos, Thrakien, Elis, Trikke in Thessalien und Phrygien. Ueberhaupt werden die Danaer und die Achäer als Taxivrcoloij mit schnellen Fohlen oder Rossen, bezeichnet.
Dass das Pferd nicht vor dem siebenten Jahre zur Arbeit angehalten wurde, geht aus IL 23, 266 und ähn- lichen Stellen hervor.
Eine interessante Verwundung eines Pferdes wird IL 8, 81 beschrieben; Paris trifft mit einem Pfeilschusse ein Ross an Nestors Streitwagen „ganz oben am Kopfe, wo die vordersten Mähnenhaare am Schädel
1) Victor Hehn, Kulturpflanzen und Hausthiere in ihrem Uebergang aus Asien nach Griechenland und Italien. Berlin 1874. p. 42. Andere halten übrigens den Mann für einen Kunstreiter von Profession.
2) II. 20, 219.
Die homerische Thierwelt. 155
wachsen". Der Dichter bezeichnet weiterhin diese Stelle als die gefährlichste und schildert die Wirkung des Schusses folgendermassen : „in seinem Schmerze stieg das Ross auf — das Geschoss aber war in das Hirn gedrungen^) — und dadurch, dass sich das ver- wundete Pferd um das Erz schnell herumdrehte, brachte es auch die andern (mit eingespannten) Pferde in Verwirrung". Darauf springt Nestor vom Wagen und durchhaut die verbindenden Stränge.
Zur Erklärung dieser Stelle ist Folgendes zu bemerken: Der Pfeil durchbohrte nicht einen Schädelknochen, wie man gemeint hat 2), sondern drang durch die Oeffnung zwischen Atlas und Hinterhauptschuppe, die bei dem Pferde sehr weit ist, in das verlängerte Mark. Gerade da, wo dies mit Leichtigkeit geschehen kann, sitzen die ngÜTai TQiX^g, die vordersten Mähnenhaare. Durch einen Stich, der diesen Weg nimmt, tödtet man Pferde, z. B. in den Thierarzneischulen, wenn man mit möglichster Schonung des Materials vorgehen will. Und hierbei ist das Benehmen des getroffenen Pferdes in den meisten Fällen^) ganz das- selbe, wie es Homer schildert; vor dem Zusammenbrechen steigt es auf und dreht sich, auf den Hinterbeinen stehend um seine eigene Achse — und somit auch bei Homer um das Geschoss in der Wunde. Diese Bewegung (Drehung um die Längsachse), tritt regelmässig ein, wenn im Hirn
1) Der Aorist JO steht hier, wie so oft, in der Bedeutung eines Plusquamperfects. Sachlich ist auch die Erklärung zulässig, dass das Eindringen des Pfeils in das Hirn erst durch seine Schwere und durch heftige Bewegungen stattfände (s. u.) und dass somit ^v in aoristischer Bedeutung aufzufassen wäre.
2) So Friedreich, 1. c. p. 105 u. Buchholz, 1. c. p. 175. Letzterer versucht nicht einmal ernstlich, die Stelle zu erklären, sondern fertigt sie mit den leeren Worten ab: „Die Gefährlichkeit der Stelle rührt aber, wie Herr Prof. Reichert mir bemerkt, daher, dass da, wo die Mähne des Pferdes am Kopf aufhört, die Schädel- kapsel beginnt, welche das Gehirn enthält".
3) Dass nicht in allen Fällen dieselben Erscheinungen auf- treten, liegt daran, dass das verwundende Instrument unmöglich immer ganz denselben Weg nehmen kann, und der Kundige weiss, wie nahe oft die verschiedensten Centra zusammen liegen.
156 Otto Koerner:
gewisse Fasern der sog. Brücke verletzt werden. Die Phy- siologen bezeichnen sie als „Zwangsbewegung". Davon dass der Pfeil recht gut bis an die betreffende Stelle vor- dringen konnte — einerlei ob per primam intentionem oder erst durch seine eigne Schwere und durch heftige Bewegungen des Pferdes — hat sich Verfasser am Pferde- schädel und Pferdehirn überzeugt. Doch scheint die An- nahme einer so tief gehenden Verletzung zum Zustande- kommen der geschilderten Zwangsbewegung nach den oben erwähnten Erfahrungen beim Tödten der Pferde nicht ein- mal nöthig zu sein.
Friedreich 1. c. versteht die Worte /.vhvdoi.ievoq jtEQi xalKco falsch, wenn er meint, dass das getroffene Pferd sich durch Reiben und Wälzen auf der Erde zu helfen suchte, da es weder mit dem Maule, noch mit den Füssen die Wunde erreichen konnte. Ein verwundetes Pferd be- nimmt sich aber niemals so, wie jeder Thierarzt und jeder kriegserfahrene Cavallerist weiss.
Im Mythus verschmilzt das Ross mit dem Sturmwind*). Die von Boreas mit den Stuten des Erichthonius gezeugten Rosse (II. 20, 226), eilen über die Saatfelder, ohne die Aehren zu knicken und kaum berührt ihr Huf den Schaum der brandenden Meereswoge, wenn sie darüber wegjagen. Die Rosse des Rhesus laufen schnell wie der Wind, &eieiv avei^ioiGtv of^LoloL, die des Achilles laufen mit dem Zephyr um die Wette, wie eins derselben selbst sagt, ja sie weis- sagen ihrem Herrn und beweinen später seinen Tod.
Noch deutlicher als aus diesen mythologischen Be- ziehungen — dass Pferd ist dass einzige Thier, dem Homer übernatürliche Eigenschaften beilegt 2) — erkennen wir, welches Ansehen das edle Ross bei dem homerischen Helden genoss, aus folgendem Gleichnisse:
„Wie das Ross, das sich lang im Stall an der Krippe genährt hat, seine Fessel zerreisst und mit stampfendem Huf durch die Ebene rennt, gewohnt, sich im schönhin-
1) Heb 11, 1. c. p.38, behandelt die mythologischen Beziehungen ausführlich.
2) Vgl. jedoch auch beim Hunde die Stelle 0. 16, 162 mit der Anmerkung.
Die homerische Thierwelt. 157
walleDden Strome zu baden, strotzend von Kraft; hoch trägt es das Haupt und um die Schultern flattert die Mähne; stolz auf seine eigne Herrlichkeit tragen es die Schenkel leicht zur gewohnten Weide der Stuten: so schritt Paris, Priamus Sohn, jauchzend in sonnenglänzendem Waffen- schmuck von Pergamus Burg hernieder; rasch trugen die Füsse ihn" — etc. (H. 6, 506 u. 15, 263.)
Und eine wie grosse Sorgfalt verwendet der Dichter auf die Darlegung des Stammbaums edler Rosse, z. B. derer des Aeneas (H. 5, 263J! Andromache scheut sich nicht, mit eigner HandHektor's Rosse zu füttern (H. 8, 186). Ein Rossschweif auf dem Helm ist eine Zierde des Helden und Pferderaub zieht immer einen Krieg nach sich (z. B. II. 1, 154). Wie der Araber sein Dromedar Schiff der Wüste nennt, so werden umgekehrt bei Homer (0. 4, 708) die Schiffe alog trcnoi, Rosse des Meeres, genannt.
Der Esel.
ovog^ Asinus vulgaris, wird als vco&rjg, träge, be- zeichnet. Er wird bei Homer nur einmal (H. 11, 558) in einem Gleichnisse erwähnt:
„Wie wenn ein träger Esel auf dem Acker geht und die Bemühungen der Knaben zu Schanden macht, indem er viele Stecken auf seinem Rücken zerschlagen lässt und die Saat am Boden ausrauft, während die Knaben ihn mit Knütteln, aber mit allzu geringer Kraft prügeln und ihn kaum vertreiben, nachdem er sich eben auch gesättigt hat — so folgten dem gewaltigen Telamonier Ajax muthige Troer und fernberufene Hülfsvölker, die ihm die Lanzen auf den Schild schleuderten."
„Das tertium comparationis liegt in der phlegmati- schen Ruhe, mit welcher Aias die Troer bald abwehrt, bald wieder vor ihnen zurückweicht" *). Uebrigens ist die Vergleichung eines Helden mit einem Esel hier nicht an- stössig, da der Esel im ganzen Morgenlande kein verach- tetes Thier war 2).
Der Esel scheint bei Homer nur zur Züchtung der Maulthiere gehalten worden zu sein.
1) Buchholz, 1. c. p. 182.
2) cf. Friedreich, 1. c. p. 105,
158 Otto Koerner
Das Maulthier.
Asinus vulgaris mulus, rji^dovog und ovgsvg. Ueber diesen Blendling zwischen Stute und Eselshengst herrscht unter den Erklärern Homers bis in die neueste Zeit un- begreifliche Verwirrung. Die Einen halten nämlich den rjiidovog für einen wildlebenden Einhufer (wie etwa der noch jetzt in Asien vorkommende Dschiggetai, equus hemi- onus), der erst durch Zähmung dem Menschen dienstbar gemacht sein sollte, während doch IL 23, 265, eine mit einem Maulthiere trächtige Stute, cTtTtog ßgecpog rj^dovov yiveovöa^ erwähnt ist und nach 0. 4, 635 Noemon und nach 0. 21, 22 Iphitus in Elis je eine Heerde von 12 Stuten mit MaulthierftiUen besassen. Die Worte i]^i6vo}v (xyQOTSQawv (IL 2, 852), auf welche sic*i diese falsche Er- klärung stützt, heissen nicht „wilde Maulthiere", sondern „auf der Weide, in freien Heerden aufgezogene, noch unge- zähmte"*). Die Schollen A und B übersetzen ayQozsQccwv „zur Feldarbeit geeignet".
Manche Erklärer meinen, nur in der citirten Stelle: e^ ^EvsTcoVj o^£v i^fuovwv yivog dygoTsgaiov sei von Dschig- getai die Rede. Was aber soll dann das od^ev? „Aus dem Lande der Eneter, woher die Dschiggetai's kommen". Was wollen die Trojaner mit den von dort bezogenen und, wie die Erfahrung neuerdings gezeigt hat, unzähmbaren Thieren anfangen?
Andere nehmen Anstoss an dem Worte ovQsi'g und erklären dieses als Blendling von Hengst und Eselsstute d. i. Maulesel, zum Unterschied von rjjidovog dem Maulthiere, das ja von Stute und Eselshengst abstammt. Dass aber ein Bastard der ersteren Art zu den äussersten Seltenheiten gehört, scheint Homer wohl gewusst zu haben, denn wo er von den Eltern des Maulthieres spricht, ist die Mutter immer ein Pferd. Dass jedoch die Worte ovqevg und rßdovog dasselbe Thier bezeichnen, sehen wir IL 23, 121, wo dieselben Zugthiere, die wenige Verse vorher (1. c. 111 und 115) ovQ^eg genannt sind, als rif.dovoi bezeichnet
1) cf. Hehn, 1. c. p. 114 u. II. 23, 655.
Die homerische Thierwelt, 159
werden 0- Es war demnach wohl ovqevg, welches Wort ,Bergthier"2) bedeutet, ursprünglich nur ein Beiwort des ^tiiiovog und wurde erst später selbständig gebraucht, wie ja der Hase, Aa/wog, IL 22, 310 als mco^^ sich duckend, furchtsam, bezeichnet wird, während er II. 17, 676 über- haupt nur 7TTco^ heisst.
Beiwörter des Maulthiers sind: ytQaTSQcovv^ mit starkem Hufe, evxeöUQyog im Geschirre arbeitend, ziehend, TaXasQyog Arbeit ertragend, bei der Arbeit ausdauernd.
Wie schon diese Bezeichnungen andeuten, wurden die Maulthiere als Zugvieh verwendet. Sie ziehen den Wagen der Nausikaa etc.; zum Ziehen des Pflugs eignen sie sich besser als Rinder (II. 10, 352); sie müssen vom Berge Ida Holz herbeischaffen (IL 23, 111).
Auch das Maulthier wird wie das Pferd erst nach dem sechsten Jahre zur Arbeit angehalten, aber es er- schwert die Arbeit seines Lehrmeisters durch seine Störrig- keit (IL 23, 654).
Das Hansrind.
Bos taurus; ravQog, ßovg lavgog nnd ßovg agorjv der Stier; ßovg die Kuh, das Rind; nögiig und noqig junges Rind, Färse; noqia^ Kalb.
Ein Beiwort des Stiers ist jueyad^vfzog grossmtithig oder mit gewaltigem Muth. Das Rind ohne Unterschied des Geschlechts heisst: ucczQecprjg wohl genährt, Ttlcov fett, ÖQ^oyigmoog mit aufrecht stehenden Hörnern, svQVfAhiOTtog mit breiter Stirn, igi/uvKog und £Qvy/Lirj?.og stark brüllend, ayQavlog auf dem Felde lagernd, avh'C6/.i£vog eingehegt, ccyQoiLisvog in Heerden geschaart, al'&a)v feurig, rjvig glän- zend, d. h. wohlgenährt oder mit glänzendem Haar (die Schollen erklären es mit „einjährig").
Als Farbenbezeichnungen kommen vor: oLvoip weinfarben, agyög weiss, naf-i^elag ganz schwarz.
Die Rinderheerden heissen aytXai oder ßoMv ayiXat, daher das Beiwort ayekalog zur Heerde gehörig.
1) cf. II. 24, 716 et vers. anteced.
2) Hehn, 1. c. p. 116. Die Brauchbarkeit des Maulthiers im Gebirge ist bekannt.
160 Otto Koerner:
Noch haben wir die Beiwörter sh^ und eilinovg zu erklären.
eli^ heisst „krummgehörnt". Das gegen diese Er- klärung von Buchholz 1. c. p. 147 erhobene Bedenken, eh'S, enthalte nichts von dem Begriffe gehörnt, kann uns von unserer Meinung nicht abbringen. Der Begriff von th^ ist in dem früher Homer zugeschriebenen Hermeshymnus ausdrücklich mit den Hörnern des Rinds verbunden; es ist daselbst v. 192 von Rindern mit krummen Hörnern ßovg y.eQaeooiv ehv^xag die Rede ^).
Die meisten Schwierigkeiten bietet das Beiwort eIH- jcovg. Es heisst „die Füsse schleppend" und bezeichnet jene auffällige aber schwer zu beschreibende Bewegung des Fusses beim Rindvieh. Buchholz sagt darüber: „eUiTcovg heisst „die Füsse fortwindend", in so fern die Rinder bei jedem Schritte mit den Zehen und Knieen eine halbe Schraubenwindung beschreiben, deren Achse die ge- rade Linie des Weges ist, während z. B. die Füsse des Pferdes beim Gehen eine geradlinige Bewegung haben. Der Grund jener schwerfälligen Bewegung des Rindviehs ist aber darin zu suchen, dass sie ein schlaffes Sprungge- lenk haben, welches Hippokrates mit xalaQOv bezeichnet."
Dieser Versuch von Buch holz, die betr. Bewegungen zu beschreiben, ist theils unklar (wo von einer Schrauben-
1) Auf ein treffendes Analogen macht micli Herr Prof. H. Rumpf aufmerksam. Servius bemerkt zu Vergil, Georg. 3, 55: ,,camura cornua boum dicuntur, quae introrsum conversa sunt et in se redeunt. e t camuri boves, qui huiusmodi cornua habent." Ein (allerdings weniger zutreffendes) Analogon aus der deutschen Sprache findet sich in dem Worte „Zackelschaf'' (ovis strepsiceros), womit man ein Schaf mit zackig gebogenen Hörnern bezeichnet. Sprachkundige mögen mir nicht entgegenhalten, dass das Wort von dem mittelhochdeutschen Zagel, d. i. Schwanz, herzuleiten sei und also Schwanzschaf bedeute. Der Schwanz ist an ihm weder charak- teristisch noch aussergewöhnlich, was hingegen die merkwürdigen Hörner in hohem Masse sind. Ein Blick auf die treffliche Abbildung in Brehm's Thierleben wird Jeden davon überzeugen. — Am eis (zu 0. 1, 92 im Anhang) und Buchholz (1. c. p. 147) beziehen 'ih'i auf die beim gehenden Rinde bemerkbare windende Bewegung des Oberkörpers.
Die homerische Thierwelt. 161
Windung die Rede ist), theils iinriclitig, da er die Sprung- gelenke ftir Küiee anspricht — ein häufiger Fehler derer, welche der vergleichenden Anatomie unkundig sind, den auch selbst Aristoteles macht'). Dass nun auch die Erklärung des nicht richtig erkannten Sachverhalts auf schwachen Füssen stehen muss, ist selbstverständlich.
Vorerst ist zu bemerken, was allen bisherigen Er- klärern entgangen zu sein scheint, dass das Rind die betr. Bewegung deutlich nur mit den Hinterbeinen macht und dass sie beim Ochsen weit weniger bemerkbar ist, als bei der Kuh. Betrachtet man das gehende Rind von hinten, so bewegt sich der über dem Sprunggelenk befindliche Theil des Hinterbeines anscheinend in gerader Richtung und fast senkrechter Stellung vorwärts, während der Theil unterhalb des Sprunggelenkes (also der Fuss) nach aus- wärts einen Bogen beschreibt. Diese Bewegung kommt jedoch nicht, wie Buchholz meint, im Sprunggelenk zu Stande, sondern vorzugsweise im Hüftgelenk und wird nur durch die eigenthümliche Stellung der Gelenkflächen im Sprunggelenk und die daraus resultirende Bewegung in demselben etwas vergrössert. Während der Fuss nach vorn bewegt wird, erleidet das Bein eine geringe, am Schenkel äusserlich kaum bemerkbare Achsendrehung. Diese wird jedoch am Fusse in die sehr bemerkbare Bogen- bewegung umgesetzt, da der Fuss im stumpfen Winkel zum Unterschenkel steht. Ausserdem wird sie hier durch schiefe Stellung der Gelenkflächen im Sprunggelenk (nicht aber durch die angebliche Schlaffheit desselben) ausgiebiger. Projicirt man die Bewegung eines Hinterfusses auf den Boden, so ergibt sich eine Curve, die aus aneinanderge- reihten flachen Bogen besteht, aber keine Schraubenlinie, Die Curve des zweiten Hinterfusses greift mit ihren Win- keln in die Bogen der des ersteren ein.
b
a = Curve des linken, b = Curve des rechten Hinterfusses auf den Boden projicirt, schematisch.
1) Aubert & Wim m er, 1. c. p. 39.
Archiv für Naturg. XXXXVl. Jahrg. 1. Bd. H
162 Otto Koerner:
Folgenden Gleichnissen liegt die Naturgeschichte des Rinds zu Grund:
IL 2, 480. „Wie der Stier unter der Heerde bei Weitem am meisten hervorragt, denn er zeichnet sich vor den versammelten Kühen aus, so Hess Zeus an jenem Tage den Atriden ausgezeichnet und hervorragend unter den vielen Helden erscheinen."
IL 17, 1. „Nicht entging es dem kampfliebenden Atriden Menelaos, dass Patroklos in der Schlacht getödtet war. Gerüstet mit glänzendem Erze schritt er durch die vordersten Kämpfer und umwandelte jenen wie eine Kuh, die, vorher des Gebarens unkundig, nun zum ersten Mal geboren hat und jammernd ihr Kalb umwandelt^. — (Man muss sich vorstellen, dass das Kalb irgend wie bedroht wird. „Der Vergleich geht auf die ängstliche Besorgniss, mit welcher Menelaus die Leiche des Freundes zu schützen sucht" 1).
0. 10, 408. Odysseus erzählt: „Darauf fand ich am hurtigen Schiff die trefflichen Genossen schmerzlich jam- mernd und häufige Thränen vergiessend. Wie wenn die Kälber im ländlichen Hofe um die Kühe der Heerde, welche zum Stalle zurückkehren, nachdem sie sich am Kraute ge- sättigt, alle hüpfend einherlaufen: kein Gehege hemmt sie mehr, sondern stetig blökend umspringen sie ihre Mütter; so stürzten die Freunde, als sie mich erblickten, weinend auf mich zu."
IL 13, 701. „So wie zwei weinfarbige Rinder von gleichem Muthe den festgefügten Pflug auf dem Brachfelde daherziehn : zu beiden Seiten an den Wurzeln ihrer Hörner bricht Schweiss hervor 2), und wie beide durch das Joch getrennt, die Furche hinabstreben, während der Pflug das abgegrenzte Stück des Saatlandes durchschneidet: also schritten und standen die beiden Ajas kämpfend neben einander."
1) La Roche zu II. 17, 5.
2) Der unter dem Joch am Nacken hervordringende Schweiss sammelt sich weiter vorn an den Hörnern, da die Rinder beim Ziehen den Kopf senken.
Die horaeriscbe Thierwelt. 163
Der gefährlichste Feind des Rindes ist der Löwe (s. d.). Vgl. II. 5, 162; 11, 172; 18, 576 etc.
Mit dem Brüllen des Rindes vergleicht der Dichter das Knarren einer lange nicht geöffneten Thlir (0. 21, 48), das Dröhnen eines Thores, da es Hektor mit gewaltigem Steinwurf sprengt (IL 12, 460) und das Brausen des aus- getretenen Xanthusfiusses (II. 21, 237).
Die Augen des Rindes galten wegen ihrer Grösse und dunkeln Farbe für schön, daher finden wir die Be- zeichnung ßow7ag, mit Kuhaugen, als Epitheton von Göttinnen und schönen Frauen, z. B. der Hera, der Klymene etc.
Die Rindviehzucht war in vielen Gegenden zu Homers Zeit ausserordentlich bedeutend; „es gehörten schon ordentliche Heerden dazu, um aus ihrem Ertrage, oder besser Ueberschusse den Göttern vollzählige Hekatom- ben Tslrjeooag exaTo/Lißag, opfern zu können" ^). Nestor er- beutete auf einem einzigen Zuge gegen Elis unter Anderem 50 Rinderheerden (IL 11, 676) und opferte dem Poseidon 81 schwarze Stiere (0. 3, 6) auf einmal. Solche Opfer- stiere werden mit einem Axthieb in den Nacken getödtet (0. 3, 449).
Das Rind wurde im Stalle an der Krippe gefüttert (0. 4, 535) oder heerdenweise auf die Weide getrieben (0. 10, 408). Um die Heerde zusammen zu halten, bedient sich der Hirt seines Stabes, den er geschickt zu schleudern weiss (IL 23, 845). „Aus 0. 10, 82—85 lässt sich ent- nehmen, dass die Lästrygonen sowohl Rindvieh als Woll- vieh hatten, welches ihre Hirten wechseis weise bei Tag und bei Nacht austrieben, und zwar, wie Eustath meint, das Wollvieh bei Tage und das Rindvieh bei Nacht wegen der Bremse (oigtqoq, s. d.). Dadurch erklärt sich die dun- kele Stelle 1. c. V. 84, dass ein Hirte der nicht schläft, sich doppelten Lohn verdienen könne" ^).
Man bediente sich des Rindes besonders zum Ziehen von Lastwagen (IL 24, 782) und zum Pflügen (IL 13, 701 ;
1) Praetorius, L c. p. 459.
2) Friedreich, L c. p. 43. ^
164 Otto Koerner:
0. 18, 371.). Das Getreide Hess man auf der Tenne von reihenweise zusammengekoppelten Stieren austreten (II. 20, 495).
Die beliebteste Speise der homerischen Helden war das unmittelbar über dem Feuer gebratene Rückenstück des Rindes. Die Schenkel und Eingeweide opferte man den Göttern.
Von Kuhmilch und deren Verwendung ist auffallen- der Weise nirgends die Rede, während Schaf- und Ziegen- milch öfter erwähnt wird.
Rinderhäute wurden als Ueberzüge über Schilde (0. 16, 296), als Polster und Decken, auch als Riemen benutzt (II. 10, 155; 0. 1, 108; 20, 142 etc.), ferner zu Sandalen (0. 14, 24) und zu Schläuchen (0. 10, 19) verarbeitet. Um sie zuzubereiten bestrich man sie mit Oel und Fett und auseinanderstehende Männer fassten sie und zogen so lange, bis Fett und Oel eingedrungen war (IL 17, 389); Rindermist wurde als Dünger benutzt (0. 17, 296).
In Ermangelung des Geldes bediente man sich im homerischen Zeitalter besonders des Rindes als Tausch- mittel. So ist eine Rüstung von Gold hundert, eine von Erz nur neun Rinder werth (II. 6, 236); ein Sklave wird für hundert (IL 21, 79), eine Sklavin dagegen für nur vier erstanden (IL 21, 705).
Natürlich galt Rinderraub als Kriegsursache, z. B. IL 1, 154; 0. 1, 8 etc.
Zur Rinderzucht eigneten sich die messenischen Küstengegenden (IL 9, 154) und einige Inseln (0. 11, 108; 15, 406). Das felsige Ithaka war dazu wenig tauglich; deshalb hielt Odysseus seine Rinderheerden auf dem be- nachbarten Festlande (0. 14, 100).
Zur Bestimmung der Race des homerischen Rin- des haben wir wenig Anhaltspunkte. Doch weisen die Bei- wörter l'Xi^, mit krummen, gewundenen Hörnern, und Hom. hymn. Herm. 192 ßovg xeQaeGOLv ehy.Tag, „Rinder mit ge- wundenen Hörnern" auf eine Art mit grossem, weitgestell- tem Gehörn, wie es das Steppenrind, bos desertorum, aufweist, hin. Dieses Rind kommt gegenwärtig in den Steppen der Mongolei, ^Tartarei, des süd-östlichen Europas
Die homerische Thierwelt. 165
und in Siiditalien vor. Die ebenfalls dem Rinde zukom- mende Bezeichnung oQO^oy.QaiQoc;, mit aufrecht stehenden Hörnern, widerspricht unserer Auffassung nicht, da das weitgestellte Gehörn des Steppenrindes zum grösseren Theile aufrecht gebogen ist.
Das Kleinvieh.')
Die iLirjla werden bezeichnet als agyvq^a weiss, l'cpict feist, Tiiora fett, y.alliTQLya mit schöner Wolle, e'vogya mannbar, Tavavnoda mit schlanken Beinen, adtva dicht ge- drängt (nämlich weidend).
Das Junge des Kleinviehs ohne Unterschied der Art heisst 1'f.ißQvov (0. 9, 309). Altersunterschiede werden mit den Worten VgoaL Spätlinge, (.liraoGai Mittlinge und nqöyovoi Frühlinge bezeichnet (0. 9, 216).
Das Kleinvieh folgt dem Leithammel 11. 13, 491.
Als besonders zur Kleinviehzucht geeignet werden Thrinakia, Orchomenos, Pthia, Ithone, Pylos und Libya bezeichnet. In letzterem Lande sollen die ^y]Ka sogar drei- mal jährlich gebären und deshalb auch immer Milch geben; auch bekommea sie daselbst schon als Lämmer ihre Hörner (0. 4, 86)2).
Das Kleinvieh wurde häufig zu Opfern verwendet. Seine Felle verarbeitete man zu Decken und Polstern.
Wir gehen zunächst zu Schaf und Ziege über und besprechen dann noch kurz die Kleinviehzucht des Polyphem.
Das Schaf.
Ovis domestica. Der Widder heisst y.TiXog, ygiog, agveiog, oig agvecog und oi'g ccQGrjv; das Schaf oi'g und ol'g d-rjlvg ; die Lämmer agveg.
Das Schaf wird genannt: 7ir]y€Gl/iia?2og und daovf,iaXXog mit fester und dichter Wolle, elgononog wollig, Idoiog zot- tig; das Lamm: ä/iialog zart.
1) S. o. in der Einleitung.
2) Hierzu bemerkt Herodot IV 29: „Es ist ganz richtig, dass in den warmen Ländern die Höruer sehr schnell hervorkommen; in grosser Kälte aber bekommen die Thiere entweder gar keine oder nur sehr kleine Hörner."
166 Otto Koerner: .
Als Farbenbezeichnungen dienen: (.älag und 7ia(,i(Äelag schwarz, aQyevvoq und levyiog weiss. Die 0. 9, 425 erwähnten agoeveg oug loövecpec, slgog tyovTsg „Widder mit bläulicher Wolle" erinnern an einige Schafracen, welche eine bräunliche Behaarung mit deutlich blauem Schimmer haben ^).
In folgenden Gleichnissen wird das Schaf erwähnt:
Odysseus mustert die Reihen der Streiter, ,, vergleich- bar einem dichtwolligen Widder, der die grosse Heerde der weissen Schafe durchschreitet." IL 3, 196.
Das Heer folgt den Führern „wie Schafe dem Wid- der." II. 13, 492.
Diomedes scheucht die Troer vor sich her „wie Lämmer". II. 8, 131.
„Wie unzählige Schafe im Hofe eines vielbesitzenden Mannes sich melken lassen und fortwährend blöken, wenn sie die Stimmen ihrer Lämmer hören, so erhob sich der Troer Feldgeschrei längs des Heeres." II. 4, 433.
Mehrere hierher gehörige Stellen haben wir schon beim Löwen angeführt, so IL 5, 136; 0. 6, 130 (Einbruch des Löwen in eine Schafhürde); andere beim Wolf : IL 16, 352; 22, 263 etc.
Der Cyclop redet den Leithammel, der den Odysseus aus der Höhle trägt, so an: „Liebes Widderchen, warum trabst du als letzter von dem Kleinvieh aus der Höhle? Nie iiessest du ja sonst andere Schafe vorangehn, sondern eiltest weit ausschreitend, als Erster zu den lieblichen Blumen der Weide; als Erster gelangtest du an die strömen- den Bäche und strebtest vor den Andern am Abend in den Stall zurückzukehren. Und jetzt bist du der Allerletzte! Betrübt dich so das Auge deines Herrn, das der böse Mann mir geblendet?" etc. 0. 9, 447.
Ein Schafdarm als Saite der cpogituy^ findet sich 0. 21, 408, ein Seil aus Schafwolle für die Schleuder IL 13, 599.
lieber die Race des homerischen Schafes lässt sich nichts Bestimmtes sagen ; nur soviel steht fest, dass es sehr dichte Wolle trug, wie aus dem Beiwort laoiog und aus
1) Solche, und nicht wie einige Erklärer annehmen dunkelblau gefärbte Wolle, verarbeitet Helena 0. 4, 135.
Die homerische Thierwelt. 167
0. 0, 432, woselbst Odysseus erzählt, er habe sich an dem Bauche eines Widders in dem „unermesslichen Geflocke" festgehalten und sei auf diese Art verborgen aus der Höhle des Cyclopen entflohen, deutlich hervorgeht. Die Ueber- treibung in letzterer Erzählung konnte der Dichter natürlich nur dem „erfindungsreichen" Odysseus in den Mund legen.
Die zabme Ziege.
Capra domestica, zQayog der Bock, «t? die Ziege, sQicpog das Zicklein.
Beiwörter: iiir]y(.ccg meckernd, nlcov fett, evTQscpi^g und KccTQscprjg wohlgenährt.
Die Ziegenheerden weiden zerstreut, was aus der Be- zeichnung ahccha Tilaze^ alycov hervorgeht.
Die Anführer ordnen das Heer wie Ziegenhirten die auf der Weide durcheinander gekommenen Hcerden wieder aussuchen und trennen (IL 2, 474).
Ein Hirt, der das Herannahen eines Sturmes bemerkt, treibt seine Heerde in eine Höhle an der klippenreichen Küste (IL 4, 275).
Der Ziegenhirt Melantheus spottet bei Eumäus über den als Bettler verkleideten Odysseus mit den Worten: „Wenn du mir den da als Stallwächter überliessest, damit er den Stall fege und den Zicklein Laubfutter bringe, so könnte er sich, Molken trinkend, einen mächtigen Schenkel schaffen" (d. h. herausfüttern). 0. 17, 223.
Da Telemach 0. 4, 601 dem Menelaos schildert, wie ungeeignet Ithaka für die Pferdezucht (s. o.) sei, weil es dort weder ausgedehnte Rennplätze noch Wiesen gebe, fügt er hinzu, es sei aber alylßozogj Ziegen nährend. Wo die Weideplätze den Pferden und Rindern abgehen. — Odysseus hielt seine Rinderheerden auf dem benachbarten Festlande (s. o.) — da kann doch die Ziege kletternd Nahrung finden.
Feinde der Ziegen sind Löwe und Wolf (s. d.)
Eine beliebte Speise der homerischen Helden waren Geismagen, die mit Fett und Blut gefüllt waren und nach 0. 20,25 an Spiessen über dem Feuer gebraten wurden. Das Rückenstück der Ziege galt für eine Delicatesse (IL 9, 207).
168 Otto Koerner:
Aus Ziegenfellen verfertigte man Weinschläuche (IL 3, 247; 0. 9, 196 u. o.), Decken und Polster (0. 14, 518 u o.) und Kappen (0. 24, 231).
lieber die Race der homerischen Ziege lässt sich nichts Genaueres angeben.
Im 9. Gesänge der Odyssee führt der Dichter viele Einzelheiten über die Kleinviehzucht des Cyclopen Polyphem als Staffage zu der wunderbaren Errettung seines Helden aus der Höhle jenes Ungethüms an. Die Staffage, der sich Odysseus bei seiner Rettung anpasst, durfte für die Zeitgenossen Homers nichts Unnatürliches und Fremdartiges enthalten, damit nicht die Aufmerksam- keit von der Handlung abgelenkt wurde. Wir haben also in der Polyphemie ein getreues Bild der homerischen Kleinviehzucht ^) 5 wenn auch die Person des Hirten etwas ungeheuerlich ist und Grösse wie Stärke seiner Widder übertrieben wird (s. o.).
Das Gehege für die Schafe und Ziegen des Polyphem bestand aus einer gewaltigen, verschliessbaren Höhle nahe dem Meeresufer mit einem durch Mauer und Anpflanzungen geschlossenen Vorhofe (0. 9. 181). Die Ställe für die weiblichen Thiere und die Jungen befinden sich in der Höhle; letztere sind nach dem Alter in drei verschiedene Abtheilungen gebracht (0. 9, 216). Die Widder und Böcke bleiben Nachts meist im Vorhof (0. 9, 237).
Bei Sonnenaufgang wird in den Ställen gemolken und die Säuglinge werden an das Euter gelegt (0. 9, 307). Dann wird die Heerde in die Berge getrieben (0. 9, 315) ; die Säuglinge bleiben in den Ställen (0. 9, 216). Abends treibt der Hirte ein, melkt wieder in den Ställen und lässt die Säuglinge nochmals trinken (0. 9, 244).
1) Viele Einzelheiten stimmen mit Notizen, die der Dichter an anderer Stelle gibt, überein. So dienten Höhlen in den zerklüf- teten Strandgegenden öfters zum Schutze des Kleinviehs (II. 4,275), Trennung der Geschlechter findet sich auch in den Schweineställen des Eumäus (s. u.), Kälber wurden wie das junge Kleinvieh des Polyphem nicht mit auf die Weide ausgetrieben (0. 10, 408) etc.
Die homerische Thierwelt. 169
Die Ziegen- und Schafmilch verarbeitete man zu Käse und Molken (0. 9, 244) oder trank sie frisch und zwar wahrscheinlich mit Wasser verdünnt, wie den Wein. Um den Cyclopen nämlich als recht unmässig darzustellen, bemerkt der Dichter, dass er ungetaufte Milch, axQrjzov yala, trank (0. 9, 297).
Das zahme Schwein.
Sus scrofa domestica, Kccirgog und ovg Ka7CQiog der Eber, ovg und vg die Sau, xolgog das Ferkel, oialog und Gvg oiaXog das Mastschwein, ovg d^rjXeia roxag die Zuchtsau.
Der Eber wird gvcov eTnßj]T(OQ, Bespringer der Säue genannt. Das Mastschwein heisst änaloTQ€q)rjg weichlich genährt und lazQSfprjg wohlgenährt.
Weitere Beiwörter des Schweines sind: agywdovg mit weissem Zahn, hiißoTeiQrj die Saat abweidend, verwüstend, XCif-ictiewäg auf dem Boden liegend.
lieber die Schweinezucht des Eumäus berichtet der Dichter folgendermassen :
„Innerhalb des Hofes hatte er 12 Kofen nahe anein- andergebaut als Lagerstätten für die Schweine. In jedem aber waren 50 Schweine auf dem Boden liegend einge- pfercht, weibliche Zuchtschweine. Die Eber, viel geringer an Zahl, hatten ihr Lager stets ausserhalb" (0. 14, 13).
„Dicht hintereinander -kamen die Schweine mit den Hirten. Diese sperrten sie in die gewohnten Lagerstätten und unaufhörliches Grunzen*) erscholl von den einge- pferchten Schweinen" (0. 14, 410).
„Du wirst ihn bei den Schweinen treffen, welche bei dem Rabenstein an der Arethnsischen Quelle weidend, herz- erfreuende Eicheln fressen und dunkles Wasser saufen, was ihnen reichliches Fett schaffet" (0. 13, 407).
Den in Schweine verwandelten Genossen des Odys- seus wirft Kirke (0. 10, 242) Eicheln und Kornelkirschen vor, „wie sie die Schweine stets fressen.^
Der Bettler Iros droht dem Odysseus, er wolle ihm
1) yJ.ayyri. Dieses Wort bezeichnet nur verworrenen Lärm und kann daher ebenso vom Grunzen der Schweine wie von dem Geschrei des Kranichs (II. 2, 463; 3. 3) etc. gebraucht werden.
170 Otto Koerner:
die Zähne einschlagen wie einer saatverwüstenden Sau (0. 18, 29). Ob man die Saat vor den Schweinen dadurch schützen kann, dass man diesen die Hauer ausbricht, scheint zum Mindesten sehr zweifelhaft, da sie dann immer noch mit dem Küssel wühlen können. Oder sollte viel- leicht der Eigenthümer des verwüsteten Ackers berechtigt gewesen sein, der Sau, durch die er Schaden erlitten, (zur Strafe?) die Zähne auszubrechen, wie es bei den Cypriern nach Angabe der Schollen Brauch gewesen ist?
Gemästete Schweine , waren bei den homerischen Helden eine beliebte Speise. Das Ferkelfleisch wurde ebensowenig geschätzt wie Fische und Vögel, da es den Heroen zu weichlich war; mau überliess es den Sclaven (0. 14, 80).
Schweine dienten auch- als Opferthiere.
Unter den Vögeln scheint das einzige Hausthier die Gans gewesen zu sein. Von den Insekten kann die Biene hierher gestellt werden. Von beiden soll an geeig- neter Stelle die Rede sein.
C. Jagdbare Thiere, -/.vcodalov. Der Edelhirsch.
Cervus elaphus, tla(poq\ das Hirschkalb heisst veßgog und ellog] der Spiesser K€f.iag.
Beiwörter: y.eQaog mit Geweih, vipUeQwg mit hohem Geweih. Die Hirschkuh ist Taxdr] und oj/Mt] schnell, cpvllßMvri flüchtig, ayQortQa wildlebend. Das Hirschkalb (veßgog) heisst verjysvr^g neugeboren, yalad^rjvög Milch »äu- gend, (illog) zioL'Miog bunt, gefleckt.
Der Hirsch ist ein Bild der Feigheit. So werden die Troerinnen mit flüchtigen Hirschkühen verglichen (II. 13, 102); Achilles wirft dem Agamemnon vor, er habe den Muth eines Hirsches (II. 1, 225). Agamemnon ruft die zögernden Argiver an: „Warum steht ihr da betäubt wie Hirschkälber, die, wenn sie vom Laufen durch ein weites Gefild ermatten, stehen bleiben und keine Kraft mehr fühlen" (II. 4, 243).
Die homerische Thierwelt. 171 *
Odysseiis berichtet folgende Jagdgeschichte: „Als ich nahe an das Schiff herankam, da erbarmte sich meiner, des Verlassenen, einer der Götter, der mir einen gewaltigen Hirsch mit hohem Geweih gerade in den Weg sandte. Dieser wollte aus der Waldestrift nach dem Flusse ziehen, um zu trinken, denn schon bedrängte ihn die Kraft der Sonne. Als er hervorkam, traf ich ihn mitten in das Rück- grat. Der eherne Speer drang auf der andern Seite her- aus, er stürzte stöhnend in den Staub und es entfloh seine Seele." Odysseus bindet ihm nun die Beine zusammen und trägt ihn auf dem Rücken nach dem Schiffe. Dort staunen seine Genossen über die Grösse des Thieres^ (0. 10, 156).
„Einen geweihtragenden Hirsch oder einen Steinbock jagen Hunde und Landleute auf — ihn aber beschützt ein starrender Fels und der Waldesschatten, ohne dass es jenen beschieden war, ihn zu erreichen" (II. 15, 271).
Artemis jagt auf dem Taygetos und Erymanthos Hirsche und Eber (0. 6, 102).
Wie die Hirschkuh ihren vom Löwen Überfallenen Jungen nicht helfen kann, sondern schnell durch das Wal- desdickicht entflieht, so konnte auch Niemand das Unglück von den Troern abwenden (Nach IL 11, 113).
lieber die Jungen des Hirsches siehe die ausführliche schon beim „Löwen" übersetzte Stelle O. 4, 335=17, 126 und die beim „Hunde" angeführte IL 22, 189. VgL ausser- dem IL 3, 23; 16, 756. Ein Hirschkalb wird vom Adler geraubt IL 8, 248. Die „Tragödie des verwundeten Hir- sches" (Buch holz) IL 11, 474 haben wir beim „Schakal'^
1) Buch holz, L c. p. 165 macht hierzu die Bemerkung: .jWenn es gleich darauf heisst, dass die Genossen des Odysseus das gigantische Thier angestaunt hätten, so muss man sich erinnern, dass in jenen ältesten Zeiten, wo das Wild minder verfolgt wurde, die Hirsche eine jetzt unerhörte Grösse erreichten." — Völlig aus- gewachsene Hirsche komme* jedoch in allen reichen Beständen auch jetzt noch nicht selten vor. Oder meint Herr Buch holz vielleicht, dass der Hirsch ad infinitum wachse? Auch ist es ganz unbegreif- lich, wie die Genossen des Odysseus einen Hirsch anstaunen konnten, weil seine Grösse erst jetzt unerhört wäre.
172 Otto Koerner:
übersetzt. Eine weitere, hierher gehörige Stelle findet sich IL 11, 113:
„So wie ein Löwe die unbehülflichen Jungen der flüchtigen Hündin leicht mit mächtigem Zahn zermalmt und ihnen ihr zartes Leben raubt, wann er sie im Lager trifft, während die Mutter, obwohl sie in der Nähe ist, nicht helfen kann, denn ihr selbst erzittern die Glieder und schnell flieht sie durch Dickicht und Wald, rastlos und schweisstriefend vor dem Andränge des mächtigen Raub- thiers — so konnte kein Troer von Jenen das Unheil ab- wehren, denn auch sie flohen vor den Argivern/'
0. 19, 228 wird die getriebene Arbeit auf einer Spange von Gold folgendermassen beschrieben: „In seinen Vorder- füssen hielt ein Hund ein geflecktes Hirschkalb und fasste das zappelnde. Alle aber bewunderten, wie naturgetreu *), obwohl sie von Gold verfertigt waren, dieser das Hirsch- kalb würgend fasste, jenes aber, zu entfliehen begierig, mit den Beinen zappelte." — Vgl. noch II. 16, 156 (s. unter „Wolf").
0. 13, 436 wird eine Hirschhaut als Bettlermantel
benutzt.
Das Reh (?).
TTgoxag, vielleicht Rehe (Capreolus vulgaris) jagte der Hund Argos. 0. 17, 295.
Der Steinbock 2).
ai^ ayQtog und ai!^ dygoregog.
Beiwörter: furjxag meckernd, ogeoyicoog auf Bergen lebend, lovd-ag zottig, langbärtig, ^aXog gut springend.
1) „Naturgetreu'* stellt nicht im Urtext, macht aber in der Uebersetzung den Sinn deutlicher.
2) Dass wir es hier mit einem Steinbock zu thun haben, er- gibt sich schon aus den Beiwörtern. Es kann jedoch nicht sicher festgestellt werden, welche Species (oder Varietät?) gemeint ist. Die Vermuthuug von Fried reich, 1. c. p. 108, dass der «fl (iyQios capra aegagrus sei, hat das für sich, dass dieses Thier gegen- wärtig im Kaukasus vorkommt und dass die Bezeichnung toVi9(xg, langbärtig, auf es besser als auf andere Species passt. Es gibt aber jetzt auch noch auf Greta eine besondere Steinbockart, die gerade so gut die homerische sein könnte. Buch holz, 1. c. p. 163, hält
Die homerische Thierwelt. 173
Die hierhergehörigen Stellen sind:
0. 9, 110: „Dann breitet sich vor dem Hafen in massiger Entfernung vom Lande der Cyclopen eine unan- gebaute, waldige Insel aus, auf welcher unzählige Stein- böcke leben, denn kein Verkehr der Menschen vertreibt sie. Auch pflegen die Jäger nicht dahin zu kommen, um Leiden zu erdulden beim Ersteigen der waldigen Berggipfel, und die Insel ist nicht eingenommen von weidenden Heer- den und Pflügern, sondern unbesäet und ungepflügt ist sie immerfort leer von Menschen, ernährt aber meckernde Steinböcke.'*
Dort jagt Odysseus 0. 9, 155.
,, Darauf nahm er aus dem Futteral den wohlge- glätteten Bogen vom Horu des springenden Steinbocks, den er einst selbst auf dem Anstand glücklich in die Brust
mit Netolika capra ibex, den Alpensteinbock, für den homeri- schen, da derselbe an den Hörnern 14 — 16 quergestellte Wülste habe, was Homer II. 4, 109 mit dem Ausdruck yjQa ixxca^sxd- 6(üocc bezeichne. Ich hin damit einverstanden und halte selbst ge- genüber den mir von philologischer Seite entgegengestellten Bedenken daran fest, dass ix/ccctö^xa^ioocc nicht etwa die Länge der Hörner „gleich 16 Handbreiten", sondern die charakteristische Bildung der- selben bezeichnet und deshalb als ,,mit 16 Wülsten" übersetzt wer- den muss. Wenn aber die genannten Autoren diese einmal vor- kommende und nur auf ein Exemplar, nicht aber auf die ganze Art bezogene Bezeichnung als charakteristisch für capra ibex an- nehmen, so muss ihnen bemerkt werden, dass die Anzahl der Wülste an den Hörnern aller Steinbockarten nicht constant 14 — 16 beträgt, sondern dass sie beim jungen Thiere gar nicht vorhanden sind und später an Zahl mit ziemlicher Regelmässigkeit zunehmen, so dass man das Alter des Thieres ungefähr danach bestimmen kann. Bei 12 von mir untersuchten Gehörnen von Steinböcken, die grössten- theils im Senkenbergischen Museum aufbewahrt werden, war die geringste Anzahl von Wülsten 5, die höchste 19; sie soll aber nach Brehm, 1. c. p. 642, bis auf 24 steigen können.
Andere Erklärer nehmen an, dass der al'i IcyQiog eine ver- wilderte Ziege sei, wie sie noch jetzt auf gänzlich unbewohnten In- seln des Mittelmeeres (z. B. Tavolara bei Sardinien) in kolossaler Menge vorkommt (vgl. Lenz, 1. c. p. 230). Diese Ziegen sind, wenigstens auf einigen der Inseln, in historischer Zeit verwildert, was bei dem aY'^ «/mo? nach 0. 9, 116—124 (s. im Text) wohl nicht anzunehmen ist.
174 Otto Koerner:
getroffen hatte, wie er gerade auf den Fels hervortrat; rückwärts stürzte er herab; die Hörner ragten ihm mit 16 Wülsten aus dem Kopfe.'' (II. 4, 105.) S. noch II. 15, 271 (beim Hirsch übersetzt).
Die Haut des Steinbocks wird als Decke benutzt (0. 14, 50); aus den Hörnern fertigte man Bogen (s. o. u.
0, 21, 395).
Der Hase.
Lepus timidus, Xayiooi;. Er ist fussschnell, /rodag Tayvq. Das Beiwort tttw^, der sich duckende, furchtsame, tritt IL 17, 676 als alleinstehendes Substantiv auf. Er wird an dieser Stelle von einem Adler (s. d.) aus dichtem Ge- büsch aufgescheucht und getödtet. Aehnlich IL 22, 310. Er wird von Hunden über waldiges Land hin verfolgt und schreit im Fliehen H. 10, 361. Vgl. noch 0. 17, 295.
Der Hase ist auch gegenwärtig in Kleinasien häufig.
Das Wildschwein.
Sus scrofa, ovo, ayqioq oder ayqöxEqoq^ der Eber heisst Gvq '/.ciTiQLOQj KCiTTQog, auch ovg.
Beiwörter: juiyag gewaltig, aKa/iiag nicht zu er- müden, aQyLodovg mit weissen Zähnen, /AoiJi^/^g in der Saat lagernd.
Sein Muth wird IL 17, 20 dem des Löwen und dem des Panthers gleichgestellt.
Seine Haut ist nach IL 9, 528 Xa^vr^eig^ borstig.
Folgende Gleichnisse sind er wähnen s wer th:
Idomeneus hielt den Feinden Stand „wie ein Wild- schwein in den Bergen auf seine Stärke vertrauend den herannahenden lärmenden Schwärm der Männer in unbe- wohnter Gegend erwartet, den Rücken (d. h. die Borsten auf dem Rücken) sträubt und mit feuersprühenden Augen die Hauer wetzt, um Hunde und Männer abzuwehren." (IL 13, 471).
Auf den Odysseus stürmten die Troer an „wie wenn den Eber Hunde und jugendliche Jäger im Kesseltreiben^) hetzen und ringsher anrennen, wenn er aus tiefverwachsenem
1) i(/u(pi a€v(ovT(xi. Sie kommen von allen Seiten.
Die homerische Thierwelt. 175
Dickicht hervorbricht und die weissen Hauer im zurück- gebogenen') Rüssel mit hörbarem Knirschen wetzt 2): ob- wohl er furchtbar ist, erwarten ihn Jene dennoch" (II. 11,414).
,,Sie stürzten aus dem Thore und kämpften draussen, wilden Schweinen gleichend, welche im Gebirg den her- annahenden Lärm von Jägern und Hunden vernehmen und mit gedrehtem Kopfe ^) anlaufend rings das Gestrüpp durch- brechen, indem sie es sammt den Wurzeln mit hörbarem Knirschen 2) der Hauer auswühlen, bis ihnen ein Geschoss das Leben raubt'' (II. 12, 145).
Ist ein Eber von Jägern umstellt, so sucht er anren- nend einen Ausweg „und wo er anstürmt, da weichen die Reihen der Männer'' (II. 12, 41). Vgl. IL 8, 338 u. 17, 281.
Ueber die Entstehung der Schenkelnarbe des Odysseus, die zu seiner Erkennung führt, erzählt der Dichter folgendes Jagdabenteuer:
,,Die Jäger kamen in eine Schlucht auf. dem Par- nass. Vor ihnen liefen die Hunde, die Spur aufsuchend, hinterher kamen die Söhne des Autolykos. Unter diesen ging der göttliche Odysseus, nahe den Hunden, die lang- schaftige Lanze schwingend. Dort nun lag die gewaltige Sau im dichtverwachsenen Lager, das weder die Gewalt der feucht wehenden Winde, noch die leuchtenden Sonnen- strahlen, noch der Regen durchdrang; so dicht war es und
1) Der zurückgebogene Rüssel ist gleich dem Zähnefletschen, Entblössen der Eckzähne etc. ein Zeichen der Kampfbereitschaft. Vgl. Darwin, Ausdruck der Gemüthsbewegungen, Stuttgart, 1872, p. 53 u. 118.
2) Durch das beständige Aneinanderreihen der Hauer des Unter- uod Oberkiefers werden diese bei alten Thieren scharf drei- kantig. Ob dabei ein starkes Geräusch entsteht (vTrcu Jt ts xo^unog oJoj/rwj/ yiyviTcci), ist uns unbekannt, doch halten wir es für mög- lich ; es würde dem Zähneknirschen des Menschen und anderer Thiere entsprechen.
3) ^o;(/u(o t' aCaaoVTS. Da 'das Schwein immer nur mit den Hauern der einen Seite wühlt oder angreift, so muss es mit seit- licher Kopfhaltung arbeiten, resp. zum Hauen ausholen. Will es verwunden, so verbindet es diese Bewegung mit einem Sprunge, was der Dichter mit den Worten hxQKplg cä^ag „nachdem es seit- wärts gesprungen war" (0.19, 451 s. u. ) bezeichnet.
176 Otto Koerner:
eine gewaltige Menge Blätter lag darinnen. Da drang der Lärm von den Füssen der Männer und Hunde, als sie auf ihrer Jagd herannahten, zu der Sau. Den Borstenkamm stark emporsträubend und mit feuerblickenden Augen ^) trat sie aus dem Dickicht entgegen und stand nahe an ihnen. Odysseus, der der vorderste war, hob seinen langen Speer und schleuderte ihn mit der Hand, um das Schwein zu verwunden. Dieses kam ihm aber zuvor und traf ihn über dem Knie: viel Fleisch durchriss es mit dem Hauer, seitwärts drängend 2), aber es kam nicht bis auf den Knochen. Odysseus jedoch verwundete es mit glücklichem Stoss in die rechte Schulter und gegenüber drang die Spitze des glänzenden Speeres heraus; stöhnend fiel es in den Staub und der Geist entfloh ihm'' (0. 19, 435).
Artemis schickt dem Oeneus „ein in der Saat lagern- des, weisszahniges Wildschwein, welches nach seiner Art die Gefilde des Oeneus arg verwüstete : viele grosse Bäume wühlte es mit sammt den Wurzeln und den Blüten der Aepfel aus der Erde heraus. Dieses tödtete Meleager, nach- dem er aus vielen Städten Jäger und Hunde versammelt hatte, denn nicht wäre es von wenigen Sterblichen be- zwungen worden, s(i gewaltig war es, und viele brachte es auf den schmerzlichen Scheiterhaufen" (d. h. tödtete sie). (II. 9, 539).
Ausser dem Menschen bekämpft nur noch der Löwe das Wildschwein mit Erfolg. Beide treffen dürstend an einer Quelle zusammen und röchelnd unterliegt im kurzen Kampfe der Eber (IL 16, 824).
Noch jetzt ist das Wildschweiü in Kleinasien häufig.
D. Die im Meere lebenden Säugethiere werden KTjtog genannt, so die Robbe {g)cüxr]). 0. 4, 446; 0. 12, 96 ist von „Seehunden, Delphinen und noch grösseren See- thieren" {ytinrog) die Rede.
Seehniide. ytvvsg, nur 0. 12, 96 mit andern Seethieren erwähnt.
1) (fQi^ag ev Xoifirjv, nvQ (T ocpS^ak/uoToi ^eSoQxtog.
2) XixQiiflg ni^ccg, s. vor. Seite, Anra. 3. '
Die homerische Thierwelt. 177
Der Delphin. '
Delphinus delphis, delq^ig. Der Dichter rechnet ihn IL 21, 22 zu den Fischen, wenn er sagt:
„Wie vor dem gewaltigen Delphin die anderen Fische aus Furcht fliehen und die Buchten des Hafens erfüllen, denn jener verschlingt, welchen er auch immer ergreift : so flohen die Troer furchtsam durch die Fluten des schrecklichen Flusses zu den Abhängen."
Buchholz, 1. c. p. 144 versteht unter dem öelcplg ein grösseres Thier, z. B. einen delphinorhynchus. Diese Vermuthung scheint uns jedoch nicht gerechtfertigt, da im Mittelmeer die bei Homer geschilderte Jagd des Delphins auf kleine Fische zu den alltäglichen Erscheinungen gehört.
Die Robbe.
cficoytt]. Beiwörter: raT(>£y?^'g wohlgenährt, ähoTgecprig im Meere genährt, vinodeg mit Schwimmfüssen,
Menelaos erzählt 0. 4, 360, wie er auf Rath der Meer- göttin Eidothea, um dem Meergotte Proteus aufzulauern, sich mit seinen Gefährten in Robbenhäute hüllt und an das Ufer legt. Um die Mittagszeit entsteigt Proteus dem Meere und „um ihn legen sich sämmtliche schwimmfüssige Robben der Amphitrite schlafen, nachdem sie aus den Fluten aufgetaucht sind und geben einen scharfen Geruch nach dem tiefen Meere von sich". Dort lag nun Menelaos von Sonnenaufgang bis zur Mittagszeit, gequält vom scheuss- lichen Gestank seiner Umhüllung, der aber bald von der Göttin dadurch beseitigt wird, dass sie ihm Ambrosia unter die Nase streicht. Die Umhüllung täuscht nicht nur den Proteus, sondern auch die Robben.
In dieser Schilderung haben wir wieder eine Anleh- nung an natürliche Vorgänge, wie wir eine ähnliche bei der Kleinviehzucht des Pclyphem besprochen haben.
Eine Leiche wird 0. 15, 480 in das Meer geworfen, um eine Beute der Robben und Fische zu werden.
Nach Erhard^) ist fast die einzige im Mittelmeer vorkommende Robbe Phoca monachus. So wird es wohl auch zu Homers Zeiten gewesen sein.
1) Erhard, Fauna der Cycladen, p. 18.
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. t. Bd. 12
178 Otto Koerner:
Die Fledermaus lässt sich unter keine der obigen grösseren Abtheilungen bringen:
Die Fledermaus,
Vespertilio, vvKTSQig. Ihre nächtliche Lebensweise ist in ihrem Namen ausgedrückt {vv^ = Nacht).
Odysseus, vom Meere an das Land gespült, hält sich an einem Baume: „an diesem angeschmiegt hing ich wie eine Fledermaus" (0. 12, 433).
Die Seelen der erschlagenen Freier entführt Hermes und sie folgen ihm schwirrend „wie wenn Fledermäuse im Winkel der gewaltigen Höhle schwirrend^) hin und her flattern und sich aneinander hängen, wenn eine aus dem Schwärm vom Felsen abgefallen ist" (0. 24, 6). Die Fledermäuse ruhen bekanntlich tagsüber in dunkeln Win- keln etc. an der Decke hängend, oft zu Hunderten dicht bei einander. Wenn nun eine aus der Menge abfällt und herumflattert, so stört sie auch die andern auf und da mag es oft vorkommen, dass sich Eine schlaftrunken an eine Andere hängt. Auch pflegen die jungen Fledermäuse an der Brust der Alten zu hängen.
Viele Arten von Fledermäusen kommen auch gegen- wärtig in den Mittelmeerländern vor.
Noch haben wir ein Produkt aus dem Thierreich zu erwähnen, das Elfenbein, das die homerischen Griechen von phönizischen Kauf leuten bezogen, ohne den Elephanten zu kennen. Man beutzte es ähnlich wie noch heute zu Gebrauchs- und Luxusgegenständen. Vgl. II. 4, 141 ; 5, 583 ; 0. 4, 73; 19, 56 u. 563 u. o.
1) Schv/irreu, roi^eiv, nur von der Art der Bewegung beim Flug, nicht von einem dabei entstehenden Geräusche, da der Flug der Fledermaus geräuschlos ist.
Die homerische Thierwelt. 179
II. Vögel.
Raubvögel. Der Adler.
ahzog. Beiwörter: vipLJiaTrjg hochüiegend, ay-avlo- xeilrig mit krummem Schnabel, ^rjQTrjQ der Jäger, aid^oyv feurig, muthig.
Die verschiedenen Farbenbezeichnungen gaben Veranlassung zum Trennen des aUrog in mehrere Species. Dies ist jedoch sehr gewagt, da sämmtliche Farbenbezeich- nungen des Adlers {/ii6Qg)vog, Tieg-avog und (i^lag) nur „dunkel" bedeuten und sonst keine Unterschiede nach- weisbar sind ^).
Der homerische alerog ist wahrscheinlich der Stein- adler, Aguila fulva, der auch jetzt noch in Kleinasien und Griechenland häufig ist.
Der Adler ist dem homerischen Zeitalter der treff- lichste Weissagevogel; Zeus sendet ihn von Rechts her, wenn er Glück verheissen will: so schickt er dem Priamus als günstiges Vorzeichen „einen Adler, den bedeutungs- vollsten der Vögel, den dunkelgefiederten Jäger, den man auch Schwarzadler {7t£QKv6g) nennt. So weit wie eine wohlverschlossene, festgefügte Thtire im Hause eines reichen Mannes breiteten sich seine Schwingen auf beiden Seiten aus. Er stürmte aber rechtshin über die Stadt'^ (IL 24, 314).
„Aber der Pelide sprang soweit weg, wie der Wurf eines Speeres reicht, mit der Wuth des dunkeln ((.leXag) Adlers, des Jägers, der unter den Vögeln der gewaltigste und schnellste ist'' (IL 21, 252).
Zeus sandte dem Telemach zum Zeichen „von der Höhe des Berggipfels zwei Adler herab. So lange diese mit dem Hauche des Windes heranflogen, breiteten sie sich
1) Aristarch machte aus dem «ffro's fxoQipvog eine besondere Species. Ebenso Aristoteles und Plinius. Wir sind jedoch nicht berechtigt, derartige Unterscheidungen von Späteren ohne Weiteres auf Homer zu übertragen, wie wir weiter unten noch an mehreren Beispielen sehen werden. Vgl. auch Buchholz 1. c. p. 141.
180 Otto Ko erner:
nalie aneinander mit den Flügeln aus. Als sie aber mitten über die lärmende Versammlung kamen, da schlugen sie die Flügel dicht hintereinander und sahen auf die Häupter Aller herab, Verderben blickend. Nachdem sie nun mit den Klauen einander Wange und Hals zerkratzt hatten, stürmten sie rechtshin durch die Luft über die Stadt" (0. 2, 146).
MeneTaus schleudert Blicke „wie ein Adler, von dem man sagt, er sähe am schärfsten von den Vögeln unter dem Himmel, dem, auch wenn er hochfliegt, der schnell- füssige Hase, geduckt in dichtbelaubtem Gebüsche, nicht verborgen bleibt: er stürzt sich auf ihn und raubt ihm schnell zugreifend das Leben" (II. 17, 673).
Hektor stürzt auf die Achäer „vorwärts geneigt, wie ein hochfliegender Adler, der sich aus dunkeln Wolken auf die Erde stürzt, um ein zartes Lamm oder einen furchtsamen Hasen zu rauben" (IL 22, 308).
Ein Adler lässt ein geraubtes Hirschkalb aus der Luft niederfallen (IL 8, 247), ein anderer greift wilde Gänse, Kraniche und Schwäne an (IL 15, 688); auch ver- greift er sich an den zahmen Gänsen der Penelope (0. 15, 160, siehe unter „Gans").
IL 12, 201 u. 221 wird von einem Adler erzählt, der eine Schlange wegträgt, sie aber bald wieder fallen lässt, da sie sich heftig wehrt, so dass es ihm nicht gelang, sie seinen Jungen zu bringen (S. unter „Schlangen") 0-
Der Seeadler.
Haliaetus albicilla, qiTivrj. Das Wort (pr]vi] bedeutet „leuchtend"-); „nach längerem Gebrauch bleichen nämlich die Federn dieses Vogels, und dann erscheint der Ober- körper weisslich, die Brust und der Bauch grauweiss."^)
Athene nimmt 0. 3, 372 die Gestalt dieses Vogels an, was um so passender ist, als es gerade an der Meeresküste geschieht, wo ja auch der Seeadler sich aufzuhalten pflegt.
1) Der Steinadler wird schwerlich Schlangen wegtragen. Es ist vielleicht hier der Schlangenadler oder der Busaar gemeint.
2) Buchholz, 1. c. p. 142.
3) Brehm, 1. c. Bd. IL S. 238.
Die homerische Thierwelt. 181
Das laute Weinen des Odysseus und des Telemach wird mit dem Schreien dieses Vogels verglichen (0. 16, 217. Wir übersetzen die Stelle unter dem alyvmog.)
Der Aiyvnioq,
ein Falke, dessen Species jedoch nicht festgestellt werden kann. Das Wort cuyvTTiog wird gewöhnlich als ,, Ziegen- oder Lämmergeier" erklärt. Wir dürfen aber darunter keinen derartigen Vogel verstehen, da der alyiTriog sich nach 0. 22, 302 auf Schwärme kleiner Vögel stürzt, was für einen Adler oder Lämmergeier naturgeschichtlich ge- radezu unerhört wäre. Auch theilt mir Herr Professor H. Rumpf eine andere Etymologie mit, die wohl die richtige ist, da ihr keine naturgeschichtliche Thatsache entgegen steht. Es wäre nämlich möglich^ dass die Stammsilbe von alyi'Triog in yvTi (yvip, yvnog) gelegen ist, und o.i nur vor- gesetzt, wie in alydlip, schroff, wo man zwar auch „von Ziegen verlassen, weil zu schroff, '^ erklärt, was aber offen- bar ganz unsinnig ist; denn den Ort, den man verlassen, hat man doch schon einmal eingenommen.
Dev alyvTTiog ist charakterisirt durch die Bei Wörter yajiixlicovc^ mit krummen Fängen und ayy.vloydh]g mit krummem Schnabel.
Athene und Apollo lassen sich in seiner Gestalt auf einer Buche nieder (IL 7, 59). Sarpedon und Patroklos stürzen laut schreiend auf einander los, wie zwei alyvTnoi auf hohem Felsen (IL 16, 430). Automedon stürmt mit seinem Streitwagen unter die Feinde wie ein alyvTiLog unter die Gänse (IL 17, 460).
Odysseus und Telemach weinten aus Freude „hell- auf, anhaltender als Seeadler oder als aiyvmoi mit krum- men Fängen, welchen Jäger die Jungen ausnahmen, bevor sie üüggQ geworden" (0. 16, 217).
Eine äusserst schwierige Stelle findet sich 0. 22, 302: Odysseus und seine Gefährten wüthen unter den Freiern „wie alyvTTioi mit krummen Schnäbeln und Fängen aus den Bergen stammend^) herbeikommen und kleine Vögel
1) „qui dicuntur ^c d^ofojv, quia ibi habitaut et Eati sunt, non vero quia nunc praecise inde veniunt." Dann, lexicon Homerico- Pindaricum, ed. Rost, p. 781, Spalte 3 i. v. viipog.
182 Otto Koerner:
jagen. Diese stürzen sich in die Ebene, dem Wolkenbe- reiche entfliehend 1), während jene daraufstossend sie tödten, und weder Abwehr noch Flucht ist ihnen möglich. Die Männer aber freuen sich über die Jagd." — Bei der Er- klärung dieser Stelle hat man Anstoss genommen an den Worten: „die Männer aber freuen sich über die Jagd", und gemeint, letztere könnten nicht blose Staffage sein, sondern müssten in einer engeren Beziehung zu den geschilderten Begebenheiten stehen. Diese Annahme stützt sich auf eine andere Uebersetzung unserer Stelle, für die sich schon Eustath erklärt: er versteht nämlich unter veq)ea nicht die Wolken, sondern aufgestellte Netze 2). Demnach hätten wir mutatis mutandis zu übersetzen: „diese (die kleinen Vögel, nachdem sie die Falken erblickt haben) stürzen sich furchtsam in die auf der Ebene aufgestellten Netze". Die Männer aber, die sich über die Jagd freuen, wären dann die Besitzer der Netze; sie müssten nun in dem Gleich- nisse erwähnt werden, damit auch Herkunft und Zweck der Netze deutlich wäre. Auch diese Erklärung der Stelle ist naturgeschichtlich zulässig und gewinnt dadurch an Wahrscheinlichkeit, dass die Vogeljagd nach glaubwür- digen und übereinstimmenden Berichten^) im Alterthume wirklich auf ähnliche Art ausgeübt wurde.
1) Einige Uebersetzer nehmen hier eine andere Construction an und kommen dabei gerade auf das Gegentheil heraus : ,, diese er- heben sich furchtsam in das Wolkenbereich". Es ist allerdings richtig, dass manche Vögel (z. B. Lerchen, Schwalben, Reiher), wenn sie Raubvögel bemerken, sich über diese erheben und ihnen dadurch entgehen, da die Raubvögel ihre Beute nur von oben herabstossend fangen; in unserer Stelle aber entkommen sie gerade nicht.
2) Diese Uebersetzung ist bei Dann, 1. c. ausführlich erörtert und vertheidigt,
3) Ganz dieselbe Art der Vogeljagd beschreibt Aelian 2, 42 als zu seiner Zeit in Thracien üblich. Ohne Anwendung der Netze kennen sie Philo de animal. adv. Alexaudr., ed. Aucher, p. 143 und besonders Aristoteles. Die Berichte desselben (bist. anim. IX, 24 (36), 4 und de mir. ausc. 118) lauten in wörtlicher Uebersetzung folgendermassen :
„In Kedropolis in Thracien jagen die Leute in den Sümpfen die Vögel in Gemeinschaft mit den Falken (/to«!). Sie klopfen näm-
Die homerische Thierwelt. 183
Der Habicht
astur palumbarius, Ygt]^ xigKog, auch Igr^^ und yjQKog allein *). Beiwörter: amufcTeQog schnell fliegend, elacfgoTctzog nt^ jerjvMv der hurtigste aller Vögel, cpaoGocpovog der Tauben- mörder ^).
Thetis eilt „schnell wie ein Habicht" vom schneebe- deckten Olymp (II. 18, 616). Die Schnelligkeit von Rossen wird mit der des Habichts verglichen (H. 13, 818). Ein Schiff schneidet durch die Wogen, schneller wie ein Habicht durch die Luft (0. 13, 86).
lieh mit Stöcken an das Röhricht und an das Gebüsch, damit die Vögel herausfliegen; die Falken aber erscheinen in der Höhe und verfolgen sie; da fliegen sie aus Furcht wieder auf die Erde herab; die Männer aber erschlagen sie mit Stöcken, nehmen sie und geben den Falken ihren Antheil an der Jagd; sie werfen ihnen nämlich von den Vögeln vor, welche sie auch annehmen."
„In Thracien oberhalb Amphipolis soll etwas Wunderbares und denen, welche es nicht sahen, Unglaubliches geschehen. Wenn näm- lich die Knaben aus den Dörfern und den umliegenden Gegenden auf die Jagd nach kleinen Vögeln gehen, so nehmen sie Falken mit auf die Jagd. Das machen sie so: wenn sie an einen geeigneten Ort gekommen sind, rufen sie die Falken laut beim Namen. Wie diese aber die Stimme der Knaben hören, kommen sie herbei und scheuchen die Vögel in das Gebüsch, wo sie die Knaben mit Stöcken erschlagen und aufheben. Am meisten muss man aber darüber er- staunen, dass die Falken, wenn sie selbst einen Vogel ergrifi'en haben, ihn den Jägern herabwerfen. Die Knaben geben nun einen Theil der Beute den Falken und gehen weg."
Es ist noch zu bemerken, dass in keiner dieser Stellen die Falken gezähmt und abgerichtet gewesen zu sein brauchen. Viel- mehr scheint es, als ob die Jäger sich nur die Furcht der kleinen Vögel vor dem zufällig erscheinenden Falken zu Nutzen gemacht hätten. Die Gegend um Troja ist übrigens noch jetzt nach münd- licher Mittheilung des Herrn Dr. A. Steitz, der sie vor einigen Jahren bereiste, überaus reich an Raubvögeln.
1) Nach Buchholz, 1. c. p. 134, soll sich der for,i zum xiQxog verhalten, wie das Genus zur Species.^ Aristoteles unterscheidet allerdings so. Er trennt auch den f'^/;! (fuaaocpovog den „Taubenstösser" als besondere Species vom I'qt]^ xioxog -ab. Ob auch Homer so unterschied lässt sich nicht erkennen.
184 Otto Koerner:
Poseidon, nachdem er die Achäer unerkannt zum Kampfe ermuntert hat, verschwindet „wie ein flüchtiger Habicht, der von einem schroffen Felsen aufsteigt und dann rasch nach der Ebene hinfährt, einen anderen Vogel verfol- gend" (IL 13, 62).
Die Achäer fliehen vor Hektor und Aeneas „wie die Staare oder die Dohlen in langer Wolke dahinziehend, durcheinander aufschreien, sobald sie von Weitem den Habicht heranstreichen sehen, der kleinen Vögeln Verderben bringt'^ (II 17, 755).
Den fliehenden Hektor verfolgt Achilles „wie ein Habicht aus dem Gebirge, der schnellste aller Vögel, leicht der furchtsamen Taube nachstürzt; diese flieht vor ihm hin, er aber stösst mit hellem Geschrei oft nach ihr, voll Begier, sie zu erhaschen^' (IL 22, 139).
Ein Habicht rupfte im Fluge die erhaschte Taube, so dass Federn zur Erde fielen (0. 15, 525). Ueber andere Stellen s. noch unter „Taube".
Die H4Q717],
ein unbestimmbarer Raubvogel. Das Wort agyrrj hängt mit (xQTiaCeiv rauben, zusammen.
Beiwörter: Taw^rregv^ mit ausgebreiteten Schwin- gen, hyvq)tdvog mit heller Stimme.
Athene eilt so schnell vom Himmel herab wie dieser
Vogel (IL 19, 350).
Die Geier
yvTtsg, ohne nähere Bezeichnung der Species. In Klein- asien sind gegenwärtig Vultur fulvus und cinereus häufig.
Sie verzehren Leichen IL 4, 237; 11, 163 u. o.
Die Strafe des Tityos in der Unterwelt besteht darin, dass zwei Geier ihm die Leber aushacken 0. 11, 578. (Ge- hört in die Mythologie und entzieht sich deshalb der zoolo- gischen Kritik.)
Der Zxo'jip.
Er nistet in Erlen und Schwarzpappeln zwischen Habichten und Komoranen (0. 5, 66).
Lenz^) hält ihn für die kleine Zwergohreule, Ephi-
1) 1. c. p. 269.
Die homerische Thierwelt. 185
altes scops. Hiergegen spricht jedoch l3ei der bekannten Feindschaft zwischen Tag- und Nachtraubvögeln ^) das Nisten zwischen Habichten und Komoranen.
Die /«AxiV oder xvfxivöig.
Der Schlafgott verbirgt sich in den Zweigen einer Fichte auf dem Ida und sass dort „dem hellrufenden Vogel vei*gleichbar, der in den Bergen lebt und von den Göttern Chalkis, von den Menschen aber Kymindis genannt wird" (II. U, 290). Voss 2) übersetzt unrichtig:
^Gleich dem tönenden Vogel, der Nachts 'die Gebirge durchflattert" etc.
Von nächtlicher Lebensart steht bei Homer jedoch
nichts.
Nach Aristoteles^) hat unser Vogel die Grösse des
Habichts. Plinius^) sagt über ihn: „Es gibt einen nächtlichen Falken, welcher Cybindis^) heisst, in Wäldern selten ist und am Tage nicht gut sieht. Er kämpft auf Tod und Leben mit dem Adler und man kann sie oft greifen, wenn sie sich gepackt haben und zusammen her- abfallen." Lenz^) fügt hinzu: „Die Cybindis könnte die Ural-Eule, Strix uralensis sein, welche einem Habicht ähn- lich sieht, zu den grössten Eulen gehört, ziemlich rasch und mit Geräusch, und in Wäldern selbst den ganzen Tag über fliegt. Des berühmten Ornithologen Johann Friedrich Naumann Bruder sah sie auf einen Busaar und dann auf einen Fischreiher stossen und beide heftig verfolgen.
1) Das Alterthum kannte diese Feindschaft wohl und benutzte sie. wie wir, zur Vogeljagd. Aristoteles, hist. anim. IX c. 2. § 3 berichtet darüber: „Während des Tages wird die Eule von den an- dern Vögeln umflattert, was man „Anstaunen" nennt; auch fliegen sie heran und rupfen dieselbe. Deshalb jagen die Vogeljäger mit ihr Vögel von allerlei Art."
2) Wohl veranlasst durch schol. V. zur Stelle.
3) hist. anim. IX. 12. Aubert u. Wim m er, 1. c. p. 100 ver- muthen in ihm den Auerhahn, tetrao urogallus.
4) hist. nat. 10," 8, 10; bei Lenz, 1. c. p. 285.
5) Cybindis, xvfjiv^ig; der Wechsel von b und /u ist nichts Un- gewöhnliches. Uebrigens steht in den mir zugänglichen Ausgaben bei* P 1 i n i u s cy mindis ; ebenso bei Forcellini ohne Angabe einerVariante.
6) 1. c. p. 285, Anm. 849.
186 Otto Koerner:
Wasservögel.
Der Kranich, grus cinerea, yigavog.
Ueber ihn wird in folgenden Gleichnissen berichtet: „Aber nachdem sich ein jegliches Volk mit den Führern geordnet hatte, zogen die Troer mit Lärm und Geschrei heran wie die Vögel: so wie von den Kranichen hoch in der Luft*) Geschrei hertönt, wenn sie den Winter und den unaufhörlichen Regen fliehend nach dem Okeanosstrom^) schreiend enteilen, dem Pygmäengeschlechte Tod und Ver- derben bringend^), und im Morgengrauen schlimmen Streit beginnen" IL 3, 1.
Solche Vogelzüge pflegen an Flüssen zu rasten. Hektor dringt auf das Schiff'lager der Achäer ein „wie ein Adler sich auf die Schaaren weitgeflügelter Vögel stürzt, die längs des Stromes weiden: Kraniche, Gänse oder lang- halsige Schwäne", IL 15, 690.
Es wird auch ein Fluss namhaft gemacht, an des- sen Ufern derartiges regelmässig geschieht: „Wie viele Schwärme fliegender Vögel — Kraniche, Gänse oder lang- halsige Schwäne — auf der Wiese des Asias an beiden Ufern des Kaystrios mit stolzem Fluge hin und her fliegen und sich lärmend vor einander niederlassen^) so dass die ganze Wiese erdröhnt: so stürzten dort die Schaaren von den Schiffen und Zelten auf die skamandrische Flur" IL 2, 459.
Wir haben in diesen Versen wohl die ersten Notizen über den Vogelzug, die um so werth voller sind, als sie auch einen Punkt einer damaligen Zugstrasse (Kaystrios)
1) OVQaVO&l 7iq6.
2) Der Okeanos iimfliesst nach der Vorstellung der Alten die ganze Erde.
3) Nach einer dem Alterthume geläufigen Sage leben die zwerghaften Pygmäen in Streit mit den Kranichen. Vgl, Lenz, 1. c. p. 14. 368 (Aristoteles), 370 (Plinius).
4) Wenn ein Vogelschwarm sich niederlassen will, senkt er sich allmählich, meist Kreise beschreibend. Das Niederlassen ge- schieht dann nicht mit einem Male {nQoxadiCövtoyv, von Zeit und Ort zu verstehen).
Die homerische Thierwelt. 187
angeben. Da uns nun erst in den letzten Jahren durch die gleichzeitig und unabhängig von einander erschienenen Arbeiten von NolP) und Palmen^) Klarheit über die Entstehung des Vogelzugs und über die Zugstrassen der Vögel geworden ist, so scheint es uns wichtig, die Ge- schichte des Kranichzugs genauer zu verfolgen.
Von der unbestreitbaren Thatsache ausgehend, dass zur sog. Eiszeit keiner unserer Zugvögel die nördlich von den Alpen gelegenen Länder bewohnen konnte, zeigt N oll, wie mit dem Schmelzen der unwirthlichen Gletscher eine allmähliche Ausbreitung der Vögel nach Norden stattfand und wie dann der nordische Winter die Einwanderer zwang, Zugvögel zu werden. In ihrer langsamen Ausbreitung nach Norden folgten die Vögel den Flussläufen und Pal- men hat nachgewiesen, dass die Zugstrassen noch gegen- wärtig immer längs derselben Flussthäler hinziehen und die Gebirge an ganz bestimmten Stellen überflogen werden. Ausserdem ist von Noll gezeigt worden, dass sich noch gegenwärtig und zwar in sehr bemerkbarer Weise das Ver- breitungsgebiet mancher Zugvögel (z. B. friugilla serinus, otis tarda etc.) nach Norden erweitert. Am schnellsten musste sich natürlich der Zug bei den guten Fliegern ent- wickeln und in der That haben wir bei Homer von einem solchen, dem Kranich, die ersten zuverlässigen Notizen über den Vogelzug.
Im Folgenden wird gezeigt werden, dass der Kranich in den ältesten Zeiten dieselben Zügstrassen benutzte, wie noch in der Gegenwart.
In den Schriftwerken der alten Griechen und Römer fanden wir über den Zug des Kranichs ausser vielen anderen Bemerkungen folgende, in welchen auch Ortsan- gaben enthalten sind:
Homer, IL 2, 459; S. o.
Aristophanes, Chor der Vögel (Friedreich, 1. c. p. 115): „Wir verkünden die Zeit des Frühlings, Sommers und Winters; die des Säens und die der aufhörenden
1) Dr. F. C. Noll, Die Erscheinungen des sogenannten In- stinkts, Frankfurt a. M. bei Johannes Alt, 1876, p. 42 flf.
2) J. A. Palmen, Die Zugstrassen der Yögel.
188 Otto Koerner:
Schifffahrt, wenn der schreiende Kranich nach Libyen entweicht."
Aristoteles, hist. anim. 8, 14 (bei Lenz 1. ,c. p. 368): „Die Kraniche ziehen im Winter aus den nördlichen Erdstrichen nach den Stinapfen oberhalb Aegyptens, aus denen der Nil entspringt."
Plinius, hist. nat. 10, 23, 30 (Lenz p. 370): „Die Strecke, welche die Kraniche durchziehen, ist unermess- lich; man bedenke, dass sie vom morgenländischen Meere (s. u.) kommen. — Es ist ganz gewiss, dass die Kraniche, welche über das schwarze Meer fliegen wollen, sich zuerst an die Meerenge *) zwischen den Vorgebirgen Kriumetopon und Karambis begeben."
Oppian, de aucupio 2, 17 (Lenz 1. c. p. 371). Aus dieser Stelle geht hervor, dass die durch Thracien ziehen- den Kraniche den Flussläufen folgen.
Aelian 2, 1 (Lenz, 1. c. p. 372). Die Kraniche ziehen von Thracien „ohne zu rasten, geradeaus über das Meer nach Aegypten."
3, 13. ,,Die Spitze des Zugs wird aus alten Kranichen gebildet, welche den Weg schon kennen 2)".
Lenz (1. c.) sagt:
„Die Bemerkung des Plinius, dass die Kraniche vom morgenländischen Meere kommen, ist sehr richtig, so- bald wir uns unter diesem das den Norden und Nordosten Asiens begrenzende Meer denken 3). Es bewohnt nämlich dieser Vogel im Sommer ausser dem nördlichen Europa, das ganze nördliche Asien. Nun besteht aber in der Natur für Nord- und Mittelasien die weise Einrichtung, dass die Zugvögel im Herbste nicht geradeaus nach Süden wandern ; geschähe dies, so würden sich die asiatischen Vögel in Südasien, das ohnedem schon sehr reich bevölkert ist, ganz unmässig anhäufen, während Afrika nur die wenigen euro- päischen bekäme. Demnach geht die ganze ungeheuere
1) Lenz übersetzt ungenau „Engpass".
2) lieber die Richtigkeit dieser Bemerkung cf. Noll, 1. c. p. 60.
3) Dieses Meer kann Plinius bei der bekannten Vorstellung der Alten von dem die Länder umfliessenden Okeanos wohl geraeint haben, ohne es zu kennen. K.
Dio homerische Thierwelt. 189
Hauptmasse der nord- und mittelasiatiscben Zugvögel für den Winter in die unermcssiicben lläume Afrikas, wodurch also ein Zug entsteht, der vorzugsweise von Ost nach West und im Frühjahr wieder zurück von West nach Ost ge- richtet ist"^).
Sind die Vögel auf diesem Wege bis an das schwarze Meer gelangt, so überfliegt die grössere Menge dasselbe von der Südspitze der Krim aus. Dort liegt das, von Plinius erwähnte Vorgebirge Kriumetopon. Das schwarze Meer wird also noch jetzt von derselben Stelle aus über- flogen wie vor fast 2000 Jahren. Weiter geht dann der Zug an der Westküste Kleinasiens herab (Homer, Kaystrios) und dann — Alles wie noch heutzutage — immer in möglich- ster Nähe des Landes nach dem Nildelta (Aristoteles). Die kleinere Menge der Vögel, welche das schwarze Meer umgeht, kommt durch Thracien (Oppian, Aelian) über Griechenland (Aristophanes) und die Inseln des ägäi- schen Meers ebenfalls nach dem Nildelta.
Wir können demnach bei den Zugstrassen, welchen der Kranich folgt, keine Veränderung in dem Zeiträume von beinahe 3000 Jahren nachweisen.
Bei dem Suchen nach Berichten aus dem Alterthum über den Vogelzug fanden wir die merkwürdige Thatsache, dass über den Zug der Kraniche eine Menge Notizen vor- liegen ^j, während über den Zug anderer Vögel fast nichts berichtet wird^). Das könnte man leicht als Beweis dafür halten, dass im Alterthum der Vogelzug noch gar nicht in der Weise und Ausdehnung organisirt gewesen sei, wie heutzu-
1) Die Richtigkeit dieser von Lenz angegebenen Thatsachen zeigt ein Blick auf die Karte bei Palmen, 1. c. Die Erklärung der- selben leidet jedoch unter seiner teleologischen Auffassung, cf. Null, I.e..
2) Wir haben nur diejenigen angeführt, in welchen eine Orts- angabe vorkam. Viele andere findet man noch bei Lenz, 1. c.
3) Am auffallendsten ist das bei der Schwalbe und der Nachti- gall. Wie es scheint glaubte man von beiden meist, sie versteckten sich während des Winters in Felsklüften. S.Lenz 1. c. p. 296 — 302, doch vgl. auchAnacreon 33, l. Einiges Richtige findet man noch bei Plinius über den Zug resp. Strich der Drosseln (S. u. beim Krammetsvogel).
190 Otto Koerner:
tage. Hiergegen ist jedocli zu bemerken, dass der Kranich den Alten überhaupt nur auf der Durchreise zu Gesicht kam und dass also in der Vorstellung die Begriffe vom Kranich und seinem Wanderleben leicht mit einander ver- bunden und deshalb auch fast immer zusammen erwähnt wurden. Auch müssen wir in Betracht ziehen, dass viele unserer Zugvögel schon in Südeuropa Standvögel sind.
Der Schwan.
i(.vY.vog. Beiwort : öovhyodeLQog mit langem Halse.
Er wird nur zusammen mit Gänsen und Kranichen erwähnt, s. deshalb die Stellen oben unter „Kranich".
Der Singschwan, Cycnus musicus, ist nach Buchholz, 1. c. p. IIG gegenwärtig in den betreffenden Gegenden häufig. Nordische Schaaren mögen sich im Winter ausser- dem noch daselbst anhäufen.
Die Gans.
XrjV. Homer unterscheidet nicht ausdrücklich die wilde Gans von der domesticirten. Die wilde Gans, Anser cinereus, wird nur mit Schwänen und Kranichen zusammen erwähnt (s. o.). Im Winter häuft sie sich oft in grossen Mengen in Griechenland und Kleinasien an.
Die zahme Gans, Anser domesticus, ist das einzige geflügelte Hausthier der homerischen Welt. Sie hat im Zustande der Domestication schon damals die Farbe ihrer Stammmutter verloren, wie 0. 15, 161 zeigt, wo sie agyr]^ weiss, genannt wird:
„Als Telemach dieses gesagt hatte, da flog von rechts her ein Vogel: ein Adler, eine mächtige, zahme weisse Gans in den Fängen tragend, die er aus dem Hofe geraubt hatte, und aufschreiend ^) folgten ihm Männer und Weiber."
Penelope erzählt 0. 19, 536 folgenden Traum:
Ich habe in meinem Hause zwanzig Gänse, die den Weizen aus dem Wasser fressen, und freue mich an ihrem Anblick. Da kam aus den Bergen ein gewaltiger Adler mit krummem Schnabel und tödtete sie, indem er ihnen
1) Sie schrieen offenbar, damit er die Gans fallen lassen sollte.
Die homerische Thierwelt. 191
die Hälse brach ^); nun lagen sie durcheinander im Palaste, er aber erhob sich in die heilige Luft; ich jedoch weinte und schluchzte laut im Traume'^ Dann 1. c. v. 551 : „Mich aber verliess der süsse Schlummer und als ich nach den Gänsen forschte, erblickte ich sie alle in der Wohnung, wie sie am Troge ihren Weizen frassen, so wie auch früher". Auch der aiyvTiiog vergreift sich manchmal an Gänsen. IL 17, 460.
Der Reiher.
igi^üöiog. Er kommt nur IL 10, 274 vor: „Pallas Athene sandte ihnen einen Reiher von rechts her, nahe an dem Wege: sie sahen ihn nicht mit den Augen durch die finstere Nacht, vernahmen aber seine Stimme."
Nach Buchholz^) ist der sgcodiog sicher der Nacht- reiher, Ardea nycticorax. „Dieser Vogel lebt nämlich im Osten und Süden Europas, wie auch im mittleren Asien; er wohnt in Sümpfen und Morästen im Röhricht, welches bekanntlich am Skamandros, wie auch am Simoeis in Menge wuchs; selten lässt er sich blicken, führt ein nächtliches Dasein und gibt oft nur durch lautes Krächzen seine Nähe zu erkennen."
Der Komoran.
ytoQcovT], Phalacrocorax carbo. Beiwörter: cavvyXcoo- oog mit schmaler Zunge und elvaltog am Meere wohnend.
Sie nisten in Erlen und Schwarzpappeln 0. 5, 66.
Die Gefährten des Odysseus stürzen bei einem Schiff- bruche in das Meer und da werden sie rings um das schwarze Schiff herum von den Wogen auf und nieder gehoben wie Komorane.
Auch Netolika und Buchholz^) erkennen in der xoQCüvrj den Komoran. Er kommt gegenwärtig am ganzen
1) Für die Gaukelspiele des Traumgottes kann der Dichter nicht verantwortlich gemacht werden. Der Adler muss alle Gänse morden, weil das Traumbild später in dem Erscheinen des Odysseus und dem Freiermord verwirklicht werden soll.
2) 1. c. p. 118.
3) 1. c. p. 111.
192 Otto Koerner:
Mittelmeer vor und sammelt sich dort besonders im Winter in grosser Menge an.
Die ald-vit}.
Wir übersetzen dieses Wort mit ,, Taucher", ohne je- doch Gattung und Species bestimmen zu können.
Leukothea ,, erhob sich in der Gestalt eines Tauchers fliegend aus dem Meere" und setzte sich auf das Floss des Odysseus. 0. 5, 337 '). Später (1. c. v. 352) „tauchte sie wieder in das wogende Meer in Gestalt eines Tauchers und die dunkele Woge verbarg sie.''
Die xTj^
ist nach Netolicka und Ameis^) „der Lappentaucher, Colymbus cristatus, der seinen Namen vom Tone seiner Stimme hat und senkrecht und pfeilschnell auf's Meer herabschiesst".
Beiwort: slvahog meerbewohnend.
Eine auf dem Schiffe plötzlich sterbende Sklavin fiel und platschte^) in das Kielwasser hinein wie der meerbe- wohnende Lappentaucher. 0. 15, 479.
Die Möve.
lagog. Von Hermes heisst es: ,,Dann schwang er sich über die Wogen dahin, einer Möve vergleichbar, die in den gewaltigen Busen des öden Meeres den Fischen nach- stellend ihr dichtes Gefieder in die Salzfluth taucht^'. 0. 5, 5L
Auch gegenwärtig sind Möven an den griechischen und kleinasiatischen Küsten häufig.
[Der aQvevTi^Q
ist vielleicht ursprünglich ein tauchender Vogel. Ein Steuermann, den der gebrochene Mast erschlug, „stürzte
1) Hier ist höchst wahrscheinlich von einer wirklichen Ver- wandlung die Rede. — yii^vr] ist bei Homer nie der Sumpf, sondern meist eine Meeresbucht oder das Uferwasser.
2) zu 0. 15, 479.
3) Man verzeihe den djerben Ausdruck; einen dem grichischen böHser entsprechenden gibt es nicht.
t)ie homerische Thierwelt. 193
vom Verdeck herab wie ein aqvavcijQ'' 0. 12, 413. Später verstand man jedenfalls darunter einen Mann, der sich aufs Tauchen versteht. Dass schon Homer solche Leute kannte, geht aus IL 16, 742 (vgl. unter „Auster") hervor; vielleicht meint er auch in der ersterwähnten Stelle (0. 12, 413) einen solchen.]
Kleinere Vögel.
Der Staar.
Sturnus vulgaris, ipäq oder xliriQ und
Die Dohle
■KoXoLoq^). Schaaren dieser Vögel werden vom Habicht verfolgt :
„Wie die Staare und die Dohlen in Wolken hinziehen und durcheinander lärmen, wenn sie den Habicht heran- streichen sehen, der die kleinen Vögel mordet, so flohen vor Aeneas und Hektor die jugendlichen Achäer durch- einander lärmend und vergassen der Kampflust*. IL 17, 755. Aehnlich IL* 16, 582.
Die Nachtigall.
Silvia luscinia, aridcöv. Das Beiwort ylcoQr]ig kann, wie Buchholz 2) überzeugend darthut, nur eine Farben- bezeichnung sein und nicht „die unter grünem Laub- dache wohnende" bedeuten. Wenn aber der erwähnte Autor meint, /Aw^j^tg d7]öcov könne unsere Nachtigall, Silvia luscinia, nicht sein, weil diese nicht yltoQrjig^ gelb- grün, sei, und wenn er es wahrscheinlich machen will, dass Homer die sogenannte Bastardnachtigall, Hypo- lais vulgaris oder h. polyglotta, gemeint habe, so irrt er
1) Groshans versteht unter y.oXoiog den corvus monedula. Es kann gerade so gut irgend eine andere Dohlen- oder Krähenart gemeint sein.
2) 1. c. p. 12B.
Archiv f. Natnrg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 13
194 Otto Koerner:
sicherlich. Das Wort yXcoQr]lg, auf das allein sich diese Hypothese stützt, heisst bei Homer nicht gelbgrün. Laza- rus Geiger 1) sagt: ^yXwgog bedeutet in den homerischen Gedichten fast tiberall ganz bestimmt gelb^)". Er denkt dabei an den „gelben Honig", f.iih ylixiqov (H. 11, 631; 0. 10, 234). Die einzige Stelle bei Homer, in welcher %kcoQog auf die Farbe von Laub bezogen und mit „grün" übersetzt werden könnte, findet sich 0. 16, 47. Eumäus bereitet dem Odysseus ein Lager aus einer Schichte von Reisern (yhagal gcoTreg), die er mit Fellen bedeckt. Die meisten Erklärer übersetzen aber hier xlojgog mit „frisch", ohne Bezug auf die Farbe, d. h. biegsam, schwank. Die Erklärung der yXcogal qcojieg als gelbgrüne Schösslinge ist schon deshalb unzulässig, weil solche weder ein brauch- bares Lager abgeben, noch auch in die herbstliche Odyssee- landschaft passten. Nun ist noch zu berücksichtigen, dass yliOQrjig eine viel weiter gehende Bedeutung haben kann, als xlcoQog — und da es nur einmal bei Homer vorkommt, so müssen wir es nach der uns bekannten Farbe des da- mit bezeichneten Gegenstandes übersetzen. Dass dieser aber unsere Nachtigall, sylvia luscinia, und kein anderer Vogel ist, geht aus der treffenden Charakteristik ihres Schlages (0. 19, 518, s. u.) und aus der Tradition^) mit Sicherheit hervor. Demgemäss übersetzt Voss; „die Nach- tigall, falben Gefieders", und, wenn wir nicht sehr irren, W. Jordan, „die bräunliche Nachtigall." —
Penelope klagt 0. 19, 518: „Wie wenn Pandaros Tochter, die bräunliche Nachtigall, schön singt beim Wie- derbeginn des Frühlings, im dichten Laub der Bäume sitzend, und oft wechselnd die tonreiche Stimme ergiesst, indem sie ihr Kind beklagt, den Itylos, den sie einst aus Unverstand mit dem Erze erschlug, den Sohn des Königes Zethos — so ist auch mir das Herz zwiefach bewegt, da- hin und dorthin, ob ich bei meinem Sohne bleibe
1) L. Geiger, Zur Entwickelungsgeschichte der Menschheit, Stuttgart, 1871, p. 54.
2) Ausführlicher behandelt Geiger dieselbe Frage in Ursprung u. Entwickelung der menschlichen Sprache u. Vernunft, II. p. 388.
3) Die Tradition allein könnte nichts beweisen.
Die homerische Thierwelt. 195
oder einem der Achäer folge ^)'^. — Der Nachtigallenschlag
besteht bekanntlich aus der Aneinanderreihung vieler
Strophen. Der rasche und unaufhörliche Wechsel derselben
soll die Aufregung und Unentschlossenheit der Peuelope
versinnlichen.
Der Sperling.
Passer domesticus, aiQovd-og.
Den an der Eroberung Ilions verzweifelnden Achäern erscheint IL 2, 308: „ein gewaltiges Wunderzeichen^ eine grässliche, über den Rücken hin gelbbraune 2) Schlange, die der Olympier selber an's Tageslicht schickte, schoss unter dem Altar hervor und erkletterte einen Ahornbaum. Dort sassen di^ Kinder eines Sperlings, unerfahrene Junge, ganz oben in den Zweigen unter den Blättern ver- steckt, acht, aber die neunte war die Mutter, von der sie stammten^). Die frass dort die Schlange, die bejammerns- werth flatternden'^) und die Alte umflog wehklagend ihre Jungen, aber die Schlange fasste die Aufschreiende am Flügel, nachdem sie sich zusammengeringelt hatte ^)" — Nachdem sie nun so die Alte mit den Jungen verzehrt hatte, wurde sie von Zeus in einen Stein verwandelt. Viel- leicht ist die Erfindung dieses Wunderzeichens von der bekannten Thatsache beeinflusst, dass die Schlangen, wenn
1) Ueber die dem Gleichnisse zu Grunde liegende Sage be- richten die Scholien: Pandaros Tochter Philomele war auf den Kin- dersegen ihrer Schwägerin Niobe eifersüchtig und wollte deshalb den ältesten Sohn derselben zur Nachtzeit ermorden, traf aber unwissend ihr eigenes Kind.
2) Inl VMTcc 6a(fotv6g. Als daipoivög werden auch Löwe und Schakal bezeichnet.
3) ri T^y.e xixva. Wir können so nicht sagen. ^
4) TSiQiyüjKtg. Tqi^oj heisst hier ebensowenig „zwitschern" wie 0. 24, 5 (s. unter Fledermaus). Wenn die Schlange den Vogel an einem Flügel (wie es der Dichter 1. c. v, 316 beschreibt) oder am Bein oder sonst wo gefasst hat; so sucht er durch Flattern sich zu befreien.
5) UeXi-^ttiuevog. Ehe die Schlange auf ihr Opfer losfährt, ringelt sie sich zusammen oder, wo dies nicht möglich, dreht sie doch wenigstens Kopf und Hals möglichst weit zurück.
196 Otto ^oerner:
sie den Magen sich gefüllt haben, regungslos daliegen. Sonst sind alle Einzelheiten der Erzählung richtig. Uner- fahrene Thiere fliehen die Schlange nicht, sondern laufen ihnen sozusagen direkt in den Rachen, wie es sich z. B. im Berliner Aquarium bei der Fütterung der Puffotter mit lebenden Kaninchen zeigte.
Dass der GTQov^ög unser Sperling ist, dürfen wir wohl annehmen, obwohl aussei* der Ueberlieferung kein zwingender Grund dafür vorliegt. Die Zahl der Jungen ist etwas gross angegeben (acht), doch mag ein solcher Kindersegen hin und wieder einmal vorkommen.
Voss' Uebersetzung des v. 311:
„Allda ruhten im Neste des Sperlings nackende Kindlein" ist durchaus verfehlt. Es steht bei Homer nichts von einem Neste, sondern die eben erst ausgeflogenen Jungen sitzen auf dem Baum. Der Sperling baut auch bekanntlich lieber in Mauerlöcher etc. als auf Bäume.
lieber die Schlange s. u.
Die Schwalbe.
%thd(jL}v. Athene „schwang sich auf und setzte sich gegenüber auf den Durchzugbalken des rauchgeschwärzten Männersaals, einer Schwalbe vergleichbar." (0. 22, 239).
Wir haben hier offenbar die Rauchschwalbe, Hirundo rustica, vor uns, die ja bekanntlich im Innern der Häuser zu nisten pflegt. Interessant ist dabei, dass das enge sich Anschliessen an menschliche Wohnungen bei der Rauch- schwalbe also schon vor last 3000 Jahren üblich war.
Der schwirrende Ton der schnellenden Bogensehne wird mit dem Zwitschern der Schwalbe verglichen (0. 21, 411-).
Der Kranimetsvogel. ^)
Turdus pilaris, ■/.iylr]. Beiwort: TavvaiftTeQog breit- flügelig.
1) Es kann auch eine andere Drosselart gemeint sein. Die Uebereiustimmuug des Fangs der xi/krj mit dem des Krammetsvogels auf dem Dohnensteig gab die Veranlassung zu der anschaulichen Uebersetzung „Krarametsvogel''. Die xt;^/?? des Aristoteles ist die Misteldrossel Turdus viscivorus. (Aubert u. Wimmer I. p. 96).
Die homeriscbe Thierwelt. 197
Telemach knüpft die untreuen Mägde an einem Seile neben einander auf: ,,Wie wenn breitflügelige Krammctsvögel oder Tauben in die Schlingen hineinstürzen, die im Gebüsche aufgestellt sind, wenn sie nach ihrer Ruhestätte streben, doch ein trauriges Lager empfängt sie; so hingen die Mägde der Reihe nach mit den Köpfen neben einan- der, alle die Schlinge um den Hals, um kläglich zu sterben; ein wenig zappelten sie noch mit den Füssen, aber nicht lange" 0. 22, 468.
Der Drosselfang auf dem Dohnensteig ist demnach uralt. Auch die Römer kannten ihn und benutzten ihn ausgiebig zur Besetzung ihrer Tafeln^). Palladius, der letzte der scriptores rei rusticae (um 380 n. Chr.) berichtet 2): „Vom December bis zum März stellt man im Gebüsch Schlingen für Drosseln und andere Vögel/' Also gerade in der Strich- und Zugzeit. Interessant ist noch folgende Nachricht bei Plinius^): „Amseln, Drosseln und Staare überwintern in der Nachbarschaft, jedoch ohne dabei die Federn zu verlieren und sich zu verbergen. Man sieht sie im Winter oft nach Nahrung suchen und in Germanien giebt es zu dieser Zeit gerade die meisten Drosseln." Es sind dies die aus dem Norden in grossen Schaaren zu uns kommenden. Der Zug der Drosseln hat sich demnach eben- falls in vorhistorischer Zeit entwickelt. Vgl. o. über den Zug des Kranichs.
Die Taube.
Tcileia imd 7r£?,eiag. Das Bei wort t^?;(>wj', schüchtern, furchtsam, wird auch als Substantiv gebraucht (cf. II. 2, 502 u. 582).
Die Taube wird flach 0. 22, 468 in Schlingen ge- fangen wie die Krammetsvögel (s. d.).
Hera und Athene eilen dahin „im Gange schüchternen Tauben gleichend" (H. 5, 778).
1) Wir wollen noch darauf hinweisen, dass im homerischen Zeitalter nach 0. 12. 331, auch schon der Vogelfang mittels der Angel bekannt war, wie er leider jetzt noch in Italien von den Strassenjungen auf Schwalben betrieben wird.
2) 13, 6, bei Lenz, 1. c. p. 295.
3) bist nat. 10, 24, 35, bei Lenz, 1. c. p. 295.
198 Otto Koerner:
Der schlimmste Feind der Tauben ist der Habicht (s. d.). Die hierher gehörigen Stellen II. 22, 139 u. 0. 15, 525 haben wir schon oben beim Habicht angeführt. IL 21, 494 flieht eine Taube vor dem Habicht in eine Felsspalte.
Als besonders reich an Tauben werden Thisbe, eine nicht weit vom Meere gelegene Stadt am Helikon^), und Messe, eine Hafenstadt bei Tänaros^) bezeichnet, wahr- scheinlich weil in den Felsenhöhlen der Küste viele Tauben nisteten. Columba livia, die Stammmutter unserer Haus- taube nistet in der ganzen Mittelmeergegend häufig in den unzugänglichen Strandklippen ^). Sie ist demnach wohl die homerische Taube.
Als Hausthier wird die Taube bei Homer nicht erwähnt.
Bei den Leichenspielen des Patroklos wird auch ein Taubenschiessen erwähnt (IL 23, 850). Die Taube war am Fusse gefesselt und an einen Mastbaum gebunden. Teu- kros schiesst zuerst und trifft den Bindfaden, so dass die Taube befreit in die Höhe fliegt. Da schiesst Meriones und trifft sie in der Mitte unter dem Flügel*). Der Pfeil dringt ganz durch und fällt dem Schützen wieder vor die Füsse. Die Taube aber erreicht noch den Mastbaum, lässt den Kopf hängen und fällt flatternd in einiger Entfernung^) nieder. „Auffallend ist der Ausdruck mio jiTeQvyog ßäle liieGorjv, wenn man nicht annimmt, Meriones habe den Vogel von der Seite getroffen. Dagegen aber spricht der Um- stand, dass der Pfeil, welcher ganz durch die Taube hin- durchfuhr, dem Meriones vor die Füsse fiel, so dass dieser nur senkrecht geschossen haben konnte. Wunderbar ist es auch, dass die von dem Pfeil, einem Geschoss, womit man selbst Männer im Kampfe tödtete, gänzlich durch- bohrte Taube sich noch auf den Mastbaum niedersetzen konnte, der doch vom Kampfplatz weit entfernt war (853).
1) II. 2, 502.
2) II. 2, 582.
3) VgL Noll, das Thal von Orotava, Frankfurt a. M. 1872 (Programm der höheren Bürgerschule) p. 7.
4) vno 7iT^(jvyog ßaXe /uäaarjv.
5) trjle (F' «tt' avTOV.
Die hoTnerißche Thierwelt. 199
Ueberhaupt aber lässt die Schilderung dieses und der beiden vorhergehenden Wettkämpfe so viel an Deutlichkeit zu wünschen übrig und sticht so sehr von der sonstigen frischen und klaren Ausdrucksw^eise des Dichters ab, dass die Vermuthung begründet ist, die Verse von 798—883 seien von einem späteren Dichter oder Rhapsoden einge- schoben ^)".
Die (fdaau
des Aristoteles tibersetzt Lenz 2) mit „Ringeltaube." Bei Homer kommt sie nur in dem Beiworte des Habichts (paGoocpovog, „taubenmordend" vor.
III. Reptilien.
Von Reptilien kommen in Ilias und Odyssee nur
Sclilangen
vor. Das Genus wird mit ocpig^) bezeichnet; Species sind
dQa'/.cov und vÖQog.
Der ^Qc'ix ojv
wird bezeichnet als caolog beweglich, ogioxegog im Ge- birge lebend. Seine Farbe ist sehr unbestimmt als: zta- v£og dunkel, ^oti^»;£<^^ und (^«^o«vog gelbbraun^) angegeben.
Paris flieht beim Anblick des Menelaus wie ein Mann, der in der Gebirgsschlucht auf eine Schlange stiess (11. 3, 33).
Hektor erwartet den Achilles: „so wie eine gebirgs- bewohnende Schlange einen Mann in der Felskluft er- wartet, nachdem sie Giftkräuter ^) gefressen hat und hefti- gen Zorn hegt : grässlich blickt sie um die Felskluft umher, zusammengeringelt" (IL 22, 93).
1) La Roche zu II. 23, 875.
2) 1. c. p. 341 u. Anm. 1092 zu Aristoteles, bist. nat. 5, 11.
3) Wenigstens wird die vorher genauer als 6Qcc>c(tiV bezeichnete Schlange II. 12, 208 otfig genannt.
4) Dass Suifoivog gelbbraun heissen muss, geht daraus hervor, dass auch Löwe und Schakal so genannt werden.
5) xaxa (fanuayu) der Genuss giftiger Kräuter vermehrt nach der Meinung des Dichters das Gift der ^Schlange. Dass Schlangen niemals Pflanzen fressen, ist bekannt.
200 • Otto Koerner:
Auf Schild und Harnisch des Agamemnon waren dunkele (yivavsof) Schlangen aus Stahl angebracht, die Regenbogen glichen, entweder wegen ihrer Stellung, so wie zwei Regenbogen über einander stehen, oder wegen ihres schillernden Farbenspiels (II. 11, 26).
„Die Troer verweilten noch unschlüssig am Graben, denn ein Vogel war ihnen erschienen, als sie hinübergehen wollten, ein hochfliegender Adler, der das Heer zur Linken liegen lassend eine gewaltige lebende und noch sich win- dende gelbbraune Schlange in den Fängen trug. Und noch nicht vergass sie die Streitlust, denn sie stach ^) den haltenden Adler in die Brust an dem Halse, nachdem sie sich rückwärts gebogen hatte. Da warf er sie weg auf die Erde, von Schmerz gequält, und sie fiel mitten in die Versammlung, während er mit Geschrei im Hauche des Windes entflog. Die Troer aber schauderten, als sie die bewegliche Schlange in ihrer Mitte liegen sahen" II. 12, 199. Polydamas, der weiterhin dieses Wunderzeichen aus- legt, fügt noch hinzu (v. 221): „aber der Adler Hess die Schlange fallen, bevor er auf seinen Horst kam, und nicht brachte er es fertig, sie seinen Jungen zu geben."
Eine weitere ausführlicher über den doaxwv berichtende Stelle (II. 2j 308) haben wir beim Sperling übersetzt und erklärt.
Der v^Qog.
Beiwort:' 6?.o6cpQcov, Verderben sinnend. Er wird nur einmal erwähnt: Philoktetes ist „belästigt von dem schlimmen Bisse der Verderben sinnenden Schlange." (IL 2, 723.)
In der viel später als Ilias und Odyssee entstandenen Batrachomyomachie ist vÖQog die unschuldige Ringelnatter Tropidonotus natrix, oder die ebenso harmlose Würfelnatter T. tesselatus. Dort schwimmt sie (v. 80) mit über das Wasser erhobenem Kopfe durch den Sumpf, ein schreck- licher Anblick für die Frösche. Aelian^) versteht unter
1) xoifje. Eigentlich: sie schlug. Es wird hiermit die Art, wie Giftschlangen verwunden, sehr treffend bezeichnet.
2) 16, 8, Lenz, p. 472.
Die homerische Thierwelt. 201
vÖQog die giftige breitscliwäDzige Wasserschlaiige des indi- schen Oceans.
IV. Fische.
„Fische waren den homerischen Menschen nur in der Vorstellung von gefrässigen Raubthieren geläufig (cJ^ury azal Ix&üsg)] als Nahrungsmittel waren sie ihnen keine Delikatesse, sondern blos Nothspeise *), die in den Austern 2) ihren Höhepunkt hatte" ^). Oft ist es erwähnt, dass Fische die in das Wasser gefallenen Leichen (von Menschen und Thieren) verzehren (II. 19, 268; 21, 203. 0. 15, 480; 24, 291 etc.).
Ein beliebtes Beiwort des Meeres und einiger Flüsse ist iyßioeig, fischwimmelnd (0. 3, 177 ; 4, 381; II. 20, 392 etc.).
Ausser dem Aal und dem Delphin"^) führt der Dichter keine Species an, sondern spricht nur von den Fischen im Allgemeinen.
Der Fisch
ix^vg wird bezeichnet als hg 6g gewaltig und cof^irjOTrig gefrässig (eigentlich roh verschlingend).
Ein vom Faustschlag getroffener Kämpfer springt erst auf und stürzt dann nieder: „wie im vom Nordwind gekräuselten Meere ein Fisch am algenbewachsenen Strand in die Höhe springt und die dunkele Woge ihn (gleich wieder) bedeckt" (IL 23, 692).
Achilles wirft den getödteten Lykaon in den Skaman- der mit den Worten: „da liege nun bei den Fischen, die dir in Ruhe das geronnene Blut von der Wunde wegfressen^)
1) cf. 0. 4, 368; 12, 330.
2) s. d.
3) Am eis zu 0. 4, 368.
4) Homer rechnet zwar in einer Stelle (II. 21, 22) den Del- phin zu den Fischen, da er ihn aber auch noch 0. 12, 96 mit der Robbe und dem Seehund ausdrücklich unter der Gruppe xrirog ver- einigt, so haben wir ihn auch unter dieser Abtheilung erwähnt. Er gehört ja auch als Säugethier nur dorthin.
5) unoXi/jirjOovTui, eigentlich: sie werden ablecken. Von wirk- lichem Lecken kann aber nicht die Rede sein, da die Zunge der
202 Otto Koerner:
werden; und nicht wird dich deine Mutter beweinen, nach- dem sie dich auf ein Lager gebettet hat, sondern der wogende Skamander wird dich hinaus in den weiten Busen des Meeres tragen. Mancher Fisch, der durch die Woge springt, wird unter die bewegte Meeresfläche hinabschies- sen*) wenn er von Lykaons weissem Fett genossen haben wird" (IL 21, 122).
Nach Netolicka (1. c.) ist in diesen beiden Stellen, besonders in der ersteren, der sogenannte fliegende Fisch, Exocoetus volitans, gemeint. Doch ist diese Annahme nicht nothwendig, da bei bedecktem Himmel und namentlich bei leicht gekräuselter Oberfläche des Wassers, wie es ja beide Mal der Fall ist, fast alle Fische gern springen.
Weiteres wird über Fische berichtet II. 21, 353 (s. unter Aal) und ebenda 22 (s. oben unter Delphin).
Feinde der Fische sind der Delphin (s. d.) und die Möve (0. 5, 51). Der Mensch bemächtigt sich ihrer mit- tels Harpunen 2), Angeln und Netzen. Hierüber geben fol- gende Stellen Aufschluss :
Die Gefährten des Odysseus werden von den Lästry- gonen „wie Fische durchbohrt'* 0. 10, 124.
Patroklos durchstösst den Thestor mit der Lanze und zieht ihn so an sich: „wie ein Mann auf vorragender Klippe sitzend einen gewaltigen Fisch aus den Fluten an der Schnur und dem glänzenden Erze heraufzieht" IL 16, 406.
Genossen des Menelaus schweiften rings um eine Insel „eifrig Fische fangend mit gekrümmten Angelhaken, denn der Hunger quälte ihren Magen'' 0. 4, 368. Aehnlich 0. 12, 330.
Die Skylla reisst Genossen des Odysseus vom Schiffe weg: „wie auf vorspringender Klippe ein Fischer mit gewaltiger Angelruthe den kleinen Fischen dort Lecker-
Fische hart und fast ganz angewachsen ist. Doch ist der Ausdruck sehr bezeichnend, wie man sich leicht überzeugen kann, wenn man ein grosses und hartes Stück Brod in einen Karpfenteich wirft.
1) Der Leichnam wird durch die sich in ihm bildenden Gase auf der Oberfläche schwimmend erhalten.
2) Bei Buchholz, 1. c. nicht erwähnt, cf. Am eis zu 0. 10, 124.
Die homerische Thierwelt. 203
bissen als Köder auswerfend das Hörn *) des auf dem Felde lagernden Stieres in die Fluten versenkt und dann die zappelnde Beute au das Ufer aufschwenkt" 0. 12, 251. Als Odysseus in seinem Saale umherblickte, ob noch einer der Freier am Leben sei, erblickte er sie alle in Blut und Staub niedergestreckt, „den Fischen gleich, welche die Fischer aus dem Meere an das tiefliegende Ufer im vielmaschigen Netze gezogen haben. Da liegen sie nun alle nach der Meereswoge lechzend auf den Dünen aufgeschüttet und die Sonne raubt ihnen mit sengendem Strahl den Athem^' 0. 22, 383.
Der Aal, »
eyxelvg, ist wahrscheinlich der Flussaal, Anguilla vulgaris. Er und andere Fische benagen Leichen: „indem sie nagend das Nierenfett verzehren" II. 21, 203.
Aale und andere Fische, von dem zurückweichen- den Wasser des Skamandros zurückgelassen und von He- phästos' Gluthhauch bedrängt „schnappen angstvoll in den Pfützen umher, die schönen Gewässer hierhin und dorthin durchplätschernd'' II. 21, 353.
V. Insecten.
Die Biene.
/iisUooa, Apis mellifica, wurde schon im homerischen Zeit- alter des Honigs wegen in primitiven Stöcken gehalten, wie aus der Schilderung 0. 13, 103 hervorgeht:
„Nahe an dem Oelbaum befindet sich eine liebliche, bläulich schimmernde ^j Höhle, den Nymphen, welche Naja-
1) „Ein aus Stierhorn gedrechseltes Röhrchen, durch welches die Angelschnur lief, um nicht durch anbeissende Fische abgebissen zu werden". (Ameis zu 0. 12,253.) Es könnte wohl auch das hohle Kuhhorn als Schwimmer gedient haben. Ausserdem befand sich ein Bleikügelchen an der Angel, damit sie rasch sank: II. 24, 80. cf. La Roche z. d. Stelle.
2) r]€Qoet67]g.
204 Otto Koerner:
den genannt werden, heilig. Darin stehen Mischgefässe und doppelt gehenkelte Urnen ans Steingut, worin die Bienen stets Nahrung bereiten"^'
Das Schwärmen der Bienen, wenn der Mutterstock im Vorsommer eine Colonie aussendet, wird in einem treff- lichen Gleichnisse IL 2, 87, folgendermassen geschildert:
„So wie Bienen in dichtem, immerfort sich erneuen- dem Schwärm aus dem hohlen Fels hervorstürzen und in Trauben 2) auf die Frühlingsblumen zueilen, indem die einen hier, die andern dahin fliegen, so zogen zahlreiche Völker schaarenweise von den Schiffen und Zelten her zur Versammlung''. Vgl. noch IL 12, 167 (übersetzt bei der Wespe).
Dass der Honig {f^ieli), der 0. 10, 224 und IL 11, 631 als xhoQov, gelb, bezeichnet wird, ein beliebtes Genuss- mittel der homerischen Helden gewesen ist, zeigen Ver- gleiche wie: die Sirenen haben eine honigsüsse Stimme {fiEhyrjQvv oita); Nestors Rede fliesst dahin, süsser als Honig {fieXiTog ylwlcov) etc. — Er wurde mit Wein ver-
1) Friedreich und Buchholz halten ebenfalls die Gefässe für primitive Bienenstöcke. Unbeachtet gelassen oder anders ver- standen wurde die Stelle von Hehn, 1. c, Prätorius, 1. c, u. W. Stricker (Sprachwissenschaft und Naturwissenschaft, im „ZooL Garten" VI, ff.). — Friedreich, 1. c. p. 262 bemerkt noch: „dass es gerade eine Grotte der Nymphen war, hat eine besondere Bedeu- tung, denn die Anfänge der Bienenzucht wurden von den Griechen so dargestellt, dass die Nymphe Melissa auf die Bereitung und den Genuss des Honigs zuerst aufmerksam gemacht habe und nach ihr dann die Bienen jueliaaai genannt worden seien.''
2) ßoTQvd'öv, traubenförmig, so dicht neben einander wie die Beeren einer Traube. Heutzutage spricht der Bienenzüchter, von „Trauben", wenn die Bienen zur Schwärmzeit sich in dicken Klum- pen vor das Flugloch des Stockes hängen. — Es ist in vorliegendem Gleichnisse nicht vom einfachen Ausfliegen der Bienen die Rede, sondern von wirklichem Schwärmen. Dieser An'sicht widersprechen die W orte (ä ub)'i''f'vScc aXtg neTioTTjaTKi, a'i (h're 6Vi9^« durchaus nicht: es soll damit nicht die Zerstreuung nach verschiedenen Richtungen, sondern nur die Verwirrung innerhalb des dichten Schwarms, wie sie ähnlich beim Zusammenlaufen des Heeres entsteht, geschildert werden. Sonst fliegen die Bienen immer nur einzeln und nie in Schaaren aus.
Die homerische Thierwelt. 205
mischt genossen (0. 10, 234) und mit Milch gemengt den Unterirdischen geopfert (0. 10, 519).
Das „honigsüsse" ^) Wachs (x/yooc: (.leXirfirig) wird nur einmal erwähnt, da es Odysseus benutzt, um seinen Gefährten die Ohren zuzustopfen, weil sie den Gesang der Sirenen nicht hören sollten.
Die Wespe,
o(fi]^^ wahrscheinlich Vespa vulgaris. Sie heisst tlvoöiog^ am Wege bauend und /neoov cdolog^ in der Mitte, d. h. zwischen Thorax und Abdomen, beweglich, und wird in folgenden Gleichnissen erwähnt:
Die Myrmidonen „schwärmten plötzlich heran wie die Wespen am Wege, die Knaben nach ihrer Gewohnheit erbitterten, indem sie immerfort die am Wege Bauenden reizten : die Thörichten ! denn vielen bereiten sie ja gemein- sames Unheil: sobald jene ein Wandersmann im Vorbei- gehen absichtslos erregt, so stürzen sie alle tapferen Sinnes hervor, ihre Brut zu beschützen" IL 16, 259.
„Die aber, gleich den in der Mitte beweglichen Wes- pen und Bienen, welche am felsigen Weg ihre Nester bauen, verlassen nicht ihr hohles Haus, sondern erwarten jagende Männer und wehren sie von ihrer Brut ab'' II. 12, 167. —
Nach der Gestalt der Wespe „wurde eine Haartracht benannt, welche darin bestand, dass man dem Haare durch Zusammenschnüren (oq>r]KOiv) eine Form gab, welche an den eingeschnittenen Körper der Wespe erinnerte (IL 17, 52). x\ndere deuten hingegen das Verbum Gq)r]'/.ovv auf ein Binden des Haares mit Gold- und Silberfäden, so dass e& ähnlich dem Leibe der Wespe eine Abwechslung zwischen hellen und dunkeln Ringen zeigte"^).
Die Bremse,
oloTQog Oestrus bovis. Beiwort: alolog (sc. i-ieoov in der Mitte beweglich 3).
1) Dieses Attribut deutet auf eine sehr unvollkommene Ge- winnungsweise des Honigs hin.
2) Buchholz, 1. c. p. 102.
3) Die Analogie mit fx^aoi> aloXoq bei der Wespe bestimmt
206 Otto K o e r n er :
Vor dem Aegisschild der Athene flüchten die Freier in Odysseus' Saal „wie Rinder in der Heerde, welche die bewegliche Bremse einherfliegend in Unruhe bringt, zur Frühlingszeit, wann die Tage lang werden" 0. 22, 299.
Die Fliegen,
(.ivlat. Ihre Maden heissen evkai und werden als aloloi^ beweglich, bezeichnet. ^
Der Dichter vereinigt unter der Bezeichnung (xvlaL verschiedene Fliegen- und Schnakenarten. In der Stelle IL 17, 570 (s. u.) ist eine Schnake oder eine Stech- fliege gemeint, während IL 19, 24 und 22, 509 sicherlich von der Schmeissfliege, Musca vomitoria, die Rede ist. In den übrigen Stellen kann mit Sicherheit nicht angegeben werden, mit welcher Species man es zu thun hat. — Die betr. Stellen sind folgende :
„Wie vjele, dichte Mückenschwärme im Vorsommer, wann Milch von den Butten herabtrieft, rastlos durch den Hirtenhof umherziehen: in solcher Zahl standen die lockigen Achäer auf dem Gefilde'^ IL 2, 469.
Athene wehrt von Menelaos die Geschosse ab „wie wenn eine Mutter von ihrem süss schlummernden Kinde die Mücke wegscheucht" IL 4, 131.
„Und sie pflanzte in seine Brust die kühne Beharr- lichkeit der Mücke, welche immer wieder die Haut eines Menschen zu stechen {dwAi-eiv) sucht, auch wenn sie ver- scheucht wird, denn süss ist ihr das Menschenblut" IL 17, 570.
„Gar sehr befürchte ich, es könnten inzwischen dem (getödteten) tapferen Sohn des Menötius Fliegen in die erzgeschlagenen Wunden schlüpfen und darin Maden er- zeugend^) den Todten schänden" IL 19, 24.
mich, auch bei der Bremse alolog (ohne fxeaov) auf die Einkerbung zwischen Thorax und Abdomen zu verstehen. Am eis z. d. St. über- setzt fälschlich „flatternd". Auch kann der Ausdruck „flattern" nicht vom Fluge dieser Insekten gebraucht werden.
1) Spätere Zeiten vergassen, was der alte Dichter wusste. Vor nicht gar langer Zeit nahm man keinen Anstand, das Erscheinen von Maden in faulenden Organismen mittelst der .sog. generatio
Die homerische Thierwelt. 207
„Nun werden dich dort an den Schiffen der Danaer fern von deinen Eltern die beweglichen Maden verzehren" IL 22. 509.
Unter dem Worte Kwajn via, wörtlich: „Hundsfliege" versteht Groshans Hippobosca equina L. Doch scheint dieses Wort, das nur II. 21, 394 vorkommt, kein Insekt zu bezeichnen, sondern lediglich ein Schimpfwort zu sein, in- dem es die Begriffe der lästigen Zudringlichkeit des Hun- des und der Mücke vereinigt.
Larven eines Insekts,
/TTtg, werden 0. 21, 395 erwähnt, da Odysseus seinen Bogen untersucht, ob ihn nicht etwa Insektenlarven zernagt hätten. Vielleicht ist hier ein Anobium gemeint, dessen Larve als sogenannte Todtenuhr das Holz unserer Möbel mit ihren Gängen durchsetzt; doch scheint es sehr unwahr- scheinlich, dass sich dieses Insekt, das besonders gern die weicheren Holzarten zu seinem Aufenthalte wählt, am Hörn vergreifen sollte.
Die Cicade,
TeTTi^. Die jetzt in Kleinasien und Griechenland häufig- sten Cicaden sind Cicada orni und C. plebeia.
Die Stimmen trefflicher Redner werden 11.3,151 mit dem Zirpen der Cicaden verglichen „die im Walde auf' Bäumen sitzend ihre helle Stimme ertönen lassen"^).
spontanea zu erklären. Noch im siebzehnten Jahrhundert musste Redi gegen diese Ansicht auftreten und zeigen, dass Fliegen ihre Eier in das Fleisch hineinlegen.
1) Zum Verständniss dieser Stelle ist zu bemerken, dass die Cicaden im antiken Thierleben eine gefeierte Rolle spielen. Eine Sage berichtet, dass, als zwei Tonkünstler, Eunomus und Ariston sich in einen Wettstreit eingelassen, eine Cicade zu dem ersteren flog, sich auf seine Harfe an Stelle einer gesprungenen Saite setzte und ihm so den Sieg verschaffte. Darum galt eine auf einer Harfe sitzende Cicade den Griechen als Sinnbild der Musik. „Eine Cicade ist es, die auf einem allerliebsten pompejaner Mosaik als Kutscher auf einem Wagen einen vorgespannten Papageien lenkt; Anakreon gedenkt ihrer, wie die Fabeldichter öfters. Ihr Zirpen wird dem
208 Otto Koerner:
Die Wanderheuschrecke,
Acridium migratorium, dxQi'g^). Die Landleute zündeten, wie auch gegenwärtig noch, Feuer an, um die Heuschrecken- schwärme von den Feldern abzuhalten:
„Wie wenn vor dem auflodernden Feuer die Heu- schrecken sich erheben, um nach dem Strome zu fliehen 2). denn immer neue, schnell entflammte Glut versengt sie und furchtsam stürzen sie nach dem Wasser : so füllte sich bei Achilles' Erscheinen der Xanthosfluss mit Pferden und Männern^^ IL 21, 13.
Schmetterlinge
werden bei Homer nicht erwähnt. Doch müssen sie zur Erklärung eines in der Ilias zweimal (11, 53 u. 16, 459) vorkommenden Phänomens herangezogen werden. In den angeführten Stellen ist die Rede von blutigem Thau, den der Dichter als ein von Zeus gesandtes Vorzeichen von Krieg aufi'asst. Auch Hesiod^), kennt diese Erscheinung und bei uns hat sie Veranlassung zur Sage vom Blutregen gegeben. Das Phänomen erklärt sich daraus, dass oft Schmetterlinge, (besonders der Baumweissling, Pieris cra- taegi) wahrscheinlich in Folge von schnell eingetretenen günstigen Temperaturverhältnissen, plötzlich in kolossaler Anzahl aus den Puppen auskriechen und als erstes Geschäft
Geflüster der abgeschiedenen Seelen im Hades oder auf der Aspho- deloswiese, ihre Unermüdlicbkeit der gefeierter Redner verglichen" (E.Friedel, Zool. Garten XV, 257. In der Anm. auf Seite 258 folgt das reizende Gedicht des Anakreon elg liTTiya im Urtext. Das- selbe ist bekanntlich von Goethe trefflich übersetzt. Auch R.ös-el von Rosenhof, Insektenbelustigungen II, Heuschrecken u. Grillen, p. 168 übersetzt es.) Aehnlich wie Homer berichtet über die Cicade Hesiod (Op. 582 u. Scut. 393).
1) Ueber die "Wanderheuschrecke im alten Testament s. Joel II, 2 — 10; auch Rosenmüller, 1. c. p. 386.
2) Sie stürzen sich nicht in den Strom, sondern fliegen nur über denselben hin, um dem Rauch und der Hitze zu entgehen. Es liegen übrigens so viel wir wissen keine Beobachtungen vor, die ein solches Benehmen der Wanderheuschrecke bestätigen.
3) Hesiodi Scut. 384.
Die homerische Thierwelt. 209
ihren noch aus dem Raupenleben mitgebrachten Urin ent- leeren. Derselbe ist bei vielen Arten, wie eben bei dem Baumweissling, roth. Von
Spinnenthieren wird eine
Milbe
ytvvoQatGT}]g erwähnt. Sie bedeckt in grosser Zahl den Hund Argos. 0. 17, 300.
Es kann hier der spezifische Parasit des Hundes Trichodectes latus gemeint sein. Aubert und Wimmer ^) verstehen unter dem aristotelischen KwogaioTrjg den häufig an Hunden festgebissenen Ixodes ricinus. —
Ausserdem ist zweimal von einem Spinnengewebe, agayviov, die Rede : das Bett des Odysseus ist von Spinnen- geweben bedeckt (0. 16, 35), d. h. leer, denn nur an un- benutzten und vernachlässigten Orten spannt die Spinne ihr Netz aus. Ferner umspannt Hephästus das Bett der Aphrodite mit einem unsichtbaren Netze, „zart wie Spinnen- gewebe" 0. 8, 280.
Mollusken.
Der Dichter kennt den Purpur als Farbstoff, ohne jedoch seine Herkunft von der Purpurschnecke zu erwäh- nen. IL 4, 140 erzählt er von einer Verwundung des Mene- laus und vergleicht den Blutstrom, der den Schenkel tiber- giesst, mit dem Purpur, mit welchem eine Mäonierin oder Karin Elfenbeinplättchen zur Verzierung des Riemenzeugs edler Rosse färbt.
Wahrscheinlich wurde der Purpur wie das Elfenbein (s. d.) durch phönicische Händler an die Küste von Klein- asien gebracht.
Die Aüster, trjS-oQy Ostrea edulis (?)
II. 16, 742 stürzt ein Verwundeter vom Kampfwagen herab, wie ein Taucher in das Meer. Patroklus ruft ihm zu:
1) 1. c. I, 166.
Archiv für Naturg. XXXXVl. Jahrg. 1. Bd. 14
210 Otto Koerner:
„Wunder, wie behende und leicht der Mann hinab- taucht! Wenn er das einmal in des Meeres fischreichen Ge- wässern versuchte, könnte er Viele mit Austern sättigen'' etc.
Aristoteles erwähnt den zrjd^og nicht, spricht jedoch von einem Trjd-vov, worunter er sicherlich eine Ascidie, wahrscheinlich eine Cynthia versteht *). Daher erklärt auch Groshans den homerischen TrjS^og als Ascidie. Für diese Annahme spricht auch der Umstand, dass italienische Fischer gern Ascidien verspeisen. Die Beibehaltung der Ueber- setzung „Auster'' empfiehlt sich jedoch der Anschaulich- keit wegen, da uns diese als Speise geläufiger ist, als
die Ascidie.
Der Polyp,
TiolvTiovgj Octopus vulgaris.
Als Odysseus Schiffbruch gelitten hatte, wurde er an die Insel der Phäaken angespült. Da er nun versucht, sich an einem Felsen festzuhalten, reisst ihn die Brandung los und die abgeschundene Haut von seinen Händen bleibt an den Klippen haften „wie dem Polypen, den Einer aus dem Verstecke herauszerrt, kleine Steinchen in Menge an den Saugnäpfen 2) hängen bleiben, so hing an den Felsen die abgeschundene Haut von den Händen des Odysseus"
0. 5, 432. ,
Ein grosser Cephalopode war es sicherlich, der die Sage von der Scylla veranlasst hat. Das geht aus der homerischen Beschreibung derselben mit Bestimmtheit her- vor. Es heisst dort (0. 12, 85):
1) Aubert u. Wimmer, 1. c. I. p. 183.
2) Tioog xoTvkrj^ov6(f>iv. Sie stehen in 2 Reihen auf d6r Innen- seite der Arme. Die höchst sonderbare Meinung, der noXvnovg sei ein Krebs, weil solche Thiere oft kleine Steinchen zwischen die Scheeren zu nehmen pflegten, ist schon längst in wohlverdiente Ver- gessenheit gerathen.
Uebrigens kannten die Alten beim Octopus eine Anpassung im Sinne Darwin's. Aristoteles sagt (h. a. 1X37, 149): ,,Er fängt die Fische, indem er seine Farbe wechselt und die Farbe der Steine annimmt, in deren Nähe er kommt. Dasselbe thut er auch, wenn er gescheucht wird." Nach Oppian (de pisc. 2, 253, bei Lenz,
1. c. p. 505) schützt er sich auf dieselbe Weise vor der Muräne.
Die homerische Thierwelt. 211
„Zwölf unförmliche Ftisse hat sie und sechs lange Hälse, auf deren jedem sich ein fürchterlicher Kopf mit drei Reihen von festen und dichtgestellten, verhängniss- drohenden Zähnen befindet. Halb steckt sie in einer Höhle, die Köpfe aber streckt sie aus der Tiefe heraus und fängt sich, indem sie um die Klippe umhersacht, Delphine, See- hunde, und wenn möglich noch grössere Seethiere, wie sie die tiefstöhnende Amphitrite in Unzahl nährt. Niemals konnten Schiffer sich anmassen, mit dem Schiffe an ihr vorbei zu kommen, denn mit jedem Kopfe raubt sie einen Mann vom dunkeln Schiffe".
Ueber sein Abenteuer mit der Scylla berichtet Odys- seus (0. 12, 244) wie folgt:
„Während wir nun angstvoll auf die Charybdis blick- ten, raubte mir die Scylla aus dem hohlen Schiffe sechs Gefährten, die an Gewandtheit und Stärke die trefflichsten waren. Und als ich nun einen Blick auf das schnelle Schiff und auf die Gefährten warf, sah ich schon ihre Arme und Beine über mir, da sie in die Höhe gehoben waren. Betrübten Herzens riefen sie mich beim Namen: es war zu spät. So wie ein Fischer auf vorspringender Klippe mit gewaltiger Angelruthe den kleinen Fischen dort Lecker- bissen als Köder auswerfend das Hörn des ländlichen Stieres*) in die Fluten versenkt und dann die zappelnde Beute an das Ufer aufschwenkt, so wurden sie zappelnd zum Felsen heranzogen".
Prüfen wir nun, in wie weit diese Beschreibung der Scylla auf grosse Cephalopoden passt. Die Zahl der Arme (12) ist zu gross angegeben. Was der Dichter als Hälse bezeichnet, sind die in geringerer Zahl vorhandenen längeren Arme der Cephalopoden. Die Köpfe sind die gewöhnlich knäuelförmig eingerollten Enden der langen Arme, die Zähne die reihenweise angeordneten und z. B. bei Loligo nur am Ende des Armes sitzenden Saugnäpfe. Diese sind sogar bei Onychotheutis und Enoplotheutis zu Haken um- gebildet, was den Vergleich mit Zähnen noch näher legt. Die geschilderte Lebens- und Ernährungsweise der Scylla stimmt mit der grosser Cephalopoden überein ; nur ist ihre
1) Ueber die Angel s. u. „Fische" p. 203.
212 Otto Koerrier:
Gefährlichkeit für den Menschen etwas übertrieben. Auch bellen die Cephalopoden nicht, wie es von der Scylla 0. 12, 85 erzählt wird. Hier ist wahrscheinlich das Tosen der Brandung und das Klappern der an die Klippen ge- schleuderten Steine, ähnlich vielleicht dem Gekläff kleiner Hunde auf die Scylla übertragen worden.
Dass es gewaltige, auch dem Menschen gefährliche Cephalopoden im Mittelmeer gab und noch gibt, besagen Nachrichten aus alter und neuer Zeit. Die wichtigsten derselben sind folgende:
PI in ins (h. n. 9, 30, 48) sagt: Trebius Niger, Be- gleiter des Lucullus, behauptet, kein Thier sei im Wasser dem Menschen so gefährlich, wie der Polyp; denn er stürzt sich auf Schiffbrüchige und Taucher, umschlingt sie mit seinen Armen, saugt sie mit seinen Saugnäpfen aus') und versenkt sie." Diese Behauptung ist nach den Ausführun- gen von Jag er 2) nicht unwahrscheinlich.
Nach Lenz^) kennt man in Griechenland nicht wenige Beispiele, wo nach Schw^ämmen suchende Taucher von solchen Thieren umschlungen und ertränkt wurden.
Eine Uebersicht der Nachrichten über grosse Cepha- lopoden gibt Keferstein^). Aus neuerer Zeit sind noch folgende Funde zu verzeichnen:
Ein grosser Cephalopode wurde 1861 bei Teneriffa gefangen. Länge 18 Fuss, die der Arme 5—6 Fuss ^).
1873 wurde ein weiterer an der Ostküste Nippon's erlegt. Länge 6 m, Umfang 1,30 m, längster Arm 1,97 m^).
In demselben Jahre umschlang ein solches Thier bei Neufundland ein Fischerboot. Armlänge 35 Fuss"^)
1874 brachte eine englische Zeitschrift^) die Abbildung
1) Letzteres ist unrichtig, da die Saugnäpfe dem Polypen nur zum Festhalten seiner Beute dienen.
2) G. Jäger, das Leben im Wasser, Hamburg 1868, p. 150 ff.
3) 1. c. Anmerkung 2149.
4) Bronn, Klassen und Ordnungen des Thierreichs, Bd. III Abth. IL p. 1452.
5) Der Zoologische Garten, Jahrgang III, p. 91.
6) Zool. Garten, XV 157.
7) Zool. Garten XVI 236.
8) The Field vom 31. Januar 1874.
Die homerische Thierwelt. 213
eines bei St. Johns mit dem Häringsnetz gefangenen Ce- phalopoden. Länge der grossen Arme 24 Fuss, Körper- länge 8 Fuss, Umfang 5 Fuss.
Die letzten hierbergehörigen Angaben datiren von 1878. In diesem Jahre strandete bei Catalina (Neufund- land) ein 'solches Thier. Länge der Fangarme 30 Fuss, der kurzen Arme 11 Fuss, des Körpers 9 Fuss 6 Zoll. — Zu derselben Zeit umschlang ein grosser Octopus bei der Vancouver-Insel eine badende Indianerin und zog sie in die Tiefe. Am folgenden Tage wurde die Leiche durch Taucher, welche die Fangarme durchschnitten, befreit^).
Dass nun Homer, dessen zoologische Nachrichten sonst so zuverlässig sind, hier einmal ungenau berichtet, ist zu entschuldigen. Er hat eben ein solches, verhältniss- mässig seltenes Thier nie gesehen und von ihm nur von Seefahrern, wahrscheinlich phönicischen Handelsleuten ge- hört. Seefahrer aber sind wunderliche Leute und haben das Uebertreiben von je her trefflich verstanden. Es ist immer noch merkwürdig genug, dass sie hier so gnädig verfahren sind und uns wenigstens die Möglichkeit gelassen haben, der Entstehung ihrer Hirngespinnste auf den Grund zu kommen.
Spätere Zeiten haben natürlich weiter phantasirt und das Urbild der Scylla ganz unkenntlich gemacht. Ein Ana- logon zu der Scylla findet sich in der nordischen Sage vom Kraken. Auch die immer wieder auftauchende See- schlange hat man auf das Erscheinen grosser Cephalopo- den zu beziehen versucht. Vielleicht wäre die Entstehung noch manches phantastischen Ungeheuers der Sage auf ähnliche Weise zu erklären. Doch die Spuren der Urbil- der sind bei ihnen wohl meist ganz verwischt.
Von den
Würmern wird nur
Der Regenwurm,
o-atolrj^y Lumbricus terrester (?) erwähnt. 1) ZooL.Garteü XIX 62.
214 Otto Koerner: Die homerische Thierwelt.
Mit ihm wird II. 13, 654 ein im Kampfe zu Boden gestreckter Krieger verglichen. Die Aehnlichkeit des Gleichnisses liegt im Geradeausgestrecktsein.
Die
Cölenteraten
sind nur durch den
Badeschwamm,
üTtoyyoq, Euspongia, vertreten.
Beiwort: TtoXvrQrjTog vieldurchlöchert.
Das homerische Zeitalter bedient sich bereits des Badeschwammes in derselben Weise wie wir. II. 18, 414 wäscht sich Hephästus Gesicht, Brust und Hände, um die Thetis würdig empfangen zu können.
In der Odyssee werden dreimal (1, 111; 20, 151 u. 22, 439) Tische mit Schwämmen abgewaschen.
Buchholz erwähnt den Schwamm nicht.
Nene Amphibien und Reptilien.
Beschrieben von
Dr. J. 6r. Fischer
in Hamburg.
Hierzu Tafel VHI und IX.
1. Caecilia polyzona Fisch.
Tafel Vni, Fig. 1 bis 4.
Körper langgestreckt. Kopf Veo von der Totallänge, fast doppelt so lang wie breit. Auge durch die Haut nicht sichtbar. Kopf klein, zugespitzt, Schnauze vorragend, platt Fühlergrube in vertikaler Linie unter dem dorsal gelegenen Nasloch, an der unteren Fläche der Schnauze. Faltenringe zahlreich (mehr als 200), bis nahe zum Körperende voll- ständig. An den letzten 10 — 12 Ringen sind accessorische Ringe eingeschaltet, die zunächst am Rücken erscheinen, dann an die Seiten und schliesslich (bei einem Exemplare) bis zur Bauchmitte herabreichen. Körperende rund, etwas verdickt, ohne Hautsaum.
Am Oberkiefer 22 bis 25 Zähne, am Gaumen in paral- leler Reihe dahinter 20 bis 22 ; am Unterkiefer in vorderer Reihe 20; dahinter in der zweiten Reihe 10 — 12. Alle Zähne nach hinten gekrümmt, spitz.
Oben braungrau, der Kopf heller; Bauch hellgrau. Die Ringfurchen schwarz markirt.
216
J. G. Fischer:
Maasse. Kopf- Umfang |
Zahl der Ringe |
||||||
Grösste 1 Höhe ! Total- des j länge Körpers |
Länge |
Grösste Breite |
am Mund- winkel |
in der Körper- mitte |
dicht vor dem After |
an der Bauchseite gezählt |
|
a |
m 0 011 |
m 0 65 |
m 0 011 |
0 006 |
m 0 02 |
m 0 033 |
0 036 209 |
m b 0 011 |
m 0 67 |
m 0 011 |
m 0 006 |
m m 0 02 0 037 |
0 033 |
207 |
Zwei Exemplare des Kön. Zool. Museums in Berlin, gesammelt von Hrn. Grosskopf bei Caceres am Magda- lenenstrom, Neugranada.
Verschieden von den übrigen Arten in folgenden Punkten :
a) Von C. lumbricoidea Daud. durch den schmalen Kopf, die sehr deutlich markirten Ringe und die Lage der Ftihlergrube.
b) Von C. albiventris Daud. durch die versteckten Au- gen, durch die zahlreicheren (bei albiventris 150) Ringe und die Lage der Fühlergrube.
c) Von C. rostrata Cuv. durch den gestreckteren Körper, die viel zahlreicheren Ringe (bei rostrata 115 — 125 nach Dum. u. Bibr.) und die Lage der Fühlergrube.
d) Von C. seraphini A. Dum. (vom Gaboon) durch den schlankeren Körper, die versteckten Augen und die zahl- reicheren meist vollständigen Ringfalten (seraphini hat deren nach A. Dum. 125 — 130, meist oben und unten un- vollständige).
e) Von C. squalostoma Stbry. (vom Gaboon) durch die zahlreicheren Falten (sq. hat 145—150 nach A. Dumeril) und die Lage der Fühlergrube.
f) Von C. ochrocephala Cope von Panama (Proc. Ac. N. Sc. Philad.) 1866 p. 132) durch den schlankeren Körper. Cope vergleicht seine Art in Bezug auf den Habitus mit dem viel gedrungeneren Siph. mexicanus, und giebt das Verhältniss des Körperdurchmessers zur Totallängö auf 1 : 51 an. Bei unserer Art ist dies Verhältniss = 1 : 66. Ausserdem ist die Farbe abweichend.
g) Von C. oxyura D. B. (von Malabar) durch das abge-
Neue Reptilien und Amphibien. 217
rundete fast angeschwollene Schwanzende, den schlankeren Körper, die zahlreicheren am Vordertheil des Körpers ge- schlossenen Ringe.
h) i) k) Von C. compressicauda D. B., C. dorsalis Pets. und C. natans Fisch, durch den Mangel des Hautsaums am Hinterende des Körpers.
2. Caecilia natans Fisch.
Tafel VIII, Fig. 5 bis 7. Schliesst sich durch das* zusammengedrückte, mit einem Hautsaum versehene Hinterende des Körpers eng an die ebenfalls südamerikanischen C. compressicauda D. B. und C. dorsalis Pets an. Herr Grosskopf hat die typischen Exemplare 1879 aus dem CauGa, Nebenfluss des Magdalenenstroms in Neu- Granada, an einer mit festem Kiesgrund versehenen Stelle gefischt. Es ist nach diesem Bericht und nach der Form des Körpers wohl anzunehmen, dass alle drei eben genannten Arten ihr Leben im Wasser zubringen und sich durch Beibehaltung der Form und Lebensweise der Larven von den übrigen im Schlamme wühlenden Gymnophionen als besondere Gruppe (Wasser- caecilien) unterscheiden.
Körper ziemlich gedrungen. Kopf breit-platt, seine Länge etwa Vso der Totallänge. Schnauze vorragend. Naslöcher seitlich. Auge durchscheinend. Fühlergrube etwas unterhalb der vom Auge zum Nasloch gehenden Linie, dreimal so weit von ersterem wie von letzterem ent- fernt. Ringfalten ganz undeutlich, auch bei gut erhaltenen Exemplaren nur stellenweise an den Biegungen des Kör- pers als nicht markirte Falten sichtbar. Hinterende seit- wärts stark zusammengedrückt, mit einem um dasselbe herumgehenden, sich von hinten her halb um den After (Saugscheibe Peters) herumziehenden Hautsaum.
Im Zwischen- und Oberkiefer 40—42, am Gaumen in einer mit der ersteren parallelen Reihe 34—36 Zähne; in der vorderen Reihe des Unterkiefers 38, in der zweiten 14 Zähne.
218
J. G. Fischer
Einfarbig braungrau, an der Bauchfläche wenig heller. Gegend um den After (Saagscheibe) weiss.
Maasse.
Kopf- |
|||||
Totallänge |
Länge |
grösste Breite |
Umfang des Körpers in der Mitte |
Länge der Saugscheibe |
|
a |
m 0 505 |
0 016 |
m 0 013 |
m 0 04 |
m 0 006 |
b |
0 461 |
m 0 016 |
m 0 012 |
m 0 045 |
0 007 |
Zwei Exemplare im Kön. Zoolog. Museum in Berlin. Beide gesammelt von Hrn. Grossko.pf (s. oben).
Ausserdem befinden sich meines Wissens noch 5 Exem- plare in der Berliner Sammlung; eines (von Hrn. Grosskopf 1878 von Baranquilla, Neu-Granada, eingesandt) im Natur- historischen Museum (Nr. 335) zu Hamburg.
Verwandt mit C. compressicauda D. B. und C. dorsa- lis Pets. Von beiden verschieden durch den Mangel der bei der ersteren wenigstens am Bauch sehr deutlichen Fal- tenringe. C. compressicauda hat deren nach Dum. und Bibr. 134—140, C. dorsalis nach Peters 99. Auch Herr Professor Peters hält die vorliegende Art für specifisch verschieden.
Bothriechis scutigera Fisch.
Tafel VIII, Fig. 8 und 9.
Sl. 21. Lab. |5^; V. 146; A. 1; Sc. 34*).
Schuppen in 21 Längsreihen. Nasale getheilt. Kopf bis hinter die Augengegend von grossen, schildähnlichen, symmetrisch geordneten, glatten Schuppen bedeckt.
Beschreibung.
Körperform gedrungen, etwas seitlich zusammenge- drückt. Kopf massig abgesetzt, an den Schläfen nicht
1) üeher Anwendung von Schnppenformeln bei Schlangendiag- uosen s. Verh. Naturw. Ver. Hamburg 1879, p. 78.
Neue Reptilieu und Amphibien. 219
stark aufgetrieben. Frenalgegend senkrecht gegen die Stirngegend abgesetzt mit massig scharfem Canthus rostra- lis. Schwanz nicht abgesetzt, Vs der Totallänge.
Kopfschilder. Die Bedeckungen des Vorderkopfes erinnern entfernt an die zerklüftete Form der Kopfschilder bei einigen Trigonocephalus-Arten. Sie bestehen aus glat- ten, grösseren, schildähnlichen Stücken, die eine symme- trische Anordnung erkennen lassen. Rostrale dreieckig, nicht in die Höhe vorragend. Die Superciliaria sind oval, gross, schwach gewölbt, ihre Länge gleich der Entfernung ihrer Innenränder von einander. An sie schliessen sich an jeder Seite der Schnauzengegend zwei kleinere Canthus- schilder an, die zusammen so lang sind, wie ein Superci- liarschild. Das vordere derselben ist von der die Ober- fläche der Schnauze gerade erreichenden Spitze des Rostrale durch die ebenfalls heraufreichende obere Ecke des Prae- nasale getrennt. — Hinter dem Rostrale und zwischen diesen zwei Paaren Canthusschildern liegen zunächst zwei Reihen ganz kleiner rundlicher Schilder (Schuppen); zu der ersten gehören 2 winzige Schildchen, von denen sich eines jederseits aussen an die Spitze des Rostrale anlegt, die also durch letztere von einander getrennt werden; die zweite Reihe besteht aus drei wenig grösseren Schuppen, die sich quer von einer Seite zur anderen hinüberziehen. Auf diese zwei Reihen winziger Schildchen folgen zwischen den Canthusschildern zwei Reihen grösserer, die erste Reihe zwei, die zweite drei symmetrische Schilder enthaltend; man könnte dieselben je als Internasalia und Praefron- talia aufpassen.
Ein grösseres sechsseitiges Schild (Frontale?) liegt in der Mitte zwischen den Superciliaria, von letzteren wie von den Praefrontalia durch einen Kranz kleiner glatter Schildchen getrennt. Das Frontale ist etwa halb so gross wie ein Superciliare; ihm folgt ein kleines, wie eine ab- getrennte hintere Spitze erscheinendes fast dreieckiges Schildchen. Letzterem folgen wieder zwei Paare grösserer symmetrischer Schildchen, die man den Parietalia der Go- lubriden vergleichen könnte.
Die vor und zwischen den Superciliaria gelegenen
220 J. G. Fischer:
Schilder und Schildchen sind glatt, ohne Rauhigkeiten und Kiele, ebenso das erste Paar der eben mit den Parietalia verglichenen. Die hinter den Superciliaria folgenden Schup- pen sind je mit einem nicht ganz bis an ihr Ende reichen- den Kiele versehen.
Von den Seiten schildern des Kopfes sind die zwei Nasalia von ungleicher Grösse; das vordere ist das grössere und erreicht die obere Schnauzenfläche zwischen Rostrale und erstem Canthusschildchen. Zwischen ihm und einem oberen grösseren 5eckigen Anteokulare erstreckt sich ein grösseres 5seitiges Frenale. Auf drei Reihen kleiner Postokularia folgen längs der letzten Supralabialia vier bis fünf sechsseitige ungekielte Schläfenschuppen. Die Supralabialia (links 10, rechts 9) sind von der Begren- zung sowohl der Grube als der Orbita, von letzterer durch zwei Reihen Schildchen ausgeschlossen. Von den Infra- labialia (links 11, rechts 9) stossen die des ersten Paares breit an der Kinnfurche zusammen; die der ersten vier Paare stehen mit dem ersten Paare der Kinnfurchenschil- der in Berührung.
Schuppen lanzettlich oval, in 21 Längsreihen, nach den Seiten herab grösser werdend; alle gekielt mit Aus- nahme derjenigen der äussersten Reihe. Bauchschilder (146) wenig heraufgebogen. Anale und Schwanzschilder (34) nicht getheilt.
Farbe. Grundfarbe der Oberseite olivenbraun. Auf dem Rücken eine Reihe grosser rhombischer dunkelbrauner Flecke (36 bis zur Aftergegend, 4 auf dem Schwänze), die mittelsten 7 Schuppen reihen einnehmend; meist (nament- lich in der vorderen Körperhälfte) sind die beiderseitigen Hälften dieser Flecke gegen einander verschoben, wodurch an diesen Stellen eine Zickzackbinde entsteht. An den Seiten, r;den seitlichen Spitzen jener Rhombenflecke gegen- über, eine denselben entsprechende Zahl unregelmässig dreieckiger, mit den Spitzen nach unten gerichteter, dun- kelbrauner Flecke ; diese erstrecken sich über die äusseren 5—6 Schuppenreihen, so dass zwischen ihnen und den Spitzen der Rückenrhomben 1 — 2 Schuppenreihen (die 6. und 7.) die Grundfarbe zeigen. Kopf oben braun; vom
Neue Reptilien und Amphibien. 221
Auge erstreckt sich eine breite schwarze Binde nach hinten, streift die oberen Theile der letzten drei Supralabialia, ver- läuft seitlich am Anfang des Halses, und löst sich nach der 11. Schuppe in einzelne Flecken auf, die in ihrem Zu- sammenhange die vorhin erwähnte seitliche Fleckenbinde bilden. — Seitenfläche und Unterseite des Kopfes weiss- grau, schwarz getüpfelt und marmorirt. Vor dem Auge am hinteren Theil des vierten Supralabiale, ferner unter der Grube an der Grenze des zweiten und dritten Labiale, ebenso an der Grenze von Rostrale und erstem Labiale gehen schwarze Binden zum Mundrande. Aehnliche Zeich- nungen finden sich an den Grenzen des ersten und zweiten, des vierten und fünften, des siebenten und achten Infra- labiale, so wie an dem hinteren Theile des zw^eiten Kinnfurchenschilderpaars. — Bauchseite vorn weisslich, schwarz gepulvert; vom fünfzehnten an trägt jedes Bauch- schild einen kleinen viereckigen Fleck, welche Quadrate jedoch mehr oder weniger gegen einander verschoben sind und keine zusammenhängende Längsbinde bilden. Die schwarze Bestäubung der Bauchschilder nimmt nach hinten mehr und mehr überhand, die quadratförmigen Flecke ver- lieren sich in derselben, und vom letzten Drittheil an er- scheint der Bauch vorwiegend schwarz mit weisser Be- stäubung. Die Unterseite des Schwanzes ist in der ersten Hälfte einfarbig schwarz, wird allmälig heller und schliess- lich einfarbig gelb.
Maasse: Totallänge 0,327 m; Schwanz 0,04 m.
Fundort. Ein Exemplar aus Guatemala. Dasselbe steht (Nr. 1943) im Kön. Hof-Naturalienkabinet zu Stuttgart.
Thamnocenchris (T. aurifer) Salv. (Ann. u. Mag. N. H. 1861, VII, 325), ebenfalls aus Guatemala, hat den Vor- dertheil des Kopfes auch mit Schildern bedeckt, diese sind aber unregelmässig, und nicht symmetrisch geordnet, auch sind bei dieser Art Körper und (Greif =) Schwanz stark zusammengedrückt, und das 2. Supralabiale bildet den Vorderrand der Gesichtsgrube; Schuppen in 19 (bei scutigera in 21) Längsreihen.
Bei Bothriechis godmanni Gnth. (Ann. u. Mag. N. H. 1863, V. 12, pag. 364 aus Guatemala) sind die grösseren
222 J. G. Fischer:
Schilder des Vorderkopfes unsymmetrisch geordnet und theilweise gekielt, Färbung abweichend.
Bothriechis nnmmifera Rüpp. Var. notata Fisch.
Tafel VIII, Fig. 10, 11, 12.
Schuppen des Mittelkopfes hinter der Augengegend grösser, undeutlich sechseckig; von diesen die zwei mitt- leren neben einander liegenden durch einen schwarzen weiss- gesäumten Fleck ausgezeichnet. Ein schwarzer Fleck je auf der Grenze des dritten und vierten und einiger der folgenden Lippenschilder. (Nach Dumeril und Bibron sind bei ihrem Atropos mexicanus: les l^vres blanches et sans taches.)
In anderen Punkten mit den Beschreibungen und Ab- bildungen von Günther (Ann. u. Mag. 1863, 3. Ser. Vol. 11 pg. 25, PI. III. flg. C), Dumeril und Bibron (Erp^t. g6n. VII, 1521; pl. 83 bis, Fig. 1 und 2) übereinstimmend: 25 Schuppenreihen : 132 Bauchschilder, ein einfaches Anale, 36 ungetheilte Schwanzschilder. Superciliaria schmal, obere Schnauzenschuppen stark gekielt und grösser als die zu- nächst folgenden; Gegend zwischen und vor den Augen konkav. •
Auch das hier bemerkte Exemplar stammt aus Guate- mala; Nr. 1967 der Sammlung des Kön. Hofnaturalienka- binets zu Stuttgart, von Hrn. F. Sarz in Coban gesammelt.
Chrysopelea viridis Fisch.
Tafel IX, Fig. 13—17.
Sl. 17; 0'. 1—2; L. 7io; T.2-f2 + 2; V. 202; A.'A; Sc. ^^Vg.
(Hinterer Oberkieferzahn gefurcht.) Sehr schlank. Die Schuppen der mittelsten Reihe rhombisch, nebst denen der einen beiderseits darangrenzenden Reihe stark gekielt, die
Neue Reptilien und Amphibien. 223
Übrigen glatt, dacliziegehinig gelagert. — Einfarbig grün, unten heller: Kanten der Bauchschilder sehr deutlich, schwarz markirt.
Beschreibung.
Körperform. Sehr schlank, Schwanz mehr als Vs der Totallänge. Kopf lang, abgesetzt; Stirn etwas konkav, Schnauze flach. Bauch an den Seiten scharfkantig.
Kopfschilder. Rostrale breiter als hoch, die obere Schnauzenfläche erreichend. Internasalia so lang wie breit, unregelmässig viereckig. Praefrontalia wenig länger, merklich breiter als vorige, seitlich herabgebogen, vom Superciliare bis auf einen Punkt durch das Anteoku- lare getrennt. Frontale fünfeckig, länger als die vordere Praefrontalnaht, nach hinten stark verschmälert, mit ein- gebogenen Seitenrändern.
Supercilaria gross, gewölbt, fast so lang wie das Frontale. Parietalia breit, jedes vorn eben so breit wie lang; ihre gemeinschaftliche Naht gleich der Länge des Frontale. Von den neun Supralabialia ist das 6. das grösste; das 5. und 6. treten an die Orbita. Temporalia 2 + 24-2, das untere der ersten Reihe sehr klein, auf der Grenze des 6. und 7. Labiale stehend, das obere der- selben Reihe grösser, mit beiden Postokularia in Berührung. Zwei Nasal ia, vorderes grösser; F renale schmal, lang, auf dem dritten und der Hälfte des zweiten Labiale ruhend. Anteokulare gross, mit der oberen Spitze auf die Stirnfläche heraufgebogen und die äusserste Vorderecke des Frontale beinahe berührend. Infralabialia zehn, die des ersten Paares an der Kinnfurche zusammenstossend, die der ersten sechs Paare mit Kinnfurchenschildern in Berührung. Von letzteren sind die des ersten Paares lan- zettförmig und wenig grösser als die des zweiten. Zwischen diesen und dem ersten Bauchschilde liegen drei Reihen lanzettförmiger Schuppen.
Körperschuppen in 17 Längsreihen, die der mittelsten rhombisch und wie die der benachbarten Reihe stark ge- kielt. Die übrigen Schuppen glatt, schmal, länglich vier-
224 J- G. Fischer:
eckig, stark dachziegelartig geordnet, die der äussersten Reihe rhombisch und sehr breit. Bauchschilder durch eine scharfe Kante an jeder Seite in drei Theile geknickt, von denen die äusseren der Seitenfläche des Körpers an- gehören, die mittleren in ihrer Aufeinanderfolge die glatte Bauchfläche bilden. Anale getheilt. Schwanzschilder dop- pelt, ebenfalls an jeder Seite durch eine scharfe Kante umgeknickt.
Farbe. Einfarbig grün, unten heller. An Stellen, wo die Schuppen von einander gezogen sind, erscheint die Haut schwarz. Lippenschilder und Kehlgegend gelblich. Die helle Farbe der Lippen gegen das Grün des übrigen Kopfes durch eine schmale schwarze Linie scharf abge- setzt. Kanten der Bauchschilder schwarz, durch ihre Auf- einanderfolge zwei feine schwarze Längslinien bildend.
Maasse: Totallänge 1,40 m; Schwanz 0,5 m.
Fundort: Tabukan auf Sangi. Das der Beschrei- bung zu Grunde liegende Exemplar ward daselbst von Herrn Dr. A. B. Meyer gesammelt. Es ist Nr. 871 der Schlangensammlung des Kön. Zoolog. Museums in Dresden.
Dipsas subaequalis Fisch.
Tafel IX, Fig. 18—21. Sl. 17; 0. 2-2;L. ^-^;V.226; A.l;Sc.^-^; T.H-H-2. .
Hinterer Oberkieferzahn lang, von den übrigen ge- trennt, gefurcht. Schuppen der mittleren Rückenreihe wenig grösser, als die benachbarten. Auge gross, Pupille vertikal. Bauchschilder nicht gekielt. Anale einfach.
Beschreibung:
Form schlank, seitlich zusammengedrückt, Schwanz V4 der Totallänge. Kopf breit, stark abgesetzt vom dünnen Hals. Auge gross, sein Durchmesser fast gleich der Ent- fernung seines Vorderrandes von der Schnauzenspitze.
Neue Reptilien und Amphibien. 225
Kopfschilder. Rostrale klein, wenig breiter als hoch, nicht auf die Oberfläche der Schnauze heraufgebogen, luternasalia fast dreieckig, seitwärts ein wenig zu den Nasalia herabgebogen. Praefroutalia mehr als doppelt so gross wie die vorigen, mit dem seitlich stark herabge- bogenen Theile zwischen Postnasale und Anteokulare bis zum Frenale reichend. Frontale fünfeckig, länger als breit, mit konvergierenden, schwach eingebogenen Seiten- rändern; Hinterränder die kleinsten, einen rechten Winkel bildend. Parietalia gross, länger als das Frontale; Vor- derrand bis zur Mitte des oberen Postokulare herabreichend; Hinterränder nur wenig aus einander weichend, fast eine grade Linie bildend. Super ciliare dreieckig, sehr breit, hinten so breit wie der Vorderrand des Frontale. Nasale einfach, das Nasloch in der Mitte. Frenale viereckig, so hoch wie breit. Zwei Anteokularia, unteres klein, auf dem dritten Labiale stehend, oberes hoch, auf die Stirn- fläche heraufgebogen, nicht ganz an das Frontale reichend. Zwei Postokular ia, unteres auf der Grenze des 5. und G.Labiale ruhend. Temporalia 1 + 1 + 2, alle fast sechs- eckig, das erste wenig grösser als die folgenden. Auf das untere der dritten Reihe folgt längs dem Oberrande des 8. Labiale ein rhombisches Schild von der Grösse des vorhergehenden Temporale. Supralabialia acht, das 6. und besonders das 7. die grössten, das 3., 4. und 5. die Orbita von unten begrenzend. Zehn (rechts elf) Infralabialia, die der ersten sechs Paare mit den Kinnfurchenschildern in Berührung. Von letzteren sind die des ersten wenig grösser als die des zweiten ; auf dieses folgen zwei Reihen lanzettförmiger Schuppen bis zu dem ersten Bauchschilde.
Körperschuppen glatt in 17 Längsreihen, die der mittelsten wenig grösser als die benachbarten, rhombisch mit schwach abgestutzten vorderen und hinteren Spitzen; die der seitlichen Reihen länglich rhombisch, neben ein- ander (nicht dachziegelartig) geordnet, diejenigen der äus- sersten Reihe kaum grösser, als die der darüberstehenden. — Bauchschilder 226, an den Seiten heraufgebogen, nicht gekielt. Anale einfach; Schwanz Schilder in 105 Paaren.
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 15
226 J- G- Fischer:
Farbe. Einfarbig blaugrün ohne Abzeichen, unten heller. An Stellen, wo die Schuppen oder die Bauchschil- der auseinandergezogen sind, scheint die Haut schwarz hindurch, die Schuppen netzartig umsäumend.
Maasse: Totallänge 1,05 m; Schwanz 0,25 m.
Ein Exemplar des Kön. Zoologischen Museums in Dresden (Nr. 1040 der Schlangensammlung), von Hrn. von Koppenfels für dasselbe gesammelt.
Bradiyorrhos albus Kühl. Var. conjunctus Fisch.
Die Dresdener Sammlung besitzt fünf Exemplare dieser Art, die, wie der von mir kürzlich beschriebene^) Oxy- orrhos fusiformis aus Buru kein Anteokulare besitzen, sondern bei denen ebenfalls, wie bei dem Stuttgarter Exem- plar, das jener Beschreibung zu Grunde lag, das Praefron- tale mit einem nach hinten ausgezogenen Zipfel die Orbita und die Stelle des Anteokulare vertritt. Alle fünf- Exem- plare (Nr. 11. 12. 220. 868. 887) stammen aus Ternate, wo sie von Hrn. Dr. A. B. Meyer gesammelt wurden. Ausserdem aber besitzt die Dresdener Sammlung noch ein sechstes Stück, ebenfalls aus Ternate (Nr. 1023), bei dem das Anteokulare, wie bei dem Typus, nicht mit dem Prae- frontale verschmilzt. Es ist daher die Gattung Oxyorrhos einzuziehen, und höchstens der Umstand, dass die erwähnte Verschmelzung vorzugsweise an Stücken beobachtet wird, die von einigen der kleineren Molukken stammen, dürfte die Aufstellung einer besonderen Varietät rechtfertigen.
Ein dieser Varietät angehöriges ganz junges Exem- plar der Dresdener Sammlung zeigt eine von der einfachen Färbung aller Exemplare sehr abweichende, meines Wissens noch nicht beschriebene Zeichnung:
Grundfarbe schwarz, oben und namentlich an den Seiten mit vielen schmalen weissen, netzförmig verschmel-
1) Verh. Naturwiss. Vor. Hamburg 1279, 89.
Neue Reptilien und Amphibien. 227
zenden, winkeligen Querbinden, welche die Breite einer Schuppe einnehmen. Bauchschilder mit vorderem schwarzem Saum, der den grössten Theil des Vorderrandes einnimmt, sich nicht bis zu deren äusseren Ecken erstreckt, sich aber hin und wieder in einzelne Flecke auflöst. — In der Mitte jedes Internasale und des Frontale ein weisser Fleck. Lippenschilder und Schläfenschilder weiss, jedoch ein schwarzer Fleck auf der Mitte der Schläfe. Kinn- und Kehlgegend weiss, schwarz gesprenkelt.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel VIII. und IX.
Taföl VIII. Fig. 1 — 4. Caecilia polyzona Fisch, 1. Kopf von der Seite; 2. Kopf von unten; 3. Kopf von oben; 4. Kör- perende von unten.
Fig. 5—7. Caecilia natans Fisch. 5. Kopf von der Seite ; 6. Hinterende von der Seite ; 7. Dasselbe von unten; a. After; b. Hautsaum. Fig. 8 — 9. Bothriechis scutigera Fisch. Fig. 10 — 12. Bothriechis nummifera Rüpp. Var. notata Fisch.
Tafel IX. Fig. 13—17. Chrysopelea viridis Fisch. Fig. 18 — 21. Dipsas subaequalis Fisch.
Zur Kenntniss der Galeodiden.
(Tnfel X. Fig. 1—25.) Von
Dr. F. Karsch,
in Berlin.
Veranlassung zur vorliegenden Abhandlung gab der vor Kurzem erschienene „Essai d'une Classification des Galeodes" von Eugene Simon (Ann. Soc. Entomol. Fr., 5 ser., IX, 1879, pp. 93-154, PL 3). Die in diesem Auf- satze niedergelegten Untersuchungen haben vielfach For- men zum Gegenstande der eingehendsten Besprechung, deren Typen das Berliner zoologische Museum besitzt. Somit ist der vorliegenden Arbeit eine vorzugsweise kri- tische Aufgabe gestellt, welche darin besteht, die Angaben Simon's auf ihre Richtigkeit zu prüfen und diese Be- sprechung bildet den ersten Theil ; aus dieser Untersuchung ergaben sich alsdann ganz von selbst neue Gesichtspunkte und die Darstellung dieser ist Aufgabe des zweiten Theiles. Man wird aus jeder der beiden Abtheilungen zur Genüge ersehen, dass wir erst am allerersten Anfange einer wissen- schaftlichen Kenntniss der hier in Frage stehenden merk- würdigen Thierformen uns befinden, jener so iüteressanten Arthropodenformen, deren Wurzel im descendenztheoreti- schen Stammbaume nach den neuesten Ansichten der Wissen- schaft im Bereiche der niedersten Insekten zu suchen ist.
I.
Zu Simon's „Essai d'une Classification des Galeodes" (1879).
Formell ist zunächst zu bemerken, dass die von Simon vorgenommene Umtaufung des Gattungsnamens
Zur Keniitniss der Galeodiden. 229
SolpiKja in GaetuUa (loc. cit. pp. 107 — 108) aus zweien Grün- den ungerechtfertigt erscheint.
Nachdem nämlich Oliv i er in Encyclopedie methodi- que, VI, 1791, p. 578 seine Gattung Galcodes im Sinne \ on Phalangium arancoides Pall. (1772) in Verbindung mit seinem Galeoäes setifera (loc. cit. p. 579 u. 580) aufgestellt hatte, errichtete, unabhängig von seinem Vorläufer, im Jahre 1796 Lichtenstein im Catalogus Musei Zoologici ditissimi Hamburgi, d. III. Februar 1796, Auctionis lege distrahendi. Lectio Tertia. Continens Insecta. Hamburg, 1796, auf Grund seiner drei Arten fatalis^ aracJinodes und clielicornis (1. c. pp. 216 — 218, nro. 4, 5 u. 6) seine Gattung Solpuga, ohne indessen eine der drei Arten ausdrücklich als Type der Gattung Solpuga zu bezeichnen. Solpuga arachnodes Licht, ist mit Galeodes araneoides {P b.\\.) (und Fabr. in Suppl. Entomol. Syst. Hafn., 1798, p. 294, 2 ad partem) identisch, also ein echter Galeodes Oliv., während hingegen Solpuga fatalis Licht, ein bisher zweifelhaftes Thier, Solpuga chelicornis aber mit Solpuga jiibata C. L. Koch (und araneoides (Fabr.), Ent. Syst., II, p. 431, 9, 1795, einer von araneoides (Pall.) verschiedenen Form ge- ner isch zusammenfällt, von Simon sogar als eine und dieselbe Art mit Solpuga setifera (Oliv.) und jiibata C. L. Koch betrachtet wird (cf. loc. cit. p. 109). Solpuga Licht, umfasst also schon in den beiden Arten arachno- des und chelicornis verschiedene Gattungselemente, ist er- stens Galeodes Oliv. ex. p. und zweitens Gaetidia Sim.
Auf den zu den Lichten st ein 'sehen Typen im Berliner Museum gehörigen Signaturen findet sich zu den männlichen C. L. Koch'schen Typen der Solpuga juhata^ welche nicht als Synonym zu GaetuUa setifera (Oliv.) Sim. gehört, „S. chelicornis, Fabr. Licht. — Oliv.?" und „Ä africana Licht. $" vom Pr. b. sp. citirt; das Synonym „S. fatalis F. ? Licht.?" findet sich auf einer zu mehreren (3) weiblichen Exemplaren einer Solpuga le- talis M. S. genannten Form gehörigen Signatur; unzweifel- haft hat eines der Exemplare dem C. L. Koch bei Be- schreibung und Darstellung seiner Solpuga letalis (1842 und 1848) vorgelegen, so dass also Solpuga letalis als S.
230 F. Karsch:
fatdlis in Zukunft zn bezeichnen sein wird; das zu fatdlis gehörige, von Koch als letalis recht gut und bündig be- schriebene Männchen wird unter der Signatur Prom. b. sp. im Berliner Museum als „ä araneoides Fabr. Ent." irrthüm- lieh bezeichnet — alles entscheidende Gründe, dass man sich durch die Vaterlandsangaben der älteren Autoren nicht darf irre führen lassen!
Wenn man nun dieser Darstellung entsprechend Ga- leodes Oliv, im Sinne seiner beiden Arten in zwei Gattun- gen spaltet, als deren Typen man einerseits G. araneoides (Pall.) Oliv, (ünguibus setulosis ; tarsis pedum 4. paris triarticulatis ; = Galeodes (Oliv.) s. str.) und anderseits G. setifera Oliv, (ünguibus glabris; tarsis pedum 4. paris Septem articulatis; = Solpuga (Licht.) ad part. spec.) betrachtet; so ist, da Gal. setifera mit Solpuga chelicornis Licht, generisch zusammengehört, und da letzterer Merk- male, falls unsere Deutung richtig ist, auch der Solpuga fatdlis Licht, zukommen, nicht der geringste Grund vor- handen, die Gattung Solpuga Licht. (1796) aufzugeben . . am wenigsten aber ein Grund, sie neuerdings mit E. Simon: Gaetulia (im Nov. 1879: Caerellia) zu taufen, da dieser Name bereits 1864 von Stäl an eine Hemipterengat- tung vergeben wurde (cf. Stett. Entomol. Ztg. XXV, p. 54). — Eine umfassendere systematische Bearbeitung erfuhren die Galeodiden erst im Jahre 1842 durch C. L. Koch's: „Systematische Uebersicht über die Familie der Galeoden" im Archiv für Naturgeschichte, VIII, 1, pp. 350—356, wo- selbst neben den alten Gattungen G^a?eo(^e5 (Oliv.), Solpuga (Licht), Bhax Hermann, die beiden neuen Gattungen Ael- lopus (= Ilexisopus Karsch, 1878 — 9) und Gluvia aufge- stellt worden sind. Vorzugsweise diese letztere Gattung wurde so falsch diagnosirt und es fanden die in derselben untergebrachten Arten eine so mangelhafte Beschreibung im Detail, dass es unmöglich ist, ohne Ansicht der Koch'- schen Typen auch nur eine einzige der 7—9 Arten mit einiger Wahrscheinlichkeit zu deuten. Wenn daher E. Simon es unternahm, ohne Ansicht derselben einen „Essai d'une Classification des Galeodes" zu geben, so kann es nicht wohl Wunder nehmen, dass vielerlei Irrthümer mit unter-
Zur Kenntniss der Galeodiden.
281
liefen, welche die in Betreff der Artenkenntniss der Galeo- diden herrschende Confusion mindestens nicht vermindert haben.
Koch also diagnosirt die Gattung Gluvia dahin: „Die Tarsen aller Beine ohne Abtheilung in Gelenke, das Tarsenglied dünn und lang; das Endglied der Taster frei und deutlich" (loc. cit. p. 355). Gemäss den typischen Exem- plaren im Berliner Museum lassen sich, obwohl sie in ge- trocknetem Zustande sind, mit leider nur theilweiser Ge- wissheit die folgenden Gliederzahlen der Tarsen der Beine ermitteln :
An einem Beine des bei praecox C. L. K o c h ^
„ gracilis |
$ |
|
„ geniculata |
? |
|
„ striolata |
? |
|
„ formicaria |
? |
|
„ einer ascens |
<^ |
|
„ elongata |
^ |
IL |
III. |
IV.; |
2 |
2 |
4 |
? |
2 |
3 |
3 |
||
3 |
||
1? |
||
1? |
||
<j> |
CD a>
Auch Gluvia minima C. L. Koch, von welcher das hiesige Museum drei (übrigens nicht typische) nicht beson- ders erhaltene Exemplare aus Andalusien besitzt, scheint am hintersten Beinpaare dreigliedrige Tarsen zu besitzen, also nicht zu Gluvia C. L. Koch im Sinne seiner Dia- gnose, d. h. nicht zu Gluvia E. Sim. zu gehören.
Simon hat nun die Koch'sche Diagnose festgehalten, indem er sie mit den darin von Koch gebrachten Arten sich deckend glaubte und aus den beiden von ihm gedeu- teten Koch' sehen Arten: Gluvia striolata und geniculata zwei besondere Gattungen gebildet, die er als Gluvia und Batames scheidet. In wie fern er berechtigt ist, gerade G. striolata als typische Art der Koch'schen Gattung Glu- via aufzufassen (cf. loc. cit. p. 127), darüber gibt er keine Auskunft; jedoch entspricht, ob Simon's Deutung nun richtig ist oder nicht, der angegebene Gattungscharakter der Eingliedrigkeit der Tarsen der drei hintern Beinpaare ohne Frage vollkommen der von Koch für Gluvia gege- benen Gattungsdiagnose. Eine Frage bleibt es aber, ob seine speci fischen Deutungen richtig sind.
232 F. Karsch:
Für Gluvia stridlata erscheint die Irrthümlichkeit der Deutung schon deshalb ausgemacht, weil, der Tabelle zu- folge, das typische Exemplar 3 Tarsenglieder am 4. Bein- paare zeigt: dieBezahnung der Mandibeln, sowie die übrige Beschreibung Simon's entspricht sonst ziemlich genau den in weiblichen Exemplaren vorliegenden Stücken.
Datames geniculatus Simon hat indessen mit Gluvia geniculata C. L.Koch durchaus gar nichts zu thun, weder die Bezahnung der Mandibeln (loc. cit. PI. 3, Fig. 25), noch die Beschreibung Simon's entspricht im geringsten einem der vier Exemplare der Koch'schen Type; der Kopftheil des Cephalothorax ist z. B. nicht „sans strie mediane^ (loc. cit. p. 138), sondern mit deutlicher Mittel- längsfurche versehen. Für Datames geniculatus Sim. wird also ein neuer Artname eintreten müssen, den zu geben dem Autor selber überlassen bleibe.
Gluvia geniculata C. L.Koch stimmt mit Gluvia fur- cillata E. Sim. im Zahnbau ziemlich überein, kann aber wegen der Dreigliedrigkeit der Tarsen des hintersten Bein- paares weder in die Gattung Gluvia im Sinne der Koch'- schen Diagnose, noch zu Gluvia Sim. gehören. Nach meinem Dafürhalten wäre sie mit Gluvia striolata Koch in der Gattung Cleobis Sim. unterzubringen, worauf schon der allgemeine Habitus, der vorn vorgezogene Kopf, die compresse Form der Schenkel IV hindeuten.
Es entsteht hier nur noch die eine Frage, welche der von Koch unter Gluvia gebrachten Arten ist nun als Type seiner Gattung aufzufassen? Eine Frage, welche bei dem gegenwärtigen Stande der Kenntniss der Galeodi- den leider noch unentschieden bleiben muss, wenn man die Ergebnisse der Tabelle in's Auge fasst. Wenn Simon, indem er Gluvia fornicaria $ und cinerascens cT ^^ seine Gattung Datames brachte, der Natur entsprechend handelte, so müsste für Datames Sim. alsdann Gluvia (C. L. Koch) nach den Gesetzen stabiler Nomenclatur wieder eintreten und Gluvia Sim. durch einen neuen Namen ersetzt werden, vorausgesetzt, Gluvia elongata (C. L. Koch), an deren typischem Exemplare die Tarsen IV nicht mehr vor- handen sind, gehöre zu Gluvia im Sinne der Diagnose C.
Zur Kenntniss der Galcodidcu. 233
»
L. Koch's, und in der That scheint auch diese Art dahin zu gehören und zwar ein Datamcs Sim. zu sein.
Diese Zweifel sind, wie man einsieht, selbst mit Hülfe der Typen nicht lösbar und muss ich ihre Beseitigung der Zukunft überlassen. —
In seine Gattung JDatames (= ? Gluvia C. L. Koch, nee Sim.) bringt Simon von den Koch'schen Arten aus- ser den genannten noch Gluvia praecox und Gluvia gracilis. Gemäss der obigen Tabelle gehören aber beide Arten gewiss nicht dahin.* Praecox und gracilis bilden viel- mehr die Typen zweier neuen Gener'a: Gluvia gracilis unterscheidet sich von Cleohis Sim. nicht nur durch die Zweigliedrigkeit der Tarsen des dritten Beinpaares, son- dern noch dadurch, dass die Schenkel IV dünn, nicht compress, die Krallen II, III und IV sehr klein und fein, das mittlere zweite Tarsalglied IV so lang als das letzte (dritte) ist (cf. bei Cleohis PI. 3, Fig. 37 Simon's) sowie durch die einigermassen an Mummucia erinnernde Be- zahnung der Mandibeln, welche Merkmale in ihrer Ver- einigung eine eigene Gattung Zerhina zu bilden be- rechtigen.
Gluvia praecox zeigt Merkmale in der Tarsalbildung, welche keiner der von Simon aufgestellen Gattungen eigenthtimlich sind. Das typische Exemplar ist ein Männ- chen. Es stimmt in dem genannten Merkmal mit weib- lichen Exemplaren einer von Dongolah vorhandenen Galeo- dide überein, welche gleichwohl generisch von praecox verschieden zu sein scheint. Die genannten Arten charak- terisiren sich nun generell in folgender Weise:
Zerhina, nov. gen.
Tarsus 111^=2-, I V=3-articulatus ; cephalothorax antice rubrectus, tuber oculorum crassum; femora IV tenuia, non compressa, unguibus IL, III. et IV. paris pedum parvis et tenuibus, articulis tarsorum IV duobus ultimis aequa longi- tudine, in genere Galeodes tribus articulis versus apicem gradatim longioribus, in genere Cleohis medio brevissimo et annulari, primo et tertio aequa fere longitudine.
Spec. typ.: Z. gracilis (C. L. Koch) ?.
234 , F. Karsch:
Daesia, nov. gen.
Tarsus II et III — 2-, IV = 4- articulatus; metatar- sus pedum maxillarium subtus spiuosus (saltem in (/). Spec. typ.: D. praecox (C. L. Koch) J".
Bitofij nov. gen.
Tarsus II et III = 2-, IV = 4- articulatus; metatarsus pedum maxillarium non spinosus, pilis setiformibus longio- ribus et brevioribus circum vestitus (saltem in ?). Cepha- lothorax margine anteriore subrectus, paullo productus; pedes IV longi, femoribus latioribus compressis.
Spec. typ.: B. Ehrenbergii, nov. spec. $.
Es sei hier gleich die Diagnose einer neuen Gattung angereiht, über deren Verwandtschaft ich nicht ganz in's Klare kommen konnte, da die Tarsaltheile der Beine des vierten Paares nicht wohl alle erhalten sind.
GnosippuSj nov. gen.
Tarsus II et III = 1-articulatus ; tarsi pedum IV. paris articulus singulus tantum tenuis perlongus unguibus carens conservatus est. Coxae IV. paris pedum valde elon- gatae, femore vix breviores; mandibularum dens fixusantice furcatus, intus flagello brevi subsemilunari instructus.
Spec. typ.: G. Klunzinger% nov. spec. (^.
E. Simon beabsichtigte, gegenüber der „künstlichen" Eintheilung C. L. Koch's nach der blossen Zahl der Tar- salglieder, die weder von Gervais, noch von Dufour angenommen worden, eine „natürliche" Classification der Galeodiden zu liefern, indem er andere Merkmale, die bis- her vernachlässigt waren, in den Bereich seiner Unter- suchung zog, aber merkwürdigerweise gleichzeitig die Hauptmerkmale Koch's z. Th. verwarf; allein nach dem Ergebnisse der vorausgegangenen Untersuchungen ist die Zeit zur Schöpfung einer natürlichen Eintheilung noch lange nicht reif; es ist noch viel zu wenig bekannt und das Bekannte noch viel zu oberflächlich erforscht, und da- her möchte eine auf einfachste und möglichst wenige Merkmale gebaute, noch so künstliche Eintheilung practi-
Zur Kcuutniss der Galeodiden.
235
scheren und dadurch eben auch wissenschaftlicheren Nutzen haben, als alle auf ein viel zu ungenügendes Material auf- gebauten sogenannten natürlichen Classificationen. Simon hat allerdings Merkmale von Bedeutung hervorgehoben, die Koch und seine Nachfolger ausser Acht gelassen hat- ten, v^ie z. B. die Bildung des Augenhügels, den Bau der Respirationsöifnungen etc., allein er hat dafür andere wie- der unbeachtet gelassen, die ebenso wichtig erscheinen, z. B. die Tarsalbildung der Beine des zweiten und des dritten Paares. Dadurch leidet seine schöne und bahnbrechende Arbeit über die Galeodiden an einem entschiedenen Mangel, welcher in der nachstehenden Tabelle, auf der die mir nicht aus eigener Anschauung bekannten Gattungen mit einem * versehen sind, unangenehm auffällt. Diese Tabelle greift nämlich auf das ursprüngliche Eintheilungsprincip C. L. Koch's zurück.
Tarsalgliederzahl der drei hintern Beinpaare bei den Galeodidengattungen:
IL III. IV. Paar.
Solpuga Licht. |
4v |
4 |
7 |
(=Caerellia-\- Gaetulia Sim.) |
|||
*Zeria Sim. |
7 |
||
Daesia nob. |
2 |
2 |
4 |
Bit 071 nob. |
2 |
2 |
4 |
Galeodes (Oliv.) |
2 |
2 |
3 |
Zerhina nob. |
? |
2 |
3 |
Cleobis Sim. |
1 |
1 |
3 |
*Mummucia Sim. |
3 |
||
Gliwia Sim. |
1 |
||
(nee C. L. Koch |
j |
||
?in part. spec.) |
|||
Datames Sim. |
1 |
1 |
1 |
(= ? Ghwia C. L. |
|||
Koch). |
|||
Gylippus Sim. |
1 |
1 |
1 |
*Dinorhax Sim. |
1 |
||
Bhax Herrn. |
1 |
1 |
1 |
Ueooisopus Ka r s c h . |
1 |
1 |
1 |
{^Aellapus C. L.Koch.) |
|||
Gnosippus nob. |
1 |
1 |
? |
236 F. Karsch;
Man Übersieht sogleich, wie viel WisseDSwerthes die Tabelle noch zu wünschen übrig lässt.
Als Abschluss des ersten Theiles lasse ich nun eine Anzahl Thesen folgen, welche einige Angaben Simon's auf Grund der Koch'schen Galeodidentypen des Ber- liner Museums beleuchten, sowie auch das im voraufgehen- den weitläufiger erörterte kurz recapituliren :
1. Galeoäes leucoi^haeus C.L.Koch gehört als Männ- chen zu Galeoäes Scolaris C. L. Koch, welchem Namen die Priorität gebührt.
2. Solpuga jubata C. L. Koch ist eine von Gaetitlia setifera (Oliv.) Simon verschiedene Art, was aus der Ver- gleichung der Mandibularbezahnung und der Bildung des Flagellums beider ersichtlich ist.
3. Solpuga chelicornis Licht, gehört als Synonym zu Solpuga jubata C. L. Koch und nicht zu Gaetulia setifera (Oliv.) Simon; die Art muss also den Namen Solpuga chelicornis Licht. (1 796) führen. Solpuga africana Licht. ist eine phantasievolle weibliche Form derselben Art.
4. Gaetulia 'Vincta Sim. ist nicht identisch mit Sol- puga vincta C. L. Koch, sondern eine eigene Art, für die diQY ^2imQ Solpuga producta nov. nom. eintreten möge. Man vergleiche die Darstellung der männlichen Mandibeln beider. Solpuga hadia C. L. Koch ($), und rufescens id. ( $ ) sind wohl nur blosse Synonyma zu Solpuga vincta id. (^).
5. Zu Solpuga fatalis Licht., $, welche von Simon (cf. loc. cit. p. 106) als zweifelhaft bei Galeoäes unterge- bracht wird, gehört Solpuga lethalis C. L. Koch, cT und $, als Synonym.
6. Solpuga flavescens C. L. Koch ($) ist dem typi- schen Exemplare zufolge, an dem die Palpen einfarbig gelb sind, eine von Gaetidia nigripalpis (Du f.) Sim. verschie- dene Art; das cT dieser letzteren besitzt nach Simon's Zeichnung grosse Aehnlichkeit mit Solpuga fatalis h'K^ht;
Solpuga fusca (J", $), lateralis (cf ) und lineata C. L. Koch ((f) sind sehr leicht unterscheidbare Formen, wie die Darstellung der Mandibularbezahnung und des männ- lichen Flagellums veranschaulicht; die Type der Solpuga hirtuosa C. L. Koch besitzt das Berliner Museum nicht.
Zur Kenntniss der Galeodiden. 237
7. Solpuga Merope (Sim.) steht der Solpuga fusca C. L. Koch nahe; Soljnif/a dentatidens (^im.) der So^niga lateralis C. L. Koch.
8. Gluvia striolata C. L. Koch gehört nicht als Syno- nym zu Gluvia dorsalis (Latr.) Sim., sondern ist wahr- scheinlich ein Cleohis Sim.
9. Datames genimlatiis '^\m. hat mvi Gluvia geniciäata C. L. Koch nichts als den Namen gemeinsam; diese ist ein Cleohis Sim., jene Art muss einen neuen Namen erhalten.
10. Gluvia praecox und gracilis C. L. Koch fallen vollständig aus dem Rahmen der Gattung Gluvia im Sinne ihrer Definition; jede von ihnen bildet den Typus eines neuen Genus, das von Datames Sim., in welche Gattung- Simon beide Arten bringt, durch viele Merkmale ge- trennt ist.
11. Gluvia formicaria C. L. Koch möchte das $ der Gluvia einer ascens C. L. Koch darstellen, in welchem Falle der letztern Benennung die Priorität gebührte. — Gluvia formicaria^ cinerascens und elongata C. L. Koch, möchten sammt und sonders der Gattung Datames Sim. angehören, in welchem Falle Gluvia (C. L. Koch) dafür eintreten und Gluvia Sim. einen neuen Namen erhalten muss gemäss den Gesetzen stabiler Nomenclatur.
12. Rhax impaxida C. L. Koch ist ein echter (junger) Bhax Herrn., kein Dinorhax, wie Simon loc. cit., p. 124) verrauthet.
13. Die in Stett. Entomol. Ztg. XL, 1879, p. 108, Nro. 7 beschriebene Gluvia Martha $ , muss in der Gattung Cleohis ^im. ihren Platz erhalten; daselbst wurde p. 109 bereits für AHlopus C. L. Koch (Hübner, Lep., 1816) der Gattungsname Hexisopus vorgeschlagen.
IL Neue oder minder bekannte Galeodiden.
1. Solpuga niassaj n. sp., </.
Eine der Solpuga vincta C. L. Koch (nee. Gaetidia vincta Sim.) ähnliche Art, aber auffallend grösser, stäm-
238 F. Karsch:
miger und mit abweichendem Bau des männlichen Flagel- him. Dieses ist etwas cylindrisch, kurz, über dem zweiten Zahne eingelenkt, oben glatt, unten seitlich etwas gekerbt. Leibeslänge über 30 mm, Beine sehr lang und stämmig. Leibesfarbe gelbbraun, die Behaarung der Beine ist kurz, wie es scheint indessen etwas abgerieben. Im Uebrigen trägt die Art wie die folgenden die Charaktere des Genus. — Vom N'yassi. — Typ.: M. B.
2. Sölpuga nasuta, n. sp., t», q.
Das Männchen dieser Art, zu dem ich das Weibchen nur fraglich stellen kann, zeigt grosse Aehnlichkeit mit der mir nicht aus der Anschauung bekannten Gaetulia acicidata Sim., obwohl durch Bildung des Flagellums und die Bezahnung der Mandibeln leicht unterscheidbar. Das Flagellum zeigt nämlich oberhalb der bogigen Endkrüm- mung einen scharfen, nach hinten gerichteten Zahn, wäh- rend die umgebogene Spitze selbst viel weniger stark ausgeschweift und weit weniger fadenförmig erscheint als bei acicidata; der bewegliche (untere) Mandibularfinger trägt überdies nicht 3, sondern nur einen einzigen abge- rundeten Zahn, der unbewegliche (obere) 4 stark hervor- ragende spitze, .je 2 und 2 getrennt; hinter dem vordersten Zahn erhebt sich oberhalb das in seiner Länge dem der aciculata entsprechende Flagellum. Leibeslänge ca. 25mm, Leibesfarbe gelbbraun, die Beine mit sehr langer gelblicher glänzender Behaarung. — Das grössere Weibchen von ca. 50 mm. Leibeslänge zeigt im Zahnbau Abweichungen, welche, obwohl beide Exemplare von derselben Oertlich- keit und demselben Sammler stammen, einen Zweifel an der Identität beider aufkommen lassen; der obere Finger trägt 3 starke, abgerundete wulstartige Höcker, deren hin- terster am dicksten ist und fast dreitheilig erscheint; diesem entspricht am unteren Finger eine von 2 erhabenen Wulst- höckern begrenzte Vertiefung. Das einzige Exemplar ist sehr beschädigt. — Von Zanzibar (Hildebrandt). — Typ.: M. B.
Zur Kenntniss der Galcodiden. 239
3. Solpuga SchwcmfiirtJiij n. sp., ^, o.
Auch diese Art ist der Solpuga aciculata (Sim.) ver- wandt in Bildung des Flagellum, gehört aber in die Ab- theilung von producta nob. {vincta Sim.) und setifera (Oliv.) Sim. Das in seiner Länge dem der aciculata gleiche Flagellum zeigt an seinem hintern Ende nur eine einfache Biegung nach unten, ohne sich wieder aufwärts zu krümmen. Die 4 vorderen Zähne des oberen Fingers der Mandibeln sind überdies länger und spitzer, der vierte der stärkste, der dritte am schwächsten. — Das Weibchen zeigt im Zahnbau keinerlei Abweichung. — Die Leibes- länge beträgt 30—36 mm, die Giimdfarbe ist scherbengelb, über die Oberseite der Mandibeln verlaufen je 2 braune Längsstreifen und das Abdomen zeigt im Alkohol ein schwärzliches verwaschenes Mittellängsband. — Aus Djur, in Hütten (Schweinfurth). — Typ.: M. B. • -
4. Solpuga scopulata^ n. sp., n.
Die vorliegende, nur in einem weiblichen Exemplare vorhandene Art würde ich hier zu beschreiben unterlassen, wenn dieselbe nicht Merkmale böte, welche eine Wieder- erkennung als möglich erscheinen Hessen. Denn es kann nur zu fast unlösbaren Verwirrungen führen, wenn man Arten auf ein Geschlecht gründet, das, wie die Weibchen der Galeodiden, ganz im Gegensatze zu ihren meist sehr leicht unterscheidbaren Männchen, nur schwer zu ermit- telnde und manchmal der Variabilität unterworfene Eigen- schaften darbietet.
Die Art ist besonders dadurch charakterisirt, dass die Mandibeln und der Kopftheil mit schwarzen Haaren bekleidet, die Palpen an der Tibia oben und innen, am Metatarsus und Tarsus ringsum mit kurzen, weichen tief- schwarzen Haaren scopulaartig bekleidet erscheinen. Der obere Mandibularfinger trägt 4 starke Zähne, deren zweiter am längsten, deren dritter der kleinste ist ; der untere be- wegliche Finger zeigt zwei starke, spitze Zähne und einen kleinen an der vorderen Basis des hinteren. An dem einen Mandibel, nicht aber am anderen, ist der vorderste
240 F. Karsch :
Zahn des unteren Fingers an der Spitze deutlich getheilt.
— Die Leibeslänge beträgt ca. 50 mm. — Die Leibesfarbe ist (lunkelscherbengelb, nur den Abdominalrücken zeichnet ein tiefschwarzes, breites Längsband. — Von Hantam (Dr. Meyerj. — Typ.: M. B.
5. Cleohis Cuhae (Luc), $, cf. Simon, loc. cit., pp. 140—141, 3.
Das Männchen ist bislang unbekannt geblieben. Das Berliner Museum besitzt es von der Insel Cuba. Die Be- zahnung seiner Mandibeln, sowie die Form des Flagellums ist Tafel X, Fig. 22 dargestellt. Andere wesentliche Un- terschiede vom Weibchen ergeben sich nicht.
6. Biton Ehrenhergiy n. sp., $.
Da die Art einer neuen Gattung angehört, Männchen dieser Gattung aber keine vorliegen, so bleibt nichts übrig, als auf das Weibchen allein die typische Art der Gattung Biton zu begründen. Der Kopf ist vorn nicht vorgezogen, sehr viel breiter als hinten, der Augenhügel ziemlich hoch und breit, unregelmässig borstenhaarig; die Mandibeln wie bei Solpuga geformt und in der Bezahnung ohne ge- nerelle Besonderheit. Die Palpen tragen eine ziemlich lange, nicht sehr dichte, steife Behaarung, mit einzelnen sehr langen Haaren untermischt; der Tarsus ist ziemlich lang und deutlich abgesetzt, an der Basis etwas stielförmig verdünnt. Die Tarsen des zweiten und dritten Beinpaares bestehen aus zwei Gliedern, deren vorderes fast doppelt so laug, als das Endglied ist; der Metatarsus führt ringsum Stachelborsten, während derselbe am vierten Beinpaare nur 2 Paare solcher in der Endhälfte unterseits führt; an die- sem Paare ist der Schenkel compress, an Cleohis Sim. erinnernd, der Tarsus entschieden viergliedrig, die beiden Mittelglieder ringförmig, klein, das Endglied fast nur halb so lang als das Grundglied. Die Fussklaueu sind wie ge- wöhnlich bei Solpuga gestaltet, schlank und ziemlich kräftig. — Die Leibeslänge schwankt zwischen 20—26 mm.
— Die Leibesfarbe ist lehm- bis scherbengelb, ohne sonderliche Auszeichnung.
Zur Kenntniss der Galeodiden. 241
Von dieser Art liegt ein trockenes $ Exemplar aus Tor, Arabien, vonEbrenberg gefunden, vor, ein weiteres weiblicbes Exemplar in Alkohol mit „Syrien" und „Egyp- ten" fraglieb bezeichnet, ebenfalls von Ehrenberg, sowie mehrere Weibchen aus Dongolah (Nubien) von Hart mann im Berliner Museum.
7. Gnosippus Klunmnger% n. sp., J".
Diese leider nur in einem männlichen Exemplare vor- liegende Form zeigt dadurch besonders eine sie von allen bekannt gewordenen Arten sofort unterscheidende Beson- derheit, dass das dem kleinen Trochanter voraufgehende Grundglied der Beine des hintersten Paares eine auffällige Verlängerung erlitten hat und zwar nur um weniges kürzer als der entsprechende Scheukeitheil ist; das Grundglied misst im vorliegenden Falle 6, das Schenkelglied kaum 7 mm, die Tibia 6,5, der Metatarsus ca. 5, 5, das erste (allein noch erhaltene, klauenlose) Tarsalglied ca. 3 mm. Die Leibeslänge beträgt mit Einschluss der Mandibeln ca. 20 mm. Die Mandibeln zeigen eine ein wenig mehr com- presse Form, als gewöhnlich bei Solpuga z. B., und erin- nern dadurch mehr an Cleohis. Die Beine des vordersten Paares sind sehr lang und dünn, fast fadenförmig und viel länger als die des zweiten Paares. Der Kopf ist vorn ziemlich gerade, nicht vorgezogen, in der Rückenmitte der Länge nach gefurcht, der Augenhügel niedrig, schmal, die Augen ziemlich nahe beisammen; der obere Mandibular- finger zeigt an der Spitze eine kurze Gabelung, welche aus einem äusseren, spitzeren und einem inneren, stumpfen Zahn besteht; am Innenrande trägt er zwei getrennte, grössere Zähne, über dessen hinterem das bewegliche, flache, kleine, fast halbmondförmige Flagellum angeheftet ist, und im hinteren Theile noch drei kleinere Zähne; der untere Finger besitzt drei sehr lange, starke, spitze Zähne, von denen der vorderste etwas geschwungen erscheint. — Das zweite Abdominalsegment ist durch den Besitz langer Bauchfäden, analog den von E. Simon bei Galeodes und Ghwia Sim. (loc. cit., p. 103) entdeckten Gebilden aus- gezeichnet.
Archiv f. Natnrg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 16
242 F. Karsch:
Herr Dr. Klunzinger hat die merkwürdige Art, die sich, da die Extreraitäten nicht alle wohl erhalten sind, im System nicht mit Bestimmtheit unterbringen lässt, in Aegypten entdeckt. Das beschriebene, in Alkohol conser- virte Exemplar wird im Berliner Museum aufbewahrt.
8. Gylippus quaestiuncuhis, nov. sp , ^.
Die in nur einem männlichen Stücke vorliegende Form zeigt nur wenige, aber auffällige Abweichungen von der bis nun einzig bekannten Art der merkwürdigen Gat- tung, dem Gylippus syriacus Sim. Die Leibeslänge beträgt 18 mm, die Leibesfarbe ist ein dunkles Scherbengelb. Die wesentlichsten specifischen Unterschiede von der verwandten Art bestehen in folgenden Merkmalen: 1) An den Maxil- larpalpen ist der Metatarsus (Tarsus Bertkau's) nach dem Ende hin keulenförmig verdickt, das Schienenglied ist in der Mitte am dicksten und der Schenkeltheil trägt am untern Innenrande starke, in einer Längsreihe geord- nete gelbe Stachelborsten. 2) Der eigenthümliche Anhang unbekannter Function des unbeweglichen, oberen Fingers der Mandibeln tritt stark hinter die Spitze des Fingers zurück, ist senkrecht nach oben gerichtet und hat, von vorn und hinten gesehen flach, von der Seite gesehen genau die Form eines Fragezeichens im halbtransparenten oberen Theile, während die transparente Basis stark nach hinten verlängert erscheint. — Kübek (Leder er). — Typ.: M. B.
Erklärung der Figuren auf Tafel X.
Fig. 1. Solpuga chelicornis Licht, {jiibata C. L. Koch). ^. Mandibel mit dem Flagellura: linker aussen.
Fig. 2. Solpuga vincta C. L. Koch (nee. Sim.), ^; 2a. $. Mandibel: rechter aussen ^, linker aussen $.
Fig. 3. Solpuga fatalis Licht, (letalis C. L. Koch). ^. Mandibel : rechter aussen.
Fig. 4. Sölptiga flavescens C. L. Koch. $. Mandibel: rechter aussen.
Zur Kenntniss der Galeodiden. 243
Fig. 5. Solpuga fusca C. L. Koch. ^,h?L. 5. Mandibel: links aussen.
Fig. 6. Solpuga lateralis C. L. Koch. ^. Mandibel: linker aussen.
Fig. 7. Solpuga Uneata C. L. Koch. ^. Mandibel: linker aussen.
Fig. 8. Solpuga badia C. L. Koch. ^. Mandibel: linkerinnen.
Fig. 9. Solpuga rufescens C. L. Koch. $. Mandibel: rechter aussen.
Fig. 10. Solpuga niassa Kar seh. (-^. Mandibel: rechter aussen.
Fig. 11. Solpuga nasuta Kar seh. ^ ; IIa, $. Mandibel; linker aussen.
Fig. 12. Solpuga Schweinfurthi Kars eh. ^. Mandibel: linker aussen.
Fig. 13. Solpuga scopulata Kar seh. $. Mandibel: rechter aussen; 13a. erstes Bauchsegment.
Fig. 14. Gluvia striolata C. L. Koch. $. Mandibel: linker innen; 14a. Kopfumriss.
Fig. 15. Gluvia geniculata C. L. Koch. $. Mandibel: rechter aussen.
Fig. 16. Daesia praecox (L. C. Koch). ^. Mandibel ge- schlossen: rechter aussen; a. rechter innen, bei geöffnetem Mandibel 16b. rechter innen, 16c. rechter aussen.
Fig. 17. Zerbinagracilis (C. L. Koch). $. Mandibel: linker aussen. 17a. Kopfumriss; 17b. Tarsus IV.
Fig. IS.Gluvia formicaria C. L. Koch. $. Mandibel : linker aussen.
Fig. 19. Gluvia cinerascens C. L. Koch. ^. Mandibel : rechter aussen.
Fig. 20. Gluvia elongata C. L. Koch. </. Mandibel: rechter aussen; 20a. Kopfumriss.
Fig. 21. Gleobis Martha Kar 8 eh. Q_. Mandibel: rechter aussen.
Fig. 22. Cleobis Cubae (Luc.) ^. Mandibel: rechter aussen ; 22a. rechter innen mit Flagellum.
Fig. 23. Biton Ehrenbergii Kars eh. $. Mandibel: linker aus- sen; 23b. Tarsus III; 23c. Tarsus IV.
Fig. 24. Gnosippus Klunzingeri Kar seh. (^. Mandibel : rechter innen mit Flagellum; 24a. aussen; '24b. linker innen; 24c. Spitze des linken festen oberen Mandibularzahns von unten gesehen, 24d. Flagellum vergrössert; 24e. Bein IV.
Fig. 25. Gylippus quaestiunculus Kar seh. (^ . Mandibel: linker aussen.
Zur Kenntniss der Tarantuliden.
Von
Dr. F. Karsch
in Berlin. Hierzu Tafel X, Fig. 26.
lieber meine in diesem „Archiv" Bd. XLV, 1, 1879, pp. 189—197 abgedruckte „neue Eintheiiung der Tarantu- liden (Pbrynidae aut.)" bat sieb Artbur Gardiner Butler in einem kurzen Aufsatze, betitelt „Respecting a new Distinc- tion between tbe Species of tbe Genus Pbrynus of Autbors" in Ann. and Mag. of Nat. Hist., 5. ser., IV, 1879, Oct., no. XXII, pp. 313—316, auf Grund des im Britisb Museum befindlicben reicben Materiales ausgesprocben, indem er zu dem Resultate gelangt, icb müsse entweder den Metatarsus (Tarsus Bertkau's) als ein viertes Tibialgliedbei meiner Gattung Cbaron aufgefasst baben, in welcbem Falle die Gattung Phrynichus nur auf dem Papiere existire; oder es sei das nicht der Fall gewesen, und dann höre Charon auf zu ex i stiren; und dieser letztern Auffassung pflichtet er mit voller Ueberzeugung bei. Seine ganze Besprechung hat nur die einzige Bemerkung von entschiedenem Werth aufzuweisen, dass nämlich „Fhrynus Grayi^' Gervais' ge- mäss dem typischen Exemplare im British Museum nur ein einziges Hinterschienenglied besitze. Im Falle diese Angabe richtig wäre — was ich nicht umhin kann, mit Entschiedenheit zu bezweifeln, — so gehörte „Phrynus Grayi^^ Gervais allerdings in die Gattung Dämon nob., wohin auch Butler sie stellt. Wenn aber Butler weiter folgert, die Gattung Charon müsse eingehen, so ist das durchaus unlogisch, denn sie ist auf Phrynus medius
F. Kar seh: Zur Kenntniss der Tarantiiliden. 245
Hoeven begründet, und von Hoevens Abbildung eines Beines des vierten Paares seines Phrynus medms, den er irrtbümlicb mit Fhalangium medium Herbst idcntificirte, bat Butler offenbar keine Notiz genommen, wie er über- baupt keinen Repracsentanten dieser Gattung als solcben erkannt bat. Wenn icb Phrynus meclius Hoeven mit Phrynus Grayi Gervais fälscblicb identificirte, so verfübrte dazu erstens die, abgeseben von den Verbältnissen der Tibialtbeile des bintersten Beinpaares, deren Gervais überbaupt nicbt Erwäbnung tbut, genau übereinstimmende Bescbreibung; zweitens die gleiche Herkunft (Manilla), drittens der Umstand, dass ein mit Embryonen gefülltes Exemplar, welcbes mit den mir vorliegenden trockenen Exemplaren genau übereinstimmt, von Herrn Prof. Dr. Gerstaecker als Phrymts Grayi bestimmt und (in natur- forscb. Freunde, 18. März 1862) besprochen worden war. Sollte Phrynus Grayi Gerv. im Naturzustande wirklieb nur ein Hinterscbienenglied an den Beinen des bintersten Paares besitzen, also ein Dämon sein, so müsste für Charon medius (Hoeven) nob. einfach nur ein neuer Artname geschaffen werden, etwa Charon Hoeveni, und dieser (mit dem Synonym: Phrynus medius Hoeven) würde den Ty- pus der Gattung Charon nob. repräsentiren. Dies wäre das einzige, den Grundsätzen der Logik entsprechende Verfahren !
Indem icb mit der Absicht umging, eine Monogra- phie der Gruppe der Tarantuliden, zu der alle Vor- arbeiten bereits fertig vorliegen, auszuarbeiten, bin icb von der Ausführung meines Vorhabens durch Butler's Aufsatz wieder zurückgekommen, indem ich einsehe, dass das mir vorliegende Material dazu nicht ausreicht. Icb kann es daher nur bedauern, wenn Butler^ dessen Aufstellung von Phrynus Kochii auf Phrynus medius C. L. Koch *als einer von Phalangium medium Herbst verschiedenen Species icb bereits in der genannten „Eintheilung" (p. 196) als unmo- tivirt antastete, diese seine Ansicht ohne weitere Motivirung (loc. cit. p. 314) ganz unverändert beibehält, eine Methode, durch die man um keinen Schritt weiter kommt. —
Will man die von mir zu generellen Scheidungen
246 F. Karsch:
benutzten Merkmale nicht als zu solchen ausreichend gelten lassen, so ist das allerdings eine Frage, über die sich streiten lässt. Dass Ausnahmen von der Regel vorkommen, welche als Hemmungsbildungen füglich bezeichnet werden mögen, habe ich selbst bereits in der Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften von Giebel, LH, 1879, pp. 369—370 hervorgehoben, woselbst sogar dreier besonderen Fälle Erwähnung gethan wird. Der dort geschilderte Fall betrifft Dämon medius (Herbst), indem an einem Exemplare das eine Bein des vierten Paares normal gebildet ist, d. h. ein Hinterschienenglied mit deutlicher Abschnürung zeigt, während das andere Bein desselben Paares ein solches nicht besitzt. An diesem Exemplare sind indessen die entsprechenden Theile auf beiden Seiten fast von gleicher Länge, was bei dem von Tarantula palmata (Herbst) aus Central- Amerika vorlie- genden Falle nicht stattfindet; hier misst die linke, der Hinterschienenglieder ermangelnde Tibia ca. 13, die rechte ca. 13,5 mm und das erste Afterglied dieser 2, das zweite 4 mm. Schon Blanchard hat auf die Längendifferenz dieser Tibialafterglieder bei Tarantula (Fabr.) auf- merksam gemacht und diese Beobachtung erscheint inso- fern von Wichtigkeit, als eine dritte Monstrosität an einer Art der Gattung Charon, die ich für identisch mit Phrynus Grayi Gerv. hielt, mir bekannt geworden, welche darin besteht, dass die drei Hinterschienenglieder des einen Beines des vierten Paares normal entwickelt, also von ziemlich gleicher Länge sind, während an dem anderen entsprechen- den Beine nur zwei Hinterschienenglieder sich finden, von denen das vordere, ganz im Gegensatze zu Tarantula^ doppelt so lang ist als das hintere, also gewissermassen aus einer Verwachsung der zwei vorderen normalen Seg- mente besteht. In diesem Falle kann man also nicht wohl von einem Ueb ergange der Gattung Charon in die ver- wandteste Gattung Tarantula reden und deswegen scheint mir diese Hemmungsbildung von besonderem Interesse zu sein. Ich darf also demgemäss auf meiner schon ausge- sprochenen Behauptung bestehen, „dass die von mir sogenannten Hinterschienenglieder thatsächlich als
Zur Kenntuiss der Tarantuliden. 247
Schieiieu- und nicht etwa als Tarsalgliedcr** (oder Metatars alt heile) „anzusehen sind". Und wenn ich auf das Vorhandensein und Nichtvorhandensein von bei ver- schiedenen Tarantuliden-Formen in constant verschiedener Zahl und in constant abweichenden Verhältnissen vorkommen- den Hinterschienengliedern verschiedene Gattungen baute ; so geschah dieses vorzugsweise aus dem Grunde, weil diese den Hinterschienengliedern der Tarantuli- den entsprechenden Segmente meines Wissens in keiner der übrigen Arachnidengruppen sich wie- derfinden. Wenn, fragt man sich, die Theilungsfähigkeit der Schiene sich auf die Beine des vierten Paares bei den Tarantuliden beschränkt und analoge Theilungen der Schiene in allen anderen Arachnidengruppen vermisst werden, sollten dann, wenn Ausnahmen und Abweichungen bei einem Individuum einseitig oder bei Indivi- duen derselben Art sich vorfinden, dieselben nicht aus Bildungsgesetzen sich herleiten lassen, welche ganz unab- hängig sind von den Gesetzen, nach denen die Bildung des Begriffes der Art oder der Gattung erfolgt, d. h. sollten derartige Abweichungen mehr als eine blos individuelle anormale Bedeutung beanspruchen? Warum kommen denn bei den, den Tarantuliden nächstverwandten Arachniden, bei den Telyphoniden, keine solche Schienenthei- lungen vor? Und warum sind solche Abweichungen eine so grosse Seltenheit, dass unter mehreren hundert Exemplaren, die zur Untersuchung mir vorgelegen haben, nur drei sich fanden, welche durch einseitige Abweichung vom aufgestellten Typus einen Zweifel an der Gesetzmäs- sigkeit desselben aufkommen Hessen? — Es könnte aber immer auch noch die' Möglichkeit vorliegen, dass das von Gervais als Phryniis Grayi beschriebene typische Stück gleichfalls einer den beschriebenen Monstrositäten analogen Hemmungsbildung unterworfen gewesen, oder, falls das Exemplar trocken conservirt wird, ein Artefact mit gefälschten Beinen des vierten Paares sei, wie solche in trockenen Sammlungen sehr häufig sich vorfinden; aller dieser Möglichkeiten scheint Butler nicht im geringsten gedacht zu haben, — so dass ich meine Zweifel betreffend
248 F. Kar seh:
die Richtigkeit seiner Angabe, Phrynus Grayi Gerv. be- sitze an den Beinen des hintersten Paares nur je ein Hinterschienenglied, sei also ein Dämon (C. L. Koch) Kar seh, nur wiederholen kann.
Gemäss den erwähnten Ausnahmefällen lässt sich noch ferner das Gesetz aufstellen, dass bei den Tarantuli- den in der Anzahl der Tibialglieder wohl eine Reduktion aber keine Vermehrung vorkommt, dass solche Bildungen echte Hemmungsbildungen sind und dass Phrynichus die niedersten, Charon die höchstentwickelten Ta- rantuliden formen umfasst, eine Auffassung, welche selbst ohne Kenntniss der Funktion und des Zweckes jener eigenthümlichen Afterglieder gerechtfertigt erscheint.
Wie gewagt im übrigen Butler in seiner Synonymie bisweilen verfährt, möge ein recht auffallendes Beispiel darlegen. Er identificirt z. B. „FJirynus mexicanus^^ Bili- mek aus den Höhlen von Cacahuamilpa mit ^.FJmjnus pal- matus^' Herbst; wohl nur deshalb, weil beide in Mexico gefunden wurden, denn nach Bilimek's Beschreibung ge- hört die Art nicht zur Gsiünng Taranüda (Fabr.) nob., sondern zu Phrynichus nob., indem Bilimek ein Bein des zweiten Paares beschreibt und ausdrücklich hinzulügt „im gleichen Verhältniss sind auch die hinteren zwei Fusspaare gebaut." Mit welchem Rechte wird also diese Identificirung ohne Fragezeichen vorgenommen? Die Palpen, welche bestimmte Kennzeichen zur Erkennung der Art bieten, ge- ben nach Bilimek's Darstellung kein genügendes Bild; gehörte das Thier zu Tarantula, so könnte es ebensowohl mit T. coronata {Bnt\.\ als mit T. palmata (RQYh^t) iden- tisch sein.
Selbst auch angenommen, „Phrynus ^nedius^'EoQVQn sei von Ho even fälschlich mit 4theiliger Tibia IV abge- bildet und beschrieben worden, so würde als Repräsentant der Gattung Charon immer noch „Phrynus australianus^^ L. Koch bestehen und die neue Gattung als solche auf- recht erhalten bleiben. In der Tarantuliden-Sammlung des Herrn Grafen E. Keyserli ng, von der derselbe so freund- lich war, mir Einsicht zu gewähren, befindet sich eine Tarantulide mit folgender Signatur: „Phrynus. Perty, del.
Zur Kenntniss der Tarantuliden. 249
au. artic, Commuuiquee, par M. Gu^rin-Mencvillc ä M. Wan- der Hoeven et qui'l est prie de lui renvoyer quand il n'en aura plus besoiu. — Bresil." Leider ist das Exemplar so sehr ruiuirt, dass es keineu Aufschluss mehr gewährt, ob es zu den Exemplaren gehören könne, welche Hoeven bei der Darstellung seines nach meinem Dafürhalten mit ,,Phrynus Grayi^^ Gerv. identischen Phrynus medius hat vor Augen haben können.
Die Bildungsweise der Glieder der Beine des vierten Paares bei den vier von mir aufgestellten Gattungen zu veranschaulichen, sind auf Tafel X, Figur 26, die betref- fenden Theile abgebildet und besonders bezeichnet worden. Figur 1 stellt den Typus für Phry nichts ohne Hinter- schienenglied dar nach dem typischen Exemplare des ,,Phrynus ceylonicus'^ C. L. Koch im Berliner Museum. In Figur 2 ist zwischen Schiene und Metatarsus (Tarsus Bert- kau's) ein Afterglied (Pt.=Posttibia) eingeschoben, den Typus von Bmnon medius (Herbst) darstellend. In Figur 3 beträgt die Zahl dieser Hinterschienenglieder zwei, von denen das erstere das bei weitem kürzere ist, den Typus von Tarantida pumüio (C. L. Koch) darstellend. Nur an einem sehr grossen Exemplare der Tarantida palmata (Herbst) von Portorico ist das vordere Afterglied der Schiene auffallend verlängert, gleichwohl aber immer noch kürzer als das hintere. Figur 4 endlich ist ein Hinterbein von CJiaron und zwar von jener Art, die mit Phrynus medius Hoeven (nee Herbst) identisch ist und die ich auf Phrynus Grayi Gerv. deuten zu müssen glaube; Hinterschieneuglieder sind hier drei vorhanden.
lieber Lacerta oxycephala Fitzinger und Lacerta judaica Camerano.
Von
Dr. J. von Bedriaga,
in Heidelberg.
Hierzu Tafel XI.
I. Lac. oxycephala Fitz.
Eine der grössten Seltenheiten in unseren Sammlungen ist zweifelsohne Lacerta oxycephala Fitz. Nicht nur wird sie in manchem grossstädtischen Museum vermisst, sondern auch von Vielen nicht als gute Species anerkannt oder auch gar überhaupt nicht gekannt. Dieses mag theilweise darin liegen, dass einerseits das Vorkommen dieser Eidechse sehr beschränkt ist, andererseits, dass sie grosse Aehn- lichkeit mit Lacerta muralis var. neapolitana m. besitzt und mit dieser wohl häufig verwechselt wird umsomehr, da die herpetologische Literatur uns auffallend spärliche Beschrei- bungen von ihr bietet. Während Mauer-, Smaragd-, Zaun- und andere Eidechsenarten unzählige Male in allen euro- päischen Sprachen diagnosirt worden sind, besitzen wir meines Wissens nur vier mehr oder weniger ausführliche Be- schreibungen der Lacerta oxycephala. Die erste datirt von 1839, die letzte (welche überhaupt die erste ist, die je in deutscher Sprache erschienen), vom Jahre 1875. Dass diese sämmtlichen Beschreibungen, deren Autoren ich sogleich namhaft machen werde, uns nicht vollständig befriedigen und schwerlich dem nicht genügend routinirten Herpeto-
V. Bedriaga: Ueber Lacerta oxycepbala Fitz. u. judaica Cam. 251
logen, geschweige denn einem Laien, leicht fassbare Kenn- zeichen bieten, nach denen man die oxycephale Eidechse sofort als solche erkennen könnte.
Aus der Fanna Italica*) des Prinzen von Canino ersehen wir, dass Lacerta oxycephala von Dumeril und Bibron, den Autoren der Erpetologie generale, fälsch- licherweise Schlegel zugeschrieben worden ist. Dieser Irrthum wurde von den späteren Herpetologen trotz des Hinweises Bon apart e's systematisch begangen. Fitzinger war es, der unsere Eidechse zum ersten Male als ,,Lacerta oxycephala^ ^ in den mir leider unzugänglichen Annalen des Wiener Museums der Naturgeschichte anführte. Darauf hin erhielt Schlegel eine Anzahl dieser Thierchen aus Dalmatien, etiquettirte sie im Museum zu Leyden als ,f Lacerta oxycephala^ ^ und übermittelte zwei Exemplare an Dumeril und Bibron, welche dieselben, sowie drei aus Corsika stammende spitzköpfige Eidechsen einer näheren Untersuchung unterworfen und in der generellen Herpeto- logie (Band V. S. 235) beschrieben haben.
In seiner, ein Jahr darauf in den Memorie della Acca- demia di Scienze di Torino, Serie IL Tom. IL 1840, er- schienenen Uebersicht der Amphibien Europas führte Bona- parte die oxycephale Eidechse mit Bedenken an. Erst in der Iconografia della Fauna Italica wird sie von ihm als gute Species anerkannt und zwar auf Grund seines Bekanntwerdens mit der aus Corsika stammenden Lacerta oxycephala. Die ziemlich dürftige Beschreibung Bona- p arte's ist von einer schlecht gelungenen Abbildung und einem missrathenen Versuche Synonyme der Lacerta oxyce- phala zu entdecken, begleitet.
Im Jahre 1874 wurde die in Rede stehende Lacerta wiederum in italienischer Sprache und zwar von dem grössten der jetzt lebenden Herpetologen Italiens, deBetta nach dalmatinischen Exemplaren beschrieben^ ).
Viel präciser behandelt dagegen Schreiber die
1) Bd. IL Anfibi. Roma 1832—1841.
2) „Fauna d'Italia", Parte IV. Rettili ed» Anfibi. Milano 1874, (L'Italia sotto l'aspetto fisico, storico, artistico e statistico.)
252 J. V. Bedriaga :
Lacerta oxycephala in seiner, ihrer Ausführlichkeit halber, einzig und allein dastehenden Beschreibung. Dem Verfasser der Herpetologia europaea stand, wie wir seinen eigenen Worten entnehmen, ein reiches, jedoch nur aus Dalmatien und Spanien stammendes Material zu Gebote.
Dass Lacerta oxycephala in Spanien vorkommt, war bis dahin nur eine Vermuthung von Gray; auch können wir nicht mit Sicherheit annehmen, dass die unter dem Namen „Zootoca oxycephala^'' in dem Catalogue of the speci- mens of Lizards in the British Museum (London 1845) figurirende Eidechse wirklich eine spitzköpfige Lacerta ist. Ich führe hier Gray's eigene Worte an, um zu zeigen, dass meine Zweifel darüber nicht unbegründet sind. ,jZoo- toca oxycephala.^' Spain or Madaira? Temple covered with small swollen scales, with a large central one ; dorsal scales oval, rather convex; ventral shields 6— rowed."
Diese Angabe Gray's dürfte manchem Herpetolog ebenso wenig bekannt sein wie diejenige Graells über das Vorkommen der Lacerta oxycephala in Spanien*), welche in einem mir unbekannten, muthmasslich spanischen Werke sich befindet.
Ausser den drei für Lacerta oxycephala sicher consta- tirten Wohngebieten — Dalmatien, Corsika und Spanien — werden deren noch zwei von Schreiber (1. c.) genannt. Dies sind die Abruzzen (gestützt auf Dehne's 2) Angaben) und Constantinopel. — Was das Vorkommen der oxyce- phalen Eidechse in den Abruzzen anbelangt, so wäre es leicht möglich, dass dies der Fall sein könnte, denn es wäre höchst sonderbar, wenn in Corsika und Dalmatien zugleich constatirte Thiere in Italien vermisst würden. In meinen herpetologischen Studien^) habe ich bereits die Gründe angegeben, wesshalb Lacerta oxycephala in dieser
1) Vergl. Bosca, Catalogo de los reptiles y aiifibios observa- dos en Espana, I'ortugal e islas Baleares (Anales de la sociedad espanola de Ilistoria natural, t. VI, 1877.)
2) Verzeicliniss derjenigen Reptilien, welche Dr. Rabenhorst im Jahre 1847 in Italien gefunden (AUg. deutsche naturh. Zeitg. 11, 1856).
3) Archiv für Naturg. XLV. I. Bd. S. 315.
Ueber Lacerta oxycephala Fitz. u. judaica Cam. 253
oder jener Gegend von Einigen gesehen und gefangen, von Anderen aber ohne Erfolg gesucht worden ist. Noch im vergangenen Sommer hat mich eine briefliche Mitthei- lung des Herrn Prof. Brusina in Agram (eines Kenners der dalmatischen Fauna) davon überzeugen können, dass Lacerta oxycephala selten und nur stellenweise angetroffen wird. Auf meine an Prof. Brusina gerichtete Bitte, mich mit dalmatischen spitzköpfigen Eidechsen zu versorgen, erhielt ich Kunde, dass nur ein einziges Exemplar dieser Art von ihm gefangen worden ist. Wenn wir bedenken, dass üalmatien von Naturforschern und Thierhändlern sehr häufig durchkreuzt wird, und dass die von Lacerta oxyce- phala bewohnten Oertlichkeiten sicher von ihnen betreten werden müssen, so kommen wir zur Schlussfolgerung, dass der Grund davon, dass die spitzköpfige Eidechse in den Sammlungen selten ist und auf dem Thiermarkte gar nicht angeboten wird, der ist, dass sie mit Lacerta muralis var. neapolitana verwechselt und daher wohl öfters unberück- sichtigt gelassen wird. Dagegen zu steuern ist die Aufgabe der beifolgenden Blätter.
Ungeachtet dessen, dass die Beschreibung der Körper- form und sonstigen äusseren Merkmale der Lacerta oxy- cephala im Schreib er'schen Buche ziemlich erschöpfend ist, vermag die Beschreibung allein uns nicht ein klares Bild dieses Thierchens zu geben; dies zu Stande zu brin- gen ist hauptsächlich die Aufgabe des Zeichners. Drum habe ich mein besonderes Augenmerk auf die getreue bild- liche Darstellung der Lacerta oxycephala gerichtet und hege die Hoffnung, dass man darnach im Stande sein wird, diese Art in Zukunft sofort zu erkennen, falls man dazu die von mir aufgezählten, von anderen meistens ausser Acht ge- lassenen Merkmale, sowie den Knochenbau mit berück- sichtigt.
Dadurch dass Schreiber in seinem Capitel über Lacerta oxycephala die Mauereidechse in Bezug auf die Formbeschreibung wiederholt zum Vergleiche herbeizieht und zwischen beiden Aehnlichkeiten oder Differenzen zu finden sich bemüht, beweist er gerade uns am treffendsten, dass seine Diagnosen nicht als durchweg stichhaltig be-
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trachtet werden können. Ohne nähere Bezeichnung der Varietät darf die Mauereidechse, was die äusseren Merk- male anbetrifft, entschieden nicht mehr zum Vergleichungs- object herbeigezogen werden und zwar aus dem Grunde, weil die zu ein und derselben Art gehörenden Individuen sehr selten untereinander so stark in ihrer Körperform variiren, wie die Mauereidechse, geschweige denn in ihrer Färbung und Zeichnung. Wir kennen schlanke, plump- gestaltete, pyramidalköpiige, platycephale, endlich breit- und schmalköpfige Mauereidechsen. In wie fern »der Rumpf von Lacerta oxycephala^ wie es Schreiber behauptet weniger schlank geformt ist, als der bei Lacerta muraliSy können wir unmöglich wissen, da der Verfasser uns nicht angibt, welche Form der Mauereidechse ihm als Verglei- chungsobject bei der Abfassung seines Capitels über Lacerta oxycephala vorlag. Lacerta muralis var, neapolitana z. B., welche auf der Insel Pianosa einheimisch ist, sieht Lacerta oxycephala so ähnlich und entspricht im Allgemeinen so sehr der Formbeschreibung der spitzköpfigen Eidechse, welche uns Schreiber gibt, dass man sie für eine ächte Lacerta oxycephala halten könnte. Auch sind die Form- beschreibungen der spitzköpfigen Eidechsenart weder in der Herpetologia europaea noch in der Erp^tologie generale durchweg für die in Corsika einheimischen oxycephalen Lacerten zutreffend. „Ce Lezard", sagen Dumerii und Bibron, „bien que fort voisin du Lezard des murailles, en differe cependant par la depression beaucoup plus grande de la tete; par son museau plus allonge, plus pointu; . . . Schreiber stimmt im Allgemeinen mit dieser Ansicht Dumeril's und Bibron's überein. Er sagt: „Der ziemlich niedrige Kopf ist gestreckt, in der Wangengegend am breitesten, nach hinten kaum, nach vorn aber sehr stark zugespitzt verschmälert, im Ganzen von ziemlich regel- mässig dreieckiger Gestalt." — Nun ist aber in der Wirk- lichkeit die Schnauze bei Lacerta oxycephala, welche mir aus Corsika vorliegt, im Vergleich zur Schnauze der Mauereidechse gar nicht zugespitzt. Ganz im Gegentheil erscheint die Schnauze bei den letzteren stärker zugespitzt, als bei der oxycephala. Wenn uns auch die vordere
Ueber Lacerta oxycephala Fitz, u, judaica Cam. 255
Partie des Kopfes bei der letzteren bei flüchtiger Betrach- tung zugespitzter zu sein scheint, als dies bei der Mauer- eidechse der Fall ist, so liegt der Grund hiervon lediglich darin, dass der Kopf bei der oxycephala überhaupt länger und in der Temporalgegend breiter ist. In der Frenalge- gend nimmt der Breitendurchmesser der mir zur Verfügung stehenden oxycephalen Lacerten, welche ich der Güte des Herrn Reveliere in Porto- Vecchio verdanke, ab. Dadurch, dass der Discus palpebralis bei ihnen beiderseits stark erhoben ist, kommen die Froutonasalschilder tief zu liegen. Beides bewirkt eine rasche Verschmälerung des Kopfes, aber speciell nur in der bezeichneten Gegend. Das Inter- nasale, die Nasorostralschilder und das Rostrale erscheinen sehr breit und die Schnauzenspitze selbst erscheint aufge- trieben. Die Linien, welche am äusseren Rande der Parie- talschilder anfangen, sich von da bis zu den Nasenlöchern hinziehen und auf diese Weise den Pileus begrenzen, zeigen bei Lacerta oxcyphala sowohl im Profil, als auch im Grundriss des Kopfes vielfache Biegungen, während die nämlichen Linien' bei Lacerta muralis var. neapolitana sich ziemlich in gerader Richtung hinziehen.
Eine sorgfältige Aufzählung der Kopfschildereigen- thümlichkeiten genügt ebenfalls nicht, um diese Art sofort zu erkennen, da wir bei der Mauereidechse ebendieselben Eigen- thümlichkeiten zu nennen vermögen. Ich ziehe daher vor, die den Pileus bildenden Schilder im Texte ganz ausser Acht zu lassen, gebe dagegen eine Abbildung dersel- ben. Diese allein vermag uns zur Ueberzeugung zu bringen, dass sowohl die Kopfschilder, als auch die Gestalt des Kopfes ihren charakteristischen Zug besitzen.
Nicht unerwähnt will ich lassen, dass die Kopfseiten bei Lacerta oxycephala öfters Eigenthümlichkeiten auf- weisen, dass dieselben jedoch öfters vermisst werden, was vielleicht in das Bereich der Localvariation gehören mag. So sollen z. B. die in Dalmatien einheimischen oxycephalen Eidechsen ein mittelgrosses Massetericum aufweisen. Du- meril und Bibron schreiben den von ihnen untersuchten Individuen dieser Species ein kleines Massetericum zu, welches kaum doppelt so gross, als die übrigen Temporal-
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Schilder ist. Meine aus Corsika stammenden Exemplare der Lacerta oxycepJiala besitzen keine Spur von diesem Schilde. — Zwei übereinander stehende Nasoferenalen sollen nach der Angabe Dumeril und Bibron's manchmal zu einem einzigen Schilde verschmelzen. Dies dürfte je- doch nicht nur manchmal, sondern sogar allgemein bei den in Corsika lebenden oxycephalen Lacerten der Fall sein ; denn meine elf aus dem südlichen gebirgigen Theile Corsikas stammenden Exemplare besitzen nur ein einziges Nasofrenalschild. — Während Dumeril und Bibron die Zahl der vorderen Supralabialien gar nicht angeben, schätzt sie Schreiber auf fünf. Einige von meinen oxycephalen Lacerten weisen nur vier Oberlippenschilder auf.
Meiner Ansicht nach sind folgende Kennzeichen für die corsikanische Lacerta oxycephala charakteristisch:
1. Die Rückenschuppen sind bei ihr glatt, öfters mit einem kleinen Grübchen versehen, was wohl auf einer Be- schädigung der Schuppen beruhen dürfte^). Die Configura- tion der Schuppen ist sehr variabel; sie erscheinen sechs-, fünf- und viereckig, und ausserdem unregelmässig geformt. In der Halsgegend sind sie eher rund, ^q^qäi den Schwanz zu länglich sechseckig, auf den Körperseiten viereckig. Drei Querreihen von Rückenschuppen gehen auf jedes Bauchschild. Oberschildchen sind nur vorn an den Bauch- seiten vorhanden.
2. Während bei Lacerta muralis var. neapolitana das obere Augenlid wenig bemerkbar und nur als eine aus äusserst kleinen Schuppen bestehende perlschnurartige Kante sichtbar ist, erscheint dasselbe bei Lacerta oxyce- phala viel mehr ausgebildet, etwa 1 mm breit, und ver- sehen mit drei der Länge nach liegenden Reihen von ziemlich ansehnlichen Schuppen. Dieses sich so ausneh- mende und nahezu in derselben Ebene mit dem Discus palpebralis liegende obere Augenlid bewirkt auf passivem Wege nur die Schliessung des Auges, indem es sowohl
1) Bekanntlich kommen vollkommen glatte Schuppen sehr selten bei Lacerta muralis var. neapolitana vor und zwar nur bei einigen insulanischen Formen.
Üeber Lacerta oxycepliala Fitz. u. judaica Cam. 257
beim geschlossenen, als auch beim offenen Auge stets die- selbe Länge behält und nur beim Tüdten des Thieres leicht zurückgezogen wird. Das untere bewegliche Augen- lid erscheint sehr lang und dick und nicht nur vermag es den Augapfel zu verdecken, welcher ziemlich stark aus der Augenhöhle hervortritt, sondern es bildet gewöhnlich noch eine auf dem unteren Augenhöhlenrande ruhende Falte. Es ist von grossen und mit Consistenz versehenen Schildern bedeckt, welche insbesondere ringsum auf den Rändern ausgebildet erscheinen. Das Auge bei Lacerta oxycephala ist somit, so zu sagen, durch gepanzerte Lider geschützt, an denen man die braun und schwarz gefärbten Schilder mit unbewaffnetem Auge zu zählen vermag. Bei Lacerta muralis var. neapoUtana dagegen ist das untere Augenlid mit äusserst kleinen, farblosen, weichen und in der Mitte des Lides nahezu durchsichtigen Schuppen be- deckt. Der bereits bei offenem Auge wenig hervortretende Augapfel dieser Eidechsenart wird beim Schliessen des Lides ganz hineingezogen. Diibei nimmt sich das die Augenhöhle schliessende untere Lid ähnlich wie eine ge- spannte Haut aus.
Während der Discus palpebralis bei Lacerta muraUs var. neapoUtana^ Lacerta muralis var. fusca und den von diesen beiden abstammenden insulauischen Formen selten, bei Lacerta muralis var. Lilfordi öfters beiderseits hervor- ragt, erhebt er sich stets bei der lebenden oxycephalen Eidechse sehr beträchtlich und trägt dazu bei, dass die Orbitalregion bei ihr stark hervortritt.
3. Die Vorderbeine reichen bei Lacerta oxycepliala bis zur Schnauzenspitze, während dieselben bei einer An- zahl untersuchter neapolitanischer Maliereidechsen nur bis zu den Nasofrenalschildern reichen. Das Messen ergab, dass die einzelnen Theile des Arm- und Handskeletes bei Lacerta oxycephala sehr wenig in ihrer Länge von jenen bei Lacerta muralis var. neapoUtana differiren, dass jedoch sobald diese Differenzen summirt werden, eine Längendif- ^ ferenz der Vorderbeine bei diesen zwei Arten bemerk- lich ist.
Ausser den erwähnten Kennzeichen bieten uns die
Archiv für Naturg. XXXXVI, Jalir^. 1. Bd. 17
258 J. V. Bedriaga:
Dimensionen der Lacerta oxycephala, in Zahlen ausgedrückt, und ihr Gerippe, namentlich aber der Schädel, Eigenthüm- lichkeiten dar, nach welchen man sie von der ihr ver- wandten Form Lac. muralis var. neapolitana unterscheiden kann.
4. Maasse einer männlichen Lacerta oxycephala:
Gesammtlänge 226 mm
Kopflänge 22 „
Grösster Breitendurchmesser des Kopfes (in der
Wangengegend) . 15 „
Grösste Kopfhöhe 9 „
Grösster Umfang des Kopfes (in der Wangen- gegend) 42 „
Breite des Pileus an seiner Ansatzstelle ... 10 „
Umfang des Halses 44 „
Rumpflänge (von der Schnauzenspitze bis zur
Schwanzwurzel) 86 „
Umfang des Rumpfes ......... 46 — 48 „
Schwanzlänge 140 „
Umfang des Schwanzes an seiner Wurzel . . 30 „ Umfang des Schwanzes in seiner Mitte ... 15 „
Die Dimensionen der Lacerta muralis var. neapolitana J und der Lac. muralis var. faraglioniensis 5 schliesse ich hier an, damit sich die Differenzen von selbst ergeben.
muralis neapol. muralis faragl.
Gesammtlänge 225 mm 230 V4 mm
Kopflänge I9V2 „ 20
Breitendurchmesser des Kopfes an
der breitesten Stelle . . . 13 V2 ,, 13^4 •„
Grösste Kopf höhe 10 „ IOV2 „
Grösster Umfang des Kopfes . . 39 V2 „ 42 V2 „
Grösster Umfang des Halses 38 V2— 3972 „ 41 V2 » Rumpflänge (von der Spitze des
Kopfes bis zur Schwanzwurzel) 70 „ 7074 «
Umfang des Rumpfes 44 „ 45 „
Schwanzlänge 155 „ 160 „
Umfang des Schwanzes an seiner
Wurzel 14—28 „ 16-2872 „
Ueber Lacerta oxycephala Fitz. u. judaica Cam. 259
muralis 7ieapol. muralis faragl. Umfang des ScbwaDzes in seiner
Mitte 10—11 ram 10—12 mm
Breite des Pileus au seiner Ansatz- stelle 9 „ 91/2 „
Grösster Breitendurebmesser des
Pileus 9-9V2 , 9V2— 10 „
5. Betrachten wir den Schädel der Lacerta oxyce- jihala, so fällt uns vor allem seine im Verhältniss zum geringen Höhendurchmesser bedeutende Länge auf. Diese kommt hauptsächlich dadurch zu Stande, dass das Hinter- hauptsbein stark nach hinten zu vorgedrungen erscheint Die Schuppe des Hinterhauptsbeines welche bei Lacerta ocellata gänzlich, bei Lacerta viridis, Lacerta agilis, Lacerta muralis nahezu vollständig vom Parietalbein verdeckt wird, bleibt bei Lacerta oxycephala zum grössten Theil unver- deckt, läuft beinahe parallel mit der Ebene der Platte des Scheitelbeines und erscheint, da die obere Partie des Hinterhauptsbeines ziemlich flach ist (bei Betrachtung des Schädels von oben), als eine Fortsetzung des Scheitel- beines^). 'Der bei allen anderen europäischen Eidechsen sich zwischen der Schuppe des Hinterhauptbeines und dem Parietale befindende Raum w^ird bei der oxycephalen La- certa vermisst. Dieser Zwischenraum entsteht bekanntlich dadurch, dass die Schuppe des Hinterhauptsbeines sich zu einem öfters sehr hohen, ein Knorpelstück tragenden Höcker oder Vorsprung erhebt der dem Parietale als Stütze dient 2). An jener Stelle, und zwar am hinteren, unteren Rande des Scheitelbeines, wo dasselbe diesen Vorsprung berührt, nehmen wir eine meistens tiefe Aushöhlung wahr ^), welche das Knorpelstück (das sich öfters unter dem Druck der Schädel- decke biegt) und einen Theil des medianen Höckers der Schuppe des Hinterhauptsbeines aufnimmt. Bei Lacerta oxycephala ist dieser Höcker äusserst klein ; er kommt nicht unterhalb des Parietale zu liegen, sondern da das Hinter- hauptsbein, wie bereits erwähnt, stark nach hinten zu
1) Vergl. Tafel XI Fig. 6. Ö) Vergl. Tafel XI Fig. 7. 3) Vergl. Tafel XI Fig. 4 und Fig. 5.
2G0 J. V. Bedriaga:
vorragt, befindet er sich ausserhalb und zwar am Rande desselben ^). Dem Scheitelbeine zur Stütze dienen die leicht nach oben erhobenen Ränder der Hinterhauptschuppe, welche somit eine transversale Crista bilden (Vergl. Fig. 8). Diese Crista ist in ihrer Mitte durch den niedrigeren Höcker unterbrochen und in zwei Hälften getrennt.
Lacerta ocellata einerseits und Lacerta oxycephala an- dererseits scheinen die Extreme in der Ausbildung dieses zur Stütze des Scheitelbeines dienenden Gebildes zu bieten. Bei der ersteren läuft das Occipitale superius in eine an- sehnliche longitudinale Crista aus. Das ihr aufsitzende Knorpelstück ist nachgiebig und in der Aushöhlung des Pa- rietale verborgen. Bei Smaragd- und Zauneidechsen ist der Vorsprung an seiner Basis dadurch, dass die Ränder der Schuppe des Hinterhauptsbeines an seiner Bildung einen grossen Antheil nehmen, ziemlich breit, läuft aber spitz zu. Bei Lacerta miiralis var. neapolifana ist er viel niedriger als bei den letztgenannten und trägt in selteneren Fällen ein aufrecht stehendes Knorpelstück, während La- certa muralis var. faragUo7iiensis, deren Stammform die grüne neapolitanische Mauereidechse ist, öfters einen ziem- lich langen auf dem Vorsprung aufrecht aufsitzenden cylin- drischen Knorpel aufweist, welcher hier als wirkliche Stütze des Scheitelbeines dient, indem er eine bereits ein- getretene und öfters vorgeschrittene Ossification zeigt und daher eine gewisse Sprödigkeit erlangt (Vergl. Fig. 7). Diese Beschaffenheit des in Rede stehenden Knorpelstückes ist insofern von Interesse, als sie nicht nur die höchst ergiebige Variabilität in der Kopfform der verschiedenen Abarten der Mauereidechse zu erklären vermag, sondern auch die so überraschenden individuellen Differenzen in der Gestalt des Kopfes, namentlich bei Lacerta muralis var, neapolitanaj bedingt.
Man hat kürzlich versucht, die in Italien lebenden, verschieden gezeichneten murales in Varietäten zu sondern, indem man dabei ein grosses Gewicht auf die plattge- drückte oder pyramidenähnliche Kopfform legen zu müssen
1) Vergl. Tafel XI, Fig. 6.
Ueber Lacerta oxycephala Fitz. u. judaica Cani. 261
glaubte, lu meinen über die südeuropäisTiheti Eidecbsenarten veröifentlichteD Abbandliingen trat leb stets dagegen auf, und zwar aus dem Grunde, weil icb bei dem Kopf uicbt immer eine Uebereinstimmung mit der Zeichnung und der Färbung, welche vermuthet worden ist, angetroffen habe, und weil ich diese „Kennzeichen" lediglich als individuelle, rein auf accidentellen Vorgängen in der postembryonalen Entwickelung beruhenden Abweichungen betrachtete. Die Untersuchung und Vergleichung einer ganzen Serie von Laceiten-Schädeln hat mich in meiner Ansicht bestärkt. Die plattgedrückte oder pyramidale Kopfform rührt bei den Mauereidechsen von dem Grade der Ossification des auf dem Vorsprung des Occipitale superius sich befindenden cylindrischen Stäbchens her. Tritt eine Ossification ein, so wird das Knorpelstück zu einem aufrecht stehenden Stäbchen, das den Höhendurchmesser der Occipitalregion beeinträchtigt; bleibt sie aber weg, so senkt sich das Pa- rietale und kommt auf den Vorsprung zu liegen, indem es den Knorpel in seiner Aushöhlung birgt. Ich will hier gleichzeitig ausdrücklich betonen, dass der plattgedrückte Kopf bei Lacerta oxycephala nicht vom Ausbleiben der ge- schilderten Ossification des Stäbchens herrührt. Da, wie bereits erwähnt, der den Knorpel tragende knöcherne Vor- sprung nicht unterhalb des Parietalbeines gelegen ist, so würde in Folge dessen die eventuelle Ossification des Knorpels bei dieser Art von keinem Einflüsse auf den Höhendurchmesser des Schädels sein können.
Das bei anderen Eidechsenarten am Condylus occipi- talis liegende ziemlich tiefe Grübchen ist bei Lacerta oxy- cephala äusserst schwach angedeutet. Ueberhaupt erscheint das Occipitale basilare bei der oxycephala, von unten ge- sehen, flach, indem hier weder starke Hervorraguugen, noch Vertiefungen zum Vorschein kommen. Der Gelenk - köpf zeichnet sich durch seine geringe Grösse aus. Die drei Stücke, aus denen er besteht, sind bei den erwachsenen Individuen sogar durch mehr oder weniger tiefe Trennungs- furchen oder nur Trennungslinien gut erkennbar. Eine ähnliche drei gelappte Beschaffenheit habe ich öfters Ge- legenheit gehabt, auch bei alten Exemplaren anderer Arten,
262 J- V. Bedriaga:
z. B. bei Lacerta • ocellatttj L. muralis und L. agilis, zu constatiren.
Das Sphenoidale basilare bei der spitzköpfigen Ei- dechse ist bedeutend länger als bei den Mauer- und an- deren Eidechsen. Seine Grenze nach hinten ist durch eine scharfe Trenuungslinie markirt. Das vordere Keilbein da- gegen weicht in seiner Gestalt und Länge gar nicht von jenem bei Lacerta muralis ab.
Die Flügelbeine entbehren bei Lacerta oxycephalay der Bezahnung. Bei einer Anzahl neuerdings untersuchter Schädeln der Lac. muralis var. neapolitana, ferner bei Lacerta Galotti und Lacerta Dugesii fehlten die Zähne an den Pterygoidea ebenfalls. Bei Lacerta viridis habe ich dagegen stets eine grosse Anzahl derselben constatiren köonen; sie sind bei ihr ungleich, manchroal zu drei oder vier in jeder transversalen Reihe auf einer ansehnlichen Hervorragung angeordnet.
Von der oberen Fläche des Pterygoideums erhebt sich bekanntlich bei den einheimischen Eidechsenarten, ferner bei Lacerta ocellata und den pyramidalköpfigen Mauerei- dechsen die Columella perpendiculär nach oben zum Scheitelbein, indem sie jedoch letzteres selten erreicht. Bei Lacerta oxycepliala gibt die Columella ihre zu dem Flügel- beine penpendiculäre Stellung auf, sie neigt sich nach hinten unter spitzem Winkel und lehnt sich an das Felsen- bein. Dabei ist aber ihre Länge eben dieselbe wie die- jenige bei den pyramidalköpfigen grünen Mauer- oder Faraglioni-Eidechsen. Diese Erscheinung bewegt mich zur Annahme, dass die Stellung der Columella von der Ossi- fication des auf dem knöchernen Vorsprung am Occii)itale superius aufsitzenden Knorpelsttickes abhängig ist. Diese Muthmassung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, sobald wir eine Anzahl Schädel von platyccphalen und pyramido- cephalen Maucreidechsen vergleichen. Wir finden, dass die Columella ihre zum Pterygoideum aufrechte Stellung bei den plattköpfigcn Individuen, welche gar keine oder nur eine unbeträchtliche Ossification des erwähnten Knorpel- stückchens aufweisen, ebenfalls nur einbüsst, und nicht etwa, wie man es von vorn herein erwarten könnte, kürzer wird.
lieber Laccrta oxycephala Fitz. u. judaica Cani, 263
»
Am Vonier, Ethmoideuiii und Gaumenbein habe ich keine erheblichen Eigenthümlichkeiten bei Lacerta oxyce- phala finden können.
Die die vorderen Enden der Vomera berührenden dreieckigen, vom Intermaxillare hcrabtretenden Blätter sind bei Lacerta oxycephala weniger lang, jedoch an ihrer Basis breiter, als bei Lacerta muralis var. neapolitana. Proces- sus frontalis ist bei beiden in Rede stehenden Arten stachelförmig, bei der spitzköpfigen Lacerta etwas länger, als bei der Mauereidechse.
Der Oberkiefer zeichnet sich (Alles im Vergleich zu Lacerta muralis var. neapolitana) durch seinen geringen Höhendurchmesser aus. Er weist beiderseits 7 — 8 zum Durchtritt von Nerven bestimmte Löcher auf und hat jeder- seits 17 Zähne. Während die Zähne der Lac. rnurlis var. neapolitana, mit Ausnahme des ersten an die Zähne des Zwischenkiefers angrenzenden einfachen Zahnes und des letzteren, welcher eine dritte Spitze zu erkennen gibt, eine deutlich sichtbare, zweispitzige Form der Zahnkrone auf- weisen, ist die grössere Anzahl der Zähne bei Lacerta oxycephala kegelstumpfförmig, ähnlich wie bei Lacerta ocellata. Eine kleine Anzahl zeigt eine äusserst schwache Einkerbung. Die Untersuchung der Zähne habe ich auch auf die Canaren -Eidechsen Lacerta Galloti und L. Dugesii ausgedehnt und gefunden, dass bei der ersteren die Zähne niedrig sind und eine deutlich dreigespitzte zierliche Krone aufweisen, deren mittlere Spitze höher ist als die seitlichen. Die Zähne bei Lacerta Dugesii reihen sich denen der Lacerta muralis var. neapolitana an.
Was das Jugale anbetrifft, so wäre nur zu bemerken, dass seine Biegung sich stärker erweist, als dies beim Jochbeine der neapolitanischen Manereidechse der Fall ist. Die Krümmung trägt dazu bei, dass einerseits der Kopf der Lacerta oxycephala, wie es bereits ihr Name zeigt, vorn ziemlich verschmälert erscheint, andererseits aber, dass der Kopf in der Wangengegend einen sehr be- deutenden Breitendurchmesser erlangt.
Von den übrigen Schädelknochen der Lacerta oxyce- phala und L. muralis var. neapolitana bieten nur die Deck-
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knochen in's Gewicht fallende Differenzen. Vor allem ist hervorzuheben, dass das Parietale der oxycephalen Lacerta sich durch seine Breite und durch seine verhältnissmässig kurzen, flacheren, zu den Quadratbeinen herabsteigenden Bogenschenkel auszeichnet. Die Innensicht des Scheitel- beines bietet ein auffallend anderes Aussehen, als bei La- certa murdlis var. neapolitana dar. Bei dieser letzteren nämlich weist die Innensicht des Parietale einen V förmigen, an der erwähnten Aushöhlung am Parietalbeine seinen Ur- sprung nehmenden Wulst auf, w^elcher jenem der Lacerta agüis ähnlich ist ^). Auf dem an das Parietale angrenzenden Stirnbeine ragt ein ähnlicher, nur in entgegengesetzter Richtung sich befindender V förmiger Wulst hervor, wel- cher als Fortsetzung des nach dem Lacrymale absteigenden Fortsatzes erscheint. Diese zwei VfÖrmigen Wülste bilden einen Rhombus, indem sie mit ihren Enden zusammen- stossen. Bei den Varietäten der neapolitanischen Mauer- eidechse, z. B. bei var. faraglionensis büsst der eine Wulst (nämlich derjenige, welcher auf dem Scheitelbeine hervor- ragt) seine VForm ein, indem die Schenkel sich nicht mehr in geraden, sondern in gebrochenen Linien hinziehen. Bei der spitzköpfigen Eidechse erscheint der Wulst ganz und gar anders, als bei Lacerta muralis var. neapolitana und zwar ist seine Form durch die sich an der er^vähnten Aushöhlung am Parietale befindende und diese umgebende Hervorragung bedingt 2).
Je nach der Lage und Gestalt dieser Leisten können wir, wie es bereits Leydig hervorhebt^), sofort die Species erkennen. In der Art wie die Aushöhlung am Scheitel- beine umgeben ist (welche im Zusammenhang mit dem Vorsprung am Occipitale superius steht), hat jede Art gleichfalls ihre Eigenthümlichkeit. Bei Lacerta oxycephala ist diese Eigenthümlichkeit so stark ausgesprochen, dass man sie sofort nach dem Parietale allein zu erkennen ver- mag. Die nahezu runde Aushöhlung am Parietale ist näm-
1) Vergl. Taf. XI Fig. 4.
2) Vergl. Taf. XI Fig. 5.
3) Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier. Tübingen, 1872. S. 42.
lieber Lacerta oxycephala F'itz. u. judaica Cam. 265
lieh bei ihr von einer ziemlieh hohen Hervorragung umgeben, welche beinahe bis zu den seitlichen Rändern des Scheitel- beines reicht. Diese Hervorragung oder besser dieser Wall besitzt nach vorn zu einen sanften Abhang und weist ein hufeisenförmiges Plateau auf, das unmittelbar die Aushöh- lung umgibt^). Bei allen anderen europäischen Eidechsen- arten, welche ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, ist die Aushöhlung am Parietale von einer dünnen, hohen Wandung vorn und seitlich umgeben, welche von der Platte des Scheitelbeines hinabsteigt. Das an's Parietale anstossende Stirnbein ist bei der oxycephala vorn beinahe ebenso breit, als in der Mitte, wo bekanntlich bei anderen Eidechsen- arten eine starke Verengung sich wahrnehmen lässt.
Das Nasenbein ist weniger breit, jedoch etwas länger als bei Lacerta muralis var. neapolitana.
Der Unterkiefer bei der oxycephala ist insofern von demjenigen der neapolitanischen Mauereidechse verschie- den, als bei der ersteren die ihn zusammensetzenden Theile niedriger erscheinen. Ausserdem steht er bei der ersteren Art nicht senkrecht, wie es bei der muralis gewöhnlich der Fall ist, sondern bedingt theilweise die Abplattung ihrer Schnauze. — Die Unterkiefer bei der oxycephala sind jeder- seits mit 24 Zähnen bewaffnet, bei der grünen neapolita- nischen Lacerta zählte ich deren 21.
Wie mau es von vorn herein erwarten dürfte, bietet das Skelet der Lacerta oxycephala sonst keine erheblichen Differenzen von jenen der übrigen Eidechsenarten und namentlich keine solche von Lacerta muralis var. neapoli- tana^ die ich hauptsächlich zum Vergleiche herbeigezogen habe. Betrachtet man die Wirbelsäule, so nimmt man wahr, dass die Segmente einen grösseren Breitendurch- messer bei der ersteren aufweisen, dass sie dagegen weni- ger hoch sind. Dies kann man bereits am Atlas bemerken, dessen von seinem Mittelstück herabsteigender Dorn kürzer ist, als der bei muralis neapolitana und namentlich bei muralis var. faraglionensis. Der kammförmige Dornfortsatz am Epistropheus und die ihm entsprechenden Fortsätze an
1) Vergl. Tafel XI Fig. 5.
266 J. V. Bedriaga:
den übrigen Hals-, Brust- und Lendenwirbeln sind bei Lacerta oyxcephala niedriger. Vom 3. oder 4. Schwanz- wirbel an erscheinen lange, öfters stachelförmig aussehende obere Dornfortsätze. Die drei unteren Bögen an den Halswirbeln sind bei der oxycephalen Eidechse weniger entwickelt als bei Lacerta muralis var. neapolitana. Die Querfortsätze, namentlich an den Schwanzwirbeln (wo einige länger sind, als die, welche die Sacralwirbeln tragen), sind stark entwickelt. Dieses bedingt die bedeutende Schwanzbreite bei der oxycephalen Eidechse an seiner Wurzel. Die Kreuzwirbelfortsätze sind ebenfalls bei ihr stärker entwickelt, als bei den Mauereidechsen. Vom 3. Schwanzwirbel fangen untere lange 'Bögen an.
Während die vier breiten Rippen der Halsgegend nichts abweichendes haben, sind alle übrigen länger und schmäler, als bei der grünen muralis.
Die Schulter-, Becken- und Extremitätenknochen weichen in ihrem Bau so gut wie gar nicht von Lacerta muralis var. neapolitana ab. Es ist nur zu bemerken, dass das lanzettförmige, zwischen der Symphyse des Os pubis sich befindende Knorpel die Symphyse des Os ileo-pecti- neum nicht erreicht, und dass die Verbindung durch ein Band zu statten kommt.
Das Os cloacale ist äusserst fein, das Ende, an wel- chem die Gabelung sich bemerkbar macht, ist stark auf- getrieben. Was das Foramen obturatorium anbelangt, so liegen mir drei Skelete von Lac. muralis var. neapolitana^ L. muralis var. faraglioniensis und L. oxycepliala vor, welche sich in dieser Hinsicht ähnlich sehen, indem sich an seiner Stelle ein rundes Grübchen befindet.
Bevor ich diesen Beitrag zur näheren Kenntniss der Lacerta oxycepliala abschlicsse, will ich die Farbe und Zeichnung, welche meine corsikanischen Exemplare auf- weisen, kurz berücksichtigen.
Die Färbung und die Zeichnung bei der oxycephala ist ziemlich beständig. Die vordere Partie der Oberseite ist grünlichgrau, bräunlich oder grünlichbraun und über- zogen von einem schwarzen oder dunkelbraunen Netzwerke. Die übrigen Tbcile des Rückens sind auf grünlichgrauem
lieber Laccrta oxycephala Fitz. u. jiidaica Cam. 267
Grunde von schwarzen Querbinden durchzogen. Letztere sind breit und wellenförmig. Oefters findet ein gegensei- tiges Zusfimmenfliessen derselben der Länge nach statt, jedoch sind die Verzweigungen meistens so fein, dass da- durch entweder keine genetzte Zeichnungsform zu Stande kommt, oder dass dieselben nicht auffallen. Die dunkel- grünlichblau nuancirte oder bräunliche Oberseite des Schwanzes ist einfarbig oder der Quere nach an der Wur- zel des Schwanzes gebändert. Die oben olivenfarbigen Extremitäten sind meistens schwarz genetzt. Die hellbraune Decke und Seiten des Kopfes sind reichlich schwarz ge- fleckt. Der Bauch und die Unterseite der Extremitäten sind weiss mit blauem Anfluge. Die erste longitudinale Bauchschilderreihe, die Kehle und die Unterseite des Schwanzes sind bläulich. Der Grundton bei dem Weibchen ist vorzugsweise bräunlich. '
In Hinsicht auf die Färbung und Zeichnung schliessen sich die in Corsika einheimischen oxycephalen Eidechsen im Allgemeinen der Varietät A von Schreiber an^. Ob die Beschreibung dieser Abart auf eigenen Erfahrungen Schreib er's basirt ist, oder nur auf Angaben Anderer beruht, bleibt unentschieden. Wir ersehen nur, dass Schreiber die in den Acten der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften Bd. VIII, (Göttingen 1842) beschriebene Lacerta hieroghjphica Berthold in diese Kategorie ein- reiht. Die Beschreibung dieser letzteren lautet in der Berthold'schen Abhandlung „Ueber einige neue oder sel- tene Amphibienarten" folgendermassen : „Rücken und Sei- tenschuppen glatt, rundlich-viereckig, sehr klein; Schwanz- schuppen schief, stumpfgekielt ; Bauchschilder in 6 Längen- reihen, von denen die mittleren nur halb so breit sind als die äusserste ; vorderes Afterschild sehr klein ; Kopf spitz, vorderes Stirnschild hinten nur halb so breit als vorn; nur 1 hinteres Nasenschild; Halsband ganz und gänzlich gelöst; Hinterhauptsschild klein, aber etwas quer; Schläfenschüpp- chen klein, körnig, aber in der Mitte ein ovales Schildchen. Die die Scheitel- und Hinterhauptschilder begränzenden
1) Herpetologia europaea. Braunschweig, 1875. S. 404.
268 J. V. B 0 d !■ i a g a :
Nackeuschüppchen springen unter der Form einer kleinen Perlschnur vor ; die 4 vordersten zwischen der Vereinigung der dritten Unterkieferschilder sich befindenden Kehlschü^- chen sind doppelt so gross als die übrigen und stehen paarweise hinter einander. Das nicht gezähnelte Halsband besteht aus 11 Schuppen; jederseits 24 kleine Schenkel- poren; Schwanzringe 110; Unterkieferschilder jederseits 5, ausser dem unpaarigen Kinnschild. Gaumenzähne fehlen. Hautfarbe oben braungrau, unten gelblich weiss ; dort nach entfernter Epidermis schön seladonfarbig. Oberkörper mit weissen runden Dupfen, welche grössere oder kleinere dunkele Räume zwischen sich lassen und hin und wieder zu Streifen sich vereinigen, welche bald kleine Schlangen- linien, bald deltaförmige Zeichnungen, bald Winkel und Hacken, nach hinten Ringe und Augen bilden, wodurch diese Eidechse ein wunderschönes und mannigfaltig ge- zeichnetes Ansehen bekommt. Von Nase zum Auge ein schwarzer keilförmiger breiter werdender Streif, welcher sich vor dem Auge spaltet und über die Augenlider sich erstreckt. Der Schwanz ist oben und seitlich braun, hin und wieder an den hintern Ringgränzen mit weissen Linien- flecken .... Hat nun auch die L. hierogly})hica hinsicht- lich der Zahl der Schenkelporen, der Schwanzform und Schwanzschuppen, der Länge der hinteren Extremitäten, des ungezähnelten Halsbandes grosse Aehnlichkeit mit L. muralis, so unterscheidet sie sich doch davon durch das Stirnschild, welches vorn fast doppelt so breit ist, als hin- ten, durch die sehr schmalen und lang gestreckten Zügel- schilder, durch das Hinterhauptsschild, welches breiter als lang ist, sowie durch die in perlschnurförmiger Querreihe hinter den Hinterhaupts- und Scheitelschildern gelagerten Schüppchen". Aus dieser Diagnose wollte bereits Bona- parte Zacer^a oxycephala herausgelesen haben. In seiner Iconografia della Fauna Italica finden wir folgendes Urtheil über diesen Gegenstand: „NuUa o poco, siccome dicemmo, estendesi sul continente al di qua della Dalmazia, ove fu segnahita la prima volta, ben lungi perö si dilata verso l'oriente; perche sembra indubitabilc che la L. Iderogly- pUca di Constantinopoli citata nella sinonimia sia questa
Ueber Lacerta oxycephala Fitz. u. judaica Cam. 269
medesima, qualmente cen persuadono Tacutezza del muso, e la picc(>lezza della piastrina centrale delle tempic, o disco masseterico che dir si voglia".
Durch die Frcuiidliclikeit des Herrn Prof. Ehlers, dem ich hiermit nieiucu wärmsten Dank ausspreche, wurde mir veri;ünut, zwei sich im Museum zu Göttingen befindende ßerthold'sche Lacertac hieroglyphicae einer Untersuchung zu unterwerfen und die Angaben Bonap arte's und Schrjei- ber's zu verificiren. Das Ergebniss dieser Untersuchung fiel leider ungünstig für ihre Ansicht aus und machte folg- lich alle in meinen Herpetologischen Studien auf sie basirte Combinationen, in denen ich Lacerta oxycephala zwar nur beiläufig berühre, auch zu Nichte. Die aus Constantinopel stammenden, von Consul W edekind dem Göttinger Museum geschenkten und von Bert hold beschriebenen Lac. hiero- glypliica sind nichts anders, als Mauereidechsen. Diese Exemplare unterscheiden sich von der muralis var. neapo- litana weder durch die Grösse und Gestalt ihres Stirn- schildes, ihrer Ztigelschilder und ihres Hinterhauptsschildes, noch dadurch, dass sie eine perlschnurförmige, hinter den Hinterhaupts- und Scheitelschildern gelagerte Querreihe von Schuppen aufweisen, wie es Bert hold zu glauben scheint.
Das grössere ßerthold'sche Exemplar besitzt fünf schmale, hohe Supralabialien, das kleinere dagegen nur vier. In meinen herpetologischen Studien habe ich bereits dar- auf aufmerksam gemacht, dass die Zahl der vorderen Su- pralabialien bis zum grösseren, unter dem Auge liegenden Oberlippenschilde öfters dadurch vergrössert wird, dass sich eins der Supralabialien in zwei spaltet. Der Kopf der Berthold'schen Individuen stellt die typische Kopf- gestalt der Lacerta muralis neapolitana dar. Die Rücken- schuppen sind fünf- und sechseckig und unregelmässig geformt, meistens aber viereckig auf den Körperseiten. Die Schuppen sind mit Kielen versehen. Was end- lich die bei Lacerta hieroglyphica von Berthold coustatirte i)erlschnurförmige Schuppenreihe anbelangt, welche an den hinteren Rand des Pileus grenzt, so will ich bemerken, dass dies sogar bei unseren braunen Mauer-
270 J. V. Bedriaga:
eidechsen sehr oft der Fall ist und in Folge dessen nicht als Eigenthümlichkeit der orientalischen Form der Lacerta muralis betrachtet werden darf.
n. Lacerta judaica Camerano.
Durch die ausserordentliche Güte meines hochverehrten Freundes Herrn Louis Rein glas in Cairo, bin ich in Besitz der interessanten Eidechsenart Lacerta judaica Ca- merano gekommen. Diese in den Atti delia Eeale Acca- demia delle Scienze di Torino (Vol. XIII. 1879) beschrie- bene und abgebildete Lacerta war ich geneigt^) als Abart der oxycephalen Eidechse und als Synonym der Zootoca Dandfordi Günther^) zu betrachten und zwar aus dem Grunde, weil es scheint, dass Camerano eine Aehnlich- keit zwischen den eben erwähnten drei Eidechsen gefun- den zu haben glaubt. „Podarcis judaica'^ sagt Came- rano, „ist mit Zootoca Dandfordi Gtinth. und Podar- cis oxycephala (S'chlegel) verwandt. Von der ersteren unterscheidet sie sich durch das Dasein eines Massetericums in der Schläfengegend, von der letzteren unterscheidet sie sich in der Gestalt ihres Kopfes durch ihre Dimensionen und durch die Vertheilung der Flecken^'.
Ob Lacerta judaica mit Lacerta Dandfordi identisch ist, kann ich nicht entscheiden, da ich letztere nur aus der kurzen Beschreibung Günther's kenne, dass aber Za- certa judaica von der spitzköpfigen Eidechse grundver- schieden ist, ist mir klar. Wenn ich mich seiner Zeit zur Annahme des Gegentheils neigte, so geschah es lediglich aus dem Grunde, weil ich einen grösseren Werth auf die von Camerano zwischen diesen beiden Arten constatirte Affinität legte, als sie es im Wirklichen verdient. Diese
1) Archiv für Naturg. XLV. 1. Bd. S. 312.
2) Proc. zool. 80C. 1876. S. 818.
Ueber Laccrta oxyoephala Fitz. u. judaica Cam. 271
beruhte, wie ich sehe, nur darauf, dass Lacerta judaica, ähnlich wie Lacetia oxyccphala. Lacerta agilis, Lacerta viridis^ Ljacerta ocellata und Lacerta Schreiberi, zwei Naso- frenalschilder aufweist und ähnlich wie Lacerta oxycephala fünf vordere Supralabialien besitzt.
Was die Körperform und Grösse im Allgemeinen an- belangt, so nähert sich Lacerta judaica der grünen neapo- litanischen Mauereidechse; in Betreff ihres Kleides steht sie der Lacerta miiralis var. fusca m. näher, als irgend einer andern Form, und könnte sogar mit dieser leicht verwechselt werden.
Ich lasse hier eine kurze Beschreibung der Lacerta judaica nach lebenden Exemplaren folgen, insofern dieselbe diejenige jjianerano's zu ergänzen vermag; indem ich bemerke, dass die mir vorliegenden Exemplare von Herrn Rein glas in der Umgegend von Beyrut in Syrien erbeutet worden sind.
Körpergestalt ähnlich wie bei Lac. muralis var. neapolitana, nur ist der Hals bei letzterer viel schmäler, d. h. schmäler, als der Umfang des Kopfes, während bei Lacerta judaica ( $ ), ähnlich wie bei lacerta muralis var. Lilfordi Günth. ( t> ), der Umfang des Kopfes jenem des Halses nachsteht; auch ist der Breitendurchmesser des Kopfes bei Lac. judaica bedeutend grösser als dies der Fall bei muralis var. neapolitana ist ^).
M a a s s e.
Gesammtlänge 230 mm 168 mm
Kopflänge 21 „ 15 „
Kopfbreite 13—15 „ 10 «
Kopfhöhe 10 „ 6 „
Kopfumfang . 38—44 „ 31 „
Halsumfang 39—45 „ 30—31 „
Rumpf länge 70 „ 65 „
Schwanzlänge 160 „ 103 „
Schilder und Schuppen. Grosses Occipitale, mei- stens dreieckig, selten viereckig (Vergl. Fig. 3). Fünf
1) Vergl. Tafel XI, Fig. 1 und Fig. 3.
272 J- V. Ecdriaga:
vordere Siipralabialien, von denen die fünfte dreieckig, die ersteren viereckig und höber als breit sind. Grosses Masse- tericum. Längliches und gebogenes Tympanale. Rücken- schuppen sechseckig glatt oder gekielt. Es gehen 3 Quer- reihen auf jedes Bauchschild. 22 quere Reihen von Bauchschildern. Zwei Oberschildchen, von denen eins grösser ist, als das andere, grenzen die lateralen Bauch- schilderserien. Das mediane Paar der Bauchtafeln besteht aus kleineren Tafeln. Dass zweite Paar ist das grösste. Grosses fünfeckiges Anale von einem oder zweien Halb- kränzen von kleinen Schildern umgeben. Brusttriangulum bestehend aus 26 — 29 Tafeln. Ganzrandiges Collare, be- stehend aus 7 — 9 Schildern. Schwanzschuppen ganzrandig und gekielt. Alle anderen Schuppen und Si^ilder sind ähnlich jenen der Mauereidechsen.
Schenkelporenzahl: beim Männchen 18—20; beim Weibchen 17-21.
Färbung und Zeichnung. Die Grundfarbe des Oberkörpers ist dunkel oder hellbraun. Die mediane Re- gion des Rückens erscheint höchst selten dunkelbraun oder schwarz gespritzt. Auf den Seiten befinden sich breite, braune Binden, welche stets dunkler sind, als die funda- mentale Farbe; sie nehmen ihren Ursprung am hinteren Ohrrande und verlieren sich in der Schwanzgegend. Eine grössere Anzahl kleiner, weisser Augenflecken zieren diese Binden und verleihen dem Thierchen ein reizendes Aus- sehen, besonders entwickelt und zahlreich kommen sie bei den Männchen vor. Der oben braune Schwanz ist öfters dunkelbraun punktirt. Die Kopfdecke und Seiten sind braun, selten dunkelbraun gefleckt. Die Kehle erscheint blau, die Unterseite der Extremitäten und die Bauchseite sind bläulich-weiss. Bläuliche schwarzumrandete Oceili zieren die ersten longitudinalen Bauchschilderreihen. Die Seiten des Schwanzes sind unten blaugrau. Die Unter- seite des Schwanzes ist weisslich.
Die Weibchen sind weniger intensiv gefärbt und stehen in der Ausprägung der Zeichnungselemente den Männchen nach.
Uugeachtet dessen, dass Laccrta judaica eine gute
Ueber Lacerta oxycephala Fitz. u. judaica Cam. 273
Art ist, können wir sie dennoch von der Mauereidechse ableiten. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich in ihr eine Lacerta mtiralis erkenne, deren Nasofrenale sich in zwei Platten gespaltet hat, und deren Anzahl der vorderen Su- pralabialien sich um eine vergrössert, was wir, wenn auch nur selten, bereits bei ächten Mauereidechseu die Gelegen- heit hatten zu constatiren.
Es drängt mich zum Schluss dieser Arbeit Herrn L. Rein glas in Cairo und Herrn Reveliere in Porto- Vecchio für das mir zugestellte, werthvolle Material meinen wärm- sten Dank abzustatten.
Heidelberg, im December 1879.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XI.
• Fig. 1. Lacerta muralis var. neapolitana de Bedriaga. Kopf eines Männchens (natürliche Grösse). f Fig. 2. Lacerta oxycephala Fitz. ^
Fig. 3. Lacerta judaica Camerano. Kopf eines alten Männ- chens (natürliche Grösse).
Fig. 4. Scheitelbein von L. muralis var. neapolitana.
Fig. 5. Scheitelbein von L. oxycephala (vergrössert und halb- schematisch).
Fig. 6. Scheitelbein und Hinterhauptsbein von L. oxycephala von oben betrachtet.
Fig. 7. Schädel der L. muralis var. neapolitana von - hinten (halbschematisch und vergrössert).
Fig. 8. Schädel der oxycephalen Eidechse von hinten (halb- schematisch und vergrössert).
Arohiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. lg
Geositta antarctica.
Von
Landbeck,
in Santiago de Chile. Hierzu Tafel XII.
Artkennzeichen.
Oberseite mäusegrau, Oberschwanzdeck- und die meisten Schwanzfedern grösstentheils weiss.
Beschreibung.
Ganze Länge von der Schnabel- bis Schwanzspitze 14 cm
Schnabel 14 mm
Schwanz 6 cm
Flügel vom Bug bis Spitze 11 »
Tarsus 2cm 2mm
Der Schnabel ist ganz schwarz und mit der Spitze schwach abwärts gebogen, die Iris dunkelbraun, die Tarsen und Zehen schwarz. Die ganze Oberseite mit Ausnahme der letzten Oberschwanzdeckfedern, welche weiss sind, ist mäusegrau, erd- oder bräunlichgrau, auf der Stirn sind die Federn hellgerändert, was auch im Genick bei einigen Federn der Fall ist. Hinter dem Auge zieht sich ein weis- ser Fleck über dem Ohr gegen das Genick. Die Ohrfedern bräunlich weiss; Kinn und Kehle rein weiss; Brust und ganze übrige Unterseite fahlweiss, auf der Brust dunkler gewölkt, in den Seiten graubraun, Unterschwanzdeckfedern etwas lebhafter fahlweisslich. Die Oberseite der Flügel erdgraubraun, die grössern Deckfedern breit weisslich ge- randet. Die Unterseite der Flügel hell rostfarbig, der
Geositta antarctica. 275
Flügel ist lang und spitzig. Die erste und 4. Schwung- feder gleicblang und kürzer als die zwei folgenden, welche gleichlang sind. Die ersten G Schwungfedern sind fahlröth- lich und mit Ausnahme der ersten mit schwarzen, weiss eingefassten Spitzen; die übrigen Schwungfedern haben dieselbe fahlröthliche Farbe aber nur die 3 letzten sind auf der Aussen-, zum Theil auch auf der Innenfahne schwarz mit sehr breitem röthlichen Rande, welcher nach der Aussen- kante heller endigt; der Schwanz ist schwach ausgeschnit- ten. Die äusserste Schwanzfeder fahl weiss, auf der Spitze der Innenfahne ein schwärzlicher verloschener Fleck; die zweite ebenfalls von derselben Farbe, mit grösserem und intensiverem Fleck, die dritte ist zu zwei Drittel von der Spitze aufwärts schwarz, an der Wurzel fahlweiss, die 4. und 5. ebenso, die 6. ganz schwarz, fahlweiss eingefasst.
Diess ist die Beschreibung eines alten Männchens, welches im Sommer von 1879 in Feuerland erlegt wurde.
Eine Verwechslung mit den 3 chilenischen Geositta Arten ist nicht wohl möglich, denn die zwei Arten: G. isabellina und fasciata Nob. sind bedeutend grösser, nament- lich robuster und ganz anders gefärbt, besonders auf der Unterseite einfarbig und ungefleckt G. cunicularia besitzt allerdings einige Aehnlichkeit, ist aber auf der Oberseite dunkler gefärbt und auf der Brust schwarz gefleckt, ins- besondere aber ist ihr Schnabel länger und stärker gebogen. Eine von uns ebenfalls aufgestellte peruanische Art G. Frobeni ist auf der Unterseite ebenfalls ungefleckt, bei den beiden letztgenannten Arten ist die Wurzelhälfte des Unter- schnabels hornweiss oder fleischfarbig bei der feuerländischen dagegen der ganze Schnabel tiefschwarz.
Ctenomys fueginus Ph.
Von
Dr. R. A. Philippi.
Hierzu Tafel XIII.
Bei der Erforschungsreise, welche der chilenische Marinelieutenant Serrano im Sommer 1878—79 auf der öst- lichen Insel des Feuerlandes gemacht hat, begleitete ihn der Diener des Museums, und brachte ausser Geositta antarctica und anderen bekannten Vögeln und Säugethieren auch mehrere Exemplare einer Ctenomys mit, welche ich für unbeschrieben halte — soweit meine hiesigen Hülfsmittel reichen, die nichts weniger als reichhaltig sind —, und mit obigem Namen belegt habe. Diese Maus ist das haupt- sächlichste Nahrungsmittel der Einwohner jener Insel, so wie vor Ankunft der Spanier die Chilenen ihre Fleisch- nahrung hauptsächlich vom Degu, Octodon Degus Wat., nahmen. Die östlichen Feuerländer fangen diesen Nager hauptsächlich durch ihre Hunde.
Anfänglich glaubte ich, die erhaltenen Mäuse seien Ctenomys magellanicus Bennett, welche Art das gegenüber- liegende Festland bewohnt, und welche ich aus Waterhouse Nat. bist, of the Mammalia. Rodentia p. 283 t. 9. f. 2, u. t. 8. f. 2 kenne; Waterhouse sagt, dass nur ein einziges Exemplar davon nach Europa gebracht sei, so wie, dass diese Art durch verhältnissmässige Kleinheit und Schmal- heit des Schädels von den andern Arten ihres Geschlechts verschieden sei.
In der Gestalt dürfte Ctenomys fueginus kaum auf- fallend von den andern Ctenomys-Arten verschieden sein. Die Schneidezähne sind fast «rangegelb. Die Schnurrborsten
Ctenomys fueginus Vh. 277
reichen bis hinter die Ohren, sind fein und weich, sehr hellbraun, und zum Theil fast weiss. Das Grannenhaar des Pelzes ist in den untern zwei Drittheilen schwarz, im letzten Drittheil weiss oder vielmehr hellgelb, an der Spitze selbst aber wieder schwarz, so dass die allgemeine Fär- bung des Pelzes eine schwer zu beschreibende Mischung von Gelb und Grau ist. Dabei ist das Grannenhaar gegen die Wurzel hin sehr fein, im weisslichen Theil aber wohl dreimal so breit wie an der Wurzel und dabei platt; die Haare der Seiten scheinen am breitesten zu sein. Die Länge be- trägt an den Seiten und auf dem Rücken 19 mm. Die Bauclihaare sind kürzer, und der weissliche Theil derselben ist so lang wie der schwarze; die Färbung des Bauches wird dadurch beinahe weisslich. Die Haare der Füsse sind kürzer, steifer, ermangeln ebenfalls der schwarzen Spitze und gehen allmählich in die steifen Borsten über, welche dem Genus den Namen gegeben haben. Am Schwanz sind die Haare dicht anliegend, sonst kaum von den Haaren des Rumpfes verschieden ; er erscheint oben schwärzlich, besonders nach der Spitze hin; unten ist er rein gelblich weiss. Das Wollhaar ist nur durch grössere Feinheit vom Grannenhaar verschieden.
Besonders lang sind die Haare am Hintern des Thieres.
Die Krallen der Vorderfüsse sind lang, schwach ge- krümmt, stumpf, oben rund, unten aber in einen scharfen Kiel auslaufend, der gegen die Spitze in ein Grübchen übergeht; die der Hinterfüsse sind viel kürzer, und unten fast in ihrer ganzen Länge von einer Furche durchzogen ; die Farbe der Krallen ist weisslich. Ich bemerke gleich hier, dass die Krallen sehr verschieden von denen des Ct. magel- lanicus sind, denn bei dieser Art sind sie sehr klein; die Zeichnung zeigt die Vordernägel nicht länger als die Hin- ternägel nämlich beide kaum 4 mm lang und dabei sehr spitz.
Was die Dimensionen des Ctenomys fueginus betrifft, so misst das grösste Exemplar 227 mm von der Schnauzen- spitze bis zur Schwanzwurzel; die Länge des Schwanzes beträgt 46 mm; von der Handwurzel bis zur Spitze der Krallen messe ich 26 mm, vom Hacken bis zur Spitze der
278
R. A. Philippi:
Nägel 35 mm, die längste Kralle der Vorderftisse misst auf der Oberseite fast 10 mm, die der Hinterfüsse 6 mm. Ich gebe nun die Dimensionen des Schädels der bei- den Arten von Ctenomys, Ct. fueginus und magellanicus in Millimetern.
fueginus magellan.
Gesammte Länge des Schädels 49 45
Breite des Hinterkopfes 26 24
Breite vom Aussenrand des einen Jochbeins zum
Aussenrand des andern 28V2 25
Abstand von einer Augenhöhle zur andern ... 9 10
Länge der Nasenbeine 18 15
Breite derselben vorn • . • 6 6
Breite derselben hinten, wo sie an das Stirnbein
stossen 3 3
Länge des Jochbogehs aussen 22 V2 21
Breite der Schnauze oder der Oberkiefer ... 9 9
Entfernung von den Schneidezähnen bis zu den
Backenzähnen 15 13
Länge des Unterkiefers von der Spitze bis zum
hintern Winkel 40 33
Höhe desselben vom Gelenkkopf bis zum untern
Rande
Grösste Entfernung der beiden Aeste desselben
Länge der vier obern Backenzähne
Länge der vier untern Backenzähne
Länge der obern Schneidezähne aussen j^emessen Breite der beiden untern Nagezähne zusammen Dicke der Nagezähne
Man sieht, der Schädel von Ctenomys fueginus ist im Allgemeinen etwas grösser als der von Ct. magellanicus, aber die Entwickelung seiner Kaumuskeln ist unverhältniss- mässig bedeutender. Die Jochbogen sind viel mehr nach aussen gebogen, so dass der vom Schläfenmuskel ausge- füllte Kaum fast doppelt so weit wie bei Ctenomys magel- lanicus ist. Der Jochbogen unserer Art hat aussen eine stark hervortretende horizontale Leiste, die am Schädel von der genannten Art — nach der Figur zu urtheilen — lehlt. Der Unterkiefer ist der grösseren Entwickelung der Kaumuskeln gemäss weit kräftiger; seine hinteren unteren Winkel treten weiter nach hinten vor, und sind weiter ent-
16V2 |
12 |
30V2 |
28 |
10^-11 |
— |
IQJ-ll |
9 |
10 |
7 |
6 |
3V4 |
3 |
2 |
Cteuomys fueginus Ph. 279
fernt vom Gelenkkopf, so dass der Unterkiefer weit höher ist. Ebenso sind die Nagezähne unserer Art weit kräftiger. Die übrigen Verschiedenheiten zwischen den Schädeln der beiden Arten scheinen mir weniger bedeutend, und übergehe ich sie deshalb in der Beschreibung, sie ergeben sich übrigens leicht aus einer Vergleichung der Zeichnun- gen und der Maasse. Jedenfalls finden sich zwischen ihnen solche Verschiedenheiten, dass man sie nicht als einer und derselben Art angehörig betrachten kann, und glaube ich daher, dass die Aufstellung einer neuen Art vollkommen gerechtfertigt ist.
Erklärung der Abbildungen zu Tafel XIII.
Fig. 1. Schädel von Ctenomys fueginus von oben gesehen.
Fig. 2. Derselbe von der Seite.
Fig. 3. Unterkiefer von Ctenomys fueginus.
Fig. 4. Schädel von Ctenomys magellanicus von oben nach Bennett.
Fig. 5. Derselbe von der Seite, desgleichen.
Fig. 6. Unterkiefer von Ctenomys fueginus, desgleichen.
Beitrag zur Kenntniss der Verbreitnngsgrenzen der fliegenden Fische im südindischen Ocean,
Von
E. von Banckelman,
Assistent am meteorologischen Institut zu Leipzig.
Bekanntlich ist es das unsterblic heVerdienst Maury's, die Führung specieller meteorologischer Journale an Bord von Schiffen zuerst angeregt und in Fluss gebracht zu haben. Waren dieselben zuerst auch in vielen Beziehungen mangelhaft, so sind sie in neuerer Zeit, Dank den Be- mühungen der nautischen Centralinstitute der verschiedenen in- und aussereuropäischen Staaten und der internationalen Meteorologencongresse, ausserordentlich vervollkommnet wor- den, und ist es in den einzelnen Ländern gelungen, einen Stamm gebildeter und einsichtsvoller SchifPsführer heran- zuziehen, durch deren Beobachtungen es gelingen wird, allmählich mehr und mehr Einsicht in die physicalische Beschaffenheit der Oceane und über die Vorgänge in dem über jenen gelagerten Luftmeer zu gewinnen.
Unter den zahlreichen Kapitainen, welche für die deutsche Seewarte in Hamburg derartige Journale auf hoher See führen, (was bekanntlich ohne jede pecuniäre Ent- schädigung und nur ganz freiwillig geschieht) befindet sich eine Reihe eifriger Männer, die mit einem offenen Sinn für die sie umgebende Natur begabt, sich nicht nur mit der Registrirung von Daten rein meteorologischer Natur begnügen, sondern auch über von ihnen auf ihren Seereisen
Zur Kenutniss der Vorbruitimg der fliegeuden Fische. 281
beobachtete Erscheinungen in der organischen Natur ge- treulich und eifrig Buch führen. So bergen diese von der deutschen Seewarte seit ihrem Bestehen gesammelten Schiffsjournale, deren Zahl das erste Tausend bereits über- schritten hat, ein recht werthvolles Quellenmatcrial über das Auftreten und die Verbreitung der Seegräser, Seevögel etc., das noch seiner Schöpfung und weiteren Bearbeitung harrt.
Bei Gelegenheit einer Durchmusterung der an dem deutschen nautischen Institut vorhandenen Journale über Reisen durch den indischen Ocean, die ich wegen einer Arbeit meteorologischer Natur unternahm, glaubte ich mir keine vergebliche Mühe zu machen, wenn ich hierbei die vorkommenden Bemerkungen über das Auftreten der flie- genden Fische gleichzeitig mit excerpirte.
Dem von Europa nach Indien oder China bestimmten Seefahrer ist, wenn er das Cap der guten Hoffnung pas- sirt hat und wieder nach niedrigem Breiten steuert, das. erste Auftreten der fliegenden Fische immer eine bemerkens- werthe Thatsache ; sie sind ihm die Vorboten der tropischen Regionen, ganz abgesehen davon, dass sie ihm zuweilen durch ihr zahlreiches Niederfallen auf Deck, namentlich bei nicht sehr hoch über dem Wasser gehenden Schiffen, ein unerwartetes Gericht von frischem Fleisch liefern. Es ist daher nichts seltenes, dass man selbst in solchen Jour- nalen, in denen man sonst keine Bemerkungen zoologischer Natur antrifft, häufig das erste Auftreten der fliegenden Fische getreulich verzeichnet findet, und bietet dieser Um- stand eine günstige Gelegenheit die südliche Verbreitungs- grenze dieser Thiere wenigstens annähernd festzustellen. Wir geben im Folgenden die excerpirten Daten, die wir nur den ganz besonders guten und vertrauenswürdigen Journalen entnommen haben, und unter denen wir noch alle diejenigen ausgelassen haben, bei denen offenbar Irr- thümer unterlaufen sein mussten. Den nach der Länge der Beobachtungspunkte geordneten Angaben sind die jedesmal am Ende der betreffenden Woche beobachteten Temperaturen der Wasseroberfläche und das Datum der Beobachtung beigefügt.
282
E. V. Danckelman
Länge ö. v.Gr. |
Breite. |
Wassertemp.C. |
Datum . |
20« |
39« |
17.«4 |
24. April. |
24 |
42 |
17. 5 |
9. Juni. |
28 |
33 |
23. 6 |
22. April. |
32 |
31 |
21. 5 |
18. Februar. |
32 |
30 |
25. 6 |
28. April. |
37 |
29 |
2L 8 |
7. November. |
42 |
30 |
21. 0 |
9. August. |
42 |
29 |
20. 4 |
28. Februar. |
42 |
28 |
23. 5 |
7. Mai. |
50 |
27 |
22. 0 |
14. Juli. |
58 |
25 |
19. 4 |
22. April. |
68 |
21 |
21. 5 |
23. September. |
84 |
23 |
22. 0 |
17. December. |
86 |
27 |
21. 5 |
15. November. |
87 |
27 |
22. 0 |
24. December. |
87 |
23 |
21. 8 |
2. Februar. |
89 |
25 |
20. 6 |
8. December. |
90 |
27 |
22. 1 |
12. December. |
94 |
22 |
21. 3 |
28. November. |
94 |
27 |
22. 0 |
5. März. |
101 |
25 |
21. 1 |
18. August. |
101 |
23 |
22. 5 |
24. Oktober. |
101 |
31 |
19. 2 |
28. Februar. |
101 |
28 |
17. 9 |
25. Juni. |
102 |
28 |
18. 8 |
17. Oktober. |
103 |
19 |
18. 6 |
4. Oktober. |
104 |
20 |
17. 7 |
2. September. |
104 |
25 |
19. 2 |
10. Oktober. |
105 |
21 |
22. 5 |
30. September. |
105 |
18 |
24. 2 |
15. Juni. |
106 |
20 |
21. 2 |
7. September. |
106 |
18 |
22. 9 |
9. September. |
112 |
21 |
24. 0 |
17. Juni. |
Trägt man die Beobachtungspunkte auf einer Karte ein, so ergiebt sich, dass die Verbreitungsgrenze im allge- meinen einen Verlauf von Südwest nach Nordost nimmt, so zwar, dass derselbe sich in der Nähe des afrikanischen Continents am meisten den antarktischen Regionen nähert, während sie sich an der Westküste Australiens am weite- sten von denselben entfernt. Die Erklärung für diese
Zur Kenntniss der Verbreitung der fliegenden Fische. 283
Thatsache ist in den Meeresströmungen, welche den süd- indischen Ocean durchziehen, zu finden. An der Ostküste Afrikas setzt der warme Mozambiquestrom herab, der an der Stidküste des Continents den Namen Aculhasstrom führt. Durch dessen warme Gewässer ist den fliegenden Fischen ein Vordringen in höhere Breiten gestattet, als an anderen Punkten des Oceans. Nach der Tabelle sind beim ersten Auftreten dieser Fische hier niedere Wassertempera- turen gefunden worden als an irgend welchen anderen Stellen. Dieser Umstand kann einerseits dadurch erklärt werden, dass einzelne Schaaren dieser Fische durch die starke Meeresströmung hier zuweilen in Gebiete geführt werden, deren Temperatur im allgemeinen zwar ihrer Exi- stenz nicht günstig sein wird, ohne dass jedoch gerade schon eine directe Gefährdung derselben vorhanden zu sein braucht. Andererseits findet die Erscheinung auch wohl in dem Umstand ihre Erklärung, dass bei einem Zusammen- treffen einer kalten und einer warmen Meeresströmung, wie dies an der Südküste von Afrika der Fall ist, wärmere und kältere Streifen Wassers in horizontaler Richtung neben- einander sich finden, so dass die angegebenen Wassertem- peraturen wohl nicht mit denjenigen zusammenfallen dürf- ten, die man gewonnen haben würde, wenn man dieselben gerade im Augenblick des Auftretens der Fische beobachtet hätte.
Der Verlauf der Verbreitungsgrenze schliesst sich im westlichen Theil des Oceans im Allgemeinen recht genau den Grenzen der warmen Strömungen in diesem Meer an, erst unter 80^ östl. L. zeigen sich einige bemerkenswerthe Sprünge in der Curve, die sich vielleicht durch eine ver- mehrte Zahl von Beobachtungen ausgleichen würden. Jeden- falls ist aber die Tendenz derselben in dieser Gegend in höhere südliche Breiten vorzudringen unverkennbar, ohne dass es möglich wäre hierfür an der Hand von Meeres- strömungen eine directe Erklärung zu finden. Der Einfluss dieser letzteren tritt aber wieder sehr deutlich in der Nähe der Westküste Australiens zu Tage. Unter dem Einfluss des hier nach Norden setzenden kalten Stromes steigt die Curve hier wieder bedeutend nach dem Aequator zu
284 V. Dan ekel man : Zur Kenntn. d. Verbreitungsgr. d. flieg. Fische.
enipor und scheint die antarktische Strömung die Existenz der Fische an der Westküste Australiens nicht zuzulassen. Eine Schwankung der Verbreitungsgrenze je nach der Jahreszeit nachzuweisen, ist bei dem noch so spärlichen Material unmöglich, wohl aber dürfte durch dasselbe con- statirt sein, dass die äusserste Grenze der Verbreitung der fliegenden Fische, nach den Polen zu, soweit dieselbe an die Wassertemperatur gebunden ist, in der Meeresisotherme von 17<^ C. gegeben ist.
Ueber die Mundtheile der Araclmiden.
Von
A. Croneberg
in Moskau.
Hierzu Tafel XIV bis XVI.
Dem Vergleich der Arachniden mit den übrigen Ar- thropoden hat sich bekanntlich immer als Hinderniss die beschränkte Extremitätenzahl der Ersteren entgegengestellt, wobei hauptsächlich im Bereich des Kopfabschnittes die Deutung der zu Mundwerkzeugen umgebildeten Körperan- hänge erschwert wird. Seitdem nach dem Vorgange von Latreilbe das erste Extremitätenpaar der Arachniden in Anbetracht seiner Innervirung vom Oberschlundganglion von den meisten Anatomen als modificirte Antennen erkannt worden ist, blieben im Ganzen nur noch die sog. Maxillen und die vier Beinpaare der Arachniden für den Vergleich mit einer grösseren Anzahl von Kopf- und Thoracalan- hängen der anderen Arthropoden übrig. Die Versuche, diese Gliedmassen der Arachniden denen der Insekten und Cru- staceen zu parallelisiren, sind bekannt, ebenso wie die in dieser Hinsicht noch immer herrschende Unsicherheit, die gewiss zum Theil dadurch erklärt werden kann, dass eben der Vergleich zwischen offenbar schon sehr weit von dem Urtypus entfernten Formen vorgenommen wurde. Die so scharf und unvermittelt dastehenden Eigenthümlichkeiten in der Organisation der heute lebenden Repräsentanten der Arachniden, die unverkennbare Tendenz zur Reduction der Körperabschnitte und Extremitäten, zusammengehalten mit gewissen embryologischen Thatsachen, die für eine Ab-
286 A. Croneberg :
stammung von Formen mit einer viel grösseren Gliedmas- senzahl sprechen, lassen es zweckmässiger erscheinen, zu- nächst im Bereich dieser Thierclasse für sich, ganz abge- sehen von den übrigen Arthropoden, nach den Characteren der Urform zu forschen, die den heutigen Gestalten zu Grunde liegt. In Bezug auf die Mundtheile wäre demnach die Frage zu erörtern, ob sich nicht innerhalb der Arach- nidenclasse selbst Nachweise eines früheren complicirteren Baues erhalten haben, gleichviel ob derselbe mit dem von anderen Gliederthieren bekannten übereinstimmen sollte oder nicht, und ein derartiger Versuch bildet den Gegen- stand der vorliegenden Untersuchung.
Da sich schwerlich etwas gegen die gegenseitige Ho- mologie der Kieferfühler bei sämmtlichen Arachnidenord- nungen sowie gegen die ihrer Unterkiefer und deren Pal- pen einwenden lässt, so beschränkt sich die Untersuchung auf diejenige Bildung, welche bei allen höheren Arachniden schon längst als Oberlippe, Epipharynx oder unter dem indifferenteren Namen eines Rostrum bekannt ist. Es ist dies ein ziemlich unscheinbarer, unpaarer, seitlich compri- mirter Vorsprung, der sich zwischen den Kieferfühlern und den Maxillen unmittelbar über der Mundöffnung erbebt oder dieselbe von oben umschliesst. Es war zuerst Bl auch ard, der auf Grund seiner Beobachtungen an Solpuga (Galeodes) in diesem unpaaren Organe das Aequivalent der ver- schmolzenen Mandibeln, Maxillen und sogar der Unterlippe der Insekten wahrzunehmen glaubte und dasselbe auch für die anderen Arachniden behauptete ^), allein die ungenügen- den und offenbar zu sehr von dem Gedanken an die Ver- wandtschaft mit den Insekten beeinflussten Beweisgründe dieses Forschers scheinen seiner Ansicht nur wenig Be- achtung erworben zu haben. Zu Gunsten derselben hat sich nur Milne-Edwards^) ausgesprochen, ohne übrigens weitere Beweise vorzubringen, ebenso Balbiani^), welcher jedoch mit Recht auf die Nothwendigkeit einer embryolo-
1) Organisation du Regne animal. Arachnides, p. 210.
2) LcQons sur la Phys. et l'Anat. comp. V, p- 541.
3) Developp. d. Phalangides (Ann. d. Sc. nat. 1872. p. 25).
Ueber die Mundtheilo der Arachniden. 287
gischen Begründung hingewiesen hat. Seitdem scheint die Frage nach der Bedeutung dieses Organes kaum irgendwo berührt worden zu sein.
Betrachten wir zunächst das sog. Rostrum des Scor- pions (Androctonus). Von oben gesehen erscheint dasselbe, nach Entfernung der Kieferfühler, als ein medianer kleiner, zwischen den Grundgliedern der Maxillen sitzender Fort- satz (Fig. 1, R). An der Oberseite und an der Basis ist er stärker chitinisirt, unten weicher; der vordere Theil des Rostrum ist stark seitlicli comprimirt, so dass der untere Rand einen ziemlich scharfen Kiel bildet, der jederseits mit dichten, anliegenden Haaren besetzt ist (Fig. 2 von der Seite, Fig. 3 von unten). Unten an der Basis liegt in einer Vertiefung die kleine Mundöffnuug (Fig. 3 o), an die sich unmittelbar der stark comprimirte Anfangstheil der Speiseröhre, der Pharynx anschliesst (Fig. 2 ph). Der Basaltheil des Rostrum ist deutlich paarig und wird durch stärker chitinisirte Nähte von dem unpaaren vorderen Ab- schnitte abgegrenzt; er wird durch zwei Chitinbalken ge- bildet (Fig. 2 rb), die schräg von den Seiten der Mund- öffnung aufsteigend, sich nach oben verbreitern und den unpaaren Theil (r) zwischen sich aufnehmen, indem sie hinter demselben zusammenstossen. An dieser Stelle fügen sich dem Rostrum ein paar comprimirte, sichelförmig ge- bogene Fortsätze an (Fig. 1, 2, f), die nach hinten in's Innere des Thorax vorspringen und den Muskeln der Kieferfühler zum Ansatz dienen, während jederseits vom Munde, an den unteren convergirenden und verdickten Enden der Balken ein kleiner weichhäutiger Fortsatz zu bemerken ist (Fig. 3 u).
Der beschriebene Apparat hat eine grosse Aehnlich- keit mit den von mir bei verschiedenen Hydrachniden und bei Trombidium gefundenen inneren Mundtheilen ^). Ver- gleicht man z. B. diese Bildungen bei Eylais^), so findet
1) Ueber den Bau vonEylaisextendens, nebst Bemerkungen über verwandte Formen (Denkschr. d. Ges. d. Freunde der Naturkunde etc. in Moscau, Bd. XXIX, Hft. 2. (russisch) und über den Bau von Trombidium (Bull. Soc. Nat. de Moscou Jahrg. 1879, Nr. 2, p. 234).
2) 1. c. Taf. I, Fig. 4, 5.
288 A. Croneberg:
man auch hier an der Innenseite der Maxillarladen ein Paar nach innen vorspringender Chitinfortsätze, die sich über dem Eingange in den weiten Pharynx brückenartig ver- binden und genau an derselben Stelle, wie beim Scorpion, zwei lange Chitinstäbe nach hinten abgehen lassen, welche bei den Hydrachniden und Trombidien die beiden Haupt- stämme des Tracheensystems umschliessen. Die beiden Hälften der den Pharynx überwölbenden Brücke entsprechen offenbar den paarigen Basaltheilen des Rostrums beim Scorpion und ihre unteren Enden treten ebenfalls an den Seiten der Mundöffnung an die Oberfläche des Körpers, wo sie den Haarkranz tragen, der den Mund umgiebt. Die Lagebeziehungen zu den benachbarten Theilen sind die nämlichen, wie beim Scorpion, nur fehlt bei den erwähnten Milben, wohl im Zusammenhang mit der engen Anlagerung der Kieferfühler an die Maxillarladen (Unterlippe) jede Spur eines vorderen unpaaren Theiles eines Rostrum.
Die Verhältnisse bei dem Scorpion erlauben aber, wie ich glaube, einen Schluss auf die eigentliche Bedeutung der beiden hinteren Fortsätze des Rostrum, sowie jener von mir Trachealleisten genannten Chitingebilde bei den Milben. Wenn nämlich der Thorax des Scorpions von oben geöffnet und die inneren Organe entfernt worden sind, so gew^ahrt man im Innern desselben ein ziemlich complicirtes Chitingerüst (Fig. 1). Der Vorderrand der Coxalglieder sämmtlicher Beine erhebt sich in Gestalt schmaler Leisten (a, a', Si" . . .), die an den beiden vor- deren Beinen eine quere Lage besitzen, an den zwei folgenden nach hinten divergiren; ein weiteres Paar solcher Vorsprünge entspricht dem ersten Bauchsegment. An jedem Apodem der drei ersten Beinpaare erkennt man dann noch einen unteren horizontalen Fortsatz in Gestalt eines durchsichtigen, mit einem scharfen Ausschnitte ver- sejienen Blättchens (b, b', b"), welches nach hinten gerichtet ist, während sich vom äusseren Ende des Apodems der beiden ersten Segmente ein schief nach oben und innen aufsteigender Fortsatz (c', c") erhebt, welcher sich mit dem nächstfolgenden Apodem verbindet. Weiter nach hin- ten findet man diese Bildungen nicht mehr, sucht man abei*
Ueber die Mundtlieile der Arachniden. 289
in der Richtung nach vorn nach einem Aequivalent der- selben für das Maxillarsegment, so ist dasselbe wohl ohne Zweifel in der breiten dreieckigen Platte c zu erkennen, welche die obere Decke der Maxillarladen bildet und zu dem unteren Theil derselben in einem ähnlichen Verhält- nisse steht, wie die Fortsätze c', c" zu den Coxalgliedern der zwei ersten Beinpaare; ihre relativ stärkere Entwicke- lung entspricht der beträchtlicheren Grösse der betreffen- den Extremität. Ist diese Deutung richtig, so wird, in Berücksichtigung der ähnlichen Gestalt der beiden, dem Rostrum hinten angefügten Fortsätze f, auch eine homologe Beziehung derselben zu dem Rostrum selbst wahrscheinlich d. h. wir können dem Letzteren ein Paar eben solcher Apodemen zuschreiben, wie sie den nachfolgenden Extremi- täten zukommen, und in Folge dessen in diesem Gebilde selbst ein rudimentäres Extremitätenpaar erkennen.
Diese Deutung könnte jedoch zunächst nicht für das ganze Rostrum in Anspruch genommen werden, sondern höchstens nur für den aus paarigen Seitentheilen bestehenden Abschnitt desselben, während der vordere unpaare Theil immerhin einer Oberlippe entsprechen könnte. Wir werden indessen im Weiteren sehen, dass bei anderen Arachniden der vordere Abschnitt des Rostrum, ganz ebenso wie die Basis, eine Zusammensetzung aus paarigen Hälften noch deutlich genug erkennen lässt, und wenden uns nun zur Betrachtung einer ebenfalls durch die Vollständigkeit ihrer Körpersegmentation ausgezeichneten Form, der Solpuga.
Das Rostrum dieser Thiere (Fig. 4, 5, 6) zeigt eine stärkere Ausbildung, als dasjenige des Scorpions, und bietet noch dazu den wesentlichen Unterschied, dass es die Mundöffnung nicht an seiner Basis, sondern unterhalb seiner Spitze trägt (Fig. 6, o). Da ausserdem das Rostrum einen nicht unbeträchtlichen Theil des Pharynx umschliesst (Fig. 5 ph), so dürfte schon desshalb der Vergleich mit einer Oberlippe nicht ganz passend sein. Der Basaltheil des Rostrum (rb) lässt zwar keine Naht in der Median- linie erkennen, läuft aber hinten in zwei breite und kurze, senkrecht gestellte Fortsätze aus (f), welche durch eine Chitinnaht vom Basaltheil abgegrenzt sind und zu demselben
Archiv f. Natiirg. XXXXVT. Jalii-g. 1. B<1. 19
290 A. Croneberg:
in einem ähnliclien Verhältnisse stehen, wie die beiden Apodemen des Rostrum beim Scorpion. Der Basaltheil bildet hier über dem Pharynx eine Brücke, wie wir es beim Scorpion und den Hydrachniden bereits gesehen haben; der Vordertheil des Rostrum (r) aber zeigt bei Solpuga deutlich eine paarige Zusammensetzung, indem die die Mundöffnung überragende Spitze in zwei verticale Lamellen ausläuft, die aus zahlreichen, miteinander ver- bundenen Chitinstäbchen besteht; an den Seiten des Mundes stehen zwei weiche, zipfelförmige Fortsätze (u), die je eine lange, behaarte Borste tragen. Eine Oberlippe scheint hier überhaupt nicht vorzuliegen und wird daher auch eine solche für den Scorpion in Frage gestellt werden müssen, wie sich denn auch bei den anderen Arachniden, wie wir sehen werden, nichts darauf hinweisendes finden lässt. Dagegen ist es natürlicher, in dem gesammten Rostrum von Solpuga und Scorpio das Produkt der Verschmelzung von paarigen Organen, und zwar, nach dem Vorhandensein der Apodemen zu urtheilen, von Gliedmassen-artigen Bil- dungen anzunehmen. Es fragt sich indessen, ob wir es in diesen beiden Fällen nicht mit zwei solchen Extremitä- tenpaaren zu thun haben, indem nämlich die beiden zipfel- förmigen Anhänge an den Seiten des Mundes bei Solpuga (sowie die an der entsprechenden Stelle beim Scorpion vorhandenen Fortsätze), die auch sonst sich durch ihre weichhäutige Beschaffenheit von dem übrigen Rostrum deutlich abgrenzen, die Rudimente eines zweiten Paares darstellen könnten. Wir werden im Folgenden sehen, dass wenigstens die Wahrscheinlichkeit einer solchen Annahme nicht ganz ausgeschlossen bleibt.
lieber den Bau der Mundtheile bei den Pseudoscor- pionen besitzen wir bis jetzt nur die ziemlich mangelhaften Untersuchungen von Menge 1), welcher, wie es scheint, das Rostrum dieser Thiere völlig übersehen hat. Die Bestand- theile desselben lassen sich indessen ebenso leicht wie bei den übrigen Arachniden nachweisen, wenn man z. B. bei
1) lieber die Scheerenspinnen (N. Schrift der nat. Gesell, zu Danzig, Bd. V. 1855).
üeber die Mundtheilc der Arachniden. 291
Cbelifer die Kieferfüblcr und das Thoracalschild ablöst. Man siebt alsdann (Fig. 7), dass die Grundglieder der beiden Maxillen (mx) durcb eine Querbrücke verbunden werden (rb) welcbe die Basis des Rostrum bildet; sie be- stebt aus zwei dreieckigen, binten und oben zusammen- stossenden Platten, denen binten nocb zwei kurze Fortsätze angefügt sind (f), und das Ganze bildet wie bei anderen Aracbniden einen den Pbarynx (pb) überwölbenden Bogen. Der Zwisebenraum beider Basalplatten wird vorn durcb zwei convergirende feine Cbitinleisten abgescblossen und bat eine fast rbombiscbe Gestalt, die Leisten selbst ver- scbmelzen vorn und stützen einen flacben, durcbsicbtigen, Oberlippen-artigen Fortsatz (r), den wir, entsprecbend dem Befunde an Solpuga, ebenfalls als aus paarigen Seiten- tbeilen gebildet uns vorstellen können. Diese glasbelle, vorn abgerundete Platte bietet bei Obisium eine zierlicbe scb üppige Zeicbnung. An ibrer Unterfläcbe (Fig. 8) ziebt von der Spitze nacb binten eine deutlicbe Nabt, so dass man sieb die Ränder des flacben Gebildes nacb unten um- gescblagen und miteinander verwacbsen denken muss ; weiter nacb binten trennen sieb aber die Ränder, und be- tracbtet man das von den Maxillen abgelöste Rostrum von der Seite (Fig. 9), so siebt man, dass dieselben zwei senkrecbte, einander eng anliegende Lamellen darstellen, die eine äusserst feine und regelmässige Querstreifung zeigen und an ibrem convexen unteren Rande mit sebr feinen Zäbncben verseben sind. Die oberen Grenzen die- ser Lamellen sind vollkommen gerade und in ibrer Höbe verläuft zwiscben ibnen eine unpaare Cbitinleiste, die Fortsetzung der oberen Wandung des Pbarynx. Letzterer bat im Querscbnitt eine vierstrablige Gestalt, weil seine stark cbitinisirte Wand sieb nacb oben und unten in Form von vier balbkreisförmigen Leisten ausziebt, welcbe der Musculatur zum Ansatz dienen. Die untere Wand des Pbarynx setzt sieb nacb vorn in Gestalt von zwei ebenfalls quergestreiften Lamellen fort (u), die den oberen in Form und Grösse gleicben, aber längs ibres unteren Randes ver- wacbsen sind und eine sebr stark comprimirte kabnförmige Bildung darstellen, welcbe in der Reibe zwiscben die
292 A. Croneberg:
oberen Lamellen aufgenommen wird wie ein Unterkiefer; der obere Rand derselben ist ebenfalls mit feinen, aber etwas längeren Zäbnen ausgerüstet. Der Eingang in den Pharynx, d. h. die Mundöffnung, befindet sich im Grunde dieser beiden kieferartigen Organe, und das ganze Rostrum liegt zwischen den beiden, unten nur durch einen engen Zwischenraum getrennten Grundgliedern der Maxillen (Fig. 7); die vorderen Ecken derselben sind je in eine Spitze ausgezogen, und die dem Rostrum zugewandten Flächen tragen einen durchsichtigen blattförmigen Fort- satz, der das erstere ein wenig überragt.
Vergleicht man nun das Rostrum bei Chelifer, Scorpio und Solpuga, so kann wohl kaum bezweifelt werden, dass , die über dem Pharynx gelegenen paarigen Basaltheile ein- ander homologe Bildungen sind. In diesem Falle wären aber die eigenthümlichen vorderen Anhänge des Rostrum von Solpuga nur den oberen quergestreiften Lamellen von Chelifer zu vergleichen, und die beiden Hälften des Unter- kiefer-artigen Organes des Letzteren den unteren zipfel- förmigen Anhängen von Solpuga. Das Verhältniss zur Mundöffnung und zum Pharynx ist bei beiden dasselbe, nur muss man berücksichtigen, dass der Mund bei Chelifer viel weiter nach hinten gerückt ist als bei Galeodes. Auch beim Scorpion existiren, wie wir gesehen haben, ein paar allerdings sehr rudimentäre Anhänge, die ihrer Lage nach den mehr entwickelten unteren Anhängen des Rostrum von Solpuga und Chelifer entsprechen.
Gegenüber den bereits besprochenen Formen zeigen die meisten eigentlichen Spinnen in dem Bau ihres Rostrum eine offenbare Rückbildung, indem der paarige Charakter seiner Bestandtheile kaum noch zu erkennen ist. Nur bei Mygale lassen sich noch im erwachsenen Zustande mit genügender Sicherheit die wesentlichen Theile des Arach- nidenrostrum wiedererkennen. Nach den Untersuchungen von Was mann*) trägt der kegelförmige, als Oberlippe bekannte Vorsprung bei Mygale an seiner Spitze einen
1) Abhandl. etc. d. naturw. Vereins in Hamburg. Bd. I, p. 132.
Ueber die Mundtheile dor Arachniden. 293
kleinen überhängenden Anbang-, der aus zwei seitlicben, durch einen Einschnitt getrennten Lappen besteht und eine kleine blinde Höhlung tiberdeckt. Dieser Anhang findet sich auch bei anderen Spinnen, freilich in unpaarer Form und kann um so eher dem Endtheil des Rostrum von Scorpio und Solpuga verglichen werden, als der Basal- theil bei Mygale aus deutlich paarigen Seitenhälften be- steht, deren Grenze sich in einer Längsfurche der Oberseite sehr deutlich erkennen lässt. Sich nach unten fortsetzend, überbrücken sie den Eingang in den Pharynx und verbin- den sich jederseits mit der sog. Unterlippe, die den Mund von unten begrenzt. Die untere eingedrückte Fläche des Rostrum setzt sich direkt in die obere Wandung des Pha- rynx fort (die sog. obere Gaumenplatte), während die untere Wandung desselben sich an die Unterlippe befestigt (Fig. 10 zeigt diese Verhältnisse bei Atypus piceus, einer Mygalide). Das Lageverhältniss zu Mund und Pharynx ist also bei den Spinnen das nämliche, wie bei dem Ro- strum anderer Arachniden; nur vermissen wir die unteren paarigen Anhänge, wenn nicht möglicherweise die Unter- lippe selbst diesen Gebilden entspricht.
Auch in der Ordnung der Phalangiden lassen sich verwandte Bildungen erkennen, wenn auch die Differenzi- rung derselben eine geringere ist. Die Kieferfühler ruhen beiPhalangium gleichfalls auf einer die Grundglieder der Maxillen verbindenden Quer brücke (Fig. 11, 13 rb), nur ist dieselbe nicht horizontal, sondern fast senkrecht gestellt und vorn stark buckeiförmig vorgewölbt. Unter dieser Vorwölbung befindet sich ein medianer schnabelförmig zuge- spitzter Vorsprung (r), welcher den Endtheil des Röstrum darstellt, während der über demselben liegende gewölbte Theil der Basis entspricht. Seine Höhlung umfasst den senkrecht aufsteigenden Pharynx (Fig. 13 ph), längs des- sen Vorderwand eine dunkle Chitinleiste herabsteigt, die der Musculatur zum Ansatz dient und sich unten in zwei Aeste spaltet, welche auf die Innenseite der Maxillarla- den sich fortsetzen und eine eigenthümliche Gestalt besitzen (Fig. 12, 13). Nach hinten setzt sich der obere Rand des Basaltheiles des Rostrum in Gestalt zweier breiter, senk-
294 A. Croneberg:
rechter, in den Innenraum des Thorax hineinragender Fort- sätze fort (Fig. 13 f), während von der Mitte des Ober- randes eine stark chitinisirte Leiste sich fast senkrecht erhebt und den Kieferfühlern als Stütze dient (Fig. 11, 13, 1). Die Mundöffnung (o) befindet sich an der Unterseite des schnabelförmigen Fortsatzes und wird seitlich von den Maxillen und den Fortsätzen der Grundglieder des ersten Beinpaares begrenzt, während hinten die leicht eingekerbte sog. Unterlippe (u) den Abschluss bildet. Es kann also hier nach den Beziehungen zum Mund und Pharynx ein allerdings unpaarer Basal- und Endtheil des Rostrum an- genommen werden. Untere, an den Seiten des Mundes stehende Fortsätze fehlen bei Phalangium wie bei den Araneiden, allein es muss hervorgehoben werden, dass ge- rade in diesen beiden Ordnungen eine den übrigen Arach- niden abgehende Bildung vorkommt, und zwar an einer ziemlich genau entsprechenden Stelle, die Unterlippe näm- lich, die ich vorläufig für das Aequivalent jener unteren Fortsätze annehmen möchte.
Nach meinen oben erwähnten Erfahrungen an einigen Milben glaube ich auch bei diesen Thieren eine dem Ba- saltheil des Rostrum der höheren Arachniden homologe Bildung annehmen zu können, wobei die paarigen Seiten- theile deutlich zu erkennen sind, ein Endtheil aber fehlt«. Indessen scheint der letztere nicht allen Milben abzugehen, wie nach der Darstellung Kramer's^) von Tyrogiyphus und Cheyletus vermuthet werden kann, denn bei diesen Thieren soll die Mundöffnung sich am Ende eines unpaaren „lanzettförmigen Organes" befinden, welches frei über den verschmolzenen Maxillarladen liegt und sich hinten an ein Gerüste befestigt, das mit den Basaltheilen eines Rostrum in Form und Lage eine grosse Aehnlichkeit besitzt.
Obgleich nun der Bau des Rostrum der verschieden- sten Arachniden deutlich genug auf eine Zusammensetzung desselben aus paarigen Seitenhälften hinweist, so wäre es dennoch gewagt, in Anbetracht der rudimentären Beschaf-
1) Beiträge zur Naturg. d. Milben (Arch. f: Naturg. Bd. 42. p. 28) 1876.
Ueber die Mundtheile der Arachniden. 295
fenheit des Organes, aus diesem Umstände allein den Scbluss ziehen zu wollen, dass wir es hier mit den ver- schmolzenen Ueberresteu ehemaliger Extremitäten zu thun haben. Die Untersuchungen über die Entwickelungsge- schichte verschiedener Arachniden (Scorpione, Spinnen, Opilioniden, Afterscorpione etc.) haben aber der Bildung des sog. Rostrum weniger Beachtung geschenkt, als es die Wichtigkeit des Gegenstandes erfordert. Es wäre unleug- bar der beste Beweis für die Extremitätennatur des betref- fenden Organes, wenn sich in seinen embryonalen Verhält- nissen eine Uebereinstimmung mit den Anlagen der übrigen Gliedmassen nachweisen Hesse. Ich kann zwar nicht be- haupten, einen ganz unzweifelhaften derartigen Nachweis führen zu können, möchte jedoch auf einige Beobachtungen an einer ziemlich gewöhnlichen Spinne (Dendryphantes hastatus) aufmerksam machen, die einer solchen Auffassung nicht ungünstig erscheinen. Die erste Anlage des ßostrum (Fig. 14 R) erscheint in Gestalt zweier kleiner, durch einen deutlichen Zwischenraum getrennter Anhänge in der Mitte der Unterseite des ersten Segmentes (der Kopf läppen); in diesem Stadium sind sie noch von dem nachfolgenden Paare, den Kieferfühlern (at) durch einen beträchtlichen Zwischenraum getrennt, der sich indessen allmählich ver- kleinert, 60 dass wir in Fig. 15 ein Stadium erhalten, in welchem die beiden Anhänge der Kopflappen hinsichtlich ihrer Figur und Lagerung sich vollkommen der Reihe der übrigen Gliedmassen anschliessen, die je weiter nach hin- ten, desto mehr auseinander gerückt erscheinen. Später rücken die Anlagen der Kieferfühler noch mehr zusammen (Fig. 16), und die paarigen Anlagen des Rostrum werden, nach hinten zurückweichend, allmählich von den Ersteren überdeckt, so dass sie schliesslich unter und hinter diesel- ben zu liegen kommen (Fig. 17); dabei verkleinern sie sich merklich und verschmelzen zu einem unpaaren, am Ende etwas ausgebuchteten Anhange, an dem noch einige Zeit ein heller Mittelstreif die paarige Zusammensetzung andeutet; bei den meisten Spinnen verschwindet im aus- gebildeten Zustande jede Spur der erwähnten Ausbuchtung, bei Mygale jedoch erhält sich dieselbe, wie wir gesehen
290 A. Croneberg:
haben, und zugleich auch eine Längsfurche an der Ober- seite des Rostrum.
Diese Darstellung weicht in mancher Hinsicht von dem ab, was wir bereits über die Entstehung der sog. Oberlippe derAraneinen wissen. Nach Claparede^ und Salensky^) erscheint dieselbe bei Pholeus und Clubiona anfänglich in Gestalt einer unpaaren dreieckigen Platte (plaque epichilique Clap.) zwischen den Kopflappen. In der Mitte dieser Platte bildet sich die Mundöffnung als eine Furche, die von allen Seiten von einem erhöhten Rande umgeben wird. Vor und hinter dem Munde beobachtete Sälen sky 3) eine leichte mediane Einbuchtung dieses Randwalles, die besonders am Vorderrande deutlich ist und denselben, sowie den hinteren Rand, in zwei sym- metrische Erhöhungen theilt, die indessen bald wieder verstreichen. Der Vorderrand erhebt sich immer stärker und indem er sich dabei nach der Bauchseite krümmt, überdeckt er schliesslich vollständig den Mund; das hin- tere Paar der Erhebungen scheint Salensky für die Anlage der Unterlippe zu halten. Mir ist es nicht gelungen die Mundöffnung bei Dendryphantes-Embryonen zu sehen, und sollten die Anhänge der Kopflappen in meiner Fig. 13 den paarigen vor deren Erhöhungen von Salensky entsprechen, so erfolgt ihre Verschmelzung zu einem un- paaren Organe gewiss nicht so bald, indem sich dieselben vielmehr auf späteren Stadien den übrigen Gliedmassen viel ähnlicher verhalten, als früher. Die von Salensky beschriebenen beiden Erhebungen am Hinterrande des Mundes mögen sich bei Dendryphantes in Folge der von Anfang an stärkeren Ausbildung der vorderen Anhänge zusammen mit der Mundüffnung der Beobachtung entziehen, scheinen mir indessen von morphologischer Wichtigkeit, da es vielleicht möglich ist, die unteren Anhänge des Rostrum von Scorpio, Solpuga und Chelifer, sowie die
1) Recherches siir l'evolution des Araignees. 1862.
2) Entwickelungsgcschichte der A ranein cu (Mittheil, dernaturf. Ges. in Kiew. Bd. II, p. 1. Russisch) 1871.
3) 1. c. p. 29, 30, Fig. 16.
üeber die Mimdtheile der Arachniden. 297
Unterlippe von Phalangium und den Spinnen auf diese Anlagen zurückzufttbren, mitbin das Rostrum der böberen Arachniden als das Produkt der Verscbmelzung nicbt eines, sondern zweier Extremitätenpaare anzusehen — eine Frage, deren Entscheidung künftigen embryologischen Unter- suchungen überlassen werden muss.
Bei dem Scorpion fand Metschnikoff^) eine an ihrer Spitze ausgebuchtete Anlage der Oberlippe, die gleich- falls einen Anhang der Kopf läppen darstellt, sich aber später als die Mundöffuung bildet, die bereits auf einem früheren Stadium als eine Einstülpung im Verlaufe der die Kopflappen trennenden Longitudinalfurche entstanden ist. Der Mund wird von der Oberlippe überwachsen, die allmählich zwischen die Kieferfühler rückt, das Verhältniss ist also im Wesentlichen dasselbe wie bei Dendryphantes. Bei dem Embryo von Chelifer hat bekanntlich Metschni- koff^) eine grosse Oberlippe beschrieben, ein provisorisches Organ, welches aber aus einer unpaaren Anlage entsteht; die Entstehung der definitiven Oberlippe (des Rostrum) hat Metschnikoff nicht näher studirt, sowie auch ihr Ver- hältniss zur provisorischen Oberlippe.
Kehren wir nun zu der Anlage des Rostrum bei Den- dryphantes zurück, so besteht das von den übrigen Glied- massen Abweichende hauptsächlich darin, dass die beiden Anhänge der Kopf läppen gleich von Anfang an einander eng anliegen und von den Kieferfühlern durch einen weiten Zwischenraum getrennt werden. Ist indessen der rudimen- täre Zustand der das Rostrum zusammensetzenden Extre- mitäten ein allen Arachniden gemeinsames Merkmal, so muss derselbe auch als eine sehr alte Einrichtung angesehen werden und es kann also die Umbildung dieser Anhänge bereits in ein sehr frühes Lebensstadium zurückverlegt gedacht werden. Da das dazugehörige Segment, die Kopf- lappen nämlich, im Embryo die übrigen Segmente an Grösse beträchtlich überragt, so kann der weite Abstand
1) Embryologie des Scorpions (Z. f. wiss. Zool. XXI, p. 220, Taf. XVII, Fig. 11.)
2) Entwickehmgsgeschichte des Chelifer (Z. f. wiss. Zool. Bd. XXI, p. 521.)
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seiner AnhäDge von dem folgenden Paare auch wohl auf Rechnung dieser stärkeren Ausbildung gesetzt werden. Die gegenseitige Annäherung beider Anlagen widerspricht auch durchaus nicht ihrer Homologie mit den übrigen Glied- massen, denn bei den Spinnen erscheinen die Anlagen der Abdominalbeine, wie es Salensky speciell hervorgehoben hat, nicht am äusseren Rande der Segmente, wie die Thoracalanhänge, sondern unmittelbar zu beiden Seiten der Längsfurche des Keimstreifs, und ähnlich verhalten sich auch nach Metschnikoff die Anlagen an den Abdomi- nalsegmenten des Scorpions.
Ich halte es daher für sehr wahrscheinlich, dass wir in dem Rostrum der höheren Arnachniden und in den ent- sprechenden Bildungen mancher Milben die Rudimente wenigstens eines Paares von Kopfextremitäten zu erkennen haben, und berücksichtigen wir ferner die Lage dieser Anhänge beim Embryo, so kann das betreffende Glied- massenpaar nur als erstes Antennenpaar bezeichnet werden. Es lassen sich also wenigstens drei Extremitätenpaare — die ersten und zweiten Antennen und die Maxillen — als zu Mundwerkzeugen umgebildet bezeichnen. Die ange- führten Beobachtungen 'von Salensky, sowie die Existenz von paarigen unteren Anhängen am Rostrum der Arach- niden könnten jedoch der Vermuthung Raum geben, dass noch ein zweites Gliedmassenpaar in die Constitution des Rostrum eingegangen sein kann, dessen entsprechendes Körpersegment indessen noch bei keinem Arachniden-Em- bryo nachgewiesen ist, während ein solches für das erste Paar, welches ich als - erste Antennen deute, factisch existirt. Hiermit eröffnet sich ein neuer Gesichtspunkt für den Vergleich mit den Crustaceen und Insecten, wenn es nämlich gewiss wäre, dass die Larvenantennen der Letzteren dem ersten und die definitiven Antennen dem zweiten Paare entsprechen 0- Ohne auf eine weitere Erörterung dieser Frage einzugehen, möchte ich mir noch ein paar Bemerkungen über die Pycnogoniden erlauben, deren
1) Gerstäcker in Broon's Kl. u. Ord. d. Thierreiches, Bd. V, p. 48.
Ueber die Mundtheile der Arachniden. 299
Eigenthümliclikeiten sich zum Theil aus dem oben Gesagten erklären lassen dürften. Bekanntlich ist es die Existenz eines sog. accessorischeu Beinpaarcs, welche eines der Hanptargumente gegen die Arachniden-Natur dieser Thiere bildet. Obgleich ich für die eigentlichen Arachniden sieben Extremitätenpaare annehme (die abdominalen natürlich abgerechnet), mithin eine auch den Pycnogoniden ent- sprechende Zahl, so kann dennoch das accessorische Bein- paar der Letzteren durchaus nicht den Organen entsprechen, welche ich für die ersten Antennen der Arachniden halte. Sein Aequivalent könnte nur in den oben erwähnten paarigen unteren Anhängen des Rostrum der höheren Arachniden gesucht werden, während als erstes Antennenpaar bei den Pycnogoniden nur der sog. Rüssel aufgefasst werden könnte, dessen Zusammensetzung aus verschmolzenen Glied- massen bereits Huxleyi) vermuthet. Wenn wir also bei diesen Thieren acht Gliedmassenpaare annehmen, so könnte dasselbe auch von den Arachniden gelten, und die Pycno- goniden wären nach dieser Ansicht wirkliche Arachniden, deren Trennung vom gemeinsamen Stamm jedoch zu einer Zeit erfolgte, welche der Ausbildung des für die Mehr- zahl charakteristischen Rostrum vorausgegangen ist.
16. Dec. 1879.
Erklärung der Abbildungen.
R — Rostrum.
r — Epdtheil desselben,
rb — Basaltheil des Rostrum.
f — hintere Fortsätze.
o — Mund.
ph — Pharynx.
oe — Oesophagus.
at — Kieferfühler.
u — Untere Anhänge' des Rostrum.
mx — Maxillen.
pl — p. IV — Beine.
1) Grundzüge d. Anat. der wirbell. Thiere, übers, von Spengel, p. 342.
300 A. Croneberg: Ueber die Mundtheile der Arachniden.
Fig. 1. Thorax von Androctonus von oben. Fisf. 2—3. Rostrum desselbeu.
Fig. 4—6, Rostrum von Galeodes. d. — Mündungen der Giftdrüsen.
Fig. 7 — 9. Rostrum von Chelifer.
Fig. 10. Rostrum von Atypus.
Fig. 11 — 13. Mundtheile und Rostrum von Phalangium.
Fig. 14 — 17, Embryonen von Dendryphantes hastatns.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee nebst biologischen Bemerkungen.
Von
Dr. Friedrich Heincke
in Oldenburg i. Gr.
Hierzu Tafel XVI, Fig. 5.
Einleitung.
Während eines sechsjährigen Aufenthalts in Kiel habe ich einen grossen Theil meiner Zeit darauf verwandt, die Fische der westlichen Ostsee auf Vorkommen, Variabilität, Lebensweise und Laichzeiten zu untersuchen. Schleppnetz- fahrten, Verkehr mit den Fischern, regelmässiges Besuchen des Marktes und das Halten von Zimmeraquarien waren meine wichtigsten Hülfsmittel. Herr Professor Möbius, Direktor des zoologischen Museums, stellte mir hierbei die Mittel seines Institutes in dankenswerthester Weise zur Verfügung und betheiligte sich selbst nicht unwesentlich an der Aufgabe, eine vollständige Liste der in der Kieler Bucht vorkommenden Fische zu entwerfen. Eine Publica- tion derselben, von uns beiden verfasst, dürfte noch in die- *sem Jahre erscheinen.
Ein anfänglicher Plan, sämmtliche von mir genauer studirten Fische in einem grösseren Werke zu behandeln, konnte leider nicht ausgeführt werden. So übergebe ich denn als ersten Abschnitt einer in Vorbereitung begriffenen Reihe einzelner monographischer Skizzen den vorliegenden Aufsatz über zwei der interessantesten Fischfamilien der
302 Friedrich Heincke:
Ostsee der Oeffentlicbkeit und einer nachsichtigen Beur- theilung.
lieber die Art der Behandlung des Gegenstandes lasse ich den Aufsatz selbst reden. Was die Nachweise der Litteratur und Synonymik betrifft, so habe ich Vollständig- keit derselben angestrebt, aber nicht ganz erreichen können. Nur in Auszügen habe ich eine neuere Arbeit von Collet über die Fische Norwegens und eine Abhandlung von P. J. V. Beneden, Les poissons des cotes de Belgique etc. Mem. Acad. Belg. 38, 1870 benutzt, kann aber versichern, dass beide Nichts Neues enthalten. Von keinem besonderen Werth dürfte auch nach dem Urtheile Gtinther's das mir nicht zugängliche Werk von Couch, The history of the fishes of the British Islands. London 1865. sein. Dagegen habe ich sehr bedauert das Buch von A. W. Malm, Göte- borgs och Bohusläns Fauna, Vertebrata. Göteborg 1877. nicht benutzen zu können, da es ohne Zweifel reich an neuen und werthvollen Beobachtungen ist.
Die Diagnosen sind sämmtlich von mir entworfen, diejenigen der Arten ausschliesslich nach Ostseeexem- plaren.
Der vorliegenden Skizze hoffe ich in nicht zu langer Frist solche über die Gasterosteidae, die Cottus-Arten und die Pleuronectidae folgen zu lassen.
Oldenburg i. Gr., d. 15. Februar 1880.
Ordnung : Acanthopteri.
Fam. Gobiida e, Meergrundel.
Körper langgestreckt, niedrig. Zähne klein. Subor- bitalring nicht mit dem Praeoperculum articulirend. Zwei mehr oder weniger getrennte oder vereinigte Rückenflossen; die erste, aus weichen, biegsamen Stacheln bestehend, ist stets kürzer als die zweite, welche aus getheilten Strahlen besteht. Afterflosse in Grösse und Stellung der II. Dors. ent- sprechend. Ventral flösse brustständig; Vs- App. pyl.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 303
fehlen. — KiemeiKiffnung eng. Schwimmblase rudimentär oder fehlend. Bewohner der flachen Strandregionen, seltener am Boden des Meeres; einzelne Arten gehen in's SUsswasser.
Gattung Gobius L.
2 völlig getrennte Rückenflossen. Bauchfl. zu einem tutenförmigen, frei beweglichen Saugorgan verwachsen. Körper beschuppt. (Ctenoid-u.Cycloidschup- pen.) Die kleinen konischen Zähne sind unbeweglich und stehen oben in mehreren Reihen hintereinander. — An allen Küsten der gemässigten und tropischen Meere, [ca. 160 Arten, davon 28 in europäischen Meeren, 4 in der Nord- see, 3 in der Ostsee.]
Die Abgrenzung der einzelnen Arten, selbst der ge- meinsten und häufigsten dieser formenreichen Gattung ist mit grossen Schwierigkeiten verknüpft. Dies hat zwei Ur- sachen. Einmal ist die Verwandtschaft vieler Species eine sehr enge, die Variation innerhalb einzelner Arten und die Formverschiedenheit nach dem Alter sehr bedeutend. Zwei- tens hat die hohe Entwicklung secundärer Geschlechts- charaktere, vorzüglich in der Farbe, Anlass gegeben, Männchen und Weibchen häufig als verschiedene Arten zu beschreiben. Dadurch ist die Synonymik in dieser Gat- tung kaum zu bewältigen. Aus den 3 in der Ostsee vor- kommenden Arten sind von verschiedenen Autoren minde- stens 12 gemacht. Selbst Günther kann hier nicht maassgebend sein; auch er beschreibt wie zahlreiche Autoren seit Linne das Männchen von Gobius niger L. als Gobius jozo.
Die Schwierigkeiten, welche unsere Gobius- Arten dem Systematiker bereiten, sind leicht begreiflich. Sämmtliche drei Ostseespecies sind kleine, in sehr grosser Individuen- zahl vorkommende Thiere; die Wahrscheinlichkeit indivi- duelle Abweichungen, Monstrositäten und sog. Uebergangs- formen aufzufinden ist daher sehr gross und Autoren, die nach altem Brauch nur wenige Exemplare untersuchen, werden selten in ihren Beschreibungen übereinstimmen. Wie weiter unten gezeigt werden soll, wird auch hier nur die
304 Friedrich Heincke:
rationelle Vergleichung Tausender von Individuen Klarheit bringen.
Die Wahrheit dieser Behauptung hat mir unter an- dern die genauere Untersuchung des Gobius Ruthensparri, der gemeinsten Art der Kieler Bucht, gezeigt. Einer der wichtigsten Charaktere der genannten Species, die Zahl 7 der Strahlen in der ersten Rückenflosse, ist so variabel, dass unter 208 Individuen 11 abweichen. Davon hatten acht Individuen 8 Strahlen, drei Individuen 6 Strahlen in der ersten Dors. Was die jugendlichen Gobii bis zur Grösse von 0.02 m anbetrifft, so ist es mir bis jetzt nicht mög- lich gewesen, ihre Zugehörigkeit zu . einer der 3 Arten anders als durch Vermuthung zu erschliesseu. Der Grund ist der, dass die Zahl der Rückenflossen- und After- flossenstrahlen bei ganz kleinen Thieren allgemein geringer ist, als bei den Erwachsenen, so dass beispiels- weise ein junger G. Ruthensparri in der ersten Dors. zuerst 5, dann 6 Strahlen besitzt und darin den beiden andern Species gleicht, während der charakteristische 7. Strahl sich erst später entwickelt.
Neuerdings hat Winther (Om de Danske Fiske af Slaegten Gobius. Naturhist. Tidsskrift 3 R. 9 B. 1874) gemeint in der Ausdehnung der Beschuppung, besonders derjenigen des Rückens und Kopfes, constante Artmerkmale für die dänischen Gobius-Sp^cies zu finden. Ich muss leider diesen Versuch des sorgfältigen dänischen Ichthyo- logen als missgiückt bezeichnen. Eine genaue Untersuchung verschiedener Altersstufen einer und derselben Art z. B. Gobius niger, belehrt uns sofort, dass die Beschuppung bei allen jugendlichen Individuen eine viel geringere Aus- dehnung hat als bei Erwachsenen. Gob. niger soll sich nach Winther von den übrigen einheimischen Arten wesent- lich dadurch unterscheiden, dass der obere- Theil des Kopfes hinter den Augen und der Nacken beschuppt ist. Allein bei einem Gob. niger von 0.021 m Totall. sind Kopf und Nacken, sowie eine schmale Zone längst der ersten Dors. noch völlig schuppenlos; ebenso ist der Bauch zwischen Bauchflosse und After völlig nackt. Die Beschuppung rückt nur ganz allmählich vor und erst Individuen von ca.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 305
0.065 — 0.07 m Totall. gleichen den Erwacbsenen, die Jüngern würden nach Winther, wenn man nur die Beschuppung berücksichtigen wollte, zuerst zu G. minutus var. minor, dann zu Ruthensparri, dann zu minutus var. major gehören. Im Uebrigcn ist auch bei Erwachsenen die Ausdehnung des Schuppenkleides sehr variabel; so gleichen beispiels- weise ca. 20 von 200 G. Ruthensparri in der Beschuppung zwischen Bauchflosse und After nicht der von Wint her ge- gebenen Beschreibung dieser Art, sondern eher dem G. niger. Die secundären Geschlechtscharaktere der männlichen Augehörigen unserer 3 Arten und, wie es scheint, auch der übrigen Species der Gattung Gobius, zeigen viel Ueber- einstimmendes. Sie sind dreierlei Art:
1. Verlängerungen einzelner Flossenstrahlen. Sie betreffen vorzugsweise die ersten Strahlen der ersten Dors., die letzten der zweiten Dors. und der Anale und die mittleren der Ventr.
2. Anhäufung von schwarzem Pigment vor- züglich in der After- und Bauchflosse, in geringerem Grade in den Rückenflossen.
3. Auftreten von Augenflecken und farbigen Bändern, besonders an der Rückenflosse und den Seiten des Körpers.
Die secundären Geschlechtscharaktere sind, nach Untersuchung vieler Hunderte von Individuen, im Allge- meinen um so bedeutender entwickelt, je grösser, also wahrscheinlich auch je älter das Thier ist. Bei jungen, noch nicht fortpflauzungsfähigen Individuen fehlen sie ganz. Von Interesse ist ferner die Thatsache, dass die das Männ- chen auszeichnenden Eigenthümlichkeiten ausserordentlich variabel sind und gelegentlich auch bei grössern Weib- chen auftreten, namentlich die dunkleren Färbungen. So findet man Pärchen von Gobius niger, bei denen sowohl Weibchen wie Männchen neben einer bedeutenderen Körper- grösse eine intensiv blauschwarze Färbung besitzen. Solche Thiere haben zweifelsohne zur Aufstellung der Art Gobius jozo Veranlassung gegeben. Die secundären Geschlechts- charaktere in der Farbe sind endlich, ebenso wie die son- stige Färbung des Thieres, nur in etwas geringerem Grade,
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrß. I. ]3d. 20
306 Friedrich Heincke:
momentanem Weclisel unterworfen, ja, sie können zeitweilig ganz verschwinden, zumal wenn man in der Laichzeit ge- fangene Männchen in einem dem vollen Tageslichte aus- gesetzten Gefässe ohne Versteckplätze längere Zeit verweilen lässt. Ausser der Laichzeit sind die Farben regelmässig blasser, als während derselben.
Der Farbenwechsel ist*bei unseren Gobii ein sehr lebhafter und entspricht der Mannigfaltigkeit in der Fär- bung des Bodens und der Vegetation an ihren Aufenthalts- orten. Alle 3 Arten sind scheue, sich beständig im Gewirr der lebenden oder todten Pflanzen versteckende und durch ihre sympathische Färbung trefflich geschützte Thierchen.
Der erste Autor, welcher auf die secundären Ge- schlechtscharaktere und die Variabilität der Färbung auf- merksam gemacht hat, ist der durch seine Gewissenhaftig- keit und Sorgfalt bewundernswerthe Kroyer. Neuerdings hat A. W. Malm (Om Svenska Gobiider) versucht, die beiden Geschlechter der einzelnen Arten richtig zu erkennen.
Die Resultate seiner Studien im Verein mit meinen theils bestätigenden, theils ergänzenden Erfahrungen wer- den wohl genügen wenigstens für die Ostsee Klarheit zu schaffen. Vielleicht geben sie auch andern Ichthyologen, deren Studien sich über ein grösseres Gebiet ausdehnen, Gelegenheit, die grosse Zahl der von Günther in seinem Catalog aufgeführten Arten auf secundäre Geschlechts- charaktere hin zu prüfen; gewiss wird man noch einen guten Theil jener Arten einziehen müssen. Stein dachner hat neuerdings einen anerkennenswerthen Anfang hierzu gemacht (cf. unten).
Gobi US niger L.
Artdiagnose: Long. max. 0.145 m. Kopf dick und stumpf. Schuppen gross, ca. 11 — 12 Reihen zwischen der IL Dors. und Anale; Lin. lat. c. 40. Die beiden Rückenflossen mit ihrer Basis fast oder völlig aneinanderstossend; die I. mit 6, die II. mit 12—14 Str. Afterflosse mit 11—13 Str. Die letzten Strahlen der niedergelegten IL Rücken- und Afterflosse reichen beim
Die Gohiidae und Syiip^natliidae der Ostsee. 307
erwachsenen Thier bis zur Wurzel der Schwanzflosse oder weiter. »
Secund. Geschlechtscharakt. des J". Die vor- dersten Strahlen der I. Dors. (nicht selten über die Binde- haut hinaus verlängert) und die letzten der II. Dors. und Anal, sind länger als beim $ . Der ganze Körper und alle Flossen sind dunkler. (Genitalpa])ille länger und spitzer.)
Litteratur und Synonymik.
Günther, Cat. III p. 11 Gobius niger L.
p. 12 Gobius jozo L. 1624 Schonevelde, p. 36 Gobius niger, Küeling, Meergob.
1783 Bloch, Ö. N. D. IL p. 5. Tf. 38 Fig. 2, 3, 4 Gobius niger L.').
1784 Bloch, ibid. III. p. 168 Tf. 107 Fig. 3. Gobius jozo Bl. 1794 Siemssen, F. Meckl. p. 29. Gobius Jozo L.
1832 Niisson, Prodr. p. 93. Gobius niger L.
1835 Eckström, Morkö, p. 255. Gobius niger L.
1837 Cuv. u. Val. 12 p. 9 ff. (über d. Nestbau p. 7 f.)
Gobius niger ^). 1838—40 Kroyer, I p. 382 m. Abb. Gobius niger Schon.
1839 Fries, Gattg. Gobius p. 236. Gobius niger L.
1840 Fries u. Eckström, p. 157, PL 36. Gobius niger L.
1841 Yarrel, IL Ed. L p. 281 m. Abb. Gobius niger L. 1855 Niisson, Sk. F. IV. p. 219. Gobius niger L.
1859 BoU, Fische Meckl. p. 144. Gobius niger und Go- bius jozo.
1863 Malmgren, Finlands F. p. 16. Gobius niger L.
1867 Lind ström, Gotlauds F. p. 31. Gobius niger L.
1871 Holland, Wirbelth. Pommerns, p. 109. Gobius niger und Gobius jozo.
1874 Winther, Danske Gobiid. p. 224. Gobius niger Kr.
1875 Wittmack, Fischereistatistik p. 20. Gobius niger Schon.
1877 V. Seidlitz, Faun. Balt., p. 121. Gobius niger.
1) Die Stellung der I. Dorsale zur II. ist falsch dargestellt.
2) Strahlenzahl in der Pect, ist irrthümlich auf 22 — 23 statt 17 — 19 angegeben.
308 Friedrich Heiricke:
1877 Winther, Danske Gobiid. Forts, p. 54. G. niger Schon. 1879 Lenz, Fische der Travemünder Bucht, Gobius niger
Schonev.
Volksnamen: Kiel: Kül, Kuulbors, Kueling.
Travemünde: swatten Kühling. Dan.: Smörbutting, Kutling. Schwed. : Smörbult.
Kritik und Varietäten: Ich habe nur ungefähr 50 Ostsee-Exemplare von 0.06—0.145 m Totallänge genauer verglichen. Die Strahlenzahl 6 in der ersten Dors. ist constant; nur bei einem Individuum war der 4. Strahl ziemlich tief gespalten. Die Strahlenzahl in den übrigen Flossen variirt, wie in der Diagnose angegeben ist. Valenciennes giebt für die zweite Dors. die Zahl 15 an, Yarrel sogar 17 (?). Die Altersunterschiede in der Ausdehnung der Beschup- pung habe ich schon erwähnt. Sehr variabel ist auch der Abstand der Augen von einander.
Wird in der Nordsee n. Fries u. Eckström bis 0.160 m, in den Schären bei Stockholm n. Eck ström höchstens 0.09 m lang.
Aufenthaltsort und Lebensweise: Häufig in der Kieler Bucht und den angrenzenden Theilen der westlichen Ostsee. Er bewohnt die Kegionen des grünen und todten Seegrases und Blasentangs. Im Herbst scheint er sich, wie auch Eckström und Kroyer angeben, in grössere Tiefen zurückzuziehen, nach Winther 16 bis 20 m tief. Seine Bewegungen sind nach Beobachtungen im Aquarium langsam und träge, gewöhnlich ruht er am Boden zwischen Pflanzen.
Interessant ist, dass unser Thier auch im Brackwasser der Schley vorkommt. Ich erhielt im März 1876 Exem- plare aus Missunde.
Fortpflanzung: Die Laichzeit fällt in die Monate Mai— Juli, wahrscheinlich auch noch August. Fries, Eck- ström, Kroyer, Yarrel, Winther geben dieselbe Zeit an. Ueber die Art des Laichgeschäftes sind Irrthümer verbreitet. Cuvier u. Valenciennes erwähnen nämlich einer Beobachtung Olivi's, wonach das Männchen von Gobius niger zwischen Algen ein Nest von Blättern für die
Die Gobiidae und Syiignathidao der Ostsee. 309
Eier bauen und bewachen soll. Von Seiten anderer Autoren ist jedoch nie ein wirkliches Nest, so wie es etwa der Seestichling baut, beobachtet worden. Nach meinen eignen Erfahrungen sind die Eier birnförmig mit kurzen Stilen am stumpfen Ende. Mittelst dieser kleben die Eier grup- penweise an Tang, Steinen und Holz. Prof. Mensen in Kiel sah, wie ein Weibchen im Aquarium seine Eier mit- telst der als Legeröhre fungirenden Genitalpapille an die Glaswände klebte und eifrig bewachte.
Wahrscheinlich laicht G. niger auch in der Schley. Wenigstens erhielt ich im Juni Brut bis 0.02 m Länge, mit 6 Strahlen in der L Dors., 11—13 in der IL Dors. und der Anale, welche kaum anders als auf Gob. niger bezogen werden kann. In der Kieler Bucht tritt Gobius- Brut in den Monaten Juli und August massenhaft auf und zwar an der Oberfläche des Wassers; sie gehört ohne Zweifel hauptsächlich dieser und der folgenden Species G. Ruthensparri an. Halbwüchsige Exemplare von G. niger wurden häufig von September bis März in der See- grasregion mit dem Schleppnetz gefangen. Die Flossen- strahlen sind bei ihnen kürzer, als bei Erwachsenen.
Biocönose:^) Gobius niger und noch mehr die nach- folgenden beiden kleineren Species sind von hervorragender Bedeutung im Thierleben der Kieler Bucht und auch wohl der übrigen Ostsee. Es sind sämmtlich fleischfressende Thiere und ihre Nahrung besteht hauptsächlich in Würmern, kleinen Gasteropoden und Crustaceen. Erstere zerren sie aus ihren Verstecken hervor und verschlingen sie stückweise, wie Herr Präparator Zietz im Aquarium beobachtete. Ihre Gefrässigkeit scheint sehr gross, was auch andere Autoren erwähnen. Sie selbst dienen wieder zahlreichen grösseren Fischen als Hauptnahrung, besonders den Cottus-Arten, den Dorschen und Hornfischen, sind also für die Fischerei höchst nützliche Thiere. Fast noch mehr, als von den Erwachsenen, gilt dies von der Brut während des Sommers.
1) = Lebensgemeinde. Ein von Möbius eingeführter Ausdruck für die mannigfaltigen Wechselbeziehungen der Organismen eines Verbreitungskreises.
310 Friedrich Heiuck e:
Sie bildet neben Copepoden die Haiiptspeise der jungen, um diese Zeit noch an der Oberfläche lebenden Plattfische und Hornhechte, auch wohl der Heringe und Sprotten.
Verbreitung in der Ostsee: Häufig im westlichen und östlichen Theil, in letzterem allmählich seltener wer- dend; nördlich von den Alands-Inseln und in den innersten Theilen des finnischen Meerbusens wohl nur noch spärlich. Im Brackwasser der Schley.
Verbreitung ausserhalb der Ostsee: G. niger ist besonders nach Süden verbreitet. Zwar noch häufig an der Küste Norwegens (nach Coli et bis 64^ n. Br.) scheint er weiter nördlich nicht mehr vorzukommen. Von Faber wird er unter den Fischen Islands nicht angeführt, ebenso- wenig von Malmgren in seinem Bidrag til Finmarkens Fiskfauna 1867. Auch an den brittischen Küsten des Oceans scheint er sehr selten. Dagegen ist er gemein an den Küsten Frankreichs, Spaniens, im Mittelmeer und in der Nordsee. Was als Gobius j,ozo beschrieben wurde, ist wie schon erwähnt, unzweifelhaft nur eine mediterrane Localform von dunklerer Färbung und besonders verlängerten Strahlen der I. Dors. beim J".
Gobius Ruthensparri Euphr. Tafel XVI. Fig. 5.
Artdiagnose: Long. max. 0.045 m. Kopf dick und stumpf. Schuppen gross, ca. 11 Reihen zwischen der II. Dors. und Anale. Liu. lat. ca. 40. Die beiden Rücken- flossen getrennt; die I. mit 7 (6 — 8), die IL mit 11 — 12 Strahlen. Afterflosse mit 11 Strahlen. Die letzten Strahlen der niedergelegten IL Rücken- und After- flosse reichen nicht bis zur Wurzel der Schwanzflosse. (Ein schwarzer Fleck an der Basis der Schwanzflosse.)
Secundäre Geschlechtscharakt. des cf- Jeder- seits ein schwarzer Brustfleck. Analemit schwarzem Aufluge.
Litteratur und Synonymik. Günther, Cat. III. p. 70. Gobius ruthensparri.
1786 Euphrasen, Nya Handl. Stockh. p. 64. t. 3, f. 1. 1832 Nilsson, Prodr. p. 94. G. minutus Fall.
Die Gobiidae uud Syngnathidae der Ostsee. 311
1837 Cuv. u. Val. 12 p. 48. G. Kuthcusparri Eiiplir.
1838—40 Kroycr, I. p. 399 m. Abb. G. Ruthcnsparri Euplir.
1839 Fries, Gattg*. Gobiiis p. 237. G. Rutbeusparri Eupb.
1841 Yarrel, II Ed. I p. 285 m. Abb. G. Kutbensparri Cuv. u. Val.
1855 Nilsson, Sk. F. IV p. 226. G. Rutbensparri Eupbi-
1867 Lindström, Gotlands Fiskf. Nr. 15. p. 31. G. Ru- tbensparri.
1874 Wintber, Danske Gobiid. p. 221. G. Rutbensparri Eupbr.
1875 Wittmack, Fiscbereistatistik p. 21. G. Rutbensparri Eupbr.
1877 Wintber, Danske Gobiid. Forts, p. 55. G. Rutben- sparri Eupbr. 1879 Lenz, Fiscbe der Travemünder Buebt. G. Rutbensparri Eupbr.
Volksnamen: Kiel: Kuel, Kueling. Neustadt und Trave münde: Snappkueling (weil das aus dem Wasser gezogene Tbier lebbaft scbnappt). Norwegische Küsten (n. Fries): Aat.
Kritik und Varietäten : Keine unserer Gobius- Arten ist so leicbt erkennbar, wie G. Rutbensparri. Der scbwarze, mit Gelb umrabmte Scbwanzfleck ist höcbst cbarakteristiscb, obwobl er zuweilen ganz verblasst sein kann und bei balbwücbsigen Exemplaren von 0.02— 0.025 m Länge fast immer nur schwacb entwickelt ist. Nicht min- der bezeichnend ist der schwarze Brustfleck des Männchens sowie eine Reihe grünschillernder Flecke längs der Seiten- linie. Die beiden Rückenflossen sind mit farbigen, schil- lernden Längsbändern geziert, welche besonders beim cT in der Laichzeit eine prächtige Zierde bilden. Ueberhaupt ist das männliche Tbier zur Zeit der geschlechtlichen Er- regung ein prachtvolles Geschöpf. Die Farben sind im übrigen einem beständigen, höchst lebhaften Wechsel unterworfen ; als recht bezeichnend für die Art treten dabei sehr häuflg fünf sattelförmige, von einem mattschimmern- den Pigment gebildete Flecke auf dem Rücken auf.
In der Nordsee wird G. Rutbensparri grösser, als in der Ostsee, n. Yarrel bis 0.054 m.
312 Friedrich lleincke :
Aufenthaltsort und Lebensweise: Sehr gemein in der Kieler Bucht und den angrenzenden Meerestheilen ist dieses Fischchen wohl einer der am meisten charakteri- stischen Bewohner der Seegrasregion, wo er das ganze Jahr hindurch angetroffen wird. Nach Winther geht er im Sund 14 — 16 m tief. Seine Bewegungen sind unruhig und lebhaft, mit den verwachsenen Bauchflossen kann er sich selbst an den senkrechten Wänden des Aquariums festhalten, indem er beständig die dunkelsten und am meisten geschützten Stellen aufsucht. — In's Brackwasser geht er nicht; in süsses Wasser gesetzt stirbt er bald.
• Fortpflanzung: Die Hauptlaichzeit fällt in die Monate Mai und Juni; sie beginnt, wenn die jungen Triebe des Seegrases eine ansehnliche Höhe erreicht haben und die ersten Blüthen ansetzen. Die Eier sind klein und werden in Häufchen mittelst kleiner Stiele an Pfähle, Brücken, Bojen und wahrscheinlich auch Seegras geklebt. Im Juli tritt die O.Ol — 0.02 m lange Brut massenhaft auf. (cf. Gobius niger.)
Biocönose: Noch wichtiger, als G. niger wegen der grossen Individuenzahl. Die Nahrung besteht aus kleineren Thieren, vor allen auch Copepoden.
Fang und ökon. Werth: Massenhaft mit den Krab- bennetzen und dem Schleppnetz zu fangen, seltener im Beutel der Herings wade. Verwerthung findet er seiner Kleinheit wegen nicht, obwohl das Fleisch zart und wohl- schmeckend ist.
Verbreitung in der Ostsee: Bis jetzt nur im westlichen Theil der Ostsee und bei Gotland, stets nur im Salzwasser beobachtet; die äusserste östliche Grenze ist noch unbestimmt.
Verbreitung ausserhalb der Ostsee: Rn Kattegat, Skagerrak und an der Südwestküste Norwegens, besonders um Bergen gemein (nördlichste Grenzenach Kroyer 63» n. Br.,nach Collet 64 n.Br.), desgleichen an den Nordseeküsten Englands und Schottlands, in der irischen See, im Canal. Die Südgrenze scheint an der Westküste Frankreichs der 49^ n. Br. zu sein. Somit auf einen engern Kreis be- schränkt, als Gobius niger und Gobius minutus. — Seine
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 313
niichsten Verwandten (wenn man Arten mit 8 — 9 Strahlen in der ersten Dors. so nennen kann) finden sieb nach G tt n- ther in den japanesischen und malayischen Gewässern.
Gobius minutus L. var. major Hnck.
Artdiagnose: Long. niax. 0.076 m. Kopf niedrig und zugespitzt. Schuppen klein, ca. 15 Reihen zwischen der IL Dors. und Anale. Lin. lat. ca. 60. Die beiden Rückenflossen getrennt; die L mit 6, die IL mit 11 — 12 Strahlen. Afterflosse mit 12 Strahlen.
Secundäre Geschlechtschar, des J", Die letzten Strahlen der IL Dors. und Anale, sowie die mittleren der Ventr. verlängert. Alle Flossen dunkler (mit Ausnahme der Caud.); in der Anale vorzugsweise der untere Rand schwärzlich. Ein Augenfleck zwischen dem 5. und 6. Strahl der I. Dors.
Litteratur und Synonymik:
Günther, Cat. III. p. 58. Gobius minutus.
p. 57. Gobius Eckströmii Gthr.
1624 Schonevelde, p. 36. Gobii albi, weisse Kueling.
1832 Nilsson, Prodr. p. 94. Gobius minutus Pall.
1835 Eckström, Morköp. 260. Gobius minutus Pall. (Eck- strömii Gthr.)
1837 Cuv. u. Val., 12. p. 39. Gobius minutus Penn.
1838—40 Kroyer, Lp. 407 mit Abb. Gobius minutus Penn.
1839 Fries, Gattg. Gobius p. 237. Gobius minutus Gm. u. p. 239 Gobius gracilis Jen.
1841 Yarrel, II Ed. $ p. 288. Gobius mintus Cuv. u.Val.
d^ p. 292. Gobius unipunctatus Parn. p. 290. Gobius gracilis Jenyns.
1855 Nilsson, Sk. F. IV. p. 222. Gobius minutus.
1863 Malmgren, Finlands F. p. 17. Gobius minutus.
1867 Lindström, Gotlands Fiskf. Nr. 14 p. 31 Gob. minutus.
1868 Steindachner, Wiener Sitzungsber. 57 p. 400. Gobius minutus und Verwandte.
1871 Holland, Wirbelth. Pommerns p. 109. Gobius minutus.
314 Friedrich Heincke:
1874 Wintber, Danske Gobiid. p. 219. G. minutus.
1875 Wittmack, Fiscbereistatistik p. 21. G. minutus Penn. 1877 V. Seidlitz, F. ßalt. Fiscbe p. 121 Gobius minutus
L. u. Eckströmii Gtbr. 1877 Wi n tbe r, Danske Gobiid. Forts, p. 54. G. minutus Penn. 1877 Hubrecht, Gobius Taalmankipii n. spec. (</ v. Go- bius minutus). 1879 Lenz, Fiscbe der Travemünder Bucht. G. minutus Penn. Volksnamen: Kiel: Kuel, Kueling; witte Kueling.
Travemünde: Sandkühling. Kritik und Varietäten: Gobius minutus kommt ohne Zweifel in sehr zahlreichen Localformen vor. Stein- dachner (1. c;) hat nachgewiesen, dass nicht weniger als 7 Speciesbeschreibungen [Gobius minutus L. Gmel. G. uni- punctatus Parn,, G. miilutus Gthr. (exl. G. quadimacu- latus C. V.), G. Eckströmii Gthr., G. elongatus Canest., G. minutus Canest., G. gracilis Cabr.] auf unser Thier zu beziehen sind. Nach Untersuchung von mehr als 100 Exemplaren, gefangen an den Küsten der iberischen Halb- insel, variirt die Zahl der Strahlen in der IL Dors. von 9—13, die der Anale von 10 — 12. Auch die Zahl der Längs- schuppenreihen ist, vorzüglich nach dem Alter, sehr variabel. Die oben für die Thiere der Kieler Bucht gegebene Diagnose basirt auf die Vergleichung von ca. 24 ausge- wachsenen Individuen. Bei der grossen Individuenzahl, in welcher diese Art bei uns vorkommt, zweifle ich jedoch nicht, dass gleiche und noch grössere Variationen als Steindachner angiebt, auch in der Ostsee anzutreffen sind. Formen mit 14 — 15 Str. in der zweiten Dors., wie sie Eckström als G. minutus, Fries und Nilsson <11. cc.) als G. gracilis, endlich Günther (1. c.) als G. Eckströmii beschreiben, sind daher wohl zweifellos als extreme Variationen von G. minutus aufzufassen, zumal da als Grundlage der citirten Beschreibungen immer nur einzelne Exemplare gedient haben.
Diese ausserordentliche Variabilität ist ein Grund mehr für mich, die folgende, vierte Gobius-Art der Ostsee, den G. microps Kroyer als eine bereits stärker differen- zirte Brackwasserform von G. minutus anzusehen und
Die Gobiidae uud Öyiiguatbidae der Ostsee. 315
als G. minutus var. iiiiuor zu bezeichnen. — Die Maxinial- grösse ist je nach der Oertlicbkeit sehr variabel; in der Nordsee wird unser Tbier bis 0.11 m lang, in den Schären der östlichen Ostsee nach Eckström nur O.OG m.
Die Farbe des Gob. minutus var. major gleicht in auffallender Weise hcllgefarbtem Sandboden; sie ist grau nielirt mit eingestreuten rothen Pünktchen; häufig ist eine Reihe schwärzlicher Punkte längs der Seitenlinie. Zur Laichzeit leuchtet der mit Blau umrahmte Dorsalfleck des ^ wie ein kleiner Edelstein; dasselbe gilt in geringerem Grade von der schwärzlichen Färbung der Anale.
Aufenthaltsort und Lebensweise: Obwohl G. minutus kaum weniger häufig in der Kieler Bucht vor- kommt, als Gob. Ruthensparri, so differirt er in seiner Lebensweise doch bedeutend von demselben. Von Mai bis September, in den Monaten, wo G. Ruthensparri am häufigsten in der Seegrasregion anzutreffen ist, fehlt G. minutus dort völlig. Sobald aber im Herbst der Dorschfang ergiebiger wird, im Oktober und November, zeigen sich auch gleich- zeitig grosse Mengen von G. minutus; offenbar werden sie, wie noch obendrein der Mageninhalt der Dorsche bekundet, durch ihre Todtfeinde von ihrem eigentlichen Aufenthalts- ort, den flachen, sandigen, mit Steinen und Fucus bedeckten Strandregionen der äussern Bucht, fort und bis in die innersten Winkel des Hafens getrieben. Dort bleiben sie bis Ende März, aber schon Anfang April verschwinden sie gleichzeitig mit den Dorschschaaren und dem Zuwachsen der Seegraswiesen fast spurlos. Ob diese Lebensweise auch für andere Theile der Ostsee gilt, weiss ich nicht. Nach Kroyer hält sich Gob. minutus im Kattegat einen grossen Theil des Sommers hindurch so nahe und in solcher Menge am Strande, dass man ihn mit der Hand greifen kann. Wahrscheinlich ist aber der Grund an solchen Stel- len sandig oder steinig. Unser Thier meidet ohne Zweifel das Seegras und liebt in Uebereinstimmung mit seiner Färbung und im Gegensatz zu Gob. Ruthensparri den Sand- boden. NachWinther hält er sich ausser der Laichzeit in Tiefen von 6 bis 24 m.
Valenciennes (1. c.) berichtet auf die Autorität von
316 Friedrich Heincke:
D'Orbigny hin, dass G. minutus in den salzigen Süm- pfen von la Rochelle seine Wohnung in einer Schnecken - oder Muschelschaale habe, von dort aus radienartig laufende Furchen im Sande anlege und diese gewissermassen als Fallgruben für seine Beute benutze.
Fortpflanzung: Die Laichzeit tritt in der Kieler Bucht früher ein, als bei G. niger und Ruthensparri. Schon im März, wenn die Vegetation der Seegrasregion nur erst aus wenigen Algen besteht, findet man laichreife Thiere; die (^ prangen dann in ihren schönsten Farben. Bestimm- teres kann ich nicht angeben. Kroyer giebt als Laichzeit April und Mai an, noch im Juli fand er Exemplare mit reifen Eiern und Milch. Er vermuthet zwei Laichzeiten. Winther nennt Mitte Juli.
Biocönose: Wie bei den beiden Vorigen. Im Win- ter ein wichtiges Nahrungsmittel für Dorsche und Cottus- Arten. Auch im Heringsmagen gelegentlich gefunden.
Fang und ökon. Werth: Im Winter mit dem Schleppnetz leicht in der Seegrasregion zu fangen. Von den Heringsfischern wird er um dieselbe Jahreszeit oft in ungeheurer Menge, meist mit jungen Heringen und Sprotten, in der Wade in der äusseren und inneren Bucht gefangen, jedoch als werthlos fortgeworfen.
Verbreitung in der Ostsee: Wahrscheinlich am weitesten von allen vier Arten nach Osten und Nordosten verbreitet; jedenfalls noch jenseits des 60^ n. Br. In der westlichen Ostsee im Salzwasser überall häufig ; desgleichen im Kattegat; nach Kroyer geht er auch kleine Strecken weit in die Flussmündungen (cf. unten var. minor). Ljm- §ord (Valenc. 1. c).
Verbreitung ausserhalb der Ostsee: Im Mittel- meer und an den Küsten Spaniens, Frankreichs, Belgiens u. s. w. überall gemein, ebenso an den Ost- und West- küsten Grossbrittanniens. Geht von allen Gobii am weite- sten nach Norden bis zum 69^ n. Br. — Auf der deutschen Nordseeexpedition (cf. Bericht der Commiss. z. Unters, d. deutsch. Meere IL u. III. Jahrg. p. 315) bei Helgoland in einer Tiefe von 10 bis 12 m auf sandigem, mit Steinen bedecktem Grunde gefangen.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 317
Gobius minutus L. var minor Hnck.
Artdiagnose: Long. max. 0.042 m. Kopf niedrig und zugespitzt. Schuppen klein; ca. 15 Reiben zwischen der IL Dors. und Anale. Lin. lat. ca. 60. Die beiden Rückenflossen getrennt; die L mit 6, die IL mit 9—10 Strahlen; Afterflosse mit 8—10 Strahlen.
Secund. Geschlechtsch. des ^. Wie bei Gob. minutus var. major.
Litteratur und Synonymik:
1838—40 Kroyer, I p. 416. G. microps Kr.
1870 Malm, Besk. pä trenya etc. p. 844. Gobius microps Kr.
p. 848. G. pictus Malm. 1874 Malm, Om Svenska Gobiid. etc. p. 380. G. microps
Kr. u. G. pictus Malm. 1874 Win t her, Danske Gobiid. p. 199. G. microps Kr.
p. 218. G. pictus Malm. 1879 Lenz, Fische der ^ravemünder Bucht. Gobius
microps Kr.
Kritik und Varietäten: Die einzigen Unterschiede dieses kleinen Fisches, der Brackwasserform des vorigen, von der var. major sind die geringere Zahl von Strahlen in der II. Dors. und Anale, sowie die verschiedene Aus- dehnung der Beschuppuug, worauf zuerst Winther auf- merksam machte. Bei der var. major reicht die Beschup- pung auf dem Rücken, wie Winther richtig angiebt, bis zur Verbindungslinie der Kiemenspalten, bei der var. minor (G. microps) dagegen wird sie nach vorne begrenzt durch eine schräg von dem hintersten Punkte der I. Dors. bis zur Wurzel der Pect, herablaufende Linie. Ferner ist bei minor der Bauch zwischen Ventr. und Afterflosse gänzlich schuppenlos, bei major nur z^m Theil. Wahrscheinlich wird auch die Zahl der Wirbel bei minor geringer sein, als bei major; wenigstens deutet die gedrungenere Gestalt des ersteren darauf hin.
Beide Formen sind durch Uebergänge verbunden. Ein Exemplar aus der Schlei von 0.045 m Länge ((/"), ge- schlechtsreif, hat 12 Strahlen in der Anale und die Be-
318 Friedrich Heincke :
scliuppuDg reicht bis zum Anfang der L Dors. Malm giebt die Zahl der Strahlen in der II. Dors. auf 10—11 an; ich finde bei Exemplaren aus der Schlei und von Korsör Ansätze zur Bildung eines 11. Strahls. Stein- dachner (1. c.) fand 9 Str. in der IL Dors. bei G. minu- tus. Die Uebergänge scheinen selten zu sein, doch genügt die Zahl der untersuchten Exemplare noch nicht zu einem endgültigen Urtheil.
Alle vorhandenen Unterschiede* sind solche, wie sie allgemein zwischen jungem und älteren Individuen der Gobius-Arten vorkommen. Junge Gobii Ruthensparri von 0.020 m Länge haben (cf. oben) erst 5 oder 6 Strahlen in der L und 9 — 10 Strahlen in der IL Dors. Junge Gobii nigri haben eine weit unvollständigere ^Beschuppung, als ausgewachsene. Somit muss Gob. microps als eine, im jugendlichen Alter geschlechtsreif gewordene Abart von G. minutus aufgefasst werden. Als Ur- sache dieser Abändeining ist der allmähliche Eintritt in veränderte Lebensbedingungen anzusehen, der Uebergang von einem rein marinen Aufenthalt in das brackische und fast süsse Wasser.
Die Färbung der var. minor ist ganz abgesehen von sec. Geschlechtscharakteren ausserordentlich wech- selnd. Die senkrechten Flossen sind bald fast ungefärbt, bald mit Querbändern versehen, welche aus Reihen bräunlicher Punkte bestehen. Schw^arze Streifen und Flecke an den Seiten kommen in verschiedenster Ausbildung vor und zwar an einer und derselben Localität. Die im Salzwasser (Kieler Bucht; Korsör) zwischen Seegras und Algen gefangenen Exemplare sind bunter gefärbt, als die auf den flachen, sandigen und steinigen Strandgründen des brackischen Dassower Binnensees, die oft ganz blass und durchscheinend sind. Gobius pictus Malm soll von G. microps wesentlich durch seine Färbung, unter andern durch 5 sattelförmige Rückenflecke (ähnlich wie bei Gobius Ruthen- sparri) unterschieden sein und Winther hält dies allen Ernstes für ein Artmerkmal. Bei Exemplaren aus Dassow finde auch ich diese Flecke angedeutet. Anderseits fehlen sie sehr oft bei Gob. Ruthensparri, für den sie sonst höchst
Die Gobiidae und Synprnathidae der Ostsee. 319
bezeichnend sind und wenn sie vorhanden sind können sie in einer Minute gänzlich verschwinden.
Als weiteres Artmerkmal des G. pictus wird von Winther (1877) eine Reihe von fünf dunklen Seitenflecken des Körpers sowie die Eigenschaft angegeben, dass die Schuppenbekleidung weiter reicht* als bei Gob. microps, nämlich bis unter die Mitte der ersten Rückenflosse. Die Beschreibung und Diagnose des G. pictus ist von Winther auf 4 Exemplare gegründet. Wollte ich mit den zahlreichen mir vorliegenden Individuen des G. minutus var. minor, ebenso verfahren wie Winther, so würde ich in der Lage sein, 5 bis 6 neue Ostseespecies der Gattung Gobius auf- zustellen.
Aufenthaltsort und Lebensweise: G. minutus var. minor findet sich in der westlichen Ostsee ausserordent- lich häufig, theils in der Seegrasregion des Meeres, theils — und zwar bei weitem zahlreicher — in den brackischen Buchten, wo var. major gar nicht oder sehr vereinzelt und von geringer Grösse vorkommt. Er ist das kleinste Wirbelthier unserer Meeresfauna (der nordeuro- päischen Thierwelt überhaupt); Thiere von nur 0.028 m Totallänge können schon geschlechtsreif sein. — Seine Bewegungen sind lebhaft; er sucht bestän- dig Verstecke auf. Von Salzwasser in süsses Wasser gesetzt erholt er sich in kurzer Zeit und lässt sich ebenso wie der Stichling lange Zeit im Süsswasseraquarium halten. Weder sein grösserer Verwandter noch die andern beiden Gobius-Arten ertragen, soweit meine Erfahrung reicht, diesen plötzlichen Wasser- wechsel.
Fortpflanzung: In der Schlei und im Dassower See fällt die Laichzeit in die Monate Mai und Juni. Die dänischen und schwedischen Autoren, die, wie es scheint, unser Thierchen nur aus dem Salzwasser kennen, geben dieselbe Zeit an.
Biocönose: G. minutus var. minor ist für die fisch- reichen brackischen Buchten der Ostsee, wenigstens der westlichen, von hervorragender Bedeutung als Fischnahrung. Er selbst verzehrt wohl hauptsächlich Cyclops- und Daphnia-
320 Friedrich Heincke:
Arten, wahrscheinlich auch Larven von Schnecken und Muscheln.
Fang und ökonomischer Werth : Wegen seiner Kleinheit nur mit einem engmaschigen Schleppnetz oder dem Krabbenketscher zu fangen. Als Speise werthlos.
Verbreitung in der Ostsee: Im westlichen Theil, wie es scheint, allgemein verbreitet. Bei seiner Vorliebe für Brackwasser ist zu erwarten, dass er auch im östlichen Theil, vielleicht weit verbreitet, vorkommt. Winther er- hielt ihn von Bornholm, ich von Greifswald.
Verbreitung ausscS'rhalb der Ostsee: Bis jetzt nur im Ljmfjord, Sund, den Belten, dem Kattegat und im Stavanger Fjord (59^ n. Er.) beobachtet. Doch lässt sich vermuthen, dass er auch an andern Küstenpunkten der Nordsee, z. B. von Deutschland und Holland vorkommt. Ob weiter nach Süden, bleibt ferneren Untersuchungen zur Entscheidung vorbehalten; vielleicht haben wir auch ein Thier vor uns, das fast ausschliesslich der Ostsee und ihren Verbindungsstrassen mit der Nordsee angepasst ist.
Syngnathidae.
Ordnung Lophobranchii, Familie Syngnathidae, Seenadeln.
Körper langgestreckt mit einer, von ungetheilten und ungegliederten, weichen Strahlen gestützten Kücken flösse. Kiemenöffnung sehr klein, am obern Winkel des Kiemen- deckels. Haut mit einem vollständigen Knochen- panzer, der am Körper in Ringe zerfällt, am Kopf ungegliedert ist; der vordere Theil des letzteren zu einem röhrenförmigen Rüssel verlängert, an dessen vor- derem Ende die kleine Mundöffnung liegt.
Vierzehn in allen tropischen und gemässigten Meeren vorkommende Gattungen. Einzelne Arten gehen iil's Süss- Wasser. Alle leben zwischen Tang und Seegras und sind in Form und Farbe den Meerpflanzen ähnlich. Die Eier werden vom Männchen frei am Körper oder in besonderen Bruttaschen getragen.
Dio Gobiidae und Synj^nathidae der Ostsee. 321
Gattung Siphonostoma Kanp.
After-, Brust- und Schwanzflossen vorhanden. Die untern Stücke des ersten Kumpfringcs (die sog. Schulterknochen) nur häutig verbunden und gegen einander beweglich. Männchen mit Bruttasche am Schwänze. Eine sehr variable Art.
Siphonostoma typhle L.
Artdiagnose: Rüssel gerade, stark zusammeu- gedr ttckt, seine Länge bis zur Augenmitte beträgt V2 bis Vs der Kopflänge. Rumpf 7kantig; die beiden obern Kanten hören vor dem Ende der Rückenflosse auf; die 4 Seiten- kanten bilden in ihrer Fortsetzung die 4 Kanten des Schwanzes. Schwanzflosse rhombisch. Long. max. J' = 0.197 m. ? = 0.242 m.
Secund. Geschlechtscharakt. : $ bedeutend grös- ser als die ^. Schwanz beim </ relativ grösser als beim 5 , was mit der Ausbildung der Bruttasche zusammenhängt. Bauch des $ meist heller gefärbt.
Litte ratur und Synonymik:
Gthr., Cat. VIII p. 154 Siph. typhle u. rotundatum.
1G24 Schonevelde, p. 11. Altera species sive acus Ari- stotelis. Trumraeter, Meerschlange.
1794 Siemssen, Fische Meckl., p. 86 Syngnathus typhle L. u. p. 87 Syng. acus L.
1835 Eck ström, Morkö p. 123, Syngnathus Acus Linn.
1837 Fries, Ichth. Beiträge I p. 241, Syngnathus Typhle.
1841 Yarrel, II Ed. II p. 439, Syngnathus Typhle L. m.Abbd.
1846- -53 K royer, III p. 673, Siphostoma typhle L. m. Abbd.
1855 Nil SSO n, Sk. F. IV p. 689, Syngnathus Typhle L.
1859 Boll, Fische Meckl. p. 147, Syngnathus Typhle L. u. Syng. acus L.
1863 Malmgren, Finlands F. p. 69, Siphostoma typhle L.
1867 Lindström, Gotlands F. p. 40, Syngnathus typhle L.
1870 A. Dumeril, Hist. nat. des pois. II. p. 576 Siphono- stoma typhle, Rondeletii, pyrois, argentatum, rotun- datum.
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 21
322 Friedrich Heincke:
1871 Holland, Wirbeltb. Pommerns p. 118, Syngnathus typhle L. Syng. acus L. Syng. Kleinii Bär.
1874 A. H. Malm, Om d. brednäbbade kantnälens — Sipbonostoma typble Yarr — utveckling ocb fort- plantning.
1875 Wittmack, Fiscbereistatistik p. 130, Syngnatbus acus L. u. Syng. typble L.
1877 Seidlitz, Faun. balt. p. 90, Sipbonostoma typble L. 1879 Lenz, Fiscbe der Travemünder Bucbt. Syngnatbus Typble L.
Volksnamen: Kiel: Nadel, Seenadel. Neustadt: Grasbekt. Travemünde: Nadelfiscb. Ne u Vorpommern : Meernadel;
Trompete. Go tland : Sjönal. Kopenbagen: Skrädderaal; Tang-
snägl; Vejrfisk. Sebweden: Tängsnällor. Kritik und Varietäten : S. typble ist eine ausser- ordentlicb variable Species, was scbon aus ibrer v^eiten Verbreitung und bäufigem Vorkommen an den meisten Orten gescblossen werden kann. Sie ist daber zu Studien über die Variabilität der Arten im Darwin'scben Sinne sebr geeignet, zumal die Eigentbümlicbkeiten ibrer Lebens- weise und Fortpflanzung für jeden Biologen von böebstem Interesse sind.
Ausfübrlicbe Bescbreibung der Kieler Form, begründet auf eine detaillirfce Vergleicbung von 28 Indivi- duen verscbiedenen Alters und Gescblecbts (Totallänge 0.030—0.242 m).
Das Längenmaximum beträgt bei den Männeben 0.197 m, bei den Weibeben 0.242 m (nacb Untersucbung vieler Hunderte). Der Kopf ist ca. 572— 6V2 mal in der Totallänge entbalten und stets um ein Beträcbtlicbes länger, als die Basis der Dorsale.
Die Länge derScbnauze oder des sog. Rüssels (von dem Vorderrand des Auges an gerecbnet) ist bei er- wacbsenen Tbieren grösser, als bei jungen. Bei Exemplaren
Die Cobiidae und Syngnathidae dor Ostsee. 323
bis 0.030 m TotaHünge ist sie nur V2 so lang, wie der Kopf, bei grössern bis nahe Vs- Nur bei d{in grössten In- dividuen erreicht sie zweimal die Länge der Kopi'strccke hinter dem Auge.
Die Höhe der Schnauze in ihrer Mitte ist wenig kleiner oder grösser als der horizontale Durchmesser des Auges.
Der Schwanz ist 1. 7 — 2. 2mal so lang, wie der Rumpf.
Der Rumpf hat 16 — 18, der Schwanz 34—37 Panzer- ringe.
Die Rückenflosse beginnt meist auf dem letzten Rumpf ringe (selten auf dem vorletzten Rumpfringe oder dem ersten Schwanzringe) und erstreckt sich über 8—10 Ringe.
Die Tasche des ^ beginnt auf dem letzten Rumpf- ringe und erstreckt sich bei kleinern Individuen über 20 — 22, bei grössern über 23 Ringe.
P. 13-14 D. 33—39 A. 3 C. 10. ,
Wie schon in dieser Beschreibung angedeutet ist, erweisen sich manche Variationen als bedingt durch Alter und Geschlecht, sehr oft aber findet man auch bei Individuen gleichen Geschlechts und gleicher Grösse sehr erhebliche Differenzen. Ausser in den speciell ange- führten Charakteren zeigen sich dieselben auch in den feineren Leisten und Höckern des Hautpauzers, wo sie jedoch schwer zu beschreiben sind. Am grössten sind die Differenzen in der Färbung, die ich zunächst behandeln will.
Farbe der Seenadeln : Fries, der uns zuerst mit der interessanten Lebensweise unserer Thiere näher be- kannt machte, unterschied von der vorliegenden Art „zwei durch Uebergänge verbundene und ohne bestimmtes Ver- hältniss zu Alter und Geschlecht auftretende Varietäten": eine grüne mit gelben Flecken und messinggelbem Bauch und eine oliven braune mit einer Menge weisslicher Punkte und Flecke bestreut, mit weisslichem Bauch.
Diese Farbenvarietäten sind, wie man leicht beobach- ten kann, Nichts wie zwei extreme Zustände der durch Chromatophoren hervorgerufenen und momentan verän- derlichen Färbung der Seenadeln und entsprechen als
324 Friedrich Heincke:
S3^mpatliische Färbungen den Farbentönen der zwei extrem- sten Umgebungen, in welchen sich die Seenadeln gewöhn- lich aufzuhalten pflegen, nämlich des lebenden und abge- storbenen Seegrases. Schon früher habe ich in einem kleinen Aufsatze den höchst merkwürdigen Farbenwechsel unserer Thiere ausführlich beschrieben^). Ich zeigte, wie ein und dasselbe Individuum einmal zwischen grünen See- grasblättern aufgerichtet verweilt und denselben in Form, Farbe und Haltung, ja in der Art der Bewegung aufs überraschendste gleicht, das anderemal, vielleicht nur eine halbe Stunde später, regungslos am Boden liegt und von einem schmutzigbraunen, abgestorbenen Seegrasblatte kaum zu unterscheiden ist. In beiden Fällen tragen vorzüglich die feinen Liniensysteme des Panzers durch ihre Aehnlich- keit mit den Gefässsträngen des Zostera-Blattes bedeutend zur Erhöhung des Farbenschutzes bei. Die Rücken- und Brustflossen sind fast völlig durchsichtig und meistens in sehr schneller, undulirender Bewegung, so dass sie fast unbemerkt bleiben. Zwischen beiden Extremen der Fär- bung der Thiere und der Blätter kann man alle nur mög- lichen, sich entsprechenden Farbenmischungen von Grün, Gelb, Braun und Weiss beobachten.
Fesselt uns schon diese schöne und in so kurzer Zeit wechselnde Anpassung an die Umgebung, so ruft eine zweite unser höchstes Erstaunen hervor. Es ist eine Anpassung der Körperform von ganz besonderer Art, die nur dem Männchen eigen ist. Dieses verändert nämlich zur Laichzeit die gewöhnliche Seenadelform, welche die Gestalt des Seegrasblattes sehr gut nachahmt, so be- deutend, dass die schützende Aehnlichkeit zum grössten Theile aufgehoben wird. Die Schwanztasche, aus zwei dicken, fleischigen, in der Mittellinie der Unterseite zusam- menstossenden Falten gebildet, füllt sich mit Eiern und wird durch dieselben von innen aus knotig aufgetrieben. Thut man ein solches, eiertragendes Männchen unter ge- wöhnliches Seegras, so ist es leicht von den Blättern des-
1) Bemerkungen über den Farben Wechsel einiger Fische. Schriften des naturwissenschaftlichen Vereins für Schleswig-Holstein. Kiel, 1873. I. p. 255 ff.
Die Gobiidao und Syugiiathidae der Ostsee. 325
selben zu imterselicklcn. Ist aber die Aelinliclikeit mit den Blättern geschwunden, so ist dafür die mit den Blüthen des Seegrases au die Stelle getreten. Diese Blüthen oder vielmehr Blütheustäude l)estehen aus einem blattartigen, plattgedrückten, achselständigen Blüthenkolben mit zwei- reihig auf seine Fläche gestellten unscheinbaren, knötchen- förmigen Staubgefässen und Stempeln. Dieser Kolben ist völlig in eine Blattscheide eingeschlossen und zwar derart, dass die beiden Ränder der Scheide genau die Form der Taschenfalten der Seenadel besitzen. Die kleinen Blüthen- theile resp. die Früchtchen treiben die Scheide in derselben Weise von innen auf wie die Eier die Schwanzfalten.
Es erscheint vielleicht selbstverständlich, dass diese überraschende Anpassung des eiertragenden Männchens nicht so bedeutend und vollständig sein wird; wie die einer gewöhnlichen Seenadel ; handelt es sich doch darum, volu- minöse und in Form und Grösse selbst wieder wechselnde Dinge, wie Tasche und Scheide, Eier und Blüthentheile resp. Früchtchen einander möglichst ähnlich zu machen. Doch muss man beide nebeneinander in einem Gewirr von Seegrasblättern gesehen haben, um die Grösse der schützen- den Aehnlichkeit richtig zu beurtheilen. Im Anfang meiner Beobachtungen kamen mir zuweilen Zweifel über den Werth derselben, weil ich als Blüthezeit von Zostera ma^i-ina den August angegeben fand, die Hauptlaichzeit von Siphonostoma typhle in der Kieler Bucht aber in den Juni fällt. Sollte jene Formähnlichkeit wirklich Nutzen für unser Thier haben, so musste nothwendig die Laichzeit des Fisches möglichst genau mit der Blüthe- zeit der Pflanze zusammenfallen. Neue Beobachtungen haben diese Forderung aber vollständig bestätigt; Laich- und Blütheperiode dehnen sich in der Kieler Bucht von Ende April bis Anfang August aus, fallen also völlig zu- sammen.
Altersverschiedenheiten bei S. typhle: Die eben dem Brutsack entschlüpften Jungen mit einer Total- länge von ca. 0,025 m weichen, beträchtlich von altern Individuen ab. Sehen wir davon ab, dass Kopf und Augen wie bei fast allen jungen Fischen im Vergleich zum übrigen
326 Friedrich Heincke :
Körper grösser sind, so ist vor allem der Rüssel bei jungen Thiereii beträchtlicli kleiner. Noch beaehtens- werther ist, das alle Kanten und Leisten des Panzers aus- geprägter und schärfer sind als bei den Erwachsenen. Jeder Ring des Körpers ist an den Kanten mit einer nach hinten zugespitzten scharfen Crista versehen; über der Crista des Operculums steht ein kleiner Dorn und ober- halb des Operculums eine scharfe Leiste, welche altern Thieren völlig mangeln. Alle diese scharfen Hervorragun- gen sind schon bei 0,06 bis 0,08 m laugen Exemplaren rückgebildet ; das früher scharf und rauh anzufühlende Thier wird völlig glatt.
Geschlechtsunterschiede: Ausser den schon in der Diagnose angeführten Differenzen in der Grösse und Schwanzlänge zwischen cT und $, könnte man noch in der stark messinggelben Färbung des Bauches, welche sich oft bei den grössern Weibchen beobachten lässt und bei Mäunchen nie so intensiv hervortritt, einen secundären Geschlechtscharakter finden. Allein dieser Charakter ist dem oben beschriebenen, fast momentanen Farbenwechsel mit unterworfen und desshalb mit grosser Vorsicht zu be- urtheilen. Wenn auch der allgemeine Eindruck, den die Färbung des Weibchens macht, ein etwas anderer ist, als der, welchen wir vom Männchen empfangen, so greifen doch bei dieser Art die Wirkungen, welche drei verschie- dene Factoren, nämlich allgemeine Anpassung, momentane Anpassung und Geschlechtsverschiedenheit auf die Färbung ausüben, derart in einander, dass keiner jener drei Factoren klar erkannt und seine Wirkung von denen der andern nicht gesondert werden kann.
Vorstehende, umständliche Beschreibung der Kieler Form von S. typhle würde ich nicht gegeben haben, wenn sie nicht trefflich geeignet wäre uns von dem mangelhaften Zustand unserer ichthyologischen Systematik, vor allem von dem gänzlichen Mangel an Methode in derselben zu überzeugen. Vergleicht man die vorstehende Beschreibung mit den oben citirten von Yarrel, Kroyer, Nilsson, Gün- ther und Dumeril, so sieht man sofort, dass sie mit keiner der letzteren in völlige Uebereinstimmung gebracht
Die Gobiidae und Syugnathidae der Ostsee. 327
werden kann, eben so wenig wie die genannten Autoren untereinander übereinstimmen. Man könnte hieraus den voreiligen Scbluss ziehen, dass durch die verschiedenen Beschreibungen der einzelnen Autoren verschiedene, an den Beobachtungsorten derselben vorkommende Localtbrmen von S. typhle charakterisirt würden. Dies wäre ein grosser Irrthum; die Ursache, dass die Beschreibungen so verschieden ausfallen, liegt vielmehr grösstentheils darin, dass kein Autor eine hinreichende Anzahl von Indi- viduen untersucht hat, um die ausserordentliche Varia- bilität dieser Art an jedem einzelnen Orte ihres Vor- kommens richtig erkennen und würdigen zu können.
Dies zeigt besonders die Betrachtung der fünf Species Siph. typhle, Rondeletii, pyrois, argentatum und rotunda- tum, welche Dumeril sehr ausführlich beschreibt. Er hat diese Arten nicht selbst aufgestellt, sondern nur nach Be- schreibungen älterer Autoreu und sehr wenigen, von ihm selbst untersuchten Exemplaren völlig kritiklos aufgenommen. Seine Beschreibungen bestehen in der Anführung derselben Charaktere, die ich oben bei der Kieler Form angegeben habe. Ausserdem spielen noch Farbenverschiedenheiten eine grosse Rolle, Kennzeichen, die aber für scharfe Dia- gnosen völlig werthlos sind.
Schon eine flüchtige Betrachtung der Dumeril'schen Beschreibungen überzeugt mich, dass wenigstens die der vier erstgenannten Arten keineswegs specifische Unterschiede angeben. Es ist mir möglich aus einer geringen Anzahl Kieler Exemplare jederzeit zwei Individuen herauszusuchen, die ich mit demselben Rechte, wie Dumeril seinen Siph. typhle und Rondeletii, mit verschiedeneu Diagnosen und Namen ausstatten könnte, wobei ich freilich immerhin die überraschende Entdeckung machen könnte, dass die eine Art nur aus Männchen, die andere nur aus Weibchen besteht.
Schon vor Dumeril hat Günther die Species typhle, Rondeletii, pyrois und argentatum unter den Artbegriff S. typhle vereinigt und nur noch Siph. rotundatum aus dem Mit- telmeer als zweite Art der Gattung beibehalten. Jedoch be- zweifelt er wohl mit Recht in einer Note die. Möglichkeit diese Abtrennung aufrecht zu erhalten, zumal er nur ein einziges
326
Friedrich lleincke:
Exemplar zur Untersuchung besass. Viel mehr scheint auch Dumeril nicht zur Verfügung gehabt zu haben und so glaube ich, können wir getrost auch diese fünfte Art eingehen lassen. Sie soll sich von allen übrigen dadurch unterscheiden, dass der Kopf nicht ganz fünfmal in der Totallänge enthalten und die Schnauze dreimal länger, als der Theil des Kopfes hinter den Augen ist. Berücksich- tigt man jedoch, in wie weiten Grenzen derselbe Charackter bei den vier vereinigten Arten variirt, so wird die Bedeu- tung dieses Unterschiedes ganz ilhisorisch. Aus folgender Zusammenstellung aller von zuverlässigen Autoren angege- benen Charaktere geht dies deutlich hervor.
Variationstabelle von Siphonostoma typhle und verwandten Arten.
Charakter |
Siphonöstoma typhle (Roßdeletii, pyrois, argentatum) |
Siph. typhle Kieler Form |
Siph. rotun- datiim Mich. Dum. Günth. |
1. Totall.: Kopfl. (X : 1) |
5.0—7.0 |
5.5-6.7 |
4.8—4.9 |
2. Länge der Schnauze :Püst- orbitalraum (x: 1) |
1.9—2.5 |
1.5—2.0 |
3.0 |
3. Höhe der Schnauze |
wenig bis viel grösser als der horizontale Augendiameter |
kleiner, gleich, wenig bis viel grös- ser als . . . |
• |
4. Ringe des Körpers |
Rurapfringe : 17 — 20 Schwanzringe : 33 — 38 |
R. 16—18 Schw.34— 37 |
R. 20 Schw. 33—34 |
5. Schwanzläuge : Rumpfl. (x : 1) |
1.5 2.4 |
1.7-2.2 |
1.5 ' |
6. Erstreckimg der Rücken- flosse über: |
1 — 2 Rumpf ringe 7 — 9 Schwanzringe |
0-2Rumpfr. 7-9 Schwanz- ringe |
1 Rumpfr. 7 Schwauzr. |
7. Flossen- strahlen |
P. 12—15 D. 31-42 A. 3-4 C. 10 |
P. 13-14 D. 33-39 A. 3 C. 10 |
F. 16 D. 32—34 A. ? C. 10 |
Die Gobiidae iiud Syugnatliidae der Ostsee. 329
Werfen wir alle fünf Specics zusammen, so erhalten wir in der Art Sipb. typhle einen Formenkreis, innerhalb dessen g-anz ausserordentliche, durch alle Uebergänge verbundene Verschiedenheiten der Gestalt vorkommen. Wären die Mittelformen nicht vorhanden, so würde kein Autor, auch ich nicht, zögern mehrere Species zu unter- scheiden.
Es fragt sich nun, ob es wirkliche Localformen oder geographische Racen unserer Seenadelart giebt? Diese Frage muss ohne Zweifel bejaht werden. Die Ostseeexem- plare sind z. B. fast immer kleiner, als die aus der Nord- see, diese wieder kleiner, als jene des Mittelmeers. Die Individuen mit den längsten und höchsten Rüsseln stammen stets aus dem Mittelmeer. Auch kommen bei den Bewoh- nern des letzteren Meeres Farbenzusammenstellungen vor, die ich in der Ostsee nie beobachtet habe. So sicher es demnach ist und nicht anders sein kann, dass ' Localracen existiren, so reicht doch unsere gegenwärtige Kenntniss dieser x\rt und vor allem die bisher von den Autoren ge- übte Methode der Beschreibung nicht aus, die wirkliche Form dieser Localracen zu erkennen. Dazu ist, wie ich in meinen Arbeiten über die Varietäten des Herings gezeigt habe, die rationell« Untersuchung von hunderten von Indi- viduen der verschiedenen Orte nöthig. Die obige genauere Beschreibung der Kieler Form giebt hierzu einen Beitrag.
Aufenthaltsort und Lebens weise: Siph. typhle ist die einzige mit Sicherheit in der Ostsee beobachtete Art der brustflossentragenden Seenadeln und für die Fauna derselben eine sehr charakteristische Form. In der Kieler Bucht bewohnt sie in grosser Menge die Region des grünen Seegrases, steigt jedoch auch weiter in die des todten See- grases hinunter. Ihre Bewegungen sind langsam; meistens in aufrechter oder liegender Stellung ruhend schnellt sie, wenn gereizt, nach der Seite, wie ein von der Welle er- fasstes Seegrasblatt. Wanderungen scheint sie nicht zu unternehmen.
Fortpflanzung: In der Kieler Bucht scheinen die ? seltener als die c^ zu sein. Kroyer und Eck ström
330 Friedrich Heincke:
behaupten für ihre Gebiete das Gegentheil, was ich je- doch mangelhafter Beobachtung zuschreibe.
Die Laichzeit erstreckt sich von Mai bis August. Das- selbe giebt Eckström für die Schären Stockholms an. Juni und Juli sind die Hauptmonate. Kroyer giebt nur den Juli an. Mehrere Autoren (Eckström, Nils so n, Hol- land, A. H. Malm) sagen übereinstimmend aus, dass die Thiere zum Laichen in grössere Tiefen (mindestens 4 bis 6 m) gehen, der letztgenannte Forscher meint nur zur Be- gattung, während die Entwicklung der Jungen in der Brut- tasche im flachen Strandwasser stattfinde. Ich habe S. typhle im Kieler Hafen zu allen Jahreszeiten gleich häufig in der flachen Region des grünen Seegrases gefunden.
Die Aehnlichkeit des eiertragenden Männchens mit einem Blüthenstande des Seegrases ist für mich ein Grund die Angaben der genannten Autoren zu bezweifeln.
Die Begattung ist bis jetzt nicht beobachtet. Ich habe eine Zeitlang versucht sie an Thiereu im Aquarium zu beobachten, kann aber nur so viel mit Sicherheit sagen, dass die Füllung der Bruttasche nicht mit einem Mal er- folgt, sondern in Zwischenräumen von mehreren Tagen, so dass bei jeder Begattung etwa 10 bis 20 Eier in die Tasche gebracht werden. Da Seenadeln bei einiger Sorg- falt leicht in Aquarien zu halten und zur Fortpflanzung zu bringen sind, so werden erneute Bemühungen leicht Auf- klärung geben. Dieselben sind um so mehr zu empfehlen, als Seenadeln treffliche Objecte für entwicklungsgeschicht- liche Studien sind. In der Bruttasche auch der gross ten Männchen scheinen in der Kieler Bucht nicht mehr als 150 bis 200 Eier enthalten zu sein.
Die Entwicklungsdauer vermag ich nicht anzu- geben, doch hielt ich ein Männchen, welches mit gefüllter Taschfe gefangen wurde, über 14 Tage im Aquarium, bevor die Jungen ausschlüpften. Es waren ungefähr 50 Stück; eine grosse Anzahl Eier war unentwickelt geblieben. Die neugeborenen schwammen sogleich munter um den Vater herum; ein Zurückschlüpfen in die Bruttasche, wie Eck- ström beobachtet hat, habe ich nicht gesehen.
Die Bruttasche wird nicht, wie manche Autoren be-
Die Gobiidae und Syuj^uathidae der Ostsee. 331
haupten, nach Beendigung- der Fortpflanzung zurückge- bildet.
Das Wachstlium der beim Ausschlüpfen etwa 0,025 m langen Jungen ist nach Beobachtungen im Aquarium ein ausserordentlich schnelles. Im Freien kann man schon im Juli bis 0.05 m, im August über 0.10 m lange, diesjährige Thiere finden. Das kleinste (/, welches ich mit wohlaus- gebildeter aber leerer Tasche angetroffen habe, maass 0.095 m. Danach ist fast sicher, dass die Fortpflanzungs- fähigkeit schon im ersten Lebensjahre eintritt.
Biocönose: Die Nahrung besteht nach Beobach- tungen im Aquarium aus sehr kleinen Crustaceen, beson- ders Copepoden und Fischbrut (Gobius). Die Nahrungs- aufnahme steht mit der langsamen Bewegung des Thieres und seiner Aehnlichkeit mit einem Seegrasblatt in voll- ständiger Harmonie. Das ruhig daliegende oder aufrecht stehende Thier fixirt mit den äusserst beweglichen Augen scharf seine kleine Beute. Mit einer plötzlichen Wendung, wie ein von der Welle erfasstes Seegrasblatt, nähert es sich seinem Opfer und zieht es durch das weitgeöffnete Maul und die lange Mundröhre zugleich mit einem Strom von Wasser hinunter. Wer einmal eine fressende Seenadel beobachtet hat, versteht sofort den zweckmässigen Bau des eigenthümlichen Rüssels.
Feinde hat die Seenadel wenige, was ich aber nicht einem widerlichen Geschmack ihres Fleisches zuschreibe, wie viele Autoren ohne Grund behaupten, sondern viel- mehr dem ausserordentlichen Schutz, den sie durch ihre sympathische Färbung geniesst. Im Magen von Cottus fand ich nicht selten grössere und kleinere Exemplare von Siph. typhle und Nerophis ophidion. Möglich, dass die ausserordentlich gierigen Cottus, die Strassenräuber im Seegras, die Seenadeln aus Versehen mit hinuntergeschluckt haben, ebenso wie die über fusslangen Seegrasblätter, welche ich bisweilen aus ihrem Magen hervorgezogen.
Ein ökonomischer Werth unserer Thiere ist nicht vorhanden. Der Fang mit dem Schleppnetz ist ausser- ordentlich leicht.
Verbreitung in der Ostsee. In der westlichen
332 Friedrich Heincke:
Ostsee sehr gemein; auch an der Küste von Pommern, bei Gotland und der schwedischen Küste bis Stockholm noch häufig. Von da an nach Osten und Norden, wie es scheint, seltener werdend, nach Ma Imgren jedoch in den Aländi- schen und südwestlichen Schären Finnlands nicht selten. Geht nach meinen Beobachtungen auch in die brackischen Buchten hinein, ich erhielt einige Exemplare aus der Schlei bei Missunde. Ob sie sich dort fortpflanzt, kann ich zwar nicht versichern, halte es aber für höchst wahrscheinlich. Verbreitung ausserhalb der Ostsee: scheint auf Europa beschränkt zu sein. Im schwarzen Meer, Mit- telmeer, an den atlantischen Küsten Europas, in der Nord- see und im Kattegat häufig. Kroyer giebt als nördlichste Grenze Bergen an.
Gattung Syngnathus Gthr.
After-, Brust- und Schwanzflosse vorhanden. Die Schulterknochen zu einem festen Ringe ver- wachsen.
Körper kantig. Die Rückenkanten des Rumpfes gehen bei erwachsenen Thieren nicht in die des Schwanzes über. Männchen mit Bruttasche am Schwänze.
Syngnathus acus L.
Artdiagnose: Rüssel dünn und abgerundet. Rumpf 7kantig ; die beiden obern Kanten hören vor dem Ende der Rückenflosse auf; die obern Seitenkanten (Seitenlinien) gehen nur bei jungem Individuen in die obern Kanten des viereckigen Schwanzes über. Schwanzflosse abgerundet. Dors. 31—41. Ringe. Rumpf: = 15—21.
Schwanz: = 38-44. . -
Litteratur und Synonymik:
Gthr. Cat. VIII p. 157. Syngnathus acus L.
1784 Bloch, Ö. N. D. III p. 112. Taf. 91, Fig. 1 Syn- gnathus typhle.
1837 Fries, Ichthyol. Beiträge I p. 239, Syngnathus acusL.
1841 Yarrcl, II Ed. II p. 432 m. Abbdg. Syngnathus acus L.
1846—53 Kroyer, III p. 092 m. Abbdg. Siphostoma acus L.
Die Gobiidae und Synguathidac der Ostsee. 333
Diese von Siplionostoma typhle durch die angege- benen Merkmale seih- leiclit zu unterscheidende Art ist bis jetzt mit vSicherheit in der Ostsee nicht beobachtet. Dass sie gleichwohl in .vielen iaunistischen Arbeiten (Siemssen, Boll, Holland), ja noch bis in die neuste Zeit (Witt- mac k) als Bewohner derselben angegeben wird, beruht auf einer Verwechslung mit Siph. typhle. Die Schuld an diesem von einem Autor auf den andern fortgeerbten Irr- thum kommt besonders Linne zu, der zwar beide Species richtig unterschied, aber Namen und Synonyma völlig ver- wechselte, sowie Bloch, der unter dem Namen Syngna- thus typhle einen jungen Syng. acus und Eckström, der Syng. typhle als Syng. acus beschrieb (Fische in den Schären von Morkö). Aufklärung in dieser Sache gab zu- erst Yarrel, dann Fries (1. c. p. 238 f.). Später hat dann noch Kroyer (1. c. p. 703) ausdrücklich den Irrthum Bloch's erwähnt und die Vermuthung ausgesprochen, dass der wahre Syng. acus in der Ostsee ganz fehle. Schon im Kattegat ist diese Art selten; immerhin liegt aber die Möglichkeit vor sie wenigstens in der westlichen Ostsee noch zu entdecken. Desshalb und um unsere deutschen Ichthyologen auf einen vielverbreiteten Irrthum aufmerksam zu machen, führe ich die Art hier auf.
In Bezug auf Variabilität steht übrigens, das sei hier kurz bemerkt, Syng. acus ihrer Verwandten Siph. typhle nicht nach, übertrifft sie vielmehr noch. Günther, der eine Menge Arten älterer Forscher mit Syng. acus vereinigt, spricht sich eingehender hierüber aus. Vorzüglich bemer- kenswerth ist nach ihm der Unterschied ganz junger Exem- plare von älteren. Erstere weichen oft durch geringere Zahl der Flossenstrahlen und Körperringe, sowie geringere Länge und Höhe der Schnauze von den letzteren ganz be- deutend ab. Diese Beobachtungen Günther's sowie meine eignen an Siph. typhle bestimmen mich die 1855 von Nilsson (Skand. Fauna IV. p. 687) aufgestellte und von Günther nicht berücksichtigte Species Syng. rostellatus, die von ihm auch in der Ostsee vermuthet wurde, als einen in jugendlichem Alter geschlechtsreifen Syng. acus zu be- trachten. Nach Nilsson soll Syng. rostellatus bedeutend
334 Friedrich Heincke:
kleiner sein, als Syng. acus, weniger Strahlen in der Dor- sale und Pectorale und weniger Rumpf- und Schwanzringe besitzen. Der Rüssel ist abgerundet, weniger hoch und im Gegensatz zu Syng. acus mit einem scharfen Längskiel versehen. Alle diese Charaktere, besonders auch der letz- tere, sind aber solche, die nach dem, was oben über S. typhle und acus gesagt ist, die meisten jugendlichen Indi- viduen von älteren unterscheiden und keine specifischen Differenzen begründen können.
Gattung Nerophis Kaup.
Afterflosse fehlend. Brust- und Schwanzflosse rudimentär oder fehlend. Körper abgerundet. Die Männchen sind ohne Tasche und tragen die Eier an der Bauchseite des Rumpfes angeklebt.
Nerophis aequoreus L.
Artdiagnose: Schwanzflosse rudimentär. Brustflossen bei Erwachsenen ganz fehlend. Rüssel abgerundet; seine Länge beträgt V2 oder mehr der Kopf- länge. After unter dem letzten Drittel der Rücken- flosse und vor der Mitte der Totallänge.
D. 38—44. Rumpfringe 28—30.
Litteratur und Synonymik. Gthr. Cat. VIII, p. 191 Nerophis aequoreus L.
1841 Yarrel, II, Ed. II, p. 442, Syngnathus aequoreus L.
m. Abbdg. p. 445 Syng. anguineus Jenyns. 1846 — 53 Kroyer, III, p. 705, Syng. aequoreus L. m. Abbdg. 1870 A. Dumeril, Hist. nat. des pois. II, p. 605, Entelu-
rus aequoreus L. p. 606, Ent. anguineus Jenyns.
Diese den Uebergang zu den schwanzflossenlosen Seenadeln bildende Art ist an den westlichen Küsten Euro- pas bis nach Afrika und Nordamerika hin verbreitet. In der Nordsee an allen Küsten nicht gerade selten, fehlt aber im Mittclmeer und in der Ostsee. Jedoch wird sie nach Kroyer noch ziemlich häufig im tieferen Wasser des Kattegats gefunden, so dass sie wahrscheinlich auch in der westliclien Ostsee noch entdeckt wird.
Die Gobiidae und Synprnathidae der Ostsee. 335
Neropbis ophidion L.
Artdiagnose: Scb wanz- und Brustflossen bei Erwaebsenen ganz fcblend. Scbnauze abgerundet, wenig kürzer als die Hälfte der Kopflänge. After unter dem ersten Drittel der Rückenflosse. Long. max. ^ = 0.167 m, $ = 0.283 m.
D. 34—38. Ringe des Rumpfes: 30—31, des Schwan- zes: 60-70.
Secund. Gescblecbtscbarakt. $ bedeutend grös- ser, als das d^, mit einem Hautkamme in der Mittellinie des Rückens und Baucbes und seitlich zusammengedrücktem Körper ; zur Laichzeit mit opalisirenden Streifen und Flecken geziert.
Litteratur und Synonymik. Gtbr. Cat. VIII, p. 192, Neropbis ophidion L.
1624 Schonevelde, p. 11. Acus Aristotelis-Meherscblange (Slesvicensium).
1794 Siemssen, Fische Meckl. p. 88, Syngnathus Ophi- dion L.
1837 Fries, Ichthyol. Beiträge I, p. 236, Tfl. VI, Fig. 4, Syngnathus Ophidion.
1841 Yarrel, II, Ed. II, p. 447 m. Abbildg. Syngnathus Ophidion *).
1846—53 Kroyer, III p. 716 m. Abbildg. Neropbis Ophi- dion L.
1855 Nilsson, Sk. F. IV, p. 694, Scyphius Ophidion L.
1859 Boll, Fische Meckl. p. 147, Syngnathus ophidion.
1863 Malmgren, Finlands F. p. Neropbis Ophidion L.^)
1) In der ersten Ausgabe der Hist. of Brit. Fish, wird der Speciesname Syug. ophidion L. von Yarrel irrthümlicb auf Syng. anguineus Jenyns (= Syng. aequoreus L.) bezogen, was Yarrel im Supplement zur ersten Ausgabe IL Bd. p. 48 Note selbst eingesteht. Das Nähere über diese falsche Anwendung des Li nne'schen Namens Syng. ophidion siehe Fries 1. c.
2) citirt irrthümlicb Bloch, Fische Deutschlands III, p. 115, Tfl. 91, Fig. 3. Bloch's Syng. ophidion ist, wie schon Yarrel 1. c. angiebt, der Syng. anguineus Jenyns. (= Syng. aequoreus L.)
336 Friedrich Heincke :
1867 Lindström, Gotlands F. p. 40, Scyphius opbidion L.
1870 A. Dumeril, Eist. iiat. des poiss. II, p. 602 Nerophis opLidion Bonap.
1871 Holland, Wirbeltb. Pommerns p. 117, Syngnathus opbidion L.
1875 Wittmack, Fiscbereistatistik p. 130, Syngnatbus
opbidion L. 1877 Seidlitz, Fauna halt. p. 91, Syngnatbus opbidion L. 1879 Lenz, Fiscbe der Travemünder Bucbt, Syngnatbus
Opbidion L.
Volksnamen: Kiel: Nadel. Neustadt: Grasbekt. T r a V e m ü n d e : Nadelfiscb. Gotland: Hafsnälar. Finnland: Merineula.
Kritik und Varietäten : Neropbis opbidion ist auf Variabilität nicbt so genau von mir untersuebt worden, wie Sipbonostoma typble. Docb glaube icb von vorne berein bebaupten zu können, dass eine genauere Prüfung zablreicber Individuen Aebnlicbes ergeben wird, wie bei der letztgenannten Art. Die obige Diagnose ist nacb Kie- ler Exemplaren gegeben. In der Nordsee wird unser Tbier weit grösser, als in der Ostsee. Siemssen giebt an, dass es an den Küsten Mecklenburgs zwei Fuss, also mindestens 0.7 m lang wird; icb glaube jedocb, dass der Autor ent- weder ein Nordseetbier oder ein Individuum von Neropbis aequoreus vor sieb batte.
Altersverscbieden beiten bei N. opbidion. Junge Tbiere unter 0.10 m Totallänge unterscbeiden sieb ganz wesentlicb von erwacbsenen. Sie baben einen eckigen Körper wie Sipbonostoma typble und die Hinterränder der einzelnen Hinge ragen an den Ecken dornenartig nacb binten vor, so dass der Leib von der Seite geseben säge- artig gezäbnt erscbeint.
Die Rundung des Körpers und das Scbwinden der Dornen beginnt scbon bei Exemplaren von 0.07 m und ist bei solcben von 0.09 m vollendet. Die Scbwanzflosse ist scbon bei eben ausgescblüpftcn Tbieren rudimentär und verscbwindet l)ald gänzlicb. Die Brustflossen sind Anfangs sebr scbrm ausgebildet und beginnen erst bei Tbieren von
Dfe Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 337
mehr als 0.09 m merklich zu schwinden. Dies beobachtete schon Fries (I.e.) bei der nächsten Art, Nerophis lumbri- ciformis. Der Rüssel der jungen Thiere ist kürzer, als bei erwachsenen und vor und etwas nach dem Ausschlüpfen ein wenig aufwärts gekrümmt.
Färb e : Von ihr gilt dasselbe, was von Siph. typhle gesagt wurde. Nerophis ophidion scheint aber in Färbung und Form weniger dem Seegras (Zostera), als vielmehr gewissen Tangen, vor allem der Meersaite (Chorda filum) und Furcellaria fastigiata angepasst, welche beide im Kie- ler Hafen sehr häufig vorkommen. Erstere ist grün, letz- tere dagegen braun. Unser Thier benutzt seinen flossen- losen Schwanz als Wickelorgan und ich habe oft beobachtet, wie drei und mehr Individuen, mit den Schwänzen in ein- ander verschlungen, einer daneben liegenden Furcellaria täuschend glichen.
Geschlechtsunterschiede: Dieselben sind zum Theil schon in der Diagnose angegeben, aber so auffallend, dass sie eine ausführlichere Beschreibung verlangen.
Zunächst ist das Weibchen viel grösser, ja fast dop- pelt so gross, als das Männchen. Auch ist der Körper des Weibchens nicht rund, sondern seitlich zusammenge- drückt und sowohl am Rücken wie auch am Bauche mit einem häutigen Kiel versehen, von dem das Männchen nur am Bauche einige Andeutungen besitzt. Schon Fries (1. c.) hat hierauf hingewiesen und Kroyer fügt hinzu, dass ausser einer bedeutenderen Grösse beim Weibchen auch andere Dimensionsverhältnisse obwalten. Fast ebenso gross wie diese Formverschiedenheiten sind die bisher unbeschriebenen Differenzen in der Färbung während der Laichperiode. Der Kiel oder Kamm des Weibchens ist um diese Zeit stärker entwickelt und von einer pracht- vollen, sammetschwarzen Farbe. Auf den Kiemendeckeln befinden sich zahlreiche verzweigte Streifen, die sich als parallele Bänder auf den vordem Theil des Rumpfes fort- setzen und blau oder blau mit weiss in der Mitte sind. Das Blau leuchtet und opalisirt prächtig. Dasselbe gilt von den gi'ossen weissen und bläulichen Flecken, mit denen der ganze Rumpf übersät ist. Beim Männchen sind alle
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 22
338 Friedrich Heincke:
diese Streifen and Flecke äusserst schwach entwickelt; seine Färbung ist verglichen mit der des Weibchens matt und unscheinbar. Die jungem, noch nicht ausgewachsenen Weibchen gleichen den Männchen.
Aufenthaltsort und Lebensweise: Die gerin- gen Unterschiede, welche in dieser Beziehung zwischen Nerophis ophidion und Siphonostoma typhle obwalten, lassen sich bis jetzt nicht genauer angeben. N. ophidion scheint in der Kieler Bucht etwas seltener zu sein, als die andere Art und wie schon erwähnt wurde, den Aufenthalt zwischen Tangen dem im reinen Seegrase vorzuziehen.
Fortpflanzung: Eier tragende Männchen trifft man im Kieler Hafen in der flachen Strandregion häufig von Mai bis Mitte August, was auch Eckström angiebt. Am 22. August 1874 fing ich ein Exemplar, bei dem die Hül- sen der schon ausgeschlüpften Jungen sich noch am Bauche befanden. Diese Hülsen, welche den Zellen einer Bienen- wabe gleichen, entstehen durch Erhärtung der Schleim- masse, durch welche die Eier am Bauche des Männchens befestigt sind, und finden sich auch in der Schwanztasche von Siph. typhle. Die Begattung konnte ich nicht beo- bachten. Die ausschlüpfenden Jungen mögen 0.025 bis 0.035 m messen und wachsen noch schneller, als die von Siph. typhle, so dass die geschlechtliche Reife ohne Zwei- fel in einem Jahre erreicht wird.
Biocönose und ökonomischer Werth : Auch hier kann ich nur das von Siph. typhle gesagte wieder- holen. Im Magen von Cottus scorpius habe ich unsere Thiere zu verschiedenen Malen vorgefunden.
Verbreitung in der Ostsee: Im westlichen Theil tiberall vorkommend, nach Malmgren auch im finnischen und bottnischen Meerbusen bis • zum Quarken. Scheint weiter nach Osten vorzukommen, als Siph. typhle. In der Schley habe ich Nerophis ophidion im Juli 1875 mit Eiern in der kleinen Breite bei Schleswig gefunden, wo das Wasser nahezu süss ist. Wahrscheinlich wird unser Thier auch im Dassower Binnensee bei Lübeck und in andern brackischen Buchten entdeckt werden.
Verbreitung ausserhalb der Ostsee: Fehlt im
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 339
Mittelmeer. Der VerbreituDgsbezirk im atlantischen Oeean (französische, brittische und norwegische Küsten) ist noch nicht genau festgestellt.
Nerophis lumbriciformis Will.
Artdiagnose: Schwanz- und Brustflossen bei Erwachsenen ganz fehlend. Schnauze abgerundet, etwas nach oben gekrümmt, viel kürzer als die Hälfte der Kopflänge. After unter dem ersten Drittel der Rückenflosse. Long. max. geringer, als bei N. ophidion.
D, 26. Ringe des Rumpfes: 18—19, des Schwanzes: 50-55.
Litteratur und Synonymik.
Gthr. Cat. VIII, p. 193, Nerophis lumbriciformis Will. 1837 Fries, Ichthyol. Beiträge p. 249, Tafel VI, Fig. 5— 8
Syng. lumbriciformis. 1841 Yarrel, II Ed. p. 450, Syng. lumbriciformis. 1846—53 Kroyer, III p. 723 m. Abbldg. Nerophis lumbri- ciformis. 1855 Nilsson, Sk. F. IVp.695.ScyphiuslumbriciformisYarr. Diese durch ihre geringere Grösse, kürzere Schnauze und kleinere Zahl der Flossenstrahlen und Körperringe von Nerophis ophidion unterschiedene Art ist in der Nord- see vom Sund bis Bergen und an den brittischen Küsten verbreitet, in der Ostsee dagegen noch nicht beobachtet. Da mehrere der angeführten Artmerkmale, vor allem der kürzere und emporgekrümmte Rüssel, Eigenschaften sind, welche auch für jugendliche Individuen von Nerophis ophidion charakteristisch sind, so vermuthe ich, dass N. lumbriciformis nur eine Varietät der ersteren Art ist und zu ihr in einem ähnlichen Verhältnisse steht, wie Syng. rostellatus zu Syng. acus (vergl. oben) oder Gobius minutus var. minor zu var. major.
Litteratur.
1624 Schonevelde, Ichthyologia seu nomenclator animalium etc. Hamb. 1624. 4». (ICnthält meist Beobachtungen über die Fische der Kieler Bucht.)
340 Friedrich Heincke ;
1782 ß loch, M. E., Oekonomische Naturgeschichte der Fische Deutsch- lands. Bd. 1 bis 3. Berlin 1782—84. 1786 Euphrasen, Gobius Ruthensparri. K. Vetensk. Akad. Nya
Handlingar. Stockholm. Tom. 7. 1786. p. 64—67. 1794 Siemssen, Ad. Chr., Die Fische Mecklenburgs. Rostock und
Leipzig 1794. 1832 Nils so n, S., Prodromus faunae ichthyologiae Skandinaviae.
Lundae, 1832. 1835 Eck ström, C. ü., Die Fische in den Schären von Morkö.
Uebersetzt von Dr. F. C. H. Creplin. Mit 6 Kupfertafeln.
Berlin, 1835. 1837 Cuvier et Valenciennes, Histoire naturelle des poissons.
Paris 1828—49. 1837 Fries, B. Fr., Ichthyolog. Bidrag til Skandinav- Fauna. K.
Vet.-Akad. Handling. Stockholm, 1837, p. 23—58. Uebersetzt
im Archiv f. Naturgeschichte, 1838 I, p. 236.
1839 — — Untersuchung der an den schwedischen Küsten vor- kommenden Arten der Gattung Gobius L. Uebersetzt von Creplin. Archiv f. Naturgeschichte 1840. I p. 233.
1840 Fries och Eckström, Skandinavisk Fiskar. Stockholm. (Illu- strirt von Wright.)
1840 Kroyer, Henrik, Danraarks Fiske. Kjobenhavn 1838 — 53 (3 Bände).
1841 Yarrel, Will., A History of British Fishes. Second Edition. Vol. I and II. London 1841.
1855 Nils so n, S., Skandinavisk Fauna. IV. Delen. Fiskarna. Lund, 1855.
1859 Boll, E., Die Fische Mecklenburgs. Archiv des Vereins der Freunde der Naturgeschichte in Mecklenburg. 13. Jahrg. Neu- brandenburg 1859.
1859 Günther, Albert, Catalogue of the fishes in the Collection of the British Museum. Tom. I-VIII, London 1859—70.
1863 Malmgren, A. J., Finlands Fiskfauna. (?) Uebersetzt im Archiv für Naturgeschichte 1864.
1865 D umeril, Aug., Histoire naturelle des poissons ou Ichthyologie generale. Paris, 1865 — 70.
1867 Lindström, Gotlands Fiskfauna (im Haushaltungsbericht von Gothland erschienen ; genaueres kann ich nicht angeben).
1868 Steindachner, Sitzungsberichte der Wiener Akademie, 1868. 57. p. 398-416.
1870 Malm, A. W., Beskrifning pä tre for den Skand. Fauna nya fiskarter. Öfversigt af Kongl. Vetensk.-'Akad. Förhandl. 1870, Nr. 7. Stockholm.
1871 Holland, Th., Die Wirbelthiere Pommerns. Stolp. 1871.
DieGobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 341
1873 Malm, A. W., Om Svenska Gobiider. Foredrag paa det 11. skandinaviske Naturforskermode i Kjobenhavn 1873.
1874 Malm, A. H., Om den brednäbbade kantnälens, Siphonostoma typhle Yarr. utveckling och fortplantning. Lund, 1874.
1874 Win t her, G., Om de Danske Fiske af Slaegten Gobius. Natur- historisk Tidsskrift 1874.
1875 Wittmao k, L, Beiträge zur Fischerei-Statistik des deutschen Reichs u. s. w. Mit 1 Karte. Circular Nr. 1 des deutschen Fischerei- Vereins. Berlin 1875.
1877 Winther, G., Om de Danske Fiske af Slaegten Gobius. Fort- saettelse. Naturh. Tidsskrift 1877.
1877 Hubrecht, Om eene nieuwe Gobiussoort uit de Noordzee. Go- bius Taalmankipii (Ort?).
1877 Seidlitz, G., Fauna baltica. Die Fische (Pisces) der Ostsee- provinzen Russlands. Archiv für die Naturkunde Liv. — Ehstl. — u. Kurlands. Serie II, Bd. 8. Lief. 1. Dorpat 1877.
1879 Lenz, H., Die Fische der Travemünder Bucht. Circular des deutschen Fischerei-Vereins. Berlin 1879.
Biologische Bemerkungen.
Die vorstehenden Beschreibungen geben mir Veran- lassung zu Bemerkungen über einige wichtige Fragen der zoologischen Systematik und der geographischen Verbrei- tung sowie über die Existenz und die Entstehung von Localvarietäten. Auch die sogenannten secundären Ge- schlechtscharaktere sind bei den beschriebenen Arten so auffallend entwickelt, dass sie ein allgemeineres Interesse beanspruchen können.
Dass die folgenden Erörterungen wesentlich descen- denztheoretisch sind, ist begreiflich. Sollten sie dem Leser im Vergleich mit dem dargebotenen Material zu weit- schweifig oder zu gewagt erscheinen, so bemerke ich, dass ich ähnliche Erscheinungen, wie bei den beschriebenen Fischen, noch bei einer grossen Zahl anderer Arten in der Kieler Bucht beobachtet habe, ja ich darf sagen, bei allen, welche ich überhaupt genauer untersuchte. Vor allem gilt dies von den heringsartigen Fischen, welche ich in meinen Abhandlungen über die Varietäten des Herings ausführlich
342 Friedrich Heincke:
behandelt habe ^) und von den Stichlingen, über welche ich demnächst meine Beobachtungen zu publiciren gedenke.
1. Variabilität der Species.
Ich brauche nicht besonders hervorzuheben, dass der Umfang der Variation bei allen fünf beschriebenen Arten ein sehr bedeutender ist. Selbst die am wenigsten vari- irende Art, Gobius Ruthensparri, zeigt in einem der wich- tigsten specifischen Charaktere, der Zahl der Strahlen in der ersten Rückenflosse, welche in der Regel 7 beträgt, eine Variation, indem gelegentlich 6 oder 8 Strahlen vorkommen.
Die Veränderlichkeit der specifischen Cha- raktere ist überhaupt bei allen von mir unter- suchten Arten eine regelmässigeErscheinung und eine Haupt-Ursache jener unendlichen Verwirrung in der Synonymik, welche die Berücksichtigung der gesammten Lit- teratur einer Species zu einer so ermüdenden und undank- baren Arbeit, ja in einzelnen Fällen die Herstellung einer richtigen Diagnose unmöglich macht.
Die Gegner des Darwinismus können sich noch immer nicht mit dieser Thatsache vertraut machen und erschöpfen sich in Versuchen, den echten, constanten Charakter der Art aufzufinden. Sie mühen sich meistens vergeblich ab, denn auch unter der Voraussetzung, dass es con- stante Artmerkmale giebt, ist doch ihre Methode so unvollkommen, dass die Entdeckung derselben unmöglich wird. In meinen Arbeiten über den Hering habe ich die Mängel unserer bisherigen systematischen Me- thode genauer zu entwickeln versucht und die Mittel ange- geben sie zu vermeiden. Vor allem ist nöthig — und das zeigt auch das hier gegebene Material:
1. Eine möglichst grosse Zahl von Individuen zu ver- gleichen, um den Umfang der Variation und die Ueber- gänge zwischen den Extremen derselben, welche meistens als eigene Arten beschrieben wurden, aufzufinden.
2. Die Alters- und Geschlechtsverschiedenheiten auf- zusuchen.
1) In den Jahresberichten der Commission zur wissenschaft- lichen Untersuchung der deutschen Meere in Kiel.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 343
Beides geschieht fast niemals in genügendem Grade. Wie wäre es sonst möglich, dass aus den drei in der Ostsee vorkommenden Gobius-Arten 12 bis 20 Species, aus Sipho- nostoma typhle 5 besondere Arten gemacht worden sind? Jede genauere Untersuchung einer Fischart hat mir bis jetzt gezeigt, dass die Alters- und Geschlechtsunterschiede (wobei ich von der Embryonalentwicklung natürlich ganz absehe) sehr gross sind. Hierzu sind die Nerophis Arten treffliche Beispiele. Die Jungen haben noch lange nach dem Ausschlüpfen Flossen, welche den erwachsenen Thieren fehlen und ihr Körper ist eckig und mit dornartigen Her- vorragungen versehen, während sie später völlig rund und glatt werden. Dadurch gleichen sie in der That weit mehr gewissen Arten aus einer ganz andern Gattung z. B. Syn- gnathus phlegon, als ihren eignen Eltern. Fast auffallender noch sind die oben beschriebenen Unterschiede der Männ- chen und Weibchen von Nerophis. Günther, der gewissen- hafteste und gelehrteste der Ichthyologen, beschreibt in seinem Catalogue of the fishes etc. Bd. Vin, p. 194 die Gattung Protocampus mit der einen Art hymenolomus und giebt als Gattungsmerkmal einen medianen Hautsaum auf Rücken und Bauch an. Zwei im Kieler Museum befind- liche Exemplare aus dem atlantischen Ocean stimmen völlig mit der Günther'schen Beschreibung und liefern den Beweis, dass Protocampus hymenolomus aus Weibchen einer Nerophis-Art besteht, welche keinen fassbaren Unter- schied von der oben beschriebenen Art N. aequoreus besitzt. Dieser Umstand ist in so fern von grossem Inte- resse, als die Günther'schen Exemplare seines Protocam- pus hymenolomus von den Falklands-Inseln stammen, also ein neues Beispiel zu der von Günther selbst*) hervorge- hobenen Erscheinung sind, dass gewisse gemeine Fischarten der europäischen Meere (z. B. Zoarces viviparus) unter physikalisch ähnlichen Lebensbedingungen auch auf der südlichen Hemisphäre vorkommen.
Möge man in den vorstehenden Fischbeschreibungen einen Versuch erblicken, solche Fehler, wie die geschilder-
1) Zoological Record 1871, p. 93.
344 Friedrich Heincke :
ten zu vermeiden. Vielleiclit sind sie manchem Ichthyologen eine Warnung, allzu schnell neue Arten zu creiren. Ebenso verkehrt freilich, wie die Sucht möglichst viele Arten zu machen, ist das Gegentheil, nämlich allzuviel verschiedene Formen unter einen Begriff zu bringen. Ich könnte eine namhafte Zahl moderner Autoren aufführen, welche ein besonderes Vergnügen darin finden, möglichst viele Arten zusammenzuwerfen. Auch Günther ist hiervon nicht frei. Ich werde im Folgenden zeigen, wie wenig dies andere Extrem einer wissenschaftlichen Systematik nützen kann.
2. Localvarietäten.
Bei Siphonostoma typhle betonte ich, dass ohne Zweifel die in der Kieler Bucht vorkommenden Thiere eine Localvarietät bilden. Ich konnte die Eigenschaften derselben jedoch nicht bestimmt angeben, einmal weil mir zur Vergleichung Exemplare von andern Gegenden in aus- reichender Menge fehlten, anderseits, weil überhaupt die Zahl der von mir untersuchten Individuen zu gering ist.
Meine Untersuchungen über die vielbesprochenen Localracen des Herings haben mich überzeugt, dasslndi- viduen einer Species an einem nicht zu eng um- grenzten Wohnort immer ein örtliches Gepräge in ihrer Körperform besitzen. Um dies zu erkennen bedarf es aber der Vergleichung sehr vieler Einzelthiere aller Alters- stufen von verschiedenen Orten. Auf keinen Fall genügt es aus der abweichenden Beschaffenheit eines oder mehrerer Individuen einer Oertlichkeit B von denen des Bezirks A den Schluss zu ziehen, dass die unterscheidenden Merkmale die wirklichen Charaktere der Localvarietät vorstellen. In der Regel verfahren aber unsere Systematiker auf diese ganz verkehrte Weise. Es wird ihnen z. B. ein auffallend gefärbtes oder mit einem besonders langen Rüssel versehenes Exemplar von Siph. typhle aus dem Mittelmeer zugesandt und sogleich als Typus einer mediterranen Localvarietät angesehen. Nun kann es aber vorkommen — und mir ist es sehr häufig so gegangen — dass die Untersuchung einer grössern Zahl von Individuen der Ostsee zur Entdeckung
Die Gobiidae imd Syiignathidae der Ostsee. 345
eines oder mehrerer Thiere führt, welche jenem Mittelmeer- Exemplar völlig gleichen. Der erste Schluss war also falsch. Er wird aber in Folge der mangelhaften Unter- suchungen so häufig gemacht, dass fast alle Sätze der Thiergeographie, welche aus dem Vorkommen sog. stellvertretender Varietäten hergeleitet wur- den, unzureichend begründet sind. Was Fische betrifft, so dehne ich diese Behauptung sogar auf viele der stell- vertretenden Arten aus. Anderseits können sehr wohl Localvarietäten existiren, wo die bisherige, oberflächliche ßeschreibungsmethode dieselben negiren muss. Dies ist, wie ich glaube, bei allen kosmopolitischen Species der Fall. Erscheint es doch aus allgemeinen Gründen von vorne herein als eine Naturnothwendigkeit, dass jede Localität, wenn sie eigenartige Combinationen von Lebens- bedingungen besitzt — und das muss immer der Fall sein — auch den in ihr lebenden Individuen einer Art ihre Signatur verleiht. Merkmale der Local formen sind immer da, aber sie können sehr wenig abweichend und sehr versteckt sein und sind unter allen Umständen schwierig zu bestimmen.
Um so mehr ist es Pflicht, wenn anders die Syste- matik wissenschaftlich und nicht blos dilettantisch sein will, an jedem einzelnen Verbreitungsort eine grosse Indi- viduenzahl ausführlich und genau zu beschreiben. Der vorliegende Aufsatz will auch hierzu einen Beitrag liefern.
Nun ist auch klar, dass ein zu weit gehendes Zu- sammenwerfen von Arten zwecklos, ja schädlich ist, wenn dadurch die wirklichen Unterschiede der Localformen in der für alle gültigen Artdiagnose spurlos verschwinden. Sollen sich unsere Kenntnisse von den Wechselbeziehungen zwischen Form und Lebensweise vertiefen, so ist die scharfe Unterscheidung der Racen und Varietäten der erste Schritt dazu. Hier eröffnet sich der Wissenschaft ein neues, noch wenig bearbeitetes Forschungsgebiet, welches bei sorgfäl- tigem Anbau ein ebenso erfreuliches Bild geben wird, wie die vergleichende Anatomie und Physiologie.
346 Friedrich Heincke:
3. Eintritt von Seefischen in's Brack- und Süss- wasser verbunden mit Racenbildung. Es ist längst bekannt, dass eine grosse Anzahl der verschiedensten Thierarten, deren eigentliche Heimath das Salzwasser des Meeres ist, in brackische Buchten und rein süsses Wasses mehr oder weniger tief eindringen. Sem- p er hat neuerdings diesen Gegenstand genauer behandelt^). Was die Fische der Ostsee anbelangt, so finde ich, dass diese Erscheinung ausserordentlich häufig ist.
Jn der Ostsee beträgt die Zahl der bis jetzt mit Sicherheit beobachteten Fischarten gerade 100. Hiervon sind ungefähr 61 ständige Bewohner derselben und 39 Arten Gäste, welche durch den Sund und die Belte aus Nord und Süd zu uns kommen. Unter den 61 ständigen Be- wohnern sind 24, meist auf den östlichen Theil der Ostsee beschränkte Arten, deren eigentliche Heimath das Süsswasser ist, welche aber regelmässig in den Schären und Buchten von Schweden und Finnland vorkommen. Hierzu gehören viele unserer gemeinen Weissfische. Somit bleiben 37 Species, deren eigentliche Heimath das Meer ist und von ihnen gehen nach meiner und anderer Autoren Beobachtung nicht weniger als 20 in das Brack- und Süsswasser hinein. Von mindestens 12 derselben ist auch bewiesen, dass sie sich in dem frem- den Element fortpflanzen. Einige freilich dringen nur zum Laichen in dasselbe vor (z. B. der Hering); doch lässt sich von folgenden 10 Arten mit einiger Sicherheit behaupten, dass sie ständige Bewohner des Brack- resp. Süsswassers sind.
Gasterosteus aculeatus.
Gast. pungitius,
Gobius minutus, „ niger,
Cottus scorpius, „ quadricornis,
Pleuronectes flesus,
Clupea alosa
Siphonostoma typhle, Nerophis ophidion.
1) Die natürlichen Existenzbedingungen der Thiere 1, p. 180. Internationale wissenschaftliche Bibliothek. 39. Band. Leipzig 1880.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 347
Die mitgetheilte Thatsache gewinnt durch eine weitere Beobachtung bedeutend an Interesse. So viel ich weiss, ist noch niemals bei Fischen nachgewiesen worden, dass der Eintritt einer Meerart in's Brackwasser mit einer Ver- änderung der morphologischen Speciesmerkmale, mit einer Racenbildung, verknüpft ist. Und doch ist dies aus allge- meinen Gründen nothwendig. Ich finde es auch in der That überall da, wo ich etwas eingehendere Untersuchun- gen angestellt habe. Am schönsten lässt sich die allmäh- liche Umwandlung der Species unter der Einwirkung der neuen Lebensbedingungen bei Gast, aculeatus beobachten; hier wird aus der Meerform trachurus die Süsswasserform leiurus. Nicht minder interessant ist die Entstehung der Brackwasserform Gobius minutus var. minor aus Gob. minutus var. major, welche ich oben genauer beschrieben habe. Die Brackwasserform lässt sich hier defi- niren als eine geschlechtsreif gewordene Jugend- stufe der im Salzwasser lebenden Art, deren morphologische Unterschiede entschieden erbliche sind.
Ich bin überzeugt, dass eine genauere Prüfung der andern namhaft gemachten Arten ebenfalls zur Entdeckung von Localformen führen wird. Bei der grossen Wichtigkeit dieses Gegenstandes erlaube ich mir noch kurz auf unsere beiden gemeinsten Plattfischarten, Pleuronectes platessa, die Scholle und Pleuronectes flesus, den Flunder hinzuweisen. Der Flunder unterscheidet sich von der Scholle wesentlich nur dadurch, dass die Seiten des Körpers, gewöhnlich nur die gefärbte, augentragende, von schuppenartigen Concretionen rauh wie Sandpapier sind, während PL platessa eine glatte Haut besitzt. Ausserdem hat die Scholle die Augen stets rechts, der Flunder aber fast ebenso häufig auf der linken Seite wie auf der rechten. Die geographische Verbreitung beider Arten ist dadurch verschieden, dass PI. flesus so- wohl weiter in die östliche Ostsee vordringt als auch in brackischen Buchten und Flüssen lebt und sich dort regel- mässig fortpflanzt. PI. platessa dagegen kommt nur im Meere vor.
Nun giebt es eine Varietät von PL platessa, welche schon seit längerer Zeit als var. pseudoflesus von den
348 Friedrich Heincke :
Autoren aufgeführt wird, sonst aber wenig bekannt ist. Diese interessante Form ist in der Kieler Bucht gar nicht selten und heisst bei den Fischern „Blendling". Sie ist eine wirkliche Mittelform zwischen PI. platessa und flesus, indem ihre Schuppen gezähnt sind. Anfangs hielt ich sie für einen gelegentlich auftretenden Bastard, seit ich aber eine grössere Anzahl gesammelt, allmähliche Uebergänge von pseudoflesus zu den beiden Arten beobachtet habe und einmal zwei Exemplare des „Blendlings" mit reifen Ge- schlechtsprodukten erhielt, glaube ich schliessen zu dürfen, dass die beiden Species PI. platessa und flesus nur scharf ausgeprägte Varietäten einer einzigen Art sind. Vielleicht war die Scholle die ursprüngliche Form, aus welcher sich in flacherem Küstenwasser und in brackischen Buchten der Flunder entwickelte. Die Trennung beider Arten ist jetzt schon weit gediehen, so dass die Mittelformen im ganzen selten sind. Beachtenswerth ist auch, dass ich einen Pleur. pseudoflesus gesehen habe, welcher die Augen links hatte, was bei platessa nie vorkommt, bei flesus aber, wie gesagt, fast ebenso häufig ist, wie das GegentheiP).
Ein ganz ähnliches Verhältniss wie zwischen Pleur. platessa und flesus besteht übrigens zwischen Rhombus laevis, dem Glattbutt und Rh. aculeatus, dem Steinbutt. Letztere Art unterscheidet sich von ersterer nur durch den Besitz von steinartigen Hautknochen. Ich habe einen Stein- butt gesehen, der nur drei Hautknochen besass; ohne Zweifel sind alle Uebergänge zwischen beiden Arten vor- handen. Was die geographische Verbreitung betrifi't, so ist der Steinbutt in der Ostsee häufiger als der Glattbutt und geht weiter nach Osten (nach Ma Imgren bis zum Quarken). Anderseits ist bis jetzt, soviel mir bekannt, nur Rh. laevis im Süsswasser gefunden, in Deutschland in der Elbe, Weser und Hunte (Siemssen 1. c, Wiepken und Greve, Wirbelthiere Oldenburgs. Oldenburg, 1876, p. 83).
1) Nach Abschluss des Maniiscripts finde ich noch bei N i 1 s- son, Observationes ichtbyologicae, Particula prima. Lundae 1835, die Notiz, dass Pleur. platessa im Kattegat zuweilen mit den Augen auf der Unken Seite vorkommt. Vielleicht waren die beobachteten Exemplare var. pseudoflesus.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 349
Es würde mich freuen, wenn auch andere Ichthyolo- logen diese interessante Frage näher untersuchen wollten.
4. Eine merkwürdige Beziehung zwischen Körper- form, geographischer Verbreitung und Ontogenie bei den Seenadeln.
Bei der Beschreibung der Seenadeln habe ich nach- gewiesen, dass sowohl Siph. typhle und Nerophis ophidion im jugendlichen Alter einen eckigen, an den Kanten säge artig gezähnten Körper haben. Bei Erwachsenen fehlt dagegen jede Spur von Zähnelung.
Nun giebt es im Mittelmeer und im indischen Ocean eine ganze Anzahl von Seenadeln aus den Gattungen Syn- gnathus (z. B. Syngnathus phlegon) und Dorichthys, welche zeitlebens einen gezähnten Körper besitzen. Bei der grossen Aehnlichkeit, welche zwischen den im erwachsenen Zustande glattrandigen Seenadeln der Nord- und Ostsee und den Blättern von Zostera marina besteht, muss man schliessen, dass auch die mit gesägten Kanten versehenen Arten ähn- liche Beziehungen zu Pflanzen ihrer Heimathsorte haben. Vergleicht man nun die von P. Asche rson (Petermann's Geogr. Mittheilungen 1871 Heft VII, p. 241) behandelte geographische Verbreitung der Seegräser mit derjenigen der Seenadeln nach Günther's Katalog, so ergiebt sich folgende Parallele. Gezähnte Seenadeln kommen nur in denjenigen Meeren vor, wo Seegräserarten mit gezähnten Blättern wachsen. Wo letztere fehlen, an den Küsten Europas und im schwarzen Meer, da giebt es auch nur Seenadeln mit glatten Körperkanten. Aus dem Mittelmeer erwähne ich als Seegrasart mit gesägten Blät- tern die bekannte Cymodocea nodosa Asch.
Wer Anhänger der Transmutationslehre ist, wird aus den geschilderten Thatsachen einen weiteren Schluss ziehen. Da unsere glattrandigen Arten Siph. typhle und Ner. ophi- dion in der Jugend einen gezähnten Körper haben, so ist anzunehmen, dass ihre Vorfahren zeitlebens diese Eigen- schaft besassen und in Meeren lebten, wo Seegrasarten mit gezähnten Blättern einheimisch waren. Dies war in süd-
350 Friedricli Heincke:
lieberen Gegenden der Fall; von da aus wanderten die gezähnten Arten nach Norden, um allmählich ihre Körper- umrisse zu verändern und sich der Form eines ganzrandi- gen Seegrasblattes anzupassen. Nur während des ersten Jugendalters, wo der Kleinheit des Körpers wegen die Aehnlichkeit mit einem Seegrasblatt überhaupt nicht erzielt werden kann, behielten die Eingewanderten die angeerbte Körperform bei.
Ob diese Vermuthung in allen Punkten das Richtige trifft, ist natürlich zweifelhaft. Jedenfalls schien mir der Gegenstand interessant genug, um hier besonders hervor- gehoben zu werden.
Schliesslich spreche ich noch die Erwartung aus, dass ein genaueres Studium der Seenadelarten in den verschie- denen Meeren auch noch zahlreiche Beziehungen zwischen der Form der Bruttasche und den Blüthenständen der ein- zelnen Seegrasarten aufdecken wird. Beide Dinge sind wenigstens ausserordentlich mannigfaltig entwickelt.
5. Die Laichzeiten der Ostseefische und ihre Beziehung zur geographischen Verbreitung.
Ebenso variabel wie die specifischen Charaktere sind die Laichzeiten der mir genauer bekannten Ostseefische. Es giebt keine einzige Species in der Kieler Bucht, welche nur in einem bestimmten Monat ihre Eier ablegte, von den meisten Arten findet man Thiere mit völlig reifen Ge- schlechtsprodukten in drei, vier, ja fünf aufeinanderfolgen- den Monaten. Dies gilt z. B. von den beiden beschriebenen Seenadelarten, von Gobius minutus var. major und Gob. niger, welche sämmtlich von Mai bis August laichen. Bei Pleuronectes flesus und platessa erstreckt sich die Fort- pflanzungsperiode über die fünf Monate Januar bis Mai. Der Hering endlich laicht in allen Monaten des Jahres mit Ausnahme des Juli und August.
Nimmt man noch die Angaben hinzu, welche über das Laichen derselben Species in andern Theilen der Ost- see und in der Nordsee gemacht sind, so ergiebt sich für jede Art nicht selten eine Dauer desselben während 5 bis
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 351
6 Monate und mehr. Eine allgemeine Regel scheint zu sein, dass die grösseren Individuen zuerst, die kleineren zuletzt laichen. So ist es begreiflich, dass von vielen Fischen die verschiedenen Altersstufen fast in allen Jahres- zeiten neben einander gefunden v^erden.
Weit mehr Interesse als diese Erscheinung, die auch bei vielen andern Meeresbev^ohnern beobachtet ist, bean- sprucht der Umstand, dass die grosse Mehrzahl aller in der Kieler Bucht lebenden Fische in zwei Gruppen zerfällt, die in Bezug auf ihre Laichzeit diametral verschieden sind. Die eine Hälfte, zu der die Gobii, Trigla-Arten, La- bridae und Syngnathidae gehören, pflanzt sich fort im Frühjahr und Sommer, von März bis August, wenn^die Wärme des Wassers allmählich steigt und ihren höchsten Grad erreicht. Die zvireite Hälfte, welche durch die Ga- didae und die Cottus-Arten vertreten ist, laicht dagegen von November bis Februar in Wasser, dessen Temperatur fortwährend sinkt und gegen das Ende dieser Zeit seine niedrigste Stufe erreicht. Beide Gruppen lassen sich als Sommer- und Winter fische unterscheiden.
Mit dieser Differenz in den Laichzeiten gehen Unter- schiede in der geographischen Verbreitung parallel. Die Sommerfische sind vorzugsweise von der Ostsee aus nach Süden, die Winterfische nach Norden hin verbreitet. Dies zeigen am besten die Gattungen Gobius und Syngnathus auf der einen und Cottus auf der andern Seite. Die Gat- tung Gobius hat ihre eigentliche Heimath in südlichen Meeren, von ca. 150 Arten kommen nur 4 in der Nordsee und 3 in der Ostsee vor; die äusserste Station nach Norden ist 69^ n. Br. Bis hierher geht Gobius minutus var. major und es dürfte kaum ein Zufall sein, dass diese Species von den drei Ostseearten am frühesten laicht, nämlich schon im März (cf. oben). Die Gattung Siphonostoma findet ihre nördlichste Grenze, soweit bekannt, schon bei Bergen (60V2^ n. Br.). Die Gattung Cottus ist dagegen durchaus nordisch; sie fehlt schon im Mittelmeer gänzlich, geht aber sehr weit nach Norden. Cottus scorpius kommt z. B. nach Malmgren allgemein an der Südwestküste von Spitzbergen vor; die Art Cottus groenlandicus ist nur eine Varietät
352 Friedrich Heineke:
von scorpius. Von den Gadiden endlicli ist allgemein be- kannt, dass sie am häufigsten im höchsten Norde^n sind und damit stimmt, dass ihre Laichzeit in der Ostsee schon im März beendigt ist. Nur einmal in sechs Jahren habe ich aus der Kieler Bucht einen kleinen Dorsch erhalten, der noch Anfang Mai reife Eier bei sich hatte.
Die eben geschilderten Beziehungen werfen meiner Ansicht nach ein Licht auf die Zusammensetzung und Herkunft der Fischfauna der Ostsee. Ihre Bewohner können als Süd- und Nordfische bezeichnet werden und der Schluss ist berechtigt, dass in vergangener Zeit Einwanderungen sowohl aus südlichen wie polaren Gegenden stattgefunden haben. Diese Einwanderungen dauern noch jetzt fort. Die zuweilen in der Ostsee vorkommenden Arten Xiphias gladius, Thynnus vulgaris, Brama Rayi, Mullus surmu- letus sind Gäste aus südlichen Meeren; andere wie Hippoglossus maximus, Stichaeus lumpenus kommen da- gegen aus hohem Norden gelegentlich zu uns. Ausser den beiden Gruppen der Süd- und Nordfische giebt es übrigens in der Ostsee noch eine Anzahl von Arten, welche von beiden abweichen. Dies sind die meisten Pleuronec- tiden und die Clupeiden. Erstere laichen von Januar bis Mai, letztere haben in der Ostsee zwei getrennte Laichzeiten, die eine vorzugsweise im Brackwasser von April bis Juni, die andere im Herbst und Winter im Salzwasser. Durch meine Untersuchungen über die Varietäten des Herings, über welche demnächst eine ausführlichere Abhandlung er- scheinen wird, ist nachgewiesen, dass die im Frühjahr laichenden Individuen von Clupea harengus und Clupea sprattus von den im Herbst laichenden durch erbliche Racen- merkmale unterschieden sind.
Die geographische Verbreitung der Pleuronectiden und Clupeiden stimmt ebenfalls mit ihren Laichzeiten; beide Fischfamilien sind sowohl im Norden, wie im Süden ver- breitet. Schliesslich bemerke ich noch, dass die vorstehen- den Erörterungen auch eine Stütze für die oben ausge- sprochene Hypothese über die Herkunft der Seenadeln- Arten der Ostsee sind. Der Umstand, dass beide Sommer-, also Südfische sind, stimmt mit der Vermuthung, dass sie
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 353
als die Nachkommen von Seenadelarten mit gezähntem Körper aus südlicheren Meeren eingewandert sind.
6. Secundäre Geschlechtscharaktere.
Dieselben sind bei den Ostseefischen mit nur wenigen Ausnahmen (in grossen Schaaren lebende Oberflächenfische wie Heringe, Makrelen) sehr stark entwickelt, besonders in der Färbung, was z. B. die Gobius-Arten sehr schön zeigen. Am bedeutendsten sind die Farbenauszeichnungen bei den Männchen der Cottus- Arten, welche zur Laichzeit, mitten im Winter, in wahrhaft tropischen Farben prangen. Sehr gering sind sie bei den Plattfischen. Meistens schwin- den die Farben des Hochzeitskleides nach der Laichzeit sehr bedeutend, oft völlig. Im übrigen sind sie ausser- ordentlich variabel und finden sich bisweilen auch bei dem andern Geschlecht angedeutet (Vergl. oben Gattg. Gobius).
Die secundären Geschlechtscharaktere von Nerophis ophidion haben ein ganz besonderes Interesse. Hier ist im Gegensatz zu allen andern Fischen das Weibchen prächtiger gefärbt als das Männchen. Solche Fälle sind im Thierreich ausserordentlich selten. Darwin nennt in seiner Abstammung des Menschen (Deutsche Uebersetzung 1871, IL p. 176) ungefähr ein Dutzend Vogel- arten, bei denen die Weibchen auffallender gefärbt sind, als die Männchen. Parallel damit geht fast stets eine Um- kehrung in den Gewohnheiten beider Geschlechter bei der Brutpflege; dieselbe ist ebenso wie bei Nerophis dem un- scheinbarer gefärbten Männchen übertragen.
Diese Thatsache stimmt völlig mit der Hypothese Darwins, nach welcher die schönern Farben des einen Geschlechts als Reiz- un4 Lockmittel für das andere dienen. In der Regel ist der begehrlichere und bei der Begattung thätigere Theil das Männchen, welches vom Weibchen zu- rückgewiesen oder angenommen wird. Bei den Seenadeln ist aber höchstwahrscheinlich das gerade Gegentheil der Fall ; das Männchen wird bei der Begattung ziemlich pas- siv sein, während dem Weibchen die Aufgabe zufällt, die Eier in der Bruttasche oder am Bauche des Männchens zu befestigen.
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1 . Bd. 23
354 Friedrich Heincke: Die Gobiidae u. Syngnathidae der Ostsee.
Hiernach muss man erwarten, dass bei allen Büschel- kiemern die Weibchen auffallender gefärbt sind, als die Männchen, denn mit einziger Ausnahme der Gattung Sole- nostoma ist überall die Ausbrütung der Eier dem männ- lichen Geschlechte übertragen. Leider liegen bis jetzt keine brauchbaren Beobachtungen über diesen Gegenstand vor. Darwin führt auf die Autorität von Günther hin an, dass die männlichen Hippocampi eher heller gefärbt sind als die weiblichen und dass das Weibchen von Solenostoma, welches seine Eier selbst ausbrütet, eine auffallendere Fär- bung und Zeichnung besitze, als das Männchen. Beide Beobachtungen würden, wenn sie richtig sind, der Hypo- these Darwins widersprechen. Meiner Ansicht nach sind sie jedoch nicht maassgebend, denn bei der grossen Veränderlichkeit der Fischfarben können die von Günther bei Hippocampus und Solenostoma beobachteten Differenzen zwischen den beiden Geschlechtern rein zufällige sein.
Zur definitiven Entscheidung dieser nicht unwichtigen Frage bedarf es jedenfalls einer genauem Untersuchung lebender Thiere. Sehr auffallend ist, dass die Weibchen von Siphonostoma typhle kaum einen secundären Geschlechts- charakter in der Farbe aufzuweisen haben.
Acarinologisches.
Von
Dr. 0. flauer.
Hierzu Tafel XVII.
I. Pontarachna Phil. Eine Hydrachnide des mittelländischen Meeres (Taf. XVII, Fig. 1—4).
Die Zahl der bisher aus dem Salzwasser bekannten Milben ist eine sehr geringe. Zwar führt Brady (Proc. Zool. Society 1875 Nr. XX.) eine ganze Reihe solcher an, die grösstentheils Gattungen angehören, welche sonst nur das Land bewohnen. Zu einer kurzen Uebersicht vereinigt sind es 1 Art Trombidium, 3 Arten Pachygnathus, 1 Art Raphignathus, 1 Art Gamasus, 1 Art Cheyletus, 2 Arten Halacarus, und 1 Art Halarachne. Es gilt jedoch, wie ich aus eigener Erfahrung weiss, bei der Aufzählung dieser „Salzwassermilben" sehr sorgfältig zusein. Viele der das Land bewohnenden Milben verirren sich nämlich nur zu- fällig in das Salzwasser, zappeln sich hier einige Zeit lang erbärmlich ab um bald eben so elend zu Grunde zu gehen. Während meines Aufenthaltes in Messina verirrten sich oft solche Gäste in die pelagische Fauna. Ich sah da durch meinen Simplex bald in halb ertrunkenen Exemplaren, die sich nur noch zuckend bewegten, bald als Leichname mehrere Male einen Dermanyssus, wenig verschieden von Derman. avium, ebenso oft ächte Gamasus-Arten, dann mehr vereinzelt Cheyletus u. s. w. Auch an den aller- kräftigsten Exemplaren war leicht zu ersehen, wie unbe- haglich ihnen das ungewohnte Element war. Von einer Anpassung an das neue Medium war daher jeden Falles
356 G. Haller:
keine Rede, sondern es drängte sich die Frage nacli ihrer Herkunft auf. Da antworteten am Besten die lokalen Ver- hältnisse und eine zweite Art jener verirrten Gäste, die Larven und Puppen von Mücken, die sich ebenso häufig wie jene vorfanden und die doch Niemand desshalb mit den regelmässigen pelagischen Erscheinungen zusammen- stellen wird. Dagegen liess sich in ihrem Auftreten eine gewisse Periodicität constatiren. Sie fanden sich jeweilen nur nach Gewitterregen oder andauernden Regengüssen. In unmittelbarer Nähe Messina's, ja selbst in den mächtigen Hafen münden zwei oder drei Fiumaren, jene sicilianischen Gebirgsbäche, die während der trockenen Jahreszeit bis auf wenige stehende Lachen, die nach und nach ebenfalls verschwinden, vollkommen wasserlos sind, die sich aber bei den heftigen Regengüssen Siciliens sofort mit Wasser füllen und dann in wildem Laufe, alles was sich ihnen entgegenstellt mitreissend dem Meere zueilen. Während den trockenen Tagen sammelt sich in ihnen aller möglicher Detritus an, der sich baldigst mit Milben und Larven be- deckt. Schwellen diese Ströme nun plötzlich an,^.so reissen «ie den gesammten Abfall mit sich und auf ihm, wie auf Nothfahrzeugen seine Bewohner dem Meere zu. Nur auf diese Weise lässt es sich erklären, wenn eine ansehnliche Menge Landmilben in unser Oberflächennetz geräth ; wahre Meeresbewohner sind es ebensowenig wie die oben er- wähnten Larven und Puppen.
Anspruch auf Bürgerrecht in der Salzfluth haben nur diejenigen, welche auf sie durch ihre Lebensart angewiesen sind und hier giebt es so wohl frei schwimmende, wie parasitisch lebende Formen. Ihre Zahl ist eine sehr ge- ringe; doch nähme sie vielleicht zu, würde dem Acarino- logen mehr Gelegenheit geboten, seine Kenntnisse am Meeresstrande zu erweitern. Dieses gilt ganz besonders auch vom Mittelmeere, von dem bis jetzt nur sehr wenige Beobachtungen vorliegen. Gruber berichtete über eine an Schwämmen parasitirende Käfermilbe (Gamasus thalassinus) von Triest, Giard über eine Synaseidien bewohnende nicht näher bezeichnete Milbe, wahrscheinlich ein Halacarus, der sich auch im Golfe von Marseille finden soll. Bei
Acarinologisches. 357
Villafranka suchte ich diesen Acarinen stets umsonst; da- gegen scheint nach einer Note du Plessis so glücklich ge- wesen zu sein, ihn daselbst aufzufinden. Von Milben aus dem Mittelmeere ist mir einzig eine freischwimmende Form bekannt geworden, die lange vor mir auch von Philippi beschrieben und beobachtet worden ist. Sie ist zugleich unter den wenigen wahren Salzmilben die einzige ächte Hydrachnide, und stammt mithin aus einer auch im Süss- wasser vertretenen Milbenfamilie. Bei dem grossen Interesse, welches sie daher eines Theils für die Kenntniss der Mittelmeerfauna, anderen Theiles für die der Milben über- haupt hat, folgt nachstehend eine ausführliche Beschreibung derselben.
Pontarachna Philippi.
Zoologische Bemerkungen von Dr. A. Philippi. Dieses Archiv 1840. S. 191-193, Taf. IV, Fig. 4 und 5.
Seine lateinische Diagnose lautete: „Corpus subglo- bosum. Oculi duo remoti. Mandibulae . . . nuUae? . . . minimae? Palpi duo, elongati 5-articulati; articulo quarto longiore, quinto brevi, acuminato. Coxae utriusque lateris unitae, anticae duae in linea mediana quoque sese tangen- tes. Pedes unguibus duobus uncinatis terminati. Vulvae lamina crustacea granulata cincta!"
Diagnose, Beschreibung und Abbildung sind gleich mangelhaft und lassen nur mit Mühe vorliegende Milbe erkennen. Seit Philippi beschäftigte sich niemand mehr mit derselben und so möchte eine erneute Beschreibung der Gattung nothwendig sein. Es gehört derselben nur eine einzige Art an, es kann daher für die Kennzeichen derselben auf die erneute Beschreibung der Gattung hinge- wiesen werden. Ich mache mit der abgekürzten Charak- teristik den iVnfang.
Aechte Hydrachnide im Sinne Kramer's. Körper kugelig bis schwach birnförmig. Zwei complicirte beweg- liche Sehorgane. Mandibeln lang borstenförmig; Unter- lippe zu einem vollkommen schnabelähnlichen Gebilde ge- schlossen; Palpen verlängert beinförmig und fünfgliederig; letztes Glied zugespitzt. Vier Coxalplatten, die ersten
358 G. Haller:
sehr genähert. Neben der Geschlechtsöffnung keine Haftnäpfe, dagegen zu beiden Seiten des Abdomen's zwei stigmenartige Drüsenmündungen. Eüsse von vorne nach hinten an Länge zuneh- mend, von gewöhnlicher Länge; längs der Beuge- seite mit kurzen aber starken Schwimmborsten, längs der Streckseite mit kurzen Dornen besetzt; mit hackenartig gekrümmten einfachen Krallen. Freischwimmende Salzwasser bewohn er.
Der Körper ist mehr oder weniger kugelig bis birn- förmig, massig variirend; entweder in seiner vordem Hälfte oder den vordem zwei Drittheilen kaum merklich ver- schmälert, stets aber vorne stark zugerundet. Dabei erweist er sich als vollkommen kahl und glänzend, nur mit ganz vereinzelten kurzen auf grossen Chitinringen inserirten Härchen besetzt, die jedoch durchaus symmetrisch auf den beiden Längshälften des Körpers vertheilt sind. Auf der Rückenfläche erkennen wir nach einwärts von den Seh- werkzeugen drei derselben, die in ziemlich weiten Abstän- den in einer Reihe hinter einander stehen. Zwei ähnliche finden sich nahe dem hinteren Körperrande, ähnlich gestellt.
Nahe dem Seitenrande und durch einen weiten Ab- stand getrennt stehen die sehr entwickelten Sehorgane (Fig. 2). Ihre Organisation erweist sich als für die Gat- tung charakteristisch. Die Hauptmasse derselben wird durch einen mächtigen walzlichen Pigmentkörper (a) aus- gemacht; derselbe steht quer von innen nach aussen, seine innere Seite ist zugerundet, die äussere ausgehöhlt und von einem stumpfen Fortsatze überragt. In die Concavität der äusseren Seite passt der einzige vorhandene durchaus kugelige, das Licht sehr stark brechende Körper. Etwas innerhalb der Mitte entspringt an der unteren Fläche der Pigmentanhäufung ein blasser Streifen, der fast senkrecht, mit leichter Neigung nach einwärts nach hinten zieht. Wir können ihn nicht ganz um die Länge des Pigment- körpers nach hinten verfolgen, wo er in einen zweilappigen ebenso blassen Körper übertritt (ob ein besonderes Gan- glion opticum?). Das Pigment ist tiefschwarz. Ueber den
Acarinolügisches. 359
ganzen derartig zusammengesetzten Sehapparat wölbt sieh als einfache Hornhaut in mit der den übrigen Körper über- ziehenden Schichte ununterbrochener Lage die allgemeine Körperdecke.
An der Bauchfläche nehmen wir vor Allem die vier ausgedehnten Epimeralplatten (Fig. 1. a^— a'^) wahr, die in der Mittellinie durch einen nach hinten breiter werdenden Abstand getrennt sind. Die vier Platten berühren sich jederseits in ihrer ganzen Breite durchaus, ja das letzte Paar schiebt seinen Vorderrand sogar zum Theil unter den hinteren des Vorhergehenden. Nach der Mitte hin sind sie zugerundet und ihrer ganzen Länge nach von einander durch doppelte Ränder getrennt. Das zweite Paar erscheint von etwas geringerem, alle übrigen von ungefähr dem nämlichen Umfange. Das erste Paar wird in seiner ganzen Länge von einer bogigen Liste durchkreuzt, welche unge- fähr in der Mitte der Bauchfläche mit derjenigen der gegenüberliegenden Seite fast zusammenstösst und mit ihr eine ^förmige Zeichnung bildet. Sie beginnt mit einem weiten Bogen am Seitenrande des Körpers ungefähr in der Höhe der Augen und endet mit kleinem Häkchen dicht vor der Sexualgegend. Die von diesen Haken halb um- schlossenen Flecken der Bauchdecken sind wohl jene Stelle, von welchen Philipp! sagt: „Zwischen den Hüften finden sich zwei kleine Punkte, von denen ich mir keine Rechen- schaft zu geben weiss." Weiteres hierauf Bezügliches Hess sich nicht auffinden. Vielleicht entspricht diese Liste einem nur halb erloschenen Zweige des Tracheensystemes und diese Punkte sind die Einmündungsstellen derselben in den Haupttracheenstamm. Da ich erst an Präparaten diese Untersuchung vornehmen kann, muss ich die Begrün- dung dieser Ansicht späteren Beobachtern überlassen.
Am Anfange der hinteren Hälfte der Bauchfläche, zwischen den zwei hintersten Platten und an Länge unge- fähr der Breite dieser gleich kommend, liegt die stark entwickelte Genitalgegend (Fig. 1, b.). Ich habe bis jetzt nur Weibchen zu Gesichte bekommen, und kann daher nur die weiblichen Organe beschreiben. Im Centrum liegt die nur wenig länger als breite ovale Geschlechtsspalte.
360 Gr. Haller:
Sie wird von einer kreuzweise gespaltenen gewölbten Klappe bedeckt und von zwei gleichschenkligen Chitinrahmen um- geben, die als vorderer und hinterer unterschieden werden können. Sie sind in der Mitte merklich verdickt und ihre Enden berühren sich ohne zu verschmelzen. Haftnäpfe, wie wir solche stets bei Hydrachna und Ampognatha fin- den, fehlen stets gänzlich. Dagegen findet sich auch hier eine Genitalplatte. Sie ist deutlich in zwei symmetrische Hälften getheilt, die nur dicht hinter der Spalte durch eine schmale Brücke verbunden sind. In der Gestalt erinnern beide Hälften an gleichschenklige Dreiecke mit grösstem sehr stumpfen Winkel, und nach aussen gekehrter Spitze; die beiden Ecken überragen die Geschlechtsspalte merk- lich. In der hinteren Hälfte sind sie von einer sehr ge- streckten aber schmalen nicht chitinisirten Stelle der Bauchfläche unterbrochen. Wie in unserer Figur schema- tisch angedeutet, charakterisirt sich die Genitalgegend gleich den Coxalplatten durch die feine Punktulirung, wie dieses bereits für jene von Philippi hervorgehoben wor- den ist.
In gerader Linie von der Geschlechtsspalte liegt nahe dem Hinterrande des Körpers der ausserordentlich kleine, durch Muskelzüge bewegliche After (Fig. c), zu welchem man am lebenden Thiere oft kleine Körnchen ausstossen sieht, die in tanzende Bewegung gerathen und sich auch im Wasser noch eine Zeitlang in derselben erhalten; höchst wahrscheinlich blos eine Folge der Molekularbewegung. Zu beiden Seiten der Analspalte zieht sich eine kurze mit dem Körperrande «parallel verlaufende Reihe von drei winzigen Härchen nach oben.
Dicht hinter dem letzten Plattenpaare jedoch ganz nach Aussen zu beiden Seiten des Körpers sind zwei ring- förmige, zierlich skulptirte Vorsprünge wahrnehmbar (Fig. 1. d in D noch stärker vergrössert). Ihrer Gestalt nach könnten sie mit Stigmen oder auch mit Haftnäpfen ver- glichen werden. Tracheenmündungen sind es nicht, wissen wir doch, dass sich das einzige vorhandene Paar, ganz nach vorne verlegt, an der Basis des Köpfchens findet. Auch Haftnäpfe können es nicht sein; ihre Stellung so weit
Acarmologisches. 361
seitwärts lässt diese Ausleguug nicht zu; es fehlen solche, ich wiederhole es, überhaupt gänzlich. Dagegen lässt sich in Betracht ziehen, dass die Excretionstaschen der Tyro- glyphen und Verwandten sich gerade an dieser Stelle fin- den und es scheint dann deren Auslegung als Mündungen eines parigen Drüsenorganes nicht ungerechtfertigt.
Die Mundtheile (Fig. 1 u. 3) erweisen sich als mit denen von Hydrachna durchaus übereinstimmend. In der Mitte finden wir vor Allem eine unbeträchtliche, einem Vogelschnabel durchaus ähnliche Vorragung (Fig. 1 e u. Fig. 5), die aus zwei leicht demonstrirbaren seitlichen Hälften besteht. Sie entspricht der modificirten Unterlippe. Theil- weise in ihr, theilweise in den Körper zurückgezogen liegen in der Ruhe zwei lange, einfache und dünne Stechborsten, die aus den Mandibeln hervorgegangen sind. Bei einigem Drucke auf das Deckgläschen gelingt es die beiden Hälften der schnabelartigen Unterlippe seitwärts auseinander und die Stechborsten hervor zu treiben. Zu beiden Seiten von diesem Saug- und Stechapparete stehen die fünfgliederigen Palpen. Sie sind sehr lang, faden- oder beinförmig und gegen das Ende hin spitz zulaufend. Philippi beschreibt dieselben gleich den Extremitäten recht kenntlich; von den gesammten Fress Werkzeugen sind es jedoch die ein- zigen Theile, welche er erkannt hat. Das erste Glied ist kurz, fast ringförmig, das zweite und dritte unter sich von gleicher Länge, dick und cylindrisch, das vierte ungefähr so lang, wie zwei und drei zusammen, etwas dünner als diese und nach dem Ende hin kaum merklich verschmälert, das fünfte endlich ist ungefähr von gleicher Länge wie zwei und drei und vom Ursprünge an stark zugespitzt.
Die vorderen Beinpaare übertreffen kaum die Länge des Leibes, die hinteren sind anderthalb mal so lang. Die ersten Glieder sind am kürzesten, die letzten die längsten, in allmähliger Progression gleich den Extremitäten selbst. Das erste und zweite Glied sind gegen die Basis hin, an der "Aussenseite etwas ausgeschnitten, das dritte etwas ge- krümmt, das letzte schräge abgestutzt. Alle Glieder (Fig. 4) mit ^Ausnahme des letzten sind auf der unteren Seite am Ende und wohl auch in der Mitte mit kurzen aber starken
362 G. Hall er:
Schwimm borsten besetzt, die paarweise stehen, von innen nach aussen an Grösse etwas zunehmen und beweglich eingelenkt sind. An der Streckseite stehen ihnen ent- sprechend kurze, aber sehr kräftige Dornen. Endlich endet ein jeder Fuss mit zwei sehr dünnen und einfachen Haken- krallen, die in einem ziemlich spitzen Winkel gebogen sind. Das Ende der Extremitäten ist durchaus borstenlos.
Einzige Art mit dem Kennzeichen der Gattung:
Pontarachna punctulum Pl^^il. Litteratur wie oben. Grösse sehr gering, kaum Vs Linie lang, was hauptsächlich der Grund war, dass ihr erster Beschreiber sie nicht in allen ihren Theilen erkannte. Die Farbe wird bereits von Philippi sehr gut beschrieben, doch variirt das Thier wesentlich; zwar bezieht sich dieses allerdings nicht auf die Grundfarbe, wohl aber auf die weissliche durch die Excretionsorgane erzeugte Zeichnung. Die Farbe ist bräun- lichgelb, Orangeroth, meistens aber braunroth, mit hellem durchsichtigem, verschieden gezacktem Rande, so dass selten zwei Individuen einander vollkommen gleich sehen; nicht selten findet man Exemplare, bei denen sich das Excretionsorgan wie ein weisses T von dem dunkleren Untergrunde sehr hübsch abhebt, bei noch anderen kommen vor den Querstrich noch zwei vförmige schräge Striche zu stehen. Der Körperrand bleibt stets blass bräunlich wie die Extremitäten und Palpen. Auf der Höhe der Augen erweitert er sich meist zu einem ansehnlichen Flecke, von welchem das schwärzliche Augenpigment stark absticht.
Philippi fand diese Hydrachnide nicht selten im Meerbusen von Neapel. Ich dredgte sie auf schlammigem Grunde mit grösseren Steinen, an welche sie sich gerne anklammert, immer und immer wieder, meist jedoch nur in vereinzelten Exemplaren, so brachte ich sie von Scilla, Lipari und aus dem Hafen von Messina mit. Zu meiner Freude entdeckte ich sie auch wieder im Grundschlamm von Villafranka, wo namentlich der kleine Militärhafen und ein Strich ausserhalb der Baie passable als Fundorte zu bezeichnen sind. Zu meinem grössten Bedauern schob ich das anatomische Studium derselben immer wieder auf,
Acarinologisches. 863
weil meine geringe Mussezcit bereits hinlänglich von meinen Beobachtungen an Crustaceen in Beschlag genommen war. So beschränkte ich mich denn auf die Anfertigung einiger wenigen Präparate, nach denen die vorliegende Beschrei- bung angefertigt ist. Sie hielten sich in Farrant'sches Medium eingeschlossen recht gut und lassen noch heute manches Detail erkennen.
Krämer^) trennte die Gattung Hydrachna als eigene Unterfamilie von den übrigen Wassermilben ab, nicht mit Unrecht, wie mir scheint. Seine Charakteristik dieser Subfamilie lautet:
„Kieferftihler eingliedrig, stechborstenartig, in dem Canal, welcher durch die schnabelartig verlängerte Unter- lippe gebildet wird, laufend. Kiefertaster fünfgliederig. Die Augen beiderseits am Vorderrücken als stark gewölbte Punkte hervortretend. An den drei hinteren Fusspaaren zahlreiche Schwimmhaare. Neben der Geschleehtsöffnung dichtgedrängte Haftnäpfe. Süsswasserbewohner."
Wenn wir nun unser Thier noch einmal einer Prüfung unterziehen, so erkennen wir an demselben die hauptsäch- lichsten Merkmale der Unterfamilie wieder. In's Besondere stimmt meine -■ Beschreibung der Mundtheile mit obiger Charakteristik fast wörtlich überein. Wir erkennen die schnabelförmige Unterlippe, die langen Stechborsten und die ftinfgliedrigen Palpen. Kurz und gut, Pontarachna ist die einzige ächte Hydrachnide unter den Meeresbewohnern. Sie unterscheidet sich von Hydrachna hauptsächlich durch den Mangel der Haftnäpfe in der Genitalregion, und durch ihre Eigenschaft als Meeresbewohnerin. Die Charakteristik der Familie bedürfte daher in diesem Punkte einiger Ver- änderung. Ich würde vorschlagen dieselbe folgender Maassen abzufassen, wobei ich statt der schwer verständ- lichen und verwirrlichen Ausdrücke „Kieferfühler" und „Kiefertaster" die Nicolet'sche Nomenclatur einführe:
Mandibeln eingliederig, stechborstenartig, in dem Ca- nal, welcher durch die schnabelartig verlängerte Unterlippe
1) Grundzüge zur Systematik der Milben, dieses Archiv, 1877, p. 236.
364 G. Haller:
gebildet wird, laufend. Palpen fünfgliederig. Die Augen beiderseits am Vorderrücken als stark gewölbte Punkte hervortretend. An den drei hinteren Fusspaaren zahlreiche Schwimmhaare. Vorzugsw^eise Süsswasserbewohner, doch auch im Meere vorkommend. ''
Es möchte übrigens zu dieser Unterfamilie auch die Gat- tung Campognatha zu ziehen sein, welche ebenfalls neben der BegattungsöfPnung Haftnäpfe besitzt. Pontarachna unter- scheidet sich daher von diesem Genus ebenso bezeichnend wie von Hydrachna.
IL
lieber eine neue Megamerus-Art und diese Gat- tung im Allgemeinen (Fig. 5 u. 6).
Megamerus Haltica nov. spec. Der Rücken tritt in einer sich von vorne nach hinten und von einem Seiten- rande zum andern erhebenden sehr starken Wölbung vor, die Bauchfläche ist dagegen wenig gewölbt, fast eben. Im Umrisse erscheint der Körper stumpf eiförmig; sein zugerundetes Ende kehrt dieses Ei nach vorne, die sehr stumpfe Spitze nach hinten, die Seiten desselben sind aus- gebuchtet. Dabei verhält sich die Länge zur Breite unge- fähr wie drei zu ein und einhalb. Zwischen dem zweiten und dritten Beinpaare trennt eine tief einschneidende Furche den Leib in zwei ungleich grosse Abschnitte. Die grösste Breite des Körpers liegt noch um etwas weniges hinter dieser Linie und die vorspringenden Schultern run- den sich von hier aus nach beiden Seiten hin schön zu. Von den beiden Abschnitten erweist sich der vordere, als der beträchtlich kleinere, als nur etwa von einem Viertel der Gesammtlänge des ganzen Körpers; seine Gestalt ergibt sich etwa als halbkugelig. In seiner ganzen Breite setzt sich der nach hinten gebogenen Gränzlinie entsprechend an ihn der hintere Körperabschnitt an, welcher nach hinten allmählig schmäler werdend ausläuft und hier nur noch etwa die Hälfte der ursprünglichen Breite besitzt. .
Dabei erweist sich die Rückenfläche als fast durch- aus nackt und als glänzend ; ebenso die Bauchfläche. Wir
Acarinologisches. 365
bemerken jedoch nahe dem hinteren Leibesende sowohl auf jener, wie dieser mehrere Paare gleich langer Börst- chen, die theilweise das hintere Leibesende überragen. Noch ist ein massig langes Paar Schulterborsten zu er- wähnen, die dicht hinter und innerhalb der vorspringenden Schultern ihren Ursprung nehmen. Sie sind nur wenig länger wie die Endborsten. Nahe dem Seitenrande und über die Gränzlinie ausgegossen, liegt ein Haufen dunklen Pigmentes, welcher nicht einen einzigen oder zwei grössere Licht brechende Körper umschliesst, sondern mehrere scharf umgränzte und unregelmässige Körnchen, die das nämliche optische Verhalten zeigen. Diese dunkle Flecken entsprechen den Sehwerkzeugen.
Das Epistom ist kurz, etwa so lang wie breit und ' zugerundet, es trägt zwei Börstchen von der Länge der Endborsten. Die übrigen Fressparthien zeigen das schon von Duges gekennzeichnete Verhalten. Die Palpen tragen charakteristische Börstchen und zwar je eins an der oberen Aussenecke des ersten, in der Mitte des zweiten und zwei kürzere wie diese an der Aussenseite des dritten Gliedes, welches gleich den zwei folgenden ausserdem kurz behaart erscheint. Die zwei letzten Glieder zeigen das von dem ersten Monographen der Gattung erwähnte Verhalten und der von ihnen gebildete Abschnitt wird nach unten einge- schlagen getragen.
Die Extremitäten zeigen eine erstaunliche und charak- teristische Verschiedenheit. Das erste Paar, in unserer Figur 5 sind wegen Raumersparniss nur die rechtseitigen Beine gezeichnet, ist überaus lang, ein und ein Drittel mal so lang wie der gesammte Körper, nächst ihm ergibt sich das zweite als länger wie die beiden nachfolgenden, jedoch nur wenig länger wie das vierte; es steht der Gesammt- länge des Körpers etwa um ein Sechstel nach. Am kürzesten ist das dritte Paar, welches von etwas mehr als der Hälfte der Körperlänge ist; das vierte Paar dagegen erweist sich als nur wenig kürzer wie das zweite. Paar eins und zwei sind überaus dünn und haarförmig, drei erweist sich als nur wenig dicker wie sie, vier ist dagegen am Stärksten, namentlich dessen Schenkel, doch auch seine Endglieder
366 Gr. Haller :
erwiesen sich als etwa zwei bis drei Mal so dick wie die beiden ersten Paare. Eins bis drei sind durchaus nackt, ohne jede Spur von Behaarung; vier zeigt ein kleines Börstchen am Anfange der Springschenkel und seine End- glieder sind mit einigen wenigen Härchen besetzt. Ebenso verschieden wie die ganzen Beine, sind auch deren einzelne Glieder und erfordern daher ebenfalls eine ausführliche Beschreibung. Erstes Beinpaar. Glied eins kurz, kaum drei Mal so lang wie breit, von der Basis nach dem Ende hin massig anschwellend. Glied zwei sehr lang, am läng- sten: seine Länge entspricht der Breite des Körpers auf der Höhe der Grenzfurche; dabei ist es gerade und ein- fach; Glied drei ebenso, doch nur etwa von halber Länge des Vorhergehenden ; Glied vier verhält sich in Beziehung auf die Gestalt wie zwei und drei, ist jedoch merklich kürzer wie zwei; Glied fünf gegen das Ende hin leicht bogig gekrümmt, kürzer wie vier, länger als drei, das Ende aussen zugeschärft. Zweite Extremität: Glied eins wie vorhin, zwei und drei wie drei des ersten Paares, vier merklich kürzer wie diese, sonst gleich; fünf gegen das Ende hin aussen zugeschärft, etwa so lang wie zwei und drei. Dritte Extremität: Glied eins wie vorhin, drei bis vier nur wenig länger, sonst gleich, fünf aussen zugeschärft, von gleicher Länge wie seine Vorgänger. Fünftes Bein- paar: Glied eins wie vorhin, zwei einen bedeutenden Springschenkel nachahmend, sehr merklich verbreitet und bedeutend verdickt. Etwa vier Mal so breit als lang, in der Mitte am breitesten; dagegen nur etwa zwei Mal so lang wie dick (Fig. 6), von der Basis an plötzlich zur vollen Dicke anschwellend, dagegen sich gegen das Ende hin allmählig verjüngend, vor der Artikulation des Folgen- den mit einem falschen Gliede, drei ungefähr gleich breit, und etwa so dick wie breit, etwas mehr wie halb so lang als zwei, Glied drei ihm an Breite und Dicke gleich, je- doch merklich kürzer; letztes Glied ein wenig dünner und schmäler wie seine Vorgänger, etwas länger als drei, gegen das Ende hin aussen zugeschärft.
Die Farbe des Körpers ist ein lebhaftes Hellgrün, die Extremitäten sind heller, das Augenpigment ist dunkel-
Acarinologisches. 367
braun. Gehört zu den grösseren Megamerus-Arten, etwa 0,5 mm.
Während eines längeren Aufenthaltes am Thunersee schüttelte ich diese Art öfters aus Moos, das dem Fusse älterer Obstsäume entnommen war. Gleich den übrigen Arten dieser Gattung ist das Thierchen von so überaus zartem Baue, dass es sich auch bei aller Sorgfalt nicht unverletzt auf den Objektträger bringen lässt. Bei der grossen Zahl der von dieser Species vorgefundenen Indi- viduen hielt es jedoch nicht schwer an todten Thieren die Körpergestalt und das Verhältniss der Beinpaare aus den vorhandenen erhaltenen Theilen zu ergänzen. An eine Haltica erinnern sie durch den hoch gewölbten Körper, die Springschenkel und die Art ihrer Locomotion. Ich habe auch sehr oft lebende Thiere beobachtet und bewun- dert, mit welcher ungemeinen Behendigkeit sie sich sowohl vorwärts wie rückwärts fortbewegen können. Ihr Gang ist ein ausserordentlich rasches Vorwärtsgleiten; nähert man sich ihnen mit einer feinen Pinselspitze so machen sie halb hüpfend, halb gleitend ebenso geschickt vorwärts wie rückwärts die verzweifeltsten blitzartigen Sprünge. Die langen haardünnen Vorderbeine werden gleich den Armen eines Telegraphen in allen Windrichtungen ausserordent- lich rasch bewegt und dienen offenbar als Tastwerkzeuge. Die blitzschnellen Thierchen bieten mit anderen Acariden, namentlich z. B. mit Oribatiden verglichen, deren Bewe- gung eine ausserordentlich langsame ist, einen seltsamen Contrast.
Die Gattung Megamerus wurde zuerst von Duges für einige Arten aufgestellt und recht kenntlich beschrieben. (Ann. d. sc. nat. ser. II tom. IL pag. 50. PI. II, Fig. 43—51.) Seine Diagnose lautete: „Palpi unguiculati, longi, liberi, corpus constrictum; coxae distantes, pedes gressores, funore maximo (praesertim quarti cruris) septimo articulo brevi. Larvae hexapodae, adultis similes." Koch bildete nachher aus ihnen die drei Gattungen Scyphius, Penthaleus und Eupodes mit einer sehr grossen Anzahl von Arten. Diese drei Genera möchten wohl kaum verschieden sein und alle mit Megamerus zusammenfallen. Ebenso wird
368 G. Hall er:
es mit den Arten ergehen, da diese sehr oft nur auf zu- fällige Farben- oder Altersverschiedenheiten gegründet sind. Seither hat sich Niemand mehr eingehender mit diesen Milben befasst, wohl nur aus Bequemlichkeit, weil ihre ungemeine Zartheit der Beobachtung Gränzen setzt, wie keine andere Gattung mehr. Einzig Kramer berücksich- tigte sie in seinen „Grundzügen zur Systematik der Milben^'. Es dürfte daher erspriesslich sein ihr Studium wieder auf- zunehmen, womit hiermit der Anfang gemacht werden soll. Im Baue der Mundtheile erinnert die Gattung sehr an die Trombidien, durch das erste mitunter sehr lange Fusspaar bietet sie Anknüpfung mit den Linopoden Koch's, unterscheidet sich dagegen von allen Gattungen und allen Kramer'schen Sub-Familien der Prostigmatien, zu welcher Gruppe wir sie zu stellen haben durch die durchaus origi- nelle Locomotion, die haarfeinen Vorder- und verdickten Hinterbeine und die Spruugschenkel, welche als solche eigentlich nur am hintersten Beinpaare auftreten. Eine Trennung dieser Milben als eigene Unterfamilie scheint mir daher durchaus gerechtfertigt und schliesse ich mich auch* hierin Kram er an. — Die Species-Beschreibung hat ihre Schwierigkeit wegen des einfachen Körpers, der hier nicht durch verschieden geformte Anhänge, zahlreiche und auffallende Haargebilde Anhaltspunkte liefert, im Gegentheil ist er durchschnittlich nackt und nur am Hinterende mit einigen Börstchen besetzt, auch kehrt die nämliche Leibesform mit geringer Modifikation immer wieder. Dagegen erscheinen die verschiedenen Ver- hältnisse der Beinpaare sehr geeignet zur Speciesbestim- mung, wenn wir eine grössere Anzahl derselben kennen, vielleicht sogar zur Errichtung von Gattungen sehr gut geeignet. Vor Allem gilt dieses für das erste Beinpaar. Dieses ist in einigen Fällen von normaler Grösse, wie bei den von Duges beschriebenen Arten, bei Megam. Haiti ca sind sie mittellang, überaus lang erscheinen sie dagegen bei einer neuen Art, von welcher ich bis jetzt erst ein einziges verstümmeltes und verzerrtes Exemplar besitze. Hier scheinen sie über zehn Mal so lang wie der Körper und ihre Länge beträgt an einem ca. 0,4 mm langen Thier-
Acarinologisches. 369
chen etwa 4 mm. Dasselbe stammt von dem nämlichen Fimdorte wie obige neue Art und ich hoffe daher, die Milbe diesen Sommer beschreiben zu können. Sehr charak- teristisch für die Art ist auch das Verhalten der Schenkel oder zweiten Beinglieder, wie ich dieses weiter oben be- reits angedeutet habe.
Es sollte nun scheinen, als ob das Studium der inneren Anatomie bei so kleinen Thierchen von so zarter Chitiudecke leicht wäre, allein man lasse sich nicht täuschen. Im Gegentheil setzt diese Eigenschaft gerade die grössten Schwierigkeiten entgegen. Ich bin wenigstens noch zu gar keinem Resultate gekommen. Auch meine sämmtlichen Versuche über die Präparation haben bis jetzt kein posi- tives Resultat ergeben.
III.
Ueber das muthmassliche Gehörorgan der Acariden (Fig. 7—9).
Als Sinnesorgane der Milben sind in erster Linie die Palpen bekannt, diesen schliessen sich die Sehwerkzeuge an. Letztere erreichen bei den meisten Trombidien eine sehr hervorragende Ausbildung, wodurch sie gegenüber den anderen Milben eine Stelle einnehmen etwa wie die Podophthalmata unter den Crustaceen gegenüber den Edriophthalmata. Kenntnisse über weitere Sinnesorgane haben wir bis jetzt durchaus nicht und doch scheinen solche vorzukommen. Wenigstens lässt sich nachstehend zu beschreibendes Organ durchaus nur als Gehörorgan deuten.
Auf meinen acarinologischen Streifereien um Bern klopfte ich vor etwa zwei Jahren von Gesträuch eine, wie mir scheint, neue Milbe aus der Gattung Trombidium. Leider war das Thierchen sehr selten find ich muss daher von einer ausführlichen Schilderung absehen, obschon das- selbe mit keiner der in der Litteratur beschriebenen Arten gänzlich übereinstimmt. Dagegen kann ich mir nicht ver- sagen, wenigstens in kurzen Zügen auf diese Milbe auf- Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 24
370 G. Haller:
merksam zu machen. Sollte sie sich wirklich als neu be- stätigen, so schlage ich dafür den Namen audiens vor.
Trombidium audiens charakterisirt sich vor allem durch den nach hinten treppenförmig verengerten Leib, durch die dicken und nur wenig langen Beine, durch den Mangel der Augen, an deren Stelle halterenförmige Gehör- organe treten, und das wenig dichte aus längeren, spär- licher aber länger befiederten Borsten, wie bei Trombidium holosericeum oder tinctorium, bestehenden Haarkleid aus. Seine Farbe ist dunkel schwärzlich braun bis schwärzlich, seine Grösse nicht sehr bedeutend, etwa V4 mm betragend. (Eine mehr schematische Zeichnung der Körperverhältnisse findet sich in Fig. 7, in Fig. 8 eine der Seidenborsten des Haarkleides stärker vergrössert.)
Wie bereits erwähnt, fehlen dieser Milbe die Augen gänzlich, an ihrer Stelle erheben sich zwei halterenförmige Organe (Fig. 7, a. a.), die durchaus keine Aehnlichkeit mit den von Pagenstecher*) so unvergleichlich geschil- derten Sehwerkzeugen haben. Soll ich ihre Lage noch näher bestimmen, wobei ich auf Fig. 7 verweise, so suche man sie hart zu beiden Seiten der Mundtheile, dicht über der Insertionsstelle des ersten Beinpaares auf der dach- artig abschüssigen Vorderseite des Körpers. Sie treten hier als zwei kolbenartige, einseitig und zwar nach aus- wärts verbreiterte etwas deprimirte Körper von geringer Grösse auf (Fig. 9.). Eben durch diese assymetrische Ver- breiterung erhalten sie in ihrem Aeussern etwas, was sehr stark an die Halteren mancher Diptera erinnert. So viel lässt sich bereits bei geringer Vergrösserung, ja mit Hülfe einer sehr stark vergrössernden Lupe wahrnehmen.
Untersucht man nun aber mit Hülfe einer starken Vergrösserung (Fig. 9), so bestätigt sich die bereits ge- wonnene Ueberzeugung, dass diese Organe von den Seh- werkzeugen vollkommen verschieden sind, noch mehr. Wir erkennen deutlich, dass sie durch eine dünnwandige, aussen überall geschlossene Kapsel gebildet werden, welche an
1) Pagenstecher, Beiträge zur Anatomie der Milben. Heftl. pag. 21, Tafel I, Fig. VI.
Acarinologisches. S71
ihrer verschmälerten Basis mit dem Binuenraume des Kör- pers communicirt. Diese Oeffnung (Fig. 9, a) ist etwas weiter als nothwendig wäre um den noch einfachen Ner- venstamm eintreten zu lassen. Dieser letztere trennt sich sofort in vier bis sechs dünne streifenartige Zweige (c— b^), die divergirend nach dem vorderen Pole der Keule ziehen, wo sie sich in einem nach innen hügelartig vorstehenden Ganglion (c) auflösen. Weiteres konnte ich wegen der tiefbräunlichen Färbung der Wandung über das Verhalten des Nervens nicht wahrnehmen. Ebenso wenig gelang es mir den ungetheilten Stamm nach rückwärts bis zu seinem Ursprünge zu verfolgen. Es kann wohl trotzdem keinem Zweifel unterliegen, dass derselbe identisch ist mit dem von Pagenstecher beobachteten Nervus opticus, es kann derselbe wie dieser nur von dem einzigen Ganglion des Körpers entspringen. Gehörhaare sind keine vorhanden, Hessen sich auch bei Anwendung von Reagentien wie Os- miumsäure mit Carmin nicht nachweisen. Es ist überhaupt deren Anwendung bei den Milben wegen deren geringen Körpergrösse bei nur wenig durchsichtigen Körperwandun- gen ein eitles Unterfangen. Fehlen Hörhaare gänzlich, so kann doch leicht Gehörsand nachgewiesen werden. Allerdings findet sich derselbe spärlich, doch stets sehr deutlich vor in Gestalt sehr kleiner, ovaler Körnchen, die durchschnittlich die nämliche Grösse hatten und in unserem dargestellten Falle zwei deutlich getrennte Gruppen bildeten (Fig. 9, d', d^). Die Eine derselben lag mehr gegen die Mitte der Kapsel, doch etwas nach vorn und seitwärts verschoben, ihre Anordnung war eine mehr rosettförmige. In der vorderen dem Ganglion mehr genäherten Gruppe ordneten sich die Körnchen zu einer kurzen, einfachen Reihe. Zweifelsohne wechselt aber die Anordnung und ist keine gebundene. Weiteres Hess sich an diesen Organen nicht wahrnehmen.
Es bleibt mir nur noch übrig auszuführen, warum ich diese Organe für Otocysten halte. Es ist dieses um so nothwendiger als es auffallen muss, wenn bei einer Art einer Familie, in welcher hoch entwickelte Sehorgane vor- kommen, diese ohne Noth verdrängt werden um den, wenig-
372; Cr. Hai 1er:
stens so weit unsere Kenntnisse reichen, sehr vereinzelten Gehörorganen Platz zu machen. Bei einem unterirdischen Höhlenbewohner Hesse sich diese Abänderung als aus An- passung hervorgegangen noch erklären; aber unsere Milbe ist ein freilebendes Thier! Sehorgane sind es nicht, das ergibt sich aufs Unzweideutigste aus einer Vergleichung meiner Beschreibung mit derjenigen Pagenstecher's. Dagegen könnte man versucht sein sie ihrer Gestalt halber für gleichbedeutend mit den koibenförmigen Haargebilden an den Vorderbeinen der Tyroglyphen zu halten. Es muss daher von Interesse sein, eine Parallele zwischen beiden Organen zu ziehen.
Die Otocysten von Trombidium audiens befinden sich an der Stelle eines wesentlichen Organes. Sie stehen am Vorderkörper, nahe dem Centralknoten des Nervensystems. Daraus erhellt bereits ihre grössere Bedeutung. Die kolben- förmigen Organe der Tyroglyphen stehen stets nur an Stelle von Haarborsten, sie gehören auch nur den Körper- anhängen an. Die Otocysten sind eine überall geschlossene Blase, verrathen eine sehr complicirte Structur, haben dem entsprechend auch eine bedeutendere Grösse. Jene Gebilde an den Vorderfüssen der Tyroglyphen communiciren durch eine seitliche ovale Oeffnung nahe dem geschlossenen Ende mit der die Milbe umgebenden Atmosphäre^ sie lassen nur einen sehr hellen leicht gewölkten Inhalt erkennen und weisen eine weit geringere Grösse auf In einem Worte, es ergeben sich beide Organe als ungemein ver- schieden. Nun habe ich in einer Arbeit über die innere Anatomie der Tyroglyphen darzulegen versucht, wie diese Organe als Riechkölbchen aufzufassen sind. Wir müssen uns daher nach einem weiteren Sinne umsehen, welchem diese Sinnesorgane, denn solche sind es unzweifelhaft, zu- zuertheilen sind. Es bleiben uns noch Tastsinn und Gehör. Nun sehen wir für jenen ersten stets sehr einfach organi- sirte Haarbildungen auftreten, wie ich dieses ebenfalls für die Tyroglyphen glaube nachgewiesen zu haben. Mir scheint es daher keinem Zweifel mehr zu unterliegen, dass jene geschlossenen kolbenförmigen Blasen des neuen Trom- bidiums dem Gehöre dienen, daher als Otocysten zu
Acarinologisches. 373
reklamiren sind. Diese Ansicht wird auch bewiesen oder gestützt durch die Anwesenheit von Gehörsand.
Trombidium audiens ist die einzige Milbe, von der wir mithin ein besonderes Gehörorgan kennen. Es wird aber nicht die einzige sein, die ein solches überhaupt be- sitzt. Im Gegentheil zeigen einige Milben ähnliche Gebilde, aus deren Analogie wir auf gleiche Bedeutung schliessen können. Ich erwähne nur Pygmephorus spinosus Kramer (Dieses Archiv 1877, Taf. XVI, Fig. 4—10). So wird uns das aufmerksame Studium der beschreibenden Litteratur sicherlich noch mehrere solcher Fälle kennen lehren.
Erklärung der Tafel XVII.
Alle Figuren smd nach Präparaten, und zwar Fig. 1 — 4 in Farrant'schem Medium, die übrigen in Sand arac-Einschluss, gezeichnet. Bei Allen wurde Nachet's Camera lucida angewandt und alle angegebenen Combiuationen beziehen sich auf ein kleines Hartnack'sches Mikroskop bei eingestossener Kammer.
Fig. 1 — 4 beziehen sich auf Pontarachna globula Phil. Fig. 1. Das Thier von der Bauchseite ohne Berücksichtigung der Extremi- täten. Einseitig ist die Porenpunktirung angedeutet. Oc. Syst. a^ — a'^ Coxalplatten.
b. Genitalgegend.
c. Anus.
d. Vermuthliche Drüsenmündungen, diese in D noch stärker vergrössert.
e. schnabelförmige Unterlippe.
f. Palpen.
Fig. 2. Complicirtes Auge. Oc. 4, Syst. 7.
a. Pigmentkörper.
b. Brechender Körper.
c. Nervus opticus.
d. Zweilappiges Ganglion opfeicum.
Fig. 3. Schnabelförmige Unterlippe, Oc. 4 Syst. 7.
374 G. Hall er: Acarinologisches.
Fig. 4. Rechtsseitiges vorderstes Bein, Oc. 3, Syst. 7.
Fig. 5 und 6, bez. s. a. Megamerus Haltica mihi.
Fig. 5. Das Thierchen von der Rückseite. Die Extremitäten sind nur einseitig angedeutet Oc. Syst.
Fig. 5. Ein rechtsseitiger Springschenkel des vierten Paares. Oc. Syst.
Fig. 7 bis 9, bez. s. a- Trombidium audiens nov. spec. ?
Fig. 7. Die Milbe mehr schematisirt, Oc. Syst.
Fig. 8. Ein einzelnes Haar aus dem Körperkleide, sehr stark vergrössert.
Fig. 9. Otocyste der Milbe. Oc. 4 Syst. 7.
a. Eingang derselben von der Körper höhle aus.
b^ — b^. Nervenzweige von a nach dem Ende der Otocyste hin divergirend, lösen sich in
c. dem Ganglion auf.
d^. d^ Die zwei Gruppen Gehörsand.
lieber einige neue Cymothoinen.
Von
Dr. e. flauer
in Bern.
Hierzu Tafel XVIII.
Bei einer Revision der reichhaltigen Crustaeeen-Samm- lung des Genfer-Museum's, stellten sich einige unter den verschiedenartigsten Sammlungsbezeichnungen eingereihte Arten als neu und noch unbeschrieben heraus. Zu meinem grossen Leidwesen erwiesen sich die Vaterlandsangaben vieler Arten als verwechselt und ich hatte die grösste Mühe in dieser Beziehung die Ordnung wieder einiger- maassen festzustellen. Nun bietet aber die ganze Samm- lung und besonders die revidirte Familie der Cymothoinen einen interessanten Beitrag zu den Faunen einiger weniger bekannten Meerestheile. Ich nehme daher nicht Anstand die neuen Species an dieser Stelle durch Abbildung und abgekürzte Beschreibung festzustellen und sie hernach durch faunistische Zusammenstellungen zu verwerthen.
Cymothoa Leach. 1. Cymothoa rotundifrons mihi (Fig. 1—4).
Verhältniss der Länge zur Breite wie 1 V2 : 3. Thorax nach hinten nicht erweitert, Bauchfläche daher überall gleich breit, die Seitenränder geradlinig und parallel. Rückenfläche des Thorax stark gewölbt (Vergl. Fig. 1 u. 4.). — Kopf kaum merklich länger als breit; Stirnwand zugerundet; Vorderfläche in der Mitte leicht vertieft, Augengegend massig vorgewölbt (Fig. 3 a.). Vordere An-
376 G. Haller:
tennen ziemlich drehrund und siebengliederig, sie erreichen an den Stirnrand angedrückt den Vorderrand des ersten Segmentes nicht; die hinteren kaum länger. — Das erste Segment nach vorne mit starken Fortsätzen, die sich den Seiten des Kopfes anschmiegen und von der Stirne um ein Merkliches überragt werden (Fig. 2, a.); ihre äussere Ecke erweist sich endlich als leicht zugerundet. Das erste Segment ergibt sich als länger wie zwei, aber ziem- lich gleich mit drei und vier, am schmälsten sind fünf bis sieben, jedoch unter sich ziemlich gleich. Auf der Mitte des ersten Segmentes sehen wir (Fig. 1) dicht hinter dem Kopfe eine dreieckige Grube mit nach hinten gerichteter Spitze, am Vorderrande des dritten zwei kleine halbkreis- förmige, des vierten zwei in die Quere gestreckte Ver- tiefungen. Sodann verlaufen über die Mitte von fünf und sechs in gleichen Abständen drei fast parallele aus vertief- ten Punkten bestehende Linien. Der Hinterrand der drei letzten Segmente ist nur wenig concav, sechs und sieben sind nahe dem Hinterrande leicht carinirt. — Die Thora- calbeine verhalten sich denjenigen von Cymothoa oestrum ziemlich ähnlich; sie sind aber bedeutend schlanker und dünner. Dieses letztere gilt namentlich von der platten- förmigen Verdickung der Hinterhüfte. Die freien Ecken nahe der Basis bilden aber hier nicht wie dort, rauhe poröse Höcker, sondern springen vielmehr als leichtes Zähnchen über die Insertion vor (vergl. Fig. 2. c. u. d.). Auch die Krallen erweisen sich als sehr verschieden. Bei Cymothoa oestrum sind sie kurz, dick und wenig gebogen, bei Cym. rotundifrons erweisen sie sich dagegen als sehr lang, sehr spitz, stark gebogen und an der Spitze als leicht gebräunt. — Die Epimeren des ersten Segmentes sind nur angedeutet, diejenigen der übrigen Segmente durch starke Furchen von den Seitenrändern getrennt. Sie nehmen von vorne nach hinten an Grösse ab, sind am unteren Ende leicht ausgebuchtet und auch an der Aussenfläche in Form einer flachen von vorne und unten nach hinten und oben aufsteigenden Hohlkehle ausgerandet. (Fig. 4.)
Das Abdomen scheint schräge nach unten getragen zu werden. Es erweist sich nach der Basis hin als stark
lieber einige neue Cymothomen. 377
verschmälert; sein erstes Segment ist daher nur von zwei Drittheilen der Breite des Thorax, sein letztes dagegen genau so breit wie jener. In der Mitte der Rückenfläche erkennen wir eine schwache Längswulst, auf welcher auf dem vorletzten Segmente zwei kleine Höckerchen vorsprin- gen (Fig. 4). Sämmtliche Abdominalsegmente zusammen- gerechnet ergeben sich als kaum länger, wie die drei letz- ten Thoracalringe, die fünf ersten sind unter sich von ziemlich gleicher Kürze; das letzte oder die Abdominalplatte oder Caudalplatte, das Pigidium steht dem von jenen gebil- deten Abschnitte an Länge kaum nach, es ergibt sich auch als von gleicher Breite, wie das vorletzte, dabei übertrifft die Breite die Länge etwa um das Doppelte. Es ist stark gewölbt, sein Hinterrand beträchtlich eingerollt, die hinteren Aussenwinkel zugerundet. Am Vorderrande erkennen wir sodann (vergl. Fig. 5) eine deutliche Längswulst, die in der Mitte unterbrochen ist. Als direkte Fortsetzung dieser Unterbrechung läuft eine seichte Furche nach hinten, welche die Wölbung des Segmentes in zwei symmetrische Hälften trennt, in ihr erhebt sich eine leichte Längsleiste. Das letzte Beinpaar so lang wie sein Segment; die beiden Endäste etwas länger wie der gemeinsame Stamm, verdickt, unter sich von gleicher Länge und schwach gekrümmt. Gesammtlänge ca. 4,0; Breite 2,7 cm; beides über die Wölbung gemessen.
Cymothoa rotundifrons mihi steht Cym. oesti'um Leach sehr nahe, unterscheidet sich jedoch von dieser Art deut- lich durch die oben hervorgehobenen Merkmale (vergl. Fig. 2. a u. b, c u. d). Charakteristisch für die neue Art sind ferner die geradlinigen, parallelen Thoracalseitenrän- der, die oben beschriebene Ausstattung der einzelnen Seg- mente, auch die Verhältnisse des Abdomen's lassen eine Verwechslung mit einer andern Art nicht zu.
Es lag mir von dieser Species nur ein einziges aber sehr schönes und wohlerhaltenes Individuum vor, das von Mauritius stammt.
2. Cymothoa oestrum Leach.
Zur Vergleichung dieser erstgekannten Art, welche als Typus des Genus zu gelten hat, lagen mir zwei
378 G. Haller:
erwachsene Exemplare von Gouadeloupe vor, welche mit einem ebenfalls in der Sammlung vorhandenen von Roux bestimmten und noch von ihm von Marseille aus an das Museum gesandten Exemplare durchaus übereinstimmen.
Ein kleines Individuum von 1,7 cm Länge, das sich nur als junges Thier dieser Art bestimmen lässt, trägt als beigeheftete, handschriftliche Notiz des Sammler's: „de la Cavangue-camargue ä la Gouadeloupe." Vermuthlich ist die Bezeichnung des Fisches nur eine verdorbene Schreib- weise für Caranx carangus Bloch.
3. Cymothoa parasitica de Saussurc.
Memoire sur divers Crustaces nouveaux du Mexique et des Antilles par Henri de Saussure 1858, pag. 69. Taf. V. Fig. 44 u. 44 a.
Die Type dieser Art, welche von de Saussure von Cuba mitgebracht wurde, befindet sich ebenfalls in der gedachten Sammlung, ist aber leider ziemlich zerfallen.
4. Cymothoa paradoxa mihi.
Gestreckt ; Verhältniss der Länge zur Breite wie 1 : 3. Mittellinie der Rückenfläche leicht concav (Fig. 6). Grösste Breite des Thorax auf der Höhe des dritten Segmentes, von hier nach vorne leicht zugerundet, nach hinten kaum merklich verschmälert. Thorax von ganz auffallender Ge- stalt, nämlich die drei ersten Segmente durchaus deprimirt und flach, die folgenden dagegen ebenso stark comprimirt und nach unten hin bauchig vorgewölbt. — Kopf klein, merklich breiter als lang, Stirn nicht über die Augen vor- ragend, vorderer Kopfrand gewölbt. Kopf schmäler wie das erste Segment. Dieses ohne seitliche Fortsätze, breiter als zwei und drei, etwa wie vier bis sechs. In der Mitte merklich verbreitert; Vorderrand leicht concav, an der Basis des Kopfes mit leichtem halbmondförmigem Aus- schnitte; Hinterrand in der Mitte stark nach hinten ausge- bogen, fast zugespitzt. Segment zwei am schmälsten, schmäler als drei, sein Hinterrand weniger convex wie derjenige des ersten; es erscheint daher dieses Ringel in der Mitte als stark verschmälert. Drittes Segment unge-
Üeber einige neue Cymothoiuen. 379
fähr so lang wie das letzte, sein Hinterrand gerade. Die drei folgenden so lang wie das erste, ihr Hinterrand ziem- lich gerade. Das sechste ergibt sich unter allen als das längste. Die Seitenränder und Epimeren der drei letzten Segmente durch dreieckige häutige Spatia getrennt (Fig. 6.), zwischen Segment sechs und sieben ist eine deutliche Ein- schnürung zu bemerken. Hinterrand des letzten Thoracal- segmentes leicht convex. Epimeren durchwegs von gleicher Grösse. Thoracalbeine von gewöhnlicher Länge, aber sehr schwach, Hinterhüften kaum verdickt und verbreitert.
Abdomen auffallender Weise sehr frei beweglich, ähnlich wie bei Anilocra; sehr lang etwa wie die vier letzten Thoracalsegmente zusammengerechnet, in seiner ganzen Länge von gleicher Breite, schmäler wie das letzte Thoracalglied; Seitenränder zwischen den einzelnen Ringeln tief eingeschnitten, die fünf ersten Glieder ungefähr gleich lang. Das Pigidium nicht so lang wie die Einheit der vorhergehenden Segmente, an seiner Basis breiter als lang, nach hinten halbkreisförmig zugerundet, eine erhabene Längslinie theilt dasselbe in zwei symmetrische leicht ge- wölbte Hälften, endlich ist parallel mit der Basis ein tiefer Quereindruck zu bemerken. Das letzte Abdominalfusspaar um ein Weniges länger wie die Platte, die Endäste etwa so lang wie der Stamm und unter sich ebenfalls von ziem- lich gleicher Länge, das innere kaum merklich verbreitert, beide gegen das Ende hin leicht zugerundet, gerade, flach und dünn. (Fig. 7.) Eine der kleinsten Arten, misst in der Länge 1,8, in der Breite 0,65 cm.
Diese Art unterscheidet sich durch die eigenthüm- lichen Verhältnisse des Thorax, durch den sonderbaren Kopf, das freie bewegliche Abdomen, das in der Mitte stark verbreitete L Thoracalsegment auf den ersten Blick von allen Bekannten, lieber die systematische Stellung derselben war ich lange Zeit unschlüssig. Es schliesst sich das Thier ebenso wenig Cymothoe wie Livoneca enge an, gehört aber wegen der Verhältnisse seiner Antennen zu der einen oder anderen Gattung. Hätte ich über mehr Exemplare verfügt, so würde ich es wahrscheinlich trotz dem zum Typus eines neuen Genus erhoben haben. Leider
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findet sich aber nur ein einziges, wohl conservirtes, in Spiritus aufbewahrtes Individuum vor und zwar ein mit Eiern angefülltes Weibchen. Dasselbe wurde von G. Lunel in der Mundhöhle eines Caranx carangus Bloch aus dem indischen Ocean aufgefunden.
Livoneca Leach. 6. Livoneca plagulophora nov. spec. Fig. 8 u. 9.
Körper leicht asymetrisch, sehr flach und leicht ver- breitert, dabei von sehr geringen Dickendimensionen. All- gemeine Körperumrisse verzerrt eiförmig, grösste Breite auf der Höhe des Abdomens, Verhältniss der Länge zur Breite wie 1 : 2. Kopf klein, rundlich, ungefähr so breit wie lang. Obere Antennen leicht verbreitert und sehr kurz, reichen nach hinten kaum über die Augen, siebengliederig mit sehr kleinem Grundgliede; untere merklich länger, dünner, erreichen jedoch kaum den Vorderrand des ersten Segmentes. Erstes Thoracalsegment am schmälsten, nicht ganz zwei Mal schmäler wie das letzte Abdominalsegment. Erstes bis drittes Segment am längsten und unter sich ziemlich gleich, die drei folgenden kürzer, sieben am kürzesten, zugleich aber auch unter allen das breiteste. Vorne jederseits neben dem Kopfe an Segment eins leichte Andeutungen von Seitenfortsätzen, hinter den Augen seichte Eindrücke. Hinterrand von fünf und sechs wenig, von sieben nur sehr massig concav. Epimeren des ersten Seg- mentes fehlen, die folgenden sehr dünn und flach, in gleicher Fläche mit ihren Segmenten. Die vordersten am längsten, jedoch den Rand ihrer Ringel nicht erreichend, noch ziemlich schmal. Nach hinten nehmen sie an Breite zu, an Länge ab; die hintersten erscheinen daher etwa so breit wie lang, alle nach innen zugerundet, die hinteren erreichen den Rand ihrer Segmente. Die Extremitäten nehmen von vorne nach hinten zwar merklich an Länge, kaum aber an Dicke zu (vergl. Fig. 9 au. b); Hüften nicht verdickt. Alle Glieder kurz und rund. Brutblätter mit erhabener nach der Insertion hin convergirender Streifung.
Alle die fünf ersten Abdominalsegmente ungemein
lieber einige neue Cymothoinen. 381
kurz, ganz besonders aber das erste. Der schmale Streifen desselben ist ganz unter dem Thorax versteckt, so dass das Abdomen von oben gesehen nur ftinfgliederig erscheint, wofür ich es denn auch lange Zeit hielt, bis mir durch Zufall der sehr versteckte und ungemein kurze erste Ab- dominalring bei der Untersuchung des Thieres von der Bauchfläche her sichtbar wurde. Das Abdomen nach der Basis hin verschmälert; sein erster versteckter Ring etwas kürzer wie das vorausgehende Thoracalsegment. Die vier von oben allein sichtbaren Hinterleibsringe ebenfalls unge- mein kurz, in ihrer Gesammtheit kaum so lang wie die zwei vorhergehenden Thoracalsegmente; ihre Seitenränder schauen kaum unter dem Rande des vorhergehenden Ab- schnittes hervor. Hinterleibsplatte ungemein gross und dünn (woher der Name rcXayovXa und (p€QCü)j beinahe von halber Körperlänge und breiter wie lang. An der Basis von der Breite des fünften Abdominalringes, nach hinten unregelmässig halbkreisförmig zugerundet, seiner ganzen Länge nach mit leichter erhabener Mittellinie. Sein Fuss- paar etwa halb so lang, oder eher etwas mehr; ziemlich symmetrisch ausgebildet. Stamm nach hinten verbreitert, nach innen mit deutlichem Zahn. Die Endglieder ungleich, das innere kürzer wie der Stamm, schmal lanzettlich; das äussere nicht ganz zwei Mal länger, schwach gebogen und gegen das Ende hin leicht zugespitzt, beide mit häutigen Anhängseln. Gesammtlänge 2,8; Breite 1,2 cm.
Drei geschlechtsreife Weibchen dieser Art von Mau- ritius. Wegen des scheinbar viergliederigen Hinterleibes und der grossen halbkreisförmigen Hinterleibsplatte kann diese Art nicht leicht mit einer der bereits beschriebenen Formen verwechselt werden.
6 Livoneca Lunelii nov. spec. (Fig. 10— 12.)
Der asymetrisch, beinahe plane Körper übertrifft mit seiner Länge die Breite zwei Mal. Die Rückenfläche ist in der Mitte sehr leicht convex, längs den Seitenrändern ebenso concav. Der etwa elliptische Kopf ist nur wenig länger als breit, besitzt eine zugerundete Stirn, parallel mit dieser bis etwa zu den Augen verläuft ein halbmond-
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förmiger Eindruck, am Vorderrande zeigt er eine leichte Ausbuchtung. Erstes Segment mit nur rudimentären vor- deren Seitenfortsätzen, die durch kleine Spitzchen ange- deutet werden; am Vorderrande zur Aufnahme des halben Kopfes tief ausgeschnitten. Von den Antennen sind die hinteren etwas weniger dick wie die vorderen und ziemlich gleich lang mit diesen, welche siebengliederig, mit zwei ver- dickten Grundgliedern, sind; beide tiberragen nach hinten die seitlichen Fortsätze des ersten Segmentes nur unbeträchtlich. Die vier ersten Segmente sind unter sich von ziemlich gleicher Länge, die drei hinteren werden dagegen immer kürzer, so dass das siebente das kürzeste ist. Der Hinter- rand des ersten Segmentes ist ziemlich gewölbt, derjenige der zwei folgenden leicht convex, des vierten fast gerade, der hinteren immer stärker ausgebuchtet, so dass der Hinterleib von oben vollkommen nur in dem hinteren Ausschnitte des letzten Segmentes zu Tage tritt und seitlich von dem Seitenrande desselben verdeckt wird. Die Epimeren sind beidseitig ziemlich gleichmässig entwickelt, nach aussen und hinten in einen leicht gekrümmten Fortsatz ausgezogen (Fig. 10); der an den vorderen Segmenten als ein kurzes stumpfes, nach hinten gedrängtes Höckerchen, an den vier hinteren als immer länger werdender Stachel auftritt, der schliesslich fast so lang wie die Epimere selbst ist. Da die Epimeren auf beiden Seiten gleichmässig entwickelt sind, die Seitenränder der hinteren Segmente aber ungleich, so resultirt hieraus für jene ein verschiedenartiges Ver- halten. Wir sehen denn in der That auch (Fig. 11), dass jene auf der concaven Seite ihre Segmente überragen, auf der convexen dagegen deren Hinterrand nicht erreichen. — Die sämmtlichen Abdominalringe haben die Breite des letzten Thoracalsegmentes, auch sind sie unter sich von ziemlich gleicher Länge, der Hinterrand der vorderen nach vorne ausgebogen, des fünften geradlinig. Die Cau- dalplatte etwa ein und ein halbes Mal so lang wie breit, grösser wie das Abdomen, nach hinten unregelraässig zu- gerundet, am Hinterrande leicht ausgebuchtet; sie ist an der Basis kaum schmäler wie das letzte Thoracalsegment und nicht ganz zwei Mal so breit wie lang; fast plan
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vorne mit undeutlichem Querwulste, leicht erhabener Mit- telrippe und grubig netziger Skulptur der Rückenfläche. Thoracale Beinpaare durchschnittlich von gleicher Länge und Stärke, nach hinten kaum verdickt, Hüften an der Basis über den Schenkelring in Gestalt eines winzigen Zähnchens vorspringend (Fig. 10); Krallen sehr klein. Letzter Abdominalfuss auf der verlängerten Seite kürzer wie auf der verkürzten, kaum von der Hälfte der Länge seines plattenfömigen Segmentes; Endäste und Stamm, jene auch unter sich ziemlich gleich lang, jene elliptisch (Fig. 12). Grösse des mit Brutkammer versehenen Weibchens 3 cm, Breite 1,6 cm.
Wurde in Begleitung eines vollkommen symmetrisch gebauten, der Mutter fast durchaus entsprechenden jungen Thieres (1,1 cm Länge und 0,7 cm Breite) von G. Lunel, Direktor des städtischen Museums in Genf, einem unserer hervorragendsten Ichthyologen^) an der Innenseite des Kiemendeckels von Upeneus Indiens von Macassar (Celebes) aufgefunden und mir mit grosser Zuvorkommenheit über- lassen. Ich beeile mich ihm denselben als ein Zeichen meiner Hochachtung zu widmen.. Nach schriftlichen Mit- theilungen des Finders war die Stelle, an der der Parasit sass, leicht dadurch kenntlich, dass an ihr der Kiemen- deckel beulenartig hervorgetrieben war.
7. Livoneca Cumulus mihi (Fig. 13—15).
Körper ziemlich gedrungen; Verhältniss der Länge zur grössten Breite wie 3 : 2. Grösste Breite auf der Höhe des vierten Thoracalsegmentes (Fig. 14). Rücken- fläche bis zum vierten Segmente hochgewölbt, vom Kopfe an steil aufsteigend; die hinteren vier Thoracalsegmente scharf gefirstet; Firste der verkürzten Seite merklich ge- nähert; Abdomen flacher, nur das Pigidium flach dach- förmig. Körper stark asymetrisch, die eine Seite convex, die andere concav gekrümmt. — Der Kopf ist sehr klein, halbmondförmig, kaum breiter als lang, auf der Rücken-
1) Verfasser des schweizerischen ichthyologischen Werkes: Histoire naturelle des Poissons du bassin de Leman. Geneve 1874.
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fläche stark ausgehöhlt, er passt in einen tiefen Einschnitt am Vorderrande des ersten Segmentes. Dieses und die zwei nachfolgenden ergeben sich als ungefähr von gleicher Länge, nehmen aber an Breite zu. Die vorderen Seiten- enden des ersten Segmentes breit zugerundet ; in der Mitte des Ringels eine tiefe durch eine erhabene Mittelfirste in zwei seitliche Hälften getrennte halbmondförmige Grube. Die folgenden Thoracalringel werden nach hinten zu immer kürzer und vom vierten an auch schmäler (Fig. 14 u. 15), ihre Hinterränder nach vorne eckig und breit ausgeschnit- ten; diese Ausschnitte werden nach hinten immer tiefer und schmäler; sehr tief ist der Ausschnitt des letzten Thoracalringels, welcher fast so tief wie breit ist und den umfangreichen Complex der fünf ersten Abdominalsegmente gänzlich aufnimmt (Fig. 14). Vom vierten Segmente an ist, was namentlich bei jungen Individuen hervorzutreten scheint, der Hinterrand eines jeden der Thoracalsegmente in der Mitte zu einem kleinen nach hinten über den Vorderrand des folgenden Ringels vorragenden Höckerchens verdickt, das sich nach vorne hin abflacht (Fig. 15). Bei mit Eiern erfüllten Weibchen wird durch die Brutkammer die Bauch- fläche auffallend stark, fast halbkugelig hervorgetrieben.
Der Seitenrand und die Epimeren der drei vorderen Körperringel verhalten sich normal wie bei den übrigen Arten. Die Epimeren sind schmale Streifchen nicht ganz von der Länge ihres Segmentes; sie stehen unterhalb des Seitenrandes, schieben sich mit ihrer Spitze hinter das Vorhergehende, erreichen den Hinterrand ihrer Ringel nicht und sind in ihrer hinteren Hälfte durch eine enge Furche in zwei übereinander liegende Theile geschieden (Fig. 15). An den vier hinteren Segmenten ist dagegen das Verhalten ein durchaus abweichendes und höchst charakteristisches, das hauptsächlich auf der convexen Seite des Körpers hervortritt, sich dagegen auf der concaven nur undeutlich zu erkennen gibt. Dort erscheint der • Seitenrand eines jeden der vier hinteren Segmente zu breiten Platten aus- gezogen, die in schräger Richtung nach unten ragen und so als eine seitliche Fortsetzung der abschüssigen Rückenfläche auftreten; sie sind etwas breiter wie lang und an der Ober-
Ueber einige neue Cymothoinen. 385
fläche kaum merklicli ausgehölt (Fig. 13 u. 14). Die erste steht von den übrigen etwas ab, so dass zwischen ihr und der folgenden das Ende der ihr angehörenden Epimere zu Tage tritt (Fig. 14). Nach vorne erweist sich diese Platte als leicht bis halbmondförmig zugerundet, die übrigen sind einfacher eckig, am Aussenrande quer abgestutzt. Betrach- ten wir nun das Thier von der Bauchseite (Fig. 13), so werden auch die Epimeren in ihrer ganzen Ausdehnung sichtbar. Sie ergeben sich als eben so lang wie die dar- über liegenden Seitenränder, doch nur von der halben oder eindrittels Breite derselben, nehmen aber von vorne nach hinten an Umfang ab, sind entweder nach dem freien Ende hin zugespitzt oder quer abgestutzt und treten jeweilen unter den Spalt zwischen ihrem Segmente und dem nach- folgenden, von der Rückenfläche wird daher wie wir ge- sehen nur die erste derselben und nur deren Spitze zu bemerken sein.
Von der Rückenfläche aus betrachtet, treten die fünf ersten Abdominalsegmente nur in dem Ausschnitte des letzten Thoracalringes zu Tage und kommen an Länge nicht ganz den hintersten drei Thoracalsegmenten gleich. Caudalplatte von beträchtlicher Grösse, durchaus dreieckiger Gestalt .mit ausgesprochener Spitze, entsprechend dem Körperbau etwas asymmetrisch, leicht dachartig gewölbt und so lang oder länger als breit. Rings um dasselbe zieht sich ein dünnhäutiger unregelmässiger Randsaum (Fig. 14). Seine Länge ist verschieden, meist übertrifft sie aber ihre eigene Breite und stets den vorderen Ab- schnitt des Abdomens um ein Beträchtliches.
Obere Antennen verbreitert und kürzer wie die unteren, sie reichen nicht bis an den Hinterrand des Kopfes, sechsgliederig, untere dünner, reichen bis über den Vorderrand des ersten Segmentes und sind etwa um ihre eigene Hälfte länger wie jene. Die Thoracalbeine sehr klein, namentlich deren Krallen ; durchwegs von gleicher Grösse, Hüften nur wenig plattenartig verbreitert. Das letzte Beinpaar auf der convexen Seite meist etwas grösser, wie auf der concaven, doch niemals länger als höchstens die Hälfte der Caudalplatte. Stammtheil sehr kurz; aus-
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 25
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serer Endast etwa ein und ein halbes Mal so lang, an der Basis verbreitert, in eine abgerundete Spitze ausgezogen, schwach gebogen, immer bedeutend kürzer wie dieser, verkehrt eiförmig ; das ganze Bein dagegen sehr flach und papierdünn.
Von dieser an und für sich bereits sehr interessanten Art kommen zwei sich durchaus ähnliche aber entgegen- gesetzte Abweichungen vor, von denen die eine zu den vorliegenden Zeichnungen benutzt worden ist, ich bezeichne sie mit a. Die andere ß, hat ihren concaven Seitenrand auf der rechten Seite und die verbreiterten Platten befinden sich daher auf der linken Seite. Sonst entspricht dieselbe voll- kommen der obigen Beschreibung, sowie den Abbildungen.
Drei Exemplare aus Gouadeloupe, deren Gesammt- länge 2,3. 2,5 u. 2,8, deren Breite 1,4. 1,5 u. 2,0, deren grösste Höhe des gefirsteten Hinterrückens 0,8. 0,9, u. 1,1 cm beträgt. Im ungemein hochgewölbten Kücken, der hinten gefirstet, vorne gewölbt ist, in den Platten des Seitenran- des, den eigenthümlich ausgebildeten Epimeren u. s. w. li^gt ein ganz eigenartiger Charakter. Derselbe ist es vermuthlich, welcher den Sammler dazu bewog, in seiner handschriftlichen beigesetzten Bezeichnung die Art der Gattung Ourozeuktes beizugesejlen. Diese Bereicherung der wenig bekannten Gattung Mi Ine- Edwards ist aber eine irrige, denn wie man sich leicht überzeugt sind die einzelnen Segmente des Abdomens frei und nicht ver- schmolzen. Dagegen war ich mit mir uneinig ob ich Livoneca Cumulus zum Typus einer eigenen Gattung er- heben wollte, wozu vielleicht in oben angeführten Kenn- zeichen Grund genug vorhandeü wäre. Es erscheint mir aber richtiger die Art der Gattung Livoneca beizustellen; sie bildet durch das Verhalten der Epimeren und Seiten- ränder der hinteren Segmente des Thorax ein Bindeglied zwischen diesem Genus undNerocila. Die Speciesbezeichnung wählte ich von der starken hügelaBtigen Wölbung des Rückens.
8. Livoneca ellipsoidea mihi (Fig. 16--17).
Körper fast vollkommen symmetrisch, länglich ellip- tisch; massig gewölbt, in der Mitte der Rückenfläche leicht
Ueber einige neue Cymothoinen. 387
deprimirt; ungefähr zwei Mal so lang wie breit; grösste Breite in der Körpermitte; nach vorn und nach hinten ziemlich gleichmässig verjüngt (Fig. 12); das fünfte Thora- calsegment am Breitesten, nicht ganz zwei Mal so breit wie das erste. Der Kopf nur wenig länger als. breit mit zu- gerundetem Stirnrande und schwacher Vertiefung zwischen den Augen, diese etwas vorspringen. Die vorderen und hinteren Antennen ziemlich gleich breit und lang, reichen nach hinten über den Vorderrand des ersten Segmentes hinaus. Dieses letztere länger als das zweite und dritte, gleich lang wie vier bis sechs, die nach vorne ragenden Seitenfortsätze sehr kurz, dicht hinter den Augen merkliche Gruben für dieselben; bei erwachsenen Exemplaren der Vorderrand längs der Basis des Kopfes verdickt, durch eine mit ihm parallel verlaufende Furche vom übrigen Segmente geschieden. Hinterrand des letzten Segmentes in der Mitte leicht ausgeschnitten (Fig. 17). Epimeren stark verdickt, an der Innenseite zur Aufnahme der Extre- mitäten ausgehöhlt, unterhalb ihrer Segmente, nach vorne zugespitzt, nach hinten verbreitert, ihr Ende schiebt sich jeweilen über die Spitze der Vorhergehenden. Die Füsse (Fig. 16 a u. b) nehmen von vorne nach hinten sehr be- trächtlich an Länge, kaum bedeutend an Stärke zu. Die hinteren Hüften nicht verbreitert nur verdickt, dreikantig. Krallen stark lang und an der Basis merklich verdickt.
Abdomen nach hinten sehr merklich verschmälert; erstes Segment von gleicher Länge mit dem letzten Thora- calsegmente; letztes kaum halb so breit. Erstes Hinter- leibsringel vom vorhergehenden Segmente zum grössten Theile bedeckt, alle nach vorne convex, das fünfte in der Mitte mit geradem Hinterrande. Die Caudalplatte sehr klein, kaum so lang wie breit, halbkreisförmig zugerundet. Nahe der Basis mit in der Mitte verschmälertem Querein- drucke und erhabener Längsrippe, welche das leichtge- wölbte Schildchen in zwei Seitenhälften theilt. Letztes Abdominalfusspaar um ein Merkliches länger wie das Pi- gidium. Stamm und Aeste desselben ziemlich gleich lang, jene auch unter sich. Stamm verbreitert nach innen mit leich- tem Zähnchen. Endäste oval, an der Basis leicht abgestutzt.
388 G. Haller:
Oberfläche sehr glatt und stark glänzend. Farbe olivengrünlich bei dem grösseren, bräunlich bei dem kleineren Exemplare, jenes mit blassem Hinterrande der Thoracalsegmente. Zwei Individuen unbekannten Vater- landes, das eine von 3,0 cm Länge und 1,4 cm Breite, das andere von 1,9 cm L. u. 0,8 Br.
Anilocra Leach.
9. Anilocra mexicana de Saussure. Fig. 20.
Mem. sur divers Crustaces nouveaux du Mexique et des Antilles par Henri de Saussure. Geneve 1858. pag. 68.
Im Museum von Genf befinden sich nunmehr ausser den zwei Individuen aus dem Golfe von Mexico, welche de Saus sur e als Typen zur Beschreibung seiner Art dienten, zwei weitere von Westindien, wovon eines sehr gut erhalten und in Weingeist conservirt. Letztere stimmen durchaus mit den Typen und der oben citirten ersten Be- schreibung iiberein, nichts destoweniger wurden sie an das Museum unter der. Bezeichnung Anilocra discolor, welches allerdings sehr wahrscheinlich nur ein Sammler- name ist, eingeschickt. Da überdiess de Saussure von seiner Art keine Abbildung gab und die Beschreibung in Bezug auf das letzte Abdominalfusspaar, welches bei seiner Art abgebrochen war, unvollständig ist, halte ich es für geboten die Art durch Abbildung und wiederholte Beschrei- bung auf's Neue kenntlich zu machen. Ich benutze hierzu so weit möglich des ersten Autor's eigene Ausdrücke.
Eine der gedrungeneren Arten und von ziemlich unbe- deutender Grösse. Grösste Breite in der Mitte des Thorax, von hier nach beiden Seiten hin gleichmässig verschmälert. Kopf dreieckig. Augen gleich dem ganzen übrigen Kopfe glänzend, fein granulirt; die einzelnen Granulationen sehr deutlich, wie von Firniss umzogen. Obere Antennen sehr stark comprimirt, den Hinterrand der Augen fast oder ganz erreichend; ihr zweites und drittes Glied merklich grösser wie die folgenden vier. Untere Antennen sehr zu- sammengedrückt, zehngliederig, erreichen den Vorderrand des zweiten Thoracalsegmentes. Erstes Thoracalsegment
üeber einige neue Cymotho'inen. 389
jederseits mit leichtem Seitenhöcker, welcher die Basis des Kopfes umschliesst, seine hintere Seitenecke leicht nach hinten ausgeschnitten. Epimeren von Segment zwei bis drei oval, von vier stumpf, und der folgenden nach hinten zugespitzt, fast dornförmig. Letztes Abdominalseg- ment so lang wie breit oder etwas kürzer, und fast kreis- förmig oder von der Gestalt eines zugerundeten Vierecks, nach hinten nicht verengert. Flacher Randsaum und ziem- lich stark gewölbter Mitteltheil, parallel der Basis eine sehr tiefe Querfurche, die die Seitenränder nicht erreicht. Das letzte Beinpaar des Thorax sehr lang und sehr dünn, ganz besonders gilt dieses von dem die Kralle tragenden Gliede. Letztes abdominales Fusspaar von der Länge des Caudalschildes oder kaum merklich länger. Die beiden Endäste kaum länger wie der Stamm, auch unter sich von gleicher Länge; der äussere leicht sichelförmig, der innere lanzettlich. Länge 2,5 — 3,0 und Breite 1,0—1,2 cm; de Saussure fügt noch bei: Länge des letzten Segmentes 0,8 cm.
Nach de Saussure nähert sich diese Art besonders Anilocra laticauda, Edw. unterscheidet sich aber durchaus von ihr durch die Länge der inneren Antennen u. s. w. Die von dem ersten Autoren der Art mitgebrachten Exem- plare unterscheiden sich einzig durch ihre rostrothe Färbung von den neueren aus Westindien stammenden Stücken, die von dunkel olivengrüner Farbe sind. Haben wir hier eine künstlich, vielleicht durch verschiedene Dauer der Aufbewahrung verschiedenartige Präparation od. dergl. hervorgerufene Farbenveränderung oder eine auch im Leben existirende Varietät vor uns? Wahrscheinlich eher das erstere, dann ist wohl die dunkelgrüne Färbung, welche das einzige in Weingeist conservirte Stück aufweist, die der Natur entsprechende.
10. Anilocra acuminata mihi.
Nicht ganz von der Grösse der Anilocra mediterranea, ihr jedoch nur wenig nachstehend. Bau schlank, etwa 2V2 mal so lang wie breit. Grösste Breite auf der Höhe
390 G. Haller:
der zwei vorletzten Thoracalsegmente; von hier an nach vorne hin stark zugespitzt, das erste Segment etwa halb so lang wie das vorletzte; Thorax nach hinten kaum ver- schmälert. Kopf vor den Augen merklich verlängert, Stirn gerade abgestutzt; Augen massig vorstehend. Fühler sehr stark comprimirt, vordere fast um die Hälfte länger wie die hinteren; letztere überragen angedrückt den Vorder- rand des ersten Segmentes um ein bedeutendes. — Von den Thoracalsegmenten ist das erste kürzer wie der Kopf, jedoch länger wie zwei und drei, ungefähr wie vier, jeder- seits am Vorderrande hinter den Augen ein leichter Ein- druck. Thoracalsegment zwei und drei unter allen am kürzesten, drei kaum länger wie zwei, vier und fünf, unter sich ziemlich gleich; sechs unter allen das längste, fast so lang wie zwei und drei zusammen, sieben plötzlich ver- kürzt, etwa wie drei. Sein Hinterrand zur Aufnahme des Abdomens leicht ausgebuchtet. Epimeren von vorne nach hinten an Länge zunehmend. Die vorderen erreichen noch den Hinterrand der Segmente, die hinteren nicht mehr, hier springt hinter ihnen vielmehr der Seitenrand in Ge- stalt eines zugerundeten, an der Oberfläche leicht concaven Lappens vor (Fig. 19). Die hinteren Epimeren enden wie bei der nachfolgenden in frei abstehende Spitzchen aus. — Das Abdomen nach der Basis hin kaum merklich verschmälert; seine fünf ersten Segmente von gleicher Länge, der Hinterrand der vier ersten ist ziemlich concav, derjenige des fünften ziemlich gerade. Alle Segmente in der Mitte mit leichtem Längswulste. Hinterleibsplatte etwa so breit wie das letzte Abdominalsegment und kaum merk- lich kürzer als breit, mit parallelen, leicht ausgerandeten Seitenlinien und zugerundeten Hinterecken. Längs der Basis mit verwischtem schmalem Quereindruck, von ihm verläuft eine Längsrippe bis nicht ganz zum Hinterrande und scheidet die Platte in zwei leicht eingedrückte Hälften. Letztes Abdominalfusspaar überragt mit der Spitze des einen Astes das Caudalschild um ein Weniges und erreicht mit der Spitze des andern dessen Hinterrand. Stammtheil etwa von halber Länge des Pigidiums, nach innen mit kleinem aber deutlichem leicht gebogenem Zähnchen.
Ueber einige neue Cymothoinen. 391
Aeusserer Endäst länger, wie der innere sichelförmig, der innere dolcbförmig.
Rückenfläche von massiger Wölbung, grösste Höhe des Körpers über dem vierten Segmente, von hier nach vorne ziemlich steil abfallend, nach hinten ganz allmählig abnehmend (Fig. 19). Oberfläche glatt und glänzend. Länge 4,2; Breite 1,6 cm. Zwei zerfallene Exemplare von der Insel Bourbon. Den Namen entnehme ich der vorherr- schendsten Eigenschaft der neuen Art, welche in der aus- gesprochenen Zuspitzung der sehr gestreckten Thorax nach vorne hin ausgesprochen scheint.
Faunistische Gruppirung der oben erwähnten und beschriebenen zehn Cymothoinen mit Bei- fügung der abgekürzten deutschen Diagnosen.
Von West Indien, vorzugsweise aus dem Golfe von Mexico (Cuba und Tuxpam) und von den Kleinen An- tillen (Guadeloupe) stammen folgende 4 Arten.
1. Cymothoa oestrum Leach. Guadeloupe.
2. Cymothoa parasitica de Saussure. Cuba.
3. Livoneca Cumulus mihi. Stark asymmetrisch, in zwei individuellen Schwankungen auftretend. Körper ungemein hoch gewölbt, vorn mit steilansteigender Wölbung, hinten mit allmählig abfallender Firste, diese der verkürz- ten Seite genähert. Hintere Thoracalsegmente mit kleinen Höckerchen; letztes Segment sehr tief ausgeschnitten, das ganze Abdomen aufnehmend. Seitenränder und Epimeren der vier hinteren Segmente mit einseitiger Ausbildung zu breiten Platten und langen Stacheln. Seitenrand des Ab- domens vom letzten Thoracalsegmente überdeckt. Hinter- leibsplatte dreieckig mit häutigem Randsaume. Länge der ausgewachsenen Exemplare 2,8; Breite 2,0 cm. Guade- loupe.
4. Anilocra mexicana de Saussure.
Von den übrigen sechs kommen fünf Arten im indi- schen Ocean vor und zwar nach den Vaterlandsangaben um Celebes und um die Ma'skarenen.
392 G. Haller:
1. Cymothoa rotundifrons mihi.
Körper ziemlich gestreckt; Rücken hoch und gleich- massig gewölbt. Thorax mit gradlinigen parallelen Seiten- rändern. Kopf mit zugerundeter Stirn ; Seitenfortsätze des ersten Thoracalsegmentes kürzer als der Kopf, diesem an- geschmiegt mit abgerundeten Aussenecken. Thoracalseg- ment drei und vier am Vorderrande mit paarweisen Gruben, fünf und sechs mit drei mittelständigen Punktlinien; Ab- domen nach der Basis hin nicht stark verschmälert. Fünftes Segment mit zwei kleinen Höckerchen. Länge 4,0; Breite 2,7 cm. Mauritius.
2. Cymothoa paradoxa mihi.
Cephalothorax vorn durchaus deprimirt und flach, hinten ebenso stark nach der Bauchseite hin comprimirt. Abdomen sehr frei beweglich und von beträchtlicher Länge, nach der Basis hin verschmälert. Kopf breiter als lang, vor den Augen nicht verlängert; erstes Thoracalsegment in der Mitte stark nach hinten ausgezogen, zweites Segment in der Mitte merklich verschmälert; letztes Ringel vom vorhergehenden deutlich abgeschnürt, am Hinterrande stark ausgebuchtet. Caudalplatte kurz, breiter als lang; letztes Abdominalfusspaar länger. Gesammtlänge 2,0; Breite 0,6 cm. Aus der Mundhöhle von Caranx carangus Bloch aus dem indischen Ocean.
3. Livoneca plagulophora mihi.
Körper leicht asymmetrisch, stark abgeflacht und massig verbreitert, verzerrt eiförmig. Abdomen von der Rückenfläche aus betrachtet mit nur vier schmalen Seg- menten, erstes derselben gänzlich unter dem Thorax ver- borgen; jene vier zusammen ausserordentlich kurz, kaum so lang wie Thoracalsegment sechs und sieben. Caudal- platte sehr gross, nach hinten halbkreisförmig zugerundet. Epimeren breit und flach, fast viereckig, nach innen zuge- rundet. Letztes Abdominalfusspaar etwa halb so lang wie das Pigidium, Endäste ungleich mit häutigem Anhange vor der Spitze. Länge 2,8; Breite 1,2 cm von Mauritius.
Ueber einige neue Cymothomen. 393
4. Livoneca Lunelii mihi.
Ebenfalls leicht asymetrisch und flach, Mittelparthie der Rückenfläche leicht gewölbt, Seitentheile dagegen aus- gehöhlt. Kopf länger als breit, oval. Epimeren der drei vorderen Segmente nach aussen und hinten in ein stumpfes Höckerchen, der hinteren in einen spitzen leicht gekrümm- ten Dornfortsatz ausgezogen, der von vorne nach hinten an Grösse zunimmt. Abdominalplatte kurz, nicht ganz zwei mal so breit wie lang, nach hinten unregelmässig zu- gerundet, in der Mitte des Hinterrandes kaum merklich aus- gebuchtet. Letztes Abdominalfusspaar nur von halber Länge des Pigidiums, die Endäste unter sich und mit dem Stamme gleich lang, oval. Länge 3 cm. Breite 1,6. Unter einer beulenartig vorgetriebenen Stelle des Kiemendeckels von Upeneus indicus Shaw von Macassar (Celebes).
5. Anilocra acuminata mihi.
Eine der grösseren Anilocra- Arten; schlanken Baues; Verhältniss der Länge zur Breite wie 1 : 2V2. Grösste Breite des Thorax auf der Höhe der zwei letzten Thora- calsegmente, von hier an nach vorne hin zugespitzt, nach hin- ten nur leicht verschmälert. Dabei der Körper ziemlich stark gewölbt. Kopf vor den Augen merklich verlängert. Hintere Fühler überragen den Vorderrand des ersten Seg- mentes. Un^r diesen letzteren sechs am längsten, etwa so lang wie zwei und drei zusammen. Abdomen ungefähr so lang wie breit. Abdominalplatte fast rechteckig mit leicht ausgerandeten Seiten und hinteren zugerundeten Ecken; nur wenig kürzer wie die vorderen Segmente des Hinterleibes und länger wie breit. Aeusserer Endast des letzten Abdominalfusses länger wie das Pigidium, sichel- förmig, innerer so lang wie dieses und dolchförmig. Länge 4,2; Breite 1,6 cm. Bourbon.
Endlich eine Art unbekannten Vorkommens wahr- scheinlich ebenfalls aus dem indischen Ocean.
Livoneca ellipsoidea mihi.
Körper fast vollkommen symmetrisch, durchaus ellip- tisch, von der Mitte aus nach vorne wie hinten fast gleich-
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 25*
394 G. Haller:
massig verschmälert. Ziemlich gewölbt, mit leichter Depres- sion auf dem Mitteltheile des Rückens. Letztes Segment des Thorax nur in der Mitte leicht und breit ausgerandet. Abdomen von der Basis an nach hinten sehr stark ver- schmälert, Caudalplatte klein, schmal und ebenso kurz, fafet halbkreisförmig. Letztes Beinpaar dieselbe fast um die Länge der Endäste überragend; diese letzteren unter sich gleich lang, breit und elliptisch. Farbe olivengrünlich bis bräunlich, Oberfläche glatt und glänzend. Länge 3,0 ; Breite 1,4 cm.
Erklärung der Tafel XVIII.
Fig. 1 bis 4. Beziehen sich auf Cymothoa rotundifrons. mihi.
Fig. 1. Das Thier von der Rückenfläche in natürlicher Grösse. Fig. 2a. Kopf von Cym. rotundifrons von vorne.
b. Kopf von Cym. oestrum von vorne. Umrissfigur.
c. Vorletztes Beinpaar von Cym. rotundifrons.
d. Vorletztes Beinpaar von Cym. oestrum. Alle vier Figuren in natürlicher Grösse.
Fig. 3. Pigidium der nämlichen Art nicht ganz IV2 i^^l ver- grössert.
Fig. 4. Thier in natürlicher Grösse mit üebergehung der Beine von der Seite gezeichnet.
Fig. 5 bis 6. Bez. s. a. Cymothoa paradoxa mihi,
Fig. 5. Das Thier von der Rückenfläche.
Fig. 6. Von der Seite, beides in natürlicher Grösse.
Fig. 7. Pigidium und die zwei letzten Abdominalfusspaare von innen, etwa 2 mal vergrössert.
Fig. 8 — 9. Bez. s. a. Livoneca plagulophora mihi.
Fig. 8. Thier von der Rückenfläche in natürlicher Grösse.
Fig. 9. a erstes, b letztes Thoracalfusspaar etwa 3 mal ver- grössert.
Fig. 10 — 12. Bez. s. a. Livoneca Lunelii mihi.
lieber einige neue Cymothoinen. 395
Fig. 12. Seitenrand der einen verkürzten Seite von der Bauch- fläche, das erste Beinpaar fehlt, natürliche Grösse.
Fig. 11. Thier von der Rückenfläche, natürliche Grösse.
Fig. 12, Pigidium (Umrisse und letztes Abdominalfusspaar von der Innenseite, natürliche Grösse.
Fig. 13 — 15. Bez. s. a. Livoneca Cumulus mihi, alle nat. Grösse.
Fig. 13. Von der Bauchfläche, Beine nur einseitig angemerkt.
Fig. 14. Von der Rückenfläche.
Fig. 15. Von der verkürzten concaven Seite aus.
Fig. 16—17. Bez. s. a. Livoneca ellipsoidea mihi.
Fig. 16. a erstes, b letztes Thoracalfusspaar, beide etwa 3 mal vergrössert.
Fig. 17. Thier von der Rückenfläche in natürlicher Grösse.
Fig. 18 — 19. Bez. s. auf Anilocra acuminata mihi, natür- liche Grösse.
Fig. 18. Von der Rückenfläche.
Fig. 19. Von der Seite.
Fig. 20. Anilocra mexicana de Saussure, dunkelgrüne Varietät, nat. Gr. Von der Rückenfläche.
Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bonn.
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